[47] Gedichte an Olympia

An Olympia

Im schönsten Haine
von Amathunt
sang jüngst, Olympia,
der Musen eine
Dein Lob der Rose
den Grazien vor:
ihr horcht der holde Chor
mit süßem Staunen,
und aus den Rosen
ragt das gespitzte Ohr
der jungen Faunen
entzückt hervor:
und Musen, Grazien,
und Amoretten
und Faunchen schlingen
mit Rosenketten
sich in ein tanzend Rund,
und alle singen
aus vollem Mund:
»Rosa, delicia
degli Amori,
Rosa, bellissima
de tutti i fiori!«
und Alle kränzen
mit ewgen Rosen
(die, dankerfüllt,
noch schöner glänzen,
noch süßer düften,)
Olympiens Bild.

[48] Zweierlei Götterglück

1

»Der Götterstand« – sprach einst von seinem Wolkenthron
Der Sultan im Olymp zu Majens schönem Sohn,
»Der Götterstand, Herr Sohn, um ihm sein Recht zu geben,
Ist (unter uns) beim Styx! ein schales Leben
Ja, wer nur nicht dazu geboren wär,
Und allenfalls auf acht bis vierzehn Tage,
Da ließ ichs gelten! Aber mehr
Wird Unsrer Deität am Ende sehr zu Plage.
Man kriegt zuletzt des Weihrauchs so genug!
Und für und für zum Dudeldum der Sphären
Die Grazien tanzen sehn, die Musen singen hören,
Und immer Ganymed mit seinem Nektarkrug,
Ich sage dir, man kriegt's genug!
Dann noch dazu den ewgen Litaneien
Des Erdenvolks die Ohren herzuleihen!
'Zeus, gib mir dies! Zeus, gib mir das!'
Ein tolles Galimathias
Von Bitten ohne Sinn und Maß
Um nichts und wieder nichts, oft um Unmöglichkeiten!
'Es sind ja (sagen sie) dir lauter Kleinigkeiten!
Ein wenig Sonnenschein zu meiner Wäsche nur!'
'Zwei Regentage bloß für meine trockne Flur!'
Ruft Mann und Frau aus hellem Munde
In Einem Haus, in Einer Stunde.
Der Dedschial hör alle das Gebrüll!
Tat ich ein einzigmal was jeder haben will,
Es richtete die Welt und mich zu Grunde.
Kurz, trauter Sohn, die Stiefeln angeschnürt!
Steig, eh ich hier des Gähnens müde werde,
Ein wenig nieder auf die Erde,
Zu sehen, ob man dort sich besser amüsiert!'
Merkur gehorcht, und ohne anzufragen,
Ob Juno nach dem Erdenplan
[49]
Was zu bestellen hat, und ohne Donnerwagen,
Schleicht Jupiter sich weg, und wird bei Leda – Schwan.

