Gesang von mir selbst

Ich feiere mich selbst und singe mich selbst,
Und was ich mir anmaße, das sollt ihr euch anmaßen,
Denn jedes Atom, das mir gehört, gehört auch euch!

Ich bin Müßiggänger und lade meine Seele zu Gaste,

Ich lehne mich an oder schweife umher nach meinem Behagen, und betrachte einen Halm des Sommergrases.

Meine Zunge, jedes Teilchen meines Blutes ist hier aus diesem Boden, aus dieser Luft gebildet,
Von Eltern geboren, die hier von ähnlichen Eltern geboren, und diese wieder von ähnlichen Eltern,
So beginne ich jetzt, siebenunddreißig Jahre alt, in vollkommener Gesundheit,
Und hoffe nicht eher aufzuhören, bis zum Tode.

Glaubensbekenntnisse und Schulen ruhen eine Weile im Hintergrund,

Treten zurück, nach dem geschätzt was sie sind, doch nimmer vergessen,

Ich nehme alles in mich auf, mag Gutes oder Böses daraus erwachsen, ich lasse reden auf jede Gefahr –

Natur ohne Zwang, mit ursprünglicher Kraft.

Häuser und Räume sind voller Wohlgerüche, die Bücherbörter sind voller Düfte,
Die ich einatme, die ich kenne und liebe,
Die Essenz würde mich berauschen, aber ich lasse es nicht zu.
[39] Die Atmosphäre ist kein Parfüm, sie schmeckt nicht nach Essenz, sie ist geruchlos,
Sie ist immer für meinen Mund; ich bin verliebt in sie,
Ich will zum Hügelhang am Walde gehen und unverkleidet und nackt sein,
Denn ich lechze danach, mit ihr in Berührung zu kommen.

Der Dampf meines Atems,

Waldwiderhall, Gerinnsel, surrendes Flüstern, Liebeswurz, Seidenfaden, Gabelstock und Rebe,

Mein Aus- und Einatmen, das Pochen meines Herzens, das Durchströmen von Blut und Luft durch meine Lungen,

Der schwache Geruch von grünem und trocknem Laub, vom Ufer, von den dunkelfarbigen Seefelsen und vom Heu in der Scheune,

Meiner Stimme ausgestoßene Laute an die Windwirbel weitergegeben,

Ein leises Küssen und Umarmen,

Das Spiel von Sonnenschein und Schatten wo die biegsamen Äste schaukeln,

Das Entzücken, allein, oder im Gedränge der Straßen, oder an Feldern und Hügeln entlang,

Das Gefühl von Gesundheit, der Mittagstriller, mein Gesang, wenn ich mich vom Lager erhebe, der Sonne entgegen!


Hast du tausend Acker für viel gehalten? Hast du die Erde für viel gehalten?

Hast du so lange das Lesen gelernt?

Hast du dir etwas darauf eingebildet, den Sinn von Gedichten zu verstehen?

[40] Bleibe nur diesen Tag und diese Nacht bei mir, und du sollst den Ursprung aller Gedichte erfassen!

Du sollst das Gut der Erde und der Sonne haben, (Millionen von Sonnen sind noch übrig)

Du sollst die Dinge nicht mehr aus zweiter oder dritter Hand nehmen, auch nicht durch die Augen der Toten sehen, und dich nicht nähren von den Gespenstern in Büchern;

Du sollst auch nicht mit meinen Augen sehen, noch die Dinge von mir empfangen,

Du sollst horchen nach allen Seiten und sie alle durch dich selbst filtrieren!

Ich hörte die Schwätzer schwatzen vom Anfang und vom Ende,
Aber ich rede nicht vom Anfang oder vom Ende.
Nie war mehr Anfang als jetzt,
Nie mehr Jugend oder mehr Alter als jetzt,
Nie wird es mehr Vollkommenheit geben als jetzt,
Oder mehr Himmel und Hölle als jetzt.
Drängen und Drängen und Drängen –
Immer der zeugende Drang der Welt.
Aus dem Dunkel treten Gleichwertige einander entgegen, immer Stoff und Wachstum, immer Geschlecht,
Immer die Verknüpfung der Identität, immer Unterscheidung, immer ein brünstiges Leben.
Es weiter auszugrübeln ist nutzlos. Gelehrte und Ungelehrte fühlen, daß es so ist.
[41] Gewiß wie die sicherste Gewißheit, lotrecht in den Säulen, wohlgefügt in den Balken,
Stämmig wie ein Roß, zärtlich, stolz, elektrisch,
Ich und dies Geheimnis – hier stehen wir!
Klar und rein ist meine Seele, und klar und rein ist alles, was nicht meine Seele ist.
Fehlt eins, so fehlen beide, und das Ungesehene wird durch das Gesehene bewiesen,
Bis dieses wieder zum Unsichtbaren wird und seinerseits Beweise empfängt.

Auf das Beste hinweisend und es vom Schlechtesten trennend, quälte sich Zeitalter um Zeitalter,

Ich aber kenne die vollkommene Schicklichkeit und Gelassenheit der Dinge, schweige, während andere diskutieren, gehe baden und bewundere mich selbst.


Ich bin zufrieden, ich schaue, tanze, lache, singe;

Wie die umarmende und liebende Bettgenossin die Nacht durch an meiner Seite schläft, und sich bei Tagesanbruch verstohlenen Schrittes entfernt ...


Plappernde und Fragende umgeben mich;

Leute, denen ich begegne, die Nachwirkung aus meinem frühern Leben, oder von dem Stadt-Bezirk, in dem ich wohne, oder von dem Volkstum,

Die neuesten Ereignisse, Entdeckungen, Erfindungen, Gesellschaften, Autoren, alte und neue,

[42] Mein Mittagsessen, meine Kleidung, Genossen, Aussehen, Komplimente, Gebühren,

Die wirkliche oder eingebildete Gleichgültigkeit eines Mannes oder Weibes, die ich liebe,

Die Erkrankung eines meiner Verwandten, oder meiner selbst; Fehlschläge oder Verlust oder Mangel an Geld; Niedergeschlagenheit oder Überschwang,

Schlachten, die Greuel des Bruderkrieges, das Fieber zweifelhafter Nachrichten, wechselnde Zufälle,

Diese kommen zu mir bei Tag und Nacht – und gehen wieder,

Aber mein eigentliches Ich sind sie nicht.

Abseits vom Ziehen und Zerren steht, was ich bin,
Vergnügt, gefällig, teilnehmend, müßig, einheitlich,
Blickt nieder, steht aufrecht oder stützt den gebogenen Arm auf einen unfaßbaren sicheren Halt,
Sieht mit seitlich gewendetem Haupte zu, neugierig was nun kommen mag,
In und außer dem Spiel, aufpassend und sich darüber wundernd.

Hinter mir liegen die Tage, da ich, schwitzend im Nebel, mit Sprachgelehrten und Streitenden mich ereiferte,

Ich spotte und streite jetzt nicht, ich bin Zeuge und warte.

Ich glaube an dich, meine Seele; das andere, das ich bin, darf sich nicht vor dir erniedrigen,
Noch darfst du vor dem andern erniedrigt sein.

Laß dich mit mir nieder auf dem Grase und löse den Verschluß deiner Kehle,

[43] Nicht Worte, nicht Musik, noch Reime brauche ich, keine Herkömmlichkeit, keine Vorlesung, auch nicht die beste,

Bloß das Lullen lieb' ich, das Summen deiner Stimmbänder!

Ich gedenke, wie wir einst an einem so klaren Sommermorgen im Freien lagen,
Wie du dein Haupt quer über meine Hüften legtest und dich leise auf mir umkehrtest,
Und mir das Hemd am Brustknochen öffnetest und die Zunge in mein bloßgelegtes Herz hineintauchtest,
Und hinaufreichtest, bis du meinen Bart fühltest, und hinunter, bis du meine Füße hieltest.

Alsbald stieg empor und verbreitete sich um mich her der Friede und das Wissen, das über alle Beweisgründe der Welt hinausgeht,

Und ich weiß, daß die Hand Gottes die Versicherung der meinigen ist,

Und ich weiß, daß der Geist Gottes der Bruder des meinigen ist,

Und daß alle Männer, die je geboren, auch meine Brüder sind, und alle Frauen meine Schwestern und Geliebten ...

Ein Kind sagte: Was ist das Gras? und brachte es mir mit vollen Händen;
Wie sollte ich dem Kinde antworten? ich weiß ebensowenig was es ist, wie das Kind.
Ich meine, es muß die Fahne meines eigenen Gemütes sein, aus hoffnungsgrünem Tuch gewoben ...
Oder ich meine, das Gras ist selber ein Kindlein, das der Pflanzenwuchs zeugte ...
[44] Hat jemand geglaubt, es sei ein Glück, geboren zu werden?
Ich will ihm oder ihr gleich zeigen, daß es ein ebensolches Glück ist, zu sterben, und ich weiß es.

Ich gehe über den Tod mit dem Sterbenden hinaus und über die Geburt mit dem eben gebadeten Neugeborenen, und befinde mich nicht zwischen meinem Hut und meinen Stiefeln,

Und ich erforsche mannigfaltige Dinge, nicht zwei einander gleich, und ein jegliches gut,

Die Erde gut und die Sterne gut und alles Dazugehörige gut.

Ich bin nicht eine Erde, noch der Anhang einer Erde,
Ich bin der Genosse und Gefährte der Menschen, alle ebenso unsterblich und unergründlich wie ich,
(Sie wissen nicht wie unsterblich sie sind, doch ich weiß es).
Jede Art für sich und ihr eigen; für mich die meine, männlich und weiblich,
Für mich die, welche Knaben waren und die Frauen lieben,
Für mich der Mann, der stolz ist und fühlt wie es sticht, gering geachtet zu werden,
Für mich das Liebchen und die alte Jungfer, für mich Mütter und die Mütter von Müttern,
Für mich Lippen, die gelächelt haben, Augen, die Tränen vergossen,
Für mich Kinder und die Erzeuger von Kindern.
Enthülle dich! für mich bist du nicht schuldig, nicht veraltet, noch verworfen,
[45] Ich blicke durch das feine Tuch und Gingan, ob du willst oder nicht,
Und bin rings um dich, beharrlich, erobernd, unermüdlich, und lasse mich nicht abschütteln.

Das Kleine schläft in seiner Wiege,

Ich lüfte das Flortuch und blicke eine Weile hin, und verscheuche schweigend mit der Hand die Fliegen.

Der Junge und das rotbackige Mädchen wenden sich seitwärts zum buschigen Hügel hinan,
Ich erspähe sie oben vom Gipfel ...
Der Selbstmörder liegt hingestreckt auf dem blutigen Boden der Schlafstube,
Ich betrachte den Leichnam mit den blutbespritzten Haaren, und beachte, wo die Pistole hinfiel ...

Das Geplapper auf dem Straßenpflaster, die Radspuren der Wagen, Straßenschmutz der Stiefelsohlen, Gespräche der Spaziergänger,

Der schwere Omnibus, der Kutscher mit seinem fragenden Daumen, das Geklirr der beschlagenen Pferde auf dem Granitboden,

Die Schneeschlitten, Geklingel, scherzende Zurufe, das Schneeballwerfen,

Das Hochrufen für die Lieblinge der Menge, die Wut des Pöbels,

Das Flappen der Vorhänge einer Sänfte, darin ein Kranker nach dem Spital getragen wird,

Das Zusammentreffen von Feinden, der plötzliche Fluch, die Hiebe, das Hinfallen,

[46] Das aufgeregte Gedränge, der Schutzmann mit seinem Abzeichen, der sich eilig seinen Weg nach der Mitte der Menge bahnt,

Die fühllosen Steine, die so manches Echo empfangen und wieder zurückgeben.

Welch ein Stöhnen der Überfütterten oder Halbverhungerten, die vom Sonnenstich getroffen oder in Krämpfen umfallen!

