Ludolf Wienbarg
Holland
in den Jahren 1831 und 1832

Erster Theil

Bentheim
[1] Bentheim.

Ich rufe mir gern den Abend ins Gedächtniß zurück, als ich nach einer lästigen und langweiligen Reise über die westphälische Haide hinter Osnabrück, mich im Städtchen Bentheim, an der Grenze von Deutschland und Holland, eine halbe Nacht ausruhte. Es war ein lieblicher, elfenartiger Mondschein im Frühjahre 1831; der Postillon fuhr mich halb im Schlafe die dunkle Schlucht nach Bentheim hinunter, zu gleicher Zeit blies er einige schlaftrunkene Stoßseufzer auf seinem Horn – es klang mir, wie


Schlaf' wohl mein liebes Deutschland,

Liebes Deutschland, schlaf' wohl.


Die Bentheimer hatten schon ihre Lichter ausgethan und sich aufs Ohr gelegt. Aber im Posthause gab es noch muntere Leute. So eben war ein russischer Feldjäger nach dem Haag durchgegangen, und der Postmeister dampfte noch von [1] den neuesten Nachrichten, die er vermuthlich aus dem Felleisen herausgerochen. Er nöthigte mich sehr artig in sein Haus. Im Hintergrunde der hohen westphälischen Scheundiele brannte lustiges Feuer, rings herum saßen am Spinnrade der Frau Postmeisterin Mägde mit feldbraunen Gesichtern und westphälischen Schinkenhüften, dicht an der Flamme kauerte ein altes Weib, die einen Faden spann, der immer zerriß, und eine Gespenstergeschichte erzählte, die ihr böser Husten alle Augenblicke unterbrach.

Müde und zerstoßen, wie ich war, ließ ich mir ein Zimmer geben, um einige Stunden zu schlafen. Allein ich konnte kein Auge zuthun. Ich stand daher wieder auf und machte einen Spaziergang im Freien, der mich aus Bentheimer Schloß führte. Die Natur hat bei Bentheim einen Fels hingeworfen, die alten Grafen von Bentheim haben sich darauf feudaliter eingerichtet, und ihre Unterthanen, die treuen Bentheimer, haben sich unten im Thal angesiedelt und machen seit uralters Pergament. Gute Deutsche, die Bentheimer, obgleich sie an der Grenze wohnen. Sie machen Pergament – Schuhleder für die Pfauenfüße des deutschen Hochmuthteufels.

Das alte Schloß von Bentheim ist massiv und fest gebaut. Ich erinnerte mich aus der Zeit, [2] als ich Heinrichs deutsche Reichsgeschichte las, daß die von Bentheim sich oft hinter diesen Mauern und Thürmen vertheidigt. Sonst kenne ich die Geschichtederer von Bentheim nicht ganz genau; ich glaube, sie sind aus Grafen zu Fürsten promovirt. Aber das Wappen über ihrem Schlosse vergesse ich in meinem Leben nicht. Es war ein hochgewölbter, blaustählerner Schild, im Mittelfelde ein silberner Halbmond, rings zerstreut funkelnde Sterne, Alles in natürlicher Größe und fast übernatürlichem Glanze. Eine schöne Nacht. Der Mond spiegelte sich in den Bogenfenstern des Schlosses, und vor dem Thor stand ein Bentheimer Schildwache. Ein bentheimer Soldat ist an sich schon keine geringe Merkwürdigkeit, wenn man bedenkt, daß die flora Soldatesca Benthemiana eine der seltensten Gewächse in Europa ist und kaum ein Dutzend Exemplare davon auf diesem Felsen krüppeln.

Aber der oben schildernde Bentheimer hatte in meinen Augen noch einen besondern und fast rührenden Reiz. Es war ein alter Mann, er sah so alt, so grau, so mährchenhaft aus im Mondschein, daß ich ihn Anfangs für das Gespenst der deutschen Reichsarmee hielt, die der alte Fritz im siebenjährigen Kriege in die Pfanne hieb. Dann dachte ich wieder, er lebt noch und erwartet nur, als ein [3] treuer Soldat, den Tod auf seinem Posten. Er kreuzte seine Arme über seinem Schießgewehr, dessen rothverrosteter Lauf keinen Strahl des Mondes mehr auffing, eben so wenig wie seine Augen, die unter langen grauen Wimpern klein und blind in den Nachthimmel hinausstarrten. Er suchte dort oben etwas, oder er sah etwas, vielleicht sah er den Himmel offen, den lieben Gott, mit Caroli Magni Bart und Scepter, sitzen auf kaiserlichem Thron, an seiner Seite die Paladine des Reichs, die Erzengel, den Erzmundschenken, die apostolischen Nuntien St. Peter, St. Paul u.s.w. auf der Himmelswiese die Reichsarmee der Seligen, die seligen Reichsbürger und den ganzen seligen Pöbel, hier und da einhauende Cherubime, welche im Himmel als Polizeibeamte angestellt sind. –

Denn, Lavater, in seinen »Aussichten in die Ewigkeit« mag sich die Sache vorstellen, wie er will, ich behaupte, daß die Polizei im Himmel eben so nöthig, wie auf Erden und vielleicht noch nöthiger ist. Der Bauer, ich will nur von Bauern sprechen, ist weder gewöhnt an den himmlischen Müssiggang seines Pfaffen, noch an den weltlichen seines gnädigen Herrn, und man weiß, wie er's treibt, wenn er hier unter dem Mond an Sonn- und Festtagen nur ein bischen selig ist.

[4] Dort oben aber, wo er einen ewigen Sonntag feiert, wo er nicht mehr pflügt und drischt, nicht mehr schwitzt und keucht, nicht mehr geplackt und geschunden wird, dort oben, meine ich, wird er vor Seligkeit sich kaum zu lassen wissen. Gnade Gott, wenn sein gnädiger Junker ihm in den Wurf kommt, er macht ihn selbst im Himmel todt; daher auch jener mecklenburgische Edelmann vom lieben Gott sich einen gesperrten Sitz im Himmel ausbat.

Oldensal
[5] Oldensal.

Als es anfing zu tagen, fuhr ich bereits über die Haide von Overyssel, eingehüllt in meinen Mantel und einen dicken Nebel. Ich versank in nebelhafte Gedanken. Nebel zeugt Nebel, nebelhafte Bilder, ossian'sche Geister, nordische Götter. Nebel befeuchtet die Pflanzen, Bäume, die Poeten des Nordens, Nebelzug wittert durch die Saga's, die Nibelungen, den Erlkönig, und vielleicht ist auch die ganze Welt, wie die nordische Poesie aus Nebel entsprungen und wird sich einmal wieder in Nebel verflüchtigen, wie ein Gespenst auf der Haide von Caledonien. Nur in Holland, scheint es, hat der Nebel keine poetischen Zeugungskräfte, die Holländer haben den schönen Nebel, aber, wie man sagt, keine Poesie. Ich werde den »lustigen Geneverstocker von Schiedam« lesen.

Ein Schluck vor dem bösen Nebel, sagte der Postillon und setzte seine grüne Knobbrigte an den [6] Mund. Ein närrischer Kauz der Postillon, eine Art Till Eulenspiegel, verkappt in den rothen Rock eines königlich hannöverschen Postbeamten. Wie die Sonne aufging, knallte er mit der Peitsche und schrie aus vollem Hals, Oranje boven, Oranje boven. Hoho! lachte er spöttisch, hoho! nun wird es Ernst mit der Sache, nun erklärt sich der Himmel selbst für die Nassauer, er hat seine große Oranjecocarde an seinem grauen Hut aufgesteckt. Du lieber Himmel, wer heut zu Tage nicht drei Ellen Pommeranzenband auf dem Deckel trägt, wird als Meutling und Brabanter in Holland platt geschlagen. Mir könnte das eben recht sein, fügte er mit einem satyrischen Seitenhieb auf seinen Höcker hinzu; aber mir thun sie nichts, ich bin eine geheiligte Person und scheere mich den Teufel um ihre naßsauren Gesichter. Allein mein Vetter ist übel mit ihnen daran. Mein Vetter, Herr, ist ein armer Leineweber in Oldensal. Der hat sich da mit den Oldensalern in eine erzdumme Geschichte verzettelt. Das macht, daß die Oldensaler erzkatholisch sind, wie hier der ganze Strich nach dem Münsterschen zu. Deswegen wollten sie nicht ausziehen gegen die blauen Kittel und stellten sich auf die Hinterbeine, als die Aushebung vor sich gehen sollte. Ein langer Uhrmacher predigte sogar offenbaren Aufruhr. Er sagte ihnen, [7] es sei an der Zeit, das Joch des ketzerischen Königs ganz und gar abzuschütteln. Ich kenne ihn, seine Uhren gehen immer falsch. Vetter, sagte ich zu meinem Vetter, seid keine Esel, gebt eure Lümmel heraus, sonst schickt euch euer König Willem einige Escadronen schockschwerenöthige Dragoner auf den Hals, und die binden den Jan und den Jantje an die Schwänze ihrer Pferde, und euch fressen sie auf in Zeit von zweimal vierundzwanzig Stunden. Aber mein Vetter ballte die Faust und dünkte sich klüger, als ein königl. hannöverscher Postillon. Was geschah? Tripp trapp kamen die Dragoner ins Thor geritten und kehrten das unterste zu oberst. Der Uhrmacher hatte sich aus dem Staube gemacht. Das war sein Glück, sie hätten ihn mit seinen langen Beinen aufgeknüpft an den Weiser der Thurmuhr, die er aufzuziehen pflegte. Die holländischen Dragoner, mein Herr, sind böse Gäste, Heuschrecken in Stiefel und Sporn. Wenn unser einer sich zu Tisch setzt, so ißt er so lange, bis er satt ist, diese Leute aber fressen so lange, bis sie wieder hungrig werden. Sehen Sie nur, da trabt einer von ihnen aus dem Dorf. Jes Marie, was hat der Kerl für einen gotteslästerlichen Bauch, was schneidet er für leibgrimmige Gesichter. Vermuthlich hat er sich schon im Dorf verfressen. Dag Kameraad, hoe laat is het? (wie viel ist die Uhr?) [8] Bemerken Sie seine Butterdose, Horolootschie nennen sie das Ding. Een kwart over zeven, sagte der gutmüthige Dragoner. Ik dank u wel. Freßsack, der du bist, ein viertel über sieben und schon stickend voll. Großer Fritz und wie stank er nach Genever.

So plaudernd gab er seiner trägen Liese etliche Peitschenhiebe, die aber eher nichts fruchteten, als bis sie das Wirthshausschild im Dorfe wahrnahm. Wie der Wagen hielt, ward er sogleich von kleinen pausbackigten Holländern umringt, im steifen sonntäglichen Putz, nicht muthwillig und tobend, wie unsere Dorfjugend, sondern kleine vernünftige Abdrücke ihrer Väter und Mütter, welche Pferde, Wagen, Postillon und mich neugierig erst betrachteten. Der Castellan stand in der Thür, Hut auf dem Kopf, Pfeife in der Hand, und sagte, as u belieft, mijn Heer, in mijn huis aftestappen. Als ich in die Stube trat, credenzte seine Tochter mir eine kleine weiße Thonpfeife sehr zierlich mit ihrer kleinen weißen Hand. As u belieft, mijn Heer, en Pijpje te smooken, sagte sie. As u belieft, mijn Heer, wie putzig, wie närrisch niedlich das klingt in einer hübschen Holländerin Munde. Und Antje, so hieß sie, war ein mooi meisje. Ich streichelte ihr neugierig die weiße Hand und die Wange, so kühl, fest und fein, wie das feine chinesische [9] Porcellan, das auf dem Tische stand. Antje, sagte ich, merk' auf, ich will dir ein holländisches Lied vorsingen. Ich kannte wirklich ein solches Lied von meinen Kinderjahren her:


Als Antje vor der Thüre stand

Und Jan ging da vorbei u.s.w.


sie ward sehr vergnügt. Als ich meine Zeche bezahlt und Anstalt machte, aufzubrechen, sah ich, daß sie einen großmütterlichen Schrank aufmachte, dessen Thürflügel mit goldenen Blumen und Schnörkeln verziert waren. Sie zog eine Schieblade auf und griff den schönsten rothen Apfel heraus, der noch am Stengel saß, trippelte damit zu mir, sah mich mit ihren hellbraunen Augen freundlich an, und bot mir den Apfel mit den Worten: as u belieft, mijn Heer, en Appelje van mij aanteneemen. Ich dachte an Eva, an den alten Adam, ich entschuldigte Letzteren sogar ein wenig für seinen gottvergessenen Apfelbiß, angenommen und vorausgesetzt, daß Eva eben so hübsch war, wie Antje, und daß die Redensart as u belieft, mijn Heer, en Appelje in der Sprache des Paradieses eben so lustig verführerisch klang, wie in Antje's Sprache.

Till, sagte ich zu Till, als wir wieder auf dem Wagen saßen, Till laß es gut sein, es gibt in Overyssel hübschere Mädchen, als in Westphalen. [10] Ja, sagte er, weiße Pfeifen und weiße Mädchen, auf deren Fabrication verstehen sich die Mijnheers; beide sind nur klein, aber fett, glatt, wohlthätig für die Lippen, brechen nicht leicht, nehmen nicht leicht was übel, sind dabei schlank und wohl gebacken und sehr vorsichtig ausgebrannt, über langsamem Feuer, der Holländer läßt Alles sacht angehen.

In Oldensal lauteten die Glocken zur Messe, aber die Sabbathruhe der Einwohner von Oldensal war durch kriegerische Gäste gestört. Pferde trampelten, Pallasche rasselten übers Pflaster, Reiter in aufgestreiften Hemdsärmeln striegelten ihre Thiere, trugen mit Heu und Stroh und nur hier und da schlich eine andächtige Seele bedrückt und seufzend nach der Kirche.

As u belieft, mijn Heer, en Pijpje, sagte der Wirth zu mir, vor dessen Hausthür Till ankerte. Es fehlte viel, daß es so angenehm klang, wie aus Antje's Munde. Der Wirth war eine lange, bleifarbige, tiefbrummende Orgelpfeife, behängt mit schwarzsammtnem Camisol und desgleichen Pluderhosen, Hut auf dem Kopf, weiße Pfeife vor dem Mund, wie gewöhnlich. Im Vorgrunde der saubern Hausflur war ein aufgetrepptes Zimmer vollgepfropft mit zechenden und lärmenden Reitern, im Hintergrunde saßen schwarze Männer und Frauen, Gebetbücher unterm Arm finster und [11] schweigend um ein Caminfeuer. Ich setzte mich zu ihnen, keine Seele achtete auf mich, außer einer blanknasigen Kaffeeschwester, welche trotz der allgemeinen Landescalamität das Cokettiren nicht lassen konnte, ich meine die spiegelhelle riesige Kaffeekanne, die in der Mitte des Tisches prunkte, umringelt von vierzig kleinen Täßchen mit buntjapanischen Jäckchen und Liliputerärmchen, welche sie trotzig in die Seite stemmten. Aus dem aufgetreppten Zimmer wurde von Zeit zu Zeit zur Thür herausgeschrieen, en glas Genever, en Speel kaarten, en glasje klaare met zuiker, en glasje Bittere u.s.w. Die Wirthin zeigte sich als freundlich kluge Frau, lief ab und zu und bediente die unwillkommenen Gäste ohne Murren. Da gegen orgelte ihr langer Herr Gemahl sehr viele schwarze Flüche durch die schwarzen Zähne, lief in seinen vier Pfählen wüthend auf und ab, und hätte gern, wie es schien, sich seines Hausrechtes bedient, wären ihrer nicht zu viele gewesen. Endlich wurzelte er vor seiner Frau still, blies ihr den Dampf seiner Pfeife ins Gesicht und fragte sie, wo ist Grietje? In der Messe, sagte die Frau. In der Messe? Und Willem? Im Stall, glaube ich. Blixem! fuhr er auf und warf seine Pfeife an die Wand, blixem! weiß sie nicht, daß sie nicht in die Messe gehen soll ohne Willem? Keinen Fuß soll sie aus dem [12] Hause setzen ohne mich oder Willem. Wenn nun die verdammten Kerle sie aufgreifen und anpacken, das Volk kennt nichts als Fluchen, Spielen, Fressen, Saufen – seine Frau hielt ihm die Hand vor den Mund, und rief mit ihrer schmeichelnd fetten Stimme mehrmals beschwichtigend: Papatje, Papatje. Darüber kam die Tochter aus der Messe zurück und der Sturm ging glücklich vorüber. Ein blaßkatholisches Kind mit silbernem Kreuz auf der Brust. Der Brummbär streichelte ihr zärtlich die schwarzen Haare, küßte sie auf die Stirn und verbot ihr mit einer Stimme, die väterlich liebend durch den rohen Groll seiner Seele hindurchbrach, künftig nicht ohne Begleitung ihres Bruders die Messe zu besuchen.

Dann kam Till und nahm Abschied.

Ankunft im Haag
[13] Ankunft im Haag.

Ein Traum, ein so himmlischer Traum mitten in Böotien! Träume, was sind Träume? haben sie Flügel, sind sie Engel, fliegen sie mitunter vom Himmel auf die platte Erde? – Ach nein! Träume sind keine Engel, Träume kommen nicht aus den Wolken, sie kommen aus dem Magen. Den schönsten Traum meiner Nächte verdankte ich dem fetten Stolker, den du gestern Abend verzehrtest. – Aber die Gestalt, die mich so himmlisch anlächelte, die mich, die ich – die Gestalt, die dich so himmlisch anlächelte, die dich, die du – genug diese Gestalt war eine seraphinische Blähung.

Blasphemie! rief ich aus, und sprang aus dem Bett, sehr aufgebracht über den platten Einfall, welchen ich im Zorn eine Einblasung des Eidammer Apoll nannte. So wandelt denn, murmelte ich, kein Mensch ungestraft weder unter Palmen, noch unter Butterfässern.

[14] Uebrigens war es hohe Zeit aufzustehn. Die Uhr der St. Jakobskirche stand auf zehn, mein Nachbar zur Rechten, meine Nachbarin zur Linken, klapperten bereits seit einer Stunde mit den Theetassen, und meine Nachbarin zur Linken war gewiß schon bei der zwanzigsten.

Die St. Jakobskirche hat einen langen vierschrötigen Thurm, darüber einen geschnörkelten Aufsatz, worin eine Versammlung großer und kleiner Glocken, die gerade im Augenblicke, als ich aus dem Fenster sah, den alten Wilhelmus van Nassouwen herabspielten, und was der Zufall bedeutend genug fügte, auf den Kopf eines Nassauers, der vor meinem Fenster vorüberritt. Es war der Prinz Wilhelm von Oranien, ich hatte ihn schon gesehen bei Quatrebras, kampfschwitzend und in bloßen Hemdärmeln an der Spitze seiner Reiter, nämlich im Kupferstich an der Wand einer Dorfschenke. Er saß leicht und schlank zu Pferde, blickte heiter und sorgenlos in die Welt, wie Göthe's Egmont auf dem Markt zu Brüssel, vielleicht war der Engländer, den er ritt, dasselbe edle Thier, das mit ihm über die Barricaden der wüthenden Brüsseler glücklich hinweggesprengt war. Nun ritt der Prinz wieder über einen Markt, aber die Sache war nicht so gefährlich, Schildwachen präsentirten, ehrsame Bürgersleute nahmen ihren Hut ab und [15] ließen ihn mit Ehren ruhig durch, es war der Markt im Haag, denn der Prinz, der Engländer, die St. Jakobskirche und ich, wir befanden uns sämmtlich in der Residenz des Königs von Holland, im grünen Haag. Ich sage im grünen, denn Haag oder s'Gravenshage ist eine Stadt, wie andere holländische Städte, und wie London schwarz aussieht, Paris weiß, Berlin roth, so hat der Haag wegen seiner Canäle, Bäume und Häuser einen grünlichen Anstrich, und als ich bei meiner An kunft über eine Brücke fuhr, begegneten mir Arm in Arm zwei Damen mit grünen Brillen, grünen Kleidern und grünen Regenschirmen, welche sie gegen den Nebel aufgespannt hatten.

Auf dem Sopha ausgestreckt, dachte ich an meinen Traum und legte in Gedanken meine schnelle Reise noch einmal wieder zurück. Wie glänzt man, wie leuchtet man, wie dichtet man, wenn man dahinläuft, sagt irgendwo Jean Paul. Göthe würde gesagt haben, wenn man dahinfährt in bequemer Berline mit vier Rappen bespannt; Byron, wenn man dahintrottirt auf einem langen Engländer. Jeder nach seiner Art. Göthe ist die Poesie in der Hofkutsche, Byron die Poesie zu Roß, Jean Paul die himmlische Fußboten-Poesie, die Poesie per pedes Apostolorum.

Die holländischen Dichter mögen die Poesie [16] in derTreckschuite vorstellen. – In Holland sieht man selten einen Reiter, nicht einmal einenProbenreiter, noch seltener einen Fußgänger. Alles fährt und schifft. Die holländischen Landstraßen sind aber auch vortrefflich. Selbst über die Haiden von Overyssel und Geldern läuft ein bequemer, gemüthsruhiger Weg; nirgends eine hohe obrigkeitliche Erlaubniß, sich den Hals zu brechen, wie auf der Haide von Westphalen. Hinter Amersfort wird der Weg dielenplatt. Man denke sich, die holländischen Landstraßen sind belegt mit jenen allerliebsten gelben Klinkern, womit man bei uns zu Lande hübsche Häuser aufführt und Keller und Höfe aussetzt. Darüber rollt der Wagen so leicht und stoßsicher hinweg, wie nur über die Basaltstraßen am Rhein, oder die Lavastraßen von Italien. Diese zierlichen, unter den Rädern des Wagens klingenden Wege sind freilich nicht so stark und dauerhaft, wie die steingroben Chausseen in Norddeutschland. So einer von den himmelhohen Frachtwagen, die caravanenartig die Lüneburger Haide durchziehen, würde in Holland seine Spur durch eine lange Verwüstung kenntlich machen. Allein solche Unbill haben die holländischen Wege nicht zu befahren. Alles, was Fracht und Last heißt, wird in Holland zu Schiff gepackt und auf Canälen weiter befördert. Die Canäle sind die eigentlichen Landstraßen in Holland. [17] Man hört weder das Knallen der Fuhrmannspeitsche noch das Hoho der Kärrner; nur leichtbeladene Fuhrwerke rollen hin und her und selbst die Heu- und Mistwagen der Landleute sind leicht, schmal und zierlich gebaut. Diligencen gibt es in diesem kleinen Lande nach allen Richtungen; außer ihnen Treckscheuten für Personen, welche als regelmäßige Wasserposten täglich, stündlich ab- und zugehen. Geht es mit den Treckscheuten auch nicht auf Flügeln des Windes, so kommt der reisende Holländer doch immer um den stolpernden Schritt eines büschelbeinigen Gauls weiter in der Welt; dabei kann er sein Pfeifchen rauchen und mit seinem Nachbarm imRuf ein kleines gepraatje über Wind und Wetter, Krieg und Frieden anbinden. Vielleicht ist China das einzige Land auf der Welt, das einen ähnlichen Anblick von Brücken, Canälen, Junken, Schiffern und Reisenden gewährt.

Mir machte die Reise nach dem Haag ein kindisches Ergötzen. O Butterland! o Käseland! rief ich, gelobtes Land meiner Kinderjahre, sei mir gegrüßt. Und auch du, o Jan Koxin, alter Feldwebel, mit dem ich so oft an der Elbe spatzieren ging, als die Franzosen bei uns waren und ich noch die ersten Hosen trug, sei mir gegrüßt, alter Jan Koxin, der mir so oft erzählt – was mich in die tiefste Rührung versetzte – daß die artigen [18] Kinder in Holland zum Frühstück fingerdicke Butter und ein daumdickes Stück Käse auf ihre Bemme bekämen. Ach Koxin, schrie ich damals, wie wollte ich artig sein, wäre ich ein kleiner Holländer; ist Holland weit von hier? Holland ist sehr weit von hier, sagtest du langsam; ma–a–r die Welt ist rund und du kannst einmal dahinkommen.

Jetzt war ich da und glaubte den Geist des alten Feldwebels neben mir in der Kutsche sitzen zu sehen, wie er sein spanisches Rohr ausstreckte und mich auf alle Gegenstände aufmerksam machte, von denen er mir früher erzählt. Es war Alles ebenso, wie ich mir gedacht. Diese Städte mit ihren stumpfen Thürmen und Glockenspielen, ihren Grachten – man sieht in eine Gracht hinein, wie in einen Guckkasten, in der Mitte einen dunkelgrünen Canal mit Torf- und Kartoffelschiffen, eine perspectivische Reihe von Brücken, Bäumen, Krahnen, Häusern, schlafenden verschlossenen Häusern mit hohen verhängten Fenstern, Winkelspiegeln, Klingelzügen, hohen Schornsteinen, den einen noch wunderlicher gebaut, wie den andern, so daß man sagen kann, die Phantasie der Holländer hat sich an ihren Schornsteinen erschöpft.

Diese Dörfer mit ihren schmalen Gassen, ihren kleinen bunten Häusern, diese Bauer- und Milchwirthschaften [19] mit ihren blanken Kesseln und Heuschobern, diese Landschaften, verhaßt der Diana, der Göttin des Wildes und Waldes, weil sie weder Wild noch Wald enthalten, verhaßt dem Apoll, weil sie sein poetisches Gefühl durch Schnupftabacksmühlen beleidigen, verhaßt selbst dem Pan und den Feldgöttern, sonst Liebhabern von Vieh, weil ihnen keine Hirtenflöte oder auch nur ein Kuhhorn entgegenschallt, aus gänzlichem Mangel an Hirten; diese Landschaften, die immer und ewig dasselbe Gesicht behalten, und unveränderlich mit Gras, Kühen, Canälen und Windmühlen abwechseln, vielleicht von allen Göttern und Göttinnen nur geliebt von der Himmelskönigin Juno, welche die Welt aus einem ökonomischen Gesichtspunkt betrachten muß, da sie nach Homer Kuhaugen hat.

Alles fand ich, wie ich's mir gedacht. Nur die Menschen nicht. Der Krieg mit Belgien hatte sie völlig aus den Angeln ihrer Gemüthsart gehoben, das bedächtige Volk war durch ein neues Gefühl, Ritterthum, Ehre, in ein fremdes Element hineingeplumpt, die Jungen erhitzten die Alten, die Zeitungsschreiber Alle. Sie machten aus einer Angelegenheit der Familie Nassau eine Volkssache, gebärdeten sich so isegrimmig, als ob sie allen Belgiern nur einen Hals wünschten, um ihn mit einem Streich abzuschlagen. Einem [20] ward unwohl in ihrer Gesellschaft. So traf ich im Wirthshaus zu Amersfort einen Kreis junger Officiere von der Schütterei, oder holländischen Landwehr, die häßlich renommirten und ihren Wein unter Kraftflüchen hinabtranken. Zuletzt brachte der Jüngste von ihnen eine Gesundheit aus: auf Kaiser Nicolaus und daß er bald mit den Polen fertig wird. Alle Gläser klangen – unter ihren Oranjeschärpen schlug kein Herz für die edelste Sache, für welche je Blut geflossen, sie hatten Schwerter angeschnallt, aber sie waren darum keine Ritter geworden, sie fühlten keine Bewunderung, nicht einmal Mitleid für die ritterlichen Polen, welche ihrem Opfertod entgegenjauchzten. Und doch war die Sache der Polen einst die Sache ihrer Väter.

Die Scene machte mich beklommen. Gottlob, rief ich, als ich wieder Gottes freie Luft schöpfte, Gottlob, daß ich nicht im Butter- und Käselande geboren bin, Gottlob, daß ich ein Deutscher bin. Nein, diese Holländer sind keine Deutsche mehr, sie haben aufgehört es zu sein, seit sie, aus unsern Urwäldern vertrieben, in diesem nassen Jammerthal sich niederließen. Feuer, Wasser, Luft und Erde haben sie zu Holländern verarbeitet, ihre Sprache ist versumpft und in Gurgellaute ausgeartet, ihr Geist ist nur der feuchte Niederschlag des [21] deutschen mehr, beraubt des himmlischen Funkens der Begeisterung, baar und ledig der Phantasie und des Gemüths. Begeisterung – wer wollte das trübe und neidische Feuer, was ihnen jetzt aus den Augen sieht, Begeisterung nennen.

Mit diesen Worten machte ich mir Luft; aber ich muß gestehen, daß die Schütter von Amersfort mich eine geraume Zeit unterwegs verstimmten, bis ich im nächsten Wirthshause mit einem alten vernünftigen Holländer bekannt wurde, an dessen gepudertem Kopf der Wirbelwind der Zeit vorbeigefahren war, ohne ihn über die wahren Interessen seines Landes zu verdrehen. – In Utrecht schlief ich die Nacht, in Leiden verweilte ich so lange, als man braucht, um über den blauen Stein am Rathhaus vorüber von einem Thor zum andern zu fahren und jetzt war ich im Haag.

Der Spatziergang im Busch
[22] Der Spatziergang im Busch.

Unmittelbar an den Haag stößt ein Gehölz, Busch genannt, in Holland sehr berühmt, weil man darin eine Viertelstunde lang unter nichts als unter Bäumen geht, welche glückliche Vereinigung von Bäumen hier zu Lande sich nur in der Nachbarschaft von Harlem 1 wiederholt. In diesem Busch wandelt an heitern Tagen die schöne und elegante Welt vom Haag, und es war ein sehr schöner Tag, als ich am Arm eines Bekannten die bunten Reihen durchstrich, welche sehen und gesehen werden wollten.

Wer ist die vornehme Dame, die hinter uns fährt, sie hat einen Fuchs und einen Schimmel vor dem Wagen und einen Malayen mit afgespanntem Sonnenschirm hinter sich. – Die Frau [23] des vorletzten Gouverneurs von Batavia, sagte mein Begleiter. Eine liebe Frau.

Als Mijnheer Kapellen in seiner Jugend sich um ihre Hand bewarb, widerriethen ihre Verwandten die Heirath, weil er ein armer Teufel war. Sie hat ihn aus Liebe genommen, ein unerhörtes Beispiel in den Annalen der patrizischen Ehen, für welche Plutus und nicht Amor den Contract aufsetzt. Jetzt ist er aber ein steinreicher Mann, so reich wie Lucull, nach seiner Statthalterschaft in Klein-Asien. Er bewohnt ein fürstliches Landhaus in der Nähe von Utrecht und besucht nur alljährlich auf kurze Zeit die Residenz, um der königlichen Familie seine Aufwartung zu machen. Haben sie seinen arabischen Hengst noch nicht gesehen? Der wirft seinen Schweif wie ein Pfauenrad, sprüht Feuer aus den Rüstern, tanzt wie Vestris und ist das Entzücken aller unserer jungen Messires, die nichts lieber wünschen, als einmal Gouverneure von Batavia zu werden. Der Gouverneur hat ihn von Gott weiß welchem asiatischen Sultan zum Geschenk bekommen. Pferde und Wagen spielen auf Batavia die Hauptrolle. Kein Holländer läßt sich zu Fuß sehen. Mir ist ein Fall bekannt, daß ein Mijnheer, der seinem Nachbarn in einer sechsspännigen Carosse einen Besuch abstattete, noch im Thorweg seines Hauses [24] saß, während die Vorderpferde schon in den Thorweg des Nachbarn einbogen. Durch diese Unsitte verlieren sie den Gebrauch ihrer Beine, wie durch die Unzahl ihrer mohrischen und malayischen Sclaven den Gebrauch ihrer Arme und Hände. Die vornehmen Holländerinnen leben dort auf demselben Fuß, nur auf einem bedeutend größeren (die Holländerinnen haben entsetzlich große und schwere Füße); wie ihre Schwestern in Japan und Hindostan. Sie behängen sich geschmacklos mit Perlen und Edelsteinen, liegen den langen lieben Tag auf dem Sopha, lassen sich die Mücken und Fliegen abwedeln, waschen sich viel und werden immer gelber, baden sich oft und werden immer welker, angeln gern nach jungen Europäern, welche sie reich und dürre machen, und sind im Uebrigen so geistlos und armselig in der Unterhaltung, daß man in ihrer Gesellschaft nicht ausdauern kann. Das sei nicht gesagt von der Gouverneurin, sie ist eine scharmante Frau, sie kann auch schon lange wieder zu Fuß gehen. Als sie erst zurück kam, war ihr dieses unmöglich. Sie wollte im Haag eine Jugendfreundin besuchen, auf deren Wiedersehen sie sich seit langer Zeit gefreut. Der Wagen fährt vor, der Bediente öffnet den Schlag und meldet seiner Gebieterin mit dem kläglichsten Gesichte, das Haus liege hinter einer Brücke und [25] man könne nur zu Fuß hinüberkommen. Dieser Umstand war für sie hinreichend, um den Besuch aufzugeben.

Kein Wunder, sagte ich, der Holländer ist schon von Natur kein Vogel, und wird er nun aus seinen nebelkalten Sümpfen unter die brennende Sonne Indiens versetzt, so muß ihm ungefähr so schlaff zu Muth werden, wie Einem, der mit durchnäßten Kleidern sich an die Gluth des Caminfeuers setzt.

Aber sagen Sie, wer ist der kleine Herr vor uns auf? – Wer? – Der mit dem grandiösen, familien-aristokratischen Schritt aus alter guter Zeit. – Das ist unser Bürgermeister, Mijnheer Kobbes van Kattendyk, ein kleiner lebhafter Mann, sehr beliebt am Hofe, thut viel für's französische Theater, für die Verschönerungen der Stadt. Mein Barbier behauptet, daß er zu wenig Bart und zu viele und zu kostbare Ideen hat. Er meint damit den neuen Canal, den Mijnheer Kobbes van Kattendyk mitten durch die Dünen bis beinahe an die See geführt hat, ein Werk, gegen dessen Vollendung die Herren Wasserstaaten von Delfland eingekommen sind, weil sie behaupten, Holland dürfe nicht ohne die höchste Noth sein kostbares Palladium, die Dünenkette, durchbrechen. Dieser Canal ist auch ohne Ende und Schiffarth, [26] welche auf jeden Fall wegen Sandbänken und Brandung nicht erzielt werden möchte, für den Kenner und Liebhaber der schönen Natur sehr schätzenswerth. Die schönen Töchter des Sir Charles Bagot, des englischen Ambassadeurs, gehen hier jeden Tag spatzieren, oder vielmehr, sie schweben spatzieren, denn die Jüngste vor Allen ist ein schwebender Engel. – Ach, sehn Sie, da geht der ehrliche Bernhard von Sachsen-Weimar, der vor einigen Jahren seine Reise in die nord – amerikanischen Staaten in den Druck gegeben hat; ein alter deutscher Degenknopf, über dessen Besitz die Holländer sich Glück wünschen. – Der Prinz Oranien mit seinen Söhnen – ach, er möchte so gern König von Belgien werden, weil er fühlt, daß er für die trockenen, ökonomischen Holländer nicht geschaffen ist. Seltsam, das Land ist so naß und die Menschen hier so trocken. Sein Bruder Friedrich ist dagegen mit Haut und Haar ein Holländer; man kann auch sagen, er ist das im Dünnen, was sein Vater im Dicken ist. – Das halbe holländische Lager ist hier auf den Beinen. Wer ist der junge Offizier, mit dem Sie sich grüßten, ein bildschöner Mann. – Sagen Sie, der Adonis von Holland, das Wehgeschrei aller Damen, seit er seinen Arm verloren; nicht im Krieg, im Duell. Sie sehn daraus, daß auch [27] die holländischen Offiziere sich duelliren. Ah bon jour, monsieur la baron, sagte mein Begleiter zu einem Männchen, das von aller Welt gegrüßt ward und alle Welt mit unendlich vielen hastigen und possirlichen Bücklingen wieder grüßte. Glücklicher Zufall, daß ich Sie treffe, ich wünsche mir Ihre Belehrung über einen Punkt aus den holländischen Alterthümern. Gestern Mittag speiste ich im alten Dulen an der Wirthstafel, das Gespräch fiel vom Hundertsten ins Tausendste und endlich sogar auf das alte Thule, jene famose Insel, die ein Kaufmann von Marseille, ich weiß nicht wie viel Jahre vor Christi Geburt, in der Nordsee entdeckt haben wollte und deren Name und Lage so vielen Gelehrten den Kopf zerbrochen. Da meinte ein junger Doctor der Philosophie, unter Thule sei weder Island, noch Norwegen, noch eine der schottischen Inseln zu verstehen, sondern – was meinen Sie wohl – Holland, die batavische Insel. Vermuthlich, sagte er, ist dieser griechische Kaufmann bei Schevelingen ans Land gestiegen und zwar zur Zeit eines starken Seenebels, wie er hier zu Lande nicht selten einfällt, hat dann einige Nächte im alten Dulen logirt, wie noch jetzt die reisenden Kaufleute zu thun pflegen und bei seiner Abreise den Namen eines einzelnen Wirthshauses für den Namen des Landes gehalten, [28] das vielleicht auch damals noch gar keinen Namen führte. Eh bien, monsieur le baron, was sagen Sie dazu? Der Baron räusperte sich und sagte, die Conjectur ist artig und ingeniös, auf den ersten Anblick sehr glänzend und dabei schmeichelhaft für Holland. Allein so guter Patriot ich bin, so scheinen mir doch bei näherer Betrachtung die angeführten Gründe nicht haltbar genug, um unserm Lande den Ruhm anzueignen, von Pytheas, der ungefähr um die Zeit des Aristoteles lebte, besucht worden zu sein. Das Wort Dul ist allerdings so alt, wie unsere Sprache, und also so alt, wie unsere Vorfahren selbst, welche in diesem heiligen Hain, worin wir jetzt friedlich spatzieren gehen, ihren Göttern blutige Opfer darbrachten. Allein die Wirthshäuser, welche man unter dem Namen Dulen in ganz Holland findet, steigen ohne Zweifel nicht höher hinauf, als bis zur Gründung der Städte und der Stiftung der Schützengilden, welche in diesen Wirthshäusern zusammenkamen, um nach dem Dul, id est, nach dem Ziel, nach der Scheibe zu schießen. A propos, mon ami, beim Schießen – hier fiel er sich in ganz verändertem Ton in die Rede, indem er sich kriegerisch in die Brust warf – à propos beim Schießen, haben Sie meine Kanoniere schießen hören? Die Kerle schießen majestätisch, klassisch sag' [29] ich Ihnen. Dulce est pro patria mori. Falle ich, so sollen sie den Kopf der Livia haben, der Ihnen so sehr gefällt. Haben Sie meine ägyptischen Papyrusrollen schon gesehen? Besuchen Sie mich doch, mon cher. A revoir, à revoir.

Ist das ein Offizier von der Artillerie, fragte ich, als der kleine Baron sich entfernt hatte. Bewahre, sagte mein Begleiter, seine Kanoniere sind eine unschuldige Spielerei, die man ihm aus Rücksichten für seine Person einstweilen erlaubt. Er ist reich, von alter Familie, besitzt ein Paar große Hotels, sammelt Münzen, Steine, chinesische Puppen, römische und batavische Alterthümer und besitzt unter Anderm eine schöne Büste der augustäischen Livia, auch ein Paar köstliche Holzschnitte von der Hand Albrecht Dürer's, was er Alles mit dem größten Vergnügen den Fremden und Einheimischen sehen und bewundern läßt, wie auch ein Bild, das ihn selbst vorstellt, als er noch im Flügelkleide und ein Knabe von sieben bis acht Jahren war, er trägt als Amor Bogen und Pfeile, einen rothen Rock mit goldenen Tressen und sieht unter den gepuderten und gebrannten Locken schon eben so antiquarisch aus, wie gegenwärtig. Von seiner Frau ist er geschieden, sie wollte den Staub und seine alte Amme nicht an der Stelle liegen lassen, wo sie seit Alters lagen, [30] den Staub nicht auf seinen chinesischen Puppen, die alte Amme nicht in ihrer gemeinschaftlichen Schlafkammer. Wie ich höre, ist sie aus dem heiligen Schooß der Antiquitäten in sehr profane Arme gestürzt, sie soll verheirathet sein an einen holländischen Unteroffizier, der ohne Zweifel seine alte Amme nicht bei sich hat und es auch nicht ungern sehen wird, wenn sie seinen Antiquitäten, alten Kamaschen und sonstigen alten Scharteken, den Staub ausklopft.

Wir schlugen uns aus dem Gedränge und kamen an einen mit hohen Buchen umringten Teich mit der Aussicht nach dem Hause im Busch, einem Lustschloß der oranischen Familie, das sich von dieser Seite sehr anmuthig hinter mehrern Brücken darstellt. Schwäne ruderten im Teich und aus einem Gebüsch ließ sich plötzlich die Nachtigall hören, einige Schritt weiter sahen wir die Königin der Nachtigallen, die kleine liebenswürdige Henriette Sonntag oder Gräfin Rossi, oder Gräfin Rossignol, wie ich sie am liebsten nenne. Sie hing am Arm ihres hübschen Mannes, und ich will nicht darauf schwören, daß sie sang, sie schien eher mit ihrem Manne zu sprechen; aber ich hörte sie singen und die langhalsigen Schwäne, die ihr nachruderten und mit den Flügeln schlugen, als wären sie ganz außer sich vor Vergnügen, [31] hörten sie offen bar auch singen. Vielleicht hatte die kleine Zauberin nur aus Scherz die Luft und die Gesträuche mit Musik angesteckt. Den Abend aber hörte ich sie wirklich singen. Sie sang im Salon des **schen Gesandten auf allgemeines Bitten das Schweizer Alpenlied: »steh nur auf, steh nur auf,« so himmlisch schön, daß ergraute Minister in die Welt hineinlächelten, wie die Kinder, so schmachtend, daß dem Legationssecretair der **schen Gesandtschaft die Brust bis an die Watten stieg, so schmelzend, daß einem dicken Fräulein das schiere Fett von der Wange träufelte, so zum Vergessen, daß Herr Qouvrard von Paris seine letzte Speculation, seine Schulden und Saint Pelagie vergaß, und ich selber ausrief: Herr Gott, Madame, wäre ich der Schweizerbu, ich würde meine Lebtage nicht aufstehen, aus purem Vergnügen, sie so schön jodeln zu hören: »steh nur auf, steht nur auf, du Schweizerbu.«

Fußnoten

1 het Harlemmer hout ist ein Lustholz vor den Thoren Harlems.

Brief in die Heimath
[32] Brief in die Heimath.

Du weißt, mein lieber Fritz, wie rasch ich die Gelegenheit ergriff, welche sich mir anbot, Deutschland zu verlassen und einige Zeit in Holland zuzubringen. Die Kunst war keine der letzten Rücksichten, welche mich dazu bestimmte. Ich war neugierig, diese handfeste Schule in ihrer Heimath, ihrer Werkstatt, ihrem eigentlichen Lebenselement zu studieren. Darnach wirst du kaum glauben, daß ich bis auf diesen Augenblick meinen Fuß noch in kein Museum gesetzt habe, weder im Haag, noch in Amsterdam. Ich mag noch nicht. Ich bin noch nicht in der Stimmung, Gemälde und Kunstsachen zu sehen, ich habe den Kopf von vielen andern Dingen voll, ich habe unter Anderm den Schnupfen. Ich bin jetzt schon satt vom ewigen Einerlei dieser Wiesen, Canäle und Windmühlen. Mich zerstreut selbst der Haager Kirmis nicht, obwohl das bunteste Gewühl von [33] Hof, Stadt und Land darin umherwogt. Ich bin mißmuthig. Ich benutze oft die Gelegenheit, welche man an den Küstenorten, wie Haag, glücklicherweise hat, Holland in Holland zu entlaufen, ich steige in die Dünen, wandle am Ufer der Nordsee und verschlage meine Gedanken in Wind und Wellen.

Du fragst mich, was ich zu dem letzten Schritt Eurer Stände sage: Ach, Fritz, geh mir weg mit Deinen Ständen und, willst Du mir einen Gefallen thun, so laß mich künftig in Ruhe mit Deinen Ständen. Mag jedes deutsche Ländchen sein Ständchen haben und bekommen, wie jedes Städtchen sein Theaterchen, und jedes Dorf sein Puppenspiel in Gottes Namen, wenn es den Leuten Vergnügen macht. Allein, eins möcht' ich, solltest Du Deinen Leuten ins Ohr raunen: schreit nicht so, thut nicht so wichtig, tretet nicht so herculisch auf, schont die Bretter, lauft nicht mit drei Schritten über die Bühne, stoßt nicht den Himmel ein, laßt den Blocksberg stehen, den alten Philister, rennt den Schwarzwald nicht um und vor allen Dingen macht Serenissimo auf seinem Lehnstuhle nicht unnöthige Besorgnisse.

Lieber Fritz, was hilft und nützt alles »Aus der Haut fahren,« wenn man doch immer im alten Balg stecken bleibt.

[34] Siehst Du's denn nicht, daß diese einunddreißig Constitutionsflicken uns noch lächerlicher machen in unserer bunten Jacke?

Begreifst Du's denn nicht endlich, verzeih mir, Fritz, wir haben so oft darüber gesprochen, und du hast mir zugestanden, daß der provinzielle, hausbackene Liberalismus dieser Leute eben so unerfreulich und kleingeistig ist, wie der adelige Servilismus, und daß er, statt dem Vaterlande in seinem Aufschwung zu helfen, sich nur gut gezeigt hat, und das alte unausstehliche Kannegießerwesen in Deutschland zu ernenen und hier und da einen Gassenlärm, einen Schloßbrand, eine Adresse und dergleichen zu Wege zu bringen. Aber das Volk, sagst du, muß doch einstweilen seine Vertreter haben, damit es wisse, wo die Gelder abbleiben, welche ihm die Regierung auspreßt und damit die Regierung nicht mehr bekomme, als billig und nöthig ist. Alter Junge, ich merke, Du wirst fett auf Deinem Landgut und guckst Deiner Frau mitunter in den Topf. Ihr reichen Schelme da wollt nicht gern herausrücken. Aber ich sage Euch, wenn ich erst an die Regierung komme, so will ich Euch ein anderes Evangelium lehren. Ich träume schon sehr viel davon. Vorige Nacht hatte ich den glücklichen Einfall, mich zum König von Preußen auf einige Zeit krönen [35] zu lassen, vorvorige Nacht stand ich auf dem Straßburger Münster und hielt einen langen Stock in der Hand, der reichte so eben von den Alpen bis an die Ostsee – Du kannst denken, daß ich nicht schlecht damit in Deutschland aufgeräumt habe.

Du fragst mich, ob und was ich lese in Holland. Sehr wenig, lieber Fritz. Drei Damen haben mir drei Bücher geliehen, darin blätterte ich von Zeit zu Zeit. Hier folgen sie: 1) ein ziemlich dicker Quartant in bekanntes Leder eingebunden, dem äußern Ansehen nach kanonischen Inhalts, in der That aber eine chronique scandaleuse, ein minitiöses Echo aller der kleinen Erbärmlichkeiten hiesiger Salons. 2) Eine Art Taschenalmanach, eingebunden in rothen Maroquin, goldner Schnitt, die Blätter gehen aber leicht auf und man liest den gewöhnlichen Inhalt: für Liebe und Freundschaft, die russische Masurka und andere neue Tänze und Tanztouren. 3) Ein seltsames und seltenes Buch im Umschlag von weißer Seide mit eingestickten Blumenaugen; es stehen darin viel räthselhafte Mährchen und Träume, in welchen Süd und Nord sich wundervoll begegnen, Alles mit silbernen Buchstaben auf rosenrothes Seidenpapier gemalt, und nach Art und Weise des künstlichen Mittelalters mit Schneeglöckchen und Lotosblumen, Engelköpfchen und Teufelsfratzen, [36] Marien- und Helenengesichtern und dergleichen polarischen Figuren abenteuerlich verziert. Fritz, es steigt mir zuweilen, wenn ich darin blättere, eine dunkle Erinnerung in der Seele auf, eine Ahnung, als hätte ich die eine Geschichte vom verzauberten Prinzen schon einmal gelesen, oder gar belebt und als wäre ich selbst der verzauberte Prinz gewesen und hätte den grünen Nixenpavillon in der Ostsee bewohnt und die allerseligsten Tage mit ihr zugebracht. Anfangs wird es mir grün und blau vor den Augen, dann sehe ich klarer, dann funkelt es durch die grünen Wellen wie Morgenröthe, dann schimmert das reinste Gaslicht durch Wände von Krystall und Smargad, dann bin ich selig und glaube, daß die Prinzessin es auch ist, und dann höre ich plötzlich den furchtbarsten Knall, die smaragdenen Scherben fliegen mir ins Herz und ich liege wie ein elender entzauberter Mensch auf ödem Fels im Meer und Du, mein alter treuer Fritz, stehst bei mir und verbindest meine Wunden.

Tolles Zeug! – Jan, en flammetje! As u belieft, mijn Heer. Jan bringt mir ein brennendes Schwefelholz und ich zünde seelenruhig meine Cigarre an. Einige Schritt von mir sitzt ein dicker Mijnheer und angelt nach der Amsterdammer Zeitung, die ihm vor fünf Minuten aus [37] der Hand fiel. Eben so lange sitzt er da und angelt, ohne die Zeitung erhaschen zu können. Ich springe auf und gebe sie ihm. Kann man sich als Fremder mehr Verdienste erwerben um Alt- Niederland? Die Holländer stecken mich an mit ihrem Patriotismus. Es ist auch unglaublich, wie viele Opfer sie in dieser Zeit auf dem Altar des Vaterlandes niederlegen. Von freiwilligen Gaben zur Pflege und Unterstützung des Lagers sind die Spalten ihrer Zeitungen gefüllt; Wein, Branntwein, Taback, Leinen, wollene Decken und was nicht alles Mögliche, denn es gibt fast keinen Gegenstand, auf welchen ihre patriotische Fürsorge nicht fällt. Diese geht so weit, daß sie sogar ihren alten Generalen Nachtmützen schenken, wenigstens dem alten Papa Chassé, wie ich so eben lese. Hier sind die Worte, welche schwarz auf weiß gedruckt in der Zeitung stehn, lies sie Deiner Frau vor:

bij het ministerie van Binnenlandsche zaken is ontvangen:
van –
van –

van vier Dames te Rotterdam eene witte gebreide wollen muts, bestemd voor den Liutnant General Baron Chassé, waarin gewerkt de woorden. »Leve Chassé 1831.«


[38] Das Volk ist so naiv, daß es keine Miene verzieht, wenn es dergleichen liest. Jeder hält eine weiße, warme, wollene Nachtmütze für ein sehr wohlthätiges Geschenk für einen alten General, der einen kahlen Kopf hat, besser, als ein Paar lustige Lorbeerblätter, die an der Stirne frösteln. Und darin haben sie Recht. Ich glaube, Fritz, ich lege mir auch eine weiße gebreitete, wollene Mütze zu, obgleich ich weder alt, noch kahl, noch General bin; denn die Nächte, lieber Fritz, sind in Holland sehr feucht und kalt und daher habe ich auch den Schnupfen, wie gesagt.

Brief eines holländischen Matrosen
[39] Brief eines holländischen Matrosen.

Von Allem, was die holländische Literatur in dieser Zeit geliefert, und dessen ist sehr viel, da Gedichte und Broschüren über den Krieg scheffelweise aus der Presse kommen, von Allem gefällt mir am besten der Brief des Matrosen Hobein an seinen Vater, der, wie ich höre, im Haag Lampenputzer am Theater und seines sonstigen Gewerbs ein ehrsamer Altflicker ist. Ich will diesen Brief wörtlich mittheilen. »Lieber Vater,« schreibt er, »lieber Vater und Schwester, ich bin noch frisch und gesund und habe euren Brief vom 5ten Februar erst am 2ten April Morgens früh erhalten; auch habe ich Israel (Bruder) gesehn und gesprochen, er ist wohl einen Kopf höher und viel schwärzer als ich, und ich bin eine Nacht mit ihm auf dem Strich gewesen, er kannte mich, aber ich kannte ihn nicht mehr; er hat mir gesagt, daß er bereits an euch geschrieben hat, so daß ihr nun [40] Alles wißt. Gegenwärtig bin ich zu Philippine, da haben wir gesessen, wie die Fischer, um sie zu fangen, aber wir geriethen so nahe ans Fort, daß wir in die Klemme kamen, das Gefecht ging los und wir gaben den Meutlingen von unsern Korteletten zu schmecken, allein, ehe wir uns dessen versahen, blieb unsere Schaluppe auf dem Grund sitzen, warum wir sie verließen und durch den Schlamm wateten, bis wir ans Anland (het schor, angeschwemmtes Land) kamen, wir gaben ihnen aufs neue ein Pack vom halben Laken, und denkt euch, Vater, wir waren unserer nur dreißig Mann und ihrer waren wohl dreihundert, und doch hatten sie das Herz nicht, an die Schaluppe zu kommen, denn wir hielten den Strich sehr gut. Nachmittags um 5 Uhr stieg das Wasser so hoch, daß wir das Anland und die Schaluppe hätten im Stich lassen müssen, allein die Mannschaft wollte das durchaus nicht, und um sie zu kriegen, war kein anderes Mittel, als nach ihr hinzuschwimmen, weil sie nach ihnen zutrieb. Ich bedachte mich einen Augenblick und wagte es, schwamm darauf los und habe die Schaluppe an den Wall gebracht unter dem unaufhörlichen Feuern der Meutlinge, so daß es Kugeln um mich her ins Wasser regnete, und ich jeden Augenblick dachte, nun kriegst du eine vor den Kopf, aber ich kam glücklich durch [41] und wohlbehalten bei der Schaluppe an. Ich zog das Ankertau ein und ruderte die Schaluppe an den Wall und ließ die Mannschaft in die Schaluppe gehen. Wir setzten die Segel bei und gingen darauf an Bord, (des Kanonenboots), aber wenn wir nun wieder anfangen, wollen wir das Ding noch besser machen, das ist nun das dritte Mal, daß wir mit ihnen zu thun haben, an Bord sollen sie uns nicht kommen, und wenn sie kommen, so gehen sie, wie mit dem Boot No. 2, hübsch gebraten zum Himmel. Nun, Vater, bitt' ich an Alle zu grüßen


euer euch liebhabender Sohn.

Meine Adresse ist auf dem Boot No. 33 vor Philippine.«


Das nenne ich mir einen wackern Matrosen. Von einer solchen That weiß ich gewiß, daß nur ein Mann Manns dazu ist. Dagegen läßt mich der erste grausenhafte Vorfall vor Antwerpen noch immer in Zweifel, ob der Held desselben ein Held war oder nicht, vor Allem, nachdem sich das rechte Licht über diese Geschichte verbreitet hat. Es ist nämlich eine Thatsache, daß die holländischen Seeoffiziere, welche damals vor der Schelde lagen, untereinander sich den Eid abgenommen hatten, eher mit ihren Schiffen in die Luft zu fliegen, als sich gefangen dem Feind zu übergeben. Die [42] holländischen Zeitungen erwähnen nichts hierüber, allein die Sache ist unbezweifelt: Van Speik hatte diesen Eid mit beschworen, und es scheint mir, das Gespenst desselben hat ihn gleich aufs äußerste gebracht und seine Kräfte zum Versuch der Gegenwehr gelähmt. Die Holländer vergleichen ihn in ihrem Enthusiasmus mit Reinier Klaassohn, mit Herrmann de Ruyter, zwei würdigen und markvollen Gestalten ihrer Geschichte. Allein alte vernünftige Holländer thun Einsprache gegen diesen Vergleich. Reinier Klaassohn schlug sich auf dem Meer zwei ganzer Tage lang unausgesetzt mit vier spanischen Gallionen herum, sein durchlöchertes Schiff drohte, jeden Augenblick zu versinken; da warf er sich mit der Mannschaft auf die Knie nieder, bat Gott um Verzeihung und sprengte den lecken Kasten in die Luft. Herrmann de Ruyter, dieser tapfere Schlachter von Herzogenbusch, Anhänger Wilhelms von Oranien, wehrte sich im Thurm von Löwenstein, in welchen er sich mit fünf und zwanzig Mann geworfen hatte, gegen dreihundert Spanier, bis auf das letzte Gemach im Thurm, bis auf den letzten Mann, den er bei sich hatte, bis auf die letzte Muskel seines Arms und dann erst ließ er den Thurm mit Todten und Lebendigen und sich selbst in die Luft fliegen.

[43] Sieht man nun das Conterfei dieses jungen Mannes – ich habe außer den Kupferstichen, die ihn vorstellen sollen, zwei Gemälde im Palast des Königs gesehen, worauf seine That abgebildet – so fühlt man sich noch weniger geneigt, der Vermuthung beizutreten, als wäre in ihm ein künftiger großer Admiral untergegangen. Er sieht gar nicht so aus, als wäre er vom alten Schrot und Korn der holländischen Seehelden, er sieht fade aus, und dieses ist eben nicht der Fehler von Martin Hargerts Tromp, oder des großen de Ruyter's Seelöwengesichtern.

Wie man aber auch den Mann beurtheilt, so bleibt gewiß, daß seine rasche That elektrisch wirkte, die Holländer ermuthigte, die Belgier stutzig machte.

Die Nordsee
[44] Die Nordsee.

Beim Anblick der Nordsee fühle ich theetrinkendes, civilisirtes Geschöpf, daß ich noch einige Blutstropfen meiner normännischen Ahnen in mir rinnen habe. Ich kam vom königlichen Antikencabinet, mir war so klassisch ruhig zu Muth, ich hatte die schönsten griechischen Idealformen vor Augen, ich ging nach Schevelingen, ich sah die See, die brandende, brausende Nordsee und verweht waren meine griechischen Ideale und ich fühlte mich im Kern meines Wesens ganz ein anderer Mensch als ein Grieche. Der Athem der See fuhr mir durch die Brust, ihre Wellen brachen sich an meinem Herzen, wie an ihrem Ufer.

Woher dieser Zauber? Der Süden kennt ihn nicht, der Franzose fühlt ihn nicht, der Grieche ahnte ihn nicht. Ueber seiner ionischen See, seinem Mittelmeer schwebt epische Ruhe – blauer Himmel, blaue Fluth, glückliche Inseln, goldene [45] Aepfel, hesperidische Gärten. Die Nordsee ist lyrisch, leidenschaftlich, voll Klippen, Untiefen, Stürme, Strudel, Gefahren, Abentheuer. Im ionischen Meer sieht der Schiffer von Insel zu Insel den wirthlichen Rauch der Hütten auststeigen, in der Nordsee schweift der Blick über eine unermeßliche wüste Fläche, und Land und Menschen ahnen sich nur in weiter Ferne. Im ionischen Meer ziehen die Schiffe wie stille Schwäne durch die Fluth, in der Nordsee kreisen sie wie Möven mit flatternden Flügeln am Horizont.

In beiden lebt die Seele der Menschen und die Seele des Nordens ist, wie ihre See, wetterwendisch, ungestüm, sehnsüchtig, sich verlierend ins Unermeßliche. Die Nordsee wird nie zum Mittelmeer und der Nordmensch nie ein Grieche trotz Winckelmann und Goethe.

Ich habe die See in allen ihren Zuständen und Beleuchtungen gesehen, bei Auf- und Untergang der Sonne, bei Mond- und Sternenlicht, im hellen Glanz des Mittags, leise athmend, wie im Traum, brüllend wie in der Wuth, gähnend wie ein nordischer Riese, der Langeweile fühlt, mit Schweiß und Schaum bedeckt, als käme sie aus dem Kampf, himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, immer anders, immer dieselbe.

[46] Wie oftmals habe ich mich geschaukelt auf ihrem Rücken, als nackter Reiter die weißen Rößlein getummelt. Bald wollten sie mich am Strand absetzen, bald mit mir in die Wasserwüste durchgehen. Kam ich mir doch vor, wie Alexander, der den Bucephalus bändigt.

Alexander und ich – großer Gott!

Naivitäten
[47] Naivitäten.

Närrisches Volk das! Bin ich in Rotterdam, laufe umher, sehe den Tag über, was zu sehen ist, den Erasmus auf dem Markt, der in Erz gegossen, obgleich er nur ein pappener Kerl war, der Hafen, der von Schiffen wimmelt, die breiten schönen Canäle, die hohen festen Häuser, die Straßen, die hoch liegen, weil sie über Canälen erbaut sind, die Kaffeehäuser, wo die Holländer an kleinen Tischen herumsitzen und sich mit Dampf beschießen, die geschmackvolle Börse mit ihrer transparenten Uhr – der Weiser leuchtete auf halbelf, als ich aus der Stadt am Ufer der Maas entlang ging, um mich von der Hitze des Tages in kühler Nachtluft zu erfrischen. Das Wasser ladet mich ein zum Baden, der Mond flimmert über die Wellen und ich monde mich wie ein Fisch, indem ich ruhig ausgestreckt im Wasser liege, die Augen zumache, die Füße ein wenig heraushalte und nur leise unter [48] mir mit den Händen wiegle. Auf einmal höre ich Fußtritte herankommen. Eine Weiberstimme ruft mir zu: »guden Avend mijn Heer.« – Ich antworte nicht und sehe nicht hin – »Guden Avend mijn Heer, het Waater is seekerlijk lekker.« – Ih rühre mich nicht und antworte nicht. – »Mijn Heer, hu laat is het wel?« – Ich sage nichts. – »Muder,« flüsterte eine ängstliche Kinderstimme, »mijn Heer is dood.« »Bin je dood, mijn Heer?« rief das Weib mir zu, indem sie näher an das Ufer trat; »mijn Heer, as ü belieft, bin je dood? bin je dood, mijn Heer, as ü belieft?« Ich mußte laut auflachen. Hat der Gugguk je so etwas gesehn, einen Menschen, den man für todt hält, zu fragen, ob er todt ist, wenn's gefällig.

Ein andermal wanderte ich arglos in den Straßen von Amsterdam. Ich ging eben über eine Brücke, als mir ein tückischer Stiefelwichser hinterrücks mit der Bürste in die Stiefel fuhr, mein Bein festhielt und schrie, »as ü belieft mijn Heer ü Laarsen s' choon te maken,« was so viel sagen will, als: beliebt es, mein Herr, daß ich Ihre Stiefeln blank mache. Stiefelwichser und Gurkenverkäufer sieht man in Amsterdam auf Schritt und Tritt, sie machen nebst den Juden einen Haupttheil der Amsterdamer Bevölkerung aus. Ich habe hinterher jeden Stiefelwichser als meinen persönlichen [49] Feind aufs Korn genommen, und alle erdenkliche Vorsicht angewandt, um den Nachstellungen dieser Leute zu entgehen. Dennoch erwischte mich ein Teufelskerl bei meinem zweiten Besuch in Amsterdam, als ich ahnungslos das thun wollte, was Rubens seinen Ganymedes in der Luft verrichten läßt.