2

Von feinerem Gefühl getrieben
Vertauschte mit dem Hirtenstand
Apollo den Olymp. Er stieg herab, und fand
Die Menschen, die man ihm bald gar zu gut beschrieben
Bald gar zu schlimm, wie's immer pflegt zu gehn,
Erträglich erst, und endlich gar zum Lieben.
Die Leutchen, mußt er sich gestehn,
Gewännen näher angesehn;
Und setzte man sich nur auf gleichen Fuß mit ihnen,
So wären sie doch ganz was andres, als sie schienen,
Da er aus seinen Wolkenhöhn
Wer weiß wie schief auf sie herunter schielte.
Mit Einem Wort: Apoll, so bald er Mensch sich fühlte,
Entdeckte – was er nie als Göttersohn gewußt –
Es schlage was in seiner linken Brust;
Und unvermerkt, mit lauter Scherz und Spielen,
Lernt Seine Gottheit auch für arme Menschlein fühlen,
Nimmt fröhlich Teil an ihrer Lust,
Entdeckt sogar, auch das sei wahre Lust,
Und von der besten Art, mit andern sich betrüben,
Kurz, schmeckt die Wollust da zu sein
Zum ersten Male ganz und rein,
Und merkt zuletzt – (was ihm bisher geheim geblieben)
Die Kunst von allem dem sei – Lieben.
Was von Thessaliens Volk Apoll
Nicht alles lernte! Tausend Sachen
Wovon euch Göttern nie ein Wörtchen träumen soll:
Den losen Scherz, das wohlgemute Lachen
Gedrückt von keinem Zwanggesetz,
Und ohne Absicht, ohne Schraube,
Das trauliche, gutlaunige Geschwätz
Beim Abendstern in einer Sommerlaube,
[50]
Und, o! den großen Talisman,
Mehr freie Herzen zu gewinnen,
Als Mahmud oder Dschingiskan
Sich Sklaven durch sein Schwert gewann,
Den Zauber, den die Charitinnen
Cytherens Gürtel eingewebt,
Was jeden Mangel deckt und jeden Reiz erhebt,
Gefälligkeit. – Sei einer von uns allen,
Verlange nichts voraus, – wir werden dir gefallen
So wie du uns gefällst! – Die erste Schäferin,
Die, ohne daß sie auf ihn zielte,
In frohem Mut und dumpfem Sinn
Das Herz ihm aus dem Busen spielte,
Ward seine Sittenlehrerin.
»Ein bloßer Hirt – ist's möglich? – vorgezogen
Dem schönsten Gott?« – Das schrie um Rache! – Schon
Ergriff sein Zorn den mächtgen Pythonsbogen;
Zu gutem Glück entfloh der Senn ein sanfter Ton.
Er stutzt, und plötzlich kommt ein Einfall angeflogen,
Der seinen Eifer kühlt und bald zum Mittel wird
Das Ziel, wornach er lüstet, zu erreichen.
Halt! denkt er, bist du hier was anders als ein Hirt?
Was foderst du voraus vor deines gleichen?
Dem Hirten, der gefällt, muß Gott und Halbgott weichen
Der nicht gefällt! Versuch's, gewinne sie!
Das Herz ist frei und Lieb erzwingt sich nie.
Stracks geht er hin und macht aus seinem Bogen
Ein Werkzeug des Gefühls; der Dolmetsch süßer Pein,
Die neue Leier, liegt mit Saiten straff bezogen
In seinem Arm, und schwirret durch den Hain.
Herbei gelockt von ihren süßen Tönen
Versammeln sich um ihn die Hirten und die Schönen,
Ein jedes will des Wunders Zeuge sein.
Bald wirkt der Zauber, Arme schlingen
In Arme sich, den Füßen wachsen Schwingen,
Der ungelehrte Tanz dreht rasch sich um ihn her,
Und wer war glücklicher als er!
[51]
Wie lieben alle nun den Schöpfer ihrer Freuden!
Er ist, wiewohl in Schäfertracht,
Ein Gott für sie! Er hat sie glücklicher gemacht.
Wie freundlich nun ihm jede Hirtin lacht!
Wie drängt man sich, um nah an ihm zu weiden!
Und wenn am warmen Abendglanz
Im Rosenbusch, zu Chloens Füßen –
Indes die Holde manchen süßen
Verstohlnen Blick am halb geflochtnen Kranz
Herunter schlüpfen läßt – wenn dann die sanfte Leier
Der Liebe Schmerzen mit gedämpftem Klang
So zärtlich klagt, stets näher sein Gesang
Ans Herz sich schmiegt, das durch den leichten Schleier
Stets höher schlägt, und nun, wenn sich in vollem Feuer
Der Harmonienstrom ergießt,
In süßem Mitgefühl zerfließt:
O welche Wonne ist's – in diesem Augenblicke
Ein Mensch, und nur ein Mensch zu sein!
Wie wenig ist Genuß in ungeteiltem Glücke!
In ihren Freuden selbst sind Götter stets – allein.
Apoll behielt in seinem Hirtenstande
Vom Gott allein des Wohltuns edle Macht.
Mit jedem Tag erwacht
Das Volk am Peneusstrande
Zu neu geborener Lust.
Ein feineres Gefühl entfaltet sich ganz leise
In jeder Brust,
Man sieht und hört nicht mehr nach alter Weise,
Der Nebel fällt vom Antlitz der Natur,
Und o! wie schön, wie neu ist Wald und Flur!
Man fühlt sich selbst in allen Wesen leben,
Vom Blümchen, das der Erd entspringt,
Zum Vogel, der in hohen Wipfeln singt,
Scheint alles uns vom Seinen was zu geben,
Verwebt uns alles mit ins allgemeine Weben.
Der holde Geist der Eintracht schlingt
Sein goldnes Band um alle, stimmt die Herzen
[52]
Zu sanften Freuden, süßen Schmerzen;
Die lange Weile flieht, und nur zu leicht beschwingt
Entfliehen itzt, man weiß nicht wie, die Stunden,
Die man vordem so drückend lang gefunden.

