Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen
von Frankreich im Jahr
1785 bis 1786.

Erster Band

Nimes
Nimes.

Freund! Ich bin nun gerettet – wie ein Fisch, der den Köder vom Faden gebissen hat, und mit dem Angelhaken in der Gurgel davon schwimmt. Hätte ich, zu einem Bettler herab gesunken, mein Land verlassen müssen, wo ich als König regierte, bänger hätte mir [312] kaum um das Herz seyn können, als da mir nun die Wohnung der Unschuld und Freude im Rücken – und, abgeschnitten von allem, was mir lieb war, die ganze weite freudenlose Welt vor mir lag. Ach! nichts begleitete mich, als mein trauriger Schatten. – Mir fehlte Margots sonorische Stimme – ich vermißte den Nachtrab meines treuen schwatzhaften Johann, und mein zerstreuter Blick, der selbst manchmal sich nach meinem guten asthmatischen Mops umsah, kehrte betroffen über seinen Verlust zurück. Und o wie viele andere stachlichte Empfindungen – die ich aus Zärtlichkeit gegen mich nicht berühren mag – kletteten sich nicht an dieses belastende Gefühl von Trennung und Einsamkeit! Es war mir, als ob an jedem Pflasterstein, über den ich auf meinem Wege fortschritt, ein Theil meines Eigenthums hängen blieb, so daß ich es mit jeder Minute kleiner, unbedeutender werden, und zuletzt in ein Nichts verschwunden sah.

Ich konnte es nicht über mich gewinnen, auf der Chaussee fort – bei der steinernen Bank vorbei zu gehen, auf der sich meine Eigenliebe, und, wie Du weißt, ganz ohne Noth, brüstete, und aus einem Mißverständnisse, das ich mir noch nicht vergeben kann, in so lebhafte Bewegung gerieth. In solchen Umständen, lieber Eduard, ist es sehr bequem, wenn man neben der Landstraße noch einen Rasenweg findet. Wie klein war indeß die Erleichterung, die ich mir damit verschaffte! – Denn, ob ich gleich weder Menschen noch Esel begegnete, die mich an mein Dörfchen erinnerten, so konnte ich doch unmöglich jedem Moose, jedem sprossenden Strauche, das den Moosen und Gesträuchen auf dem Fichtenberge ähnlich sah, aus dem Wege gehen: und als ich mir vollends einfallen ließ, einen seitwärts gelegenen Hügel zu besteigen, so brachte ich mich auf einmal um allen Vortheil meines listigen Umwegs; denn nun trat mir, in dem weiten Zirkel des freundlichen Languedocs, den ich übersah, das kleine liebe Caverac so nahe vor die Augen, daß sie mir übergingen, ehe ich es wehren konnte.

Ein Weilchen ließ ich meinem kindischen Herzen seinen Willen: da aber der annähernde Abend die Gegend immer mehr in's Dunklere zog, so nahm ich den Zeitpunkt wahr, ehe sie mir entwischte, [313] ihr meinen feierlichen Segen zu geben. Es war ein süßer belohnender Augenblick, der mich über mich selbst erhob – ein Gefühl, wie es nur der heilige Vater haben kann, wenn er auf dem Balkon der Peterskirche seine segnende Hand erhebt, und sein ganzes Volk in andächtiger Schwärmerei vor ihm zur Erde niederstürzet. – Der Fleck, wo Margot wohnte, schien noch, ehe er meinen Blicken verschwand, einen sanften Schimmer von sich zu werfen, der meine Seele stärkte, erwärmte, beruhigte. Ich ergriff gutes Muths meinen Wanderstab, und suchte mich zu überreden, ich wäre gefaßt und zufrieden.

Ueberlege noch mit mir, Eduard, indem ich unter dem Wiederscheine des Abendroths nach meinem Pavillon schleiche, wie viele wichtige Geschenke, die vielleicht eine größere Summe von Glückseligkeit umfassen, als das ganze Königreich Schweden zu seinen! Antheil erhielt, diesem von der Natur so begünstigten Winkel der Erde und seinen Bewohnern zugefallen sind.


Die dreimal Glücklichen! Wie leicht

Wird's ihnen nicht, in ihrem vollen Garten

Des Lebens Traum, durch Sorgen nie verscheucht,

Ganz durchgeführt, so weit er reicht,

In jener Einfalt abzuwarten,

Die dem Gefühl so gütlich däucht!


Die Freude tanzt hier ohne Regeln,

Der Scherz gesellt sich ohne Zwang

Zu ihrem Wein, zu ihren Kegeln

Und ihrem baskischen Gesang.

Sie haben das, was sie bedürfen:

Ein leichtes Blut und Lieb' und Wein,

Und alle ihre Sinne schlürfen

Den Zaubertrank des Lebens ein.

Im Schatten ihres Oelbaums wohnen

Glück und Zufriedenheit. Kein Sturm der Leidenschaft

Jagt sie aus ihrer Ruh nach weit entfernten Frohnen

In's magere Gebiet wurmstichiger Patronen,

Nach Gnadenmitteln ohne Kraft,

Und die der Müh des Wegs nicht lohnen –

Giebt es für Wallungen ein sichrers, als den Saft

Von ihren kühlenden Limonen?

[314]

Wenn Colas Händedruck, im Ringeltanz mit Rosen,

Die erste Scham des lieblichen Gesichts,

Den ersten Seufzer weckt, so fragt er nicht nach Mosen,

Nach dem Propheten und dem großen

Christophel, wenig oder nichts.

Welch ein Elysium! Schon dreizehn Jahre steuern

Des Landes Töchter aus. Ihr spähendes Gesicht

Trifft unter einem Trupp von Freiern

Bald auf den Glücklichen, dem nicht der Muth gebricht,

Auch ohne Heirathsgut der Liebe Fest zu feiern.

Willst Du den ächten Ton von ihren Hochzeitleiern,

So trällre nach, was jener Spottgeist spricht:

»Sie spinnen, säen, ernten nicht.

Und sammeln nicht in ihre Schauern.«

Doch sorge nicht für sie! Um einen Blätterschmaus

Hilft Amor hier ein Heer verliebter Spinnerinnen

Den Kindern der Natur gewinnen,

Die Schüsseln auf den Tisch, und Möbeln in das Haus,

Und Feuer auf den Herd erspinnen.

Kein leerer Raum läßt sich ersinnen;

Der Gott der Liebe füllt ihn aus!


Wie verzeichnet und verschossen kommen uns doch unsere prächtigen theuern Kabinetsmalereien vor, wenn wir sie auf eine Weile bei Seite räumten, und unsere Augen an den größern Gemälden der Natur stärkten! – Nimes mit seinen Antiquitäten, seinen Gesellschaften und Gastmählern – wie wenig ist es doch für das Herz, gegen die ungeschmückten Freuden meines ländlichen Aufenthalts, die keines Schmuckes bedurften! Mein Pavillon kam mir lächerlich groß vor, wie ich eintrat. – Ich setzte mich geschwind an mein Tagebuch, um mir die Angst wegzuschreiben, die mich in dieser Einöde befiel, und dem Schlafe freien Eingang zu dem Herzen zu schaffen, das heute mehr als jemals seines Balsams bedarf.

Fußnoten

1 Mamsell Cadiere, ein schönes und so unschuldiges Mädchen, daß sie lange Zeit den schändlichen Mißbrauch, den Pater Girard mit ihr ihm Beichtstühle trieb, für Absolution hielt. Die Geschichte machte unter Ludwig dem Funfzehnten so großes Aufsehn, daß sie zu vielen Schriften Anlaß gab.

2 G. des Königs von Preußen Gedicht, Codicille, in den Oeuvres posthumes de Frederic II. Tom. 8. pag. 125.

Cet autre est occuppé d'une genisse blanche

En lui pressant le sein.

3 Caron de Beaumarchais, der hier, umVoltaire's Werke in Ruhe zu drucken, eine große Buchdruckerei angelegt.

4 Voltaire. Sein unversöhnlicher Haß gegenFreron, der ihn in seiner Monatsschrift: l'année littéraire und in mancherlei fliegenden Blättern angriff, ist aus seiner Schottländerin, wo er ihn unter dem Namen Frelon aufgeführet, und aus unzähligen Epigrammen bekannt.

5 Anspielung auf das Epigramm der Mademoiselle de Maine gegen die Wunderkuren, die zu ihrer Zeit auf dem Grabe des heiligen Pâris geschahen:

Un décorateur à la Royale

Du talon gauche estropié

Obtint par grace spéciale

D'être boiteux sur l'autre pied.

6 Die Platonische Liebe und das Platonische Dreieck sind einander gerade entgegen gesetzt. – Das Wesen einer jeden Zeugung, sagt dieser Weltweise, besteht in der Einheit der Uebereinstimmung der Zahl Drei oder des Dreiecks, wozu der Vater, die Mutter und das Kind die Linien geben.

7 Die Königin Christina sagte vom Salmasius, daß er so gelehrt sei, den Stuhl in allen Sprachen der Welt nennen zu können – nur wüßte er sich nicht darauf zu setzen.

8 Die Königin Christine von Schweben, die ihren Oberstallmeister Monaldeschi zu Fontainebleau, unter ihren Augen ermorden ließ. Leibnitz vertheidigte diese That, aber dießmal ohne zu überzeugen.

9 Clitoris oder Clitoria, eine Nymphe, der zu Gefallen sich Jupiter in eine Ameise verwandelte. Ob das Redoutenkleid, von dem hier die Rede ist, vom lichtigsten Costum war, ist zweifelhaft. Es wurde als eine neue französische Hofmaske nach Berlin geschickt, fand aber wenig Beifall.

10 Plat. Phaed. pag. 150. edit. Fischer.

11 D. Johann Bartholomäus Adam Beringer, Rath und Hofmedikus des Fürsten Bischofs von Würzburg, Professor, d.Z. Dekanus und Senior der Universität daselbst. Sein Werk führt den Titel:

Litographiae Wirzeburgensis, ducentis lapidum figurtorum, a potiri insectiformium, prodigiosis exornatae specimen etc. Wirceb. 1726.

12 Graf Hans George von Mansfeld kam todt krant nach Wittenberg. D. Luther besuchte ihn als seinen lieben Landesherrn. – Der kranke Graf ergriff Luthers Hand mit höchster Danksagung für seine christliche Vermahnung und treuherzigwohlgemeinte Erinnerungen.

Als nun D. Luther auf solche des Grafens gute und süße Worte, wiederum will zu Hause gehen und ihn gesegnet, konnte er zwar nicht recht zur Stuben hinauskommen, so sticht ihme der Graf hinterwärts einen Münch mit diesen Worten, Geck, Geck, was soll der Doktor von diesen Sachen verstehen, es gehet mich gleich so viel an, als pfiff mich eine Gans an.

Aus dem Codice Manuscripto Razenbergii, in der

Bibliothek des Herzogs von Gotha.

13 Ludewig der Vierzehnte hatte den Untergang des Sürintendanten Fouquet, schon beschlossen, als er ihm noch die verrätherische Ehre erwies, das prächtige Fest anzunehmen, das er ihm auf seinem Landhause zu Veaux gab. Ohne die Vorstellung seiner Frau Mutter, Anna von Oesterreich, die es ein wenig zu stark fand, würde er ihn selbst während dem Feste in die ewige Gefangenschaft geschickt haben, zu der er ihn nachher verdammte. Sein Hauptverbrechen bestand darin, daß er die nachmalige Herzogin von Valiere schön fand, und ihr Anträge thun ließ, ehe er noch wußte, daß der König bald nachher gleiche Neigungen bekommen würde. Alle die beredten Vertheidigungsschriften Pelissons, die sich freilich nur über die Beschuldigungen verbreiteten, die jener zum Vorwande dienten, konnten ihn nicht retten; da das Herz des Königs selbst nicht edel genug war, ihm den natürlichen Wunsch, und der damals seine Majestät noch nicht beleidigen konnte, zu einer andern Zeit zu verzeihen, wo er ihn selbst faßte, und, wie wir wissen, königlich ausführte.

14 La Fontaine war, ausser Pelisson, welcher den Advokaten von Fouquet machte, der einzige Unbedachtsame, der es wagte, das Unglück seines ehemaligen Beschützers laut zu bejammern, anstatt einen neuen in dessen Nachfolger zu suchen. Er unterstand sich sogar, den König mit einer Elegie zu behelligen, in der er auf's rührendste für den gestürzten Minister um Gnade bat. Dieser Beweis seiner wenigen Lebensart brachte ihn so sehr um allen Kredit bei Hofe, daß der stolze Monarch, dessen Freigebigkeit sich doch sogar auf die Gelehrten fremder Länder erstreckte – für einen solchen Schafskopf, als la Fontaine, nicht das geringste thun mochte. Der gute Fabler lebte beinahe nur von den Allmosen einiger wenigen Freunde. Er – dessen Schriften jetzt die Nation durch einen immer prächtigern Druch nach dem andern, vor allen seinen Zeitgenossen ehrenvoll auszeichnet, hatte nicht so viel, um sich ein neues Kleid schaffen zu können! Er – der, wie alle große Schriftsteller, durch den Ausfluß seines Geistes, auch nur als Kaufmannswaare betrachtet, seinem Vaterlande ein ewig fortwucherndes Kapital hinterließ, war selbst einmal im Begriff, über das Meer zu gehen, um in der Fremde seinen Unterhalt zu suchen. Obige zwei Verse auf Fouquet sind von ihm entlehnt:

Jours sans soleil,

Nuits sans sommeil,

Quelque peu d'air pour toute grace etc.

Zweiter Band

Nimes
[3] Nimes.

Den 1sten Januar.


Freund! daß ein frisches Gesicht, im Schatten wild fliegenden Haares,

Dem keine Feder, kein Schmuck den Bau der Locken verbog;

Ein Busen, welcher, bei Gott! mit allem, was er auch Nares

Entdeckt' und verbarg, zwo Mirabellen kaum wog;

Ein kleines närrisches Ding, das gaukelnd – sonder ein klares

Bewußtseyn seines Berufs, mit dem Geschwätze des Stahres

Den Baum der Erkenntniß des Guten und Bösen umflog –

Daß eine Fee dieser Art jüngst auf ein eben so wahres

Als seltnes Weihnachtsgeschenk an ihre Tafel mich zog,

Und, als ich hungrig erschien, mich, wie wir wissen, betrog –

Für einen Schüler Berlins war das zum Schlusse des Jahres

Ein ärgerlicher Epilog!


Doch daß, zu meinem Ruhm, es Welt und Nachwelt wisse!

Ich stahl bei dem Geräusch mir nicht bestimmter Küsse

Vom Schauplatz mich hinweg, und wie ein Held, ver wies

Ich mir sogar den Blick, den hinter die Kulisse

Die Lüsternheit mich werfen hieß!

Der letzte Nest von Amors Sorgen

Schwand mit dem Traum der letzten Nacht. –

Aus solchem Sturm der Leidenschaft geborgen,

Ist wohl nie muthiger am ersten Feiermorgen

Des Jahrs ein Philosoph erwacht! –


So bang um den Ersatz, so ernst, wie ein Verschwender

Das Gold, das er verlor, im Geist zusammen reiht,

Durchzählt' auch ich den Werth der mir entflohnen Zeit,

Und webte mir ein Jahr im künftigen Kalender

Aus Festen der Enthaltsamkeit.

[3] O Weisheit! rief ich aus, o du, die in der Mitte

Der Freuden sitzt, die keine Reu vergällt –

Entziehe mich der Schmach, die jede niedre Bitte

Um eines Weibes Gunst enthält!

Verleih, daß ich, selbst unerschüttert

Im Brennpunkt einer Griechin steh,

Und, wenn auch schon an ihrem Negligee

Das Band sich bläht, der Atlas knittert,

Doch nicht in Gährung übergeh!

Gieb, daß ein höh'rer Zweck der Neugier Zügel lenke,

Als der an Ruhebetten lauscht,

Und auch dem Glücklichsten, dem dort die Zeit verrauscht,

Doch nur armselige Geschenke

Auf Kosten seiner selbst vertauscht! –


Ist's möglich, daß ein Geist, der Sonnen zu erklettern

Vermag, und ihre Strahlen theilt,

Zum Thron des Ewigen in blitzerfüllten Wettern

Mit unversengtem Fittich eilt,

Nun diesen Fittich senkt, und kindisch sich verweilt,

Um eine Rose zu entblättern?

So tief sank Newton nie. An weis're Sorgen band

Er seine Thätigkeit und seines Namens Ehre;

Zu stolz für ein System, das weniger Verstand

Als Mark erheischt – war ihm ein Kuß – ein Druck der Hand,

Und was ein Mann nur wünscht, daß ihm ein Weib gewähre,

Ein Spiel, das er nicht werth der Untersuchung fand,

Unnöthig zum Beweis der Lehre,

Die er von dem Gesetz der Schwere

Der sträubenden Natur entwand.

Von allen Globen, die uns Licht

Und Ebb' und Flut und Tag und Nacht gewähren,

Kannt' er den Lauf und das Gewicht,

Hob alle Schleier auf, das Dunkel aufzuklären,

Selbst von Johannes Traumgesicht: 1

Die Globen nur, die, wie ihr Schmeichler spricht,

Den Musen gleich, 2 uns in der Kindheit nähren,

[4] Als Mann, als Greis erfreun, selbst unsern Wohlstand ehren,

Und unsre Freunde sind, wenn Rath und Trost gebricht,

Nur die besuchtesten von allen Hemisphären

Besucht' er nie und kannt' er nicht. 3


Es ist eine herzerhebende Empfindung für einen Mann, der an seiner Vervollkommnung arbeitet, wenn er sich beim Erwachen klüger wieder findet, als er sich den Abend vorher verließ. – Ich fühlte die frommen Morgengedanken, die ich Dir eben mittheilte, mein Eduard, mir so nahe und so warm am Herzen liegen, daß ich sie, ehrlicher Weise, für sichere Anzeigen seiner Besserung hielt, und schon mit Vergnügen die guten Folgen davon berechnete: ein kleiner Umstand aber, der dazwischen kam, zeigte mir bald, daß es nichts weiter als philosophische Dünste waren, die gern so geschwind verfliegen als sie aufsteigen, und zu allen Zeiten wohl selten etwas beitragen mögen, die Gesundheit einer kranken Seele zu befestigen.

Der gute Junge, den ich gestern miethete – ich hatte ihn ganz aus der Acht gelassen – trat seinen Dienst bei mir an, und pflanzte sich, da ich mich seiner am wenigsten versah, schön gekräuselt und in die Livrei gekleidet, die sein Schwager ehrlich getragen und glücklich abgelegt hatte, vor mein Bette. Die Sache ging sehr natürlich zu, und doch kam sie mir als eine unerwartete Erscheinung vor, und erregte Ideen bei mir, die meiner armen Philosophie nichts weniger als zuträglich waren. – Urtheile nun selbst, wie es mit einem solchen Kopfe aussehen mag, den so gleichgültige Dinge schon aus seiner Fassung bringen. Das reisefertige Ansechen Bastians, sein freundlicher Glückwunsch zum neuen Jahre, und seine überraschende Frage: ob er das Anspannen bestellen solle? machten mich, eins wie das andere, mit mir selbst irre. – Ich blickte ihm ungewiß in das Gesicht, als ob mir eine dunkle Erinnerung von ihmvorschwebte, und runzelte, statt ihm zu antworten, die Stirn. Endlich merkte ich was mir war. – »Keinen Gruß von Margot?« sagte ich heimlich zu mir; »das heißt deine Befehle fast zu pünktlich [5] befolgt!« und legte mich unwillig auf das andere Ohr. Er mußte mich noch ein paarmal mit der sonorischen Stimme seiner Schwester und mit den Aehnlichkeiten ihres lieben Gesichtchens erschrecken, ehe ich gefaßt genug war, ihn mit einem grämlichen Ja! abzufertigen. – Er verließ mich – und ich – nicht halb mehr so zufrieden mit mir als vor einigen Minuten, stand lässig auf; meine Morgenbetrachtungen blieben unvollendet in der Nachtmütze hängen, die ich abwarf, und ich trat mit einer Art von Trotz in das Nebenzimmer, wo eine Kleinigkeit, die meiner wartete, mich vollends, und eben so geschwind verstimmte, als sie mir in die Augen fiel.

Es war eine Rose, die mir Bastian von seiner Schwester mitgebracht, und auf den Bogen, woran ich jetzt schreibe, gelegt hatte. Ich erkannte sie sogleich, wie ich ihrer ansichtig ward. Es war die oberste von den dreien, die gestern noch als Knospen an dem Stocke hingen, den Margot täglich in die Sonne trug und begoß. – »Die erste die sich entfalten wird,« sagte immer das liebe Kind, »soll niemand bekommen als Sie, mein gütiger Herr!« und wie wird sie sich freuen, daß sie mir noch Wort halten konnte! Ich hob die Blume zitternd in die Höhe, und die Thränen traten mir in die Augen. Alle die frohen Erinnerungen der ländlichen Stunden, wo sie mit aufgestreiften Aermeln vor ihrem Blumenstocke stand, ihn genau musterte, und bald eine summende Mücke, bald eine näschige Wespe davon verjagte – schienen jetzt mit dem Geruche dieser lieblichen Blume in mich überzuströmen, und ich konnte mich an der frischen Farbe dieser Erstlingin des Jahres nicht satt sehen.

Du kennst doch die Provencer Rosen, trauter Eduard? Viel kleiner als die unsern, röther, elastischer und koncentrischer, als es bei weitem unsre Centifolien sind, scheinen sie dem Auge eines Deutschen nur desto reizender – und nun vollends so früh im Jahre, und in der feierlichen Nacht entfaltet, die mich, ach! auf immer, von dem nachbarlichen Bette meiner guten Margot entfernt hat! Wäre es ein Wunder, wenn ich, trotz einem Brokes und seinem irdischen Vergnügen in Gott, über Betrachtung dieser Blume zum Kinde würde? Ich habe sie zwischen meinem Busenstreife verborgen, [6] nahe bei meinem pochenden Herzen, und würde es für Sünde halten, wenn ich sie mit prahlendem Leichtsinn auf meinen Reisehut stecken wollte. Nein! sie soll durch ihren sanften Gegendruck – durch den Aushauch ihres Wohlgeruchs, mir nur fühlbarer machen, daß ich noch athme, und ein Mensch bin; und selbst über ihre sterbenden Blätter will ich eine gewissenhafte Rechnung halten, sie, wie sie abfallen, in meine Brieftasche sammeln, und sie nur empfindsamen Freunden, als kostbare Reliquien aus dem heiligen Caverac, zeigen.

Der ungeduldige Junge hat mir schon zweimal gemeldet, daß alles zu meiner Abreise fertig sei. Er that es, und das weiß ich ihm Dank – ohne des wichtigen Geschenks zu erwähnen, das er mir so heimlich zugebracht hat. Ich werde suchen, ihm in der Unbefangenheit nachzuahmen, die er gegen mich über das Vergangene heuchelt. Ich will ihn von nun an nicht weiter als den Bruder Meiner Margot, sondern als Johanns Schwager und meinen Bedienten betrachten, und nie gegen ihn meine Empfindungen laut werden lassen: denn, kann Etwas unserm Ansehn nachtheilig werden, so ist es wohl die Schwachheit unsres Herzens. Verrathe sie ja keiner, wer sich in jenem bei seinen Untergebenen zu erhalten wünscht! Die Hengste vor meinem Wagen wiehern und stampfen, und der Postillion knallt einmal über das andere. – So muß ich denn wohl mein Tagebuch einpacken. Ich muß fort, trauter Eduard, fort aus der paradiesischen Gegend, wo ich jenes herrliche Mädchen fand, das einzige vielleicht, das der Unkosten der Liebe noch werth ist.

Avignon
Avignon.

Abends.


Kaum hatte ich mich heute Morgens mit meiner Provencer Rose in den Wagen, und Bastian sich mir gegen über zurechte gesetzt; so sah ich schon, daß ich eine Thorheit begangen hatte, ihm diesen vornehmen Platz anzuweisen. Sein Anblick war mir so [7] sonderbar im Wege, daß ich beinahe an seine Stelle meinen alten schnarchenden Begleiter aus seiner Verwesung zurück gewünscht hätte, der mir, wie Du weißt, immer zu einem guten Gedanken verhalf. Doch da der Mensch einmal da saß, mußte ich ihn nun auch schon sitzen, und mir gefallen lassen, daß sein spähendes Auge, manchmal zu einer ganz ungelegenen Zeit, den freien Aufblick der meinigen hinderte.

Ich ließ mir nicht einfallen, als ich durch die Stadt rollte, nur nach einem Fenster meiner Bekannten in die Höhe zu fahren, oder die römischen Alterthümer, so gewiß ich auch bei ihnen zum letztenmale vorbei kam, nur eines Abschiedsblickes zu würdigen. Dafür zog ich mein Fernglas aus der Tasche, wie ich in's Freie kam, und hob es immer mechanisch vor die Augen, so oft mir die Wendung meines Wagens die Thurmspitze von Caverac zu Gesichte brachte. Welche bittersüße Erinnerungen wehten mir immer noch von dorther entgegen! Einigemal wurden sie so lebhaft, daß ich im Begriffe stand, den Postknecht umlenken zu lassen; so groß war der Kampf meiner Nachwehen: ja, ich verzweifelte, daß die Zeit jemals im Stande seyn würde, dieses nagende Gefühl zu zertheilen.

Indeß that ich der Zeit Unrecht, Eduard, und ich hätte mir diese Sorge ersparen können; denn ich will Dir es nicht verschweigen, daß mir eine Stunde nachher die Sache lange nicht mehr so unmöglich schien. Mein Herz ward müde, langer für ein Mädchen zu pochen, das so weit hinter mir war, und meine sympathetische Rose verlor nach und nach immer etwas mehr von ihrer anziehenden Kraft. Ich fühlte nur noch, daß sie welkte, daß sie mir die Haut rieb, daß sie mir beschwerlich ward – schob sie ein paarmal seitwärts – und steckte sie endlich, da sie mir es zu arg machte, ohne mich weiter mit ihr einzulassen, in die Weste. Nun ging es, zu meinem Erstaunen, auch mit jeder andern Beruhigung so geschwind, daß ich mich selbst darüber mit mir hätte verfeinden mögen. Ich machte mir Vorwürfe über Vorwürfe – nannte mich den Wankelmüthigsten unter dem Monde; aber es fruchtete wenig. Je weiter ich mich von dem guten Dörfchen entfernte, je näher ich dem [8] Gebiete des Papstes kam, desto muthwilliger ward mein Blut, und ich betrat endlich das Comtat mit Ahndungen, die mir angst und bange für mich selbst machten.

Als ich über die französische Gränze hinaus war, steckte ich mein Fernglas ein, das mir zu nichts weiter dienen konnte, schlug munter meine Arme in einander, ließ meine Blicke einige Zeit mit Wohlgefallen auf dem hübschen Jungen ruhen, der mir gegen über saß, ward bald nachher seines ehrerbietigen Stillschweigens müde, und forderte ihn, indem ich zugleich mit Verwunderung nach meiner Uhr blickte, endlich selbst auf, mich von seiner Schwester zu unterhalten. Er schien nur auf meinen Befehl gewartet zu haben. Ich erfuhr von ihm, daß er das Haus in den großen Anstalten zu ihrer Hochzeitfeier verlassen habe, hörte es ohne merkliche Bewegung, und, indem mir mancher im Geschmack des Ostade gelungener Zug seines Gemäldes ein gutmüthiges Lächeln abnöthigte, rührte es mich öfter noch durch die feinsten Züge, die selbst ein Poussin zu seinen arkadischen Bildern, oder ein Berghem zu einem Stillleben nicht würde verschmäht haben.

Nachdem ich die Kunst seiner Darstellung lange genug bewundert hatte, und mancher verstohlne Blick, den ich mitunter dabei in mein Herz that, mich hoffen ließ, daß ich mich noch angenehmer mit mir selbst unterhalten würde, drückte ich meinen Hut um einen Zoll tiefer in die Augen, und legte mich in die Ecke des Wagens. Bastians Takt war auch sein genug, mich zu verstehn. Er besah den Aufschlag seines Rocks – blies eine Feder davon ab, und schwieg. Ungesucht legte sich nun das Glück so vieler guten Seelen, das ich mir aus dem Vorhergehenden deutlich genug vorstellen konnte, als der reichhaltigste Text meinen Betrachtungen unter: es stand, sammt allen seinen möglichen Folgen, in einem so sonderbaren Zusammenhange mit dem heillosen Schnupfen, den mir die Bise zu Nimes an die Nase warf, daß ich nicht genug den Zufall bewundern konnte, der so heterogene Dinge zu vereinigen wußte, um, wie es mir vorkam, durch den systematischsten Gang von der Welt, am Ende auch noch meine eigene Zufriedenheit zu bewirken.

Ja wohl, Eduard, meine eigene Zufriedenheit! denn ich ging [9] hier nicht so leer aus, als Du dem ersten Ansehn nach wohl denken könntest. Wolltest Du wohl das wieder erlangte Vermögen – um ein Mädchen seufzen, und den Glücklichen beneiden zu können, dem ihr Besitz zu Theil ward – für nichts achten? Wie wäre mir noch vor vier Wochen in Berlin so etwas eingefallen? – Der ganze Hof, von dem Vornehmsten bis zum Geringsten, hätte sich zwei- und dreimal verheirathen mögen – ich würde mich wenig um das Glück ihrer ersten Nächte bekümmert, noch weniger daran geglaubt, oder nur Einen Augenblick gewünscht haben, in ihrer Lage zu seyn. Zu solchen menschlichen Wünschen gehört eine gewisse Spannkraft des Herzens, von der ich schon langeher keinen Begriff mehr hatte, und ohne die doch selbst ein Monarch – zwar groß und bewundert, so viel Du willst – aber für seine Person nie so glücklich seyn wird, als der Tagelöhner, dem sie die Natur, vielleicht zur Entschädigung für alle andre ihm versagte Herrlichkeiten, in vollem Maße geschenkt hat. In welchem wohlthätigen Lichte mußte mir also nicht der Zufall erscheinen, der mich zwar mit einer kranken Nase nach Caverac brachte, mich nun aber dafür mit jenem männlichen Bewußtseyn in die offene und mädchenreiche Welt weiter schickte! Diesen schnellen Uebergang von Kleinmuth zu einem edlen Selbstvertrauen, das über den erschlafftesten Geist Wohlbehagen verbreitet – wem habe ich es zu verdanken, als allein dem mächtigen Zufalle?

»So sollst du mich denn, du Freund aller der Weisen, die ohne Anmaßung, ohne Rechnung und Forderung, ihr Leben durchschlendern, auch fernerhin leiten,« rief ich andächtig aus, stieß alle die überklugen Aussprüche, die mir seine Wirklichkeit verdächtig machten, mit Gewalt von mir, und fand ihn, bei zunehmendem Nachdenken, auf allen Blättern der Menschengeschichte, unwiderleglich bewiesen. Ich übersah den Umlauf irdischer Dinge – ihre Anlagen, ihre Absichten, und ihren Erfolg, in einigen ernsten Minuten. Das Feuer der Ode ergriff mich. – Ich warf bedeutende Blicke bald auf das päpstliche Gebiet, das, wie ein Ball des Ungefährs, vor mir lag – bald auf Bastian, der seine Augen von dem Brande der meinigen wegwandte und zitterte. Es flogen mir [10] mehr Gedanken zu, als mein Gehirn auffassen konnte. – Ich knetete nur die zusammen, die sich am nächsten wagten, und überließ den übrigen Vorrath größern Dichtern, die, wenn sie wollen, ihn zu einem dicken Gesangbuche von Klag- und Trostliedern verarbeiten mögen, das auch wohl einmal – wer kann dafür stehen? seine Gemeinde findet. »O du!« – rief ich mit innerer Erschütterung aus, die selbst, wie ich vermuthe, meine Gesichtsmuskeln verzog: denn Bastians Unruhe war nur zu sichtbar, und verrieth nur zu sehr, wie bange ihm in meiner Nähe seyn mochte. Aber welcher Dichter, der in der Begeisterung liegt, bekümmert sich um das staunende Gassen seines prosaischen Dieners? –


»Du, der auf unsrer Pilgerreise

Bald Blinde führst, bald aus dem Gleise

Die Führer anderer verdrängst;

Belasteten das Leitband ihrer Fesseln

Oft selbst im Riesenarm der Tyrannei zersprengst,

Und einen Zaum non Nesseln

Ihr in die Fäuste hängst!


So weit des Adlers Augen sehen,

Vom Gotthard zu den Pyrenäen,

Vom Rhein bis an den Quell des Nils,

Horcht die Natur nom Isop bis zur Zeder

Nur Dir, und von dem Schwarm, der nach dem Kranz des Ziels

Hinströmet, dienet jeder

Zum Würfel Deines Spiels.


Zwar nennen Dich die stolzen Buhlen

Des Sokrates auf hohen Schulen

Verwegner Phantasien Kind:

Doch fühlen sie erschrocken Dich, und heulen,

Gebeugt von Deiner Kraft, die Nächte durch, und sind

Scheu wie Miuervens Eulen,

Und Deinem Glanze blind.


Sie scheu'n des Schöpfers Plan zu schelten,

Daß er von Myriaden Welten

An Dich den Ball der unsern band;

Begreifen nicht, daß er nur seine Zügel

Zur Lehn Dir übertrug, weil Ordnung und Bestand

Er diesem Todtenhügel

Nicht angemessen fand:


[11]

Nein! sie begreifen's nicht, und stellen

Den Sturz, selbst ihrer Mitgesellen,

Als Zweck zum Wohl des Ganzen dar.

Des Staubes Sohn berechnet nicht, wie eitel

Für ihn das Ganze sei, und, trotzend der Gefahr,

Ruft er: Von meiner Scheitel

Fällt ungezählt kein Haar.


So opferten im Spiel der Lanzen

Sich Tausende dem Wohl des Ganzen,

So wenig auch ihr Wahn gelang;

Indeß hältst Du, den ein Lukrez erhoben,

Und den non seinem Sitz kein Polignac verdrang, 4

In Ordnung unsern Globen

Und sein Gewirr im Gang.


So war's nur Spielwerk Deiner Grillen,

Was, als Beweis vom höchsten Willen,

Auf Welt und Nachwelt überging?

So kam allein die komische Verkettung

Von Dir, die unser Heil an einen Fischerring, 5

Und Galliens Errettung

An ein Paar Handschuh hing. 6


Ihr Seher! steigt von euerm Sitze,

Steigt, wenn ihr könnt, bis zu der Spitze,

Wo menschliches Verhängniß schwebt:

Wird nicht die Schnur der folgenreichen Stunden,

Die auf dem Rad der Zeit sich zu entwickeln strebt,

Vom Zufall aufgewunden,

Vom Zufall abgewebt?


[12]

Wer öffnete von allen Zwergen

Auf euern Warten Guttenbergen,

Und Fausten der Erfindung Thor?

Was auszuspähn kein Doktorwitz vermochte,

Im Dickicht der Natur seit Seculn sich verlor,

Bei guter Laune pochte

Sein Jagdspieß es hervor.


Das Wild springt auf – und nun erst setzen

Ihm eure Jäger nach, durchhetzen

Die weite Welt nach seinem Lauf:

Sie fangen es, sie satteln es, sie führen

Es ohne Ruh' und Rast, zur Schau und zum Verlauf,

Und rennen Thor und Thüren

Zu seinem Einlaß auf.


Ihr Lärm von Trommeln und Posaunen

Treibt alle Messen neue Launen

Auf Guttenbergs Gefahr herbei;

Ihr wüthend Heer auf Faustens Mantel schwebet

Bis in das Feenland zum Thron der Schwärmerei;

Selbst der Olymp erbebet

Von ihrem Jagdgeschrei;


Kein Laut zufälliger Gedanken

Entfährt dem Mund, ersteigt die Schranken

Der Nachwelt ohne Wiederklang;

Kein Lied verhallt, und wenn es auch in Nächten

Wollüstigen Tumults ein kranker König sang; 7

Es kürzet den Gerechten

Des Lebens Uebergang.


O Zufall! freundlicher Erhalter

Des Lorborg, den uns Neid und Alter

Gern von dem Haupte nimmt, verleih

Auch mir den Schutz, den Du dem hohen Sänger

Verliehst, daß mein Gesang, gleich seiner Litanei,

Noch manchem Müssiggänger

Der Nachwelt heilig sei.


Wie vieler Unsinn, klug betitelt,

Hätt' es Dein Kompaß nicht vermittelt,

Schwämm' unbemerkt im Strom der Nacht!

[13] Dir danken wir die Kunst, den Schall zu malen,

Du hast manch Quentchen Witz zu einer Zentnerfracht

Erhöht, und Kern und Schalen

Der Schreibsucht flott gemacht.


Gewohnt dem Grübler nachzuwandern,

So weit ein Zirkel in den andern

Als über unsre Gränzen tritt.

Sprichst Du ihm Hohn, wenn er das Unsichtbare

In einer Tiefe sucht, die noch kein Mensch beschritt,

Und bringst dafür uns Waare,

Die wir bedürfen, mit.


Der Propagande Jünger dringen,

Für Gott mehr Ernten zu erringen,

Bis in der Bonzen Heiligthum,

Der Feind verdirbt zwar ihre frommen Saaten:

Doch Du entschädigst sie, Du schickst sie heim mit Ruhm,

Mit Putern und Pataten

In's Refektorium


Und Heidenkost strömt neuen Segen

Auf Länder, die des Lichtes pflegen,

Das aus der Offenbarung strahlt.

Schmaust ein Prälat, – seht, ob nicht in der Mitte

Des christlichen Gelags, das die Kommun bezahlt,

Ein fetter Proselyte

Des Lands Kalkutta prahlt?


So bringen selbst aus Deinen Schachten

Die Heiligen, die Dich verachten,

Beweise Deiner Huld an Bord:

Europens Ruhm trägst Du nach China über,

Führst uns Rhabarber zu, getauscht um Gottes Wort,

Und peitschest deutsche Fieber

Mit Peru's Ruthen fort.


So trage denn, o mein Begleiter

Und Freund, auch meinen Schnupfen weiter

Nach Monomotapa, zum Schach. 8

[14]

Dort feiert man der hohen Zirbeldrüsen

Getös: kaum niest der Fürst, so niest das Vorgemach;

Bis an die Gränzen niesen

Ihm seine Sklaven nach.


Doch, ohne Nasen zu verhöhnen,

Die Hof und Stadt und Land durchtönen,

Wie viel hingst Du der meinen an!

Hingst Du nicht ihr die jugendliche Runde,

Die ich nicht ganz umsonst um Amors Zelt gethan,

Und die Vollendungsstunde

Der guten Margot dran?


Und alle die Erobrungsplane,

Die Amor dem zu ihrer Fahne

Geschwornen Fremdling überträgt –

Das falsche Kind! Wie freundlich, wie ermuntert,

Giebt sie die Rosen Preis, die ich so treu gehegt,

Und die ihr Freund verwundert

Nun, Blatt für Blatt, zerlegt.


Hört mich, ihr Glücklichen! Verirret

Euch nicht zu weit! Der Zufall schwirret

Dem Traume nach, der euch verzückt:

Ach! möglich, daß auf euerm Schwanenbette

Zu rasche Lüsternheit ein Wesen niederdrückt,

Das an des Schicksals Kette

Mehr als ein Glied verrückt!


Doch möglich auch der Weihungsstille,

Daß Merciers erhabne Grille

Mit in die Zukunft überschwimmt,

Und daß vielleicht dieß Kinderspiel, das sausend

Mir jetzt das Ohr zerreißt, den Gang des Wohllauts nimmt

Der zu dem Jahr: Zweitausend

Vierhundert vierzig stimmt; 9


Und daß, der nächsten Nacht entsprossen,

Ein Keim, fortwuchernd nur Genossen

Der Tugend, all einander reiht,

Alis deren Schooß zum Wohl der bessern Erde,

Gott, welch ein Traum! der Genius gedeiht,

Der einst der Menschenherde

Das höchste Gut verleiht.


[15]

Wohlanl so folg' ich Deinen Zügeln

Gutwillig, Du, den auszuklügeln

Selbst Meistern nicht vom Stuhl gelingt;

Weil doch der Weg zum wahren Menschenglücke,

Den oft ein Magus zeigt, der selbst die Hände ringt,

Uns eher an die Krücke,

Als an die Scheibe bringt.


Nichts ist doch geschickter uns sanft über einen lästigen Zeitraum zu heben, als der Bau einer Ode. Ich hatte meine Station so unbemerkt zurück gelegt, daß mich die ausgezackten Mauern von Avignon mitten in meinem hoch tönenden Gesange, wie ein Epigramm, überraschten, das den ernsten Gang eines Heldengedichts unterbricht, und uns zum Lachen bewegt. Kaum hatte ich noch Zeit, meinem Feentempel den Schlußstein aufzusetzen, als ich mich schon mitten auf dem Markte befand. Doch konnte mich das Geräusch, das mir von allen Ecken her zuströmte, so wenig in meiner fortschreitenden Andacht stören, daß ich vielmehr, um sogleich von der frommen Sorglosigkeit!, zu der mich meine Hymne gestärkt hatte, Gebrauch zu machen, und noch ehe ich den schmutzigen Gasthof betrat, vor welchem ich ausstieg, meinen Bastian abfertigte, mir in der Stadt irgendwo auf gut Glück eine Wohnung zu suchen.

Ich hätte dem Zufall auf keine thätigere Art mein unbegrünztes Zutrauen beweisen können, als daß ich die bedenkliche Wahl meines Quartiers einem jungen Flüchtlinge überließ, der nur seit wenig Stunden in meinen Diensten stand, meinen Geschmack nicht kannte, und die erste Probe des seinigen, in einer ihm ganz fremden Stadt ablegen sollte – in einer Stadt, wo der Vorzug, den man einer von den vier Klassen ihrer Einwohner giebt, seine eigene Gefahr hat, und wo es nicht gleichgültig ist, ob man sich bei einem Orangenhändler, bei einem Juden, neben einem geistlichen Herrn, oder bei einer Seidenspinnerin einmiethet.

Ich machte unterdeß einen Spaziergang nach der Burg des Legaten, die, wie fast alle Prälaten-Schlösser, ihre demüthige Lage auf dem höchsten Flecke der Stadt hat. Der Hausknecht, der mich dahin führte, schwatzte mir, unterwegs viel von einem dort befindlichen [16] offenen Platze vor, auf welchem man das ganze päpstliche Gebiet übersehen könne. Ich nahm seine Versicherung in dem eingeschränktesten Sinne, den er vermuthlich nur darein legen wollte, und fand daher die Ansicht der herrlichen Gegend, die, wie ein ausgebreitetes großes Gemälde, da lag, für mein leibliches Auge so erquickend, als ein Ermüdeter nur wünschen kann. Auf diesem schönen vorplatze des geistlichen Palats soll zu Zeiten ein gewaltiger Zugwind herrschen, der über die französische Gränze herkommt, und dem Legaten, der nie viel Gutes von daher erwartet, oft den Athem versetzt. Heute, zu meinem Vergnügen, ruhte er in dem Abendglanze der Sonne, die gerade über ihm stand, als ob sie meiner erwartete. Mit welcher Freundlichkeit begrüßte sie hier den ersten Tag des Jahres, den sie höchstens nur matt bei Euch überschwimmert! O, Ihr armen erfrornen Berliner! Wie glücklich fühlte ich Mich in diesem warmen Augenblicke gegen Euch, da ich an den beschwerlichen Kreislauf zurück dachte, in welchem Euch das neue Jahr zu dem albernsten Vertausche abgenützter Wünsche herumtreibt, die Ihr mit etstarrender Zunge einander feil bietet, während daß ich mich im Sonnenscheine gleichsam badete, und nur in Gedanken fror wenn ich mich unter die Sonne meiner heimath versetzte. Wahrlich, es scheint nicht dieselbe zu seyn – so unvergleichbar ist sie sich selbst in dieser Verschiedenheit.


Als hätt' ein Vorgefühl der Freude

Dieß Inkarnat ihr angeweht,

Dritt sie hier auf in ihrem Sonntagskleide,

Stolz, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer geht.

Da sie, bei Gott! im Dunstkreis Eues Landes,

Kalt, abgezehrt und ausgebleicht,

Wie ein Skelet des Ehestandes

Am Horizont vorüber schleicht.


Ich stand lange ganz unbeweglich auf diesem Sonnenplatze, sog ihre wohlthätigen Strahlen ein, wie die Säule des Memnon; und daß ich auch nicht ohne Klang war, zeigt Dir die Harmonie meiner Rede.