In naturalibus gerirt man sich in Holland äußerst zwanglos, ja es gibt in diesem Punct in allen holländischen Städten musterhafte öffentliche Anstalten, deren man sich mit privilegirter Unverschämtheit bedient. Die Freiheit ist eine der ältesten Privilegien der Niederlande, im Norden sowohl, wie im Süden. Die Brüsseler haben dieselbe sogar personificirt in der Person ihres berühmten Mannekepis. Dieser ist ein kleines Puppenkerlchen, vor Aller Augen auf der Straße in der Nische eines Bürgerhauses aufgestellt, besitzt verschiedene Klaidungsstücke, welche ihm die Weiber aus dem Volk an solchen Tagen anziehen, wo er fungirt, das heißt, wo er, nicht wie der heilige Januarius in Neapel Blut, sondern Wasser, mitunter sogar Wein laufen läßt.

Das sind unschuldige Sachen. Weniger unschuldig, obgleich nicht weniger niederländisch naiv ist der Umgang beider Geschlechter. Ein Fremder, der davon hört, begreift kaum, daß die holländischen [50] Städte nicht mehr uneheliche Kinder auf die Geburtsliste bringen. Von den Waffelmädchen spreche ich gar nicht, obgleich, wer den Holländer nicht in der Waffelbude gesehen hat, eine Hauptscene aus der Gallerie des holländischen Volkslebens nicht kennt. Ich spreche auch nicht von den Kirmissen und überhaupt nicht von der untersten Volksclasse, sondern vom Mittelstande und den ehrbaren Leuten, die einen eigenen Stuhl in der Kirche haben und einen blankgebonerten Klingelzug vor ihrer Hausthür. Ich befand mich freilich niemals in ihren Gesellschaften und kann daher nicht als Augenzeuge berichten, allein ein deutscher in Holland ansässiger Kaufmann, von dem ich weiß, daß er nie ein Wort zu wenig oder zu viel sagte, hat mir ein Bild von denselben entworfen, das ich nicht in jedem Zuge genau wiedergeben kann, da er seine eigene Frau damit wegjagte. Anfangs – das ist das Wesentliche – geht es ziemlich langweilig und ehrbar unter den Gästen her. Dann setzt man sich zu Tisch, es kommen die Weinbouteillen oder der Punschnapf, die Gäste erheitern sich, es laufen derbe Scherze herum (hier fehlen die Citate), die jungen Mädchen setzen sich den jungen Männern auf den Schooß oder sträuben sich nicht lange, wenn sie herbeigezogen werden, Mund und Hände sind nicht faul, das trinkt, scherzt, küßt, wagt, [51] preßt so frei, derb und unbefangen in Gegenwart der Mütter und kleinen Schwesterchen, als säße es Paar für Paar in einsamem Mondschein oder im luftigen Stübchen einer Waffelbude hinter zugezogenen Gardinen.

»Sie begreifen, mein Herr,« sagte der Kaufmann, »dies sind Freiheiten, die in jedem andern Lande sehr ernsthafte Folgen haben würden. Allein zum Glück für die Ruhe der Mädchen bleiben die Männer zuletzt noch vernünftiger, als sie selbst. Es sind gesetzte Schäker, die Holländer, sie greifen das Capital nicht an, sie leben von den Interessen. Die Mädchen beklagen sich sogar nicht selten über ihre Kälte, ihr steifes Wesen, vor Allem, wenn sie Clauren und andere deutsche oder französische Romanenschriftsteller gelesen. Sie wollen dann auch ein wenig à la Mimili geliebt sein, allein ihre Schäfer verstehn sich nicht weder dazu noch darauf. Nur ein einziges Mal habe ich die Carricatur eines schmachtenden holländischen Jünglings gesehen.«

Die Erzählung des Kaufmanns ergötzte mich, ich machte einige scherzhafte Bemerkungen und mir muß auf der Straße noch der Scherz aus den Augen gesehen haben, denn ein niedliches Waffelmädchen, das mir begegnete und Waffeln auf dem Teller trug, fragte mich mit schelmischem Blick, [52] ob mir etwas besonders an ihr gefiele. Von einem holländischen Mädchen auf der Straße freundlich angelacht und im Vorbeigehen mit einem Scherzwort begrüßt zu werden, das begegnet jungen Leuten so gewöhnlich, daß es mir nur in den ersten Tagen, aber nicht späterhin auffiel. Das gehört zu den liebenswürdigen Naivetäten dieser schlittschuhlaufenden Kinder.

Allgemeiner Blick auf die Beschaffenheit des Landes
[53] Allgemeiner Blick auf die Beschaffenheit
des Landes.

Land, Wasser, Sumpf, was soll man sagen. Von der Natur zum Paradiese der Kraniche und Frösche bestimmt, ist Holland im Lauf der Jahrhunderte durch die zähe und schlüpferige Geduld eines kleinen germanischen Völkchen, das Kiemen statt der Lungen gehabt zu haben scheint, in einen fruchtbaren und stark bevölkerten Wohnsitz der Menschen umgewandelt. Man werfe einen Blick auf die Karte. Holland bildet, wie Unteregypten, ein Delta, nämlich ein Schein-Delta. Eingefaßt von den Armen des Rheins verdankt es auch, allem Ansehen nach, sein schlammiges Dasein dem Schlamm, den dieser Strom auf seiner langen Fahrt von den Alpen zur Nordsee mit sich wälzt. Noch auf Karten des Mittelalters sieht man überall Seen, Moore und Sümpfe unordentlich durcheinander zerstreut. Freilich, des Wassers ist seit jener Zeit eher mehr, als weniger geworden. Die Südersee ist aus feuchten [54] Wiesen und einem Landsee entsprungen, das harlemmer Meer hat reißend um sich gegriffen, viel Land ist außerdem ertrunken; allein dagegen ist ein großer Theil der Sümpfe und Moore ausgetrocknet, Ziel und Regel in den feuchten Wust gebracht und ein Element, das den Menschen zu verschlingen drohte, nicht allein nothdürftig gebändigt, sondern zur Quelle der Reichthümer und des Wohlstandes umgeschaffen. Und so sieht man hier mitten in Europa eine höchst curiose, egyptisch-chinesische Kunstwelt, Verstand und Geduld über und unter der Erde, ein durchgreifendes System von Dämmen und Deichen, Schleußen und Canälen, höchst einfacher Natur, aber nicht desto weniger bewundernswerth durch das Massive und Kostspielige ihrer Anlage und das verständige Zusammenwirken der Jahrhunderte, welches man dabei gewahr wird.

Will man sich eine anschauliche Vorstellung dieses Wasserreiches machen, so fasse man folgende Hauptzüge ins Auge.

Der größte und beste Theil des Bodens von Holland liegt unter dem Spiegel der See zur Fluthzeit, liegt daher zwischen den beiden Extremen der durch Ebbe und Fluth alle sechs Stunden veränderten Wasserstände, würde also alle sechs Stunden unter Wasser und alle sechs Stunden wieder aufs [55] Trockene gesetzt werden, ohne das Vorhandensein jenes natürlichen Bollwerkes der Dünen und andererseits der künstlichen Dämme und Deiche wo mit, die Einwohner die Ufer ihrer Flüsse, der Südersee u.s.w. beschirmen. Und dennoch würde Holland in kurzer Zeit rettungslos versinken und in sein altes morastiges Element zurückkehren, wüßte man nicht täglich die große Menge Wassers herauszuschaffen, welche sich täglich von innen sammelt aus Thau, Nebel, Regen, Quellen, Durchsinterung des Bodens u.s.w. Für diesen Zweck benutzt man auf die einfachste und sicherste Weise das Phänomen der Ebbe und Fluth, als worauf der größte Theil der hydrotechnischen Anstalten dieses Landes wesentlich basirt ist. Die Polder, so nennt man die tiefliegenden Wiesen, welche einer künstlichen Entwässerung bedürfen, verdanken diesen Act und ihre Erhaltung Schleußen, welche eingerichtet sind, wie Ventile an Pumpwerken. Sie öffnen sich nach der Seite des Meeres oder der großen Ströme, sobald der Wasserdruck von innen erfolgt und das Strom- oder Meerwasser diesen Druck nicht durch einen Gegendruck aufhebt, also zur Zeit der Ebbe. Das andringende Wasser der Fluth hingegen schließt die beweglichen Thore der Auswässerungsschleußen, so daß kein Seewasser in die Polder tritt, und das Binnenwasser Zeit erhält, [56] sich während dem Verlauf der Fluth in den gezogenen Gräben und Canälen zu sammeln. Ein nicht geringer Theil der holländischen Polder hat sogar eine noch tiefere Lage als der Wasserstand der Nordsee zur Zeit der Ebbe, sie sind entstanden aus alten ausgetrockneten Mooren, Sümpfen, Seen u.s.w. und ihr Wasser läßt sich nur durch Windmühlen in die Canäle auswässern, aus welchen es durch Auswässerungsschleußen ins Meer ausgestoßen wird.

Alle Gewässer der Seeprovinzen, eingeschlossen von der Maas, dem Leck und dem Y bilden eine Zahl von Bewässerungs- und Entwässerungssystemen, deren Centralpunkt das sogenannte harlemmer Meer ist, ein großer Binnensee, der vormals im offenen Zusammenhang mit dem Y und der Südersee stand und daher dem Spiel der Ebbe und Fluth ausgesetzt war, jetzt aber durch die großen Schleußen von Sparendam und Halffweg abgeschlossen und von Ebbe und Fluth gänzlich befreit ist. Vermöge dieser Schleußen, welche zur Ebbezeit geöffnet und hinterher sogleich geschlossen werden, ist der Wasserstand des harlemmer Meeres gefestigt und um ein Beträchtliches niedriger gelegt worden.

Jede dahin auswässernde Landschaft, als Rheinland, Delfland, Schieland u.s.w. (uitwatering) [57] bildet sein eigenes Wasserreich, dessen Wasserbürger alle dahin gehörigen Grundbesitzer sind. Diese erwählen einen Rath sachverständiger und starkbetheiligter Männer, Hemradschapi genannt, welchem sie ihre hydrotechnischen Interessen mit großen Vollmachten anvertrauen. Er wacht für die Dauer und Sicherheit der Dämme und Schleußen, und läßt alle beobachteten Mängel und Gebrechen ohne Zeitverlust in Stand setzen. In die Kosten theilen sich alle Grundbesitzer. Soll etwas von Bedeutung unternommen werden, so wendet sich der Rath an den Waterstaat, welcher ein besonderes Ministerium bildet, und die Hemdrathschaften centralisirt. Gleiche Noth, gleiche Gefahr vereinigt alle Kräfte für diese wichtigste Angelegenheit des Landes, dieses kleinen Landes, das so große Dinge durchgesetzt hat. Die Noth hält sie beständig in Athem. Sie gleichen Matrosen auf einem lecken Schiffe, die Tag und Nacht pumpen müssen, um nicht unterzugehen.

Allgemeine Charakteristik der Bewohner
[58] Allgemeine Charakteristik der Bewohner.

Unter dem Namen Holländer begreift man heutzutage die Einwohner sehr verschiedener Provinzen, sogar den Frisen, der einem besondern Volksstamme angehört, wenn auch dessen Sprache durch die holländische auf wenige Dörfer zurückgedrängt worden. Die Holländer und Frisen waren in alter Zeit beständige Feinde und manchen Grafen von Holland, der sich Rechte über das »freie Frisland« anmaßen wollte, hat eine frisische Streitaxt vom Pferde gehauen. Die Herzöge von Burgund und Könige von Spanien wurden allerdings Herren des Landes, aber berührten dasselbe nur sehr vorsichtig und gleichsam mit der Spitze des Scepters. Ludwig von Nassau vertrieb im Jahr 1568 die Spanier und seit der Zeit gubernirte eine Nebenlinie des Hauses von Oranien in Frisland. Von dieser stammt der jetzige König, dessen Vater und Großvater, denn nach dem frühzeitigen Tode Wilhelms des Zweiten, des letzten Oraniers, [59] kam die frisische Linie der Nassauer mit Wilhelm dem Dritten nach Holland, wodurch das Band der Provinzen Holland und Frisland noch fester geknüpft wurde. Etliche charakteristische Hauptzüge theilt der Frisländer ohne Zweifel mit seinem Nachbarn, dem Holländer und vorzüglich dem Bewohner von Nord-Holland, der in Sitte und Tracht dem Frisen sehr nahe steht. Der Frise ist Wasserländer, Deicher, Schiffer, wie der Holländer, beschifft mit diesem die Südersee, und hat noch den Dollart 1 und ein Labirinth von Binnengewässern vor ihm voraus. Allein der Frise ist stärker von Leib, starrer und unabhängiger von Gemüth, eigenthümlicher in seinem Wesen, erfindungsreicher und mehr zum Grübeln und selbst zur Wissenschaft aufgelegt, als der Holländer. Was gleich in die Augen fällt, ist, daß der Frise ein großes mechanisches Talent hat, das dem Holländer wenigstens in dem Grade abgeht. Eigentliches Kunsttalent hingegen scheint der Frise nicht zu besitzen.

Von den Bewohnern der Provinz Utrecht und Geldern unterscheidet sich der Holländer weniger, aber doch merklich genug. Die Gelderschen sind seit alter Zeit Landbauer, die Holländer Schiffer [60] und Krämer. Zu Lande zeigten sich daher die Gelderschen immer muthiger und unternehmender, als die Holländer. Der zahlreiche aber arme Adel von Geldern war als ritterlich bekannt, daher auch die Holländer spottweise zu sagen pflegten:


hoog van moed,

klein van goed,

een zwaard in de hand

is't wapen van Gelderland.


Auch in den Charakter des Seeländers mischen sich einige besondere Züge. Als Insulaner und Bewohner der fruchtbaren Eilande, welche die Mündungen des Rheins, der Maas und der Schelde durchfluthen, wird er mehr vom frischen Seehauch gestählt, belebt und geröthet. Die Wassergeusen waren Seeländer und, wie wäre es den Holländern ergangen ohne Wassergeusen, da sie zu Lande fast immer unglücklich waren. Maarten Tromp war ein Seeländer aus der Stadt der Wassergeusen, Brielle, und de Ruyter ward geboren auf der Insel Oostvoorne an der Küste von Südholland, Beide im Angesicht der offnen See, die dem Holländer hinter Dünen versteckt liegt.

An Körperkraft zunächst sind die Bewohner aller dieser Provinzen den Bewohnern der Provinz Holland überlegen. Der Holländer verträgt keine anhaltende beschwerliche Arbeit, er ist [61] nicht gewöhnt an den Schweiß des Pfluges und der Sense, und erliegt sehr bald unter den Strapazen einer kriegerischen Unternehmung. Marschiren ist seine Sache eben so wenig, wie Gras mähen, daher er auch in früherer Zeit Tausende von deutschen Lanzenknechten, wie jetzt noch Tausende von deutschen Bauerknechten und Grasmähern aus seiner Tasche besoldet. Selbst Brauknechte, Zuckersieder, Kornschichter, Ankerschmiede und dergleichen Leute sind häufig Deutsche, Schiffszimmerleute, Maurer und andere dagegen, die es mit der Arbeit sacht angehen lassen, Einheimische. Der Bauer, Tagelöhner, Dienstbote, welche bequeme Tage machen sie sich in Holland, in Vergleich mit den unsrigen. – Kann ich an diese doch nur mit Jammer denken. Wie sie sich abmühen und wie Mancher sich die letzte Faser vom Leibe schwitzt, um sein Brod zu verdienen. Hundearbeit das, ein deutscher Bauer zu sein.

Bequemlicher also, oder von schwächeren Muskeln sind die Holländer. Ursprünglich Hirten und Fischer, doch auch in römischer Zeit und bei Quatrebras, tüchtige Reiter, später Kaufleute und Krämer und in diesem Geschäft einzig in ihrer Art. Die Gabe des Calcüls, bedächtiger Speculation, voraussehender Klugheit macht keiner ihnen streitig. Jeder Zoll ein Kaufmann.

[62] Fasse ich aber das Allgemeine zusammen, was der Gemüthsart Aller zu Grunde liegt, so möchte ich als solche Grundfaser im Charakter des »Alt-Niederländers« eine grobe, aber eben darum starke und ausdauernde moralische Kraft bezeichnen. Aehnlich charakterisirte sie Napoleon. Als nach seiner Rückkehr aus Holland etliche Senatoren Scherzworte über die Holländer laut werden ließen, sagte er zu ihnen, meine Herren, Sie mögen witziger, geistreicher und liebenswürdiger sein, als die Holländer, aber ich wünsche Ihnen die Moralität derselben. – In der That, ein Volk, das mit der größten europäischen Macht einen siegreichen Kampf durchkämpfte, einen noch größeren mit der Natur, mit Wasser, Erde und allen Elementen fortwährend auszukämpfen hat, kann nicht anders, alsmoralisch sein; Moralität ist die geschichtliche Grundlage seiner Freiheit, ja die nothwendige Bedingung seiner Existenz. Ihre Canäle und Wasserbauten, ihre Häuser und Gärten, ihre Sauberkeit, Oekonomie, ihr vorsichtiges, bedächtiges, ernstes und nüchternes 2 Wesen sind nichts als [63] sichtbare Zeichen, Beweise und Ausflüsse der nationalen Moralität. Grob aber nenne ich dieselbe, weil sie mit grobem Egoismus vermischt ist, weil Noth und Bedürfniß ihre Erzeugerinnen, kalter Verstand ihre Triebfeder, Wuchergeist und Geldsucht ihre Begleiter, Argwohn, Mißgunst und oft nur zu grausame Parteilichkeit ihre Folgen sind. Es ist eine Moralität ohne Zartheit, ohne Wärme, ohne Liebe, ohne Großmuth, mit einem Wort, eine unliebenswürdige egoistische Moralität, welche die holländische Nation unter ihren Brüdern in Europa charakteristisch auszeichnet.

Fußnoten

1 Der Dollart entsprang im Jahr 1777 aus »ertrunkenem Lande,« bei welcher Ueberschwemmung dreiunddreißig Dörfer zu Grunde gingen.

2 Ich bin achtzehn Monate in Holland gewesen und habe kaum so viele Menschen im betrunkenen Zustande gesehen, obgleich fast Jeder täglich – ich möchte sagen vom Minister bis zum Karrenschieber – seine Paar Schnäpse trinkt.

Der Haag und seine Merkwürdigkeiten
[64] Der Haag und seine Merkwürdigkeiten.

Man stellt sich den Haag gemeiniglich vor als einen Verein prächtiger Landsitze des Hofes, der Diplomaten und holländischen Großen; allein der Haag ist eine ordentliche Stadt und Hofstadt, nur von holländischem Aussehen. Was ihn von andern Städten im Lande unterscheidet, sind die Paläste des Königs und der beiden Prinzen, das alte Schloß der Grafen von Holland, späterhin von den Statthaltern bewohnt, und drei schöne Baumgänge, die auf der Seite mit schönen Häusern bepflanzt, in rechten Winkeln zusammenstoßen. Im Uebrigen der gewöhnliche Anblick, ein Graben rings um die Stadt, Canäle, verschlossene Häuser, klein und groß, gut und schlecht, wunderliche Schornsteine, hohe Unterfenster und Hausfluren, Winkelspiegel und herabgelassene Vorhänge vom Keller bis unter das Dach. Dabei ist es eine offene Stadt, in so fern der Haag keine Thore hat [65] und zum Theil über den Stadtgraben hinaus erweitert ist, über welchen Brücken führen.

Erst in diesem Jahrhunderte hat der Haag den Namen einer Stadt erhalten, bis dahin war es ein Dorf, das aber Guiccardini schon im sechzehnten Jahrhundert das größte und schönste Dorf von Europa nannte. Der älteste Theil des Ortes ist ohne Frage der Raum, der das alte Schloß umgibt und vornämlich dieses selbst. In frühester Zeit hauseten die Grafen von Holland im benachbarten Dorfe Gravesand, das in den Dünen liegt und noch einige Ruinen aus jener Zeit aufzuweisen hat. Der Haag, holländisch s'Gravenhage, der Grafen Hag oder Gehäge, diente ihnen Anfangs als Jagdschloß, etwas später aber, als beständiger Wohnsitz, den sie von Zeit zu Zeit durch neue Gebäude erweiterten und für ihren Hofhalt bequemer und wohnlicher machten, wobei sie weder auf Pracht ausgingen, noch auf die Simmetrie der verschiedenen Theile große Rücksicht nahmen. Wie diese Gebäude jetzt dem Beschauer vorliegen, gewähren sie, besonders in mondlicher Beleuchtung, einen ehrwürdigen und alterthümlichen Anblick, der in einem Lande, wie Holland, um so mehr auffällt, als die gothischen Ueberbleibsel der Baukunst hier so selten sind, wie in Deutschland häufig. An einer Seite spiegelt sich das Schloß [66] in einem Bassin oder Teich, in dem Schwäne rudern und in dessen Mitte eine kleine Insel mit Acazien und andern Gesträuchen sich erhebt. Eigentlich ist dieser Teich ein zum Bassin erweiterter kleiner Fluß, der einige Stunden weit aus den Dünen herquillt und nur an dieser Stelle sichtbar wird; er hat das Merkwürdige, daß er durch Kunst unter der Stadt weggeführt ist und bei seinem Eintritt sogar unter einem Canal durchläuft, eine Seltsamkeit, die manchem Ausländer, der sich Jahre lang im Haag aufhält, selbst manchem Einwohner der Stadt nicht bekannt wird. In einem Theile des Schlosses halten die Generalstaaten ihre Sitzungen, ein geräumiger, neuausgebauter Saal, mit auf beiden Seiten in die Höhe führenden Stufen, worauf die Mijnheers Deputirte sich niederlassen; in entgegengesetzter Richtung der grüne Tisch des Präsidenten auf der einen, und der Thron des Königs auf der andern Seite. Ich habe den Sitzungen mehrmals beigewohnt, was mich beim ersten Eintritt in Erstaunen setzte, war der kleine Raum, den der Baumeister für die Zuschauer ausgesetzt hat, zwei Gallerien, in deren einer kaum zehn Menschen Platz finden, ohne sich die Arme wund zu reiben. Der Hof hingegen und das diplomatische Corps haben elegante und hinlänglich geräumige Seitenlogen, die mit rothen [67] Vorhängen versehen sind. Ich habe Donker Kurtius und mehrere Deputirte der zweiten Kammer gehört; die Meisten lasen ab, die aber einen freien Vortrag hielten, sprachen ohne Anstoß, ohne Zeichen der Verlegenheit, laut und bündig, obgleich für das Gehör nichts weniger als anmuthig, da sie, wie auch die holländischen Kanzelredner und tragischen Schauspieler thun, ihre ohnehin mißtönende, dumpfe Gurgelsprache durch schleppende Betonung und heiseres Organ noch unangenehmer machen. Was sie sagen, ist aber meistens wohlbedacht, redlich ernst gemeint, lichtvoll geordnet und in landüblichen Phrasen ehrenfest und verständlich ausgedrückt. Eine Bemerkung: der holländische Deputirte hat den großen Vortheil, daß er lange sprechen kann, ohne zu langweilen, und eben so lange zuhören, ohne daß ihm langweilig zu Muthe wird. Langeweile ist nämlich eine Pein, die der Holländer selten aussteht, gerade nicht, weil er beschäftigter ist, als andere Leute; es gibt im Gegentheil in keinem Lande so viele Nichtsthuer, Leute, die von ihren Renten leben u.s.w.; sondern weil es gar nicht in seiner Natur liegt, sich zu langweilen, weil er eher die Leere im Magen, als die Leere im Kopfe fühlt, und keine Phantasie hat, die eine laufende Beschäftigung verlangt. Von eigentlicher Beredtsamkeit der Tribüne kann nun [68] wohl in Holland kaum die Rede sein, besonders nachdem die belgischen Deputirten abgetreten sind, welche durch ihre größere Lebhaftigkeit, ihre Opposition, ihre politischen Intriguen den Verhandlungen der Kammer einigen Sauerteig beisetzten und rednerisches Interesse gaben, vor allem, wenn, wie dies abwechselnd geschah, die Redner sich der französischen Sprache bedienten. Donker Kurtius, dieser Deputirte, der beim Ausbruch der Unruhen in Brüssel zuerst den langgenährten Haß seiner Landsleute gegen die Belgier zu hellen Flammen anblies und die Maßregeln gegen Brüssel, die so schmählig verunglückten, hauptsächlich mit betrieben hat, ist der beste Redner der Kammer; sein leidenschaftlicher Haß gegen die südlichen Provinzen hat ihm manche feurige Rede eingegeben, worüber die Wände des Saals, wenn sie Ohren gehabt, sicherlich ihr Erstaunen gezeigt hätten. Gegenwärtig aber ist der Saal leerer und ruhiger geworden und der Zuhörer mag sich stundenlang von der Gallerie herabbücken, ohne eine Blume der Beredtsamkeit zu erhaschen, oder nur einen Geistfunken in der Luft fliegen zu sehen. Man sieht auch nicht ein, wozu den holländischen Deputirten die Beredtsamkeit gegenwärtig nutz ist. Da nämlich die Mijnheers eins sind, da die Opposition ein-und untergegangen ist in die Meinung des Ministeriums, [69] da die Kammer immer Geld hat, wenn der Minister etwas verlangt und nie die Hand zumacht, wenn der Minister die seine ausstreckt, kurz, da die Kammer sich fest entschlossen hat, durchaus keine disharmonische Saite im Innern anzuschlagen, so lange die Harmonie nach außen nicht hergestellt ist, so würde die Beredtsamkeit, diese Stimmgabel der Köpfe und Herzen auf der holländische Tribüne eine ganz überflüssige Rolle spielen. Sie braucht sogar nicht einmal so viele Worte zu machen, wie sie wirklich thut, denn, wie Tacitus in seinem Dialog von den Rednern sagt:quid opus est longis in senatu sententiis, cum optimi (optimates) cito consentiant.

Ueberdies besteht die zweite Kammer dem größten Theil nach aus dem aristokratischen Element reicher Mijnheers, auf deren Wahl, nach den bestehenden Wahlgesetzen, die Regierung bedeutenden Einfluß übt. So lange die jetzigen Wahlgesetze fortbestehen, wird nicht leicht irgend eine Absicht des Ministeriums in den Kammern scheitern und die Constitution wird hier, wie anderswo, nur das geduldige Saiteninstrument sein, worauf die souveraine Gewalt ihreVolkslieder setzt und spielt. Selbst die Staaten-General des vorigen Jahrhunderts, unter den letzten Statthaltern, gewährten kein freieres und stolzeres Bild, [70] sie hatten den starren unabhängigen Selbstwillen der alten Aristokratie der Laune des Hofes zum Opfer gebracht, waren Thon in der Hand des Töpfers, oder mit einem holländischen Bilde zu sprechen, fetter Käse, worauf die Sonne scheint. Nur bis zum Utrechter Frieden sind sie die wahrhaft hochmögenden Herren, und nur bis zu dieser Zeit trugen die Sitzungen, die sie in diesem Schlosse hielten, das Gepräge der Erhabenheit, das die repräsentirte Machtfülle eines starken und unternehmenden Volks auszeichnet. Das sind die Erinnerungen, die das alte Schloß für die Geschichte denkwürdig machen, angerechnet von jenem Augenblicke, als aus dessen Mauern der Fehdehandschuh dem König von Spanien und beider Indien hingeworfen und von Seiten der vereinigten nördlichen Provinzen die Unabhängigkeitserklärung erlassen wurde, ein volles Jahrhundert hindurch, in welchem der hohe steinerne Audienzsaal, ringsumher behangen und verziert mit eroberten spanischen Fahnen und Standarten, die Gesandten aller europäischen Mächte, türkische selbst und persische, feierlich aufnahm und der Senat der Mijnheers-Könige über Krieg und Frieden, Bündnisse und Hülfsleistungen entschied. Tempi passati. Wie erstaunt und ungläubig würden die alten Herren mit Ringelkragen, Degen und goldener Kette in [71] den Versammlungssaal der heutigen Lieben Getreuen hineinstarren, unter die besternten Wilhelmsritter, die unterthänig ehrfürchtige Blicke nach dem Baldachin seiner Majestät, souverainen Königs der Niederlande, richten.

Wenden wir uns also, wie die Zeit und die Macht, von diesem abgestandenen alten Schlosse nach dem neuen, nach der Königsburg. Machen wir den Weg dahin in Gesellschaft. Wir wandern zunächst über den inneren, mit düstern Arcaden umgebenen Schloßhof, eilig der Treppe am Thurm vorüber, auf welchem das Glücksrad der Lotterie sich dreht und unter welchem Oldenbarnevelds blutiges Haupt sich kreiselte. In der Schloßcapelle murmelt ein katholischer Priester eine Seelenmesse, die Dortrechter Synode würde sich noch im Grabe umkehren, wenn sie es hörte. Wir gehen durch ein Thor, darüber das holländische Wappen in Stein; mit ein paar Schritten sind wir der Brücke entlang und gewahren zur Linken einen Palast, den die Leute Prinz-Moritz-Haus nennen, weil derselbe für jenen abenteuerlichen Helden von Brasilien erbaut und eingerichtet ward. Gegenwärtig befindet sich darin die Gemäldegallerie und das Kunstmuseum des Königs, erstere im obern, letzteres im untern Stock. Von der Gemäldegallerie wird noch öfter die Rede sein. Das Kunst- und Seltsamkeiten-Cabinet [72] ist angefüllt mit den auserlesenen und kostbaren Gegenständen aus China und Japan, den Inseln der Südsee und des indischen Meers, Persien, Indien, Afrika und Amerika. Den Schluß macht eine Sammlung holländischer Alterthümlichkeiten, die manche historisch bekannte Person durch eine symbolische Reliquie lebhaft ins Gedächtniß rufen. Altbatavische indeß sind keine, oder doch nur zweifelhafte darunter. Die großartigste Erinnerung ruht ohne Zweifel auf dem Commandostab des großen de Ruyter, er hat den Namen der sieben vereinigten Provinzen auf der Themse, wie auf dem Tajo, im Gebraus der Wogen und Donner der Kanonen zuerst in Achtung gesetzt und mehr als alle Commandostäbe der Prinzen von Nassau zusammengenommen die batavische Republik geschützt und auferbaut. Nicht weit von ihm liegt der blutige durchlöcherte Wams, das der Stifter der Republik am 10. Juli 1584 trug, als er durch Balthasar Gerards im Prinzenhof zu Delft meuchlings erschossen ward. Da neben liegen die großen rostigen Pistolen und das elende Stückchen Blei, das den größten Mann seiner Zeit in der Mitte seiner Laufbahn und hochliegenden Pläne hinwegraffte. – Setzen wir uns aber nicht auf jenen Armstuhl, so sehr uns auch die Gegenwart solcher Erinnerungen erschüttern mag, der gefangene Oldenbarneveld saß [73] darauf und erhob sich nur von ihm, um aus dem Gefängniß nach jenem Platz zu wanken, wo des ermordeten Wilhelms leiblicher Bruder ihn durch den Scharfrichter ermorden ließ. Balthasar Gerards ward von Pferden jämmerlich zerrissen – er wollte nicht auseinander – er war eben so zäh an Leib, wie an Seele – den Prinzen Moritz zerriß das Volk beinah vor Liebe und Enthusiasmus, das niederträchtige Volk, das in allen Ländern sich ähnlich sieht, wie ein faules Ei dem andern.

In frischer Luft verfliegen die fatalen Gedanken. Wir treten in eine dreifache Allee, die Kaiser Karl der Fünfte anlegen ließ. Es ist die Frage – und das ist wieder ein fataler Gedanke – ob Karl in den gesammten Niederlanden nur so viel Bäume gepflanzt, als er Köpfe hat abschlagen lassen. Die Zahl der unter ihm enthaupteten, verbrannten und verjagten Ketzer beläuft sich, wie man sagt, auf hunderttausend. Alba brachte es nur auf achtzehntausend, dennoch haben er und sein Herr, Philipp der Zweite, in den Niederlanden sich weit verhaßter gemacht, als Karl der Fünfte. Warum? Karl der Fünfte, obgleich er den Unterkiefer von einem Haifische hatte, sah menschenfreundlicher aus und betrug sich populärer, als sein Sohn Philipp, der übrigens weit ehrlicher war, und unter andern[74] nicht die Frechheit hatte, junge Bäume in den Niederlanden zu pflanzen. Und doch wollte ich es diesem Karl willig verzeihen, daß er als Spanier auf die Sprache der Menschlichkeit sich eben so schlecht verstand, wie auf die deutsche Sprache, hätte er nur den Schrei der deutschen Bauern besser verstanden und sich ihrer Sensen und Mistgabeln bedient, um diesumma papavera im deutschen Lande abzumähen. Zur Zeit des Bauernkrieges fehlte Deutschland nur ein Ludwig XI.

Vorüber ist vorüber. Besehen wir jenen Palast, der uns auf dem Wege liegt, ein Hercules mit der Keule steht über dem Portal und contrastirt ein wenig mit der goldenen Inschrift: königliche Bibliothek. Ich kann derselben nicht erwähnen, ohne zugleich die Artigkeit der angestellten Beamten zu rühmen. Als einen der Bibliothekare lernte ich zu Anfang meines Aufenthaltes im Haag den bekannten Professor Ernst Münch kennen, er hat sehr viel geschrieben und wird noch sehr viel schreiben. Eigentlich war er vom König in die Niederlande berufen, um an der Universität Löwen geschichtliche Vorträge zu halten und in Verbindung mit den Lehrern des philosophischen Collegiums die Fackel protestantischer Aufklärung in die belgisch-katholische Finsterniß zu werfen, woran ihn auch nichts verhinderte, als der Widerwille der Studenten, [75] die ihn nicht hören wollten und bald darauf der belgische Aufstand. Sein College, der Oberbibliothekar, ist ein alter Mann mit geistlich würdigem Gesicht und Anstand, wirklich auch Priester und regelmäßig die Messe lesend. Seine gelehrte Bildung verdankt er einem Jesuiten-Collegium in Frankreich, von wo er zur Zeit der Revolution nach Holland flüchtete. Als alter Franzose hat er keine Idee von deutscher Literatur, als katholischer Geistlicher keine Idee von protestantischer, als perennirender Emigrant keine Idee von neuer Literatur überhaupt. Ich konnte bemerken, daß er und Münch nicht besonders gut mit einander malten. Der alte silberhaarige Jesuitenzögling schien dem protestantischen Professor seine politisch-liberale Schriftstellerei, dieser ihm unwissende Verachtung der neuen Geschichte vorzuwerfen. Münch fühlte sich daher in dieser Stellung eben nicht sehr behaglich und nahm in der Folge gern den Ruf nach Stuttgart an. Und so sieht man aus diesem Beispiel, daß selbst in der stillen Halle einer Bibliothek, im weltentlegenen einsamen Heiligthum der Wissenschaft bis zwieträchtige Zeit einherwandelt und Collegen, Bibliothekaren, Gelehrten, denen die Welt in früherer Zeit nur einen großen Unterschied zu betrachten darbot, den von gebundenen und ungebundenen Büchern, das tägliche Zusammenleben [76] mit einander widerwärtig, ja unerträglich macht.

Die Bibliothek ist sehr ansehnlich, enthält insbesondere eine fast vollständige Sammlung von Büchern, Broschüren und Handschriften, die zur Landesgeschichte gehören.

Sie enthält zugleich das Cabinet der Medaillen und geschnittenen Steine des Königs. Ich machte dessen Bekanntschaft erst im letzten Winter, wo ich denn bei fast täglichem Besuch nicht selten in Nebel, Regen, Schnee und Schmutz vor der Thür anlangte und schnell, nach Ablegung meines Mantels und einem Druck der Thürklinke mich an die Wärmeregion des Ofens und in den schönern ewigen Frühling der südlichen Kunst himmlisch behaglich hineinwarf. Verstohlene glückliche Stunden, die ich hier unter den Kameen und Intaglios der alten Griechen und Römer zubrachte. O diese Alten, die nie veralten, wie sie im Kleinsten das Größte, im zehnten, zwanzigsten Theil einer Spanne das Weltgeheimniß der Schönheit zu enthüllen Kunst und Genie besaßen. Solche »mehr als Juwelen und Perlen« muß man gesehen und mehr als gesehen haben, um zu begreifen, welchen Schatz im Sinne des Alterthums Polykrates, Tyrann von Samos, in die Fluthen warf, als er, um die neidischen Götter mit seinem [77] Glück zu versöhnen, von allen Schätzen, die er besaß, nur seines Siegelrings mit köstlichem Stein sich entäußerte.

Das haager Cabinet ist freilich nicht so reich, wie das pariser, allein, und darauf kommt es an, es besitzt einige Steine von so seltener Schönheit, daß es mir unmöglich scheint, als könnte irgend ein anderes Cabinet dieser Art, auch das reichste in der Welt, einen intensiv höhern Kunstgenuß gewähren. Namentlich fand und bewunderte ich solche in jenem Theil der Sammlung, der eine Zeit lang im Besitz unseres Goethe war, und von ihm, wie man sich erinnern wird, im fünften Theil von »Dichtung und Wahrheit aus meinem Leben« so anmuthig und geschmackvoll, als umständlich und unterrichtend weiter beschrieben worden. Diese kleine aber kostbare Sammlung hat interessante Schicksale gehabt. Friedrich Hemsterhuis, dem sie ihre Entstehung verdankt, machte der Fürstin Gallitzin, seiner vieljährigen Freundin, damit ein Geschenk, diese stand sie für einige Zeit an Goethe ab, worauf dieselbe, von Goethens Händen geordnet, mit der Tochter der Fürstin Gallitzin, einem kleinen deutschen Fürsten zu Theil ward, der sie zuletzt an den reichen König von Holland verkaufte. Goethe hat diese seine Lieblingssammlung, durch welche er zuerst in das Studium der geschnittenen [78] Steine, dieser verkleinerten Bildsäulen vom Markte zu Rom und Athen, eingeführt wurde, auch späterhin nicht aus den Augen verloren, wie er's überhaupt nicht machte mit Dingen und Personen, die ihn einmal auf seinem Lebensgange förderlich waren. In »Kunst und Alterthum« 4r Band. 1s Heft, machte er ihre Vereinigung mit dem Cabinet des Königs von Holland bekannt und als dieser, sein zweiter königlicher Freund und Verehrer in Holland, ihm die Beschreibung des Cabinets (notice sur le cabinet des médailles et des pierres gravées de sa Maj. le roi des Pays-bas, mit späteren Supplementen) zusandte, verfehlte er nicht, dies im selbigen Blatt, 3s Heft, mit Betrachtungen über die Geschichte des königl. Cabinets dankbarlich anzuzeigen.

Goethe ist gestorben, ach wär' er jetzt erst geboren. Goethe, ein Kind unserer Zeit, welche eiserne Hand würde er aus der Wiege strecken.

Ausgeleuchtet hat die Sonne seines Jahrhunderts, das schöne griechische Kunst- und Südlicht, das Winckelmann am deutschen Himmel heraufführte; es ist verflogen, wie sein Widerspiel, das kalte Fouqueische Nordlicht und wie der romantische Mondschein der Schlegelianer und Tieckianer, der, Gott weiß, in welcher alten deutschen Burg- und Klosterruine steckt und verwittert. Wer aber führt [79] uns wie Winckelmann die Sonne des neuen Jahrhunderts am deutschen Himmel herauf, wer ist der Sonnengott des neuen Tages, der, gleich Goethe, im goldenen Sonnenwagen sitzt und die schnaubenden Rosse spielend bändigt? Hähne genug, die den Tag ankrähen, die auf dem faulen Mist des Eigendünkels dem alten Tage und der untergegangenen Sonne spöttisch nachkrähen. Häute genug, die fröstelt und schauert, Nasen genug, die Morgenluft wittern, Spreu genug, die im Morgenwinde, im französischen, umherfliegt. – Und über den greisen Sonnengott des vorigen Jahrhunderts sind sie hergefallen, haben ihm, als er unten am Horizont in die blassen noch im Sterben schönen Abendwolken hinabfuhr, Koth in den Wagen geworfen. Die Elenden! Mißgönnten sie ihm sein behagliches Ende, hatte sie so wenig Achtung vor seinen silbernen Haaren, so wenig Mitleid mit dem, vor dem sie Ehrfurcht fühlen sollten? Oder wie konnten sie dem Greise anmuthen, seine Natur zu verwandeln, sich, sein langes Leben, sein Jahrhundert zu verläugnen, die Jugend gegen das Alter zum Streit zu führen, sich einen neuen Begriff vom Volk und deutschen Philistern zu machen, die schöne einheitliche Kunstform seines Lebens zu zerschlagen und auf ihre Art und Weise aufs neue die Massen zu bearbeiten? Und welche Massen? [80] Wo war, wo ist denn das deutsche Volk, das einen Dichter, wie Goethe, aus der Sphäre der Weltpoesie gegenwärtig und mächtig in seinen Kreis zu bannen vermocht, wo wuchsen die Thaten, die einen Dichter (wie ihn) begeistern, wo grünten die Kränze, die eine Schläfe, wie die seinige zieren sollten? Verdenkt man es ihm, daß er nicht, wie Klopstock, erhabene Bardieten, prahlende Herrmannsschlachten sang, oder keine Gleim'schen Grenadierlieder oder keine Arndt'schen Vater-Blücherlieder dichtete. Glaubt ihr, daß Goethe ein Dichter war, dem erhabene Leere, nüchterner Phantasierausch, negative Begeisterung zusagte. Wähnt ihr, daß er seine Unsterblichkeit an Windeierlegen vergeuden sollte. Und was glaubt ihr, und wäre der alte Goethe 1830 in des alten Lafayette's Haut gefahren und hätte im Taumel der jungen Freiheit seine unsterbliche Leier am Apoll von Belvedere zerschmettert, und hätte mit vor Alter und Freude zitternder Hand Deutschlands Reichsfahne aufgepflanzt auf die Zinne des großherzoglichen Schlosses zu Weimar, worin er so oft Thee getrunken, und hätte gerufen, herbei, ihr Deutschen, herbei! und hätte gefleht und beschworen, herbei, ihr Enkel Herrmanns, herbei! und hätte mit steigender Angst, wie das wahnsinnige Klärchen in den Gassen von Brüssel, zu den Waffen, ihr Leute,[81] herbei, ihr Bürger! gerufen – was, denkt ihr, was hätten ihm die Spieß- und Pfahlbürger von Hamburg und Frankfurt, von Wien und Berlin dazu gethan und geantwortet, und wie viele glaubt ihr wohl, wie viele Enkel Herrmanns hätten sich unterwegs an den Bajonetten der Preußen und Oestreicher aufgerannt?

Ach! –

Verlassen wir, lieber Leser, einen Ort, der mir theils an sich, theils durch seine Erinnerungen an Goethe theuer geworden. – Wir treten wieder in die Allee, deren Ausgang gegenüber der wohnliche und sehr bescheidene Palast des Prinzen von Oranien steht. Von da gelangen wir durch eine schmale Gasse in eine der neuern Hauptgassen des Haags, die auf die Dünen und den Schevelinger Baumweg führt. Mitten unter gewöhnlichen Bürgerhäusern, mit denen es nach vorn Mauer an Mauer zusammenhängt, ragen die Flügel des königlichen Palastes hervor, gleichsam als wollten sie ihre ältern bürgerlichen Nachbarn aus den Zeiten der Republik durch diese zutrauliche Stellung mit sich aussöhnen. Von der hintern Gartenseite fällt der Palast besser ins Auge. Er mag immer unter den Werken der neuern Baukunst in Holland, nächst dem Stadthause zu Amsterdam, die erste Stelle verlangen; was denn freilich nicht [82] viel bedeutet, da das Baugenie der Holländer zu keiner Zeit eine ästhetische Richtung genommen, sondern sich, zum praktischen Zweck, an Schleußen und Schiffen eher als an Häusern, Kirchen und Palästen dargethan hat. Vergebens wird man sich in den holländischen Städten nach »einem erhabenen Gedanken des Michael Angelo« oder nach einem schönen Denkmal sogenannter gothischer Baukunst umsehen. Wer das Stadthaus von Amsterdam, auf kurze Zeit für den Aufenthalt des guten Louis Bonaparte zur Residenz eingerichtet, und den Dom von Utrecht in Augenschein genommen, dem bleibt in beiderlei Gattung von Gebäuden nichts zu sehen übrig. Kehren wir aber zum königlichen Palast zurück. Ein paar Schütter gehn davor auf und ab. Der König liebt es, sich von seinen Bürgern bewachen zu lassen. Eine hohe und weite Säulenhalle nimmt den untern Raum des Mittelgebäudes ein, Wände und Fußböden von Marmor. Wenigere Lakaiengesichter und goldbetreßte Nichtsthuer sieht man hier auf den Treppen und in den Vorzimmern, als in den Residenzschlössern kleiner deutscher Fürsten. Die Prunkzimmer, vor allen der Salon, sind glänzend, die Wohnzimmer des Königs und der Königin weniger prachtvoll, als gemüthlich, wie es Beider Art und Natur mit sich bringt. Nichts kann einfacher und heimlicher [83] sein, als das Arbeitszimmer der Monarchin. Rings an der Wand hangen die Bildnisse ihrer Kinder. Angefangene Zeichnungen, Stickereien, Bücher liegen hier und da auf den Tischen, und schlägt man eins von denselben auf, so wird man den Goethe oder sonst ein deutsches Buch finden. Eben so anmuthigen Eindruck machen die geschmackvollen Wohnzimmer, in denen die königliche Familie sich vereinigt.

Unter den Gemälden, welche die Wände des großen Familienzimmers bedecken, ist mir über dem Sopha eine raphaclische Madonna von überseliger Schönheit aufgefallen.

Die Diplomaten
[84] Die Diplomaten.

François de Thou, französischer Gesandte im Haag, begegnete in seinem Wagen dem spanischen Gesandten, Don Entevano de Gamarro, und schrie seinem Kutscher zu, dem Wagen des spanischen Don nicht auszuweichen. Daraus entstand zwischen den beiden Gesandten ein heftiger Streit, der auf der Straße nicht aufhörte, und nur durch die Dazwischenkunft der Generalstaaten beigelegt wurde.

Das waren die alten Herren, denn die Geschichte passirte im Jahr 1657. Dazumal stand die Diplomatie in ihrer Blüthe und der Haag war das Beet, wo sie am meisten ausschlug. Der Haag war der Focus der europäischen Diplomatie, wo alle ihre Fäden und Strahlen zusammenschossen. Von dieser Zeit, wo so viele Gesandte, Fremde, Abenteurer (Cagliostro, Casanova u.s.w.) näch dem Haag strömten und »der Marschall von Türenne,« so hieß das berühmteste Wirthshaus,[85] ein Taubenschlag der Fürsten, Grafen und Minister war, gibt der Haag gegenwärtig nur ein sehr schwaches Bild. Die Zeiten haben sich verändert, dsr Haag ist nicht mehr, was er war und auch die Diplomatie ist es nicht mehr.

Heinrich der vierte, mit dem das französische Volk kein Hühnchen zu pflücken hatte, weil dasselbe seine Hühnchen selbst pflückte und Sonntags in den Suppentopf warf, Heinrich der vierte gab dem Schach von Persien, der mit dem Sultan im Kriege lag, den Rath, eine schöne Frau als Botschafterin nach Constantinopel zu senden. Der Schach that, wie ihm gerathen und die Sache war eilig abgethan und der Schach hatte Frieden.

Wie, wenn unsere Könige dem Schach von Persien nachahmten, denn die Völker bedürfen keine accrédités auprès des Souverains, und zu ihren Botschaftern schöne Damen wählten. Ich wüßte gleich eine, die ich schicken würde, wenn ich König wäre, auch eine, die ich nicht schicken würde.

Ach, die männlichen Diplomaten machen nichts als Wirrwarr in Europa, und ich will lieber ganz von ihnen schweigen und nur die Londoner Conferenz für mich sprechen lassen.

Schevelingen
[86] Schevelingen.

Schevelingen ist ein Fischerdorf, eine halbe Stunde vom Haag entfernt. Der Weg dahin führt durch die Dünen, ist aber mit Klinkern gepflastert und von mächtigen Buchen beschattet, eine Anlage von Vater Kats, einem berühmten Staatsmanne und Dichter des siebzehnten Jahrhunderts.

Auf einer alten Karte von Schevelingen, die auf dem Haager Stadthause hängt, sieht man die Kirche, welche gegenwärtig am Ende des Dorfs liegt, ungefähr in der Mitte desselben: diese fehlende Hälfte des Dorfes ist, wie die Chronik berichtet, durch eine mächtige Fluth am Ende des sechzehnten Jahrhunderts plötzlich abgerissen und Beute des Meeres geworden, sie lag aber auch außer den Dünen und daher unbeschirmt vor der Wuth des Meeres. Im Grunde hatte das Meer Recht auf einige Repressalien; was die Schevelinger sind und haben, so wenig es sein mag,[87] verdanken sie dem Meer, sie werfen ihre Netze seit mehr als tausend Jahren in die See und trotzen der starken Brandung, welche sie von ihrem Gewerbe abzuschrecken sucht. Der Fischfang muß sehr bedeutend sein, ich zählte an einem Sonntag über siebzig Pinken und außerdem fünfzehn bis zwanzig kleinere Schiffe, welche der Reihe nach am Strande lagen und statt der Segel mit Fischernetzen zum Trocknen behängt waren. Die Männer sind schlank und kräftig gebaut, man glaubt mitunter neapolitanische Schiffer zu sehen. Wenn sie nicht fischen, sieht man sie unter einem hölzernen Dach am Strande sitzen, das sie vor Regen und Sonne in Schutz nimmt, sie sitzen, liegen, sprechen, gähnen, schlafen, rauchen, sehen nach dem Wind, singen die Barcarole aus der Stummen, oder fassen sich zur Abwechselung beim Kragen. Vom Gewinn des Fangs erhalten sie nur ein Viertel, der Rheder streicht die Hälfte für sich ein und das letzte Viertel geht auf für Ausbesserung ihrer Schiffe. Denn die Schevelinger sind ein armes Volk, die wenigsten Fischer sind Eigenthümer der Fahrzeuge, mit welchen sie auf den Fang gehen. Diese gehören etlichen reichen Leuten in Schevelingen und dem Haag, welche den Hauptgewinn ziehen und ruhig hinter dem Ofen hocken, während die armen Teufel in [88] Regen, Wind und Wellen hinaus müssen. Dabei sind ihre Familien sehr zahlreich, ihre Weiber ungewöhnlich fruchtbar, Alles ist schwanger oder säugt, und wenn sie des Morgens in der Frühe hoch aufgeschürzt in der See stehen und ihre Lappen, Lumpen und Windeln waschen, so liegt ein Kinder-Bethlehem hinter ihnen im Sande, gräbt, spielt, krauelt und krabbelt, steckt die Beinchen in die Luft und saugt an dürren Fischen. Sieht man von den Dünen herab in das kleine rothe Nest hinein, das an der See im Dünenkessel liegt, so begreift man nicht, wie so viele tausend Menschen darin wohnen und unter Dach und Fach kommen mögen; will man aber wissen, wie, so streiche man des Nachts, wenn der Mond scheint, durch die fischduftigen Gäßlein an den elenden Hütten dieser Leute vorüber. Da ist es nichts Seltenes, einen nackten Fuß aus der Thür stecken zu sehen, der einem großen Jungen oder Mädchen angehört; wo dann sicher vier bis fünf Familien zwischen die Lehmwände einer armseligen Fischerhütte zusammengepreßt sind. Diese Noth hat die Schevelinger vor etlichen Jahren beinahe zum Aufruhr gebracht; sie wollten nicht mehr fahren, verwünschten ihr armseliges Gewerbe, die Habsucht der Rheder, welche sie noch außerdem zwingen, Speck, Butter, Käse und andere Lebensmittel aus ihrem[89] Lager, oder, wie sie's nennen, aus ihrem Winkel zu kaufen, die Sturmglocke ging, die Rheder kamen in Angst und der Domine, das ist der Geistliche von Schevelingen, mußte alle Federn seiner geistlichen Beredtsamkeit springen lassen, um ihre aufgehobenen braunen Fäuste in den Schranken des christlichen Gehorsams zurückzuhalten. Mir hat die lächerliche und traurige Geschichte ein alter Seehund von Fischer erzählt, der am Ufer neben seiner Pinke lag und Netze flickte. Während er sprach und über die plötzliche Angst und Geschmeidigkeit der harten Rheder grimlachte, lief ihm der Tabackssaft in die silbergrauen Haarzinken, die auf Kinn und Lippe emporstarrten. – Betelkauen, Fuseldampf, Branntwein machen ihnen das Leben erträglich, wie der Kartoffelbau auf den Dünen ihnen dasselbe möglich macht.

Ihre Weiber sind häßlich, umgekehrte Sirenen, mit bogenförmigen Fischmäulern. Sie tragen die Fische in geflochtenen Körben auf dem Kopf, halten diesen mit gebogenen Armen weniger anmuthig, wie die atheniensischen Kanephoren, und setzen sich, wenn sie zur Stadt gehen, in kleinen Trab, wobei sie mit ihren unverschämten Hinterbacken glockenspielartig hin und her wackeln. Doch sind mir auch mehrere junge Mädchen und Weiber begegnet, die weiß und hübsch waren und [90] aussahen wie die Puppen, welche sie selbst von sich an Fremde und Badegäste verkaufen. Diese närrischen Dinge sind belegt mit Muscheln, welche durch ihre verschiedene Farbe Schuh, Strümpfe, Rock, Hosen, Mieder, Hüte vorstellen, ein Ueberzug, worin diese Kinder der See höchst lustig naturgemäß erscheinen.

Alte und Junge sind schmutzig wie die Kamschadalen. Die Knaben fahren auch, wie diese, mit Hunden. So ein Schevelinger Hunde-Diomedes, der, mit rothwollener oder buntgestreifter Mütze auf dem Kopf, nackter Brust und hängenden Hosen auf seinem kleinen zweirädrigen Wagen steht, und durch Schnalzen, Schreien, Singen, Flöten, Peitschen seine vier oder sechs räudigen Köter zum Laufen anspornt, wäre allemal ein Anblick zum Lachen, dauerte es Einen nicht oft um die armen Köter, welche schwitzend und heulend ihre rothe Zunge aus dem Hals hangen lassen.

Alles in Schevelingen riecht nach der See und nach getrockneten und faulen Fischen.

Der Strand mit den Dünenhügeln, dem Kirchthurm des Dorfes, der hinter ihnen hervorragt, dem Leuchtthurm oder Feuerbecken, der oben auf den Dünen steht, hat nicht selten den Pinsel der großen holländischen Seemaler, wie Backhuisen, van de Velde und Anderer beschäftigt, [91] besonders wenn die Ankunft oder Abreise eines Prinzen von Oranien von oder nach England dargestellt werden sollte. Gegenwärtig ist die Ansicht des Strandes noch mit zwei Gebäuden vermehrt mit dem Lusthause der Königin und dem Badehause, beide in den Dünen, unmittelbar über dem Strand. Das Badehaus ist ein großer, geschmackvoller Palast, es nimmt sich, wie es da einsam auf den kahlen Sandhügeln, der brandenden See gegenübersteht, seltsam und feenartig genug aus. Badegäste gab es den Sommer wenig oder gar nicht. Die Prinzessin von Oranien bewohnte einige Säle. Spiel, Bälle, Redouten gibt es nicht; nur Seewasser, Sand, Sonnenstiche und Badekarren.

Die Dünen
[92] Die Dünen.

Von den Dünen hatte ich mir eine ganz falsche Vorstellung gemacht, ich dachte sie mir als ein für die National-Oekonomie völlig todtes Capital. Dieses sind sie keineswegs. Ich will nicht einmal der vielen Hasen und Kaninchen gedenken, auf welche man vom Helder bis an die Hoek von Holland Jagd macht, ich bemerke nur, daß diese Jagd nach der Meinung holländischer Gelehrten den alten Kaninefaten, das ist Kaninchenfressern, den Namen gab. Wahrhaft nützlich machen sich die Dünen durch Wiesenwachs und Kartoffelbau. Es blüht eine Kartoffel in den Dünen, welche mit der Castanie wetteifert, und man sieht Wiesen, worauf die fettesten Kühe weiden. Nichts überraschender, als vom kahlen Rücken einer Düne plötzlich in ein langes grünes Thal hinabzusehen, wo Bäche rieseln, Kühe brüllen, Pferde und Füllen springen [93] und wiehern. In der That, wer seine Güter in den Dünen hat, ist besser daran, als wer sie im Monde hat, wie Don Ranudo und mancher deutsche Graf.

Die Leute leben da freilich sehr einsam, allein an Unterhaltung fehlt es ihnen nicht. Das Meer rauscht, die Wolken ziehen, die Nebel tuschen die entfernten Gegenstände, der Sand tanzt auf den Hügeln und von Zeit zu Zeit streifen Jäger und Hunde vorüber, und die Dünenbauern selbst gehen auf die Jagd und lassen sich die Kaninchen eben so wohlfeil schmecken, wie die alten Kaninefaten, ihre Vorfahren.

Ich habe fast tägliche Wanderungen in diesen Sandhügeln gemacht und daher sind sie mir ziemlich bekannt und fast lieb geworden. Was der Wuth der Westwinde nicht beständig ausgesetzt ist, findet man bekleidet mit mehrerlei Arten Moos und insbesondere mit den Halmen zweier Sandpflanzen, welche mit dem krausen Wirrwarr ihrer Wurzeln und Haarwurzeln den feinkörnigen Muschelsand so tief und dicht durchflechten, daß der Kartoffelarbeiter oft Mühe hat, diesen mit scharfem Spaten zu durchstoßen. Genannten Sandpflanzen muß man die Erhaltung der Dünen zuschreiben, welche ohne dieselben längst in alle Winde verweht wären. Die eine wächst [94] büschelartig aus einer Knolle, deren Stiel oder Wurzel lothrecht im Sande steckt, der Holländer nennt sie halm. Die andere Art, eine Quecke, treibt nur einzelne grüne Schossen ans Licht, ihre schlanke, starke, in Knoten abgesetzte Wurzel läuft wagerecht im Sande und wird durch feine lange Haarwurzeln an jedem Knoten festgehalten. Diese Wurzeln durchkreuzen sich labyrinthisch unter einander, es hält daher nicht leicht, sie unzerrissen herauszuziehen, sie sollen mitunter eine Länge von zwanzig Fuß erreichen. Ich besitze eine abgerissene von acht bis zehn Fuß, ich, denn ich habe mir ein Vergnügen daraus gemacht, sämmtliche Dünenpflanzen eigenhändig aus dem Sande aufzukratzen und einzusammeln. Ich kenne daher die Flora der Dünen beinahe so gut, wie Alexander Humboldt bis Flora der Cordilleras de los Andes.

Ich habe sogar der Bildung der Dünen, ihrem Namen und ihrer Geschichte nachgespürt, und will darüber Alles auskramen, was ich gelernt und gedacht habe. Die Dünen – – Duin, Dun ist ein celtisches Wort, bedeutet Höhe, wie es scheint, so Lugdunum Dünsicht – die Dünen sind offenbar durch mächtige Stürme der Vorzeit aufgeworfen, wozu der aufgeregte Meergrund seinen Sand herschüttete. Diese Stürme kamen aus Nordwests, oder vielmehr aus West-Nordwest, weil [95] alle bedeutenden Windgruben, nackte Stellen, große Thäler nach dieser Richtung liegen. Die Dünen werden von den römischen Schriftstellern, welche von der batavischen Insel sprechen, namentlich von Tacitus und Plinius, durchaus nicht erwähnt, weder dem Namen, noch der Sache nach. Darauf beruht die hergebrachte Meinung hier zu Lande, welche die Zeit ihres Ursprungs hinter Karl den Großen setzt. Nach dieser Zeit werden sie wirklich in alten Handschriften genannt, obwohl nicht als etwas Neues. Ich vermuthe, sie sind älter, wenn auch nicht so breit und hoch, wie sie daliegen. Wie war es möglich, denke ich, daß die batavische Insel ohne das Dünen-Bollwerk einem an Zahl nicht unbedeutenden Volksstamme zur Wohnung hat dienen können, da, wie bekannt, diese Insel tiefer liegt, als die See. Brächen die Dünen in diesem Augenblick durch, so wäre ich ein Kind des Todes und Hunderttausende mit mir. Ohne starke und hinlänglich hohe Seedeiche läßt sich an keine Bevölkerung in Holland denken. Die Bataver, die Kaninefaten, welche längs der Küste wohnten, müßten solche Deiche, die Dünen, bei ihrer Ankunft aus dem Lande der Katten vorgefunden haben, um nur ihre erste Niederlassung bewerkstelligen zu können. Auch weiß man nicht, daß sie große Deichbauer gewesen sind, man liest vielmehr, daß sie [96] erst von den Römern die Anfänge der Wasserbaukunst gelernt haben. Diese Leute sagt man, wohnten auf Hügeln zerstreut im Lande umher. Dadurch retteten sie sich allerdings vor dem Ersaufen. Aber wie retteten sie sich vor dem Verhungern, wenn das Land Jahr aus Jahr ein unter Wasser stand? Und wo kamen die schönen Kaninchen her, welche die Kaninefaten fraßen, wenn es keinen Hochsand an der Küste gab, worin diese Thierchen nisten und hecken konnten? Und wie reimt sich damit die Sage von dem alten großen Walde, welcher in der Entfernung einer Stunde von der Küste das Land von einem Ende zum andern bedeckt haben soll, und als dessen Ueberreste man noch den haager Busch und das Holz von Haarlem angibt?

Ich meine, es gab schon vor Ankunft der Bataver einen Sandwall längs der Küste. Dieser hat sich nur im Laufe der Jahrhunderte erhöht und ausgebreitet. – Unter Haarlem sind die Dünen am breitesten und höchsten; dort ist auch die Küste am tiefsten ausgeschnitten. Beim Haag sind die Dünen eine gute halbe Stunde breit; je weiter nach unten und jemehr das Land nach Westen gewinnt, desto schmaler und niedriger wird die Sandkette. Auf den vorspringenden Inseln der Maas sind die Dünen stellenweise schon ganz verweht, [97] ein Beweis, daß sie dort sehr niedrig und schmal aufgeworfen waren. Dort hat man auch unter den verwehten Dünen einen alten künstlichen Deich aus der Römerzeit entdeckt oder entdecken wollen. Vielleicht sind die Dünen in jener Gegend mehr als einmal verweht und aufgeworfen.

Man unterscheidet drei Reihen, 1) die Küstenreihe, 2) die mittlere, welche die breiteste und höchste ist und 3) die äußere letzte, welche vielleicht der Zeit nach die erste und älteste ist. Diese hat ein mehr haidenartiges Ansehen, auf keiner der beiden andern wächst das gewöhnliche Haidekraut, welches sie fortbringt. Zwischen ihr und der mittleren Reihe liegen fast ununterbrochene Wiesen und eine gute Zahl einzelner Bauerhäuser und Hofstätten.

