9. Der Jungfern Grabe-Lied

1.
Nun so zeuch du fromme Seele,
Zeuch auß aller Angst und Noth!
Stirb fein selig und erwehle
Deinen allerliebsten Tod,
Welcher jetzt so freundlich kömmt,
Vnd dich in die Armen nimmt,
Der auch stets bey dir wird bleiben,
Vnd dir hübsch die Zeit vertreiben.
2.
Zachries pfeifft die Sterbe-Lieder
Vor den Trauer-Leuten her,
Hofemann läufft hin und wieder,
In die Läng und in die Quer,
Die Großväter sind betrübt,
Weil man trefflich achtung giebt,
Vnd die Wächter mit den Spiessen
Vor der Treppe stehen müssen.
3.
Nun die Namen sind geschrieben
In das grosse Kirchen-Buch,
Drum zerreisset nach Belieben
Immerhin das Leichen-Tuch,
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Steiget nur in Sarg hinein,
Kurtzweil muß getrieben seyn,
Habens doch die lieben Alten
Vormahls eben so gehalten.
4.
Gute Nacht du liebe Seele,
Schlaff beyleibe nicht zuviel,
Biß fein lustig weil das Oele
In dem Lämpgen brennen wil,
Wirst du nach vollbrachter Nacht
Gleich ein bißgen außgelacht:
Hat es doch bey jungen Leuten
Trefflich wenig zu bedeuten.
5.
Nun die Jungfer ist gestorben,
Und das Weibgen lebet noch,
Ist ihr Namen gleich verdorben,
Weiß das liebe Lämmgen doch,
Wo sie sich erholen sol,
Und der Todt bekömmt ihr wol,
Weil sie bald in jungen Jahren
Seine Süssigkeit erfahren.
6.
Aber ihr betrübten Mädgen,
Die ihr noch am Leben seyd,
Bleibt zufrieden, dann die Fädgen
Zu dem Hembde sind bereit,
Daß in euer Todes-Pein
Soll der Sterbe-Kittel seyn:
Dannoch welche stirbt am ehsten
Soll die andern helffen trösten.

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TextGrid Repository (2012). Weise, Christian. 9. An eben dieselbige. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-983A-8