Welche Schreie der Weiber, die es unerwartet überkommt, daß sie nach Hause eilen und Kinder gebären,

Welch lebendig begrabene Sprache bebt hier immerfort, welch ein Geheul – vom Anstand niedergehalten,

Verhaftungen von Verbrechern, Beleidigungen, ehebrecherische Anträge, Annahmen, Zurückweisungen mit aufgeworfenen Lippen –

Ich achte auf sie, auf ihren Schein oder Widerhall – ich komme und gehe.

Die weiten Tore der Dorfscheune stehen offen,
Das getrocknete Gras der Erntezeit belastet den langsam gezogenen Wagen,
Das hellklare Licht spielt über dem Durcheinander von Graubraun und Grün,
Die Haufen sind aufgeschichtet, daß ihre Last sich biegt.
Ich bin da, ich helfe; ich kam, hingestreckt oben auf der Ladung,
Ich fühlte ihre sanften Stöße, ein Bein auf dem andern ruhend,
Ich springe von dem Querbalken und fasse den Klee und das Zittergras,
Und wälze mich kopfüber und verwirre meine Haare in den Rispen!
[47] Allein, weit durch die Wildnisse und Gebirge jage ich,
Wandernd, überrascht über meine eigene Behendigkeit und Fröhlichkeit.
Am späten Nachmittag eine sichere Stelle aufsuchend, um die Nacht zuzubringen,
Zünde ich ein Feuer an und brate das frischerlegte Wild,
Schlafe auf den zusammengeschichteten Blättern ein, mit meinem Hund und dem Gewehr an der Seite.
Das Yankee-Klipperschiff ist unter den Oberbramsegeln, es durchschneidet das Gefunkel und Geschäume,
Meine Augen sehen das Land versinken, ich lehne mich über den Bug oder rufe jubelnd vom Verdeck.
Die Schiffer und Muschelgräber machten sich früh auf und warteten auf mich,
Ich steckte mir die Hose in die Stiefel und ging mit und hatte einen vergnügten Tag,
Du hättest an dem Tage bei uns sein sollen, beim Muschel-Kochkessel!

Ich sah die Vermählung des Pelzjägers, unter freiem Himmel im fernen Westen, die Braut war eine Rote,

Ihr Vater und seine Freunde saßen umher und rauchten schweigend, Mokassins an den Füßen, und von ihren Schultern hingen weite, dicke Wolldecken herab;

Auf einem Hügelhang streckte sich der Trapper, fast ganz in Pelz gekleidet, sein üppiger Bart und seine Locken schirmten den Hals, er hielt seine Braut bei der Hand,

[48] Sie hatte lange Augenwimpern, ihr Haupt war entblößt und ihr grobes, schlichtes Haar fiel über ihre wollüstigen Glieder und reichte ihr bis auf die Füße.


Der entlaufene Sklave kam an mein Haus und hielt draußen an,

Ich hörte seine Bewegungen an dem Knacken des Reisighaufens,

Durch die offene Halbtür der Küche sah ich ihn, matt und kraftlos,

Und ich ging hin wo er auf dem Holzklotz saß, führte ihn hinein und ermunterte ihn,

Schaffte Wasser herbei und füllte eine Wanne für seinen schweißigen Leib und seine wunden Füße;

Ich gab ihm eine Stube, die nach der meinen sich öffnete, und gab ihm einige grobe, reine Kleidungsstücke,

Ich erinnere mich ganz gut seiner rollenden Augen und seiner Unbeholfenheit,

Wie ich Pflaster auf die Blasen seines Halses und seiner Fußknöchel legte;

Eine Woche blieb er bei mir, bis er hergestellt war und nordwärts weiterzog,

Ich hatte ihn neben mir bei Tische sitzen – meine Flinte lehnte in der Ecke.

Achtundzwanzig junge Männer baden am Strande;
Achtundzwanzig junge Männer, und alle so vertraulich,
Achtundzwanzig Jahre keuschen Frauenlebens, und alle so einsam. –
Sie ist Besitzerin des schönen Hauses beim ansteigenden Ufer;
Schön und reich gekleidet, lauert sie hinter den Fenstervorhängen.
[49] Welchen der Jünglinge hat sie am liebsten?
Ach, der alltäglichste von ihnen ist schön in ihren Augen!
Wohin willst denn du, meine Dame? ich sehe dich schon,
Du plätscherst mit unten im Wasser, bleibst du auch mäuschenstill in deiner Stube.
Tanzend und lachend lief an den Strand die neunundzwanzigste Badende,
Die andern sahen sie nicht – aber sie sah die andern und liebte sie.
Die Bärte der jungen Männer glitzerten vom Naß, es rann von ihrem langen Haar herab,
Kleine Bächlein rieselten ihnen über den Leib.
Eine unsichtbare Hand strich auch über ihren Leib,
Sie glitt zitternd an ihren Schläfen und Rippen herab.

Die Männer schwimmen auf dem Rücken, ihre weißen Bäuche wölben sich unterm Sonnenlicht, sie fragen nicht, wer sie heimlich festhält,

Sie wissen nicht, wer so keucht und sich vorbeugt in geschmeidiger Wölbung der Glieder,

Sie ahnen nicht, wen sie mit Wasserstrahlen bespritzen. –

Schmiede mit geschwärzten und zottigen Brüsten umringen den Amboß,
Ein jeder hält seinen Schlaghammer, alle Hammer im Schwung, das Feuer glüht;
Von der aschenbestreuten Schwelle folge ich ihren Bewegungen,
[50] Die schlanke Biegung der Oberkörper hält Takt mit den derben Armen,
Von oben herunter schwingen die Hammer, schwingen so langsam hoch, so sicher,
Sie hasten nicht, ein jeder schlägt an die richtige Stelle.

Der Neger hält die Zügel seines Viergespanns fest, der Klotz schaukelt unten an der übergebundenen Kette,

Der Neger, der den langen Lastwagen des Steinbruches fährt, so sicher und hochgewachsen steht er da, mit einem Bein sich stützend auf den Holm,

Sein blaues Hemd läßt den starken Hals und die Brust frei und hängt lose über seinem Hüftgurt,

Sein Blick ist gelassen und gebieterisch, er schlägt die Hutkrämpe aus dem Gesicht zurück,

Das Sonnenlicht fällt auf sein Kraushaar und den Schnurrbart, auf das Schwarz seiner glänzenden, schönen Glieder.

Ich schaue den malerischen Riesen an und liebe ihn, und halte mich dabei nicht auf,
Ich gehe auch mit dem Gespann.

Ich bin der Liebkosende des Lebens, wo immer es sich regt, vorwärts sowohl wie rückwärts mich wendend,

Nach Seitennischen, entlegen und neuentdeckt, keine Person, keinen Gegenstand übersehend,

Alles in mich aufnehmend, für diesen Gesang.


Ochsen, die ihr mit dem Joch und der Kette rasselt oder unter schattigem Blätterdach haltet, was ist es, das ihr in euren Augen ausdrückt?

[51] Es scheint mir weit mehr als alles Gedruckte, das ich in meinem Leben gelesen.

Mein Schritt verscheucht Waldenterich und Ente auf meinen entlegenen, tagelangen Streifzügen,
Sie fliegen zusammen auf, langsam kreisend.
Ich glaube an diese beflügelten Zweckmäßigkeiten,
Und bekenne Rot, Weiß, Gelb, spielend in mir,
Und halte das Grün und das Veilchenblau und die Federbuschkrone für absichtlich,
Und nenne die Schildkröte nicht wertlos, weil sie nicht etwas anderes ist;
Die Elster im Walde hat die Tonleiter nicht studiert und trillert doch gut genug für mich,
Und der Anblick der kastanienbraunen Stute treibt beschämend alle Albernheiten aus mir.
Der wilde Gänserich lenkt seinen Flug durch die kühle Nacht,
Ja-honk! ruft er, und es klingt mir wie eine Einladung,
Die Vorwitzigen mögen es für bedeutungslos halten, ich aber finde, aufhorchend,
Daß es seinen Zweck und Platz hat dort oben im winterlichen Himmel.

Ich bin in das Leben im Freien verliebt,

In Männer, die unter dem Vieh leben oder den Geruch des Meeres oder des Waldes an sich haben,

In Schiffszimmerleute und Steuerleute und in die, welche Äxte und Schlegel schwingen und Pferde lenken,

Ich kann mit ihnen essen und schlafen, Woche für Woche.

[52] Was am gewöhnlichsten ist, am wohlfeilsten, nächsten, leichtesten, das bin ich,
Mein Glück versuchend, meine Habe verschwendend für ungeheuren Gewinn,
Mich schmückend, um mich dem ersten Besten, der mich will, hinzugeben,
Nicht vom Himmel fordernd, daß er mir zu Gefallen herunterkomme,
Sondern ihn ewig mit vollen Händen ausstreuend.

Ich bin alt und jung, närrisch und weise,

Unbekümmert um andere, stets um andere besorgt,

Mütterlich so gut wie väterlich, ein Kind so gut wie ein Mann,

Voll von dem Stoff der grob ist und voll von dem Stoff der fein ist,

Einer aus der Nation der vielen Nationen, die kleinste gleich der größten,

Ein Südländer ebenso wie ein Nordländer, ein Pflanzer, gemütlich und gastfrei, wohne ich unten am Oconee,

Ein Yankee auf seinem Wege zum Handel ausgerüstet, meine Gelenke die beweglichsten und sehnigsten auf der Erde,

Ein Kentuckymann, das Elkhorntal in Rehfellgamaschen durchstreifend, ein Louisianer oder Georgier,

Ein Bootführer auf den Seen oder Buchten, oder an den Küsten des Meeres, ein Hoosier, Badger oder Buckeye,

Zu Hause in kanadischen Schneeschuhen, oder draußen im Busch, oder mit Fischern bei Neufundland,

Zu Hause auf der Flotte der Eisboote, mit den andern segelnd und kreuzend,

[53] Zu Hause auf den Vermontbergen, in den Wäldern von Maine, oder auf einer Farm in Texas,

Kamerad der Kalifornier, Kamerad der freien Nordwestbewohner (ihre großen Gestalten liebe ich),

Kamerad der Flößer und Kohlenträger, Kamerad aller, die einem die Hand schütteln und zu Trank und Speise willkommen heißen,

Ein Lernender mit dem Einfältigsten, ein Lehrer der Gedankenvollsten,

Ein Neuling und Anfänger, doch erfahren in Myriaden von Jahren,

Von jeder Farbe und jedem Stande bin ich, von jedem Rang und jeder Religion,

Ein Bauer, Handwerker, Künstler, Edelmann, Matrose, Quäker,

Gefangener, Zierbengel, Raufbold, Rechtsanwalt, Arzt, Priester.

Alles bekämpfe ich leichter als meine eigene Verschiedenartigkeit,
Atme die Luft, doch lasse genug übrig,
Bin nicht aufgeblasen und bin da, wohin ich gehöre.

Dies sind wirklich die Gedanken aller Menschen aller Zeitalter und Länder, sie kamen nicht ursprünglich von mir,

Sind sie nicht die deinen ebensoviel wie die meinen, so sind sie nichts oder fast nichts,

Sind sie nicht das Rätsel und die Lösung des Rätsels, so sind sie nichts,

Sind sie nicht ebenso nah wie fern, so sind sie nichts.

Dies ist das Gras, das überall wächst, wo Land und Wasser ist,
Dies die gemeinsame Luft, in der die Erdkugel sich badet.
[54] Die Stadt schläft und das Land schläft,
Die Lebendigen schlafen ihre Zeit und die Toten schlafen ihre Zeit,
Der alte Ehemann schläft bei seinem Weib und der junge Ehemann schläft bei seinem Weib,
Diese alle drängen sich hinein zu mir und ich dränge mich aus mir hinaus zu ihnen,
Und was es heißt Einer von Diesen zu sein, mehr oder weniger, das bin ich,
Und aus einem und allen webe ich den Gesang von mir selbst.
Mit mächtiger Musik komme ich, mit Zinken und Trommeln,
Ich spiele Märsche nicht nur für anerkannte Sieger, ich spiele Märsche für Besiegte und Erschlagene.