Man könnte außerdem die lange Sandbank, welche sich an der Küste von Holland hinzieht und größeren Schiffen das Anlanden bei Schevelingen, Katwyk u.s.w. unmöglich oder gefährlich macht, als vierte Dünenreihe hinzufügen. Sie ist vermuthlich die große Streusandbüchse, welche der holländischen Küste mit jeder neuen Fluth frischen Sand zuführt und dieselbe von Jahr zu Jahr höher legt. Feindin der holländischen Schifffahrt, hat sie den Texel und die Mündungen der Maas und des Rheins versandt und außerordentliche[98] Kosten zur Anlegung großer und tiefer Canäle nothwendig gemacht. Die Mündungen der Schelde sind dagegen von diesem Uebel weit mehr verschont und für die größten Schiffe offen und fahrbar geblieben. Ein beneidenswerther Umstand für Antwerpen, der in Verbindung mit der vortheilhaften Handelslage der Stadt und deren geräumigem und schönem Hafen Antwerpen zu einer der ersten Handelsstädte der Welt machen wird, sobald es nämlich den eifersüchtigen Holländern nicht zum zweiten Mal gelingt, durch die Schließung der Schelde ein unerhörtes Verbrechen zugleich an der Natur und an der Gesellschaft zu erneuen, oder auch durch übertriebene Ansprüche, durch ihre Tonnen- und Lootsenrechte und andere ungebührliche Beschränkungen der freien Stromfahrt der Stadt Antwerpen die natürlichen und rechtmäßigen Vortheile ihrer Lage zu schmälern.

Hut- und Mützencapitel
[99] Hut- und Mützencapitel.

Ländlich, sittlich. Die Holländer behalten in der Kirche den Hut auf dem Kopf. Dies thun sie nicht wie die Juden aus einem religiösen Aber, sondern aus Vorsicht gegen die feuchte Kirchenluft. Das lasse ich mir gefallen. Der liebe Gott sieht uns überhaupt in der Kirche nicht auf den Kopf, sondern ins Herz. Allein der holländische bürgerliche Normalhut ist schwerfällig, ungestaltet, baderartig, oben breit, unten spitz u.s.w. Das verzeihe ihnen der gute Geschmack, den man eben so wohlfeil fabricirt, wie den schlechten Geschmack.

In sehr alten Zeiten trugen die Holländer gar keine Hüte, auch keine Mützen. Sie gingen, was wir nennen, im bloßen Kopf, aber die Menschen hatten damals außerordentlich viel Haare auf dem bloßen Kopf. Damals nannten sie sich Bataver, Kaninefaten oder Kaninchenfresser, Marsen u.s.w. Später, unter ihren Grafen, trugen die Holländer [100] eine Zeit lang rothe und graue Mützen. Die mit den rothen Mützen nannten sich die Huks, die mit den grauen bis Kabeljauer; wenn sie sich begegneten, schlugen sie sich todt und daher waren diese Mützen sehr gefährlich zu tragen.

Dann kamen die burgundischen und spanischen Hüte in die Mode. Mit diesen Hüten sieht man sie noch auf den Bildern von Rembrand, Franz Mieris und der andern Maler jener Zeit. Darunter sahen die Holländer kecker und listiger aus, waren es auch vielleicht. Eine besondere Abart des spanischen Huts, war der Hut der Wassergeusen, darauf war ein Halbmond genäht mit der Umschrift, lieber türkisch als papistisch. Er muß die zerhackten sturmdurchwehten Gesichter dieser einarmigten und einbeinigten Seepanduren Wilhelms des Ersten sehr malerisch beschattet haben.

Weniger malerisch, aber desto ehrbarer saßen die dreikantigen Hüte auf den Köpfen der Holländer. Gott weiß, wie das Ungethüm des dreikantigen Huts aus dem schönen spanischen Hut entsprossen ist. Ganz Europa trug im 18. Jahrhundert das Joch dieses Tyrannen, er setzte sich auf einen Thron von Haarpuder, nahm den Zopf als königliches Scepter in die Hand und übte einen unausstehlichen Druck auf alle Köpfe aus. Darauf bekam er die Jacobinermützen in Paris zu seinen [101] Todtfeinden, und ward in den Sturz der Bourbonen mit verwickelt. Da es aber früher revolutionaire Köpfe, als revolutionaire Mützen gab, so muß man ihm die Fähigkeit zugestehen, revolutionaire Ideen bis auf einen gewissen Grad der Reife ausbrüten zu können. In Holland kam sogar die kurze Revolution vom Jahr 1785 ausschließlich unter diesen Hüten zu Stande; die Patrioten, welche den Statthalter verjagten, der Statthalter, welcher sich von den Patrioten verjagen ließ, hatten dreikantige Hüte auf dem Kopf – die Preußen, welche den Statthalter an der Spitze ihrer Bajonette wieder zurückführten, ebenfalls. Man kann sogar nicht ohne Schein die Behauptung aufstellen, daß für Holland die dreikantigen Hüte ihrer demagogischen Natur nach dasselbe sind, was die rothen Mützen für Frankreich, die schwarzen Kappen für Deutschland und die weißen Hüte für Polen. Der dreikantige Hut hat die batavische Republik gekannt, und so lange es noch einen dreikantigen Hut in Holland gibt, stirbt die republicanische Erinnerung nicht. Wenn ein dreikantiger Hut auf dem Kopf eines der alten stämmigen Leute aus jener Zeit über die Straße wandelt, so scheint er mit stiller Verachtung auf seine entarteten Brüder, die runden Königsdiener herabzublicken.

Mir begegnet fast täglich auf meinen Spatziergängen [102] in den Dünen ein hoher alter Mann, dem das lange Silberhaar ehrwürdig auf die Achseln herabfällt. Er trägt sein Bambusrohr im gehörigen Winkel von 75° in der Hand und seinen dreikantigen Hut mit nicht weniger Stolz, wie ein alter Hirsch sein Geweih. Man sieht, daß er seinen Liebling fleißig bürstet, daß er ihn schont – wenn er mich grüßt, läßt er ihn nur freundlich nicken, ohne ihn mehr als mit den Finger spitzen weich zu berühren. Dennoch hat er ihn nicht vor der Verwüstung der Zeit schützen können. Der alte Hut ist schon sehr alt, kahl und voller Furchen, welche Gram und Zeit in seine breite Stirn gezogen haben, die Tage seines Glanzes sind längst vorüber, er ist unter Brüdern keinen Gulden mehr werth, nimmt der Alte vermöge einer ausdrücklichen Verfügung in seinem letzten Willen ihn nicht mit ins Grab, so fürchte ich, der alte Hut wird noch einmal auf den Kopf eines Lausejuden in die Synagoge wandern müssen. Ich sah ihn heute mitleidig darauf an. Der Alte schien es zu bemerken und mißzudeuten. Er grüßte wie gewöhnlich, aber er lächelte wehmüthig bitter, seine Lippen rührten sich, er murmelte etwas in den Bart, ich glaube, er murmelte: junger Mensch, halte dich nicht auf über meinen Hut; dieser Hut ist mir heilig, dieser Dreimaster, wie die junge Welt ihn[103] spottweise nennt, ist ein Wrack aus dem Schiffbruche der Republik und darum verspotte ihn nicht.

Ich weiß nicht, ob der Greis etwas Aehnliches murmelte. Es ist aber gewiß, daß ich in Gedanken meinen Weg fortsetzte, auf die höchste Düne stieg und im Angesicht der wilden demagogischen See in die Worte ausbrach:


Verschwunden ist der Name Republik

Venedig ist erdrückt und Holland duldet

Den Königsthron und trägt den Purpurmantel.


Das erste Mal, so viel ich weiß, daß ein dreikantiger Hut mich an Lord Byron erinnerte.
Batavische Republik
[104] Batavische Republik.

Motto: Venient in mentem legentibus nunc Arminius,

nunc Civilis, gemini illi Belgarum turbines,

Orangiique illorum temporum.

Strada.


Batavische Republik – ach, der Name Republik klingt immer schön, und ich bedaure mit dem edlen Lord den Untergang des Namens. Aber der Himmel hüte mich, dem Untergang der batavischen Republik mein Bedauern zu schenken. Wie sah es darin aus mit der Freiheit, dem Bürgerthum? Wie folgt. Einige altadelige Messires stellten das platte Land vor, einige fette Bürgermeister stellten die Städte vor, die Prinzen von Oranien stellten sich selber vor und das Volk stellte nichts vor. Da hat man in wenig Worten ein Bild jener erbärmlichen Aristokratenwirthschaft, welche sich batavische Republik nannte.

Das Volk stellte nichts vor – es hatte und [105] nahm keinen Antheil an den Angelegenheiten des Staats, es wurde nicht gezählt weder auf dem Lande noch in den Städten, weder am Hofe des Statthalters, noch in der Versammlung der Provinzialstaaten, noch in der Sitzung der Herren Staaten-General.

Das Volk machte Käse und Butter, holte Kaffee und Zucker, wucherte mit dem Korn der Ostsee, nahm dreitausend und einige hundert Procent vom Pfeffer, plünderte den Osten, brandschatzte den Westen, füllte seine Säcke mit Ducaten und bekümmerte sich eben so wenig um die Verwaltung, als um die Vertheidigung des Staats. Die Republik fütterte dagegen zum Schutz des Landes eine Menagerie ausländischer Bestien, Soldaten genannt, aufgegriffen aus den Höhlen des Elends, des Lasters, der Verzweiflung von ganz Europa, durch Spießruthen und Corporalstöcke in Zucht gehalten, zu Schilderthieren und Wachthunden abgerichtet oder im Fall unbezähmbarer Wildheit nach Java übergeschifft und gegen die unglücklichen Javanesen losgelassen, die zu ihrem Unglück die Freiheit lieber hatten, als die weißen Holländer und ihre ostindische Compagnie.

Liest man die Annalen des Tacitus, so lernt man, daß schon in ältester Zeit die reichen Gutsbesitzer überwiegenden Einfluß in der Volksgemeinde [106] ausübten. Ihr Civilis machte sie vom Joch der Römer frei, so lang es ihm gefiel; als es ihm nicht länger gefiel, unterhandelte er mit Cerealis und ließ die Römer wieder Besitz nehmen von der Insel. Dies geschah in einem Augenblick, wo es in seiner Macht stand, das ganze römische Heer durch Schwert und Wasser zu vernichten. Tacitus erzählt, Cerealis habe die Klugheit gehabt, des Civilis Landgüter zu schonen, während er alle übrigen plündern und verbrennen ließ. Das läßt sich hören. Civilis hatte große Talente, Feuer der Unternehmung, Glück, allein man darf ihn nicht zugleich mit Herrmann nennen, wie selbst deutsche Geschichtschreiber sich unterfangen. Civilis hatte nicht den Todeshaß gegen die Römer, nicht die Todesbegeisterung für die Freiheit, welche in Herrmanns großer Seele loderten. Die Römer zeigten sich übrigens als gnädige Herren, sie nannten die Bataver ihre Freunde und Brüder, warfen eine Menge Castelle in der Insel auf und zogen die Bundesreiterei ihrer Freunde und Brüder jeder andern in Europa vor.

Zur Zeit der fränkischen Grafen, welche über Holland regierten, sieht man den Nacken des Volks geduldig unter das Joch der Feudalverfassung geduckt. Die Grafen von Holland waren unumschränkte Gebieter, sie vereinten in ihrer Person [107] die dreifache, gesetzgebende, richterliche und ausübende Macht. Große Vorrechte waren den angesehenen Vasallen vorbehalten, es gab unter diesen Vorrechten solche, die mir einzig in ihrer Art scheinen. So führten die Herren von Wassenaar unter andern Titeln die Titel von Wasserherren und Federgrafen, ersteren, weil sie von allen Brennern und Brauern in Rheinland, Delfland und Schieland für die Erlaubniß, Wasser zu schöpfen, eine jährliche Abgabe, das sogenannte Gruitgelt erhielten, letzteren, weil in den besagten Wasserreichen kein Eigenthümer ohne ihre ausdrückliche Erlaubniß Schwäne im Teich halten durfte. Andere große Geschlechter, wie die Egmont's, die Brederode's, standen nicht zurück und der zahlreiche, wenn auch nicht kriegerische, nicht ritterliche Adel theilte sich mit der Geistlichkeit 1 in den Besitz des Landes. Während nun um diese Zeit die südlichen Niederlande, die Brabanter, die Flamländer von ihren Fürsten und Grafen sich Privilegien auf Privilegien ertrotzten, über die gewonnenen mit unruhiger Eifersucht wachten, und ein für die Geschichte und unsere Zeit höchst interessantes dramatisches Leben entfalteten, sieht man Holland anfangs [108] schläfrig, dann aber mehrere Jahrhunderte hindurch von zwei mörderischen Parteien zerrissen, die gleich in ihrem Ursprunge nichts mit der Freiheit gemein hatten, in der Folge aber durchaus blind, zwecklos und sinnlos wurden. Der sogenannte Brod-und Käsekrieg, der in Friesland hausete, führte sein Verständniß doch schon im Namen mit sich; allein die Parteien der Huks und Kabeljauer haben Jahrhunderte lang gebrannt und gemordet, gefressen undgeangelt 2, ohne zu wissen, was sie thaten und was sie wollten. Man wirft den Brabantern ihre unruhige und blutige Geschichte vor – am Ende sollen sie sich noch vor den Holländern schämen.

Die Befreiung von Spanien, welche den Holländern geglückt und den Brabantern mißglückt ist, 1) weil Holland im Norden liegt und nicht wie Brabant an das katholische Frankreich grenzt, 2) weil Holland unter Wasser gesetzt werden kann – die Befreiung von Spanien, welche den Holländern nicht deswegen geglückt ist, weil sie sich muthiger zeigten, als die Brabanter, oder weil sie in Person so viel männlich trotzenden Muth an den Tag legten, wie die dithmarser Bauern, welche den Junker Sleeg zu Hause trieben und die Heere [109] des Königs von Dännemark vernichteten – die Befreiung von Spanien, sage ich, hat nur den Adel freigemacht und nicht das Volk. Der reichste, klügste und großartigste aus dem Adel, der Schüler des Macchiavelli, Wilhelm von Nassau, stürzte den Thron des Königs von Spanien in den nördlichen Niederlanden über den Haufen und brachte die Trümmer desselben für sich und seine Nachkommen auf die Seite. Diese haben ein paar Jahrhunderte daran gezimmert, um wieder einen ordentlichen Thron daraus zu machen, und man weiß, es ist ihnen geglückt. Der wiener Congreß hat aus holländischem Ducatengolde ihnen die Krone dazu geschenkt.

Schon der Prinz Moritz, der Sohn und nächste Nachfolger Wilhelms, saß, ohne König zu sein, sehr hoch und sehr fest. Er winkte nur und Oldenbarneveld's greises Haupt flog in den Staub, eben so rasch und wohlexecutirt, als hätte Alba's Henker in Brüssel dasselbe abgeschlagen. Oldenbarneveld's Verbrechen war sehr groß, zumal in einer Republik, er wollte die Bürger mann- und wehrhaft machen, um der rohen Soldatengewalt und der Willkür des Generalcapitains, Prinzen Moritz, die Stange zu halten. Derselbe Prinz beförderte Hugo Grotius auf das Schloß Lövenstein, das Spandau der Republik.

[110] Dessen Verbrechen war nicht minder schreiend, zumal in einer Republik. Er hielt es mit dem Doctor Arminius und der Prinz war des Arminius Feind und hielt es mit dem Doctor Gomarus und mit der Dortrechter Synode ekeln Andenkens. Glücklicher Weise entkam der Verbrecher durch die Liebe und List seiner Frau.

Funfzig Jahr später hatte Cornelius de Wit Gelegenheit, einen lateinischen Spruch aus dem Horaz zu citiren:


Justum et tenacem propositi virum

Non civium ardor prava jubentium,

Non vultus instantis tiranni

Mende quatit solida


rief er aus, als er auf der Folterbank lag und gestehen sollte, er habe dem Prinzen Wilhelm nach dem Leben getrachtet. Unterdessen wurde sein Bruder Johann, der in einer Zeit von zwanzig Jahren das Staatsschiff durch Sturm und Wetter geführt, vom aufgehißten Pöbel aus dem Gefängniß gerissen, gemartert, gesteinigt und über die Gassen geschleift, bis er seinen Geist und damit seine Macht aufgab. Mehr wollten die Orangisten nicht, sie hatten Wilhelm den Dritten, spätern König von England, zum Statthalter erwählt.

Johann de Wit saß über der Gefangenpforte des alten haager Schlosses, hinter den eisernen [111] rostigen Gittern, welche ich im Vorübergehen so oft betrachtet. Oldenbarneveld saß auch dort oben, auf jenem breiten Stein vor der Treppe ward er enthauptet. Dies Schloß hat den historisch interessanten Blutgeruch der alten königlichen Schlösser.

Fußnoten

1 Es gab allein an siebzig Abteien, worunter sehr reiche, wie jene von Rheinsberg bei Leiden.

2 Huk ist ein Angelhaken.

Neueste Geschichte
[112] Neueste Geschichte.

Von der Flucht des letzten Statthalters, eines dick-und schwachköpfigen Mannes, der völlig unter preußisch- englischem Einflusse stand, bis auf die Flucht des Königs Ludwig und die Abdankung Napoleons hat sich Holland allen Metamorphosen der französischen Republik unterziehen müssen. Seit 1795 wurde keine Staatsaction in Paris aufgeführt, die nicht, ins Holländische übersetzt, auf dem Haager Theater nachgespielt wurde. Der Spaß kostete den Holländern schweres Geld. Gleich zu Anfang Hundert Millionen Gulden, für welchen Preis die Mutterrepublik ihre Tochter feierlich anerkannte. Aber die Franzosen klopften Anfangs nur an die schweren überfüllten Geldsäcke. Sie hielten sich an die goldnen Ritter und ließen dem Volk die Stüver in der Tasche. Das Volk stand sich nicht übel dabei, ausgenommen, daß der Tabak etwas theurer wurde, und daher [113] gab auch das neue französische Drama sein erstes Debüt so ziemlich zum Beifall des Volks, wenn auch zum Mißfallen der ersten Ranglogen; während früher die Sache umgekehrt stand, als noch die altfranzösische Hoftragödie mit Tressen und Puder auf der stadthalterlichen Bühne sich spreizte.

Am besten schien die neue Ordnung oder Unordnung der Dinge den verjagten Patrioten, die beim ersten Kanonenschuß der Freiheit ins Land zurückgekehrt waren. Feurige Leute und große Volksredner. Sie predigten von Tonnen, Tischen und Stühlen die Wiedergeburt der Dinge, nahmen sich in und außer der Nationalversammlung der unveräußerlichen Menschenrechte eifrig an. Ich habe Leute gesprochen, die zu jener Zeit sich im Strom befanden. Sie haben mir erzählt von Versammlungen, an deren Schluß keine einzige goldene oder silberne Schnalle an Schuh und Hosen übrig blieb, wo Alles, was die Versammelten an Geld und Kostbarkeiten bei sich trugen, in einem Guß der Begeisterung auf den Altar des Vaterlandes niederregnete. Ich bin jedoch nicht völlig von der Thatsache überzeugt. Ich denke mir immer, daß Einer oder der Andere, der Thür am nächsten, einer so kostspieligen patriotischen Rührung durch unvermerkte schnelle Flucht sich entzogen haben mag.

[114] Zum Glück aber für die Beinschnallen und die goldenen Stockknöpfe der Holländer hatte die Nationalversammlung keine lange Dauer. Ihr folgte ein gesetzgebender Körper und eine executive Gewalt, ein Directorium, das aus fünf Leuten zusammengesetzt war. – Dann wurden aus Fünfmännern Zwölfmänner mit erweiterter Macht. Ihnen untergeordnet neue Minister, Administrationsräthe. Diese Staatsform schreibt sich vom Jahr 1801.

»Man hatte durch dieselbe,« sagt ein Holländer in einer neuen Flugschrift, »eine centrale Regierung, woran es uns seit Jahrhunderten gebrach, zweckmäßig festgestellt, die Ausübung fürstlicher Macht an eine Zwölfzahl Leute aus den verschiedenen Theilen des Landes aufgetragen und rücksichtlich ihrer Wahl und Nachfolge alle Einrichtungen getroffen, die man für am meisten geschickt hielt, um sich eine sorgfältige Beherzigung der Staatsinteressen zu sichern und die bürgerliche Freiheit gegen alle Willkür zu schützen.«

»Aber,« fügt er hinzu, »es dauerte nur kurze Zeit, und man glaubte zu bemerken, daß der Staatskörper noch an einem Gebrechen leide und namentlich die abwechselnde Vorsitzerschaft große Uebelstände herbeiführe und mit der Zeit noch größere herbeiführen werde. Das Mittel dagegen [115] glaubten Einige zu finden in einem beständigen Vorsitzer des Directoriums. Aber Napoleon, der inzwischen erster Consul und in der Folge Kaiser der Franzosen geworden, hatte bereits ganz andere Absichten auf Holland, und gab uns, vorläufig unter dem wenig passenden Namen eines Rathpensionarius, nicht einen beständigen Vorsitzer oder ein Haupt der Regierung, sondern – den Vorschmack einer Alleinherrschaft.«

In der That war der Rathpensionarius Schimmelpenning mit einer fast absolut fürstlichen Macht bekleidet. Es sollte ihm allerdings ein Staatsrath zur Seite stehen, aber ein von ihm selbst zu ernennender, den er um Rath anzugehen hatte, so oft es ihm gutdünkte, und dessen Gesetzesvorschläge er nach Willkür bekräftigen, oder in den Wind schlagen konnte.

Doch die Zeit des Rathpensionarius war sehr gemessen. Bald nach dessen Bestallung machte Napoleon den Holländern sein königliches Geschenk. Die Verfassung blieb unter Ludwig ungefähr dieselbe. Die königliche Herrschaft unterschied sich von der rathpensionirlichen nur durch den tiefern Schatten, welchen der Glanz des königlichen Throns in das Dunkel der Volksfreiheit und der unveräußerlichen Menschenrechte warf.

[116] Nach seines Bruders Flucht einverleibte Napoleon das kleine Land seinem römischen Weltreich. Dem verblieb es bis auf die Leipziger Schlacht. Der Sohn des letzten Statthalters, in Holland eben so wenig bekannt, aber mehr willkommen, als Ludwig der 18te in Frankreich, kehrte aus England zurück und ward vom Stadthause zu Amsterdam zum König von Holland ausgerufen.

Nach der Schlacht bei Waterloo ward Belgien mit Holland vereinigt und eine neue Verfassung für das Königreich der Niederlande aufgestellt. Souverainität, zwei Kammern u.s.w.

Ueber die unglückliche Vereinigung zweier so spröden, ja feindlichen Bestandtheile hat die Zeit gerichtet. Im Griechischen heißt eine unselige Eheγαμος ἀγαμος, Unehe. Das ist das Wort dafür. Der Hof wünschte sie, der Wiener Congreß befahl sie, die beiden Völker vollzogen sie mit Verdruß und Widerstreben; oder vielmehr sie vollzogen sie nicht: der Belgier schrie non, der Holländer brummte neen, aber die taube Gewalt legte ihre Hände zusammen und die blinde Weisheit sprach ihren Segen über sie aus.

Wer von Beiden, ob der Holländer oder der Belgier, durch die Vereinigung eigentlich gewonnen oder verloren hat, ist schwer zu sagen. Es [117] unterliegt keinem Zweifel, daß Belgiens Handel und Fabriken einen neuen und sehr bedeutenden Aufschwung nahmen. Antwerpen, zum Welthandel hundert Mal gelegener, als Amsterdam und Rotterdam, Antwerpen, die unverwüstliche Stadt, machte Riesenschritte. Die Wellen der befreiten Schelde tanzten vor Lust, während die alte Amstel von Tag zu Tag trauriger und stiller einherschlich und in grämlicher Eifersucht sich verzehrte. Dagegen sah sich Belgien mit der holländischen Staatsschuld belastet und von den entsetzlichen holländischen Steuern und Abgaben heimgesucht, deren Fluth auch über das goldreichere Holland verderblich und scheidewasserartig hinträufelt, und insbesondere den kleinen Besitz und das tägliche Brod der großen Menge wegfrißt.

Gegenwärtig, da der unvermeidliche Bruch geschehen ist, sollten die Holländer nicht noch obenein zu allen ihren frühern Verlusten den Knochenfraß eines fortdauernden Kriegszustandes hinzufügen. Schon hat der Krieg sie unermeßliche Summen gekostet, und, wie sie selbst am besten wissen, ihre Geldsäcke haben nicht den Zauber der Unerschöpflichkeit, wie Fortunati's Säcklein. Der Nationalreichthum ist seit dem Jahr 1795 furchtbar angegriffen. Frankreich, die Republik und das Kaiserthum, kam ihnen zu stehen auf dreimalhundert [118] Millionen Gulden baares Geld. Das ist noch das Wenigste. Die Verluste anderer Art sind unberechenbar. Allein in den Jahren 1796–1799 hat Holland nicht weniger als fünfundzwanzig Linienschiffe und neununddreißig Fregatten an England eingebüßt; wie denn seitdem fast alle übrigen holländischen Kriegsschiffe dasselbe Loos traf. Ihr auswärtiger Handel, den man vor dem Jahr 1795 auf einen jährlichen Betrag von dreihundertfunfzig Millionen anschlug, ging seit der Continentalsperre bis zum Jahr 1812 so gut als völlig zu Grunde. Der Fluch, den sie einst über die Schelde aussprachen, verwirklichte sich an ihren eigenen Strömen und Gewässern. Diese waren so gut als gesperrt, und die Schiffe, die vormals über die weite Erde streiften, vermoderten unthätig im Hafen. Batavia, die Gewürzinseln, alle ihre reichen Colonien in Ost- und Westindien wurden eine Beute der Engländer. Sie haben freilich seitdem Colonien und Handel wieder erhalten, allein ohne dieselben Früchte, wie ehemals, daraus zu ziehen, da nicht nur England seit der Zeit seinen Dreizack noch allmächtiger ausgebreitet hat, sondern auch Belgien miterndtete, wo sie früher allein erndteten. – Noch schlechter ging es mit der Wiederbelebung ihrer Fabriken und Manufacturen. Diese haben sich fast gar nicht erholt. [119] Der Belgier, viel kaufsinniger und handhabiger als sein Nachbar, hatte leichtes Spiel in dieser Rücksicht. So lange beide unter einem Scepter vereinigt waren, mußte der Holländer dem Belgier einen Ruhm und eine Quelle der Reichthümer überlassen, die er ihm kaum streitig machen wird, da sie offene Feinde geworden sind. Wie die Person des gewandtern Belgiers, gegenüber der Person des Holländers, so stand das belgische Fabrikat dem holländischen gegenüber. Und so fand sich selbst der Holländer gezwungen, überall, wo der Belgier und das Belgische in seinem Lande sich zeigte, ihm die größere Ueberlegenheit zuzugestehen, und demnach, so bitter es auch die Eigenliebe fühlte, selbst den Wetteifer als fruchtlos fahren zu lassen. Nächst der Handelseifersucht hat kein Stachel das holländische Volk mehr gegen das belgische aufgereizt, als dieser. Alles, klein und groß, theuer und wohlfeil, mußte direct von Brüssel kommen. Es gab sogar Stutzer im Haag, die wöchentlich mit der Post ihre feine Wäsche nach Brüssel sandten, um sie dort modischer und zierlicher steifen und einlegen zu lassen. Noch gegenwärtig sind solche Gewerke in Holland, die Geschmack verlangen und der Mode unterworfen sind, in den Händen von Belgiern oder Deutschen. Man wird wenigstens nur selten finden, daß ein [120] geschickter Stahlarbeiter, Posamentirer, Kunstdrechsler, daß ein beliebter Schuhmacher oder nun gar ein eleganter Schneider in Amsterdam, Rotterdam, Haag u.s.w. Holländer von Geburt ist; wogegen man allerdings recht brave Glasschleifer, Steinhauer, Tischler seit Alters unter den Einheimischen antrifft. Aber auch diese eingebürgerten Deutschen, Belgier, Franzosen konnten nicht gegen die Brüsseler anarbeiten, so ausschließlich hatten dieselben das Gebiet des Kunstgeschmacks an sich gerissen.

Ueberlegt man nun diesen Zustand der Dinge und den nachtheiligen Einfluß, den die Verbindung Hollands mit Belgien auf den holländischen Fabrik- und Handelsstand äußerte, so muß man glauben, daß diesen nichts Gelegeneres sich ereignen konnte, als der Aufstand von Brüssel und der hierauf erfolgte Abfall der südlichen Provinzen. In der That war es so. Darnach muß man es aber unbegreiflich finden, daß Holland seinen Nachbarn nicht in Frieden fahren ließ, und daß die Versuche, welche die Regierung machte, die abtrünnige Südhälfte des Königreichs mit Gewalt der Waffen zum Gehorsam zu zwingen, so lebhaft von der Nation unterstützt wurden. Das ist ein Widerspruch, der, wie jeder andere, keinen Verstand hat, und bei so verständigen Menschen, [121] wie die Holländer sind, ganz besonders auffällt. Allein der unklugste Widerspruch hat seine guten Ursachen, und wenn man auch oft das Wie nicht begreift, so kann man doch nicht selten hinter das Warum kommen. Warum aber die Holländer über ein glückliches Ereigniß in Harnisch geriethen, trotz dem, daß sie sich im Stillen dazu Glück wünschten, warum sie eine unerhörte Thätigkeit entwickelten, unerhörte Opfer brachten, um sich mit Gewalt ein Kreuz wieder aufzubürden, das ihnen abgefallen war, begreife ich, nach Allem, was ich gesehen, gehört und erfahren habe, ziemlich gut, obgleich ich gestehen muß, daß ich allerdings nicht begreife, wie die sonst so kaltblütigen und bedächtigen Holländer der Wirkung dieser Ursachen so stark ausgesetzt waren, um darüber ihr nächstes Interesse zu vergessen. Der Holländer haßte den Belgier; ich liebe ihn auch nicht. Der Holländer haßte ihn von Grund seines Herzens, und das will etwas sagen, denn, wenn auch in der Liebe nicht, im Haß kann es der Holländer sehr weit bringen. Sein Haß ging über in Rachgefühl, als der erste Stein in Brüssel einem holländischen Soldaten an den Kopf flog, als die holländischen Truppen schimpflichen Rückzug nahmen, und die belgischen Abgeordneten im Haag erschienen, um dem Könige von Holland kategorische [122] Bedingungen vorzuschreiben. Dennoch weiß ich nicht, ob bei gleichem Haß es zu den Zeiten der Republik zu offenem Bruch, oder in diesem Falle zu Feindseligkeiten zwischen Holländern und Belgiern gekommen wäre. Ich vermuthe, die Holländer hätten, ihrem Charakter getreu, mit der »langen Ruthe« sich begnügt, das heißt, ihre Rache aufgeschoben, sich auf die bestmöglichsten Bedingungen von den Belgiern getrennt, dieselben vom Handel mit ihren Colonien ausgeschlossen, die Einfuhr belgischer Fabricate untersagt, die Abtrünnigen ihrem Schicksal und deren Bestrafung der Zeit überlassen. Daß nämlich die bloße Trennung eine Strafe für die Belgier, darüber sind auch jetzt die Holländer einverstanden. Doch sonderbar genug scheint eben diese Ueberzeugung ihren leidenschaftlichen Unmuth noch zu vermehren, ihnen steht der Verstand still bei dem Unverstand der Belgier, die sich, wie sie meinen, um nichts und wieder nichts in den Strudel einer Revolution stürzten und freiwillig die Bande ihrer Wohlfahrt zerschnitten, ihnen läuft aber zugleich die Galle über bei dem Gedanken, daß sie aus Hochmuth von einem Volk verschmäht wurden, welches sie in moralischer und intellectueller Hinsicht – und das mit Recht – weit unter sich sehen. Und bei solcher Stimmung ward es dem Haager Hofe, den [123] der Verlust eines Königreichs schmerzte, möglich das ganze Land auf die Seite des Throns hinüberzubringen und den Gefühlen des Hasses und der Erbitterung gegen die Belgier nicht nur eine kriegerische Richtung, sondern sogar einen ritterlichen Schwung zu geben. Der König ruft – des Volkes Ehre ist verletzt, die Majestät des Throns beleidigt, hinaus zum Kampf für König und Vaterland, Tod den Hochverräthern und Meuterern, den ehr- und pflichtvergessenen Unterthanen der niederländischen Krone. Solche Stimmen hallten durch das ganze Land wieder, die Deputirtenkammer, die Zeitungen, die Theater wurden damit gefüllt, die Bänkelsänger sangen sie durch alle Straßen 1, und die Kinder, die Weiber in hellen Haufen bis spät in die Nacht zogen umher und schrien sie nach. Die Wilhelmsritter, die Beamten, die Kammerherren, die Adeligen waren natürlich nicht die Letzten, die mit einstimmten; theils liegt es in der Natur dieser Leute, königisch anzuklingen, theils fühlten sie, dem höhern Stande angehörig, der ohne Ausnahme bisher der belgischen Mode gefröhnt und fast eben so sehr, [124] wie der Belgier, von seiner Muttersprache und der alten Sitte des Landes sich losgesagt hatte, ganz besonders dazu sich aufgelegt, dem aufgeregten Volk Beweise ihrer alt-niederländischen Gesinnung lebhaft an den Tag zu legen und die Ersten zu sein, die sich selbst oder ihre Kinder in die Reihen der Vaterlandsvertheidiger stellten und ihr Scherflein zu den Bedürfnissen des Kriegs hergaben. Kein Mann aber hat die Köpfe in Holland mehr verdreht, als ein Franzose, der im Solde der Regierung und van Maanens am Journal de la Haye schrieb. Er unterzeichnete die Aufsätze, die er täglich lieferte, mit dem Buchstaben X., doch sein Name Charles Durand war Jedem bekannt. Dieser leichtsinnige Phrasendrechsler, der die Belgier persönlich haßte, aus Ursachen, worüber sehr nachtheilige Gerüchte umherliefen, übte durch seine pathetischen Declamationen einen so anerkannten Einfluß auf die Stimmung der Holländer 2 und besonders der jüngeren Leute von Erziehung, daß er in seinem eigenen Blatt späterhin sich öffentlich zu berühmen wagte, den Anstoß zum Feldzuge [125] gegen die Belgier gegeben zu haben. Er war Carlist, bekannte sich als Anhänger der alten classischen Monarchie und Literatur unter Ludwig dem Vierzehnten, stellte sich verliebt in die holländische Nationalehre, sprach von den alten holländischen Seehelden, wie ein Franzose vom Bayard, dichtete eine Hymne auf van Speyk, radotirte von Siegen oder Sterben, pries den Löwenmuth der holländischen Soldaten, rochräucherte tagtäglich dem haager Cabinet und schimpfte wie ein Rohrsperling auf Louis Philipp und William und durch Alles das verschrob er die Gemüther der Holländer und versetzte sie in jenen ritterlichen Paroxysmus, von dem ich oben sprach.

Wie lange dieser dauert? – Es wird vorüber sein, ehe man sich's versieht. Der Holländer wird einsehen, daß er zum Ritter nicht geboren ist, aber wohl zum vernünftigen Mann, der sich weder das Fell über die Ohren ziehen läßt, noch für ein Phantom seinen Nachbar mit Krieg überzieht, wenn er sich ehrlich und friedlich mit ihm verständigen kann. Der Holländer wird, was die Schelde und andere Streitpunkte betrifft, Vernunft annehmen; er wird es, denn er muß es, nach dem Princip: leben und leben lassen.

Fußnoten

1 Kein Lied wurde häufiger von diesen gesungen und wohlgefälliger angehört, als das Körnersche: der Ritter muß zum blut'gen Kampf hinaus.

2 Fast jeder Holländer aus dem Mittelstand kann so viel französisch, um die Zeitung in dieser Sprache zu lesen, sehr oft sprechen sie es äußerst geläufig.

Politische Zukunft
[126] Politische Zukunft.

Nach den Zeitungen, besonders nach der Zeitung von Breda und dem Journal de la Haye, nach der beständigen Opposition der holländischen Deputirten gegen die belgischen, so oft diese auf eine zeitgemäße Constitution drangen, ferner nach der Wuth, womit die holländische Nation über das constitutionelle Belgien herfiel, nach den Reden der Holländer über Louis Philipp, die Julitage, die Franzosen und ihre Constitution, nach dem Umstande, daß man in holländischen Kaffeehäusern nur selten liberale französische Blätter antrifft und die Gazette de France diejenige Pariser Zeitung ist, die am meisten in Holland gelesen wird, endlich, nach der Sprache, die sie über den Aufstand der Polen führten und hauptsächlich nach dem Eifer, womit sie die Ansprüche ihres souverainen Königs auf Belgien unterstützten, nach allem diesen sollte man auf den Gedanken gerathen, daß [127] das Princip derlegitimité und souverainité unter keinem Volk tiefere Wurzeln geschlagen, als unter den Holländern und daß gleichsam ihr Haß gegen das constitutionelle Nachbarland sich in Haß gegen alle Constitution verwandelt hat.

Allein ich kenne die Holländer zu gut, um ihnen dies Unrecht anzuthun. Noch ist er im Rausche, aber er wird sich bald die Augen ausreiben, und mit gewohnter Nüchternheit um sich her sehen. Er kann wohl, wie man gesehen hat, ein Raub der Leidenschaften, des Hasses und der Rache werden, allein nicht auf lange Zeit und kaum in dem Maße, daß er darüber seinen Vortheil ganz aus dem Gesicht verliert und – vielleicht schlägt ihm selbst der Krieg gegen Belgien besser zu Buch, als ich für meine Person einsehen und begreifen kann. Kein Volk ist mehr dazu geeignet, politische Freiheit in dem ganzen Umfange zu genießen, soweit Charakter und Sitte dieselbe zu genießen ihm wünschenswerth machen. Stolz auf seinen Ruhm und seine Geschichte ist er freimüthig, thätig, klug und immer für das, wobei ihm am, meisten herauskommt. Deswegen verjagte er in alter Zeit den König von Spanien, weil ihm, bei allem Glanz, den die Krone beider Indien auf die von ihr beherrschten Länder warf, kein rechter Segen wuchs. [128] Er besitzt durchaus keine Eigenschaften, welche auf die Dauer das Herz bethören und den Verstand gefangen nehmen. Er ist von Natur unempfänglich gegen den Witz, der den Franzosen besticht, wird nicht, wie dieser, vom Ehrgeiz angespornt und durch unruhige Träume von Schlachten und Kriegsruhm nicht in beständigem Zittern gehalten. Er hat keine Sinne, die sich bezaubern lassen, wie die Sinne des Italieners, der in der Kirche sich fromm, im Opernhause sich frei singen läßt. Er hat keine Phantasie, wie der Deutsche, die ihm Luftschlösser baut und ihm die wirkliche Welt vergessen macht, keine Phantasie, die, wenn es ihm erbärmlich geht, ihm zur Unterhaltung schöne Geschichten und Mährchen erzählt, die ihn speist, wenn ihn hungert, die ihn tränkt, wenn ihn dürstet, die ihn tröstet, wenn er klagt, die ihn zum Gott macht, wenn er ein Narr ist, zum freisten Menschen und wär' er in Ketten geboren, und also in summa, die ihm, wie dem Deutschen, Alles in Allem wäre. Dunkle Empfindungen, schöner oder häßlicher Art sind ihm fremd. Selbst die Liebe ist ihm, als Jüngling, keine Träumerei, kein Geheimniß, keine Idiosynkrasie des Gefühls, sondern eine Sache, die ihre guten Gründe hat, gleichwie der Haß, den Zwedenborg eine umgekehrte Liebe nennt, der ihm auch nicht [129] auf dunklem Grunde ruht und dem er sich eben so wenig aus einem bloßen Zuge der Natur, einer unerklärlichen Abneigung überläßt, als der Liebe, woher man auch von einem Nationalhaß der Holländer gegen die Belgier nicht in dem Sinne sprechen kann, wie man z.B. vom Nationalhaß der Dänen gegen die Schweden und umgekehrt spricht.

Kurzum, der Holländer hat Hörner, aber es hält schwer, ihm ein Seil um die Hörner zu werfen.

Man merke auf, wenn die Geschichte mit Belgien vorüber ist und sie wieder zur Ruhe kommen. Ich prophezeie lebhafte Debatten in den Kammern. Verantwortlichkeit der Minister, Abschaffung der ersten Kammer, volksthümlicheer Wahlgesetze werden die drei großen Gegenstände sein, worüber das Volk, die Zeitungen, die Schriftsteller und insbesondere die dem Volke angehörigen Deputirten der zweiten Kammer ihre Stimmen erheben werden. Der Hof, der Adel wird sich steifen, allein, es kann nicht fehlen, sie werden sich überzeugen, daß die französische Revolution, die Julitage, die Brüsseler Kammer, das kurze Kriegsspiel selbst, das die junge Mannschaft von Holland zu den Waffen rief und Bürgerliche und Adelige durcheinander mischte in den Grenzlagern, aus Holland ein ganz anderes Land gemacht haben, [130] als dasselbe zu den Zeiten der sogenannten Republik unter den Statthaltern war.

Schon jetzt hört man mehr als eine Stimme aus dem Volk, die laut und frei die Mängel und Uebelstände in der Verfassung rügt, Verbesserungen vorschlägt und in diesen gar nicht selten Ideen entwickelt, die ans Republikanische streifen und mit dem in Europa neuerdings ausgeprägten Begriff von constitutioneller Monarchie in Mißverhältniß stehen. »Aber so werden wir wieder eine Republik!« läßt einmal bei solcher Gelegenheit ein neuerer Schriftsteller seinen Leser ausrufen. »Nun,« antwortet er, »nun, wir Holländer werden doch nicht in Schreck gerathen über einen Namen, der unsere Vorväter berühmt gemacht hat.«

Derselbe beginnt dieselbe Schrift, die den Titel führt: »Niederlands Bedürfniß einer besseren Staatsverfassung« mit folgenden Worten, die mein Capitel schließen mögen:

»Was ist es doch,« ruft er aus, »daß ganz Holland zur Stunde der Gefahr um den Thron sich drängte, und so viele und so ansehnliche Opfer dargebracht hat. Ist es unsere Zufriedenheit mit dem sogenannten Grundgesetz und der an dieses geknüpften Staatseinrichtungen. Fühlten wir uns dabei so wohl zu einer Zeit, wo andere Völker [131] ihre Regierungen mit Klagen und Beschwerden bestürmten?«

»Nein, wahrlich nicht!« gibt er zur Antwort, und ich glaube, er antwortet nicht allein für sich, sondern im Namen der Nation.

Portraits der königlichen Familie
Der König
Der König.

Nicht liebenswürdiger habe ich den alten würdigen König gesehen, als an dem Tage, wo seine Söhne, der Prinz von Oranien und der Prinz Friedrich nach Beendigung des kurzen und glücklichen Feldzuges, unter dem Jubel einer Volksmenge, die vor Enthusiasmus außer sich war, in den Haag ihren Einzug hielten. Ich stand vor dem Thor, wo man die Prinzen erwartete, mitten in einem Volksgedränge, das sich wimmelnd durch alle Straßen, welche der Zug berühren sollte, nach dem königlichen Schlosse hinzog. Da reitet der König, rief ein Mädchen neben mir, das ist der König, wo ist der König, wiederholten mehrere Stimmen in der Nachbarschaft; jedoch, die Erscheinung des Monarchen ward nur von sehr Wenigen, wie es schien, bemerkt und er ritt, nachdem er sich umhergeschaut, bald wieder weg. Aber [133] welche Freude glänzte aus seinen Augen, als er umherschaute und die gespannte und fröhliche Unruhe einer Menge wahrnahm, die vor Ungeduld brannte, seine Söhne und vornämlich den Aeltesten zu begrüßen, ihn, der ihm bisher so viel Kummer gemacht, der noch vor einem Monat außer aller Volksgunst war und nun, mit Lorbeeren gekrönt, als Liebling eben dieses Volkes, als »Rächer von Hollands Nationalehre« triumphirend in seine Arme zurückkehrte. Sein an sich gutmüthiges aber ernstes Gesicht drückte die Freude selbst aus, kein Zug von königischem oder väterlichem Stolz, nicht die kleinste Falte als Zeichen der Bemerkung, daß man in diesem Jubel gar nicht auf ihn achte, noch weniger die geheimste Spur von der Verlegenheit eines Monarchen, der eine Kränkung persönlichen Ehrgeizes zu verbergen sucht, wenn er über einen andern – und Ehrgeitzigen ist selbst der Sohn ein Anderer – sich für den Augenblick in Schatten gestellt sieht, nichts von alledem, nur die reinste Freude, die froheste Selbstvergessenheit, deren das väterliche Herz in solchem Augenblicke fähig. Niemals, wie gesagt, ist mir der würdige Greis liebenswürdiger erschienen.

Er war schon als Prinz ein sehr liebenswürdiger Mann, gefällig von Aeußerm, gutmüthig, heiter und in gesellschaftlicher Unterhaltung so natürlich, frisch und belebt, als sein Vater, der letzte [134] Statthalter, schüchtern, steif und wunderlich gewesen sein soll. Auch hat sein Gesicht wenig Aehnlichkeit mit dem seines Papa's, das so ziemlich einem ausgestopften Käfer ähnelte. Mit den Jahren ist freilich auch Wilhelm der Erste sehr beleibt geworden, und mir fällt dabei ein, daß dies der Fall war bei allen nassauischen Statthaltern aus der frisischen Linie, aus welcher der König stammt; wogegen die vier Oranier von Wilhelm dem Ersten bis auf Wilhelm den Zweiten, diese beiden hauptsächlich, nur dünn und mager waren. Fett und Gemüthsruhe pflanzen sich oft in der Familie fort, wie das Gegentheil; vielleicht aber trug auch der Umstand zu dieser Erscheinung bei, daß die ersten Oranier ehrgeizig Strebende, die Letzten gemächlich Besitzende waren.

Die Unruhen von Belgien und der Abfall dieses Landes haben das Gemüth des Königs um so mehr gegen die Belgier erbittert, je weniger er sich anfangs überzeugen konnte, daß er persönlich von der belgischen Nation nicht geliebt, geschweige daß er gehaßt werde. In der That herrscht nur eine Stimme darüber, daß der König gleich von Anfang seiner Regierung den Handel, die Künste und Fabriken Belgiens mit besonderer Vorliebe begünstigte und zu keiner Zeit sich populairer, freundlicher und freigebiger zeigte,[135] als wenn er seinen Hofsitz zu Brüssel aufgeschlagen hatte. So gab er z.B., wenn ich nicht irre, 80,000 Gulden für das französische Theater in Brüssel her und nur zehn oder funfzehntausend für das französische im Haag. Man hat eine Gallerie von Scenen in Steindruck, in welcher seine fast täglichen jovialen oder wohlthätigen Begegnisse mit Bürgersleuten auf den Straßen und Spatziergängen in Brüssel dargestellt sind. Ludwig der Achtzehnte war sehr ärgerlich über diese Zuthulichkeit mit der Canaille; mein Bruder, der König von Holland, wirft sich weg, sagte er. Großen Dank freilich hat der König nicht geerntet. Allein erstens muß man die Menschen und zweitens die Belgier nehmen wie sie sind, und dann außerdem die Frage aufwerfen, hat der König nicht mit dem besten Willen Mißgriffe gemacht, die seine Feinde, die Pfaffen, benutzen konnten, um das Andenken seiner Wohlthaten und seiner Gunstbeweise in den Gemüthern des Volks damit auszulöschen. Die königlichsten Gunstbeweise ersetzen nicht die Klugheit, Vorsicht und strenge Gesetzlichkeit, womit ein Mann auf solchem Posten vor allen Dingen handeln muß. Auch Ludwig der Sechzehnte und Karl der Zehnte (den Gott für die Sünden der Könige um seinen Thron decimiren ließ) waren gute freundliche und bis zu der Zeit, wo die beiden Revolutionen [136] ausbrachen, persönlich unter den Parisern beliebte Monarchen. Der Leser wird verstehen, daß mir das Aergerniß vor Augen schwebt, das van Maanen den Brüsselern und der reformirte König der katholischen Geistlichkeit von Belgien gab. Der König legte das philosophische Collegium an, und beging damit denselben Regentenfehler, der den Kaiser Joseph um die Niederlande zu bringen drohte. Der König und seine Räthe und Minister, sie hätten zunächst bedenken sollen, daß eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, daß aber zur Sommers zeit Schwalben genug anziehen, oder, mit andern Worten und ohne Bild, daß einer und der andere junge katholische Priester, im philosophischen Seminar gebildet, den religiösen und sittlichen Zustand der ganzen Nation noch nicht umzugestalten fähig gewesen, daß aber nach vorsichtiger Lichtentfaltung auf den Schulen und Universitäten, in Schriften und öffentlichen Blättern und mehr als Alles das auf jenen tausend unsichtbaren Wegen, auf welchen der Zeitgeist in die niedrigste Strohhütte und die dümmste Bauernseele sich wundersam verbreitet, daß die bessere und aufgeklärtere Zeit auch aufgeklärtere Männer in den Beichtstuhl und auf die Kanzel gebracht hätte. Außerdem aber bedachte Wilhelm zu wenig, daß schon der Name philosophisches Collegium den stock-katholischen [137] Belgiern klingt, wie Teufelscollegium, da ihnen Philosophie nichts Aergeres bedeutet, als Freigeisterei und Gottlosigkeit. Das philosophische Collegium ist aber nicht der einzige Mißgriff in geistlichen Sachen, den der König sich zu Schulden kommen ließ, er zeigte überhaupt in dieser Rücksicht zu wenig Schonung, zu wenig Zartsinn, zu wenig Vorsicht. Er und seine Holländer thaten zu protestantisch bedauerlich mit den »armen – in katholischer Finsterniß liegenden Belgiern.« Es schien, sie konnten vor Ungeduld im Aufklären kaum die Zeit und den Tag erwarten, an dem der düstre Schatten, der in der That die Stirn des Brabanters faustdick zu bedecken scheint, von ihm wich. Es ist wahr, der Belgier ist ungeachtet der Julitage von 1830, in die er sich durch einen Sprung versetzen zu wollen schien, so unglücklich, drei Jahrhunderte in der Geschichte zurück zu sein. Ihre Leiber sind stark und gewandt, ihre Schultern breit, ihre Stirn wie von Eisen, aber hinter dieser Stirn liegt die Verdumpfung eines Geistes, den so lange Zeit hindurch kein neuer Wind der Lehre aufgerüttelt hat, und in ihrer Brust ängstigt sich ein Herz; das in eben so langer Zeit durch kein hohes Gefühl, keine frische That mit Mannesmuth und kecker Lebenslust erfüllt wurde. Ihre Vorfahren, die gegen Spanien unterlagen, haben durch [138] das, was sie thaten und litten, sich in der Geschichte selbst über diesen Unfall vor Gott und Menschen verantwortet. Sie tragen die Schuld nicht, daß ihre Nachkommen so sind, wie sie sind; eben so wenig aber diese, daß ihre Väter freiere, herzhaftere und glücklichere Menschen waren. Es ist wahr, der Freund der Freiheit muß sich gegenwärtig ihrer schämen, wie der Freund der Humanität es bedauern muß, daß in so gesegnetem Lande so viel Unsegen, bei so von der Natur begünstigten Menschen so viel Geistes-und Genußunfähigkeit sich eingeschlichen hat. Es ist wahr, der Belgier Verstand ist bedeckt und finster, aber, und das hätte sich der König bedenken sollen, eben deswegen ist er auch argwöhnischer, kleinlicher und empfindlicher, wenn es ihm scheint, daß Jemand ihn für das hält, was er ist und zu sein dunkel ahnt. Es müßte ihm aber nicht blos scheinen und schimmern, daß der Holländer, ihm sonst in so vielen Stücken und selbst in der äußeren Erscheinung untergeordnet, ihn in Betreff der Religion und Aufklärung vom hohen Pferd betrachtete, sondern er konnte es verblümt und offen in Zeitungen und Blättern, die von der Regierung besonders begünstigt waren, täglich lesen, daß Mönche und Pfaffen seinen Verstand im Meßsacke hätten.

Genug davon. Tielemans und de Potter [139] theilten sich bekanntlich in den Inhalt dieses Sackes, und machten mit der Geistlichkeit gemeinschaftliche Sache. Ihr gedruckter Proceß ist bekannt, er wirft ein ziemlich helles Licht in die Umtriebe der Zeit, zugleich aber einen nicht undeutlichen Schatten auf des Königs Benehmen in politischer Hinsicht. Was Tielemans, de Potter und andere belgische Revolutionaire von der Regierung damals verlangten und erwarteten, war billig und wird nach Verlauf einiger Jahre den treugebliebenen Holländern buchstäblich gewährt werden müssen. Daß Tielemans, de Potter und die Andern sich in Intriguen einließen, sogar mit den Pfaffen einen jesuitischen Bund schlossen, bin ich weit entfernt, zu loben. Daß aber die vorsätzliche Halsstarrigkeit der holländischen Deputirten, an der jeder Vorschlag, der aus dem Munde eines Belgiers kam, verabredeter Maßen scheiterte, daß insbesondere die Felsentaubheit der Regierung, von der man mit Bestimmtheit wußte, daß sie alle Bitten und Vorschläge zur Genehmigung einer Constitution gänzlich überhören würde, daß diese beiden Umstände die Verschwörung, wenn man sie damals so nennen konnte, herbeiführten; ja, daß sie in Verbindung mit dem Verhaßtsein des Justizministers, die wahren und nächsten Ursachen des Abfalls der belgischen Provinzen waren, das, glaube ich, wird[140] jeder unbefangene Leser aus dem erwähnten interessanten Briefwechsel mit großen Buchstaben herauslesen.

So wenig also der König, vor seinem Gewissen, alle Schuld ausschließlich auf die Belgier werfen und sie des schwärzesten Undanks und Verraths beschuldigen kann, so wenig ändert dies doch meine Gefühle von Beileid, die ich seinem Alter, seiner moralischen Würde und seiner Gutmüthigkeit beim Verlust seines geliebten Belgiens, eines der beiden Hauptjuwelen aus seiner Krone schuldig zu sein glaube. Möchte ein Tacitus, an meiner Stelle, den König Wilhelm geschildert haben, wie er wollte – und nach der Schulrede eines deutschen Professors, worin derselbe absolut beweisen will, Tacitus habe die Freiheit eben nur darin gesetzt, daß man ruhig unter einem absoluten Fürsten lebe, hätte Tacitus wohl noch einige glänzendere und breitere Lorbeerblätter um des absoluten Königs von Holland Stirn geflochten – ich habe keinen Ehrentitel für ihn hingeschrieben, den ich ihm nicht für voll gelten lasse. Sein ältester Sohn, denn von der Königin nachher,

Der Prinz von Oranien

ist, seinem Aeußern nach, ein kleiner, schmächtiger Mann von zierlicher Taille, der aber immer noch[141] Hoffnung hat, wenn er älter wird, gleich seinem Vater und seinen Vorfahren, wohlbeleibt und fett zu werden. Sein Kopf ist schon ziemlich kahl, aber sein Backenbart und vor Allem sein lebhaftes Auge und rothes, frisches, freundliches Gesicht lassen dies, wenn man ihn in Gesellschaften sieht, leicht vergessen und übersehen. Sein Mund ist groß, ich möchte sagen, preußisch, aber er spricht geläufig, rasch und eben so soldatisch ungezwungen, wie er sich benimmt. Er ist ein Freund der Geselligkeit, liebt eine gute Tafel, französische Weine, englische Pferde, die er immer Galopp reitet und die schönen Frauenzimmer aller Nationen. Doch in diesem Punkt scheint er in der neuesten Zeit ernsthafter geworden zu sein; man sagt, daß er gegenwärtig seiner Frau treu ist und mit ihr im besten Verständnisse lebt. Er mag überhaupt nach den letzten Schicksalen, die ihn, seinen Vater und das Königreich betrafen, zu dessen künftigem Herrscher ihn das Loos der Erstgeburt erkoren hat, sinniger, nachdenklicher und zurückgezogener geworden sein, als er es vor Zeiten war. Die Schritte, die er that, um sich an die Spitze der belgischen Revolution zu schwingen, sind so auffallend, als bekannt. Der Bruch mit seinem Vater, mit der holländischen Nation war unvermeidlich. Er verbannte sich, als seine Versuche [142] sich zum König von Belgien zu machen, Versuche, bei welchen er sich mehr erniedrigte, als man hätte von seinem edlen und offenen Charakter erwarten sollen, am wegstoßenden Hohn der Belgier völlig scheiterten, unter diplomatischem Vorwande nach London, wo ihn sein Freund und Beschützer, der Herzog von Wellington, unter dem er in Spanien und bei Quatrebras gefochten, frischen Muth einsprach und ihm mit Freundesrath an die Hand ging. Ob der Feldzugsplan, den er nach seiner Rückkehr so rasch und überraschend gegen die zerstreuten belgischen Truppen ausführte, von Wellington, von ihm, oder einem Dritten herrührt, vermag ich nicht zu entscheiden. Der preußische Oberst Scharnhorst, den ich darüber befragte und der selbst, aber fälschlich, wie er öffentlich versichert hat, für den Verfasser gehalten wurde, wollte mit Bestimmtheit wissen, daß dem Prinzen ausschließlich sowohl Entwurf als Ausführung angehörten. Eben so unentschieden bleibt es mir, ob der Feldzug aus den in dem bekannten Kriegsmanifeste angegebenen Ursachen, oder nur deswegen von der Regierung und dem Könige beschlossen wurde, um dem Prinzen von Oranien Gelegenheit zu geben, sich wiederum mit der holländischen Nation zu versöhnen. Letzteres halte ich freilich für wahrscheinlich. Auf jeden Fall ist ihm dies geglückt. [143] Dieselben Bürger, die sich zur Zeit seiner Rückkehr aus England vorgesetzt hatten, ihn nicht zu grüßen (obgleich sie doch immer den Hut vor ihm abnahmen, nur nicht so tief) sie lieben und bewundern ihn jetzt, nach so wohlfeil gepflückten Lorbeeren, als den Helden von Niederland und würdigen Enkel des großen Nassauers.

Der Prinz Friedrich der Niederlande
Der Prinz Friedrich der Niederlande.

Er sieht seinem Bruder schon im Aeußern wenig ähnlich und ist ihm sonst in Allem entgegengesetzt, nur nicht in persönlichem Muth und gutmüthigem Charakter. Er ist blaß, hager und mager, und zwar von der Art, die wenig Hoffnung läßt. Er sieht ernsthaft nüchtern aus, ist auch von ernsthafter und bedächtiger Natur und weit weniger unternehmend und lebenslustig, als sein Bruder. Glücklicher Gatte, sparsamer Haushalter, fleißiger Arbeiter (er sitzt von Morgens früh bis Abends spät in den Collegien, denen er präsidirt) genießt er die allgemeinste Achtung, obgleich im geringern Grad die Liebe der Nation. Der Prinz von Oranien wäre ein König für die Belgier, der Prinz Friedrich ein König für die Holländer gewesen.

Die Königin
Die Königin.

Die Königin ist lang, blaß, schmal, eine hängende, leidende Gestalt von unendlicher Güte, [144] die den strengen Ausdruck ihrer Gesichtszüge, in den Augen eines Jeden, der sie eine Weile betrachtet, in Milde, Zärtlichkeit und Wehmuth auflöst. Sie ist bekanntlich eine Schwester des Königs von Preußen, und man möchte sagen, sie trägt den Schmerz der preußischen Monarchie nach der Jenaer Schlacht noch immer auf ihrem Gesicht. – Ihre Schwiegertochter

Die Prinzessin von Oranien

ist eine liebenswürdige ernste Gestalt, auf deren schneeweißer Stirn sittliche Ruhe und Heiterkeit thronten. Schlank, üppig und wenn auch nicht schön, doch sehr gefällig und reizend, dabei von blendender Haut stellt sie sich sehr würdig als Großfürstin von Rußland dar. Ihre und des Prinzen Kinder, fünf oder sechs an der Zahl, sind gesund, liebenswürdig, ohne Ausnahme von gutmüthigem Gesicht und schön gewachsen, wie sie selber.

Die ganze Familie, Großvater, Großmutter, die Prinzen Wilhelm und Friedrich mit ihren Gemahlinnen und Kindern, die Prinzessin Marianne, einzige Tochter, an den Prinzen Albert von Preußen verheirathet, sind auf einem Steindruck versammelt, der ein Familienzimmer darstellt. Ich sah dies Stück oft vor den Fenstern der Buchladen im Haag und Betrachter in Menge, die [145] auf die einzelnen Personen mit Fingern deuteten und ihre Namen nannten. Vom kleinsten Jungen wissen die Haager den Namen, wie sie bei dessen Geburtstag den ganzen Tag mit den Glocken läuten. Die Haager sind dafür bekannt, daß sie immer am lautsten: Oranje boven! schrieen.

[146]
Delft und die Familiengruft der Nassauer
Delft und die Familiengruft der Nassauer.

Bei gutem Wetter bin ich sehr oft vom Haag aus nach der benachbarten Stadt Delft gegangen, aber das erste Mal auf der Trekscheute 1 gefahren; denn ich fühlte große Neugier, es einmal mit diesen holländischen Gondeln ohne Schnabel zu versuchen. Sechzehn derselben gehen täglich zwischen dem Haag und Delft nach Rotterdam u.s.w. Welcher Verkehr. Unter einer[147] Trekscheute denke man sich ein Schiff, aus dem ein länglicher, oben flacher, an den Seiten schräger Kasten aufsteigt, der vorn für Ballen, Kasten und arme Leute, hinten für den Steuermann und die Bewohner des Rufs, die frische Luft schöpfen wollen, einigen Raum übrig läßt. Das Schiff ist grün und weiß gemalt, auf der Decke des Kastens aber schwarz, denn diese, die auch zum Spatziergehen dienen kann, obgleich der Schiffer, Capitain genannt, dies nicht gern sieht, ist belegt mit einer Lage Theer, der mit Steinchen und Muscheln fest getreten ist. Der Raum faßt ein dreißig, vierzig Personen, der Ruf (roof) aber nur zehn bis zwölf. Das Schiff wird im gelinden Trapp von einem Klepper gezogen, der von de jaager, dem Jäger, geritten wird. Doch, ich bitte Johanna Schoppenhauer um Verzeihung, daß ich ihrer neuesten vollständigen Beschreibung einer Trekscheute noch diese Skizze hinzugefügt. Verdrießlich ist das viele Bücken auf dem Deck, wozu man sich draußen gezwungen sieht, um den Stricken anderer Schiffe zu entgehen und nicht von ihnen erdrosselt, oder über den Hals geschnitten zu werden. Eine holländische Gegend muß man aus der Trekscheute betrachten, welche Canal entlang streicht, wie eine italienische Gegend auf dem Rücken der Berge und eines Saumthiers, eine russische [148] im Schlitten. Denn erstens sitzt man bequem und behaglich, zweitens sitzt man eben in der Trekscheute und hat den Schiffer und andere schmauchende Mijnheers beständig im Gesicht und also eine fortdauernde Personenstaffage, die der holländischen Landschaft so eigenthümlich angehören, wie die Weiden am Ufer, die Kühe im Grase, die eckigen Lusthäuserchen und Landsitze im Grünen, die weite Aussicht in der Ferne und die nach allen Himmelsgegenden zerstreuten Mühlen. Die wenigsten von den Mühlen, die man auf dem Wege nach Delft und sonst in Holland (am dicksten und bei Tausenden gesäet hinter Amsterdam) sieht, sind Kornmühlen, die meisten Papiermühlen, Schnupftabacksmühlen, Oelmühlen, Pulvermühlen, hydrotechnische Mühlen u.s.w. In 11/4 Stunde, oder, wie der Holländer sagt, in fünf Quartier brachte mich die Trekscheute nach Delft.