[17] Bastian war mir schon eine Weile unter die Augen getreten; aber ich blinzte in das majestätische Licht, und er mußte mich anreden, um mir seine Gegenwart bekannt zu mache«. »Wollten Sie wohl,« lispelte er mir endlich zu, »einen Ihrer feurigen Blicke auf die Wohnung werfen, die ich Ihnen ausgemacht habe?« –

»So! mein Herr Abgesandter,« erwiederte ich, »ich höre du bist wieder zurück, denn sehen kann ich dich durchaus nicht.« – Wirklich war ich in diesem Augen blicke in so hohem Grade geblendet, daß ich glaube, Paulus und Schwedenburg haben nur einige Minuten länger in die Sonne gesehen, um jene unaussprechlichen Dinge zu entdecken, die unsere gemeine Vorstellungskraft so weit übersteigen.

»Ich hoffe,« fuhr Bastian fort, »das Quartier wird Ihnen gefallen, wenn Sie nur Ihres Gesichts erst wieder mächtig sind. – Wie? Sie suchen mich ja auf der Gegenseite – Sehen Sie mich denn noch nicht? Mein Gott, wie Angst machen Sie mir! Ach, mein Herr! mit der hiesigen Sonne ist nicht zu spassen.« –

»O, mit der hiesigen habe ich es auch nicht gethan, mein lieber Bastian,« antwortete ich und rieb mir die Augen: »wenn mir die Berliner Sonne nur nichts nachträgt! Doch führe mich in meine Miethe; denn meine Blindheit, Gott sei Dank! fängt an zu vergehen.« –

»Der Weg dahin ist nicht weit,« fuhr Bastian nun in seinem Hauptberichte fort, indem er, stolz auf seine gute Verrichtung, ziemlich anmaßlich neben mir hertrabte. »Sie werden das Quartier gewiß lieb gewinnen, denn zufälliger Weise liegt es an der Mittagsseite. Ein helles freundliches Haus – eine schöne bequeme Stiege, die in einen großen Vorsaal führt, wovon Sie in ein weitläuftiges Zimmer treten, an das eine Kammer mit dem artigsten Bette, und an diese wieder ein Verschlag stößt, der eine kleine Bibliothek enthält. Unter dem Spiegel in dem Hauptgemache ein schlafender Amor von Marmor – und Rousseau's Büste von Gyps gegen über auf dem Gesimse des Kamms – und das alles, mein Herr, in dem ersten Stockwerke! Aber, das Beste kommt noch: Sie sind, so lange es Ihnen gefällt da zu wohnen, Herr allein im [18] Hause; denn es gehört einer todten Hand zu – dem Hospitale der, Probstei, dem eine andächtige Seele die Einkünfte davon vermacht hat. Ein einzelnes altes Weib, die man für nichts rechnen kann, ist auf der Seite der großen Stube Ihre Nachbarin, aber wie hier durch die Mauer, so auch auf dem gemeinschaftlichen Vorsaale, ganz von Ihnen geschieden. Das Weib ist aus der Kommun des Hospitals genommen, und in dieß Haus gesetzt, um es in Aufsicht und Beschluß zu halten, und sie macht ihrem Amte Ehre. Zufällig traf ich es so glücklich, daß sie eben aus der Messe kam, als ich vor ihrer Thüre stand, und das logement à deux Louis par Sémaine nicht so recht herausbringen konnte; denn vermuthlich ist das Haus schon für sich in zu gutem Rufe, als daß es einer leserlichen Aufschrift bedürfte.«

»Ich fand,« fuhr mein geschwätziger Geschäftsträger fort, »die Zimmer, das Geräthe und die ganze Gelegenheit artig genug für einen einzelnen Herrn; aber den Miethzins, bei alle dem, zu hoch. Doch konnte ich es nicht über das Herz bringen, dem alten Mütterchen ein geringeres Gebot zu thun, da jeder Liard, wie sie mir sagte, den das Haus abwirft, unter Nothleidende vertheilt wird. Dieser Umstand, dachte ich, ist gewiß deinem guten Herrn mehr werth, als die paar Livres, die er vielleicht zu viel bezahlt! Doch das ist seine Sache, der Handel ist ja noch nicht so fest abgeschlossen, daß es nicht bei ihm stände, ihn fallen zu lassen, wenn ihm die Wohnung, die Wirthin, oder der Preis nicht gefällt.«

Ich habe Dir, lieber Eduard, das ganze umständliche Geschwätz meines Gesandten hergesetzt, weil es mich der Mühe überhebt, Dir meine schöne Wohnung selbst zu beschreiben. Sie empfahl sich mir schon durch das zufälliger Weise, das Bastian einigemal so geschickt anbrachte, als hätte er meine Ode gelesen, und ich hatte sie schon in Gedanken gemiethet, ehe ich mich noch mit eigenen Augen überzeugte, daß sie des Zinses werth sei, den ich allenfalls, (darin hat Bastian Recht,) nur als ein wöchentliches Almosen ansehen darf, um ihn nicht zu hoch zu finden.

Hätte mich etwas von dem Handel abschrecken können, so wäre es wohl die alte Ausgeberin gewesen, bei der es beinahe unmöglich [19] ist, eine gute Absicht des Zufalls zu vermuthen. Sie ist das wahre Gegenbild meiner vortrefflichen Wirthin zu Caverac, für den Anblick sowohl als für das Herz. Da ich nicht so gern Runzeln male als Denner, so scheide ich von ihrem Porträte, selbst ohne näher zu untersuchen, ob sie des Criminis rugarum 10 so schuldig sei, als es leider! das Ansehn hat. Fromm, wie man es hier zu Lande nennt, mag sie wohl seyn: denn sie ist mit so viel Heiligenbildern, Amuleten und Rosenkränzen behängt, daß sie bei der geringsten Bewegung, wie ein Skelet im Zugwinde, klappert. Als sie mir mein Stubengeräthe, zugleich mit dem Verzeichnisse davon, übergab, that sie mir die freundschaftliche Erklärung, daß, sie, außer dem, was sie mir hier zum Gebrauche überließ, sich weiter um keines meiner Bedürfnisse bekümmern könne: und das ist mir auch ganz recht. Mit dem Anfange jeder Woche, fuhr sie fort, würde sie den bedungenen Miethzins abholen, nahm den jetzigen in Empfang, und empfahl sich meinem Gebete.

Ich untersuchte nun etwas genauer, was mich umgab, fand alles reinlich und artig, aber ohne Schmuck, wenn ich den schlafenden Amor ausnehme, der aus weißem Marmor und wirklich schön gearbeitet ist. Wie mag sich ein solches Kabinetsstück in dieses Haus verirrt haben? Ich begriff es nicht eher, bis ich das Verzeichniß nachschlug, wo ich die Auflösung fand; denn hier stand die Figur als ein heiliger Engel, mit dem Beisätze eingetragen, daß er bei der ersten Besitzerin des Hauses versetzt worden, und ihr für aufgelaufene Zinsen verfallen sei. Man ist von Jugend auf an die Abweichungen der Künstler von dem Sprachgebrauche bei dieser Art von Geschöpfen so gewöhnt, daß ich überlaut lachen mußte, hier zum erstenmale einen so decidirten männlichen Engel zu finden, als seit ihrer Entstehung noch keiner gemodelt und gemalt worden. Wo muß die gute Frau ihre Augen gehabt haben? Ich glaube, man brächte kein Mädchen mehr in die Kirche, wenn [20] sie mit solchen Figuren umgeben wäre, oder am Feste der Verkündigung vor so einem Engel knieen sollte! Indeß, da Freund Amor in diesem Hause dafür gilt, so mag er es, so lange Gott will! Woher mag nun aber in aller Welt dieser konventionelle Verstoß der Künstler, die uns diese Boten Gottes darstellen, wider die Analogie der Sprache wohl herrühren? Er muß doch eine Ursache haben! aber wer weiß sie mir anzugeben? Ich vertiefte mich umsonst in dieser artistischen Untersuchung, und selbst weit länger, als es mir gut war: denn ich kann fast über nichts mehr kaltblütig nachdenken.

Die Büchersammlung, vor der ich mich Anfangs am meisten fürchtete, wird mir hoffentlich kein Kopfweh verursachen. Sie besteht, so viel ich nach einem flüchtigen Blick entdeckt habe, in nichts, als in theologischmoralischen, dialektischen und kasuistischen Abhandlungen und andern dergleichen Meisterstücken des vorigen Jahrhunderts.

Sebastian wohnt eine Treppe höher, steht aber durch einen Schellenzug in gehöriger Verbindung mit seinem Herrn.

Ich dächte für meine stillen Absichten hätte derZufall mir keine bequemere Wohnung verschaffen können. Scheint die Sonne die vier Wochen hindurch, die ich etwan hier zubringen werde, mir immer so freundlich wie heute; so wüßte ich in der That nicht was meinen einfachen Gang nach Gesundheit und Seelenruhe stören sollte? Mein Aufenthalt in Avignon wird sonach, lieber Eduard, wie das immer der Fall bei den wahrhaft glücklichen Epochen unsres Lebens ist, einen ganz kleinen Raum in meiner Geschichte einnehmen. Wenn ich Dir nicht täglich aufs neue erzählen will, wie ich nach einem gesunden Schlaf, einer mäßigen Mahlzeit, müde von meinem einsamen Spaziergange, nach Hause komme, um den folgenden Tag denselben Zirkel zu wiederholen; so begreife ich wahrlich nicht, wovon ich Dich unterhalten soll. Bei einem Leser, wie Du mir bist, Eduard, sollte mir das zwar nicht schaden. Du dürftest mich nur desto gesunder, klüger, zufriedener, und desto näher am Ziele meiner Reise denken, je mehr mein Tagebuch an Interesse abnimmt; aber bei aller Deiner Theilnähme,[21] mein guter Freund, fürchte ich, wird es Dir dennoch um nichts merkwürdiger vorkommen. Schreiber und Leser stehen gar zu leicht in Ansehung ihrer Empfindung im umgekehrten Verhältnisse zu einander. Was dem ersten behagt, ist leicht dem zweiten zuwider. Ihr wollt immer nur euren Robinson mit Wetter und Wellen im Streite sehen – Je trauriger und gefahrvoller seine Lage wird, desto anziehender kommt sie euch vor. Wehe ihm aber, wenn er nun Land gewonnen hat, und sich einfallen läßt, euch nun auch seine Ruhe nach vollbrachter Arbeit, und seine häusliche Glückseligkeit zu schildern – wenn er endlich seine Amanda heirathet, und von den großen Anlagen seiner Kleinen euch vorplaudern will: dazu habt ihr keine Ohren – ihr fangt an zu gähnen, und schlagt die langweiligen Blätter ohne Barmherzigkeit um. Da bin ich nun zum Beispiele diesen Nachmittag wieder auf meinem Sonnenplatze gewesen, um meinen Spinat recht gemächlich zu verdauen; habe den Himmel ohne Wolken, und die Sonne sich so rosenroth zu ihrem Untergange neigen sehen, daß ich mir morgen einen gleich heitern Tag versprechen darf, als der heutige war. Das ist nun für mich freilich sehr wichtig; aber eben so gut fühle ich, daß, wenn Du nun diese Merkwürdigkeiten ein paar Dutzend Male hinter einander wirst gelesen haben, Deine Ungeduld wohl gereizt werden dürfte, mir Hagel und Frost auf den Hals zu wünschen; geschähe es auch nur aus Liebe zur Veränderung.

Nach dieser vorläufigen Erklärung eines schachmatten Schriftstellers, bleibt mir für heute nichts klügeres zu thun übrig, als daß ich mein Bette suche, um die Stunde Schlaf zu ersetzen, die ich mir diesen Morgen abbrach. Du siehst, lieber Freund, wie ich aufange alles in Ordnung zu halten.


Da stößt mir doch noch etwas so drolliges auf, daß ich nicht umhin kann, die Feder wieder aufzunehmen, und es Dir als eine Seltenheit des hiesigen Landes zu erzählen. Indem ich mich auskleide, singt meine veraltete Nachbarin einen Psalm ab, der mir warm an das Herz geht; so volltönend – so einschmeichelnd singt sie ihn! – Wie hätte ich ihr dieß Talent zutrauen sollen? Eine [22] solche Stimme in dem Munde einer Margot? – bei allen Heiligen! die Scheidewand sollte uns nicht lange scheiden. Indeß wirst Du selbst gestehen, daß es schon angenehmer ist, unter dem Gesang eines alten Weibes, als unter ihrem hektischen Husten einzuschlafen, wie es leider! manchem armen Sklaven von Manne geht, der sich won seiner Gebieterin nicht wegbetten darf.


Den 2ten Januar.


Wenn die Eigentümer dieses Hauses in ihren Besitzungen so gut schlafen, als ihr Miethmann diese Nacht geruht hat, so wollte ich zum Wohl der Menschen, daß sie deren recht viel hätten – so wollte ich manchem Großen der Erde, dem seine Sorgen, sein Gewissen, oder was es sonst ist, keinen Schlaf verstatten, wohl rathen, sich in dieß Hospital einzukaufen: ich glaube, und wäre es ein Sünder wider alle zehn Gebote – er würde doch hier das Glück finden, das ihm abgeht; so eine Kraft der Ruhe scheint an diesem Hause zu kleben. Auch bin ich so gestärkt an Leib und Seele erwacht, daß ich, um mein Feuer zu vertheilen, einen neuen Lobgesang auf den freundschaftlichen Zufall dichten möchte, der mir diese heitere Wohnung verrieth, die alles gewährt, was dem Aufenthalte eines Philosophen angemessen seyn kann: Reinlichkeit, Stille, und jenen einfachen Schmuck, der aller sybaritischen Weichlichkeit, allen Lockungen der Leidenschaften eben so entgegen arbeitet, als er mit dem Gefühle der unschuldigen Natur und der Sittlichkeit in naher Verbindung steht.


Wie versah's die Frömmigkeit,

Daß sie diese stille Klause

In dem Gott geschenkten Hause

Der Philosophie geweiht?

Und ob sie zum Hospitale

Manchen Weisen schon verwies,

Ihn doch hier zum erstenmale

Freundlich bei ihr wohnen hieß?

Wem's behaget, sich zum Jünger

Eines Plato zu kasteyn,

Könnte dem ein Sittenzwinger

Wohl bequemer seyn?


[23]

Was vielleicht zur Ritterzeit

Reizung und Betrug entfaltet,

Predigt mir jetzt mißgestaltet

Nur den Trost der Sicherheit:

Von Ihr an, die Gottes Wunder

Mir zur Ehrenwache gab,

Big zu dem gelehrten Plunder

Ihres Bücherschranks herab,

Was, die Sinne zu berücken,

Sich die Phantasie erträumt.

Hat dem geistigen Entzücken

Hier das Feld geräumt.


Trümmer nächtlichen Gelags,

China's nackte Schildereien

An der bunten Wand, entweihen

Nicht die Lauterkeit des Tags.

Statt des Götzen nach der Mode, 11

Ueberdeckt Minervens Schild,

An dem Standort der Pagode,

Des erhabnen Rousseau Bild.

Meinem und Emilens Lehrer

Unter'm ernsten Auge, liegt

Fest in Schlaf der Friedensstörer

Juliens gewiegt.


Auf mein Polster hingestreckt,

Allem Weltgeräusch verborgen,

Siehe! wie zum frohsten Morgen

Mich der Strahl der Sonne weckt!

Wie sie den bescheidnen Wänden

Ihren Glanz entgegen strahlt,

Freundlich, ohne mich zu blenden,

Meinen Bogen übermalt!

Möchten, ihrem sanften Schimmer

Aehnlich, – ungefärbt und rein

Auch die Ohrenbeichten immer

Deines Freundes sein!


Gott! welch ein Entzücken nimmt

Jetzt den Weg zu meiner Seele!

Welcher Seraph hat die Kehle

Jener Heiligen gestimmt,

[24]

Die auf Pergolesens Flügel

Ihren frommen Geist erhebt,

Immer näher zu dem Hügel

Der Verklärten überschwebt,

Zu der Glorie des Psalters

Assaphs ihre Stimme mischt,

Alle Spuren ihres Alters

Von der Stirn gewischt?


Ich war so in Andacht versunken, daß es mir höchst zuwider war, als Bastian, der mir eben mein irdisches Frühstück brachte, mich in diesem Feste der Empfindung störte. Wie hätte ich ihm ansehen können, daß er solches noch erhöhen, ja selbst meinen leiblichen Augen das Wunder der Verklärung versinnlichen sollte, worüber er meinen Geist brütend antraf? Ich hatte ihn kaum aufmerksam auf das erstaunliche Talent unserer Wirthin gemacht, so schlug er seine Hände zusammen, als ob er meine wenige Kenntniß in der Musik bemitleiden wollte. »O, mein bester Herr,« rief er aus, »wie konnten Sie nur einen Augenblick denken, daß der zahnlose, häßliche Rachen unserer Aufseherin diesen Nachtigallenton hervor zu gurgeln geschickt sei? Nein, mein lieber Herr: das alte Weib hat einen Engel bei sich, der ihr vorsingt. Ich habe ihn hinter dem Fenster stehen sehen, und erschrak so sehr über seinen Anblick, daß ich bald Ihren Kaffee verschüttet hätte, den ich über die Straße trug. Ohne daß ich geradezu behaupten will, daß er vom Himmel gestiegen sei – denn das müßte in einer mittelmäßigen Stadt, wie Avignon, schon mehrern Lärm machen – so versichere ich Sie doch bei alledem, daß es selbst Ihnen so schwer werden sollte als mir, es nicht zu glauben, wenn Ihnen diese himmlische Figur eben so unerwartet erschiene.«

Dieses enthusiastische Lob eines Engels, – denn der unter dem Spiegel machte mich nicht irre – dieses Lob sage ich, aus dem Munde eines Menschen, der eine Margot zur Schwester hat, mußte nothwendig den Eindruck auf meine Seele machen, den Du Dir denken kannst. Ich winkte ihm zu schweigen, bekümmerte mich um kein Frühstück, setzte mich so nah als möglich an die Scheidewand, [25] und ließ nun meine nüchterne Seele auf dem Strome der Harmonie, wie eine Feder, hin und her schaukeln. Ich glaubte in meinem Entzücken, alle die Schönheiten zu hören, die mir zu sehen verwehrt waren – die gewölbte Brust – den kleinen, mit Perlen besetzten Mund – die liebevollen, schmachtenden Augen – ja, es kamen sogar Noten vor, bei denen ich auf die unverletzte Tugend hätte schwören wollen, die mit der Kehle eines Mädchens, wie Du wissen wirst, in so sonderbarer Verbindung steht. Meine Einbildungskraft, die, großer Gott! noch vor einer Viertelstunde so ruhig war, gerieth in Aufruhr. Ich war heilfroh, als der erschütternde Psalm zu Ende war, und ich nun den Empfindungen Luft machen konnte, die sich indeß in meiner beklommenen Brust gehäuft hatten.

»Woher – um aller Barmherzigkeit willen, mag diese reizende Sängerin in dieß einsame Haus kommen?« kehrte ich mich gegen Bastian, der während des Gesanges sich mäuschenstill in den Bogen des Fensters gelehnt hatte. »Das,« antwortete er seufzend, »mag Gott, und jener kleine verschobene Kerl von Buchhändler wissen, der uns gegen über wohnt. – Der muß den Diskant so sehr lieben als Sie, mein Herr. Sehen Sie nur, wie verloren er da steht! Blickt er nicht nach dem Fenster des Engels, wie ein Salamander, der einen Colibri belagert? Er, mein lieber Herr, möchte wohl am ersten Ihre Neugier befriedigen können.« –

»Wahrlich,« rief ich aus, »Du bist ein kluger Kerl, Bastian! Geschwind gieb mir meine Schuhe und meinen Frack! Mit der Frisur kann es anstehen, bis ich zurück komme.« Und so trabte ich denn bald darauf über die Gasse, ohne an die Warnung meines Jerom eher zu denken, als bis ich mich schon mitten unter der mir verbotensten Waare von allen befand.

Der Name des Mannes, der hier den gelehrten Handlanger machte, stand über der Thüre seines Ladens mit großen goldenen Buchstaben geschrieben, und verdiente es auch mehr als ein anderer. Ein Streit der Großmuth mit Voltairen hatte mir ihn schon längst rühmlichst bekannt gemacht. Es war, mit Einem Worte, wo nicht der berühmte Herr Fez selbst, doch wenigstens sein Sohn, den ich [26] hier, von der Natur zwar ein wenig gemißhandelt, übrigens aber als einen sehr gebildeten Mann kennen lernte. Du wirst Dich erinnern, daß ihm einst P. Nonotte eine Handschrift in Verlag gab, die schon durch ihren Titel: Les Erreurs de Voltaire, diesen wahrheitsliebenden Dichter auf das gröbste beleidigen mußte. Aber Herr Fez – ehe er sie zum Druck beförderte, schrieb höflich an ihn, meldete ihm den Vorgang, und erbot sich, gegen einen Ersatz von zwei tausend Livres, das anzügliche Werk zu unterdrücken. Doch Voltaire, wie Du ihn kennst, viel zu edel, jemanden in Schaden zu setzen, widerrieth dem Buchhändler ernstlich sein großmüthiges Opfer, rechnete in seiner Antwort den außerordentlichen Gewinn ihm gutmüthig vor, den er gegen eine so geringe Summe auf's Spiel setzen würde, nahm das höfliche Erbieten nicht an, sondern bot sogar nachher seinen ganzen Witz auf, dem so wackern Herrn Fez recht viele Abnehmer zu werben. Diese Anekdote schon verschaffte ihm mein ganzes Zutrauen, noch ehe es seine nähere Bekanntschaft that. Er nöthigte mich mit einer Freundlichkeit in seinen Laden, die nur bei jenen abgeschliffenen Menschen sich findet, die immer in guter Gesellschaft leben, und zog sogleich, als ob er mich seinen Freunden vorstellen wollte, ein paar Vorhänge zurück, die mir eine ganze Wand der glänzendsten Werke entdeckten. Doch dießmal trug ich zu meinem Glücke ein Gegengift in mir, das mich gegen alle Gefahren der Litteratur, gegen die Verführung der Schreiber aller Zeiten und Völker, vollkommen fest machte.


Ich ließ sie stehn, wie jetzt, nach einer matten,

Durch's todte Meer der Bücherwelt

Gehaltnen Fahrt – ihr Schutzgeist sie den Schatten

Der Unbegrabnen beigesellt –

Der Größe nach, die sie errungen hatten,

In Reih' und Gliedern aufgestellt:

Sie, die der Freude sich verweigert,

Als noch die Sonne sie beschien:

Um in Journalen ausgeschrien,

Einmal verkauft, zehnmal versteigert,

Gespenstern gleich herum zu ziehn:

Ich ließ sie stehn, die aufgeblähten Werke,

Geburten mancher kalten Nacht,

[27]

Sammt dem Gefolg in Kindertracht

Des Zwerggeschlechts, das ihre Riesenstärke

Mit flinker Hand in eine Nuß gebracht.

Vergebens luden mich an ihres Tempels Thoren

Minervens Schreier ein! Ich schätzte den Gewinn,

Den sie verheißen, als verloren;

Und hatt' ich noch für eine Muse Sinn,

So lag er mir, wenn ich nicht irrig bin,

Doch anderwärts als in den Ohren.


Ungeachtet dessen erwartete ich doch von der Dienstfertigkeit eines Mannes, der in so aufgeklärter Gesellschaft, einer Sängerin gegen über, wohnte, zu viel, um nicht in meiner geringen Kenntniß der französischen Litteratur Mittel aufzusuchen, mich seiner Freundschaft so viel als möglich zu versichern, ohne daß ich doch selbst etwas mehr, als allenfalls ein paar verschleuderte Louisdor, dabei wagte.

Wie gut kam mir nicht jetzt eine und die andere langweilige Stunde zu Statten, die ich beim Durchlesen der Gazette ecclésiastique – des Journals von Trevoux, und anderer dergleichen berühmter Zeitschriften, viel zu voreilig, wie ich nun wohl sah, für verloren gehalten hatte! Ich strengte mein Gedächtniß an, und forderte, zu dem freudigen Erstaunen des Herrn Fez, manche dort angepriesene Schrift, nach der seit ihrem Daseyn wohl keinem vernünftigen Menschen noch eingefallen sehn mochte zu fragen; und versorgte mich zuletzt, um mein Ansehn bei ihm ganz zu befestigen, mit einem Dutzend Exemplaren des belobten Trauerspiels jenes glücklichen Dichters zu Nimes, für mich und meine auswärtigen Freunde.

Der Mann ward zusehends freundlicher, je länger und tiefer er unter dem seit Jahren angewachsenen Schutte nach diesen vergessenen Kleinodien suchen mußte. Er konnte nicht aufhören, die so seltenen Kenntnisse eines Ausländers in der französischen Litteratur – und meinen gebildeten Geschmack zu erheben; und ich dachte wahrlich, er würde mich gar umarmen, als ich ihm beiläufig vertraute, daß ich in der gelehrten Absicht reiste, nach und nach alle die fliegenden Blätter zu sammeln, die, ihrer Leichtigkeit ungeachtet, so selten bis über die Gränzen des Königreichs flögen.

[28] »Ich opfere,« sagte ich mit einer Treuherzigkeit, die den Mann entzückte, »den größten Theil meiner Zeit den keuschen Musen, suche deshalb immer den berühmtesten Buchhändlern in der Nähe zu wohnen, und habe auch hier, wie Sie sehen, die stillste Wohnung bezogen, die in Ihrer Nachbarschaft zu finden war; die alte Dame, deren Miethmann ich bin, wird mich sicher nicht in meinen Studien stören.« –

»Das wohl nicht,« fiel mir Herr Fez in's Wort, »wenn es nur nicht ihre Nichte thut, die das alte Weib bei sich hat!« –

»So?« antwortete ich ganz gelassen, »eine Nichte?«

»Ja,« erwiederte er laut seufzend, »eine gewisse Klara. Gott gebe Ihnen Ruhe vor ihr! Mich jagt sie allemal von meinen Rechnungen auf, so oft in die Kirche geläutet wird; denn zu keiner andern Zeit ist sie mir sichtbar. Eine wahre Heilige! und dabei – denken Sie, mein Herr! – erst fünfzehn Jahr alt. Als Kind schon soll ihr ein Marienbild lieber gewesen seyn, als alle andere Puppen. Schließen Sie nun, wie groß erst jetzt ihre Andacht für die Gebenedeite seyn mag, da sie zu reifern Jahren gekommen! Sie soll, sagt man, alle ihre Gliedmaßen der Mutter Gottes geweiht haben; und es ist zu glauben, wenn man sie gehn sieht, so jungfräulich sind alle ihre Bewegungen. Wollten Sie nur wenige Augenblicke verziehen, und Sich einstweilen in meinen Büchern umsehen, so würden Sie Sich mit eigenen Augen überzeugen, wie groß die Gefahr Ihrer Wohnung sei. Das Frühamt bei den Minimen wird bald angehn, und da muß sie ganz nahe bei meinem Laden vorbei – da sollen Sie sehen, mein Herr! da sollen Sie erstaunen!«

Inzwischen nun Herr Fez nach Makulatur suchte, um diejenige einzuschlagen, die ich gekauft hatte, las ich, die Zeit hinzubringen, die Aufschriften seiner Ballen, und zählte gähnend die Bände der Encyklopädie. Die Minimen ließen uns nicht lange warten; und kaum fingen ihre Glocken, bei dem Einklange meines ungeduldigen Herzens, ihr Spiel an, so warf der Buchhändler geschwind seinen Plunder aus der Hand, und: »Kommen Sie, mein Herr! – hier! – hierher! – Lassen Sie jetzt den Abbadie und den Bourdaloue [29] stehen!« schrie er mir zu, und zog mich mit Gewalt an die Thür seines Ladens. Und in demselben Augenblicke erschien – wie sich ein Frühlingstag an ein Sekulum schließt – Klara, unter Voraustretung der Alten. Je näher sie meinen Augen kam, je stiller und tiefgefühlter meine Bewunderung ward, desto schwatzhafter und lärmender ward Herr Fez in der seinigen.

»Welch ein Gang!« flüsterte er mir einmal über das andere in's Ohr: »was das für ein Wuchs ist! und mit welcher natürlichen Bescheidenheit sie einher tritt! O, über das herrliche Madonnengesichtchen! So sanft und glänzend, wie ein Didotischer Druck, und rein, wie in Kupfer gestochen. Ah! sehen Sie nur, wie aller Augen auf ihre niedlichen Schritte geheftet sind, indeß sie, nur in sich gekehrt, keinen Blick ausschickt, der nicht Andacht und Ruhe der Seele verräth. Sie weiß es nicht – sie hat es nie gewußt, wie alt und wie reizend sie ist.«


»Gern wiederholt mein Herz die Klagen ihres bangen

Gefühls, zur Zeit als ihr die Blumenhülsen sprangen,

Ein Morgenlied, bei Gott! als ob sie fest geglaubt,

Es hätten in der Nacht Hyänen oder Schlangen

Den reinen Körper angeschnaubt –

Doch waren's Blüthen nur, die hier ein Schleifchen zwangen,

Dort einen leeren Raum verdrangen,

Nur Primeln, die vielleicht zum Theil nun abgestaubt,

Erstorben sind und heim gegangen.

Ach! rechnete sie nach, wie viel auf ihren Wangen

Andächtelei uns Ernten schon geraubt!

Begriffe sie nur einmal, welch Verlangen

Uns quält, wenn sie das Glück an ihrem Hals zu hangen

Nur einem Todtenbein erlaubt!

Sie ringt nur um ein Loos, das viele wohl errangen,

Die nicht so rein die Metten sangen,

Wünscht sich mit Einem Wort bald Strahlen um das Haupt:

Denn eher hofft sie nicht – das nenn' ich unbefangen –

Von einem Pater angeschraubt,

In einem Klostergang zu prangen.«


»Das, mein Herr,« fuhr Herr Fez fort, »ist ihre einzige Sorge; und es ist abscheulich, daß ihre alte Tante ihr solche kindische Einfälle nicht ausredet, und keine gutherzige Seele zu ihr läßt, die ihr den Verstand öffnen könnte. Aber mein bester Herr,« indem er [30] sich nach mir kehrte, ohne darum vor eigener allzu großer Bewegung die meinige zu bemerken, so schlecht ich sie auch verbarg: »Sie sagen ja kein Wort? Wie wünsche ich Ihnen Glück zu der Ruhe Ihres Temperaments! Sie müssen es nothwendig in der Gelehrsamkeit hoch bringen, da solch eine Erscheinung Sie nicht einmal zerstreuen kann. So gut wird es mir leider nicht! Die Stunden, die das liebe Mädchen in der Kirche bleibt, sind auch für mich verloren – ich kann an nichts denken, als an den süßen Augenblick, wo sie wieder zurück kommen wird; und dann sehne ich mich gleich wieder auf ihren nächsten Kirchgang. In der Länge muß mein Handel darüber zu Grunde gehn – das sehe ich zum voraus: aber ich kann – wahrlich ich kann mir nicht helfen!«

Ich hatte nicht das Herz, über den guten Mann zu spotten, da mir für meinen eigenen Verstand nur zu bange war: doch fand ich auch keinen sonderlichen Beruf über den Text meiner geheimen Empfindungen einen andern predigen zu hören als mich. Ich bezahlte also dem Herrn Fez seine Makulatur, ließ sie nach meiner Wohnung tragen, und zitterte so ängstlich hinter drein, als ob ich sie auch lesen müßte. Ich übergab meinem Bastian den ganzen Ankauf zu beliebigem Verbrauch, ohne daß es mir nur einfiel, wie unmanierlich ich mich gegen Schriftsteller betrüge, denen ich doch im Grunde Dienste verdanke, die mir der gesuchteste – der geschätzteste Autor nicht halb so gut würde erwiesen haben. Die schnelle, aufbrausende, plaudernde Freundschaft des guten Fez, an der mir so viel gelegen war, ist ihr Werk! Ihnen verdanke ich das belohnende Anschauen der liebenswürdigsten Heiligen, und alle die unnennbaren frohen Empfindungen, die es mir zurück ließ; und ich glaube, daß selbst der strenge Jerom sie bei den kleinen Diensten für unschädlich erklären würde, zu denen ich sie gegenwärtig noch aufhebe. So sehr, lieber Eduard, kommt alles auf Zeit und Umstände an, und mein Freund, der Zufall, kann uns in so unglaublich sonderbare Verhältnisse verwickeln, wo uns Lünichs Reden großer Herren – wichtiger als ein Plutarch und Lucian, und Masius Schriften auf weichem Druckpapier brauchbarer werden können, als der schönste Kodex auf Pergament.


[31] Da ich bei den Minimen keinen Bescheid wußte, so blieb mir nichts übrig, als meinen Stuhl an das Fenster zu rücken, und, während mir Bastian das Haar in Locken schlug, mit pochendem Herzen die Zurückkunft der Psalmistin zu erwarten. Die letzte Stufe, auf die ich sie vorhin in die Halle treten sah, zog jetzt meine Blicke, wie auf einen Brennpunkt zusammen. Ich bot alle meine Geduld auf, mir beizustehen, und sah dennoch immer eine Sekunde um die andere, fluchend, nach meiner zu langsamen Uhr. »Wird sie denn ewig in der Kirche bleiben?« murmelte ich, und ließ mir angst werden, die Minimen möchten sie wohl, ohne sich an den Mangel ihres Nimbus zu kehren, schon jetzt mit der ausgezeichneten Ehre überraschen, nach der das gute unbefangene Kind fast athemlos hinstrebt. Aber in diesem Augenblicke erlebte ich die Freude – daß die Thüre der Halle sich öffnete, erst andere gestärkte Seelen, dann die Alte, und zwei Schritte hinter derselben auch nun Sie, die Erwartete, in ihrem ganzen Engelsschmucke heraustrat.

War mir's doch, als ob sie mir geschenkt würde, so bald ich sie nur außer dem Kloster sah! Ich zählte jeden ihrer kleinen Schritte über die Gasse. Aber mit dem letzten, den sie in das Haus setzte, trat auch ich aus meinem Zimmer, mit Hut und Stock, um nicht das Ansehn zu haben, als ob es ihrer schönen Augen wegen geschähe.

Wir begegneten einander auf der Mitte der Treppe – Ehrerbietig stellte ich mich seitwärts – Die Alte erwiederte mir mit grämlichem Ernst meinen Gruß, der ihr auch am wenigsten galt; und wie schielte ihr gelbes Auge auf die bescheidene Verbeugung, die ich von ihrer Nichte erhielt, als sie in dem Anstand einer Novice bei mir vorbei zog!

Nun erst kann ich sagen, Eduard, daß ich sie gesehn habe; denn wohl zwei Sekunden habe ich mit ihr auf Einer Stufe gestanden. O! ich würde mich brüsten, wie ein Apelles, wenn ich Dir die ganze Lieblichkeit, alle die Grazien ihrer Nymphen-Gestalt, alle die schönen Formen, die ich aus jedem Falkenschlag ihres Florkleides mir abzog, so anschaulich darstellen könnte, daß Du weiter nicht nöthig hättest, mich über den Eindruck abzuhören, den [32] dieser vereinte Reichthum von Schönheit auf meine Sinnlichkeit machte. Komm – ich bitte Dich – dem Unvermögen meiner, Sprache mit Deiner schwelgenden Einbildungskraft zu Hülfe! Hole Dir aus den Werkstätten der Künstler ein Bild der Liebe; modele so lange daran, bis Du Deine Vorstellung so erhöht hast, daß Du nicht ohne Widerwillen an ein andres sterbliches Mädchen denken kannst, und schließe dann aus dem blumigen Irrgange, den Deine Wünsche einschlagen, auf das Hinstreben der meinigen.


Nur hole nicht aus Winklers Kabinette

Der Venus Busenbild von Cigniani's Hand!

So göttlich schön es ist, so setzt es doch, ich wette,

Kein wahres Männerherz in Brand.

Ein Kopf des Boileau, des Racine,

Ist freilich uns genug. Was hier das Aug' entbehrt,

Ob das auch einen Blick verdiene,

Ist keiner Untersuchuug werth.

Sieht man nicht klar genug in jenes Satyrs Miene

Den Autor der Pücell' erklärt?

Doch wer bleibt wohl, dem's nicht gelüste,

Der Fülle der Natur, so weit die Kraft zu sehn

Die Augen spannet, nachzugehn? –

Wer bleibt gelassen bei der Büste

Der winkenden Cythere stehn?

Sie winkt – allein wohin? – Unb da fällt erst der Fehler

Des Künstlers Dir auf's Herz: sein Stückwerk unterbricht

Den wärmsten Trieb der Uebersicht.

Der Blöde, der es schuf, begriff den Werth der Thäler

In einem heißen Klima nicht!


Es ging mir schwer ein, die Treppe vollends herab zu steigen, wie ich doch Schande halber wohl thun mußte: aber was sollte ich nun erst mit mir anfangen, als ich mich, der Richtung meiner Wünsche ganz entgegen, auf der staubigen Gasse befand? Ideen von der Art, wie sie jetzt auf mich los stürmten, verlangen beinahe eine gleiche Abgezogenheit der Seele, als die Träume der Metaphysik: und da ich mich doch nicht wohl auf einen Eckstein setzen, und, den Finger auf der Nase, nach Klärchens Fenster hinstaunen konnte, wie ich unstreitig am liebsten gethan hätte; so mußte ich [33] mir wohl die erste beste Zerstreuung gefallen lassen, die sich mir, darbot. Ich erinnerte mich zum Glücke eines Empfehlungsschreibens in meiner Brieftasche, das mir der gute Bischof von Nimes, als ich ihn das letztemal sah, an einen hiesigen Domherrn von seiner Bekanntschaft, Namens Ducliquet, mitgab. Das brachte mich endlich vom Platze, und versetzte mich mit aller der Fülle meiner weltlichen Schwärmereien in das Studierzimmer eines geistlichen Herrn.

Ich habe in meinem Leben angenehmere Bestellungen gehabt, das kann ich Dir sagen! Der Himmel weiß, in was für einem Gedankenkram ich den ehrlichen Mann stören mochte; aber hätte ich ihn auch in flagranti überrascht, verlegener hätte er sich kaum betragen können. Gleich nach dem ersten steifen Komplimente, das unsere Bekanntschaft eröffnete, sahen wir es gegenseitig uns an, daß Gott gewiß keinen zur Unterhaltung des andern geschaffen hätte; und über der Sorge, unsere erste Unterredung so geschickt einzuleiten, daß es zeitlebens keiner weiter bedürfe – konnten wir nicht dazu kommen, sie anzufangen. Ihm glückte es indeß eher noch als mir, diese alberne Stille zu unterbrechen. Das morgen kommende Fest der heiligen Genoveva löste ihm die Zunge, und gab sogar zu einem Gespräche Anlaß, von dem ich mir nie hätte träumen lassen, daß es am Ende noch so belehrend für mich ausfallen würde. Er bürstete erst ein paarmal mit der flachen Hand seinen Aermel; dann that es ihm sehr leid, daß er heute so ganz außer Stande sei, einem so lieben und gut empfohlnen Fremden die geringste Höflichkeit zu erzeigen; dann freute er sich wieder, daß er hoffen könne, morgen alles desto reichlicher wieder gut zu machen.

Das gab mir einen Stich in's Herz. Du weißt, lieber Eduard, daß ich nichts so sehr hasse, als ein großes vorbereitetes Mittagsmahl, das ich nach der Wendung, die sein Gespräch nahm, schon so gut als aufgetischt sah. – Gewiß ist morgen Markttag, sagte ich zu mir, und da wirst du wieder einmal zu Mittage alles das ausgelegt finden, woran du dir des Morgens schon deinen Ekel ersehen hast. Ich ging also geschwind dem guten Manne mit der [34] Versicherung entgegen, daß ich meine Gesundheit sehr schonen, und es ernstlich verbitten müßte, sich meinetwegen in die geringsten Unkosten zu stecken – und berief mich auf den redenden Beweis meines blassen Gesichts. Aber das half mir nichts. – »Nein,« erhob er seine Stimme, »Sie dürfen meine Einladung nicht ausschlagen. – Ich will Sie morgen selbst, – es macht mir ein gar zu großes Vergnügen, – bei guter Zeit zu – dem prächtigen Hochamte abholen, das der heiligen Genoveva zu Ehren in der Domkirche gehalten wird, und ich werde Ihnen, verlassen Sie Sich auf mich, einen guten Platz verschaffen.«

War mir's doch jetzt auf einmal so leicht um's Herz, als ob ich das ängstliche Diner wirklich verdaut hätte, das doch dem wackern Domherrn gar nicht in den Sinn gekommen war mir zu geben. Es geschieht mir zuweilen, daß ich danke, und den Hut abziehe, ehe ich gegrüßt werde, und es macht mich immer heimlich lachen. Jetzt konnte ich meinem Manne schon ruhiger zuhören.

»Wenn Sie mich,« fuhr er fort, »heute in meinem Alltagsrocke überrascht haben, so sollen Sie mich morgen dafür im Purpur sehen, den das hiesige Kapitel, wie Sie aus der Geschichte wissen werden, mit den Kardinälen und Königen gemein hat.«

»Ist nicht sonst noch ein Spektakel hier?« fragte ich in der albernsten Zerstreuung, die aber dem guten Manne nicht im mindesten auffiel. – »Nein,« antwortete er, »vor dem Feste der heiligen drei Könige nicht, das in unserm Lande den sechsten dieses gefeiert wird.«

»Auch in dem meinigen,« antwortete ich gähnend. »Aber hochwürdiger Herr,« fragte ich weiter, weil es mir nicht länger möglich war, das schlaffe Gespräch fortzusetzen, ohne wenigstens meinem Ohre mit dem Klange jenes süßen Namens zu schmeicheln, den mir die Liebe in das Herz geschrieben hatte, »ist denn nicht auch ein Hochamt für die heilige Klara gestiftet, die, nach meinem Gefühle, so viel Anbetung verdient als vielleicht keine andere?«

»Da haben Sie Recht, mein Herr,« fiel mir der Domherr mit einer Hitze in's Wort, die mich beinahe erschreckt hätte: »Ihr Fest fällt auf den achtzehnten August, und wird, wie billig, unter unsere [35] vornehmsten gerechnet. Klara von Falkenstein« – jetzt merkte ich erst, wie schief er mir wieder antwortete – »hat in einer Reliquie der christlichen Kirche eine Erbschaft hinterlassen, die der Höchsten Verehrung werth ist – Kleinodien von dem wunderbarsten Gehalt, und durch die uns Gott selbst das Geheimniß der heiligen Dreifaltigkeit versinnlicht hat.«

Diese Nachricht überraschte mich so, daß ich dem Manne, der sie mir gab, mit einer Art von Mißtrauen in das Gesicht blickte. Da ich aber nicht die entfernteste Spur von Zerrüttung des Gehirns darin wahrnahm, so erkundigte ich mich, mit zunehmender Verwunderung, nach der eigentlichen Beschaffenheit dieses schweren Beweises. Sogleich langte er ohne die mindeste Verlegenheit nach einem beschmutzten Quartanten, schlug die Beweisstelle auf, und las sie mit pathetischer Stimme vor:

»In der S.V. Blase der heiligen Klara de monte falcone,« las er, »fand man drei runde Steine von der Größe einer Nuß, von gleichem Umfange, gleicher Farbe und gleichem Gewichte. Wenn man Einen dieser Steine auf die eine Wagschale, und auf die andere die zwei übrigen legte, so hat der Eine so viel als beide gewogen; hat man dann in jede Schale nur Einen gelegt, so haben sie abermals gleiches Gewicht gehabt; daraus denn klärlich abzunehmen, wie tief bei ihr das Geheimniß der heiligen Dreifaltigkeit eingedrückt war, welche einig im Wesen, dreifaltig in Personen, und deren keine weder größer, noch älter, noch mächtiger ist, als die andere.«

Ich ward, als ich ihm zuhörte, beinahe so ernsthaft als er. »Um Vergebung,« fragte ich ihn jetzt, »hat denn dieser Autor, der so bestimmt spricht, auch diejenige Glaubwürdigkeit, die« ...

»Wie, mein Herr?« fiel er mir hitzig ein, und schlug das Titelblatt auf: »Es ist ja, sehen Sie, die verbesserte Legende Pater Martin's von Cochim, vor zehn Jahren, ungefähr 1779 gedruckt! Dieses vortreffliche Buch trägt den Stempel der Wahrheit wie die Bibel; denn, sehen Sie, hier steht auch die Censur, und die Approbation der Sorbonne.«

Der Domherr freute sich wie ein Kind über mein sichtbares [36] Erstaunen. Um es zu erhöhen, war er im Begriff, mir noch ältere Schriftsteller vorzulegen, die dieses Wunders Erwähnung thun, und es als Augenzeugen bestätigen. Ich verbat es jedoch, nahm mir nur noch so viel Zeit, die Blattseite dieser merkwürdigen Stelle in meiner Schreibtafel aufzuzeichnen, um bei Gelegenheit unsern Kant damit in die Enge zu treiben. Das Buch selbst findet sich ja wohl in der königlichen Bibliothek, oder doch gewiß bei einem unserer Konsistorialen; und da ohnehin über dieses belehrende Gespräch der Mittag unvermerkt herbei gerückt war, so begnügte ich mich um so viel eher mit dieser Seelenspeise aus der Vorrathskammer des Domherrn, und empfahl mich.