3

Der Ruhm dies Wunder zu erneun,
Olympia, der seltne Ruhm, sei Dein!
Der schönste aller Deiner Preise!
Wohl Dir, die in dem Weihrauchkreise
Der Erdengötter nicht den hohen Sinn verlor
Für Freiheit und Natur, nach alter Deutscher Sitte
Sich einen Wald zum Ruhesitz erkor,
Und in der moosbedeckten Hütte,
Wenn tief im nächtlich stummen Hain
Auf offnem Herd die heilge Flamme lodert,
Sich glücklich fühlt und nichts vom Schicksal fodert.
Des Waldes Geister sehn den ungewohnten Schein
Ringsum die hohen Buchen weißen,
Und nähern freundlich sich, und heißen
Willkommen Dich in ihrem stillen Reich.
Wir spüren sie, bald leichten Nebeln gleich
Um halb bestrahlte Erlen lauschen,
Bald über uns durch hohe Wipfel rauschen.
Ein leises Grauen schleicht um unsre Brust,
Doch stört es nicht, erhöht nur unsre Lust.
Wir singen – um Dich her im Kreise
Gelagert – nach der schönen Weise
Die Dir, Olympia, die Musen eingehaucht,
»Zaydens Schmerz bei ihres Mohren Klagen«,
Und fühlen unser Herz im Busen höher schlagen:
Bis jetzt der Herd mit trüberm Feuer raucht,
Und späte Sterne, die durch schwarze Wipfel blinken,
Uns in die Burg zurück zu unsern Zellen winken.
Was ist's, das uns Olympiens hehren Wald
Zum Zaubergarten macht, zum Tempel schöner Freuden,
[53]
Zu dem man eilt um zögernd draus zu scheiden?
Sie selbst! – O! würde Sie zu Ihrem Aufenthalt
Der rauhsten Alpe Gipfel wählen,
Der rauhsten Alpe würde bald
Kein Reiz der schönsten Berge fehlen.
Ja, zöge Sie bis an den Anadir,
Wohin Sie gehen mag, die Musen folgen Ihr,
Ihr einen Pindus zu bereiten.
Sie, von Olympien stets geliebt, gepflegt, geschützt,
Belohnen Sie durch ihre Gaben itzt.
Sie schweben Ihr in Ihren Einsamkeiten,
Wenn Sie im Morgentau die Pfade der Natur
Besuchet, ungesehn zur Seiten,
Und leiten Sie auf ihre schönste Spur.
Und wenn Sie, in begeistertem Entzücken,
An einen Stamm gelehnt, mit liebender Begier
Was Sie erblickt und fühlt Sich sehnet auszudrücken,
So reichen sie den Bleistift Ihr.
Sie sind's, die am harmonischen Klavier
Der leichten Finger Flug beleben;
Und wer als sie vermöchte Ihr
Die Melodien einzugeben,
Von denen das Gefühl der lautre Urquell ist,
Die tief im Herzen widerklingen,
Die man beim ersten Mal erhascht und nie vergißt,
Und niemals müde wird zu hören und zu singen?
O Fürstin, fahre fort aus Deinem schönen Hain
Dir ein Elysium zu schaffen!
Was hold den Musen ist soll da willkommen sein!
Doch allen, die in Deine Wildnis gaffen
Und nichts darin als – Bäume sehn,
Dem ganzen Midasstamm der frostgen langen Weile
Mit ihrem Troß, dem Uhu und der Eule,
Und ihrer Schwesterschaft von Gänschen und von Krähn,
Sei Deine Luft zu rein! Das traur'ge Völkchen weile
Stets an des Berges Fuß; und führt das böse Glück
Es ja hinauf, so kehr es bald zurück,
[54]
Und banne selber sich aus Deiner Republik!
Und so, Natur, und ihr, geliebte Pieriden,
Pflegt eurer großen Priesterin!
Ihr sei das schönste Los des Erdenglücks beschieden,
Zur Lust an euch ein immer offner Sinn,
Ein immer fühlend Herz, und eine Quelle drin,
Die nie versiegt, von süßem innerm Frieden!
Was sonst die Sterblichen zu wünschen sich ermüden,
Ist gleich der Flut im Faß der Danaiden:
Und schöpften sie äonenlang hinein,
Es würde niemals voller sein.