Delft ist die todteste Stadt von Holland. Es wohnen allerdings viele reiche Mijnheers darin, die von den Renten eines Vermögens leben, das ihre Vorväter wohl meistens aus Indien sich holten. Aber sie halten sich mäuschenstill hinter den Vorhängen ihrer Häuser, das größte irdische Glück, dem sich der reich gewordene Holländer [149] überläßt. Ein Capital in der Bank und ein Haus in Delft, seufzte der Holländer, der mich, als wir aus der Scheute gestiegen, noch durch einige Straßen begleitete; er trug einen abgeschabten Rock und sah fast ruinirt, aber glücklich aus, als er dies sagte.


Es scheint, als wäre diese Stadt nur darum so still und todt, um die großen Todten, die hier begraben liegen, nicht aus ihrem Schlaf zu wecken. Wilhelm von Oranien und Hugo Grotius liegen einige Schritt von einander im Chor der neuen Kirche zu Delft, Maarten Tromp und Pieter Hein in der alten. Das Familiengrab der Nassauer steht in der Mitte, Wilhelms Epitaphium steigt prachtvoll, aber steif daraus hervor. An den vier Seiten desselben halten vier erzgegossene Genien über ihn Wache, der Glaube, die Gerechtigkeit, die Freiheit und die Vorsicht mit dem Dornenknittel in der Hand. Auf der Vorderseite schwebt eine andere weibliche Gestalt, ebenfalls in Erz gegossen, und in Betreff der Kunst wohl die merkwürdigste, da sie, wie groß und schwer sie ist, nur auf einer Zehe ruht. Wilhelm von Oranien liegt in Lebensgröße ausgestreckt auf dem Grabe, von geschickter Hand sehr fein, und nach allen Originalbildern zu urtheilen, die ich von ihm [150] gesehen 2, lebenstreu ausgearbeitet. Sein Gesicht ist nur klein und hager, und seine Stirn gefurcht von den Linien tiefer Berechnung. Seinen kahlen Schädel deckt wie gewöhnlich ein Käppchen. Finster kann man die Züge dieses großen Mannes durchaus nicht nennen, er war auch im Leben umgänglich, freundlich und gesprächig, und wurde nur deswegen derschweigende genannt, weil er seine versteckten Absichten und Pläne Niemand verrieth. Dagegen hatte sein Sohn und Nachfolger Moritz ein finsteres Gesicht und etwas von dem Lauernden, Tückischen und Gewaltsamen, was man an Tyrannengesichtern sich zu denken pflegt. Die röthlichen Haare trug er fast auf moderne Art gescheitelt, woran er auf dem schlechtesten Holzschnitt gleich zu erkennen. Friedrich Heinrich sah mehr gutmüthig, als geistreich aus; er zeigte sich auch, besonders im Alter, nicht von der unternehmendsten Seite. Wilhelm der Zweite hatte das schönste Gesicht unter den Nassauern. Von Geist und Charakter konnte er wenig Proben ablegen, da er durch einen Sturz vom Pferde im Jünglingsalter starb. Die Bilder dieser Nassauer findet man gemalt und gestochen in großer Menge [151] durch ganz Holland, und ich zweifle nicht daran, daß jeder Schulknabe sie kennt. So hat auch die Kunst, obgleich von den ersten Nassauern nicht sehr begünstigt, das Ihrige dazu beigetragen, um diese Familie, selbst während der Zeiten, als sie verjagt war, bei den Holländern in frischem Andenken zu halten.

Dem Monument Wilhelms gegenüber, an der Wand, steht das marmorne Denkmal, das die Stadt Delft ihrem Hugo Grotius errichtet hat. Hugo de Groot ist geborner Delfter, und die Stadt mag sich mehr seiner rühmen, als Rotterdam des Erasmi – Schleichers, den ich schon deswegen nicht ausstehen kann, weil er den todtkranken Hutten in Basel niederträchtig behandelte. Dialektischer und schärfer mag sein Hirn gewesen sein, als das Hirn des Grotius, aber so große Gedanken hat es nicht gefaßt, wie Grotius in seinem de jure belli et pacis zu Tage legte. Erasmus hatte vielleicht noch mehr gelehrtes Leder, als Hugo Grotius, allein ich gebe um gelehrtes Leder noch weniger, als um Katzenfell, aus dem doch, gestreichelt, elektrische Funken herausspringen. Und Hugo Grotius war im Besitz jener männlichen Gelehrsamkeit, die sich hoch über den Schulstaub erhebt und mit der Kraft eines ungeschwächten Geistes ins Leben eingreift, ähnlich [152] aber noch weniger Pedant, ähnlich unserm Niebuhr, der ebenfalls eine massenhafte Gelehrsamkeit männlich zu beherrschen verstand. Hugo Grotius war Staatsmann, Niebuhr Staatsrath. –


In der alten Kirche zu Delft liegen Maarten Tromp und Pieter Hein. Ihre marmornen Denkmäler sind geschmückt mit Trophäen aller Art, die auf ihre Seesiege Bezug haben. Beide liegen steif ausgestreckt auf ihren Särgen, in der Cajüte haben sie gewiß nicht so gerade gelegen. Maartens Kopf ruht auf einer Kanone, ein besseres Kopfkissen hat er sich nie gewünscht. Schade, daß nicht de Ruyter hier der dritte Mann ist; dessen irdische Ueberreste befinden sich aber auf Seeland in der Familiengruft, Wassenaars im Haag, anderer großen niederländischen Seehelden zu Amsterdam und Rotterdam.


Zu den merkwürdigen Männern, die in Delft geboren wurden, zähle ich auch den bekannten David Joris, der einmal als Haupt einer wiedertäuferischen Secte viel Aufsehen gemacht hat. Bekanntlich predigten die Wiedertäufer des sechzehnten Jahrhunderts, den Hauptstücken nach, so ziemlich dasselbe Evangelium, was die Saint-Simonisten in unserer Zeit, nur mit dem Unterschiede, daß Jene sich gefürchtet, diese sich lächerlich machten. [153] Ein Saint-Simon ist ist kaum der Schatten eines alten Wiedertäufers, und Joris von Delft, oder Jan van Leiden würde sie nicht als ihre Schüler betrachten. Jan van Leiden ist unter uns bekannter, spielt doch noch heutzutage der Wind mit dem Käfich oben am Thurm zu Münster, worein er lebendig eingesperrt wurde und nun seit einigen Hundert Jahren als Gerippe hängt. Jan van Leiden war blutdürstiger, wilder, er betrug sich als König wie ein Vieh. Dabei hatte er ein verzerrtes häßliches Gesicht, und ich bedaure Niemand mehr, als die armen zitternden Weiber, die in seine Hände fielen. David Joris hingegen war ein bildschöner Mann, mit gedankenvoller Stirn, fein gebogener Nase, trotzig sicherm Munde und mit dem reichsten und krausesten Barte, der nur je einem sterblichen Manne vom Kinn bis auf die Brust herabrollte. Früher ein geschickter Glasmaler, lebte er später wie ein Fürst von den Geschenken oder dem Tribut der Gläubigen, die ihn als ihren Messias anbeteten. Die Weiber waren in ihm weg und er verführte eine große Anzahl Jungfrauen aus allen Ständen. Aus Delft verbannt flüchtete er nach Basel, wo er bis an sein Ende die kostspieligste Wirthschaft führte und vermuthlich aus Holland immer neue Schätze bezog, während er von seiner Seite Trostschreiben und [154] Hirtenbriefe dorthin sandte. Er wußte sich in Basel sehr auf der Hut zu halten, spielte den großen Herrn, umgab sich mit einer zahlreichen Dienerschaft und stand mit den Vornehmen der Stadt auf dem besten Fuß. Erst nach seinem Tode ward das Geheimniß seiner Person in Basel entdeckt, der Senat ließ seinen Körper aus geweihter Erde wieder ausgraben und that ihm allen möglichen Schimpf an, was er auch geduldig ertrug.


Auffallend ist die Beredtsamkeit im Munde dieser Männer, sie ging wie ein Strom aus ihnen heraus und riß ihre Zuhörer aus dem Volk gewaltsam hin. Man traut das in der Regel Holländern nicht zu, weil man sie für zu phlegmatisch und schweigsam hält. Allein, im Gegentheil, Volksberedtsamkeit ist ihre starke Seite. Davon kann man sich überzeugen, wenn man in die Kirche oder auf den Kirmis geht. Die holländische Sprache hat vier Töne in der Macht, welche unfehlbar in den großen Haufen einschlagen, den beweglichen und kläglichen Ton, den pathetischen und prahlenden Ton, den dumpfen Geisterton und den spaßhaften Kasperleton. Mit diesen vier Tönen der Sprache oder des Organs kann der Redner aus dem gemeinen Volke machen, was er will; daher die holländischen Demagogen äußerst [155] gefährliche Leute sind, wie die Rederijker 3 und die spätern Patrioten bewiesen.

Fußnoten

1 Holl. trekschuite. Ui spricht wie oi, also eigentlich Trekschoite, Ziehschiff. Fast alle Doppellaute werden anders ausgesprochen, als geschrieben. So lautet ou wie au, z.B. gouda, Gauda; ij wie ei, z.B. rijden wie reiden; eu und eeu wie ö, z.B. leeuw = löw; oe wie u, z.B. goed = gud; dagegen lautet unser u wie ü; z.B. lugt sprich lügt – g spricht der Holländer aus der Gurgel, wie ch; sch; westphälisch, wie s – ch; z weicher wie s. u.s.w.

2 Eins, von Franz Miereveld, hängt in Delft selbst auf dem Rathhause, das man, seiner alten Gemälde wegen, sich zeigen lassen muß.

3 Die Rederijker sind eigentlich eine versifiicirende Zunft, die in früherer Zeit Aufzüge und romantische Possen zum Besten gab. Sie verspotteten die Spanier und Alba. Jan van Leiden und Joris waren in ihrer Heimath Rederijker gewesen, und man bemerkte, daß der Erstere schon damals am liebsten Könige spielte.

Leiden
[156] Leiden.

Die erste Frage, die ich bei meinem Besuch in Leiden that, war: »wo habt ihr Schill's Kopf.« Der Leser muß wissen, daß der Kopf des unglücklichen Mannes, schändlich zerhauen, wie er ihn in seiner Todesstunde sinken ließ, von Stralsund durch die holländischen Truppen nach Holland kam, wo er zu Leiden in eine Spiritusflasche gesetzt, unter Mißgeburten aufbewahrt wurde. Auf der Anatomie von Leiden hat er gestanden noch im Jahr 1817, und der König, für den dieser Tollkopf fiel, hatte ihn bis dahin noch nicht abgefordert. Wo habt ihr Schill's Kopf, fragte ich also den Famulus. »Er ist seit einigen Jahren aus der Anatomie verschwunden, man weiß nicht wie, durch wen und wohin; vermuthlich hat ihn Jemand gestohlen.« »Das ist gut,« antwortete ich, »so brauche ich nicht der Dieb zu sein.«

Von der Anatomie in Leiden und gar von [157] dem ungeheuern Naturaliencabinet erwarte man von mir keine Beschreibung. Letzteres ist, wie in Göttingen die Bibliothek, das einzige Residuum von Leidens ehemaligem Ruhm und gelehrter Größe. Gegenwärtig kein eminenter Mann unter allen Professoren. Den Saal des akademischen Gebäudes, dessen Wände von oben bis unten mit den Bildern jener alten Herren behangen sind, habe ich gesehen, wenn auch nicht mit dem heiligen Schauer betreten, wovon Niebuhr einst sprach, als er uns Studenten in Bonn seine Empfindungen beim Eintritt in diesen Saal schilderte. Boerhave achte ich am meisten, er hat ein rothes, rusticoses Gesicht. Scaliger halte ich für den besten Kopf. War es nicht Scaliger, der bei Anwesenheit eines deutschen Kaisers seinen Doctormantel abwarf und, um dem Kaiser vom Kriegstanz der alten Griechen, der Pyrrhichia, einen anschaulichen Begriff zu geben, diesen Tanz mit allen möglichen Feinheiten und Schwenkungen vor den Augen des erstaunten Kaisers aufführte? Ich glaube, ja.

Merkwürdig scheint es mir, daß die Philologie in Aegypten entsprang und in Holland vorzüglich blühte. Eratosthenes war bekanntlich der erste große Pedant, der sich Philolog nannte, Ruhnkenius vielleicht der Letzte, der dieses Namens im alten Sinne würdig war.

[158] Die Holländer – ich will bei dieser Gelegenheit einmal abspringen – haben überhaupt viel Aehnlichkeit mit den alten Aegyptern. Schon das sumpfige Element, das Land, das sie bewohnen, die Luft, die Canäle, Dämme, Schleusen, Trekscheuten, Schein, Nil, die wimmelnde Menschenzahl, in Aegypten auf 800 Quadratmeilen, noch unter den Ptolomäern etwa 20000 Dorfschaften und sieben Millionen Menschen, in Holland, das ist in Nord-, und Südholland auf 100 Quadratmeilen, Dünen, Moor und Seen mitgerechnet, ein 800,000 Menschen. Und diese selbst, die Aegypter hager und olivenfarbig, die Mijnheers in der Regel hager und käsefarbig; die Aegypter gute Mathematiker und Geometer, die Holländer ebenfalls; die Aegypter gute Aerzte, die Holländer ebenfalls; die Aegypter berühmt wegen Verfertigung des Papiers, der Leinwand, des Töpfergeschirrs, die Holländer ebenfalls; die Aegypter äußerst mäßig im Essen, die Holländer ebenfalls. Doch haben sie auch ihre Unähnlichkeiten, und die hauptsächlichste ist, daß der Holländer, so trocken er sein mag, dennoch das Feuchte liebt und viel trinkt, was der Aegypter nicht thut. Der Holländer tunkt seinen Zwieback in Thee, sein Ruder in die See, seinen Geist mitunter in Humor und seinen Pinsel bald in den Theertopf zum [159] Anstreichen eines Schiffes, bald auf die nasse Farbenpalette, um Meisterwerke der Kunst hervorzubringen. Der Aegypter haßte und fürchtete die See und hämmerte und steinhauerte lieber, als er malte.

Hunger ertragen kann der Holländer eben so lange, als der Aegypter oder Jude; deß Zeugniß sind die holländischen Belagerungen im sechzehnten Jahrhundert. Die Belagerung von Leiden ist in dieser und anderer Hinsicht so interessant, daß ich ihr das folgende Capitel allein anweise.

Studenten waren nur sehr Wenige in Leiden zurückgeblieben, sie standen mit denen von Utrecht und Groningen im Grenzlager und machten den dreitägigen Feldzug mit, wobei sie einen ihrer Cameraden verloren. Ich glaube, es sind in den Schlachten von Löwen und Hosselt nicht zehn Mann geblieben. Ein Student hat in dem jährlichen Musenalmanach der Universität Leiden die Begebenheiten und Abenteuer des Studentencorps in diesem Kriege dargestellt; es ist unglaublich, wie wohlfeilen Kaufs die Holländer mit dem Sieg davongingen. Mit tausend holsteinischen Bauern hätte ich es der holländischen Armee ein wenig schwerer gemacht. Die holländischen Schütter wollten sogar einmal nicht vorwärts, bis ihr Anführer ihnen die Fahne vorauftrug und sie auf diese [160] Weise dazu nöthigte. Aufrichtig gestanden, ich glaube, daß die Holländer ganz gute Belagerungstruppen vor und in der Festung sind; als solche haben sie sich auch in Spanien unter Papa Chassée beim Sturm von Saragossa gezeigt, und im Nothfall werden sie dies auch bei etwaniger Belagerung Mastrichts oder der Citadelle von Antwerpen darthun; allein für Marsch-und Schlachttruppen halte ich sie nicht.

Später sah ich die Leidener Studenten auf ihrer Heimkehr zu Leistendam, einem am großen Canal zwischen Delft und Leiden gelegenen freundlichen Dorfe, wo sie übernachteten. Es war ein heitres Volksfest, die Brücken, die Häuser erleuchtet und in der Mitte des Canals, der im wiedergespiegelten Feuer sich mit zu freuen schien, eine Bande Musikanten, die patriotische Lieder aufspielten. Die jungen Leute spazierten theils draußen unter dem Volk umher, theils saßen sie mit ihren Wirthen und deren Familie am Tisch, aßen, zechten, sangen und waren guter Dinge. Die Vorhänge und Gardinen, die sonst immer dicht zugezogen sind, waren den Abend gelüftet und Jeder konnte in die Stube hineinsehen und die innere Wirthschaft nach Herzenslust betrachten. Das fand ich hübsch von den Holländern. Ich verließ dies schöne Fest mit bewegtem Herzen – ich dachte an [161] die Heimkunft unserer deutschen Jünglinge aus dem »heiligen Kriege,« an den Volksjubel, an das Entzücken ihrer Eltern, Geschwister, Bräute, an ihr eigenes Entzücken, ihren Stolz, ihre Hoffnungen – und denselben Tag hatte ich in der Zeitung den Namen des verbannten Follenius gelesen. –

Die Leidener Studenten, die den andern Tag festlich in Leiden einzogen, begleitete ich mit dem Wunsche, den Gebrauch der Waffen nicht zu verlernen 1.

Fußnoten

1 Bekanntlich machten sie bisher ihre Uneinigkeiten mit Stöcken aus.

Die Belagerung von Leiden
[162] Die Belagerung von Leiden.

Leidens Belagerung macht einen denkwürdigen Abschnitt in der holländischen Geschichte. Zum ersten Mal scheiterte die spanische Macht vor einer holländischen Stadtmauer. Vom Oktober 1573 bis zum März 1574 lag der spanische Oberst Valdez mit einem starken Heer vor der Stadt und schnitt zu Lande und zu Wasser ihr alle Zufuhr ab, wodurch er die Bürgerschaft in die grenzenloseste Noth, aber nicht zur Uebergabe brachte. Nachdem die Belagerten alle Hunde, Katzen, Ratzen und Mäuse, die sie fanden, als Leckerbissen verzehrt, fristeten sie ihr Leben durch Baumblätter, die sie in Salz und Essig tunkten. Nur einmal bemächtigte sich ihrer die Verzweiflung. Männer, Weiber, Kinder, Greise, ein langer Zug von Geistern, schleppten sich hohläugig und mit versagenden Knieen nach dem Rathhause und forderten unter Geschrei und Drohungen entweder Brod, oder offene Thore. Der [163] vorsitzende Bürgermeister trat hervor und sprach: »Bürger, ihr wißt, ich habe meinen letzten Bissen mit euch getheilt. Jetzt nehmt mich selber hin, schlachtet mich, viertheilt mich, stillt euren Hunger mit meinem Herzen; aber die Stadt übergebe ich nicht. Bürger, ich beschwöre euch, gebt der Hoffnung noch einige Frist, denn die Hülfe ist nahe.« Nach diesen Worten legte sich der Aufruhr. Die Bürger erschüttert, weinend, umfaßten die Knie ihres Bürgermeisters, vertheilten sich wieder in ihre Häuser, auf die Wälle, um aufs neue zu streiten und zu hungern.

Van der Werf heißt der Mann, dessen Seelengröße in diesem entscheidenden Augenblick die Stadt und höchst wahrscheinlich ganz Holland rettete. Wunderbarer Erfolg eines raschen, großen Gedankens, dem ohne Zweifel wirkliche Hingebung zu Grunde lag. Denn mehr als Wort und rednerische Blume muß das gewesen sein, was er sprach. Niemand speist verhungerte Menschen mit Worten ab. Niemand flicht dem Tiger, Hunger genannt, eine Kette aus Blumen der Beredtsamkeit. Ein hungriges Volk zum Aufbruch der Bäckerladen zu reizen, dazu braucht man weder Demosthenes noch Cicero zu sein. Um aber den Rest edler Gefühle, um Scham, Mitleid, Muth, Hoffnung, im blutlosen Herzen eines verhungerten [164] Volks aufzuwecken, dazu muß man mehr sein, als Cicero und Demosthenes, mehr als Redner, ein Mann der That. Van der Werf war ein solcher. Er that für Leiden dasselbe, was Ripperda für Harlem. Er gehörte zu den Männern, von denen man sagt, daß sie ganz allein vor die Bresche treten. Nicht genug kann man des Prinzen von Oranien Scharfblick rühmen, der gerade die tauglichsten, entschlossensten Männer im kritischen Augenblick dorthin postirte, wo viel, ja Alles von ihnen abhing. Beide, van der Werf und Ripperda, waren Partisane des Prinzen, und vom Ersteren weiß ich sicher, daß er Wilhelm seine Stelle verdankte.

Nun höre man auch den Verfolg und das glückliche Ende, das van der Werfs standhaften Muth und der Bürgerschaft Entsagungen krönte. Ins Mittel schlugen sich der Zufall und das Schicksal, der Zufall in Gestalt eines Mädchens und das Schicksal in der Person des Prinzen von Oranien, den man wohl mit Recht das personificirte Schicksal der nördlichen Niederlande nennen kann.

Der Zufall oder ein Mädchen auf folgende Art. Der Anführer des spanischen Belagerungsheeres, Franz Valdez, hatte sich verliebt in eine schöne Haagerin und machte ihr den Hof. So [165] viel Zeit er sich abmüssigen konnte im Lager, brachte er in den Armen seiner Geliebten, im benachbarten Haag zu. Während dessen ereignete sich in der belagerten Stadt oben erzählter Vorfall. Valdez, mehr als je von der Entmuthigung und Erschöpfung der Bürger überzeugt, beschloß allgemeinen Sturm. Zufällig aber ging dem Tage, den er zur Ausführung dieses Plans anberaumt, eine Gesellschaft zu Ehren seiner Geliebten vorher, der er sich nicht entziehen mochte, weil er dies Fest selbst veranstaltet hatte. Er entschlüpfte nach dem Haag und fand Magdalena Moons – das war der Name seiner Geliebten, die auch späterhin seine Frau ward – aber nicht in der heitersten Stimmung. Unruhig fragte er sie nach der Ursache ihrer Trauer. Ich sollte nicht traurig sein, sagte Magdalena. Ich weiß Alles. Morgen läßt du stürmen, und eine Stadt, die ich liebe, wo ich so viel Freunde und Verwandte habe, wird vom Jammergeschrei der Beraubten und Gemordeten wiederhallen. Warum ich nicht heiter bin? Wie kann ich jemals in meinem Leben wieder froh und heiter werden, wenn du dein Vorhaben glücklich ausführst. – Ach die Stimme, die Klage, die Thräne eines Mädchens, das wir in den Armen halten und das ihr Gesicht von uns abwendet – auch Valdez fühlte ihre Kraft und Bezauberung. Er [166] gab ihr auf der Stelle heimlich das Versprechen, nicht zu stürmen, Leiden überhaupt nicht im Sturm einzunehmen. Um so eher glaubte er, was die Liebe ihm abnöthigte, mit der Pflicht zu reimen, um so überzeugter er ohnehin war, es werde die ausgehungerte Stadt von selbst und ohne Verguß eines Bluttropfens in Kurzem sich ergeben.

Der Mensch denkt, Gott lenkt. Niemals machte ein Gast unter dem Monde so sehr seine Rechnung ohne den Wirth, als Franz Valdez vor Leiden. Der Prinz von Oranien war kein müssiger Zuschauer von der Belagerungsscene gewesen. Ohne hinlängliche Landmacht nicht im Stande, den Spaniern auf gewöhnlichem Wege auf platter Erde und trockenem Boden die Spitze zu bieten, hatte er sich ein zuverlässiges, obwohl kostbares Mittel ausgedacht, seine Absicht, die Entsetzung der bedrängten Stadt, zu erreichen. Zu Delft, seinem gewöhnlichen Aufenthalt, ließ er eilig eine Flotte zimmern, eine Art Floßschiffe mit niedrigem Boden, ungefähr hundertundfunfzig an der Zahl. Diese bemannte er mit seinen seeländischen Wassergeusen, die damals zuerst ihr Schild mit der Umschrift, lieber türkisch als papistisch, auf den Hut steckten, und nachdem er die Staaten von Holland zur Durchstechung der Maas- und Ysseldeiche bewogen – eine Ueberschwemmung die sieben [167] Tonnen Goldes zu stehn kam – ließ der auf dem zum Wasser gewordenen Lande seine Flotte nach Leiden auslaufen. Die nichts ahnenden Spanier wurden plötzlich durch den seltsamsten und wunderbarsten Anblick der Welt in Schreck und Staunen gesetzt. Sie hätten, bemerkt Strada, diesen Vorgang bewundert, wie die Römer ihre Schauspiele, in denen sich vor den Augen des Volks Wälder und Felder auf einen Wink in Seen und der Kampf zu Lande in ein Seetreffen sich verwandelten, hätten sie nicht zugleich bemerkt, es sei das neue Element mit seinen schwimmenden Soldaten nur zu ihrem Untergang heranbeschworen. Dennoch gaben sie nicht gleich die Hoffnung auf, sich zu halten, wenn gleich die, die Stadt durch Hunger zu bezwingen, gleich Anfangs zu Wasser wurde, indem Frachtschiffe mit Lebensmitteln aller Art glücklich in die Stadt drangen. In diesem Augenblick zeigte sich der spanische Soldat seines Alba würdig. Unverzagt machten sie den Versuch, das an- und aufschwellende Wasser einzudämmen, und dem doppelten Feind die Spitze zu bieten. Aus den niedrigen Verschanzungen beinahe mit Gewalt herausgeschwemmt, flüchteten sie in die höheren, und wie einst nach Cäsars Commentarien die Nervier gegen Quintus Cicero, so gruben sie mit ihren Schwertern in die Erde und trugen [168] Erdklumpen in Helm und Harnisch zusammen. Doch alle Mühe half zu nichts. Des Wassers wurde immer mehr und mehr und eine plötzliche Springfluth, die mit Westwind heranstürzte, erhöhte die Gefahr. Sie mußten flüchten. Doch eben die Flucht war Vieler Tod. Man denke sich das Schreckliche ihrer Lage und das Mißverhältniß des Kampfes, sie zu Fuß, ihre Feinde und Verfolger zu Schiff. Das Wasser ging ihnen an den Nabel, mitunter bis an den Mund und durch ihre aufgelösten Reihen, kreuz und quer schifften die Wassergeusen und trieben mit ihnen mehr die blutige Kurzweil eines Fischfanges, als sie auf einen menschlichen Zweikampf sich einließen. Die Spanier wurden im eigentlichen Sinn harpunirt wie die Fische, denn die Holländer warfen Stricke mit eisernen Haken nach ihnen aus und zerrten sie todt oder lebendig, im Fleisch oder nur an Hosen und Wämsern in die Böte, wo sie über einander aufgeschichtet lagen. Dennoch, in dieser Todesnoth, fehlte es einigen Spaniern nicht an Muth und Geistesgegenwart. So ergriff ein harpunirter Feldwebel, der, für todt angesehen, im Boote lag, ein Beil zu seinen Füßen, stürzte sich wie das Wetter unversehens auf die gräßlichen Fischer, hieb den ersten, zweiten, dritten von hinten zu Boden, jagte die übrigen ins Wasser und kam mit mehreren[169] Spaniern, die er unterwegs aufnahm und rettete, glücklich und wohlbehalten bei der Hauptmacht des Valdez an.

Ich kann diese Darstellung nicht schließen, ohne zugleich der glücklichen Folgen zu gedenken, welche die ruhmvoll überstandene Gefahr für die Stadt Leiden hatte. Die Universität war die erste und unmittelbare Folge. Die Stiftung derselben durch den Prinzen von Oranien, der den Einwohnern die Wahl zwischen ihr und Abgabenfreiheit auf eine Reihe von Jahren überließ, fällt gleich ins Jahr 1575, also kaum ein Jahr nach Abzug der Spanier. Eine andere Folge war das Herbeiströmen der in den katholischen Niederlanden bedrängten und verfolgten Wollarbeiter, die in Leiden einen erprobten und sichern Zufluchtsort sahen. Zu diesen kamen in späterer Zeit die refugiés Ludwigs des Vierzehnten. Dadurch allein kam die Stadt so sehr in Flor, daß sie eine Zeit lang mehr Hände mit Wollspinnen allein beschäftigte, als gegen wärtig leider Gabel und Messer darin führen. Denn die Gewerbe der Stadt sind seit dem Utrechter Frieden eben so heruntergekommen, wie die Universität, weil, wie es scheint, die Industrie in Holland überhaupt aus Mangel an nationalem Kunstsinn und rechter Kunstbefähigung keine Wurzel fassen kann. Zahlen werden die Zu- und Abnahme [170] am schnellsten erläutern: 14,000 Menschen zur Zeit der Belagerung, wovon 6000 darauf gingen; 80,000 zur Zeit des westphälischen Friedens, kaum 30,000 gegenwärtig. Auch die Universität wird im Durchschnitt nur von 450 Studenten besucht. Früher machten allein die Engländer, die zu Leiden hörten, eben so viel und mehr aus.

Harlem
[171] Harlem.

Die holländischen Städte unterscheiden sich weniger durch ihren Anblick, als durch ihren Geruch. Schiedam und Gouda (Gauda) z.B. sehn sich ähnlich, wie ein Holländer dem Andern; allein Gouda riecht nach Käse und gebrannten Pfeifen, Schiedam nach gebranntem Wacholder. Es ist nämlich mit den holländischen Städten nicht so, wie mit den deutschen, daß man an einem Orte eine mannigfache, für Stadt und Umgegend hinreichende Industrie treibt; hier hat vielmehr jede Stadt ihr ausschließliches Getriebe, das sie sich untereinander nicht streitig machen. So ist Gouda die einzige Stadt in Holland, welche die bekannten, weit verführten holländischen Pfeifen backt, wozu sie den Thon, wenn ich nicht irre, aus dem nördlichen Brabant erhält. So Schiedam die einzige Stadt, welche Genever brennt und nicht allein Holland und die Holländer, sondern auswärtige [172] Liebhaber in großer Anzahl mit diesem Getränke versorgt: Thurm und Häuser sind schwarz vom ewigen Dampfe, selbst die weißen Mützen und Schürzen der Weiber sehn nicht so reinlich aus, wie anderswo.

So kann man sagen, daß Amsterdam vorzugsweise nach Pfeffer, Delft nach Töpfen, der Haag nachOranjen und vor Allen Harlem nach Blumen und Blumenzwiebeln riecht. Ich zog im Frühling in dieses Reich der Flora ein, ward vor den Thoren wie ein König begrüßt, hundert und aber hundert Blumenbatterien bewillkommten mich und schossen aus Millionen Kelchen und Duftschlündchen das feine Pulver ihrer Wohlgerüche ab. Ja, hier hat die Göttin ihre Residenz aufgeschlagen, hier, wo die Winde, wie anderswo über Kartoffelfelder, über Hiazinthenfelder, Rosenfelder, Tulpenfelder wehn, hier hat sie ihren Sitz, ich will sagen, hier schwebt sie nicht, wie in unsern Gärten eilfertig und mit nachlässiger Hand aus ihrem Füllhorn Blumen streuend vorüber, hier weilt sie, hier sitzt sie, hier verrichtet sie, um holländisch naiv zu sprechen, ihre Blumennothdurft.

Harlem ist das holländische Schiras, das Harem der Blumen. Seine Gärtner sind reiche Sklavenhändler, welche die rosigen und tulipanischen [173] Schönheiten für die Harems der Vornehmen und Reichen auferziehen. In früherer Zeit ging der Handel mit den süßen Geschöpfen beinah ins Unglaubliche, es kostete eine schöne Hiazinthe, eine schöne Tulpe in der That nicht viel weniger, als eine schöne Georgierin oder Tschirkassierin. Die Bildnisse der reizendsten Blumen wurden, sauber gemalt, an verliebte und verrückte Blumenprinzen in Europa umherversandt. Noch jetzt sind aus den Registern der harlemmer Blumenhändler die erstaunlichen Preise zu ersehen, wofür diese und jene Blume verhandelt worden. So kostete die Tulpe, genannt Admiral Liefkees, ihrem Liebhaber 5200 Gulden, und eine andere, der Semper Augustus ward mit 4500 Gulden bezahlt. Es gab Jahre, in welchen die Stadt Harlem ein zehn Millionen im Blumenhandel stecken hatte.

Gegenwärtig, da die theuerste Hiazinthe nicht den Preis von zehn bis funfzehn Gulden übersteigt, kommt uns die Geschichte von einer solchen blumenrasenden Zeit kaum glaublich vor, sie klingt wie ein Mährchen aus tausend und einer Nacht. Allein als wirkliche und nur zu sehr beglaubigte Thatsache, gibt sie den Stoff zu sehr ernsthaften Betrachtungen und zwar zu solchen, die über den Charakter des vorigen Jahrhunderts, das unsinnig erworbene Reichthümer eben so unsinnig wieder [174] vergeudete, kein sehr vortheilhaftes Licht werfen. Menschen, dachte ich, als ich an den Blumengärten und Landhäusern Harlems vorüber dem Thor zufuhr, Menschen, die so viel Werth auf eine Blume setzen, sind mehr als Thoren, sind Egoisten, setzen wenig oder keinen Werth auf ihre Mitmenschen, auf die schöneren Blumen der Humanität. Ferner, eine Zeit, die solche Blumennarren in ihrem Schooße trug, war unfähig, große öffentliche Charaktere zu erzeugen.

Ich führte aber bei dieser Gelegenheit meine Betrachtungen noch weiter, ich blieb nicht bei der einzigen Liebhaberei für Blumen stehn, ich dachte an das ganze Liebhaberwesen und dessen schädlichen Einfluß auf Sitte und Gesellschaft. Wir sind, sagte ich zu mir, noch viel zu duldsam gegen diese kleinlichen Abarten und Zerrbilder der Liebe, die wir Liebhabereien nennen. Einige derselben entschuldigen wir, andere finden wir ganz natürlich, noch andere sogar lobenswerth. Allein, geben wir Acht, es verbirgt sich eine Schlange unter den Blumen. Jede Liebhaberei, so grün und unschuldig sie aussieht, ist von Haus aus gefährlich, thut über kurz oder lang, Abbruch der wahren Liebe. Je mehr geliebhabert, desto weniger geliebt, das Wort möchte ich zum Sprichwort machen. Frauenzimmern verzeihe ich ihre Liebhabereien noch [175] eher, als Männern. Betrachtet nur die Männer, von denen man sagt, daß sie ihr Steckenpferd reiten – ein scherzhafter Ausdruck, mit dem wir über die Sache wegzulächeln gewohnt sind. Betrachtet sie, ihr geselliges, öffentliches Leben, was sie thun und treiben, wie sie von der Welt berührt werden und wieder auf die Welt einwirken, ihr werdet von den Resultaten eurer Beobachtungen nicht sehr erbaut sein – verschrumpfte Gefühle, engherzige Ansichten des Lebens, Eigensüchteleien, Unempfänglichkeit für die großen Gegenstände der Zeit, die jedes Mannes Brust heben und erweitern sollten. Es ist daher wahrer, als auffallend, daß kränkelnde und verfallende Abschnitte der Geschichte sich gleich durch die wachsende Zahl ihrer Liebhabereien symptomisch verrathen, ja daß solche Zeiten eben deswegen schlecht und unwürdig sind, weil sich alle Liebe der früheren Zeit in Liebhaberei aufgelöst, weil die himmlische Liebes- und Lebensflamme, die ein Volk durch alle Adern des gesellschaftlichen Körpers durchglühte, in die Asche des Egoismus versank. Athen und Rom liefern Beispiele solcher Zeiten, in denen der öffentliche Geist erlischt, alles Heilige, Schöne und Große der Vorzeit, wie Bilder im gebrochenen Spiegel, verzerrt erscheint, und wo man von den Menschen nicht mehr sagen kann, daß sie für etwas begeistert [176] sind, sondern höchstens, daß sie auf etwas versessen. Welches Urtheil soll man zum Beispiel fällen von jenen Atheniensern, die einem fremden Abenteurer Tausende von Bildsäulen errichteten, die sie hinterher zerschlugen? Soll man die unerhörte Menge der Bildsäulen als Beweis anführen, daß die Kunstliebe der Athenienser aus dieser Zeit die Kunstliebe der Athenienser aus der Zeit des Themistokles und Perikles überstrahlte, oder soll man nicht eher darin ein Zeugniß erblicken, daß die echte Kunstliebe damals eben so tief gesunken war, als das Gefühl für die Ehre und den Ruhm des Staates, und soll man nicht eine Strafe der Götter darin sehen, welche die edelste Leidenschaft, die Liebe für die Kunst, in den Wahnsinn der Kunstliebhaberei verwandelten, als die Athenienser sich ihrer früheren Gunst unwürdig betrugen? Und jener römische Senator, der sich lieber in die Verbannung stoßen ließ, als daß er es übers Herz brachte, dem Sulla seinen Siegelring abzustehn – erkennt man in ihm den Enkel des Mutius Scävola, der sich den Finger mit der Hand absengen ließ, um einen Tyrannen, der sein Vaterland bedrohte, in Furcht zu setzen?

Welche tolle, welche abgeschmackte, welche lächerliche, welche grausame Liebhabereien bezeichnen den Verfall der römischen Weltstadt, von [177] Sulla bis zum gänzlichen Sturz derselben. Gladiatorenspiele, Thierkämpfe, Wagenrennen, Fischteiche, falsche Haare, goldene Häuser, Knabenschande und hundert andere Verirrungen, die man in dem einen Nero sich personificirt denken kann. Ja, sieht man, daß so Alles in dieser Zeit im verzauberten Irrgarten der Liebhaberei umhertaumelt, so wird man ungewiß, ob man selbst den Dolch, den Brutus in seines Wohlthäters Brust tauchte, für den echten Dolch des alten Brutus oder für ein falsches Liebhaberinstrument halten soll, ähnlich dem goldnen Schlägel, mit dem der in die Musik verliebte tolle Kaiser auf öffentlicher Schaubühne die Zither rührte. War Brutus in die Freiheit verliebt, wie Nero in die Musik, ich wage es nicht zu entscheiden; nur so viel muß ich gestehn, seine That hat mich nie begeistert.

Aehnlich verfallen war auch die Zeit, die auf den westphälischen Frieden folgte, jene schlechte Zeit, aus deren egoistischem Mistbeete nicht allein die obenerwähnte Blumenliebhaberei hervorwuchs, sondern ein Wald verkrüppelter Neigungen und Liebhaberpilze, die kein gesundes Gewächs neben sich aufkommen ließen. Die Religion, was war sie anders zu dieser Zeit, als eine Liebhaberei theologischen Dogmengezänkes, was anders die Politik, als eine Liebhaberei eitler Ceremonien und [178] listiger Verspinnungskünste, die Philosophie, als eine Liebhaberei lateinischen Wortschwulstes, die Poesie, als eine Liebhaberei des Versedrechselns, die Kunst selbst, z.B. die Bildhauerkunst, als eine Liebhaberei, die Natur zu verschneidern und eine Paradepuppe an die Stelle der Göttin zu setzen. Und die Liebe der Kunst, was war sie anders als Liebhaberei der Reichen und Vornehmen für glänzende und kostbare Privatcabinette? Wie Plinius in seiner für die Sittengeschichte Roms so merkwürdigen Naturgeschichte die Kunstsammelwuth seiner Zeitgenossen beurtheilt und richtet, ist sicher manchem meiner Leser bekannt. Wir Neuern sind andern Sinnes in diesem Punkt. Wir beloben und preisen den Kunstsinn reicher und vornehmer Herren, die es sich viel Geld kosten lassen, um die Wände ihrer Gallerien mit Gemälden, ihre Mappen mit Kupferstichen, ihre Schieber und Glaskästchen mit Münzen, Medaillen und geschnittenen Steinen anzufüllen. Wir beloben sie dafür, denn, sagen wir, die Liberalität dieser Männer gereicht der Kunst und den Künstlern eben so sehr zur Aufmunterung, als dem Publicum zum Vergnügen und den Liebhabern zur Geschmacksbildung. Plinius dagegen ging von einem ganz verschiedenen Gesichtspunkt aus. Wo wir Kunstsinn sehen, sah er Eitelkeit, was wir Liberalität nennen, [179] nannte er Hochmuth, was wir bezeichnen als Verdienst ums Publicum, bezeichnete er als eine Versündigung an der res publica. Ohne Zweifel, wir werden seinen Gesichtspunkt theilen, sobald wir nur ein wenig aus der Dämmerung unserer Begriffe über das öffentliche Leben und über bürgerliche Tugenden in den altgriechischen und altrömischen Tag hineintreten. Bis dahin können wir vorläufig wenigstens eins zur Einsicht bringen, daß nämlich die Kunst- und Cabinetliebhaberei des vorigen Jahrhunderts (im siebzehnten und sechzehnten gab es noch wenige Privatcabinette) so viele Tonnen Goldes sie auch für Gegenstände der Kunst vergeudet hat, weder dieser noch den Künstlern zu gut gekommen, sondern nur zur Bereicherung der Mäkler und Kunsthändler gedient hat. Die alten bewunderten Künstler, deren Arbeiten man mit Gold aufwog, hatten gelebt und waren gestorben, dem größten Theil nach, in seliger Armuth. Sie nahmen die Kunst mit ins Grab und kein Ducatenregen war im Stande, sie wie der zu befruchten; auch wird sie dort begraben liegen trotz aller Protection königlicher Gönner und Liebhaber und nicht eher auferstehn, als bis ihre Zeit gekommen, bis ein neues Geschlecht seine Liebe ihr zuwendet und der frische Lebenswind sie von ihrem Leichengeruch befreit. Denn die Liebe [180] und nur die Liebe ist es, die schafft und belebt, Liebhabereien sind todt und unfruchtbar, taugen nichts, taugen den Teufel nichts, so schön sie sich auch bemänteln.

Man halte mir meinen Eifer zu gut, ich berührte da die ernsthafte Seite, die das Unwesen der Liebhabereien darbietet, und es schien mir an der Zeit zu sein, einmal ein ernstes Wort darüber zu sprechen. Die Liebhaberei ist eine Schwäche, bald des Verstandes, bald des Herzens, am öftersten beider zugleich. Schwächen verzeihen wir nur zu leicht, sind sie noch dazu liebenswürdig, so möchten wir sie an unsern Freunden kaum missen. Unleidlich finden wir nur diejenigen, die mit unsern eigenen Schwächen in Collision gerathen; dann ziehn wir ein Gesicht, wie der Vogelsteller, wenn er den Jäger mit der Büchse heranschleichen sieht.

Viele Liebhabereien, ja die meisten, haben aber auch ihre komische, von den Lustspieldichtern noch keineswegs erschöpfte Seite. Holland allein besitzt noch Fundgruben von Liebhabernarrheiten, die so ergiebig sind, daß man den Spaß mit Händen davontragen kann. Das holländische Lustspiel würde sich ihrer erfreuen, wenn es ein holländisches Lustspiel gäbe. Es gibt ansteckende Liebhabereien und ich selbst bin durch die Holländer [181] zu zweien verführt, die für Kupferstiche und – für harlemmer Leinewand, die aber beide glücklicher Weise für mich zu kostspielig sind, als daß ich große Gefahr dabei laufen sollte. Ich kann jedoch versichern, daß in einem halb Dutzend Mappen mit Kupferstichen, und ein Paar Dutzend feinen zu Harlem gebleichten Hemden großer Reiz für mich liegt. Seitdem ich aber gehört und auch selbst in Erfahrung gebracht, daß die harlemmer Leinwand ihre schimmernde Weiße einer gewissen Lauge verdankt, welche den Faden anfrißt und das Leinen weniger haltbar macht, als z.B. das schlesische, so bin ich nachdenklich geworden über diesen Punkt, und seitdem ich in Betrachtung gezogen, daß man für ein 70 bis 80,000 Gulden allerdings eine erträgliche, ziemlich vollständige Kupferstichsammlung anlegen kann, wie z.B. der Minister van Stolk im Haag eine ähnliche besitzt, ich aber immer um den letzten Gulden in Verlegenheit sein würde, so habe ich mich entschlossen, mich vorher erst durch einen steinreichen und kinderlosen Mijnheer adoptiren zu lassen, ehe ich es auf eine dergleichen Sammlung anlege.

Jedoch, die Erwähnung der harlemmer Leinewand erinnert mich daran, daß ich dies Capitel nicht »Liebhabereien,« sondern »Harlem« überschrieben habe. Man sollte fast denken, daß ich [182] über Harlem nichts zu sagen wüßte, da ich mich so leicht bei Gelegenheit der harlemmer Blumen in eine allgemeine Betrachtung verlor. Großes Unrecht hat man nicht. Was ich über die Gärtnerei, die Bleichen, den berühmten Blumenkohl, das harlemmer Holz und dergleichen anführen könnte, haben deutsche Reisebeschreiber sehr gründlich und ausführlich beschrieben, zuletzt noch Herr von Grouner in seiner landwirthschaftlichen Reise durch die Niederlande. Nach Thümmel's harlemmer Wirthin habe ich mich nicht erkundigen mögen. Als ich zur Kirmiszeit in Harlem war, und vor dem Thor spatzieren ging, glaubte ich in der That das Gesicht ihrer Tochter oder Enkelin zu erkennen, es leuchtete mir so etwas vor dem offenen Fenster eines Wirthshauses, und die Trompeter und die gaffenden und einströmenden Holländer fehlten auch nicht. Es ging im Kirmis sehr bunt her, aber Alles ohne Geräusch, was einen seltsamen Eindruck auf den fremden Beschauer macht, der sich seiner heimathlichen Marktfeste erinnert. An jenem Tage sah ich die Blüthe der nordholländischen Mädchen in der Stadt und im Holz versammelt, blühende, goldne Gesichter, freundlich anlachende Augen, Kleidung national-holländisch, wodurch sie von den Südholländerinnen, die auch blässer und kleiner sind, sich unterscheiden. Sie[183] kamen in Familie angefahren auf zierlichen bunten Wagen, oder Bruder und Schwester, Braut und Bräutigam im engen Cabriolet, worin nach holländischer Sitte das eine Bein des Mädchens kaum anderswo Platz findet, als auf dem Schenkel des Fuhrmanns. Wegen der Nähe Amsterdams hatten sich viele Amsterdammer Familien zum Feste eingestellt. Dabei fällt mir eine Anekdote ein. Ich saß des Nachmittags mit mehrern holländischen Mijnheers und Mijfrouws im Harlemmer Holz vor der Thür eines Hauses, wo wir in gemächlicher Ruhe das wandelnde, fahrende und reitende Publicum betrachteten, nur einmal sprang die Gesellschaft auf, um dem in einer alten Staatscarosse mit vier Pferden vorüberfahrenden Gouverneur der Provinz Nordholland durch Bücklinge und Knixe ihre Ehrerbietung zu bezeugen. Neben mir saß ein schwarzgekleideter Mijnheer, dem der Marqueur, sobald er ihn erblickt hatte, mit ungewöhnlichem Diensteifer und unter mehrern Scharrfüßen eine weiße Pfeife reichte. Mijnheer nahm sie an, spie vorläufig so geschickt in den Kopf, daß es einen eigenen gellenden Pfiff erregte, stopfte und drückte langsam Tabak hinein, schnippte mit den Fingern, hielt die Pfeife an den vorgehaltenen Fidibus, drückte wieder den Tabak zurecht, damit es überall gehörig anbrenne und blies [184] dann in langsamen und abgemessenen Zügen feine Knasterwolken vor sich hin, ohne Jemand aus der Gesellschaft weiter anzusehen. Desto aufmerksamer ward er von den Andern betrachtet und, wie ich bald merkte, als ein Mann von Bedeutung, als »der Hauptbaas« in der Gesellschaft. Neugierig erkundigte ich mich nach diesem Mann, als mir der Marqueur (Jan oder Jantje heißen die Aufwärter ein für allemal) eine Tasse Thee brachte. Nun hätte man das wichtige Gesicht, das der Mensch machte, sehen sollen. Er fuhr mit der grünen Schürze über den Tisch hin, und vergewisserte sich erst, ehe er mir Antwort gab, durch einen Blick, ob Mijnheer Acht auf ihn gebe. Darauf drehte er seinen Mund spitz wie eine Pfefferdute und flisterte mir, indem er halb überm Tische lag und seinen Kopf nach mir aufrichtete, beim Wischen gelegentlich zu: fijotig millionen, mijnheer van – ich habe den Namen vergessen – uit Amsterdam. – Ich kann nicht daran denken, ohne herzlich zu lachen, beim Wiedererzählen freilich verfliegt das Beste.

Harlem ist eine der schönsten und saubersten holländischen Städte, und zeichnet sich überdies vor allen andern durch die Zierlichkeit ihrer gothischen Thore aus. Mit Leiden streitet sich Harlem um einen zwiefachen Ruhm, erstlich um den, die [185] meisten und größten Künstler des Landes sei's erzeugt, sei's begastet zu haben, und zweitens um den der Ausdauer und Tapferkeit zur Zeit der Belagerung durch die Spanier. Hatten auch die Harlemmer nicht dasselbe Glück, wie die Leidener, ihre Stadt durch eine Flotte entsetzt und gerettet zu sehn, so haben sie doch durch die verzweiflungvollste Gegenwehr ihren Feinden den Sieg und die Einnahme der Stadt sehr theuer verkauft; zehntausend Spanier zogen weniger ins Thor, als gehofft hatten, wenn anders, wofür ich nicht stehe, die Zahl der umgekommenen Belagerer nicht übertrieben. Wybout van Ripperda heißt der Oberste von Harlem, der sieben Monate lang (1572–1573) die wüthenden Angriffe der Spanier zurückschlug, die Seele der Besatzung und der Bürgerschaft war, den spanisch gesinnten Stadtrath absetzte, Nacht und Tag unverdrossen gegen innere und äußere Feinde anging, endlich, nicht aus freien Stücken, sondern gedrängt und gezwungen durch die Bürgerschaft, die Stadt übergab, und vom spanischen Henker mit dem Schwert hingerichtet wurde. Sein Bildniß, gemalt von Franz Hals, Ostade's Lehrer, hängt in der Amsterdammer Gallerie; man stutzt, wenn man davor tritt, so »lebenslebendig« sieht Herr Wybout van Ripperda einen an und aus seinen feurigen Augen, [186] seinem brandgelben, kecken, struppigem Gesicht erkennt man gleich den Mann, der, wenn's gilt, Alles auf die Würfel setzt.

Hier zeigen sich die Harlemmer als Belagerte, sie haben sich aber auch, wie es in den Chroniken der Stadt und des Landes verlautet, schon in viel früherer Zeit in der umgekehrten Rolle als Belagerer gezeigt. Man frage nur einen Harlemmer Bürger, was es mit dem silbernen Schwert im Stadtwappen für eine Bewandniß habe; da wird man eine merkwürdige Geschichte zu hören bekommen. Die Harlemmer, mein Herr, wird er sagen, machten unter Graf Floris (Florens) den großen Kreuzzug mit, den Kaiser Friedrich und der König von Frankreich und Richard Löwenherz von England mit vielen andern Fürsten und Herren nach dem gelobten Lande anstellten. Die Harlemmer fuhren auf ihren eignen Schiffen dahin, und als der Kaiser und Richard die Stadt Damiette von der Landseite belagerten und angriffen, thaten die Harlemmer dasselbe von der Seeseite. Allein die Landmacht konnte eben so wenig etwas ausrichten, als die Seemacht, denn die Stadt hatte feste Mauern und Thürme und zum Hafen war der Zugang gesperrt durch eine eiserne Kette, welche die Ungläubigen von einem Thurm zum andern ausgespannt hatten. Darüber verging die Zeit [187] und Kaiser und König wurden sehr ungeduldig. Da fanden die Harlemmer einen neuen Rath und machten unten am Kiel der Schiffe eine stählerne Säge mit sehr scharfen Zähnen und warteten auf einen großen Sturmwind, kamen also mächtiglich gegen die Hafenkette gesegelt und, mein Herr, vermöge der großen Schiffslast haben sie die Kette gesprengt und aller christlichen Prinzen Fahrzeuge in den Hafen der Stadt Damiette eingeführt. Und dieser klugen That verdanken die Harlemmer das silberne Schwert in ihrem Wappen, der Kaiser Friedrich hat es ihnen geschenkt und der Patriarch von Jerusalem noch das Kreuz davorgesetzt.

Die Harlemmer sind große Aufschneider. Vor Damiette sind die Harlemmer gewesen, das unterliegt keinem Zweifel; allein daß sie mit Sägeschiffen die eiserne Kette vor dem Hafen Damiette's gesprengt, das ist freilich lustig anzuhören, unterliegt aber bedeutendem Zweifel, so, daß selbst die holländischen Gelehrten, welche gelegentlich dieser Historie gedacht haben, bei aller Achtung, die ihnen der erfinderische Kopf der Harlemmer einflößt, ungläubige Worte fallen lassen und die Geschichte beinahe für ein Mährchen halten.

Ueberhaupt, im Mährchenerzählen sind die Harlemmer stark. Man braucht sie nicht viel zu [188] bitten, so erzählen sie dem Fremden ein anderes Mährchen, das noch viel unglaublicher klingt, als das von den Sägeschiffen. »Es war einmal ein Harlemmer Küster oder Rathsherr, oder gar Burgemeister, der ging einmal im Harlemmer Holz spatzieren und schnitzte zufällig aus Buchenästen u.s.w.« Dasselbe ist etwas weitläuftig und ich spare es daher für das folgende Capitel auf.

Der Harlemmer Koster
[189] Der Harlemmer Koster.

»Es war einmal ein Küster zu Harlem, hieß Lorenz Koster, der ging einmal im Harlemmer Holz spatzieren und schnitt zufällig Buchenäste ab und schnitzte Buchstaben daraus und mit solchen hölzernen Buchstaben setzte er bei seiner Zuhausekunft A b c büchlein für seine kleinen Enkel.

Es war aber der Küster ein erfindungsreicher Kopf und führte diese ersten rohen Versuche der Druckerkunst mit der Zeit immer weiter, nahm Blei, dann Zinn statt Holz, erfand mit Hülfe seines Schwiegersohns die Buchdruckerschwärze und druckte größere Sachen. Nahm auch Druckergesellen in sein Haus und unter andern einen gewissen Faustus aus Deutschland. Dieser schlechte Mensch aber stahl seinem Herrn in der Christnacht Presse, Preßbengel, sämmtliche Lettern, kurz alles Druckergeräth, und flüchtete sich über Amsterdam nach Mainz, wo er auf seinen Namen fortdruckte. Den [190] Koster, als er sah, daß ihm Ehre und Verdienst geraubt, ergriff tiefe Schwermuth, so daß er kurz darauf Todes verblich.«

So berichtet im Wesentlichen Junius in seiner Batavia illustrata, die im Jahr 1588 herauskam; aber ich habe die Stelle abgekürzt, sein Bericht ist viel länger, viel ergötzlicher und gegen das Ende weit kläglicher, als der meinige. Dieser Junius oder de Jonghe, war ein holländischer Alterthümler, ohne Kritik und Schärfe, voll kindischer Faseleien und aufgedunsener lateinischer Phrasen. Er hatte, wie er versichert, obiges Mährchen gehört von seinem alten Lehrer, dessen eisernes Gedächtniß er zu rühmen nicht vergißt; dieser hatte es gehört als Kind, von einem eben so alten Diener des Koster, der Stein und Bein darauf schwor, und regelmäßig bei Erwähnung des Diebstahls in einen Strom von Thränen und Verwünschungen ausbrach.

Daß aber Junius, der seine Batavia bereits gegen das Jahr 1575 bearbeitete, nicht rein aus der Luft gefaselt hat, sieht man aus einer Stelle in Ludovico Guiccardini's descrizione di tutti i Paesi-Bassi, in welcher ebenfalls, unter Harlem, eines solchen Gerüchtes Erwähnung geschieht, selbst von übergebliebenen Denkmälern der Kunst gesprochen wird. Guicciardini's Reisebericht erschien aber [191] bereits im Jahr 1567 zu Antwerpen. – Noch älter ist die Stelle aus der Vorrede einer 1561 zu Harlem edirten Uebersetzung der offic. Ciceron. Koornhart, ihr Verfasser und in selber Person zugleich notorisch erster Drucker zu Harlem, besagt darin, daß die Kunst zu Harlem erfunden, obgleich seine Mitbürger nicht daran glaubten und Harlem seit dem Tode des Erfinders keine Presse gehabt.

Vorhanden war also das Mährchen schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts Frühere Spuren finden sich nicht. Alle jene Gelehrte der Niederlande, die zu Anfang und gegen die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts blühten, Erasmus Roterodamus an der Spitze, wissen nichts davon, die Chronik von Holland, die im Jahr 1517 zu Leiden erschien, erzählt ganz einfach: im ersten Jahr, daß Friedrich III. Kaiser ward (1440) ist die Kunst zu drucken erfunden, und zu Alost in Ostflandern, auf dem Leichenstein des Buchdruckers Theodor Martini, der 1472 in die Niederlande kam, steht noch heutigen Tages zu lesen:hier liet begraven Dirk Martens, die de Letterkunst uit Duitsland en Vranckrijk in deze Nederlande heft gebracht.

Allein selbst zur Zeit, als Junius seine Batavia schrieb, muß das Mährchen wenig bekannt und noch weniger geglaubt worden sein. Gleich [192] wie Koornhart beklagt sich auch Junius über den Unglauben seiner Landsleute, die der Stadt Mainz ruhig die Ehre überließen und er könne nicht hoffen, selbst mit der Beredtsamkeit eines Cicero, das gleichsam wie mit Keilen in ihr Herz getriebene Vorurtheil auszureißen.

Allein hierin irrte sich der alte Junius. Ganz Holland lebt gegenwärtig seiner Meinung. Dem Koster sind Bildsäulen errichtet, goldene Inschriften über der Thür (vor dessen angeblicher Wohnung und Druckerei) gesetzt und im Jahr 1823 hat zu Harlem die gesammte Elite des Landes unter Pauken und Trompeten, Reden und Cantaten, Mahlzeiten und Feuerwerken »das vierte Jubeljahr der durch Lorenz Jansohn Koster zu Harlem erfundenen Buchdruckerkunst gefeiert.

Doch höre man zunächst, wie das kam und in welche gelehrte Hände die Altemännersage fiel. Der berühmte Scriverius legte nach Junius die erste Lanze ein für Koster, dann stand der gelehrte Seizius auf, dann warf auch der gelehrte Schrevelius den Mainzern den Fehdehandschuh hin und zuletzt erschien selbst der große Boxhornius in den Schranken. Doch allen Rittern that es Meermannus zuvor. Dieser gelehrte und reiche Patricier von Rotterdam durchreisete halb Europa, stand mit halb Europa in Briefwechsel, verwandte sein halbes [193] Vermögen und sein ganzes Leben, um seinem erdichteten Küster zur Würde einer geschichtlichen Person zu verhelfen und der Harlemmer Sage in den Augen des gelehrten Europa's Grund zu verschaffen. Als die Frucht seines Eifers und seiner Studien gab er im Jahr 1765, in zwei Quartbänden, die origines typographicas heraus, welche Schrift noch gegenwärtig, trotz der neuern und neuesten Abhandlungen von dem Holländer als das neueste Hauptwerk für Koster betrachtet wird. Geschrieben in vortrefflichem Latein mit besonders glücklicher Wahl neuer lateinischer Ausdrücke für die Werkzeuge und Handgriffe einer den Alten völlig unbekannten Kunst, gibt dieses Werk sowohl über die Person des Erfinders, dessen Stand, Herkunft und Familie, als über die Zeit, Art und Geschichte der Erfindung, über die ersten gedruckten Bücher, deren vermuthliche Jahreszahl und welche von Koster selbst und welche von den Kosterschen Erben gedruckt worden, die genaueste und ausführlichste Nachricht; man sieht sein blaues Wunder an den herabgefallenen Genealogien, Zahlen, Citaten und Angaben aller Art, und am Ende muß man eingestehn, daß nie eine Sage, ein Geschwätz, das ungereimt und kümmerlich mehrere Menschenalter hindurch, unter einigen alten Leuten der Stadt sich fortpflanzte, niemals geschickter aus ihrem [194] Nichts herausgegriffen und zu einem nationalen Etwas gemacht worden sei, als das Geschwätz von Koster in Meermann's originibus typographicis. Dennoch muß die spätere Zeit gefühlt haben, daß auch durch diese Schrift das mährchenhafte Dunkel, das auf der Person und Erfindung des harlemmer Küsters ruht, nicht völlig zerstreut worden und da man überdies seit jener Zeit noch manchen schönen Fund gethan, alte namenlose Holzschnitte, alte namenlose Bücher aufgegriffen hatte, so setzte der harlemmer Senat einen Preis aus, und es erschien im Jahr 1819 Herrn Jakob Konings gekrönte Preisschrift über Koster. Da aber Koning, wie es scheint, die Erwartung der holländischen Gelehrten nicht befriedigt und auch in der That bei noch größeren Ansprüchen, die er dem Erfinder hinsichtlich der völligen Vollendung und Ausbildung der Druckerkunst vorbehält, indem er ihn selbst mit Metall gegossenen Typen drucken läßt, was Meermann durch eine wunderliche Bescheidenheit damals noch ablehnte, dennoch sich keiner andern und stärkern Beweisgründe und Beweismittel bedient, als sein Vorgänger (ausgenommen, daß er weit mehr Gewicht legt auf den Ochsenkopf, womit das Papier gestempelt), so sah man mit großer Spannung der neuesten Arbeit[195] eines holländischen Gelehrten entgegen, die, wie ich höre, gegenwärtig auch erschienen ist.