Dieser für meine Kenntnisse zwar nicht gleichgültige, für mein Herz aber desto ermüdendere Besuch war indeß nur eine Kleinigkeit gegen den Verdruß, der meiner zu Hause wartete. Schon zehn höllische Stunden würge ich daran, und sehe mich jetzt um alle die metaphysischen Freuden gebracht, die ich mir für diesen Abend aufhob.

Höre nur, lieber Eduard! Ungefähr hundert Schritte, sah ich, als ich das Haus des Domherrn verließ, einen ungleich jungern und stattlichern Geistlichen, als jener war, vor mir hergehen, gab jedoch nicht eher Acht auf ihn, als bis er sich durch den Umstand nur zu bemerklich machte, daß er ganz meinen Weg nahm, sich zuweilen nach mir umsah, und gerade die genannten hundert Schritte eher eintraf, als ich; denn als ich mein Zimmer erreichte, saß er bei Klärchen schon fest.

Daß ein geistlicher Herr eine angehende Heilige besucht, ist in der Ordnung: daß er aber vom Mittag an bis in die sinkende Nacht bei ihr verweilt – die Scheidewand nicht einmal das fröhliche Geschwätz, das laute Lachen und die bedenkliche Stille, die von Zeit zu Zeit nachfolgt, von meinem lauschenden Ohre abhalten kann, und daß ich jetzt ohne Psalm schlafen gehen muß, scheint mir eine offenbare Verletzung der guten Sitten, ein verpönter Eingriff in meine Rechte auf Ruhe und Hausfrieden zu seyn, die mir nach meinem Mietkontrakte gebühren. Kurz, es ist unverantwortlich!


[37] Den 3ten Januar.


Die Ungeduld über den lärmenden Geistlichen, auf dessen Abzug aus meiner Nachbarschaft ich gestern Abends nicht länger warten mochte, brachte mich auch noch die halbe Nacht um meinen ruhigen Schlaf. Darüber verrückte sich meine ganze Lebensordnung. Ob sie diesen Morgen gesungen hat, mag Gott wissen; denn ich erwachte weit später als gewöhnlich, und hatte kaum meine Nachtmütze vom Kopfe geschleudert, als mir auch schon der Domherr seinen gestern angekündigten Gegenbesuch abstattete. Wäre ich nicht schon so ziemlich mit ihm bekannt gewesen, so würde es mich vermuthlich noch mehr, als es that, außer Fassung gesetzt haben, einen Mann im Purpur bei meinem petit Lever zu sehen; so aber hatte ich statt aller Entschuldigung nur nöthig, den Kontrast unsers Aufzuges recht hell in's Licht zu setzen, um seine Selbstzufriedenheit so lange zu beschäftigen, bis ich angekleidet und zu seinem Befehle war.

Wir schlenderten nun zusammen in die Kirche. Ich bekam einen sehr guten Platz: wenn nur das Stück besser gewesen wäre, das man aufführte! Es wurde mir eine freie Seitenloge, neben der Hauptloge des Kapitels, angewiesen. Hier stand ich in mich gekehrt, unter der beständigen Abwechselung heiliger Gebräuche, die mir jedoch zu fremd waren, als daß sie auf meine Andacht wirken konnten. Ueberhaupt war wohl von den mancherlei Vorzügen, mit denen ich mich in meinem Leben dann und wann beehrt sah, schwerlich einer so übel auf meine Verhältnisse berechnet gewesen, als die Höflichkeit, die mir der Domherr zu erzeigen glaubte. Mein Mißbehagen wuchs mit jeder Minute, und war eben in dem Augenblicke auf's höchste gestiegen, als der dienende Geistliche am Hauptaltar das Venerabile in die Höhe hob, und die ganze Versammlung mit einem Getöse zur Erde niederfiel, das meine längst verlorne Aufmerksamkeit wieder herbei zog. War ich nun gleich der Einzige, der ruhig in seiner ersten Stellung blieb, so war ich es doch nicht auf lange. Die Pseudo-Kardinäle, denjenigen nicht ausgenommen, der mich hierher verlockt hatte, winkten mir mit so ernsten, mürrischen Blicken zu, daß ich, aus Furcht vor einer Kirchenstrafe, geschwind [38] ihrer Weisung folgte, und, indem ich meine Kniee beugen wollte, aus Mangel an Uebung, mit beiden Füßen auf den harten Marmor hingleitete. Ich hätte den Schmerz für etwas Verdienstliches halten müssen, wie ein Bramine oder ein Büßender, wenn diese Erschütterung eine nur leidlich wohlthätige Wirkung auf mich hätte hervorbringen sollen: da ich keines von beiden war, folgte ich meiner natürlichen Empfindung, rieb mir die Kniee, und fluchte so lange heimlich über das Bittere und Lächerliche eines erzwungenen Gottesdienstes, bis ich, da die Versammlung sich nach geendigter Zeremonie wieder erhob, und nun Chor und Gemeinde ihren hoch tönenden Gesang anstimmten, der Gelegenheit wahrnahm, meinem innern Verdrusse Luft zu machen.


Aus Andachtsspott, (das Wort ist neu,

So alt die Sach' auch ist im päpstlichen Gebiete,)

Mischt' ich dreust ihrer Litanei

Ein deutsches Epigramm von unserm Luther bei,

Und sang: »Uns fernerhin behüte

Vor Papsts Lehr' und Abgötterei!«

Das sang ich laut im päpstlichen Gebiete,

Nach wohlbekannter Melodei.


So verrichtete ich, im Angesichte des ganzen Kapitels, und in seiner eigenen Kirche, meine Andacht nach Grundsätzen meiner Religion, und ging nach diesem Simultaneo, und ohnedem Domherrn für erwiesene Ehre zu danken, gerächt und fröhlichen Muthes meinem Mittagsmahle entgegen.

Diese gute Laune nahm zu, so bald ich mich wieder in Klärchens Nähe befand. Der Enthusiasmus für ihre übermenschliche Tugend, mit dem mich mein Freund, der Buchhändler, auf eine Weile angesteckt hatte, war zwar seit gestern Abend auf und davon: er hatte mir aber seine Stätte noch immer warm genug zurück gelassen, um eine andere Art von Gefühl, das, obgleich nicht so uneigennützig, doch darum nicht minder angenehm war, leidlich genug zu beherbergen. Doch war ich entschlossen, ihm nicht eher Raum zu geben, bis ich vorerst Herrn Fez über einige Artikel verhört hätte, die das wahre Verhältniß betrafen, worin vielleicht der geistliche Herr mit der kleinen Heiligen stehen möchte. Diese Vorkenntnisse [39] schienen mir so unentbehrlich, daß ich nach dem Essen keine Minute zauderte, sie mir zu verschaffen.

Die kleinen unschuldigen Mittel, die ich gestern gebrauchte, dem schwatzhaften Manne Vertrauen zu mir einzuflößen, thaten auch heute ihre Wirkung. Ich erfuhr auf die ungezwungenste Weise, erst den Ladenpreis dieses oder jenes, in Vergessenheit gekommenen Dichters und Prosaisten, und erfuhr, sobald mein Conto gemacht war, eben so genau den wahren Zusammenhang des Besuchs, der mir so verdächtig schien.

Daß man doch, der vielen Erfahrungen ungeachtet, sich durch den äußern Anschein noch immer so leicht zu übereilten Urtheilen verleiten läßt! Es macht der menschlichen Vernunft wirklich wenig Ehre. Herr Fez hob durch ein paar Worte, die mir viele Unruhe würden erspart haben, wenn sie mir gestern zu Ohren gekommen wären, alle die nachteiligen Zweifel, die ich gegen die Sittsamkeit meiner lieben Nachbarin gefaßt hatte. Die Sache verhält sich so: Das Haus, wo wir wohnen, gehört, wie mehrere in der Stadt – und das wußte ich ja vorher – dem Hospitale der Probstei. Nun ist der junge Geistliche seit kurzem zum Probste erwählt worden, und besucht sonach, in Gemäßheit seines Amtes, eins um das andere, um theils die Miethzinsen einzukassiren, theils für Bau und Besserung der Gebäude zu sorgen, und die Rechnungen abzunehmen, die dahin einschlagen. So mancherlei Geschäfte können ja wohl einen etwas pünktlichen Mann, der nichts gern auf den andern Tag verschiebt, bis in die Nacht aufhalten; und ich wüßte nicht, wie ich denken müßte, wenn ich noch länger nachtheilig von seinen Kabinetsarbeiten urtheilen, oder der kleinen Heiligen es aufmutzen wollte, daß sie, außer Psalmen zu singen, auch noch im Stande sei, wenn es nöthig ist, die gute Gesellschafterin zu machen, und durch Witz und Laune die trockenen Geschäfte ihres Vorgesetzten aufzuheitern. Sie gewinnt vielmehr dadurch in meiner hohen Vorstellung von ihren Verdiensten; und so wenig ich, wie Du Dich erinnern wirst, bei meinem vorgestrigen Einzuge, und so lange ich nur die alte Tante gesehn hatte, die guten Absichten des Zufalls mit meinem Individuum spitz kriegen konnte, so trefflich scheint mir [40] jetzt, seitdem ich auch die Nichte kenne, alles von ihm angelegt zu seyn, damit mein Bestreben nach Weisheit und Gesundheit mich nicht in der Länge durch zu viele Einförmigkeit ermüde und stumpf mache.

Das Mädchen ist ganz geschaffen, das Phlegma eines überladenen Gehirns durch das flüchtige Salz ihres Umgangs zu reizen, aufzulösen, und vor einer gänzlichen Vertrocknung zu bewahren. Müssen wir nicht immerfort arbeiten, lieber Eduard, den Firniß, den wir kochen, flüssig zu erhalten, wenn er seine Dienste leisten und Festigkeit und Glanz zugleich gewähren soll? Jetzt ist mir auch nicht weiter für mein Tagebuch und für Deine Unterhaltung bange. Wir sind doch beide in unsern Wanderungen noch an keine Heilige gerathen. Dieß unbebaute Feld unserer Erfahrungen blieb uns noch zu bestellen übrig; und ob ich mir gleich nicht schmeichle, bei Klärchen den Beweis eines so großen Geheimnisses auszufinden, als der war, den ihre berühmte Namensschwester den Gläubigen vererbt hat, so hoffe ich doch, ohne bis auf ihre Sektion zu warten, manche andere feine Entdeckung zu machen, die keinen geringen Reiz der Neuheit für uns haben, und die Mühe reichlich belohnen soll, die ich mir von Stund' an geben werde, der jungen Heiligen, sammt ihren Abweichungen von dem Gewöhnlichen, so nahe als möglich zu kommen.

»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich von dem geistlichen Herrn weiß, der Sie gestern so lange in Ihren Studien störte,« fuhr Herr Fez fort, indem er dieErreurs de Voltaire und die Lettres édifiantes für mich zusammen packte. »Sollte Ihnen aber damit gedient seyn, mehr noch von diesem Manne zu wissen, und überhaupt, sollte Ihnen in unserer Stadt etwas aufstoßen, wovon Sie gern gründlich unterrichtet seyn möchten, so kann ich Ihnen einen Mann empfehlen, der in dieser Rücksicht ungleich mehr Genüge leisten kann, als ich und jeder andere. Er ist ein getaufter Jude, der Jahr aus Jahr ein nur zwei Beschäftigungen hat, denen er aber auch desto pünktlicher vorsteht. Die eine ist, das Grab der Laura zu bewachen, und es den Fremden zu zeigen; die andere, in allen Dingen der Neugier ihnen Auskunft zu geben. Vor [41] seiner Bekehrung stand er eben so pünktlich an der Ecke des Stadthauses, bot den Vorübergehenden Lotteriezettel an, und fragte sich heiser, ob sie etwas zu verschachern hätten? Aber keine Seele gab Achtung auf ihn. Sein Bart schadete ihm in allen seinen Unternehmungen. Jetzt hingegen, seit er ein Christ ist, ist es ein Wunder, wie ihm alles gelingt! Sollten Sie es glauben? aber er ist gesuchter, geschätzter und reicher als ich!«

»Das Grab der Laura?« sagte ich. »Da haben Sie mir einen rechten Gefallen gethan, lieber Herr Fez, daß Sie dieser Merkwürdigkeit erwähnten: es hätte sonst leicht kommen können, daß ich, zu meiner ewigen Schande, in mein Vaterland zurück gegangen wäre, ohne an dieß Wahrzeichen der Stadt eher zu denken, als bis mich meine Landsleute darum befragt hätten. Was hätte ich ihnen antworten wollen? Jetzt habe ich einen Beruf mehr, meinen Spaziergang dahin zu lenken, da Sie mir dort eine so nützliche Bekanntschaft versprechen. Nächstens will ich auch eine Fahrt nach Vauclüse thun, um das alte Schloß des guten Petrarch zu besuchen ... Mein Paket Bücher? – Legen Sie es nur einstweilen bei Seite! Mein Bedienter soll es abholen.«

Ich schlenderte nun durch die Gassen, die Nase immer nach der Thurmspitze gerichtet, die mir Herr Fez zum Merkmahl angab. Es währte nicht lange, so sah ich die Kirche des Cordeliers frei vor mir liegen, und auch den Konvertiten, den ich suchte, wie einen Sphinx an den einen Pfeiler der Thüre gelehnt, auf den zufälligen Tribut neugieriger Reisender lauern. Schon von weitem zog ich meinen Hut, und näherte mich ihm mit dem launigen Lächeln, mit dem ich immer die Zeile im Voltaire las, die sich mir jetzt als die natürlichste Anrede, ungesucht darbot:

»De cette église êtes vous Sacristain?« 12

Ich wollte, Du hättest den feinen Gesichtszug gesehen, der jetzt in seine Physiognomie trat und mir mehr, als sein einsylbiges Ja! bewies, wie gut er meine Frage verstanden habe.

Um uns beide nicht unnöthig aufzuhalten, schielte ich nur von [42] fern nach dem einfachen Steine, dessen Lage er mir zeigte, und sich nun anschickte, mich seine tägliche Predigt darüber hören zu lassen. Ich ließ es nicht dazu, kommen – »Es ist hinlänglich,« sagte ich, und wies mit zwei Laubthalern, die ich ihm in demselben Augenblick in die Hand drückte, seine drohende Beredsamkeit glücklich von mir. Dieß stiftete in der Geschwindigkeit eine gewisse Sympathie unter uns, von der ich mir in der Folge manches Gute verspreche. »Ihre zuvorkommende Art, mein Herr,« sagte er lächelnd, »mit der Sie Sich dieser heiligen Grabstätte nähern, läßt mich ungefähr vermuthen, wie begierig Sie seyn mögen, die Geschichte meiner Pflegbefohlnen zu hören. Es ist schwer von ihr zu schweigen – doch thue ich es, da Sie mir es so eindringend befehlen.«

»Sie haben mich in der That errathen,« antwortete ich: »aber, wie Schade, daß ein Mann von so feinem Takt nur die Asche eines hübschen Weibes bewachen soll! Dieses Geschäft, mein Herr, ist doch so eingeschränkt, so traurig, und enthält so wenig Belohnendes für einen denkenden Geist!«

»Im Ganzen, mein Herr,« versetzte der Kirchner, »mögen Sie wohl Recht haben; doch sollten Sie, däucht mich, einen Wächter an dem Grabe einer Laura davon ausnehmen. Nicht das schöne Weib, das hier begraben liegt, und das, als sie noch ganz beisammen war, neben ihrem Gemahle auch noch das Herz eines andern entflammte, – nicht diese gewöhnlichen Vorfälle machen ihre Gruft merkwürdig, und veredeln die Sorge dessen, der sie bewacht – sondern der reine Geist ist es, der nach Jahrhunderten noch, gleich einem Phönix, über ihrer Asche zu schweben scheint, der einem fühlenden Herzen dieses sonst unbedeutende Aemtchen so werth macht; der Geist der Liebe ist es, ihres unsterblichen Dichters.«

Er sprach das unsterblich so pathetisch aus, wie ein Professor. Ich verzog den Mund nur ein wenig, und dennoch verstand mich der Schlaue, als ob er mir in das Herz geblickt hätte, und antwortete mir nach meiner Miene: »Wenn Sie, mein Herr, Laurens berühmten Liebhaber nur als einen gesunden jungen Mann von gewöhnlichem Schlage betrachten, so verdenke ich Ihnen nicht, daß Sie seiner Unsterblichkeit ein wenig spotten. Ein solcher thut [43] freilich für eine einzige schwelgende Nacht bei seiner Geliebten gern auf allen Plunder des Nachruhms Verzicht. Aber Petrarch, mein Herr, kalkulirte ins Große. Seine weit sehende Seele zog die Sättigung einer fortdauernden Gemeinde seinem luxuriösen Hunger vor, und ohne selbst, wie ein Hochzeitbitter, an dem Gastmahle Platz zu nehmen, zu dem seine süßen Worte tausend andere einladen, sparte er das Feuer der Liebe, statt es auf die gewöhnliche Art zu verschnaufen, nur zum Stoffe seiner ewigen Gesänge. So gewiß er auch war, daß sie bei Lauren für ihn ohne Wirkung blieben, zählte er in dichterischem Enthusiasmus alle die Seufzer, die er nach Jahrhunderten noch erregen, alle die Herzen, die er erwärmen und öffnen, und alle die Schwierigkeiten, die er unter Liebenden vermitteln würde, und tröstete sich auf seinem einsamen Lager, mit dem traulichen Geflüster, das er auf tausend andern hervorzurufen gewiß war. Könnten Sie ihn wegen dieses umfassenden Gefühls bedauern? O, gewiß nicht! Denn welcher Großdenkende wird nicht gern sein einzelnes Leben daran setzen, wenn er hoffen darf, dadurch ein allgemeines Wohlbehagen zu befördern, auf unzählige Geschlechter Freude und Genuß zu verbreiten; – wenn er hoffen darf, daß eine Schaar empfindsamer Geschöpfe sich das Verdienst seiner Leiden zurechnen, und den Lohn ernten werde, dem er gutmüthig entsagte! Dieser stolze Gedanke, ist er nicht der letzte Trost aller der heiligen Märtyrer gewesen, die zum Vortheile des Ganzen freiwillig ihr eignes Glück opferten?«

Bei diesen Worten sah mir der Redner scharf in die Augen, und wäre ich nicht von seinem Uebertritte zum christlichen Glauben, unterrichtet gewesen, wer weiß, ob ich nicht seine schöne Tirade für eine strafbare Ironie aufgenommen hätte, auf die ich, oder D. Leß hätten antworten müssen! So aber wußte ich nicht, was ich davon denken sollte – lüftete meinen Hut und seufzte, und der Redner fuhr fort: »Sie nannten vorhin meinen Wirkungskreis traurig und eingeschränkt – Wie leicht wollte ich Sie eines bessern überzeugen, müßte ich nicht« ... und er hielt inne – doch besann er sich bald – »Habe ich nicht,« sagte er nach einer kleinen Pause, »einen höflichen Fremden, einen Mann von Ehre vor mir, der [44] mein Zutrauen nicht mißbrauchen wird? Das ist mir genug. Sie wissen, daß ich von der geistlichen Obrigkeit, nach vor her gegangenem scharfen Examen, eingesetzt bin, dieses Grab zu bewachen, und jedem der es verlangt, eine und eben dieselbe veraltete Liebesgeschichte zu erklären. Ein armseliges Geschäft dem ersten Ansehn nach! Aber auch das armseligste kann, unter der Behandlung eines thätigen und nachdenkenden Mannes, wichtig für seine Zeitgenossen, wichtig sogar für die Nachwelt werden. Freilich würde ich ohne Kenntniß des menschlichen Herzens, in dem beschränkten Zirkel, den man mir anwies, nicht weit gekommen seyn – aber wo kommt man auch weit ohne sie? Ich begnügte mich nicht, meine mir aufgelegten beschwornen Pflichten so schlechtweg zu erfüllen. Nein, mein Herr! ich besah sie, sobald sie mir erst Brod geschafft hatten, auf allen Seiten, und studierte sie aufmerksam, in der Absicht sie mit der Zeit zu veredeln. Ich erlangte bald eine gewisse Fertigkeit in meinem Vortrage, den keiner meiner Vorgänger in dieser Vollkommenheit besessen hat, sogar daß ich die hundert und acht Sonette, die Petrarch seiner Geliebten sang, mit aller der Zärtlichkeit wiedergeben kann, die er hinein legte. Dieses Talent, mein Herr, so wenig es auch gemein ist, würde jedoch nur ein vorübergehendes Vergnügen gewähren, wenn ich es nicht zum Besten des gemeinen Wesens, das doch immer der vorzüglichste Augenmerk jedes guten Bürgers seyn muß, anzuwenden gelernt hätte. Die Asche der Laura ist, mit aller Ehrfurcht für das, was sie sonst war – doch jetzt nur einCaput mortuum. Ihr Grabmahl ist unscheinbar und unbedeutend, und es wird darum um nichts ehrwürdiger, weil es einmal ein König 13 besuchte, es öffnen ließ, und seine schlechten Verse hinein legte. Aber seit es unter meiner Aufsicht steht, ist es der feinste Probierstein des Tugendgehalts meiner Mitbürgerinnen geworden.«

»In der That, mein Herr,« fiel ich ihm lächelnd ein, »ist das kein kleines Verdienst um den Staat – Aber in aller Welt, durch was haben Sie diesem gemeinen Sandstein eine so magische Kraft zu geben gewußt?«

[45] »Wenn Sie mir zuhören wollen, ohne mich weiter zu unterbrechen,« versetzte er, »so sollen Sie den ganzen Prozeß – von den Grundsätzen an, von denen ich ausging, bis zu den Resultaten erfahren, die er mir täglich abwirft.«

»Weibliche Unschuld, wie man es im gemeinen Leben so nennt,« fuhr er fort, indem er dabei, vermutlich aus alter Gewohnheit, an sein spitziges Kinn griff, »ist den Goldstücken gleich, die unter einerlei Stempel im Umlaufe sind: eins glänzt so gut als das andere, und trägt im Kommerz den Werth, den ihm der Wechselkours und der gute Glaube beilegt.« – O, über den Juden! dachte ich – »Aber wie rein, wie frei von fremdem Zusatze jedes sehn mag, kann doch selbst der Scheidekünstler nicht eher wissen, als bis er es auf die Kapelle gebracht hat. Nun kann ich aber, kraft meines Amtes, jedem, dem hiebe: um besondere Sicherheit zu thun ist, diesen um deßwillen mißlichen Prozeß, weil er meistentheils eine gewisse Destruktion voraussetzt, Rundung und Prägerlohn immer dabei verloren geht, um vieles erleichtern. Und wäre einer noch so mißtrauisch, ohne Bedenken kann er doch nach dem pretiösen Stücke greifen, das er im Auge hat, ohne zu befürchten, daß es in seinem Umlaufe aufgesotten, beschnitten, oder vermischt ist, sobald ich ihm dafür Gewähr leiste.«

»Der bessern Deutlichkeit wegen,« unterbrach ich hier den seltenen Währmann, »wünschte ich wohl, daß Sie die Vergleichungen bei Seite setzten, und mit mir ohne Allegorie sprechen wollten.«

»Ohne Allegorie?« wiederholte er. »Das, mein Herr, ist bei dem Thema, das ich abhandle, wirklich nicht so leicht, als Sie wohl denken. Doch ich will mein Möglichstes thun! Ich stand nicht lange auf meinem Posten, als ich schon wahrnahm, daß kein weibliches Herz (da falle ich doch wieder in die Allegorie, aber ich kann mir nicht helfen) zu fühlen anfing, das nicht den Antritt seiner Wallfahrten bei dem heiligen Grabe der Laura eröffnet hätte. Durch wiederholte Erfahrungen brachte ich meine Bemerkungen zur Gewißheit und endlich in ein förmliches System. Wenn ich jetzt ein neues Gesichtchen von vierzehn, funfzehn Jahren in mein Heiligthum treten sehe, so weiß ich ziemlich genau anzugeben, was [46] für dunkle Träume ihm die Nacht vorher vorgeschwebt haben. Die armen Unbefangenen! Sie horchen auf die Geschichte der selig Verstorbenen mit einem Nachdenken, das wirklich recht rührend ist. Mit welchem Heißhunger eignen sie sich nicht die harmonischen Weissagungen und Aufforderungen zu, die ich ihnen, nach Befinden ihrer Bedürfnisse, aus dem Magazine meines Petrarch zu Gute gebe! Jede glaubt ihre Empfindungen flott werden zu sehen, und die geheime Geschichte ihres Gefühls zu hören. So lange nun, mein Herr, dieses Spiel ihrer Einbildungskraft dauert, so lange die junge Schöne ihren Besuch bei Lauren und mir fortsetzt, und der Herzensergießungen des ehrlichen Petrarch an seine Geliebte nicht satt werden kann, stehe ich auch mit Leib und Seele für ihre – Unschuld. Aber, aber, mein Herr, wenn ihre Morgenbesuche anfangen seltener zu werden – wenn sie gar aufhören – alsdann,« setzte der schlaue Kirchner leiser hinzu, »weiß ich auch eben so gewiß, was die Glocke geschlagen hat. Sie begreifen nun doch, wie einzig in ihrer Art eine solche Kenntniß ist, und wie wohl die jungen Herren thun, die zum Ehe-Sakramente schreiten wollen, daß, ehe sie sich mit ihrer Angelegenheit an den Bischof wenden, sie zuvor ein geheimes Gutachten bei dem Kirchner einholen? Vielleicht ist bei keinem andern öffentlichen Amte das Nützliche mit dem Angenehmen so fest verbunden, als bei dem meinigen. Da es mich nöthiget, wie eine Bildsäule, auf Einem Flecke stehen zu bleiben – da jedermann gewiß ist, daß ich ihm Stand halten muß; so müssen schon deßwegen eine Menge Geschäfte an mich gelangen, die keinen Allfschub vertragen; und das sind unstreitig immer die interessantesten. So bin ich nach und nach, ohne Bemühung auf meiner Seite, von den geheimsten Anliegen der hiesigen Einwohner unterrichtet worden – wirke jetzt auf den Sohn, wie ich auf den Vater – auf die Tochter, wie ich auf die Mutter gewirkt habe – sehe mich, wie die Orakel der Alten, in den Stand gesetzt, das allgemeine Zutrauen der Familien zum Vortheile ihrer einzelnen Glieder zu nutzen – wie ein heimliches Gericht, hier zu belohnen, dort zu bestrafen, manchen traulichen Wunsch des einen mit der Erwartung des andern auszugleichen, und sonach, ganz in der [47] Stille, wie es einem Weisen geziemt, auf Welt und Nachwelt zu wirken. – Aber, mein werthester Herr, was ist Ihnen? Siestehen ja in gar tiefen Gedanken!«

»Halten Sie mir meine Zerstreuung zu Gute, lieber Herr Kirchner,« versetzte ich; »aber eben ging mir eine sehr neugierige und zudringliche Frage durch den Kopf, die ich« ...

»Nicht das Herz habe mir vorzulegen?« faßte er selbst höflich meinen Gebauten auf: »O, machen Sie mit mir keine Umstände! – Ich bin an allerlei Fragen gewöhnt, und selten verlegen, darauf zu antworten.«

»Nun so sagen Sie mir aufrichtig,« fuhr ich fort, »setzt denn wohl die schöne Klara, die dort oben in der Stiftsgasse bei einer alten Tante wohnt, ihre jugendlichen Wallfahrten bei diesem heiligen Grabe fort, oder ist sie auch schon über Ihre petrarchischen Vorbereitungen hinaus, mit denen Sie der hiesigen Jugend zu Hülfe kommen?«

»Welch eine Verbindung von Ideen!« rief der Kirchner mit sichtbarer Verwunderung. »Wie in aller Welt kommen Sie doch von meiner Mädchenprobe auf das zerknirschte Herz dieser Heiligen?« –

»Das geht doch sehr natürlich zu,« antwortete ich. »Schon drei Tage wohne ich neben ihrer Kammer, höre sie täglich einen oder ein paar Psalmen mit einer Engelsstimme singen, kann keinen Blick auf sie werfen, wenn sie in die Messe geht, ohne durch und durch erschüttert zu werden, und« ...

»Und so wird es freilich begreiflich,« half mir der gute Kirchner wieder ein, »warum Sie einen so warmen Antheil an ihren Wallfahrten nehmen. In ganz Avignon hätten Sie für Ihre Ruhe Sich in keine gefährlichere Nachbarschaft einmiethen können; so viel kann ich Ihnen vertrauen.«

»Und meine Frage?« rief ich mit Ungeduld ...

»Ist sehr verfänglich,« fiel er mir in die Rede: »Aber Sie verdienen,« – hier rasselte er mit meinen zwei Laubthalern – »daß ich sie ohne Zurückhaltung beantworte. Es mögen ungefähr zwei Jahre her seyn, als sie mir, mit den schüchternen und verschämten[48] Blicken eines dreizehnjährigen Mädchens, zum erstenmale unter die Augen trat. So lange ich meinem Amte vorstehe, sah ich noch auf keinem Gesichte den Uebergang der ruhigen Einfalt in die glückliche Zeit der Erwartuug sanfter bezeichnet, sah das letzte Verathmen der Kindheit nie in einer sittsamern Bewegung – Ich hätte der jungen Brust helfen mögen, sich auszudehnen! Ich that, was ich konnte, und wurde für die einschmeichelnde Erzählung meiner alten Geschichte durch immer lebhaftere Blicke ihrer feurigen Augen nur zu sehr belohnt; denn ich stotterte mehrmalen, was mir sonst nicht widerfährt, und fühlte, daß ich noch roth werden konnte. Wie bedauerte sie nicht den armen Petrarch, und was für Geschmack fand ihre harmonische Seele nicht an seinen herrlichen Sonetten! Sie hat sie so oft, unter klopfendem Herzen und mit feuchten Augen, angehört, daß ich nicht zweifle, sie weiß sie nun so auswendig als ich. Seit einiger Zeit hat sie sich jedoch ganz auf die sublime Seite der Andacht gewendet, auf der sie, wie es scheint, einzig ihr Glück zu machen gedenkt: nicht, als ob sie nicht dann und wann noch diese heilige Grabstätte besuchte; nur geschieht es seitdem nie anders, als unter Begleitung ihres zeitigen Gewissensraths, deren sie drei – einen nach dem andern versteht sich – vorher gehabt hat, ehe das Glück ihr unsern Herrn Propst zuführte, der seine meiste Zeit auf die Seelsorge dieses ausgezeichneten Mädchens zu wenden – und mit dem auch sie vollkommen zufrieden zu seyn scheint.«

Das Blut stieg mir ins Gesicht – »Kennen Sie,« – fragte ich stotternd, »diesen Mann genau?«

»Ob ich ihn kenne?« fiel mir der Kirchner so hitzig ein, als ob ihn meine Frage verdröße. »Ein Steinfremder, dächte ich, dürfte ihn nur einmal über die Straße gehen sehen, um ihn ganz zu kennen. Die Männer grüßen ihn demüthig wie einen Apostel, und die Weiber, die flüchtigsten Mädchen sogar bleiben stehen, wenn er vorüber geht, heben die Augen gen Himmel, und drücken seine segnende Hand an ihren schwellenden Busen. Seitdem dieser brave Herr das Amt der Schlüssel trägt, hat er« ...

»Ohne Unterbrechung, lieber Herr Kirchner,« fiel ich dem enthusiastischen [49] Lobredner ein, »was für ein Amt bezeichnen Sie unter dieser sonderbaren Benennung?«

Der gute Mann schien Mitleiden mit meiner Unwissenheit zu tragen, die wirklich auch in allem, was zur Kirchenverfassung gehört, über die Maßen seicht ist; und um mir die Sache recht anschaulich zu ma chen, zählte er mir alle die Schlüssel an den Fingern her, die der junge Mann, durch seine Beförderung zum Propst, in seine geistliche Gewalt bekommen hatte. – »Er löst,« sagte der Kirchner mit anständigem Ernst –


»Er löst die Bande der Natur,

Und schiebt ihr Riegel vor –

Von der verborgenen Clausur,

Bis zu dem offnen Thor;

Hat seinen Gang, nach eigner Wahl,

Zu allen Schlössern frei,

Vom Kirchthurm, zu dem Speisesaal,

Bis zu der Kellerei.«


»Sie begreifen doch nun,« fuhr der Kirchner mit uuveränderten Gesichtszügen fort, »in welcher wahren Pastoral-Glückseligkeit dieser würdige Mann auf die Zukunft des Herrn wartet? Ich kenne von den vielen Freuden eines guten Hirten in der That nur Eine, die ihm noch zur Zeit abgeht, ihm jedoch gewiß« ...

Hier hielt er auf einmal inne, als ob er Bedenken fände, sich weiter heraus zu lassen, spannte aber dadurch, wie Du denken kannst, meine Neugier nur desto höher; und da seine Pause dießmal länger anhielt, als ich an ihm gewohnt war, so ergriff ich traulich seine Hand, und: »Ich verstehe Sie nicht, theuerster Freund,« sagte ich so freundlich, als ich nur konnte. »Bei allen den Schlüsseln, die Ihrem Propste zu Gebote stehen, was für eine Freude könnte ihm mangeln?«

»Nur die,« fuhr jetzt der Kirchner durch meine Herablassung gewonnen, jedoch mit gedämpfter Stimme fort, »daß er kein verirrtes Schaf zu seiner Herde zurück kehren sieht, weil, zu seinem Lobe sei es gesagt, bei der guten Art, mit der er sie weidet, ihm noch keins verloren ging.«

[50] Nach diesen geheimnißvollen Worten verfiel der liebe Mann aufs neue in eine so ministerielle Miene, als ob er mir nicht geradezu sagen wolle, er habe nun, wie es ihm dünke, seine zwei Laubthaler ehrlich und redlich verdient. Sie schreckte mich ab, weiter in ihn zu dringen; und, so viel es mir auch kostete, schickte ich mich an, ihn zu verlassen.

Er begleitete mich stillschweigend bis an die Thür; hier aber gab er mir noch einen kleinen Nachtrag zu dem Panegyrikus, dessen ich schon lange satt hatte, mit auf den Weg. – »Hoffentlich,« sagte er, »gehen Sie nun ganz überzeugt von den Verdiensten unsers würdigen Propstes von mir! ja, ich schmeichle mir sogar, daß Sie mit dem guten Entschlusse von mir gehen, die Summe seiner Freuden zu vermehren, wenn Sie Gelegenheit finden. – Unterdeß leben Sie wohl!« –

»Eine schöne Zumuthungl« murmelte ich vor mir hin. »Der Kerl ist der erste Rasende, den ich für sei nen Vorgesetzten betteln höre.« Meine Laubthaler fingen an mich zu reuen. Ich schlich wie belastet nach Hause. Das Bild des Propstes, von dem ich hier eine viel vorteilhaftere Zeichnung erkauft hatte als ich erwartete, sein ausgebreiteter guter Ruf, sein beneidungswerthes Amt, sein Wirkungskreis, seine Thätigkeit, alles vereinigte sich, um mich zu demüthigen. Ich warf mich höchst mißmüthig auf meinen Stuhl, saß lange vertieft in schwermüthige Gedanken, und fühlte, wie drückend die Verdienste anderer sind, wenn man keinen Muth hat, sie nachzuahmen. »Daß doch,« rief ich mit Bitterkeit, »mir ein Mann in die Nähe kommen – die Stille meines Museums – und die hohen Gedanken, die mir über der Seele schwebten – verscheuchen mußte, der zu jedem geistlichen Geschäfte – wenn nicht etwa auch das Graben in den Pontinischen Sümpfen darunter gehört, verdorben ist – ein Mann, der sich im Besitze aller menschlichen Freuden schaukelt, während ich einen Stein nach dem andern einzeln zusammen lese, um den Bau eines idealischen Glücks aufzuführen – und daß – ach! ein Engel wie Klara, sich von ihrer Höhe herab lassen muß, um ihn durch ihre Scherze, ihr harmonisches Lachen, und durch ihr melodisches Organ in die Entzückungen [51] des Paradieses zu versetzen – und das alles bloß deßwegen, weil er Propst ist!«

Ach! der Neid, lieber Eduard, ist doch ein dummes, häßliches Laster, mit Sophismen und Uebertreibungen überladen, und aus Giften zusammen gesetzt, die wir, wie Rasende, verschlucken, so gewiß wir auch sind, daß sie Grimmen in unsern Eingeweiden erregen werden. Dieß Gefühl ward mir bald so unerträglich, daß ich den schnellen Entschluß faßte, es abzuschütteln.

Das erste Hülfsmittel, nach dem ich griff, war die Klingelschnur. Bastian, dachte ich, soll dir die überlästige Einsamkeit verscheuchen, und deiner ärgerlichen Unterredung mit dir selbst durch die Dazwischenkunft seines muntern Geschwätzes ein Ende machen. »Wie steht es, Freund,« rief ich ihm entgegen, als er herein trat: »weißt Du mir nichts von meinen Hausgenossen zu erzählen?«

»O! sehr viel,« antwortete er mir mit einer selbstgefällige!! Miene: »ich habe in Ihrer Abwesenheit das Glück gehabt, sie beide zu sprechen. Die Alte, mein Herr, hat einen Anschlag auf Sie!«

»Auf mich?« fuhr ich auf: »das verzeihe ihr Gott!« –

»Ja, mein Herr,« erwiederte Bastian: »aber er ist nicht böse gemeint, und ich wünschte selbst ... doch lassen Sie Sich nur erst den ganzen Vorfall erzählen. Ist es Ihnen nicht schon aufgefallen, wie ich Ihre Entfernung genützt, wie ich Ihre Zimmer gekehrt, und Ihre Möbeln gesäubert habe? Nun war ich eben daran, der Figur unterm Spiegel den Staub abzublasen, als die Damen aus der Kirche zurück kamen, und mich in dieser Beschäftigung auf dem Vorsaale antrafen. Die alte Tante trat zuerst zu mir. – Nehme Er Sich in Acht, mein Freund, sagte sie mir, daß Er ja über dem Putzen dem schlafenden Engel nicht schade! – Und, mein guter Freund, sagte die Nichte, die auch herzu trat: Sein Blasen wird Ihm wenig helfen – der Staub sitzt zu fest – Warte Er! ich hole Ihm etwas Baumwolle, damit wird es eher gehen. – Sie trippelte in ihr Zimmer, kam bald zurück; da sie mich aber mit ihrer Tante im Gespräche sah, nahm sie mir die Figur ab – und es währte keine zehn Minuten, so ward der Engel unter ihren Händen wieder wie neu.«

[52] »Wie?« unterbrach ich den weitläuftigen Burschen: »Klärchen hat ihn mit eigenen Händen geputzt? Da muß ich doch ...«

Ich sehe es nun zum voraus, Eduard, es wird Dir sehr geringfügig vorkommen, wenn ich Dir jetzt erzähle, wie ich bei diesen Worten aufsprang, und mich bedächtig und langsam über den schlafenden Amor bog, um zu sehen, wie glänzend er aus Klärchens Händen gekommen sei. Du hast aber Unrecht! Nichts ist dem Beobachter geringfügig, wenn es darauf ankommt, Charakter zu schildern. Die unmerklichsten Züge, die der große Haufe übersieht, können dem Seelenmaler von Bedeutung werden, und durch eine glückliche Übertragung auf die Leinewand seinem Gemälde vielleicht alle die Physiognomie geben, nach der gemeine Pinsler vergebens herum stören. Rubens hatte ein lachendes Kind gemalt – Er that einen einzigen Pinselstrich – und siehe! es weinte zum Erstaunen der Umstehenden.

Gesetzt also, daß mein Hinblick auf den gereinigten Amor mir zu einer Bemerkung verholfen hätte, die der Aufbehaltung werth sei, die es verdiente, einst ihren Platz in Klärchens Legende zu finden; würdest Du nicht gezwungen seyn, das Auge zu bewundern, das nie vergebens auf seine Entdeckungen ausgeht – dem Scharfsinne des Mannes zu huldigen, der auch in Sonnenstäubchen Farben bemerkt, die sich zu seinen psychologischen Schattirungen benutzen lassen; und würde Dir nicht die Sicherheit seiner Hand gefallen, die mit so kleinen Mitteln die Wirkung eines Rubens hervorbrächte?

Hätte mir Bastian auch nicht gesagt, daß Klärchen den Engel gesäubert habe, es wäre doch für mich entschieden gewesen, daß es nur eine jungfräuliche Hand seyn könne, die es that. Sie hatte die Figur im Ganzen zwar funkelnd und weiß wieder hergestellt, bis auf eine Kleinigkeit, die, da sie unmöglich zu übersehen war, ihr also wohl so erstaunlich befremdend gewesen seyn mußte, daß sie ihre Baumwolle darüber verlor. Dieß, schloß ich weiter, würde ihr nicht geschehen seyn, wenn sie mehr bewandert in der Mythologie, weniger fremd in der Naturgeschichte, und nicht so schreckhaft wäre, wie ein kleines Kind, das bei allem, was ihm ungewohntes [53] aufstößt, große Augen macht und davon läuft. Ich schloß ferner, und, wie ich glaube, sehr richtig, daß, da sie die Figur so gar wenig kannte, sich wohl noch kein Miethmann rühmen könne, daß ihn die schöne Nachbarin auf der Stube besucht habe, in welcher der Engel schläft. Und ich schloß endlich, daß, bei allen ihren petrarchischen Vorbereitungen und ihrem Umgange mit drei geistlichen Vätern, ihre Kenntnisse doch zum Erstaunen beschränkt, und von einer so ruhigen Einfalt seyn müßten, als sie wohl noch nie auch der strengste Richter von einer Heiligen verlangt oder erwartet hat. Das alles, Freund, schloß ich aus dem Staube, der, höchstens in der Länge eines Zolls, an dem schlafenden Engel zurück blieb.

Ob man von dem Gesichtspunkte, den ich in's Auge gefaßt hatte, allemal ausgehen müsse, um über den Werth oder Unwerth eines räthselhaften Mädchens zu urtheilen, will ich nicht entscheiden: so viel ist aber gewiß, daß Klärchen durch den Mangel ihrer Kenntnisse, und durch das augenscheinlich erste Schrecken ihrer Hand, unendlich in meiner Vorstellung gewann. Auch die einzelnen Züge, die ich vorher schon von ihr aufgefaßt hatte, wurden durch diesen noch hervortretender, und trugen das ihrige bei, mich mit mir selbst über die Ehrfurcht zu vereinigen, die ich einer so frisch erhaltenen Tugend schuldig bin. Ach! wenn es wahr ist, daß es Heilige giebt – und wie könnte ich jetzt daran zweifeln? – so verdient Klärchen wohl diesen Titel vor allen ihres Geschlechts: Sie, die schon als Kind nur in den Kramläden der Klöster ihre Spielwerke suchte, und immerfort, wie es die Figur zeigt, unbekannt mit denen blieb, die für ihr Alter gehören; Sie, deren Stimme noch unverdorben blieb, ob sie gleich so oft mit ihren Beichtvätern gewechselt hat, wie ich mit meinen Spazier-Schuhen, das heißt, bis ich ein Paar gefunden habe, das mir recht sitzt.

Was hat mir nicht alles Herr Fez von ihren kleinen Spekulationen erzählt, die mir nach und nach wieder beifallen werden! Eins nur davon: Ihr erster Vertrag mit der Maria – ist er nicht eben so fein ausgedacht, als er fromm ist? Ich frage Dich selbst, Eduard, welche Schöne würde bei dem Uebergange in die Zeit ihrer [54] Rosen so viele Besonnenheit behalten, als dieses unschuldige Kind? so daß es sie alle, wie sie unter seiner Hand aufschießen, mit der minorennen Angst, es möchte die ganze Stadt ihren Reichthum erfahren, und mit der Sorge in Empfang nimmt, was es damit anfangen, und wer sie bewachen solle? und bei der Unerfahrenheit, welche wohl dem Verwelken, welche der Beraubung am nächsten sei? einzeln erst diese – dann jene, und endlich den ganzen Strauß – der Mutter in den Schooß legt. Es liegt ein System von Unschuld in diesen kindischen Begriffen, daß ich den Kurzsichtigen bedauern würde, der keinen Zusammenhang darin fände. Er muß nie ein unbefangenes Herz unter Augen gehabt – nie eine Klara gekannt, oder gar das Unglück haben, an keine weibliche Tugendzu glauben.