An die durchlauchtigste Herzogin Anna Amalia

In der ersten Stunde des Jahrs 1783


Was hab ich, leider! ohne Frucht
an diesem Abend nicht versucht,
um, meiner Fürstin zu Preis und Ehren,
in dieser Gratulantenzeit
die dreimal drei Kastalische Dören
zu einem Liede zu beschwören?
Und weil die Musen sonder Streit
zur guten Geisterschar gehören,
die man (wie Doctor Obereit
und andre weise Männer lehren)
durch Anziehn nur gewinnen kann,
griff ich das Werk mit Räuchern an;
goß Storax und Borax, Musk und Mazis,
und Jusquiam und Aloës
und sieben andre Species
die Avicenna, Psellus und Razis
uns vorgeschrieben, auf Kohlenglut
in vollem Glauben und festem Mut,
die vorbesagten Kastalischen Feen
leibhaftig, alle drei zumal,
[55]
vor meinem Pult erscheinen zu sehen.
Der Rauch stieg, wie zu Alpenhöhen
ein Nebel aus einem engen Tal,
in Wolken hoch zum Sternensaal
empor – Allein, bei allen Busen
der großen Diana zu Ephesus!
wer, mir zum bittersten Verdruß,
nicht kam – das waren meine Musen.
Itzt fing mir, wie ich sagen muß,
die Galle mächtig an zu sprudeln.
»Nein!« rief ich, in meinem Zorn, »beim Styx!
So sollen die Jungfern mich nicht hudeln!
Erscheinen sie nicht augenblicks,
mit einem demutsvollen Knicks
ihr bestes Lied mir vorzududeln:
so soll, ich schwörs beim Wunderzahn
des Obermeisters aller Affen,
beim großen Zaubrer Hanneman,
so soll Hans Faust mir Recht verschaffen!«
Wiewohl ich mit Herrn Urian
sonst auf dem besten Fuß nicht stehe,
und, weil er mir von Jugend an
schon manchen bösen Tück getan,
ihm sonst gern aus dem Wege gehe,
für diesmal bringt die Not mich dran.
Es schlägt schon Eins! Bald kräht der Hahn
und auch ein Blatt nur voll zu reimen
ist keine Minute zu versäumen.
Zwar muß ich bekennen, erlauchte Frau,
mir ward ein wenig grün und blau
vorm Auge, da ich den ersten Bogen
zum Zauberkreis um mich gezogen.
Allein nun war der Rubicon
passiert, und nennt mir den Haymons Sohn
dem nicht das Herz, wenn's Ernst gilt, schlottert!
Genug, ich stund in meinem Kreis
[56]
und las – zwar freilich ein wenig leis –
(mit unter ward auch wohl gestottert)
mit hochemporgehaltnem Stab
den ganzen Höllenzwang herab,
durch den sonst, wie wir alle wissen,
die Geister unterm Monde stracks
auf allen Vieren, wie ein Dachs,
herangekrochen kommen müssen.
Allein, wo auch der Fehler gesteckt,
das Zauberwerk blieb ohne Effekt.
Zitieren kann jeder die Geister freilich;
doch, ob sie kommen wollen, das steht
bei ihnen! – »Unglücklicher Poet!
Ist dies dein Lohn? So lang und treulich
dienst du den Hexen vom Helikon
wohl sechs und dreißig Jahre schon
und drüber! Hast so treubeflissen