Man kann sich nun leicht vorstellen, daß auf der andern Seite die Mainzer und Straßburger, die sich herkömmlich in Guttenbergs Besitz getheilt, auch sogar um denselben in Streit gerathen waren, bei dem Lärm, den die Holländer von Koster machten, nicht ganz ruhig blieben. Aehnliche, obgleich stärkere und gegründetere Besorgnisse fühlten wohl jene Wirthe zu Harlem, deren Nachbarin durch ein neues Wirthshausschild und zwei aus Leibeskräften blasende Trompeter, ihr älteres aber verfallenes Wirthshaus wieder in Flor zu bringen gedachte. Stießen doch auch Seiz und Meermann und wie sie hießen, so laut in die Trompete der Fama, daß es selbst über den Canal erscholl und manche alte Anhänger von Mainz harlemitisch gesinnt wurden. Begnüge ich mich aber, nur zwei deutsche Streiter aus dem großen Haufen namhaft zu machen; die Literatur über diesen Gegenstand, in lateinischer, deutscher, holländischer, französischer und englischer Sprache, ist bereits schon so mächtig angeschwollen, daß sie keine unansehnliche Bibliothek bildet; gesichtet freilich, bleibt auch hier nur ein kleiner Rest, der in Betracht kommt. Ich erwähne also nur Schöpflin und v. Heineken, – die [196] allerneueste Mainzer Schrift ist mir so unbekannt, wie die allerneueste Harlemmer. Schöpflin in seinen vindiciis typographicis. Straßburg, 1760, 4. verbreitete über die Person des deutschen Erfinders, dessen Schicksale, Freunde, Feinde, Bestrebungen, Leistungen das erste vollständige Licht; ein ehrlicher deutscher Advocat, der bei seiner guten Sache sich aller Ränke und Kniffe enthielt und das Eigenthumsrecht seines Clienten auf streng gerichtlichem Wege darthut. Von Heineken in den Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen (Leipz. 1769) gab eine Kritik der Meermannschen Schrift, die nebst Bemerkungen über den angeblichen Lorenz Jansohn Koster und die Ungereimtheit der Diebstahlsgeschichte eine auch sonst lesenswerthe Abhandlung über die Erfindung, Figuren in Holz zu schneiden und über die ersten in Holz geschnittenen und gedruckten Bücher enthält. Man muß nämlich wissen, daß die Kosterianer ihrem Lorenz Jansohn nicht nur die Erfindung der Druckerkunst, sondern der noch weit ältern Holzschneidekunst zuschrieben und ihm daher alle ältesten Holzschnitte, die sich ohne Angabe des Künstlers und der Jahreszahl in Europa vorfanden, eben so andächtig und gläubig unterlegten, wie sie jenes mährchenhafte Werk beweglicher Letterkunst, jenes Buch, das Rabbi Joseph Hakkohen mit der Jahreszahl 1428 zu Venedig [197] gesehn haben wollte, für unbezweifelt Kosterianisch ausgaben. Was die Holzschneidekunst betrifft, so hat schon Heineken ihnen so gute Aufklärungen zufließen lassen, daß es in der That nicht seine Schuld ist, wenn die Holländer noch immer bei ihrer Meinung verharren. Und auch hinsichtlich jenes venetianischen Buches gab er ihnen, abgesehen von dem Einfall, ihrem Koster schlankhin ein Buch anzueignen, das sich zu Venedig fand, wenigstens einen sehr glücklichen Wink an die Hand. Hat der Rabbi, sagt er, das Buch wirklich gesehen und war dasselbe wirklich ein mit beweglichen Lettern gedrucktes Buch, so wird es ein französisches gewesen sein, auf dessen Titel er die Jahreszahl 1488 mit lateinischen Zahlen, IIIIXXVIII. nach französischer Art vermerkt fand und irrthümlich 1428 stattquatre vingt huit herausstudirte.


Doch es war vergebliche Mühe, die Holländer in einem so schmeichelhaften Glauben zu stören. Gegenwärtig, das wird der Leser aus dem Angeführten ersehen haben, können sie sogar mit Ehren nicht mehr zurück. Daß der Koster gelebt, die Buchdruckerkunst erfunden und durch Faust oder Gutenberg bestohlen worden, das fragt sich nicht mehr, wie ehemals, das ist seit dem Nationalfest im Jahr 1823 über alle Frage hinaus, und in [198] seiner Gewißheit als patriotischer Glaubensartikel durch nichts zu erschüttern.

Mir kommt bei dieser Gelegenheit der Schweizer Tell ins Gedächtniß. Tell, in der Republik der Berge, ist eine eben so mythische Person wie Koster in der Republik der Sümpfe, Beide gleichen sich auch darin, daß sie allem Anschein nach Quiproquo's und Copien wirklicher historischer Personen sind und unterscheiden sich vielleicht nur durch den kleinen Umstand, daß ganz Europa den Schweizerhirten, seiner sonstigen poetischen Verdienste wegen, von Herzen gern als wahr und wirklich anerkennt. Welche Macht in der Welt könnte aber auch den Schweizern ihren Tell entreißen, nun, da er einmal als Erfinder des Apfelschusses und Geßlers Mörder in den Volksglauben und die Volkslieder eingedrungen ist. Was gewänne man, den Schweizern vorzurücken, Tell's Person und That sei so unerweislich als unerwiesen, sei weder durch gleichzeitige Schriftsteller, Geschicht- und Chronikenschreiber erwähnt, noch durch irgend einen Schein von historischem Zeugniß beglaubigt, vielmehr, es stehe diese Person und That mit den kleinsten Nebenumständen leibhaftig vorgebildet und beschrieben im Saxo Grammatikus, der hundert Jahr früher im Rothschilder Kloster auf Seeland eine dänische Geschichte verfaßt, [199] und es sei der ganze Schweizer Tell eben kein andrer, als der fühnische Bogenschütze Palnatoke, und dieser der wahre Erfinder des Apfelschusses, wie später, in große Begebenheiten verwickelt, einer der vornehmsten Aufrührer und Tyrannenmörder aus Rache und persönlichem Haß 1. Werden die Schweizer darum ihren Tell fahren lassen, werden sie jemals eingestehen, die Sage von ihrem Helden sei nur, wie die Sage von Koster, aus einem andern Lande durch das Geschwätz alter Männer in ihre Berge verpflanzt und durch einen Junius der Schweiz später in die Landeschroniken eingeschwärzt? Mit nichten. Sie führen den Zweifler vor Tell's Capelle, zeigen ihm seine Armbrust, sein Wohnhaus, andere heilige Reliquien und gegen solche demonstratio ad oculos muß jeder Zweifel verstummen.

Eben so handgreiflich beweisen die Harlemmer für Koster. Hier, sagen sie, hier auf dem Markt, neben der großen Kirche hat Koster gewohnt und gedruckt, hier auf dem Stadthause siehst du seine [200] ersten Drucke, hier die silberne Kiste mit den ersten Buchstaben aus Holz, hier das älteste Buch, »der Spiegel unsrer Seligkeit,« das mit jenen hölzernen Buchstaben gedruckt worden, und, zweifelst du noch, so begib dich nach der Wohnung des Herrn Enschede zu Harlem, dort hängt Kosters altes Bild an der Wand, das sind die Züge des großen Mannes.

Dagegen läßt sich wenig sagen und erwiedern, besonders wenn man an der Wirthstafel zu Harlem sitzt. Mit holländischen Gelehrten läßt sich über gewisse Gegenstände überall nicht gut disputiren, weil es ihnen schon vermöge des Innungswesens, in dessen Fesseln die Gelehrsamkeit hier zu Lande noch eingezwängt ist, an geistiger Freiheit und Unbefangenheit mangelt. Noch weniger konnte es mir beifallen, mit irgend einem Holländer über Koster und Gutenberg in gelehrten Streit mich einzulassen; und schon deswegen nicht, weil ich fürchten müßte, meine eigene Unbefangenheit dabei zuzusetzen. Gutenberg ist in ihren Augen ein gemeiner Dieb – er, der Wohlthäter der Menschheit, der Stolz unsers Landes, der Märtyrer eines genievollen Gedankens, im Leben verläumdet, verfeindet, verarmt, um die Früchte seiner Arbeiten und Mühen gebracht, als Greis das Gnadenbrod eines gutmüthigen Fürsten essend, vergessen [201] und im herznagenden Kummer, gleich dem Entdecker Amerika's, in die Grube gefahren, nach seinem Tode, im Angesicht Europa's, das sein Angedenken, wie er's verdiente, in schuldiger Ehrfurcht hielt, entehrt und beschmutzt mit dem Kothe eines Mährchens, das seinen Ursprung aus Morästen nicht verläugnet! Gutenberg, ein Dieb, ein gemeiner Abenteurer und Ehrenräuber – schon der bloße Gedanke jagt mir in der Seele der Mijnheers Schamröthe auf die Wangen; was würde und was könnte ich ihnen sagen, äußerten sie denselben in meiner Gegenwart. Schämt euch, müßte ich sagen, schämt euch! Ihr bringt eine abgeschmackte, völlig aus dem Wind gegriffene kindisch faselnde, mit groben Widersprüchen und Ungereimtheiten überladene, durch nichts bisher erwiesene, durch nichts künftighin zu beweisende plattholländische Diebsbeschuldigung gegen einen Mann vor, dessen Genius weit über eure Begriffe und Erfahrungen hinausliegt und dessen Erfindung ihr unter euren einheimischen nur die Erfindung der eingepökelten Heringe durch Willem Beukelsohn, und der gläsernen Treib-, und Schwitzkasten durch einen Bürger von Harlem an die Seite zu stellen habt. – –

Gutenberg nämlich und nicht Faust, ist, seit und nach Meerman's Schrift, in den Augen der [202] Kosterianer der wahre Dieb. Begreiflich. Man hatte erst später in Erfahrung gebracht, daß nicht Faust, sondern Gutenberg der wahre Erfinder sei, bekanntlich hatte Ersterer eine lange Zeit den Namen dafür. Meermann benutzte die neuentdeckte Wahrheit, um eine neue Lüge darauf zu pfropfen, er machte aus dem einen historischen Gutenberg deren zwei, der eine stiehlt und entdeckt dem Andern das Geheimniß der Kunst, um welches dieser vergebens sich abgemüht.

Wie, wird der Leser rufen, so aufs Geradewohl, so ohne weitere Beglaubigung, ohne thatsächliche Beweismittel? Versteht sich, mein lieber Leser, ohne dies und das; es war Meermann nur um irgend einen Dieb zu thun, der mit Vornamen Johannes hieß und für – den Erfinder der Buchdruckerkunst galt. Doch über diese kleine Fiction wird man sich nicht sehr verwundern, wenn man das Gewebe der Fictionen und Lügen kennen lernt, mit dem die holländischen Gelehrten Koster's Lorbeerkranz übersponnen haben. Feine Lügen und grobe Lügen, Falsa aller Art, Wortverdrehungen, kleine Kniffe u.s.w. sind im Verlauf des Kosterschen Processes nach und nach so planmäßig zum Vorschein gekommen; daß ich behaupten möchte, die Geschichte desselben sei leider national merkwürdig, und schon in dieser Hinsicht [203] eines genauern Studiums werth. Mir wenigstens ist daraus klar geworden, daß der Handelsgeist der Holländer selbst auf dem Gebiete der Wissenschaft sich nicht verläugnet, daß er jenen trüben Egoismus auch dorthin mit sich führt, wo ihm der Eintritt durch einen edleren Geist, der allein das Recht besitzt, dort zu walten, strenge untersagt sein sollte. Auch hier stoße ich wieder auf den alten faulen Fleck, auch hier auf jene ehrbare gewissensruhige Gewissenlosigkeit, sobald und so oft nur ihr Interesse mit dem Interesse anderer Personen und Nationen in Berührung kommt. Ich sehe auch hier, wie sie um jeden Preis das Monopol an sich zu reißen streben. Ich denke an die Holländer, die in Ostindien die alten Besitzer, die Portugiesen beschwärzten, um des Alleinhandels mit Pfeffer und Kaffeebohnen sich zu bemächtigen, es sind dieselben, die Gutenberg beschwärzen, um Monopolisten einer Erfindung zu sein, die doch, nach ihrem eigenen Geständniß, nur eine todtgeborne Frucht für Harlem und Holland war. Und wie sie per fas und nefas jeden neuentdeckten Handelszweig in Flor zu bringen, jede frisch angestochene Quelle der Reichthümer höchst ergiebig zu machen verstanden, so wundere ich mich auch hier nicht über den Wucher, den sie mit dem Mährchen von Koster getrieben, über die fünftausend[204] Procent, die sie daraus gezogen, über den Reichthum an Kosterschen Documenten, Büchern, Holzschnitten, silbernen Kästchen, Gemälden, Bildsäulen, Stammtafeln, Inschriften, goldnen, silbernen, zinnenen und hölzernen Lügen; obgleich ich keinem ehrlichen Mann verdenke, wenn er beim Anblick aller dieser erstaunenswerthen Sachen gläubig oder ungläubig die Hände über den Kopf zusammenschlägt.

Ich sage, ich wundere mich so wenig darüber, als ich daran glaube. Ich finde es aber sehr begreiflich, daß selbst kluge und vorurtheils freie Leute durch den ersten Schein und die Dreistigkeit des Betruges sich bestechen lassen, etwas dahinter zu sehn, was ich und Andere nicht dahinter sehn. Insbesondere aber sind englische Gelehrte, eines seltsamen Umstandes wegen, den ich in der Folge berühren werde, geneigt, dem Harlemmer Küster, wenn auch nicht die gänzliche Vollendung der Kunst und den Druck mit metallgegossenen Typen, doch die Erfindung der hölzeren, also die ersten Anfänge der Kunst zuzuschreiben. Allein, die dieser Meinung sind, verwechseln offenbar theils den Abdruck von ganzen holzschnittlichen Tafeln mit dem Druck einzelner beweglicher Lettern aus Holz, theils lassen sis sich durch das Vorgeben der Kosterianer verführen, [205] gewisse alte holzschriftliche Bücher für mit beweglichen Lettern gedruckte oder wirklich gedruckte für weit frühern Ursprungs zu halten. Der alte Donatus hat hauptsächlich viel Lärm verursacht, obgleich, wie man hören wird, ganz unschuldiger Weise. Derselbe war eine im Mittelalter stark gebrauchte Mönchsgrammatik, ein kurzer Katechismus der lateinischen Sprache in Frage und Antworten, dem der ältere Donatus zu Grunde lag; Gutenberg, Faust und Schöffer haben ihn mehrmals abgedruckt. Nun bemerkte schon Accursius handschriftlich zu der Mainzer Ausgabe des Donat von 1450, daß dieses Buch schon früher von holzschnittlichen Tafeln in Holland abgedruckt, die Druckerkunst selbst aber zu Mainz erfunden worden. Dasselbe sagt die Chronik von Kölln vom Jahr 1499 mit den Worten eines gewissen Ulrich Zell, Item, lautet die Stelle, wiewol die Kunst zu Mainz erfunden, auf die Weise, wie sie nun gemeiniglich im Gebrauch ist, so ist doch die erste Verbildung (prima imago) erfunden in Holland aus den Donaten, welche daselbst vor der Zeit gedruckt sind. Einen solchen Donat kannte auch Josef Scaliger in confutat. fabulae Burdonum; er nennt ihn fixis tabellis impressum. – Daß Ulrich Zell vom Alter deutscher Holzschnitte und holzschnittlicher Werke wenig Kenntniß hatte, beweist er dadurch, [206] daß er einmal den Donat als das älteste Werk dieser Art ansieht, und zweitens, denselben unbedingt den Holländern zuschreibt. Was das Erstere betrifft, so ist z.B. die ars memorandi notabilis per figuras Evangelistarum (vom Anfang so genannt) die außer grotesken Figuren von Engel, Ochse, Löwe und Adler einen abgesonderten Text enthält, ohne Frage bei weitem älter, als der holzschnittliche Donatus. Was das Zweite betrifft, so ist den Kennern hinlänglich bekannt, daß fast kein alter Holzschnitt, wie später kein gedrucktes Buch in Deutschland herauskam, das nicht in Holland und Belgien nachgeschnitten und nachgedruckt wurde. Solcher Holzschnitte und Drucke, untermischt mit deutschen Originalen bemächtigte sich der Harlemmer Senat, wo er sie fand, und legte sie, wie Guckuckseier, der Kosterschen Officin unter, in seiner Einfalt ganz unbesorgt wegen der Verschiedenheit der Manieren, die sich auf den ersten Blick Kennern und Nichtkennern verräth. Da sieht man ein Exemplar der biblia pauperum, jenes uralten deutschen Kunstwerkes, das die Sage dem Ansgarius von Bremen zuschreibt, und das, merkwürdig genug, in mehrern Bildern, die Idee und selbst die Worte der Bildhauerarbeiten im alten Dom zu Bremen darstellt. Auch die Franzosen haben diese Bibel der Armen nachgeschnitten, [207] allein trotz dem Stempel der französischen Lilien auf dem Papier gründen sie keine unrechtmäßigen Ansprüche auf dieselbe, wie sie überhaupt nicht in Abrede stehen, daß in Deutschland die Wiege der Holzschneidekunst und der von ihr ausgehenden, der Erfindung nach genialeren, der Ausübung nach aber weit weniger künstlichen Druckerkunst zu suchen 2. Diese Nachschnitte sind gemeiniglich aus viel späterer Zeit, deren Spuren sie dann auch an sich tragen. So findet sich ebenfalls zu Harlem die altdeutsche providentia Virginis Mariae aus dem Hohenliede, mit Sinnbildern und Zetteln in lateinischer Schrift – lange dürre Figuren, gleich den Bildhauerarbeiten in mehrern altdeutschen Kirchen; dieses Werk führt auf dem ersten Blatt einen Titel, deutlicher Beweis, daß es nicht der alten Holzschneidekunst angehört. [208] Ein anderes, die ars moriendi, zu Wolfenbüttel mit vier und zwanzig Blättern, zu Harlem mit funfzehn, weicht so augenfällig in der Manier von den übrigen ab, daß Meermann selbst es nicht läugnen kann. Er hilft sich aber damit, daß er sagt, dasselbe rühre allerdings von einem andern Formenschneider her, sei aber von Koster mit Lettern versehn. Am Ende des letzten Blattes fand Heineken ein großes lateinischesK (Koster) abgedruckt. Einfältiger Betrug! Aus Versehn des Binders ist zufällig das letzte Blatt das erste und das erste das letzte. Von einem andern zum Theil ganz, zum Theil nur zur Hälfte älterer holzschnittlichen Werke wird gleich die Rede sein, es heißt speculum salvationis, ist in viele Sprachen übersetzt und so gewiß ursprünglich die Arbeit eines deutschen Holzschneiders, als der Text einen deutschen Mönch von Augsburg zum Verfasser hat.

Gesetzt aber auch, es wäre der erwähnte holländische Donat ausnahmsweise kein ursprünglich deutsches Werk, so ist es damit noch kein mit beweglichen Lettern gedrucktes, sondern bleibt ein von ganzen Holztafeln abgedruckter Donat, wie sowohl die angeführten Zeugnisse des Accursius, des Ulrich Zell und Scaliger, als die zu Harlem aufgezeigten Donate darthun. Allein, was folgerte Meermann aus den einfachen Worten des Ulrich [209] Zell? Man höre und staune. Ulrich Zell hat offen eingestanden, daß der Mainzer Donat von 1450 mit den der Kosterschen Officin gestohlenen Lettern gedruckt worden, indem er bekennt, die erste Verbildung der Kunst stamme aus den Donaten, die in Holland vor der Zeit gedruckt worden; ex Donatis, nämlich aus den Typen, deren Koster sich zum Drucke des Harlemmer Donat bediente. Aus dieser Erklärung des Mijnheern sieht man deutlich, wie der Heißhunger nach Beweisen, nach Nahrung für eine Chimäre so groß war, daß er mit dem lustigsten Unsinn, mit der verdrehtesten und windschiefesten Interpretation vorlieb nahm. Heutzutage noch gilt die Stelle der Köllner Chronik den Kosterianern für einen der äußern Hauptbeweise ihrer Sache, der Harlemmer Donat als Kosters ältestes Druckwerk.

Nur das gedruckte speculum salvationis nostrae streitet sich in ihren Augen mit demselben um den Ruhm des Alters. Von diesem Werk zeigt man zu Harlem mehrere Ausgaben, in lateinischer und holländischer Sprache. Manier und Inhalt des speculi oder Spiegels unsers Heils stimmen mit der biblia pauperum überein, nur daß die Armenbibel aus ganzen Figuren besteht und der Spiegel oben Vignetten und unten den Text in zwei Spalten enthält. Die eine lateinische [210] und die eine holländische Ausgabe zu Harlem sind nach dem Urtheil der Kenner ganz mit beweglichen Lettern gedruckt, eine zweite lateinische zeigt dagegen 43 Blätter auf diese Art, und 20 Blätter von hölzernen Tafeln abgedruckt. Vignetten und Text bieten bei dieser Ausgabe eine auffallende Verschiedenheit dar, denn die Vignetten sehn grau und blaß, die Buchstaben schwarz aus. Da nun auf allen angeblich Kosterschen Büchern Jahreszahl eben so wenig als Drucker und Druckort angegeben, so läßt sich nur aus Gründen der Wahrscheinlichkeit die Frage abthun, ob diese seltsame Ausgabe des speculi oder die andere lateinische die ältere sei. Was ist aber wahrscheinlicher, als daß ein Buch, dessen erste Folioseiten von ganzen Holztafeln abgedruckt sind, wenigstens diesem Theil nach, einer frühern Zeit angehört, als ein anderes desselben Inhalts, das völlig mit beweglichen Lettern gedruckt ist? Dennoch halten die Kosterianer das ganze Werk für jünger, finden sogar in jenem seltsamen Umstande den klarsten Beweis dafür, daß Lorenz vom Johannes bestohlen worden, indem sie die Entstehung des Werkes in jene Zeit setzen, als die Kostersche Presse über die Grenze gewandert und die Druckerei verödet war. Nach Koning ist dasselbe Kosters letztes Werk, nach Meermann aber hatte Koster[211] sich schon zu Tode gegrämt und rührt dasselbe von den Erben her; nach Beiden war Ungeduld die Ursache, die Koster oder die Erben antrieb, ganze Folioseiten mit unsäglicher Mühe in Holz zu schneiden, statt, als Inhaber und sogar erste Entdecker des Geheimnisses, mit geringer Mühe eine kleine Anzahl Typen einzeln wieder auszuschneiden. Welche Narrheit sie da dem Küster und dessen Familie aufbürden! Sie hätten eben so gut behaupten können, der Koster habe gleich, nachdem er die Buchdruckerkunst erfunden, auf frischer That zwanzig Folioseiten Buchstaben in starre hölzerne Tafeln eingeschnitten, vor Ungeduld nämlich und um sich den Druck eines Werkes mit beweglichen Lettern zu erleichtern. Wollte Koster, wollte die Familie, nach dem Diebstahl, der ihnen Ehre und Verdienst zu rauben drohte, der Welt durch den Abdruck von Holztafeln in aller Eile den Beweis liefern, daß die Kunst der Buchdruckerei keine Mainzer, sondern eine Harlemmer Erfindung sei, und daß man die Sache zu Harlem eben so gut und noch besser verstehe, als zu Mainz? Und das war der erste Gedanke, auf den der vom harten Schlage betäubte Kopf des Erfinders verfiel, Buchstaben in Holztafeln zu schneiden, sich wieder in die Wiege der Kunst zu legen, während er wußte, daß seine geflügelten Lettern in alle [212] Welt ausgehen würden. Hatte er auch keinen Freund, der ihm zurief, Koster, du bist ein Thor, geh und schneide Buchstaben, so eilig als möglich, und laß die Bretter liegen, so hätten wenigstens dessen spätere Anhänger und Bewunderer, wie Koning, ihn auf seine alten Tage vor der Narrheit schützen und, treu der Altenmännersage, der auch Meermann folgte, ihn durch einen schnellen Tod hinwegraffen sollen.

Freilich, eine Ungereimtheit mehr oder weniger im Leben Koster's, darauf kommt es nicht an bei der Menge, die allein das Mährchen von der Diebstahlsgeschichte enthält. Der Dieb, der nur ganz einfach das Geheimniß in die Tasche zu stecken brauchte, beladet sich mit Centnerlasten von Typen und andern Gegenständen, woran zwei Pferde hinlänglich zu schleppen gehabt, macht sich heimlich, unbemerkt, wie mit einer Federspule, aus dem Hause, aus der Stadt, aus dem Lande. Koster läßt ihm nicht nachsetzen, nicht einholen und ergreifen, er läßt ihn in Mainz ankommen, drucken, drucken mit gestohlenen Typen, die Erfindung der Kunst sich zuschreiben, sich und Andern den Verdienst, die Ehre zuwenden, und sitzt daheim zu Harlem, verzehrt sich in Gram, verwünscht den Elenden und denkt nicht daran, daß die freie Reichsstadt Mainz, die blühendste, kunstreichste, geachtetste [213] der deutschen Handelsstädte am Rhein, christliche Gesetze und Obrigkeiten hat, die geraubtes Gut nicht straflos im Besitz frecher Räuber lassen, sondern von Kaisers- und Rechtswegen über demsuum cuique zu wachen, seit Alters festgestellt sind. In allem diesem ist kein Verstand. Der Harlemmer Küster beträgt sich wie ein junges Mädchen, dem ein nächtlicher Dieb Ehre und Unschuld geraubt; des Abends legt er sich als Erfinder zu Bett, des Morgens ist ihm die Erfindung gestohlen, und nun denkt er, hin ist hin, verloren ist verloren, und benetzt mit bittern Thränen die zerrißnen Blätter seines Lorbeerkranzes und es fehlt nur noch, daß er sich fürchtet, die Stadt würde mit Fingern auf ihn weisen. Und die Stadt, seine Freunde, der Senat, nichts rührt und rüppelt sich in Harlem, kein Schrei, keine Klage erhebt sich, Keinem liegt der Ruhm und die Ehre eines geachteten Bürgers, der Stadt selbst, und des ganzen Landes nur so viel am Herzen, um den kleinsten Schritt zu thun, gerichtliche Verfolgung einzuleiten, den Erfinder, dessen Familie – war das noch nöthig – zu beschwören, zum Ruhm und Besten der Stadt, zu eigenem Ruhm und Besten, die Früchte einer so glänzenden und einträglichen Erfindung nicht muthlos aufzugeben, und nur zunächst mit den ersten neuen [214] Lettern vor ganz Europa dem Dieb ins Angesicht drucken zu lassen, daß er ein Dieb und Betrüger sei. Nichts von alledem. Die Kosterianer lassen, wie gesagt, bald Koster selbst, bald die Familie noch einige Zeit nach dem Diebstahl mit neuen Lettern fortdrucken, zeigen auch mehrere Bücher auf, die dieser Zeit angehören sollen; allein es ist keins darunter, das in der Vorrede oder sonst irgendwo nur mit einer Sylbe der fatalen Katastrophe im Drama der Erfindung gedenkt. Nicht spurloser hätte eine Perrücke aus dem Kleiderschrank eines Harlemmer Bürgermeisters verschwinden können. Ein alter Diener faselt davon, ein alter Schulmeister erinnert sich dessen aus der Kindheit und nach anderthalb Jahrhunderten übersetzt ein holländischer Alterthümler die lamentable Geschichte ins Latein. Hätten die Erfinder des Mährchens nur so viel Schlauheit gehabt, daß sie den Koster und dessen Erfindung ins Dunkel des Geheimnisses gehüllt, und denselben als einen zurückgezogenen Schwarzkünstler abgemalt hätten. Nein, er ist ein bekannter Mann, ein achtbarer Bürger, ein Beamter der Stadt, hat ein Haus, eine große Druckerei am Markt, besoldet mehrere Druckergesellen, druckt einen Haufen Bücher, verdient Geld, macht Aufsehn, viel Aufsehn, so daß selbst der König von England von ihm hört und [215] einen Spion nach Harlem schickt, u.s.w., und in einer einzigen Nacht wird eines solchen Mannes Ehre und Ruhm auf dem breiten Rücken eines Diebes aus dem Harlemmer Thor getragen und der Dieb wandert wohlgemuth nach Mainz und lacht ins Fäustchen, wie der Teufel, als er Peter Schlemihls Schatten in die Tasche gesteckt hatte. Nicht einmal nach dem Rathhaus geht der Mann und läßt die Geschichte ad acta nehmen, thut es sich, seiner Familie, seinen Nachkommen nicht zu lieb, ein gerichtliches Instrument bei den Vätern der Stadt zu deponiren, worin die glorreiche und zugleich tragische Geschichte der durch ihn zu Harlem erfundenen Buchdruckerkunst, beglaubigt durch eine Anzahl erster Drucke, bescheinigt und erhärtet durch eidliche Aussagen seines Schwiegersohns, seiner Gesellen und Freunde, wie durch eigene, für die Nachwelt zu lesen gestanden. Alles das thut der Mann nicht, sondern legt sich hin und stirbt


post Christum natum


man weiß nicht mehr das datum. Man weiß auch nicht das Jahr, in dem er gestorben; eben so wenig das Jahr, in dem er geboren, eben so wenig wie irgend ein Jahr aus dessen Leben, in dem er Dies oder Jenes gethan oder erlitten, die Erfindung vervollkommt, ein Buch gedruckt, ein Kind bekommen, [216] Gevatter gestanden, Küster oder Rathsherr geworden, einen Proceß geführt 3 und dergleichen mehr.

Wohl verstanden, man weiß es nicht; allein dessenungeachtet fehlt es den Kosterianern nicht an Jahreszahlen zur geschichtlichen Ausstaffirung ihres Mährchens; im Gegentheil, sie haben durchgängig mehr Zahlen, als sie brauchen, übercomplete Jahrszahlen, die man sonst auch wohl widersprechende nennt, und in der historischen Kritik als verdächtig betrachtet. Im vorigen Jahrhundert feierte z.B. die Stadt Harlem Kosters drittes Jubiläum im Jahr 1740, in diesem Jahrhundert 1823. Im vorigen Jahrhundert hatte Koster demnach die Buchdruckerkunst im Jahr 1440 erfunden, in diesem erfindet er dieselbe bereits 1423. Warum gerade 23, das soll ich schweigen; auf der alten Tafel über Kosters Hausthüre las man 1429, früher 1440; denn Scriverius überredete den Harlemmer [217] Senat zur Annahme der ersteren Jahreszahl, weil Rabbi Hackohen, wie schon gesagt, ein gedrucktes Buch von 1429 zu Venedig gesehen. Die Väter der Stadt waren schlimm genug daran, sie wußten von nichts, und sollten dennoch auctoritate Senatus Harlemensis das wahre Jahr der Erfindung sanctioniren. Die Buchdrucker von Harlem, die Koster ein Standbild aus ihrer Tasche errichteten, setzten das Jahr 1430 darunter, das Harlemmer Collegium medicum bescheidete sich dagegen, geheimnißvoll den Finger auf den Mund zu legen, sie setzten dem Erfinder ebenfalls ein Monument, schrieben aber keine Zahl darauf 4.

So sieht es aus mit den Jahrszahlen, deren sich die Kosterianer bedienen, um ihr Mährchen [218] auf dem Boden der Geschichte festzunieten. Aehnliche und noch ärgere Varianten liefern die Nachrichten über die Person des Erfinders selbst. Zunächst kommt es einem sehr ergötzlich vor, wie mit dem wachsenden Mährchen auch diese Person an Ehren und Aemtern wächst und zunimmt. In der ursprünglichen Sage und bei Junius ist er nur ein Küster, allein schon Seiz nimmt den Küster in den Senat auf, und Meermann gibt zu verstehen, daß er wohl gar Bürgermeister gewesen; das nicht genug, er leitet dessen Geschlecht von den Brederode's ab, indem er den Vater oder Großvater zum Bastard macht. Küster bleibt er dessenungeachtet, ja er heißt nur deswegen Koster, weil das Küsteramt in seiner Familie erblich war. Ob es aber in Holland und jedem andern christlichen Lande ein erhörter Fall, daß ein Rathsherr oder Bürgermeister zugleich das geistliche Küsteramt bekleidet, darüber geben diese Herren keine weitere Auskunft. Sie begnügen sich damit, zu sagen, das Küsteramt zu Harlem sei ehemals sehr ehrenvoll gewesen und gar nicht zu verwechseln mit dem Küsteramt von heute. Allein damit wird der Stein des Anstoßes nicht aus dem Wege gehoben, und ich muß es den Gelehrten, die von der Gemeindeverfassung des Mittelalters genauere [219] Kenntnisse haben als ich, überlassen, ob sich ähnliche Beispiele vorfinden. Aus Harlemmer Kirchen- und Stadtbüchern ist von der Person eines Küsters oder Rathsherrn, oder gar Küsters und Rathsherrn, der Koster hieß, keine Nachweisung erfolgt. Sie findet sich also nicht darin. Allein auch in diesem Falle, welche Kluft zwischen einem Harlemmer Küster und dem Erfinder der Buchdruckerkunst. Kein Zeitgenosse weiß etwas von ihm, und der Harlemmer Küster unterscheidet sich durch nichts von jedem an dern dunkeln Küster und Rathsherrn der Harlemmer Vorzeit, als daß man dessen Namen und Stand benutzte, um ein albernes Mährchen daran zu knüpfen. Zwischen dem Helden dieses Mährchens und dem Harlemmer Küster ist durchaus kein geschichtliches Band sichtbar; ein solches existirt nur in der Phantasie der Kosterianer.


Wie thätig aber diese sich erweist, sieht man eben aus den verschiedenen Recensionen des Mährchens, wie dasselbe von Junius erzählt wird. Jeder spätere Kosterianer nahm sich die Freiheit, daran zuzusetzen und wegzulassen, was ihm gut dünkte. Und wie naiv sie unter einander von ihren Einfällen sprechen. Junius und Scriver lassen, [220] wie oben erwähnt, den Koster nach dem Diebstahl so muthlos werden, daß er die Druckerei völlig aufgibt und sich todt ärgert. Nollem, sagte darauf Meermann, nollem Scriverio nostro, nollem aliis hoc excidisset; ich wollte, es wäre unserm Scriverio und Andern dieses nicht entfahren. Es hatten sich nämlich zu Meermann's Zeit die auf Kosters Namen zusammengerafften Bücher bereits so stark vermehrt, daß es räthlich schien, zur Erklärung der verschiedenartigen Drucke und jenes halb gedruckten, halb geschnittenen Werkes verschiedene Epochen der Druckerkunst anzunehmen. Deren machte Meerman drei, worin ihm die heutigen Kosterianer nachfolgen. Die erste von Erfindung der Kunst bis auf den Diebstahl, die zweite vom Diebstahl bis auf Kosters Tod, die dritte von Kosters Tode bis zum Stillstande der Druckerei unter Kosters Erben. Sie unterscheiden also Bücher, die von Koster selbst vor und nach dem Diebstahl gedruckt, und Bücher, die nach dem Tode des Erfinders von den Erben gedruckt worden. Die fortdruckenden Erben sind also erst spätere Erfindung, Junius, Scriver, selbst Koornhert, der erste Drucker von Harlem, kennen dieselben nicht. Wann und warum die Erben, die erst im Jahre 1724 ausgestorben sein sollen, den Druck [221] aufgegeben, warum Martini und alle übrigen Drucker, die in holländischen Städten in der Folge sich niederließen, aus Deutschland oder Frankreich kamen, und keiner sich rühmte, die Kunst zu Harlem erlernt zu haben, darüber, wie über Hundert andere Fragen, bleiben Meermann und Koning die Antwort schuldig.


Eine andere Art von Varianten und Phantasiestücken der Kosterianer sind die Gemälde und steinernen Bildnisse, »die den großen Mann vorstellen.« Diese Art hat mich am meisten unterhalten. Man erinnere sich des Scriverius, auf dessen Anstiften der Harlemmer Senat die Jahrszahl über Kosters Hausthür verändern ließ. Derselbe bewog die Väter der Stadt, Kosters Bildniß über die Thür zu setzen, damit Jeder männiglich an solchem Anblick sich erbauen möge. Das Bild ward in der That ausgearbeitet, und zwar nach dem Kupferstich, der Scriver's Quartanten, Lorbeerkranz betitelt, auf der Vorderseite verziert, die Zeichnung des Blattes ist von van Kampen, der Stich von Jan van de Velde und – die Erfindung von »unserm Scriverio« selber. Ex ingenio, sagt Meermann, hat Skriverius dies Bild entwerfen lassen. Muß man nicht lächeln über die [222] Geniestreiche der alten Perrücken in us und ius, die ex ingenio die Züge des Erfinders der Buchdruckerkunst erfinden, in Kupfer stechen und durch den Senat der Stadt Harlem in Stein hauen lassen?


Umsonst aber ist Meermann nicht so offenherzig. Das Bild vor »dem Lorbeerkranze« sieht dem Bilde vor »den origines« ungefähr so ähnlich, wie ein Lorbeerblatt einem Kohlblatt; mit andern Worten, das Portrait, das Meermann in Kupfer stechen ließ und seinem eigenen Werke vorhängte, sieht dem Portrait von Scrivers Erfindung in keinem Zuge ähnlich. Das Portrait, das Meermann als das echte empfiehlt, ist allerdings nicht ex ingenio, sondern abgezeichnet nach einem Oelgemälde im Besitze der Familie Enschede zu Harlem. Der Himmel weiß, welchen alten Mijnheer dies Gemälde vorstellt; die Familie Enschede glaubt, daß es Koster, den Erfinder der Buchdruckerkunst, vorstellt. Der Käufer will es erstanden haben aus der Nachlassenschaft der Kosterschen Familie und hielt es für eine Arbeit von Albert de Oudewater, oder Gerhard von Harlem, Malern aus der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts, also Zeitgenossen des fraglichen Koster. Allein wie sehr der gute Mann [223] in dieser Hinsicht sich irrte, ist für Jeden, der das Gemälde gesehen und sich etwas auf die verschiedenen Epochen der Malerei versteht, außer Zweifel. Dies Gemälde ist so augenscheinlich aus späterer Zeit, daß auch Meermann, der ein geschmackvoller Kunstkenner war, dies nicht abläugnen konnte; und er versetzt dasselbe in die Zeiten von Hans Holbein und Lukas Kranach. Da nun Niemand die Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit eines Bildes mit einer unbekannten Person weder bejahen, noch verneinen kann, so fragt es sich, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Bild, funfzig Jahr nach dem Tode einer solchen Person gemalt, die, nebenher gesagt, höchst wahrscheinlich nicht gelebt hat, dieser Person als dessen Original beigelegt wird. Die Kostersche Familie hätte auf jeden Fall nur die Copie einer Copie besessen und eine an sich unsichere Familientradition, hier noch bedenklicher, da sie, im Fall des wirklichen Vorhandenseins, ihren Ursprung, wie es zu gehen pflegt, aus der Sage genommen haben mochte, wäre noch unsicherer geworden, da sich die doppelte Geschichte vom Bilde eines Bildes hineinmengte.


Allein, wer sagt, daß dieses Gemälde wirklich im Besitz der Familie Koster war? Der Käufer, [224] Herr Enschede, hat es freilich gesagt und Meermann hat es wiederholt. Könnte man den Leuten nur über den Weg trauen. Derselbe Meermann hat auch gesagt und behauptet, eine gewisse Bücherkiste, die im sechzehnten Jahrhundert im Haag in öffentlicher Versteigerung ausgeboten, und durch den Harlemmer Senat für die Summe von dreihundert Gulden angekauft worden, aus der Nachlassenschaft der Kosterschen Erben stamme 5. Letzteres wäre in der That ein nicht unwichtiger Umstand, wäre es nicht eine Unwahrheit. Denn, mehr Glauben als Meermann verdient der Kaufschein, der sich noch heutigen Tages im Archiv des Harlemmer Stadthauses befindet.« In diesem ist nicht von der Nachlassenschaft der Kosterschen Erben, sondern von der einer ganz andern Familie die Rede.


Wahrlich, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich glaube nicht an das Vorgeben der Kosterianer, nicht an Koster, nicht einmal an den Küster [225] geschweige an den Erfinder der Buchdruckerkunst 6, ich glaube eben so wenig an dessen Person, wie an dessen Bildniß vor Scrivers und Meermanns Schriften und wie an das lateinische K, von welchem oben die Rede war. Ich glaube nicht an die silberne Kiste, zu welcher allein der Harlemmer Senat den Schlüssel besitzt; nicht als wollte ich ihr Vorhandensein läugnen, sie steht wirklich da, aber man versteht mich und ich glaube nicht daran.


Am wenigsten glaube ich an das verläumderische Mährchen vom Diebstahl. Die Holländer, die dasselbe ausgesprengt, mögen es mit ihrem Gewissen, [226] die Ausländer, die dasselbe nachsprechen, mögen es mit ihrem Verstande ausmachen; sind aber Deutsche darunter, so wünsche ich ihnen nichts angelegentlicher, als durch Straßburger oder Mainzer Druckergesellen mit Hülfe eines echten alten Gutenbergischen Preßbengels eines Bessern belehrt zu werden.


Das ist mein kurzes Glaubensbekenntniß in der Sache zwischen Koster und Gutenberg, zwischen einem Gespenst der Sage, das auf dem dunkeln Chor der Harlemmer Kirche umwandelt, und dem lichtverklärten deutschen Genius, dessen Name im Tempel des Ruhms zugleich mit dem Namen aller großen Männer der Vergangenheit wiedertönt.


Ich könnte hier diesen Aufsatz schließen, das Capitel ist ohnehin schon länger gerathen, als es anfänglich meine Absicht war. Allein ich vermuthe, manchem aufmerksamen Leser hat bisher eine Frage auf den Lippen geschwebt, die er gegen mich äußern würde, im Fall wir persönlich zusammenträfen. Ich meine, sie ist diese: wie in aller Welt hat sich nur das Gerücht von Koster und dem Diebstahle zu Harlem gebildet, kann man [227] demselben nicht auf die Spur kommen, dessen erste Quelle nicht entdecken?


Ich glaube ja, und, irre ich nicht, so ist die Quelle eben so schmutzig, wie der Ausfluß.


Man höre. Es ist bekannt, daß ein gewisser Johann Schott, eines bekannten Straßburger Buchdruckers, mit Namen Mentel, Tochterenkel, nach dem Tode Gutenberg's, das falsche Gerücht versprengte, als sei Mentel zu Straßburg der Erfinder der Buchdruckerkunst und Lehrmeister des Johann Gutenberg gewesen; Letzterer habe Mentel bestohlen, sich nach Mainz geflüchtet und mit den gestohlenen Typen sein erstes Werk gedruckt. Dies Gerücht erregte Anfangs Aufsehen, schlief aber eben so bald wieder ein. Mentel selbst, obgleich er ein aufgeblasener Mensch war, sich famosissimus nannte und vom Kaiser sich in den Adelstand erheben ließ, hat dergleichen niemals behauptet. Nun gab es vielleicht zur Zeit des Johann Schott einen Harlemmer, der das Geheimniß der Druckerkunst, das allmählig durch die vielen Arbeiter, die aus Mainz und Straßburg in verschiedene Städte Deutschlands, Frankreichs und Italiens auswanderten, aufhörte, ein Geheimniß im strengen Sinne des Wortes zu sein, sei es nun [228] an der Quelle selbst, oder zu Harlem an den aus Deutschland dahin verschlagenen Büchern 7, theoretisch oder praktisch in Erfahrung gebracht und, mit kleinen und wenig kostspieligen Versuchen sich begnügend, selbst geschnittene hölzerne Buchstaben zu mancherlei Kleinigkeiten abdruckte. Großes Aufsehen macht der Mann nicht, aber es kennt ihn dieser und jener, und nach dessen Hinscheiden fällt einem Gevatter ein, ihm die Ehre der Erfindung zuzuschreiben und das Straßburger Geschwätz von Mentel und Gutenberg zu einem Harlemmer Geschwätz von – (der Name Koster tauchte erst später auf), und Faust zu machen. Da hat man den Ursprung des Mährchen, wie er möglich war. Dazu bedenke man noch, daß Junius des Erfinders Schwiegersohn als Gehülfen und Vervollkommnerer der Buchdruckerkunst angiebt, Faust aber bekanntlich den Peter Schöffer zum Schwiegersohne nahm, weil dieser ihm in derselben Eiegenschaft nützlich ward 8; und ich hoffe, man wird meine Vermuthung wenigstens nicht ungereimt finden.

[229] Was werden aber die Kosterianer dazu sagen, wenn ich jene über den Canal aus England schwimmende Sage, die Meermann als Hauptbeweis für Koster und Harlem so begierig auffischte, nur als Bestätigung dessen betrachte, was ich so eben meine Vermuthung nannte? Und doch scheint mir nichts klarer zu sein. Man urtheile. Der Engländer Atkyns erzählt in seinem Buche, growth of printing. Lond., 1664, von einer Handschrift auf der Lambethischen Bibliothek zu Oxford, worin es heiße: der König Heinrich der sechste habe von der Erfindung der Buchdruckerkunst zuHarlem durch John Cutenberg gehört und in Folge dessen einen verschmitzten Kerl dorthin gesandt, damit derselbe in den Besitz des Geheimnisses sich setzen und damit nach England zur Ueberpflanzung der Kunst zurückkehren möge; dieser habe einen Arbeiter des John Cutenberg bestochen und durch solchen, der Corsellis geheißen, sei die Kunst wirklich nach England und zwar zunächst nach Oxford entführt. Die ganze Stelle ist noch weitläufiger und trägt eben so viele Spuren des Fabelhaften an sich, wie die Stelle im Junius, allein es schwirrt doch durch den Wirwarr ein Ton der Wahrheit, ein Name hindurch, Johann Gutenbergs, des Erfinders der Buchdruckerkunst. Sonst [230] ersieht man daraus, daß die Harlemmer Sage vom Diebstahl selbst ein Echo der Straßburger, schon früh als zweites Echo von Oxford widerhallte; obgleich nicht rein, sondern von der Gewinnsucht der Oxforder Buchhändler aufgefangen und verändert. Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß die Oxforder Buchhändler mit den übrigen Buchhändlern von England über vermeintliche Privilegien einen Proceß führten. Daher muß der Dieb nach Oxford entfliehen, und König Heinrich, persönlich der Anstifter des Diebstahls, muß ihm Privilegien zum Geschenk machen. Die Wahrheit ist, daß England seine ersten Drucker aus den Niederlanden erhielt. Dies geschah einige Zeit später, als die Niederlande selbst ihre ersten Drucker aus Deutschland und Frankreich bezogen, und es sind eben die Gesellen und Lehrlinge dieser Leute, die sich nach England begaben.


Da hast du, lieber Leser, die Historie des Mährchens, wovon ich am Schlusse des vorigen Capitels äußerte, dasselbe sei noch unglaublicher, als das Mährchen von Sprengung eiserner Ketten durch Harlemmer Sägeschiffe. Wahrlich, wer die Buchdruckerkunst erfunden, hat stärkere Ketten gesprengt, als die Hafenkette von Damietta, des [231] Aberglaubens und der Feudalherrschaft diamantene Kette, die der kühnen Seglerin Europa den Zugang zum Hafen des Lichts und der Vernunft versperrte.


Ende des ersten Theils.

Fußnoten

1 Vielleicht gehört aber selbst der dänische Palnatoke einer viel ältern Sage an, deren sich der in den alten Classikern sehr belesene Saxo Grammatikus zur poetischen Ausschmückung seines Werkes bediente.

2 Die auf Holz geschnittenen Spielkarten, die allerfrühesten Holzschnitte in Europa, trifft man in Deutschland bereits vom Jahr 1299; in Frankreich weit später, nach historischen Zeugnissen waren sie dort im Jahr 1341 im Gebrauch. S. Jansen l'origine sur la gravure en bois. Einen der ältesten freien Holzschnitte, einen alten bärtigen Mann vorstellend, entdeckte Oberlin auf der Lyoner Bibliothek, mit der Umschrift: Schloting von Nürnberg 1384.

3 Wie viel würden die Mijnheers Kosterianer nicht um den Besitz solcher Proceßakte geben, wie sie der Straßburger Senat von Gutenberg aufbewahrt. Darin bezeugt Hans Dünne, der Goldschmied, daß er von Gutenberg schon im Jahr 1436 hundert Goldgülden verdient, allein für Verfertigung und Lieferung dessen, was zum Druck gehört.

4 Es ist überhaupt lächerlich, ein bestimmtes Jahr und nun gar einen bestimmten Tag als Geburtsjahr und Geburtstag einer Kunst zu betrachten, die erst in Jahren langsam und mühevoll sich ausbildete, wie wir an Gutenbergs Versuchen in Straßburg sehen. Die Deutschen, die nach dem Vorgange des alten Hans Luft den Johannistag und das Jahr 1440 dazu gewählt, begehen diese Lächerlichkeit nicht; das Jahr ist ihnen eine runde Zahl (jedenfalls keine zu frühe), und ihr Gutenberg hieß – Johannes.

5 In dieser Kiste befanden sich unter Anderm dasSpeculum salvationis, die Figurae apocalypseos, die Chronik von Kölln vom Jahre 1499, die Officia Ciceronis, ed. Faust. 1466.

6 Bereits von Heineken machte darauf aufmerksam, daß der alte ausführliche Karl von Mander im weltberühmten Schilderboek keinen Koster unter Harlems Künstlern des funfzehnten Jahrhunderts kennt und nennt. Dies ist in der That ein stärkeres Argument gegen die Wirklichkeit eines so benannten Künstlers und Holzschneiders zu Harlem, als je ein Kosterianer eins für dieselbe geliefert hat. Sonst ist nicht zu läugnen, daß Karl von Mander Lücken gelassen; so erwähnt er der berühmten Brüder Crabeth, Glasmaler zu Gouda, nicht.

7 Man denke nur an die Officia Ciceron., ed. Faust, in der Bücherkiste jener Harlemmer Familie.

8 Peter Schöffer erfand die metallgegossenen Typen.

Zweiter Theil

Vorwort
[5]Vorwort.

Ich habe Holland und die Holländer in einer merkwürdigen Zeit kennen gelernt. Ich sah ein Volk, das von Natur einem Kriege, besonders zu Lande, abgeneigt ist, sich ohne Noth in einen kostspieligen Krieg verwickeln. Ich sah ein Volk, das einst aus Republikanern bestand, die Spaniens Scepter zerbrachen und Ludwig XIV. Uebermuth demüthigten, für einen – – König sein Schwerdt ziehn, um beleidigte Majestätsrechte [5] an einem benachbarten Volk zu rächen. Zweifelhaft geworden an der Geschichte der Vergangenheit, schlug ich noch einmal ihre Blätter auf und las manche Zeile anders, als vorher. Ich untersuchte die elektrische Sphäre der Gegenwart und fand sie künstlich geladen und mit geheimen Agentien geschwängert, die das Gewitter, das schon lange über Holland und Belgien stand, zum Ausbruch brachten. Meine Analysen, Ansichten und Urtheile darüber findet der Leser in diesem Werkchen zerstreut, bald ernsthaft und bald scherzhaft, wie ich jedesmal die Laune dazu hatte. Daß ich mich über die höfische Natur des Krieges nicht geirrt, beweisen die jetzigen Zugeständnisse des Haager Kabinetts, nachdem Antwerpen gefallen, das heißt, nachdem Hollands sinkendes Nationalvermögen um nichts und wieder nichts, einer [6] legitimen Grille wegen, noch tiefer zum Sinken gebracht worden. Meine Prophezeihungen der nächsten Zukunft erwarten von dieser ihre Belege.

Wie ich außerdem meinen Aufenthalt in Holland benutzt und fruchtbar gemacht habe, wie ich Kunst, Natur und Menschen aufgefaßt, Gegenwart mit Vergangenheit verglichen und alle zerstreuten Züge des holländischen Nationalcharakters in einen Brennpunkt zu sammeln bemüht gewesen, wird der Leser hoffentlich nicht ohne Theilnahme ersehen.

Daß meine eigne Persönlichkeit überall sehr stark hervortritt, bitte ich nicht als eine Unart, sondern als eine natürliche Folge der Umstände, des Orts und der Zeit zu betrachten. Holland ist ein zu eigenthümliches Land, um sich selbst darin zu verlieren, man spiegelt[7] sich auf Schritt und Tritt in Sumpf und stehendem Wasser. Die Zeit aber war und ist noch für den Deutschen kein lebendiger Strom, in den er in Selbstvergessenheit und Thatenlust eintauchen und untergehn möchte; es beugt die Weisheit und die Thorheit ihr Haupt über das Ufer und spiegelt sich wohlgefällig ab in der trägen Welle, ohne sich die Zehe naß zu machen.

[8]
Orgelconcert
[1] Orgelconcert.

Nicht lange nach meiner Ankunft besuchte ich ein Concert, das der Organist der französisch reformirten Kirche im Haag auf der Orgel zum Besten. gab. Heilige Cäcilie, welche Orgelei! Doch hielt ich es aus, der Merkwürdigkeit wegen, denn der Besuch war zahlreich und das Concert eigentlich veranstaltet für die braven jongelinge, die hinausgezogen in den Krieg fürs Vaterland, im Grenzlager siech geworden. Am Ende freute ich mich, daß ich geblieben war, denn das versammelte Publicum gab mir Gelegenheit zu einer Beobachtung, die mich anfangs zwar überraschte, die ich aber bald in ihrem Zusammenhang mit dem holländischen Nationalcharakter für nicht weniger natürlich, als scherzhaft anerkannte. Man denke sich einen betagten holländischen Organisten, dessen Alter so ungefähr an die Sechziger streifen mag. Eben hat er uns die Ohren mit dem Gepfeiff und Geschnarr seiner[1] Orgel zerrissen und nun erhebt er sich und pflanzt seine ehrwürdige Gestalt kerzengerade auf dem Chor der Orgel auf und beginnt mit heiser zitterndem Baß ein patriotisches Lied in holländischer Sprache abzusingen. Es ist zum Todtlachen, wenn man den Alten nicht sieht – das ist wahr; aber nun betrachte man sein bloßes Gesicht, nun höre man die tiefe Rührung, die nicht zu verkennen, selbst den unerschütterlichen Tact, den er, es mag kommen, wie es will, beobachtet, so wird man gestehn, daß ein solcher Gesang mehr zum Mitleiden, als zum Spott aufzufordern geeignet sei. Nun denke man sich aber lebhaft den patriotischen Zweck des Concerts, Zuhörer, die einem Volk angehören, das sich mit ungewöhnlicher Leidenschaft und dem bittersten Ernste diesem hingibt, so wird man die Wirkung eines solchen Auftritts sich nicht leicht anders denken, als eine unangenehme, verstimmende, der man sich am Ende ganz einfach durch Weggehen entziehen wird, schwerlich aber als lächerliche und zur allgemeinen Heiterkeit stimmende; wie es in der That der Fall bei dem holländischen Publicum war. Die Frauen kicherten, die Männer scherzten und lachten und mein alter Cigarrenhändler aus Westeinde, der mit seiner jungen Frau hinter mir im Kirchstuhl saß, rieb sich vor Vergnügen die Hände und rief hoor de oude baas (hör den alten Knaster).[2] Est-il possible, rief mein Begleiter, Legationssecretair. Es ist weiter nichts, erwiederte ich, als daß wir den glücklichen Augenblick getroffen haben, den Holländer wieder einmal chez soi in seiner alten blauen Jacke zu sehn, worin er das spaßhafteste Wesen ist, das in Europa auf zwei Beinen geht.

Der Rhein und Vondel
[3] Der Rhein und Vondel.

O schöner Rhein, mein Jugendtraum,

Soll ich von fern dein Lob besingen,

Der ich gespielt an deinen Saum,

Du kannst aus Schweizer Alpen springen,

Du Ader von dem schönsten Weib,

Bruder der Donau, du nach Norden,

Nach Osten sie, aus Einem Leib

Entsprungen und sich fremd geworden,

Won Einer Mutter in Eis und Schnee

Und Regen geboren auf der Höh.


Du schlängelst, wie die griech'sche Schlang',

Deine blauen Ringel längs Gesträuchen

Und grünen Bergen, breit und lang

Und füllst dich aus so vielen Schläuchen

Der Bäche, bis du angeschwellt

Bald Kräuter lockerst, die das Ufer decken,

Bald fluthest um ein Ackerfeld,

Bald nagst an rauhen Felsenecken;

Nun zwischen Berg und krummen Horn,

Nun durch ein Thal voll Most und Korn.


[4]

Du irdscher Regenbogen du,

In schimmernde Farben eingekleidet,

Du raubst dem himmlischen seine Ruh,

Der oben traurig dich beneidet.

Deine Locken, deine Städtekron',

Deine grüne Weingartenhaube

Verziert die weiße, die purpurne Traube,

Und dienend stehn an deinem Thron

Die Flüsse, die beträuft von Naß,

Zuschütten dir ihr Wasserfaß.


Da ist der Main, einer Pinie Sohn,

Die Mosel mit ihren Apfelflechten,

Die Maas mit ihrer Meuterkron',

Verwegen mit dir selbst zu fechten,

Ruhr, die ihr Haupt mit Ried beschaut,

Neckar mit seinen Traubengeästen,

Lippe, gehüllt in Moos und Kraut

Und überhangenden Eichenästen,

Und hundert andre, wie die Aar,

Kornblumen und Weinlaub im Haar.


O meines Rheines lautre Fluth,

Du bis zum Tode meine Labe,

Wie Manchem gabst du Ehr und Gut

Wie hohe Titel manchem Grabe,

Welch großen Namen manchem Land,

Der Helden, über dich gezogen,

Aufpflanzend Ruhm an deinem Strand;

Wie oftmals theilten deine Wogen,

Wenn sie die deutschen Krieger sahn,

Ihr Heldenglühn bei ihrem Nahn.


[5]

Doch fühl ich ach ein bittres Leid

Und möchte mich in dich verweinen,

Daß Fürstenhaß und Kirchenstreit

Zu einer Hyder sich vereinen,

Einer bösen Hyder, voller Gift,

Die an des Rheins gesunden Borden

Ihr Gift verspritzt, daß Thal und Trift

Und's ganze Deutschland trieft von Morden.

O wäre der Messias nah

So lang ersehnt und noch nicht da.


Der Dichter dieses schönen Rheinliedes, von dem ich kaum die Hälfte mitgetheilt, ist Vondel, der Stolz der Holländer, und in der That ihr größter oder vielmehr einziger Dichter, fasse ich das Wort in unserm Sinn. Vondel ist geboren in Kölln am Rhein. Als er noch Kind war, nahm sein Vater den Wanderstab, um sein Glück anderswo zu versuchen. Die Reise ging über Hamburg, wo die Familie einige Zeit lang sich aufhielt, nach Amsterdam, wo Vondel groß wurde, lebte, dichtete und starb. Die heitern Wanderbilder aus seiner Kindheit schwebten ihm bis an seinen Tod vor Augen, sein Vater war Zimmermann, seine Mutter eine fromme Frau und daher war seiner Phantasie nichts natürlicher, als jenen mit Josef, diese mit Maria und sich selbst mit dem Christkind zu vergleichen und in der Reise seiner [6] Eltern von Kölln nach Holland, die Flucht der heiligen Familie von Bethlehem nach Aegypten zu sehen.

Nie vergaß er Kölln und den Rhein. Sein Rheinlied dichtete er im Alter und als Gustav Adolf vor Kölln lagerte, schrieb er an diesen eines seiner schönsten Gedichte, worin er ihn beschwört, der Stadt Kölln kein Leides zuzufügen. Wie's Vögelein, sagt er,


Wie's Vögelein, das singt, wenn's vogelfrei ist,

Die off'ne Luft ist mein,

Doch wünscht es, da zu sein,

Wo es gekrochen aus der Mutter Ei ist:

So ich. Obwohl mein froher Geist mag schweben,

Wohin ihn trägt sein Flug,

Doch zieht ein stiller Zug

Mich heim nach Kölln, wo ich empfing das Leben,

Wo ich zuerst nach Honig ausgeflogen,

Am Rhein, am blonden Rhein,

Bepflanzt mit rhein'schem Wein,

Wo ich den Thau aus Veilchen früh gesogen.

Und daraus wird mir nun mein Leid geboren.

Denn wo ich aufgewiegt,

Die Schwedenfahne fliegt

Und Donner dröhnt von dort mir in die Ohren.

Drum mocht' ich wie ein Schwan dem Mars begegnen,

Den Busen in der Fluth

Hellsingend seine Wuth

Ablenken längs dem Staub der Rossehufe.


[7] und wie er weiter den Helden des dreißigjährigen Krieges zu rühmen sucht, der aber vermuthlich keine holländische Verse las. Und nicht Kölln allein, das ganze arme Deutschland lag ihm beständig am Herzen. Er beklagte den ungeheuren Spalt, den Luthers heilig eifernde Axt in Germaniens Boden geschlagen, er sah aus nach dem großen Mann, der den Fürsten den Daum aufsetzte, nach dem Kaiser, Messias:


So lang ersehnt und noch nicht da,


der die Hyder der Zwietracht unter die Füße treten, den Glanz des alten Reichs wieder erfrischen und aufs neue die Stämme Deutschlands unter die Flügel des Adlers versammeln würde. Merkwürdig ist seine Ode an Kaiser Leopold. Laß, sagt er unter Anderm an diesen Kaiser, der eben gekrönt war und große Hoffnungen erregte,


Laß geschirmt durch deinen Speer

Muthiger den Bataver

Auf der See sein Banner breiten,

Laß den röm'schen Doppelaar

Mit dem Leu, ein tapfres Paar,

Unter Einer Fahne streiten.


Dieser Leopold war freilich nicht der Mann großer Blicke und Thaten, der kaiserliche Speer dieses schwachen Habsburgers wußte nicht einmal die deutsche Reichsgrenze zu schirmen, er ist derselbe [8] Leopold, unter dem Straßburg, die Perle vom Elsaß, an die Franzosen kam. Allein Vondel sah in ihm einen aufgehenden Stern, gegen den er fern und einsam aus seinem sumpfigen Winkel die Hände ausbreitete. Ihn fesselte das große Gesicht des heiligen römischen Reichs, der Kaiser in seiner Pracht, der Papst auf seinem Felsen, alle kolossalen Erinnerungen einer romantischen Vorzeit, welche ihren letzten Schatten in das siebzehnte Jahrhundert warf. Er fing sogar noch im hohen Alter ein Epos an, worin er die Vermählung der christlichen Kirche mit dem römischen Weltreich unter Constantin zu feiern gedachte; er hinterließ aber nur den Anfang desselben, der indessen hinlänglich darthut, daß es dem Geiste noch nicht an Kraft und Feuer gebrach, um die Lieblingsidee seines Lebens, die Vereinigung aller menschlichen und göttlichen Gewalten im römischen Kaiserreich würdig durchzuführen. Eine große Idee und ein großer Irrthum. Selbst Vondel mußte schon an sich selbst fühlen, daß sein Jahrhundert nicht mehr aus einem Zeug gewirkt war. Getauft und erzogen in der neuen Lehre, ging er über zur alten, erlitt mehrere Schwankungen, veränderte mehr als einmal sein kirchliches Bekenntniß und ward nur durch den Ekel, den ihm das protestantische Dogmengezänk machte, wie [9] durch den Abscheu vor dem heuchlerischen Spiel, welches die Fürsten und Mächtigen der Zeit hinter dem Riß der Kirche trieben, immer wieder der alten Mutter in die Arme zurückgeworfen. Er sehnte sich nach dem imposanten Anblicke der einheitlichen Kraft aller germanischen Stämme, nach Frieden und Einheit im Herzen Europa's, er glaubte, daß nur auf dem Felde des Streits selber, also auf dem Felde der Religion die Möglichkeit läge, den ewigen Frieden abzuschließen. Ein frommer Wahn zu einer Zeit, die vom Feldgeschrei der Religion wieder hallte, ein starker Glaube, der glaubte, daß die Süden und Norden einträchtig und versöhnt ihre Hände falten würden um denselben Kelch, der noch von ihrem Blute rauchte, ein Wahn, den die Zeit völlig zerstört hat, zerstört, ohne uns eben eine andere Hoffnung an seiner Stelle zurückzulassen. Nur so viel kann man dem Schatten Vondels zurufen, will es Gott, Vondel, daß sich wiederfindet, was sich geschieden hat, so wird es nicht unter den Palmen Palästina's, so wird es unter Herrmanns Eichen sein.