Für eine solche Heldin ihres Geschlechts, als ich Dir jetzt gemalt habe, Eduard, könnte ich selbst meine Stimme zu den Beiträgen ihres verarmten Vaterlands geben, um ihre Seligsprechung zu befördern; um so mehr, da eine so billige Steuer schwerlich öfter als Einmal in einem Jahrhunderte vorfallen dürfte. – Und gegen dieß herrliche Geschöpf konnte ich auf Augenblicke verblendet genug seyn niedrige Absichten zu hegen?

»Fahre nun fort, Bastian,« rief ich aus einer Art von Bedürfnis;, eine andere Stimme zu hören als die meinige; denn ich hatte mir nichts Höfliches zu sagen. – »Sie suchte mich auszuforschen,« fuhr der Erzähler fort – »Wer denn?« unterbrach ich ihn. – »Sie sind zerstreut, mein Herr,« antwortete Bastian: »Sie haben verhört, oder vergessen, was ich Ihnen eben in diesem Augenblicke erzählte. Die alte Tante war es, die mich über den Besuch ausforschen wollte, den Ihnen diesen Morgen der Herr im Purpur abstattete. Diese vornehme Bekanntschaft mochte in ihren einfältigen Augen wohl einen gewaltigen Glanz auf Sie werfen, mein Herr. Ich wußte nun freilich selbst nicht viel davon; aber was thut das? Man muß niemanden seine gute Meinung von andern benehmen, am wenigsten ein treuer Bedienter, wenn es das Ansehn seines Herrn betrifft: so muß man im gemeinen Leben denken, wie man in der Religion thut. Auch suchte ich es so sehr [55] aufzustutzen, als ich konnte, und so erzählte ich am Ende mehr Rühmliches von Ihnen, mein Herr, als mir selbst bekannt war. Was wollen Sie sagen, Madam? antwortete ich: das ist nicht der erste Purpurmantel, den mein Herr vor seinem Bette sieht. Von einem Erzbischof, von einem Prälaten an den andern empfohlen, wird er von allen wie ein Freund vom Hause empfangen. Es ist ein Spaß mit so einem Herrn auf Reisen zu seyn; denn wo wir nur hinkommen, fliegen uns die vornehmen Geistlichen wie die Spatzen ins Haus. – Sollte nicht etwa Sein guter Herr, muthmaßte dabei die Alte, gar die fromme Absicht haben, zu unserer einzig selig machenden Religion überzugehen? – Kann wohl seyn, erwiederte ich, und ich wünsche es von Herzen; denn seine jetzige mag so gut seyn wie sie will, so sieht man doch wohl, wie blaß und mager er dabei geworden ist. – Das dünkt mich auch, fiel mir hier Mamsell Klara ins Wort: er dauert mich, wenn ich ihn ansehe. – Laßt es gut seyn, Kinder! war zuletzt der Ausspruch der Tante. Ich müßte mich sehr irren, wenn es bei einem Manne, der solche Anzeigen giebt, der so weit her kommt, um unsere Klerisei aufzusuchen, der einen so verständigen Menschen von unserm Glauben, sagte die Tante, in seinen Diensten hat, und der seine Wohnung bei uns nahm, es müßte sonderbar zugehen, wenn es bei dem nicht zum Durchbruche kommen sollte. – Hier schwieg sie, und da ich an ihren Lippen und Zeichen sah, daß sie ein Paternoster für Sie betete, so that ich ein Gleiches; auch Klärchen setzte den Engel bei Seite, schlug ihre Augen in die Höhe, und knötelte an ihrem Rosenkranze, und es war einige Minuten ganz still auf dem Vorsaale.« –

»Ist das der Anschlag, den die Alte auf mich hat?« fragte ich meinen Bastian lächelnd. »Nun der mag noch hingehen – aber nur weiter!« –

»Ach! mit welchem Seelenvergnügen,« fuhr er jetzt noch lebhafter fort, »haben Tante und Nichte die Andacht nicht heute Morgens bemerkt, mit der Sie, mein Herr, als ob Sie schon zum Kapitel gehörten, dem heiligen Hochamte beiwohnten!« –

»Was sagst Du?« fuhr ich auf: »Klärchen war in der Kirche, und ich habe es nicht geahndet?«

[56] »Und doch« – erwiederte Bastian, »stand sie gar nicht weit von Ihrer Loge. Als Hausgenosse, hatte ich mich neben sie gestellt; aber Sie waren so vertieft in Ihrer eigenen Andacht, daß Sie die unsere gar nicht gewahr wurden. Ich wünschte, Sie hätten das liebe Kind beten gesehen! Sie erbaute den ganzen Zirkel, der um sie her kniete, und ich bin versichert, es wurden ihr aus allen Ecken und Enden mehr Blicke, mehr Seufzer zugeschickt, als der heiligen Genoveva selbst.« –

»Hole mir eine Flasche oeil de perdrix, Bastian!« unterbrach ich hier den Schwätzer. »Thue Dir auch selbst für Deine heutige leibliche und geistliche Anstrengung etwas zu gute. – Hier hast Du einen kleinen Thaler dazu: aber um meine Bekehrung bekümmere Dich weiter nur nicht! Hörst Du?«

Bastian machte eine erbärmliche Miene, steckte sein Trinkgeld ein, und ging. Der gute Narr! Könnte ich in seine Munterkeit, n seine fröhliche Laune, in seine blühende Gesichtsfarbe und in seine Jugendkräfte so leicht übertreten als in seine Religion! –! Von so einem Umtausche ließe sich schon eher sprechen. Er kam bald wieder zurück, setzte mir den Wein stillschweigend auf den Tisch, und entfernte sich mit einem so bedeutenden Blicke, als wollte er mir sagen: Brauchen Sie nur dieses Mittel! es ist das wirksamste zu Ihrer Bekehrung. Nun, das wollen wir sehen, dachte ich, zog den Pfropf aus meiner Bouteille, und warf ihn wider die Wand.


Abends eilf Uhr.


Ich habe in meinem Tagebuche eine Lücke von sechs wichtigen Stunden auszufüllen. Ich möchte sie auch nicht bis zu dem andern Tage verschieben, selbst nicht wenn ich bis zu seinem Anbruche fortschreiben sollte. Nur bitte ich Dich, Eduard, gieb genauer Acht, als gewöhnlich; denn ich bin im Begriffe, Dir einen neuen Beweis von der ungleichen, schwankenden und materiellen Zusammensetzung meiner Seele zu geben, der vollständiger ist, als alle vorhergehende. Ich selbst, da ich ihn niederschreibe, möchte beinahe glauben, daß ich, seit der vorigen Blattseite, um zehn Jahre zurück getreten [57] sei; so ausschweifend muß ich mich, wenn ich der Wahrheit treu bleiben will, auf dieser hier schildern. Welch ein unbegreifliches Wesen, das in mir wirkt! Ich hoffe für das Glück der Welt, daß die Form davon, wie bei Rousseau's Seele, zerbrochen seyn soll, und daß meine einzelne Anomalie in dem Universo nicht so gar viel zu bedeuten habe. – Doch wozu diese Vorrede? Sie ist nach der Zeitordnung, die ich doch gern beobachte, viel zu voreilig. Ich will mich fassen! Denn wenn Du die Anklage meiner richtig beurtheilen sollst, so mußt Du ja wohl erst sehen, wie, und wodurch ich sie verdient habe.

Sobald ich diesen Nachmittag den Pfropf aus der Hand warf, und mich mit meiner Flasche allein sah, entrunzelte sich meine Stirne, die noch von dem System her, das ich mir von Klärchens Unschuld zusammen setzte, alle Zeichen eines ernsthaften Nachdenkens trug. Ich lächelte meinen freundlichen Wein an, und, wie er mir erst unter die Nase sprudelte, setzte auch sein Geist den meinigen augenblicklich in Gährung. Ein flüchtiger Gedanke zog nach dem andern vorüber, ohne daß ich ihn aufhielt; bis endlich einer so zudringlich ward, daß ich ihn faßte, und mir durch alle mögliche Sophistereien den Spaß machte, ihn so lange aufzustutzen, bis er mir am Ende zu meinem Unglücke über den Kopf wuchs.

Ich habe Dir, – Du hast es auch gewiß gefühlt, Eduard, – mit aller Stärke der Wahrheit die Gründe vorgelegt, die für die Heiligkeit meiner vortrefflichen Nachbarin sprechen. Wie konnte es mir nun einkommen, jetzt, als ein Advocatus Diaboli, Beweise aufzusuchen, die sich auf das unverschämteste ihrer Seligsprechung gerade entgegen stellten? Es ist unglaublich, und doch wahr. Wie ich diesen Irrweg einschlug, ahndete mir freilich nicht, daß ich so weit, und bis zu dem Abgrunde vorrücken würde, vor dem mich noch schaudert. Mein Blut gerieth bei jedem frischen Glase, das ich hinunter stürzte, mehr in Feuer, und meine Einbildungskraft gewann die Oberhand über meine bessern Gesinnungen. Ich konnte immer weniger an das herrliche Geschöpf hinter der Scheidewand ohne Begierde denken, und setzte sie mit einer unerklärbaren Frechheit, nach jedem Schlucke, den ich zu viel that, von den hohen [58] Stufen ihrer Würde immer tiefer und wieder tiefer herab, bis ich sie endlich, nicht ohne Schwierigkeiten, mit mir unter Eine Linie gebracht hatte; und nun erst ging ich unbarmherzig mit ihr um. Die klarsten Beweise ihrer Unschuld schickte ich mit einem Schnippchen in die Luft. Ihre Heiligkeit schien mir nichts mehr, als eine angenommene Rolle zu seyn. die sie gut genug vor dem Publikum spielte. Und um Dir alles zu sagen, wie es in so einer Seele aussieht, konnte ich sie mir endlich unter keinem andern Bilde mehr denken, als dem – der Iphigenia von Tauris, die wir einmal, noch als junge Leute, von dem Theater nach Hause führten, und die uns, wie wir damals dachten, einen so frohen Abend verschaffte.

Nun kennst Du meine Grundsätze, Eduard, wenn Du anders das Wort hier gelten lassen willst. Von jeher hat mich nichts mehr aufbringen können, als wenn ein Fürst zum Beispiele, mich durch seinen lakonischen Ernst, über seine Regententugend – ein Minister durch höfische Zurückhaltung, über seine Staatsklugheit – ein Pfarrer durch seinen faltigen Rock, über seine innere Ueberzeugung – und ein Mädchen durch den Flitter ihrer Sentiments, über ihre Tugend hinter das Licht zu führen gedenken. Es gehört ein so gutes Herz dazu als ich habe, daß ich nur selten bei solchen Gelegenheiten meiner Gabe zu spotten Raum gebe. Bei einem Mädchen aber, das sich mit so außerordentlichen Annehmlichkeiten, als Klärchen besitzt, in meiner Nähe für sicher hielt, weil sie auf ihren Betrug und meine Blindheit rechnet, das mein brennendes Herz zwei volle Tage mit der Ungewißheit getäuscht hatte, ob es sie als eine Heilige bewundern, oder als eine gemeine Sängerin behandeln solle – bei so einem Geschöpfe würde die Rache meines Muthwillens ohne Gränzen seyn. Gewiß sollte sie mir die Gegenbeweise ihrer Unschuld auf das demüthigendste ausliefern, ihren ersten und letzten Betrug in meinen Armen gestehen, und durch alle mögliche Züchtigungen der Liebe für den erborgten Schimmer büßen, durch den sie einen erfahrnen Mann zu blenden gedachte.

Noch will ich nicht entscheiden – sagte ich sehr großmüthig – aber es gilt einen Versuch: und beschämt gestehe ich Dir, daß [59] ich in diesem Augenblicke vor der Möglichkeit erschrak, in ihr eine Heilige zu finden; so sehr hatte ich mich schon daran gewöhnt, sie als ein irdisches Mädchen Zu behandeln.

Sie mag eins oder das andere seyn, fuhr ich nach einigem Nachdenken fort, so kann sie mir doch als ihrem Nachbar unmöglich verargen, daß ich ihr mei nen Besuch mache. So viel ich weiß, ist das in keinem römischen Kalender verboten; ja mich däucht sogar, ich habe gelesen, daß es die Pflicht einer Heiligen sei, wenn sie Heiden bekehren will, sich ihnen zu nähern, und keine gesellschaftlichen Mittel unversucht zu lassen, ihre Seelen an sich zu ziehen. – Klärchen sehnt sich also wohl so sehr nach meinem Umgange, als ich mich nach dem ihrigen, wenn es ihr, wie ich glaube, mit ihrem Gebete auf dem Vorsaale ein Ernst war; zumal diesen Abend, wo es, gegen das gestrige Geräusch, in ihrem Zirkel so still ist, als ob sie von Himmel und Erde vergessen wäre.

Mein Muth wuchs nun in demselben Verhältnisse, in welchem meine Flasche abnahm; und kaum war das letzte Glas überwunden, so war ich auch schon auf dem Wege nach Klärchen. Aber meine Bewegung dauerte dießmal nicht fort; denn in diesem Augenblicke, und da ich eben den Griff der Thür in die Hand nahm, trat ich zufälliger Weise auf den Stöpsel meiner leeren Bouteille. Ich hob ihn auf, und besah ihn. Kein Pfropf ist Wohl noch so bedenklich besehen worden. Es war mir, als ob der Blick noch fest an ihm klebe, den mir Bastian so bedeutend zuwarf, als mir vorhin der Kork aus der Hand flog. Sollte Bastian mit seinem Blicke Recht haben? befragte ich mich erschrocken; sollte es wirklich für die Religion gefährlich seyn, sich in dem Taumel des Weins einer Heiligen zu nähern? Das muß ich zuvor noch untersuchen, sagte ich, und zog mich mit meinem Stöpsel langsam nach meinem Lehnstuhle, auf den ich mich nun in eine Lage warf, die zum Nachdenken eines Betrunkenen wie gemacht war. Auch mochte ich nur etwa eine halbe Stunde so gelegen haben, als ich schnarchend erwachte, und unstreitig viel klärer in meiner Angelegenheit sehen gelernt hatte, als vorhin.

Es war schon spät, Eduard, und der Mond schon im Aufgehen; [60] viel später, als heute vor sechs Tagen, da er mir auch schien, als die gute Margot mir ihr warmes Halstuch um den Kopf band. Hätte ich diesen Gedanken behutsamer verfolgt als ich that, ich glaube, es wäre nichts aus meiner Visite geworden. So aber kam ich von Margots Halstuch auf das Halstuch der Heiligen, von dem Hundertsten in das Tausendste, und – mein guter Gedanke entwischte mir unter den Händen.

Indeß war es doch drollig, daß ich noch immer wie angeheftet auf meinem Lehnstuhle verweilte, ohne mich ganz von dem Mißtrauen in meine Einsichten trennen zu können, das Du von jeher an mir gewohnt bist, und das mir immer noch anklebt, wie eine Nervenschwäche. Mein Vorsatz war zwar gefaßt; aber um ihn auszuführen, fehlte mir nur noch die Aufmunterung eines Freundes, der mir für den glücklichen Erfolg und für allen Schaden haftete, der daraus erwachsen könnte; und auch diese Gewähr wußte ich mir endlich zu verschaffen.

Ja, lieber Eduard, alles mein voriges Hin- und Her-Ueberlegen hätte ich mir recht gut ersparen können, wenn ich eher an Den gedacht hätte, der mir in Avignon alles in allem war – an den Vorbereiter der Jugend, an das Orakel der Stadt, an den ehrlichen Kirchner. Ich brauchte ihn nur noch einmal in Gedanken abzuhören, um zu wissen, woran ich mit Klärchen war. Sein dunkles Gespräch schwebte mir vor, als ob er mir gegenüber säße, und entwickelte sich jetzt zu meiner ungleich größern Zufriedenheit, als da ich ihn selbst hörte. Meine Wünsche bekamen ihre einzigewahre Richtung. Mit dem Uebertritte zu Klärchens Religion, fühlte ich, habe es heute wohl nicht viel zu bedeuten, und ich steckte, um nicht wieder darauf zu treten, den Propf in die Tasche. Sein dunkles Gespräch? Mein Gott! durfte er es denn wohl weniger behutsam anlegen, wenn er seiner neuen Freundschaft für mich ein Geschick geben wollte, ohne geradezu seiner ältern für den Propst zu schaden? Wie war es möglich, daß ich so blind seyn konnte? Ich erstaunte, als ich die feinen Winke erwog, die er mir, wie von ungefähr zuwarf, als ich die schlauen Bemerkungen analysirte, die er fallen ließ, und die Lokal-Farben, die er zum Gemälde [61] seines Vorgesetzten brauchte, mit den psychologischen Nachrichten verglich, die er mir von Klärchen mittheilte – ich erstaunte, sage ich, über die Deutlichkeit, die in allem dem herrschte. Der sonderbare Accent, den er, wie es mir schien, ohne Noth auf dieses oder jenes Wort legte, bekam nun Bedeutung und Sinn. Sein Aufruf an mich zu Gunsten des Propstes erklärte sich mir, wie das Einlaßbillet einer Komödie; und obgleich seine Räthsel so theologisch verflochten waren, als man sie nur von einem getauften Juden erwarten kann, so war mir doch weiter nicht bange, diese feinen Fäden glücklich aus einander zu wirren.


Den Dünsten gleich, die von den Auen

Beim Ueberschein der Sonne fliehn,

Sah mein geschärfter Blick des schlauen

Orakels Dunkel sich verziehn.

Ich forschte mit der Kraft, die Bacchus mir verliehn,

Dem schweren Räthsel nach, bis mit geheimem Grauen

Sein Knoten mir entgegen schien.

Neu, jung und modulirt, als keiner nach Berlin

Zu Markte kommt, und doch nicht von der rauhen,

Antiken Festigkeit, um ihn,

Anstatt zu lösen, durchzuhauen –

Lag er im Schutz der heiligsten der Frauen,

Schon darum werth um vor ihm hinzuknien.

Und wie der erste Trieb, sein Felsennest zu bauen,

Den jungen Adler hebt auf eine Höh', wohin

Kein Aug' es wagt, ihm nachzuschauen,

So Überflügelte mein männliches Vertrauen

Das Heiligthum der Sängerin.

Ich forderte von ihr, die mir den Schlaf verwehret,

So lang' Ersatz für den verlornen Schlaf,

Bis ich den ganzen Schwarm der Freuden aufgestöret,

Die der Verlauf der Zeit vielleicht dem Propst bescheret,

Wenn die Ermüdete, als ein verirrtes Schaf,

Zu seiner Herde wiederkehret,

Und sah erstaunt wie das, was jedem Theil gehöret,

In Einem Punkt zusammen traf.


Hast Du selbst je von einem Plane gehört, lieber Eduard, der einfacher in seiner Anlage, geschmeidiger für die Ausführung, und für den Endzweck, den er beabsichtigt, so harmonisch in allen [62] seinen einzelnen Theilen wäre? Wie geübt, dachte ich mit schuldiger Bewunderung, muß die Hand des Meisters seyn, der ihn entwarf! wie groß seine Erfahrung der Welt, wie sicher seine Kenntniß des Lokals und seine Bekanntschaft mit den Sitten der Andächtigen!

Ich hatte nur einige Schritte über den Vorsaal zu thun, die bei dem hellen Scheine, den der Mond über ihn breitete, keine Schwierigkeit machten. Ehe ich aufbrach, bedachte ich noch, wie wenig man oft bei solchen Besuchen Herr seiner Zurückkunft ist, und setzte aus Vorsicht mein Licht in den Kamin. Im Vorbeigehn beim Spiegel würdigte ich auch noch meinen äußern Menschen einer flüchtigen Untersuchung, und wie vorteilhaft fiel sie dießmal nicht aus! Wäre der schlafende Amor in die Höhe gesprungen mich zu umarmen, wahrlich, ich hätte es in diesem Augenblicke für kein Wunder gehalten. So einen Schlummer möchte ich mir wünschen, sagte ich, indem meine freundlichen Augen den Ausdruck der glücklichsten Ruhe verfolgten, den ihm der Künstler zu geben gewußt hatte. – Ich gelobte, wenn ich so ausdrucksvoll von Klärchen zurück käme, ihm das Restchen Staub abzuwischen, bei dem sich ihre zitternde Hand, mitten in der Arbeit, so artig zurückzog. Ob wohl allen Heiligen dieses Gefühl der Sensitiven eigen seyn mag? und ob sie wohl solches auch noch bis nach Untergang der Sonne behalten? Ich sah, als ich in dem Spiegel wieder nach mir aufblickte, daß mich dieses Problem, und die Hoffnung es aufzulösen, roth gemacht hatten bis über die Ohren; und wie auserwählt schien nicht diese Farbe zu meinen großen viel versprechenden Augen, und wie schön nüancirte sie nicht mit dem Inkarnat meiner Lippen! – Ach, meine Lippen! Auf keinen andern habe ich je diesen Anreiz und dieses Hinstreben entdeckt. Ich möchte wohl, sagte ich höhnisch, das Mädchen sehn, das solche Figuren vor ihrer Thür abzuweisen das Herz hätte! Und so trat ich mit der Zuversicht eines guten Gesellschafters endlich über die Schwelle, und gelangte glücklich an den Verschlag, der, wie der Vorhof zum Allerheiligsten, Klärchens Zimmer begränzte.

Bei der Stille, die in diesem frommen Hause herrschte, war [63] nicht viel Geräusch nöthig, um ihr Ohr aufmerksam auf meine Annäherung zu machen. Auch rief ich kaum ein paarmal ihren harmonischen Namen mit gedämpfter Stimme, so hörte ich auch schon ihre Kammer sich öffnen. Nun trippelte sie nach der Thüre des Verschlags; nun hob sie – stelle Dir das Vergnügen vor, das mich durchzitterte – den Riegel auf; und lebhaft stand nun – Klärchen zwar nicht – aber ihre abgemergelte, zahnlose Tante, in ein weißes katunenes Nachtkleid gehüllt, vor mir.

In dem ersten Anfalle meines Schreckens dachte ich nichts gewisser, als die gute Frau habe wohl Lust sich selbst meinen späten Besuch zuzueignen, und könne so von Gott verlassen seyn, sich einzubilden, daß ich, ohne Scheu für ihr ehrwürdiges Alter ... Aber sie ließ mich diesen heillosen Gedanken nicht endigen. Sie fuhr mir nur zu bald mit einem: »Was beliebt Ihnen mein Herr?« auf den Hals, und zeigte dabei eine so schnakische Befremdung in ihrem Gesichte, als hätte sie in dem langen Laufe ihres Lebens noch nie eine männliche Gestalt im Mondscheine erblickt. Ich hingegen auf meiner Seite, und gewiß betroffener noch als sie – wahrlich ich mußte mir ihre einfache Frage noch einmal wiederholen lassen, ehe ich meiner Stimme so mächtig ward; ein paar verunglückte Worte darauf zu antworten. Ich starrte das alte Weib vorher noch sprachlos und mit aufgerissenen Augen an – ein Anblick, der, wenn er auch sonst nichts Gutes hat, einem Menschen in meiner Lage doch einiger Maßen dadurch wohlthätig werden kann, daß er ihn aus einem hitzigen Fieber in ein kaltes versetzt. Mag man indeß solche Veränderungen noch so sehr unter die guten Symptome rechnen, so möchte ich sie doch selbst meinen Feinden nicht wünschen. Ich weiß nun aus eigner Erfahrung, wie viel es dem armen Kranken kostet, die erhabenen Phantasien, die seine Seele beschäftigen, unter Zähnklappen verschwinden zu sehen.

»Die langen Abende – meine angenehme Nachbarschaft – die Einsamkeit,« – stotterte ich endlich in abgebrochenen Sätzen heraus, zu denen es mir je länger, je schwerer ward, eine, Verbindung zu finden. Meine Verlegenheit nahm mit jeder Sekunde [64] zu, glaubte sich Luft zu schaffen, und verfiel darüber in die unbesonnenste Erklärung, die sich nur ausfindig machen ließ. »Liebe Madam,« sagte ich, »die anziehenden Reize Ihres guten Klärchens werden mich schon hinlänglich bei Ihnen entschuldigen, und die Freiheit, die Sie dem Propst erlauben, hoffe ich, werden Sie doch wohl nicht Ihrem Miethmanne versagen?« – Das hatte ich vortrefflich gemacht – Du hättest nur sehen sollen, was die alte Katze bei diesen Worten für Feuer fing. – »Klärchen? Klärchen,« beantwortete sie meine wohlgesetzte Rede, »nimmt keine nächtlichen Besuche – ja sie nimmt gar keine, und zu keiner Zeit an. Gehen Sie, mein guter Herr,« setzte sie höhnisch hinzu, »suchen Sie anderwärts Ihre Unterhaltung, und lassen Sie Ihre Nachbarn in Ruhe!«

Schwerlich hat noch jemand einen unfreundlichern Bescheid aus einem häßlichem Munde gehört. Da es aber noch einen einpörendern Anblick in der Natur giebt, so gab sie mir auch den noch zu Gute: ich meine ein altes Weib, das die Begeisterte macht. Sie warf ihre beiden Irrwische von Augen in die Höhe, als. ob sie die Engel aus dem Himmel verjagen wollte, legte ihre linke Hand auf ihr schlotterndes Halstuch – streckte ihren rechten Arm steif und gerade nach mir zu, und kreischte mir mit der Stimme einer Besessenen durch die Ohren:


Irrgläubiger! was treibet Dich

So frech, so blaß, so schauerlich

Herum im Mondenschein?

Vernimm, furchtbares Nachtgespenst,

Es schließt die Burg, die Du berennst,

Ein Kind des Lichtes ein!


Und welch ein Kind! So voll und rund,

So früh kam noch kein Busen, und

Kein weiblich Herz in Flor.

Ein Seraph sah den ersten Flug

Der kleinen Sängerin, und trug

Sie der Madonna vor;


Und diese nahm sie in Beschluß:

Und wollte selbst mit seinem Gruß

[65]

Sich Gabriel ihr nahn,

Sie ließ' ihn vor der Thüre stehn,

Und hieß' ihn, spottend, weiter gehn,

So wie sie Dir gethan.


Der Propst, des Himmels Liebling, nur

Verehrt den Schöpfer der Natur

In meiner Nichte Reiz.

Der Reichthum ihres Gärtchens ist

Auch sein, und wird vor Räuberlist

Gesichert durch sein †.


Und jedes Kreuz, das er ihr schlägt,

Weckt eine Blüthe mehr, erregt

Ihm eine Hoffnung mehr;

Und Sie bewahret, zum Erkauf

Des Himmels, ihren Vorrath auf

Und zu Mariens Ehr!


Von der Holdseligen bedeckt,

Erhält sich frisch und unbefleckt

Ihr schöner Aerntekranz:

Und wenn ihm auch ein Kreuz verblich,

Der Propst mit einem Pinselstrich

Hebt den verlöschten Glanz.


Was stört, verlorner Geist, Dein Blick

Für Bilder in mir auf! – Erschrick

Und weiche meinem Fluch:

Dich müsse jede Jungfrau fliehn,

Maria keine Dir erziehn

Zu nächtlichem Besuch!


O! das soll mir ganz recht seyn, dachte ich, indeß die alte Närrin während der sublimen Worte ihrer mystischen Romanze, die ich vielleicht ganz der Quere verstand, dasselbe heilige Zeichen mehrmal über ihre Brust und ihr Gesicht zog, die doch wahrlich dieses Schutzes gar nicht bedurften, und zugleich mit ihrem Zeigefinger auf etwas hindeutete, das mir doch nicht eher verständlich und sichtbar ward, bis sie die Thür mir vor der Nase zugeschmissen und verriegelt hatte: – denn nun erst fiel mir eins von den Kreuzen in die Augen, auf die sich die Alte in ihrer Begeisterung bezog, und davon die eine Hälfte an der obern Bekleidung [66] – die andere an dem Flügel der Thüre, nun in einem ungetrennten Zuge wieder zusammen paßten, vermuthlich mit einer Kreide gemalt, über die ein Weihbischof den Segen gesprochen hatte. »Liegt es nur daran?« sagte ich und warf den Mund auf. »Diese Wunderzeichen des Propstes sind doch wohl noch zu verwischen, wenn ich nur erst die Stationen kenne, die er damit besetzt hat.« Und so schlich ich mit verbissenem Aerger in mein einsames Zimmer zurück.

Meine Abwesenheit konnte nicht lange gedauert haben; denn ich hatte nicht einmal nöthig, mein Licht zu putzen, als ich es aus dem Kamin langte, es wieder auf den Tisch, und mich mit in einander geschlagenen Armen davor setzte. Es währte eine ziemliche Weile, wo ich gedankenlos auf die leere Flasche hinblickte, ehe ich sie in Verdacht nahm, daß sie wohl an dem eben geschehenen Vorgange die meiste Schuld habe. Dieß brachte mich gelegentlich auf den Text, den ich mir in Ansehung der verletzten Diät und Moral, die leider! bei mir immer gleichen Schritt halten, zu lesen hatte. »Ja!« rief ich aus, »man muß betrunken, seyn, um einen Augenblick an der Tugend und Unschuld dieser Heiligen zu zweifeln, und so ungleiche Absichten, als mir mein Gewissen vorwirft, darauf zu bauen. Ich habe es verdient, vor ihrer Thür abgewiesen zu werden; denn ich bin nicht werth über ihre Schwelle zu treten – nicht werth ihr nur die Schuhriemen – geschweige sonst etwas aufzulösen, und das geringste der Kreuze zu verlöschen, womit der Propst ihre Zugänge verwahrt hat.«

Da ich nicht gewohnt bin, mich selbst zu schonen, sobald ich nur erst so weit bin, mich in die Augen zu fassen, so ward ich auch dießmal so böse auf mich selbst, daß ich mich gern vor jedem ehrlichen Manne an den Pranger gestellt hätte, der mir die Wahrheit noch derber hätte sagen wollen, als ich es selbst that. Ich fühlte in dieser ärgerlichen Stunde die Entfernung von Dir, mein Eduard, stärker als jemals, und wußte lange nichts an ihre Stelle zu setzen. Wie aber die gütige Natur für gewöhnliche Uebel auch die Mittel da gegen vorzüglich gehäuft hat, und man zum Beispiele gegen einen bösen Hals, oder eine jede andere Krankheit, welche schleunige [67] Hülfe verlangt, die bewährtesten Recepte an allen Zäunen und Hecken findet; so, glaube ich, ist in unserm aufgeklärten Zeitalter kein Winkel der Erde mehr so verwildert, auf dem sich für eine kranke Seele ihrem Bedürfnisse gemäß, nicht bald ein anhaltendes, bald ein abführendes Mittel, auftreiben ließe. Wäre es Tag gewesen, so hätte ich freilich bei meinem Freunde, dem Buchhändler, das Aussuchen gehabt; so aber mußte ich mir zu helfen suchen wie es gehn wollte, und das that ich auch. Ich näherte mich zum erstenmale der, zu der frommen Stiftung gehörigen, kleinen Bibliothek meines Kabinets, sicher, daß ich hier eben so gewiß ein oder das andere moralische Buch finden, als ich nicht umsonst nach Pimpernelle oder Klatschrosen ausgehen würde, wenn ich eines Gurgelwassers benöthigt wäre.

Der erste Folioband, den ich heraus zog, den ich aber auch ehrlich genug war, sogleich wieder an seinen Ort zu stellen, war Sanchez de matrimonio. Ich griff auf besser Glück nach einem andern von mittlerem Format, und bekam die Aphorismen des großen Emanuel Sa de dubio in die Hand.

Das ist wahrscheinlich, sagte ich, so ein Buch, als du suchst, und setzte mich damit an meinen Tisch. Ich hätte auch für mein gegenwärtiges Bedürfniß kein besseres finden können. Auf allen Seiten strahlten mir die herrlichsten Anweisungen entgegen, sich mit Ehren aus den schlüpfrigsten Händeln seines Gewissens zu ziehen, und mit Hülfe kleiner artiger Distinktionen sich über alle Fehltritte zu beruhigen, die eine strenge, ungeläuterte Moral, im Ganzen genommen, unbarmherzig verdammt. Du kannst denken, daß mir in meinen Umständen dieser Sittenlehrer ungleich mehr behagen mußte, als jeder andere, der, ohne nur die Schwierigkeiten der Ausführung mit seinen Forderungen vergleichen zu wollen, mir geradezu gesagt hätte: Thue recht und scheue niemand! Das ist weiter keine Kunst. In diesem herrlichen Buche hingegen fand ich sogar mehr als ich suchte. Wie viel Vorwürfe, die ich mir in meiner ersten mißlaunigen Aufbrausung machte, würde ich mir nicht erspart haben, hätte ich diesen gründlichen Schriftsteller nur eine halbe Stunde eher gekannt! Ich las mich dick und satt, bis ich [68] vollkommen überzeugt war, daß, wären mir auch alle die Absichten gelungen, an deren Ausführung mich das alte hämische Weib hinderte, ich zwar von der geraden Straße ab – doch gar nicht viel umgegangen wäre.

Ich schloß nicht unwahrscheinlich von dem Werthe dieses einzelnen Buchs auf die Wichtigkeit der ganzen Sammlung, holte mir, um bei der Entscheidung meiner Streitfragen der Mehrheit der Stimmen gewiß zu seyn, noch andere herbei, die auch, mehr oder weniger, den guten Gründen jenes großen Kasuisten beitraten, wovon ich Dir besonders einen gewissen Thomas Tambourin nennen und empfehlen will, der mir wirklich vielen Spaß gemacht hat. Hier hast Du den Titel seines Buchs: Explicatio Decalogi, in qua omnes fere conscientiae casus, mira brevitate, claritate, et quantum licet, benignitate, declarantur.

Ich war in guten Händen, wie Du siehst. Meine Lektüre ward immer anziehender. Der Unterricht dieser vortrefflichen Männer hatte mich endlich so fest gemacht, daß ich weiter keine Gefahr für mich sah, auch den ehrbaren Sanchez mit zu Rathe zu ziehen. Ich las bis in die sinkende Nacht hinein, ohne seiner verwickelten Fragen und Auflösungen überdrüssig zu werden, und lege ihn jetzt, da mein abgebranntes Licht mir kaum noch Zeit läßt, meinen Bericht an Dich niederzuschreiben, mit den Worten aus der Hand, mit welchen die vorgedruckte Approbation seines geistlichen Censors anhebt: Librum hunc legi, perlegi, lectitavi, felix pensum D. Sanchez, Cathol: Majest: in Regio Incarnationis Coenobio a Sacello et Sacris: in quo nihil nec devium ab orthodoxa nostra fide, nec obvium bonis moribus percepi etc. Und gehe nun, ich gestehe es Dir, als der eifrigste Anhänger einer Gesellschaft zu Bette, der es, da sie so vorzügliche Mittel gegen menschliche Schwachheiten im Vertriebe hat, nicht fehlen kann, trotz der kleinen Kränkungen, die sie in unsern Zeiten erlitten hat, an allen Enden der Erde Proselyten zu machen.


Den 4ten Januar.


Von allen moralischen Hülfsmitteln der Lojoliten, die ich mir gestern Abends eigen zu machen suchte, rührte mich keines so sehr, [69] als der Ausweg, den sie einstimmig vorschlagen, um, in dem Hand, gemenge der Leidenschaften mit der Sittlichkeit, die mitspielende Person sicher zu stellen. Setze, sagen diese Herren, wenn ich den Sinn ihrer Worte ins Kurze fasse, jeder zweideutigen Handlung, die du unternimmst, zur Beruhigung deines Gewissens, nur geschwind eine andere Zweideutigkeit entgegen! – Laß, zum Beispiele, zur Zeit ihres sträflichen Vorgangs den Gedanken voraus treten, daß ein anderer sie begehe als du, und schwöre sogar, wenn du dazu aufgefordert wirst, du habest die That nicht begangen, nämlich – wie du stillschweigend hinzu thun mußt – an diesem oder jenem Tage, oder vor deiner Geburt. Durch diesen kleinen Kunstgriff setzest du dich am geschwindesten über alle, deiner Ruhe nachtheilige Folgen hinaus; denn diese nehmen alsdann von selbst die Richtung an, in der du dich in so kritischen Minuten von dir selbst zu entfernen gewußt hast. Das ist bei vielen Gelegenheiten überaus bequem, sagt Sanchez in seiner Sittenlehre: 14 ob es aber auch immer recht ist, wie er dazu setzt, ist eine andere Frage, über die ich lange nicht mit mir einig werden konnte. Ich sah wohl ein, daß die Herren diesen verfeinerten Lehrsatz nicht so oft und so dreist würden ausgekramt haben, wären sie nicht von seiner Brauchbarkeit und Güte, aus langer praktischer Erfahrung, vollkommen überzeugt gewesen – und doch, wenn ich nun dran war ihn auf mich anzuwenden, versagte mir auf einmal der Muth, wie einem Kinde, das aufgefordert wird einem Seiltänzer nachzuspringen. Es war Mangel an Uebung, lieber Eduard! Ich setzte den Fuß nieder, den ich schon aufgehoben hatte, lief meinen Tröstern in die Arme, um mir Herz zu holen, und kauete jedes Wort wieder, das sie mir zusprachen. So gelang es mir am Ende ihren herzhaften [70] Zuruf wörtlich meinem Gedächtnisse einzuprägen; und das ist, wie Du noch aus Deinen Lehrjahren her wissen wirst, schon viel, wo nicht alles, für die Ueberzeugung gewonnen. Die Zweifel, die mir dann und wann über die Zuverlässigkeit meiner Rathgeber aufstießen, machten mir eigentlich am meisten zu schaffen: aber ich fand doch bald einen erfahrnen Mann, der mich auch hierin zur Ruhe wies; denn die würdige Zunft der Kasuisten hat so sehr für alles gesorgt, daß der Satz des einen die Sätze der andern auf das brüderlichste unterstützt. Dans les choses douteuses, sagt der berühmte P. Poignant, der aufgeschlagen neben dem Sanchez lag, nous ne sommes pas obligés de suivre le sentiment le plus sur. – Und so blieb mir denn zuletzt weiter keine Sorge übrig, als die, mich nur recht bald in der Lage zu sehen, meinen Rathgebern Ehre zu machen, und in Klärchens Armen das süße Gefühl meines Unrechts ihrem Glaubensgenossen, dem Propste, der mir am schicklichsten dazu schien, unterzuschieben.

Aber die Hauptschwierigkeit, die ich weder durch Nachdenken, noch durch mein Nachlesen in den Kirchenvätern wegzuräumen wußte, die Frage, wie ich mich in diese glückliche Lage bringen sollte, blieb immer noch unbeantwortet. Der Vorgang von gestern Abend hatte mich außerordentlich schüchtern gemacht. Man hätte mir die Welt bieten können; ich würde es darauf nicht gewagt haben, den bösen Geist, der den Schatz bewachte, noch einmal herauszufordern, ehe ich ihn nicht zu beschwören verstand.

In dieser Verlegenheit die mich vom Rousseau zum Amor, von einer Ecke des Zimmers in die andere trieb, konnte es indeß nicht lange währen, so mußte mir der einzige Mann beifallen, der sie vielleicht heben konnte. Mein mißlungener Versuch von gestern, den ich zwar auf seine Autorität unternahm, hatte mein Zutrauen zu ihm nicht im mindesten geschwächt. Der beste Plan muß wohl scheitern, wenn man in der Ausführung nicht auch Rücksicht auf Zeit und Gelegenheit nimmt; und das, mußte ich mir selbst vorwerfen, war ich so albern gewesen ganz zu unterlassen. Ich steckte also meine Goldbörse ein, und machte mich gutes Muths zu ihm auf den Meg. Ich traf ihn auch dießmal wieder mit der heitern [71] Miene auf seinem Posten, die mich gleich die erste Stunde unserer Bekanntschaft so sehr zu seinem Vortheile einnahm, und durch die sich so sprechend die ganze Ruhe seiner Seele und seines Amtes verkündiget. – Unser Gespräch kam indeß dießmal nicht so geschwind in Gang als gewöhnlich; ich mußte lange die Kosten der Unterhaltung allein tragen. Er hatte die Unbarmherzigkeit, meine Beichte von Anfange bis zu Ende mit geschlossenen Augen ruhig anzuhören, ohne das Bittere davon nur durch ein tröstliches Wort zu mildern, geschweige daß er durch einen zuvorkommenden, freundlichen Rath mir die Verlegenheit erspart hätte – so in der Nähe von Laurens Asche – so ganz ohne Achtung für ihr sittsames Andenken – ihm mein geheimes Anliegen zu entwickeln. Selbst als ich nun meinen mißlichen Vortrag gethan hatte – voll verschämter Erwartung vor ihm stand, und es ihm endlich gefiel die Lippen zu öffnen, hätte es im Anfang doch nur der Teufel seinem gleichgültigen Geschwätze ansehen können, was es am Ende noch alles Lehrreiches und Gutes für mich enthalten würde.

»Ja, ja,« fing er wie im Traume an, und rieb sich die Stirn – »unser Leben, mein junger Herr, währt siebenzig Jahr, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. Auch ich habe diesen Morgen die meinige gehabt – habe die Stühle, die Bänke und den Altar abgestäubt, und bin wohl zehnmal über Laurens Grab mit dem Besen gefahren, ehe ich es rein bringen konnte; aber es war nothwendig. Diese Kirche hat morgen einen ansehnlichen Besuch zu erwarten; denn wir feiern das Fest des heiligen Einsiedlers Simeon Stylita, der von den vornehmsten hiesigen Einwohnern der Patron ist.«

»Was in aller Welt geht mich dieser Schnak an!« dachte ich, machte eine höchst verdrießliche Miene, und setzte mich auf die nächste Bank.

»Sie müssen wissen, mein Herr,« trat er nun näher vor mich, »daß unter Heiligen und Heiligen ein gewaltiger Unterschied ist. – Der eine hat mehr Rang, der andere mehr Zulauf – die eine fromme Seele schmiegt sich lieber diesem, die andere jenem an,[72] nachdem entweder ihr Alter, ihr Gewerbe, ihr Name, oder ihre besondern Sünden diese Auswahl veranlassen. So ist mein Einsiedler, zum Beispiel, durch die christliche Sündhaftigkeit, mit der er seine Gicht- und Zahnschmerzen ertrug, der Schutzpatron aller der Unglücklichen geworden, die an diesen Uebeln leiden. Schließen Sie nun selbst, mein Herr, auf den Zuspruch, den er erhalten wird. Leider hat seit einigen Jahren auch Ihre gute Hauswirthin unter seine Fahne treten müssen – Auch sie wird morgen den größten Theil des Tages in meiner und des Heiligen Gesellschaft zubringen – Geben Sie Acht, ob ich wahr rede!«

»Und Klärchen?« fragte ich hastig; er aber that nicht, als ob er mich hörte. – »Morgen,« fuhr er mit ernstem, dogmatischem Tone fort, »ist es Krankheit, die ihre Andacht in Bewegung bringt; zwei Tage darauf, am Feste der heiligen Bertilia, thut es ihr Name.« –

»Und Klärchen?« fuhr ich zum zweitenmale auf – »Wird unterdessen,« antwortete er ganz gelassen, »allein zu Hause bleiben – so wie hingegen am Feste der heiligen Concordia die Tante daheim bleibt, und nur ihre Nichte zur Kirche schickt.«

»Und was giebt hiezu Veranlassung?« fragte ich äußerst neugierig. – »Das verschiedene Alter der beiden Andächtigen!« erwiederte er. Er sah mir an, daß ich ihn nicht verstand. – »Ich habe schon mehrmalen die Schwierigkeit bemerkt,« fuhr er fort, »einem Deutschen, auch selbst von unserm Glauben, den Zusammenhang dieses Festes begreiflich zu machen – aber es ist mir doch endlich immer durch Hülfe der Analogie gelungen. Diesen Ausweg verdanke ich einem Reisenden aus Ingolstadt, der vor vielen Jahren hier war, und auch das Grab der Laura besuchte. – Von dem erfuhr ich gesprächsweise, daß in seiner Vaterstadt der heilige Augustin von allen denen besonders verehrt werde, die an den Augen leiden. – Bei uns hingegen ist dieser Heilige – als Augenarzt, gar nicht bekannt. – Die Ursache davon liegt einzig in der Verschiedenheit beider Sprachen. In der Ihrigen soll, wie Sie besser wissen als ich, die erste Sylbe in dem Namen dieses Wunderthäters gleichen Schall und Bedeutung mit dem Worte haben, [73] welches das Glied bezeichnet, mit dem wir sehen: und nun, mein Herr,« fuhr er fort, »wird es Ihnen weiter nicht schwer werden, die Ursache auszufinden, warum bei uns nicht allein Mädchen, wie Klara, nein auch Weiber und Wittwen, wenn sie nicht, wie unsere Freundin Bertilia, über die fünfzig hinaus sind, das Fest der Concordia mit einem Eifer feiern, der deutschen Damen, die unsre Sprache nicht bis auf solche Kleinigkeiten wissen, mehr als übertrieben vorkommen muß.« – Ich verstand zum Glücke so viel Französisch, um diese Aufgabe der Analogie bald genug zu errathen, und ich hatte keine genüge Freude darüber. – »O,« rief ich aus, »dieser Unterricht in Ihrer Religion, lieber Herr Kirchner, verdient eine ausgezeichnete Belohnung – Hier – machen Sie keine Umstände!« – Und so drückte ich ihm einen holländischen Doppel-Dukaten in die Hand, der so funkelte, als ob er erst aus der Münze käme. – »Ei, mein Herr«, sagte der liebe Mann, und besah das Goldstück mit besonderm Vergnügen, »Sie beschenken mich ja so reichlich, als ob Sie Sich meine Fürbitte bei dieser Heiligen erkaufen wollten! – Die soll Ihnen auch nicht fehlen. – Aber, bei allen Engeln und Erzengeln! mein Herr – was seh' ich? Diese Umschrift – ich bitte Sie – war sie immer auf dieser Münze? – Ist sie zur Ehre der Heiligen geschlagen? oder ist es ein Wunder, durch das sie Ihnen ihre Hülfe zusagt? Hören Sie nur und hören Sie es mit Zutrauen, was sie Ihnen Gutes verspricht!«

Ich war bei diesem unerwarteten Ausfalle des Kirchners einige Schritte zurück getreten, und glaubte nichts gewisser, als der gute Mann Ware toll geworden; wurde aber, als er mir nun die bekannte Umschrift aller holländischen Dukaten herlas, doch selbst so davon überrascht, als wenn wirklich etwas Wunderwürdiges darin läge. – »Concordia,« las. er, indem er den Dukaten zwischen den Fingern herum drehte – »res parvae – crescunt;« und zugleich sah er mich so bedeutend an, daß mir das Blut in's Gesicht stieg. – »O Klara, Klara!« rief ich aus, ohne zu wissen, warum? – »Das ist wahrlich ein sonderbarer Zufall, lieber Herr Kirchner. – Wie gern will ich ihn für eins der größten Wunder ansehn, wenn [74] die heilige Concordia ihre Zusage erfüllt! – Aber sagen Sie mir geschwind, lieber Mann, an welchem Tage des Jahres wird denn dieses große weibliche Fest begangen?«

»Den achtzehnten Februar,« antwortete er. – »Sollte es wohl den Eindruck auf Sie machen, daß Sie bis zu seiner Feier bei uns verweilen möchten?«

»O, ganz gewiß!« antwortete ich mit glühenden Wangen. – Und es ist mein völliger Ernst, Eduard!

