Erster Theil

[3] Das Leben Esopi.

Esopus leben zu beschreiben,
Damit etlich vil wunders treiben,
Hab ich zu faßen auch gedacht,
Und aufs kürzest zusamen bracht.
Denn seint daß ich der meinung war,
Desselben fabeln ganz und gar
In reim zu machen fürgenommen,
So vil ich hab mögen bekommen,
(Auch ander, welch gelerte leut
Beschrieben haben, die noch heut
In schulen werden teglich glesen,
Auch underm volk im gmeinen wesen
Wie sprichwörter oft alligiert,
Gleich wie exempel eingefürt,
In red und teglichem gebrauch,
Welcher ich bei mir selber auch
Gebraucht und gmacht, die ich zuletzt
Zu disem buch hinan gesetzt),
Hab ich nicht wöllen unterlaßen
Aufs kürzest sein legend zu faßen.
Esopus ist aus Phrigia,
Geborn vom fleck Amoria,
Ein gekaufter knecht leibeigen;
Doch tet sich sein gemüt erzeigen,
Als wer er frei und unverrückt,
Zu aller weisheit wol geschickt.
[3]
Ward doch von jederman veracht;
Das macht, daß er so ungeschlacht
Von leib: am hals het er ein kropf,
Ein großen, schwarz spitzigen kopf,
Ein breite nasen, große lefzen,
Die stetes von einander glefzen,
Ein kurzen hals und großen bauch
Gleich wie ein aufgeblasner schlauch,
Ein großen puckel auf dem rucken,
Derhalb er sich must stetes bucken.
Das bösest, so er an im het,
War böse sprach, langsame red,
Stamlet mit heiser, böser sprach:
Solchs war das gröste ungemach.
Wie er von leib nun ganz und gar
Ungstalt und so gar scheußlich war,
Het er doch solch verstand und gmüt,
Welchs schon in aller weisheit blüt,
Also verstendig und erfündig,
Zu allem gedicht gar ausbündig,
Daß im von allem nichts entstünd,
Welchs er nit het ausforschen künt.
Jedoch genoß er des gar selten,
Must stets seinr misgestalt entgelten. –
Er ward gesant von seinem herrn
Hinaus zu feld den acker ern.
Da arbeit er mit allem fleiß
Nach seines herrn befelh und gheiß.
Nun war daußen ein ackerman,
Der wolt zu seinem herren gan,
Sich freundlich gegen im erzeigen
Und bracht im etlich frische feigen.
Die nam der herre alzumal,
Dem Agathopodi befalh,
Welcher auch war des herren knecht,
Daß er dieselbigen heim brecht.
Der sprach zu seinem mitgesellen:
»Kum her, ich weiß, was wir tun wellen.
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Die feigen wöllen wir verzeren
Und gegem herrn mit worten weren,
Sprechen, Esopus habs genommen,
Laßen in nicht zur antwort kommen,
Dieweil er sonst nicht wol beredt.«
Der herr kam heim und fragen tet.
Da ward Esopus hart verklagt,
Der feigen halb von in besagt,
Und solt dasselb mit schlegen büßen.
Er fiel seim herren zu den füßen
Und bat ein kleine weile frist,
Lief hin, erdacht ein kluge list
Und bracht warm waßer in eim krug,
Dasselb für seinen herren trug.
Da mustens trinken alle drei,
Hub sich ein große speierei.
Esopus spei mir waßer klar,
Die andern worfen alle gar
Die feigen; sahe man, wie sie glogen.
Drumb wurdens nacket ausgezogen,
Mit schlegen nach der tat begobt,
Und Esopus ward hoch gelobt,
Daß er ein solchen list erfunden,
Damit die lügen überwunden. –
Darnach arbeit er auf dem land,
Da sahe er leut, warn unbekant,
Warn der göttin Diane priester,
Die giengen in dem feld da irr,
Baten, daß er in weist den weg
Hin zu der stadt; er war nicht treg
Und nam gar bald dieselben gest,
Tet in nach seim vermög das best,
Mit wein und brot und anderm speiset,
Darnach er in die wege weiset.
Darumb sie auch die göttin baten,
Daß sie dem man dieselb woltaten,
So er bei inen het getan,
Im nicht wolt unvergolten lan.
