Christoph Martin Wieland
Klementina von Porretta
Ein Drama aus Richardsons Geschichte Sir Karl Grandisons gezogen

Personen

[2] Personen.

    • Der Markgraf von Porretta.

    • Der Bischof,
    • Der General,
    • Jeronymo, , dessen Söhne.

    • Sir Karl Grandison.

    • Graf von Belvedere.

    • Pater Mareskotti.

    • Die Markgräfin von Porretta.

    • Klementina.

    • Kamilla, deren Hofmeisterin.

    • Laura, Kammerfrau.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Schauplatz ist ein Sahl im Pallaste von Porretta.
Der Graf von Belvedere, Der Pater Mareskotti.

BELVEDERE.

Sagen Sie mir nichts mehr von Geduld- und Verläugnung, Pater Mareskotti – Ich schwöre Ihnen, Klementina soll die Meinige, oder wenigstens nicht diesem Englischen Protestanten werden! Der blosse Gedanke an das, was die Folge seiner Zurückkunft seyn könnte, bringt mich zur Verzweiflung – Etwas gelassner. Verzeihen Sie mir, ehrwürdiger Vater. – Aber ich kann und will nicht ohne Klementinen leben!

PATER MARESKOTTI.

Sie wissen, Herr Graf, wie sehr ich immer Ihr Freund war; Sie wissen, wie sehr die ganze Familie von Porretta für Sie eingenommen ist! Der Markgraf, die Markgräfin, der Bischof, der General, alle haben ihr [3] Herz auf die Vermählung ihrer Tochter und Schwester mit einem so würdigen Mann, als der Graf von Belvedere ist, gesetzt. Ganz Italien hat keinen edeln Jüngling, der an Geburt und persönlichen Verdiensten der vortrefflichen Klementina würdiger wäre, als Sie. Aber bedenken Sie den Zustand der unglücklichen jungen Gräfin! Sie kennen diesen ausserordentlichen Mann, diesen Grandison. Ich selbst, so grosse Ursache, ich hatte, wider ihn eingenommen zu seyn, ward endlich von seinen Verdiensten überwältiget. Ich musste ihn bewundern, wie alle Welt ihn bewundert. Er hatte der Familie Dienste geleistet, die eine ausserordentliche Dankbarkeit forderten. Diess schien das Übermass zu rechtfertigen, womit alle Glieder eines grossmüthigen und wahrhaft edeln Hauses ihre Verbindlichkeit gegen einen Mann bezeigten, dessen Grossmuth und Tapferkeit sie das Leben ihres geliebtesten Sohns, ihres Jeronymo, zu danken hatten. Sie vergassen, dass derjenige, den sie als Freund, Sohn und Bruder in die Familie aufnahmen, ein Ketzer, ein hartnäckiger Ketzer, ein Feind der Kirche, ein Verworfener war, mit dem die strenge Heiligkeit der Religion eine so enge Verbindung verdammt. Die Welt fand sie unvorsichtig, der Himmel strafbar. Ich wenigstens kann mich nicht enthalten, die unglückliche Leidenschaft der jungen Gräfin für ein Gericht eines beleidigten[4] Gottes anzusehen – Ach, Herr Graf! sie war eine Heilige, ehe sie diesen zauberischen Mann kannte. – Wahr ist's, sie kämpfte mit der strafbaren Leidenschaft; sie bewaffnete sich mit der ganzen Stärke der Religion; sie stritt mit dem Muth und der Standhaftigkeit eines Engels: aber die Natur erlag unter dem entsetzlichen Kampfe, und ihre Vernunft musste das Opfer ihrer Tugend werden!

BELVEDERE.

O halten Sie inne! Ich kann den abscheulichen Gedanken nicht ertragen – Klementina! – das glorwürdige Geschöpf! – so tief erniedriget! – Und durch wen? – Sie war die Zierde von Italien, der Stolz ihres Hauses; von allen, die sie sahen, bewundert; von allen, die sie kannten, geliebt; von den schönsten und vollkommensten ihres Geschlechts beneidet. Welch ein Wunder der Natur hat dieser Elende zu Grunde gerichtet! Meine Seele empört sich wider ihn! Er soll –

PATER MARESKOTTI.

Ihre Hitze macht Sie ungerecht, lieber Graf! Grandison verdient weder Ihre Vorwürfe, noch Ihre Rache. Ich gestehe es, Anfangs war er mir verdächtig. Es war unglaublich, dass der lange Umgang mit der jungen Gräfin nicht den Wunsch, ein so seltnes Gut zu besitzen, in ihm erweckt haben sollte; und, wofern er diesen Wunsch hegte, noch unglaublicher, dass er keine Kunstgriffe versucht haben sollte, sich nach und nach in ihr [5] Herz einzustehlen. Ich theilte meinen Verdacht dem Markgrafen und dem Bischofe mit. Wir beobachteten ihn aufs genaueste, wir legten ihm sogar Fallstricke; aber die Prüfung zeigte ihn unschuldig und untadelig. Doch wozu sag' ich Ihnen alles dieses? Sie können nicht vergessen haben, dass Grandison Ihnen selbst Dienste geleistet, dass er mit einem Eifer für Ihr Bestes mit der Gräfin Klementina gesprochen hat, die ihm ihren Unwillen zuzog.

BELVEDERE.

Ach mein ehrwürdiger Freund! Was sollte ich nicht vergessen, da ich meiner, selbst vergessen habe! – Die Liebe zu einer Klementina, – eine hoffnungslose Liebe, und doch von allen ihren Verwandten aufgemuntert, – der Kaltsinn, der Abscheu derjenigen, die ich anbete, und, was mich noch mehr ängstiget, ihr Unglück, die Zerrüttung ihrer schönen Seele, und nun, was mich beynahe wahnsinnig macht, die Ankunft dieses glücklichen Nebenbuhlers, sein Triumf, und meine Schmach! – O, wenn alles diess nicht genug ist, die heftigste Leidenschaft zu rechtfertigen – Aber ich bitte Sie, Mareskotti, war denn kein andres Mittel in der Welt, die englische Klementina wieder herzustellen, als die Zurückberufung dieses Grandisons?

PATER MARESKOTTI.

Können Sie glauben, dass die Familie von Porretta sich zu einem so demüthigenden Schritt entschlossen hätte, wenn [6] ihr irgend ein anderes Mittel übrig geblieben wäre? Sie kennen den gerechten Stolz eines Hauses, das an Alterthum und Glanz den grössten Italiens gleich ist: denken Sie, was es ihnen kosten musste, einen solchen Schritt gegen einen Mann zu thun, der, so gross er in Absicht seines persönlichen Karakters seyn mag, in allen andern Stücken unter ihnen ist; gegen einen Fremden, einen Engländer, einen Ketzer, der hartnäckig und übermüthig genug gewesen war, ihre Klementina, ihren Liebling, das Kleinod ihrer Familie auszuschlagen, als sie ihm unter der einzigen Bedingung angeboten wurde, die einen so herablassenden Antrag rechtfertigen konnte. Ich selbst widersetzte mich lange dem anhaltenden Bitten Jeronymo's, der die Zurückberufung seines Freundes als das einzige Mittel, seine Schwester und ihn selbst zu retten, mit ungestümer Zärtlichkeit erflehte. Der Bischof, der General unterstützten mich; der Markgraf selbst konnte sich nicht zu einer Erniedrigung entschliessen, die diesen stolzen Protestanten in der Familie so wichtig machte. – Wir hofften, die Zeit würde ein Heilungsmittel für die bedauernswürdige Klementina bringen. Aber wir hofften umsonst. Die Noth, welche die verzweifeltsten Mittel rechtfertigt, gab uns zuletzt ein, die Strenge zu versuchen. Klementina wurde nach Urbino in das Haus der Gräfin Sforza, ihrer Tante, gebracht. Die grausamen [7] Begegnungen, die sie daselbst ohne unser Wissen erduldete, vollendeten ihr Unglück. Der traurige Zustand, worin sie in das Porrettische Haus zurück gebracht wurde; die immer zunehmende Krankheit ihres Bruders; die auf ewig verlorne Ruhe einer Familie, die in allen ihren Zweigen so glücklich gewesen war; ein vom Kummer verzehrter Vater, eine trostlose Mutter; der Anblick ihres Jammers, ihre Thränen, ihre Klagen; der stumme Gram, der desto wüthender in ihrem Inwendigen nagte – Ich gestehe Ihnen, Herr Graf, mein Herz erlag unter diesem Anblick. Ich vereinigte mich zuletzt mit Jeronymo, und ich hoffe in Demuth, der Himmel, den ich unablässig flehte, habe mir selbst in den Sinn gegeben, zu einem Mittel zu rathen, welches, so widrig es ist, doch das einzige scheint, wovon wir eine heilsame Wirkung hoffen können.

BELVEDERE.

Ach Mareskotti! Was soll ich thun? Was soll ich nicht thun? Ich bin ohne Besonnenheit. – Meine Lage ist ohne Beyspiel! Ich bete die göttliche Klementina an; ohne sie ist das Leben nichts für mich; und ich selbst muss das Mittel gut heissen, welches mich ihrer auf ewig berauben wird! Ich hasse in diesem Grandison einen Nebenbuhler, und muss seine Tugenden bewundern! – Ja, ich liebe Klementinen, liebe sie mehr als mich selbst – Aber, bey allen Heiligen des Himmels, ich kann [8] dem Triumf meines Nebenbuhlers nicht zusehen! Irgend eine verzweifelte That soll meine Ungewissheiten enden, und meiner Schande zuvor kommen.

PATER MARESKOTTI.

Lassen Sie Sich erbitten, liebster Graf! Fassen Sie Sich! Noch ist nicht alle Hoffnung verloren. Die Familie hat keinen Entschluss gefasst, der Ihre Verzweiflung entschuldigen könnte. Vertrauen Sie dem Himmel und meiner Freundschaft. Sie wissen, dass meine eifrige Ergebenheit für das Haus von Porretta mir einiges Ansehen in demselben giebt. Verlassen Sie Sich darauf, dass ich die Sache der Religion, und die Ehre einer Familie, die mir die Sorge für ihre Seelen anvertrauet, nicht so sehr verrathen werde, um zuzugeben, dass die Gräfin Klementina mit einem ketzerischen Manne vermählt werde, bey dem sie in Gefahr wäre, die eitle Glückseligkeit einer befriedigten Leidenschaft mit dem Verlust ihrer Seele zu büssen. Mein Gewissen, Herr Graf, arbeitet noch stärker zu Ihrem Vortheil als die Freundschaft selbst. Aber ich sehe den Bischof kommen. Er scheint bestürzt, Sie noch hier anzutreffen.

2. Auftritt
[9] Zweyter Auftritt.
Der Bischof, die Vorigen.

DER BISCHOF.

Um Ihrer eignen Ruhe willen, liebster Belvedere, bitte ich Sie, Sich hinweg zu begeben. Wir erwarten alle Augenblicke einen Gast, dessen Anblick Ihnen nicht so angenehm seyn kann, als er uns seyn muss.

BELVEDERE.
Ich bin in einen Zustand gebracht, worin auch der Feigeste sich zu fürchten aufhört.
DER BISCHOF.

Eben das ist es, warum ich eine Zusammenkunft zwischen Ihnen und dem Chevalier Grandison verhindern möchte. Wir sind ihm dafür verpflichtet, dass er sich aus Gefälligkeit gegen uns in einer so beschwerlichen Jahrszeit seinem Vaterland und den Armen seiner Freunde entrissen hat. So sehr hat uns unser Unglück gedemüthiget, dass wir die Ankunft dieses Mannes als eine Herablassung ansehen müssen. Sie begreifen selbst, dass es uns unruhig machen würde, wenn Herr Grandison bey seinem Eintritt in unser Haus –

BELVEDERE.

Vergeben Sie mir, gnädiger Herr! – Ich bin unglücklich. Haben Sie Mitleiden mit mir! Eine Klementina zu verlieren![10] – So wenig ich bisher Hoffnung hatte, so hatte ich doch Hoff nung. Ihre Gütigkeit munterte mich auf! – Aber jetzt – ein glücklicher Nebenbuhler kommt, und ich bin verloren.

DER BISCHOF.

Sie sollten von unserer Freundschaft überzeugt seyn, liebster Graf! – Aber – die Hand des Schicksals liegt auf uns. Wir sind nicht Meister über unsere Massregeln. Wären wir es, so wäre unsere Klementina glücklich, und Sie wären es durch ihren Besitz. Wir wissen nicht, was der Ausgang dieser unglücklichen Geschichte seyn wird. Zwar hat Grandison durch die hartnäckige Verwerfung unsrer Bedingungen alle Ansprüche an Klementinen verloren. Wir sind frey. Aber er hat an dere Vorschläge gethan; und vielleicht zwingt uns noch die Noth, sie anzunehmen, so sehr wir sie Anfangs verworfen haben. Wenn diess das einzige Mittel wäre, unsere Klementina wieder herzustellen – Ich muss es Ihnen noch einmal sagen, wir haben keine Freyheit, unsern Neigungen zu folgen. Aber glauben Sie mir, wir selbst werden nicht anders glücklich seyn, als wenn Sie es werden. Lassen Sie Sich diess beruhigen!

PATER MARESKOTTI.

Kommen Sie, Herr Graf! Ich will Sie in den Park begleiten. Der Anblick der Natur und die Stille eines einsamen Haines sind oft geschickter unsere Leidenschaften [11] zu besänftigen, als die bündigsten Vernunftschlüsse.

BELVEDERE.
Führen Sie mich wohin Sie wollen. Für mich ist jeder Ort gleich.

Sie gehen ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
DER BISCHOF
allein.

Ich darf dem Grafen nicht die Hälfte meiner wahren Gedanken sehen lassen – Ich bedaure ihn – aber wer ist mehr zu bedauern, als wir? Unglückliche und doch unschuldige Klementina! wie tief hast du uns niedergedrückt! – Indessen hat Grandison ein Recht an unsere stärkste Dankbarkeit. Wollte der Himmel – Aber hier ist er schon! Der königliche Mann! Wie sehr scheint er gleich beym ersten Anblick das zu seyn, was er ist!

4. Auftritt
[12] Vierter Auftritt.
Der Bischof, Grandison.

DER BISCHOF.

Willkommen in Italien und in Bologna, theuerster Grandison! Wie grossmüthig, wie freundschaftlich ist es von Ihnen, dass Sie unsere Bitte mit einer so, verbindlichen Eilfertigkeit erfüllt haben! – Glauben Sie indessen, dass der Chevalier Grandison der einzige ist, gegen den wir fähig waren, einen solchen Schritt zu thun.

GRANDISON.

Die Freundschaft und das Zutrauen, gnädiger Herr, womit Ihre erlauchte Familie mich beehrt, berechtigt sie von ihrem Grandison alles zu erwarten, was ihn derselben würdig zeigen kann.

DER BISCHOF.

Wir sind Ihnen alle unendlich verbunden, Herr Grandison! Sie sind der Erretter meines Bruders gewesen, und jetzt entrissen Sie Sich Ihrem Vaterlande, Ihren Freunden, Ihrer Ruhe, und setzen bey dieser Jahrszeit selbst Ihr Leben in Gefahr, um Ihre Wohlthat vollständig zu machen. Wie werden wir jemahls im Stande seyn, Ihnen eine Dankbarkeit zu zeigen, die solcher Dienste würdig sey? – Dieser Gedanke, Herr Grandison, macht uns unglücklicher, als Sie glauben können.

[13]
GRANDISON.

Sie demüthigen mich, gnädiger Herr, wenn Sie von Verbindlichkeiten reden. Wenn ja das, was ich gethan habe, eine andere Belohnung verdiente; als das Vergnügen, womit das Herz sich selbst belohnt, so ist es bloss in der Macht des Himmels, sie zu geben. Wenn unser Jeronymo uns wieder geschenkt wird, wenn die Gräfin Klementina wieder die Freude ihrer Verwandten ist, und ich das Vergnügen habe, sie alle nach ihrem Herzen und nach meinem Wunsche glücklich zu sehen, so bin ich auf die vollständigste Art belohnt. Aber sagen Sie mir, gnädiger Herr, wie lebt der Baron von Porretta? Wie befindet sich die junge Gräfin?

DER BISCHOF.

Jeronymo – Ach, der arme Jeronymo! Ehe Sie zu uns kamen, war alles, was man sagen konnte, dass er noch athmete, um den langsamen Tod desto länger zu fühlen, der mit dem Überrest eines schmachtenden Lebens kämpft. Und Klementina – Ach, Grandison! sie ist seit Ihrer Abwesenheit höchst elend gewesen. Sie haben von den unglücklichen Massregeln gehört, wozu der Rath des Generals und der Gräfin Sforza die Familie getrieben. Man wollte die Strenge gegen ein junges Geschöpf versuchen, das an die zärtlichste Begegnung gewöhnt, das lauter Sanftmuth und Güte ist. Man lieferte sie der Gräfin und ihrer Tochter Laurana aus, die von der ersten Kindheit an ihre Gespielin gewesen war, und die schwärzesten [14] Absichten unter der Larve der feurigsten Zärtlichkeit verbarg. Ach! wir wussten nicht, dass sie unser unglückliches Kind die ganze Wuth einer unversöhnlichen Nebenbuhlerin empfinden lassen würde. Laurana liebt den Grafen von Belvedere, von dem sie verabscheuet wird. Sie sah unsere Klementina als das einzige Hinderniss ihrer Leidenschaft an, und übte die Strenge, die man ihr erlaubt hatte, mit einer Grausamkeit aus, unter welcher die arme Unglückliche erlag. Der zehente Theil dessen, was sie unter den Händen dieses unmenschlichen Geschöpfs gelitten hat, wäre genug, eine Märtyrerin zu machen! – O Grandison! ich fürchte – ich fürchte, ihre Vernunft ist unwiederbringlich verloren. Seit vier Wochen spricht sie kein Wort. Sie kennt niemand. Sie scheint weder zu sehen noch zu hören. Die beweglichsten Bitten, die Thränen, das fussfällige Flehen ihrer trostlosen Mutter hat sie nicht bewegen können, das entsetzliche Stillschweigen zu unterbrechen. Selbst bey Ihrem Nahmen, Herr Grandison, ist sie unempfindlich geblieben.

GRANDISON
mit der äussersten Gewalt über sich selbst, ohne sie ganz verbergen zu können.

Ich bin stärker gerührt, als ich es ausdrücken kann – Lassen Sie uns hoffen, gnädiger Herr! Ich habe die Gutachten der geschicktesten Ärzte von England über, den Zustand unserer theuern Kranken bey mir, und ich setze ein grosses Vertrauen [15] in die Erfahrenheit des Herrn Lowthers, der mich zu Ihnen begleitet hat. Es ist Hoffnung da, dass Jeronymo völlig wieder hergestellt werde. Und die Gräfin Klementina –

BISCHOF.

Ihre Gegenwart, Herr Grandison – wenn diese nicht die Wirkung thut, die wir hofften, so ist Klementina und mit ihr alle Freude des Lebens für uns verloren. Aber ich sehe Kamillen kommen – Sie scheint ausser sich zu seyn.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Kamilla, die Vorigen.

KAMILLA.

O Herr Grandison! – Ein Engel ist mit Ihnen in dieses Haus gekommen! Welch eine freudige Zeitung bringe ich Ihnen! Klementina – meine theure junge Gräfin – hat diesen Augenblick wieder geredet.

DER BISCHOF.

Seit einem Monat ist diess das erste Mahl! Ich wünsche Ihnen Glück, Herr Grandison! Das ist eine glückliche Vorbedeutung. Erlauben Sie, dass ich, indessen Kamilla Sie von ihrer Gräfin unterhält, den guten Jeronymo auf Ihre Ankunft vorbereite. Er ist nicht stark genug, ein so grosses Vergnügen ohne [16] Vorbereitung auszuhalten. Ich werde sogleich zurück kommen, Sie dem Markgrafen und ihm vorzustellen.


Geht ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Kamilla, Grandison.

KAMILLA.

O gnädiger Herr! Möge der Himmel Sie mit der Erfüllung aller Ihrer Wünsche segnen, dass Sie so bereitwillig gewesen sind, durch Ihre Wiederkunft der unglücklichsten Familie Italiens das Leben wieder zu geben! Ich versichere Sie, Sie haben durch diese schleunige Willfahrung unsere Hoffnung übertroffen. Nach dem, was bey Ihrer letzten Anwesenheit vorgefallen – Aber, wer darf sich wundern, wenn der Chevalier Grandison grossmüthig handelt? Wenn er alles thut, was schön und gross ist, so handelt er nur sich selbst gleich.

GRANDISON.

Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, Kamilla. Aber befriedigen Sie jetzt meine Ungeduld. Sprechen Sie mir von Ihrer jungen Gräfin. Sie hat geredet, sagen Sie! Und was hat sie geredet?

[17]
KAMILLA.

Ach, wenn Sie erst wüssten, in was für einem Zustande sie gewesen ist, ehe sie ihr Bruder, der General, aus den Klauen der teuflischen Laurana errettete. – Es ist nun über einen Monat – Die arme Klementina! Ach, dass sie jemahls von der Seite ihrer getreuen Kamilla gerissen werden musste! – Aber ich missbrauche Ihre Geduld, gnädiger Herr! – Seitdem sie wieder in dem Hause ihrer Ältern ist, ist es unmöglich gewesen, ein einziges Wort von ihr zu erflehen. Sie kannte weder ihre Mutter, noch ihren Vater, noch ihren Jeronymo; sie kannte niemand. Ich kann das Gemählde nicht vollenden, Herr Grandison – Ihr Anblick durchbohrte jedes Herz. Ihre Mutter konnte es nicht aushalten; wir waren etliche Tage ihres Lebens wegen in Sorgen. Nach und nach schien sich die arme junge Gräfin wieder zu erinnern. Sie erkannte mich. Sie erkannte auch zuweilen ihre Mutter, aber nur für Augenblicke; und auch in diesen gab sie es nur durch Geberden zu erkennen. Es war unmöglich, sie zu erbitten. Unsere Thränen, unsere Verzweiflung rührte sie nicht. Sie selbst weinte niemahls. Aber Seufzer, die den Seufzern eines in der Marter sterbenden Heiligen glichen, waren alles, woraus wir schliessen mussten, was sie in ihrer Seele leide – Zu grosse Leiden, um durch Thränen oder Worte ausgedrückt zu werden.

[18]
GRANDISON.
Schonen Sie meiner, Kamilla! – Doch, fahren Sie nur fort –
KAMILLA.

O Herr Grandison! wie war es doch möglich, dass ein so grossmüthiger Mann so unempfindlich gegen die liebenswürdigste junge Dame seyn konnte, deren Glückseligkeit oder Elend in seine Willkühr gestellt war? Sie durften nur Ein Wort sprechen – Aber Ihre Hartnäckigkeit – Verzeihen Sie mir, gnädiger Herr! Wenn Sie, wie ich, ein Zeuge des Leidens dieses holdseligen Kindes gewesen wären –

GRANDISON.

Ich verzeihe Ihnen, Kamilla. Sie können Ihre junge Gräfin nicht zu eifrig lieben – Aber ich bitte Sie, keine Umwege! Was veranlasste denn die glückliche Veränderung, die Sie uns angekündigt haben?

KAMILLA.

Ihr Nahme, Herr Grandison! Ihr Nahme machte sie endlich aufmerksam. Wir sagten ihr, dass Sie aus England zurück kämen, dass Sie wirklich in Bologna angelangt wären, dass alles – Aber Himmel! Wen sehe ich! – Heilige Jungfrau! es ist der Graf von Belvedere! Wie ergrimmt! Wie verzweifelnd! Vor sich. Ich eile, den Bischof zu rufen.

GRANDISON.
Sagen Sie nichts, Kamilla, so lieb Ihnen meine Freundschaft ist.

Kamilla eilt hinweg.
7. Auftritt
[19] Siebenter Auftritt.
Belvedere, Grandison.