»Nun dann wünsche ich Ihnen Glück zu Ihrem Muthe,« erlviederte der gute Mann. »Es hat noch keinen jungen Fremden gereut, diesen merkwürdigen Festtag in Avignon abzuwarten. Doch, da alsdann gewöhnlich die Häuser besetzter noch sind als zu Frankfurt bei der Kaiserwahl, so rathe ich Ihnen wohlmeinend – sind Sie anders mit Ihrer Miethe zufrieden, Sich ihrer ja in voraus auf diesen Zeitpunkt zu versichern; denn Quartiere, wie das Ihrige, steigen alsdann über die Gebühr.«

Hier störte ein Engländer, der Laurens Grab mit einer so verächtlichen Miene aufsuchte, als ob sie seine Freundin gewesen wäre, unser interessantes Gespräch. Ich konnte meinen Verdruß über diesen ungelegenen Fremden kaum vor ihm selbst verbergen, und doch konnte ich noch weniger dem Kirchner zumuthen, ihn abzuweisen; denn ein abgewiesener Engländer kommt selten wieder. – Wir Kurzsichtigen ärgern uns oft über zufällige Dinge, die uns doch gerade unsern Wünschen entgegen führen. Du sollst noch auf diesem Bogen zu lesen bekommen, Eduard, wie viel ich der Dazwischenkunft dieses Reisenden zu danken habe: so viel daß ein rechtgläubiger Katholik an meiner Stelle darauf schwören würde, die heilige Concordia habe sie veranstaltet. – Ich schreibe sie auf Rechnung des Zufalls, der immer mein Freund war. Der Kirchner zuckte die Achseln, indem er mir die Hand zum Abschiede reichte, und bat mich bald wieder zu kommen, welches ich ihm denn auch treulich versprach. Der goldne Wahlspruch der sieben Provinzen hat zwischen diesem guten Manne und mir eine stärkere Vereinigung zu Stande gebracht, als, glaube ich, zwischen den sieben Provinzen selbst. Es ist doch eine hübsche Sache um die Freundschaft!

[75] Ich taumelte, ohne mich um den nächsten Weg nach Hause zu bekümmern, aus einer Gasse in die andere, und mir war beinahe so zu Muthe, als einem jungen Gelehrten, der nicht recht weiß, was er in aller Welt mit den vielen neuen Kenntnissen anfangen soll, die er aus dem Hörsaale mitnimmt. Darüber stieß ich – Ehre sei dem freundlichen Zufalle! auf die launigste Begebenheit, die er je aus seinem weiten Aermel geschüttelt hat. Eine Menge Menschen, die aus einem ansehnlichen Hause theils heraus stürzten, theils ihm zuströmten, erregte meine Aufmerksamkeit. Ich erkundigte mich nach der Ursache dieses Gedränges, und erfuhr, daß hier eine wichtige Versteigerung von Kostbarkeiten gehalten würde. Nun mag ich Wohl dann und wann dergleichen öffentlichen Glücksspielen beiwohnen; denn, ob ich mich gleich enthalte, mein Inventar auf diesem Wege zu verstärken, seitdem ich einmal in Holland einen englischen Tubus erstand, in welchem, als ich ihn zu Hause genauer untersuchte, das Objektiv-Glas fehlte, so kann es doch immer den Geist angenehm beschäftigen, wenn man mit philosophischen Augen die verschiedenen Hülfsmittel übersieht, die der Besitzer derselben vor seinem physischen oder moralischen Tode gebrauchte, so gelehrt, so artig oder so arm zu werden, als er war. Selbst die kleinen Absichten, die sich manchmal bei denen recht gut errathen lassen, die jetzt dieses oder jenes Stück aus dem Nachlasse des Verstorbenen an sich bringen, gewährt schon einige Unterhaltung. Ich widmete also auch dießmal meiner Neugierde die halbe Stunde, die mir noch bis zum Mittage frei blieb, und stieg, nicht ohne Mühe, die von Menschen angefüllte Treppe hinauf nach dem Auktions-Zimmer.

Hätte ich einige Stunden früher eintreffen können, ohne mich um das belehrende Gespräch des Kirchners, das mir über alles gehn mußte, zu bringen, so wäre der Zeitvertreib, den ich hier fand, freilich noch vollkommner gewesen. Jetzt waren ungefähr nur noch ein Dutzend Nummern von einer der seltensten Sammlungen übrig, die wohl jemals versteigert wurden. Der arme Mann, der sie mit Aufopferung seines Vermögens errichtet hatte, und nun sein mühsames, kostbares Gebäude durch unbarmherzige Gläubiger[76] zerstören sah, saß, von Schmerz und Unruhe gefoltert, in einem ausgeleerten Nebenzimmer, und flößte mir gleich beim Eintritt in den Saal das größte Mitleid ein, selbst ehe ich noch einen Blick auf seine Sammlung warf.

Ich habe zwar oft gesehen, lieber Eduard, daß vernünftige Männer Weib und Kinder und jedes andere Glück des Lebens hintan setzten, um Muscheln, Steine, Bücher, Schmetterlinge oder Gemälde zusammen auf einen Haufen zu bringen – habe ihnen oft, nach Verlauf eines ängstlichen Zeitraums, diese Spielwerke ihres Geistes durch die Gesetze und zu Abfindung ihrer Schulden entreißen, und sie an andere berühmte Kenner, wahrscheinlich zu einem einst ähnlichen Schicksale, übergehen sehen – aber noch nie fand ich den Vermögensbestand eines freien Mannes so sonderbar in einem Kabinet koncentrirt, als hier: denn stelle Dir vor, Eduard! ich befand mich, ehe ich mir so etwas versah, unter einer vollständigen, Gott weiß nach was für einem System! geordneten Sammlung heiliger Reliquien. Die ersten und wichtigsten Stücke an ganzen Körpern, Gerippen und andern Schätzen aus den Katakomben, waren zwar schon an Mann gebracht; doch waren die noch vorräthigen Nummern, die eben ausgerufen werden sollten, dessen ungeachtet noch von sehr schätzbarem Gehalte. Sechs Fläschchen mit Thränen der heiligen Magdalene wurden einzeln verlassen, und, nach meiner Einsicht, weit unter ihrem Werthe. Ein artiger Mann, der neben mir stand, erklärte mir die Ursache davon, als er meine Verwunderung merkte, und mir ansah, daß ich fremd war. »Wir sitzen hier,« sagte er, »an der Quelle dieser Waare. Die Höhle von Beaumont, wo die Heilige zwölf Jahre ihre Sünden beweinte, liegt uns in der Nähe – Aber Sie, als ein Fremder, mein Herr, sollten sie auf Spekulation für das Ausland kaufen; denn es ist keine Frage, daß Sie nicht hundert Procent daran gewinnen könnten.« – Ich hätte vielleicht nicht übel gethan, seinem Rathe zu folgen; aber, Du weißt es, Eduard, ich habe zu wenig Kaufmannsgeist, und ich ließ, einfältig genug, auch diesen wahrscheinlichen Gewinn einem Juden zu gute gehn, der mit Reliquien handelt.

[77] Ein Finger des H. Nepomuk, an dessen Aechtheit einige anwesende Kenner zweifeln wollten, und ein Schlußbein des heiligen Franz, hatten eben so wenig Glück, und mußten zusammen ausgeboten werden, ehe sie einen Abnehmer fanden. Ja, sogar Etwas von der keuschen Petronelle, in Weingeist aufgehängt, und recht hübsch konservirt, ging an einen Benediktiner, der es in Kommission erstand, für ein solches Spottgeld weg, daß ein paar artige Geschöpfe, die vermuthlich gleichen Namen führten, die Hände über den Kopf zusammen schlugen. Dafür fanden sich aber zu der folgenden Nummer desto mehr Liebhaber, und das Kleinod verdiente auch mehr als ein anderes diese ausgezeichnete Achtung – Der Ausrufer selbst nahm ehrerbietig den Hut ab, als er das Sammetkästchen, das es verschloß, in die Höhe hielt, und nun unter einer allgemeinen Stille, die nur dann und wann ein Seufzer des Unglücklichen im Nebenzimmer unterbrach, folgendes Heiligthum ankündigte: »Nummer Ein tausend vierhundert und drei und dreißig; das Strumpfband der gebenedeiten Jungfrau und Mutter, das sie an ihrem linken Fuße zu tragen gewohnt war,inklusive eines dazu gehörigen Ablaßbriefs weiland Ihro Päpstlichen Heiligkeit Alexander des Sechsten, nebst einem Handschreiben gedachten heiligen Vaters an die Gräfin Vanotia.«

Diese Reliquie machte den Eindruck, der zu erwarten stand. Der ganze Haufe der Umstehenden gerieth in Bewegung, und verschiedene Stimmen zugleich erhoben sich mit einem Gebot von zehn, fünfzehn und zwanzig Dukaten. Bei dem zweiten Ausrufe stieg es bis auf vier und dreißig. Nach einem kleinen Stillstande trat ein ansehnlicher Mann, mit der gesetzten Miene eines ächten Kenners, in's Mittel, und bot die gerade Summe von vierzig. Der Auktionator fing von vorn, und, um jedermann Zeit zu lassen sich zu bedenken, mit gedehnter Stimme an: Einmal vierzig – zum zweitenmal vierzig Dukaten – Der Hammer war schon aufgehoben, und ich glaubte den vornehmen Mann schon ganz gewiß in dem Besitze dieser merkwürdigen Reliquie, als, aus der fernsten Ecke des Zimmers, unvermuthet eine helle Stimme mit einem halben Dukaten überbot. Der Schall fiel mir sonderbar in das [78] Ohr – Ich erhob mich auf meine Fußzehen, und entdeckte – Himmel, wie ward mir! – das reizende Ovalgesichtchen meiner kleinen Nachbarin. War es Freude, oder Betäubung? – war es unwillkürlicher Trieb, ihr nachzulallen? – oder sollte es eine Aufforderung seyn, ihre sonorische Stimme noch einmal hören zu lassen? Genug, kaum prallte ihr wohl bekannter Diskant an die Saiten meines Herzens, so schlug mein Baß als ein Echo zurück: Einen halben Dukaten. – Der Laut war entwischt – Klärchen schwieg – die ganze Versammlung schwieg – und zu meinem Erstaunen ward mir das Heiligthum für ein und vierzig Dukaten zugeschlagen.

Wer war betroffener als ich, da mir die Nebenstehenden zu dem erlangten Besitze dieser Kostbarkeit Glück wünschten, und mir Platz am Zahlungstische machten, um den unschuldigen Einklang mit Klärchens Diskante theuer genug zu büßen! Um aller Heiligen und aller Götter willen! was willst du mit diesem Kabinetsstücke anfangen? sagte ich heimlich zu mir selbst, als ich die Summe aufzählte; und der Gedanke, daß ich zugleich in ihr das Versprechen der heiligen Concordia auf ein und vierzigmal zurück gab, vermehrte mein Herzklopfen um ein merkliches. Nie hat wohl der Neid, der, als ich das Sammetkästchen in Empfang nahm, aus den Blicken derer hervor brach, die vor mir darauf geboten hatten, sich gröber versehen, als dießmal. Denn ungeachtet alle Umstehende, bei denen ich mit meinem Heiligthume vorbei ging, mich anlächelten und die Hüte abzogen; so hätte ich doch so unbefangen seyn müssen, als der Esel in der Fabel, der das Bild der Diana trug, wenn ich mir diese Ehrenbezeugung hätte zueignen wollen. Ich kam mir im Gegentheil in diesem Augenblicke überaus albern vor, und hätte nimmermehr vermuthet, daß mich diese mißlichen Umstände doch noch am Ende auf einen so klugen Einfall leiten würden, als ich eben faßte, wie mit der letzten Nummer eine Feder aus dem linken Flügel des Würgengels verkauft, die Versteigerung geendigt, die Versammlung im Aufbruch, und jedes nur darauf bedacht war, das erste auf der Gasse zu seyn.

Wenn ich prahlen wollte, Eduard, so könnte ich es Dir als [79] einen Zug meines erfindungsreichen Genies angeben, daß ich in diesem Tumulte den wichtigen Vortheil zu ergreifen wußte, den mir doch vermuthlich nur die Gelegenheit und meine Schutzpatronin Concordia darbot. Ich übersah mit einem geschwinden Blicke, was hier für mich zu thun sei, studirte jeden meiner Schritte, den ich vor- oder seitwärts that, und leitete das Volk so geschickt, daß es nothwendig, beim Austritte aus dem Saale, mich und Klärchen in einen so verengten Zirkel zusammenbrachte, daß sie heilfroh seyn mußte, auf einen hülfreichen Arm zu treffen, um den sie ihre zarte Hand schlingen, und nun hoffen konnte, sich, ohne erdrückt zu werden, aus diesem unbändigen Gedränge zu ziehen. Mächtiger Zufall! mein Verstand wirft sich hier nochmals in Staub vor dir nieder, und erkennt dich als seinen Herrn und Wohlthäter.

Ich wäre der heiligen Atmosphäre, die mich umgab, wäre des Dankes des Engels nicht werth gewesen, wenn ich den einzigen Augenblick, in welchem so viel für die Folge lag, ungenutzt hätte verstreichen lassen. »Meine vortreffliche Nachbarin,« flüsterte ich ihr zu, indem wir uns auf dem Vorsaale so lange in ein Fenster zurück zogen, bis sich das Volk würde vertheilt haben, das die Treppe verstopft hielt, »es war wohl unartig, daß ich Sie überbot; ich hoffe aber, meine gute Absicht soll mich bei Ihnen entschuldigen. Sie können wohl denken, daß, so kostbar auch das Strumpfband seyn mag, das mir das Glück verschaffte, es doch für mich nur dann einen Werth haben kann, wenn ich es wieder an eine Person bringe, die es zu tragen verdient. Ein glückliches Ungefähr hat mich zu Ihrem Nachbar – aber Ihre Verdienste, liebes Klärchen, haben mich auch zu Ihrem eifrigsten Bewunderer gemacht. Ich dachte an Sie, theuerste Freundin, ich erblickte Sie in dem Augenblicke, als Sie auf dieses Kleinod boten, und es ward mir unmöglich, nicht nach einer Sache zu ringen, die Ihnen lieb war, um sie Ihnen als einen Beweis meiner Hochachtung auszuliefern. Ich wünschte nur, daß sie dadurch in Ihren Augen noch einigen Werth mehr bekäme. In dieser Rücksicht« – Hier stockte ich ein wenig, und ihre großen Augen schienen zu fragen, wo das hinaus wollte? – »hätte ich eben so gern mein ganzes [80] Vermögen, als einen armseligen Theil davon daran gewendet. Ich empfahl mich der heiligen Concordia, meiner Beschützerin, und, wie Sie gesehen haben, nicht ohne eine recht auffallende Wirkung: sie verstopfte allen andern Liebhabern den Mund, selbst Ihre frommen Lippen, liebenswürdiges Mädchen, und verschaffte mir diese kostbare Reliquie für diesen unbegreiflich geringen Preis.« Klärchen erröthete von Sekunde zu Sekunde immer mehr, ohne mich zu unterbrechen – »Um Ihnen indeß,« fuhr ich traulicher fort, »auch die kleinste Bedenklichkeit zu ersparen, ein Kleinod für Sie zwar von unendlichem, für mich aber nur relativem Werth anzunehmen – so erlauben Sie mir, meine schöne Nachbarin, es Ihnen – nicht als Geschenk, sondern gegen einen Tausch anzutragen.« Sie erröthete noch mehr, und ihr Stillschweigen gab mir Muth, weiter zu reden – »Wenn ich,« fuhr ich fort, »das Vergnügen haben kann, Ihnen morgen früh« ... O wie dankte ich hier dem ehrlichen Kirchner, der mich so genau von den Festen der alten Tante unterrichtet hatte! – »aufzuwarten ... gewiß, theuerstes Klärchen, ein ähnliches Band, das mir alsdann Ihre Güte erlauben wird dagegen einzutauschen, soll meinem Herzen tausendmal werther seyn, als jenes.«

Jetzt erwachte der Stolz der kleinen Heiligen. – »Es ist nicht großmüthig von Ihnen, mein Herr,« gurgelte sie mit sanfter Stimme hervor, »daß Sie die Verlegenheit, in die mich dieß Volksgedränge versetzt, noch vermehren. Sie erlauben Sich eine Sprache, die mir – um nur wenig zu sagen – ganz fremd ist. Sie müssen wissen, mein Herr, daß ich von meiner Tante abhänge, und keine Besuche anzunehmen habe; und Ihr angebotner Tausch, mein Herr ...«

»Setzt doch gewiß,« fiel ich ihr geschwind in's Wort – »keinen Betrug voraus. Wie könnte er wohl – überlegen Sie es selbst, bestes Klärchen – bei einem Heiligthum, so einzig in seiner Art, Statt finden?«

Ich schwieg, als ob ich ihr Zeit zur Ueberlegung lassen wollte – Sie brüstete sich ein wenig – und: »Ihre Auslage,« fuhr sie jetzt mit einer Stimme fort, die mir nur zu gut verrieth, wie viel ihr an dem Besitze dieses Bandes gelegen seyn mochte – »würde[81] Ihnen meine Tante gewiß gern ersetzen, wenn Sie geneigt seyn sollten ...«

»Klärchen!« unterbrach ich sie, mit angenommenem Erstaunen – »Mir? sagen Sie das? – Doch ich entschuldige Sie – Sie kennen mich noch nicht – aber der Erfolg wird es zeigen, wie unrecht Sie thaten, ein Unterpfand des Himmels gegen eine irdische Kleinigkeit, um die Sie ein Freund bittet, auf's Spiel zu setzen. Entweder – meine liebe, bedenkliche Freundin, erlauben Sie mir, daß ich meine gute Absicht ausführe, und Ihnen das Band, das einst den linken Fuß der hochgelobten Jungfrau umschloß, längstens morgen, an demselben Orte befestige, wo sie es trug; oder ich schwöre, daß, wie ich nach Hause komme, ohne auf die achtzehnhundert Jahre zu achten, die das ehrwürdige Band überlebt hat, ich es dem Feuer meines Kamins übergebe, und Ihnen den Frevel zuschiebe, der dadurch begangen wird.« –

O Eduard! Wie erschreckte ich nicht das arme Kind durch meinen Schwur, und durch den entschlossenen Ton, mit dem ich ihn ausstieß! Sie erblaßte, schlug die Augen staunend empor, und drückte ihre gefalteten Hände an ihre Brust – »Nun denn,« rief sie endlich in einer kleinen angenehmen Begeisterung – »bin ich, heiligste Mutter, von dir ausersehen, diesen deinen Nachlaß aus dem Feuer zu retten – so folge ich in Demuth – so geschehe dein Wille! – Eine einzige Bitte nur, mein Herr! bewilligen Sie mir nur noch den Aufschub eines Tages!« –

»Und warum das, meine Beste?« fragte ich.

»Weil Sie nicht verlangen werden,« versetzte sie mit gesenktem Blick, »daß ich Ihren Besuch in Abwesenheit meiner Tante annehme; und diese ist morgen durch ein Fest gebunden und den größten Theil des Tages in der Kirche.«

»Wie, mein liebes frommes Klärchen?« erwiederte ich etwas spöttelnd: »Liegt Ihnen der baldige Besitz dieses Heiligthums so wenig am Herzen, daß Sie ihn über eine armselige Bedenklichkeit aufschieben mögen? Oder glauben Sie weniger dadurch begünstigt zu seyn, wenn es nicht auch andere wissen? Und wollen Sie muthwillig den Samen des Neids in den Busen einer Freundin ausstreuen? [82] Denn ach! Ihre gute Tante müßte nicht so fromm seyn als sie ist, wenn sie einer andern als sich selbst diese so einzige Reliquie gönnen sollte, da wohl selbst Klöster und Kirchen um weit geringere in Hader und Streit liegen? Ich berufe mich auf Sie selbst, liebes Klärchen! Mit was für einer Empfindung würden Sie es ansehen, wenn ich mit diesem unschätzbaren Bande den Fuß Ihrer würdigen Tante schmückte? – Nein, meine Beste! Es sei fern von mir, durch meinen wohlgemeinten Tausch zwo so gute Seelen zu entzweien! Zudem gehe ich übermorgen nach Vauclüse; und sollten Sie beharren, den Tag von Sich zu weisen, den ich Ihnen geben kann; nun, so weisen Sie zugleich das Geschenk auf immer von Sich, das Ihnen die gebenedeite Jungfrau durch mich zudachte, und ich schwöre nochmals ...«

Hier streckte sie ihre Hände bittend nach mir – und ihr Gesicht und ihre Stimme wurden ganz feierlich. – »So sei es denn – wenn Sie nicht anders wollen, mein Herr! Aber bei der heiligen Concordia beschwöre ich Sie! heben Sie, bis zu unserer Vertauschung, dieses himmlische Pfand mit der Sorgfalt auf, die es verdient!«

»O, das verspreche ich Ihnen, Klärchen!« konnte ich noch so ziemlich ernsthaft heraus bringen, und hätte gern aus ihrer Ermahnung mehr geschlossen, als, nach der Wichtigkeit ihrer Miene zu urtheilen, wirklich darin lag. – Indeß freute es mich schon, daß mich das liebe Mädchen für einen Günstling jener großen Heiligen zu halten schien, mit der mich der gelehrte Kirchner, mittelst eines Doppeldukatens in so angenehme Bekanntschaft brachte, und freute mich unendlich, daß schon der erste Versuch meiner aus dem Traktate de probabilitate geschöpften Beredsamkeit, selbst über meine Erwartung, so guten Eingang gefunden hatte.

Ich führte nun, da ich die Treppe frei sah, voll Zufriedenheit mit dem Gegenwärtigen, und voll süßer Ahndung für das Künftige, die schöne Heilige hinunter, mit der ich in einer glücklichen Viertelstunde um vieles bekannter geworden war, als es der scharfsichtige Herr Fez hoffentlich in seinem Leben werden soll.

Ehe wir auf die Gasse traten, erinnerte sie mich freundlich, daß man nicht gewohnt sei, sie von irgend einem andern Herrn, [83] als ihrem Gewissensrathe, begleitet zu sehen. Es war eine bittere Erwähnung. Indeß ließ ich sogleich ehrerbietig ihre Hand fahren, und nahm sogar einen ziemlichen Umweg, um ihr Zeit zu lassen, mit ihren unbegreiflich kleinen Schritten vor mir zu Hause einzutreffen.

Mich erwartete eine Aalpastete, ein rothes Feldhuhn und die schönste Wintermelone; aber hätte mich auch das Gastmahl des Lügners erwartet, so wäre doch meine Neugier, die mich nach dem Sammetkästchen zog, stärker gewesen als meine Eßluß. Ich öffnete es mit eben so viel Behutsamkeit als Begierde, und ging nun meine Beute auf das genaueste durch. – Aber wie schoß mir das Blut, als ich, nach einer flüchtigen Bewunderung des heiligen Strumpfbandes, den päpstlichen Ablaßbrief überlas! – Ich sah zu meiner Beschämung und Aergerniß, wie gar sehr ich mich durch meinen Vertrag mit Klärchen übereilt hatte. Ja, lieber Eduard! die Urkunde des heiligen Vaters wäre für einen Liebhaber – für einen König – unsern jetzigen nur nicht, Tonnen Goldes werth. Es ist unmöglich, daß unter so genügen Bedingungen, als ich aus Unwissenheit eingegangen bin, mein Tausch-Kontrakt bestehen kann. Die ersten drei Punkte dieses geistlichen Frei-Passes müssen schon jedes unparteiische Gericht davon überzeugen. Und der siebente Punkt vollends! Nein, mein gutes Klärchen, du wirst den Preis gewaltig erhöhen müssen, wenn ich dich in den Besitz einer Reliquie setzen soll, an der so herrliche Indulgenzen haften.

Es ist mir recht lieb, daß ich schon einige Bekanntschaft mit den großen Kasuisten in meinem Kabinette gemacht habe. Im Falle mich ja meine erhöhte Forderung mit Klärchen in Streit verwickeln sollte, werden sie hoffentlich alle auf meine Seite treten, und zu meinem Vortheile entscheiden. Kannst Du es mir wohl in diesen Umständen verdenken, lieber Eduard, daß ich heute die Unterhaltung mit diesen in meinem Prozesse so wichtigen Männern der Deinigen vorziehe? Wenn ich ihn gewonnen habe, so will ich gern desto länger zu Deinen Diensten seyn.


Den 5ten Januar.


Das Fest des heiligen Einsiedlers Simeon Stylita ist erlebt, und schon spielen seine Glocken in der schönsten Harmonie. Mit [84] herzlichem Mitleid verfolge ich aus meinem Fenster jeden schwerfälligen Trupp der Unglücklichen, die, von Gicht, Schwindsucht, und Entkräftung gebeugt, dennoch in ihren verzerrten Gesichtern Hoffnung der Besserung und Glauben an ihren Wunderthäter tragen, dessen Altare sich ihr Schneckenzug nähert. Nie habe ich so viele Krücken beisammen gesehen. Einige darunter, von fremdem, glänzendem Holze, mit Elfenbein und Perlmutter ausgelegt, zeugen von dem hohen Stande ihrer Besitzer und von dem Luxus unsers Jahrhunderts. Dennoch wünschte ich, daß der prächtige Zug schon vorbei, und die alte überlästige Tante aus dem Hause wäre, die sich, Gott verzeihe ihr diese Sünde! wahrscheinlich noch nicht in dem Grade niedergedrückt fühlt, um sich in diesem ausgedienten Vortrabe mit auf der Gasse zu zeigen. Mein Herz ist voll von gegen einander laufenden Empfindungen. Meine Jugend, die ungeduldig nach Genüsse hinter der Scheidewand schmachtet, erblickt, indem ich an das Fenster trete, das furchtbare Beispiel verschwendeter Kräfte öffentlich zur Schau ausgestellt. O möge nie Sancta Concordia zulassen, daß ihr treuester Verehrer der Hülfe eines so einfältigen Heiligen benöthigt werde, als mir in diesem Augenblicke Simeon Stylita mit seinen Nachtreten: vorkommt. Doch ich höre – freue Dich mit mir, Eduard! – die alte Tante aufbrechen – Jetzt – steigt sie die Treppe hinab; jetzt verschließt sie das Haus; und nun sehe ich sie auch schon über die Gasse hinken. Aber warum pocht mir das Herz? Von so guten Sachwaltern unterstützt – mit so herrlichen Dokumenten versehen – was kann ich fürchten? Muß mein Prozeß mit Klärchen nicht den besten Ausgang gewinnen? Und doch – unbegreiflich! – bin ich muthlos, wie einer der seinen Rechten nicht traut, wie einer der sich noch nicht ganz in den Sinn seiner Konsulenten einstudiert hat. Doch wie mag ich meine Zeit so verplaudern, da Klärchen wartet?


Indem ich vor drei Stunden, mein schwarzes Sammetkästchen in der Hand, das kleine artige Zimmer des lieben Kindes zum erstenmale betrat, kam sie mir mit einer Miene entgegen, die aus [85] Ernst, Freude und Bescheidenheit zusammen gesetzt schien. Wie leicht läßt es sich mit so einem Mädchen sprechen! Ihr Herz, das so hell auf ihrer Physiognomie wiederscheint – wie schön erklärt es nicht das konventionelle Dunkel ihrer Rede! Einem erfahrnen Manne, der solche Dolmetscher gegen über hat, kann keine Verhandlung, sie sei noch so verwickelt, zu schwer fallen.

Ich nahm, wie billig, das erste Wort, das in Verhältnissen, wie die unsrigen, immer so drückend ist. »Meine liebe Nachbarin,« hub ich an, »ich stelle mich Ihnen zwar als ein ehrlicher Mann; aber urtheilen Sie selbst, bestes Klärchen, von meiner Verlegenheit, da ich mit der Erklärung voraustreten muß, daß unser Handel, in dem Maße, wie ich ihn gestern abschloß, unmöglich bestehen kann.« – Sie machte gewaltig große Augen bei diesen Worten, die sie unter allen wohl am wenigsten erwartete. Der Ernst ihres Gesichtchens nahm zu, die Freude nahm ab, und die Bescheidenheit wußte nicht woran sie war. – »Hören Sie nur einige geduldige Augenblicke zu,« antwortete ich ihrer Miene: »Das Strumpfband der Maria, wie wir es einstweilen so benennen wollen, müßte zwar nach den freiwilligen Bedingungen, denen ich mich gestern unterwarf, Ihnen, bestes Kind, nach allen Rechten gehören, wenn es nur möglich wäre, diese kostbare Reliquie von dem Ablasse zu trennen, den weiland Papst Alexander der Sechste an den Besitz dieses Kleinods gebunden hat. Ich war in Unwissenheit, als ich den Tausch Ihnen antrug, hatte das wichtige Dokument nicht gesehen – nicht gelesen, konnte mir nicht vorstellen, daß es Dinge enthielte, die mich, wenn ich den Vertrag erfüllte, weit über die Hälfte verletzen würden; ein Umstand, der alle Verträge in der Welt aufhebt.« – Ich bemerkte, während des Eingangs meiner pathetischen Erklärung, mit geheimem Vergnügen, wie sich alles nach und nach aus den Mienen des guten Kindes entfernte, was mich in der Fortsetzung hätte scheu machen können. Statt aller Einwendungen, oder statt der, mir am meisten furchtbaren Gegenerklärung, daß sonach jeder Theil sein Eigenthum behalten solle, wußte sie nur die kurze neugierige Frage heraus zu stottern: Wie denn in einem so veralteten Briefe Punkte von solcher Wichtigkeit für mich enthalten [86] seyn könnten, die –? Hier hielt sie inne; aber ihr unruhiges Auge sagte mir zur Genüge das übrige, und ich fuhr schon viel gefaßter fort: »Ja wohl, meine Theuerste, sind sie von solcher Wichtigkeit, daß ich mich des größten Leichtsinns schuldig machen würde, wenn ich mich darüber wegsetzen wollte – sie sind wahrlich von so einem Gehalte, daß der Engel selbst, dem ich doch schwach genug bin, alle Anwartschaften der Zukunft gegen einen gegenwärtigen billigen Ersatz anzubieten, kaum im Stande ist, die Erwartungen zu vergüten, zu denen mich dieses Dokument berechtigt. Doch, Klärchen, Sie sollen erst das heilige Band sehen, dem so große Vorrechte ankleben.« – Und hiermit zog ich es aus seiner Hülle, und legte es in die weißen Hände der kleinen Heiligen. Sie besah es lange mit ehrfurchtsvollem Stillschweigen, während ich das Pergament des Ablaßbriefs behutsam aus einander schlug. Und als sie sich endlich seufzend von der Reliquie trennte, deren Besitz ihr noch nicht verstattet war, und nun willig und bereit schien, meine weitere Rechtfertigung und die neuen Vergleichsvorschläge anzuhören, rückte ich ihr einen Stuhl an den Tisch, den meine ausgebreitete Urkunde beinahe zur Hälfte bedeckte, setzte mich ihr zur Seite, und erleichterte ihr, kraft meiner Vorkenntnisse, die geschwinde Uebersicht und die Untersuchung meiner Beweise. – »Hier sehen Sie zuerst, liebenswürdige Klara, die eigenhändige Unterschrift des großen Papstes, die vollkommen mit dem an die Gräfin Vanotia 15 gerichteten Breve übereintrifft, mittelst dessen er dieser seiner Busenfreundin das geweihte Band überschickt. Sehen Sie, wie gut das große Siegel unter dem Ablaßbriefe, so wie der Abdruck des Fischerrings auf dem Umschlage des Breve, erhalten ist? Ein klarer Beweis, welchen Werth alle vorhergehende Besitzer dieser wichtigen Schriften, bis auf den Tag, wo das sonderbarste Glück sie in meine Hände gebracht hat, darauf gesetzt haben. Und nun lassen Sie uns den Inhalt der päpstlichen Bulle selbst durchgehen. Die flüchtigste Uebersicht wird schon hinlänglich seyn, Sie von der Billigkeit meiner [87] erhöhten Forderung zu überzeugen. Den ersten Punkt überschlagen wir, da er bloß die eigenen Verhältnisse der seligen Gräfin betrifft, die mit ihrem Tode aufhörten. Der zweite Satz enthält die Entsündigung eines Falls, der uns beide nichts angeht, da Sie, meine Beste, wie ich glaube, so wenig Brüder und Söhne haben, als ich Schwestern und Töchter. Von der Erlaubniß des dritten und vierten Punkts, hoffe ich, wollen wir auch nie in die Verlegenheit kommen, Gebrauch zu machen; denn es ist doch wahrlich kein Zufall wahrscheinlich, der uns auf eine wüste Insel verschlagen könnte. Ich überhüpfe auch diesen und diesen Abschnitt, die mir beide, so wiederholt ich sie überlesen, doch immer noch über meine Erfahrung und meinen Verstand gehen, und eile zu dem desto deutlichern Inhalte des siebenten Paragraphs, an welchem ich für meine Person dießmal genug habe. Er beweist klar für mich, entschuldigt mich hinlänglich, und giebt Ihnen, in dem Falle, den der heilige Vater auf das genaueste bestimmt, zugleich mit dem zärtlichsten Wunsche meines Herzens, die einzige Bedingung zu erkennen, unter der ich meinen gestrigen Tauschhandel noch zu erfüllen bereit bin.«


§. 7.


Mulierem aut virginem, quae tempore, quo hanc ligaturam cruralem sanctissimam portat, cum bruto, monacho aut haeretico, peccatum quodcunque carnale committit, eo ipso et auctoritate nostra Papali, inculpabilem declaramus, absolvimus et in integrum restituimus.

Ich hielt nicht für nöthig, diese kitzliche Stelle meiner schönen Freundin zu übersetzen, da nach der guten Erziehung, die hier auch das andere Geschlecht erhält, die meisten jungen Frauenzimmer, oft vor dem zehnten Jahre, im Stande seyn sollen, das elegante Latein päpstlicher Bullen zu verstehen. Ich glaubte es auch zur Genüge an Klärchens verfärbten Wangen wahrzunehmen, daß sie den Gedanken des heiligen Vaters vollkommen faßte; ob sie mir gleich durch ein paar Worte, die noch dazu unter Weges verunglückten, das allzu große Zutrauen benehmen wollte, das ich in ihre Kenntnisse zu setzen schien. – »Sie werden nun gern zugeben, schöne [88] Klara,« fuhr ich in dieser vielleicht zu freigebigen Voraussetzung fort, indem ich meinen Zeigefinger auf dem haeretico meines Paragraphs stehen ließ, »daß ich es gegen mich und meine Nachkommen nie verantworten könnte, wenn ich diese bestimmte Erklärung des heiligen Vaters, mit blindem Undanke gegen die Wohlthaten die sie mich hoffen läßt, so schnöde verachten wollte, um nicht entweder in Rom selbst unter dem Glanze seines ehemaligen Throns, oder doch in andern seiner geistlichen Gewalt untergebenen Städten und Ländern, eine der Schönsten Ihres Geschlechts aufzusuchen, die zugleich fromm genug wäre, für diese ligatura cruralis der Gebenedeiten großmüthig eine Indulgenz mit mir zu theilen; und noch dazu eine, die von allen, die er diesem heiligen Bande verlieh, die kleinste ist – Es müßte denn seyn,« fuhr ich nach einer kurzen Pause fort, »daß Sie selbst zur Gewinnung dieses Ablasses sich geneigt fühlten. Sie haben das Vorrecht; nutzen Sie es, meine schöne Nachbarin, und diese vorzüglich dotirte Reliquie kann in einer Stunde Ihr Eigenthum seyn. Ach liebe Kleine!« indem ich einmal über das andere ihre zitternde Hand küßte, »könnten Sie begreifen, wie mich dieser siebente Paragraph begeistert, Sie würden – ach! gewiß Sie würden mir keine Zeit lassen, mein Anerbieten mit kaltem Blute zu überlegen.« – »Mein Herr,« fiel mir das gute Kind mit weinerlicher Stimme ins Wort, »lassen Sie doch, ich bitte Sie, meine Empfindungen auch für etwas gelten! Der Fall ist zu verwickelt – Ihre Forderungen sind mir noch gar nicht deutlich; aber gewiß sie sind zu ungestüm um gleichgültig zu seyn, – ach! und ich fürchte mich zu sehr vor Uebereilung. Vergönnen Sie mir Bedenkzeit – nur bis auf übermorgen, an dem Namenstage meiner Tante, wo ich wieder, wie heute, mir selbst überlassen seyn werde. Sie wissen nicht, was mein Gewissensrath für schwere Interdikte auf mich gelegt hat! Sie wissen nicht, mein Herr,« (o ja, ich wußte es noch von ihrer Tante her, als sie mir die Thür wies), »unter welchem mächtigen Zeichen ich stehe! Nein, wahrlich, die Veranlassung mag noch so löblich seyn – ich darf mich ohne Vorwissen Ihro Hochwürden zu gar nichts verstehen.«

[89] Hier trat nun der Fall ein, lieber Eduard, meinen Sachwaltern Ehre zu machen. Ich that es mit der feurigsten Beredsamkeit, die mir bei einer halben Stunde die Aufmerksamkeit meiner Freundin zuzog. Ich sah jede Minute deutlicher, wie mächtig die Salbung eines Kasuisten auf das Herz einer Heiligen wirkt; und nachdem ich sie von den Vorrechten der päpstlichen Schlüssel, von der überwiegenden Gewalt des Papstes gegen alle heiligen und heimlichen Künste subalterner Geistlichen, und besonders durch meine herzhaften und liebevollen Augen überzeugt hatte, daß ich in allem, was zu der großen Wirtschaft der Natur gehört, an keinen mystischen Widerstand glaube, so ward es mir immer wahrscheinlicher, daß eine noch nähere Ursache, als ein Gewissenszweifel, da seyn müsse, die das gute Kind nöthigen konnte, hartnäckig auf ihrer Bedenkzeit stehen zu bleiben. Sie zog während meiner Rede das Sammetkästchen einigemal vor sich, und betrachtete das heilige Band, als ob sie sich nicht satt daran sehen könne, und schob es immer mit einem neuen Seufzer von sich. Ich hätte mit kindischen und weiblichen Gelüsten sehr unbekannt seyn müssen, wenn ich nicht daraus geschlossen hätte, was zu schließen war; und noch weniger müßte ich meine eigenen verstanden haben, wenn ich nicht den ihrigen in so weit zu Hülfe gekommen wäre, als es die Umstände erlaubten. Wie sie also zum drittenmale: nach dem Schatzkästchen griff, legte ich mich großmüthig ins Mittel: »Wissen Sie was, Klärchen,« sagte ich mit dem Tone der Gefälligkeit, »da ich sehe, wie schwer es Ihnen ankommen würde, Sich von der heiligen ligatura, zu trennen, so will ich Ihnen den Gebrauch derselben, jedoch mit Vorbehalt meines Eigenthums, bis auf den Entscheidungstag überlassen. Es wird alsdann von Ihnen immer noch abhängen, den einstweiligen Tausch zu bestätigen oder aufzuheben. Wissen Sie doch die Bedingungen.«

Sie schien zwar sehr gerührt über mein Zutrauen, doch selbst bei der sichtbaren Freude, die ihr mein Anerbieten verursachte, zeigte das kluge Mädchen eine Behutsamkeit, die mich sonderbar überraschte, und mich zu einem Exegeten machte, wie es nur einen giebt. – »Warum,« fragte sie ernsthaft, »warum, mein Herr, vermeiden [90] Sie doch dieser heiligen Reliquie ihren rechten Namen zu geben? Ist es nicht das Strumpfband der Madonna? la jartiere de Marie – Warum bleiben Sie nicht bei dem französischen Ausdrucke?« – Zu einer andern Zeit, Du traust es mir wohl zu, Eduard, würde ich es nicht der Mühe werth geachtet haben, nur ein Wort über die richtige Benennung dieses Kabinetsstücks zu verlieren. Jetzt aber – da mich der Einwurf der schönen Klara aufmerksam auf die Folgen machte, welche die eine oder die andere Bedeutung herbei führen würde – jetzt, da mir die Rechte einer ligatura cruralis weit wichtiger vorkamen, und mich wenigstens um einige Zoll weiter zu bringen versprachen, als die eines französischen Strumpfbandes, jetzt kam alles darauf an, meinen gebrauchten Ausdruck gegen die kleine Wortkrämerin zu vertheidigen. – »Liebe Freundin,« antwortete ich ihr mit einer viel sagenden Miene: »dem äußern Ansehn nach, sollte man freilich diese heilige Reliquie nur für ein Strumpfband halten. Sie haben noch überdieß die Angabe des Ausrufers für Sich. Nun ist zwar der Mann, dem Sie in einer so wichtigen Sache Glauben beimessen, wohl nichts mehr als ein unwissender Miethling, der die Grundsprachen nicht versteht, und dem eine richtige Erklärung der fremden Waare, die er ausbietet, ganz einerlei ist, wenn er sie nur an den Mann bringt, und seine Procente davon zieht; doch hier ist er billig eher zu entschuldigen, als Ihre schwankende, flüchtige Sprache. Es war nicht seine Schuld, daß er in derselben kein anderes als das Wortjartiere finden konnte, wovon auch die besten Ausleger eingestehen müssen, daß es den zwiefachen Sinn – sowohl eines Bandes hat, das um den Strumpf – als eines, das, wie das vorliegende, um das Knie gebunden wird.« – »Um das Knie?« fiel mir Klärchen hier hastig in die Rede. »Aus was für Gründen können Sie das behaupten?« – »Wenn es Noth hätte, sollte es mir sehr leicht seyn,« antwortete ich ernsthaft, »der Stellen eine Menge aus dem Talmud beizubringen, die Ihnen diese Gewohnheit bewiesen; ja, hätten wir Zeit, so könnten Sie selbst – es sind ja Jüdinnen genug in der Stadt – darüber bei ihnen nach fragen lassen: aber zum Glück können wir aller dieser Weitläuftigkeiten entbehren, da [91] die klaren Worte des Textes vor uns liegen. Der heilige Vater nennt das Band nicht umsonst ligaturam cruralem, das nur mitjartiere crurale übersetzt werden darf, um den Sinn ganz zu umfassen. Die siebenzig Dolmetscher konnten es nicht wörtlicher ausdrücken; und in heiligen Dingen,« setzte ich mit einem Seufzer hinzu, »ist es immer das Sicherste sich an den Buchstaben zu halten. Uebrigens seyn Sie ganz unbesorgt, liebes Klärchen!Es kommt dermalen nicht auf das Maß Ihrer Strümpfe – die Sie künftig verlängern können, wenn wir Handels eins sind, sondern es kommt auf die Gegend an, die ich die Ehre haben werde Ihnen zu zeigen, wohin eigentlich das Band, nach seiner ersten Bestimmung, und nach den Gebräuchen des Morgenlandes, gehört, denen allein die Mutter Gottes, während ihrer Wallfahrt auf Erden, gefolgt ist. Es war meine Schuldigkeit, liebes Klärchen,« endigte ich, »Sie erst mit dem Kleinode, das ich Ihnen anbiete, auf das genaueste bekannt zu machen, damit kein Mißverständlich bei der Auswechselung vorfalle; denn so gern ich Ihnen auch in gleichgültigen Dingen zu Gefallen lebe, und so zufällig ich auch zum Dienste dieses Heiligthums berufen seyn mag, so kann ich dochnun auf keine Weise zugeben, daß Sie es für das halten, was es Ihren leiblichen Augen scheint – für ein Strumpfband, oder daß Sie glauben, es bedeute nur einen Kniegürtel, da ich in meinem Gewissen überzeugt bin, und mich darauf todt schlagen lasse, daß es einer ist.«

Meine Rede machte, entweder durch ihren langweiligen Gang, oder durch ihre Wahrheit, den Eindruck, den ich wünschte. Meine schöne Schülerin schien beruhigt, und indem sie sich auf den Sopha zurecht setzte, versprach sie, um auch mich zu beruhigen, mit feierlichem Ernste, mir das Kleinod, das ich ihr auf einige Zeit anvertrauen wollte, ohne allen Schaden wieder zu überliefern, wofern wir nicht des Handels eins würden. Gutes Klärchen! dachte ich bei mir selbst, das ist das letzte, was ich fürchte. – Was denkst Du davon, Eduard? Wird ihr nicht die süße Schwärmerei ihrer Seele jeden noch so bedenklichen Schritt erleichtern? Wird sie nicht, wie jeder Enthusiast, sobald sie das Band an sich fühlt, zugleich [92] auch wirklich den wohlthätigen Einfluß empfinden, auf den ihr Glaube hofft? – stolzer einhertreten, ruhiger in die Welt und verächtlicher auf ihre Mitgeschöpfe blicken, und in immer süßen Träumen wachen und schlafen? Ja, du kannst, sprach ich mir muthig und hoffnungsvoll zu, deine Forderungen noch so hoch spannen, sie wird für diesen mystischen Gürtel alles andere ohne Reue verschwenden, wovon sie Herr ist.