[5]
Begab sichs, daß Esopus schlief
Und lag in einem traum gar tief
Und sahe Fortunam bei im stan,
Die rürt im seine zungen an,
Daß er gewan ein schöne sprach;
Auch von der zeit an und darnach
Ward sich groß weisheit in im regen
Und kunst, die fabeln auszulegen.
Er freuet sich des glücks, gedacht,
Daß im solchs het zu wegen bracht;
Denn er hinfürter an der red
Und sprach gar keinen mangel het.
Da Zenas solchs an im erkant,
Der auch seim herren war verwant,
Ein amptman über die ackerleut,
Gedacht: Esopus möcht dich heut
Oder morgen in eim stück besagen
Und dich für deinem herrn verklagen;
Dacht, er wolt im den weg vermachen,
Gieng hin, erdacht ein böse sachen,
Verklagt felschlich den frommen man,
Daß in sein herr wolt töten lan,
Gab in dem Zene, daß er solt
Mit im tun alles, was er wolt.
Wie nu Esopus ganz und gar
Dem Zene übergeben war,
Da kam ein kaufman on geferd,
Wolt im abkaufen etlich pferd.
Er sprach: »Ich hab zwar jetzund kein,
Sein all verkauft auf diß allein.«
Zeigt Esopum; da er in sach,
Erschrack und zu dem Zena sprach:
»Wann kumt dir der groß waßerkrug?
Was tust mit solchem ungefug?
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Solch klotz ich nit vergebens nim.
Ja, het er nicht eins menschen stimm,
Ich hielt in für ein waßerschlauch:
Er hat wol so ein großen bauch.
Was solt ich mit dem unflat ton?«
Er ward schellig und gieng davon.
Esopus lief im nach von stund.
Er sprach: »Ge weg, du stinkend hund!«
Esopus sprach: »Herr, kauf doch mich:
Es wird zwar nicht gereuen dich.
Wer weiß, was ich dir noch möcht nutzen.
Setzest mich für ein fasnachtputzen:
Hastu daheime böse kind,
Die zu weinen geneiget sind,
Woltst mir dieselben kind verträuen,
Ich weiß, sie solln sich für mir scheuen.«
Der kaufman lacht und sprach: »Wie teur
Schatzstu das faß so ungeheur?«
Zenas sprach: »Geb dirs umb drei pfennig.«
Der kaufman dacht: es ist zwar wenig,
Er gab das gelt und nam in hin;
Sprach: kein verlust, auch kein gewin!
Und nam also Esopum mit
Sampt andern, die er bei im het;
Brachts hinüber nach Epheso.
Als er verkauft etlich aldo,
Wurden im ir drei überlaufen,
Die er daselb nicht kont verkaufen:
Esopus und ein musicus,
Der dritt war ein grammaticus,
Mit denen er nach Samo schifft.
Begibt sichs, daß ern jarmark trifft,
Het die zween knaben alle beid
Aufs hübschst geputzt und ausgekleidt.
Stellt dieselben zu beiden seiten
Und Esopum für allen leuten
[7]
Zwischen sie beid ließ mitten stan,
Des sich verwundert jederman.
Ein glerter man, Xanthus mit nam,
Mit seinen schülern auch hin kam,
Stund lang und sie beschauen tet,
Wies der kaufman geordnet het,
Und zwischen zwen so fein gesellen
Solch unfletigen menschen stellen.
Er fragt den cantor, wann er wer?
Sprach: »Bin von Cappadoci her.«
Er fragt! »Was kanstu gutes machen?«
Sprach: »Alles«; ward Esopus lachen.
Den andern fraget er auch so.
Er sprach: »Ich bin her von Lydo.«
Er fragt in auch: »Was kanstu wol?«
Er antwort: »Ich kans all zumol.«
Da lacht Esopus mechtig ser.
Xanthus gieng von dannen nicht fer.
Sein jünger sprachen: »Herr, wolt nit
Nachlaßen den da in der mitt;
Bitt, kauft im ab das ungeheur,
Die andern helt er allzu teur.«
Xanthus ließ sich bereden nu,
Sprach zu Esopo: »Von wann bistu?«
»Schwarz bin ich«, Esopus antwert.