Hast du gehört, es sei gut den Sieg zu gewinnen?

Ich sage, es ist auch gut zu fallen, Schlachten können verloren werden in demselben Geiste wie gewonnen.

Ich trommle und trommle weiter für die Toten.
Ich setze an und blase mein Lautestes und Fröhlichstes für sie.
Ein Hoch für Die, denen es fehlschlug!
Für Die, deren Kriegsschiffe in der See versanken,
Und für Die, welche selber untergingen,
Und allen Generalen, die Schlachten verloren, und allen besiegten Helden!
Und den zahllosen unbekannten Helden, gleich den größten Helden, die man kennt!
Dies ist das Mahl für Alle aufs gleiche gerichtet, das Fleisch für den natürlichen Hunger,
[55] Für den Bösen ebenso wie für den Rechtschaffenen, ich mache Vereinbarungen mit Allen,
Ich will, daß keiner gering geschätzt oder übergangen wird,
Die Maitresse, der Schmarotzer, der Dieb werden hiermit eingeladen,
Der dicklippige Sklave wird geladen, der Geschlechtskranke wird geladen,
Es soll kein Unterschied zwischen ihnen und den Andern sein.
Dies ist der Druck einer schüchternen Hand, das Wogen und Duften des Haares,
Die Berührung meiner Lippen mit den deinen, das Murmeln der Sehnsucht,
Die ferne Tiefe und Höhe, mein eigenes Antlitz spiegelnd,
Die gedankenvolle Verschmelzung meiner selbst und die Wiederauslösung.

Vermutest du, ich hätte einen tiefen Vorsatz?

Nun ja, ich habe einen, denn die Aprilschauer haben einen, und der Glimmer an einer Felswand hat einen.


Meinst du, ich möchte Erstaunen erregen?

Erregt denn das Tageslicht Erstaunen? oder der frühmuntere Rotschwanz, der durch die Wälder zwitschert?

Errege ich mehr Erstaunen als diese?

In dieser Stunde sage ich Dinge im Vertrauen,
Nicht jedermann sage ich sie, aber dir will ich sie sagen.
Wer geht da? Gierig, grob, mystisch, nackt;
Wie kommt es, daß ich Stärke ziehe aus dem Rindfleisch, das ich esse?
[56] Was ist überhaupt ein Mann? was bin ich? was bist du?
Allem, was ich als das Meine bezeichne, sollst du ein Deiniges gegenüberstellen,
Sonst wäre es verlorene Zeit, mir zuzuhören.
Ich schnüffle nicht umher mit dem Allerwelts-Geschnüffel,
Ich wimmere nicht mit dem Allerwelts-Gewimmer,
Daß die Monate leer sind und der Boden nur Schlamm und Kot.

Winseln und Zukreuzekriechen mischt in die Pulver für Bettlägerige, die Anpassung ist für die Vettern vierten Grades,

Ich trage meinen Hut wie's mir gefällt, drinnen und draußen.


Warum muß ich beten, warum verehren und zeremoniell sein?


Da ich die Gesteinschichten durchforscht, auf ein Haar analysiert, Gelehrte zu Rate gezogen und genau berechnet habe,

So finde ich doch kein süßeres Fett als an meinen eigenen Knochen klebt!

In allem Volk sehe ich mich selbst, keiner ist mehr, keiner um ein Gerstenkorn weniger.
Das Gute und Böse, das ich von mir selber sage, sage ich von ihnen.
Ich weiß, ich bin kerngesund und fest,
Zu mir streben alle Dinge des Weltalls in unaufhörlicher Flut,
Alle sind an mich geschrieben, und ich muß die Schrift entziffern.

[57] Ich weiß, daß ich totlos bin,

Ich weiß, meine Kreisbahn kann nicht von eines Zimmermanns Zirkel umspannt werden,

Ich weiß, daß ich nicht verlöschen werde wie eines Kindes Feuerreif, der nachts mit glühendem Stock durch die Luft geschlagen wird.


Ich weiß, daß ich erhaben bin,

Ich quäle meinen Geist nicht, sich selbst zu rechtfertigen oder verstanden zu werden,

Ich sehe, daß die Urgesetze sich niemals entschuldigen!

(Ich glaube, ich betrage mich am Ende nicht hochmütiger als die Wasserwage, nach der ich den Grund meines Hauses anlege.)

Ich bin wie ich bin, das ist genug,
Wird mich kein andrer in der Welt gewahr, sitze ich hier zufrieden,
Und wenn mich jeder und alle bemerken, sitze ich auch zufrieden.
Eine Welt wird meiner gewahr, und zwar mir bei weitem die größte Welt, und das bin ich selbst,
Und ob ich zu dem Meinigen heute gelange oder nach zehntausend oder zehn Millionen Jahren,
So kann ich's getrost jetzt hinnehmen, und ebenso getrost kann ich warten.
Die Stätte, wo ich Fuß fasse, ist fest wie mit Eisenklammern in Granit,
Ich verlache Das, was ihr Auflösung nennt,
Und ich kenne die Fülle der Zeit.
[58] Ich bin der Dichter des Körpers und ich bin der Dichter der Seele,
Bei mir sind die Seligkeiten des Himmels und die Qualen der Hölle,
Die ersten veredle und vermehre ich in mir, die letzteren übersetze ich in eine neue Sprache.
Ich bin der Dichter des Weibes gleichwie des Mannes,
Und ich sage, es ist ebenso groß ein Weib zu sein wie ein Mann,
Und ich sage, es gibt nichts Größeres als eine Mutter der Menschen.
Ich singe den Sang des Hochgefühls und des Stolzes,
Wir haben uns geduckt und gedemütigt genug,
Ich zeige, daß Größe nur Entwicklung ist.
Hast du die andern überholt? Bist du der Präsident?
Es ist eine Kleinigkeit; sie werden alle weiter als bis dahin gelangen, und immer noch weiter.
Ich bin es, der da wandelt mit der zarten, wachsenden Nacht;
Der Erde und dem Meer, von der Nacht halb umfangen, rufe ich zu:
Drücke dich fest an mich, bloß-busige Nacht – drücke dich fest an mich, magnetische, nährende Nacht!
Nacht der Südwinde – Nacht der wenigen großen Sterne,
Stille, nickende Nacht – rasende nackte Sommernacht!
Lächle, du wollüstige, kühl angehauchte Erde!
Erde der schlummernden, zerfließenden Bäume,
Erde nach Sonnenuntergang – Erde der nebelumhüllten Berggipfel,
[59] Erde mit dem gläsernen Guß des Vollmonds in bläulichem Schimmer,
Erde des Glanzes und Schattens, den Spiegel des Flusses bunt besprenkelnd,
Erde der durchsichtigen klargrauen Wolken, heller und klarer um meinetwillen,
Weitumfassende Erde – reiche Apfelblüten-Erde,
Lächle, denn dein Geliebter kommt!
Verschwenderin! Du hast mir Liebe gegeben – darum gebe auch ich dir Liebe,
O unaussprechliche leidenschaftliche Liebe!

Du Meer! auch dir ergebe ich mich – ich errate was du sagen willst,

Ich sehe vom Gestade deine gekrümmten, lockenden Finger,

Ich glaube, du weigerst dich zurückzufluten ohne mich berührt zu haben.

Wir müssen zusammen ein Spiel machen, ich entkleide mich; führe mich rasch fort, außer Sicht vom Lande,

Bette mich weich, wiege mich in welligen Schlummer,

Überschütte mich mit lüsternem Naß – ich kann dir's vergelten.

Meer der langgestreckten Grundwogen,
Meer, das in breiten, bebenden Zügen atmet,
Meer mit dem Salz des Lebens und den nicht gegrabenen, doch immerbereiten Gräbern,
Heulende, sturmgepeitschte, launige und liebliche See,
Ich bin eins mit dir, ich bin eine Phase und bin alle Phasen!
[60] Ich bin ein Teil von Flut und Ebbe, Lobpreiser des Hasses und der Wiederversöhnung,
Lobsinger der Liebenden und solcher, die einander in den Armen ruhen.
Ich bin es, der Sympathie verkündet,
(Soll ich ein Verzeichnis von den Sachen im Hause machen, und das Haus übersehen, das sie enthält?)
Ich bin nicht nur der Dichter der Güte, ich weigre mich nicht, auch der Dichter des Bösen zu sein.
Was für ein Geplärre über Tugend und Laster!
Das Übel treibt mich an und die Verbesserung des Übels treibt mich an, ich stehe unbekümmert,
Mein Gang ist nicht der Gang eines Tadlers oder eines Verwerfenden,
Ich benetze die Wurzeln von Allem was gewachsen ist.
Hast du etwa Furcht vor Skrofeln aus der nie erschlaffenden Zeugungsfülle?
Vermutest du, die himmlischen Gesetze wären zu überarbeiten und zu berichtigen?
Ich finde die eine Seite als Gegengewicht und die antipodische Seite auch als Gegengewicht,
Die sanfte Lehre ebenso hilfreich wie die starke Lehre,
Gedanken und Taten der Gegenwart, unser Aufwachen und erstes Ansetzen,
Diese Minute, die über die vergangenen Dezillionen zu mir kommt –
Es gibt nichts Besseres als sie, und Jetzt!

[61] Was sich in der Vergangenheit tüchtig gezeigt hat und sich noch tüchtig zeigt, ist kein solches Wunder,

Ein ewiges Wunder ist nur, daß es einen gemeinen Menschen geben kann, oder einen Ungläubigen.

Endlose Entfaltung der Worte der Zeiten,
Und meins ein Wort der Modernen, das Wort: Masse!
Ein Wort des Glaubens, das nimmer täuscht,
Hier oder fortan, mir ist es gleich, ich vertraue der Zeit unbedingt.
Sie allein ist ohne Unterbrechung, sie allein rundet und vollendet alles,
Dies mystische verwirrende Wunder allein vollendet alles.
Ich nehme die Wirklichkeit hin und wage nicht, sie in Frage zu ziehen,
Durchtränkt von Materialismus von Anfang bis zu Ende.
Hoch lebe die positive Wissenschaft! Es lebe die exakte Demonstration!
Man hole Mauerpfeffer gemischt mit Ceder und Fliederzweigen;
Dies ist der Lexikograph, dies der Chemiker, dieser machte eine Grammatik der alten Keilschriften,
Diese Seeleute lenkten das Schiff durch gefährliche, unbekannte Meere,
Dies ist der Geologe, dieser arbeitet mit dem Zergliederungsmesser, und dies ist ein Mathematiker.
Meine Herren! Euch gebühren stets die höchsten Ehren,
Eure Tatsachen sind nützlich, doch meine Wohnung sind sie nicht,
Durch sie trete ich erst in einen Vorhof meiner Wohnung ein.
[62] Walt Whitman, ein Kosmos, von Manhatten der Sohn,
Ungestüm, fleischlich, sinnlich, essend, trinkend und zeugend,
Kein Überschwänglicher, keiner der über Männern und Weibern steht, oder abseits von ihnen,
Nicht bescheiden, noch unbescheiden.
Schraubt die Schlösser von den Türen los,
Schraubt die Türen selber los von ihren Pfosten!
Wer einen andern erniedrigt, erniedrigt mich,
Und alles was getan oder gesagt wird, fällt schließlich auf mich zurück.
Durch mich wogt und wogt die Geistesflut, durch mich die Strömung und der Zeiger.

Ich spreche das uralte Losungswort, ich gebe das Zeichen der Demokratie,

Bei Gott! ich will nichts annehmen, das jedem Andern nicht unter gleichen Bedingungen zuteil werden kann.


Durch mich manch' lang verstummte Stimmen,

Stimmen jener endlosen Geschlechter von Gefangenen und Sklaven,

Stimmen der Kranken und Verzweifelnden, von Dieben und Zwergen,

Stimmen von Kreisläufen der Vorbereitung und des Wachstums,

Stimmen der Fäden, welche die Sterne miteinander verbinden, und der Mutterschaft und des Zeugungsstoffs,

Und der Rechte derjenigen, über die andere herfallen,

[63] Der Mißgestalteten, Albernen, Flachen, Närrischen, Verachteten,

Des Nebels in der Luft, der Käfer, die Bällchen aus Dünger hinwälzen.