BELVEDERE.

Ich würde nicht aufrichtig seyn, Herr Grandison, wenn ich Sie in Bologna willkommen hiesse. Ich komme in ganz andern Absichten hierher. Ich liebe die Gräfin Klementina. Sie lieben sie auch, sagt man – Sie wissen, dass ich Ansprüche habe – Den Beyfall, die Aufmunterung der ganzen Familie, die in dem Unglück, ihrer Tochter Ursache genug fühlt, den Tag zu verwünschen, da der Ritter Grandison die Schwelle ihres Hauses betrat. Wenn die Neigung der Tochter für Sie ist, Grandison, so haben Sie wenig Ursache, Sich eines Vorzugs zu rühmen, der der vortrefflichsten Dame Italiens die Vernunft kostet – Doch ich tadle die Flamme nicht, die in der Brust einer Klementina brennt; sie ist rein und unschuldig, was auch der Gegenstand seyn mag, der sie entzündet hat – Und wenn ich Sie nicht als einen Nebenbuhler ansehen müsste, Grandison, so würde ich der erste seyn, die Neigung der theuern Gräfin zu rechtfertigen! – Aber Sie? – Nein! Sie können keine Ansprüche, keine Hoffnung haben; Sie müssen es wissen, dass eine Vermählung der [20] Gräfin Klementina mit Ihnen das äusserste Unglück für die Porrettische Familie wäre. – Doch ich will Sie nicht beleidigen, Grandison. Ich bin nur hierher gekommen, Ihnen, zu sagen, dass Sie mir vorher das Leben nehmen müssen, ehe Sie der Besitzer meiner Geliebten seyn können. Folgen Sie mir in den Garten; etliche Augenblicke werden mein und Ihr Schicksal entscheiden.

GRANDISON.

Ich werde Ihnen nicht folgen, Herr Graf! Es ist nicht meine Schuld, wenn Sie den Mann nicht kennen, mit dem Sie sprechen.

BELVEDERE.

Sie wollen mir nicht folgen. Sie machen Ansprüche an meine Geliebte, und weigern Sich? – Sie haben nicht Muth genug –

GRANDISON.

Brauchen Sie einen stärkern Beweis meines Muthes, als die Gelassenheit, womit ich die Ausschweifungen Ihrer Leidenschaft dulde?

BELVEDERE.
Sie spotten meiner, Grandison?
GRANDISON.
Ich bedaure Sie.
BELVEDERE.

O, Sie haben diesen verstellten Kaltsinn nicht nöthig, mich zum Muth zu entflammen! – Aber keinen Wortwechsel! – Wenn Sie der Mann sind, für den Sie gehalten seyn wollen, so folgen Sie mir in den Park! – Sie wollen nicht?

[21]
GRANDISON.

Mässigen Sie Ihre unanständige Hitze! Ich bin nicht gewohnt, in diesem schnaubenden Tone mit mir reden zu lassen. – Doch, der Zustand, worin ich Sie sehe, verdient Nachsicht. Sie sind zu entschuldigen, dass Sie keine Achtung für mich haben, da Sie die Achtung für Sich selbst verloren haben. Herr Graf Belvedere, Sie wissen meine Grundsätze! Lassen Sie Sich dieses genug seyn.

BELVEDERE.

Und halten Sie mich für einen so feigen Elenden, dass ich mich durch Worte abweisen lassen sollte? Oder erwarten Sie, dass dieser kaltsinnige Stolz Sie vor meiner Wuth sicher stellen werde? Zwar in den Mauern dieses Pallastes sind Sie sicher – Aber beym Himmel! Sie sollen mir nicht entgehen! Ich verlasse Sie nicht, bis Sie mir in den Garten folgen.

GRANDISON.

Ungestümer und unbesonnener Mensch! Hören Sie mich erst an, und wenn Sie alsdann noch darauf bestehen, so will ich Ihnen folgen, wohin Sie wollen – Ich schätze Sie hoch, Graf von Belvedere, wie ungleich Sie auch in diesen Augenblicken der Leidenschaft Sich selbst sind. Ich will gegen Sie thun, wessen ich noch keinen zornigen Menschen gewürdigt habe; ich will mit Ihnen wie mit einem Manne reden, der Gründen Gehör geben kann. – Ich mache Ihnen keine Vorwürfe; diess wird, wenn Sie ruhiger sind, Ihr eignes Herz für mich thun. Nur das muss ich Ihnen sagen, wenn ich Ansprüche [22] an die Gräfin Klementina hätte, so sollten weder Sie noch eine ganze dräuende Welt mich abschrecken können, sie zu behaupten. Ein rechtschaffner Mann fürchtet nichts. – Aber beruhigen Sie Sich. Ich habe und mache keine Ansprüche. Die uneigennützigste Freundschaft, nicht die Liebe, hat mich nach Italien zurück geführt. Es ist mit dem Beyfall des Markgrafen und der Familie geschehen. Ich selbst habe jetzt keinen andern Wunsch, als die Gesundheit meines Jeronymo und seiner Schwester. Wenn ich an ihrem Zustande den zärtlichsten Antheil nehme, so ist es nichts mehr, als wozu mich der Nahme eines Bruders berechtiget, womit sie mich auf Befehl ihres Vater selbst beehret hat.

BELVEDERE.

Ists möglich? – Grandison? – Reden Sie im Ernst? – Sie haben keine besondern Absichten? O, Sie geben mir das Leben wieder! – Was für ein Mann sind Sie? – Aber wie ist es möglich?

GRANDISON.

Ich habe niemahls Ursache gegeben, dass an meinem Worte gezweifelt werde, und demjenigen am allerwenigsten, der nicht vergessen haben sollte, mit welchem Eifer ich ehemalhs seine Sache zu meiner eignen gemacht habe. – Doch, verzeihen Sie mir, Herr Graf! ich wollte Ihnen keine Vorwürfe machen.

BELVEDERE.

Ich erröthe vor mir selbst! Ich bin ungerecht gegen Sie gewesen, Grandison![23] – O wie sehr hat diese unglückliche Leidenschaft meine Seele erniedriget! Bey ruhigerm Blute verschmähe ich auch den Schatten des Unrechts und der Niederträchtigkeit – Sie sind der edelste und würdigste unter den Männern, Grandison! Verzeihen Sie mir! – Aber – Ach! wie kann ich mir mein Schicksal verbergen? Sie werden zuletzt doch der Gemahl Klementinens werden, und ich – der elendeste unter den Menschen!

GRANDISON.

Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass ich ohne eine solche Absicht nach Bologna gekommen bin. Indessen mache ich mir kein Bedenken zu gestehen, dass ich die Gräfin Klementina bewundre, obgleich ihr Besitz in meinen Augen allezeit ein Gut gewesen ist, das der Himmel nicht für mich bestimmt zu haben scheint. Ich würde das unglücklichste unter allen Wesen seyn, wenn ich mir wegen des Unfalls, der diese liebenswürdige junge Dame betroffen hat, den mindesten Vorwurf machen müsste. – Die Sache ist zu zärtlich, davon zu reden. – Sie wissen, unter was für einer Bedingung mir ehemahls gestattet wurde, mich in den Besitz eines Glückes zu setzen, nach welchem ich niemahls vermessen genug gewesen war zu trachten. Es war eine Bedingung – die ich ausschla gen musste. Der blosse Gedanke an die Verlegenheit, worin ich damahls war, macht mich schauern. Ich that einen andern Vorschlag, [24] der mit Hitze verworfen wurde. Klementina war die erste, die ihn verwarf. Sie wissen das übrige, Herr Graf! Da ich gewissermassen die Folgen der Massregeln, die man genommen hatte, voraus sahe, so erklärte ich mich, dass ich mich durch meinen Vorschlag so lange für gebunden ansehen würde, als eine Möglichkeit da wäre, dass er künftig angenommen werden möchte. – Sie sehen nun meine Umstände, Belvedere! Sollte dieser verworfne Vorschlag von der Familie selbst erneuert werden, so setzen Sie Sich an meine Stelle, und entscheiden, was ich thun soll! – Aber warum wollten Sie Sich mit entfernten, ungewissen und sogar unwahrscheinlichen Möglichkeiten quälen? Der Zustand der theuern Klementina sollte jetzt Sie und mich unser selbst vergessen machen. – Sehen Sie mich als einen Freund an, Belvedere! Nehmen Sie meine Hand zur Bekräftigung, dass ich mich aufrichtig freuen werde, wenn das Schicksal den Grafen von Belvedere zum Besitzer des Herzens und der geliebten Person seiner Klementina machen wird.

BELVEDERE.

Unwiderstehlicher Mann! Wie gross sind Sie, und wie klein bin ich! – Was kann ich sagen? Was kann ich thun? Ich bin überwunden! Hier ist meine Hand, Grandison! Ich weiche der Übermacht Ihrer Tugend, und verehre sie. – Himmel! Hätte ichs jemahls für möglich gehalten, eine solche Erklärung gegen [25] einen Nebenbuhler zu thun? – Doch Sie sind es nicht. Ich verlasse mich auf Ihr Wort, Herr Grandison!

GRANDISON.

Ich habe Ihnen gesagt, dass ich ohne eigennützige Absichten gekommen bin, ob ich mich gleich in Absicht der Familie von Porretta für gebunden halte. Ich überlasse den Ausgang der Vorsicht; und wenn je Klementina die Meinige werden sollte, so müsste ich von der Familie selbst aufgemuntert, und der zufriedensten Genehmhaltung aller Personen in derselben gewiss seyn.

BELVEDERE.

Sie beruhigen mich, Herr Grandison! Ich verlasse Sie als ein aufrichtiger Bewunderer Ihres Karakters. Jetzt, da mein Herz gelassener ist, sind alle meine Wünsche für Klementinen! Was auch mein Schiksal seyn möge, so will ich denjenigen als meinen Wohlthäter ansehen, den der Himmel zum Mittel gebraucht, das schönste seiner Werke wieder herzustellen.


Geht ab.
8. Auftritt
[26] Achter Auftritt.
GRANDISON
allein.

Wie wunderbar ist mein Schicksal! – Von dem Tag an, da ich meiner eignen Führung überlassen wurde, war meine grösste Sorge, den geraden Weg der Rechtschaffenheit zu gehen, und mich nicht durch eigene Schuld, durch Unvorsichtigkeit oder Leidenschaft in Schwierigkeiten zu verwickeln – Was hat es mir geholfen? – Eine unsichtbare Hand schien mich wider meinen Willen fortzuziehen, und unvermuthet sehe ich mich in einem Labyrinth ohne Ausgang, ohne dass ich mir einen vorsetzlichen Fehltritt vorzuwerfen habe. Ich handle gerecht und grossmüthig gegen andere, und kann dennoch weder ihren Vorwürfen noch ihren Beleidigungen entgehen. Ich bezähme meine eignen Leidenschaften, und muss durch fremde geplagt werden. Ich bemühe mich andere glücklich zu machen, und bin selbst nicht glücklich! – O Tugend, wie unwiderstehlich ist deine Schönheit, da du uns desto liebenswürdiger wirst, je mehr wir um deinetwillen leiden!

9. Auftritt
[27] Neunter Auftritt.
Der Bischof, Grandison.

DER BISCHOF.

Verzeihen Sie, Herr Grandison! – Ich war bey einem Auftritte zugegen, mit dessen Schmerzen ich Sie verschonen wollte. Der arme Jeronymo! Diesen Augenblick haben ihn die Wundärzte verlassen. Er schmachtet nach dem tröstenden Anblick seines Grandison.

GRANDISON.
Lassen Sie uns zu ihm eilen, gnädiger Herr, ich bin ungeduldig ihn zu sehen.

Sie gehen ab.
Ende des ersten Aufzugs.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Schauplatz ist in des Jeronymo Zimmer. Jeronymo in einem Lehnstuhl.
Jeronymo, der Bischof.

JERONYMO.

Ich bin erfreut, mein liebster Bruder, dass ich Sie so wohl für meinen Grandison gesinnet sehe. Aber wie sollte es möglich seyn, diesen Mann nicht zu lieben? Wenn ist jemahls an jeder Tugend, jeder grossen und liebenswürdigen Eigenschaft seines gleichen gewesen? – Glauben Sie mir, Bruder, ich fühle den ganzen Stolz unsers Hauses in mir; aber ich bin darum nicht minder überzeugt, dass es uns eine Ehre wäre, einen solchen Mann den unsrigen zu nennen.

DER BISCHOF.
Wäre er ein Katholik, liebster Jeronymo, so würde ich Ihrer Meinung seyn. Aber bedenken Sie –
[29]
JERONYMO.

O, ich mag nichts denken, das meinem liebsten Wunsche zuwider ist! Mein ganzes Herz ist auf ihn gerichtet, und wenn ich wieder zu leben wünsche, so ist es, um meine Schwester in den Armen meines Freundes glücklich zu sehen. Ich bin voller Hoffnung. Er kann nicht unerbittlich seyn. Wir sind ihm das erste Mahl nicht begegnet, wie er es verdiente. Wir glaubten ihm eine unverdiente Ehre zu erweisen, da wir ihm Klementinen unter unsern Bedingungen anboten; wir beleidigten seinen Stolz. Aber wenn wir zeigen, dass wir ihn zu schätzen wissen, wenn seine Grossmuth durch die unsrige gereitzt wird, wenn die Bitten seines Jeronymo, wenn die noch rührendern Bitten, die Blicke, die Thränen seiner Klementina sein Herz zerschmelzen –

DER BISCHOF.
Und was wird denn aus dem Grafen von Belvedere werden?
JERONYMO.

Wenn ich den Chevalier nicht kennte, so wäre der Graf der erste, den ich zu meinem dritten Bruder wählen wollte.

DER BISCHOF.

Er ist aus einem Hause, das dem unsrigen an Ansehen und Reichthum gleich ist; er ist ein Katholik; er hat Verdienste; er ist liebenswürdig; er betet Klementinen an –

JERONYMO.

Aber Klementina hat kein Herz für ihn. Das Schicksal, liebster Bruder, das Schicksal selbst hat sie meinem Grandison bestimmt.

[30]
DER BISCHOF.

Es wird sich bald aufklären. Dieser Morgen ist zur ersten Zusammenkunft zwischen ihnen angesetzt. Wenn seine Gegenwart einen erheiternden Strahl in das entsetzliche Dunkel wirft, das ihre Seele so lange umwölkt, wenn sich ein Schimmer von wiederkehrender Vernunft bey ihr zeigt, so muss ich selbst glauben, der Himmel – Ich höre jemand. Es ist Grandison.

2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Grandison, die Vorigen.

GRANDISON.

Vergeben Sie, gnädige Herren, dass mich das Verlangen, meinen theuern Jeronymo zu sehen, vor der bestimmten Stunde hierher führt. Wie befindet sich mein geliebter Freund?

JERONYMO.

Ich habe Sie wieder gesehen, liebster Grandison, ich befinde mich wohl. Der gestrige Abend hat mehr zu meinem Besten gewirkt, als alle schmerzenlindernden Mittel der Ärzte. Seit Monaten habe ich keine so erträgliche Nacht gehabt, als diese. Es gab Augenblicke, da ich schlafen konnte, und da träumte ich von Ihnen, von Klementinen, von allem [31] was ich liebe. Die angenehmsten Bilder schwebten um meine Seele, süsse Ahnungen, glückliche Vorbedeutungen –

GRANDISON.

Möchten sie erfüllt werden! Möchte Ihnen der Himmel alle Glückseligkeit gewähren, die ich Ihnen wünsche, und wenn ich sie mit der Hälfte meiner eigenen erkaufen müsste!

DER BISCHOF.

Wir würden unsern Karakter verläugnen, Chevalier, wenn Ihre Grossmuth nicht die unsrige erweckte. Unsere Glückseligkeit soll nicht mit der Ihrigen erkauft werden! – Es ist ein Mittel, beide auf ewig mit einander zu verknüpfen – Erlauben Sie, dass ich den Markgrafen von Ihrer Ankunft benachrichtige –


Er geht ab.
3. Auftritt
[32] Dritter Auftritt.
Jeronymo, Grandison.
Grandison setzt sich neben Jeronymo.

JERONYMO.

O mein Grandison! Was für eine Macht hat die Seele über ihren Leib! Vor Ihrer Ankunft war ich kaum noch der Schatten von mir selbst. Die wilden Schmerzen unheilbarer Wunden, und die langwierigen Martern, die ich ohne Wirkung unter den Händen der Ärzte erduldete, hatten meine Lebensgeister erschöpft; die Zukunft zeigte mir lauter fürchterliche Aussichten, und das Unglück meiner Schwester vollendete mein Elend. Wie oft habe ich den Tod angefleht! Wie oft erlag meine ermüdete Seele unter ihren Leiden! Aber seitdem ich Sie wieder gesehen habe, seitdem diese Arme meinen Freund, meinen Bruder, meinen Grandison wieder umschlossen haben, scheint eine neue Quelle von Leben in meine Adern zu fliessen; ich vergesse meiner Schmerzen, das Daseyn ist wieder ein Gut für mich, und ich fange an zu hoffen. – Theurer Grandison! Wie sehr, wie sehr sind wir Ihnen verbunden! – Die Wirkungen, die ich selbst von Ihrer Gegenwart erfahre, machen, dass ich auch für meine Schwester [33] hoffe. – O Grandison, sie liebt Sie unaussprechlich! Niemahls hat eine so reine Zärtlichkeit, eine so heilige Liebe, in einer unschuldigern Brust geglühet! – Mein theurer Freund, Sie müssten nicht seyn was Sie sind, wenn Sie durch so viel Liebe bey so vielen Vorzügen nicht gerührt würden.

GRANDISON.

Gewiss kann mein Jeronymo das Herz seines Freundes nie so sehr verkennen, um daran zu zweifeln. Aber haben Sie jemahls die Schwierigkeiten meiner Stellung überdacht? Wenn Sie es gethan hätten, Sie würden mich bedauert haben. Wie sehr musste mein Geist alle seine Stärke anwenden, die schönste, die gerechteste Leidenschaft zu unterdrücken, die das tägliche Anschauen der allzu reitzenden Vorzüge Ihrer Schwester in mir nährte! – der Einzigen unter allen die ich je gesehen habe, von der mir mein Herz sagte, dass ich sie über alles lieben könnte! Wie sehr musste ich meine Zunge, meine Blicke, meine Mienen beherrschen, damit nicht die mindeste Spur von demjenigen sichtbar würde, was ich in meinem Innersten zu bewahren entschlossen war! Ein bedeutender Blick, ein verrätherischer Seufzer würde in meinen Augen ein Verbrechen gewesen seyn. Denn damahls konnte auch nur der Gedanke nicht in mir entstehen, dass ich die bewundernswürdige Klementina jemahls in einem andern, als in dem Verhältniss einer Schwester, würde ansehen dürfen. [34] Ich wusste zu sehr, dass, wenn auch alle andern Hindernisse gehoben werden könnten, diejenigen, die mein Vaterland und meine Religion machten, unübersteiglich wären.

JERONYMO.

Ach, Grandison, Sie durchbohren mein Herz! – Und sind sie denn unübersteiglich! Ich kann, ich mag es nicht glauben! Rauben Sie mir die süsse Hoffnung nicht, die alles ist was mich noch beym Leben erhält! – Aber ich höre, wie mich dünkt, meinen Vater und meine Mutter kommen. Ich muss es auf eine andere Gelegenheit verschieben, Ihnen den Entwurf, den ich gemacht habe, zu entdecken.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Die Vorigen, der Markgraf, die Markgräfin, der Pater Mareskotti, Laura.
Im Hereingehen sagt die Markgräfin Lauren etwas ins Ohr, die sich sofort wegbegiebt.

DER MARKGRAF.

Ich bin sehr von Ihrer Gütigkeit gerührt, Herr Grandison! Diese letzte und stärkste Probe derselben, Ihre Wiederkunft in mein Haus, hat mich Ihnen ganz eigen gemacht. Ich danke dem Himmel, dass in meiner ganzen Familie keine undankbare Seele ist!

[35]
GRANDISON.
Sie beschämen mich, gnädiger Herr! Es ist eine Folge Ihrer grossmüthigen Art zu denken, dass Sie –
DER MARKGRAF.

Nein, Herr Grandison! Wir haben weder nach unserm Herzen, noch nach Ihren Verdiensten gehandelt. Aber Sie sind edelmüthig; Sie empfinden die Schwierigkeiten unserer Lage, und können uns entschuldigen.

GRANDISON.

Sie benennen mit einem verdienstlichen Nahmen, was auf meiner Seite blosse Gerechtigkeit ist. Ich würde mich selbst hassen, wenn ich eines eigennützigen Wunsches fähig wäre, der das mindeste Opfer von Ihnen forderte.

DER MARKGRAF.

Nein, Grandison! So gering müssen Sie nicht von uns denken, dass wir Sie bey so grossen Verbindlichkeiten, die wir Ihnen haben, unbelohnt lassen sollten. Sie müssen belohnt werden, und auf eine Art, wodurch alle Welt überzeugt werde, dass wir Ihre Verdienste und Ihre Freundschaft zu schätzen wissen.

DIE MARKGRÄFIN.

Ich besorge nur, mein Theuerster, die einzige Belohnung, die dem Herzen des Chevalier angenehm hätte seyn können, sey seiner nicht mehr würdig. – Die arme Klementina! ehemahls war sie eines Fürsten würdig! Jederman liebte sie, man pries uns ihrentwegen glücklich, man beneidete uns – Jetzt – Ach Grandison! ihr Anblick wird Ihnen durch [36] die Seele gehen! – Sie haben ein zärtliches Herz. Sie sind – ich hoffe, Sie sind nicht gleichgültig gegen meine Klementina!


Grandison antwortet der Markgräfin bloss durch einen stummen und mit Mühe zurück gehaltenen Ausdruck der tiefsten Rührung.
JERONYMO.

Der Chevalier fühlt mehr als er sagen kann. Er leidet mit uns, und vielleicht mehr als wir selbst. Lassen Sie uns hoffen, beste Mutter! Alles kann noch gut werden. Klementina –

DIE MARKGRÄFIN.

Ich weiss nicht, warum sie so lange verzieht. Ich habe Lauren befohlen, sie zu fragen, ob sie ihren Jeronymo besuchen wolle. Sie haben ihr gesagt, dass Sie hier seyen, Chevalier, aber sie glaubt es nicht. Man hat sie aus unbesonnener Zärtlichkeit zu oft hintergangen, als dass sie trauen sollte. Das arme Kind! sie wird kaum ihren eigenen Augen glauben!

JERONYMO.
Sie sind traurig, liebster Grandison! – Wie gütig sind Sie!
GRANDISON.

Wenn Sie wüssten, oder wenn ich Worte finden könnte, das zu beschreiben, was in meiner Seele vorgeht, Sie würden Mitleiden mit Ihrem Grandison haben.

DIE MARKGRÄFIN.

Ich kann nicht länger warten. Ich fürchte – O, wie furchtsam ist ein mütterliches Herz! – Ich will selbst nach Klementinens Zimmer gehen.


[37] Indem sie bey Grandison vorbey geht, sagt sie leise zu ihm.

Sie müssen mein Sohn seyn, wenn ich wieder eine Tochter haben soll.

Grandison antwortet mit einer tiefen Verbeugung. Seine Miene und Stellung ist traurig und tiefsinnig. Die Markgräfin geht ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Der Bischof, die Vorigen.

DER BISCHOF
zum Markgrafen.

Gnädiger Herr, ich habe einen Brief von meinem Bruder, dem General, erhalten; seiner Anzeige nach ist er auf dem Wege nach Bologna. Er weiss nicht, dass der Chevalier schon hier ist, und scheint ungeduldig zu seyn, ihm zuvorzukommen.

JERONYMO.

Ich zittere vor dieser Ungeduld, und vor der Unruhe, die uns seine allzu grosse Hitze verursachen könnte. Er hat die Sache des Grafen von Belvedere zu der seinigen gemacht, er liebt ihn –

DER MARKGRAF.