Während dieser meiner psychologischen Betrachtung hatte Klärchen den rechten Fuß, der nicht mit in den Vertrag geschlossen war, gerade vor sich auf den Sopha gelegt, als ob er, wie die Hand des Gerechten, nicht wissen sollte, was der Linke thäte – Und –


Und voller Güte streckte sie

Den auserwählten Fuß bis an das weiße Knie,

Und sah, erröthend, mich bei meiner Arbeit lauschen.

Mit zitternder verwöhnter Hand

Löst' ich das eingetauschte Band

Voll Scham, so wenig einzutauschen. –

Ach, daß ich's eher nicht bedacht!

Was hätt' ich nicht mit einer Thräne

Der heiligen, erfahrnen Magdalene

Für einen guten Kauf gemacht!


Der richtigen Erklärung des Grundtextes allein hatte ich es zu verdanken, daß meine Augen sich nicht bloß mit der herrlichen Form des Fußes begnügen mußten, der, mit einem weißseidenen Strumpfe bedeckt, mir in der Hand lag. Nein, Eduard, ich gewann, kraft meiner Exegese, auch noch den Anblick einer guten Spanne der blendendsten Haut, wie sie wohl selten ein Schriftgelehrter zu sehen bekommt. Welche Entdeckungen der Sinnlichkeit versprach mir nicht diese kleine Probe der unverhüllten Natur, sobald ich nur die heiligen drei Könige hinter mir haben würde, die mir verzweifelt langsam zu reisen schienen. Die Lust des Anschauens fesselte mich so sehr, daß ich – wer kann mir's verdenken? – alle Kunstgriffe der Analyse und Polemik aufsuchte, um nur mein Wohlbehagen zu verlängern. – »Hier, schöne Klara,« stotterte ich, indem ich bald dieser, bald jener Hand vergönnte, wechselsweise den elastischen Fuß zu umspannen, damit keine bei der Spende [93] eines süßen Gefühls zu kurz käme, »hier ist die Gegend, wie die besten Ausleger des Talmud versichern, wo die Jungfrauen in Kanaan und Judäa den Gürtel zu tragen pflegten, obgleich« – meine Finger wagten sich noch über einen Zoll hinauf – »der gelehrte Ritter Michaelis behaupten will, daß es sehr die Frage sei, ob nicht nach dem samaritanischen Texte« ... »Mein Herr,« fiel mir hier Klärchen hastig in's Wort, indem sie sich ein wenig höher setzte, »ich dächte, die jüdischen Gebräuche wären sehr albern, und Sie würden mir wirklich einen Gefallen thun, wenn Sie Sich nicht weiter dabei aufhielten.« – »Dieser kurze, kalte Zuruf machte mich irre. Ich kam mit meinen Beweisen in's Stocken, verknüpften den heiligen Gürtel so ungeschickt als möglich, und sah sogar vor Betäubung nicht eher, als bis die Auswechselung vorbei war, was für ein neues himmelblaues seidenes Band, mit einer großen Schleife, ich statt des verblichenen linnenen Fetzen der Reliquie eingetauscht hatte. Die kleine bräutliche Koketterie, die ich in der gesuchten Auswahl dieses schimmernden Bandes zu entdecken glaubte, schien mir von der besten Vorbedeutung. Ich wies mein prophetisches Herz, bis zu der nahen Erfüllung seiner ungestümen Wünsche, zur Ruhen und dachte, wie ich mir vorstelle, daß die zu einer Spiel-Partie um das Königreich Pohlen vereinigten Mächte gedacht haben, als sie die Scheidungslinie ihres leichten Gewinnes, vermutlich in der kühnen Voraussetzung entwarfen, sie gelegentlich wohl noch zu erweitern, und nach und nach, erst diese, dann jene angränzende Starostei, oder diesen und jenen Paß in das offne Land an sich zu ziehen.

Klärchen erlaubte mir, nachdem der Vorhang des ersten Akts gefallen war, noch über drei Stunden bei ihr zu bleiben. Das ist eine entsetzlich lange Erlaubniß, wirst Du denken. Aber laß Dir nicht bange seyn! Das Mädchen giebt so viel zu beobachten und zu enträthseln, daß, wenn ich Dir die mannigfaltigen Blüthen ihrer Unterhaltung nur so frisch zubringen könnte, als sie mir in die Hände fielen, Du wohl begreifen solltest, wie einem die Zeit in ihrem Zirkel vergehen kann. Aber da liegt eben der Knoten! Es fällt der Feder lange nicht so leicht zu schwatzen, als der[94] Zunge, die von hundert Kleinigkeiten: unterstützt wird, welche auf dem Papiere verschwinden. Das Spiel der Mienen, das den Fügungen der Worte besser zu Statten kommt als alle Regeln des Syntaxes, geht in der Beschreibung so gut wie verloren. Die Modulation eines wohl angebrachten Seufzerchens, das oft einem dunkeln oder müßigen Ausdrucke erst den Verstand giebt – das Dehnen – das Verschlucken – das Steigen und Fallen der Stimme, ach! alle jene vielfältigen bedeutenden Schätzungen der Rede – wer ist vermögend, sie mit der Wirkung wieder zu geben, die sie nicht allein auf das Ohr, sondern öfter noch auf das Herz haben? Diese gewöhnlichen Schwierigkeiten, die allen Erzählern gemein sind, wie sehr würden sie mich erst zwängen und drängen, wenn ich es unternähme, den Dialog eines Mädchens zur Schau zu legen, das solche mitsprechende Augen, solch ein beredtes Stillschweigen, solch ein bedeutendes Lächeln, und eine Art von Erröthung in ihrer Gewalt hat, die mir nirgends noch vorkam! Setze noch dazu, daß dieses Mädchen ein Kind auf der einen Seite – eine ausgebildete Heilige auf der andern – mit dem Gegenwärtigen nur halb zufrieden – über das Bevorstehende nicht einig mit sich selbst, und seit Minuten erst in dem erborgten Besitze eines Kleinods ist, das sie übermorgen bezahlen soll, ohne zu wissen woher? – und Du müßtest blind seyn, um nicht einzusehen, daß sie nichts weiter zu entwickeln braucht, um es dem besten Erzähler unmöglich zu machen, so feinen Uebergängen des Geschwätzes und des Gefühls, als bei einer solchen Zusammensetzung von Charakter und Verhältnissen nothwendig vorkommen müssen« mit seiner Feder nachzutraben. Und doch muß ich, so schwer ich daran gehe, Dir wenigstens ein Fragment unserer Unterhaltung mittheilen, weil es gar zu sonderbare Neuigkeiten über den weitern Fortgang meines Läsions-Prozesses mit dem Mädchen enthält, die Du eben so wenig wirst geahndet haben als ich.

Die Kleine saß, nachdem sich das erste Aufwallen ihrer Lebhaftigkeit gelegt hatte, jetzt desto ernster in sich gekehrt, bei einer Viertelstunde schon vor mir, und gönnte mir durchaus keinen andern Zeitvertreib, als im Stillen den Nuancen ihrer Empfindungen [95] nachzuspüren, wie sie sich äußerlich zeigten. Aber auch das war, ich versichere Dich, keine leichte Arbeit. Mitten in ihrem stolzen seligen Gefühl, worin sie über den vergönnten Gebrauch des heiligen Bandes verloren schien, färbte ein ungefährer Blick auf den, der es ihr umband, ihre Wangen mit dem brennendsten Roth, und drückte ihre Augen zur Erde. Sah ich nun gleich bald hinterher den tröstenden Gedanken nachsteigen, zu wessen Glorie sie ihre Bescheidenheit verläugnete, und ihr Knie den ungeweihten Blicken eines Ketzers Preis gab – und trat gleich nunmehr ein Anstand, wie man ihn selten sieht, in dem Verhältnisse bei ihr hervor, in welchem ihr aufbrausendes Blut allmählich sich setzte; so dauerte doch diese Ruhe nicht lange. Ihr süßes Lächeln, das schon auf dem Wege war, verflog wieder; der harmonische Laut, auf den sich meine beiden Ohren schon spitzten, erstarb vor meinen Augen auf ihren bebenden Lippen. Sie warf wilde Blicke, bald auf den lateinischen Brief, der zwischen uns lag, bald auf mich; und diese Ebbe und Fluth ihrer Empfindungen war so schnell, daß ich Mühe hatte, ihnen nachzukommen, und die geheime Ursache davon aufzufinden, die, als ich ihr am Ende mit meiner Untersuchung beikam, – solltest Du es glauben, Eduard? – in nichts anderm als in dem Grausen vor den unbekannten Ceremonien bestand, unter welchen sie berufen seyn dürfte, den Namenstag ihrer geliebten Tante zu feiern. Da sie während dieses ihres innern Tumultes, aus dem ich sie so gern gezogen hätte, zweimal schon ihren linken Fuß beinahe krampfartig bewegt hatte, so nahm ich beim drittenmale Gelegenheit, unser so lange unterbrochenes Gespräch wieder in Gang zu bringen. –

»Sie zucken mit dem Fuße, liebes Klärchen:« hub ich an, »ich habe Ihnen doch wohl nicht den heiligen Kniegürtel zu fest gebunden und Ihnen weh gethan?« – »Nein,« antwortete sie, nach ihrer unbefangenen Art: »Sie haben es so recht gut gemacht – Allenfalls wäre auch Rath dafür.« – »Und wofür, Klärchen, wäre denn nicht Rath in der Welt?« – »Meinen Sie?« – »Außer für den Tod,« fuhr ich lächelnd fort. – »Und außer für übermorgen,« murmelte sie, doch laut genug, daß ich es hören konnte, ward dabei [96] roth, und hielt einen Augenblick ihre rechte Hand vor die Augen. – »Liebes Klärchen, das ist eine seltsame Verbindung von Ideen!« – »O!« dehnte sie, »nicht so seltsam als es Ihnen vorkommt. Die Zumuthungen Ihres Geschlechts, habe ich immer gehört, gehen einem tugendhaften Mädchen bitterer ein als der Tod.« – Diese letzten fünf Worte, Eduard, waren wie auf Noten gesetzt. – »Gewiß, liebe Kleine,« antwortete ich traulich, »gewiß habe ich Ihnen den Gürtel zu fest gebunden.« – »Woraus, ich bitte Sie, wollen Sie das schließen?« – »Aus Ihrer kindischen Furcht vor übermorgen,« sagte ich lächelnd. – »Nun, das gestehe ich, mein Herr, diese Ihre Ideenverbindung ist Wohl seltsamer als die meinige; sie ist mir ganz räthselhaft.« – »Kann wohl seyn, liebenswürdiges Kind; warum vermeiden wir, deutlich mit einander zu reden?« – »Noch deutlicher, mein Herr? Ich dächte, hierüber hätten Sie Sich wenig vorzuwerfen.« – »Und auch Sie nicht, Klärchen?« – »Auch ich nicht, mein Herr. Ich habe Ihnen alle Zweifel entwickelt – aber wie wenig haben Sie darauf geachtet!« – »Ich hätte nicht darauf geachtet? Kleine Schwätzerin! habe ich sie denn nicht sogar völlig gehoben?« – »O bei weitem nicht, mein Herr!« – »Klärchen! Ich erstaune – Also wären alle meine billigen Erklärungen in den Wind gesprochen gewesen? Sie fänden die himmlische Reliquie für den gemeinen Preis, den ich darauf setze, noch immer zu theuer? und bei der Menge von Indulgenzen, mit denen ich Sie, ohne daß ich groß thun will, bereichere, könnte es Ihnen noch einen Augenblick sauer ankommen, die kleinste davon mit mir zu theilen?« – »Hören Sie mich an, mein Herr,« unterbrach sie mich jetzt mit edlem Anstände: »Das Strumpfband der Gebenedeiten – ich gestehe es Ihnen unverholen – ist mir mehr als lieb; es ist mir unschätzbar, und ich weiß nicht, ob ich es überleben würde, wenn ich mich von ihm trennen sollte. Sie haben es, unter sehr bänglichen Minuten für ein sittsames Mädchen, zu einem Kniegürtel erklärt; auch das habe ich mir gefallen lassen: aber welche neue Demüthigung in aller Welt soll ich denn noch für das Band, oder den Gürtel der reinen Jungfrau bezahlen, die – ach, mein Herr! von keinem Manne gewußt hat? Sehen Sie, ich bin nur ein einfältiges [97] unschuldiges Kind – mit allem meinem Nachdenken bringe ich es doch in Ewigkeit nicht heraus, was Sie übermorgen etwa von mir erwarten – und das ängstigt mich eben.« – »Wie, Klärchen?« antwortete ich ganz betroffen: »Sieht es mit unserm Handel noch so weitläuftig aus? Ist es denn, ich bitte Sie, der Kniegürtel der Madonna allein, den ich Ihnen anbiete? Gehören denn nicht auch die Freiheiten dazu, mit denen ihn Papst Alexander so großmüthig beschenkt hat? und haben Sie denn wirklich den siebenten Paragraph sei nes Ablaßbriefs so gar wenig verstanden?« – »Auch nicht eine Sylbe davon, mein Herr,« antwortete sie. »Ja, ich, und fremde Sprachen!« – »Wenn es nur daran liegt, Klärchen, so soll es mir keine Mühe kosten, Ihnen den Inhalt in gutes Französisch zu übersetzen – Sie müßten denn lieber warten wollen, bis übermorgen, wo ich ihn in einem Dialekte vorzutragen hoffe, der aller Welt – den sinnlosen Bewohnern des Feuerlandes so gut als der klügsten und artigsten Europäerin – gleich verständlich und angenehm ist.« – Sie stockte – »Werden Sie nur nicht ungehalten, mein Herr!« nahm sie endlich mit einem scheuen und bittenden Blicke das Wort wieder: »aber darf ich wohl in Ihrer eigenen Sache mich auf Ihre Übersetzung verlassen? Denken Sie sich nur an meinen Platz! Ich zittere so leicht vor allem woran ich nicht von Jugend auf gewöhnt bin. Zum Glücke habe ich mich immer in verwickelten Fällen an den Rath meiner Tante und meines Gewissensrathes halten können,die Vater- und Mutter-Stelle bei mir vertreten; und jetzt – in der bedenklichsten Lage meines Lebens vielleicht – soll ich mit treuloser Verwegenheit« – das Wort gab mir einen Stich in's Herz, Eduard, – »mich selbst um ihre Hülfe betrügen? soll hinter dem Rücken so erprobter Freunde – auf das Wort eines Fremden – mit mir schalten und walten, als ob ich ihrer Erfahrung nicht weiter bedürfe? Sagen Sie mir auf Ihr Gewissen, mein Herr, ob dieß redlich, ob dieß erlaubt sei? Habe ich nicht schon,« fragte sie auf das beweglichste, »unrecht, sehr unrecht gethan, daß ich den befeuerten Blicken eines jungen Herrn den ruhigen Ort Preis gab, wo in Canaan und Judäa – wie Sie mir, glaube ich, [98] haben weiß machen wollen ... Ach, mein Herr,« unterbrach sie sich hier selbst mit einem über die Maßen verlängerten Seufzer, »Ihre Nachbarschaft, fürchte ich, ist mir eine nahe Gelegenheit zu sündigen geworden. Heilige Madonna! Ein junger Fremder – heute und übermorgen – allein mit mir in Einem Zimmer? Zweimal in Einer Woche? Je unglaublicher mir alles das würde geschienen haben, wenn es mir jemand hätte wahrsagen sollen, desto mehr muß es jetzt mein Herzklopfen vermehren. Ich möchte so gern, ich wiederhole es Ihnen, mein Herr, die heilige Reliquie gewinnen: aber bei den eilftausend Jungfrauen schwöre ich Ihnen zu, daß ich so wenig weiß, was Sie noch von mir fordern können, als ich weiß, was mir in solchen Umständen meine Religion zu geben erlaubt. Ach, wer soll mir in dieser unaussprechlichen Verlegenheit rathen?«

Weißt Du wohl, Eduard, was mir, während dieses frommen Anfalles der Kleinen, durch den Kopf fuhr? Das will ich Dir aufrichtig sagen! Anfangs nichts weiter, als eine Zeile von Voltaire, die ich Dir zu errathen gebe – nachher die zwo darauf folgenden, die ich Dir hersetze:


C'est un grand bien! mais de toucher un cœur

Est à mon sens un plus cher avantage.


Zuletzt aber gingen meine ausschweifenden Gedanken stufenweise vom Erstaunen zum Mitleid, in den großmüthigen Entschluß über, meine Ohren nicht länger dem Girren dieser Unschuldigen zu verstopfen, und einer so bewährten Heiligkeit – mochte sie mich auch noch so sehr überraschen – – in Zukunft die Ehre zu erzeigen, die sie verdient. Reizender zwar hatte ich das Mädchen noch nicht gesehen, als in diesem rührenden Auftritte. Aber die einfache Beredsamkeit ihres reinen Herzens – welcher Sophist vermag ihr zu widerstehen! – machte einen ungleich stärkern Eindruck auf das meinige, als alle Lockungen ihrer Jugend, und bewirkte eine so gänzliche Umstimmung in mir, daß ich in diesem Augenblicke nicht vermögend gewesen wäre, ihre beseelten Lippen nur um einen Kuß zu betrügen. Wie rührte mich das offene Geständniß ihrer Unwissenheit, das mit dem stillern Beweise so artig übereinstimmte, [99] den ihre bebende Hand, ohne zu ahnden, daß ihr ein menschliches Auge nachschleichen würde, schon bei dem schlafenden Engel abgelegt hatte! Jenes Restchen von Staub, wie viel wog es nicht nach meinen Gedanken, um bei einer künftigen Berechnung weiblicher Unschuld und Tugend der ihrigen den Ausschlag zu geben! Wie dankte ich es dem Zufalle, der mich endlich einmal eine Heilige, in der ächten Bedeutung des Worts, kennen lehrte, da ich mir zuvor von der sonderbaren Zusammensetzung eines solchen Geschöpfs keinen Begriff machen konnte! – Wo hätte ich ihn hernehmen sollen? Ich staunte gerade vor mich hin, und war drauf und dran, dem frommen unbefangenen Kinde das Spielwerk ihrer Seele, nebst der rückständigen Bezahlung edelmüthig zu schenken, und – meine Wege zu gehen.

»Klärchen, gutes frommes Klärchen,« sagte ich, und ergriff und drückte, beinahe mit väterlicher Zärtlichkeit, ihre Hand, »noch ist nichts unter uns vorgegangen, was nicht in allen Religionen der Welt zu vergessen und zu vergeben wäre; darauf können Sie sich verlassen! Ihre übrigen Zweifel aber, liebe Kleine, sind von mehrerem Belange. Wenn ich sie Ihnen nach meinem Gewissen, das Sie aufgefordert haben, nach der strengen Moral, in der ich unterwiesen bin, nach meinem Glauben, nach meiner Ueberzeugung beantworten soll, so muß ich Ihnen unverholen sagen, daß Sie« ... »O!« unterbrach mich hier das in Furcht gejagte Kind, »wie darf ich der Moral und der Ueberzeugung eines Ketzers Gehör geben? Wie darf ich einer andern Glaubenslehre folgen als der meinigen? Nimmermehr, mein Herr, nimmermehr!« – »So hören Sie doch nur, Klärchen,« fiel ich mit ernster Stimme ein: »Die Regeln der Sittenlehre sind« – hätte ich beinahe gelogen – »in allen Religionen und bei allen Völkern der Erde, dieselben;« aber sie ließ mir nicht Zeit dazu. – »Nein,« rief sie mit ängstlichen Geberden, »nein, mein Herr, ich darf Sie nicht anhören.« – Ich ward hitzig. »Auch nicht,« fragte ich mit starker männlicher Stimme, »wenn ich Ihre wankende Tugend befestigen, wenn ich wider meinen Vortheil sprechen – wenn ich Sie vor dem Ablaßbriefe des heiligen Vaters warnen will – auch dann nicht?« – Sie hielt sich, [100] statt mir zu antworten, die Ohren zu. »Nun bei Gott!« murmelte ich vor mir hin, »das ist unerträglich!« stampfte mit dem Fuße und sah ungewiß in die Höhe. »Seit acht Tagen, war ich mir bewußt, hatte ich keinen Gedanken gefaßt, der meinem Herzen mehr Ehre machte; und jetzt trat mir nun das Kind, dasselbst ihn entwickelte, in den Weg, da ich eben daran war ihn auszuführen. Ich dächte doch bei meiner Ehre, die ein und vierzig Dukaten, die ich, mit allem dem was daran hängt, so großmüthig im Stiche lasse, verdienten es schon, daß sie mir zuhörte! – Aber gewiß hat sie mich noch nicht so recht verstanden. – Ich will mich deutlicher machen, und es müßte nicht gut seyn, wenn sie mir nicht noch zu Füßen fallen und mich als ihren Schutzengel verehren sollte, so bald sie mich nur erst kennen lernt. In diesen Gedanken setzte ich mich ungefähr in dieselbe Stellung, als letzthin, wo ich, nicht weit von der Eselspost, der guten Margot warnenden Unterricht über den Amor gab.

Ich ergriff die Hände des sträubenden Mädchens, um sie abzuhalten sie nicht wieder vor die Ohren zu nehmen, faßte das« wilde Kind mit meinen beiden Knieen, daß es mir Stand halten mußte, und wie sie nun so vor mir stand, blickte ich ihr mit der zärtlichsten Aufrichtigkeit in die Augen. – »Liebes Klärchen,« redete ich sie an, »Sie sind jung, schön, und frömmer und unschuldiger, als ich noch je ein Mädchen gekannt habe; aber Sie haben mir nun zu sehr schon Ihre Schwachheit gegen Reliquien verrathen, und da werden Ihnen alle Ihre Tugenden nichts helfen, wenn ich nicht ehrlich mit Ihnen verfahren will. Sie werden der Gewalt, die mir das Zauberband der Maria und Papst Alexander der Sechste über Sie giebt, so tief unterliegen müssen, als es unser Kontrakt verlangt. Aber, bestes Kind,« indem ich mit meinen beiden Knieen sanft die ihrigen drückte, »hören Sie mich nur einen Augenblick mit Aufmerksamkeit an, und Sie werden sehen, daß ich es nicht so böse mit Ihnen meine. Sehen Sie, so schwer es mir auch ankommt, allen den Freuden von übermorgen – allen den Indulgenzen zu entsagen, die ich Ihnen mit dem heiligen Kniegürtel ungetheilt überlasse, so fühle ich doch mit innigster Selbstzufriedenheit, [101] daß ich es vermag. Ich verlange nichts dafür als Ihre Freundschaft; und diese erlaubt Ihnen Ihre Religion – warum sehen Sie Sich so schüchtern um? – auch einem Ketzer zu schenken, wenn er sonst ein ehrlicher Mann ist. Wundern Sie Sich nicht zu sehr über meine Großmuth! Sie ist nicht so uneigennützig als Sie denken. Es liegt ein gewisses stolzes Vergnügen darin, das mir selbst mehr werth ist, als die höchste Befriedigung der Sinnlichkeit. Sie sind wahrlich nicht das erste Mädchen, das ich in seiner wankenden Tugend befestigt – selbst in der kritischsten Lage befestiget habe, wohin ich sie erst selbst gebracht hatte; – und ich habe immer gefunden, daß ihnen diese Lektion dienlicher gewesen ist, als jede andere. Ein unschuldiges weibliches Herz, ich gestehe es Ihnen, ist mir Zeit meines Lebens immer das liebste Spielwerk gewesen; und ich bin gewiß der Freude nicht unwerth, um die ich Sie bitte, mich die geheimsten Falten auch des Ihrigen, jede seiner Empfindungen, und alle die kleinen lieblichen Wendungen seiner liebenswürdigen Unerfahrenheit ohne Zurückhaltung sehen zu lassen – die mir wirklich ungleich mehr Freude machen, liebes Klärchen, als die wundervollsten Reize des Körpers. Gönnen Sie mir, mit einem freundschaftlichen, unumschränkten Zutrauen, diesen süßen Anblick, und ich stehe sogleich von allen Ansprüchen meines Handels ab.« – Du siehst, Eduard, wie weit ich ging, um nur zur Ehre meiner Religion und Moral Recht zu behalten; aber es war nicht möglich. – »Nein, nein, nein,« schrie das einfältige Ding einmal über das andere: »ich darf die Freundschaft eines Ketzers – ich darf seine Geschenke nicht annehmen; und mein Gewissen verbeut mir, auf die Fallstricke seiner Lehren zu achten. Warum, wenn Sie es so ehrlich mit mir meinen, lassen Sie mich nicht Rücksprache bei meinem Gewissensrathe und Glaubensgenossen halten?«

Ich war so vollkommen überzeugt, Eduard, daß in diesen Augenblicken, wo ich es so gut mit dem Mädchen meinte, auch in ihrer Seele kein anderer Gedanke herrschen könne, als die Bewunderung meiner Uneigennützigkeit und Großmuth. Stelle Dir also vor, wie mir zu Muthe ward, als ich mich so häßlich betrogen[102] sah. Du weißt, es geht mir mit dem Propste, wie jenen bezauberten Ohren in einer gewissen Feengeschichte mit dem Worte Trarara. – Ich konnte den Ehrenmann nicht nennen hören, ohne sogleich aus der angenehmsten Ideenverbindung in die bitterste überzuspringen, die man sich denken kann. Meine gespanntesten Empfindungen erschlafften, und meine Treuherzigkeit gegen das Mädchen verwandelte sich in sichtbaren Unmuth. Ich ließ ihre warmen Händchen fahren, und entließ sie so plötzlich aus der Gefangenschaft meiner Kniee, daß sie nicht wußte wie ihr geschah. Sie blickte mir verwundernd unter die Augen. – »Sie sind doch nicht böse?« fragte sie, setzte sich neben mich, und streichelte mir schmeichelnd die Wangen. Nun hat jeder Beweis eines guten Herzens, er mag sich zu erkennen geben wie er will, immer den stärksten Eindruck auf das meinige gemacht, und es brauchte auch jetzt weiter nichts, um mich schnell wieder umzustimmen. So weit, dachte ich, hat sich wohl diese kleine schüchterne Hand, deren Unschuld ich so genau kannte, noch nicht verstiegen. – Das rührte mich ungemein. Ich schwieg zwar, aber ich drückte dieser niedlichen Hand so wiederholte und ausdrucksvolle Zeichen meiner Versöhnung auf, daß die gute Kleine wohl fühlen mußte, daß es mein ganzer Ernst damit war. Mit Einem Worte, Eduard, das Mädchen fing an, mich noch herzlicher zu dauern als vorher. Mein Gott! sagte ich mir, wie magst du dich nur über das liebenswürdige Kind ärgern! Bei seiner Aufrichtigkeit und Unschuld kann es ja beinahe nicht anders sprechen und handeln! nur aber bringt uns das weder einen Zoll rückwärts, noch vorwärts. – Ich hätte ihr, Du weißt es Eduard, so gern alle meine Heiligthümer umsonst überlassen; aber sie will sie ja so wenig zum Geschenke von mir annehmen, als meine Freundschaft. Zu fromm auf der einen Seite, mir den heiligen Kniegürtel, den sie ein mal am Fuße hat, wieder zurück zu geben, kommt ihr doch auf der andern alles wieder zu theuer vor, was sie auf seine völlige Abtretung bieten soll. Die kleine Närrin hat sich da sowohl als mich in eine Verlegenheit gebracht, aus der ich wahrlich nicht einsehe, wie wir uns ziehen wollen. – Alles das ging mir eine lange Weile durch den Kopf. [103] Endlich glaubte ich einen Ausweg wahrzunehmen, und blieb dabei stehen.

»Klärchen,« wendete ich mich jetzt mit nachdenkender Miene an sie, »auf die Art, wie Sie Sich benehmen, kommen wir in alle Ewigkeit nicht aus einander. Ihr Propst, mit allem Respekte für das Amt der Schlüssel, das er trägt, geht mich nichts an. Ihm zu Liebe habe ich wahrlich den Kniegürtel nicht erstanden, und – so viel werden Sie doch begreifen, daß bei unserm Tausche eine dritte Person ganz überflüssig seyn würde. So wohlmeinend ich mich auch gegen Sie erklärt habe, so mögen Sie doch mit meiner Moral und mit meinen Geschenken nichts zu thun haben; und doch möchten Sie gern den Nachlaß der Maria behalten. Ihr unverdientes Mißtrauen schmerzt mich: aber ich will über nichts weiter in Sie dringen; und, da ich Ihre Gewissenszweifel Ihnen nicht zu Danke beantworten kann, und Sie darauf bestehen, erst Rückfrage bei Ihren Glaubensgenossen zu halten, ehe Sie Sich zu etwas entschließen, so mögen Sie es meinetwegen. Ihre Stiftungsbibliothek ist ja in der Nähe; und da sie wahrscheinlich in keiner andern Absicht aufgestellt ist, als um sich in schwierigen Fällen bei ihr Raths zu erholen, so ist kein Zweifel, daß auch Sie ihn da finden werden: wenigstens, so viel ich es beurtheilen kann, besteht diese ganze Sammlung aus Schriftstellern, die ungleich mehr Ruf und Gelehrsamkeit vereinigen, als selbst Ihr Propst. Sind Sie dießmal mit meinem Vorschlage zufrieden, Klärchen? Soll ich Sie dahin führen?« – »Sehr, sehr gern,« antwortete sie mit auffallender Freude, und ihr Gesichtchen klärte sich nun wieder auf wie ein Maitag. – »Und wollen Sie sich,« fuhr ich fort, »den Aussprüchen dieser gelehrten Männer ohne die geringste Weigerung unterwerfen?« – »Ja doch, ja mein Herr,« erklärte sie sich voller Ungeduld, »das will ich! Hier haben Sie im Voraus meine Hand darauf.« – »Nun gut,« erwiederte ich ziemlich gesetzt, »so ist es mir lieb, daß ich hier eine schöne Gelegenheit finde, Sie über Ihr voriges unbilliges Mißtrauen ein wenig zu beschämen. Ich will mich nicht hinter meinem Glauben verstecken wie Sie. Die Schiedsrichter, die Sie Sich wählen werden, sollen auch die meinigen [104] seyn. Mögen Sie mir auch alles aus den Händen spielen, worauf mir Papst Alexander ein Recht gab; war ich doch selbst auf dem Wege Verzicht darauf zu thun, wenn Sie mich hätten gehn lassen, liebes furchtsames Klärchen. Doch das ist vorbei! Ich erzeige deßhalb Ihren Bedenklichkeiten noch dieselbe Ehre als vorher. Sie sind wahrlich von der größten Wichtigkeit, und es wird mir immer eine Freude machen, daß ein so junges liebenswürdiges Mädchen aus eigenem Instinkt darauf gefallen ist. – Das sage ich Ihnen offenherzig; ob ich gleich mit einiger Wehmuth voraus sehe, daß, so lange solche in ihrer Kraft bestehen, wir nimmermehr bis an die lieblichen Indulgenzen des Papstes gelangen können. Doch das ist jetzt mehr Ihre Sache als die meinige, da ich Ihnen ganz überlasse, Sich den heiligen Kniegürtel eigen zu machen, auf welche Art Sie und Ihre Rathgeber für gut finden. – Kann man sich wohl billiger erklären?« – »Nein, gewiß nicht,« antwortete Klärchen: »Ich bin auch recht gerührt von Ihrer Güte; aber seyn Sie versichert, daß ich auf meiner Seite alles thun werde, was ich mit gutem Gewissen thun kann. Denn ich bin weit entfernt, Sie um eine Kostbarkeit betrügen zu wollen, deren Werth niemand mehr schätzen kann als ich.« – »Aber möchten wir nicht,« unterbrach ich sie, indem ich ihr meinen Arm reichte, »noch einmal, unterweges, die Schwierigkeiten überzählen, über die Sie eigentlich Auskunft nöthig haben? In einer großen Bibliothek ist das beinahe nothwendig; denn sonst kann man sich darin verlieren, um nicht wieder heraus zu kommen. So viel ich mich erinnere, sind Sie erstlich wegen des schönen, mir unvergeßlichen Anblicks unruhig, den Sie mir bei der Auswechselung der Bänder doch zu vergönnen genöthigt waren, wenn ich Ihnen den heiligen Kniegürtel, auf seine gehörige Stelle, umbinden sollte; – nicht wahr, meine Beste?« – »Ja mein Herr,« antwortete sie, »freilich, liegt mir das recht schwer auf dem Herzen.« – »Und Sie haben sehr Recht,« versetzte ich, »daß Sie Sich darüber in Zeiten zu verständigen suchen; denn wie wollen wir übermorgen sonst fertig werden? Und nun,« fuhr ich fort, »was war denn Ihre zweite und dritte Frage, die mir nicht eben so gut mehr erinnerlich [105] sind?« – »Aber mir desto mehr,« antwortete sie. »Sehen Sie das eine ist die Angst, die ich habe, ob ich mich nicht mit Ihnen in der nahen Gelegenheit zu sündigen befinde: denn davor, kann ich Ihnen sagen, hat mich mein Katechismus vor allen andern gewarnt, und es ist mir also nicht zu verdenken, daß ich darüber genaue Erkundigung einziehe.« – »Nicht mehr als billig,« versetzte ich: »es soll mir selbst lieb seyn, wenn ich es erfahre.« – »Und endlich,« fuhr sie fort, »martert mich die grausame Ungewißheit, ob ich mich, so ohne Vorwissen der Meinigen, mit einem Fremden in einen Handel einlassen darf, den ich nicht verstehe? Sie sehen selbst, mein lieber Herr, daß, so gern ich auch wollte, ich doch unmöglich mit ruhigem Herzen einschlagen kann, so lange ich nicht über diese drei Hauptpunkte mit mir selbst einig und eines Bessern belehrt bin.« – »Das ist sehr begreiflich,« antwortete ich: »Aber, wie gesagt, deßwegen hätten Sie nicht gebraucht, erst in eine Bibliothek zu gehen – Ich würde eben so gut im Stande gewesen seyn, Ihnen hierüber Auskunft zu geben, wenn Sie, kleine Mißtrauische, mir nicht Ihre Ohren verstopft hätten.«

Unter diesen lehrreichen Gesprächen waren wir unvermerkt bis vor die Thür meiner Klause gekommen, die jetzt das gute Kind voller Frohsinn öffnete, und mit mir eintrat. Wir kamen glücklich dem Rousseau und Amor vorbei, ließen mein Bette linker Hand liegen, und traten nun beide sehr neugierig vor unsern Gerichtsstand. Zum Glücke waren von den Hauptquellen, außer den Originalen, auch gute Übersetzungen da, die es Klärchen leicht machten, in der Geschwindigkeit eine Kommitee aus ihnen zu errichten, gegen die auch nicht die geringste Einwendung Statt fand. Sie setzte sie aus dreien der erfahrensten Männer zusammen, denen man schon Verstand, Gelehrsamkeit und kollegialische Eintracht zutrauen mußte, sobald man sie in ihrer altväterischen Tracht ansteigen sah. Ich ließ ihr mit Vorbedacht die Ehre der Wahl allein. Denn so angenehm es auch ist, wie ich wohl weiß, wenn ein Klient auf die Besetzung des Tribunals, das ihn richten soll, einigen Einfluß hat; so mußte es doch auf der andern Seite, an der mir jetzt ehrenhalber noch mehr gelegen war, kein geringes[106] Vorurtheil von der Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen und der Güte meiner Sache bei dem lieben Mädchen erwecken, wenn sie mich selbst da ruhig sah, wo jeder zu zittern Ursache hat, er mag seines Rechtes auch noch so gewiß seyn. Ohne die entfernteste Theilnahme also an der Ernennung dieser Herren, begnügte ich mich bloß mit der subalternen Rolle, nach dem Range, den ihnen Klärchen anwies, ihnen die Stühle zu rücken und sie von ihrem Schulstaube zu reinigen. Der erste, dem ich diesen Dienst zu erzeigen hatte, hieß Escobar. Der Mann hatte ganz das Ansehen eines Vorsitzenden. Der andere, beinahe noch verschrumpfter und schmutziger, war der ehrwürdige Pater Lessau. Der dritte aber, an der Spitze einerSomme de pechés, nannte sich Pater Bauny, und war von einem ziemlich manierlichen Ansehn. Auch fiel sein Korduanband mit goldenem Schnitte Klärchen am meisten in die Augen; denn sie setzte sich mit ihm, sobald er abgestäubt war, mir gegen über auf einen Stuhl.

»Kannten Sie diese gelehrten Männer schon vorher?« fragte ich, indem wir beide ihre Schriften vorläufig überblätterten. – »Es ist zwar,« antwortete sie, »das erstemal, daß ich mit ihnen zu thun habe; aber übrigens sind sie mir schon längst als die ersten Stützen unserer geheiligten Religion bekannt; der Herr Propst führt ihre Namen immer im Munde, und beruft sich in streitigen Fällen meistens auf sie.« – »Nun das ist ja recht gut,« versetzte ich: »da haben Sie doch endlich Ihren Willen, und können Sich so gut über Ihre Zweifel belehren, als wenn Sie Ihren Gewissensrath selbst sprächen!« – »Das denke ich auch,« antwortete Klärchen kurz abgebrochen, weil sie sich eben mit einer Stelle beschäftigte, auf die sie sehr nachdenkende Augen heftete. – »Haben Sie etwas Sachdienliches gefunden, liebes Kind?« fragte ich neugierig, indem ich selbst in meinem Buche auf eine ihrer Bedenklichkeiten stieß, die ich einstweilen zeichnete. – »Ich habe wohl so etwas,« dehnte sie, »über die nahe Gelegenheit – aber« ... »Nun das trifft sich recht gut,« rief ich dazwischen: »auch ich habe darüber eine Erläuterung in dem Escobar gefunden, die mir ganz neu ist.« – »Nur ärgert es mich,« fuhr sie in ihrer Rede fort, »daß mir eben [107] da, wo ich am liebsten fortlesen möchte, eine dumme lateinische Zeile in die Quere kommt.« – »Wollen Sie mir wohl Ihren Fund mittheilen, Klärchen?« – »On doit,« las sie laut und ohne Anstoß, »absoudre une femme, qui a chez elle un homme avec qui elle peche souvent, si non po« – – – »Geben Sie nur her, Kind,« unterbrach ich ihr Stottern, »ich will sehen was es ist.« – »Sie reichte mir das Buch, und nun las ich mit ziemlicher Verlegenheit, und war froh, daß sie kein Latein verstand: si non potest ejicere aut habet aliquam causam retinendi. – Sie haben wohl Recht, Klärchen, es ist eine dumme Zeile.« – »Nun, mein Herr,« sah sie mir fragend in das Gesicht, »unter was für einer Bedingung gilt das Souvent?« – »O!« antwortete ich, »hier ist eine vorausgesetzt, die auf uns gar nicht paßt – Urtheilen Sie selbst: Si non potest und so weiter – das heißt: Wenn sie den Herrn nicht zur Stube hinaus werfen kann, oder sonst eine Ursache hat, ihn bei sich zu behalten.« – »Da ist ja gar kein Verstand darin,« sagte Klärchen. – »Beinahe,« antwortete ich: »aber nehmen Sie deßwegen das Buch nur wieder! Einige Seiten weiter werden Sie die Frage schon deutlicher aus einander gesetzt finden, wenn Escobar, wie wir bald sehen wollen, richtig citiert hat. Horchen Sie recht auf: On n'appelle pas occasion prochaine celle, où l'on ne peche que rarement, comme de pecher par un transport soudain avec celle ou celui, avec qui on demeure trois ou quatre fois par an, ou selon Bauny pag. 1802. Schlagen Sie doch einmal nach, Klärchen! une ou deux fois par semaine« – »Die Pagina trifft zu,« sagte Klärchen, und reichte mir zugleich das Buch wieder hin. Ich hielt es neben das meinige, verglich die Parallelstellen, und freute mich laut über das freundschaftliche Einverständnis zweier so berühmter Schriftsteller in einer so wichtigen Sache. – »Ist das nicht,« wendete ich mich an das Mädchen, »so ganz unser Fall, liebe Kleine? als wenn ihn die Herren hundert Jahre voraus gesehen, und Ihnen die eigenen Worte Ihres Gewissenszweifels aus dem Munde genommen hätten? Die süße Beruhigung abgerechnet,« fuhr ich fort, »die Ihnen diese Beweisstelle verschafft, so freue ich mich auch besonders über den kurzen und deutlichen Begriff, den [108] sie mir nebenbei über mein Näherrecht giebt.« – »Ueber Ihr Näherrecht?« fragte Klärchen. – »Jawohl,« antwortete ich: »das liegt ganz in den Worten, avec qui on demeure – une ou deux fois par semaine. Und ohne eins in das andere zu reden, meine schöne Nachbarin, will ich mir doch, da es eben die Gelegenheit giebt, Ihren guten Rath in Ansehung meines Quartiers erbitten, das mir immer je länger je besser gefällt. Sie wissen, ich habe es nur auf einen Monat gemiethet; was meinen Sie, würde mir es Ihre gute Tante nicht eben so gern auf ein Jahr zusagen, wenn ich es voraus bezahlte?« – »Das kann ich Ihnen in der That nicht mit Gewißheit sagen,« antwortete mir Klärchen mit einer solchen liebenswürdigen Unbefangenheit, daß ich sie gern dafür hätte küssen mögen. – »Aber ich sollte beinahe nicht daran zweifeln.« – »Nun gut,« sagte ich, indem ich den beschwerlichen Escobar neben mich legte: »so will ich mich nächstens mit ihr darüber besprechen;« und fuhr nun fort mich mit dem ehrlichen Pater Bauny, den ich noch in der andern Hand hatte, weiter zu unterhalten. – Ich that sehr wohl daran, und Escobar kann es mir wahrlich nicht übel nehmen; denn ich hatte noch gar nicht lange in der Somme de pechés seines Kollegen gestört, so fand ich unvermuthet eine der größten Bedenklichkeiten meiner kleinen Unschuldigen so deutlich entwickelt, und so gründlich beantwortet, daß es das unerfahrenste Kind verstehen konnte. – »O, treten Sie einen Augenblick näher, liebe Kleine,« rief ich ihr zu. »Fragten Sie mich nicht vorhin auf mein Gewissen, ob es recht – ob es erlaubt sei, ohne Vorbewußt Ihrer guten Tante und Ihres Seelsorgers, über das schönste Eigenthum, das Sie besitzen, über Ihre Person, nach Belieben zu schalten und zu walten? Ich läugne nicht, mein gutes Klärchen, und Sie müssen mir es angesehen haben, daß mich Ihre Frage nicht wenig stutzig machte. Wie lieb ist es mir, daß Sie mich gar nicht dazu kommen ließen darauf zu antworten! denn gründlicher hätte ich es unmöglich thun können, als der rechtschaffene Pater Bauny, dessen Ausspruch auch in dieser Sache alles enthält, was darüber zu sagen ist. Hören Sie nur: Lorsqu'une fille qui est en la puissance de son père et de sa mère se laisse ... [109] Werden Sie doch nicht gleich über alles roth, närrisches Kind! Das folgende Wort ist freilich nicht eben manierlich; aber Sie haben Sich gewiß noch ein ärgeres gedacht:se laisse corrompre, ni elle, ni celui, à qui elle se prostitue ... Ich gebe zwar gern zu, liebes Klärchen, daß ein Dichter wie Bernard zum Beispiel, dieselbe Sache ungleich reizender vorzustellen gewußt hätte – Inzwischen kommt es darauf nicht an, und ein Arzt der Seele, wie des Körpers, ist schuldig bestimmt zu reden, sobald er in solchen Dingen um Rath gefragt wird ... Aber wo bin ich denn stehen geblieben?« – »Bei prostitue,« sagte Klärchen. – Ich fuhr also fort: »ne font aucun tort au père ni à la mere« – »Viel weniger also denen, die ihre Stelle vertreten. – Sie verstehen doch das, liebes Kind?« – »O, ja,« antwortete sie, »es ist ja deutlich genug.« – »et ne violent point,« las ich weiter, »la justice à leur égard parcequ'elle – sehr richtig – est en possession de sa virginité – und da dieser Grund, nach der Natur der Sache, mehr als Einmal nicht anwendbar ist, so ist das darauf folgende – aussi bien que de son corps nichts weniger als überflüssig, dont elle peut, faire ce que bon lui semble, à l'exclusion – was dächten Sie, Klärchen? de la mort, ou ... lieber Pater Bauny! wie in aller Welt kommen Sie darauf? – du retranchement de ses membres. – Da bewahre uns Gott vor!« sagte ich ganz erschrocken: »Da müßte es doch wohl sehr arg hergehen, wenn das einem von uns beifallen sollte.« »Lesen Sie mir doch diese wichtige Stelle noch einmal vor,« sagte Klärchen, indem sie mit dem Finger auf das Buch tippte: »aber nur den reinen Text ohne Anmerkungen.« – »So oft Sie wollen, meine Beste,« antwortete ich, »und so rein als er da steht,« faßte zugleich beim Lesen ihre Hand, als ob ich ihr die Empfindung mittheilen wollte, die, wie ein elektrisches Feuer, aus dieser lehrreichen Schriftstelle auf mich überströmte, fühlte auch wirklich bei dem Worte virginité ein gemeinschaftliches Zucken, das einer Kommotion nicht unähnlich war.