so manchen schönen Gänsekiel
in ihrem sauren Dienst zerbissen,
so manche Stanze gedreht, soviel
nach Reimen, wie Kakadus nach Nüssen,
und Baham nach Fliegen, haschen müssen,
und ach! so manches Ries Papier
für sie besudelt und zerrissen,
und das ist nun der Dank dafür!«
So rief ich mit gesenkten Ohren,
allein die Musen hörten's nicht;
und, Zauber, Rauchwerk, Öl und Licht
kurz, Malz und Hopfen war verloren!
Ja freilich im ganzen Heiligen Reich
ist diesen eigensinnigen Miezen
von alten zieraffischen Cantatrizen
kein Maid of Honour an Laune gleich.
Ich möchte wie Orlando rasen,
wenn ich bedenke, wie leicht es auch
den Mädchen war, mit Einem Hauch
die schönsten Verse mir einzublasen!
[57]
Nun sitz ich, sauge wie ein Gauch
am Daumen, ziehe mich bei der Nasen,
kratz hinterm Ohr, reib an der Stirne,
und strapaziere mein Gehirne
und melkte doch eher von einem Bock
den besten Wein aus Languedoc
als einen einzigen Fingerhut
voll Witz aus meinem Occiput.
Was nun zu machen? Allenfalls
gleich einem Schwan mit langem Hals
was am Gesange fehlt durch Heulen
ersetzen? Wir würden die Ehre zwar
Mit mancher zehnten Muse teilen:
doch scheint in solchen Fällen klar,
das Klügste sei zum Schlusse zu eilen;
denn Heulen quadriert doch nur auf Eulen,
und Persiflieren bringt Gefahr.
Drum wünsch ich ohne längeres Weilen
mit diesen treugemeinten Zeilen
Der Besten Fürstin zum neuen Jahr
Drei hundert Fünf und Sechzig Tage,
an denen von der ganzen Schar
der magern Sorgen keine nage:
auf jeden Tag an reinem Ertrage
stets volle vier und zwanzig Stunden
die Stunde zu Sechzig Minuten gezählt,
und jede Minute zu Sechzig Secunden,
und jede Secunde, daß keine fehlt,
von einem reinen Genuß beseelt,
mit etwas dessen man gerne sich wieder
erinnert wenn alles andre fehlt,
und frei von allem was Seel und Glieder
was Augen, Ohren und – Füße quält.
Im übrigen ist, zumal im Grünen
von Longus und von Lucian
als Kammerjunkern sich bedienen
[58]
zu lassen, immer wohlgetan.
Zwar sind die Herren, an denen man
sich schon zweitausend Jahre zu Tode
gelesen, ein wenig aus der Mode;
doch immer für eine Episode
noch gut genug, und haben auch
vor andern edeln Kammertieren
die Tugend und den löblichen Brauch
die Fürsten nicht länger zu ennuyieren
als Ihnen selbst belieben mag.
Das übrige alles was dieser Tag
zu wünschen pflegt, sei den Najaden
Sylphiden, Dryaden und Oreaden
und allen den geistigen iden und aden,
die mit der Sublunarischen Welt
gern oder ungern sich beladen,
ins Werk zu setzen heimgestellt!
Wohl dem, dem Alles wie's ist gefällt!
Und so empfehl ich mich zu Gnaden.