Durch mich verbotene Stimmen,
Stimmen der Geschlechter und Begierden, verschleierte Stimmen, ich ziehe den Schleier weg,
Unzüchtige Stimmen, durch mich erhellt und verklärt.
Ich presse mir nicht den Finger auf den Mund,
Ich halte die Eingeweide nicht für geringer als den Kopf und das Herz,
Begattung ist für mich nicht brünstiger als der Tod.
Ich glaube an das Fleisch und die Begierden,
Gesicht, Gehör, Gefühl sind Wunder, und jeder Teil und Fetzen von mir ist ein Wunder.
Göttlich bin ich innen und außen und mache heilig was ich berühre, oder was mich berührt,
Der Duft dieser Achselhöhlen ein Aroma feiner als Gebete,
Dieses Haupt mehr als Kirchen, Bibeln und alle Glaubensbekenntnisse.

Wenn ich ein Ding mehr verehre als ein anderes, so soll es die Entfaltung meines eigenen Körpers sein, oder irgend ein Stück desselben.

Durchsichtige Gestalt, du sollst es sein!

Schattige Ränder und Stufen, ihr sollt es sein!

Männlicher junger Hengst, du sollst es sein!

Was immer mir zum Wohl gereicht, das soll es sein!

[64] Du mein reiches Blut! Du milchweißer Strom, bleicher Auszug meines Lebens,

Brust, die sich an andere Brüste drückt, du sollst es sein,

Mein Gehirn, es sollen deine geheimen Windungen sein,

Wurzel des wasserbespülten Kalmus, scheue Teichschnepfe, Nest der behüteten Doppeleier, ihr sollt es sein!

Gemischtes, wirres Heu des Kopfes, des Bartes, der Brust, ihr sollt es sein!

Triefender Saft des Ahorns, Faser des kräftigen Weizens, ihr sollt es sein!

Sonne, du Großmütige, du sollst es sein!

Dämpfe, die mein Gesicht beleuchten und beschatten, ihr sollt es sein!

Schweißperlender Bach und Morgentau, ihr sollt es sein!

Ihr Winde, deren sanft kitzelnde Genitalien mich streicheln, ihr sollt es sein!

Breite, muskelschwellende Felder, Äste der Steineiche, die auf meinen gewundenen Pfaden liebevoll ruhen, ihr sollt es sein!

Hände, die ich gedrückt, Lippen, die ich geküßt, Sterbliche, die ich je berührt, ihr sollt es sein!


Ich bin in mich selbst verliebt; hier ist mein alles, und alles so köstlich,

Ein jeder Augenblick und alles was geschieht, durchzuckt mich mit Freude,

Ich kann nicht sagen, wie meine Fußknöchel sich biegen, oder woher der Ursprung meines leisesten Wunsches,

Oder den Grund der Freundschaft, die von mir ausströmt, oder den der Freundschaft, die ich empfange.


[65] Wenn ich die Stufen meiner Haustür hinaufgehe, halte ich an, um nachzusinnen, ob es Wirklichkeit sei,

Eine Winde an meinem Fenster befriedigt mich mehr als die Metaphysik der Bücher.

Den Tagesanbruch zu schauen!
Das erste Licht macht die ungeheure und durchsichtige Schattenwelt verblassen,
Die Luft schmeckt meinem Gaumen gut.

Sprossen der sich weiter bewegenden Welt, still erheben sie sich mit unschuldigem Frohlocken, frisch strahlen sie hervor,

Schräge schießen sie dahin, hoch und tief.

Etwas, das ich nicht sehe, richtet lüsterne Zacken empor,
Meere von glänzend hellem Saft überfluten den Himmel.
Des Himmels Verweilen bei der Erde, das tägliche Schließen ihrer Vereinigung,
Der Ruf der Herausforderung von Osten her, gerade jetzt über meinem Haupte,
Der höhnische Spottruf: Siehe denn, ob du Herr wirst!
Blendend und gewaltig, wie schnell würde der Sonnenaufgang mich töten,
Könnte ich nicht jetzt und allezeit aus mir selber Sonnenaufgang entsenden!
Wir gehen auch blendend und gewaltig auf wie die Sonne,
Wir fanden unser eigenes Ich, o meine Seele, in der Klarheit und Kühle des Tagesanbruchs!
[66] Meine Stimme strebt nach dem, was meine Augen nicht erreichen können,
Mit einer Drehung meiner Zunge umfange ich Welten und Massen von Welten.
Die Sprache ist der Zwilling meines Schauens, sie kann sich selbst nicht messen,
Sie reizt mich unaufhörlich, sie spricht spottend:
Lieber Walt, du enthältst doch genug, warum gibst du es nicht von dir?
Komm nur! ich lasse mich nicht necken, du hältst zu viel vom Ausdrücken,
Weißt du nicht, o Sprache, wie die Knospen sich in dir entfalten?
Wartend im Dunkeln, vom Frost behütet,
Der Schmutz zurückweichend vor meinen prophetischen Rufen,
Mein Ich, allen Ursachen zu Grunde liegend, um sie endlich ins Gleichgewicht zu bringen,
Mein Wissen lebendige Teile von mir, das mit der Bedeutung aller Dinge Schritt hält:
Glückseligkeit (wer immer mich hört, Mann oder Weib, mag heute noch aufbrechen, sie zu finden).

Mein höchstes Verdienst verweigere ich dir, ich weigere mich, das wiederzugeben, was ich wirklich bin.

Umfasse Welten, aber suche nicht mich zu umfassen,

Ich setze dich schon in Verlegenheit, wenn ich nur nach dir hinblicke.

Schreiben und Reden beweisen mich nicht,
Ich trage den reichlichsten Beweis und alles andere in meinem Antlitz,
[67] Mit dem Schweigen meiner Lippen mache ich den Skeptiker gänzlich zu Schanden.
Ich will jetzt nichts tun als lauschen,
Um das, was ich höre, in diesem Liede aufzufangen, damit alle Töne dazu beitragen.

Ich höre Jubellieder der Vögel, das Knistern des wachsenden Weizens, Geplapper von Flammen, Reiser knacken während sie mein Mahl kochen,

Ich höre den Ton, den ich liebe, den Ton der menschlichen Stimme,

Ich höre alle Töne ineinanderfließen, verschmolzen oder nacheinander,

Töne der Stadt und Töne außerhalb der Stadt, Töne des Tags und der Nacht,

Junge Leute, plaudernd mit Denen, die sie lieben, das laute Lachen von Arbeitern bei ihrer Mahlzeit,

Den zornigen Baßton zerstörter Freundschaft, die schwachen Laute der Kranken,

Den Richter, mit den Händen fest am Pulte, während seine blutleeren Lippen ein Todesurteil sprechen,

Das Hoiho! der Packer, welche die Schiffe an den Werften ausladen, den Kehrreim der Matrosen, die den Anker lichten,

Das Läuten der Sturmglocken, den Feuerruf, das Rasseln heranstürmender Feuerspritzen und Schlauchwagen, mit warnendem Geklingel und farbigen Lichtern,

Die Dampfpfeife, das dumpfe Rollen des nahenden Eisenbahnzuges,

[68] Den Trauermarsch, an der Spitze des Vereins gespielt – zu zwei und zwei gehen sie dahin,

(Sie geben einer Leiche das Geleite, die Fahnenspitzen sind mit Flor umwunden).

Ich höre das Cello (es ist des Jünglings Herzensklage),
Ich höre das Klappenhorn, die Töne dringen schnell in mein Ohr
Und durchschüttern mit wild-süßen Stößen mir Bauch und Brust.
Ich höre den Chorgesang, eine große Oper,
Ach! Das ist wahrhaftig Musik – die stimmt zu mir.
Eine Tenorstimme, groß und frisch wie die Schöpfung, erfüllt mich,
Der bogenförmigen Wölbung seines Mundes entströmt es und füllt mich ganz.

Ich höre die Sopranstimme (welch eine Wirkung geht von ihr aus!),

Das Orchester wirbelt mich weiter als Uranus fliegt,

Es entlockt mir solche Wärme des Gefühls, ich wußte nicht, daß ich sie besaß,

Es trägt mich wie auf Wellen, ich platsche mit bloßen Füßen, sie werden von den lässigen Wellen beleckt,

Ich werde vom scharfen, zornigen Hagel geritzt, der Atem geht mir aus,

Ich werde in honigsüßen Morphin getaucht, meine Kehle wird mit Schlingen des Todes zugezogen,

Endlich wieder freigelassen, um das Rätsel aller Rätsel zu fühlen,

Und das nennen wir: Sein.


[69] Was bedeutet es denn, in irgend einer Form zu sein?

Wenn nichts sich weiter entwickelte, wäre die Seemuschel mit ihrer unempfindlichen Schale schon genug,

Meine Schale ist nicht unempfindlich!

Ich habe schnelle Stromleiter in mir, überall wo ich gehe und stehe,

Sie fassen jeden Gegenstand und leiten ihn ohne Schaden durch mich hindurch.

Ich brauche mich nur zu rühren, etwas zu drücken, mit den Fingern etwas anzufassen und ich bin glücklich,

Mit meinem Leib den eines andern zu berühren, ist schon soviel wie ich ertragen kann.

Ist dies eine Berührung? mich durchzuckend zu einem neuen Wesen?
Flammen und Äther strömen ein auf meine Adern,
Verräterische Fühlhörner, von mir ausgestreckt um ihnen zu helfen,
Mein Fleisch und Blut Blitze ausstrahlend, um zu treffen was kaum verschieden von mir ist,
Auf allen Seiten ein Jucken und Reizen, das meine Glieder straff werden,
Aus meines Herzens Euter preßt es den zurückgehaltenen letzten Tropfen,
Benimmt sich schamlos gegen mich, kümmert sich um keine Zurückweisung,
Beraubt mich meines Besten, als wäre es mit Vorsatz,
Knöpft meine Kleider auf, faßt mich um den bloßen Leib,
Täuscht meine Verwirrung mit der Ruhe des Sonnenscheins und der Wiesen,
Schleppt meine übrigen Sinne unzüchtig von mir weg,
[70] Um sie zu bestechen, daß sie davonlaufen und an meinen äußersten Rändern grasen,
Keine Rücksicht, keine Acht auf meine sinkende Kraft oder auf meinen Zorn,
Die übrige Herde herbeiholend, daß sie sich eine Weile ergötzen,
Dann alle vereint auf einem Vorsprung stehen, um mich zu verhöhnen!
Die Schildwachen verlassen jeden andern Teil von mir,
Sie haben mich hülflos einem roten Räuber ausgeliefert,
Sie kommen alle auf den Vorsprung, um gegen mich zu zeugen und mitzuhelfen.
Ich bin Verrätern preisgegeben!
Ich rede verwirrt, ich habe den Verstand verloren, ich bin selbst der größte Verräter,
Ich ging selber zuerst auf die Spitze des Vorsprungs, meine eigenen Hände trugen mich dorthin.
Schurkische Berührung was machst du? der Atem erstickt in meiner Kehle,
Öffne deine Fluttore, du bist zu stark für mich!
Blinde, liebevolle, ringende Berührung, verhüllte, verkappte, scharfzahnige Berührung!
Hat es dir so weh getan, mich loszulassen?
Dem Enteilenden auf der Spur folgt das Ankommende, die ewige Zahlung ewigen Darlehns,
Reichlich strömt der Regen herunter, und noch reicher wird nachher der Ausgleich sein.
[71] Sprossen schlagen Wurzeln am Brunnengeländer, fruchtbar und triebkräftig,
Landschaften werden da entworfen, männlich volle, goldene Landschaften.
Alle Wahrheiten harren in allen Dingen,
Sie haben's nicht eilig mit ihrer Befreiung, noch widerstehen sie ihr,
Sie bedürfen nicht der Zange des Geburtshelfers.
Das Unbedeutende ist mir so wichtig wie irgend etwas,
(Was ist weniger oder was ist mehr als eine Berührung?).
Logik und Predigten überzeugen niemals,
Der feuchte Dunst der Nacht dringt tiefer in meine Seele.
Ich glaube ein Grashalm ist nicht geringer als das Tagewerk der Sterne,
Und die Ameise ist ebenso vollkommen, oder ein Sandkorn, oder des Zaunkönigs Ei,
Die Baumkröte ist ein Meisterstück für den Allerhöchsten,
Die Brombeer-Ranken könnten die Hallen des Himmels schmücken,
Und das schmalste Gelenkband meiner Hand spottet aller Maschinerie,
Eine Kuh, mit gesenktem Kopfe wiederkäuend, übertrifft jede Bildsäule,
Und eine Maus ist Wunders genug, um unzählige Ungläubige zu bekehren.
Ich finde, ich habe Gneis in mir, Kohle, langhaariges Moos, Früchte, Ähren, eßbare Wurzeln,
[72] Ich bin überall mit einer Stukkatur von Vierfüßlern und Vögeln bedeckt,
Und bin aus gutem Grunde über das hinausgekommen, was hinter mir liegt,
Kann aber, wenn ich will, alles wieder zurückrufen.
Vergebens alle Eile und Scheu!
Vergebens stehen die Gegenstände meilenweit voneinander entfernt und nehmen mannigfache Gestalt an,
Umsonst sinkt der Ozean in die Höhlung der Wellen und es lauern die Ungeheuer der Tiefe,
Vergebens steigt der Mäusefalk in den Himmel,
Vergebens verkriecht sich die Schlange unter die Schlingpflanzen und Holzklötze,
Vergebens flüchtet das Elch in die innersten Gründe des Waldes,
Vergebens segelt der Schermesserschnäbler gen Norden bis Labrador hinauf,
Ich bin rasch hinterher, ich klettre ihm nach bis zum Nest in der Felsenritze.