Ich liebe ihn auch; aber ich liebe meine Tochter noch mehr. Ich habe nur Eine Klementina – Ich Unglücklicher! ich [38] habe sie gehabt, sollte ich sagen! Ich muss das marternde Andenken dessen, was sie gewesen ist, verbannen, um nicht völlig unter meinem Gram zu ersinken.

JERONYMO.

Der General macht mir Kummer! Er kennt meinen Grandison nicht, wie wir ihn kennen. Er hat Vorurtheile wider ihn; er ist von einem andern eingenommen; ich besorge –

GRANDISON.

Besorgen Sie nichts, liebster Freund! Ich verehre die Verdienste des Herrn Generals, ohne seine Hitze zu scheuen. Wenn er Vorurtheile hat, so ist seine Hieherkunft das beste Mittel sie zu heben. Und was auch endlich sein Betragen gegen mich seyn möchte, so bin ich meiner selbst so gewiss, dass es niemahls in seiner Gewalt seyn wird, mich vergessen zu machen, was ich dem ersten Sohne des Markgrafen von Porretta schuldig bin.

DER MARKGRAF.

Und er müsste nicht mein Sohn seyn, wenn er dem Chevalier Grandison anders begegnete, als es sein Karakter und seine Freundschaft gegen uns verdienen.

6. Auftritt
[39] Sechster Auftritt.
Die Markgräfin, die Vorigen.

JERONYMO.
Sie kommen ohne meine Schwester, gnädige Frau?
DIE MARKGRÄFIN.

Ach, Jeronymo! Deine arme Schwester – kommt nicht! Sie ist wieder in ihr voriges Stillschweigen verfallen. Sie antwortete mir auf keine Frage, die ich an sie that. Sie sass unbeweglich wie eine Bildsäule, den Kopf auf ihren Arm gestützt. Ihre Seele schien ganz in sich selbst zurückgezogen. Sie empfand meine Thränen nicht, die auf ihre Wangen tröpfelten. Endlich nannte ich ihren Jeronymo. Dieser Nahme weckte sie. Sie schlug ihre Augen auf, deren heitern Glanz Trübsinn und Schwermuth so lange schon ausgelöscht haben. Ein Blick, der meine Seele durchbohrte, und ein Seufzer, in welchem sie die ihrige auszuhauchen schien, war alles, was sie mir antwortete. Ich konnte es nicht länger aushalten – Ach, Grandison! was für ein Schicksal liegt auf uns! – Meine Klementina ist unschuldig; Sie sind ein rechtschaffner Mann; ich glaube, ich hoffe, wir sind alle rechtschaffen. Warum, warum müssen wir denn so sehr unglücklich seyn? – Sie, [40] Herr Pater Mareskotti, Sie sind nicht nur ein frommer Mann, Sie sind ein Heiliger; Ihr verdienstliches Gebet sollte schon allein vermögend gewesen seyn, uns vor einem Kreuze zu bewahren, welches zu schwer ist ertragen zu werden!

PATER MARESKOTTI.

Eben darum, weil es Ihnen aufgelegt ist, wird es erträglich seyn. Es ist, wie Sie sagten, gnädige Frau, ein Schicksal, ein unbegreifliches Schicksal in dieser Sache. Doch die Züchtigungen des Himmels werden allezeit durch ihre Folgen gerechtfertiget. Vielleicht, (o dürfte ich mich dieser Hoffnung überlassen! – Aber der allmächtigen Gnade ist alles möglich!) Vielleicht ist die Bekehrung dieses vortrefflichen Mannes die Absicht und die Folge der Widerwärtigkeiten, die Ihnen jetzt so unerträglich scheinen.

DER MARKGRAF.

Ein Engel spricht aus Ihrem Munde, mein ehrwürdiger Vater! Möcht' es eine gute Vorbedeutung seyn! – Ja, Herr Grandison, wenn dieses die Folge unsers Unglücks wäre, so würde ich mich für alles, was ich seit einem Jahr gelitten habe, dreyfach belohnt halten.

JERONYMO.
Und wir hätten Hoffnung, wieder die glücklichste Familie zu werden.

Grandison antwortet auf alles diess mit Stillschweigen, und den äusserlichen Merkmahlen einer grossen Gemüthsbewegung und Verlegenheit.
[41]
DIE MARKGRÄFIN.

Sie schweigen, Herr Grandison? – Sie geben uns keine Hoffnung? – Ach, wie können Sie – Aber nein! Es ist unmöglich, dass Sie dem Anblick dieser schuldlos Unglücklichen widerstehen! Sie haben sie noch nicht gesehen! Wie sehr werden Sie erstaunen, sie so verändert zu finden! –

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Laura, die Vorigen.

LAURA.

Gnädige Frau! die junge Gräfin ist aus ihrem Zimmer gegangen. Sie lehnt sich stillschweigend an Kamillens Arm, und geht mit langsamen Schritten auf dieses Zimmer zu.

DER MARKGRAF
aufstehend.
Ich getraue mir nicht, diesen Auftritt auszuhalten –
PATER MARESKOTTI.
Ich begleite Sie, gnädiger Herr.

Sie gehen ab.
8. Auftritt
[42] Achter Auftritt.
Die Markgräfin, Grandison, Jeronymo, der Bischof, Klementina, Kamilla.

GRANDISON
steht nach, einem kleinen Stillschweigen voller Unruhe auf, und sagt vor sich.
Und wie werde ich ihn aushalten können!

Er setzt sich wieder; indem Klementina herein tritt, steht er wieder auf, als ob er auf sie zugehen wollte, tritt aber sogleich wieder zurück, und scheint nicht zu wissen, was er thut.
JERONYMO
leise.
Setzen Sie Sich, liebster Grandison! Wie erfreut bin ich, Sie so gerührt zu sehen!
KLEMENTINA
nähert sich an Kamillens Arm gelehnt, mit kleinen Schritten und auf den Boden gehefteten Blicken.

In der Mitte des Zimmers bleibt sie einige Augenblicke stehen, ohne darauf Acht zu haben, dass jemand gegenwärtig sey. Darauf macht sie eine Bewegung, als ob sie wieder zurück gehen wolle; aber Kamilla zeigt ihr einen Stuhl zwischen ihrer Mutter und dem Bischof, und spricht.

KAMILLA.
Hier, gnädige Gräfin, hier!
KLEMENTINA
setzt sich, ohne die Augen aufzuheben.
Alle Personen, ausser ihr, drücken ihre Betrübniss auf verschiedene Art aus.
[43]
DIE MARKGRÄFIN
nimmt sie bey der Hand, und sagt.
Schaue doch auf, meine Liebe – Siehe deinen Jeronymo – Er weint.
KLEMENTINA
bleibt noch immer in der gleichen Stellung, ohne sich zu bewegen.
DER BISCHOF.

Liebste Schwester, schlagen Sie doch Ihre Augen auf. Sehen Sie uns an! Verschmähen Sie uns nicht! Sehen Sie Ihre Mutter und Ihren Jeronymo in Thränen! – Lieben Sie Ihren Jeronymo nicht mehr?

KLEMENTINA
schlägt die Augen auf, und erkennt zuerst ihre Mutter.

Sie umfasst mit ihren beiden Händen derselben Hand, und beugt ihr Haupt auf selbige; hierauf dreht sie ihren Blick langsam gegen Jeronymo, und erblickt Grandison, welcher höchst gerührt ist. Sie stutzt über diesen Anblick; sie schaut zum zweyten Mahl nach ihm, als ob sie ihren Augen nicht traue, und stutzt wieder; dann lässt sie plötzlich ihrer Mutter Hand los, steht auf, schlägt ihre Arme um Kamillen, und ruft.O Kamilla! –


In diesem Augenblick steht Grandison in einer heftigen Bewegung auf, als ob er auf sie zugehen wolle; er wird aber von Jeronymo zurück gehalten.
JERONYMO.

Bleiben Sie auf Ihrem Stuhle, liebster Grandison! Lassen Sie uns die Wirkungen beobachten, die ein so unverhoffter Anblick auf das Herz des lieben Kindes macht.

[44]
KLEMENTINA
sieht indessen wieder unverwandt nach Grandison, und ruft endlich mit aufgehobnen Händen.

O Kamilla, treue, gute Kamilla! – Nun endlich haben sie mir die Wahrheit gesagt! – Er ist es! er ist es!


Nachdem sie diess gesprochen, lehnt sie ihr Gesicht an Kamillens Arm, ihre Thränen zu verbergen.
DIE MARKGRÄFIN
steht auf, und nimmt Klementinens Hand.

Siehe hier, mein Kind, den Chevalier, den Freund deines Bruders und den unsrigen! Willst du ihn nicht in Bologna willkommen heissen?

GRANDISON
nähert sich ihr, nimmt knieend eine von ihren Händen, die wie leblos ausgestreckt hängt, und drückt sie an seine Lippen.
Verzeihen Sie mir, gnädige Gräfin Klementina –
KLEMENTINA
scheint, indem Grandison sich ihr nähert, vor allzu heftiger Bewegung beynahe ohnmächtig zu werden, und lehnt sich an Kamilla zurück; sie erhohlt sich aber wieder, und blickt Grandison mit Augen voll Liebe und Zärtlichkeit an, ohne etwas andres sagen zu können, als.
Ach, Chevalier!

Hierauf geht sie langsam nach der Thüre, dreht aber im Hinausgehen den Kopf um, um so lange, als ohne still zu stehen möglich ist, nach Grandison zu sehen. Die Markgräfin und Kamilla folgen ihr.
9. Auftritt
[45] Neunter Auftritt.
Grandison, Jeronymo, der Bischof.

GRANDISON.

Theure, englische Klementina! O warum darf ich meinem Herzen nicht – Verzeihen Sie mir, gnädige Herren, – meine innerste Seele ist verwundet! – Diese Mischung von Martern und Entzückungen ist mehr als das männlichste Herz ertragen kann!

DER BISCHOF
aufstehend.

Wenn uns noch ein Zweifel übrig gewesen wäre, so würden wir jetzt wenigstens gewiss seyn! – O Chevalier! Sie sind meiner Schwester alles! Sie müssen, Sie wer den der Unsrige werden!

GRANDISON.
Sie erweisen mir eine Ehre, gnädiger Herr, die ich wünschte verdienen zu können.
JERONYMO.

Unser Gluck, unsere Ruhe, mein Leben, Klementinens Leben ist in Ihrer Hand, Grandison! Sie haben es gesehen, wir alle haben es gesehen, wie wichtig Sie diesem liebenswürdigen Geschöpfe sind.

10. Auftritt
[46] Zehnter Auftritt.
Die Vorigen, der Pater Mareskotti.

JERONYMO
zu Mareskotti.

Sie, Herr Pater, müssen die Hand meiner Schwester mit der Hand dieses Würdigsten unter den Männern vereinigen. Sie kann und soll keines andern werden! Er ist der erste, der jemahls ihr Herz gerührt hat, und er allein verdient ein solches Herz zu besitzen.

PATER MARESKOTTI.

Möchte doch ein Strahl vom Himmel eine Seele erleuchten, die für ihn gemacht ist! Möchten Sie, Herr Grandison, in die mütterlichen Arme der Kirche zurückkehren, die mit Sehnsucht nach Ihnen ausgestreckt sind. Wie glücklich würden Sie dadurch uns alle machen! – Ich komme diesen Augenblick von dem Markgrafen. Er hat die Veränderung schon erfahren, die mit der jungen Gräfin vorgegangen ist. Er hoffet, die Folge derselben –

GRANDISON.

Lassen Sie uns den Himmel erflehen, ehrwürdiger Mareskotti, dass diese Folgen glücklich seyn mögen! – Liebster Jeronymo, so empfindlich mein Herz ist, so sehr es gerührt ist, so bin ich doch unveränderlich entschlossen, ihm nicht den geheimsten Wunsch zu gestatten, so lange die Gesundheit der theuern [47] Klementina zweifelhaft ist. Ich bin über die anscheinende Hoffnung entzückt, die Sie von ihrer Wiederherstellung haben – Möchte ich doch, wenn jemand unter uns unglücklich seyn soll, der einzige seyn, der es wäre! Ich würde mich bestreben, mein Unglück wenigstens erträglich zu machen; und der Gedanke, dass diejenigen glücklich wären, die ich am meisten liebe, würde es versüssen.

11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Kamilla, die Vorigen.

KAMILLA
zu Grandison.

Gnädiger Herr, meine junge Gräfin wünscht Sie zu sehen. Sie macht sich Vorwürfe, dass sie das Zimmer so schleunig verlassen, ohne Sie willkommen zu heissen. Sie fürchtet Sie beleidigt zu haben. Eilen Sie zu ihr, gnädiger Herr! Sie werden sie in dem kleinen Sahle antreffen. Die Markgräfin ist allein bey ihr.


Sie geht ab.
JERONYMO.

Ich besorge aus einem Traum zu erwachen, so erwünscht, und über alles was ich hoffen durfte, sind die Veränderungen, die in dieser kurzen Zeit vorgegangen sind.

[48]
GRANDISON.
Ich werde Sie wieder sehen, gnädige Herren, ehe ich den Pallast verlasse.

Er geht ab.
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt.
Der Schauplatz ist ein Sahl.
Die Markgräfin, Klementina, Kamilla.

DIE MARKGRÄFIN.

Fürchte dich nicht, mein Kind! du hast ihn nicht beleidigt. – Der Chevalier liebt dich, meine Klementina, du kannst ihn nicht beleidigen –

KLEMENTINA.

Er liebt mich, sagen Sie? – O nein, nein, das thut er nicht! – Und warum sollt' er mich lieben? – Aber, gnädige Mama, denken Sie nicht auch, dass der Chevalier undankbar ist?

DIE MARKGRÄFIN.
Undankbar? – Warum glaubst du das, mein Kind?
KLEMENTINA.

Er wusste, wie unglücklich ich war, er wusste, wie grausam Laurana mit mir umging, er sah es, und wollte mich nicht retten. Wie oft bat ich ihn! Ich warf mich zu seinen Füssen, mit Thränen beschwor ich ihn; aber er hörte mich nicht! – Die unbarmherzige Laurana! Sie hassete mich – Aber jetzt – [49] Arme Unglückliche! Sie ist dahin, und ich bete für ihre Seele.

DIE MARKGRÄFIN
für sich.

O mein Kind! o meine Klementina, wie zerreissest du mein Herz! – Zu Klementinen. Schaue auf, meine Liebe! Siehe den Chevalier –

13. Auftritt
Dreyzehnter Auftritt.
Grandison, die Vorigen.

GRANDISON.

Verzeihen Sie, gnädige Frauen! Ihre Erlaubniss macht mich so kühn – Wie befindet sich die theure Gräfin Klementina?

KLEMENTINA
steht auf, da sie Grandison erblickt, und schaut aufmerksam nach ihm – Darauf wirft sie ihre Arme um Kamillens Hals und verbirgt ihr Gesicht, als ob sie sich schämte.

Alsdann wirft sie wieder einen verschämten Blick auf Grandison, dann auf ihre Mutter, wechselsweise, als ob sie nicht schlüssig werden könnte. Endlich geht sie mit sachten Schritten gegen ihn, kehrt aber gleich wieder um, schlägt einen Arm um ihrer Mutter Hals, und sieht Grandison mit einer holdseligen Unschlüssigkeit an.

GRANDISON
indem er sich zu ihren Füssen wirft.

Sehen Sie, gnädige Gräfin, den Mann, den Sie ehemahls mit dem Nahmen Ihres vierten Bruders beehrten – Kennen Sie den dankbaren [50] Grandison nicht mehr, den Ihre ganze Familie mit ihrer Achtung beehrt hat?

KLEMENTINA.
O ja, ja! ich kenne ihn. – Aber wo sind Sie diese ganze Zeit gewesen?
GRANDISON.
In England, gnädige Gräfin, und ich bin erst kürzlich gekommen, Sie und Ihren Jeronymo zu besuchen.
KLEMENTINA.

Der gute Jeronymo! – Ich habe ihn lange nicht gesehen. – Und Sie lieben ihn? Sie kommen ihn zu besuchen? Das ist sehr gütig!

DIE MARKGRÄFIN.
Der Chevalier, ist der beste, der grossmüthigste Mann, mein Kind!
KLEMENTINA.

Denken Sie das, gnädige Mama? – Aber mich dünkt, Sie sind sehr lange weggewesen, Chevalier! Warum kamen Sie nicht eher?

GRANDISON.

Es war unmöglich, gnädige Gräfin! Ich hoffe, Sie halten mich keiner Undankbarkeit fähig. Das sehnlichste Verlangen meines Herzens ist allezeit gewesen, Sie und Ihren Jeronymo glücklich wieder zu sehen.

KLEMENTINA.

Glücklich? – O das kann niemahls, niemahls seyn! – Aber setzen Sie Sich zu mir, Herr Grandison, ich habe Ihnen vieles zu sagen, sehr vieles –

DIE MARKGRÄFIN.

Wie entzücken mich diese Sonnenblicke der wiederkehrenden. Vernunft! – Rede, liebstes Kind. Was hast du dem Chevalier zu sagen?

[51]
KLEMENTINA.
Sie müssen wissen, Herr Grandison – Was wollte ich doch sagen? – Ach, mein Kopf!

Sie legt die Hand auf die Stirne.

Wohl! – Aber Sie müssen mich jetzt verlassen – Es ist etwas nicht recht – Verlassen Sie mich! – Ich kenne mich selbst nicht.

GRANDISON.
Ich will mich entfernen, weil Sie es befehlen.
DIE MARKGRÄFIN.
Bleiben Sie noch, Chevalier! Es ist eine Fantasie, die ihr bald wieder vergehen wird.
KLEMENTINA.

sitzt eine Weile mit niedergeschlagenen Augen, wie in tiefen Gedanken; dann steht sie plötzlich auf, als ob sie fortgehen wollte.

DIE MARKGRÄFIN.
Wo willst du hingehen, mein Kind?
KLEMENTINA.

Ich will zu dem Pater Mareskotti gehen – Aber hier ist ja Kamilla. – Gehen Sie, Kamilla, suchen Sie den Pater Mareskotti – Melden Sie ihm –


Sie hält inne, als ob sie sich besinne.

Melden Sie ihm, ich habe ein Gesicht gesehen – Er solle für uns alle beten!

Kamilla geht.
Nach einer kleinen Pause fährt sie fort.

Sie weinen, liebste Mama? – Sie sehen mich traurig an, Herr Grandison? Sie verbergen Ihr Gesicht? Betrübe ich Sie? – O ich Unglückselige! [52] warum lebe ich noch! Ich mache alle unglücklich, die mich kennen – Und doch liebe ich alle Menschen, – auch die grausame unerbittliche Laurana, die kein Erbarmen mit mir hatte, ob ich sie gleich niemahls beleidiget hatte. – Mir ist nicht wohl, gar nicht wohl; ich muss in mein Zimmer gehen – Folgen Sie mir nicht, Chevalier. Ihre Hand, gnädige Mama! Vergeben Sie Ihrem Kinde, haben Sie Mitleiden mit ihm! – O Sie wissen nicht, was meinem armen Kopf ist! Ich bin nicht mehr ich selbst, nicht mehr die Klementina, die Sie liebten, die jedermann liebte – Ach, Grandison!

DIE MARKGRÄFIN.

Du bist meine geliebte, meine theure Klementina; du bist es allezeit gewesen, und jetzt mehr als jemahls. Ich will dich in dein Zimmer führen. Du hast Ruhe vonnöthen. Leben Sie wohl, Chevalier, wir werden uns bald wieder sehen.


Klementina sieht Grandison mit einem zärtlich traurigen Blick an, und geht mit ihrer Mutter ab.
14. Auftritt
[53] Vierzehnter Auftritt
GRANDISON
allein.

Und kann ich endlich meinen Empfindungen den Lauf lassen? – Es ist Zeit! Der Anblick dieses leidenden Engels, ihre Unschuld, ihre Zärtlichkeit ihr Unglück – und der entsetzliche Zwang, den mir eine grausame Pflicht auflegt, zerdrücken mein Herz! – O Klementina! Niemahls haben meine Lippen dir gesagt, wie sehr ich dich liebe!- Hartes Verhängniss! grausame Nothwendigkeit! Ich darf weder reden noch schweigen! Ich bin gezwungen, diejenige unglücklich zu machen, die ich liebe, und mich selbst eines Gutes zu berauben, für welches ich Welten hingäbe! – Warum, ach warum wurden meine ersten Vorschläge nicht angenommen? Verwünscht sey dieser, betrogne Eifer, der so viele Unglückliche macht!- Doch mein Schmerz macht mich unbillig! – Sie handelten nach ihren Grundsätzen, wie ich nach den meinigen. Sie halten sich berechtigt, ein Opfer von mir zu verlangen – kein geringeres, als mein Vaterland und mein Gewissen. – Ich kann keinen Augenblick unentschlossen seyn. – Ach, Klementina, geliebte Klementina, theurer als mein Leben, theurer als alles, was diese Welt [54] geben oder nehmen kann, könnte ich deine Ruhe mit meinem Blut erkaufen! – Ich kenne, ich fühle ihren ganzen Werth, ich liebe sie, ich verehre sie! – Aber! o meine Religion! o mein Vaterland! ich kann, ich kann euch nicht entsagen! Was kann dieses kurze Leben versprechen, was kann es geben, das genug wäre, solch ein Opfer zu ersetzen?


Ende des zweyten Aufzugs.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
KAMILLA
allein.

Wenn nicht ein unglückliches Verhängniss die schönsten Anscheinungen zunichte macht, so wird diese Stunde das Ende der Widerwärtigkeiten des Porrettischen Hauses, und der Anfang neuer glücklicher Zeiten seyn. – Ich sehe den Pater Mareskotti; er kommt zu gelegner Zeit.

2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Der Pater Mareskotti, Kamilla.

PATER MARESKOTTI.
Wie befindet sich Ihre junge Gräfin, Kamilla?
KAMILLA.

Ihre Besserung übertrifft unsere Hoffnung. Die Wiederkunft des Chevaliers hat die Wirkung gethan, die ich allezeit vermuthet hatte. Warum musste man doch so lange zögern, ein Mittel zu ergreifen, das der jungen Dame [56] und ihren Verwandten so viel Trübsale erspart hätte! Sie ist, seitdem sie Herrn Grandison gesehen, ganz verändert. Ihr Gesicht heitert sich wieder auf, und in ihren Begriffen und Reden findet sich immer mehr Zusammenhang. Sie erinnert sich wieder des Vergangenen und nimmt Antheil am Gegenwärtigen. Es ist wahr, sie ist noch immer dunkel und niedergeschlagen. Zuweilen scheint sie in ihre alte Schwermuth zurück zu fallen; sie sucht die Einsamkeit; sie spricht oft mit sich selbst, oder mit einem Abwesenden, der (wie es scheint) ihrem Herzen allezeit gegenwärtig ist. Aber diese Anstösse ihrer ehemahligen Krankheit dauern nicht lange; und wir hoffen, dass sie ihre völlige Gesundheit erhalten haben werde, ehe sie noch die Gemahlin des Herrn Grandison ist.

PATER MARESKOTTI.

Dank sey der wohlthätigen Macht, die mit unsichtbaren Händen an unserm Glücke arbeitet, und sich oft dessen, was wir für die grössten Übel halten, als Mittel zu ihren wohlthätigen Absichten bedient! – Aber ich besorge, die Familie sey zu voreilig, sich der Hoffnung zu überlassen, die sie von dem Chevalier gefasst hat. Er ist ein hartnäckiger Mann.

KAMILLA.

Ein grosser Theil ihrer Hoffnung beruhet auf Ihnen, ehrwürdiger Herr! Gehen Sie in den Garten! Seine Eminenz, der Bischof, und Herr Grandison erwarten sie daselbst. Sie sollen den letzten Versuch machen, den Verstand [57] des Chevaliers zu besiegen. Sollte es misslingen, so wird sein Herz, welches grossmüthig und zärtlich ist, einer Probe ausgesetzt werden, der es nicht wird widerstehen können.