Im Leben ging es dem Dichter nicht allzuwohl. Er hatte eine freie Zunge, und da er mit Leib und Seele immer in der Gegenwart wirkte, an Allem, was sich ereignete, lebhaften Antheil nahm, seinen Glauben nicht verbarg, sein Gefühl nicht verläugnete, die Wahrheit nicht bog und keinen [10] Mächtigen scheute, so hat er viel Unangenehmes in der Welt erleben müssen, ja es ging ihm selbst schlecht und am schlechtesten in seinen alten Tagen. Mehr als einmal schnappten nach ihm die Arme der Gerichte, der Prinz Moritz haßte ihn, denn er allein hatte in Holland Muth gehabt, Oldenbarneveldts Andenken zu vertheidigen und seinen Mörder der Tyrannei zu beschuldigen, obwohl er wußte, daß dasselbe Schwert auch über seinem eigenen Kopf hing. Unglück mit seinem Sohn kam hinzu. Um diesen von öffentlicher Schande zu retten, gab er Alles hin, was er noch an Geld und Gütern besaß, und sah in seinem siebzigsten Jahre sich genöthigt, sich an die Schreiber- Galeerenbank des Lombards zu schmieden, eine Stelle, die ihm eine Dame verschafft, die sich seinetwegen bei einem Bürgermeister oder Schöppen von Amsterdam eindringlich verwendet. Die Natur hatte ihn so unverwüstlich gemacht, daß er noch zwanzig Jahre darnach lebte und starb in seinem neunzigsten, weniger glücklich, aber so unvergeßlich, wie Goethe. Der Senat ließ ihn begraben, wie einen Bürgermeister und errichtete ihm in der Kirche ein marmornes Denkmal, worauf die Worte:

»Hier liegt der zweite große Deutsche, der, nach dem Rhein, in Holland elend versiegte.«

nicht zu lesen sind.

[11] Vondel hat aus der holländischen Sprache gemacht, was nur daraus zu machen war. Er hat in ihr einen Schatz von Gedanken, Bildern und Wendungen niedergelegt, der größer sein mag, als alles Uebrige, was holländische Verse seit der Zeit enthalten. Denn er war ein reicher Mann und hatte Ueberfluß an Allem, woran die Andern Mangel leiden, namentlich an Gedanken.

Man kann mit demselben Recht sagen, Vondel hat aus seinem Genie gemacht, was er in seiner Zeit und an seinem Ort daraus machen konnte. In London am Hofe Elisabeths, in romantischer Luft, Erbe der englischen Geschichte, im Genuß italienischer Novellen, Nachfolger und Zeitgenosse witziger humoristischer Dichter in London, sage ich, wäre Vondel allem Anschein nach geworden, was Shakspeare in Amsterdam in der Kammer der holländischen Rederyker »door yfer in liefde bloeyende.«

Vondel hat sehr viel hinterlassen, Trauerspiele, Lieder, Festgedichte, Epigramme, Aufsätze in Prosa.

Seine Trauerspiele sind ihrem Inhalt nach biblisch mit Ausnahme etlicher, wie sein Gysbrecht van Amstel, ein Stück, das man noch alljährlich einmal auf die Amsterdammer Bühne bringt. Sie sind mit Chören durchflochten wie die griechischen, Vondel kannte den Euripides in Uebersetzung, er [12] hatte sogar im Alter Latein gelernt, um Seneca zu lesen. Die Personen, welche in Gysbrecht van Amstel und andern ihm eigenthümlichen Stücken auftreten, sind fest und derb gezeichnet, die Chöre oft mit Rembrandts Pinsel zu einander in Licht und Schatten gesetzt, wie denn eine Mutter, die auf der Brandstätte Jerusalems in Raserei ausbricht, mir oft vor Augen schwebt.

In der starken Sammlung seiner Gedichte nehmen die sogenannten Gelegenheitsgedichte viel Raum ein, wie leicht zu erwarten von einem so lebhaften Mann, der die Augen überall hatte und mit den bedeutendsten Köpfen seiner Zeit in Verbindung stand. Gelehrte, Künstler, Staatsleute, Seehelden, Jeder fühlte sich geschmeichelt, wenn Vondel seiner Person und seinen Verdiensten einige Verse schenkte. Da er nun nicht der Mann war, blinde Worte zu machen und selten verfehlte, in diesen kleinen Sachen irgend einen bedeutenden Zug anzubringen, so liefern seine Epigramme einen sehr schätzbaren Beitrag zur Kunde jener für Hollands Ruhm so fruchtbaren Zeit.

Der Rhein und ich
[13] Der Rhein und ich.

Ich ritt über eine Brücke, die nicht viel länger war, wie vom Kopf zum Schwanz meines Pferdes, hörte die Frösche quaken, die Sumpfblasen quirlen und ritt über den Rhein, über denselben Rhein, der das Juragebirge durchbrach, bei Schaffhausen vom Fels donnerte, bei Bingen dahinschoß wie Tells Pfeil und über Bonn dem langen Schatten des Drachenfels Raum gab, um sich auszubreiten über seinen Spiegel.

Und als ich hörte, daß es wirklich der alte Rhein war, ich ließ es mir sagen durch einen Fischer von Katwyk, der nach Leiden zu Markt ging – da band ich mein Pferd an einen Busch und setzte mich zu ihm ins Gras.

Weißt du es noch, rief ich, weißt du es noch, Vater, als wir uns zuletzt sahen. Es sind nun drei Jahre her, und ich glaube, es ist heut derselbe Tag. Ich nahm Abschied von dir, und du [14] nahmst Abschied von den Bergen und Reben an deinem Ufer. Laß mich dir erzählen, es erleichtert mein Herz und führt vielleicht einen schwachen Strahl der Erinnerung in deine verschüttete Brust zurück. Wir sind allein und geht auch ein Käsekind vorüber und sieht mich bei dir sitzen.

Damals umgaben uns nicht Sandhügel, sondern zerrissenen Gipfel des Siebengebirgs. Der Tag neigte sich, wie er sich jetzt neigt. Der lange Thurm von Godesberg lag schon im Dunkel, nur auf den Ruinen des Drachenfels blühte noch das Abendroth. Ich lag zum letztenmal unter einer Rebe und benetzte ihre grünen Blätter mit meinen Thränen, denn ich hatte viele Stachel im Herzen und dachte, daß meine Lebenslust vorüber war und meine Jugend und alles Glück der Täuschung. Ich legte mich hinterüber und versank in trostlose Gedanken. Ich weiß nicht, wie lange ich so lag, als mir plötzlich Wasser übers Gesicht gesprengt wurde. Wie ich die Augen aufschlug, stand der Mond hoch am Himmel, die Rebenstöcke, unter denen ich saß, waren in voller Unruhe, eben so die Wellen zu meinen Füßen und ich sah daraus mit großem Erstaunen die allerschönsten Mädchengesichter herauslachen. Sie hatten ihren Schleier zurückgeschlagen, und die Eine streckte ihren schneeweißen Arm nach mir aus, als [15] wollte sie sich mir als die Thäterin zu erkennen geben. Ich wußte nicht, ob ich wachte oder träumte, ich rieb mir die Augen, aber an den Augen lag die Schuld nicht allein, denn zu gleicher Zeit schlugen Töne an mein Ohr, wie sie nur der arme Fischer gehört hat, von dem Goethe singt. Ich sprang auf. Gleich fühlte ich, daß der Boden unter mir bebte, so daß ich nur mit Mühe das Stehen behielt. Ich versuchte aber einige Schritt weiter ans Ufer zu kommen, wo eine alte hohle Weide stand, an die ich mit beiden Armen mich festklammerte. Aus der Ferne hörte ich den Nachtwächter von Oberwinter ganz geruhig blasen, woraus ich den Schluß zog, daß er von Allem, was in der Natur um mich her vorging, nichts sehen und merken mußte. Dieser Umstand überzeugte mich noch mehr, daß ich bezaubert war. Da ich nun damals den Kopf voll von Rheinmährchen hatte, so dachte ich gleich an deine Nixen, Vater. Ich glaubte, sie hätten mich mit magischem Wasser besprengt, und mir dadurch zu meinen fünf natürlichen Sinnen, fünf übernatürliche gegeben. Wie es auch damit war, ich hatte nur den Anfang der erstaunlichen Scene erlebt, die vor meinen Augen vorging. Statt des Nachtwächterhorns hörte ich von Oberwinter her einen entsetzlichen Lärm von Becken, Trommeln und kreischenden [16] Weiberstimmen, als wenn die Winzerinnen es auf der Hochzeit allzutoll machen. Das Getöse lief an den Bergen entlang, verlor sich zuweilen in die Schluchten, kam aber dann jedesmal näher und näher. Zuletzt wurde ich springende Gestalten ansichtig, die etwas Weißes in der Luft hin und herschwenkten. Bei diesem Anblick dachte ich bei mir selbst, sind es nicht wirklich Mänaden, so sehen sie wenigstens so aus und das weiße in ihren Händen kann auch sehr gut den Thyrsusstab vorstellen, auf dessen Blätter und Rebengewinde der weiße Mondschein fällt. Wie sie näher kamen, bemerkte ich, daß sie Alle nackt waren, ihre Haare flatterten im Winde und sie mutheten ihren schlanken Leibern die halsbrechendsten Schwenkungen an. Der Zug ging nahe an mir vorüber, ich hatte mich zur Vorsicht in die hohle Weide hineingepreßt, so tief ich nur konnte. Hinter ihnen her stürmte ein junger Mann, bei dessen Anblick ich wieder Athem schöpfte, denn die besessenen Weiber hatten mir ein wenig Angst gemacht. Er war schön wie der Tag, und hatte einen Kranz von Epheu und Weinlaub in den Haaren, und seine Haare fielen ihm vorn in zwei großen Locken auf den Hals. Im besten Rennen hielt er sich an und schien über etwas stutzig zu werden. Er fühlte sich an die Stirn und ich bemerkte, daß [17] seine Glieder frostig zitterten. Darauf hielt er die flache Hand gegen den Wind, welcher den ganzen Tag, wie ich wußte, aus Süden geweht hatte und eben jetzt sich in Nordwest umsetzte. Er drehte sich um, und sagte zu einem alten Mann, der ihm zu Esel nachgeritten war, wie geht's dir, Alter? Dieser machte ein weinsaures verdrießliches Gesicht und grunzte, wie es mir geht? welche Frage, so geht es mir, und mit diesen Worten schleuderte er einen großen gelben Weinkrug, der am Sattel hin, mit solcher Gewalt über den Rhein, daß er am andern Ufer in Plitterdorf niederfiel, unweit der Capelle. Basta, fügte er trotzig hinzu, weiter geht meine Gefälligkeit nicht, und hätte ich nicht noch einen kleinen Nachgeschmack von Mosel und Bleichert auf der Zunge gehabt, ich wäre nicht einmal bis hierher dir nachgeritten. Mag diesen sauren Landwein trinken wer da will, ich nicht, und ich weiß, daß es genug katholische Pfarrer, preußische Lieutenants und bonner Studenten gibt, die mir Dank wissen dafür. Aber um den Krug thut es mir jetzt leid, und ich bereue, daß ich ihn weggeworfen habe in der ersten Hitze. Es war kein gemeiner Krug, er hielt dicht, er hatte einen schönen tiefen Resonanzboden, und wenn er ein wenig voll wurde und in Schwung gerieth, gurgelte er die schönsten und verrücktesten Weinlieder[18] und nicht etwa so traurig hohles Zeug, wie der rothe leipziger Krug. Dionys, Dionys, zu welcher schnöden Aufwallung verleitest du mich in meinen alten Tagen. Ich bitte dich, kehr um und laß den Rhein laufen, wohin er will. Merkst du denn nicht, daß dies die letzten Berge sind.

Der Jüngling hörte nicht auf sein Geplauder. Er sah in die mondhelle Fluth, er sah wie die Nixen ihm zuwinkten und wie sie verschwanden, Eine nach der Andern immer tiefer den Strom hinab. Seine Brust hob sich vor Sehnsucht und schon setzte er einen Fuß an, um dem Zuge der Wellen, der Fische, der Nixen und seines eignen Herzens zu folgen, als ein neuer Windstoß durch seine Locken fuhr, der noch mehr, als der erste, verrieth, daß er aus dem rauhen Norden kam. Zugleich ließ sich der Alte mit etlichen Kernflüchen vernehmen, und der Esel stieß aus Sympathie mit seinem Reiter einen gellenden Schrei aus.

Wohl, sagte der Gott – denn dies schien mir eines Gottes würdig, sich über einen Esel in Geduld zu fassen – wohl, bis hierher und nicht weiter.

Nun gab es einen so wirren und wilden Lärm, daß mir noch jedesmal der Kopf schwirrt, wenn ich daran denke. Die Weiber waren zurückgekehrt und der Ausspruch des Jünglings brachte [19] den wüthendsten Freudentaumel unter ihnen zuwege. Sie packten sich um den Leib und sprangen baumhoch in die Höhe, die Berge sprangen, der Esel tanzte, und der Alte schrie, wie besessen, das ist der Abschiedsball, den der Weinkönig dem Rheinkönig gibt.

Du hast Recht, alter Trunkenbold, sagte der Jüngling, weiter will ich auf meinem Zug von Indien in den nordischen Himmel nicht vordringen. Darauf breitete er seine Arme aus nach den krystallnen Fluthen und sang ein Lied von der ewigen Jugend der Götter und des Weins, und wie er stand und sang küßten sich die Nixen, die Fische begatteten sich, die Vögel in der Luft feierten ihre Hochzeit und die Wellen schmiegten sich stummselig an die goldenen Sandalen des Gottes.

Einer aber war traurig und das warst du, Vater Rhein. Du hobst dein Haupt aus den Wellen und sprachst, singe nicht so schön! singe nicht so schön, denn nun du mich verlässest, verläßt mich meine Jugend. Reißt mir das letzte grüne Blatt aus den Haaren, es verspottet mich durch seine Erinnerungen. Ich will vergessen, wer ich war, ich will nicht denken, wohin ich gehe. Ich will vergessen, daß ich über Wolken geboren bin, vergessen, daß ich als Knabe schon mit kühnen Thaten spielte, daß ich mit schäumender Begeisterung [20] ins Leben stürzte, ich will meine Jugend, dein Lied vergessen. Fort mit den Bergen, fort mit den Gesängen, fort mit den Reben, weg mit euch Nixen. Leb wohl Dionys und grüß' die andern Götter. Goldne Gemeinheit, nimm mich auf, flache Gesichter, von nun an bin ich euer Bruder. Ich von Götter Gnaden in Poesie empfangen und geboren will sterben und verderben in eurer Prosa.


Und als du diese Worte gesprochen, Vater Rhein, da wandte sich ab der blühende Jüngling und eine dunkle Wolke flog über seine Stirn, über den Mond und todesmuthig warf ich mich zu dir in's Wasser und rief: nimm mich mit, Vater, ich will sterben und verderben mit dir; denn auch für mich sind deine Kränze zerrissen und für mein Volk, und unsere Geschichte spiegelt sich in deinen Wellen, und das Reich und unsere Größe ist mit dir stromab gefahren und in Schmach verloren und untergegangen. Philister über uns, Vater! Deutschland verräth seinen Strom und seine Jugend und die einst die Alpen überströmt und die Pyrenäen durchbrochen und die Trümmer der Welt in ihren Strudel rissen, sie schleichen jetzt träge, ohnmächtig, vertheilt, abgestochen und eingedämmt durch die Welt und sind zu nichts mehr gut, als [21] um die Heerden ihrer Könige zu tränken und deren Felder und Aecker zu bewässern.

Vater, da hobst du mit starken Armen mich übers Wasser und sprachst: Jüngling, verzweifle nicht. Verzweifle nicht, es kommt der Tag, wo wir uns wiedersehn.

Und nun, Vater, der Tag ist da und wir haben uns wieder gesehn.

Philister über uns! murmelte eine sterbende Stimme aus der Tiefe und ich jagte des Weges weiter, immer tiefer in die Dünen hinein.

Die Maatschapijen
[22] Die Maatschapijen.

Nichts beweiset mehr für den aristokratisch- republikanischen Geist der Holländer, als die auffallende Menge der von ihnen zur Erreichung verschiedener Zwecke gestifteten Vereine. Wer den Holänder von einer seiner besten Seiten kennen lernen will, muß auf diesen Gegenstand seine Aufmerksamkeit richten. Er wird aus der Anzahl, Stärke, Einrichtung, Verzweigung und Wirksamkeit der maatschapijen in Holland einen sehr vortheilhaften Schluß auf den regsamen öffentlichen Geist machen, der in diesem Lande herrscht. Ich will nur einige dieser Gesellschaften namhaft machen und zwar solche, die entweder ihren Hauptsitz oder wenigstens eine bedeutende Mitbesteurung im Haag gefestigt haben. Zunächst führe ich an:


Die maatschapij tot nut van't algemeen.


Dieselbe ist im Jahr 1784 zu Edam errichtet, hat aber in der Folge ihren Hauptsitz nach Amsterdam[23] verlegt. Die Anzahl ihrer Departemente, durch ganz Holland zerstreut, beläuft sich auf 192, welche 13,188 Mitglieder befassen. Die Provinz Süd- Holland hat 35 Departemente aufzuweisen, wovon eins auf die Hauptstadt. Der jährliche Beitrag der Mitglieder 6 Gulden. Dafür empfängt Jeder ein Exemplar von den Werken, welche die Gesellschaft im laufenden Jahr herausgibt.

Das Haager Departement hat folgende vortreffliche Einrichtungen für die Stadt ins Leben gerufen:

1) Eine Lesebibliothek, seit dem Jahr 1798. Der Katalog befaßt die Titel von 1800 Büchern für das Volk und die Jugend. Die Bücher werden unentgeldlich ausgeliehn und am Donnerstag Abend für vierzehn Tage gewechselt.

2) Eine Schule, gestiftet im Jahr 1804, mit sechs Lehrern.

3) Eine Zeichenschule vom Jahr 1809. In derselben wird am Montag, Mittwoch und Sonnabend Unterricht im Zeichnen ertheilt, sowohl wie nach antiken Büsten, wie nach Handzeichnungen und Kupferstichen. Für den dreimaligen Besuch in der Woche wird Jahrs zwanzig Gulden entrichtet, für den zweimaligen Besuch nur sechzehn.

4) Eine Sparbank, aufgerichtet im Jahr 1818. Schon im Jahr 1830 besaß die Bank [24] einen Werth von 347,632 Gulden. Sie gibt vier von Hundert und nimmt Alles an, was über einen halben Gulden ist.

5) Volksunterricht durch öffentliche Vorlesungen etlicher Werke der Gesellschaft, seit dem Jahre 1823. Der Stadtrath hat dazu die kleine englische Kirche hergegeben, wo 150 Zuhörer auf Vorzeigung einer Karte zugelassen werden.


Maatschapij van weldadigheid.


Diese Gesellschaft verdankt ihren Ursprung dem unermüdlichen Eifer des bekannten Generallieutenants van den Bosch. Als dieser würdige Mann sich auf der Insel Java aufhielt und für geringen Preis sehr bedeutende Ländereien an sich gebracht hatte, führte ihm ein glücklicher Zufall einen aus China geflüchteten Mandarinen zu, dessen sinnreicher Kopf in kurzer Zeit seine Güter dermaßen verbesserte, daß sie beim Wiederverkauf dem Herrn van den Bosch, wie auch dem Mandarin selbst, der vom Verwalter zum Miteigenthümer gestiegen war, einen überraschenden Gewinn abwarfen. Voll von diesem Resultat kehrte Herr van den Bosch nach Europa zurück. Hier faßte er den Gedanken, wüste Strecken seines Vaterlandes, nach den Grundsätzen des chinesischen Mandarinen urbar zu machen, und zwar nicht zu eigenem Vortheil, [25] sondern zum Besten nothleidender Menschen, die sich darauf als Anbauer niederlassen sollten. In dieser Absicht gründete er die obige Maatschapij, eine Gesellschaft, die gegenwärtig nicht weniger als 15,000 Mitglieder zählt und vielen hundert fleißigen, dem Mangel und Elende entrissenen Familien Brod, Arbeit, Aussicht auf Wohlstand gewährt. Die Colonien Fredericksoord in Drenthe, Wilhelmsoord in Overyssel, Wilhelminasoord in Friesland sind nach der Beschreibung sachverständiger Reisender, wie z.B. des Herrn von Gruner, Muster in ihrer Art. Der Fleiß findet dort Mittel und Wege, etwas vor sich zu bringen, der tüchtige Arbeiter kann mit der Zeit freier Eigenthümer werden, kann den Besitz, den er mit seinem Schweiße gedüngt hat, beim Tode seinen glücklicheren Kindern überlassen. Das lasse ich mir gefallen. Sonst, ich hasse diese Hungergaben, diese Haide-Sibirien, diese Zuchthäuser in freier Natur, diese Armen-Colonien mit ihren todtblassen Gesichtern, die muthlos auf den Boden starren, mit ihren gespenstischen Weibern, die, ihre Säuglinge an der welken Brust, die langen dürren Hände zum Betteln ausstrecken, mit ihren Hütten, die das menschliche Elend selbst gebaut und aufgezimmert zu haben scheint, um sie von ihrer leibeigenen Tochter, der Hoffnunglosigkeit, bewohnen zu lassen; [26] ich hasse diese Colonien, wo das Land kein Wasser, die Mutter keine Milch, der Vater keinen Muth in der Seele und kein Mark in den Knochen hat. Dagegen bin ich überzeugt, daß die meisten von den 2200 Menschen, die in den holländischen Colonien einen Grund von 1100 Bundern Land ur- und fruchtbar machen, Schullehrer, Prediger und Bücher haben, die Wohlthat der Gesellschaft dankbar anerkennen und segnen. Sie haben nicht viel, aber sie haben die Hoffnung, sie sind arm, aber sie sind keine Bettler, sie wohnen einsam, aber sie sind nicht ausgestoßen von der Gesellschaft, sie werden von ihren Nachbarn vielleicht nicht beneidet, aber auch nicht bemitleidet, sie haben einen Weg hinter sich, einen Weg vor sich und niemals, wenn sie nur wollen, Noth und Kummer an ihrer Seite. Da läßt es sich leben. Und selbst jene zwei andern Colonien, welche die Gesellschaft außerdem errichtet hat, um eine wohlthätige Scheidewand zu ziehn, zwischen dem Fleiß der Armuth und der in Faulheit versunkenen Bettelei, selbst diese beiden Colonien sind menschlich, sind mit menschlichem Sinne auf menschliche Bedürfnisse berechnet, lassen der Furcht und der Hoffnung eine Thür offen, und gewähren dem Bettler, der arbeitet die nahe und gewisse Aussicht, kein Bettelcolonist zu bleiben, sondern in die achtbarere Gesellschaft [27] der drei oberen Landbaucolonien einzutreten. Das eine dieser Stifte befindet sich an der Ommerschans in der Provinz Overyssel, das andere zu Veenhuizen in der Provinz Drenthe. Ersteres zählt 1400 Seelen mit 800 Bundern Grund, letzteres 1100 Seelen, mit einem mir unbekannten Inhalt von Moor und Ländereien.

Zu Veenhuizen hat die Gesellschaft noch zwei an dere wohlthätige Einrichtungen getroffen. Sie hat 2 bis 3000 Bunder Landes bestimmt für Waisen, Findlinge, verlassene Kinder, alte Soldaten, nothdürftige Leute, welche sie auf eine ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihren Kräften angemessene Art auf dessen Raum in Thätigkeit setzt.

Endlich hat die Gesellschaft eine Landbauschule zu Vateren errichtet, wo sie einer Zahl von 60 jungen Leuten Gelegenheit gibt, durch die dort erworbnen Kenntnisse sich einmal zu Beamten in den verschiedenen Colonien der Gesellschaft aufzuschwingen. Vortrefflicher konnte die Maatschapij van weldadigheid den Kreis ihrer Colonisationsthätigkeit nicht schließen.


Maatschapij tot onderwijs van dooven en stommen.


Diese Gesellschaft zum Unterricht für Taubstumme hat ihren Hauptsitz zu Groningen, woselbst sie im Jahr 1790 durch den Prediger an [28] der Valschen Gemeinde, Guyot, gestiftet wurde. Sie ist gegenwärtig in vier und siebenzig Departemente ausgebreitet.


Genootschap tot onderwijs van blinden.


Die Wörter genootschap, geselschap klingen im holländischen bescheidener als maatschapij und wer den daher von weniger ausgedehnten Vereinigungen gebraucht. Jedoch hat die obige genootschap die im Jahr 1808 zu Amsterdam sich aufthat, in den vornehmsten Städten des Landes ihre Correspondenten und überall, auf dem Lande wie in der Stadt, ihre Theilnehmer. Der jährliche Beitrag ist fünf Gulden.


Genootschap ter zedelijke ver betering der gefangenen.


Diese Genossenschaft ist im Jahr 1823 durch den Herrn Suringar zu Leeuvarden errichtet.

Sie hat zum Zweck: sittliche Verbesserung der Unglücklichen beider Geschlechter, welche in Zucht-, Gefangen- und Werkhäusern eingesperrt sind. Sie hat aber bei diesem edlen Ziel nicht nur die Zeit während der Gefangenschaft vor Augen, sondern vor Allem die Zeit nach derselben.

Der jährliche Beitrag der Mitglieder beträgt drittehalb Gulden, was für die 4902 Mitglieder, welche die Gesellschaft bereits einige Jahre nach [29] ihrer Stiftung zählte, eine Summe von 12,500 Gulden zur Verwendung stellte. Wie hoch sich gegenwärtig die Zahl der Mitglieder beläuft, ist mir nicht bekannt.


Nederlandsche huishoudelijke maatschapij.


Niederländische haushälterische Gesellschaft. Sie bestand bereits seit dem Jahr 1774, und machte damals eine besondere Abtheilung der hollandsche maatschapij van wetenschappen aus. Im Jahr 1796 ward sie von der Nationalversammlung als selbstständig mit obigem Titel anerkannt. Süd-Holland zählt sieben Departemente derselben.


Maatschapij tot befordering der toonkunst.


Der Zweck dieser Gesellschaft geht dahin, den Sinn für Tonkunst zu erwecken, musikalische Kenntnisse zu verbreiten und zu diesem Behufe Preisfragen auszuschreiben. Ihre Hauptbesteuerung ist abwechselnd zu Amsterdam, Rotterdam und im Haag. Ihre erste Versammlung hielt sie im Jahr 1829; diese bestand aus 700 Mitgliedern. Sie hat ihre verschiedenen Abtheilungen, welche aus nicht minder als 20 Leuten bestehn dürfen, an deren Spitze fünf ausübende Künstler stehn.


[30] Maatschapij voor natur-en let terkunde.


Diese Gesellschaft führt den Namen diligentia und besteht seit dem Jahr 1793. Sie soll zur Ausbreitung der Wissenschaften durch ihre gelehrten Mitglieder viel beigetragen haben. Der Zuschuß ist für zwei Jahr 15 Gulden. Die Mitglieder besitzen ein schönes Local im Haag. Damit verbunden ist die Societeit, zur Lesung von Broschüren, Zeitungen u.s.w., in welcher der gebildetere Theil der Einwohner vom Haag, das diplomatische Corps u.s.w. tagtäglich verkehrt.


Maatschapij van fraaije kun sten en wetenschappen.


Die Gesellschaft freier Künste und Wissenschaften ist gestiftet worden im Jahr 1772. Die Haager Abtheilung derselben war Anfangs auf Poesie gerichtet, en dichtlievend genootschap mit dem Sinnspruch: Kunstliebe spart keinen Fleiß. Später hat sie sich mit der obengenannten Gesellschaft vereinigt.


Maatschapij ter bevordering van welstand.


Diese Gesellschaft geht, wie die folgenden, von einem religiösen und kirchlichen Princip aus. Die protestantischen Mitglieder haben sich dazu vereint, um, so viel in ihren Kräften steht, solchen [31] von ihren Glaubensbrüdern hülfreich unter die Arme zu greifen, die trotz aller Anstrengung, trotz Lust und Kräften vergeblich gegen widerwärtige Umstände ankämpfen. Die Gesellschaft macht zinslose Vorschüsse zum Ankauf von Häusern, Ländereien, Geräthschaften und andern Bedürfnissen; jedoch mit solchen Bedingungen für die Rückgabe der Sachen und Gelder, welche sie nach ihren Ansichten für zweckmäßig hält. Dieselbe hatte im Jahr 1829 anderthalbtausend Mitglieder und ein Capital von gegen 32,000 Gulden.


Maatschapij tot vitbreiding van het Christendom onder de Slaven en verdere heidensche bevolking der Kolonie Suriname.


Oder: Gesellschaft zur Ausbreitung des Christenthums unter den Sklaven und der übrigen heidnischen Bevölkerung der Colonie Surinam. Dieselbe ward im Jahr 1829 zu Surinam selbst errichtet, doch aus Mangel an hinlänglichen Mitteln an diesem Ort, traf man später die Verfügung, ihren Hauptsitz nach dem Haag zu verlegen. Die Gesellschaft läßt Sklavenkinder unterrichten, vergrößert bis Zahl der Missionaire (Sendlinge im Holländischen) und sucht die in Surinam dem Unterricht der Sklaven entgegenstehenden örtlichen Hindernisse aus dem Wege zu räumen.


[32] Nederlandsche bibelgenoot schap.


Steht in Verbindung mit der großbritannischen und hat ihren Hauptsitz zu Amsterdam, seit dem Jahr 1814. Sie vertheilt Bibeln in verschiedenen Sprachen. Der jährliche Beitrag ist fünf Gulden.


Bijbelvereeniging.


Die Bibelvereinigung theilt denselben Zweck mit der Bibelgesellschaft. Sie läßt sich aber von ihren Mitgliedern, ein halbtausend an der Zahl, einen beliebigen jährlichen Beitrag einschreiben und schießt dieses Geld in die Casse der Bibelgesellschaft.


Zendeling – genootschap.


Die Gesellschaft für Missionaire ist im Jahr 1797 zu Rotterdam errichtet, hat ihre Abtheilungen durch ganz Holland und zählt allein in der Haager Abtheilung gegen 200 Mitglieder.


Genootschap tot verdediging van de christelijke Godsdienst, tegen derzelver hedendaagsche Bestrijders.


Die Genossenschaft zur Vertheidigung des christlichen Gottesdienstes wider dessen heutige Feinde und Bestreiter, ist gestiftet im Jahr 1785. Sie beschränkt sich darauf, jährliche Preisfragen auszuschreiben und ihre gekrönten Preisschriften in den Druck herauszugeben. Den Vorsitz führen [33] etliche Doctoren der Theologie. Hätte ich mich überwinden können, eine dieser gekrönten Schriften durchzulesen, so würde ich schon ungefähr in Erfahrung gebracht haben, welches Christenthum, das biblische, symbolische oder rationale, bei der Genossenschaft zur Vertheidigung des Christenthums, in Ansehn steht. Soll ich aber einem deutschen Prediger glauben, der bei Gelegenheit einer holländischen Sammelreise ein Langes und Breites über die holländische Theologie geschrieben hat, so liegt das wahre Christenthum, wie er's nennt, bei den holländischen Theologen sehr im Argen.

Geschichte des Handels
[34] Geschichte des Handels.

Eine vortreffliche Schrift, die im Jahr 1828 zu Amsterdam in französischer Sprache erschien und die Handelsgeschichte der Holländer darstellt, die recherches sur le commerce de la Hollande, liegt folgender skizzenhaften Uebersicht zum Grunde.

Die Noth trieb die Holländer zum Handel. Wegen der Armuth des Bodens mußten sie ihre Bedürfnisse durch Schiffahrt sich verschaffen. Holländische Hansestädte gab es schon ums Jahr 1241. Die Hauptquelle des holländischen Reichthums war der Heringsfang und Beukelsohns Erfindung. Man muß sich erinnern, daß damals die ganze Christenheit jede Woche zwei Fasttage hielt und volle vierzig Tage vor Ostern keine Fleischspeisen genoß. Jeder fünfte Mann in Holland schöpfte zu dieser Zeit aus der Heringsfischerei seinen Unterhalt. Es gab 5000 Fahrzeuge dieser Art allein an der holländischen Küste, 3600 streiften in der [35] See um die Orkney- und Shetlandsinseln, im Ganzen 6400 Schiffe mit 112,000 Seeleuten; rechnet man dazu die Schiffbauer, Netzstricker, Bötticher, Salzbereiter u.s.f., so machte dies zusammen ein Heer von 450,000 Menschen. De Witt († 1672) sagt: Holland darf sich einer Zahl von 10,000 Segeln und 168,000 Seeleuten rühmen, obgleich das Land weder Holz noch Metall, noch Lebensmittel, noch Waaren hervorbringt. – Ein altes Sprichwort sagt daher mit Recht: Amsterdams Grundmauer besteht aus Heringsgräten.

Die zweite Quelle der Handelsthätigkeit und der dadurch gewonnenen Reichthümer war die Verfassung unter den Grafen, welche den Schwung der Kräfte und Bestrebungen nicht unterdrückte, sondern beförderte. Auch unter Burgund und selbst Anfangs unter Habsburg (seit 1477) blieben die bedeutenden Privilegien der Städte unangetastet. Holland und die nördlichen Provinzen setzten gegen Philipp II. ihre Unabhängigkeit durch 1, [36] Antwerpens Kaufleute zogen sich nach dem Ruin der unglücklichen Stadt (1585 unter Alexander Farnese) nach Amsterdam, Middelburg u.s.w. So versetzte sich zum dritten Mal der Mittelpunkt des niederländischen Handels, denn Antwerpen, das kurz vorher jährlich 500 große Schiffe in seinem Hafen aufnahm und in dessen Thore 10,000 Lastwagen aus- und einfuhren, erlitt nur dasselbe Schicksal, wie Brügge, das ein Jahrhundert früher die ganze Seeverbindung zwischen dem Norden und Süden Europa's vermittelt hatte. – Als Philipp II. im Jahr 1580 das Königreich Portugal an sich riß, verbot er den Holländern die Ausfuhr ostindischer Gewürze aus den portugiesischen Häfen und zwang sie gewissermaßen durch diesen unüberlegten Schritt, den See weg nach Ostindien selbst zu suchen und die glücklichen Zerstörer der portugiesischen Macht in jenen Gewässern zu werden. Sie eroberten in kurzer Zeit die portugiesischen Besitzungen in Ostindien und herrschten von Balsora bis Japan. Stiftung der ostindischen Compagnie ums Jahr 1602. (Die Verwaltung der Geschäfte war vertheilt an sechs Kammern, die zu Amsterdam, Middelburg, Delft, Rotterdam, Hoorn und Enkhuizen ihren Sitz hatten und von 17 Vorstehern geleitet wurden. Das Capital der Gesellschaft bestand aus 61/2 Millionen [37] Gulden und nach einer mäßigen Berechnung hat sie seit 1602 bis 1739 gegen 360 Millionen Gulden Waaren nach dem Einkaufspreise und 1620 Millionen Gulden nach dem Verkaufspreise aufgebracht. Sie schickte jedoch nur dreizehn Schiffe nach Ostindien, deren Ausrüstung aber 2,200,000 Gulden kostete. Sie hatte das Recht, Bündnisse mit den indischen Völkern zu schließen, und gar im Namen der Generalstaaten Festungen zu bauen, Befehlshaber zu ernennen und Soldaten zu werben, welche sowohl dem Staat als der Gesellschaft den Eid der Treue leisten mußten. Dagegen sollten nach dem Freibriefe (Anfangs nur auf 21 Jahr ausgestellt) die Befehlshaber der Gesellschaft bei ihrer jedesmaligen Rückkunft vom Zustand der Angelegenheiten in Ostindien Bericht an die Regierung abstatten). Auch der Kornhandel nach dem balti schen Meer häufte große Reichthümer. Das Korn wurde zu niedrigen Preisen eingekauft, aufgespeichert und in theurer Zeit theuer verkauft. Dabei hemmte keine Kornsperre den Handel. Hierzu kam die Amsterdammer Bank, die im Jahr 1609 gestiftet wurde; ihre Noten galten überall.

Vom Jahr 1617 bis zum Jahr 1672 höchste Blüthe des Handels. Selbst Spanien bediente sich auf der Fahrt nach seinen amerikanischen Colonien [38] holländischer Schiffe, die Holländer befanden sich im Besitz des ganzen europäischen Frachthandels und ihr auswärtiger Handel war größer, als des übrigen Europa's zusammengenommen.

Allein nach dieser Zeit stellt die Geschichte des holländischen Handels das Bild seines allmähligen Verfalls dar. Wirkende Ursachen desselben waren 1) der natürliche Wachsthum des Handels und der Schiffahrt anderer Nationen, namentlich Englands und Frankreichs, die nach heftigen bürgerlichen Unruhen, unter Cromwel und Ludwig XIV. neuen Aufschwung nahmen. Cromwells Navigationsacte (1651) schloß die Holländer vom Frachthandel Englands aus; gleichfalls hatte der französische Tarif vom Jahr 1644 die Hemmung des holländischen Handels in Frankreich zum Zweck. 2) Der Druck der Steuern, in Folge der Kriegs mit England, Frankreich und Spanien. Um diesem Druck zu entgehn, verführten die auswärtigen Nationen ihre Waaren nach andern Ländern und Häfen und nahmen von dort ihre Rückfrachten mit nach Hause. 3) Die ungeheure Aufhäufung der Capitalien. Als nämlich die holländischen Capitalisten nicht mehr als zwei bis drei Procente mit ihrem Gelde im Handel verdienen konnten, speculirten sie auf fremde Anleihen. So belaufen sich die Anleihen an Frankreich und England bis 1788 [39] allein auf ungefähr sechzig Millionen Pfund Sterl. 4) Die Habsucht der ostindischen Compagnie selber. Sie zwängte den Gewürzhandel auf wenige Inseln ein, machte ihn seit 1631 zum Monopol, steigerte den Pfeffer hundert Procent höher, als ehemals die Portugiesen (, sie nahm 3800 Proc. vom Pfeffer), Ueberdies legte sie nur eine halbe Million Pfund Sterl. in diesen wichtigen Handel, statt etwa 10 Millionen und beschäftigte zu einer Zeit, wo Holland 10,000 Segel hatte, nur 10 bis 16 Schiffe mit dem ostindischen Handel. Bekannt ist es, daß ihre kleinliche Habsucht und beschränkte Handelspolitik so weit ging, ganze Schiffsladungen mit Pfeffersäcken ins Meer zu werfen, um diesen Handelsartikel im Preis zu halten. 5) Die endliche Einmischung der Staatsgewalt in das Gebiet des freien Handels, insbesondere der Heringsfischerei; eins Menge Proceduren wurden vorgeschrieben wodurch zuletzt nur Verbesserungen gehindert und eine Unzahl Betrügereien eingeführt und begünstigt wurden.

So sank der holländische Handel, und mit ihm in gleichem Maß der politische Einfluß des Landes im europäischen Staatsverein, seit dem Utrechter Frieden immer mehr von seiner erstaunlichen Höhe herab, bis er durch die französische Revolution, durch Napoleon und die Continentalsperre [40] völlig in seinem Nerv gelähmt, bis Flügel sinken ließ und selbst nach der rationalen Wiedergeburt Hollands und der allgemeinen Befreiung des Handels bei weitem nicht die Höhe wieder gewann, auf welcher er noch in der Mitte und der dritten Hälfte des 18. Jahrhunderts schwebte. Antwerpen, durch Napoleon ausschließlich begünstigt, mit zwei geräumig-tiefen Bassins und gequaderten Vorsätzen versehn, die vermöge ihrer gleichen Höhe mit den Schiffen die Aus- und Einladung der Waaren bequem machen, raffte in kurzer Zeit von seiner früheren Ohnmacht sich auf und errang alle Vortheile, welche ihm ein 75 Fuß tiefer Strom und seine Lage auf der geraden Linie von London nach Deutschland und den Mittelländern Europa's anboten, Antwerpen, eine Stadt, die wohl, wie Karthago, zerstört und in einen Aschenhaufen verwandelt, allein eben des Stromes und der Lage wegen, nicht vernichtet werden kann. Doch auch Holland wird, wenigstens so lange es ihm glückt, seinen Credit aufrecht zu erhalten und dem drohenden Nationalbankerott zu entgehen, im Reich des Handels, wenn auch nicht die alte, doch immer noch eine sehr wichtige Rosse spielen. Man weiß, durch welche großartige Werke der Wasserbaukunst (der neue Amsterdammer Canal, der im Westen der Südersee hinläuft und für die größten Kriegs- und[41] Kauffahrteischiffe breit und tief genug ist, verdient mit Recht diesen Namen) es der Versandung seiner Ströme und Gewässer Trotz zu bieten versteht, wie beharrlich es seine Vortheile im Auge behält, wie sehr es durch Natur und Gewohnheit auf Erwerb und Gewinn versteuert ist, wie rührsam und unablässig thätig alle seine Bewohner sind, so lange sie das Ziel ihrer Bemühungen, ein gewisses Maß von Reichthümern, einen gewissen Grad landüblicher und zur trägen Ruhe gleichsam ermächtigender Wohlhabenheit noch nicht erreicht haben und wie überhaupt See, Schiff und Holländer so unzertrennlich zusammen gehören, als Wüste, Kameel und Araber.

Fußnoten

1 Die Provinz Holland hat ohne Zweifel um die Befreiung vom spanisch-katholischen Joch sich die meisten Verdienste erworben. Zur Zeit des Grafen Leicester waren fast alle Provinzen bereit, sich der Königin Elisabeth in die Arme zu werfen, nur Holland nicht, welches die listigen Anschläge des Grafen durch Klugheit und standhaften Muth vereitelte.

Seereisen und Colonien
[42] Seereisen und Colonien.

Amsterdammer Bürger gingen in See, durchsegelten den wüsten, atlantischen und indischen Ozean, ja wiederholt die ganze Erde, und entrissen dem König von Spanien und beider Indien Ostindien und das Monopol des Seehandels – wer staunt nicht über diese Thatsache, wundert sich nicht über den riesenhaften Schwung, den eine Handvoll Menschen ihren Angelegenheiten zu geben vermag, sobald sie im rechten Elemente einmüthig, kühn und standhaft ihre Kräfte auf einen Punkt versammelt. Aehnliches Staunen ergreift uns, begleiten wir die ersten spanischen Abentheurer von dem ersten Augenblicke an, wo sie ihren Fuß an die Küste eines ungeheuren fremden Welttheils setzen bis zu dem Augenblick, wo sie den Söhnen der Sonne, den Gebietern uralter und zahlreicher Völkerstämme die Krone vom Haupt reißen und sich auf zauberhafte Art in den Besitz [43] goldner Tempel und Paläste und blitzender Diamantengruben versetzen. Jedoch braucht man die eigentliche Natur seiner Empfindungen und der besondern Eindrücke, welche hier die Spanier, dort die Holländer auf uns machen, nicht einmal sehr scharf zu zerlegen, um eine nicht unbedeutende Verschiedenheit derselben gewahr zu werden. Glück, Kühnheit, Standhaftigkeit zeichnen allerdings die ersten Unternehmungen beider Völker auf gleiche Weise aus, sie bethätigten dieselben Eigenschaften und Kräfte, ohne welche der Mensch das Ziel großer Unternehmungen nicht erreichen kann, allein man bemerkt auf den ersten Blick, daß zunächst jenes Etwas, was sie anspornte und in fremde Länder führte, jene Feder, die ihre Kräfte in Schwung brachte, jenes Ferment, das diesen zur Gährung beigesetzt war, ganz verschiedenartig war. Der Spanier trat auf als Ritter, der Holländer als Krämer, der Spanier suchte Abentheuer und glänzende Thaten, der Holländer Erweiterung seines kaufmännischen Getriebes, der Spanier suchte Heiden, um sie zu bekehren, der Holländer Menschen, zweibeinige Wesen, um mit ihnen zu handeln, der Spanier dürstete nach Gold, um seinen Stolz, seine Genußsucht, seine Prachtliebe zu befriedigen, der Holländer hungerte nach Reichtümern und Schätzen, um sie aufzuspeichern und den [44] Rest seines Lebens in unbedürftiger Behaglichkeit und Stille zu verbringen. Stumm und schweigend sind sie Beide, aber der Spanier brütete, der Holländer kalculirte, auf der geschlossenen Lippe des Spaniers saß Stolz, Verwegenheit, Verachtung, auf der Lippe des Holländers Kälte, welche weder die weiße Wange, noch der feuchte nebelhafte Blick Lügen strafte, während das Feuer, das dem Spanier aus den Augen blitzte und die Gluth, die seine dunkle Wange im Zorn überflog, nur zu deutlich zu erkennen gaben, daß er ein Südmensch war, und trotz der anscheinenden äußeren Kälte und der abgemessenen Gravität seiner Bewegungen, glühende Leidenschaften in seinem Busen verbarg. Der Spanier, ich komme darauf zurück, war Ritter, Fanatiker der Ehre, des Goldes und des Glaubens. Er sah, nachdem die christliche Ritterschaft des alten Continents noch zuletzt in seinem eigenen Lande, im Kampf mit den Mauren, ihren Todestriumph gefeiert hatte, keine andere Bahn des Ruhms und der Ehre vor sich, als übers Meer zu fliegen und der unglücklichen, mit weichen Naturmenschen übersäeten neuentdeckten Welt seine eisernen Fußstapfen einzutreten und auf dem Schutt goldener Reiche und Städte das vom Geifer des Fanatismus zerfressene Kreuz des katholischen Glaubens aufzupflanzen. [45] Seine Erscheinung war dämonisch, der Indianer betrachtete ihn als bösen Engel, als göttliches Zerstörungswesen. Den Holländer sah der Malaye an als seinesgleichen und weit entfernt, ihn zu fürchten, oder auch nur zu hassen, leistete er ihm Vorschub gegen die Portugiesen, ging friedliche Handelsverbindungen mit ihm ein und gestattete ihm ahnunglos die Anlegung von Factoreien an der Küste seiner Inselländer, indem er im Gegensatz zu den Portugiesen voraussetzte, dergleichen bescheidene Waarenniederlagen und Rastplätze seien für den Holländer Anfang und Ende aller Bemühungen, in Ostindien festen Fuß zu fassen. In der That sind es Anfangs weniger die einzelnen feindseligen Berührungen mit den Eingebornen, die den Muth der Holländer in diesem Welttheil auf die Probe setzten, als vielmehr ihre Verhältnisse mit den Portugiesen, welche sie schon vor ihrer Ankunft eingenistet fanden und die nun durch Klugheit und Tapferkeit, wie durch jedes andere Mittel, das ihnen zu Gebot stand, Schritt vor Schritt aus ihren Besitzungen zu verdrängen, sie sich zur Aufgabe machten. Allein schon im Verlauf dieser Kämpfe und Listen, sahen ihnen die Eingebornen durch die Maske der Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit und darauf begann eine Todfeindschaft und ein mörderischer Streit der Unterdrückten gegen [46] die Unterdrücker, der sich noch in die heutige Zeit hinzieht und bald hier, bald da, bald offen, bald heimlich ausbricht, dessen Ausbruch aber die Holländer theils durch Umsicht, Wachsamkeit und die Mittel einer schlauen Politik, die ihrdivide et impera fortwährend vor Augen hatte, theils durch Gewaltstreiche, Waffen, Grausamkeiten zuvorzukommen, oder im Fall des Aufflammens zu ersticken bemüht sind und waren. Unähnlich den Spaniern, die auf ihre Opfer losstürzten und nicht eher rasteten, als bis ganze Königreiche ihnen zitternd zu Füßen lagen, überließen sie, ihrer mehr praktischen als ehrgeizigen Natur nach, die völlige Erringung der Herrschaft über diese ehemals freien und glücklichen Reiche und Inseln, dem schleichenden Lauf der Jahrhunderte, völlig zufrieden, die größtmöglichsten Handelsvortheile aus ihrer jährlich wachsenden Ueberlegenheit herauszuziehen. Gott vergebe ihnen, was sie thaten, aber noch mehr, was sie unterließen, es schauert mich vor der Marter der Jahrhunderte, welche sie über diese Menschen verhingen, vor der Geduld der Grausamkeit, welche sie ausübten, vor dem System des Verraths, das sie allmählig entfalteten. Die Haare stehn mir zu Berge, wenn ich an die Grausamkeiten denke, die Cortez und Pizarro und ihre Nachfolger an den Mexicanern und Peruanern verübten, [47] allein ich kann mich eines Gefühls der Bewunderung nicht erwehren über die zerstörende Genialität dieser Männer. Lest ich hingegen die Geschichte der holländischen Colonisation in Asien, so überläuft mich kalter Schauer und ich ergrimme über den niederträchtigen Wuchergeist, der mit der trockensten Miene und mit dem kältesten Blut alle Blüthen der Menschheit mit Füßen tritt, um nur Muscatblüthen und Kaffeebohnen dafür einzutauschen. Es ist nicht meine Absicht, den düstern Vorhang vor diesen Scenen zu lüften, obgleich ich sehr wünsche, daß eine unparteiliche Hand einmal versuchen möchte, sowohl aus früheren Quellen, wie aus gegenwärtiger Anschauung das Betragen der Holländer aus den asiatischen Inseln, insbesondere auf Java ins rechte Licht zu stellen, eine Beleuchtung, die graulich genug die bleichen Gesichter der alten Gouverneure und Befehlshaber der Colonie überspielen würde; ich will nur den Leser dieser Blätter darauf aufmerksam machen, daß nach Kenntniß der Thatsachen für ein edles, menschlich fühlendes Herz kaum möglich ist, sich der Abneigung gegen eine Nation zu erwehren, deren Moralkatechismus sich so wohl mit dem herzlosesten Egoismus vertragen hat. Montesquieu schreibt in seinen lettres persannes den Sieg der Holländer und die Verluste der Portugiesen in [48] Ostindien hauptsächlich dem Umstande zu, daß diese gegen die Eingebornen menschlicher gewesen, als die Spanier und nicht auf Vertilgungskriege ausgegangen. Montesquieu hat Unrecht, wenn er hierbei der Tapferkeit der Holländer vergißt, die auf jeden Fall der portugiesischen gleichkam, wenn nicht oft in Verbindung mit größerer Seefahrtskunde dieselbe überflügelte, noch mehr aber Unrecht, wenn er der größeren List, zäheren Beharrlichkeit und vor Allem der durch nichts getrübten unritterlichen Leidenschaftlosigkeit derselben nicht gedenkt, welche die nöthige Klugheit im Verfahren gegen die Insulaner durch nichts alterirte. Man höre und urtheile aus dem einen Beispiel, das ich anführen werde, auf welchen Fuß die Holländer zu Anfang des 17. Jahrhunderts sich gegen die Beherrscher der Inselreiche gestellt haben. Der Viceadmiral van Weert, der im Jahr 1603 auf der Flotte, die Georg Spilberg als Admiral commandirte, nach Ostindien gesegelt war, suchte mit dem König von Zeylon Unterhandlungen anzuknüpfen, bestand aber darauf, daß der König die ersten Schritte thun und ihn auf seinem Schiffe besuchen sollte. Der König von Zeylon nahm diesen Argwohn so übel auf, daß er im Zorn zu seiner Leibwache die Worte: matta esto kan sprach, worauf der Viceadmiral und seine Begleiter am Ufer niedergemetzelt [49] wurden. Nun würde der Portugiese, der Franzose, jeder Andere vielleicht, der sich an der Spitze einer solchen Ausrüstung, wie die holländische war, gesehn hätte, in der ersten Entrüstung über die Verrätherei des Königs sich dem Gefühl der Ehre und Rache hingegeben haben, ohne Erwägung wie viele Schiffsladungen Zimmt dadurch für die Zukunft verloren gehen würden, allein die holländische Mannschaft setzte diesen letzten Punct keineswegs außer Augen, sie hatte nichts Eiligeres zu thun, als die Stelle des todten Viceadmirals mit einem lebendigen zu ersetzen, der, als wäre nichts von Erheblichkeit vorgefallen, umgehend die zerrissenen freundschaftlichen Verhältnisse wieder anspann und durch dies unbefangene Benehmen sich beim König so sehr in Gunst setzte, daß ein vortheilhaftes Handelsbündniß abgeschlossen wurde und Georg Spilberg mit einer vollen Ladung von Zimmt im Jahr 1604 nach Vliessingen zurückkehrte.

Kaum kann ich bei dieser Geschichte aus dem ersten Zeitraum der holländischen Niederlassungen in Ostindien mich einer Menge bitterer Vergleiche enthalten, welche ihre Aufführung in der Folgezeit darbietet, ja, die aus diesem Jahrhundert und seit dem Wiederabtritt der niederländisch-asiatischen Colonien von Seiten Englands an Holland mir vor Augen schweben. Man schlage nur das Februarheft [50] vom Jahr 1818 auf und lese einen Vorfall, der nach dem umständlichen Bericht englischer Zeitschriften, wie desAsiat und Colon. Journal im Jahr 1816 sich auf Java ereignete, nachdem kurz zuvor eine Proclamation der Regierung den Einwohnern der Insel die schöne moralische Versicherung gegeben hatte,daß die Grundsätze, welche sie leiteten, gerecht, liberal und milde seien 1. Kann, wird er ausrufen, [51] kann das im neunzehnten Jahrhundert geschehn, welche Verbrechen und Greuel müssen dann das achtzehnte und siebzehnte Jahrhundert brandmarken.

Doch beende ich dies Capitel mit einer erfreulicheren Erinnerung aus den Zeiten des holländischen Ruhms; sage ich einige Worte von den kühnen Seefahrern dieser Nation, die als Entdecker auftraten. Diese würdigen Männer hatten keine persönlichen Vortheile im Auge, als sie sich den Gefahren unbekannter Meere Preis gaben, sie folgten nur einer unwiderstehlichen Neigung, sich in der weiten Welt umzusehn und ihre Namen durch neue Entdeckungen von Inseln und Seewegen im Vaterlande bekannt zu machen. Undank war der Lohn der Meisten unter ihnen, die ostindische Compagnie spielte ihnen zu Batavia die schlechtesten Streiche, nahm sie gefangen, beraubte [52] sie ihrer Güter, bemächtigte sich ihrer Tagebücher, Instrumente und Charten und ließ ihnen oft nichts, als das Leben, ihren Ruhm, einen Winkel in einem Packschiff, worin sie nach Europa zurückkehrten und eine Klage an die Statthalter und Generalstaaten, auf die man nicht achtete. Ein sehr lebendiges Interesse erregen ihre Reiseberichte, Quartanten, Folianten mit Kupfern, werth, daß man allein ihrethalb sich die leichte Mühe gibt, die holländische Sprache zu erlernen, die seemännisch-holländische Naivität ihre Darstellungen ist unübertrefflich. Ueberhaupt die ganze niederländische Literatur kann mir gestohlen werden, außer Hooft's Geschichte der Abfalls der Niederlande, Vondels Gedichten und diesen Seemannstagebüchern, der einzigen würdigen Producte, welche die holländische Feder dem holländischen Malerpinsel entgegenzusetzen hat.

Anfangs versuchten die Holländer einen Seeweg nach Indien in nördlicher und östlicher Richtung, weil die gewöhnliche Fahrt von spanischen und portugiesischen Schiffen durchkreuzt und also unsicher und gefährlich gemacht wurde. Jacob Heemskerk war der letzte, der das schauerliche Nordeis zu durchbringen strebte. Er segelte im Jahr 1596 mit zwei Schiffen aus, gab der Insel Spitzbergen ihren Namen, nachdem das eine Schiff [53] im Sturm gegen die russische Küste getrieben war, bei Nova Semla im Eise fest, wo er mit sechszehn Matrosen in der schrecklichsten Kalte eine dreimonatliche Nacht zubrachte, aus Treibholz sich Hütten aufzimmerte und sich des Todes durch Eisbären, Frost und Hunger männlich erwehrte. Das Schiff war noch im Brachmond zugefroren, sie setzten sich daher auf Kähne und landeten unter tausend Gefahren und Mühseligkeiten an der Küste von Lappland. Hier fand er zu Kola das andere Schiff und kam 1597 nach Amsterdam glücklich zurück. Dies war, wie angeführt, das letzte Unternehmen dieser Art; denn nun, entschlossen sich die Holländer, keine neue vergebliche Versuche mehr nach Norden und Osten anzustellen, sondern in befahrenen Meeren ihren geschwornen Feinden Trotz zu bieten. So ward im Jahr 1613 die Insel Ascension durch Willem Schauten und Jacques le Maire entdeckt, die Straße le Maire, das Kap Horn, die Inseln Barneveld im Jahr 1616 durch le Maire, auf einer Reise um die Welt, auf welcher er starb. Schon Olivier van Noort hatte zwischen 1595 und 1601 muthvoll die Welt umsegelt, er brachte von vier Schiffen nur ein einziges nach Holland zurück. Ein Theil von Neu-Holland erhielt im Jahr 1632 durch einen Seefahrer van Lieven den Namen [54] seines Entdeckers. Jacques l'Hermite und Jan van Skapenham machten ihre dritte Reise um die Welt in den Jahren 1683–1686; in Kallao de Lima verbrannten und versenkten sie dreißig spanische Schiffe. Van Diemens Land ward 1642 durch Abel Tazman aufgefunden, die Insel Barbadoes im Jahr 1680 durch Sharp, zu allen welchen Inselentdeckungen auch noch die durch Holländer neu entdeckten Seewege hinzuzurechnen sind.

Fußnoten

1 Die Sache ist im kurzen die: im Jahr 1816 machte sich ein zahlreicher Hause Javaneser, welcher sich über die Bedrückungen eines holländischen Beamten zu beklagen hatte, nach landüblicher Sitte auf den Weg, um einer entfernten höheren Behörde ihre Klagepunkte vorzulegen und um Abstellung der Mißbräuche zu bitten. Sie vergriffen sich unterweges an keines Menschen Eigenthum und führten sich tadellos auf, wurden aber dennoch als Empörer angesehn, auf ihre Weigerung, sich ruhig zu zerstreuen, angegriffen, besiegt und in ein Caffeevorrathshaus zuIndramayo eingesperrt, das nach der Versicherung eines englischen Reisenden, gleich der berüchtigten schwarzen Höhle zu Calcutta, für die eingesperrte Menschenmenge viel zu eng war. Die Gefangenen suchten sich Luft zu machen, durch die Latten des Dachs und die Lehmmauer zu entkommen, wurden aber bei diesem Bestreben von den wachthabenden Soldaten in Gegenwart und auf Befehl der Officiere wie Sperlinge niedergeschossen und nach Beendigung dieser Blutscene, die 300 Gefangenen das Leben kostete nach Sambong eingeschifft, auf welcher Fahrt der zweite Act des Trauerspiels vorfiel und noch viele in die andere Welt befördert wurden, so daß zuletzt von 594 wehrlosen Gefangenen nur 113 am Orte ihrer Bestimmung eintrafen. – Lebt ein Gott im Himmel! –

Java und die Javanesen
[55] Java und die Javanesen.

Um das Unglück der Javanesen und ihren Schmerz in seiner ganzen Tiefe zu begreifen, muß man wissen, daß sie Nachkömmlinge eines alten gebildeten Volkes sind, das einst diese paradiesische Insel bewohnte und verschiedene mächtige Königreiche bildete. Sie sind im Besitz einer Art von Literatur, haben dramatische Spiele, geschichtliche Werke, Lieder des Kriegs und der Liebe, große Erinnerungen von Königen und Helden, steinerne Denkmäler, Ruinen, die durch ihren Kunststyl, ihre kolossale Anlage noch gegenwärtig den einsamen Forscher in Erstaunen setzen, das Herz der Eingeborenen mit wehmüthiger Trauer erfüllen. – Die heutigen Javanesen selbst sind ihrem Körperbau nach schlank und stark, regsam, sinnlich-poetisch von Geist, künstlich und zierlich in allerlei Handarbeiten, wie ich denn im Königlichen Museum im Haag unter andern die allerkünstlichsten Dolche und [56] Waffen bewundert habe, die nur wenige Stahlarbeiter und Waffenschmiede in Paris und London nachzuahmen im Stande sein möchten. Ihre Krieger sind gewandt, in Unternehmungen kühn und unermüdlich, voll unauslöschlichem Haß gegen die Unterdrücker ihres Volkes. Es ragen von Zeit zu Zeit Talente unter ihnen hervor, die sich Jahre lang gegen die holländischen Bajonette im Kampf erhalten, Haufen sammeln, die Gebirge flüchtig durchstreifen, siegen und geschlagen werden, überall und nirgends sind, dort immer am ehesten, wo man sie am wenigsten erwartet. Sie verspritzen ihr Blut für die Freiheit mit demselben Jubel, mit demselben Liebesleichtsinn wie – die Polen in Europa, auch mit demselben Erfolg. Alle ihre Unternehmungen hatten bisher ein tragisches Ende, und das nicht allein, weil sie der europäischen Taktik in offener Schlacht nicht gewachsen waren, sondern hauptsächlich, weil die Holländer unter ihren eigenen Fürsten den Samen der Verrätherei ausstreuten. Der letzte Aufstand ist erst seit kurzer Zeit gedämpft, einer der furchtbarsten, welche die Holländer zu bestehen hatten; er erfüllte die Regierung mit Schrecken und Besorgnissen. Auf die Dauer, so versicherte mir ein holländischer Arzt, der sehr lange auf der Insel gelebt hatte, müsse die Besitzung für Holland verloren gehn, [57] es bedürfe dazu nur noch zwei oder drei Stöße von der Natur des letzten. Wer wünscht nicht, daß dieses prophetische Wort recht bald in Erfüllung gehe, oder, wenn die Vorsehung es anders beschlossen und die ausgestorbene geschichtliche Lebenskraft dieser Insulaner und ganz Asiens nur durch europäischen Bildungssamen neu geschwängert werden kann, wer möchte nicht den Engländern oder Franzosen hundertmal lieber als den Holländern die Oberherrschaft über Java und die andern asiatischen Inseln wünschen. Scheinen doch namentlich die Engländer von der Vorsehung dazu bestimmt zu sein, um durch Uebernahme des Geschäftes großartiger Colonisationen die einst in grauester Vorzeit von Asiens Hochgebirgen, als ihrer Urwiege, ausgegangene, von dort in Europa eingedrungene, durch das Christenthum und die Völkerfreiheit eigenthümlich umgestaltete Bildung, nach einem vieltausendjährigen Kreislaufe über Länder und Meere nach Asien zurückzuführen. Wenigstens ist dies der große Gedanke, der mir oft das Herz erwärmt, der mir aber, sobald ich an die Stelle der Engländer mir die Holländer denke, sogleich als die bitterste Satyre erscheint. Der Britte – ich liebe ihn nicht – er ist stolz und ich liebe die Stolzen nicht – aber er trägt den Strahl der Humanität an seiner stolzen Stirn.