Ich meine, ich könnte mich den Tieren zugesellen und mit ihnen leben, sie sind so ruhig und selbständig,

Ich stehe und betrachte sie lange und lange.

Sie schwitzen und wimmern nicht über ihre traurige Lage,
Sie liegen nicht im Dunkeln wach und weinen über ihre Sünden,
Sie erregen in mir keinen Ekel, denn sie debattieren nicht über ihre Pflichten gegen Gott,
[73] Kein einziges ist unzufrieden, kein einziges ist verrückt von der Manie, Sachen zu besitzen,
Kein einziges kniet vor einem andern oder vor seinesgleichen, der vor Tausenden von Jahren lebte,
Kein einziges ist »respektabel« oder unglückselig auf der ganzen Erde.
So zeigen sie ihre Beziehungen zu mir, und ich erkenne sie an,
Sie bringen mir Zeichen von mir selbst und beweisen deutlich ihren Anteil daran.
Ich wundere mich selbst, woher sie diese Zeichen haben können?
Bin ich selber dort vor riesigen Zeiträumen vorbeigegangen und habe sie nachlässig hinfallen lassen?
Ich selber, vorrückend, damals und jetzt und ewig?
Immer mehr sammelnd und offenbarend, mit Schnelligkeit,
Unendlich und von allerlei Gattung, gleich wie diese unter ihnen,
Nicht zu vornehm gegen diejenigen, die mir meine Erinnerungszeichen geben,
Hier suche ich mir einen aus, den ich liebe, und nun gehe ich brüderlich mit ihm.
Ein Prachtstück von einem Hengst, lebhaft und empfänglich für meine Liebkosungen,
Sein Kopf ist hoch in der Stirn, breit zwischen den Ohren,
Die Glieder glänzend und geschmeidig, der Schweif streift den Boden,
Die Augen voll funkelnder Bosheit, die Ohren fein geschnitten, geschmeidig in der Bewegung.
[74] Seine Nüstern blähen sich, wenn meine Fersen ihn umschließen,
Seine wohlgebauten Glieder beben vor Lust, wenn wir im Kreise herumtoben.
Ich benutze dich nur eine Minute, mein Hengst, dann gebe ich dich frei,
Wozu brauche ich deine Sprünge, da ich dich selbst im Galopp überholen kann?
Selbst wenn ich sitze oder stehe, komme ich doch schneller weiter als du!
Raum und Zeit – jetzt sehe ich daß es wahr ist, was ich erriet,
Da ich müßig auf dem Grase lag,
Was ich erriet, als ich allein im Bette lag,
Und wieder erriet, als ich wandelte am Meeresgestade, unter den erbleichenden Sternen des Morgens.

Meine Fesseln und mein Ballast fallen von mir ab,

Meine Ellbogen ruhen in Meeresbuchten,

Ich überspringe Gebirge, meine Hände umspannen Weltteile,

Ich gehe mit meinem Traum.

Unter den viereckigen Häuserblocks der Stadt, – in Blockhütten mit Holzhändlern lagernd,

Entlang den Geleisen der Landstraße, an der trocknen Schlucht und am Bette des Flüßchens,

Ich jäte meine Zwiebelacker oder behacke die Reihen der Karotten und Pastinaken, die Savannen durchquere ich, auf der Fährte durch Urwälder,

Ich messe Land, grabe Gold, umschneide die Rinden der Bäume auf einem neuen Landbesitz,

[75] Vom heißen Sande verbrannt bis auf die Fußknöchel, indem ich mein Boot den flachen Fluß hinabschleppe,

Wo der Panther auf dem Ast mir zu Häupten hin- und hergeht, wo der Rehbock wütend den Jäger angeht,

Wo die Klapperschlange ihre schlaffe Länge auf einem Felsen sonnt, wo der Otter Fische frißt,

Wo der Alligator in seinem zähen Warzenpanzer am Abfluß des Sees schläft,

Wo der schwarze Bär nach Wurzeln oder Honig sucht, wo der Biber den Schlamm mit seinem ruderförmigen Schwanz aufwühlt,

Über sprossendes Zuckerrohr, über die gelbblütige Baumwollenstaude, über den Reis in seinem feuchten Felde,

Über den spitzgiebeligen Bauernhof, mit seiner ausgezackten Dachrinne und den schlanken Wasserstrahlen der Traufe,

Über die Dattelpflaumen des Westens, über den langblätterigen Mais, über den zierlichen blaublumigen Flachs,

Über den weißen und braunen Buchweizen, ein Brummer und Summer da mit den andern,

Über das dämmerige Grün des Roggens, wie er in dunkleren Wellen im Winde wogt,

Berge erkletternd, ziehe mich vorsichtig hinauf, an niedrigen rauhen Ästen mich haltend,

Verfolge den ausgetretenen Pfad im Grase und durchdringe das Dickicht,

Wo die Wachtel schlägt, zwischen dem Wald und dem Weizenacker,

Wo die Fledermaus am Abend des siebenten Monats umherflattert, wo der große Goldkäfer durch das Dunkel niederstürzt,

[76] Wo das Bächlein aus den Wurzeln des alten Baumes sickert und nach der Wiese fließt,

Wo das Vieh steht und sich mit zitternder Bewegung der Haut die Fliegen abschüttelt,

Wo das Käsetuch in der Küche hängt, wo Feuerböcke spreizbeinig überm Herdstein stehen, wo Spinngewebe wie Pflanzengewinde von den Balken hängen,

Wo die Hüttenhämmer krachen, wo die Druckerpresse ihre Zylinder wirbelt,

Überall wo das Menschenherz mit furchtbaren Krämpfen unter den Rippen schlägt,

Wo der birnenförmige Ballon hochoben schwebt, (ich selber schwebe darin und schaue gelassen hinab)

Wo der Rettungskarren an der Schleife gezogen wird, wo die Hitze hellgrüne Eier im Sand ausbrütet,

Wo das Walfischweibchen mit seinem Kalbe schwimmt und es nie verläßt,

Wo das Dampfschiff seinen langen Rauchwimpel hinter sich zieht,

Wo die Rückenflosse des Haifisches wie ein schwarzer Span aus dem Wasser schneidet,

Wo die halbverbrannte Brigg auf unbekannter Strömung dahin treibt,

Wo Muscheln sich am schlüpfrigen Deck ansetzen, wo unten im Raum die Toten verwesen,

Wo die sternbesäte Fahne an der Spitze des Regiments getragen wird;

Manhattan nahend auf der langgestreckten Insel,

Unter Niagara, während der Wasserfall wie ein Schleier über mein Gesicht fällt,

[77] Auf einer Haustreppe, draußen auf dem Aufsteigeblock von hartem Holz,

Auf der Rennbahn, oder an Picknicks und Tänzen im Freien ergötze ich mich, oder an einem guten Ballspiel,

In Männergesellschaften mit rohen Scherzen, ironischer Ausgelassenheit, Bulltänzen, Saufen, Gelächter,

Bei der Apfelweinpresse, die Süße des braunen Breis kostend, sauge ich den Saft durch einen Strohhalm,

Küsse verlange ich beim Apfelschälen für alle roten Früchte, die ich finde.

Bei Musterungen, Strandpartien, freundnachbarlichen Hilfsvereinen, beim Abhülsen des Maises, beim Richtfest,

Wo die Spottdrossel ihre köstlichen Wirbel schmettert, gackert, schreit und schluchzt,

Wenn der Heufeimen im Scheunenhof steht, wo die dürren Halme umherliegen, wo die Zuchtkuh im Schuppen wartet,

Wo der Stier vortritt, um sein männliches Werk zu verrichten, wo der Hengst bei der Stute, wo der Hahn die Henne tritt, da freue ich mich,

Wo die Jungkuh weidet, wo die Gänse ihr Futter mit kurzen Schnabelstößen aufschaufeln,

Wo die Abendschatten sich verlängern über der grenzenlosen und einsamen Prärie,

Wo die Büffelherden eine kriechende Decke bilden über Quadratmeilen nah und fern,

Wo der Kolibri schimmert, wo der Hals des langlebigen Schwanes sich biegt und windet,

Wo die Lachmöwe am Seegestade schweift und lacht ihr menschliches Lachen,

[78] Wo die Bienenkörbe in der Reihe auf einer grauen Holzbank im Garten stehen, halb verborgen im hohen Unkraut,

Wo die Halsband-Rebhühner im Kreise auf dem Boden schlafen, alle mit den Köpfen nach auswärts,

Wo die Leichenwagen durch das Bogentor des Friedhofs fahren;

Wo die Wölfe im Winter bellen in Einöden von Schnee, wo die Bäume mit Eiszapfen behangen,

Wo der Reiher mit gelber Krone nachts an den Rand des Sumpfes kommt, um kleine Krebse zu fressen,

Wo das Plätschern der Schwimmer und Tauchenden die heiße Mittagstunde kühlt,

Wo die Zikade ihre chromatische Rohrpfeife übt auf dem Wallnußbaum über dem Brunnen.

Ich komme durch kleine Anpflanzungen von Zitronen und Gurken mit silberdrahtgeäderten Blättern,

Durch die Salzlecke oder das Orangen-Tal, oder unter spitzwipfligen Fichten,

In die Turnhalle, in den mit Vorhängen geschmückten Saal, in das Bureau oder die öffentliche Halle,

Erfreut über das Einheimische, erfreut über das Fremde, froh über Neues und Altes,

Freue mich über das häusliche Weib wie über das schöne,

Über die Quäkerin, wie sie ihre Haube ablegt und melodisch spricht,

Freue mich über das Lied des Chors in der weißgetünchten Kirche,

Über die eifrigen Worte des schwitzenden Methodistenpredigers, ernst ergriffen beim Feldgottesdienst;

Ich schaue in die Ladenfenster am Broadway den ganzen Vormittag, das Fleisch meiner Nase am dicken Spiegelglas platt drückend,

[79] Schlendere denselben Nachmittag, mit dem Gesicht zu den Wolken gewendet, einen Feldweg hinab, oder am Strande entlang,

Meine Arme rechts und links um die Seite zweier Freunde, ich in der Mitte,

Komme nach Hause mit dem schweigsamen dunkelwangigen Waldknaben (er reitet hinter mir in der Dämmerung);

Fern von den Ansiedelungen folg' ich der Fährte des Wildes oder der Mokassinspur;

Am Lager, im Spital, einem Fieberkranken Limonade reichend,

Bei der eingesargten Leiche, wenn alles still geworden, mit einer Kerze untersuchend.