Eine Anekdote aus dem Olymp

am 1ten Januar, im Jahre 1784


Das dreimal Drei der Musenschar,
die heilge Vier der schönen Horen,
die Grazien im goldnen Haar,
und Bacchus und Apoll, mit Amorn und mit Floren,
frühstückten sämtlich bei Auroren
am ersten Tag im Januar.
Merkur, der nicht erwartet war,
kam aus des Luftmeers dünnen Wogen
à la Montgolfier geflogen,
und, »Friede«, sprach er, »sei mit Euch!
Euch Göttervolk im Himmelreich,
[59]
zu nichts als ewger Lust erzogen,
sind freilich alle Tage gleich.
Allein, dort unten auf der Erden
ist heut der erste Januar;
der pflegt daselbst gar sonderbar
von Groß und Klein chommiert zu werden,
denn heute gilt's fürs ganze Jahr.
Die Leute die was zu geben haben
beschenken einander mit kleinen Gaben;
doch, wer nicht schwer am Seckel trägt,
und lieber ihn sich füllen ließe,
schleicht tiefgebückt heran und legt
in Demut – Wünsche vor die Füße.
Ihr, denen's an Gaben nicht gebricht,
Wohlan, ihr lieblichen Göttinnen,
erinnert euch die schöne Pflicht
der Dankbarkeit und Liebe nicht,
auf Gaben für eine Fürstin zu sinnen
die, eure Freundschaft zu gewinnen,
euch stets die schönsten Kränze flicht?
die Erste eurer Priesterinnen!«
Die Damen in Aurorens Saal,
indem sie ihren Nektar schlürfen
beschäftigt, denk ich, mit Entwürfen
von Putz zum nächsten Götter-Bal,
entschuldigen sich allzumal.
»Was könnt Olympia bedürfen?
Hat Mutter Natur von Kindheit an
nicht alles schon für Sie getan?
ihr Bestes nicht an Ihr verspendet?
Hat nicht Ihr eigner Genius
die Arbeit der Natur vollendet?
Und macht was mancher Mann auf us
wohl unbegriffen lassen muß
nicht täglich noch Ihr Fleiß sich eigen?
Jedoch, zu allem Überfluß,
[60]
und bloß den guten Willen zu zeigen,
da, lieber Herr Merkurius,
pack er, was wir von unsern Dingen
in aller Eil zusammenbringen,
hübsch sauber auf, dann flieg er frisch
und leg's der Fürstin auf den Tisch.
Nur sei er honett, Herr Seelenzwinger,
und mach er keine krumme Finger!«
Jetzt ging's, mit einer Schwärmerei
die man von ihnen nur vor zwei
Minuten nicht vermutet hätte,
an ein Begaben in die Wette.
Die Pieriden, als ihrer Neun,
wollen, wie billig, die ersten sein.
Man mußte nach ihrem Gewimmel denken
sie hätten gewaltig viel zu schenken.
Doch, da sie ihren ganzen Kram
durchsucht, bestunden sie mit Scham.
Sie selber hatten schon vor Jahren
der Fürstin in die sie vergeistert waren
mit allem was der Musensitz
hervorbringt an Geschmack und Witz,
(ohn auf die Zukunft was zu sparen)
mit jedem Talent und jedem Trieb
der es entwickelt, so reich versehen,
daß nun den guten alten Feen
nichts mehr zu geben übrig blieb.
Apoll, auf den sie um Beistand sahn,
nahm ihrer sich aus Mitleid an.
»Ich selber wüßte, bei meinem Leben!«
sprach er, »Olympien nichts zu geben
das Sie nicht besser hätt – Allein,
betreffend die Herrn und Fräulein fein,
die Ihr als Commensalen dienen,
(doch nichts für ungut!) bei manchen von ihnen
[61]
mag dies der Fall nicht immer sein.
Drum dächt ich wir schickten insgemein
zur Notdurft der Dipnosophisten,
die unsre Fürstin in Ihrer Pfalz