[58] Einen guten Anfang hatten die Engländer schon gemacht, wovon das schöne Werk des Sir Raffles, ehemaligen englischen Gouverneurs von Batavia, ein erfreuliches und ehrenvolles Zeugniß ablegt. Es handelt von Java, dem Lande, den Einwohnern, ihrer Geschichte, Literatur, Sitte und Lebensart und von den Einrichtungen, welche die englische Regierung zur Verbesserung ihres sittlichen und bürgerlichen Zustandes in der kurzen Zeit getroffen, zwei Bände in Quart, das ausführlichste Werk, das uns über Java aufklärt. Unter dem Vorsitz dieses verdienstvollen Mannes bildete sich außerdem eine Gesellschaft der Wissenschaften, deren Eifer man die reichste Ausbeute für die geologische, botanische, geschichtliche und statistische Kunde des Landes verdankt, Forschungen, die sich nicht allein auf Java beschränkten, sondern die sämmtlichen östlichen Inseln umfaßten und selbst bis nach Japan sich erstreckten. Auf Kosten und Veranlassung der Gesellschaft ward eine Reise durchs Innere von Java unternommen, welche über den Zustand desselben sehr schätzbare Aufklärungen gab. Nachstehende Resultate, die hauptsächlich die alten Denkmäler auf der Insel betreffen, in sofern diese selbst noch in ihrer Zerstörung die sprechendsten Beweise liefern von ehemaliger Macht und Pracht großer javanischer Reiche, theile ich nach dem am [59] 11. December 1815 gehaltenen Vortrag des Präsidenten willfährig meinen Lesern mit, ihre Theilnahme dafür stillschweigend voraussetzend.

Die Insel Java, sagt der Präsident, ist sechshundert englische Meilen lang und fünfundneunzig Meilen breit. Die geologische Natur der Insel scheint ausschließlich vulcanischen Ursprungs zu sein, ohne einige Mischung mit den Urfelsen des Festlandes. Java weicht von der Richtung Sumatra's und der Halbinsel Malacca östlich und westlich ab. Dieser Richtung folgen auch die größeren naheliegenden Inseln Bali, Sumbawa, Endi und Timor, so wie auch einige kleinere Inseln. Diese Richtung sowohl als auch die geologische Beschaffenheit aller genannten Inseln zeigt deutlich das Dasein eines ausgedehnten vulcanischen, mit dem Aequator beinahe parallel laufenden Schlundes in diesem Theil des Erdballs. Daher ist auch der Umstand erklärlich, daß, während Sumatra viele Metalle enthält, Java von denselben entblößt ist, dagegen Sumatra viele ausgedehnte völlig unfruchtbare Landstriche aufweist, während Java mit wenigen Ausnahmen einen durchgehends im höchsten Grade fruchtbaren, alle Gattungen des Pflanzenreichs in größter Ueppigkeit hervorbringenden Boden hat.

Bei dem ausgedehnten Thermometerstande [60] der Insel hat der Naturforscher wenigstens sechs verschiedene Flora's zu beobachten, welche in eben so viel verschiedenen durch die größere und geringere Erhöhung des Bodens über die Meeresfläche hervorgebrachten Climaten einheimisch sind.

Die größten Berge auf der Insel sind sieben bis achthundert Fuß über der Meeresfläche erhaben. Auf der höchsten Spitze des Berges Sindoro stand im Mai 1813 das Fahrenheitische Thermometer auf 36°, während der Nacht wechselte es zwischen 36 und 44°.

Wenn Java den Naturforschern eine so ausgedehnte und wunderbare Mannigfaltigkeit von Gegenständen darbietet, so findet der Alterthümler, der Philolog nicht mindere und selbst größere Seltenheiten in der Beschauung der glänzenden Ueberbleibsel alter Tempel und Städte, in Erforschung der Landessprache und Literatur und im Studium der Sitten und Gebräuche der Eingebornen.

Die ausgezeichnetsten jener Denkmäler finden sich zu Prambanam, Boro-Bodo und Singa-Sari. Der Ursprung dieser weitläufigen Ruinen ist im tiefsten Alterthum zu suchen und ohne Zweifel bezeichnen sie den Sitz der Könige, die in frühester Zeit über Java geboten. Ein gelehrter Forscher, der diese Ruinen kürzlich bereisete, drückt sich so darüber aus:

[61] Nichts gleicht dem traurigen Gefühl, das beim Anblick dieser Verwüstungsscenen sich dem Forscher aufdringt, wenn er über den Ursprung dieser einst bewunderten, jetzt verödeten Hallen nachdenkt. Hier zeigten sich in großer Vollkommenheit schöne Künste, deren Spur auf Java verschwunden ist; hier sieht man die Sinnbilder einer Religion, die in unsern Tagen kaum noch dem Namen nach dem Volk bekannt ist; hier erblickt man die unverkennbaren Spuren grenzenloser Thätigkeit, außerordentlicher Geschicklichkeit und Geduld; hier erkennt man in den noch lesbaren Inschriften den edlen Geist eines schönen Wetteifers und des Schutzes, der vormals den Künsten und Wissenschaften verliehen ward; hier sieht man den unerschöpflichen Reichthum an Hülfsquellen, welche Java in jenen Zeiträumen besaß. Nie sah ich solche erstaunungswürdige vollendete Beweise menschlicher Arbeiten und des verfeinerten Geschmacks der frühesten Zeit auf einen so mäßigen Raum zusammengedrängt.

Nächst den Ruinen von Prambanam sind die von Bodo die merkwürdigsten. Sie liegen im Bezirk von Boro. Der mit einer Kuppel verzierte Tempel von Bodo liegt am obern Theil eines schmalen Hügels und bildet ein regelmäßiges Viereck mit sieben Terrassen. An jeder Seite des Vierecks führt eine breite Treppe zu dem Eingange. [62] In abgesonderten Nischen oder vielmehr Tempeln, welche in den Mauern der Terrassen angebracht sind, befinden sich mehr als dreihundert Bildsäulen von Heiligen in sitzender Stellung, jede über drei Fuß hoch. Aehnliche Bildsäulen zieren die Kuppel des Tempels und an den äußern und innern Mauern sind Gruppen, welche geschichtliche Bilder und gottesdienstliche Festhandlungen vorstellen, in vortrefflicher halberhabener Arbeit angebracht. Sowohl die Gestalten, als die Trachten sind sichtbar indisch, und man ist zweifelhaft, ob man die Größe und Erhabenheit des ganzen Baues, oder die Schönheit, den Reichthum und die Sorgfalt der Bildhauerarbeiten am meisten bewundern soll. Die Aehnlichkeit der Namen und Gestalten, mit denen des Gottes Budha hat zu der Vermuthung geführt, diese Tempel wären ausschließlich seinem Dienst gewidmet gewesen; allein zur Widerlegung dessen mag dienen, daß in benachbarten kleinen Tempeln noch eine Menge Bildhauerarbeiten und Bildsäulen sich befinden, welche offenbar dem Dienst des Brama angehören. Vielleicht gab es auch eine Zeit, wo beide Gottheiten zugleich verehrt wurden.

Auch zu Singa Sari im Bezirk von Pasaruan gibt es merkwürdige Ruinen, welche trefflich gearbeitete Bildsäulen des Brama und anderer [63] Gottheiten enthalten. Nicht minder sehenswerth ist in einem andern Bezirk eine kolossale Statue eines auf den Knien liegenden Mannes, zwölf Fuß lang und zwischen den Schultern neun und einen halben Fuß breit, mit verhältnißmäßigen Anständen der übrigen Körpertheile von einander. Diese Bildsäule scheint von einer benachbarten Terrasse herunter gestürzt zu sein, obwohl es schwer zu begreifen, wie sie ohne mechanische Hülfsmittel, deren Kenntniß man für jene Zeit, woraus die Bildsäule stammt, kaum voraussetzen kann, auf die Höhe der Terrasse gebracht werden konnte. Eine zweite Figur vom nämlichen Umfang, hat man neuerlich in der Nähe der ersteren aufgefunden. Ohne Zweifel wird man, nach Aushauung des nahen dichten Waldes, Spuren des Tempels finden, zu welchem diese beiden Bildsäulen anscheinend den Zugang bildeten. Unweit Singa Sari, wo vor Alters der Sitz des Reiches sich befand, und im Bezirk von Malang sind ebenfals sehenswürdige Ruinen von Tempeln ähnlicher Bauart und Verzierung.


Alle diese Gebäude, welche in mäßiger Entfernung von einander liegen, bezeichnen einen Zeitpunct hoher Kunstbildung, und bestätigen die einzelnen Thatsachen der Landesgeschichte, welche in [64] mehrern inländischen historischen und dramatischen Werken enthalten sind.

Zu den javanischen Alterthümern gehört in mythologischer Rücksicht der Berg Hunung Praha auf der Nordseite der Insel, welchen die Einwohner als den Sitz des Gottes Arjuno und der Halbgötter und Heroen verehren, die sich einst im heiligen Kriege hervorthaten. Hier sieht man noch die Ruinen eines Palastes, von dem die Sage berichtet, er habe einst goldene Bildsäulen enthalten.

Große Aufmerksamkeit verdienen auch die mannigfaltigen Inschriften, welche man in mehrern Theilen der Insel findet und die bereits durch Facsimile's vervielfältigt sind. Die Schriftzüge sind zum Theil unverkennbar indisch, mehrere der anziehendsten sind durch die Gesellschaft entziffert.

In der Nachbarschaft des ehemaligen Königreichs Jong'golo, unfern dem jetzigen Surabaja, hat man mehrere große Steine von der Gestalt unserer Grabsteine aufgefunden, welche mit Inschriften der Kawisprache und altjavanischer Schriftzüge bedeckt sind. Sie enthalten Gebete und Anrufungen der Gottheit. Auch Kupferplatten und Handschriften, neuerlich zu Scheribon gefunden, sind der Gesellschaft übergeben. Die Kupferplatten enthalten Jahres- und Tagesangaben und sind [65] äußerst wichtig für javanische Sprache und Wissenschaft. Blos dadurch, daß man eine möglichst große Anzahl von Angaben der Art mit den Ueberbleibseln der Kunst, Sprache und Einrichtungen zusammenstellt und mit den zuverlässigsten Nachrichten über andere östliche Länder vergleicht, darf man hoffen, zu befriedigenden Resultaten zu gelangen.

Der holländische Apis
[66] Der holländische Apis.

Herodot erzählt uns in seiner Geschichte Aegyptens, die Ochsen dieses Landes hatten einen gewissen Ochsen aus ihrer Mitte als lebenslänglichen Repräsentanten ihres löblichen Naturstandes nach Memphis abgesandt. Dieser Ochse, wie man weiß, nannte sich Apis, wohnte, dem Osiris geweiht, in einem prächtigen Hause, ward vom Volk angebetet und von den Pharaonen mit mehr Achtung behandelt, wie die Repräsentanten des Ixixes vom Fürsten Ypsilon in der Hauptstadt Zev.

Man wird es vielleicht für ein Mährchen halten, wenn man hört, daß Holland noch in unsern Tagen eine ähnliche Abgötterei treibt. Aber nichts ist thatsächlicher. Ich erzählte, wie Heredot, als Augenzeuge; ich war in dem Hause, oder vielmehr in dem Tempel, worin der holländische Stier verehrt wird, ich sah den Stier, ich sah, wie die Holländer ihm Opfer und Weihrauch darbrachten.

[67] Wer es nicht glaubt, befindet sich im selben Fall, wie ich, als ich zuerst das Mährlein hörte. Der gute Freund, der sie mir brachte, faßte mich statt aller Antwort am Arm und führte mich an Ort und Stelle. Wer im Haag sich aufgehalten hat, kennt das sogenannte Prinz-Moritz-Haus, in der Nähe des alten Schlosses, als ein sehr großes und schönes Haus, nach hinten an der Pfeifer gelegen, nach vorn durch einen erhöhten Hofraum von der Gasse getrennt. In diesem Hause befindet sich der Stier, dem die Holländer fast göttliche Ehren erweisen. Mein Begleiter zog die Klingel, die Thür öffnete sich, und der Pförtner machte keine Schwierigkeiten uns einzulassen, da mein Freund für Einlaßkarten gesorgt hatte. Eine breite Treppe führte uns nach oben, stark genug, um unter einem Ochsen nicht zu beben, geschweige zu brechen. In der Mitte derselben war eine Thür angebracht, die beim Aufmachen hell klingelte. Oben auf dem Vorsaal angekommen, näherten wir uns einer Thür, die grasgrün ausgeschlagen und hinlänglich hoch und breit war, um einem derben Ochsen Durchlaß zu geben. Es war in der That die Thür, die nach dem Heiligthum führte, ein Wächter in grasgrünem Rock und kuhmistgelben Beinkleidern stand Schildwache davor. Er wehrte uns nicht geradezu ab, aber er äußerte, es stände [68] in unserm Belieben, ob wir uns in die Nebensäle erst vorläufig einführen wollten. Mein Freund lächelte und flüsterte mir zu, Freund Apis nimmt vielleicht in diesem Augenblick einen natürlichen Proceß vor, der keinen Erdengott in seiner Glorie zeigt; wir thun daher besser, dem Wink des guten Mannes zu folgen und den Tempeldienern eine Verlegenheit zu sparen. Darnach durchwanderten wir eine Reihe in einander laufender heller Säle, deren Wände von unten bis oben durch Meisterwerke des Pinsels verziert waren. Eine große Zahl der Gemälde hatte Bezug auf das Land- und Hirtenleben und offenbarer oder versteckter auf die Zeugungskräfte der Natur als deren Sinnbild bereits das uralte Aegypten und Indien den Stier der Schöpfung verehrte. Viele darunter gehörten weltberühmten niederländischen Meistern an, und ich vergaß sehr bald über ihrer Betrachtung die Ursache, die mich hergelockt hatte und dachte nicht mehr an den abentheuerlichen Stier. Von wem, rief ich, ist dies Sonnenlicht, diese Landschaft, die nicht mit gemeinen Oelfarben, sondern mit Sonnenstrahlen aufgetragen zu sein scheint? Welch ein silberner Tag scheint auf die Leinewand. Wie idyllisch ist das Ganze ausgeführt. Da sehe ich einen jungen Stier, der seinen heißen Kopf an einem Baumstamme streicht, er wird [69] die Borke abreiben. Im kühlen Schatten liegen zwei Lämmer, ein lammfrommes Hirtenmädchen sieht daneben, sie hält eine Spindel in der Hand und neckt sich mit dem Hündchen, das sie anbellt. Von wem ist die Malerei? Von Karl du Jardin, sagte mein Begleiter, hier ist sein Lehrer, Nicolaus Berghem. – O der liebe Nicolaus! Was hat er da gemalt, einen Esel, eine Kuh, eine Ziege, ein Schaf, einen Mann, eine Frau mit ihrem Kinde, alltägliche Gegenstände, aber wie poetisch Alles verknüpft. Die Scene liegt hoch, ein kleiner Raum am Bergesabhang faßt alle diese Figuren in Lebensgröße in sich. Rechts eine Ulme von Weinranken umflochten, wir sind in Italien. Im Schatten der Ulme liegt eine Kuh, die äußerst gemüthlich wiederkäut. Vor der Kuh sitzt eine junge Frau, nackt bis unter die Brüste, sie hat im Schooß einen fetten Jungen, der nicht süßer schlafen kann. Warum streckt sie ihren Arm abwehrend nach dem närrischen Ziegenbocke aus? Der Bock will spielen, er weiß nicht, daß der Junge schläft. Das liegt, spielt, schläft, kaut, ist unthätig. Der Mann hingegen ist thätig, er schreitet, der Kübel ist schwer, er hält ihn mit beiden Armen vor dem Leibe. Es ist ein roher nackter Kerl, von der Sonne gebräunt, von der Arbeit gehärtet, aber immer ein Mann für eine Frau, [70] und noch dazu ein Familienvater, Eigentlich wundert mich das, er hat spitze Ohren, gehört offenbar zu dem Geschlecht der Faune und Waldbrüder, welche sonst keinen Sinn für die Ehe und ihre Pflichten haben, überall und nirgends sind und nur in der Fahrt genießen wollen. Wir sehn vielleicht einen gesetzten Faun, der des Umherstreichens müde geworden ist, und sich als Philister gefällt. Er gibt seinen Brüdern ein gutes Beispiel, er macht, wie er da schreitet und für Weib und Kinder sorgt, den ersten Schritt zur bürgerlichen Cultur. Neben ihm sieht ein Esel gedankenvoll ins Gras, man wird ihm nicht lange Zeit zum Philosophiren gönnen, bald wird er mit Körben von Käse und Butter in jenes Thal traben, wohinunter das Schäfchen sieht. Im tiefen Hintergrunde des Thales steht die Villa eines vornehmen Herrn. Der Weg dahin ist ziemlich weit, noch weiter ist der Weg vom rohen Hirtenleben zu den Arbeiten und Genüssen einer verfeinerten Gesellschaft. Will er das sagen? ich glaube ja, sein poetischer Geist führt gewöhnlich etwas im Schilde, was nicht Jedermann mit Augen sieht. Kann man anmuthiger gruppiren und seine Gedanken mit wärmerem Pinsel ausführen, wie Berghem?

»Unmöglich!« sagte mein Freund. »Aber sehen Sie nur, wie viel schon die Uhr ist.« – [71] »Wie, zwei Stunden verflossen? Lassen Sie uns gehn.« Der grüne Mann öffnete bis grüne Thür, und vor uns stand, wie er leibte und lebte, der Repräsentant des holländischen Rindviehs, wohlgekämmt und gesäubert, wie es einem Halbgott ziemt. Ein junges Thier mit kurzem, idealem Kopf, kurzen Beinen, breiter Brust, faltig dickem Hals, auf Brust und Nacken anwachsenden Kraftbüscheln. Alles an ihm bezeichnete Wachsthum, künftige Stärke und insbesondere glichen seine Schenkel einer Goldbarre, welche Tausende der schönsten Goldstücke noch ungeprägt in sich faßt. Nun konnte ich die Verehrung begreifen, welche der Holländer dem Stier erweist, und gleich sollte ich mit Augen etwas sehn, was meinen Respect noch erhöhte. Eine junge Friesin trat herein, und – Natur, wie einfältig ist dein Mechanismus – den Stier sehen und unwillkührlich in die Knie schießen, war derselbe Augenblick. Das Weib fühlt ihre Schwäche und zittert beim Anblick männlicher Uebergewalt, ob sie ihm auf zwei oder vier Beinen entgegentritt. Darauf kam ein dicker Holländer herein, so recht feist und behaglich, man hätte ihm von dem stauen Gesicht das Fett abstreichen können. Er lehnte sich mit dem Doppelkinn auf seinen goldenen Stockknopf, spreizte die Beine, und betrachtete, den holländischen Normalhut auf dem [72] Kopf, seinen Landsmann vom Schwanz bis zu den Hörnern mit den Augen eines Kenners und Liebhabers; dann betastete er neugierig dessen rothbraunes, weißbeflecktes Fell, was der Apis so gutmüthig war, sich gefallen zu lassen. Allein ein Priester des heiligen Lukas, dem Tempel und Stier geweiht sind, verwies ihm diese Profanation aufs nachdrücklichste. Allmählig füllte sich dann der Saal mit Männern und Frauen jedes Standes, die um den jungen Stier-Athleten ehrerbietig einen Kreis schlossen und nach einer langen stummen Pause, erst einzeln, dann Mehrere, dann vereint in eine Art Hymne ausbrachen, worin ihre Bewunderung sich Luft machte. Darauf hielt ein kleiner Lukas-Priester eine lange feurige Rede, welche für diesmal des Apis Schwanzbüschel zum Text hatte; der Mann sprach sehr gut, wie alle öffentlichen Redner, die sich in Holland hören lassen, es mag nun auf dem Markt oder in der Kirche sein, eine Bemerkung, die ich gelegentlich ausführen werde, wenn ichs nicht vergesse. Gegen das Ende des Vortrags nahm der Redner plötzlich eine Wendung, welche die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf einige Zeit vom Büschel des Stiers abwandte und gegen einen Mann kehrte, der sich außerhalb des Kreises befand, und so gleichgiltig und seelenruhig aussah, wie der Stier selbst, der [73] während der ganzen Zeit gegähnt hatte. Blasses Gesicht, blaue Augen, lange, rothe, gescheitelte Haare, nackter Hals und über den schwarzen Wams geschlagener Hemdkragen, machten ihn überdies vor allen andern Menschen im Saal kenntlich. Auf diesen Mann nun zeigte der kleine Redner mit der Hand und rief, de Potter, großer Meister, nur deiner unsterblichen Hand gelingt ein Schwanzbüschel, wie dieser, nur dein schöpferischer Pinsel konnte einen Stier, wie diesen, schaffen, einen Stier, auf den Holland stolz sein wird, so lange auch nur ein verwitterter Fetzen von ihm übrig bleibt.

Het huis in Busch
[74] Het huis in Busch.

Das Haus im Busch ist ein oranisches Luftschloß im Haager Gehölz, es hat zwei einstöckige Flügel und ein breitgetrepptes Mittelgebäude, dessen Kuppel einen Schatz bedeckt, welcher diese einfache, aber reizende Sommerwohnung kostbarer macht, als hundert Marmorpaläste und glänzende Prachtgebäude.

Bei meinem ersten Besuch führte mich die Frau des Castellans nebst ihrer Tochter in den eleganten Zimmern umher. Da mußte ich denn hören, welcher Gouverneur von Batavia die Tapeten des japanischen Zimmers dem höchstseligen Statthalter zum Geschenk gemacht, in welchem Zimmer »unser geliebter König, Se. Majestät Wilhelm I., dem Gott langes Leben schenken möge u.s.w.,« das Licht dieser Welt erblickt – wenn ich nicht irre, war es dasselbe Zimmer, das späterhin dem Rathspensionarius Schimmelpennink und darauf dem König [75] Ludwig zum Schlafgemach diente, als sie nach einander auf kurze Zeit dieses Haus bezogen. »Schimmelpennink,« sagte sie, »war ein großmächtiger Herr und seine Frau eine prächtige Frau, und seine Lakaien hatten rothe Röcke an mit goldnen Borden und Quasten, und wenn er in seiner Glaskutsche nach dem Haag fuhr, so kam die ganze Stadt auf die Beine. Aber der arme König Louis,« fügte sie hinzu, »sah sehr zärtlich aus, er war lahm an der einen Seite und hatte immer Leibschmerzen.« Jawohl, der arme, arme König Louis, dachte ich. Also in diesem Zimmer hatte ihm zuerst geträumt, daß er König von Holland wäre; wie bald ist er in seinem großen Palast von Amsterdam aus diesem Traum erwacht. Was dieser Mann in der kurzen Zeit für Holland gethan und beabsichtigt, hatte ich gerade in jener Zeit aus seiner eigenen Denkschrift erfahren, worin er die Geschichte seines kurzen Königthums erzählt und die Beweisstücke seiner Verwaltung vollständig beiliefert, so daß ich die klarste Einsicht von jener Zeit gewann, die sich auf jedem Blatt, möchte ich sagen, mit der Rührung über sein häusliches und öffentliches Schicksal vermischte. Was mich aber am meisten rührte, war die Hoffnung, der er sich einige Zeit lang nach dem Sturze seines Bruders hingab, durch die freie Stimme dankbarer Holländer [76] zum zweiten Mal auf einen Thron zurückberufen zu werden, welchen er das erste Mal zwangsweise bestiegen hatte. Armer König Louis. Glaubtest du denn, daß selbst ein Bernadotte Schwedenkönig geworden,nach dem Fall des großen Mannes, den er undankbar als Feind behandelte. Auch Joachim von Neapel schwebte im selben Wahn, und ward vom Volk zerrissen und gesteinigt, wie du – ich wünsche nicht, daß diese Worte dir zu Ohren kommen – wie du zerrissen und gesteinigt worden wärest, hättest du gegen den Jantje von Amsterdam die Pflichten seiner Dankbarkeit geltend machen wollen. König Louis, hättest du ein Herz gehabt von Stein und Bronze, wie dein Bruder Napoleon, es wäre vielleicht dir und deinem Bruder besser ergangen. Und sprich, wem hast du am Ende genützt, als du deinen Holländern erlaubtest, trotz der Continentalsperre und den Drohungen deines Bruders, Schleichhandel mit englischen Waaren zu treiben, als die Küsten von Holland jede Nacht von Kähnen wimmelten und bewaffnete Schleichhändler mit englischen Ballen über die Dünen jagten? Antwort, du hast einige reiche Mijnheers noch reicher gemacht und indem du dein Land zu einem Canal der englischen Waaren hergabst, vermittels dessen sie durch ganz Europa heimlich sich verbreiteten, hast du dem System deines Bruders den [77] Boden eingeschlagen, das ohne deine Hand vielleicht, ja mehr als vielleicht, die Krämerinsel gestürzt und den dicken Mylord in seinem eigenen Fett erstickt hatte.

Doch genug vom armen König Louis. Sein Bild ist aus allen Herzen und von allen Wänden verschwunden, und am wenigsten wird man es suchen in einem Lustschloß der oranischen Familie, in einem Hause, welches die Kunst gleichsam zu einem Tempel umgeschaffen hat, worin ein Glied dieser Familie seine Apotheose feiert. Die gute Frau riß ein Paar Flügelthüren auf und überraschte mich mit dem Anblick eines hohen, runden, von der Kuppel herab erleuchteten Saales, angefüllt mit tausend Gestalten in Lebensgröße. Eine edle deutsche Frau, Amalie von Solms-Braunfels, wollte durch diesen Saal ihre Trauer um den Tod ihres Gatten verewigen, es war Friedrich Heinrich, der Bruder des Prinzen Moritz und der zweite Sohn Wilhelms, der Statthalter und Generalcapitain von Holland. Sie versammelte neun berühmte Maler ihrer Zeit und diese haben durch den Wetteifer, womit sie sich in die Hände arbeiteten und ihre besten Kräfte beisetzten, Alles, wie es scheint, übertroffen, was man an andern Orten von ihnen sieht. An der Spitze standen drei Schüler von Rubens Jordaans von Antwerpen, [78] van Tülden aus Herzogenbusch und Zoutmann von Haarlem, außer diesen Gerhard Hondhorst von Leyden, Jan Lievensze von Utrecht, Cäsar von Everdingen von Alkmaar, Peter de Grebber, Salomon de Bray und Cornelius Brizé von Haarlem. Das älteste der Gemälde ist vom Jahr 1648, das jüngste von 1652. Das Werk ward also begonnen ein Jahr nach dem Tode Friedrich Heinrichs, welcher den Frieden von Münster, das Ziel seiner Wünsche und seines Strebens, nicht mehr erlebte, und dadurch den Triumph einbüßte, welchen die Anerkennung der sieben Provinzen von Seiten Spaniens und der übrigen europäischen Mächte nicht unverdienterweise auf sein Haupt zurückgestrahlt hätte. Seine Wittwe und die Kunst haben ihn dafür entschädigt. Ueber der Pforte stehen Minerva und Hercules und scheinen sie mit Gewalt öffnen zu wollen, damit der Friede, der in schimmernder Wolke niederfährt, in sein Heiligthum eintreten könne, eine Anspielung, wie man sieht, auf den westphälischen Frieden. Nun erblickt man rings umher den gefeierten Helden in jedem Alter und den mannigfaltigsten Zuständen seines Lebens, seine Geburt, seine Siege, sein Familienleben, sein Ende. Cäsar von Everdingen hat seine Geburt dargestellt. Vater Wilhelm sitzt auf einem mit Goldstoff geschmückten Sessel, hinter seinem Rücken [79] lauert der Tod – Friedrich Heinrich war nur fünf Monate alt, als sein Vater meuchlings erschossen wurde. Götter und Genien umgeben und schützen die Wiege des Knaben. Auf einer andern Tafel sieht man ihn in alterthümlicher Tracht an der Hand der schönen und geistreichen Amalie, daneben eine schlafende Venus, gemalt von Hondhorst. An häuslichen Bezügen ist überall kein Mangel. So sieht man seinen Bruder Moritz, seine Töchter, die Aeltere an der Hand ihres Gatten, Friedrich Wilhelms, Kurfürsten von Brandenburg, besonders häufig seinen Sohn Wilhelm II., wie dessen Gemahlin Maria von England, Beide mit ihren Habichtsnasen, ihren blassen seinen Gesichtern sich so ähnlich, wie ein Lilienblatt dem andern; derselbe frühgestorbene Wilhelm, der mit einem Reitergeschwader Amsterdam überrumpeln wollte, dem aber die Bürgermeister und Schöppen die Thore vor der Nase zuwarfen, über welchen Vorfall ich ein artiges Gedicht in holländischer Sprache gelesen. Auch sieht man seinen Schwiegervater, Karl I. von England, denn der blasse Reiter auf dem Schimmel stellt ohne Zweifel den unglücklichen Karl vor; er ist gemalt von van Tülden. Die allegorischen Figuren, von denen der Saal wimmelt, beziehen sich auf Feste, Hochzeiten, Siege, Belagerungen, und auf die Künste des Friedens, [80] die unter Friedrich Heinrich in ihrer höchsten Blüthe standen, ohne daß man deswegen behaupten könnte, dieser oder irgend ein anderer nassauischer Fürst habe, nach Art der Medizeer in Florenz, dazu sehr förderlich beigetragen, nimmt man, wie billig, unsere Amalie von Solms-Braunfels von der Reihe aus. Jan Lievensze hat fünf Musen geliefert, le beau reste ist, in seiner Manier, von Cäsar von Everdingen. Der Maler aber, dessen Pinsel die drei Cyklopen entwischt sind, konnte mit Rubens wetteifern. Sie stehen vor dem Ambos und schmieden die Rüstung des Helden. Färbung, Licht, Schatten, Ausdruck der arbeitenden Muskeln, der ganze Wurf, wie er gedacht und ausgeführt ist, sind rubenisch. Alexander von Rußland wollte, ich weiß nicht wie viel tausend Gulden dafür geben, obgleich er auf Schmiedearbeit sich wohl nicht so gut verstand, wie sein Vorfahr Peter der Große, der für die Kopeken, die er im Schweiße seines Angesichts einmal schmiedet hatte, sich sm Paar neue Stiefeln kaufte.

Den Culminationspunkt aller dieser Wandtafeln bildet die große Wand, mit welcher die Gemälde zur linken in Verbindung stehen. Diese machen den Beginn, oder eigentlich die Schleppe des Triumphzuges, welcher auf jener dargestellt wird. Zu äußerst sieht man Personen und Gegenstände, [81] welche sich auf die Eroberung von Brasilien beziehn. Diese bilden bekanntlich eine kurze, aber glänzende Episode unter den Eroberungen der Holländer, interessant von der Seite, daß die Holländer hier auf dem abentheuerlichen Boden Brasiliens, klein an Zahl, angeführt durch Johann Moritz von Nassau, im spanisch-ritterlichen Charakter auftreten und mehr als Soldaten, wie als Krämer sich schlagen. Der Versuch war kühn, hatte anfangs den unglaublichsten Erfolg, und scheiterte eben so plötzlich an der aufgeschreckten Macht der Portugiesen. Van Grebber und van Tülden haben sich diesen Gegenstand gewählt, man findet auf ihren Tafeln besonders viel schöne Frauen und Mädchen mit Blumen und Früchten aus jener Zone. Dann kommen besiegte Spanier in den Niederlanden, eine spanische Fahne weht in der Hand eines Holländers, eine gefangene halbnackte Spanierin, junge Mutter von fünf Kindern, wird von rohen Soldaten auf den Triumphweg unbarmherzig vorwärts gestoßen, gut gemalt, aber schlecht gewählt, weil diese Scene an die liederlichen Kriegsbanden erinnert, durch deren schmutzige bezahlte Hände die Freiheit der sieben Provinzen unter Wilhelm, Moritz und Friedrich Heinrich erkämpft wurde.

Nun stellt man sich tiefer in den Saal zurück und wirft sein Auge über die riesige Malerei, [82] welche die große Wand bedeckt. Man stelle sich ein kleines Gemälde vor, das seine fünf und zwanzig bis dreißig Fuß Höhe und eben so viel Fuß Breite hat, gefüllt mit Engeln, Menschen, Thieren, Blumen, Früchten, glänzend von Farbe und Licht, kräftig in Schatten gesetzt, lebenswarm und mit markigtem Pinsel ausgemalt und Alles, was von Natur und Allegorie, Wirklichem und Wunderbarem darauf sich findet, in Harmonie gebracht mit dem Triumphator, der auf goldnem Siegeswagen sitzt und sich von vier prächtigen Schimmeln einherziehen läßt, dies Alles, sage ich, stelle man sich vor, wie man's kann, und man wird empfinden, welche Bedeutung ein solches Stück für die Kunst haben mag. Zur linken Hand des Wagens gehen zwei Doggen, zur rechten zwei goldgelbe Löwen, hinter dem Rade steigt Wilhelm II. auf ein prunkvoll gesatteltes Pferd, andere Reiter machen sein Gefolge aus, unter dem Gedränge kommen mehrere Köpfe aus dem Volk zum Vorschein, darunter Meister Jordaans eigenes kräftiges Gesicht, das unter der blauen Sammetmütze heiler und wohlgefällig in sein eigenes Werk hineinsieht. Er kann wohl lachen, so ein Werk gelang nicht Jedem, und ihm selbst nicht immer, er hat im Großen eine Kraft hinter seinen Pinsel gesetzt, bei der er sich seiner Genialität bewußt werden mußte [83] und die nöthig war, ein solches Stück zu halten, dann hat er wieder Blumen und Früchte so frisch, zart und faserfein gemalt, als hätte er sein Leben nichts anderes gethan, als den Pinsel von Segers, Hugsem und Mignon zu führen. Ich glaube, er hat sich zu allerletzt gemalt, wie er da oben steht und seinen Arm um eine Säule schlingt, um ein so zufriedenes Künstlergesicht zu haben. In den Wolken schwebt der Friede, oder vielmehr die Friedin, denn sie ist eine sehr schöne junge Frau, zwei kindliche Genien halten ein flatterndes Blatt, worauf ich, Meister Jordaans zu Gefallen, folgende Inschrift las: ultimus ante omnes de parta pace triumphans.

Zu dieser mächtigen Wandtafel gehört ein Plafond, worauf man den Triumphator, entfernt von allem Gewühl, mit sich und dem Himmel allein in seiner letzten Stunde sieht. Er sitzt, der Tod ist auf seinem Angesicht, aber drei himmlische Wesen: Glaube, Liebe, Hoffnung, stehn ihm zur Seite, und unterstützen ihn, ein Genius in den Wolken faßt seine letzten zum Himmel gerichteten Blicke auf, er scheint seinen Geist nach sich zu ziehen, und die trauernde Wittwe, deren Bild gegenüber im Saal, kann die tröstlichen Worte aus dem Buch des Lebens: hac ivit. Eine christliche Apotheose.

Holländische Geldsorten
[84] Holländische Geldsorten.

Für Fremde und Reisende ist es nicht unwichtig, genau zu erfahren, wie es mit dem Gelde in einem Lande steht. Zu deren Besten bemerke ich daher Folgendes:

In Holland laufen dreierlei Arten von Münzen, goldene silberne und kupferne. Zu bemerken, daß erstens die goldenen nicht so häufig sind, wie die kupfernen, und zweitens, daß man in Holland die kupfernen nicht silberne nennt, – – – – – – –

Ein neuer holländischer Guillaumed'or hat zehn Gulden und eben so viel Beine und Füße.

Ein alter holländischer Ducat hat die Eigenschaft in kurzer Zeit sich unsichtbar zu machen.

Ein holländischer Gulden ist ein Stück Gelb, das aus der Hand ist, ehe man sich's versieht.


[85] β.


Ein geborner Holländer kann ihn besser festhalten.

Ein Dubbeltje ist ein glattes leichtes Silberblech, das aus der Tasche fliegt, wenn man nießt oder sich ausschnupft.

Ein Stüver oder ein Stuivertje und ein Pietje sind kleine Münzen, die man noch am seltensten ausgibt. Die Ursache scheint zu sein, weil man sie am seltensten einnimmt.

Die holländische Kupfermünze heißt Zent oder Zentje, hundert auf einen Gulden, fünf auf einen Stüver, zehn auf ein Dubbeltje. Weil sie übel riechen und die Taschen besudeln, ist ein menschenfreundlicher Reisender nirgends wohlthätiger, als zu Holland. Selten wird er harthörig sein, wenn ein Bube oder Mädchen hinter ihm herruft, en Centje mijn Heertje, mijn Heertje en Centje, en Centje mijn Heertje.


β I.


Obige Bemerkungen über die holländischen Geldsorten können insbesondere solchen Reisenden sich nützlich machen, welche sich entweder in die vielen schönen Kunstsachen vergaffen, die in Amsterdam, Rotterdam und dem Haag häuflich sind, [86] oder die mit Gewalt sich amusiren wollen, was man in Holland durchaus nicht kann.


β II.


Noch zu bemerken, daß der Dubbeltje unter allen Geldsorten in Holland die größte Rolle spielt, weil ein Glas Genever, wenigstens in allen gentilen Kaffeehäusern, wo man des Morgens nichts Anderes trinkt als Genever mit und ohne Zucker, einen Dubbeltje kostet; wogegen ich allerdings aus dem Munde meines Barbiers gehört, daß die tausend Schenken oder Tappereijen, die es im Haag gibt (notorisch gibt es mehr) und die allwöchentlich durch ein Halbdutzend beladener Treckschuiten von Schiedam mit Fässern versorgt werden, das Glas Genever für sieben Zentjes an den gemeinen Mann schenken. Mein Barbier muß es am besten wissen, er ist selbst einer von den tausend Tappern im Haag.

Amsterdammer und Haager Gemäldesammlung
[87] Amsterdammer und Haager Gemäldesammlung.

Als Heineken im Jahr 1768 die Stadt Amsterdam besuchte, fand er auf dem Stadthause eine Zahl von 120 Gemälden, unter welchen er den großen Schützenaufzug von Rembrand und die Malereien von van Helst, Franz Hals, Jakob Jordaans, Govert Flink, Ferdinand Bol und Jan van Bronkhorst als sehr betrachtungswürdig auszeichnet. (Siehe Heinekens Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen, 2. Theil). Die genannten Maler machen noch jetzt den Kern des Amsterdammer Museums aus, welches den Namen »Museum des Königreichs der Niederlande« führt, während das Museum im Haag »königliches Museum« heißt. Im ersteren Namen liegt, wie mir scheint, ein Mißgriff, der Name »Amsterdammer Museum« möchte passender sein, nicht [88] allein, weil dasselbe Gemälde aus der ehemaligen Südhälfte des Königreichs der Niederlande befaßt und es daher unstatthaft scheint, den Namen so weit auszudehnen, sondern auch weil das Museum, so viel ich weiß, Eigenthum der Stadt ist; weil es die Maler am vollständigsten enthält, welche zu Amsterdam blühten, und weil es seinen Ursprung jenen wackern Malern verdankt, welche die Mahlzeiten, Feste und Aufzüge der Amsterdammer Schützengilde darstellten. Die Gemälde befinden sich gegenwärtig nicht mehr auf dem Stadthause, sondern sind im obern Stockwerk eines großen öffentlichen Gebäudes in verschiedenen Zimmern und einem langen Saal aufgestellt, weniger hell und elegant wie die Gemälde des Haager Museums. Die Anzahl der Gemälde beläuft sich nach dem gedruckten Katalog von 1830 auf 415 Stück, darunter 371 von namhaften meist holländischen Meistern, an deren Spitze Rembrand, Gerhard Dau, Jan Steen und van der Helft mit weltberühmten Meisterwerken stehn. Aus der flamländischen Schule findet man vier Teniers, sechs van Dyk, drei Sammet-Breughel, eben so viel Rubens und zwölf sehr schöne und seine Gemälde von dessen Lehrmeister Otto Venius, auf welchen die Thaten des Claudius Civilis vorgestellt sind; diese hingen vormals im Saal des alten Schlosses im Haag, in welchen [89] die fremden Gesandten bei ihrer Aufnahme eingeführt wurden.

Ueber das Haager oder vielmehr königliche Museum entlehne ich die Notizen aus der Vorrede der:principaux tableaux du Musée royal à la Haye gravés au trait avec leur description. A la Haye 1820, mit spätern Supplementen; ein Werk, worüber ich nachher einige Worte sagen werde.

Der Prinz von Oranien, Wilhelm V., Vater des jetzigen Königs, wird betrachtet als der Stifter dieser Gallerie. Indessen besaß schon Wilhelm III., König von England, eine Gemäldesammlung auf seinem Schlosse von Loo, in der Nähe von Utrecht. Er soll beträchtliche Einkäufe für dieselbe auf einer Versteigerung in Amsterdam gemacht haben, auf welcher er mehrerer Stücke von van Dyk, Rubens und italienischen Malern habhaft wurde. Mehrere Gemälde, welche gegenwärtig die Gallerie im Haag zieren, stammen aus dem Schlosse von Loo, unter andern die junge Hausfrau von Gerhard Dau. – Wilhelm V. ließ die Gemälde aus seinen verschiedenen Lustschlössern sammeln und bildete aus ihnen eine Gallerie im Haag, welche durch Einkäufe sich vergrößerte. Nach der Ankunft der Franzosen und der Flucht des Statthalters nach England im Jahr 1795 ward die Gallerie nach Paris entführt und machte dort während [90] zwanzig Jahren den Hauptzierrath der holländischen Schule aus.

Nach der Schlacht von Waterloo forderte man die Sammlung zurück, es wurden Leute nach Paris gesandt, um diese Angelegenheit zu besorgen, worauf die meisten Gemälde wieder in Holland ankamen. Der König kaufte in der Folge das ehemalige Haus des Prinzen Moritz von Nassau, Gouverneurs von Brasilien, in welchem gegenwärtig die Gallerie das obere Stockwerk, das Curiositätencabinet das untere einnimmt. Die Sammlung ward durch den König bedeutend vermehrt, hauptsächlich mit verschiedenen Stücken der italienischen Schule und den neuesten Erzeugnissen niederländischer Künstler. Für den Eintritt bedarf man eines Zettels, den man sich des Morgens früh im Gebäude selbst holen muß – beiläufig eine nutzlose Umständlichkeit, welche die Directoren, des Amsterdammer Museums wohlverständig nicht nachgeahmt haben. Vielleicht laßt es sich eben diesem Umstande zuschreiben, daß man auf dem königlichen Museum nur selten Leute aus dem Volk, und vom Lande sieht, dagegen die bunten Volksgruppen, die im Amsterdammer Museum die Werke ihres Landes beschauen, einen sehr erfreulichen und im Uebrigen durchaus nicht störenden Anblick gewähren.

[91] Nach der notice de tableaux du Musée royal à la Haye (ohne Jahrzahl mit zwei Supplementen) beläuft sich die Zahl der Gemälde auf 364, darunter siebzehn von unbekannten Malern. Aus der flamländischen Schule sieht man vier Rubens, fünf van Dyk, zwei Teniers, einen Höllen-Breughel und Rottenhamer, zwei Sammet-Breughel, einen dito und Rubens, einen Philipp de Champagne. Von neuesten belgischen Malern, größtentheils, wie die neuesten holländischen, unbekannte Namen, finden sich sehr Viele, als Bast zu Gent, Asche, Brice, Cels, Coene, Delvaux, Dietz zu Brüssel, Dücorron und Geens zu Gent, die Blumenmalerin Evrard zu Ath, die Malerin Kindt zu Brüssel, de Jonghe zu Courtrai, Kremer zu Antwerpen, Lebroussart zu Brüssel, Navez ebendaselbst, Nicollie zu Antwerpen, Noter zu Gent, Odevaere zu Brüssel, Paelink zu Brüssel, Payen, Piqué, Roy, Spruyt, die Malerin Thys, Verboekhofen, ebendaselbst, Speiart und Vlieger zu Gent, von Stappen, geboren zu Antwerpen und gegenwärtig in Rom, Verlinden, de Bree und Vappers zu Antwerpen; worunter Paelink, welcher die Toilette der Psyche gemalt, und Kremer, welcher die Malerei, die Poesie und die Musik in der Familie von Koemer Fischer vereint hat, meinem Geschmacke nach die Krone [92] verdienen. Das Verzeichniß der gegenwärtigen holländischen Maler, deren Arbeiten in der Gallerie hängen, ist kürzer, Hary im Haag, Blumenmaler Brand zu Amsterdam, Hovn im Haag. Kobel zu Rotterdam.Kruseman im Haag, geboren 1797, Kruzeman zu Haarlem, Nikolai, geboren zu Leuwarden, Jan van Os, Blumen- und Wildmaler, geboren im Haag 1782, jetzt in Frankreich, wo er Landschaften malt. Pieneman, geboren 1779, gegenwärtig Professor der königl. Akademie zu, Amsterdam. Pitloo, geb. zu Arnheim, gegenwärtig zu Neapel. Portman, Wildmaler zu Amsterdam. Abels Ryk, Esman, Ravensway zu Hilversum, Landschaft- und Thiermaler.Schelfhout im Haag, geboren 1787, Landschaftmaler. Teerling von Dortrecht, zu Rom, Landschaftmaler, geb. 1777. Westenberg zu Amsterdam, Landschaftmaler, geboren 1791.

Es gibt, wie mich bedünken will, keinen unter allen diesen Malern, welchem die Natur »einen Brief an die Nachwelt« in die Wiege gelegt hätte. Unterdessen macht sich doch manches schöne Stück durch den verjüngten Eifer, womit hier die Kunst gepflegt und getrieben wird, bemerklich. Unter den Kirchen-, Landschaft-, Thier- und Blumenmalern, findet sich hier und da ein Talent, das an die ältern Vorgänger in dieser Gattung [93] lebhaft genug erinnert. Der Historienmaler Kruseman arbeitet gegenwärtig an einem großen Gemälde, welches die kleine Schlacht bei Hasselt vorstellen soll. Er bringt seine Figuren dem Leben sehr nahe.

Ein junger Künstler, welcher dem Genie der alten Maler noch am nächsten kam, Paul Josef Noël, ist 1823 zu Amsterdam gestorben. Es hängt von ihm ein Stück in der Haager Gallerie, welches die Zuschauer sehr anzieht und lange festhält durch Jan Steenschen Humor und Jan Steensche Natürlichkeit in der Darstellung einer lustigen Marktscene, wo zwei Betrunkene sich balgen, der Eine wirft den Andern mit dem Gesicht in einen Korb voll Eier u.s.w. Noël hätte die holländische Schule wieder in Ruf gebracht.

Eine Auswahl vorzüglicher Gemälde des Cabinets, mit ihren Umrissen und charakteristischen Zügen in Kupfer gestochen, enthält das oben angeführte Werk. Die Arbeit ist von mehrern Kupferstechern theils gut, theils mittelmäßig, theils schlecht ausgeführt, doch sieht man noch immer des Guten mehr als des Schlechten, zu welchem Letzteren besonders ein Herr Bemme das seinige beigetragen hat. Die Herausgeber haben auch Landschaften aufgenommen. Eine Landschaft in Umrissen ist ein gar zu trauriger Rest für die Phantasie. – Der letzte [94] und beste Stich ist die Sektion von Rembrand, wo man den Professor Tulp sieht, der in Gegenwart seiner bärtigen Schüler einen ausgestreckten Leichnam secirt, ein ekelhaft abstoßendes, aber wundervoll kräftig ausgeführtes Gemälde, das früher auf der Anatomie zu Amsterdam hing.

Außerdem hat man Steindrücke nach der Gallerie angefangen; ich sah nur einige auf der Platte, und weiß nicht, wie der Abdruck ausgefallen. Nach dem zu urtheilen, was ich sonst in dieser Art hier zu Lande gesehn, läßt sich davon wenig erwarten. Man ist noch sehr hinter den Leistungen deutscher, französischer und englischer Steindrucker zurück. Auch der Kupferstich ist mittelmäßig. Die goldene Zeit ist vorüber, wo ein Lukas von Leyden, ein Abraham Bloemaert, ein Rembrand, Jan Lievensze, Berghem, du Jardin, Hollar, Svanefeld, Bolswaert, Karl Fischer, Jan Lütma, Houbraken und viele Andre, den alten herrlichen Golzius nicht zu gedenken, der von Geburt ein Deutscher war, den Ruf ihres Vaterlandes auch durch Aetznadel und Grabstichel ausbreiteten.

Gegenstände der heutigen Malerei
[95] Gegenstände der heutigen Malerei.

Man darf nur den Katalog einer holländischen Kunstausstellung flüchtig durchlaufen, um zu sehen, daß die Gegenstände, welche die jetzigen Maler zu bearbeiten lieben, noch dieselben sind, worin die alten Maler sich gefielen, Gegenstände aus dem gemeinen Leben, Landschaften, Thierstücke, Stadt- und Dorfansichten zu verschiedenen Zeiten des Tages und Jahres u.s.w. Ideale und geschichtliche Stücke sieht man nur selten; häufiger jedoch bei den belgischen Künstlern. Unter hundert Gemälden haben achtzig solche und ähnliche Vorwürfe, wie ich sie im Nachstehenden, aus dem Katalog der Kunstausstellung im Haag von 1830 zur heitern Uebersicht mittheile.

Eine Stadtansicht zu Leyden. – Ansicht der haarlemmer Pforte zu Amsterdam.

Eine Ansicht aus Overyssel.

[96] Eine Landschaft mit Vieh – mit Scheuten – mit Figuren und Pferden – mit stehendem und liegendem Vieh.

Ein Wintergesicht – eine beschneite Geldersche Landschaft.

Ein Binnenplatz – ein Binnenhaus – ein Baurenbinnenplatz.

Ein Jüngling, der auf der Viole spielt.

Ein Kaufmann mit Bildern.

Ein alter Mann, der ein junges Mädchen liebkost.

Ein Frauchen bei einer Pumpe.

Eine baumreiche Landschaft.

Ein Junge mit einem Affen und Hunde.

Ein Pferdestall.

Ein Fruchtstück – ein Blumen- und Fruchtstück.

Todtes Wild.

Ein Schäfer mit einem Stier, liegenden Ochsen und Schafen.

Ein rothbunter Ochse.

Ein Waisenmädchen im magnetischen Schlaf.

Ein Fischmarkt.

Ein Baurenviehstall.

Ein chinesisches Zelt (erinnert an den Verkehr mit China, und die chinesischen Gemälde, welche man im Raritätencabinet sieht, nach der neuen Manier gemalt, das heißt, einigermaßen perspectivisch).

[97] Eine Familie zu Wagen.

Eine junge Grünhökerin sitzend auf einem Hundewagen.

Ein Verschlag mit einem arbeitenden Altflicker.

Ein Kaufmann, der bei Abendlicht auf seinem Comptoir schreibt, während der Hausknecht auf seine Befehle zu warten scheint.

Liebeserklärung eines Dorfmusicanten.

Ein blinder Spielmann und ein Sänger in Bauerngesellschaft.

Zurückkunft eines Glücksspielers zu seiner Familie u.s.w. u.s.w.

Jan Steen
[98] Jan Steen.

Der Maler Jan Steen ist noch immer eine lebendige Person, so lange er auch todt ist. Er wandert mit seinem ewig lachenden Gesicht über den Markt, besucht die Wirthshäuser und kommt selbst in die Kinderstuben, wo alle Kinder ihren Jan Steen persönlich kennen und wissen, was für ein Vogel er gewesen. So sah ich in einer kleinen Gasse im Haag unter andern Bilderbogen für Kinder, welche vor dem Fenster einer Hökerfrau hingen, auch einen Bilderbogen mit Jan Steens lustigem Lebenslauf, wie man dergleichen in Niedersachsen von Till Eulenspiegel dem Rübezahl der Lüneburger Haide, verkauft. Wirklich spielt auch Jan Steen einigermaßen die Rolle des Eulenspiegels für das holländische Volk, das sonst keine ustige Person besitzt. Man hat den Eulenspiegel nach Holland verpflanzen wollen, allein er ist in schlechte Hände gefallen und machte daher kein [99] Glück. Er ist auch für die reinlicheren Holländer zu schmutzig. Nachdem ich Arnold Haubrakens Schilderbuch gelesen, bekanntlich eine Fortsetzung des Schilderbuchs von Karl van Mander, bin ich an die Quelle der saubern Geschichten gestoßen, die von Jan Steen in Umlauf sind. Ich bin kein Maler und weiß nicht, mit welchem Grad von Lockerheit das ausübende Künstlertalent verträglich ist. Was ich aber von Adrian Brauer lese, der selten nüchtern war, und der nach einem landstreicherischen Leben im Spital von Antwerpen verkam, macht mich glauben, daß ein Holländer ziemlich weit gehen darf. Mir scheint nun namentlich weder die Menge noch die Art der Jan Steenschen Stücke unverträglich zu sein mit dem Lebenswandel, welchen Jan Steen bei Haubraken führt. Die Menge nicht, denn man weiß, daß er malte, um zu leben; die Art nicht, denn man weiß, daß einerseits sehr viele Stücke von ihm nur leicht und locker, obwohl meisterhaft gemalt sind, andrerseits fast alle Stücke humoristischer, ja kreuzfideler Natur sind. Bäcker malte er lieber als Schütter, Quacksalber lieber als Bürgermeister, sein eignes Hausleben lieber als vornehme Gesellschaften. Man sieht es auch seinem Gesicht auf den ersten Blick an, selbst wenn er sich im ehrbaren Putz und Staat vorstellt, wie er auf dem Amsterdammer Museum hängt, daß [100] er ein derber, fröhlicher Gast war und in seinem Leben manchen Schluck über den Durst getrunken haben mag. Geschichtliche Bilder, vornehme Personen, Helden, Könige, Heilige, u.s.w. waren nicht sein Pferd. Wurde etwas dergleichen bei ihm bestellt, oder überkam ihn einmal selber ein Gelüste darnach, so brachte er lächerliche Parodien zur Welt. Lächeln und lachen muß man, was er auch beginnt. So hängt in der Kopenhagener Gallerie, einer der schönsten und reichsten in der Welt, Davids Triumph, unterzeichnet Jan Steen 1671. Außen vor der Pforte sieht man einen Altar aufgerichtet, mit einer Inschrift in holländischen Reimsprüchen. Auf dem Altar brennt ein Candelaber, rund herum stehen spielende und singende Personen, darunter seine zweite Frau oder Geliebte, Marietje Herkulens und er selbst mit einer Brille und einem Fuchsschwanz im Nacken. Am Fuße des Altars liegt Goliaths Haupt, über welchem ein kleines Mädchen, vermuthlich sein eigenes, die Trommel schlägt. Sauls Tochter, in weißen Atlas gekleidet, reicht ihre Hand dem kleinen lorbeergekrönten David, der Goliaths Riesenschwert mit allen Kräften nach sich schleppt u.s.w. Kurz, ich glaube, man kann annehmen, daß seine etwas eulenspiegelische Natur ihm eben so gut durch den Pelz geschlagen ist,[101] wie sie ihm durch die Leinewand schlug, und ich mache mir daher kein Gewissen daraus, einen der besagten Holzschnitte aus dem Schilderbuch – gleichsam mit dem Stock in der Hand – vor dem deutschen Publikum zu erläutern. Der Bogen, der vor mir liegt, kostet mich fünf Zentjes uncolorirt, der Schnitt ist artig, unter jedem Bilde steht ein Reimspruch. Folgender findet sich unter dem ersten:


Hier erft Jan Steen een Brouwerij
Hij trouwt sijn Lief, sijn beide blij.

Jan Steen sitzt in zärtlicher Stellung mit seinem Liebchen auf der Bank vor der Hausthür, drüben sieht man ein Gebäude mit der Ueberschrift Brouwerij. Das Mädchen stellt offenbar Grietje van Goysen vor, seine erste Frau, die Tochter eines Malers im Haag, bei dem Jan Steen in die Lehre ging. Der Vater sah sich genöthigt, sie so schnell als möglich seinem Lehrlinge in die Ehe zu geben, und da dieser sich noch nicht getraute, sie mit dem Pinsel zu ernähren, warf er sich in ein Braugegeschäft zu Delft, dazumal das Merseburg von Holland.

Hier wint Jan Steen als man de kost
Ist ijvrig in zijn Brouwers post.

Alles geht wohl, Bierfässer liegen am Boden, ein Knecht rührt den großen Braukessel und ein [102] andrer pumpt, und Jan Steen selbst eilt geschäftig nach der Thür, wovor ein Bierwagen hält.


Hier jaagt Jan Steen het door de kel
Denkt schier niet meer sijn Juveel.

Unter dem Juwel verstehe die Kunst. Er taumelt aus einem Weinhaus, der Wirth oder ein guter Freund begleiten ihn, die Wirthin sieht ihm nach, es ist spät in der Nacht, die Gassenlaterne brennt an der Ecke.


Hier raakt Jan Steen weer in de gunst
Begeeft sich ijvrig aan de kunst.

Jan Steen steht vor dem Schilderesel, Pinsel und Palette in der Hand, er ist fetter geworden und sieht sehr behaglich aus.


Hier maalt Jan Steen zijn levens rol
Zijn brein schijnt hier van schildren vol.

Er kommt in die Thür seiner Wohnstube und hält hoch in der Hand einen Beutel voll Geld, seine Frau sitzt lustig im Großvaterstuhl, seine Rangen werfen sich zu Boden, der Hund schlappt aus dem Kessel, die Katze läuft mit der Wurst davon, und als Krone der ganzen saubern Wirthschaft sitzt ein langschwänziger Affe auf dem Schrank und schneidet possierliche Gesichter; ähnliche Züge hat Jan Steen öfters in den Gemälden angebracht, in welchen er sein Hausleben schilderte.


[103] Hier raakt de kunst weer in de nijp
Jan Steen de drinkt en rookt sijn pijp.

Die Mütze auf einem Ohr sitzt er im Wirthshaus, ihm gegenüber ein Zechbruder, der aufmerksam zuhört, was er sagt.


Hier zegt sijn vrouw met veel geschrei
Maakt dat de Brouwrij levend zij.

Hände und Beine übereinandergeschlagen, wie einer, der sich gegen eine Strafpredigt verhärtet, sitzt er am Fenster, seine Frau halt schluchzend die Schürze vors Gesicht und beklagt sich, daß die Brauerei todt ist.


Jan Steen vindt hier ferstond een list
Koopt Eenden dat zijn vrouw niet wist.

Er kauft einen Korb lebendiger Enten von einer Hökerfrau auf dem Markt.

En laat se in de Brouwerij
Rondvliegen, ze is niet doot zegt hij.

Man sieht hier, wie er die Enten in seiner Brauerei herumjagt, und dadurch gegen seine lachende Frau den Beweis führt, daß die Brauerei nicht todt ist. –

Nun verändert sich die Scene, statt in Delft sieht man ihn von jetzt an in Leiden, wo er geboren ward, die längste Zeit lebte und starb. Reisen außer Holland hat er nie gemacht.

[104] Hier ist Jan Steen een Kastelijn
En schilder echter grof en fijn.

Er ist Wirth und bedient einen Gast, Teller und Glas in der einen, Palette und Pinsel in der andern Hand. Nach dem Tode feines Vaters erbte er nämlich dessen Haus, und soll darin eine Herberge oder vielmehr eine Schenke eingerichtet haben. Er legte Wein und Bier auf, hing einen Kranz aus über der Thür und bewirthete seine guten Freunde, die ihn aber nicht bezahlten. Als seine vornehmsten Gäste nennt das Schilderbuch Franz Mieris, Ari de Vois, Jan Livensze und einige andere Zierden der holländischen Malerschule, denn es gab damals in Leiden und ganz Holland eben so viel und mehr berühmte Maler, wie gegenwärtig gemeine Thürpinsler sich finden möchten. Diese Kunden besuchten ihn sowohl bei Tag als bei Nacht; er schloß niemals seine Hausthür zum Zeichen seines ruhigen Gemüths. Wenn die Tonnen und Flaschen geleert waren, so holte er seinen Kranz wieder ein und setzte sich eifrig ans Malen. Hatte er ein paar Stücke fertig, so beorderte er seinen ältesten Sohn Kees damit zum Weinhändler und Brauer, die ihm dann aufs neue Wein und Bier in den Keller lieferten, worauf er den Kranz wieder aushing, bis kein Tropfen Naß in allen Pinten mehr übrig war. Der [105] Maler Jan Lievensze, erzählt Karl van Maaeder, donnerte einmal in später Nacht an das Kastell von Jan Steen, und da die Thür nach alter Gewohnheit nur auf der Klinke stand, schritt er ohne Weiteres ins Haus. Wer da? rief Jan Steen, der durch den Lärm aus dem Schlaf gefahren war und Jan Lievensze, der wieder zu viel genippt und gekippt hatte, antwortete mit faselnder Stimme, ich bin's Bruderlieb, ich will Dich setzen auf ein paar leckere Küken, Dinger, sag ich Dir, so fett wie Braunschweiger Mumme und so zart wie ein Fasan. Sind sie gebraten oder gesotten? fragte Jan Steen, und Jan Lievensze versetzte, nein, König der Welt, sie sind roh, aber ich habe an verschiedenen Höfen die hohe Kochkunst studirt, und darum bitte ich Dich, steh auf und dann sollst Du sehen, was ich leisten kann. Der fromme Jan zündete die Lampe an und weckte seinen erstgebornen Sohn Kees, und befahl ihm, hurtig aufzustehn und Feuer anzumachen, Alles so schnell wie möglich. Kees war kein ungehorsamer Sohn, stand sogleich auf und machte Feuer an. Aber da gebrachen noch sehr viele Dinge am irdischen Glück der beiden Künstler, und unter den minder nöthigen die allernöthigsten, Wein und Tabak. Daher nahm Jan Steen all sein väterliches Ansehn zusammen und befahl dem Knaben Kees, ohne auf sein saures Gesicht und [106] seine Einwendungen zu achten, erstens so schnell als möglich nach dem Weinhändler Goskens hinzulaufen. Sag ihm, rief er, ob er mir nicht noch einmal und zum letztenmal zu Willen sein will mit ein paar Kannen Wein, er könne sich darauf verlassen, daß ich ihm mit dem Pinsel gehörig bezahlen werde. Hat er Dir Wein gegeben, so halte Dich nicht länger auf und jage nach Geertje van der Laan, und bitte ihn, mir noch diesmal den einzigen Gefallen zu thun und Dir für einen halben Stüver Blättertabak und ein paar kurze Pfeifen mitzugeben, und versichere ihn im Namen Deines Vaters, Jan Steen, ich würde ihm diesen besondern Freundschaftsdienst sehr hoch anschlagen, und bei allen vorkommenden Gelegenheiten könne er auf mich rechnen. Während nun der Knabe dieser beiden wichtigen Botschaften sich entledigte, war Jan Lievensze nicht faul, seine hohe Kochkunst zu bewahrheiten, er bestreute die beiden Küken mit Pfeffer und Salz, legte sie auf den Rost, welchen er vorher sorgfältig aus dem Torfmull hervorgegraben und gesäubert hatte, machte eine Sauce von Butter, Pfeffer, Senf und Essig, und dann ging das Paar, nachdem die Thierchen von außen ganz schwarz gebrannt und inwendig halb gar waren, seelenvergnügt zu Tische und ließ es sich so gut schmecken, daß der Abgesandte Kornelis bei seiner [107] Zurückkunft nur anderthalb Köpfchen und drei pechschwarze Pfötchen in der Schüssel fand. Er war aber mit der Hülle und Fülle von Wein und Tabak angelangt und die beiden Kannen und das Briefchen Tabak wurden nachträglich verzehrt unter einem Gespräch über die schöne Malerkunst, denn so locker und los er auch lebte, so fest saß er im Sattel seiner Kunst, und es war eine Lust, ihn zu hören, wenn er über die Eigenschaften derselben sich ausließ. So saßen sie die liebe Nacht und waren lustig und guter Dinge, und gegen Morgen gingen sie außen vor dem Kuhthor spatzieren, um die Verdauung zu befördern.