Ich segle nach jeder Seestadt, um zu tauschen und zu wagen,

Hastig mit dem modernen Pöbel, so gierig und wankelmütig wie nur einer ...

Ich fliege den Flug einer flüssigen, trinkenden Seele,
Meine Bahn geht tief unter die Messungen des Bleilots!
Ich nehme mir vom Körperlichen und Unkörperlichen,
Keine Wache kann mir den Eintritt verwehren, kein Gesetz mich hindern.
Nur für kurze Zeit liege ich mit meinem Schiff vor Anker,
Meine Boote kreuzen beständig oder bringen mir ihre Berichte.

Ich gehe auf Jagd nach Polarpelzen und Seehunden, ich springe über Eisspalten mit einem eisenbeschlagenen Stock, klammere mich an die blauen zerbrechlichen Zacken.

[80] Ich steige auf das Vorkastell,

Ich nehme meinen Platz spät des Nachts im Krähennest,

Wir segeln im Nordpolarmeer, es ist reichlich hell genug,

Durch die klare Luft sehe ich ringsum wunderbare Schönheit,

Die riesigen Eismassen schwimmen an mir vorüber, die Gegend nach allen Richtungen deutlich sicht bar,

Die weißspitzigen Berge zeigen sich in der Ferne, ich sende ihnen meine Phantasien zu,

Wir nähern uns einem großen Schlachtfelde, wo wir bald mitkämpfen müssen,

Wir passieren die riesigen Vorposten des Lagers, mit stillen Schritten und mit Vorsicht gehen wir vorbei,

Oder wir ziehen durch die Vororte in eine zertrümmerte Stadt,

Diese Blöcke und die verfallene Architektur sind mehr als alle lebenden Städte des Erdballs!

Ich bin ein Freibeuter, ich biwakiere an den Wachtfeuern hereinbrechender Feinde,
Ich werfe den Bräutigam aus dem Bett und bleibe selber bei der Braut,
Ich presse sie die ganze Nacht an meine Schenkel und Lippen.
Meine Stimme ist des Weibes Stimme, der Aufschrei am Treppengeländer,
Sie bringen mir meines Mannes Leiche herauf, triefend – ertrunken.

Ich begreife die großen Herzen der Helden,

Die Tapferkeit der Gegenwart und aller Zeiten,

[81] Wie der Schiffskapitän das steuerlose Wrack des Dampfers sah, wimmelnd von Menschen, das der Tod auf- und niederjagte durch den Sturm,

Wie er die Fäuste zusammen preßte und nicht einen Zoll breit wich, und treu blieb bei Tag und Nacht,

Und mit Kreide große Buchstaben auf ein Brett schrieb: »Seid guten Muts, wir verlassen euch nicht!«

Wie er ihnen folgte und drei Tage lavierte und nicht nachließ,

Wie er endlich die Umhertreibenden rettete,

Die erschöpften Weiber in schlaff hängenden Kleidern, als man sie vom Rande ihrer offenen Gräber herübergeholt,

Die stummen Kinder mit gealterten Zügen, die aufgerichteten Kranken und die scharflippigen, unrasierten Männer;

Das alles nehme ich in mich auf, es schmeckt mir gut, ich genieße es, es tut mir wohl,

Ich bin es selbst, ich litt, ich war dabei.


Ich bin der gehetzte Sklave, ich krümme mich unter den Bissen der Hunde,

Hölle und Verzweiflung sind über mich gekommen, es knallen und knallen die Schützen,

Ich klammere mich an die Pfähle des Zaunes, mein Blut rinnt, verdünnt durch den Schweiß meiner Haut,

Ich fühle Stiche, die wie Nadeln mir Hals und Beine treffen, die mörderischen Rehposten und Kugeln,

Ich falle auf Unkraut und Steine,

Die Reiter spornen ihre sträubenden Rosse, reißen sie dicht an mich heran,

Schreien mir Hohn in meine schwindelnden Ohren und schlagen mich wütend mit Peitschenstöcken auf den Kopf.

[82] Qualen sind für mich wie Kleiderwechsel,
Ich frage den Verwundeten nicht, wie es ihm geht, ich werde selber der Verwundete,
Meine Wunden werden brandig, während ich mich auf meinen Stock lehne und zuschaue.
Ich bin der zerquetschte Feuerwehrmann mit zerbrochenem Brustbein,
Stürzende Mauern begruben mich unter ihren Trümmern,
Glut und Rauch atmete ich ein, hörte den gellenden Schrei meiner Kameraden,
Hörte das ferne Klickklack ihrer Hacken und Schaufeln,
Sie haben die Balken weggeräumt, nun ziehen sie mich sanft hervor.
Ich liege in der Nachtluft im roten Hemde, Schweigen herrscht um meinetwillen,
Schmerzlos liege ich da, erschöpft, doch nicht unglücklich,
Weiß und schön sind die Gesichter, die mich umgeben, die Häupter entblößt von den Feuerhelmen,
Die knieende Menge schwindet allmählich mit dem Lichte der Fackeln.
Ich bin ein alter Artillerist, ich erzähle vom Bombardement meiner Festung,
Ich bin wieder dort –
Wieder der lange Trommelwirbel,
Wieder die feindlichen Geschütze, die Mörser,
Wieder antworten Kanonen meinen horchenden Ohren.
Ich beteilige mich, sehe und höre alles,
Die Rufe, Flüche, das Gebrüll, den Beifall für wohlgezielte Schüsse,
[83] Die Ambulanzen langsam vorüberkommend, mit der roten Traufe hinter sich,
Arbeiter, die Beschädigungen untersuchen, machen notwendige Ausbesserungen,
Das Einfallen der Granaten durch das zerrissene Dach, das fächerförmige Platzen,
Das Sausen von Gliedern, Köpfen, Steinen, Holz, Eisen hoch in der Luft.
Wieder gurgelt der Mund meines sterbenden Generals, heftig schwenkt er mit der Hand,
Und keucht durch das geronnene Blut: »Denkt nicht an mich – denkt – an die Schanzen« ...
Möchtest du von einem Seegefecht aus früherer Zeit hören?
Möchtest du wissen, wer gewonnen hat beim Lichte des Mondes und der Sterne?
Hör' die Geschichte, wie sie mir meines Großvaters Vater, der Matrose, erzählte.

Unser Feind war keine Memme in seinem Schiff, sage ich dir (so erzählt' er);

Sein war die harte englische Standhaftigkeit, es gibt keine zähere und treuere, hat es nie gegeben und wird es nie geben.

Mit dem sinkenden Abendnebel kam er heran und gab uns eine furchtbare Breitseite;

Wir legten uns an ihn, die Rahen verwickelten sich, die Kanonen stießen aneinander,

Mein Kapitän band mit eigenen Händen fest.


[84] Wir hatten einige Achtzehnpfünder-Kugeln unter Wasser bekommen,

Auf unserm untersten Kanonendeck waren zwei große Geschütze beim ersten Feuern geplatzt, alle umher tötend und nach oben alles zersprengend.


Kämpfen bei Sonnenuntergang, kämpfen im Finstern,

Zehn Uhr nachts, der Vollmond aufgegangen, unsere Lecke im Zunehmen und fünf Fuß Wasser gemeldet;

Der Befehlshaber entläßt die im Hinterraum eingeschlossenen Gefangenen, um ihnen Gelegenheit zur eigenen Rettung zu geben.

Der Gang von und nach der Pulverkammer ist jetzt durch Wachen gesperrt,
Sie sehen manche fremde Gesichter und wissen nicht, wem zu trauen ist.
Unsere Fregatte fängt Feuer,
Die andern fragen, ob wir Gnade verlangen,
Ob wir die Flagge streichen und das Gefecht aus ist?
Nun lache ich zufrieden, denn ich höre die Stimme meines Kapitäns:
»Wir streichen nicht« ruft er gelassen, »wir fangen erst an zu fechten!«

Bloß drei Geschütze sind brauchbar,

Eins wird vom Kapitän selbst gegen des Feindes Hauptmast gerichtet,

Zwei, wohl bedient mit Kartätschen und Traubenschuß, bringen sein Musketenfeuer zum Schweigen und räumen sein Deck.

[85] Die Topps allein unterstützen das Feuer dieser kleinen Batterie, besonders der Großtopp,
Sie halten tapfer aus während der ganzen Aktion.
Keinen Augenblick Unterbrechung;
Die Lecke steigen, schnell trotz der Pumpen, das Feuer frißt nach der Pulverkammer hin,
Eine der Pumpen ist weggeschossen, man glaubt allgemein daß wir sinken.
Ruhig steht der kleine Kapitän;
Er ist nicht in Eile, seine Stimme ist weder laut noch schwach,
Seine Augen geben uns mehr Licht als unsere Gefechtslaternen.

Gegen Mitternacht, dort unter den Strahlen des Mondes, ergibt sich der Feind.


Weit und still liegt die Mitternacht,

Zwei große Rümpfe, bewegungslos im Schoße der Finsternis,

Unser Schiff durchsiebt und langsam sinkend, Vorbereitungen, um auf das eroberte zu gehen,

Der Kapitän auf dem Hinterdeck, kalt seine Befehle erteilend, mit einem Antlitz weiß wie ein Tuch,

Dicht dabei die Leiche eines Kindes, das in der Kajüte gedient,

Das tote Gesicht eines alten Seebären mit langen, weißen Haaren und sorgfältig gekräuseltem Backenbart,

Die heiseren Stimmen der wenigen Offiziere, die noch dienstfähig sind,

Formlose Leichenhaufen und einzelne Körper, Fleischfetzen auf Masten und Rahen,

Durchschnittene Taue, baumelndes Takelwerk, leichte Stöße der liebkosenden Wellen,

[86] Schwarze gefühllose Geschütze, wenige große Sterne droben, schweigend und traurig,

Zarte Düfte der Seeluft, Aufträge der Sterbenden, den Überlebenden anvertraut,

Gezisch des Wundmessers, die kratzenden Zähne der Knochensäge,

Schnaufen, glucksen, Blutgeriesel, kurzer wilder Aufschrei und langes, dumpf verhallendes Stöhnen ...

Ihr Lotterbuben dort auf der Wache! seht nach euren Waffen!
Herein durch die eroberten Türen drängen sie – Ich bin besessen!
Verkörpere in mir alle Wesen, geächtete oder leidende,
Sehe mich selbst im Gefängnis in der Gestalt eines andern,
Und fühle den dumpfen, ununterbrochenen Schmerz.
Meinetwegen schultern die Aufseher der Sträflinge ihre Gewehre und halten Wache,
Ich bin es, den man morgens hinausläßt und nachts einsperrt, hinter verriegelten Türen.

Nicht ein Meuterer wandelt mit Handschellen gefesselt ins Gefängnis, ohne daß ich mit Handschellen an ihn gefesselt bin und mit ihm gehe,

(Dort bin ich weniger der lustige Kerl und mehr der Schweigsame, mit Schweiß auf meinen zuckenden Lippen),

Nicht ein Knabe wird wegen Diebstahls verhaftet, ohne daß ich vor Gericht mit ihm verhört und verurteilt werde.