Er sprach: »Das hab ich nicht begert:
Das hab ich an deinr gstalt vernommen.
Frag dich, von wannen du seist kommen?«
Esopus sprach: »Aus mutterleib.«
Er sprach: »Kein scherz ich mit dir treib;
Wo bist geborn? an welchem ort?«
Esopus sprach: »Habs nicht gehort.
Wenn ich mein mutter het gefragt,
Villeicht het sie mirs wol gesagt,
Ob sie mich hoch auf einem torn
Oder tief im keller het geborn.«
[8]
Xanthus fragt: »Was kanstu wol?«
Er sprach: »Ich kan nichts überal.«
Xanthus sprach: »Nu bericht mich bas,
Kanstu gar nichts, wie kommet das?«
Er sprach: »Die zwen han sich vermeßen,
Sie haben alle kunst gefreßen,
Davon sie mir gar nichtes gönnen;
Was solt ich armer knecht denn können?«
Die schüler merkten drauf gar eben,
Daß er ein höflich antwort geben;
Sprachen: »Es ist kein mensch so klug,
Der sagen tar, er sei glert gnug;
Denn es lebt auf erden kein man,
Der alles weiß und alles kan.«
Xanthus sprach:»Wurd ich dich kaufen,
Woltestu denn auch hinweg laufen?«
Er sprach: »Würd mir der dienst nicht bhagen,
Wil ich mich nicht mit euch befragen,
Ob ich laufen oder bleiben sol.«
Die red gefiel Xantho gar wol.
Er nam in hin und gab das geld.
Wie sie nu kamen naus ins feld,
Die sonn schein heiß; darnach nicht lang
Xanthus prunzet in dem gang.
Esopus sahs, sprach: »We meim leib!
Bei disem herrn fürwar nicht bleib,
Der der natur nicht leßt ir recht.
Was wird gschehen mir armen knecht?
Wenns sich begeben wird einmol,
Daß ich etwas ausrichten sol
Und wil mich auf das höchst befleißen,
Werd ich im laufen müßen scheißen.« –
Sonst sagt man vil seltzamer boßen,
Die ich kürz halb wil bleiben loßen;
Allein daß er etlich sentenz
Seind wert, daß mans mit reverenz
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In allen eren acht vnd halt;
Wie denn etlich sein der gestalt:
»Hab lieb Gott über alle ding,
Und halt in eren den köning. –
Wer wol tut, den soltu nicht haßen,
Und solt dich deiner zungen maßen. –
Was heimlich ist, soltu den frauen
Bei deinem leibe nicht vertrauen. –
Schem dichs nicht, laß dirs sein ein er,
Daß du lernst alle tage mer. –
Tu nicht, das dich hernach betrüb,
Und wol zu tun dich stetes üb.«
Solch schöne sprüch gab er stets vor,
Und vil ander heilsamer lar
Hat er gefürt sein ganzes leben.
Zuletst ward er auch frei gegeben,
Erlangt zu Samo große gunst,
Durch sein geschicklichkeit und kunst.
Er ward auch von denselben leuten,
Welch große krieg zun selben zeiten
Hetten mit dem könig Creso,
Der da wonet vorn in Asia,
Gesant, zu handeln in den sachen.
Da tet Esopus frieden machen,
Drumb er von allen ward gelobt
Und von den seinen hoch begobt
Und gehalten in großer er.
Darnach besahe die land umbher,
Kam zu Lycero, dem köning,
Der in in allen eren entpfieng,
Mit großen gschenken von im ließ,
Im ein Gdechtniß aufrichten hieß.
Ganz Griechenland er gar durchzoch
Und kam gen Delphis lang darnoch.
Daselbs man im kein er antet,
Wie sichs denn wol gezimet het,
Denn er das end seins lebens gar
Bei in zubracht, sein letste jar.
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Da er sie lang het underweist,
Mit guter ler zum besten greizt,
Gaben sie im das letste brot,
Von einem fels gestürzet tot.
Da folget bald ein pestilenz
Nach Gotts gericht und recht sentenz
Uber sie, drumb daß an dem man
Hetten ein solchen mord getan.
Denn Gott verschaffts also auf erden,
Daß aller mord gestraft muß werden.

Ende des Lebens Esopi.

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