Hier schildert Jan zijn vrouwtje wonder
Ein maalt er schapekoppen onder.

Seine Frau sieht fertig gemalt auf der Leinewand und er pinselt ihr noch, um das Bild zu vollenden, ein paar Schafsköpfe unter den Arm. Diese ist seine zweite Frau, Mariken Herkulens. Mit seinen Frauen weiß man nicht recht, woran man ist, es hat fast den Schein, als hätte er zwei auf einmal im Hause gehabt, wie er denn nicht selten sich selbst an der Seite zweier Frauen abgebildet hat. Wahrscheinlich hat er aber nach dem Tode seiner ersten Frau sich mit Mariken Herkulens verbunden, um seinen Hausstand und seine Kinder besser zu berathen. Diese, seine Frau [108] oder Geliebte, hatte, ehe sie zu ihm ins Haus zog, Schafsköpfe und ähnliche Leckereien verkauft, und auf diesen Umstand und folgende Anekdote bezieht sich der Holzschnitt. Der Ritter Karl de Moor traf einmal Mariken Herkulens bei einem Besuch in Jan Steens Hause allein an, und fand sie in übler Laune. Sie klagte dem Ritter, daß Jan Steen sie allerdings oft genug male, aber immer als ein gemeines Vorbild, bald als Kupplerin, bald als trunkenes, bald als unzüchtiges Weib, sie wolle aber abconterfeit sein als eine ehrbare Frau in ihrem rothen Sonntagswams, mit ihrem seidenen Schleier, ihren goldenen Bummeln in den Ohren und dergleichen. De Moor machte ihr das Vergnügen und malte sie so, wie sie's wünschte, worüber Marietje nicht wenig vergnügt war. Als Jan Steen zu Hause kam, zeigte sie ihm das Bild, und die ser rühmte es ungemein. Er fand es vollkommen ähnlich, bis auf eine Kleinigkeit, wie er sagte. Das könne er aber leicht nachholen, worauf er den Pinsel nahm und ihr mit lachendem Gesicht einen Korb mit Schafsköpfen unter den Arm malte. Nun werde es die ganze Nachbarschaft auf den ersten Blick erkennen. Uebrigens werden seine Kinder nicht übel zufrieden mit dieser Freierei ihres Vaters gewesen sein. Oft hing er ihnen einen ganzen Kessel voll Schafsköpfe [109] und Lammspfoten über Feuer, und wenn sie gar gekocht waren, gab er sie ihnen zum Besten, und wenn sie dann jauchzten und schmausten, so sah er das Spiel mit fröhlichen Augen an und rief: Herr Gott, mit wie wenig ist doch die Natur zufrieden.

Jan Steen word ziek, legt't leven af,
Zijn kunstbroers dragen hem naar het graf.
Jan Steen wurde geboren 1636 und starb 1689.
Rembrand
[110] Rembrand.

Rembrand steht seiner Kraft nach an der Spitze der holländischen Schule, wie Paul Rubens an der Spitze der flamländischen. Rubens ist gleichsam die helle Kraft, Rembrand die düstre Kraft des niederländischen Genius, oder, wie ich unter Genius den elektrischen Funken verstehe, welchen die Natur keinem Volk durchaus versagt zu haben scheint und der bei den Niederländern in den Pinsel gefahren ist – Rubens ist der ideelle Pol, Rembrand der reelle Pol dieses Funkens.

Beide sind echte Niederländer, breit basirt in ihrer Heimath, ohne gleisnerischen Prunk, ohne fremde Federn, ohne Coketterie mit südlichen Idealen, für welche denn auch der Norden eben so wenig Licht, Luft und Boden hat, wie für die goldenen Aepfel Hesperiens.

Allein Rubens schwebte ein niederländisches Ideal vor Augen, er liebte und suchte das Schöne, er heirathete nach einander zwei schöne Frauen – [111] besonders die Letzte, Helena Formaes, war ausnehmend schön, der Grundtypus der niederländischen Weiberschönheit, sie, die mit ihren langen goldgelben Haaren, blauen Augen, gebogenen Braunen, mit ihrer breiten hellen Stirn, ihrem lächelnden Munde, ihrer durchsichtigen delicaten Pfirsichhaut auf den rubensschen Stücken als Eva, Venus, Königin so fruchtbar schön, so liebens- und umarmungswürdig uns vor Augen tritt. Rubens liebte und studierte die Antike, liebte und studierte die italienischen Maler, liebte Italien, obwohl er durch alle goldene Berge sich nicht verführen ließ, der Aufforderung des Herzogs von Mantua zu folgen und seinen Wohnsitz in Italien auszuschlagen. Rubens wohnte in Antwerpen groß und geschmackvoll, lebte mit dem Aufwand eines reichen Bürgers, verkehrte viel mit Fürsten und vornehmen Herrn, und spielte oft die Mittelsperson in den Angelegenheiten derselben, wie ihn sein Ruhm, sein Talent, sein beredtes, geistreich gebildetes Wesen am glänzendsten Hofe die willkommenste Aufnahme verschaffte.

Rembrand dagegen verhielt sich kalt und gleichgültig gegen das Schöne, er malte seine Weiber von der Faust weg, die Weiber, die ihm saßen, nahm er von der Gasse, die Erste die Beste, die Wohlfeilste die Liebste. Er studierte die Antike [112] nicht, er liebte sie nicht, er machte sogar den Eifer seiner Schüler und Freunde für dieselbe lächerlich. Italien und die italienischen Maler ließ er links liegen, er spürte nicht den geringsten Trieb nach den Reizen und Wundern dieses Landes zu einer Zeit, wo das italienische Sehnsuchtsfieber epidemisch unter den Künstlern herrschte. Er fühlte kein Bedürfnis, sich mit Gegenständen des Geschmacks zu umgeben, er wohnte klein und schlecht, lebte karg, zehrte wenig, knickerte mit Stüvern, während es Goldstücke auf ihn regnete. Seine Malerschule hielt er auf dem öden Boden eines Packhauses zu Amsterdam.

Dennoch hat die knickerigte grobe Faust des Holländers ein eben so magisches Talent entfaltet, wie die feine Hand des Flamländers.

Ich liebe ihn, den düstern Rembrand, ich liebe es, in seine schwarzen Gemälde zu sehn, die nur von wenig Lichtern geisterhaft erhellt werden. Ich wundere mich oft über seine schwarze Phantasie – er ist eines Müllers Sohn, seine Wiege stand im Mehlstaub, der Vater, der ihn in seine Arme nahm, herzte und küßte, trug eine weiße mehlbepuderte Jacke, die ersten Eindrücke seiner Kindheit waren weißer Natur, besprengt vielleicht mit etlichen grünen Grasflecken aus der arkadischen Gegend zwischen Kukerke und Leiderdory, wo seiner [113] Eltern Mühle stand – ist er mit der Nacht in der Seele geboren, oder hat seine Mutter ihn in einer dunkeln Kammer zur Welt gebracht?

Rembrand war ein großer Maler – der Antike, den Italienern, den Idealen, den Grazien und der Schönheit selber zum Trotz.

Die todten Maler
[114] Die todten Maler.

Eines Nachmittags wandelte ich allein in den leeren Sälen des Haager Museums umher. Die Arme übereinander geschlagen, betrachtete ich ein wundersam schönes Bildchen an der Wand, nur einen Fuß hoch, nur einen halben Fuß breit, aber tief, wie das grüne Waldesdunkel, worin der schöne Jäger saß, am Stamme einer alten Eiche – leichtes Röckchen, offene Brust, nackte Beine, dazwischen sein Gewehr, darunter sein Hund – ein Bild zum Küssen für Mädchen und selbst für Männer eine Freude. Auf, auf, zum fröhlichen Jagen, lullte ich vor mich hin. Der Morgen ist nicht weit, sang eine Geisterstimme hinter mir. Im Umdrehen erblickte ich einen leichenblassen Mann, der eben kein Anderer war, als der Jäger, den ich auf der Leinewand bewundert, nur anders [115] gekleidet. Statt des leichten Jagdrocks steckte er in einem Wams von weißer Seide mit faltigen Aermeln, über die nackten Beine hatte er stahlgraue faltige Hosen gezogen, die unterm Knie festgebunden und mit zwei zierlichen Schleifen versehen waren, auf dem Kopf trug er einen braunen Hut mit überhängenden weißen Federn, an der Hand Manschetten, unterm Hals gestickte Bäffchen, einen Degen an der Seite – ganz wie der vornehme und begüterte Stand im siebzehnten Jahrhundert sich zu tragen pflegte. – Wer sind Sie, mein Herr, fragte ich erschrocken. – Ari de Vois, der Maler dieses Bildes, antwortete die Gestalt und schien über meine Befangenheit zu lächeln. – Wer bist Du, rief ich. – Ari de Vois, wiederholte der Mann ganz ruhig. Laß Dich das nicht anfechten, setzte er hinzu; ich bin allerdings ein Geist, ein Gespenst, Ober was thut das, wir müssen Alle mal Gespenster werden. Folge mir, wenn Du Lust hast; ich bringe Dich in gute Gesellschaft. Ich ging ihm nach, ohne es zu wissen und zu wollen. Im ersten Nebensaal wandelten mehrere Gestalten auf und ab. Das Weib sitzt nicht fest, murmelte ein wohlbeleibter schwarzeingehüllter Mann, indem er zugleich mit seinem schwarzen Federhut auf ein modernes Gemälde hindeutete, das erst kürzlich da aufgehängt worden war. Was willst Du damit[116] sagen, fragte ein kleines, blaß und kränklich aussehendes Männchen. – Was ich damit sagen will, Lukas, versetzte der Schwarze, und fuhr sich mit der Hand durch den Wulst krauser Haare; ich will sagen, das geleckte Geschöpf da steckt nicht wirklich in der Leinwand, sondern ist nur von außen angekleckst. – Mein Führer zupfte mich am Rock. Das ist Rembrand, sagte er; schreibe, Du hast Rembrand gesehn, und Lukas von Leiden, der kleine Blasse ist Lukas. Lukas ist schon ziemlich was länger todt, als wir Anderen, mit Ausnahme von Martin Heemskerk, der auf der Fensterbank sitzt, und seine dürren scholastischen Beine übereinander schlägt. – Da irren Sie sich, mein Werthester, sagte ich hastig, Martin Heemskerk ist viel später gestorben, als Lukas von Leiden. Als ich diese Worte herausgestoßen hatte, ward ich roth und blaß, und ich begriff nicht, woher ich den Muth dazu genommen. – Heemskerk! schrie Ari de Vois, wie steht es damit, bist Du früher gestorben als Lukas, oder ist Lukas früher gestorben, als Du. Heemskerk lachte und sagte, ich habe den kleinen Lukas mit zu Grabe getragen – er war nicht schwer. Du warst mit dabei, langer Pieter, oder Pieter Aartsen, wie Du Dich lieber nennen hörst. Es war anno domini als man schrieb funfzehn hundert drei und dreißig. Den funfzehnten September, lispelte [117] Lukas. Ich sehe, sagte Ari de Vois zu mir, Du bist in der Malergeschichte besser bewandert, als ich selbst. Ich bin früh aus der Zunft herausgekommen, ich heirathete ein junges reiches Weib, die sich verliebt hatte in meine nackten Beine. Du meinst, sagte ich, in Deine herrlichen Mannsbilder, Deine Fischer, Jäger, Spielleute, in welcher Art kleiner idealer Bilder Du in der That einzig bist. Wie Du willst, entgegnete Ari, meine Beine waren auch nicht von Stroh. Sieh nur den alten Bloemart, wie verliebt er seine Göttinnen im Olymp anäugelt, man sieht's dem alten Gecken an, daß er in Paris gewesen ist. – Sieh da, alle Historienmaler beisammen. Die beiden eleganten Ritter Karl de Moor und van der Werft becomplimentiren sich auf die anmuthigste und umständlichste Weise von olim. Wie sie ihre Oberleiber vornüber biegen, wie sie ihre Arme sinken lassen, wie sie sich drehn und schwenken, mit welch zierlichen Schritten sie gegen einander anwachsen, wie sie sich über Kreuz und über Quer an die Brust drücken – Rembrand wühlt sich ärgerlich im Pull, Jordaans wirst seine blaue Mütze in die Höhe und Jan Lievensze hält sich den Bauch vor Lachen. –

Welcher Lärm! Das ist ja Steen, er wankt, er singt, er wird seinen letzten Rausch in alle [118] Ewigkeit nicht ausschlafen. – Jan Steen, oder wer es war, drehte sich das Barett auf dem Kopf herum und sang: nur immer langsam voran, nur immer langsam voran, daß die Amsterdammer Schütterei mir nachfolgen kann. Hinter ihm her marschirten tact- und ehrenfest, Tambour vorauf, Fähnlein in der Mitte, eine kleine Schaar bärtiger Männer. Willkommen, Ihr Schüttermaler von Amsterdam, rief Rembrand, willkommen Ihr würdigen Herren, mein Herr Gobert Flink, mein Herr van der Helst, mein Herr ver Schoten, meine alten werthen Freunde und Schüler allzumal. Da habt Ihr Euch einen saubern Capitän gewählt, fügte er hinzu. Wo steckt er nun, das Weinfaß. Meinst Du mich, sagte Jan Steen, und duckte aus einem Winkel des Zimmers auf, wo er in der Zwischenzeit etwas in aller Eile auf den Boden gemalt hatte. – Was machst Du da. – Ich wundere mich, sagte Jan Steen. – Worüber wunderst Du Dich, Narr, fragte Rembrand ungeduldig. – Ich wundere mich, daß Einem die Goldstücke hier vor den Füßen liegen, die Menschen zu unserer Zeit wußten den Werth des Goldes besser zu schätzen. – Wo, wo? fragte Rembrand, wo liegt Gold? – Hier. – Rembrand war mit drei Schritten an der bezeichneten Stelle, bückte sich und merkte den Betrug, den Jan Steen[119] ihm gespielt hatte. Alle Maler lachten. Heemskerk klatschte sich auf seine brettharten Schenkel. Jan Lievensze rief nach einem unmäßigen Gelächter, nein, man könnte sich zu Tode lachen, wäre man nicht zufällig schon gestorben. Rembrand sagte ärgerlich zu Jan Steen, Du bist ein Narr und bleibst ein Narr und wenn Du auch noch tausend Jahre im Grabe liegst. Amen! rief Jan Steen. Dann wandte er sich an Jan Lievensze, der erschöpft vom Lachen tiefen Athem holte. Komm, Bruderherz, sagte er zu ihm, komm mit mir.

Ari de Vois sagte, ich bin neugierig, wohin sie wandern. Wir gingen hinterdrein. Auf der Thürschwelle rannte das Paar, das sich in Arm gefaßt hielt, gegen eine Gestalt, welche sich vergeblich bemühte an der Seite vorbeizukommen. Ruisdal! schrie Jan Steen, alter Ruisdal, einsamer Freund des murmelnden Bachs, Geliebter der Wassernixen, Vertrauter der Frösche, unsterblicher Kataraktenmaler, passire durch diese Thür, so breit Du bist, wir machen Dir Platz, denn Jan Livensze und ich, wir haben den allererdenklichsten Respect vor Wasser und Wassermalern. Süß ober Salz, gleichen Respect, daher passirt nur Bakheisen, Van der Velde, nur zu, nur durch, haltet Euch nicht auf, wenn's gefällig, Eure Mäntel riechen gar zu stark nach Schiffstheer und Seewasser: – Gottlob, [120] daß diese Seeungethüme vorüber sind, sie machen mich unwohl. Da stößt man doch wieder auf ordentliche Landgeschöpfe, auf den heerdenlichen Berghem, den wilden Savrey, den braunen romantischen Svaneveld, den silbernen Du Jardin – guten Tag Leute – Du Jardin, wie lange ist es her, daß Du nicht in Italien warst. Paul de Potter auch. Paul, Paul! wie konntest Du der Prinzessin Amalie von Solms-Braunfels eins pissende Kuh auf die Leinwand malen. Einer Prinzessin eine pissende Kuh! Du hast ein Gewissen wie ein Schlachterhund. Paul Potter strich sich die rothen Haare aus dem Gesicht und sagte, es ärgert mich noch im Grabe, daß ich mir so viel Mühe gegeben für die Prinzessin. Stehe Tage lang auf der Weide, laufe hierhin, dorthin, mit Papier und Stift, sehe jeder Kuh, die ihren Schwanz aufhebt in den After, male meine Kuh in der natürlichsten Stellung von der Welt, drücke jede Verrenkung, jede Muskel aus, die ein solches Beest beim Pissen verzieht, dann kommt mir einer von den Hofschranzen anspatziert, beäugelt das Bild, und giebt mir den freundschaftlichen Rath, die Prinzessin damit nicht zu erzürnen. Daß ich! Als wenn nicht eine Kuh, die gut pißt, hundert Ducaten mehr werth wäre, als eine Kuh, die nichts macht. Freilich faselte der Schranze von Anstand, [121] Beleidigung des Zartgefühls und dergleichen; aber ich sehe nicht ein, wie eine pissende Kuh das Zartgefühl einer Prinzessin beleidigen kann. Malte der große Rubens einen pissenden Prinzen (†), warum sollte ich nicht eine pissende Kuh malen? Hab ich doch den Geruch nicht mitgemalt. – Du hast Recht, Paul, lachte Jan Steen; allein in Deiner Stelle hätte ich der Kuh einen silbernen Nachttopf untergepinselt, so hätte die Prinzessin wohl geahnt, daß Deine Kuh keine gemeine alltägliche Kuh sei, die schlankweg auf den Boden strullt, sondern vielleicht eine verzauberte Prinzessin, die in ihrem viehischen Zustande sich noch des Silbergeschirres vom Hofe ihres Herrn Papa's bedient. Nun, auf Wiedersehn, Paul, auf Wiedersehn Du Liebling unsers Schutzpatrons Sankt Lukas, der eben so wie Du ein Ochsenmaler war, wie man aus seinem apostolischen Thierzeichen ersieht. – Gelobt und gepriesen sei unser Schutzpatron Lukas, sagte Paul Potter, Lukas, der uns alljährlich an seinem Namenstage vom alten Herrn die Erlaubniß auswirkt, wieder einmal im Licht umher zu spatzieren. Dort unten aber ist es schauerlich, man sieht weder Ochsen noch Kühe, Noch grüne Wiesen, nur Sand und wieder Sand und scheußliches Gewürm. – Wer spricht da so verächtlich von Würmern, [122] schwirrte und krächzte eine Fledermausstimme aus einem Winkel des Saals. – Otto Marzelis, was machst Du da oben? rief Jan Lievensze. – Ich zähle die Augen einer Kreuzspinne, antwortete die Stimme aus der Hohe. – Wo steckt der Schnüffler, fragte Jan Steen, ich höre seine Stimme wohl, aber ich sehe ihn nicht. – Höher hinauf, dort oben in der Ecke. – Oben an der Wand, mit dem Kopf unter der Gypsdecke, saß oder hing ein kleiner grüner Knirps, der mit beiden Armen sich schwebend erhielt am Stiel einer Eule, deren rauhes Ende er gegen den Fußboden stemmte. Dies kleine Gespenst hatte ganz das ängstliche Lupengesicht des berühmten holländischen Insektologen Svammerdam, dessen Büste ich in einer Kirche zu Delft gesehen, ganz diese Neuntödteraugen, diese vom Bücken aufgeschwollene Nasenwurzel, die gesperrten runden Nasenlöcher, den gekniffenen Mund. – Kerl, rief Jan Lievensze, plagt Dich der Teufel, willst Du gleich herunter, warte, ich will Dich holen; und damit ergriff er den Eulenstaken mitsammt dem Männchen, das oben daran saß und wie ein gespießter grüner Käfer mit den Beinchen zappelte. Dann trug er ihn mitten durch die hohe Saalthür, die Uebrigen hinterher und Jan Steen rief mit einer Ausruferstimme: hier ist zu sehen der große [123] Schnüffler, Otto Marzelis, weiland Maler und Inhaber einer Menagerie von Flöhen, Raupen, Spinnen und allem möglichen Geziefer und Ungeziefer, das auf Erden kriecht oder in Lüften schwirrt. Heran, heran! hier ist zu sehen u.s.w. Halt, schrie das kleine Männchen, halt Jan Lievensze, ihn mir den einzigen Gefallen und laß mich an den Floh kommen, der dort auf der Staffelei sitzt. – Gewahrt, sagte Jan Lievensze und hielt ihn über die Staffelei, worauf ein halbfertiges Blumenstück nach Huysum lag, woran ich eine junge Dame hatte arbeiten sehn. – Welch ein Engel von Floh! schrie der Mistkäfer; hat man je solch einen Floh gesehn. Glücklich ist der Leib, welcher ihn getragen, selig sind die Brüste, welche ihn gesäugt. – Marzelis, rief Jan Steen, Du verdienst, daß ich Dich zum Ritter vom Floh schlage, hier hast Du Deinen Orden – er packte den Floh und setzte ihn dem Kleinen auf das grüne verblichene Mäntelchen – und hiermit empfange den Ritterschlag – er schlug ihn mit der Mütze so stark in den Nacken, daß der Kopf des Kleinen vorüberfuhr, sein Rüssel gegen die Spitze der Eule stieß und er selbst schreiend herabfiel. Allgemeiner Jubel. Darüber ging die Thür des Directors auf. Der Director trat heraus mit verstörtem Gesicht und rief, was ist das hier, meine Herren? –

[124] Nichts! sagte Jan Steen ganz unbefangen; ich schlug so eben den Otto Marzelis, vulgo der Schnüffler genannt, zum Ritter vom Floh. – Wer sind Sie, mein Herr, fragte der Director. – Mein Herr, ich bin Jan Steen. – Possen! Was bedeuten diese Kleider, diese Larven, worin Sie sich vermummt haben; das Museum, meine Herren, ist kein Ort, um Faschingsspiele aufzuführen. Zeigen Sie mir Ihre Einlaßkarten, wenn's gefällig – meine Herren, ich bin der Director des Museums und verlange Ihre Einlaßkarten zu sehen. – Deine Einlaßkarte, Deine Einlaßkarte, Deine Einlaßkarte, riefen grenlich-lustig im nachäffenden Ton die Maler sich einander zu, indem Jeder die Hand gegen seinen Nachbar ausstreckte. Mein Herr Director, sagte ein Maler im braunen Mantel, gestützt auf den verrosteten stählernen Griff eines alten Reiterdegens, mein Herr Director, halten's zu gut, wir haben keine Einlaßkarten. – So soll das Wetter fahren in den Conciergen, brauste der aufgebrachte Director, und war im Begriff, nach unten zu stürzen, um dem armen Mann den Kopf zu waschen. Halt, rief der Mann im braunen Mantel, wobei er mit dem Fuße auf den Boden stampfte, daß bis großen Reitersporen, die er trug, mit den Fenstern zusammenklirrten; halt, mein Herr Director, wird sind [125] nicht durch die große Thür gekommen, der Concierge ist unschuldig. – Also aus dem Keller, fragte der Director. – Aus dem Keller! antwortete eine Stimme aus dem Haufen, welche noch tiefer kam, als aus dem Keller. Wer sind Sie, stotterte der bebende Director. – Ich, ich bin Philipp Wouvermann – und ich bin Adrian Brauer – und ich bin Franz Mieris – und ich bin Gabriel Metzü – und ich bin Gerhard Dow – und ich bin Jan Lievensze – ich van Schalken – ich Terburg – ich Ari de Vois, sagte mein Begleiter, und Jan Steen sang


Es weiß die ganze Nachbarschaft,

Was ich für'n Vogel bin.


Meine Herren! stammelte der arme Director – Auf Leute, sagte der Maler im braunen Mantel, der sich Philipp Wouvermann genannt, auf, laßt uns dem Director zeigen, daß wir die Maler sind, für welche wir uns ausgeben, Pinsel und Paletten her, sagte er darauf im befehlenden Ton zum Director. In mechanischer Angst holte der Director Pinsel und Paletten aus seinem Zimmer. Jeder an sein Stück! rief Philipp Wouvermann, und fuhr mit der flachen Hand über ein Gemälde, welches die Ankunft einer Gesellschaft zu Pferde in einem Wirthshause vorstellte. Was seine Hand berührte, verblich und erlosch – in [126] drei Secunden war vom schönen Stück nichts übrig als die graue Todtenfarbe, wie die Maler die erste Deckfarbe nennen. Der Director stieß einen Schrei des Entsetzens und der Verzweiflung aus, mich durchrieselte ein eiskalter Schauer. Die andern Maler thaten dasselbe, jeder fuhr mit der Hand über ein Gemälde, Jan Steen über einen Jan Steen, Metzü über einen Metzü, bis eben so viel Gemälde, als Personen im Zimmer, außer mir, dem Director und dem Fortwinselnden Ritter vom Floh sich in Aschfarbe verwandelt hatten. Das wäre gethan, sagte Philipp Wouvermann; nun frisch an die Arbeit, Jeder stelle sein Stück wieder her. – Die Maler mischten die Farben auf der Palette und fingen an zu pinseln. Nie hat die Welt solche Pinselei gesehn, die Pinsel fuhren auf und nieder, fuhren kreuz und quer wie gemeine Thürstreicherpinsel, und jeder Strich war ein Bein, ein Kopf, ein Hals, ein Fuß, ein Arm, ein Glas, ein Tisch, ein Fenster, ein Baum – Gerhard Dow, der im Leben nie anders malte, als mit selbst verfertigten Pinseln, mit Farben auf Krystall gerieben, Gerhard Dow, der an einem fertigen Besenstiel noch für drei Tage zu malen fand, derselbe brachte einen Besenstiel in weniger als drei Secunden zu Stande. Wouvermann rief frisch, frisch, frisch, die Pinsel gingen husch, husch, [127] husch, ich rieb mir ungläubig die Augen, der Director schlug die Hände über den Kopf zusammen, und die Maler waren fertig, ehe wir es uns versahen, ja ehe wir es sahen. Hier, Director, rief Jan Steen, hier ist mein Zahnarzt – hier ist mein Jäger, rief Gabriel Metzü – hier ist der meinige, rief An de Vois – hier ist mein Trompeter, rief Terburg – hier meine schmauchenden Bauern, rief Brauer – hier meine junge Hausfrau mit dem Wiegenkinde, rief Gerhard Dow – hier mein kleiner Seifenblaser, rief Franz Mieris – hier mein Uringlasgucker, rief van Schalken – hier – der Director sah und hörte nichts mehr, er lag ohnmächtig neben dem Ochsen von Paul Potter. Vor Schreck und Mitleid wachte ich auf.

Die holländische Schule
Alte biblische Maler
Alte biblische Maler.

Lukas von Leiden, oder, wie die Franzosen ihn nennen, Lukas von Holland, geb. 1494, gest. 1598 zu Leiden.

Johannes Schoorl, geb. 1495 bei Alkmaar, gest. 1562 zu Utrecht.

Heemskerk, geb. 1498 zu Harlem. Von ihm sieht man nicht in dem Museum, sondern auf dem Stadthause zu Delst vier Gemälde.

Fabelmaler
Fabelmaler.
Abraham Blumaert, geb. 1564 zu Gorkum, gest. 1658 zu Utrecht.
Gerhard von Lairesse, geb. 1640 zu Liege, gest. 1711 zu Amsterdam.
Geschichtmaler
Geschichtmaler.
Rembrand vom Rhein, geb. 1606 bei Leiden, gest. 1674 zu Amsterdam.
Ekhaut, Ferdinand Bol und andere Schüler Rembrands.
[131] Jan Lievensze, geb. 1607 zu Leiden, gest. –? zu Antwerpen.
de Moor, geb. 1650, gest. 1738.
van der Werf, geb. 1659 zu Rotterdam, gest. 1722 daselbst.
Gesellschaftmaler
Gesellschaftmaler.
1) Vornehme Gesellschaft, Damen in Seide und Sammt u.s.w.

Franz Mieris, geb. zu Delft 1535, gest. zu Leiden 1681.
Terburg, geb. 1603 zu Zwol, gest. 1681 zu Deventer.
Schalken, geb. 1643 zu Dortrecht, gest. im Haag 1706.
2) Ehrbares bürgerliches Hauswesen.

Gerhard Dow, geb. 1613 zu Leiden, gest. 1680 daselbst.
3) Lustiges bürgerliches Hauswesen.

Jan Steen, geb. 1636 zu Leiden, gest. 1678 ebendaselbst.
Gabriel Metzü, geb. 1615 zu Leiden, gest. 1658 ebendaselbst.
4) Bauerngelage.

Adrian Brauer, geb. 1603 zu Hartem, gest. 1640 zu Antwerpen.
[132] Adrian Ostade, geb. 1610 zu Lübbek, einem brabantischen Dorfe, gest. 1685 zu Harlem.
Kornelius Bega, geb. 1620 zu Harlem, gest. 1664.
5) Schützengilden.

Flink, geb. 1616 zu Kleve, gest. 1660 zu Amsterdam.
Keizer, geb. 1630, gest. 1693 zu Amsterdam.
van der Helst, geb. 1613 zu Hartem, gest. 1670 zu Amsterdam.
ver Schoten.

6) Räuberscenen.

Pieter de Laar, genannt Bambutschio, geb. zu Lare 1613, gest. 1675 zu Harlem – nicht auf den Museen.


7) Kleine ideale Bilder.

Ary de Vois, geb. 1631 zu Leiden, gestorben (?).
Portraitmaler
Portraitmaler.
Barendz, geb. 1534, gest. 1632 (?).
Miereveld, geb. 1568 zu Delft, gest. 1641.
Franz Hals, geb. 1584 zu Mecheln, gest. 1666 zu Harlem.
[133] Honthorst, geb. 1592, gest. 1680.
Kasper Netscher, geb. zu Heidelberg oder Prag 1639, gest. im Haag 1681.

Bemerkung:


Lukas von Leiden, Rembrand und seine Schüler, Franz Mieris, Gabriel Metzü, Jan Lievensze, Karl de Moor und überhaupt sehr Viele der bisher genannten Maler, haben sich auch in Portraiten ausgezeichnet.

Landschaftmaler
Landschaftmaler.

Pulenburg, geb. zu Utrecht 1586, lange in Italien.

Berghem, geb. 1624 zu Hartem, gest. 1683.

Wynants, geb. 1600 zu Harlem, Lehrer von van der Velde und Wouverman.

Herman Sachtleven, geb. zu Rotterdam 1509, gest. zu Utrecht 1685.

dü Jardin, geb. 1640 zu Amsterdam, gest. zu Venedig 1678.

Pynaker, geb. 1621 zu Pynaker in der Nähe von Delft, gest. 1673.

Svaneveld, geb. 1620 zu Voerden, gest. 1690 zu Rom. Er führte den Zunamen Eremit, auch Herman der Italiener.

Ruisdal, geb. zu Harlem 1640 (1636) gest. 1681 ebendaselbst.

[134] Die Brüder Both, geb. zu Utrecht, lange Zeit in Italien. Andreas starb 1650, Johannes bald nachher.

Seemaler
Seemaler.
Vroom, geb. 1566, gest. 1617 zu Amsterdam.
Simon de Vlieger, gest. 1602 zu Amsterdam.
Bakhuisen, geb. zu Embden 1631, gest., 1709 zu Amsterdam.
Lingelbach, geb. zu Frankfurt 1625, gest. zu Amsterdam 1711.
Abraham Stork, geb. zu Amsterdam 1650.
Wilhelm van der Velde, geb. zu Amsterdam 1633, gest. zu London 1707.
Verschür.
Thiermaler
Thiermaler.
1) Jagdthiere.

Jan Wennix, geb. zu Amsterdam 1644, gest. 1719 daselbst. (Hasen.)
Von Hondius, der Hunde, Falken, Pferde malte, und in London starb, gibt es in den Museen kein Stück.
Der berühmte Snyders war ein Antwerpener.
[135] 2) Schlachttiere.

Nikolaus Berghem.
Paul Potter, geb. 1625 zu Enkhuisen, gest. 1654 im Haag.
Adrian van der Velde, geb. 1639 zu Leiden, gest. 1672 zu Amsterdam.
Simon van der Does, geb. 1653 zu Amsterdam, gest. 1717 zu Antwerpen.

3) Pferde.

Albert Cuyg, (sprich Keug), geb. 1605 zu Dortrecht, wo er die berühmten Dortschen Pferdemärkte malte.

Philipp Wouverman, geb. zu Harlem 1620, gest. 1668 daselbst.

Verschüring – nicht zu den Museen – geb. zu Gorkum 1627, gest. 1690.

Hügtenburg, geb. 1646 zu Hartem, gest. 1733 zu Amsterdam.


4) Vögel.

Hondekuter, geb. zu Utrecht 1626, gest. 1695 ebendaselbst.
5) Fische.

Israel van Duinen – nicht in den Museen.

[136] 6) Wilde Thiere.

Heinrich Roos, geb. 1631 in der Pfalz, gest. 1685 zu Frankfurt a.M. – aus der holländischen Schule – nicht in den Museen.

Rulant Savery, geb. zu Courtray, 1576, gest. zu Utrecht 1539.


7) Gewürm.

Otto Marzelis, gest. 1673 – nicht in den Museen.
Durchsichtmaler
Durchsichtmaler.
Van der Meer, von Delft.
Van Deelen, Schüler von Franz Hals.
Van Bassen, geb. ungefähr um 1580.
Steenwyk, gest. 1603 zu Frankfurt a.M.
de Witt, geb. 1607 zu Alkmaar, gest. 1692 zu Amsterdam.
Saenredam, geb. 1597.
Thomas Wyk, geb. zu Harlem 1616, gest. 1636.
Prins, geb. 1758, gest. 1805.

Bemerkung.


Unter dieses Fach kann ich sehr füglich auch die großen alten Glasmaler bringen, welche in den holländischen Städten, namentlich zu Gauda, die Kirchenfenster malten.

Blumen- und Fruchtmaler
[137]
Blumen- und Fruchtmaler.
Van Heem, geb. zu Utrecht 1600, gest. zu Amsterdam 1674.
Mignon, geb. zu Frankfurt a. M 1639, gest. 1679.
Evert van Aalst, geb. 1602 zu Delst, gest. 1658.
Huysum, geb. 1682, gest. 1749 zu Amsterdam.
Ruisch, geb. 1664, gest. 1750.
Roepel, geb. 1679, gest. 1748.
Jan von Os, geb. 1741, gest. 1808.

Bemerkung.


Göthe in seinem hübschen Aufsatz über die Blumenmalerei macht darauf aufmerksam, daß die Blumenmalerei genau zusammenhänge mit der Blumenliebhaberei, welche bekanntlich in Holland sich zur Leidenschaft steigerte. Seit der Zeit des ersten großen Blumenmalers, des Jesuiten Daniel Seghers, der 1590 zu Antwerpen geboren wurde, bis auf den heutigen Tag, zählt man eine ununterbrochene Reihe von geschickten Blumenmalern beiderlei Geschlechts, und allem Anschein nach, wird diese Gattung der Kunst, wenigstens in Holland, in ihrem Ansehn sich behaupten. Gelegentliche Blumenmaler, wie [138] Pausias unter den Alten, gab es mehrere in Holland. So habe ich von Wennix die schönsten Blumen als Beiwerk zu seinen Thierstücken gesehn. Unter den Flamändern malte Jan Breughel in seiner ersten Zeit nichts als Blumen und Früchte; Daniel Seghers war sein Schüler.

Fußnoten

1 Kruzeman im Haag, gegenwärtig einer der geachtersten Portrait- und Historienmaler, italienert, wie früher Karl de Moor, Lairesse und der altere Blumaert.

Die Gemälde auf dem Stadthause zu Leiden
Die Gemälde auf dem Stadthause zu Leiden.

Die Stadthäuser in Holland bewahren fast ohne Ausnahme Schätze der alten Malerkunst, die zu einer Zeit bestellt und angekauft wurden, als es noch keine öffentlichen Gemäldegallerien in Holland gab. Es sind diese Gemälde ehrwürdige Zeugen sowohl von dem Beistande den Rath und Bürgerschaft den ausübenden Künstlern gewährten, als von deren Kunstliebe und Kunstschätzung, wornach sie glaubten, die öffentlichen Gebäude der Stadt weniger durch prachtvolle Tapeten und Geräthe, als durch die Producte des höheren Genius zu verzieren. Das war die echte Art, die Kunst selbst zu heben und ihre Ausübung zu befördern, und diesem Gefühl vielleicht mag ich es zuschreiben, daß die Gemälde der Stadthäuser bei ihrer Beschauung [140] mir einen größeren Reiz gewährten, als, bei gleicher Vollkommenheit, die Gemälde der Gallerien, und daß ich gegenwärtig eben von einer kleinen Zahl dieser Gemälde sprechen will, da ich sonst in der Amsterdammer und Haager Gallerie die Hülle und Fülle von Gemälden zu beschreiben vor mir hatte, wenn mich anders darnach sehr gelüstete. Denn beschreiben, Gemälde beschreiben, ist sonst überall meine Sache nicht. Gemälde kann und darf man eigentlich gar nicht beschreiben, sie sind nicht gemalt, um beschrieben, sondern um gesehn zu werden; allein die Feder ist bei unsern Schriftstellern gewohnt, ihre spitze Nase in viele Dinge zu stecken, die sie gar nichts angehn. Ich selbst freilich sündige in diesem Punct, allein, und das ist zwar kein Trost, aber eine Entschuldigung niemand vermag sich von den Fehlern der Zeit frei zu halten. Die Alten sind auch hier unsre Muster, denn die Schriftsteller, denen wir Beschreibung von berühmten Gemälden und Bildsäulen verdanken, gehören, wie Plinius, der spätern unclassischen Zeit an.

Komme ich nach dieser Einleitung zu den Gemälden des Leidener Stadthauses. Sie sind in drei oder vier Zimmer vertheilt. Im ersten hängt das merkwürdigste, das bekannte und oft beschriebene jüngste Gericht des Lukas von Leiden. Im [141] Mittelstück schwebt Christus auf einem Wolkensitze, rechts und links an dessen Seite die zwölf Apostel, darunter, zu ihren Füßen ein unabsehliges leeres Feld, aus dem, wie Schiffbrüchige, hin und wieder die Todten auferstehn. Im Vorgrunde sieht man zwei Gruppen Auferstandener, die zur Linken werden von Engeln in den Himmel, die zur Rechten von Teufeln in die Hölle abgeführt. Himmel und Hölle sind abgebildet auf den beiden Flügeltafeln des Gemäldes, die sich auf- und zuklappen lassen. Im Himmel gehn die guten Seelen unter grünen Bäumen spatzieren und schauen die Glorie Gottes. In der Hölle werden die Bösen mannigfaltig geplagt und gepeinigt und es ist mehr Abwechselung darin. Viele werden von einer Brücke in die Pech- und Schwefelflammen hinabgestürzt und irgendwo macht sich ein Teufel das teuflische Vergnügen, eine unglückliche Schönheit als Reitpferd zu gebrauchen. – Die Färbung des Ganzen ist leicht und blaß, die Frauen vor Allen sind äußerst farbenzart und dabei überraschend schlank und üppig und gar nicht in der eckigen Manier der Zeit. Man sieht offenbar, daß Lukas nicht nur nach dem Nackten malte, sondern auch Schön von Häßlich zu unterscheiden verstand. Im Höllischen ging aber Breughel ihm über.

Außerdem acht Stücke von ver Schoten, [142] Hauptleute und Fähndriche der Stadt Leiden im Aufzuge darstellend. Ganz Rembrands derber Pinsel. Auch die Gewänder, Waffen und Zierrathen sind fleißig ausgemalt. Figuren, die fest und lebendig auf der Leinewand halten.

Scipio Africanus von Jan Lievensze. Schönes Bild. Scipio empfängt den dankenden Bräutigam mit einem Adel in Haltung und Gesicht, den so römisch zu verstehn und wiederzugeben ich kaum dem Jan Lievensze zugetrauet.

Brutus von Karl de Moor. Mißfällt trotz glänzender Farben und eleganter Zeichnung. Brutus sieht seinen Sohn enthaupten und lächelt, nicht bitter oder angstvoll, sondern fade, als würde seinem Söhnchen zum Ball der Kopf frisirt.

Van der Werf und die Einwohner Leidens von dem Maler de Bree. Ein mächtiges Wandstück, das mich wenig befriedigt.

Die Glasfenster der Kirche zu Gauda
[143] Die Glasfenster der Kirche zu Gauda.

Die berühmten Glasmalereien der Kirche zu Gauda veranlaßten mich einen Abstecher nach diesem Ort zu machen. Die Reise ging über Rotterdam. Auf allen Canälen, Wiesen, Flüssen, Seen liefen Holländer und Holländerinnen Schlittschuh, oder, um mich ihrer Art zu sprechen, zu bedienen, sie fuhren Schlittschuh(schatse rijden). Auf dem Eise kennt man sie nicht mehr, sie übertreffen sich selbst, wenn sie sich die Eisen unterbinden. Aus steifen, ungelenken und schwerfälligen Leuten verwandeln sie sich in das Gegentheil und wiegen und bewegen sich schlank und anmuthig hin und her auf dem glatten Boden. Kunststücke üben sie nicht, solche waren auch dem größten deutschen Schlittschuhläufer, Klopstock, zuwider. Vermöge [144] der langen Schnäbel, welche die holländischen Schlittschuh, zumal die friesische Art derselben, haben, wird ihnen auch das kurze und häufige Uebertreten, lästig und gefährlich. Dagegen kann kein Geometer einen bessern Halbzirkel schlagen, wie sie im Laufen einen nach dem andern bilden. Es macht ihnen viel Vergnügen, sich anzufassen und reiheweis zu laufen. Ein Paar junge Leute, die Gewandtesten, sind dann die Flügelmänner, die Weiber laufen im Centrum. Noch immer sieht man die vornehmsten Damen flüchtig auf dem Eise umherstreifen, doch besonders an Orten, wo nicht die große Menge läuft. Mehrere Tausende sah ich auf den Wiesen vor dem Haag bis nach Ryswik zu.

Etwas schwerer als die Kunst, Figuren in Eis zu malen, ist die andre, Figuren auf Glas zu malen. Diese schien sogar eine Zeitlang ganz verloren, bis man sie in neuerer und neuester Zeit wieder zum Vorschein gebracht und ausgeübt hat. Allein noch jetzt kennt man die wohlfeilen Mittel nicht, deren sich die Künstler des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts bedienten. Die Stadt Verden hat ganz neuerdings ihren neuausgebauten Dom auch mit Glasfenstern versehn. Diese kosten aber, wie ich höre, eine sehr namhafte Summe, siebzig bis achtzig tausend Thaler. Die Summe, [145] die es kostet, hätte freilich unsre Vorväter nicht abgehalten, die Fenster ihrer Kirchen auszumalen, weil sie einmal Sinn dafür hatten und dieser Sinn von eben so künstlicher und religiöser Natur war, und völlig mit dem gothischen Bausinn im Einklang stand. Allein sie befriedigten ihre Augenweide auf jeden Fall mit geringeren Kosten, als die Bürger von Verden.

Von außen ist die Sanct Janskirche zu Gauda – die merkwürdigste in dieser Art in ganz Europa – ein großes, langes, unscheinbares Gebäude mit sägeförmigen Dächern und schmutzig trüben Fenstern. Tritt man aber in die Kirchenthür – und ich rathe den Besuchenden, ihren Eintritt durch die Thurmthür zu nehmen, so sieht man vor sich einen steinernen Wald von Säulen, fünf Reihen breit, überwölbt von laubgrünem Dache und das Ganze durchspielt und beleuchtet durch magische Lichter, welche durch achtundzwanzig hohe bemalte Bogenfenster hereinbrechen.

Wüßte ich auch keine Sylbe von der Geschichte der Glasmalerkunst, nichts zumal von der Geschichte der Glasfenster zu Gauda, so würde ich doch nur meinem Gefühl und dem Eindruck folgen, den dieser Anblick auf mich machte, um die Glasmalerei dem Genius und der Zeit des altkatholischen [146] und nicht des protestantischen Glaubens zuzuschreiben. Das ist kein protestantisches, das ist ein dunkelfarbiges katholisches Licht, das um die Säulen dieser Kirche blüht. Die Dortrechter Synode hat die Kanzel und die Kirche gebaut, aber die Säulen und die Glasfenster hätte die Dortrechter Synode wohl ungebaut und ungemalt gelassen.

Von den Gebrüdern Krabeth, als den Hauptkünstlern Gauda's und der Zeit, von der Glasmalerei selbst, ihrem Glanz und Schimmer, ihren kolossalen Verhältnissen, die hohen Fenster sind von unten bis oben bemalt, von den Gegenständen derselben u.s.w., könnte ich, wenn ich möchte, Seiten genug füllen, allein ich mag nicht. Man muß das Alles sehn. Ich bemerke nur, daß die Gebrüder Krabeth, die auch in Frankreich in mancher Kirche glänzende Spuren ihrer Kunst zurückließen, unübertreffliche Leute waren.

Geschichtliches Interesse erhalten außerdem die Glasfenster von Gauda durch den Umstand, daß sie allegorisch, symbolisch, historisch den Zustand der Holländer unter den spanischen Königen und aus den ersten Tagen der Republik darstellen. Einige Gläser sind noch von Philipp geschenkt, andre schon von Wilhelm von Oranien und den Bürgermeistern der befreiten holländischen Städte. [147] Es ist eine Geschichte der Republik auf Glas. Man sagt wohl, Glas, wie bald zerbricht das, allein es gibt noch gläsernere Dinge als Glas, zum Beispiel das menschliche Herz und die holländische Republik.

Neue und alte Volkslieder
Wer will hören ein neu Lied
Wer will hören ein neu Lied.

Wer will hören ein neu Lied,

Hört zu, ich will's euch singen.

Wie Gerhard von Welsen Graf Floris verräth,

Sind wundersame Dinge.


Graf Floris an Gerhard von Welsen frug,

Gerhard von Welsen, ihr müßt heirathen,

An ein Weibchen, hat Gut genug

Und ist auch sehr säuberlich.


Die Schande gescheh mir nimmermehr,

Daß ihr mich bringt in solch Gerücht,

Sprach Gerhard von Welsen zu seinem Landsherr;

Eure alten Schuhe will ich nicht.


Von Welsen mein lieber Neff auserkoren,

Hättet ihr die Worte was besser geleit't;

Und habt ihr bei eurem Ritterhals geschworen

Ihr sollt sie tragen, es sei euch lieb oder leid.


[159]

Eine kurze Weil, es war nicht lang,

Hat Gerhard von Welsen eine Frau genommen.

Graf Floris schrieb Gerhard von Welsen an,

Er sollte ihm an die Hand kommen.


Gerhard von Welsen durft's lassen nicht,

Er ritt über Felder und Auen;

Er that, was sein Landsherr ihn hieß,

Zuweil der schlief bei seiner Frauen.


Sie rief so laut, Kraft und Gewalt,

Thut ihr das mein edler Landsherr,

War da ein andrer auf mich gestellt

Ihr sollt't mit dem Schwerdt ihn abkehren.


Ihr Flehen mogt kein Gehör empfahn,

Ihre Ehre die mußte sie da lassen;

Als er seinen Willen hatte getyan,

Ritt er nach Utrecht seiner Straßen.


Von Welsen hatte sein süßes Lieb fein

Von Wurdens Tochter zum Weibe,

Da meinte er mit fröhlig zu sein,

Aber sie mußte des Grafen Buhle werden.


Der Graf von Welsen ließ Hauswarts gehn,

Sein werthes Liebchen kam nicht ihn zu grüßen.

Was ist denn meiner werthen Frau geschehn,

Daß sie nicht kommt mich zu grüßen?


[160]

Gerhard von Welsen auf ihre Kammer kam;

Da fand er sein süßes Lieb in Thränen:

Hat dir jemand Leid's angethan?

Sprich meine liebe Frau überschöne.


Gerhard von Welsen, mein lieber Mann,

Nun ist das alles verloren;

Zu schlafen an deiner grünen Seit,

Graf Floris hat mir die Ehr genommen.


Daß er dir die Ehr genommen hat,

Daß ist dir, süßes Lieb, schon vergeben;

Gestern war er mein Herr, nun bin ich seiner,

Das soll ihn kosten das Leben.


Er setzte einen Falken auf seine Hand,

Als wollt' er spatzieren reiten;

Er that einen Sprung, als wie ein Has,

Daß er möcht Graf Floris entleiben.


Ach, Gerhard von Welsen, mein lieber Neff

Wollt ihr mir lassen das Leben,

So will ich aus eurer Bastardtochter

Eine Gräfin von Holland machen.


Das thu ich nun und nimmermehr.

Will keinem Verräther sie geben;

Ihr habt meiner Frau genommen die Ehr,

Das soll euch kosten das Leben.


[161]

Daß ihr meinen Bruder ermordet habt,

Das hab ich euch schon vergeben,

Nun habt ihr meiner Frau genommen die Ehr,

Das soll euch kosten das Leben.


Er warf ihm ein Paar Handschuh in den Mund,

Um daß er nicht sollte schreien,

Er führte ihn von da zurstund,

Auf's hohe Schloß zu Meuden.


Des Nachts, es war um Mitternacht,

Um die Mitte der Nacht herum,

Da lag der Graf von Holland

Geschlossen in Ketten und Banden.


Des Morgens, da es war schon Tag,

Um die Zeit, daß die Herren essen,

Da dachte der Graf von Holland,

Reicher Gott, nun bin ich schon vergessen.


Sie brachten ihm ein Stück Bärenspeck,

Sein Schweinespeck war ungebraten,

Da dachte der Graf von Holland:

Reicher Gott, nun bin ich schon verrathen.


Und hätt ich nur einen Schildknappen hier,

Der mich erlöste vom Blute,

Ich würd ihm schenken mein braunes Schild

Und meine eiserne Haube.


[162]

Gerhard von Welsen war bei der Hand,

Er griff nach einem Becken an der Wand,

Sagt mir, o Graf von Holland,

Wie ist euch nun zu Muthe?


Wie mir nun zu Muthe ist?

Und sollt ich immerhin sterben,

Hätt ich nur ein Weib mit einem Kind,

Die mein groß Gut thät erben.


Ich hab noch wohl einen Sohn Johann,

Er ist so fern in fremden Landen,

Er kann sein Gut verwalten nicht,

Das thut ihm große Schande.


Und da ist mir ein Bastardsohn,

Er ist noch jung an Wochen,

Und käm er auch über hundert Jahr,

Seines Vaters Tod läßt er nicht ungerochen.


Eine kurze Weil, es war zur Kehr,

Gerhard von Welsen ward gefangen,

Er dachte wohl oft bei seiner Ehr,

Reicher Gott, nun muß ich hangen.


Hangen war ihm nicht genug,

Er mußte wohl siebenmal mehr leiden,

Sie schlugen ein Faß mit Nägeln aus,

Drin mußte sein edles Blut spritzen.


[163]

Sie rollten ihn drei Tage lang,

Drei Tage, bis zum Mittag;

Gerhard von Welsen, mein lieber Mann:

Wie ist euch nun zu Muthe?


Wie mir nun zu Muthe ist,

Das will ich euch wohl sagen:

Ich bin noch derselbe Mann,

Der Graf Floris hat erschlagen.

Wär'n alle Berge golden
[164] Wär'n alle Berge golden.

Wär'n alle Berge golden,

Und alle Wasser Wein,

So hätt' ich dich viel lieber,

Schönes Kind, dann wärst du mein.


Hätt'st du mich dann viel lieber,

Als du nur thust zum Schein,

So geh' vor meinem Vater stehn,

Und bitt' um die Tochter sein.


Ich stand vor deinem Vater,

Doch er versagt dich mir.

Nimm Abschied von dir selber,

Schönes Kind und komm mit mir.


[165]

Von mir selber Abschied nehmen?

Die Knappen sind so los,

Und läßt du mich dann sitzen,

So bin ich freundelos.


Ich will dich nicht verlassen,

Von nun an bis in den Tod.

Du bist eines Königs Töchterlein,

Ein Röschen gar so roth.


Bin ich eines Königs Tochter,

Und du eines Grafen Kind,

Sie nahmen einander bei der Hand,

Und gingen unter die Linde.


Er nahm bei der Hand das Mädchen,

Und führte sie unter die Linde,

Nach einem abgelegenen Lande,

Die Mutter und ihr Kind.


Nun sitz ich hier gebunden,

Im Schooß ein kleines Kind;

So bitt ich die reine Maria,

Daß sie mich davon entbind.


Ich wollt du wärst entbunden,

Von deinem kleinen Kind,

Und daß ich dich begrübe

Unter dieser grünen Linde.


Wolltest du, ich läg begraben

Unter dieser Linde grün,

So wollt ich mein stolzer Ritter,

Daß du an der Kehle hingst.


[166]

Der Ritter hub auf seine Rechte,

Er gab ihr einen Schlag,

Daß sie zur Erde stürzte,

Nichts hörte und nichts sah.


So hast du mich geschlagen,

Mein Liebster, da ist keine Noth,

Sind um die sieben Jahre,

So sollst du kommen um's Brod.


Als um die sieben Jahre,

Der Ritter kam um's Brod,

In der Hand die Lazarusklapper,

Litt er viel Pein und Noth.


Kind, sprach sie, vor sieben Jahren,

Nun setz' deinem Vater einen Stuhl,

Ich hab den Tag wohl gesehen,

Da war er ein Ritter kühn.


Kind, sprach sie, vor sieben Jahren,

Nun gib deinem Vater Brod,

Ich hab den Tag wohl gesehen,

Da hatt' er dran keine Noth.


Kind, sprach sie, vor sieben Jahren,

Nun schenk deinem Vater Wein,

Ich hab den Tag wohl gesehen,

Da war er der Liebste mein.


Der Vater stand vor der Thüre,

Er hörte das hohe Wort,

Er zog sein Schwert aus der Scheide,

Und schlug ihm ab den Kopf.


[167]

Er nahm den Kopf bei den Haaren,

Und warf ihn in ihren Schooß:

Wohlan meine Herzallerliebste,

Beweine deinen Apfel roth.


Sollt' ich das alles beweinen,

Was zu beweinen wär,

Ich hätte zu thun alle Tage,

Die gehn und kommen im Jahr.

Es ritt ein Herr mit seinem Schildknecht
[168] Es ritt ein Herr mit seinem Schildknecht.

Es ritt ein Herr mit seinem Schildknecht, Santio!

Den schmalen Pfad und den breiten Weg.

Sante jante iko,

Kante ko de kandelar de isio.


Der Herr zu seinem Schildknecht sprach, Santio!

Steig auf den Baum, hol's Täubchen herab

Sante jante iko,

Kante ko de kandelar de isio.


Mein Herr und das thu' ich nicht, Santio!

Die Aeste sind dünn und halten mich nicht.

Sante jante iko,

Kante ko de kandelar de isio.


Der Herr ward seinem Schildknecht gram, Santio!

Er selber auf den Baumast klam,

Sante jante iko,

Kantiko de kandelar de isio.


[169]

Nun ist mein Herr gefallen todt, Santio!

Wo krieg ich nun mein verdientes Brod.

Sante jante iko,

Kantiko de kandelar de isio.


Dein verdientes Brod das kriegst du wohl, Santio!

Der Stall ist von Pferden und Wagen voll.

Sante jante iko,

Kantiko de kandelar de isio.


Pferde und Wagen begehr ich nicht, Santio!

Aber die jüngste Tochter verschwör ich mir nicht.

Sante jante iko,

Kantiko de kandelar de isio.


Nun ist der Knecht geworden ein Herr, Santio!

Und fährt mit Kutsch' und Pferden einher.

Sante jante iko,

Kantiko de kandilar de isio.


Altes Lied aus der spanischen Zeit; daher der närrische Refrain: Sante jante iko u.s.w., ein verdrehtes Spanisch, womit der Holländer sich lustig machte über den steifen Signor, der sich aus Halsstarrigkeit den Hals bricht. Santio ist so viel als Santico, kandiko de kandelar so viel als cantico de candelaria.

Es ging ein Pater wohl über Land
[170] Es ging ein Pater wohl über Land.

Es ging ein Pater wohl über Land,

Hei es ist im Mai.

Er nahm sein Mädchen bei der Hand,

Hei es ist im Mai so frei,

Hei es ist im Mai.


Pater du mußt niederknien,

Hei es ist im Mai.

Nonne, stell dich neben ihn.

Hei es ist im Mai so frei,

Hei es ist im Mai.


Pater breit dein Käppchen aus,

Hei es ist im Mai.

Fromme Nonne knie darauf,

Hei es ist im Mai so frei,

Hei es ist im Mai.


Pater küß die Nonne nun,

Hei es ist im Mai.

Kannst es auch noch sechsmal thun,

Hei es ist im Mai so frei,

Hei es ist im Mai.


[171]

Stell sie wieder auf die Bein',

Hei es ist im Mai.

Schwing dein Kirmißpüppelein,

Hei es ist im Mai so frei,

Hei es ist im Mai.


Pater du mußt wandern gehn,

Hei es ist im Mai.

Nonneken du bleibst noch stehn,

Hei es ist im Mai so frei,

Hei es ist im Mai.


Nonneken die Wahl hast du,

Hei es ist im Mai.

Leg dir 'n andern Pater zu,

Hei es ist im Mai so frei,

Hei es ist im Mai.


Lied zu einem alten Volksspiel Frühling; aus mündlicher Mittheilung.

Es thät ein Mägdlein früh aufstehn
[172] Es thät ein Mägdlein früh aufstehn.

Es thät ein Mägdlein früh aufstehn,

Ihren Herzallerliebsten zu suchen gehn,

Und sie sucht ihn unter der Linden,

Aber sie könnt ihren Liebsten nicht finden.


Da kam gegangen ein Herrchen fein,

Der sprach: was thut sie da ganz allein,

Oder zählt sie die grünen Bäume

Und alle die gelbgoldenen Rosen?


Ich zahle die grünen Bäume nicht

Und alle die gelbgoldenen Rosen nicht,

Ich hab meinen Liebsten verloren,

Kann keine Zeitung von ihm hören.


Hat sie ihren Liebsten verloren,

Kann keine Zeitung von ihm hören?

Er lebt auf Seelands Auen

Und verkehrt mit andern schönen Frauen.


[173]

Lebt er auf Seelands Auen,

Verkehrt er mit andern schönen Frauen;

So mag der Himmel sein Leitsmann sein,

Und aller schönen Frauen, die bei ihm sind.


Was zog er aus seinem Ermel?

Ein Kettlein roth von Gold;

Schönes Kind die will ich ihr schenken,

Will sie an ihr Lieb nicht mehr denken.


Und wäre noch einmal so lang das Ding,

Daß sie vom Himmel zur Erde hing,

Viel lieber will ich sie missen,

Als eine andere Lieb mir erkiesen.


Da ward dem Junker sehr leicht zu Muth,

Schönes Kind, seh sie sich vor, was sie thut.

Sie ist ja mein bräutelich Mägdelein,

Will mein Lebstage keine andere frein.


Blaues Buch.

Nach Osterland will ich fahren
[174] Nach Osterland will ich fahren.

Nach Osterland will ich fahren,

Da wohnt mein süßes Lieb.

Ueber Berg und über Thale,

Hin über die Haide,

Da wohnt mein süßes Lieb.


Vor meines süß Liebchens Thüre,

Da stehn zwei Bäumchen fein,

Der eine trägt Nüß von Muskaten,

Hin über die Haide,

Der andre trägt Nägelein.


Die Nüsse sind so runde,

Die Nägelein riechen so süß.

Ich meint', daß mein Freier ein Ritter,

Hin über die Haide,

Nun ist er ein armes Blut.


[175]

Er nahm sie bei ihrem Händchen,

Bei ihrer schneeweißen Hand.

Er führte sie also weiter,

Hin über die Haide,

Wo er ein Bettchen fand.


Da lagen die zwei verborgen

Die liebe lange Nacht,

Vom Abend bis zum Morgen,

Hin über die Haide,

Bis schien der lichte Tag.


Die Sonne ist untergegangen,

Die Sterne scheinen so klar.

Ich wollte, daß ich und mein Liebchen,

Hin über die Haide,

In einem Baumgarten wär.


Der Baumgarten ist verschlossen,

Und da kann niemand hinein,

Als die trutzige Nachtigale,

Hin über die Haide,

Die stiegt von oben hinein.


Man soll die Nachtigal binden,

Ihren Schnabel an ihren Fuß,

Dann kann sie nicht weiter plaudern;

Hin über die Haide,

Was zwei Verliebte thun.


[176]

Habt ihr mich auch gebunden,

Meinen Schnabel an weinen Fuß,

Doch kann ich weiter plaudern,

Hin über die Haide,

Von zwei, die vor Liebe verwund't. –


Blaues Buch.

Es ritt ein Ritter wohl durch das Ried
[177] Es ritt ein Ritter wohl durch das Ried.

Es ritt ein Ritter wohl durch das Ried,

Hub an zu singen ein schönes Lied,

Ein Lied mit heller Stimme,

Durch die grünen Berge hin.


Das hörte eine Jungfrau fein,

Sie lag in ihrer Schlafkammer allein,

Und sie flocht ihr Haar mit Seiden:

Mit dem Lanzknecht wollte sie reiten.


Der Lanzknecht hatte sie lieb und werth,

Er setzte sie vor sich auf sein Pferd,

Er führte sie in kurzer Weile

Wohl über die vierundsiebzig Meile.


[178]

Er führte sie über ein Feld, war weit,

Das Feld war mit rothen Rosen bestreut.

Er sprach, Frau Maged, müßt hinten stehn,

Mein graues Pferd ist so müde vom Gehn.


Und warum soll ich hinten stehn?

Hätt' ich meines Vaters Willen gethan,

Dazu meiner Frau Mutter Willen,

So war ich gewesen eine Kaiserin.


Wärt ihr gewesen eine Kaiserin

Und ich eines Markgrafen Söhnlein bin,

So laßt euch die Mühe nicht reuen,

Denn morgen woll'n wir uns freien.


Eh ich werd euer getrautes Weib,

Eh will ich verlier'n meinen jungen Leib;

Eh ihr mich habt zu euer Hausfrauen,

Eh laß ich mir den Kopf abhauen.


Eh sie die Worte zur Hälfte sprach,

Ihr Kopf ihr schon zu Füßen lag.

Mit dem allzuscharfen Schwerte,

Hieb er ihr den Kopf zur Erde.


Er nahm ihren Kopf bei ihrem Haar,

Er warf ihn in den Brunnen, der Brunnen war klar,

Der Brunnen war tief von Grund,

Lieg da du lachender Mund!


[179]

Lieg hie, lieg da, du lachender Mund!

Du hast mich gekostet viel tausend Pfund,

Und so manchen rothen Pfennig von Gold,

Nun bist du ganz abgeschlagen.


Blaues Buch.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wienbarg, Ludolf. Reisebericht. Holland in den Jahren 1831 und 1832. Holland in den Jahren 1831 und 1832. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A6F4-2