PATER MARESKOTTI.
Der Himmel gebe, dass der Ausgang unsern Wünschen gleich sey.

Geht ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Kamilla, Belvedere.

KAMILLA.

Mich dünkt, ich sehe den Grafen von Belvedere kommen – Ja, – er ist es, den sein böses Gestirn hieher führt, sein Unglück zu erfahren.

BELVEDERE.

Ich höre seltsame Neuigkeiten. Das ganze Haus ist in Bewegung, und einer flüstert dem andern ins Ohr, die Gräfin Klementina werde in kurzem mit Herrn Grandison vermählt werden. Wenn diess wahr ist, so ist mein Unglück gewiss – Aber beym Himmel! ich will nicht allein unglücklich seyn!

KAMILLA.

Wie sehr beklage ich Sie, gnädiger Herr! Ihre Verdienste sind eines bessern Schicksals würdig. Aber wollen Sie mit dem Verhängniss streiten? Es ist in dieser ganzen Sache etwas fatales, eine wunderbare Verwicklung von Umständen, die von einer unsichtbaren Hand [58] herrührt, und (wie es scheint) von ihr allein wird entwickelt werden. Sie können niemand anklagen, wenn Sie gerecht seyn wollen. Ew. Gnaden verzeihen, dass ich so freymüthig spreche.

BELVEDERE.

Sie haben nicht nöthig, Kamilla, mich an etwas zu erinnern, woran mich mein Herz zu meiner Qual nur allzu oft erinnert – Das Leben wird mir zu einer unerträglichen Bürde – O, warum ist es nicht erlaubt? – Doch ich werde bald wissen, was erlaubt ist! Die Markgräfin hat mir eine Unterredung bewilligt, und ich bin hier, die Entscheidung meines Schicksals zu vernehmen.

KAMILLA.
Hier ist sie, gnädiger Herr! Ich entferne mich.

Sie geht ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Die Markgräfin, Belvedere.

BELVEDERE.

Verzeihen Sie, gnädige Frau! – Mein Unglück macht mich ungestüm – Der Himmel wolle, dass die Verzweiflung mich nicht verwegen mache!

DIE MARKGRÄFIN.

Die Unterredung, die ich Ihnen zugestanden habe, Herr Graf, soll [59] Ihnen ein zureichender Beweis meiner Freundschaft seyn.

BELVEDERE.

Wenn nicht diese Achtung, deren Ew. Gnaden mich würdigen, mir noch einen Strahl von Hoffnung übrig liesse, so weiss ich nicht, was aus mir geworden wäre! – Haben Sie Mitleiden mit mir, gnädige Frau! – Himmel! wie unglücklich bin ich, dass ich dasjenige als eine Gnade flehen muss, was die bitterste Kränkung des menschlichen Stolzes ist! – Ehemahls, gnädige Frau, hielten Sie mich der Ehre nicht unwürdig, mit Ihrem Hause verbunden zu werden. Ich bin mir nicht bewusst, etwas gethan zu haben, das eine Änderung Ihrer guten Meinung von mir erfordert hätte – Doch, was sage ich? Die Rede ist nicht von meinen Verdiensten. Ich habe deren nicht genug um darauf zu trotzen, und ich könnte niemahls genug haben, um des Besitzes einer Klementina würdig zu seyn. Auf Ihre Güte, gnädige Markgräfin, auf Ihre Freundschaft, auf Ihr Mitleiden, gründet sich alle meine Hoffnung. Ich liebe Ihre Klementina, liebe sie bis zur Anbetung. Umsonst habe ich versucht, eine Leidenschaft zu besiegen, die eine so englische Vortrefflichkeit zum Gegenstand hat; ich kann ihr bezauberndes Bild nicht aus meiner Seele reissen. Ich kann nicht ohne Ihre Tochter leben, gnädige Frau, es ist unmöglich! Der Tag, der ihre Hand einem andern geben wird, wird der letzte meines Lebens [60] seyn – Sehen Sie diess nicht als die eitle Drohung eines Liebhabers an. Ich kenne mein eigenes Herz. Es hat nie geliebt, ehe es die göttliche Klementina kannte. Aber seit diesem Augenblick ist sie mir mehr als alles. Das Glück, wie verschwenderisch es auch gegen mich gewesen ist, hat nichts für mich gethan, wenn es mir diejenige versagt, für die ich, wenn sie in einer Hütte geboren wäre, einen Thron verlassen wollte, um Armuth und Niedrigkeit mit ihr zu theilen, und in ihren Armen das Glück der Könige zu verachten! – So ist mein Herz, gnädige Frau! So ist meine Liebe! Sie ist mit meiner Seele verwebt. Das Schicksal meiner Liebe wird das Schicksal meines Lebens seyn.

DIE MARKGRÄFIN.

Ich bedaure Sie von Herzen, lieber Graf! – Aber was ist unfruchtbares Mitleiden? Wollte der Himmel, dass ich mehr für Sie thun könnte! – Sagen Sie – sagen Sie mir, was verlangen Sie von meiner Freundschaft? was kann ich für Sie thun?

BELVEDERE.

Alles, gnädige Frau, alles! Mein Glück ist in Ihren Händen. Sie können mir Klementinen geben. Grandison hat sich gegen mich erklärt. Er hat keine Ansprüche. Sie sind in Absicht seiner gänzlich frey. Die theure Klementina hat niemahls einen Abscheu gegen mich bezeigt. Ihr Vorurtheil für einen andern wird den erhabnen Beweggründen der Ehre und Religion Platz machen. Sie hat ein [61] gütiges, ein edles Herz. Wenn die zärtlichste Liebe, die tiefste Ehrerbietung, die lebhafteste Dankbarkeit, wenn alle nur ersinnliche Achtung und die Unveränderlichkeit dieser Gesinnungen ein grossmüthiges Herz rühren können, so darf ich nicht verzweifeln, das ihrige endlich zu gewinnen. Lassen Sie Sich erbitten, gnädige Frau – Reden Sie für mich; unterstützen Sie die Bemühungen des Generals; geben Sie mir Klementinen, und ich werde Ihnen mehr schuldig seyn, als derjenigen, die mir das Leben gegeben hat.

DIE MARKGRÄFIN.

Hören Sie mich, nun auch, mein lieber Graf! Setzen Sie Sich in meine Verfassung, und alsdann sagen Sie mir, was ich thun soll. So parteyisch die Liebe Sie machen muss, so will ich es doch auf Ihren Ausspruch ankommen lassen – Meine Tochter – liebet – den Chevalier Grandison. Warum soll ich verschweigen, was ich nicht verbergen kann? – Sie ist bis zu diesem fatalen Zeitpunkt die Freude meines Lebens gewesen. Ihre Aufführung war so rein, so untadelig, als ihre Seele. Sogar ihre Neigung für diesen allzu liebenswürdigen Fremden verdient keinen Tadel. Ihr ganzes Verbrechen war, dass sie nicht gefühllos war; so wie man Grandison keinen andern Vorwurf machen kann, als dass er alle Vorzüge in sich vereiniget, die einen Mann einer Krone würdig machen könnten – Sie wissen das Übrige. Ach Belvedere! Aber Sie wissen nicht, mit welcher Tugend, [62] mit welcher Grösse der Seele dieses allzu unglückliche Geschöpf einer Leidenschaft entgegen gekämpft hat, die bey andern Umständen ihr Ruhm gewesen wäre! – Es war ein Unglück für sie, dass sie die Flamme so lange verbarg, die ihr schweigendes Herz verzehrte. Noch unglücklicher waren die Massregeln, die man nahm, selbige zu ersticken. Ich mag, ich kann nicht an die entsetzlichen Folgen zurück denken, worein uns ein allzu grosser Eifer für die Ehre der Familie, und die geheimen Absichten einiger Glieder derselben stürzten, und die endlich durch die völlige Verfinsterung des Verstandes meines armen Kindes und die gänzliche Zerstörung der Ruhe unsers Hauses ihren Gipfel erreichten. Die Verzweiflung nöthigte uns zuletzt zu einem Mittel, welches die Klugheit lange zuvor hätte eingeben sollen. Wir baten den Chevalier, uns zu besuchen. Wäre er weniger grossmüthig, so wäre diess die Gelegenheit gewesen, sich wegen der Begegnung zu rächen, die er vor seiner letzten Abreise aus Italien von uns erduldet hatte. Aber er willfahrte uns auf die verbindlichste Art. Er eilte zu uns herüber, und seine Ankunft hat eine Wirkung, die uns nun völlig überzeugen muss, wie nothwendig er zu der Glückseligkeit und selbst zu dem Leben unsers Kindes sey. Er muss nicht mehr von ihr getrennt werden, wenn wir sie nicht auf ewig verlieren sollen. Dieser einzige Beweggrund wäre genug, die Aufopferung aller [63] unserer Bedenklichkeiten zu fordern, wenn auch unsere Dankbarkeit nicht verpflichtet wäre. Aber sagen Sie mir, Belvedere, mit welcher Stirn sollten wir dem Erretter unsers Sohns, dem Manne, der uns unsere Klementina wieder gegeben hat, einem Manne, der durch die grossmüthigste und schönste Aufführung in einer langen Reihe der schwierigsten Umstände sich als einen echten und uneigennützigen Freund unsers Hauses bewiesen hat; mit welcher Stirn sollten wir einem solchen Mann ins Gesicht sehen, wenn wir fähig wären, uns anders gegen ihn zu beweisen, als er von uns zu erwarten berechtigt ist? Es ist kein Zweifel, dass er Klementinen hoch achtet, und eine Verbindung mit uns gehörig zu schätzen weiss. Unsere Pflicht vereiniget sich mit der Nothwendigkeit, wir müssen weichen. – Aber das ist noch nicht alles, Herr Graf! Wir haben eine Hoffnung, deren Erfüllung uns in eine neue Verbindlichkeit, gerecht gegen Grandison zu seyn, setzen, und zu gleicher Zeit den Schritt, den wir thun müssen, vor den Augen der Welt rechtfertigen wird. Es ist unnöthig, Ihnen, diess deutlicher zu erklären. Urtheilen Sie nun, werther Belvedere; setzen Sie Sich in unsere Umstände, sagen Sie mir, was Sie an unserer Stelle thun würden.

BELVEDERE
steht in einer trostlosen Stellung, er schweigt, er seufzt, und heftet seine Augen unbeweglich bald auf den Himmel, bald auf den Boden.
[64]
DIE MARKGRÄFIN.
Reden Sie, Belvedere! sagen Sie mir, was können, was sollen wir thun?
BELVEDERE
fährt, nachdem er eine Zeit lang stumm und unbeweglich gestanden, auf, und sagt mit einer Veränderung des Gesichts, die sich zu seiner Rede schickt.

Ja, Klementina! ich will mich deiner würdig zeigen. Ich will beweisen, dass ich dich mehr als mich selbst liebe. Wenn ich unglücklich seyn muss, so will ich doch den Trost haben, dass ich ein besseres Glück verdienet hatte. Ich will dich ohne Hoffnung lieben, ich will mich selbst aus deinen Augen verbannen; du wirst glücklich seyn, und ich werde in dem Vergnügen dich zu lieben, und in dem Gedanken, dass du glücklich bist, eine Linderung finden, die den kurzen Überrest meines Lebens erträglich machen wird.

DIE MARKGRÄFIN.

Dieser Entschluss ist Ihrer würdig, Belvedere! Entfernen Sie Sich eine Zeit lang; aber überlassen Sie der Zeit nicht alles. Sie ist zwar vermögend die heftigsten Schmerzen zu stillen; aber wo bleibt die Macht der Tugend, die wir in glücklichen Umständen so hoch erheben, wenn sie nicht vermögend ist, der Zeit zuvor zu kommen, und uns diese wahre Grösse der Seele zu geben, die sich mit gesetztem Muthe dem Sturm der Leidenschaften und den Anfällen des Schicksals entgegen stellt?

5. Auftritt
[65] Fünfter Auftritt.
Laura, die Vorigen.

LAURA.
Gnädige Frau, der Markgraf ersucht Sie um Ihre Gegenwart. Er ist in dem Zimmer des Barons.
BELVEDERE.

Ich entferne mich, gnädige Frau. Ich will mich bemühen, mein Unglück wie ein Mann zu ertragen. Ich will noch mehr thun. Der General soll mich (wenns möglich ist) nicht mehr in Bologna antreffen. Seine feurige Freundschaft für mich würde, wenn er mich gesehen hätte, Ihre Unruhe vergrössern, ohne mir helfen zu können.


Er geht ab.
6. Auftritt
[66] Sechster Auftritt.
DIE MARKGRÄFIN
allein.

Der arme Mann! – Ich beklage ihn! Wir hätten ihn und er uns glücklich machen können. – O warum musste doch Grandison nach Italien kommen? Warum musste er der Freund meines Sohns werden? Warum musste Er es seyn, der ihn aus den Händen der Meuchelmörder errettete? Warum musste ihn Klementina sehen? – Aber wie schweife ich aus! Wen klage ich an? – O himmlische Macht, ich verehre dein Schicksal, und schweige! Möchte doch deine Güte so viele Leiden mit einem Ausgang belohnen, der eben so sehr zu deiner Ehre als zu unserer Glückseligkeit gereichte!


Sie geht ab.
7. Auftritt
[67] Siebenter Auftritt.
Der Schauplatz verändert sich in Jeronymo's Zimmer.
Der Markgraf, Jeronymo.
Der Markgraf sitzt in einiger Entfernung von Jeronymo, in einer kummervollen Stellung. Sie schweigen eine Zeit lang; endlich sagt.

DER MARKGRAF.

Mir wird bange, mein Sohn! Ich besorge, sie werden den Chevalier nicht überreden. Er ist ein stolzer Mann und ein hartnäckiger Protestant. – O wozu hat mich dieses Kind gebracht, das der Liebling meines Herzens war! – Armselige Vorzüge! Was ist Adel der Geburt? Was ist hoher Stand? Was ist Reichthum? Was sind alle diese Gunstbezeigungen des Glücks, von denen wir uns in freudigen Tagen dünken lassen, dass sie uns über das Loos der Sterblichkeit erheben? Können sie uns vor Sorgen und Schmerzen, vor den bittersten Kränkungen unsers Stolzes, vor der schimpflichsten Erniedrigung bewahren? – Beklage mich, mein Sohn! beklage deinen Vater, der dahin gebracht ist, den Mann, der an dem Unglück seines Hauses Schuld ist, um dasjenige als eine Gunst zu bitten, was sich ehemahls Fürsten Italiens für eine Ehre geschätzt hätten. Arme, [68] erniedrigte Klementina! – Ich habe Mühe, diese Vorstellungen mit Gelassenheit zu ertragen.

JERONYMO.

Erlauben Sie mir, gnädiger Herr, Sie zu erinnern, dass Sie selbst von der Unschuld und dem untadelhaften Betragen meines Freundes überzeugt sind. Ich gestehe, unser Unglück wäre unerträglich, wenn der Mann, der die unschuldige Gelegenheit dazu ist, nicht Grandison wäre. Aber seine Verdienste, sein Charakter rechtfertigen alles; die Liebe meiner Schwester hört auf, eine Schwachheit zu seyn, und alles, was die Familie für ihn thun kann, ist Gerechtigkeit.

DER MARKGRAF.

Die Freundschaft führet dich zu weit, mein Sohn! Du kannst ihn nicht so sehr erheben, ohne zu vergessen – Doch, ich muss es ja selbst vergessen! – Meine Betrachtungen verwirren mich! Es ist hart, sich von einer gewohnten Grösse so herab gesetzt zu sehen! – Aber mein Entschluss ist genommen: Ich will nicht ungerecht, nicht undankbar seyn!

8. Auftritt
[69] Achter Auftritt.
Die Markgräfin, die Vorigen.

DIE MARKGRÄFIN.
Grandison ist noch nicht da? Ich besorge –
JERONYMO.

Und ich habe alle meine Hoffnung auf die Zärtlichkeit seines Herzens gesetzt. Aber wenn sie fehlschlagen sollte, so erinnern Sie Sich, ich beschwöre Sie bey Ihrer Liebe zu Klementinen und mir, an das was Sie mir versprochen haben!

9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Die Vorigen, Grandison, der Bischof, Pater Mareskotti.
Diese drey kommen mit einander herein, jeder mit einer Miene die, auf eine seinem Charakter gemässe Weise, Verwirrung und Betrübniss ausdrückt.

DER BISCHOF
zu Jeronymo.
Ach, Jeronymo!
JERONYMO.
Ich lese alles in Ihrem Gesicht – Es ist genug!
[70]
DER MARKGRAF.

Setzen Sie Sich, wenn es Ihnen gefällt, Chevalier! Ich muss mit Ihnen von einer Sache sprechen, von der die Ruhe meines übrigen Lebens abhängt. Sie sind unser Freund, ein edler, bewährter Freund. Ich sehe Sie nach allem, was seit zwey Jahren unter uns vorgegangen ist, für ein Mitglied unserer Familie an, gegen welches ich mich ohne Bedenklichkeit frey und offenherzig erklären darf.

GRANDISON.
Sie erweisen mir viel Ehre, gnädiger Herr! Ich bin im Innersten der Seele bekümmert, dass ich –
DER MARKGRAF.

Hören Sie mich zuerst, Herr Grandison, und fragen Sie alsdann Ihr Herz, was Sie thun können. – Sie haben meine Umstände gesehen, als Sie zuerst in mein Haus kamen. Ich war glücklich, das Haupt einer Familie, die sich einiges Ansehens rühmen kann, der Vater von Kindern, die mein Stolz und mein Vergnügen waren. Klementina war das Kleinod unter denselben. Sie haben sie in ihrer Blüthe gesehen, in vollem Glanze der Schönheit, der Jugend und der unbefleckten Ehre. Alle übrigen Vortheile, die wir dem Glück zu danken haben, zogen uns weniger Achtung und weniger Missgunst zu, als der Vorzug, (so nannte es die Welt) Klementinen in unserer Familie zu haben. Wir lebten in der süssesten Eintracht; wir liebten einander; wir waren eines in dem andern glücklich.[71] Wir kannten keinen Kummer, unsere Tage flossen in heitern Freuden dahin, und unsere Aussichten übertrafen unsere Wünsche. So fanden Sie uns, Chevalier, da Sie zum ersten Mahl zu uns kamen! – Und wie haben Sie uns gefunden, da Sie Sich erbitten lassen, uns zum dritten Mahl zu besuchen? – Es sey fern von mir, Ihnen Vorwürfe zu machen, Unsere Bekanntschaft fing sich mit Wohlthaten von Ihrer Seite an. Sie verpflichteten uns, ehe Sie uns kannten. Sie sind in gedoppeltem Verstande der Erretter meines Sohns gewesen. Sie retteten sein Leben und seine Sitten. Sie haben so unter uns gehandelt, wie nur Grandison handeln konnte. Nein, ich kann Ihnen keine Schuld geben! Ich kann weder ungerecht noch undankbar seyn! Ich will nur Ihr Mitleiden erwecken.

GRANDISON.

Mein Mitleiden, gnädiger Herr! Ists möglich, dass Ihnen das Herz Ihres Grandison noch unbekannt seyn kann? Wer bedarf mehr Mitleiden, als derjenige, der sich, ohne dass ihm sein Herz Vorwürfe machen kann, als die fatale Ursache so vieler Trübsale ansehen muss, die er, wenns möglich wäre, gern mit Darbietung seines Lebens, von Ihnen abgewendet hätte?

DER MARKGRAF.

O Grandison! Grandison! Sie wissen nicht, was für Qualen das Herz eines Vaters fähig ist! Aber ich will Ihrer Zärtlichkeit [72] schonen. Sie sehen eine Familie vor Sich, die erst seit Ihrer Ankunft wieder zu leben anfängt. Vollenden Sie Ihr Werk; es ist Ihrer würdig! Geben Sie uns eine Glückseligkeit wieder, die Sie allein uns geben können! Wir haben Verbindlichkeiten gegen Sie, die alle unsere Dankbarkeit übersteigen. Sie können Klementinen unter Ihren eigenen Bedingungen von uns fordern. Aber Sie sind zu grossmüthig, Chevalier, als dass Sie uns nichts aufopfern sollten, da wir geneigt sind, alles für Sie zu thun. Überwinden Sie Ihren Stolz, entsagen Sie den Vorurtheilen Ihrer Erziehung, werden Sie ein Katholik, und Sie sollen in Klementinen und mit Klementinen einen Schatz bekommen, der Ihrer würdig ist. Was ich ehemahls aus Nothwendigkeit gethan hätte, will ich jetzt aus Bewunderung für Ihre Tugend thun. Theurer Grandison, lassen Sie Sich erbitten! Ich will stolz darauf seyn, Sie meinen Sohn zu nennen! Sie sollen mir lieber seyn, als diejenigen, die das Leben von mir empfangen haben! Sie werden meine Klementina glücklich machen, Sie werden uns alle glücklich machen, und Sie werden es selbst seyn!

GRANDISON
mit Wehmuth.
Gnädiger Herr –
DER MARKGRAF.
Ich getraue mir nicht, Ihre Antwort zu erwarten. Bedenken Sie Sich, Chevalier, bedenken Sie Sich!

Er geht ab.
10. Auftritt
[73] Zehnter Auftritt.
Die Vorigen

JERONYMO.
Ists möglich, Grandison! Sie können Klementinen lieben, und so unerbittlich seyn?
GRANDISON.
Und auch Sie, mein Freund? auch Sie durchbohren mein Herz!
JERONYMO.

Liebster Grandison! ich weiss, dass die Einwendungen, die Sie wider unsere Religion haben, nicht unumstösslich seyn können.

PATER MARESKOTTI.

Gewiss sind sie es nicht. Es ist unmöglich, die Gründe umzustossen, die Sr. Eminenz der Bischof und ich dem Chevalier vorgelegt haben.

GRANDISON.

Sie glauben diess, Herr Pater Mareskotti! Die Überzeugung ist etwas, das nicht von unserm Willen abhängt. Lassen Sie uns, ich bitte Sie, nicht weiter davon sprechen.

JERONYMO.

O Grandison, was für eine Glückseligkeit opfern Sie Ihren Bedenklichkeiten auf! Sie wissen nicht, nein, Sie wissen nicht, was Sie aufopfern. Sie verhärten Sich gegen alles, was das unempfindlichste Herz zerschmelzen könnte. – Mit einer Lebhaftigkeit, worin Ungeduld [74] und Unwillen merklich ist. Und müssen wir denn alle vergeblich flehen?

GRANDISON.

Kann mein Jeronymo gegen seinen Grandison ungerecht seyn? Wenn es möglich wäre, daß meine Seele in einem Entschluss wankend gemacht würde, der die Folge der unveränderlichsten Überzeugung ist, so müsste ich der verworfenste unter den Menschen seyn, wenn ich gestattete, dass so verehrungswürdige Personen, als diese vor mir, sich herab liessen mich zu bitten.

DIE MARKGRÄFIN.

Sagen Sie nichts von Herablassung, Chevalier! Was wollte ich nicht thun, Sie zu erbitten! – Sie haben keine Mutter mehr, Grandison! Mit welcher Entzückung, mit welchem Stolze wollte ich Sie als meinen Sohn umarmen, wenn Sie es auf diejenige Art seyn wollten; die uns allein glücklich machen kann!

GRANDISON.