Klärchen nahm mir das Buch aus der Hand, sobald wir zum zweitenmale über die Auflösung dieses wichtigen Zweifelpunktes glücklich hinaus waren, setzte sich mit dem ehrwürdigen Pater in [110] eine Ecke, und schien sich noch einige Seiten weiter mit ihm zu unterhalten, die hoffentlich die Sache nicht verdorben haben. In der Zwischenzeit ruhte ich ein wenig von meiner Vorlesung aus, saß stillschweigend und nachdenkend gerade ihr gegenüber, und wußte mich gar nicht recht in die anscheinende Heiterkeit und Seelenruhe dieses sonderbaren Mädchens zu finden, das mir je länger je unerklärbarer ward. Hätte man nicht von der liebenswürdigen Unwissenheit, die sie mit in die Bibliothek brachte, nach allen Regeln der Metaphysik erwarten sollen, daß der Zufluß der vielen neuen Begriffe, den sie schon in den wenigen Zeilen erhielt, die ich vorlas, sie für alles weitere Nachschlagen bange machen, ihr die Adern auftreiben, und den Kopf sprengen würden? War es nicht höchst wahrscheinlich, daß eine so bewährte Heiligkeit als die ihrige, über die zwar sehr zweckmäßigen, aber doch ganz ungewählten Ausdrücke des vorigen rauhen Jahrhunderts sich entsetzen – daß ihr verschämtes Blut sich empören, und das liebe Kind endlich in die Verlegenheit kommen würde, weder mir, noch ihren Schiedsrichtern frei unter die Augen zu sehen? Konnte ich nicht mit einigem Grunde fürchten, oder hoffen, wie Du willst, daß sie sich weit eher unter einem Strome von Thränen von ihrem voreilig eingegangenen Kompromisse losarbeiten, als sich entschließen würde, ein Wort zu halten, das sie gewiß unter ganz andern Erwartungen von sich gab? Wie ging es nun zu, daß, dieser Wahrscheinlichkeiten ungeachtet, von allem dem nichts geschah? Ich bitte Dich, Eduard, wie ging das zu? Siehe! kennte ich das Mädchen nur seit unserer gemeinschaftlichen gelehrten Arbeit; wahrlich! ich würde ihr eher zutrauen, sie habe die Engel zu Dutzenden, und selbst da geputzt und gewaschen, wo sie am schmutzigsten sind, als daß ich an jenes erste Schrecken ihrer Hand glauben möchte, wovon doch die deutlichsten Spuren noch immer unter meinem Spiegel zu sehen sind. Es ist nicht anders möglich, sie muß alle die gefährlichen Stellen hören und lesen, ohne, aus unbegreiflicher Unschuld, den Sinn der Worte zu verstehen. – Wie Henker soll ich ihr aber den beibringen?

Nach dieser stillen Unterredung mit mir selbst, rief ich in [111] kollegialischer Ordnung den einzigen Beisitzer unsres Gerichts auf, den wir noch nicht gehört hatten – den Pater Lessau, schmutzigen und moderigen Ansehens. Wenn der Schein überhaupt trügt, so thut er es vorzüglich bei einem geistlichen Tribunale: dieser unansehnliche Mann, wie das nicht selten geschieht, verschloß einen ungeheuern Vorrath von Gelehrsamkeit und Erfahrung. Freilich brauchte ich dermalen nur einen sehr kleinen Theil davon, nur so viel als eben nöthig war, um die einzige noch übrige Gewissensfrage des frommen Kindes zu beantworten; die zwar, nachdem wir über die zwei vorhergegangenen belehrt und einig waren, bei einem gewöhnlichen Mädchen kaum einer besondern Antwort würde bedurft haben – mit einem so ängstlichen Geschöpfe aber als Klärchen, geht es nicht so geschwind – Eins mag noch so nothwendig aus dem andern fließen, sie weist sicher jede einzelne Forderung zurück, die man nicht sogleich mit einer förmlichen Anweisung belegen kann. Die Schrift, in der ich sie suchte, hatte, bei dem Reichthum ihres Inhalts, zum Glück auch noch ein gutes Register, ohne das ich schwerlich so geschwind die benöthigte Stelle würde gefunden haben. Sie war ganz so wie ich sie brauchte, und führte beinahe noch näher zum Zweck, als die beiden vorher gegangenen. Ich hätte zugleich – in Ermangelung der Aloisia Sigea – keine auftreiben können, die geschickter gewesen wäre, mich über den Rest von Ungewißheit, in die ich noch manchmal in Ansehung der Unschuld des räthselhaften Kindes gerieth, so wie über die Bedingungen unsers Handels, endlich einmal mit mir selber einig zu machen. Wenn sie, sagte ich heimlich zu mir, dabei höchstens nur roth werden sollte, ohne mir zugleich das Buch an den Kopf zu werfen und davon zu laufen, so habe ich übermorgen gewonnenes Spiel. Ich packe dann meine Großmuth ruhig wieder ein, ohne daß ich noch länger vergebens auf die Gelegenheit warte sie anzuwenden; und ich will nicht ehrlich seyn, wenn ich sie eher wieder an das Tageslicht bringe, als bis ich den Schimpf, den das Mädchen meiner Moral angethan hat, und den ich immer noch nicht verschmerzen kann, zur Genüge gerächt, und zugleich die große metaphysische Frage entschieden habe, die ich Dir beim ersten Anfange[112] meiner Bekanntschaft mit Klärchen nicht so aus bloßem Leichtsinne aufstellte, als es Dir vielleicht vorkam, und deren Auflösung immer ein hübscher Gewinn für die Philosophie des Lebens seyn wird – die Frage nehmlich: welche Tugend sicherer, erhabener und schmackhafter sei, die eines weiblichen Wildfanges, wie ich heute vor acht Tagen einen unter den Händen hatte, oder die einer Heiligen?

Indem sah ich Klärchen ihr Buch bei Seite legen, als wenn sie genug daran hätte, und aufstehen. Ich glaubte, es wäre nun Zeit das unterbrochne Gespräch wieder in Gang zu bringen. – »Hatten Sie,« fragte ich, »nicht noch etwas auf dem Herzen, worüber wir nachschlagen wollten?« – »Daß ich nicht wüßte,« antwortete sie voller Zerstreuung, trat vor den Schrank, zog ein anderes Buch heraus, das noch darzu ein Quartant war, den sie alle Mühe hatte bis in ihre Ecke zu schleppen. Nun ist mir, ich weiß nicht warum? jedes schwerfällige Buch in der Hand eines Weibes ganz unerträglich. Kommt es daher, daß es mir zu anmaßlich aussieht, oder weil ich glaube, daß ein mäßiger Oktavband – ein Almanach, alles enthalten kann, was ihnen an Gelehrsamkeit nöthig ist? Bei Klärchen verdroß es mich vollends, daß sie so ohne Beihülfe meines lebendigen Unterrichts, ihre Studien fortsetzte, und darüber sogar ihre dritte Gewissensfrage aus den Augen verlor, für die ich eine so schöne Antwort gefunden hatte. Sie heftete ihre Blicke mit solcher Begierde auf das Blatt, das sie aufschlug, daß ich nach dem Namen dieses glücklichen Autors äußerst verlangend war. – »Sie haben vergessen,« rief ich ihr zu, »daß Sie nicht hierher gekommen sind, um das ganze System der Moral durchzuarbeiten.« – Da sie mir nicht antwortete, stand ich auf um mich ihr zu nähern; sie streckte mir aber ihre Hand entgegen um mich abzuwehren, und verbarg das Buch. Ich unterdrückte meine Neugierde so weit, daß ich mich stillschweigend wieder zurück zog, und nur das Fach und die Lücke bemerkte, aus der sie ihren Quartanten genommen hatte. Mit Hülfe des guten Fernglases, das ich, seit mir die Thurmspitze von Caverac aus dem Gesichtskreise schwand, nicht ein einzigesmal wieder gebraucht hatte, entdeckte [113] ich, in welcher Gegend des Werks die Stelle ungefähr stehen mußte, die so mächtig ihre Aufmerksamkeit anzog; und da ich vollends sah, daß, beim Umwenden des Blatts, ein wenig Puder aus ihren Haaren dazwischen fiel, so war ich nicht weiter verlegen, noch vor Abends ihrer Wißbegierde auf die Spur zu kommen, und erwartete ruhig, bis sie fertig, und das dicke Buch wieder an seinen alten Platz gestellt war.

»Sie haben Ihre schönen Augen recht angestrengt, liebes Kind,« redete ich ihr freundlich entgegen: »Darf ich denn nicht wissen, über welchen neuen Gewissenszweifel Sie Sich unterrichtet haben?«- »O, mein Herr,« antwortete sie, »was ich eben las, betraf eine alte Geschichte, die mir vor etlichen Jahren, nur mit andern Umständen, erzählt wurde. Es ist manchmal gut, sich mit eigenen Augen zu überzeugen.« – »Da haben Sie wohl Recht, Klärchen,« erwiederte ich ernsthaft: »und es ist mir lieb, daß ich Ihnen eben eine Gelegenheit verschaffen kann, diese Vorsichtsregel sogleich wieder anzuwenden, um in Uebung zu bleiben. Unser Pater Lessau hat sich hier recht deutlich über den Fall erklärt, der Ihnen heute nach der Auswechselung unserer Bänder beinahe mehr Herzklopfen verursachte als vorher. Sie hätten Sich's ganz ersparen können, wie Sie gleich hören sollen.« – Ich rückte ihren Stuhl neben den meinigen, hielt ihr das Buch nahe vor, und schlug meinen andern Arm so vertraut um ihren schönen Hals, wie ein Bruder, der mit seiner Schwester eine Idylle von Geßner liest. – »Les femmes,« las ich mit langsamer gedrängter Stimme, damit ihr kein Wort verloren ginge, »ne pechent pas, quand elles s'exposent à la vue de jeunes gens, encore qu'elles sachent, bien qu'ils les regarderont avec des yeux impudiques.« – Ich sah hier dem Mädchen mit einem Blicke in's Auge, wie ihn nur Pater Lessau verlangen konnte, und las weiter: »Si elles le font par nécessité ou utilité – Nécessité,« wiederholte ich, »diese liegt nur zu klar in dem siebenten Paragraph der päpstlichen Bulle und in unserm Kontrakte; und die utilité kann bei der heiligsten aller Reliquien wohl keine Frage seyn.« – Klärchen hob ihre Augen gen Himmel, und ich fuhr fort: »Elles ne pechent pas, quand elles se servent d'habits si deliés, qu'on [114] voit leur sein, ou quand même elles se decouvrent entiérement, si elles le font selon la coutûme du païs.« – Ich sah dem schönen, und, was mir noch lieber war – dem erröthenden Mädchen in das Gesicht, wie ich ihr diese Erlaubniß vorlas, in der Erwartung, sie würde wenigstens von so einer Landessitte, als der Autor voraussetzte, nichts wissen wollen; sie war aber zu ehrlich dazu, und schwieg. Auch ich schwieg; und doch schienen wir beide keine lange Weile zu haben. Nachdem meine Augen lange genug auf den ihrigen geruht hatten, fragte ich mit einem unterdrückten Seufzer: »Nun Klärchen – sind Sie endlich einmal über die Freude beruhigt, die Sie meinen Blicken gegönnt haben? und fürchten Sie Sich noch immer vor übermorgen?« – Sie schien in ihrem stillen Nachdenken so verloren, daß ich, um sie zurück zu bringen, meinen wurmstichigen Autor zu seinen Kollegen warf, ihre frischen Händchen dafür an meine Lippen hob, und jeden ihrer Pulsschläge mit einem Kusse beantwortete.

Nichts ist Wohl in der ganzen Natur der Sophisterei beförderlicher als dieses kleine Spiel. Es war nicht das erstemal, daß ich es bemerkte. Ich ging gewiß hier wieder einen falschen Weg. Die Kleine, dachte ich, ist nur erröthet – Sie hat dir nicht das Buch an den Kopf geworfen, also – schloß ich – wird es nicht einmal nöthig seyn, bis übermorgen zu warten. – »Klärchen!« fing ich zitternd an und stockte. – »Was beliebt Ihnen?« fragte sie. – – »Werden nicht,« fuhr' ich fort, »hier zu Lande die Namenstage manchmal, nach Zeit und Umständen, einige Tage voraus gefeiert?« – »Niemals,« antwortete sie kurz, und übersah mich mit so großen Augen, als ob ich nicht klug wäre. – »Bei uns,« setzte ich seufzend hinzu, »geschieht das sehr häufig am Hofe und in der Stadt, selon la coutûme du païs; auch kürzt man in manchen Fällen die Bedenkzeit und die Zahlungsfristen ab – par nécessité ou utilité!« – »Das ist sonderbar!« antwortete das einfältige Ding. »Sie haben also wohl in Ihrem Lande lauter bewegliche Feste?« – Ich weiß nicht mehr, was ich ihr darauf antwortete – ich verlor ganz meine Besinnungskraft, schwatzte nun ins Gelag hinein, und traf mich unvermuthet an, daß ich ihr von dem Löwen [115] in dem Wiener Zwinger erzählte, der einem Mädchen, das er liebte, die Hand so lange leckte, bis Blut kam, darüber in Wuth gerieth, sie in Stücken zerriß, und sich darauf bei ihrem Leichnam hinlegte – und starb. Wie ich auf diese rührende Geschichte gekommen seyn mag, ist unbegreiflich. Aber Klärchen schien angst zu werden. – Sie zog mir ihre Hände vom Munde hinweg, und mit der Frage: »Wollen Sie mich nicht wieder in mein Zimmer führen?« schlang sie mir die eine um den Arm, und nöthigte mich aufzustehen. Wahrlich es war hohe Zeit, und ich war froh als ich aus der Atmosphäre der Kasuisten in eine andere Luft kam.

Klärchen schien mir, als ich sie zu ihrem Sopha glücklich zurück brachte, noch um vieles schöner, ungezwungener und verträglicher von ihrer gelehrten Reise zurück zu kommen, als sie es vorher war. Ich schloß sogar aus einem sprechenden Blicke, den sie auf den Ablaßbrief warf, daß ich es jetzt wohl eher wagen durfte, ihr eine wörtliche Übersetzung des siebenten Paragraphs anzubieten, ohne abgewiesen zu werden; und ich betrog mich nicht. Sonderbar genug, daß ihr zärtliches Ohr erst ein wenig durch die Beredsamkeit der Kasuisten abgehärtet werden mußte, um nicht vor der Hirtenstimme des heiligen Vaters zu erschrecken! Sie horchte jetzt desto geduldiger darauf, und ließ mich das et in integrum restituimus zweimal wiederholen, so schön kam es ihr vor.

Mein Läsions-Prozeß, sah ich nun wohl, war so gut wie gewonnen. Klärchen hatte es kein Hehl, daß sie den Kniegürtel der Jungfrau schon als ein Stück ihrer Toilette betrachtete; und dieser Gedanke streute so viel Grazie über alles, was sie sprach und that, daß ich nicht genug die Wirkung bewundern konnte, die der Glaube an Reliquien, und das Bewußtseyn ihres Besitzes, nicht allein auf die innere Zufriedenheit, sondern sogar, wie das Wohlbehagen eines guten Gewissens, in dem Umgange des gemeinen Lebens hervorbringt. – Wodurch gewann wohl Klärchen diesen sichtbaren Zufluß von Begeisterung in ihren Augen, diesen Ton der guten Gesellschaft, den ich gestern auf der Treppe wenig an ihr bemerkte? wodurch dieses feine Gemisch von großer Welt und Ruhe der Seele, die so selten bei einander gefunden werden, als [116] – ich schäme mich fast es zu sagen – durch den alten verblichenen Fetzen, den ich ihr um das Bein band? Und doch sind wir andern so übereilt, diese mystischen Geschenke der katholischen Religion als armselige Kleinigkeiten zu verschreien! Wo haben wir denn in der unsern etwas, das diesen Abgang von Hülfsmitteln zu einer frohen Existenz ersetzte? Wenn König August aus unserer Nachbarschaft, und so manche andere Fürsten des deutschen Reichs, den sterilen Glauben ihrer Vorfahren gegen das beruhigende System des römischen Stuhls vertauschen und auf ihre Kinder vererben, wer kann es ihnen mit Grunde verargen? – Und wie philosophisch richtig handelte nicht selbst Karl der Zweite in dieser Rücksicht, als er in der Wahl, entweder sein Reliquair oder seine drei Kronen wegzuwerfen, ohne Bedenken sich zu dem letztern entschloß?

Meine Sehnsucht, einer Kirche in den Schooß zu kommen, die uns so angenehm einwiegt, die durch ein geweihtes Todtenbein – durch eine Scherbe aus der Haushaltung eines Erzvaters, und durch andere dergleichen Raritäten uns in dem Frieden mit uns weiter bringt, als die Weisheit eines Garve, wuchs nun desto schneller, je mehr ich unter Klärchens funkelnden Augen meinen tiefsinnigen Betrachtungen nachhing; und war gleich meine verwöhnte Vernunft, wie ich manchmal zu fühlen glaubte, noch immer nicht so ganz mit meinem Herzen einverstanden, als ich wohl gewünscht hätte, so ist dieses doch ein gewöhnlicher Fall bei Neophyten, und so soll doch, hoffe ich, auch dieses bängliche Gefühl übermorgen durch ein ungleich mächtigeres verjagt werden.

So schön alle diese Erwartungen waren, die ich aus dem Zauberzirkel der kleinen Heiligen mit mir nahm, sobald die knarrende Hausthür mir die Zurückkunft der Tante verrieth; so fand ich doch, wie ich wieder in mein einsames Zimmer trat, daß bloße Hoffnung nicht genug beschäftigt. Die meinige setzte eine Geduld von zwei Tagen voraus, und diese hatte in meiner gegenwärtigen Lage ihre große Unbequemlichkeit. Ich sah mich bald nach einer lindernden Zerstreuung um; und wo hätte ich die gewisser finden können, als in der kleinen auserwählten Büchersammlung meines Kabinetts, die mir heute und gestern schon so merkwürdige Dienste geleistet hatte? [117] Kein Buch schien mir jedoch für's erste der Mühe mehr werth es zu suchen, als das, mit dem sich vorhin Klärchen so vorzüglich beschäftigte. Ich zog es heraus. Was fand ich? Die Legendensammlung des Pater Martin von Cochim. – So? sagte ich, bist du auch hier, guter Freund? Aber was für eine Intrigue hast du mit der Kleinen? – Ich blätterte so lange, bis ich – es war in dem Leben ihrer Namensschwester – das Blatt fand, bei welchem sie ihren Puder verloren hatte. – Wie? sagte ich, und rieb mir die Augen: die berühmte Erzählung ist es von den drei Blasensteinen? Wer in aller Welt kann ihr diese Geschichte mit andern Umständen erzählt haben, als hier stehen? Und was kann für sie so wichtiges daraus entstanden seyn, daß sie, um der Berichtigung dieses Wunders willen, beinahe ihr Kompromiß vergaß? Warum versteckte sie diese Stelle vor mir, da sie ohne die geringste Verlegenheit ganz andere mit mir gelesen hat? Ich sann der Sache so ernstlich nach, als ob sie noch so wichtig für mich wäre, und brachte doch am Ende nichts weniger als eine befriedigende Vermuthung heraus. Ich gab also mein Nachgrübeln auf, setzte den Schächer wieder in sein Glied, und durchirrte nun die übrige Besatzung.

Die Wahl unter Büchern ist immer schwer, und Kenntnisse, die man auf diesem Wege erlangt, sind, mit Erlaubniß unserer stolzen Gelehrten, nicht weniger Geschenke des blinden Zufalls, als so viele andere Erwerbnisse menschlicher Thätigkeit. Dir, Eduard, habe ich nicht nöthig, so etwas zu beweisen, sonst sollte es mir wahrlich nicht schwer werden. Ich stand lange unentschlossen und ganz mit dem Eigensinne eines längst abgestumpften Gaumens vor dem Schranke, blies von verschiedenen dickleibigen Bänden den Staub ab, blätterte einige Augenblicke darin, und setzte sie – und ach! mit ihnen vielleicht eine wahrhaft stärkende Geistesnahrung, nach der ich lange umsonst strebe, unbenutzt wieder an ihren Ort, in der sehr mißlichen Hoffnung, für meine leckere Wißbegierde wohl etwas schmackhafteres noch aufzugabeln. Beinahe glaube ich, daß es mir nicht besser hätte gelingen können. Wenigstens stieß ich auf ein Werkchen, das mir über alle meine Erwartung Genüge [118] that. Es entfernte mich – doch nicht zu weit – von dem Gegenstande meiner Wünsche, und bereicherte meine Einbildungskraft mit neuen Bildern, deren freie Zeichnung und kräftiges Kolorit wohl noch eine gränzenlosere Einsamkeit, als die meine war, hätte beschäftigen können. Kein Buch in der Welt konnte, glaube ich, in meiner gegenwärtigen Lage eine anziehendere Kraft für mich haben. Sein Verfasser gewann bei dem ersten Anblicke mein ganzes Zutrauen. Er war geistlichen Standes – war ein Deutscher – war Augenzeuge der großen Begebenheiten, die er erzählt, und nur zu oft selbst mit darin verflochten. Sein Buch war, wie das meine, ein Tagebuch – war – welch ein Zufall! das Tagebuch eben des großen Papstes, dessen Freipaß mich und Klärchen auf so gute Wege gebracht hatte. Wie kindisch freute ich mich nicht meines Fundes, als ich den Titel las: »Buchardi Archentinensis, Capellae Alexandri Sexti Papae. Clerici Ceremoniarum Magistri – Diarium.« 16 Und wie eilte ich damit an meinen Tisch! Ich hatte nun die angenehmste Beschäftigung, die ich mir wünschen konnte; denn es macht uns doch immer eine eigene Freude, den Mann auch im Schlafrocke kennen zu lernen, der in pontificalibus unserer Ehrfurcht gebeut.

Von den vielen merkwürdigen Stellen dieses päpstlichen Tagebuchs, mit denen ich das meinige ausschmücken würde, wenn ich nicht befürchten müßte dem Interesse meiner eigenen Geschichte zu schaden, kann ich jedoch der Versuchung nicht widerstehen, Dir wenigstens Eine auszuheben, die, ihres zufälligen Bezugs wegen auf meinen gegenwärtigen Handel mit Klärchen, eine Ausnahme verdient. Sie wird nebenbei, wenn Du Dir etwa einfallen ließest an der Aechtheit meiner Urkunde zu zweifeln, schon das ihrige beitragen, Dich eines bessern zu überzeugen. Ich wurde erst in dem Augenblicke mit ihrer Entdeckung überrascht, und aufs neue fortzulesen ermuntert, da ich, aus Unvermögen meine Augen länger anzustrengen, schon das Blatt, wo ich stehen blieb, gezeichnet, und [119] das anziehende Buch zugeschlagen hatte. Indem ich es gähnend von mir schob, geschah es, daß ich zufällig einen Blick auf den Ablaßbrief warf, der, wie eine Post- und Reisekarte, ausgebreitet auf meinem Tische lag; und das brachte mich auf den Einfall, in der Geschwindigkeit noch, ehe ich mein Licht auslöschte, nachzusehen, was wohl Ihro Päpstliche Heiligkeit denselben Tag begannen, da Sie das für mich so wichtig gewordene Dokument auszustellen geruhten, und das Sonntags den vier und zwanzigsten Oktober datirt war. Ich hatte kaum das Diarium des ehrlichen Burchard wieder aufgeschlagen, so fand ich auch bald, kraft der guten Ordnung, die darin herrscht, was ich suchte. Der Autor, der, wie das Titelblatt sagt, Ceremonien-Meister Seiner Heiligkeit war, welches ich nicht zu vergessen bitte, beschreibt unter demselben Tage eine Feierlichkeit, die ihn wohl selbst sein Amt nöthigte mit anzuordnen – einen Abendzeitvertreib, mit welchem der gottselige Papst den Festtag des heiligen Martinus beschloß.

Dominica ultima, erzählt er, mensis Octobris in sero fecerunt coenam cum Duce Valentinensi in Camera sua, in palatio Apostolico quinquaginta meretrices honestae, Cortegianae nuncupatae, quae post coenam chorearunt cum servitoribus et aliis ibidem existentibus, primo in vestibus suis, deinde nudae.

Post coenam posita fuerunt candelabra communia mensae cum candelis ardentibus, et projectae ante candelabra per terram castaneae, quas meretrices ipsae super manibus et pedibus, nudae candelabra pertranseuntes colligebant, Papa, Duce, et Lucretia sorore sua praesentibus et adspicientibus: tandem exposita dona ultimo, diploides de Serico, paria caligarum bireta et alia, pro illis, qui plures dictas meretrices carnaliter agnoscerent, quae fuerunt ibidem in aula publice carnaliter tractatae arbitrio praesentium, et dona distributa victoribus.

Ich überlas diese unbefangene Erzählung mehr als Einmal, und klatschte dem großen Geiste wiederholt meinen Beifall zu, der frei genug von Vorurtheilen war, ein solches Fest zu veranstalten, und so hochgesinnt seine Freunde und Dienerschaft daran Theil nehmen zu lassen. Denken wir uns diesen unumschränkten [120] geistlichen Fürsten an jenem fröhlichen Abende, so wird es begreiflich, wie eine so volle Freude sein Herz bis zu der – beinahe möchte man sagen übertriebenen – christlichen Freigebigkeit erheben konnte, die aus seinem Ablaßbriefe hervorstrahlt, sich übrigens ganz herrlich mit dem schönen Vorrechte verträgt, das ihm die Kirche verlieh, über alle mögliche sinnliche Einfälle seiner Heerde den Schwamm zu ziehen.

Je seltener es ist, daß Züge aus dem Privatleben der Großen zur Erläuterung ihrer Gesetze dienen, desto mehr mußte es mich freuen, hier beides einmal in so gutem Verhältnisse zu finden, daß diese Hof-Lustbarkeit des Oberhauptes der Kirche, und der Ablaßbrief, den er wahrscheinlich während derselben unterschrieb, eins das andere auf das ungezwungenste kommentirt. Ein Glück für mich, daß die Gräfin Vanotia nicht so gut dabei war, als seine berühmte Schwester, die dem Namen so viele Ehre machte, den sie in der heiligen Taufe erhielt; denn da hätte er vermuthlich seiner Freundin den Gürtel der unbefleckten Jungfrau – anstatt ihn ihr jetzt als ein Konfekt von seiner Tafel zu schicken, während des Festes selbst umgebunden, ohne Zeit zu haben, ihn mit jenem allgemeinen Ablaß auszusteuern, der von dem Tage seiner Ausfertigung an, bis auf uns Glückliche, die wir übermorgen daran Theil nehmen werden, vermuthlich im Stillen fortgewuchert hat. Vergieb mir, Eduard, diese schwerfällige Periode ihres Reichthums wegen, ob ich gleich immer auf neue Betrachtungen komme, so oft ich nur einen Blick auf dieses kostbare Dokument werfe. Wie manchen Anstoß der Sittlichkeit mag es schon gehoben, wie manche lebhafte Scene befördert und entsündiget haben, über deren Menge und Eigentümliches wir erstaunen würden, hätten sie immer ihren Burchard gefunden! Es war, ich wiederhole es, ein Glück für mich, daß eben solche Umstände an dem Feste des gottseligen Papstes zusammen trafen, um eine so wichtige Urkunde zu ihrer Entstehung, und mir zu der gelehrten Freude zu verhelfen, die mir, dreihundert Jahre nachher noch, die Harmonie seines Lebens und seiner Gesetze verschafft.

Für meinen gesunden Schlaf zwar wäre es wohl besser gewesen, [121] die ganze Parallele ungezogen, und das Augenzeugniß des Ceremonien-Meisters ungelesen zu lassen; denn es setzte mein Blut in die heftigste Wallung. Lange konnte ich das Naturgemälde nicht aus dem Kopfe bringen, und gruppirte mich und Klärchen immer in Gedanken dazu. Mein Herz pochte, meine Augen glühten, ich fühlte unter einem heiligen Schauer den übermächtigen Andrang des Jesuitismus. Die Stunde der Mitternacht schien mir von Minute zu Minute feierlicher zu werden, und der Geist Alexanders mich aufzufordern, in ihr meinen Profeß zu thun. Sein Freipaß überdeckte meinen Tisch, sein Tagebuch lag aufgeschlagen neben dem meinen, und zwei Wachskerzen brannten zu beiden Seiten. Alle diese Umstände zusammen wirkten gerade auf meine Ueberzeugung, und trieben mich, unter fieberhaftem Erzittern, zur Ablegung meines Gelübdes. Da mir noch oben drein mein hülfreiches Gedächtnis statt der vorgeschriebenen Formel, die mir unbekannt war, eine andere an die Hand gab, die, bis zu meiner förmlichen Weihe, einstweilen den Abgang jener gar füglich ersetzen konnte; so trat ich ohne weiteres Besinnen vor meinen Altar, auf dem meine Schwärmerei das verklärte Bildniß meiner Heiligen und Geliebten in die Höhe stellte, so frei von allem irdischen Putze, als es jene fünfzig Auserkornen immer nur können gewesen seyn, die den befeuerten Blicken meines großen Vorgängers so wohl thaten – und so ganz in der Glorie, wie mein trunkener Geist hofft sie übermorgen von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Ich legte zu gleich die linke Hand auf die anziehende Stelle in dem Tagebuche des heiligen Vaters, hielt den Zeige- und Mittelfinger der Rechten in die Höhe, und den Blick, von Rousseau ab, nach dem schlafenden Engel gewendet, entledigte ich mich meines Gelübdes, das, zwar nicht den Worten, doch dem Geiste nach, mit dem Eide eines Jesuiten auf das vollkommenste übereintraf. Si ille hoc fecit, sprach ich langsam und ernst, qui templa concutit sonitu – Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud feci ac lubens. 17

[122] Wie die Ceremonie vorbei war, taumelte ich endlich mit der eigenen Zufriedenheit eines Neubekehrten zu Bette, und wenn schon der gute Vorsatz verdienstlich ist, so darf ich hoffen, mehr als Ein Baret verdient zu haben, ehe ich einschlafe..


Den 6ten Januar.


Der Wagen, der mich nach Vauclüse bringen sollte, stand, wie der Wagen des Apollo, mit vier weißen Pferden bespannt, zur Rettung meiner Ohren, schon vor der Thüre, als mich die Glocken von allen Thürmen der Stadt zu dem Feste der heiligen drei Könige erweckten. Ohne nach ihrem Golde, ihrem Weihrauch und ihren Myrrhen zu fragen, warf ich mich geschwind in einen gewiß artigern Reiserock, als der ihrige war, von silbergrauem Sammet, schlug, als ein Diadem, das ich um das ihrige schwerlich vertauschen würde, das blaue Strumpfband um meinen Sonnenhut, und schwebte nun, zwischen der süßen Erinnerung von gestern und der stolzen Erwartung auf morgen, dem Gebauer meiner kleinen Sängerin vorbei, die Treppe hinunter. Während daß Klärchen durch das Fenster des geheimnißvollen Kabinets blickte, in das mich Papst Alexander morgen zur Weihe einführen soll, und gegen über Herr Fez, ohne nur zu ahnden, welchen Dank ich ihm schuldig war, mir die Verbeugung eines Klienten machte, hob mich meine Selbstzufriedenheit federleicht in die Höhe, und der Wagen rollte durch die festlich geschmückten Gassen.

Mein armer Sebastian saß demüthig neben mir; seine Aehnlichkeit mit Margot war in meinen Augen verschwunden; er fühlte sich zu einem gemeinen Bedienten erniedriget, und hatte nicht das Herz mehr, seinem vornehmen Herrn eine andere Frage zu thun, als seine Bestallung rechtfertigen konnte. Und ich! von welcher stolzen Höhe sah ich auf alles herab, was sich meinen geistigen und leiblichen Augen außer Klärchen darbot! Ich blickte so neidlos auf die stillen Thäler, die neben mir, als auf die lärmenden Königsstädte, die weit aus meinem Gesichtskreise lagen, bemitleidete das zwangvolle Leben der Großen, wie das Idyllenleben der Hirten, wenn jene auf Flaum – diese auf Moos gestreckt – hier immer [123] nur weidende Lämmer – dort immer nur bettelnde Sklaven im Auge – hier immer nur den einförmigen Ton der Glöckchen – dort das Geklapper des Stolzes im Ohr haben, durch den die eine ärmliche Herde bei jedem Genuß eines Gräschens – die andere oft ohne Genuß, die höhern Bedürfnisse menschlicher Thorheit verkünden; und mit wohlgefälligem Lächeln kehrte ich nun meine Blicke auf Mich – sah mich im Sonnenschein glänzen – mit Starke der Jugend und Gesundheit gerüstet, unter dem Machtspruche eines menschenfreundlichen Papstes – ach' nach einer kurzen Wallfahrt zu dem Sänger der Liebe, in die Arme eines Mädchens dahin sinken, das nur für den unsterblichen Genuß der Engel gespart schien, und, ohne die Vermittlung des heiligen Kniegürtels, gewiß allen menschlichen Wünschen entschlüpft wäre. Wie schwärmte ich; Freund! Wie oft nahm ich meinen Sonnenhut ab, um das himmelblaue Band anzulächeln, und von ihm in optischen Träumereien über den Gränzort hinzuschweifen, wo die Auswechselung geschah!

Endlich hielt der Wagen. Wo bin ich? fragte ich voller Verwunderung. – »Zu Vauclüse,« tönte mir mein Führer mit einer Stimme ins Ohr, die so kreischend war als das Knarren einer Thür, und die mich aus das unangenehmste aus meiner Ueberspannung zurück brachte. Ich stieg aus, und die Blicke, die ich wild um mich herum schoß, prallten, wie die Strahlen der Morgensonne, von den nackten weißen Bergen zurück, die das steinige Thal, und in demselben den hohen spitzen Felsen mit der verfallenen Burg umkränzen, in welcher der Sänger der Liebe geweilt hat. Unter einem dunkeln Gewölbe am Fuße dieses Kreidengebirgs liegt der berühmte Quell, der zu Zeiten sich aus seiner Untiefe ergießt, und rauschend diese Marmorlandschaft überströmt. Fürchterlich mag alsdann der Anblick seiner Ergießung in den Schooß der todten Natur werden: aber still und beweglos sah ich sie jetzt allein um mich herum herrschen, und entsetzte mich über ihr ernstes Gesicht. Mein Herz hatte gehofft, sich in diesem durch liebliche Gesänge berühmten Thale gütlich zu thun; aber alles war ihm entzogen, woran es sich hätte schmiegen können. – Nicht einmal [124] ein Oelbaum mit seinem unfreundlichen Grün – kein Gräschen, das sich durch die Spalten des Felsen stahl – kein abgestorbenes Minchen, woran auch nur der kleinste Wurm hätte saugen oder darauf ausruhen können! Ein paar einzelne armselige Hütten in Elend schmachtender Tagelöhner, die nur zur Zeit der Fluth einen gefahrvollen kleinen Verdienst erwarten, und indeß von Fremden, die der wohlklingende Name des Orts – wohlklingend wenn ihn ein Dichter ausspricht – und der Gedanke an seinen ehemaligen Bewohner Hieher zieht, ein Ungewisses Almosen erbetteln. Und diesen Wohnsitz der Bekümmerniß, armer Petrarch! diesen abgestorbenen Theil unserer freundlichen Welt, konntest du wählen? konntest in dieser Gefangenschaft von Bergen – in diesem Brennpunkte einer frei wirkenden Sonne gutwillig schmachten, um nur ungestört, und abgezogen von allem, was an das Leben erinnert, dem einzigen Gedanken nachzuhängen, der den ganzen Neichthum deiner Wallfahrt und deines Nachlasses ausmacht? Sit tibi terra levis! Aber deine Laufbahn hienieden gefällt mir nicht. Ich fühle in Demuth, daß ich für so, hohe Verläugnungen, als die deinigen waren, zu schwach bin, und möchte nicht eine Nacht für so eine Belohnung verwachen, als du erreicht hast. Ich bewundere dich, ohne dir nachzuahmen.


»O wie belohnend muß die süße

Empfindung seyn deß, der den Talisman

Petrarchs besitzt! Was gehn ihn non Vauclüse

Die dürren Kreidefelsen an?

Ihn, der sein Feld und seine Wiese

Im Schubsack trägt, und irdisch Zugemüse

Bei Götterkost entbehren kann?

Ein schöner Geist ist w Urdig. nur von Geistern

Bedient zu seyn – Ein Gnom putzt ihm die Schuh,

Ein Sylphe braut ihm Thee, und Amoretten kleistern

Die Spalten seiner Fenster zu.

Was mangelt ihm? Ein überirdisch Feuer

Erwärmt sein Stübchen – flammt auf seinem Herd;

Und menn bei himmlischem Tokaier

Ein Dichterwunsch nach süßem Abenteuer

Auch dann und wann durch seine Nerven fährt –

Auf einen Laut der stets gestimmten Leier

[125]

Führt ihm schon Amor, sein Getreuer,

Das Mädchen zu, wie es sein Herz begehrt,

Blond oder braun – und lockender und neuer,

Als mir der Schelm noch keins gewahrt:

Denn was zur nächsten Morgenfeier

Er mir verheißt, liegt unter heil'gem Schleier

Dem Auge noch nicht aufgeklärt.

So hast du deinem treusten Sänger,

Monarchin, die zu Paphos thront,

So fürstlich hast du ihn belohnt!

Noch steht der Fels, auf dem er, enger

Mit dir vereint, in Phöbus Strahl gewohnt,

Als keiner der den Musen frohnt.

Hier saß der Virtuos in Himmelslust, und geigte

Der Welt und Nachwelt deine Freuden vor.

Daß selbst die Schöne, die sein Herz erkohr,

Das Knie vor deinem Zepter beugte,

Und voller Sympathie, so still und liebekrank,

Acht Erben – dem Apoll sei Dank!

Mit ihrem Ehemann erzeugte.


Diese Betrachtungen der idealischen Glückseligkeit eines Dichters jagten mir eine stiegende Hitze in's Gesicht. Ich ließ mir geschwind ein Glas Wasser aus der Quelle Petrarchs holen, warf mich, so bald ich mich abgekühlt hatte, in meinen Wagen, und floh diesen poetischen Ort, der mir je länger je unbehaglicher ward. Ich hielt mich vor den Anfällen der platonischen Liebe, der dichterischen Schwärmerei, und jener schwermüthigen Laune der Empfindsamen nicht eher sicher, als bis ich, eine Stunde nachher, auf meinem Rückwege den Gasthof zu Lille erreicht hatte, wo ich einen langen Mittag hielt, und bei großen Krebsen und saftigen Haselhühnern mich noch mehr in der Wahrheit bestärkte, der ich immer anhing, so oft man sie mir auch verdächtig zu machen suchte, daß nichts vernünftiger sei, als seines Lebens zu gebrauchen, so lange es noch da ist.

Sobald ich nach dieser guten Mahlzeit mit mir selbst wieder in meinem Wagen zusammen traf, stürmten auch schon alle jene grausen Ahndungen auf mich ein, die mich diesen Morgen nach Vauclüse begleiteten. Umsonst wendete ich alle Kräfte an, meine[126] weit schweifende Einbildungskraft im Zaume zu halten. Ehe ich mich versah, war sie von den ruhigen Gegenständen, die ich ihr zur Zerstreuung vorlegte, von den moralischen und statistischen Bemerkungen, die ich über das Land anstellen wollte, das ich durchreiste, zum großen Vortheile der päpstlichen Regierung, in der Stille weggeschlichen; und ich ertappte sie, wie sie eine Menge Konterbande aufpackte, über die Du vielleicht, wem: sie der morgende Tag zu Markte bringt, nicht weniger erschrecken wirst, als der güte Kardinal von Este, als er zum erstenmale den Orlando Furioso las, den ihm der unbefangene Verfasser zugeeignet hatte. Messer Ludovico,« fragte er ihn mit äußerster Verwunderung »dove diabolo avete pigliato tante coionerie?« »Ich könnte Dir freilich diese Frage ersparen, wenn es in einem so unsystematischen Werke als mein Tagebuch ist, nur nicht so gar sonderbar aussähe, die Krümmen, auf denen sich bei dieser und jener Gelegenheit unser ungezogenes Herz betrete« läßt, anders als obenhin zu erwähnen, und es überdieß nicht weit bequemer wäre, so unvollständig auch die Akten bleiben, das zu erzählen, was man gethan hat, als wie man dazu kam, es zu thun. Ich verschiebe diese Beichte auf einen ruhigen: Zeitpunkt, wo es dem gemeinen Besten noch zuträglicher seyn wird, sie abzulegen. Denn da ich Willens bin einmal ein eigenes Buch über die Post- und Heerstraße des menschlichen Herzens zu schreiben, so wird es ganz natürlich herauskommen, wenn ich in einem Anhange auch von seinen Neben- und Schleif-Wegen handle, die meine meisten Vorgänger so ganz aus der Acht gelassen haben. Alsdann will ich desto offenherziger alle und jede Kenntnisse von der Art, die ich auf meinen Wanderungen sammelte, erzeigen, um jene gelehrten Herren besser auf die Spur zu bringen, wo sie etwa noch einen Schlagbaum aufzurichten, oder einen offenen Paß zu besetzen haben, um jedem Unterschleife, jeder Beeinträchtigung des Zolles auf's künftige vorzubeugen.

Diese vorläufige Anzeige meines moralischen Werkes, zu dem ich Dir einstweilen erlaube, Subskribenten zu sammeln, hast Du vorzüglich der Stille zu danken, in der ich meine Wohnung wieder antraf. So angemessen sie auch einem Propsteilehn immer seyn[127] mag, so fiel sie mir doch bei dem Ungestüm meiner Empfindungen so widrig auf, daß ich froh war, mein Aergerniß darüber mit Dir zu verplaudern. Nur ein Laut von Klärchen, nur ein Zeichen, daß sie noch lebe – und ich wäre zufrieden gewesen! Eine solche Nachbarschaft, und so geräuschlos, ist das unerträglichste Ding von der Welt.

