An die durchlauchtigste Herzogin Anna Amalia

In der ersten Stunde des Jahrs 1783


Was hab ich, leider! ohne Frucht
an diesem Abend nicht versucht,
um, meiner Fürstin zu Preis und Ehren,
in dieser Gratulantenzeit
die dreimal drei Kastalische Dören
zu einem Liede zu beschwören?
Und weil die Musen sonder Streit
zur guten Geisterschar gehören,
die man (wie Doctor Obereit
und andre weise Männer lehren)
durch Anziehn nur gewinnen kann,
griff ich das Werk mit Räuchern an;
goß Storax und Borax, Musk und Mazis,
und Jusquiam und Aloës
und sieben andre Species
die Avicenna, Psellus und Razis
uns vorgeschrieben, auf Kohlenglut
in vollem Glauben und festem Mut,
die vorbesagten Kastalischen Feen
leibhaftig, alle drei zumal,
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vor meinem Pult erscheinen zu sehen.
Der Rauch stieg, wie zu Alpenhöhen
ein Nebel aus einem engen Tal,
in Wolken hoch zum Sternensaal
empor – Allein, bei allen Busen
der großen Diana zu Ephesus!
wer, mir zum bittersten Verdruß,
nicht kam – das waren meine Musen.
Itzt fing mir, wie ich sagen muß,
die Galle mächtig an zu sprudeln.
»Nein!« rief ich, in meinem Zorn, »beim Styx!
So sollen die Jungfern mich nicht hudeln!
Erscheinen sie nicht augenblicks,
mit einem demutsvollen Knicks
ihr bestes Lied mir vorzududeln:
so soll, ich schwörs beim Wunderzahn
des Obermeisters aller Affen,
beim großen Zaubrer Hanneman,
so soll Hans Faust mir Recht verschaffen!«
Wiewohl ich mit Herrn Urian
sonst auf dem besten Fuß nicht stehe,
und, weil er mir von Jugend an
schon manchen bösen Tück getan,
ihm sonst gern aus dem Wege gehe,
für diesmal bringt die Not mich dran.
Es schlägt schon Eins! Bald kräht der Hahn
und auch ein Blatt nur voll zu reimen
ist keine Minute zu versäumen.
Zwar muß ich bekennen, erlauchte Frau,
mir ward ein wenig grün und blau
vorm Auge, da ich den ersten Bogen
zum Zauberkreis um mich gezogen.
Allein nun war der Rubicon
passiert, und nennt mir den Haymons Sohn
dem nicht das Herz, wenn's Ernst gilt, schlottert!
Genug, ich stund in meinem Kreis
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und las – zwar freilich ein wenig leis –
(mit unter ward auch wohl gestottert)
mit hochemporgehaltnem Stab
den ganzen Höllenzwang herab,
durch den sonst, wie wir alle wissen,
die Geister unterm Monde stracks
auf allen Vieren, wie ein Dachs,
herangekrochen kommen müssen.
Allein, wo auch der Fehler gesteckt,
das Zauberwerk blieb ohne Effekt.
Zitieren kann jeder die Geister freilich;
doch, ob sie kommen wollen, das steht
bei ihnen! – »Unglücklicher Poet!
Ist dies dein Lohn? So lang und treulich
dienst du den Hexen vom Helikon
wohl sechs und dreißig Jahre schon
und drüber! Hast so treubeflissen
so manchen schönen Gänsekiel
in ihrem sauren Dienst zerbissen,
so manche Stanze gedreht, soviel
nach Reimen, wie Kakadus nach Nüssen,
und Baham nach Fliegen, haschen müssen,
und ach! so manches Ries Papier
für sie besudelt und zerrissen,
und das ist nun der Dank dafür!«
So rief ich mit gesenkten Ohren,
allein die Musen hörten's nicht;
und, Zauber, Rauchwerk, Öl und Licht
kurz, Malz und Hopfen war verloren!
Ja freilich im ganzen Heiligen Reich
ist diesen eigensinnigen Miezen
von alten zieraffischen Cantatrizen
kein Maid of Honour an Laune gleich.
Ich möchte wie Orlando rasen,
wenn ich bedenke, wie leicht es auch
den Mädchen war, mit Einem Hauch
die schönsten Verse mir einzublasen!
[57]
Nun sitz ich, sauge wie ein Gauch
am Daumen, ziehe mich bei der Nasen,
kratz hinterm Ohr, reib an der Stirne,
und strapaziere mein Gehirne
und melkte doch eher von einem Bock
den besten Wein aus Languedoc
als einen einzigen Fingerhut
voll Witz aus meinem Occiput.
Was nun zu machen? Allenfalls
gleich einem Schwan mit langem Hals
was am Gesange fehlt durch Heulen
ersetzen? Wir würden die Ehre zwar
Mit mancher zehnten Muse teilen:
doch scheint in solchen Fällen klar,
das Klügste sei zum Schlusse zu eilen;
denn Heulen quadriert doch nur auf Eulen,
und Persiflieren bringt Gefahr.
Drum wünsch ich ohne längeres Weilen
mit diesen treugemeinten Zeilen
Der Besten Fürstin zum neuen Jahr
Drei hundert Fünf und Sechzig Tage,
an denen von der ganzen Schar
der magern Sorgen keine nage:
auf jeden Tag an reinem Ertrage
stets volle vier und zwanzig Stunden
die Stunde zu Sechzig Minuten gezählt,
und jede Minute zu Sechzig Secunden,
und jede Secunde, daß keine fehlt,
von einem reinen Genuß beseelt,
mit etwas dessen man gerne sich wieder
erinnert wenn alles andre fehlt,
und frei von allem was Seel und Glieder
was Augen, Ohren und – Füße quält.
Im übrigen ist, zumal im Grünen
von Longus und von Lucian
als Kammerjunkern sich bedienen
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zu lassen, immer wohlgetan.
Zwar sind die Herren, an denen man
sich schon zweitausend Jahre zu Tode
gelesen, ein wenig aus der Mode;
doch immer für eine Episode
noch gut genug, und haben auch
vor andern edeln Kammertieren
die Tugend und den löblichen Brauch
die Fürsten nicht länger zu ennuyieren
als Ihnen selbst belieben mag.
Das übrige alles was dieser Tag
zu wünschen pflegt, sei den Najaden
Sylphiden, Dryaden und Oreaden
und allen den geistigen iden und aden,
die mit der Sublunarischen Welt
gern oder ungern sich beladen,
ins Werk zu setzen heimgestellt!
Wohl dem, dem Alles wie's ist gefällt!
Und so empfehl ich mich zu Gnaden.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Gedichte. Gedichte. Gedichte an Olympia. An die durchlauchtigste Herzogin Anna Amalia. An die durchlauchtigste Herzogin Anna Amalia. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A674-4