Verehrungswürdigste Dame! lassen Sie mich zu Ihren Füssen um Ihr Mitleiden flehen. Hören Sie auf, mich durch eine Grossmuth, eine Gütigkeit zu ängstigen, die meine Seele zur Verzweiflung treibt, weil ich sie nicht nach Ihren Wünschen verdienen kann. Bedenken Sie, gnädige Frau, was Sie von mir fordern. Es ist nicht in meiner Gewalt, Ihre Wünsche zu erfüllen. Glauben Sie mir, da Sie mich fähig sehen, in diesem Augenblick alles [75] zu verläugnen, was meinem Herzen am theuersten ist. Hätte ich Kronen, hätte ich alle Schätze der Welt, und ich müsste sie für Klementinen geben, ich würde sie für Staub achten. Mein Gewissen ist das einzige, was ich nicht aufopfern kann. Fordern Sie (diesen einzigen Punkt ausgenommen) was Sie wollen; ich bin bereit, jede andere Bedingung einzugehen.

DIE MARKGRÄFIN.

Stehen Sie auf, Chevalier! Ich sehe, dass es vergeblich wäre, einen Mann, wie Sie, erbitten zu wollen. Stehen Sie auf! – Und so ist denn unser Verhängniss, ohne Rettung elend zu bleiben? So kann Klementina nicht die Ihrige seyn?

GRANDISON
etwas heftig.

Nein! – Niemahls, niemahls ist ein Mensch in einem grausamern Zustande gewesen, als ich. Ich hoffte, nicht verdient zu haben – Vergeben Sie mir, gnädige Frau! Aber warum wollen Sie doch nicht bedenken, wie ungleich die Bedingungen sind, die Sie mir auflegen, und diejenigen, die ich vorschlage? Sie bieten mir mit Ihrer Klementina eine Glückseligkeit an, die meine kühnsten Hoffnungen übersteigt, und nehmen mir alles wieder, da Sie die Aufopferung meiner Ehre und meines Gewissens fordern. Es thut mir leid, (erlauben Sie mir, es zu sagen) dass man geglaubt hat, die unschätzbare Klementina werde durch die Reichthümer, die man mir mit ihr [76] verspricht, einen höhern Werth in meinen Augen erhalten. Ich bin weit über diese Art von Versuchung hinweg gesetzt. Die Vorsehung hat mir Vermögen gegeben, andere glücklich zu machen; ich bin zufrieden. Klementina allein ist, nachdem ich zu einem so stolzen Wunsch aufgemuntert worden bin, der Gegenstand meiner Wünsche. Geben Sie mir, Klementinen, und lassen Sie mir meine Religion, so wie ich ihr die ihrige lassen werde, und ich werde der glücklichste unter allen Sterblichen seyn. Ich würde die Vorschläge, die ich Sr. Eminenz, dem Bischofe, gemacht habe, nicht gemacht haben, wenn ich nicht von ihrer Billigkeit überzeugt wäre; und ich bin genöthigt, Ihnen zu sagen, dass dasjenige, wozu ich mich erbiete, mehr ist als ich thun wollte, die Erbin eines Königreichs zu erhalten.

DER BISCHOF.

Es wäre ungerecht, dem Chevalier Vorwürfe zu machen. Es ist sein Unglück und das unsrige, dass seine Irrthümer so tief in seine Seele eingewurzelt sind. Ich sehe, wir werden diesen Punkt aufgeben müssen, obgleich unsere Ehre, unsere Ruhe und unsere Sicherheit für Klementinens Seele an demselben hängt.

GRANDISON.

Ich hoffe, gnädiger Herr, meine Ehre sey zureichend, Sie gegen alles sicher zu stellen, was Sie wegen der Gräfin Klementina befürchten. Sie soll, wenn sie die [77] Meinige ist, eben so frey und ungestört in der Ausübung ihrer Religion seyn, als sie in dem väterlichen Hause gewesen ist. Die gleiche Gesinnung, welche mir verbeut, wider meine Überzeugung zu handeln, verbeut mir, andere in der ihrigen zu beunruhigen.

11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Kamilla, die Vorigen.

KAMILLA.

Die Gräfin Klementina bezeigt ein Verlangen, den Herrn Grandison zu sprechen. Sie ist einige Stunden lang sehr trübsinnig gewesen. Ihr Herz schien beklemmt, sie gab keine Acht auf meine Fragen; aber ihre Gesichtszüge verriethen, daß ihre Seele in einer grossen Bewegung war. Sie schloss sich endlich in ihr Kabinet ein. Ich hörte sie seufzen. Ich näherte mich unbemerkt, und sah durch die Thür, dass sie auf ihren Knieen lag, und ihr Gesicht zwischen ihren ausgebreiteten Armen auf einen Lehnstuhl verbarg. Endlich hob sie die Augen auf, sah einige Minuten unbeweglich gen Himmel, und schien zu lauschen, als ob sie eine Stimme hörte. Hernach stand sie auf, kam mit einer feierlichen Heiterkeit in ihrem Gesichts [78] heraus, und befahl mir, den Chevalier zu suchen. Ich sagte ihr, dass er bey ihrem Bruder, dem Baron, sey. So will ich selbst zu ihm gehen, war ihre Antwort. Ich eilte ihr also zuvor, zu sehen, ob Herr Grandison noch hier sey.

DIE MARKGRÄFIN.

Sie erwartet ohne Zweifel, den Chevalier bey ihrem Bruder allein zu finden. Wir wollen uns entfernen.

PATER MARESKOTTI.

Mir ahnet etwas von dem, was sie mit ihm sprechen will. Vielleicht bedient sich die Gnade dieses Mittels – O Chevalier, der Himmel sendet einen Engel zu Ihnen!


Die Markgräfin, Pater Mareskotti, der Bischof und Kamilla gehen ab.
12. Auftritt
[79] Zwölfter Auftritt.
Grandison, Jeronymo, Klementina.

GRANDISON.

Sie kommt. Wie sehr gleicht sie wirklich einem sichtbar gewordenen Engel, der in göttlichen Geschäften zu den Sterblichen kommt! O Himmel, gieb mir in diesem Augenblick deine Stärke, da ich fühle, dass mich die meinige verlässt!

KLEMENTINA.

Ich suchte Sie, Chevalier; ich bin erfreut, Sie hier anzutreffen. Setzen Sie Sich! Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit zu Ihnen – Schliessen Sie nichts daraus, dass ich Sie suche. Sie sind mein Bruder, das wissen Sie. Meine Ältern befehlen mir, Sie so zu nennen. – Es war eine Zeit – erinnern Sie Sich dessen noch? – da man mir befahl, Sie in einem noch nähern Lichte zu betrachten. Ich widersetzte mich umsonst. Ich bat meine Mutter auf meinen Knieen, ich beschwor sie, mir eher den Tod zu geben. Und doch liebte ich Sie, Chevalier! – Ich erröthe nicht, es zu gestehen – Aber ich liebte meinen Gott noch mehr! Ihm, ihm wollte ich in einer heiligen Freystätte, einsam und vor dem Anblick der Welt beschützt, den Überrest eines traurigen Lebens widmen. Aber man hörte mich nicht. [80] Sie wurden von Wien nach Bologna zurück gerufen. Niemand ausser mir zweifelte daran, dass Sie, durch das Ihnen angebotene Glück (so nannte man es) verblendet, Sich das Opfer gefallen lassen würden, das man von Ihnen forderte. Ich allein zweifelte; denn ich kannte Sie. Reichthümer können eine Seele, wie die Ihrige ist, nicht verblenden. Der Adel unsers Hauses, auf den wir vielleicht zu stolz sind, konnte wenig über einen Mann vermögen, der in seinem Vaterlande nicht minder edel ist, und der (wie ich wusste) auf dieses Vaterland stolz war. Sollten also die Verdienste der armen Klementina mächtiger gewesen seyn, Sie zu rühren? Nein, Chevalier, Sie waren es nicht. Ich hatte es nicht erwartet. Sie schlugen mich aus; ich vergebe es Ihnen. – Sie sehen, dass ich mich des Vergangenen noch erinnere. Dank sey dem Himmel, dass ich es wieder kann, ob mir gleich der wieder aufgehende Tag eine entsetzliche Rücksicht in die Finsternisse giebt, worin ich verirret gewesen bin. – Aber wozu sage ich Ihnen diess alles? – Ja, Sie sehen, dass ich über alle eigennützige Absichten erhaben bin. Ich wollte Ihnen zeigen, dass ich einen höhern Beweggrund haben muss, weil ich Sie selbst gesucht habe. Eine himmlische Stimme befahl es mir. Konnte ich ungehorsam seyn?

GRANDISON.
Theuerste Gräfin Klementina –
[81]
KLEMENTINA.

Machen Sie mir keine Einwendungen, Chevalier! Der Himmel bedient sich oft schwacher Werkzeuge zu grossen Absichten – Aus der Säuglinge Mund – Erinnern Sie Sich dieser Stelle nicht? O Grandison! Diese Welt! Was ist diese Welt? Welch ein eitler, nichtiger Traum! Sehen Sie, Chevalier, sehen Sie an mir, was diese Welt ist! Es war eine Zeit, da mir von jedermann geschmeichelt wurde, da ich bewundert wurde, da ich lauter schöne Tage sah, lauter glänzende Aussichten rings um mich her – Nun ist alles vorbey, schon lange ist alles vorbey, und ich beklage mich nicht. Sie sehen, dass ich heiter und gelassen bin. Aber – Erinnern Sie Sich dessen, was ich gesagt habe. Verschmähen Sie die Wahrheit nicht, weil sie aus dem Munde eines unschuldigen Mädchens redet, welches Sie verschmähet haben! – Es kommt eine Zeit, da diese Welt nichts in unsern Augen ist. O Grandison! Dort, dort, Sie steht auf, indem sie dieses sagt, und zeigt mit ihren Augen und mit der rechten Hand gen Himmel. dort wird entschienen, was wir in dieser Welt gewesen sind. Stossen Sie den Himmel nicht von Sich! Ihre Irrthümer sind die Wolken, die ihn vor Ihren Augen verbergen. Aber Ihr Herz, Ihr Herz kann diese Wolken zerstreuen. Der Verstand irret nur, weil das Herz den Irrthum liebt. Stellen Sie Sich vor, Chevalier, dass ich gestorben bin, – ich werde vor Ihnen in die [82] Unsterblichkeit hinüber gehen – und dass ich jenseits des Grabes stehe, und Ihnen rufe, und Sie vermahne, Ihre Seele zu retten! – Was antworten Sie mir? – Sie schweigen, Chevalier? Sie sind traurig? Thränen laufen über Ihre Wangen? Habe ich Sie ge rührt? O möchte ich Sie gerührt haben! Mit welcher Freude wollte ich mein Leben hingeben, Ihre Seele zu retten!

JERONYMO
weinend.
O Grandison, Grandison! Wenn das Sie nicht rühren kann – Ich kann es nicht aushalten.
GRANDISON
mit einer Miene und Geberde, die den höchsten Grad von Zärtlichkeit und Wehmuth ausdrückt.
Allzu rührender Engel! – Erlauben Sie – Erlauben Sie, mich einen Augenblick zu entfernen!

Er eilt weg.
13. Auftritt
[83] Dreyzehnter Auftritt.
JERONYMO
ruft Grandison mit einer halb erstickten Stimme nach.

Wohin gehen Sie, mein Freund? O bleiben Sie, bleiben Sie! Widerstehen Sie dem Eindruck nicht, den dieses liebenswürdige Geschöpf auf Ihr Herz gemacht hat – Er ist fort. Nahmenlose Angst, mit der zärtlichsten Sehnsucht vermischt, war auf seinem Gesicht. Was muss er leiden, wenn es ihm unmöglich ist, sich zu ergeben, – auf so herzrührende Vorstellungen, aus dem Munde derjenigen, die er liebt!

KLEMENTINA
sitzt indessen, dass Jeronymo spricht, mit dem Kopf auf den Arm gestützt, in einer melankolischen Stellung.

Auf einmahl fährt sie zurück, und ruft. Wo ist der Chevalier? Ist er fortgegangen, Jeronymo? Warum ging er fort? – Was habe ich gesagt? – Ach Bruder! er ist auf mich erzürnt – Ich habe ihn beleidigt. Er weinte, er sah mich mit einem Blick an – Himmel! welch ein Blick war das! Und er ging fort. Begreifst du das, lieber Bruder? Sage mir die Wahrheit: habe ich etwas gesagt, das ihn beleidigen konnte?

[84]
JERONYMO.

Ihn beleidigen? Liebste Schwester, du hast nichts gesagt, du kannst nichts sagen, das ihn beleidige. Der Chevalier betet dich an, Klementina, er liebt dich wie seine Seele. Er wird bald wieder zurück kommen. Vielleicht schämte er sich, sehen zu lassen, wie sehr er gerührt war.

KLEMENTINA.

Du schmeichelst mir, liebster Bruder – Oder glaubst du wirklich, dass der Chevalier mich liebt? – Aber was hälfe es ihm? Er würde unglücklich seyn, und ich wär es gedoppelt. – Und doch ist es tröstend für mein Herz, zu denken – Weg! angenehmer Betrug! – Ich will gehen, Jeronymo! Ich getraue mir nicht seine Wiederkunft zu erwarten. Ich will zu unsrer Mutter gehen – Nein! – ich will in den Garten gehen. Ich will allein seyn. Meine Gesellschaft verbreitet Traurigkeit über alle, die mich sehen – O, warum kann ich nicht allein unglücklich seyn!


Sie geht ab.
14. Auftritt
[85] Vierzehnter Auftritt.
Jeronymo, Grandison.

JERONYMO.

Kommen Sie, liebster Freund; fürchten Sie nicht, dass ich Ihnen Vorwürfe mache, Mein Herz blutete für Sie, da ich sah, was es Ihnen kostete, der zaubernden Beredsamkeit dieses holdseligen Geschöpfes zu widerstehen. Ich bewundere die Grösse Ihrer Seele. Nach dieser letzten Probe, die Sie ausgehalten haben, müssen Sie keiner andern ausgesetzt werden.

GRANDISON.
Wo ist sie, Jeronymo, wo ist die theure Heilige?
JERONYMO.

Sie wollte nicht warten, bis Sie zurück gekommen wären. Vielleicht getrauete sie sich nicht, sich in der stillen Grösse zu erhalten, zu der sie sich empor geschwungen hatte.

GRANDISON.

Ich sehe sie noch vor mir; ihre reitzende Stimme tönt noch in meinen Ohren – Jedes Wort, das sie aussprach, jeder gütige Blick, womit sie es begleitete, war ein feuriger Pfeil, der meine Seele durchdrang! – Ach Klementina! es ist einer andern Welt vorbehalten, uns glücklich zu machen! – Reden Sie [86] mir nicht mehr von Hoffnung, Jeronymo! Mein Herz weissagt mir einen traurigen Ausgang –

JERONYMO.

Weder Sie noch Klementina wissen, was ich für Sie gethan habe. Verzeihen Sie mir, mein Freund, dass ich mich mit den übrigen vereinigte, Sie zu quälen. Ich war dazu genöthigt. So sehr ich wünschte, dass Sie in Ansehung der Religion weniger standhaft wären, so habe ich doch niemahls gehofft, dass Sie es weniger seyn würden. Ich kannte Sie zu wohl! Aber eher wollte ich sterben, als zugeben, dass meine Schwester noch einmahl von Ihnen getrennet würde! Es wird nicht geschehen, mein Freund! Ich habe schon alles vorbereitet. Meine Mutter ist sehr für Sie eingenommen; es war nicht schwer, sie zu erbitten. Wir verlassen uns auf Ihre Ehre, liebster Grandison! Klementina soll unter Ihren Bedingungen die Ihrige seyn. Selbst der Pater Mareskotti fängt an, sich für Sie zu erklären. Ich fürchte niemand als meinen Bruder, den General. Er vermag viel über meinen Vater; er fühlt das Ansehen, das ihm die Erstgeburt in der Familie giebt; er ist stolz und ungestüm; aber sein Herz ist edel. Er wird meinen Gründen und meinen Bitten nachgeben. O wie glücklich werden wir dann alle seyn! Wie wird meine Seele frohlocken, wenn ich eine Schwester und einen Freund vereiniget sehe, die alles sind, was mir in der Welt am theuersten ist!

[87]
GRANDISON.

Ach, Jeronymo! Sie hoffen – weil Sie mich lieben; aber ich besorge, Sie hoffen umsonst. Ich kann diese traurigen Ahnungen nicht unterdrücken – Meine Seele ist umwölkt – Ich muss mich entfernen.

JERONYMO.

Bey Ihrer Zurückkunft, mein Freund, werden Sie sehen, dass ich nicht umsonst gehofft habe. Meine Liebe für Sie soll in dieser Zwischenzeit nicht müssig seyn. Kommen Sie nur bald zurück, Ihre Klementina von der Hand eines Bruders anzunehmen, der keiner andern Glückseligkeit mehr fähig ist, als sich an der Ihrigen zu erfreuen.


Ende des dritten Aufzugs.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
KLEMENTINA
allein.

Aus was für einem fürchterlichen Traume bin ich erwacht! Wie sehr hat sich alles verändert! Ich habe Mühe zu erkennen, wer ich bin und wo ich bin! – Sie erheben alle den Chevalier in die Wette; sie werden nicht müde Gutes von ihm zu sagen; sie sprechen von seiner Liebe zu mir; sie billigen den Vorzug, den ihm mein zu leicht gerührtes Herz gegeben hat. Was bedeuten diese Veränderungen? – Sollten sie sich entschliessen können? – Nein, sie können nicht, sie werden nicht! – O du allzu schwaches, verkehrtes, voreiliges Herz! Was pochest du? Was für Wünsche – Wünsche, die du nicht wagen, darfst, dir selbst zu zeigen – Und wie, ach wie wirst du sie demjenigen zeigen dürfen, vor dessen heiligen Augen die scheinbarste Tugend unrein ist? – Unglückliche, betrogene Klementina! du hieltest dich für unschuldig; du nährtest eine Neigung in deiner Brust, die du für rein, für [89] untadelhaft hieltest, weil sie den liebenswürdigsten unter den Menschen zum Gegenstand hatte. Mit Entzückung, mit stillem Triumfe hörtest du sein Lob, die Billigung deiner geheimen Leidenschaft, aus jedem Munde! – Betrügerische Einbildungen! – Was ich für unschuldige Neigung hielt, war Verbrechen. Der erzürnte Himmel fällte sein Urtheil über mich! – Was für ein verkehrtes Geschöpf musste ich seyn, um eine solche Strafe verdient zu haben! – Doch nenne es nicht Strafe, Unglückliche! Es war Wohlthat; es war eine Hand aus den Wolken, die dich von dem Abgrunde zurück riss, in den du, mit verblendeten Augen, auf dem sanften Irrwege der Liebe und der irdischen Freude, Gefahr liefest auf ewig hinab zu stürzen. – O fliehe, fliehe! Alles ist Bezauberung um dich her; alles ist Gefahr und Verführung und Verderben! Fliehe, unglückliche Klementina, fliehe die Liebe, die Welt, dich selbst! – Himmel! Wen sehe ich? – Grandison? –

2. Auftritt
[90] Zweyter Auftritt.
Grandison, Klementina.

KLEMENTINA.
O Chevalier, in was für einem Augenblick kommen Sie!
GRANDISON.

Endlich, theuerste Gräfin, endlich ist es Ihrem Grandison erlaubt zu reden. Die gütige Aufmunterung Ihrer Familie erlaubt mir, meine Wünsche zu ihrer geliebten Klementina zu erheben. Alle Schwierigkeiten sind gehoben. Ich darf Ihnen sagen, wie sehr ich Sie verehre, und es steht nur allein in Ihrer Macht, den Ausspruch zu thun, ob der zärtlichste und dankbarste unter den Menschen auch der glücklichste seyn soll?

KLEMENTINA.
Was sagen Sie mir, Chevalier? – Ists möglich? – Sie kommen von meinen Ältern?
GRANDISON.

Ich komme von ihnen. Der Bischof, Ihr Jeronymo und der Pater Mareskotti waren zugegen. Die feurige Freundschaft des zärtlichen, des grossmüthigen Jeronymo hat alle zu meinem Vortheil eingenommen. Sie haben mir erlaubt, unter den Bedingungen, die ich vor meiner letzten Abreise vorgeschlagen, mich um die grösste Glückseligkeit zu bewerben, die ein [91] Sterblicher diesseits des Himmels sich wünschen kann. Darf ich hoffen, gnädige Gräfin, nachdem ich auf eine so grossmüthige Art mit dem Beyfall Ihrer Ältern beehret worden, dass die vortreffliche Klementina nicht minder gütig gegen einen Mann seyn werde, der sich bestreben wird, durch alle Handlungen seines Lebens eine Liebe und Dankbarkeit zu beweisen, die zu gross ist mit Worten ausgedrückt zu werden?

KLEMENTINA.

Wie willig, wie allzu willig ist mein Herz, Ihnen zu glauben! – Es ist nun in meiner Macht, sagen Sie, den Chevalier Grandison glücklich zu machen? – Wollte der Himmel, es wäre in meiner Macht! Wollte der Himmel, ich könnte Sie glücklich machen! Wer würde es besser, sorgfältiger, freudiger thun als ich? – Aber ich bin nicht zu einer so schönen Bestimmung auserwählt! – Mein Herz ist sehr beunruhigt, Herr Grandison, mehr als ich Ihnen sagen kann! Ich fühle den ganzen Umfang der Verbindlichkeiten, die wir Ihnen haben, die ich Ihnen besonders habe – und diess Gefühl vollendet mein Elend.

GRANDISON.

Kränken Sie mich nicht, theuerste Gräfin, durch die Erwähnung von Verbindlichkeiten. Was habe ich anders gethan, als dem Rufe der Freundschaft folgen, welchem ein jeder von Ihrer Familie, in gleichen Umständen würde gefolget haben? Und gesetzt, es wäre in [92] meiner Macht gewesen, Sie zu verbinden, so ist es in der Ihrigen –

KLEMENTINA.

Hier ist meine Schwierigkeit, Herr Grandison! Sie können nicht belohnt werden – Ich kann Sie nicht belohnen. – Sehen Sie mich nicht mit dieser zärtlichen Traurigkeit an! – Meine Seele leidet nur zu sehr unter dem Gedanken, dass ich Sie nicht belohnen kann! – Wie soll ich Ihnen beschreiben, was in meinem Gemüthe vorgeht? Meine Pflicht gegen Gott, gegen meine Ältern, – meine Dankbarkeit gegen Sie – Aber ich kann noch nicht von dieser Sache reden. Ich wünschte gross zu handeln. Sie haben mir ein Beyspiel gegeben, Herr Grandison!

GRANDISON.

Theuerste Klementina, Sie erschrecken mich! Was bedeutet dieser feierliche Ernst, und diese Reden, die irgend ein trauriges Geheimniss zu verhüllen scheinen? Warum sollte es nicht in Ihrer Macht seyn, mich glücklich zu machen? – Das Beyspiel, dessen Sie erwähnen, kann keines für Sie seyn. Die Umstände sind ganz verschieden. Es wird nichts von Ihnen gefordert, was Ihr Gewissen nicht erlauben könnte zu bewilligen. Sie werden, wenn Sie die Meinige sind, in Ausübung Ihrer Religion völlige Freyheit behalten. Ich verehre Ihre Frömmigkeit, gnädige Gräfin, und die Ruhe Ihrer Seele ist so wichtig für mich, als die Ruhe der meinigen.

[93]
KLEMENTINA.

Grossmüthiger Mann! was soll ich Ihnen sagen? – ich, die nicht weiss, was ich mir selbst sagen soll! Aber ich habe angefangen alles aufzuschreiben, was mir über diese wichtige Sache beygefallen ist. Ich darf meinem Gedächtniss nicht trauen – auch meinem Herzen nicht! Ich will fortfahren, meine Gedanken aufzuschreiben –

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Laura, die Vorigen.

LAURA.
Gnädige Gräfin, der Herr General ist angelangt.

Sie geht wieder ab.
KLEMENTINA.