bei Tafel zu amusieren gelüsten,
Ihr einen Zentner – Attisch Salz.«
»Der Einfall hat sich traun! gewaschen«,
fällt Bacchus, der Freudengeber, ein:
»ich selber lege dreihundert Flaschen
dazu, von meinem besten Wein;
die Herren werden im Einfall-Haschen
dabei nur desto prompter sein.
Was auch die Kammerherren sagen,
der Wein gibt Witz und stärkt den Magen.«
Jetzt traf die Grazien die Reih:
Die fanden, ohne sich lang im Busen
zu krabbeln, daß der Fall der Musen
just auch ihr eigner casus sei.
»Was wir nicht selbst an Sie verschwendet,
das«, sagten sie, »hat Sie uns, so fein
daß man Ihr's gern verzeiht, entwendet:
Wir könnten leicht genötigt sein
am Ende gar heut oder morgen,
anstatt zu geben, bei Ihr zu borgen.«
»Auf diesen Fall«, fällt Amor ein,
»ist euch kein bessrer Rat zu geben
als Tag und Nacht Sie zu umschweben,
und, ohne zu merkliches Bestreben,
die Pfade von Ihrem schönen Leben
mit euern Rosen, als sproßten sie eben
von selbst hervor, zu überstreun.«
Die Rede gefiel den Dirnen wohl,
und man beschloß, ein Körbchen voll
sogleich Merkuren mit zugeben.
[62]
»Noch eins«, sprach Phöbus, »fällt mir bei;
sag Ihren Leib- und Mund-Poeten,
wir hätten uns die Kuppelei
von Musen und Busen (als gar zu neu)
für ein und allemal verbeten.«
»Ich«, sprach jetzt Flora, »habe mir,
Olympien meine Dienstbegier
zu zeigen, Ihren Hain erwählt,
wo freilich dies und das noch fehlt.
Maßregeln hab ich schon genommen,
laßt mir nur erst den Frühling kommen!«
Die Hören stimmten im Chorus ein
und alle Göttinnen und Götter
gelobten Ihr, nebst schönem Wetter
und ewgem kühlen Sonnenschein,
zu dichten, zu würken und zu wachen
um Ihren auserwählten Hain
zu einem Paradies zu machen.
»Was mich betrifft, so hab ich zwar«,
sprach jetzt der Liebesgott, »fürwahr,
mich wenig Ihrer Gunst zu rühmen.
Denn ich verschoß an Ihrem Stolz
vergebens manchen schönen Bolz.
Dagegen ist mein Bruder Hymen
für große unverdiente Huld
um desto mehr in Ihrer Schuld.
Doch, brotzen würde mir übel ziemen.
Gern halt ich Ihren Schlägen still,
und, wenn Sie meines Diensts nicht will,
so ist mir's doch schon viel Genuß
daß Sie Sich lieben lassen muß.
(Das kann der Herr ins Ohr Ihr sagen.)«
Mit allem was man ihm aufgetragen
bepackt, war Herr Merkurius
[63]
in seinen Aërostatischen Wagen
zu steigen eben im Begriff:
als, keuchend, mit einem großen Ranzen
voll teutscher Zitronen und Pomeranzen,
Pomona in den Weg ihm lief.
»Ein einzig Wort, Herr Vetter«, rief
die gute Frau: »bring er, ich bitt,
der Fürstin diese Früchte mit;
Sie sind von meiner eignen Zucht,
sind gut (halb Teutschland hat's versucht)
und gehn, so helf mir Sankt Walpurg!
von London bis nach Petersburg:
sind, ohne Ruhmred, extrafein,
gesund und wohlfeil oben drein;
zwölf Körbchen (trotz dem leidigen Schweitzer!)
vier Gulden nur und dreißig Kreuzer!«
Merkur nimmt ihr die Körbchen ab,
und sinkt zum Erdenball hinab.
Und hier ist auch mein Märchen gar,
Im übrigen, Prost das neue Jahr!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Gedichte an Olympia. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A651-1