Bittende verkörpern sich in mir, und ich bin in ihnen verkörpert,
Ich halte meinen Hut hin, sitze verschämt und bettle.
[87] Daß ich doch die Spötter, die Beleidigungen vergessen könnte!
Daß ich die rinnenden Tränen vergessen könnte, und die Schläge der Keulen und Hammer,
Daß ich wie ein Unbeteiligter meine eigene Kreuzigung und blutige Krönung mitansehen könnte!
Jetzt erinnere ich mich,
Ich nehme die übriggebliebene Bruchzahl wieder auf,
Das Felsengrab vervielfacht, was ihm oder irgend einem andern Grabe anvertraut war,
Leichen stehen auf, klaffende Wunden heilen, Fesseln fallen von mir ab.
Ich ziehe fort, wieder mit höchster Kraft erfüllt, Einer aus dem allgemeinen unendlichen Zuge,
Im Binnenland und am Meeresstrand wandeln wir nun, überschreiten alle Grenzen,
Unsere schnellen Verordnungen verbreiten sich über die ganze Erde,
Blüten tragen wir auf unsern Hüten, das Wachstum von Jahrtausenden.
Ihr Zöglinge, ich grüße euch. Kommt nur herbei!
Setzt eure Anmerkungen fort, fahrt fort zu fragen.
Dieser freundliche und fesselfreie Wilde – wer mag er sein?
Wartet er noch auf die Zivilisation, oder läßt er sie hinter sich und meistert sie?
Überall, wo er hingeht, nehmen Männer und Frauen ihn auf und verlangen nach ihm,
Sie wollen, daß er sie lieb habe und berühre, sie anspreche, bei ihnen bleibe.

[88] Sein Benehmen so unbekümmert wie Schneeflocken, Worte einfach wie Gras, ungekämmter Kopf, Lachen und Naivität,

Langsam schreitender Fuß, gewöhnliche Gesichtszüge, gewöhnliche Formen und Äußerungen,

Sie gleiten in neuen Formen aus seinen Fingerspitzen,

Sie wehen umher, mit dem Duft seines Körpers und Atems, sie entfliegen dem Blick seiner Augen.

Flitter des Sonnenscheins, ich brauche dein Leuchten nicht, geh' nur!
Du beleuchtest nur die Oberflächen, ich dringe durch Oberflächen wie durch Tiefen.
Erde, Du scheinst etwas von mir zu erwarten?
Sprich, alte Haube, wo fehlt's denn?
Mann und Weib, ich möchte gern sagen wie lieb ich euch habe, aber ich kann es nicht,
Ich möchte sagen was in mir ist, und was in euch ist, aber ich kann es nicht,
Ich möchte mein Sehnen künden, den Herzschlag meiner Nächte und Tage.
Seht! ich gebe keine Vorlesungen oder kleine milde Gaben,
Wann ich gebe, gebe ich mich selbst.
Du da! schlapp, mit schlottrigen Knien,
Öffne deine klapprigen Kinnbacken, bis ich dir Mark in die Knochen geblasen!
Breite deine Handflächen aus und ziehe die Klappen deiner Taschen heraus,
[89] Ich lasse mich nicht abweisen, ich bezwinge, ich habe Vorrat genug und kann davon abgeben,
Und was ich habe, verschenke ich.
Ich frage nicht wer du bist – das ist Nebensache,
Du kannst nichts tun und nichts sein, ohne daß ich dich umfassen werde.

Zeugungsfähigen Frauen mache ich stärkere und flinkere Kinder, (Heute verspritze ich den Stoff zu weit übermütigeren Freistaaten!)

Zu einem Sterbenden eile ich und drehe den Türknopf,
Schlage das Bettzeug zurück bis zum Fußende,
Lasse Arzt und Priester nach Hause gehn.
Ich packe den sinkenden Mann und hebe ihn mit unwiderstehlichem Willen,
O Verzweifelnder, hier ist mein Nacken!
Bei Gott, du sollst nicht untergehn! Hänge dich mit deinem ganzen Gewicht auf mich,
Ich blase dich voll mit gewaltigem Odem, ich mache dich flott,
Alle Räume im Hause fülle ich mit einer bewaffneten Macht,
Mit denen, die mich lieben – Besiegern des Grabes.
Schlafe! – Ich und sie halten Wacht die ganze Nacht,
Nicht der Zweifel, nicht der Tod soll es wagen, einen Finger an dich zu legen,
Ich habe dich umarmt, und fortan besitze ich dich für mich,
Und wenn du morgen früh aufstehst, wirst du sehen, daß es so ist, wie ich dir sage.
[90] Ein Ruf mitten aus der Menge,
Meine eigene Stimme, vollklingend, entschieden und endgültig.

Dies ist die Stadt und ich bin einer der Bürger,

Was die andern interessiert, das interessiert auch mich, Politik, Kriege, Märkte, Zeitungen, Schulen,

Der Bürgermeister und die Räte, Banken, Tarife, Dampfschiffe, Fabriken, Aktien, Kaufläden, Grundeigentum und persönliches Eigentum.

Die kleinen unzähligen Männlein, die in Kragen und Fracks herumhüpfen,
Ich weiß wer sie sind (es sind wirklich weder Würmer noch Flöhe),
Ich erkenne meine Doppelgänger, der schwächste und seichteste ist unvertilgbar wie ich,
Was ich tue und sage, das harrt auch ihrer,
Jeder Gedanke, der in mir zappelt, zappelt auch in ihnen.

Keine Worte der Routine, dies mein Lied,

Sondern jählings Fragen aufzuwerfen, darüber hinaus zu springen und doch näher zu bringen;

Dies gedruckte und gebundene Buch – aber der Drucker und der Laufbursche der Druckerei? wie steht's um die?

Die wohlgetroffenen Photographien – aber deine Frau oder dein Freund, dicht und fest in deinen Armen?

Das schwarze Schiff mit Eisen gepanzert, seine mächtigen Geschütze in den Türmen – aber der Mut des Kapitäns und der Maschinisten?

Schüsseln und Speisen und Möbel in den Häusern – aber der Wirt und die Wirtin und der Blick aus ihren Augen?

[91] Der Himmel dort oben – aber hier nebenan, oder gegenüber?

Die Heiligen und Weisen der Geschichte – und du selbst?

Predigten, Glaubensbekenntnisse, Theologie – aber das unergründliche menschliche Gehirn?

Was ist Vernunft? was Liebe? und was ist Leben?


Ich verachte euch nicht, Priester aller Zeiten auf der ganzen Welt,

Mein Glaube ist der größte von allen und der geringste von allen,

Einschließend den ältesten Kultus und den neuesten, und jeden zwischen dem ältesten und dem neuesten,

Ich glaube, daß ich nach fünftausend Jahren wieder auf der Erde erscheinen werde,

Ich warte auf die Antworten der Orakel, verehre die Götter, grüße die Sonne,

Mache einen Fetisch aus dem ersten besten Felsen oder Baumstumpf,

Helfe dem Lama oder Brahmin die Lampen der Götzenbilder putzen,

Tanze durch die Straßen in einer Phallos-Prozession, bin verzückt, bin abgehärtet und streng in den Wäldern, ein Gymnosophist,

Trinke Met aus dem Hirnschädel-Becher, verehre die Shastas und Vedas, beachte den Koran,

Verstehe die Evangelien, verstehe Den, der gekreuzigt ward, und weiß gewiß, daß er göttlich ist,

Knie bei der Messe, stehe beim Gebet der Puritaner oder sitze geduldig im Kirchenstuhl,

[92] Tobe und schäume in der Krisis meines Wahnsinns, oder warte totähnlich, bis mich der Geist erweckt,

Gehöre zu denen, die den Kreis der Kreise weben,

Bin einer von jener centripetalen und centrifugalen Kolonne; ich wende mich um und rede wie einer, der vor einer Reise Aufträge hinterläßt.

Niedergeschlagene Zweifler, trübsinnig und ausgestoßen,
Frivol, mürrisch, verdrossen, zornig, gerührt, entmutigt, und atheistisch,
Ich kenne euch alle! ich kenne das Meer von Qual, Zweifel, Verzweiflung und Unglauben.
Ich weiß nicht, was unversucht ist, und was nachher kommt,
Aber ich weiß, es wird sich schon zeigen und ausreichen, es kann nicht fehlen.

Jedes Vorübergehenden wird gedacht, jedes Stillstehenden wird gedacht, keinen einzigen kann es je überschlagen.

Nicht der Jüngling ist verloren, der starb und begraben wurde,

Noch das junge Weib, das starb und ihm zur Seite gelegt wurde,

Nicht das kleine Kind, das eben durch die Tür hineinsah und sich dann zurückzog und nicht mehr gesehen ward,

Der Greis nicht, der ohne Zweck gelebt hat und es empfindet mit einer Bitterkeit schlimmer als Galle,

Noch der Armenhäusler, tuberkulös vom Schnaps und der liederlichen Krankheit,

Nicht die unzähligen Niedergemetzelten und Gescheiterten, noch der tierische Unflat, Auswurf der Menschheit genannt,

[93] Nicht die Säcke, die bloß mit offenem Maul dahinschwimmen, damit Speise hineinfließe,

Noch irgend was auf der Erde oder unten in den ältesten Gräbern der Erde,

Noch in den Myriaden von Sphären, noch die Myriaden und Abermyriaden, die sie bewohnen,

Nicht das Jetzt, noch der geringste Wisch, den man kennt.

Es ist Zeit, daß ich mich erkläre – erheben wir uns!
Das Bekannte streife ich hinweg,
Ich lasse alle Männer und Weiber mit mir vom Stapel laufen, ins Unbekannte hinein.
Die Uhr zeigt die Minute – aber was zeigt die Ewigkeit?
Soweit haben wir schon Trillionen von Sommern und Wintern erschöpft,
Es sind noch Trillionen voraus, und diesen wieder Trillionen voraus.
Geburten haben uns Fülle und Mannigfaltigkeit gebracht,
Und wieder andere Geburten werden uns Fülle und Mannigfaltigkeit bringen.
Waren die Menschen mordgierig oder eifersüchtig gegen dich, mein Bruder, meine Schwester?
Es tut mir leid um dich, gegen mich waren sie nicht mordgierig und eifersüchtig,
Alles war sanft zu mir, ich führe keine Rechnung mit der Klage,
(Was habe ich mit Klagen zu tun?)
Ich bin ein Gipfel vollbrachter Dinge und umschließe Dinge, die sein werden.
[94] Ehe ich von meiner Mutter geboren wurde, leiteten mich Generationen,
Mein Embryo war niemals erstarrt, nichts konnte ihn erdrücken.
Seinetwillen verdichtete sich der Sternnebel zu einer Kugel,
Erdschichten türmten sich langsam, ihm ein Ruhelager zu geben,
Ungeheure Pflanzen gaben ihm Nahrung,
Riesige Saurier trugen ihn in ihrem Rachen und setzten ihn sorgsam nieder.
Alle Kräfte wurden beständig benutzt, um mich zu vervollständigen und zu beglücken,
Jetzt stehe ich auf dieser Stelle, mit meiner rüstigen Seele.
O Spanne der Jugend! Stets vorwärts getriebene Elastizität!
O Mannesalter! Im Gleichgewicht, blühend und voll.
O Greisenalter, herrlich aufsteigend. O willkommen, unaussprechliche Anmut entschwindender Tage!
Jeder Zustand verkündet nicht nur sich selbst, er verkündet auch, was aus ihm und nach ihm entsteht,
Und das geheimnisvolle Dunkel verkündet so viel wie nur irgend etwas.

Ich öffne des Nachts meine Dachluke und sehe die weit ausgestreuten Systeme,

Und alle, die ich sehe, multipliziert so hoch ich rechnen kann, grenzen bloß an den Rand der ferneren Systeme.


Es gibt keinen Stillstand und kann es niemals geben;

[95] Wenn ich, du und die Welten und alles, was unter oder auf ihrer Oberfläche ist, in diesem Augenblick wieder in eine bleiche Flut zurückverwandelt würden, so würde es auf die Länge nichts ausmachen,

Wir würden sicher da wieder heraufkommen, wo wir jetzt stehen,

Und sicher noch so viel weiter gehen, und dann wieder weiter und weiter.


Ein paar Quadrillionen von Zeitaltern, ein paar Oktillionen Quadratmeilen bringen die Spannweite nicht in Gefahr, noch macht es sie ungeduldig;

Sie sind nur Teile, jedwedes Ding ist nur ein Teil.