Er wird betroffen seyn, dass Sie schon hier sind, Herr Grandison! Er wird Ihnen vielleicht – Ach! von wie vielen Übeln bin ich die unglückselige Ursache gewesen! Ich habe Ihnen Unruhe gemacht; ich habe meine Ältern gekränkt, die besten, die gütigsten Ältern! ich bin eine Plage aller gewesen, die mir angehören! es ist billig, dass ich leide! – O Chevalier, es ist eine grosse Veränderung mit mir vorgegangen, seitdem Sie hier sind. Vorher war mir sehr schlimm; aber ich fühlte nicht den ganzen Umfang meines Unglücks! – Ich [94] verlasse Sie, um meinen Bruder zu sehen, bevor er Sie siehet. Ich zittre vor seiner Hitze –

GRANDISON.

Besorgen Sie nichts, gnädige Gräfin; ich habe mehr Gelegenheit gehabt, meine Hitze zu bezähmen, als der General. Ich werde gelassen, und Er wird nicht unbillig seyn.


Klementina geht ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
GRANDISON
allein.

Was für ein neues Gewölk zieht sich in ihrer Seele auf? So viel Bedeutung, so eine erhabne Schwermuth in ihren Augen! – Sie schien zu fürchten, dass ich mehr in ihren Augen lesen möchte, als sie mir sagte; aber ich habe nur zu viel darin gesehen! – Wunderbares Verhängniss! Kaum geht mir endlich ein Schimmer von Hoffnung auf, so verschwindet er wieder, und lässt mich in einer marternden Ungewissheit zurück! – O Glückseligkeit! schöner Nahme! du wohnest nicht unter dem Monde. Mit erhitztem Verlangen verfolgen wir dich; wir glauben dich zu berühren, und umfassen einen Schatten. – Ich will zu Jeronymo gehen. Die Tröstungen eines Freundes – Aber hier ist der General! Klementina hat ihn verfehlt, wie ich sehe.

5. Auftritt
[95] Fünfter Auftritt.
Der General, Grandison.

DER GENERAL.

Ihre Ankunft in Bologna, Herr Grandison, hat Wunder gewirkt, höre ich. Wir sind Ihnen sehr verbunden; und Sie haben Ursache stolz darauf zu seyn, dass Sie Sich in einer Familie, wie die des Markgrafen von Porretta ist, so wichtig haben machen können.

GRANDISON.

Wenn ich auf etwas stolz seyn könnte, Herr General, so wäre es auf mein Herz. Es ist unglücklich für mich, dass Sie in dieser ganzen Zeit von Bologna entfernt gewesen sind, in welcher Ihre schärfste Aufmerksamkeit auf mein Betragen meine beste Rechtfertigung gewesen wäre. Erlauben Sie mir aber Ihnen zu sagen, dass ich Ansprüche an Ihre Hochachtung mache, weil ich mir bewusst bin, dass ich sie verdiene, und dass ich keine andere Ansprüche zu machen habe, so lange jemand in der Familie ist, der mich der seinigen unwürdig hält.

DER GENERAL.

Sie reden wie man es von einem Mann erwarten kann, der von dem Triumf aufgeschwollen ist, den er über Leute erhalten hat, die in der That nicht geboren waren, unter [96] den Ritter Grandison herab gedemüthiget zu werden. Ich weiss nicht, was für ein Taumel von fanatischer Dankbarkeit meine Verwandten bethört. Aber das weiss ich, dass ich keine von den schwindlichten Seelen bin, – die sich durch den Schein einer schwülstigen Grossmuth zu Boden blenden lassen. Erwarten Sie keinen Dank von mir, Herr Grandison! Oder soll ich Ihnen dafür danken, dass Sie durch die Künste einer angenommenen Uneigennützigkeit, und einer in Freundschaft verkleideten Liebe, das Herz meiner Schwester erschlichen, dass Sie die liebenswürdigste junge Dame Italiens in eine Leidenschaft verstrickt haben, die ihren Ruhm befleckt, ihren Verstand verwirrt, und die Ruhe ihres Lebens vernichtet hat? Soll ich Ihnen dafür danken, dass Sie dieses unglückliche Geschöpf und ihre noch unglücklichern Verwandten zum Spott und zur Fabel der Welt gemacht haben? – Wahrhaftig! wir haben grosse Ursache, unsre Verbindlichkeiten gegen den Chevalier Grandison durch irgend eine ausserordentliche That zu erkennen; und es fehlt nichts, als durch die Vermählung der Klementina von Porettta mit ihm die ganze Welt zu überzeugen, dass sie ihre Krankheit der ganzen Familie mitgetheilt habe.

GRANDISON.

Herr General! Sie mögen meiner Gelassenheit bey Ihren Beleidigungen eben so leicht als meinen übrigen Handlungen [97] Beweggründe leihen, die mich verunehren, aber ich bin entschlossen, gelassen zu bleiben. Ihre Vorwürfe verdienen keine Antwort. Ich sehe, dass Sie von einer Leidenschaft getrieben werden, die Ihnen nicht erlaubt gerecht zu seyn. Sie werden mich entschuldigen, wenn ich mich hinweg begebe. Eine umständliche Unterredung mit Ihrem Herrn Bruder, dem Bischofe, wird das beste Mittel seyn, Sie zu Sich selbst zu bringen.

DER GENERAL.

Glauben Sie mich mit dieser angemassten Erhabenheit zu täuschen, weil sie Ihnen vielleicht bey Ungeübtern, als ich bin, gelungen ist? Ihre Gegenwart ist hier nöthig, Herr Grandison! Ich verlange nur eine Antwort auf eine einzige Frage: Unterstehen Sie Sich in meiner Gegenwart zu bekennen, dass Sie Ansprüche an meine Schwester haben?

GRANDISON.

Wenn es Ihnen gefallen wird, Herr General, auf eine Art zu fragen, die einer Antwort würdig ist, so sollen Sie eine Antwort erhalten.

DER GENERAL.

Dieser Übermuth ist nicht auszustehen – Doch ich will mir Gewalt anthun. Ich erinnere mich, dass Sie der Erretter meines Bruders gewesen sind – Aber der Gedanke, dass Sie meine Schwester und die ganze Familie, die durch Sie verunehret worden, im Triumf aufführen sollen, ist mir unerträglich.

[98]
GRANDISON.

Und ich erkläre Ihnen, mein Herr, dass mir diese Sprache unerträglich zu werden anfängt. – Wie verächtlich macht eine blinde Leidenschaft die edelsten Menschen!

DER GENERAL.
Ich bediene, mich solcher Reden, die man durch Thaten erklärt.

Er greift an den Degen.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Der Bischof, die Vorigen.

DER BISCHOF.

Was für ein heftiger Wortwechsel? – Wie? mein Bruder? – Grandison? – Halten Sie ein, Bruder; Sie vergessen, wen Sie vor Sich haben, und in wessen Hause Sie sind.

GRANDISON.

Ich überlasse Ihnen den Herrn General, gnädiger Herr! Er hat nöthig, zu sich selbst gebracht zu werden. – Ich werde mich nicht weit entfernen, Herr General.


Er geht ab.
7. Auftritt
[99] Siebenter Auftritt.
Der Bischof, der General.

DER BISCHOF.

Mässigen Sie Ihre Hitze, Bruder! Sie wissen, wer Grandison ist, Sie wissen, was wir ihm für Verbindlichkeiten haben, und Sie begegnen ihm so? In Wahrheit. Sie bedenken nicht, in was für neue Schwierigkeiten Sie uns verwickeln.

DER GENERAL.

Sie werden die Heftigkeit meiner Gemütsbewegung besser begreifen, wenn ich Ihnen sage, dass ich eben itzt von dem Grafen von Belvedere komme. Er war im Begriff, sich selbst aus Bologna zu verbannen. Der Zustand, worin ich ihn fand, war mehr als es bedurfte, meinen lange gesammelten Groll gegen diesen Grandison bis zum Unsinn zu entflammen. Ich erkläre Ihnen, Bruder –

DER BISCHOF.

Ich bitte Sie, erklären Sie Sich nicht, ehe Sie wissen, wie weit die Sachen gekommen sind, und was für Gründe unsern Entschluss gelenkt haben.

DER GENERAL.

Ich hoffe, ich habe mich des Rechts nicht verlustig gemacht, meine Meinung zu Angelegenheiten zu sagen, welche die Ehre und die Ruhe einer Familie betreffen, in [100] der ich der Erstgeborne bin. Die Sachen mögen gekommen seyn, wohin sie wollen; ich habe dem Grafen von Belvedere mein Wort gegeben, und ich will es gehalten wissen! Er ist von der ganzen Familie aufgemuntert worden; alle Gründe sind für ihn. Der blosse Gedanke, dass ein Fremder, ein Mann von geringerm Stande, ein Engländer, ein Protestant, der Ne benbuhler des Grafen von Belvedere um Klementina von Poretta seyn soll, und – verfluchter Unsinn! ich schäme mich es zu sagen! – dass er ihm vorgezogen werden soll – Ich sage Ihnen, es ist unerträglich nur daran zu denken! – Aber beym Himmel! so lange noch Athem in mir ist, soll Belvedere nicht aufgeopfert werden!

DER BISCHOF.
Und doch werden Sie Sich entschliessen müssen, entweder ihn oder Ihre Schwester aufzuopfern.
DER GENERAL.
Meine Schwester? – Ich will keine Schwester haben, die den Nahmen beschimpft, den sie trägt.
DER BISCHOF.

Reden Sie nicht so ungerecht von Klementinen. Sie ist ein unschuldiges, edles Geschöpf. Sie ist es mitten in der äussersten Verfinsterung ihrer Vernunft geblieben. Sie hat nichts gethan, das einen billigen Vorwurf verdiente. Und ich bitte Sie, Bruder, vergessen Sie nicht, dass wir noch einen Vater und eine Mutter haben. Der Markgraf ist entschlossen, [101] seine Tochter nicht aufzuopfern; und Sie werden Sich gefallen lassen, eine Schwester zu behalten.

DER GENERAL.

Sie werden sehr hitzig, Bruder! – Ich begreife nicht, wie dieser Grandison alle Welt so sehr bezaubert hat. Wer wird sich nunmehr wundern, dass ein junges unerfahrnes Mädchen zu schwach gewesen ist, ihm zur widerstehen?

DER BISCHOF.

Wenn Sie ihn ohne Vorurtheil ansehen werden, so werden Sie eben so von ihm denken wie wir. Die Religion ist alles, was man gegen ihn einwenden kann. Wäre er ein Katholik, so sollte sich ein König vergeblich neben ihm um Klementinen bewerben.

DER GENERAL.

Was? Sie erzählen mir immer grössere Wunder! Er wird ein Protestant bleiben, und sie wollen ihm Klementinen geben? Sie, ein Prälat der Kirche, geben Ihren Beyfall dazu? Wahrhaftig! das ist ausserordentlich. Ohne Zweifel wird der P. Mareskotti auch Ihrer Meinung seyn?

DER BISCHOF.

Er wird sie nach England begleiten. – Glauben Sie, Bruder, dass es uns genug gekostet hat, uns zu einem solchen Entschluss zu überwinden. Man hat alles vorher versucht. Aber was sollten wir mit einem Mann anfangen, den die glänzendsten Versprechungen nicht zu versuchen vermochten, der bey [102] den zärtlichsten Bitten, unbeweglich blieb? der Klementinen selbst, die er anbetet, seiner Religion aufzuopfern bereit war? – Es ist unser Unglück, dass wir ihn nicht so wohl entbehren können, als er uns.

DER GENERAL.

Und so muss um dieses liebekranken schwindlichten Mädchens willen die Ehre des Hauses von Poretta auf ewig verdunkelt, und ein Mann, wie Belvedere, der Verzweiflung preis gegeben werden? – Überlassen Sie mich mir selbst, Bruder, ich habe Einsamkeit nöthig –

DER BISCHOF.

Ich bin hieher gekommen, Sie zu dem Markgrafen zu führen. Sie können von niemand besser in den Gründen seines Entschlusses unterrichtet werden, als von ihm.

DER GENERAL.
Gehen Sie nur voran. Ich werde Ihnen sogleich folgen.
8. Auftritt
[103] Achter Auftritt.
DER GENERAL
allein.

Ich bin ganz betäubt – Was soll ich sagen? Wozu soll ich mich entschliessen? – Soll ich der Entehrung meines Hauses zusehen? Soll ich meine Schwester unglücklich machen? Soll ich meinen Freund verlassen? – Oder soll ich seinen eigenen Vorstellungen Gehör geben? – Der arme Belvedere! Er liebt die Undankbare bis zur Ausschweifung. Er will sich selbst für ihre Ruhe aufopfern. Er hat die Sache seines Nebenbuhlers mit einer Grossmuth gegen mich behauptet, die von der Heftigkeit seiner Liebe zeugt! – Aber, nein! es kann nicht seyn! Ehe soll derjenige sterben, der der Urheber aller dieser Verwirrungen ist.

9. Auftritt
[104] Neunter Auftritt.
Grandison, der General.

GRANDISON.

Ich habe Ihnen Zeit gelassen, zu Sich selbst zu kommen, Herr General! Wenn Sie jetzt in einer gesetztern Fassung sind, so hören Sie mich an, und lernen Sie mich kennen. Die Sache, wovon ich mit Ihnen reden muss, ist zu zärtlich, als dass ich die Unbilligkeit der Vorwürfe, die Sie mir gemacht haben, in ihr völliges Licht setzen könnte. Es ist auch nicht nöthig. Was die ganze Familie weiss, kann Ihnen nicht unbekannt seyn. Es wird also genug seyn, Ihnen zu sagen, dass ich ohne Absichten nach Bologna zurück gekommen bin. Ihre Ältern, Ihre Brüder verlangten meine Gegenwart; ich folgte dem Rufe der Freundschaft. So sehr ich Ihre Schwester bewunderte, so fühlte ich doch die ganze Stärke der Gründe, die mir, auch in Absicht auf mich selbst, nicht erlaubten, an eine nähere Verbindung zu denken. Ich entschloss mich also mich in einer Sache leidend zu verhalten, worin mir nicht vergönnt war, nach meinem Her zen zu handeln. Ich bin gewohnt, mich in die Stelle andrer zu setzen. Es konnte mir nicht verborgen seyn, dass Ihre Familie sich zu [105] einer Verbindung mit mir nicht ohne Widerwillen bequemen werde, und ich fand diese Art zu denken in ihren Umständen natürlich.

DER GENERAL.
Sie haben Sich und um Gerechtigkeit widerfahren lassen.
GRANDISON.

Die gleiche Denkungsart, die mich gegen andere gerecht seyn heisst, macht dass ich es gegen mich selbst bin. Ein Beweis davon kann Ihnen seyn, dass ich mich nicht erniedrigen wollte, die Tochter eines Königs unter schimpflichen Bedingungen anzunehmen und dass ich selbst auf Klementinen Verzicht thun, so lange jemand in Ihrer Familie ist, der mich ihrer Hand unwürdig hält. Sie haben meine Erklärung, Herr General! Das Übrige belieben Sie mit Ihren Verwandten auszumachen. Diese werden Ihnen am besten sagen können, was sie zu den verbindlichen Gesinnungen bewogen hat, die sie für mich angenommen haben.

DER GENERAL.

Ha! Ist es so weit gekommen, dass uns der Chevalier Grandison Trotz bieten darf? Ich bin ausser mir! Wie? wir sollen uns noch allzu glücklich schätzen, wenn ein Mann, wie Sie, sich erniedrigen will, die Tochter des Markgrafen von Porretta mit seinem Nahmen zu beehren? – Und derjenige, der sich untersteht, mir eine solche Erklärung zu thun, ist weniger als ein König? Er müsste auch mehr als ein Sterblicher seyn, meiner Rache zu entgehen!

[106]
GRANDISON.

Drohungen haben mich nie erschreckt, Herr General. Ich würde mich selbst verachten, wenn ich eine Antwort auf eine so willkührliche Auslegung meiner Worte nöthig hielte.

DER GENERAL.

Keine Worte mehr! Ich bin nicht gewohnt, mich der Zunge statt eines Waffens zu bedienen. Kommen Sie mit mir in den Park, Chevalier! Ihr Leben oder das meinige! Die Erde kann nicht zwey so stolze Menschen, als wir sind, zugleich tragen.

GRANDISON.
Ich bin bereit mit Ihnen zu gehen, wohin Sie wollen.

Sie gehen ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
PATER MARESKOTTI
allein.

Ich habe die Stimme des Generals gehört. Es war die Stimme eines Drohenden. Er redete, wie ich glaube, mit Grandison. – Aber hier ist niemand. Sie sind fortgegangen. Der Himmel verhüte, dass es in schlimmen Absichten geschehen sey! Ich will sie aufsuchen – Aber sehe ich nicht hier den Grafen von Belvedere?

11. Auftritt
[107] Eilfter Auftritt.
Pater Mareskotti, Belvedere.

PATER MARESKOTTI.
Ich glaubte, Sie wären nicht mehr in Bologna, Herr Graf!
BELVEDERE.

Der General fand mich, da ich im Begriff war abzureisen. Ich hatte eine Unterredung mit ihm. Meine Besorgnisse für Klementinen, der ich fest entschlossen bin mich selbst aufzuopfern, machten, dass ich mit Eifer zum Vortheile meines Nebenbuhlers sprach. Es war umsonst. Der General verliess mich auf eine ungestüme Art. Ich machte mich sogleich fertig ihm zu folgen, und ich komme jetzt, alles anzuwenden, ihn mit Grandison auszusöhnen. Ich weiss was ich thue, Herr Pater Mareskotti! Es wird mir das Leben kosten; aber ich werde die Zufriedenheit haben, die Glückseligkeit derjenigen befördert zu haben, die ich liebe.

PATER MARESKOTTI.

Vielleicht belohnt der Himmel diese edeln Gesinnungen mit einem ganz andern Ausgang, als Sie jetzt vermuthen. Das Glück Ihres Nebenbuhlers ist noch nicht ausser Zweifel. Ich komme eben jetzt von einer langen Unterredung mit der jungen Gräfin – Aber wir haben nicht Zeit hier zu verweilen – Wir wollen gehen, den General zu suchen.

[108]
BELVEDERE.

Sie haben mich ganz bestürzt gemacht – Aber ich will meine Ungeduld zurück halten – Lassen Sie uns eilen.

12. Auftritt
Zwölfter Auftritt.
Die Scene ist das Zimmer des Jeronymo.
Jeronymo, Klementina.
Klementina sitzt, den Kopf auf ihren Arm gestützt, in einem schwermüthigen Stillschweigen, das zuweilen durch Seufzer unterbrochen wird.

JERONYMO.

Was fehlt Ihnen, meine liebste Schwester? Sie nähern Sich dem Augenblick, der alle Ihre Trübsale enden wird, Sie werden über Ihre Hoffnung glücklich werden, und Sie sind traurig? Sie beantworten die zärtlichen Ausbrüche meiner Freude mit halb erstickten Seufzern, und indem ich in Entzückung über Ihr bevorstehendes Glück aller meiner Schmerzen vergesse, schleichen stille Thränen, die Verräther irgend eines geheimen Kummers, über Ihre Wangen?

KLEMENTINA.
Ach, Jeronymo! –
JERONYMO.

Wie ist es möglich, meine Klementina, dass so frohe, so glänzende Aussichten nicht jede Spur der Traurigkeit aus Ihrer [109] Seele tilgen? – Glückliche, dreymahl glückliche Schwester! Die Geliebte, die Freundin, die Gemahlin meines Grandison! Welch ein Himmel von Glückseligkeiten liegt in diesen Nahmen! Welch ein Vorzug vor allen Ihres Geschlechts!

KLEMENTINA.

Halten Sie ein, liebster Jeronymo – Wollte der Himmel, meine eigene Fantasie wäre weniger geschäftig, mir das Glück auszumahlen, dem ich zu entsagen genöthiget bin!

JERONYMO.

Was sagen Sie, Schwester? Was für neue Besorgnisse? Woher diese Kleinmüthigkeit und diese hoffnungslose Sprache? Hören Sie auf, Sich selbst zu quälen! Alle Hindernisse sind gehoben. Fürchten Sie nicht, dass unsere Ältern ihren Entschluss ändern möchten. Das unvergleichliche Betragen unsers Freundes hat sie so sehr eingenommen, dass sie diese Verbindung jetzt eben so heftig wünschen, als ich selbst. Oder fürchten Sie etwa den General? Sein Widerstand wird nur den Sieg unsers Freundes zu erhöhen dienen. Verbannen Sie also alle traurigen Gedanken, liebste Klementina! Sie haben die schwerste Prüfung überstanden; der Augenblick ist nun gekommen, der Sie für alle Ihre Leiden belohnen wird.

KLEMENTINA.

Ach, Jeronymo! Sie wissen nicht – Ich kann nicht reden – Ich fürchte mich, Ihnen zuzuhören – Ich fürchte mich [110] vor mir selbst – Verzeihen Sie mir, lieber Bruder! – Aber ich muss Sie verlassen –


Sie steht auf, um fortzugehen.
13. Auftritt
Dreyzehnter Auftritt.
Die Markgräfin, die Vorigen.

DIE MARKGRÄFIN.

Ich freue mich, euch bey einander zu finden, meine Kinder! Dein Bruder, meine theure Klementina, wird dir angekündigt haben, was wir für den Chevalier zu thun entschlossen sind. Er ist deiner würdig, Klementina; und so schwer es mir auch fallen wird, den Liebling meines Herzens aus meinen mütterlichen Armen zu lassen, so beruhigt, mich doch die Gewissheit, dass du durch den Mann, den dein Herz erwählt hat, so glücklich werden wirst, als man es in diesem Leben seyn kann.

KLEMENTINA
umfasst ihrer Mutter Knie.

O gnädige Mama, wie gütig sind Sie! und was für eine tiefe Empfindung habe ich von Ihrer und meines Vaters liebevoller Nachsicht! Wie soll ich jene ausdrücken? wie soll ich diese erwiedern? – Wie unwürdig würde ich der wiederkehrenden Vernunft seyn, wenn ich mich nicht bemühen würde, sie gänzlich zu Erfüllung [111] meiner Pflicht gegen Gott und Sie anzuwenden! – Aber erlauben Sie mir, ich bitte Sie, dass ich mich in mein Zimmer begebe, und einige Stunden ungestört bleibe. Ich habe nöthig, mich zu der Scene, die mir bevorsteht, vorzubereiten.


Sie begiebt sich eilfertig hinweg.
14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt.
Die Markgräfin, Jeronymo.

DIE MARKGRÄFIN.

Was sagte das liebe Geschöpf? Wie feierlich war ihr Gesicht und der Ton ihrer Stimme! Und wie eilfertig ging sie hinweg! – Sie hat etwas auf dem Herzen; aber ich begreife nicht, was es seyn kann. – Wenn ich nicht selbst gehört hätte, wie freundschaftlich der Pater Mareskotti sich zum Vortheil des Chevaliers erklärte, so würde ich glauben, dass er sie mit neuen Zweifeln beunruhiget habe.

JERONYMO.

Ich werfe keinen Verdacht auf Mareskotti. Er ist zu rechtschaffen und zu klug, sich einer solchen Übereilung schuldig zu machen. Klementina wird von allem, was ihr begegnet, noch zu stark gerührt. Die Ankunft des Generals hat sie erschreckt. Furcht und [112] Hoffnung streiten in ihrer Seele, und das Glück, das ihr angekündigt worden, ist zu gross und unverhofft, als dass sie es glauben könnte. Sie wird ruhig werden, so bald sie nicht mehr zweifeln kann.

DIE MARKGRÄFIN.

Du beruhigst mich wieder, mein Sohn! Wir haben angenehme Aussichten vor uns; dasjenige, was sie uns gekostet haben, erhöhet ihren Werth. Wir wollen jetzt alle unsere Gedanken darauf richten, deinen Bruder, den General, mit dem Chevalier zu versöhnen. Ich habe desshalben nicht den geringsten Kummer. Es ist unmöglich, gegen die Verdienste dieses Mannes auszuhalten.


Ende des vierten Aufzugs.

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Grandison, Kamilla.

KAMILLA.

Ich wünsche Ihnen Glück, gnädiger Herr, zu dem Siege, den Sie über die Hindernisse Ihres Glücks erhalten haben. Sie haben aus dem General einen Freund, und aus Ihrem Nebenbuhler selbst einen Fürsprecher Ihrer Sache gemacht. Alle Glieder der Familie haben es der Gräfin Klementina aufgetragen, die Verbindlichkeiten zu erstatten, welche sie Ew. Gnaden schuldig zu seyn erkennen. Die allzu zärtliche Denkungsart der jungen Gräfin ist die einzige Schwierigkeit, die Ihnen, wie ich besorge, noch zu überwinden übrig ist.

GRANDISON.

Die vergangene Nacht ist mir lang geworden, Kamilla! Ich weiss nicht, was für traurige Vorempfindungen sich meiner bemeistert haben. Ich gestehe Ihnen, dass ich vor der Zusammenkunft zittre, die mir mit Ihrer Gebieterin bevorsteht.

[114]
KAMILLA.

Die Gräfin Klementina befindet sich in den gleichen Umständen. Sie hat diese ganze Nacht schlaflos zugebracht, und ihre Furcht vor dieser Zusammenkunft scheint jetzt eben so gross, als ihre Erwartung derselben Anfangs ungeduldig war. Seit dem Augenblick, da ihr die Markgräfin den Entschluss der Familie entdeckte, ist ihr Bezeigen ganz anders als vorher. Sie ist still, zurückhaltend, und auf eine feierliche Art ernsthaft. Sie hat etliche Stunden in ihrem Kabinet mit Schreiben zugebracht. Es war Mitternacht, da sie noch schrieb. Morgen, Kamilla, sagte sie endlich nach einem langen Stillschweigen, und ihr Gesicht veränderte sich, indem sie diess sagte, morgen wird ein wichtiger Tag für mich seyn. O dass er schon gekommen, und auch schon vorüber wäre! – Es kostete mir viele Mühe sie zu bereden, dass sie sich zur Ruhe begeben möchte. Doch um vier Uhr des Morgens stand sie schon wieder auf, und ging an ihren Schreibetisch. Ich vermuthe, sie setzt einige Bedingungen auf, welche Sie unterzeichnen sollen. Aber aus etlichen Worten, die ihr ungefähr entfallen sind, getraue ich mir zu sagen, dass es grossmüthige Bedingungen seyn, und dass sie mehr Fantasie als Härte haben werden.

GRANDISON.
Hat Ihre junge Gräfin während meiner Abwesenheit eine Unterredung mit dem Pater Mareskotti gehabt?
[115]
KAMILLA.

Ja, und ich bekenne Ihnen, dass ich der Begierde nicht habe widerstehen können, sie zu behorchen. Ich hatte keine böse Absicht. Was ich von ihrer Unterredung hören konnte, gereicht zur Ehre dieses würdigen Mannes. Er erhob Ihren Karakter, gnädiger Herr, in Ausdrücken, die nun das Herz eingeben kann; und ich hörte ihn sagen, er hoffe Klementina werde, wenn sie die Ihrige sey, das gesegnete Werkzeug Ihrer Bekehrung seyn.

GRANDISON.

Ich habe niemahls einen Zweifel in die Redlichkeit des Pater Mareskotti gesetzt. – Aber die Stunde der Zusammenkunft ist da. – Melden Sie mich der Gräfin, Kamilla!

KAMILLA.

Sie ersucht Ew. Gnaden, Sich indessen bey ihrem Bruder Jeronymo zu verweilen, bis sie, wie sie sagt, mehr Muth gefasst hat, Sie zu sehen. Die Wunden des armem Barons haben sich diese Nacht verschlimmert. Sie werden die Ärzte bey ihm antreffen.

2. Auftritt
[116] Zweyter Auftritt.
Der Schauplatz stellt Klementinens Zimmer vor.

KLEMENTINA
kommt mit einem Papier in der Hand aus ihrem Kabinette.

Nun ist sie da, die gefürchtete Stunde – O dass sie schon vorüber wäre! Wie werde ich mein Gesichts zu diesem erhabenen Manne aufheben? Was werde ich ihm sagen? Was werde ich ihm antworten können? – Dieses Papier soll für mich reden! – Aber, o Grandison, wenn du Klementinen liebst; wenn es mehr als Mitleiden und Grossmuth ist, was du für sie empfindest; wenn ihr Besitz dich glücklich gemacht hätte: – wirst du ihr vergeben können? Wüsstest du was es ihr gekostet hat! Doch die Thränen, womit dieses traurige Blatt befleckt ist, werden dirs sagen. – Kamilla! – Aber nein! noch kann ich ihn nicht sehen – Ich bin noch nicht gefasst –

3. Auftritt
[117] Dritter Auftritt.
Klementina, Kamilla

KAMILLA.
Sie haben mir gerufen, gnädige Gräfin!
KLEMENTINA.
Ich will allein seyn, Kamilla – Verlassen Sie mich.
KAMILLA.
Wissen Sie, gnädige Gräfin, dass der Chevalier auf die Erlaubniss wartet, Sie zu sehen?
KLEMENTINA.
Ich kann ihn noch nicht sehen – Keine Widerrede, Kamilla! Überlassen Sie mich mir selbst.

Kamilla geht ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Klementina allein.
Sie wirft sich nachdem sie etliche Mahl in tiefen Gedanken auf und ab gegangen, in grosser Unruhe und Beängstigung auf einen Sofa.

O warum musste ich ihn sehen? Warum musste ich ihn sehen? Warum mussten einem Manne, der nicht mein Bruder seyn konnte, der Nahme [118] und die Rechte eines Bruders gegeben werden? Warum musste sein untadeliger Werth meine Liebe zugleich entflammen und rechtfertigen? – Unglückselige! wen beschuldigest du? Klage deine eigene Schwachheit an! Was zwang dich zu reden? Warum liessest du nicht dein trauriges Geheimniss, in ewiges Stillschweigen gehüllt, an deiner stummen Brust nagen? – O dass ich schon bey denen wäre, die im Grabe schlummern! O dass meine Seele schon entfesselt, schon in jene Welt hinüber gerettet wäre, wo die Tugend nicht mehr kämpfen muss, und die Glückseligkeit nicht an ewiges Elend grenzt! – Doch sie kommt, ich fühle es, sie nähert sich, die glückliche Stunde – meine Tage laufen zum Ende – Trostvolle Hoffnung! du giebst meiner Seele ihre ganze Stärke wieder!


Sie steht auf.

– Ja! ich will gross, ich will wie eine Unsterbliche handeln! Und Du, dem ich dieses Opfer bringe, Du wirst mich stärken! – Aber, o bester, liebenswürdigster unter den Männern! soll ich dir entsagen, soll ich dich auf ewig von mir verbannen, ohne dass du wissest, wie sehr deine Klementina dich geliebt hat? Wirst du es auch glauben, wirst du es begreifen können, dass nur eine Liebe, wie die ihrige, ein menschliches Geschöpf fähig machen konnte, das zu thun, was ich thun will? – Ja, Geliebter, nur damit ich [119] dich ohne Vorwürfe meines Herzens, ohne Gefahr meiner Seele, lieben könne, entsage ich dem Glück, die Deinige zu seyn! Eine bessere Welt soll uns wiedergeben, was uns diese vorenthält! Diess sollen meine unermüdeten Gebete und meine glühenden Thränen vom Himmel erbitten! – Mich dünkt ich bin nun ruhiger – Ja, ich bin es, ich will Kamillen rufen – Kamilla!


Kamilla erscheint.

Sagen Sie dem Herrn Grandison, dass ich ihn erwarte, –


Kamilla entfernt sich wieder.

– Nun wird er kommen! Nun soll ich ihm sagen – Ach! niemahls, niemahls werden es meine Lippen aussprechen können – O ihr Engel und ihr Heiligen des Himmels alle, stehet mir bey! Ihr Zeugen meiner geheimen Thränen und des schmerzhaften Kampfes, den meine Seele gekämpft hat, verlasset mich nicht! Verlasset mich nicht in diesem furchtbaren Augenblicke!

5. Auftritt
[120] Fünfter Auftritt.
Grandison, Klementina.

GRANDISON.

Wie sehr, liebenswürdigste Klementina, hat mich nach dieser Zusammenkunft verlangt! Das Gut, nach welchem ich zu streben aufgemuntert worden, ist zu unschätzbar, als dass ich ruhig seyn könnte, ehe ich des Besitzes desselben gewiss bin. Diese englische Gütigkeit, die ich in Ihren Augen sehe, macht mich kühn – Darf ich hoffen, theuerste Gräfin, dass Ihr Entschluss mit demjenigen übereinstimmt was nunmehr der vereinigte Wunsch aller Ihrer Verwandten ist?


Klementina sitzt mit niedergeschlagenen Augen, und antwortet bloss mit Seufzern.
GRANDISON.

Die Bedingungen sind Ihnen schon eröffnet worden. Der Pater Mareskotti wird fortfahren, Ihr geistlicher Führer zu seyn. Ich werde stets um das andere Jahr, wechselsweise in Italien und England, durch meine Klementina glücklich seyn.

KLEMENTINA
mit einem Gesicht und Ton, welche eine Mischung von Vergnügen und Wehmuth ausdrücken.
Ihre Klementina? – Ach! Herr Grandison!

Sie wendet ihr Gesicht.
[121]
GRANDISON.
Ja, gnädige Gräfin, die Hoffnung, dass Sie es seyn werden –
KLEMENTINA
fällt ihm schnell in die Rede.
Halten Sie ein, Chevalier – Sprechen Sie es nicht aus – Ach! wie werde ich –

Sie geht gegen ihr Kabinet, kehrt aber wieder um, und wendet sich mit einem Blick voll zärtlichem Ernst gegen Grandison.

Und sind Sie unveränderlich entschlossen, Herr Grandison? Werden Sie, können Sie kein Katholik werden?

GRANDISON.

Sie haben ja eingewilliget gnädige Gräfin, als ich das letzte Mahl in Italien war, dass ich den Aussprüchen meines Gewissens folgen dürfe.

KLEMENTINA
zeigt in ihrem Gesicht und durch ihre Geberden die äusserste Verlegenheit.

Sie versucht zu reden, aber sie kann kein Wort hervorbringen. Endlich geht sie nach ihrem Kabinet, und indem sie dem Grandison ein Papier in die Hand giebt, sagt sie mit stockender Stimme. Dieses Papier – Lesen Sie es – Verlassen Sie mich! Verlassen Sie mich.

6. Auftritt
[122] Sechster Auftritt.
GRANDISON
allein.

O das ist zu viel! Was seh' ich? Sie fällt auf ihre Knie – sie zerfliesst in Thränen – O diess Ächzen durchbohrt meine Seele! Es ist das Ächzen eines Sterbenden – Meine Ahnungen sind erfüllt! – Aber, o Klementina, in diesem Augenblick habe ich keinen Wunsch, keinen Gedanken für mich selbst! – Ich zittre dieses Papier zu eröffnen. – Doch, sie verlangt es. –


Er eröffnet das Papier, und versucht zu lesen.

Ich kann nicht lesen – meine Augen sind umnebelt – Gütiger Himmel! welch ein Ausgang ist das!
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Die Markgräfin, Grandison.

DIE MARKGRÄFIN.

Was ist vorgegangen, lieber Chevalier? Ich finde Klementinen in Thränen. Sie bittet mich, sie dem Kampfe mit sich selbst zu überlassen. Die Beängstigung ihres Herzens macht sie athemlos. Sie fürchtet Ihren [123] Unwillen, Chevalier! Sie hat Ihnen ein Papier gegeben. Lassen Sie ihn das lesen, sagte sie, und lassen Sie mich hier so lange bleiben, bis er nach mir fragt; wofern er anders, nachdem er es gelesen hat, ein Geschöpf noch vor seinen Augen leiden kann, das seiner Gütigkeit unwürdig ist – Ich bin ganz erstaunt – Was bedeutet alles dieses?

GRANDISON.

Gnädige Frau, Sie sehen mich so bestürzt, als ich niemahls gewesen bin. Ich weiss den Inhalt des Papiers noch nicht. Ich will es Ihnen vorlesen, wenn ich kann.

DIE MARKGRÄFIN.
Lesen Sie es allein, Chevalier! Ich gehe, dem Markgrafen zu melden, was vorgeht.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
GRANDISON
allein.

Ich errathe den Inhalt dieses Papiers. – Ihre Einbildungskraft, die durch ihre Krankheit über die natürliche Höhe getrieben worden, hat die Bedenklichkeiten ihres Gewissens geschärft. Sie wird sich verpflichtet glauben, dem Himmel ein Opfer von ihrer Liebe zu bringen – Liebste Klementina, soll ich deinen Besitz – Doch, ich will lesen.


Er setzt sich, und liest.

[124]

– Vortreffliches Geschöpf! – Ich muss innehalten – Welche Zärtlichkeit! Welche Unschuld! Welche Hoheit der Seele! – O Klementina! warum musstest du dich in der strahlenden Vollkommenheit eines Engels vor meine Augen stellen, wenn ich deinem Besitz entsagen soll? –


Er fährt fort zu lesen.

– Unwiderstehliches Geschöpf! wie verehre ich dich! – Es ist genug! Ich bin alles, was du willst, dass ich seyn soll!

9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Der Bischof, Grandison.

DER BISCHOF.

Was höre ich, liebster Grandison? Was ist aus meiner Schwester geworden? – Sie sind ausserordentlich gerührt, Chevalier! Was hat diese liebe Träumerin –

GRANDISON.

Lesen Sie, gnädiger Herr, lesen Sie dieses Papier, und seyn Sie stolz auf Ihre Schwester! Sie ist ein Engel! Ihr Besitz würde ein irdischer Himmel für mich gewesen seyn! – Sie hat mich abgewiesen – aber aus so grossen Bewegungsgründen und auf eine solche Art, dass ich sie mehr als jemahls verehren muss – Sie ist das liebenswürdigste unter allen menschlichen Wesen –

[125]
DER BISCHOF.

Ich begreife nichts von dieser seltsamen Aufführung. Ich will ihr Papier dem Markgrafen und der Markgräfin lesen. Aber der Inhalt mag auch seyn welcher er will, so hoffe ich, Sie werden Sich nicht so schnell durch die hoch fliegenden Schwärmereyen eines fantastischen Mädchens blenden lassen. Ihre Einbildungskraft ist auf einer Höhe, worauf sie sich nicht erhalten kann. Sie wird ganz anders denken, wenn sie wieder gelassner seyn wird.

GRANDISON.
Lesen Sie, gnädiger Herr, bewundern Sie Klementinen, und bedauern Sie mich.

Der Bischof geht mit dem Papier ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Grandison, Klementina, Kamilla.
Indem Grandison mit den äusserlicheh Zeichen einer grossen Unruhe auf und ab gehet, erscheint Klementina auf dem hintern Theile des Theaters. Sie bleibt stehen, da sie Grandison sieht, und lehnt sich an Kamillen zurück.

KLEMENTINA.

Können Sie mir verzeihen, Grandison? – Können Sie einer Kreatur verzeihen, die Ihren Unwillen weder vermeiden noch ertragen kann?

[126]
GRANDISON.

Ihnen verzeihen, theuerste Klementina? Vergeben Sie mir, dass ich so vermessen gewesen bin, dass ich noch so vermessen bin, und hoffe, einen solchen Engel mein zu nennen.

KLEMENTINA.

Reden Sie nicht von Hoffnung, Chevalier! Sagen Sie, dass Sie mir vergeben. Beruhigen Sie mein Herz, wenn es Ihnen möglich ist!

GRANDISON.

Sie haben nichts gethan, das Vergebung nöthig hat. Ich bete die Grösse Ihrer Seele an – Aber – O dürfte ich Ihr Mitleiden – Vergeben Sie mir, allzu liebenswürdige Klementina – ich schweige! Was auch mein Herz dabey leiden mag, so will ich doch nichts anders seyn, als was Sie wollen, dass ich seyn soll.

KLEMENTINA.

Wenn Sie mich lieben, theurer Grandison, so machen Sie mir Muth, in dem Entschlusse standhaft zu bleiben, den ich gefasst habe. Ich würde unaussprechlich elend seyn, wenn der Verlust meiner Person Sie unglücklich machen könnte. Meine Liebe können Sie nie verlieren. Die besten, die zärtlichsten Empfindungen meines Herzens sind Ihnen heilig. Sie sind in den Grund meiner Seele eingewebt. Sie werden unsterblich seyn, wie sie.

GRANDISON.

Verehrungswürdiger Engel! Wie gütig muntern Sie mich auf, mich Ihrer würdig zu zeigen! – Fahren Sie fort, liebste Klementina! [127] Helfen Sie mir, lehren Sie mich, einen Verlust zu ertragen, dessen ganze Grösse Sie mich erst jetzt kennen gelehrt haben.

KLEMENTINA.

Könnte Grandison schwächer seyn, als seine Klementina? – O wüssten Sie, was es ihr gekostet hat, diesen Entschluss zu fassen! – Ich habe keine Ursache mehr, zu verbergen, wie theuer Sie mir sind! – Ja, liebster Chevalier! wenn ich ohne Unruhe meines Gewissens die Ihrige hätte seyn können; die wildeste Einöde wäre mir mit Ihnen ein Paradies gewesen. Schliessen Sie aus der Grösse meiner Selbstverläugnung, mit welcher Stärke die Beweggründe auf mein Gemüthe wirken müssen, die mich derselben fähig machen! – Das Opfer war gross, das der Himmel von mir forderte. Aber, da ich die Kürze dieses Lebens betrachtete, und die Ewigkeit mit allen ihren Hoffnungen und Schrecknissen vor meiner Seele lag, konnte ich mich da bedenken, was ich wählen sollte?

GRANDISON.

Ich verehre Ihre Beweggründe, ob sie mich gleich nicht überzeugen; ich verehre die Zärtlichkeit Ihrer Denkungsart, und diese Frömmigkeit, die Sie in meinen Augen über die menschliche Natur erhebt. Aber – o meine Klementina – Ich bemühe mich umsonst, Ihnen zu verbergen, wie schwer es mir ist, einer Glückseligkeit zu entsagen –

[128]
KLEMENTINA
indem sie ihm mit zärtlichen Geberden die Hand auf den Mund legt.

Liebster Chevalier, sagen Sie das nicht! – Wie soll ich sonst meinen Vorsatz halten? – Lassen Sie mich nicht in meiner Hoffnung betrogen werden! Ich sah Sie als den Freund meiner Seele an – ich kannte Sie als den edelsten und besten unter den Sterblichen – hätte ich es sonst wagen dürfen, mein Schicksal Ihrer Grossmuth zu überlassen?

GRANDISON.

Sie sollen Sich nicht betrogen haben, unnachahmliche Klementina! Ich will der Freund Ihrer Seele seyn; und diese geliebte Seele nehme ich zum Zeugen, dass ich von diesem Augenblick an jedem eigennützigen Wunsch entsage, und mich aller Vortheile begebe, die mir die Grossmuth Ihrer Verwandten, meine Liebe, und die Gütigkeit der Gräfin Klementina selbst, zu Bestreitung Ihres Vorsatzes geben könnte.

KLEMENTINA.

Wie würdig sind Sie in diesem Augenblicke meiner ganzen Zärtlichkeit! – Unsterbliche, liebster Grandison, Engel schauen auf uns herab und billigen uns! O möchte ich durch den Dienst dieser unsichtbaren Freunde der Menschen den Geliebten meiner Seele dort wiederfinden, wo uns nichts mehr trennen könnte! – Hören Sie mich, Grandison, und geben Sie mir noch den letzten Beweis, dass Sie mich lieben! – In dem Augenblicke, da ich entschlossen war, den Wunsch meines Herzens meiner [129] höchsten Pflicht aufzuopfern, habe ich alle Ansprüche an irdische Glückseligkeit aufgegeben. Die Welt hat keine Reitzungen mehr für mich. Dasjenige, was ich durch meine Krankheit erlitten, und was mir der gewaltthätige Kampf mit mir selbst gekostet hat, bekräftiget die Ahnung, die ich in mir fühle, dass ich nicht lange mehr zu leben habe. Soll ich nicht den Überrest meines Lebens anwenden, glücklich zu sterben? Ja, Chevalier! ich bin entschlossen, mich von der Welt zu entfernen. Alle meine Gedanken, alle meine Wünsche sind auf dieses Einzige gerichtet. Helfen Sie mir, Chevalier! Sie vermögen alles bey meinen Ältern. Unterstützen Sie mein sehnliches einziges Verlangen! – Meine Liebe zu Ihnen wird mir in die heilige Freystätte folgen, die ich mir erwählet habe. Die ewige Glückseligkeit Ihrer Seele soll Tag und Nacht der Gegenstand meines Gebetes seyn. Gott wird die Thränen eines armen Geschöpfes ansehen, das ihm alles aufgeopfert hat. Seine Gnade wird Sie erleuchten – und – o entzückende Hoffnung! – ich werde Sie in den himmlischen Wohnungen wiederfinden! – Was sagen Sie zu meinem Vorhaben, Chevalier? Wollen Sie Ihrer Klementina diesen Beweis geben, dass Sie ihre Seele lieben? –

GRANDISON.

Auf was was für eine Probe stellen Sie eine Liebe, an der Sie nicht mehr zweifeln können? Wie soll ich einwilligen, wie [130] soll ich selbst dazu behülflich seyn, dass eine Dame von so ausserordentlichen Vorzügen in der Blüthe ihrer Jugend der Gesellschaft entzogen werde, welche desto gerechtere Ansprüche an sie hat, je grösser ihre Tugenden sind? Wie soll ich es wagen dürfen, Ihren Ältern einen Antrag zu machen, der sie einer Tochter beraubte, von der sie hoffen, dass sie das Vergnügen ihres übrigen Lebens seyn werde? Ein Antrag, der mir das Ansehen geben würde, als ob ich wünschte, dass Sie, weil Sie nicht die Meinige seyn können, für alle Welt verloren seyn möchten! – Erlauben Sie, gnädige Gräfin, Ihrem Grandison, Sie zu bitten, dass Sie mit verdoppelter Aufmerksamkeit erwägen, was Sie so gütigen Ältern und so zärtlichen Verwandten, wie die Ihrigen, schuldig sind, ehe Sie Sich –

KLEMENTINA
unterbricht ihn ein wenig hitzig.

Ich habe alles erwogen, Chevalier! Meine Ältern verlieren nicht mehr, als sie durch unsere Vermählung verloren hätten. Ich fühle mit der gerührtesten Dankbarkeit alles, was ich ihnen schuldig bin; aber ist nicht meine Pflicht gegen sie einer höhern Pflicht untergeordnet? Glauben Sie mir, dass ich alles erwogen habe. Ich bin überzeugt, dass der Trieb, den ich in mir fühle, von Gött ist. Er ist unwiderstehlich! – O Grandison! warum wollen Sie mich des einzigen Mittels berauben, welches mir den Schmerz unserer Trennung erleichtern kann? Und haben Sie auch [131] wohl bedacht, was die Folgen davon seyn werden, wenn Sie mich verhindern, den Schleier anzunehmen? Ach, Chevalier! von Ihnen hätte ich das nicht vermuthet! Von dem Augenblick an, da Sie Bologna werden verlassen haben, werde ich den Verfolgungen des verhassten Belvedere und meines Bruder ausgesetzt seyn. Alle werden sich wider mich vereinigen. Man wird mich zur Verzweiflung treiben, und ich werde mein elendes Leben vor der Zeit endigen, ohne dass ich den Trost gehabt habe, mich zu dem künftigen vorzubereiten. Können Sie so grausam seyn, Chevalier, und mich einem solchen Zustand überlassen?

GRANDISON.