Blicke noch so weit – grenzenloser Raum liegt darüber hinaus,
Zähle noch so hoch – rundum gibt es grenzenlose Zeit.
Mein Stelldichein ist festgesetzt, es ist sicher,
Der Herr wird dort sein und warten, bis ich komme unter vollendeten Bedingungen,
Der große Camerado, der treu Liebende, nach dem ich mich sehne, wird dort sein.

Ich weiß, daß ich das Beste des Raumes und der Zeit habe, und daß ich niemals gemessen wurde, noch je gemessen werde.


Ich wandere eine ewige Fußreise, (kommt alle und hört!)

Meine Abzeichen sind ein regendichter Rock, festes Schuhzeug und ein Wanderstab, im Walde geschnitten,

Keiner meiner Freunde ruht bequem bei mir im Sessel,

[96] Ich habe keinen Stuhl, keine Kirche, keine Philosophie,

Ich führe niemanden zu Tische, in die Bibliothek, auf die Börse,

Sondern jeden Mann und jedes Weib unter euch führe ich auf einen Hügel,

Meine linke Hand lege ich um euren Leib,

Meine rechte Hand zeigt auf Landschaften von Weltteilen und auf die offene Heerstraße.

Nicht ich, nicht irgend ein anderer kann diese Straße für dich gehen,
Du mußt sie selber gehen.
Sie liegt nicht weit, sie ist in greifbarer Nähe,
Vielleicht bist du von deiner Geburt an darauf gewesen und wußtest es nicht,
Oder sie ist überall, zu Wasser und zu Lande.
Schultere deine Sachen, lieber Sohn, wie ich die meinen, und laß uns forteilen,
Wundervolle Städte und freie Völker erreichen wir unterwegs.
Wenn du müde wirst, so laß mir beide Lasten und stütze deine Hand auf meine Hüfte,
Du sollst mir ein andermal den gleichen Dienst erweisen,
Denn nachdem wir einmal aufgebrochen, ruhn wir nimmer mehr aus.

Heute vor Tagesanbruch bestieg ich einen Berg und schaute in das Sternengewimmel,

Und sprach zu meiner Seele: Wenn wir alle diese Welten umfassen werden und die Freude und das Wissen von allem, was darin ist, werden wir dann ganz erfüllt und befriedigt sein?

[97] Und meine Seele sprach: Nein, wir ersteigen diese Höhe nur, um daran vorbei und weiter darüber hinaus zu kommen.

Du stellst mir auch Fragen, und ich höre dich,
Ich antworte, daß ich nicht antworten kann, du mußt es selber herausfinden.
Lange genug hast du verächtliche Träume geträumt,
Jetzt reibe ich dir den Schlaf aus den Augen,
Du mußt dich an das Blenden des Lichtes und jedes Augenblickes in deinem Leben gewöhnen.

Lange hast du furchtsam gewatet und dich an einer Planke am Ufer festgehalten,

Nun will ich, daß du ein kühner Schwimmer werdest,

Abspringst mitten in der See, wieder auftauchst, mir zunickst, jauchzend und lachend das Wasser aus deinen Haaren schüttelst!

Ich bin der Lehrer der Athleten,
Wer mir eine noch breitere Brust als die meine zeigen kann, beweist die Breite der meinigen,
Der ehrt am meisten meinen Stil, der durch ihn lernt, den Lehrer zu vernichten!
Der Knabe, den ich liebe, wird ein Mann nicht durch ererbte Macht, sondern in seinem eigenen Recht,
Schlecht lieber als tugendhaft aus Anbequemung oder Furcht;
Er liebt sein Schätzchen, verzehrt seinen Braten mit Appetit,
Unerwiderte Liebe oder Geringschätzung durchschneidet ihn schärfer als scharfer Stahl,
[98] Der Erste im Reiten, Fechten, Scheibenschießen, Segeln, Lieder singen oder Gitarre spielen,
Narben und Bärter und Gesichter mit Blatternarben zieht er den Glattgesichtern vor,
Und die von der Sonne verbrannten denen, die im Schatten blieben.
Ich lehre euch, von mir zu gehen – doch wer kann von mir gehen?
Ich folge dir von dieser Stunde an, wer du auch seist,
Meine Worte kitzeln dir in den Ohren, bis du sie verstehst.
Ich sage diese Dinge nicht für einen Dollar, oder zum Zeitvertreib während ich auf das Boot warte,
(Du bist es, der spricht, ebensoviel wie ich, ich bin deine Zunge,
Gebunden in deinem Munde, in meinem beginnt sie sich zu lösen).
Willst du mich verstehen, so gehe auf die Höhen oder an den Meeresstrand,
Die nächste Mücke ist eine Erklärung, ein Tropfen oder eine Wellenbewegung ist ein Schlüssel,
Der Schlaghammer, das Ruder, die Handsäge bekräftigen meine Worte.
Keine Stube mit geschlossenen Fensterläden, keine Schule kann mit mir verkehren,
Rohes Gesindel und kleine Kinder eher noch, als die.
Der junge Handwerker steht mir am nächsten, er kennt mich wohl,
[99] Der Hinterwäldler, der seine Axt und seinen Krug mitnimmt, wird mich auch den ganzen Tag mitnehmen,
Der Bauernbursch, der im Felde pflügt, fühlt sich wohl beim Klang meiner Stimme,
Auf segelnden Schiffen segeln meine Worte, ich gehe mit Fischern und Matrosen und liebe sie.
Mein ist der Soldat im Lager oder auf dem Marsche,
In der Nacht vor der Schlacht suchen mich manche auf, und ich enttäusche sie nicht,
In jener feierlichen Nacht (vielleicht ihrer letzten) suchen mich die, die mich kennen.
Mein Gesicht reibt sich an des Jägers Gesicht, wenn er allein sich niederlegt in seiner Decke,
Der Fuhrmann, der an mich denkt, achtet nicht auf das Rütteln des Wagens,
Die junge Mutter und die alte Mutter begreifen mich,
Das Mädchen und die Hausfrau lassen die Nadel einen Augenblick ruhn und vergessen, wo sie sind,
Sie und alle möchten wieder durchdenken, was ich ihnen gesagt habe.

Ich habe gesagt, die Seele ist nicht mehr als der Leib,

Ich habe gesagt, der Körper ist nicht mehr als die Seele,

Und nichts, auch nicht Gott, ist größer als man selber ist,

Und wer eine Wegstunde ohne Mitgefühl wandelt, der wandelt zu seinem eigenen Begräbnis, gehüllt in sein Leichentuch,

Aber ich oder du, ohne einen Pfennig in der Tasche, können das Köstlichste der Erde kaufen.

[100] Mit dem Auge nur aufblicken oder eine Bohne in ihrer Hülse zeigen, stößt alle Gelehrsamkeit über den Haufen,

Und es gibt keinen Beruf und keine Beschäftigung, durch die der junge Mann, der sie betreibt, nicht zum Helden werden kann,

Es gibt keinen Gegenstand so zart, der nicht eine Radnabe für das kreisende Weltall abgäbe,

Und ich sage zu irgend einem Manne oder Weibe: Laß deine Seele kühl und gelassen vor einer Million von Welten stehen.

Ich sage zum Menschengeschlecht: Seid nicht neugierig nach Gott;
Denn ich, neugierig nach allem und jedem, bin doch nicht neugierig nach Gott,
(Kein Wortüberschwang vermag zu sagen, wie ich voll Frieden zu Gott und zum Tode stehe).
Ich höre und sehe Gott in jedem Gegenstand, doch Gott begreif' ich nicht im mindesten,
Noch begreife ich, wer noch merkwürdiger sein kann als ich selber.

Weshalb sollte ich Gott mehr zu sehen begehren als am heutigen Tage?

Ich sehe etwas von Gott in jeder Stunde von den vierundzwanzig, und wieder in jedem Augenblick,

In den Gesichtern der Männer und Frauen, und in meinem eigenen Antlitz im Spiegel,

Ich finde Briefe von Gott, auf der Straße fallen gelassen, und jeden Brief mit Gottes Namen gezeichnet,

[101] Und ich lasse sie liegen, denn ich weiß, wohin ich auch gehe,

Werden immer und ewig andere pünktlich eintreffen.


Und Tod, was dich betrifft, du herbe Umarmung der Sterblichkeit, umsonst versuchst du mich zu erschrecken.

Zu seiner Arbeit eilt entschlossen der Geburtshelfer,
Ich sehe die helfende Hand, wie sie drückt, empfängt und unterstützt,
Ich bücke mich an den Schwellen der feinen, biegsamen Türen
Und merke den Ausgang, die Erleichterung und das Entweichen.

Und was dich betrifft, du Leiche, ich denke du gibst guten Dünger – doch anstößig find' ich das nicht.

Ich rieche die weißen Rosen, süß duftend und knospend,

Ich greife nach den Lippen des Laubes, ich greife nach der glatten Brust der Melonen.

Und Leben, was dich betrifft, denk' ich, du bist das übrig Gebliebene von vielem Sterben,
(Ohne Zweifel bin ich schon früher zehntausendmal gestorben).

Ich höre euch flüstern da oben, ihr Sterne des Himmels,

Ihr Sonnen, ihr Gräser des Grabes, o unaufhörlicher Übergang und Beförderung!

Wenn ihr nichts sagt, wie kann ich etwas sagen?

Von dem trüben Sumpf, der im herbstlichen Forste ruht,

Von dem Mond, der die Tiefen der säuselnden Dämmerung hinabgleitet,

[102] Sprühet, ihr Funken des Tags und der Dämmerung, flimmert auf den schwarzen Stämmen, die im Schlamme verfaulen,

Tanzt mit dem ächzenden Knarren der trockenen Äste!

Da ist dies Etwas in mir – ich weiß nicht, was es ist, aber ich weiß, es ist in mir.
Verzerrt und schweißig – dann wird mein Körper ruhig und kühl,
Ich schlafe ... schlafe lange.
Ich kenne es nicht, es ist ohne Namen, ist ein unausgesprochenes Wort,
Es ist in keinem Wörterbuch, keiner Lautgebung, keinem Symbol.
Es dreht sich auf etwas, das mehr ist als die Erde, mit der ich mich drehe,
Ihm ist die Schöpfung der Freund, dessen Umarmung mich weckt.

Vielleicht könnte ich noch mehr sagen. O Andeutungen! Ich flehe für meine Brüder und Schwestern!


Seht ihr, o meine Bruder und Schwestern?

Es ist nicht Chaos oder Tod, es ist Form, Einheit, Bestimmung, ist ewiges Leben – ist Glückseligkeit!

Ich widerspreche mir selbst?
Nun gut, ich widerspreche mir selbst.
(Ich bin ja weiträumig, ich enthalte Vielheiten).

Der gefleckte Falke stößt an mir vorüber und schilt mich, er beklagt sich über mein Plaudern und Zaudern,

[103] Ich bin aber doch nicht zahm, ich bin auch unübersetzbar,

Und lasse meinen barbarischen Raubvogelschrei ertönen über die Dächer der Welt!

Das letzte Leuchten des Tages weilt noch um meinetwillen,
Es wirft mein Ebenbild zu den andern, und treu wie nur eines, auf die schattenumwobene Wildnis,
Es lockt mich zum Nebel und Dämmerschein.
Ich scheide wie Luft, ich schüttle meine weißen Locken gegen die enteilende Sonne,
Ich lasse mein Fleisch in Wirbeln entströmen und in Fäden fortfließen.
Ich vermache mich dem Schmutz, um aus dem Grase, das ich liebe, zu keimen,
Brauchst du mich wieder, so suche mich unter deinen Stiefelsohlen!
Kaum wirst du wissen, wer ich bin, oder was ich meine,
Doch bin ich für dich trotz alledem die Gesundheit,
Und kläre und kräftige dein Blut.
Kannst du nicht gleich mich erfassen, behalte nur Mut,
Triffst du mich nicht an einer Stelle, so suche wo anders,
Irgendwo bleib' ich und warte auf dich.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Whitman, Walt. Gesang von mir selbst. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A5A7-9