Theure Klementina! Sie setzen mich in die äusserste Verlegenheit. Ich darf es nicht wagen, Sie um die Widerrufung des strengen Gesetzes zu bitten, das Sie mir aufgelegt haben – Ich habe mein Wort gegeben – Ich kann nicht unedel seyn – Aber ist denn kein ander Mittel als der Schleier, Sie vor demjenigen, was Sie fürchten, sicher zu stellen? Ich kenne ein Mittel, das unfehlbar ist. Sie haben Beweise von der Gütigkeit Ihrer Ältern. Von einem so grossmüthigen Vater, von einer so zärtlichen Mutter dürfen Sie Sich alles versprechen. Und erlauben Sie mir auch zu sagen, dass der Graf von Belvedere Sie zu sehr verehrt, als dass er sich der Freundschaft Ihrer Verwandten bedienen sollte, Ihnen Unruhe zu machen. Er ist [132] unglücklich, weil er eine Klementina ohne Hoffnung liebt; aber er verdient nicht, dass Sie ihn hassen.

KLEMENTINA
für sich, mit einer trostlosen Stimme und Geberde.

Arme, unglückliche Klementina! – So vereiniget sich alles, dich elend zu machen! – Es war ein Trost für mich zu glauben, dass er mich liebe – Der angenehme Betrug schläferte meine Schmerzen ein, und gab mir Augenblicke von Ruhe – Musste ich auf eine so grausame Art belehrt werden, dass ich mich betrogen habe?

GRANDISON.

Hören Sie auf, Klementina, mein Herz mit diesen ungütigen Zweifeln zu martern! – Doch es ist noch grössere Pein für mich, Sie von diesen selbstgemachten Schmerzen gequält zu sehen! – Sie können nicht an meiner Liebe zweifeln, liebste Klementina! was wollte ich nicht thun, was wollte ich nicht leiden, Sie zu überzeugen –

KLEMENTINA.

Vergeben Sie mir, Chevalier! Ich bin ungerecht gewesen – Vergeben Sie Ihrer Klementina! Aber, o lassen Sie mich Sie bitten –


Sie wirft sich ihm zu Füssen.
GRANDISON
indem er sie aufheben will.
Stehen Sie auf, liebste Gräfin – Ich beschwöre Sie, stehen Sie auf.
KLEMENTINA.

Nein, Grandison, ich will nicht aufstehen; hier zu Ihren Füssen will ich [133] liegen bleiben, und nicht aufhören, Sie zu bitten – O wenn Ihnen Klementina jemahls werth gewesen ist, wenn Ihr grossmüthiges Herz nicht für sie allein ohne Mitleiden ist – bey meiner Liebe, Grandison, bey den Thränen, die nun so lange mein einziges Labsal sind, beschwöre Sie, lassen Sie Sich erbitten! Billigen Sie, unterstützen Sie meinen Entschluss! Lassen Sie den Überrest meines Lebens glücklich seyn! Lassen Sie mich –

GRANDISON
hebt sie auf.

Unwiderstehlicher Engel! Ich will – ich will alles was Sie wollen! Meine Seele wird von der Ihrigen fortgerissen – Vergeben Sie mir, dass ich mich Ihren Wünschen widersetzte; ich habe keine andere als Ihre Glückseligkeit!

KLEMENTINA.

O Grandison! der Allmächtige belohne Sie für diese grossmüthige Liebe, die ich nicht belohnen kann! – Ich werde also nicht ganz unglücklich seyn! In der Stille einer einsamen Zelle werde ich ungetadelt und ungestört meiner Zärtlichkeit und meiner Thränen geniessen. Nur unsichtbare Engel werden sie sehen, und die Seufzer zu dem Throne des Ewigen tragen, in denen sich meine Seele für Sie aushauchen wird! – Sie haben mir das Leben wiedergegeben, Chevalier! – Gehen Sie, meinen Vater zu bewegen, dass er meinen Vorsatz billige. Lassen Sie mich Ihnen die einzige Glückseligkeit zu danken haben, deren ich fähig bin!

[134]
GRANDISON.

Möchten Sie in diesem Augenblick in meine Seele schauen können! Ich gehe – Sie verlangen es! – O Klementina, wenn nicht ein besseres Leben auf uns wartete, wie unglücklich wär' es, geboren zu seyn!


Er geht ab.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Die Markgräfin, Klementina.

DIE MARKGRÄFIN.
Ich glaubte, den Chevalier bey dir zu finden, Klementina?
KLEMENTINA.
Er hat mich diesen Augenblick verlassen, gnädige Mama!
DIE MARKGRÄFIN.

Du hast uns alle in Erstaunen gesetzt, Klementina! Wer hätte einen solchen Ausgang vermuthen sollen? Wir sind in grosser Verlegenheit – Dein Bruder Jeronymo dringt hitzig darauf, dass wir uns nicht an deine Schwärmereyen kehren sollen. Diess war sein Ausdruck. Das Übermass seiner Dankbarkeit gegen Grandison macht ihn ungehalten auf seine Schwester. Aber du hast an dem Pater Mareskotti und mir Fürsprecher gefunden. Ich bedaure den Chevalier; ich bedaure dich, Klementina; ich fühle alle die Wunden, womit der Kampf dein Herz zerreissen musste, ohne den [135] du keinen solchen Sieg erhalten konntest. – Aber wirst du auch Stärke genug haben, meine Liebe, bey dem Vorsätze zu bleiben, den du so grossmüthig genommen hast?

KLEMENTINA.

Ich fühle meine Schwäche, und ich hoffe, dieses wird meine Sicherheit seyn. Ich habe nicht ohne Überlegung gehandelt. Ich überdachte alle meine Pflichten; ich setzte mich an die Stelle einer Person, die mich in solchen Umständen, wie die meinigen, um Rath fragte. Die Entscheidung war wider den Vortheil meines Herzens. Ich zweifelte; mein Herz empörte sich wider die Aussprüche meiner Vernunft; ich durfte mir selbst nicht trauen. In der Beängstigung, worein mich diese Ungewissheit setzte, nahm ich meine Zuflucht zum Himmel. Ich bat die heilige Jungfrau, einer Unglücklichen beyzustehen, deren Herz willig war, seine Pflicht zu thun, deren Vernunft aber geschwächt war. Mein Gebet wurde erhört. Es wurde mir eingegeben, was ich thun sollte. Ich schrieb alles auf. Meine Seele war des himmlischen Triebes voll, der ihr geschenkt wurde. Ich war gelassen und tapfer, bis die Stunde kam, die ich dem Chevalier bestimmt hatte. Der innerliche Streit fing jetzt wieder an, ich rang mit mir selbst; sein Anblick erschütterte alle meine Entschliessungen. Ach! könnte ich ihm nur mein Papier geben, dachte ich, so würden alle Schwierigkeiten vorüber seyn. Ich bin gewiss, wenn er die Redlichkeit [136] meines Vorsatzes siehet, so wird seine Grossmuth mich selbst darin unterstützen. Ich habe mich in meiner Erwartung nicht betrogen, und nun hoffe ich, sein Beyspiel, und eben die unsichtbare Macht, die mir Muth gegeben, nach meiner Pflicht zu handeln, werde mir Standhaftigkeit geben, darin zu verharren.

DIE MARKGRÄFIN.

Liebste Klementina, was kann ich dir sagen? Ich bewundere dich, und verehre die geheime Leitung der Vorsicht. So sehr dein Entschluss meiner Erwartung und selbst meinen Wünschen entgegen ist, so kann ich ihn doch nicht missbilligen. Ich bin stolz auf dich, meine Klementina! – Aber, was sollen wir nun mit diesem vortrefflichen Manne machen? Du wärest das einizge seiner würdige Geschenk, das wir ihm anbieten konnten. Nun vermehrt selbst die Grossmuth, womit er in deinen Vorsatz williget, die Last unsrer alten Verbindlichkeiten.

KLEMENTINA.

Diess ists, was mich am meisten beunruhiget. – Aber ich bin versichert, dass diese Unruhe den Chevalier beleidigen würde, wenn er sie wüsste. Grossmüthige Handlungen sind seiner Seele zur Natur geworden. Seine Tugend erhebt ihn über alle Belohnungen; sie macht ihn durch sich selbst gross und glücklich. Aber, gnädige Mama – Erinnern Sie Sich – Ich wünschte – Ich fürchte mich, zu reden – Sie sagten, dass Sie mich bedauerten – [137] Ach liebste Mutter, ich habe aller Ihrer Zärtlichkeit, alles Ihres Mitleidens vonnöthen!

DIE MARKGRÄFIN.

Rede frey, meine Klementina! Du bist alles, was mir am theuersten ist. Kannst du an meiner Liebe zweifeln? Sags was du von mir verlangst! Deine Glückseligkeit ist mir mehr als meine eigene.

KLEMENTINA.

Eben diese allzu gütige Zärtlichkeit macht mich furchtsam. – Aber ich muss reden – Sie wissen gnädige Mama, dass von der Kindheit an mein Verlangen gewesen ist, mich dem einsamen Stande zu widmen. Sie wissen, wie sehr dieser Trieb zugenommen hat, seitdem ich den Chevalier kannte. Ihre Liebe zu mir hat sich bisher meinem sehnlichen Verlangen widersetzt, und meine Dankbarkeit, mein Gehorsam gegen die beste unter den Müttern hat auf Unkosten meiner Ruhe mit dem Triebe meines Gewissens gekämpft. Befreyen Sie mich, liebste Mutter, von einem Streit, unter welchem ich erliegen muss – Machen Sie Ihre Klementina glücklich! – Hat nicht mein unglücklicher Zustand auch Sie unglücklich gemacht? – In der Welt würde ich es allezeit bleiben. Lassen Sie mich unter die Flügel einer heiligen Einsamkeit fliehen! Ich werde nicht aufhören, Ihr Kind zu seyn, wenn ich ein Kind Gottes bin. – Sie werden Ruhe und Heiterkeit auf meinem Gesichte sehen; Sie werden den Frieden des Himmels, die Hoffnungen der Unsterblichen in meinen [138] Augen lesen; Sie werden mich glücklicher sehen, als mich der Besitz aller irdischen Güter machen könnte; und dieser Anblick wird Ihr Herz mit Trost und Freude erfüllen.

DIE MARKGRÄFIN.

Ach, Klementina! was forderst du von meiner Zärtlichkeit? – Du kennest die Gründe, welche die Familie verhindern, in dein Begehren zu willigen. Unsere Liebe zu dir giebt ihnen eine überwiegende Stärke. Wir können uns weder von dir trennen, noch unsere Absichten mit dir aufgeben.

KLEMENTINA.

Und könnten Sie zusehen, gnädige Mama, dass Ihre Klementina das unglückliche Opfer von Absichten würde, an den ihr Herz keinen Antheil nehmen kann? – Nein! ich beleidige Ihre Grossmuth! Sie können es nicht! – Bedenken Sie, was ich schon gelitten habe! – Schonen Sie Ihres armen Kindes! Lassen Sie mich nicht durch einen Widerstand in dem einzigen Wunsche, auf den mein Herz gerichtet ist, von neuem muthlos gemacht werden. Ein Rückfall könnte mich auf immer zu Grunde richten.

DIE MARKGRÄFIN.

Allzu rührendes Kind, wer kann deinen Bitten widerstehen? Du ängstigest mein Herz, Klementina – Hier kommt dein Vater; wenn er in dein Begehren williget, so werde ich mich unterwerfen müssen.

12. Auftritt
[139] Zwölfter und letzter Auftritt.
Die Vorigen, der Markgraf, Grandison, der Bischof, der General, der Pater Mareskotti.

DER MARKGRAF.

Ich habe Mühe zu glauben, was ich sehe und höre. Ist es möglich, meine liebe Klementina, dass du bey einem Entschlusse beharrest, der unserer Erwartung und deinen eigenen Wünschen so sehr entgegen ist?

KLEMENTINA.

Die Stimme meiner Pflicht hat so stark zu mir gesprochen, dass es unmöglich war, ungehorsam zu seyn. Ich empfinde mit dem gerührtesten Herzen Ihre Gütigkeit, gnädiger Herr; Sie haben aus Mitleiden gegen mich –

DER MARKGRAF.

Es ist eben so sehr aus Dankbarkeit gegen den Chevalier und aus Hochachtung gegen seine Verdienste, als aus Liebe zu dir geschehen, daß ich deine Verbindung mit ihm beliebt habe.

KLEMENTINA.

Wenn ich wüsste, dass ich ihn glücklich machen könnte – Aber, ach, Chevalier, ich würde Sie nicht glücklich machen!

[140]
GRANDISON.
Ich empfinde es zu stark, dass Sie es könnten, gnädige Gräfin, als dass ich –
KLEMENTINA.

O versuchen Sie nicht mehr, mich zu bereden, lieber Grandison! Ihre Güte gegen mich macht Sie parteylich. Klementina ist Ihrer nicht mehr würdig. Ihr geschwächter Verstand; ihre gestörte Gemüthsruhe; die Zweifel, die ihr Herz ängstigen würden; die Versuche, die sie immer erneuern würde, Sie zu bekehren; ihr Verdruss wenn diese Versuche vergeblich wären; das Misstrauen gegen mich selbst; und die Furcht, die mir selbst Ihre Zärtlichkeit zu einer Quelle von Plagen machen würde; alles diess würde Sie mit derjenigen unglücklich machen, mit der Sie ein Leben verwebt hätten, das ihr theuerer ist, als ihr eigenes, und welches so sehr verdient glücklich zu seyn.

DER GENERAL.
Ich bewundere meine Schwester. Sie handelt wie es einer Klementina von Poretta würdig ist!
GRANDISON.

Sie können sie nicht mehr bewundern, Herr General, als ich es thue, obgleich unsere Beweggründe sehr verschieden sind.

DER BISCHOF.

Die Grossmuth des Chevaliers verdient so viel Bewunderung, als die Entschliessung meiner Schwester. Welcher andre hätte so edel handeln können, als er in dieser ganzen Sache gehandelt hat?

[141]
DIE MARKGRÄFIN.

Ich will Sie mit meinen Lobsprüchen verschonen, werther Grandison! Dieser Ausgang ist meinen Hoffnungen und meinen Wünschen zuwider. Die fehlgeschlagene Verbindung mit einem so würdigen Manne ist eine Glückseligkeit, die wir verloren haben.

GRANDISON.

Ich bin ohne Hoffnung und ohne eigennützige Absichten nach Bologna gekommen, gnädige Frau. Meine Erwartung wurde übertroffen, da man mich aufmunterte, nach dem Besitz der unvergleichlichen Klementina zu streben; und jetzt finde ich einen Trost darin, dass ich so gütig von Ihnen bedauert werde, nachdem mich Ihre bewundernswürdige Tochter auf eine Art abgewiesen hat, die von ihrer Seite so edel, und für mich so rühmlich ist.

KLEMENTINA.

Es ist mein Schicksal, theurer Grandison, dass ich Ihnen verbunden seyn soll, ohne meine Dankbarkeit zeigen zu können. – Erlauben Sie mir nun, gnädiger Herr, Sie wendet sich gegen ihren Vater. dass ich die gütige Nachsicht, die Sie so oft gegen Ihre Klementina bewiesen haben, zum letzten Mahl erflehe. – Die Ruhe, die mein Gesicht und mein Betragen ankündiget, betrügt vielleicht diejenigen, die mich sehen. Sie gründet sich ganz allein auf die Hoffnung, dass meine Bitte werde gewähret werden. Die Verweigerung derselben würde mich zum elendesten aller Wesen machen.

[142]
DER GENERAL.

Ich errathe deine Bitte, Schwester! Es ist die Eingebung einer fehlgeschlagenen Liebe. Aber ich hoffe, die gleiche Empfindung deiner Pflicht, die dich verhindert hat, die Nachsicht deiner Ältern zum Vortheile deiner Neigung zu gebrauchen, werde dich zurück halten, einen Schritt zu thun, der das ganze Verdienst einer so schönen That vernichten würde.

KLEMENTINA.

Ich kenne Ihre Absichten, Bruder, und ich vergebe Ihnen. Aber ich bin fest entschlossen, keine Kränkungen mehr zu leiden, die ich verhindern kann. – An Sie wende ich mich, theuerster Vater; ich weiss, dass Sie die Glückseligkeit Ihres Kindes verlangen. Ich habe keinen Anspruch, keinen Wunsch für irdische Glückseligkeit. Lassen Sie also meine Seele glücklich werden. Alles was mir seit zweyen Jahren begegnet ist, beweiset, dass ich berufen bin, aus der Welt auszugehen – Es würde unbillig seyn, meine Sehnsucht nach dem Schleier einer fehlgeschlagenen Liebe beyzumessen. Wurde es nicht in meine Gewalt gestellt dem Triebe meines Herzens zu folgen? – Dieser Trieb befiehlt mir, die Welt zu verlassen. Ich weiss, dass er von Gott ist! Wenn er es nicht wäre, so hätte er die Liebe nicht überwiegen können, die ich für diesen würdigsten unter den Männern ohne Erröthen gestehe. – Ich kenne Ihre Frömmigkeit, gnädiger Herr! Sie kann [143] Ihnen nicht erlauben, mich abzuhalten, dem Rufe des Himmels zu folgen. Aber ich wünschte, dass Sie es ohne Abneigung thun könnten! – O wenn Sie wüssten, wie sehr meine Seele nach diesem glücklichen Zustande schmachtet, Sie würden mich in diesem Augenblick meines Wunsches gewähren!

DER MARKGRAF.

Meine liebste Klementina – hast du auch erwogen, was die Welt von einem solchen Schritt urtheilen wird? Glaube mir, so rein deine Beweggründe, seyn mögen, so wird sie dir doch solche zuschreiben, die deinen Ruhm verdunkeln werden.

KLEMENTINA.

Das Urtheil der Welt bekümmert mich nicht mehr. Ich habe ihren Beyfall aufgegeben. Meine einzige Sorge ist, wie ich vor dem Gerichte meines Gewissens, und dessen, der durch dasselbe über mich urtheilet, bestehen möge – Ich weiss alles, was gegen meinen Entschluss eingewendet werden kann. Ich entsage einem grossen Vermögen – aber es ist Staub in meinen Augen. Ich entziehe mich den Freuden der Welt – aber diese Freuden sind Träume, die mit wirklichen Plagen, mit immer währender Unruhe, mit dem Verluste reinerer Freuden, und der Gefahr der Seele zu theuer erkauft werden – Die Entfernung von Ihnen, liebste Ältern, und von meinen Brüdern und Freunden ist das Einzige, was mir schmerzlich ist. Aber[144] soll ich demjenigen nichts aufopfern, der mir alles anbietet?

DER MARKGRAF.

Deine Verachtung gegen die Güter der Welt ist die Frucht der Schwermuth, der du dich zu sehr überlässest. Deine Grossväter waren fromme Männer; sie bemerkten, dass du dein grösstes Vergnügen im Wohlthun fandest, und sie setzten dich in den Stand, deinem Herzen genug zu thun. Du entsagest dem Vermögen, Gutes zu thun, wenn du dich eines Erbtheils begiebst, auf welches deine Brüder so grossmüthig Verzicht gethan haben, um eine geliebte Schwester desto glücklicher zu sehen.

KLEMENTINA.

Lassen Sie diese Güter meiner Base Laurana werden! Wie kann ich einen bessern Gebrauch davon machen, als derjenigen freywillig Gutes zu thun, die mir durch ihre Verfolgungen wider ihre Absicht Gutes bewiesen hat?

DER GENERAL
zum Bischof.

Welche schwärmerische Grossmuth! Brauchen wir einen stärkern Beweis als diesen, dass ihr Verstand noch nicht in seiner natürlichen Fassung ist?

DER MARKGRAF.

Deine Entschlossenheit verwundet das Innerste meines Herzens, meine Tochter! – Du willst dich von mir reissen? – Du zerstörest die Entwürfe, die ich zu deinem Glücke gemacht habe? Du raubest mir die gehofften Freuden meiner sinkenden Jahre! – [145] Nein, Klementina, ich kann dich nicht von mir lassen – Du sollst nicht vor der Zeit gestorben seyn! – Verlange nicht, dass dein Vater dich überleben soll!

DIE MARKGRÄFIN.

Vergiss nicht, Klementina, vergiss nicht, dass du eine Mutter hast! Denke, ehe du ihr entsagst, dass sie, als sie dich mit Schmerzen gebar, hoffte, du würdest der Trost ihres Alters seyn! – Siehe mich an, meine Liebe, lies in meinen Augen – Ich kann nicht reden –

KLEMENTINA.
O wie durchboren Sie mein Herz!
GRANDISON.
Theuerste Gräfin! –
DER BISCHOF.
Liebste Schwester! –
KLEMENTINA
wirft sich ihren Ältern zu Füssen.

Vergeben Sie mir! ach, vergeben Sie mir! – O wenn nicht eine göttliche Kraft mich unterstützte! – Zürnen Sie nicht auf Ihr Kind – Der entsetzliche Kampf, den Sie in mir erregen, kann mir das Leben nehmen; aber er kann meinen Entschluss nicht erschüttern! Wie könnte ich der Stimme Gottes ungehorsam seyn? Bedenken Sie, dass ich zu viel gelitten habe, um noch lange zu leben. Lassen Sie mich mein Gelübd erfüllen, das ich dem Himmel gethan habe! Lassen Sie mich als eine Geweihte Gottes sterben!

[146]
PATER MARESKOTTI.
Der Ruf des Himmels ist zu stark, als dass wir ihm länger widerstehen dürften.
DER MARKGRAF.

Ich erkenne ihn, und ich verehre die Hand, die mich verwundet. – Stehe auf, Klementina; du bist ein Engel in meinen Augen! –

KLEMENTINA.

Lassen Sie mich hier zu Ihren Füssen die Versicherung Ihrer Liebe und Ihren Segen empfangen. Segnen Sie, – segnen Sie Ihre dankbare Klementina!

DER MARKGRAF.

Der ganze Himmel öffne sich über dir, meine Tochter, seine Segnungen auf dich herab zu schütten! – Stehe auf, und bitte den Ewigen, dem du heilig bist, für diejenigen, die du in einer kummervollen Welt zurück lässest.

GRANDISON.

Göttliche Klementina! erinnern Sie Sich in der geheiligten Abgeschiedenheit, die Sie Sich erwählt haben, erinnern Sie Sich zuweilen auch desjenigen, der fähig war, Ihrem Besitze zu entsagen, weil er Ihre Seele liebte. Die Verschiedenheit des Glaubens trennte uns, aber eine bessere Welt wird uns wieder vereinigen! – Ich verlasse Sie von der Grösse Ihrer Seele durchdrungen! Das Bild der himmlischen Klementina wird mich wie ein Schutzengel durch den Labyrinth dieses Lebens begleiten! Das unauslöschliche Andenken ihrer Frömmigkeit wird mich aufmuntern, so zu leben, dass[147] ich verdienen möge, sie bey den Bewohnern des Himmels wieder zu sehen.

KLEMENTINA.

Nun bin ich glücklich! – Die Welt rollt unter meinen Füssen; unbegrenzte Himmel öffnen sich über mir! – Selige Einsamkeit! Dunkle, der Andacht geheiligte Zelle, sey mir willkommen! Willkommen, du werthes Bild des Grabes, worin ich bald diesen dem Tode geweiheten Leib niederlegen werde, um in das unsichtbare Land der Unsterblichen zurückzukehren! – Leben Sie wohl, theure, verehrungswerthe Ältern! – Lebet wohl, meine Brüder! – Leben Sie wohl, ewig werther Grandison! Erinnern Sie Sich alle Ihrer Klementina mit Zärtlichkeit! – Und du, dem ich alles schuldig bin, und dem ich alles aufopfre, zu deinen Füssen lege ich jeden irdischen Wunsch, jede Hoffnung einer weltlichen Glückseligkeit nieder. Mit Freuden folge ich deinem Rufe! Was ich vergängliches zurück lasse, ist Tand; und was unsterblich ist, werde ich in deinem Schoosse wieder finden!


Ende


Notes
Entstanden 1759. Erstdruck: Zürich (Orell), 1760.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Klementina von Porretta. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A69C-C