Nach einer ängstlichen Stunde bequemte sich endlich die Alte in einem groben Basse zu husten, und zugleich hüstelte auch Klärchen, aber wahrlich so harmonisch, daß der größte Kenner es eher für eine Passage von Gluck hätte halten müssen, als für einen Katharr. Auch beunruhigte es mich gar nicht – Ich schloß nur, daß die Tante in eine ernste Vorbereitung auf ihr morgendes Fest vertieft seyn möchte, in welcher ihre gutmüthige Nichte nicht wagen wollte sie zu stören. Aus gleicher Achtung für den Seelenschlummer der guten Frau, setzte ich auch mich mit der möglichsten Behutsamkeit vor meinen Tisch, nahm zur Abwechselung bald das Buch de probabilitate – bald meine Feder in die Hand, und habe nun, meine Fahrt nach Vauclüse, die bis zum Einschlafen angenehm war, ungerechnet, mich seitdem so müde gelesen und geschrieben, daß ich jetzt für räthlich halte, nach den Regeln der Mechanik für mich zu sorgen, und jener glücklichen Hälfte von mir Ruh' und Stärkung zu gönnen, die morgen unstreitig die erste Rolle Zu spielen hat.


Den 7ten Januar.


Und das erwartete Fest ist nach überstandener alltäglicher Ruhe erschienen. Noch hat wohl nie ein Höfling den Namenstag seiner abgelebten Fürstin, an der seine Pension, sein ganzer Unterhalt hängt, mit solchem Wohlbehagen des Herzens begangen, als mit dem ich mich von meinem Lager erhob, und der Feier entgegen sah, die mir der heilige Name meiner alten Aufseherin sichert. Ein froher Gedanke wurde schon unter meiner Nachtmütze, ehe ich sie abwarf, durch einen noch frohern verdrängt. Die Erwartung des größten jugendlichsten Glücks durchströmte mein Herz. Mit welchem Wohlgefallen habe ich nicht schon die Menschengestalt im Spiegel [128] begafft, der so viele Freuden zu Theil werden sollen, und wie zufrieden habe ich nicht zu dem ausgewählten Anzuge gelächelt, in welchem ich mich dem Altare meiner Göttin nähern werde! O, daß nur schon die Alte zu den Füßen ihrer Fürsprecherin liegen, und mir Raum geben möchte, zu den Füßen der meinigen zu fallen!

Indeß ist es doch sonderbar, Eduard, daß jede Erwartung einer übermäßigen Freude immer eine gewisse Aengstlichkeit mit sich führt. Wenigstens bin ich geneigter, die Unruhe, die ich mitunter spüre, lieber durch diesen als wahr angenommenen Satz, als durch eine Ursache zu erklären, die mich noch weniger trösten würde. Gab uns die sorgsame Natur dieses Gefühl als ein bitteres Gewürz, damit es in der Süßigkeit des Genusses der Unverdaulichkeit der Seele entgegen wirke; so sei ihr doppelt Dank dafür, und so wird sie auch schon ihren Beisatz zu mischen wissen, daß er nicht zu herbe weder vor- noch nachschmecke. Sollte aber die Bänglichkeit, die mir um das Herz schwebt, Ahndung eines Unrechts in meinem Vorhaben – sollte sie eine Aufforderung seyn, die Sache ernstlicher und gründlicher zu untersuchen, so wäre ich übel daran, Eduard! Denn man hat schon zum drittenmale in die Kirche geläutet, ich habe keine Zeit mehr übrig zum Nachdenken, und wenn ich das heutige Fest ungenutzt vorbei lasse, so mag meine Untersuchung ausfallen wie sie will, der Verlust des an der laufenden Stunde klebenden Gewinnstes ist nicht wieder zu ersetzen. Dans les choses douteuses ... sagt ja einer von den Kirchenlehrern, on n'est pas obligé de suivre le plus sûr. An diesen Satz will ich mich vor der Hand halten. – Ja, ja; wenn nur damit Ruhe wäre! Der Uebertritt zu einem andern Glauben, als wir gewohnt sind, ist wie ein Spaziergang in neuen Schuhen; sie mögen noch so gut gemacht, noch so viel werth seyn, sie lassen uns doch die abgelegten bedauern, und werden uns so lange brennen und drücken, bis wir sie so ausgetreten haben als die alten. Sei versichert, Eduard! daß, wenn ich nicht Acht auf mich gäbe, nicht meinen Hut schwenkte und trällerte, wenn sich so etwas, das einem Gewissensskrupel ähnelt, aufdringen will, ich sehr leicht in einen Widerspruch mit [129] mir selbst gerathen könnte, der stark genug wäre, mich mit Einem male um die gereiften Früchte meines Jesuitismus zu bringen. Kannst Du wohl glauben, was mich eben jetzt für eine Kleinigkeit beinahe ganz aus meiner Fassung gebracht hätte? Mit Scham gestehe ich Dir's unter vier Augen – der Kopf – der Gypskopf von Rousseau. Es war mir, indem ich meine funkelnden Augen in die Höhe warf, als ob er mir mit strafendem Ernste gerade in das Gesicht blickte. Ich stutzte, wie ein furchtsames Kind – mir ward ganz heiß um das Herz, und wahrlich ich mußte geschwind die malerische Stellung von gestern überlesen, um nicht in der Hitze meinen Ablaßbrief zu zerreißen, und den ganzen Handel mit Klärchen zum Henker zu schicken. Aber die lieblichen Bilder des Ceremonienmeisters thaten auch dießmal ihre Wirkung. Meine Phantasie kam rosenfarbener zurück als zuvor, und meine lieben Schlafkameraden, die Kasuisten, bestreuten den Weg wieder mit frischen Blumen, von dem mich jener Widersacher der Freude verscheuchen wollte. Ich trat jetzt sogar dem Gespenste mit Trotz und Hohn unter die Nase ... – Die Arme in einander geschlagen, stand ich vor ihm, wog seine traurigen Verdienste gegen den Werth meiner freudigen Empfindungen ab, und ward endlich dreist und launig genug, mich lächelnd seinem Standorte zu nähern, und, als wenn er mich eben so gut hören könne als ich mich selbst, ihn in einem tragischkomischen Ton anzureden:


»Du! den ein traurig Roß, ein Sohn des Rosinante,

Durch Wüsten der Moral in die verarmten Lande

Der kalten Metaphysik trug;

Der ein gewöhnlich Glück, als seiner Zeiten Schande,

Verwarf; sich selbst genug, im cynischen Gewande,

Als Don Quichott des Rechts, auf manchem Ritterzug

Des Morgens sich mit einer Räuberbande,

Des Nachmittags mit Marionetten schlug;

Der, stets verfolgt von einer hohen Grille,

Nach Eulenart, der Mitternächte Stille –

Und Lunens Schein nach Plato's Art genoß;

Bis ihn Priapus 18 in Ermenonuille 19

[130]

Mit in sein Staatsgefolge schloß –

Dein Ruhm ist groß! Doch hebt mich das Vergnügen,

So groß er ist, weit über ihn.

Mit jenem Traum, der mir, so ganz im Gegensinn

Von Plato's Traum, zu Kopf gestiegen,

Schwingt sich mein Herz aus dem Gebiet der Lügen

Zum Tempel der Gewißheit hin.

Weg, weg mit allem Schulgewinn!

Und soll mich ja noch ein System betrügen,

So sei es das: Bis zum Genügen

Am Busen meiner Nachbarin

Den Werth der Menschheit nachzuwiegen;

Von jenen Höhn, wo ihre Rosen blühn,

In's Winterfeld der Zeit zu fliegen,

Und aus der kleinen Kunst, sich an ein Weib zu schmiegen,

Erfahrung für das Herz zu ziehn –

Das scheint mir noch, den Irrthum zu bekriegen,

Die glücklichste der Theorien.


Wenn man seine Sache, sie mag so schlimm seyn, wie sie will, nur systematisch behandelt, so findet man noch am ersten Gnade in den Augen eines Philosophen. Die Büste dieses moralischen Grillenfängers schien mir jetzt lange nicht mehr so abschreckend als vorher; ja ich schmeichle mir sogar, er würde, wenn er noch lebte, vielleicht mit derselben Beredsamkeit, mit der er einst den Vorzug der Ignoranz gegen die Wissenschaften vertheidigte, sich auch meines Tauschhandels mit Klärchen annehmen, und ihn, auf den geringsten Widerspruch, nicht allein für unschuldig, sondern selbst für verdienstlich erklären. Wer wollte aber einer so einfachen Wahrheit wegen einen großen Dialektiker in Unkosten setzen? Sie spricht ja laut genug für sich selbst. Sind denn im Ernst, Eduard, die Umarmungen, die ich der Heiligen zudenke – die Spiele der Sinne, mit denen ich sie bekannt machen – die Vergleichungen, die ich dabei anstellen werde, und alle die Phänomene des ersten Unterrichts, die ich zu beobachten noch nie Gelegenheit fand – ist denn die ganze Sache etwas weniger oder mehr bei mir, als was sie bei einem [131] Büffon oder d'Alembert sehn würde – ein psychologisches Experiment, das mir auf mein ganzes künftiges Leben von Nutzen seyn wird? Wenn man mit solchen Versuchen warten will, bis man erst Dekanus der philosophischen Fakultät ist, o! da weiß man schon, wie erbärmlich sie gemeiniglich ablaufen. Selten daß die gelehrten Herren, die uns über den Gang der Leidenschaften vorpredigen, aus Erfahrung sprechen; denn ach! was sie so gut sind dafür zu nehmen, ist es oft so wenig, daß man nicht weiß, ob man mehr über ihren Selbstbetrug, oder über das kalte Geschwätz lachen soll, das sie darüber hergießen. Das mag hingehen, wirst Du mir sagen; wie, und durch was kommt aber die unschuldige Klara dazu, daß sie dir sitzen, und die Heimlichkeiten ihrer Seele und ihres Körpers deinen Spekulationen bloß stellen soll? Durch was? guter Freund! Durch ihre eigene Religion und ihre Vertheidiger – durch die Rechte des Handels – und durch den übermäßig hohen Werth meiner Zahlung. Eine Heilige hier zu Lande wird durch eine Reliquie tausendmal reichlicher für die momentane Aufopferung ihrer ruhigen Unschuld abgefunden, als eine bei uns durch ein Rittergut, oder eine Grafschaft. Ja, ich traue Klärchen zu, wenn sie auch das – was ein unschuldiges Mädchen sonst nur Einmal in ihrem Leben verlieren kann, einige Dutzend- und mehrmal daran setzen könnte, um den heiligen Kniegürtel zu erlangen, würde sie sich kein Bedenken machen, es zu thun – viel weniger jetzt, wo sie gar nichts wagt, und das päpstliche et in integrum restituimus ihr für allen Schaden gut steht. Mit zwei Worten, Freund, ich glaube gewiß, daß, seitdem es Kontrakte giebt, keiner noch unter so annehmlichen Bedingungen von beiden Theilen geschlossen wurde als dieser.

Aber um aller Welt willen, warum stelle ich das ganze Gefolge meiner Gedanken Deiner Musterung dar? Du bist doch gewiß der Mann nicht, der mir über meinen jugendlichen Versuch nur die kleinste Chikane machen würde, und wenn er auch wirklich nicht so gut zu vertheidigen wäre. Doch so geht es, wenn man sich gewöhnt hat über alles zu räsoniren. Man wird ein Schwätzer, ohne daß man es selbst weiß. Eine zu allen Zeiten einfältige [132] Rolle, die aber in meinen jetzigen Verhältnissen noch abgeschmackter heraus kommt! Denn wie leicht könnte ich darüber wohl gar den Aufbruch der alten Tante verhören, und, zur ewigen Schande, mein armes, verschämtes Klärchen in die Verlegenheit bringen, ihren Liebhaber selbst abzurufen! Doch meine brennende Ungeduld, die das hämische Weib so grausam auf die Probe setzt, will durch etwas getäuscht seyn; ich muß die Hitze wegschreiben, die mir sonst das Herz zermalmen würde – Gut! so will ich wenigstens, um über mein Nachdenken nicht das Objekt selbst aus dem Gesichte zu verlieren, wie das nicht selten bei Prosektionen der Seele geschieht, einstweilen, und bis ich den Besitz aller meiner Anwartschaften erlebe, sie mit meiner Einbildungskraft zu fassen suchen.

Aber ach, Eduard, wie ist mir bei dieser idealischen Ansicht zu Müthel Was soll bei meinem hohen Gefühl für Schönheit, bei dem Auge, in das die Natur so richtige Blicke für Ebenmaß und Verhältnisse gelegt hat – was soll aus mir werden, wenn nun Klara vor mir stehen wird, wie jene freundliche Göttin, die man sich bekleidet nicht denken kann, ohne sie zu beschimpfen! Versinnlicht in Stein – ist ihr Bild nicht schon das vorzüglichste Kleinod aus dem reichen Nachlasse der Mediceer? Bentley versicherte, daß er lieber das so artige donet gratus eram tibi des Horaz möchte gemacht haben, als König von Arragonien seyn; und mit gleichem Kunstgefühl habe ich einen Kenner behaupten hören, daß er, jenes marmorne Bildniß der nackenden Venus ausgenommen, keine der übrigen Besitzungen des Hauses Österreich beneide. Da diese Herren nun über menschliches Machwerk das Maul so voll nehmen, wie soll ich mein gerechteres Entzücken an den Tag geben, wenn ich mit freudigem Erschrecken von dem Ungeheuern Abstand einer todten Kopie – auf das lebendige Urbild der Natur hinstaune? wenn ich mir zu allen den Schönheiten der Form noch jene ungleich köstlicher« – wenn ich mir den Anstrich dazu denke, den ihnen die Bewegungen eines jungfräulichen Herzens geben werden – diese ächte Feuerfarbe der beängstigten Sittsamkeit, die über die Morgenröthe ihrer ruhigen Unschuld zum erstenmal hervorschießen – »dieses Sträuben gegen unerhörte Forderungen, die [133] ein einziger Blick aus die heilige Reliquie in frommes Nachgeben verwandeln wird – und ach! endlich das sanfte Kolorit der stolzen Ruhe, wenn sie nun, nach so schweren Prüfungen, zu sich sagen kann: Der Kniegürtel der unbefleckten Jungfrau ist dein! Vergönne mir eine Pause, Freund, daß sich mein Gehirn ein wenig abkühle. –

Eduard! ich bin toll und böse auf mich, da ich meine feurige Periode wieder überlese. Enthusiasmus verträgt sich nie gut mit politischer Zurückhaltung. Da habe ich nun meine besten Farben zu meinem idealischen Entwürfe verschwendet, die mir, ehe ein paar Stunden vergehn, beim Ausmalen des wirklich Erblickten fehlen werden. Einfältig genug! zumal da man bei den wenigen Hülfsmitteln, die uns die Kritik bei dieser Art von Kabinetsmalereien verstattet, hohe Ursache hat, sparsam damit umzugehen! Das Widersprechende liegt doch überall, wo man nur hinsieht. In den Zeughäusern des Kriegs, in der schrecklichen Wissenschaft Menschen zu tödten, sind alle Kunstwörter gleich edel und brauchbar; in den kleinen Kriegen der Liebe hingegen, in der ungleich löblichem Kunst, die der Vernichtung der Welt entgegen arbeitet, welche unbegreiflich enge Schranken hat nicht der Eigensinn unserer Sprache dem Schriftsteller gesetzt! Es sollte einem bange werden, die schönsten Auftritte seines Lebens zu beschreiben, da unsere verschämten Kunstrichter jene alten kraftvollen, der Natur der Sache angemessenen Ausdrücke fast alle verschreien, ohne, bei dem täglichen Bedürfnisse, uns bessere dagegen zu geben. In der That, Eduard, so sehr ich auch immer auf Deine Nachsicht rechne, so begreife ich doch nicht, wie ich mich nur mit halben Ehren aus dieser Verlegenheit ziehen will. Dir nur Näthsel hinzuwerfen, uno die Auflösung für mich zu behalten, würde offenbar die historische Treue verletzen; und würde ich nicht vollends alles verderbe«, wenn ich zu den verbrauchten Wendungen unserer Dichter und Prosaistcu, mit denen sie sich seit undenklichen Zeiten schlecht genug aus den blumigen Irrgängen der Natur helfen, meine Zuflucht nehmen, und meinen originellen Sündenfall durch Nachahmung der gewöhnlichen herabwürdigen wollte? Nein, tausendmal [134] lieber will ich mich den ästhetischen Hieben meiner gestrengen Richter und allen den launigen Strafen des erröthenden Geschlechtes unterwerfen, ehe ich meine Blöße mit solchen Lumpen decken, und, um nicht das forschende Auge der Neugier zu reizen, nach der viel zweideutigern Ehre greifen möchte, in der Schalaune meiner Vorgänger, die immer einer dem andern verschabter und zersetzter hinterließ, dem gähnenden Pöbel zur Schau zu stehen. Ich möchte es nicht, und hätte sie einst Karl der Große getragen, und läge sie sammt ihrem Schmutze und ihren Motten, bis zu so feierlichen Tagen, unter dem Verschlüsse des weisen Raths zu Nürnberg begraben.

Doch – welch ein Geräusch hinter der Scheidewand! Jetzt – ich schreibe es mit zitternder Feder – jetzt endlich erhebt sich die Alte – nun hustet sie wirklich zur Kammer – nun zum Vorsaal hinaus – nun die Treppe hinunter. Gehab dich wohl, fromme Bertilia! Mit Entzücken sehe ich dich, von meinem Pulte aus, über die Gasse hinken – so feierlich langsam, daß, ehe du die Nische deiner Heiligen erreichst, ich hoffen darf schon vor der meinigen zu knieen, und selbst in den Armen deiner zaghaften Nichte schon manche Blume der Jugend gebrochen zu haben, ehe du deine Matinen gesungen hast. Gehab auch Du Dich wohl, Du Freund des glücklichsten Sterblichen! Lassen sich die thatenreichen Augenblicke der erlebten Stunde durch menschliche Worte darstellen, so sollst Du sie treu geschildert erhalten, sobald ich sie, wie kostbare Perlen, in das Diadem meines Lebens verflochten habe.


Der Abstand des Traums zur Wirklichkeit ist nun gemessen! Hier sitze ich mit hinstaunendem Blicke wieder vor meinem Tagebuche, und das Versprechen, das ich der Freundschaft ausstellte, tritt, so oft ich auf meinen Bogen schiele, mir mahnend unter die Augen.

So setze Dich denn her, Eduard! und nimm mir alles ab, was mir auf dem Herzen liegt. – Erst aber Deine Hand, daß es unter uns bleibt! Hätte ich Dir eine Liebesgeschichte zu erzählen von gemeinem Schlage, wie man sie etwa als ein schreckendes [135] Beispiel auf dem Katheder braucht, so bedürfte es der vielen Umstände freilich nicht, ich wollte bald damit zu Rande seyn: aber hier ist mehr, als dieß – hier ist das visum repertum einer Heiligen – ein Feenmährchen, nur mit dem mächtigen Unterschiede, daß es wahr ist. Frage nicht nach der Zeit meiner physischen Abwesenheit! Ich würde Dich in Irrthum bringen, wenn ich sie bestimmte. War es nicht ein Kalif, dem ein Engel des Himmels befahl, seinen Kopf in einen Eimer voll Wasser zu tauchen? – Er that es so lange, als man braucht um nicht zu ersticken; und als er ihn wieder heraus zog – glaubte der Mann, ein Jahrhundert wenigstens voll Seligkeit durchlebt zu haben. Das muß ein Engel der Liebe gewesen seyn, Eduard, der dieses Wunder than Meiner Uhr nach ist es mir ergangen wie dem Kalifen.

Welch ein Abenteuer! So einfach in seinem Beginnen, und doch so verwickelt in seinem Fortgange, und doch so herzerschütternd in seinem Ende! Mystische und magische Kräfte im Streite mit den Kräften der Natur! Mönchische Empörung gegen Papstes-Gewalt! Tumult des Gefühls! Ohnmacht des Willens! Und dieser Reichthum von Erfahrung in dem beschränkten Raume weniger Augenblicke!

»Widder, mein guter Freund!« sagte der Riese Molineau zu Hamiltons schwatzhaftem Widder, und Du sagst es vermuthlich zu mir, »fange doch deine Erzählung, ich bitte dich, beim Anfange an.« – So sage mir nur erst, mein kluger Herr, wo der Anfang meiner Geschichte zu finden ist? und gern will ich Deinen Rath befolgen. Aber wo höhere Mächte im Spiele schon lange vorher unsichtbare Faden an die Werkzeuge Deines Willens knüpften, ehe es Dir nur ahndete ihre Puppe zu seyn – wer kann da sagen: Jetzt hebt meine Geschichte an?

Jede Reliquie, behaupten die Sachverständigen, steht unter der unmittelbaren Aufsicht eines Seraphs, und alle die Wunder, die zusammentrafen, um mir die meinige aus den Händen zu spielen, beweisen wahrlich für diesen Satz. War es denn wohl ein so natürliches Ereigniß, daß eben ich – der einzige Ketzer einer großen Versammlung, den heiligen Kniegürtel erstand, um ihn durch den [136] sonderbarsten Zusammenhang der Dinge derselben frommen Seele auszuliefern, die nur einen halben Dukaten weniger darauf bot? Ist es zu glauben, daß nur ein Ungefähr mich zu ihrem Nachbar – zu ihrem Bewunderer – zu ihrem Freunde machte? – zu glauben, daß sich die gelehrtesten Kasuisten nur von ungefähr mit mir in einer Schlafkammer befanden – daß der Buchhändler Fez – der Wächter der Laura, mir so geschwind ihr Zutrauen schenkten, – und daß endlich die zwei einzigen Feste im Jahre, welche Klärchen ohne Aufsicht ließen, eben in dem engen Zeitraume meiner Miethzeit einfallen mußten? – Wer hier die übernatürliche Leitung menschlicher Begegnisse verkennt, muß wahrlich noch fester an den Zufall glauben – muß noch mehr Herz haben als ich. Doch die Folge wird Dich noch besser davon überzeugen; denn diese Vorbetrachtungen, so anziehend sie auch mir seyn mögen, da ich das Ende weiß, sollen Dir nicht länger die Geschichte selbst vorenthalten, zu deren genauer Darstellung mich mein Versprechen verbindet.

Ich trat, Du weißt in welcher Bewegung der Seele, aus meiner Klause – war mit zwei Schritten an dem Vorsaale, mit zwei andern vor Klärchens Kammer – löschte hier das eine – dort das andere Kreuz aus, das der zauberische Propst mit seiner geweihten Kreide über die Thüren gemalt hatte, und in der behaglichen Zuversicht, nun auch über die kleinsten Hindernisse hinweg zu seyn – trat ich muthig dem Engel unter die Augen. Ich las auf ihren Rosenwangcn mein nahes Glück, und hörte zugleich die erste Losung dazu aus ihrem lieblichen Munde. »Ich hoffe,« sagte sie, doch sagte sie es mit einer hoffnungslosen Stimme, »Sie, mein Herr, heute mit großmüthigern Entschließungen bei mir zu sehen, als da Sie mir das heilige Band anvertrauten. Es hat Wunder an mir gethan, die es mir schwer – die es mir unmöglich machen, mich wieder von ihm zu trennen. Möchte doch dieses offenherzige Geständniß Sie bewegen, mein lieber Herr, von dem hohen Preise nachzulassen, den Sie darauf gesetzt haben!« – »Nicht ich, Klärchen,« fiel ich ihr in die Rede, »der heilige Vater hat den Preis gemacht, von dem ich Unwürdiger nicht um einen Buchstaben [137] abgehen werde. Hier lege ich die Urkunde seiner Macht und Gnade dem Sopha gegen über: und wenn selige Geister auf Handlungen schwacher Menschen, wie sie einst auch waren, achten; so wird der verklärte Papst mit Wohlgefallen meinen Eifer erblicken, das lieblichste Mädchen seines vormaligen Gebiets aller der Indulgenzen würdig zu machen, die er, an einem seiner fröhlichsten Abende, diesem heiligen Gürtel hier vermacht hat. Die Thüren, liebes Klärchen, sind verriegelt – Ihre Tante – zittern Sie nicht! bittet für Sie. Die Interdikte des Propstes sind durch höhere Macht aufgehoben, und alle seine Kreuze verlöscht .... Doch wie? was sagt mir diese bedeutende Erröthung? Wie, Klärchen?« fuhr ich heimlicher fort, indem ich ihre bebende Hand an mein Herz drückte, »so wären sie nicht alle verlöscht? Ihr viel sagendes Stillschweigen, Klärchen, liebes Klärchen! zu welchem verwegenen Gedanken muß es mich nicht berechtigen? Doch es sei darum! Mag der Schwarzkünstler sein letztes Kreuz noch so versteckt haben – ich hoffe, es zu finden und zu tilgen.« – Und indem ich sprach, sehnten sich meine lüsternen Augen nach dem Anblicke der heiligen unverhüllten Natur – mein Kunstgefühl stieg auf's höchste, und arbeitete, wie es alle menschlichen Kräfte thun – nach Beruhigung. – »Um der eilf tausend – Jungfrauen willen, mein Herr,« rief nun das höchst erschrockene Kind, »nimmermehr! und wenn Sie Bischof – und wenn Sie Papst wären – Sind Sie von Sinnen, mein Herr? Was verlangen Sie?« – »Dich, Dich Klärchen,« rief ich entschlossen, »nur Dich in Deiner ganzen Wahrheit und Unschuld! Glaubst Du denn, daß mich der heilige Vater gesandt hat, Dich einzukleiden? Weißt Du nicht mehr, was alles das Urtheil besagt, das Du Dir selbst bei unsern Schiedsrichtern geholt hast?« – Diese Erinnerung kam zu rechter Zeit. – »Ach, wie konntest du, Pater Lessau,« schluchzte sie nur noch, »wie konntest du, Pater Bauny, so etwas gut heißen?« – Und sie sträubte sich nun wie ein gehorsames Kind. In einer bänglichen Minute kam sie erröthend dem schlafenden Engel – in einer andern dem Ablaßbriefe vorbei – und immer näher dem Sopha – und nun – Doch Freund, was erschöpf' [138] ich meinen Athem in alltäglicher Prosa? Ist die Größe und Seltenheit meiner Erfahrung in dieser feierlichen Stunde – ist sie nicht mehr werth? und kann es Bilder geben, die des Firnisses der Dichtkunst würdiger wären, als die Hingebung einer Heiligen in das allgemeine Schicksal der Schönheit? So denke Dir denn, lieber Eduard, die beängstigte Heilige, denke Dir Klaren, kurz vor dem Hintritte in den Freistaat der Natur, dicht neben mir auf dem traulichen Sopha –


Mit schnellern Schwingen schien mein Traum,

Als selbst der Gott der Zeit, zu fliegen.

Das Chor begann, die Glocken schwiegen

Und unsre Tante mochte kaum

Am Schämel ihres Götzen liegen,

Als meine Kusse schon den Raum

Des Aethers theilten, und den Saum

Von Klärchens Halstuch überstiegen.


Sie flatterten dem Silberschein

Der Brüssler Kanten – wie die Mücken

Dem Lichte, zu, voll Sorgen in die fein

Gesponnenen Verrätherein

Die Flügelchen nicht zu verstricken,

Und schwirrten auf und ab, und flogen aus und ein,

Bis es dem Schwarm gelang, das letzte kalte Nein

Auf Klärchens Lippen zu ersticken.


»Du, des Enthüllens werth, du, wie die Wahrheit rein,

Um eingethan wie sie zu seyn.

Bespiegle dich in ihren Blicken!

Ihr eigner Nimbus hüllt sie ein;

Sie deckt die Quellen nicht, die ihr die Kraft verleihn,

Das Universum zu erquicken,

Läßt gern ihr Heiligthum mit Frühlingssprossen schmücken,

Und Primeln sich am liebsten weihn,

Und kann dir – nein – sie kann dir nicht verzeihn

Mit Nadeln ihren Freund zu picken.

Hör' auf, beschwör' ich dich, bei diesen Streiferei'n

In ihr Gebiet, bei diesen kleinen Lücken,

Die ich dir abgewann, bei diesen Tändelei'n,

Die mich so königlich beglücken –

Hör' auf, den Prediger der Wahrheit lahm zu zwicken!

Mariens Band ist lange noch nicht dein,

[139]

Und nach dem päpstlichen Verein

Wird mancher Flor sich noch verrücken.«


So sprach ich ihr an's Herz – allein

Die Fromme schrie, als wollte sie die Krücken

Des heiligen Synllets erschrei'n:

»Dir, fleh' ich, Trägerin der großen Eins in Drei'n,

Dich schwesterlich zu mir herabzubücken! –

Hilf, Heilige von Falkenstein,

Hilf mir – und hilf vor allen Stücken

Mein sprödes Kleinod mir befrei'n!

Hab' ich nur erst, was himmlisch ist, im Rücken,

So mag die Weltlust kurz und klein,

Was irdisch an mir ist, zerpflücken.« –

»Dein Kleinod?« – »Ja mein Herr! Sind Sie denn vor Entzücken

Ganz blind? und wollen Sie denn mein

Hochheiliges Nicaisen-Bein,

Das mir hier hängt, durchaus zerknicken?

Nach Ihrer Art, Sich kräftig auszudrücken,

Was könnte da wohl haltbar seyn?« –

»O!« rief ich, »den will ich schon weiter schicken;

Kein Heiliger soll uns entzwei'n!«


Ein holder Augenblick befreite

Sie dieser frommen Angst. Vergnügter als dieß zweite,

Knüpft' ich ihr kaum das erste Bändchen ab,

Das mir in unserm offnen Streite

Das Kaperrecht auf alle gab.

Frei irrte nun mein Blick, sobald als der Geweihte

Zu Tage kam, die Läng' und Breite

Des aufgehellten Pfads herab.

Welch Labyrinth! als schwebt' es erst seit heute

Im Raume der Natur – als hätt' ein Zauberstab

Die kleinen Hügelchen zur Seite

Aus Aether aufgewölbt – Und wäre dieß ein Grab

Für kalte Katakomben-Beute?

Und hier, wo du, geliebte Dulderin,

Kaum meinen Kuß verträgst, hat dein bethörter Sinn

Ein morsches Todtenbein gelitten?

Und ich? ich sollte nicht an diesen Küsten hin,

Weil ich nicht Sankt Nicaise bin,

Um eine kleine Landung bitten? –

O! ihr, die mit dem Geist des Malers von Urbin

Den höchsten Preis der Kunst erstritten,

[140]

Malt, es wird Zeit, malt mir der Unschuld Cherubin,

Der, aus dem Staub der Welt nach dem Olymp zu fliehn

Schon im Begriff – die Fittiche beschnitten

Sich fühlt; malt seinen Glanz – malt seine Angst – malt ihn

Vermögt ihr's, wie er mir erschien,

Ganz im Kostüm der Adamiten!


Wie unterm vollen Mond die Nebel sich verzieh'n,

Trat jetzt aus dem Gewölk von Flor und Musselin

Der junge Busen vor. Zum erstenmale glitten

Der Indulgenzen froh, die ihm der Papst verliehn,

Der Sonne Strahlen über ihn.

Kein Reinerer vereint, seit dem Verfall der Sitten,

Von Ilium bis Rom, von Paphos bis Stettin,

Mehr Augenlust für Sybariten

In seinem Pünktchen von Karmin,

Und keiner blähte sich mit wildern Phantasien

Der Angst, so vor der Zeit den Rubikon beschritten,

Die Blumen abgemäht, die unter ihm gediehn,

Sein ganzes Tempe mit Ruin

Bedeckt zu sehn, so bald es, mitten

Im Bausche des Gewands, der List gelang, den dritten

Und letzten Knoten aufzuziehn.


Einen Augenblick Geduld, lieber Eduard! Ich stehe hier, zwar nicht wie ein Herkules, doch wie ein verschämter deutscher Schriftsteller, am Scheidewege. Der eine seiner Pfade, der zur Wahrheit führt, die ich jetzt vor Augen habe, leitet offenbar von der konventionellen Bescheidenheit abwärts. Halte ich mich an diese, so soll mich zwar eine der gewöhnlichen Wendungen geschwind genug aus dem schlüpfrigen Handel gezogen haben; aber mein Tagebuch, das mich und Klärchen bis zu diesem kritischen Augenblicke ganz so schilderte wie es uns fand, wird dafür in den Augen eines so offen denkenden Menschenbeobachters, als Du bist, bell größten Theil seines Werths verlieren. Was soll ich thun? »Gehe den Weg der Wahrheit,« rufst Du mir zu, »und erinnere dich deines Versprechens!« Gut! so laß mich wenigstens vorher – vielleicht hätte ich es schon längst thun sollen – für alle die unbefangenen Seelen, die mir nachschleudern ohne zu wissen wohin? einen Strohwisch als Warnungszeichen aussteckeul Denn obgleich meine Malereien [141] nur Dir gewidmet sind, so giebt es doch der möglichen Fälle so viele, durch die sie in unrechte Hände gerathen, ruhige Herzen in Wallung setzen, und zärtliche Augen, die Ehrfurcht gebieten, beleidigen können. Werden denn nicht täglich die vertrautesten Briefe durch den Druck bekannt, die uns über die Tugend längst verblichener Vestalinnen – über die Ehrlichkeit manches zu seiner Zeit berühmten Menschenfreundes, und über die praktische Philosophie unserer Lehrer, das Verständniß öffnen? Ich muß allemal lächeln, wenn ich unter den Beichten, die sich Busenfreunde, wie wir, in einer geheimen Korrespondenz, nur unter vier Augen abzulegen glauben, die Bitte lese, sie sogleich zu verbrennen. Es ist als wenn jeder Brief durch diese Formel erst recht feuerfest würde, und für das Ganze, worauf ich gern alles beziehe, mag es auch recht gut seyn, daß kein Freund hierin den andern ehrlich bedient. Denn wenn noch zehn Alexandrinische Bibliotheken in Rauch aufgingen, es wäre für die wahre Menschenkunde lange kein so großer Schade, als wenn dieß Schicksal jenen traulichen Ergießungen des Herzens widerführe, die zu allen Stunden in Postpaketen verschickt werden. Ein wahrheitsliebender Genius scheint über ihre Erhaltung zu wachen, und dadurch das Problem zu lösen, warum die Nachkommen von den Scenen vergangener Jahrhunderte richtiger urtheilen als die Zeitgenossen, die mit ihren Nasen dabei waren. Sie sahen zwar den Erfolg, glaubten sich klug in den Zeitungen zu lesen, und tappten nichts desto weniger im Finstern. Die wahren wirkenden Ursachen der Begebenheiten kann sicher nur erst das darauf folgende Zeitalter entwickeln, das die geheimen Schubfächer der abgetretenen Akteurs ohne Rücksicht auspackt, und gegen einander vergleicht. Dann erst sieht man, wie einer den andern mit falschen Wechseln und falschen Quittungen betrog: wie dieser und jener große Mann die Marionette seines Schreibers, der Spott seiner Vertrauten, der Ball seines Weibes, seines Kanzlers oder seiner Buhlerin war, ohne es nur zu ahnden; lächelt über die geringfügigen Mittel, durch die der Regierer der Erde ihr bald Konvulsionen erregt, bald ihren Schlummer bewerkstelligt; und spottet herzlich über die festen Erwartungen eines [142] ewigen Nachruhms, der oft, kaum zwanzig Jahre nachher, durch ein glücklich entronnenes Papier verrathen, als eine lächerliche Anmaßung der großen Männer die darnach zielten, dokumentirt wird. Nun wäre mir zwar in Absicht des Nachruhms das dereinstige Schicksal meines Tagebuchs so ziemlich gleichgültig; aber doch möchte ich gern, so viel an mir ist, alles mögliche Unglück verhüten, das durch seine Erhaltung entstehen könnte. Und wenn es sich zutrüge, daß allererst hundert Jahre nach meinem Tode, wo ich von dem schönen Geschlechte weder etwas mehr zu hoffen noch zu fürchten habe, ein unschuldiges und mit den Zumuthungen der Liebe unbekanntes Kind meine zeitige Handschrift aus dem Staube eines alten vergessenen Schrankes hervor kramte, und sich nun bis hierher so glücklich hinein buchstabirt hätte, um ohne Anstoß weiter fortlesen zu können, so sollte es mir noch leid thun, wenn es nicht abgerufen würde. Erlaube mir immer, mein Eduard, daß ich mich diesen nach Wahrheit strebenden Geschöpfen, die noch nicht wissen, daß ihnen nicht jede Wahrheit gut ist, mit einer freundschaftlichen Bitte entgegen stelle.

Lesen Sie also nicht weiter, meine jungen liebenswürdigen Freundinnen aller folgenden Jahrhunderte, wenn Ihnen die Ruhe Ihres Herzens und der Glaube Ihres künftigen Eheherrn lieb ist! Es ist wahrlich nicht der Mühe werth, daß Sie Ihre Augen mit diesem veralterten Plunder verderben! Studieren Sie lieber eines von den schönen moralischen Werken, in denen es vermuthlich Ihre Zeit der meinigen um ein großes zuvor thun wird! Stecken Sie Ihr Halstuch fester, das ein wenig klafft! Ziehen Sie Ihre Schleifen enger zusammen, und lassen Sie mich jetzt ruhig mit meinem Freunde schwatzen! Ein junger Mensch, der sich mit einem andern Flüchtling über die Irrthümer seiner Jugend unterhält, geschähe es auch nur aus der weisen Absicht, der Eitelkeit der verführerischen Wollust näher auf die Spur zu kommen, ist wirklich kein Gegenstand der Aufmerksamkeit eines behutsamen Mädchens; und ich gestehe Ihnen offenherzig, daß ich nichts weniger als die Ehre Ihrer Gegenwart bei dem nächsten Auftritte erwarte. Ich sage es Ihnen im voraus, daß dort alles bunter durch einander [143] gehen wird, als Ihre stille Lage vertragen kann. Sie würden, wie Sie auch wohl schon aus den Vorbereitungen geschlossen haben, nichts mehr und weniger, als die geheimen Netze einer Heiligen bloß gestellt finden – eine Ansicht, die, bei der Kenntniß Ihrer eigenen Reichthümer, Ihr Auge nur empören muß, ohne es zu befriedigen. Sie würden – sehen Sie Sich in den Spiegel! – eine Person von gleichem liebenswürdigem Anstände in einer Unordnung finden, in die Sie hoffentlich nie zu gerathen wünschen. Und sollten Sie vollends einen Seitenblick auf mich werfen – ach! so würden Sie noch weniger begreifen können, wie ein Verehrer der unbescholtenen Sittsamkeit Ihres Geschlechts ihr jemals so nahe zu treten im Stande seyn konnte. Die Wißbegierde meines forschenden Geistes, mein natürliches Kunstgefühl, mein Kontrakt mit Märchen, und die berauschende Hitze des hiesigen Klima's, würden mich doch nur schlecht bei Ihnen entschuldigen; auch würde das Versprechen, mich künftig artiger zu betragen, nur wenig bei so holden Geschöpfen verfangen, die ich einmal genöthigt hätte, sich, gleich den empfindlichen Pflanzen, in sich selbst zurück zu ziehen; und, was mich am meisten kränken würde, ich könnte, wenn Sie meine Geschichte nun ganz übersähen, mit der Wahrheit in ein Geschrei kommen, das sie doch nicht immer verdient. – Die Lehre, die etwa für Sie, meine Freundinnen, in meiner Begebenheit liegt, sind Sie gewiß schon scharfsichtig genug gewesen auszufinden, und Ihrem Herzen einzuprägen, da ohnehin schwerlich einer meiner moralischen Vorgänger sie Ihnen anschaulicher gemacht hat. Um jedoch allem Mißverständnisse zuvor zu kommen, will ich sie hier zum Ueberflusse mit dürren Worten wiederholen: Willst du zu den klugen Jungfrauen gehören, liebes Mädchen, so sei geizig mit allem was dir angehört! Laß dich weder durch männliche Bitten, kämen sie auch aus dem Munde eines Kasuisten, noch durch dein eigenes weibliches Gefühl, das oft noch kasuistischer ist, als jene, zu der anscheinenden Kleinigkeit verleiten, auch nur dein abgelegtes Strumpfband gegen ein anderes zu vertauschen, das dir dein Liebhaber anbeut, hätte es auch selbst die Mutter Gottes getragen! – Trauen Sie meinen Worten, lieben Kinder! der Satz, der jetzt so [144] fest steht, möchte nur locker werden, wenn Sie daran künsteln und nach Beweisen forschen wollten, die ihn noch mehr bestätigen. Ich habe denen, die meinem Rathe folgen – aber auch leider habe ich derjenigen von Ihren Gespielinnen nichts weiter zu sagen, die, ungeachtet meiner redlichen Zurechtweisung, es dennoch wagen kann, den Vorhang von der andern Hälfte meines Natur-und Kunstgemäldes wegzuziehen. Sie büße die Strafe ihrer Verwegenheit, und gebe mir keine Schuld, wenn sie in den Tropfen der schwachen Hortensia 20 Hülfe suchen, und ein geschwindes Kopfweh vorschützen muß, um bald auf ihr Ruhehette, ihrem nachdenkenden und nachfragenden Liebhaber aus den Augen zu kommen. Ja, wenn es nach Zeit und Umständen noch gefährlicher abliefe, ich bin außer Schuld, und verwahre mich hierdurch auf das feierlichste gegen alle Vorwürfe ihrer Frau Mutter, und gegen die Verweise ihrer eigenen reuigen Thränen, so wie ich dagegen von Herzen gern auf den Dank des Entzückens Verzicht leiste, den mir, eine Stunde nach der verbotenen Lektüre, ihr Hausfreund möchte schuldig zu seyn glauben.

Ich hoffe nun, durch die Gegenwart der Unschuldigen, denen ich mich eben empfahl, nicht weiter gestört, den Nest meines merkwürdigen Traums mit Dir allein abzuthun, lieber Eduard; indeß wünschte ich doch, daß Du mir noch über die Zeit, die ich mir schon selbst nahm, und mit jenen neugierigen Kindern verplauderte, aus eigener Gutmüthigkeit einen kurzen Aufschub vergönntest, ehe ich meinen Pinsel wieder aufnehme. Die Büste des Engels, den ich male, hat mich sehr angegriffen; meine Hand zittert noch, und ich brauche Erholung. Ach! wäre es so leicht, die Natur in ihrer Enthüllung zu zeichnen, würden wohl die Titiane so rar seyn? Da ich nun ohnehin, bei aller meiner Pünktlichkeit, eines Hauptschmuckes meiner heutigen Toilette zu erwähnen vergaß, der in manchem Betracht eine besondere Beschreibung verdient, so kann ich ja das erbetene Viertelstündchen nicht schicklicher gewinnen, als wenn ich sie hier einschiebe. Es ist ein optisches Kunststück in einem Ringe,[145] den mir vor vielen Jahren eine junge Putzhändlerin auf der Frankfurter Herbstmesse verkaufte. Es macht mir noch eine kindische Freude, wenn ich an diesen drolligen Handel gedenke – noch drolliger beinahe als mein jetziger mit Klärchen. Als ich in ihre schimmernde Bude trat, war, nach ihr, ein Kästchen mit Ringen das vorzüglichste, was mir in die Augen fiel, nicht etwa der kostbaren Steine, sondern der hübschen Mignaturen wegen, die jene ersetzten, und die mir damals über alles gingen. Zwei davon zogen mich durch die große Ähnlichkeit mit der jungen Verkäuferin am meisten an. Dieselbe unschuldige, gefällige Miene – dieselben feurigen braunen Augen – dieselbe reine weiße Haut – dasselbe Roth des küssenswerthen Mundes – alles war auf das Sprechendste in diesen kleinen Porträten ausgedrückt. – »Man hat es mir schon mehrmal gesagt,« antwortete sie, als ich ihr meine Entdeckung mittheilte: »Es ist ein Zufall, der vielleicht nur ihren Verkauf hindert.« – Diese ungezwungene Aeußerung der Bescheidenheit eines so artigen Geschöpfes verdiente doch wohl ein Kompliment, lieber Eduard? Ich wußte ihr kein größeres zu machen, als daß ich, zum Beweise wie ungerecht ihre Furcht sei, ihr einen dieser Ringe abkaufte. – »Was kostet das Stück?« fragte ich lächelnd. – »Dieser hier,« antwortete das Mädchen, »zwei Louisd'or, und der andere achte.« – »Und warum das?« fragte ich weiter: »Ich sehe doch keinen Unterschied zwischen diesen beiden Bildern; das eine sieht Ihnen so ähnlich, als das andere – sie sind mit gleichem Fleiße gemalt, und so viel ich beurtheilen kann, sind auch die Reife von einerlei Weite, Größe und Gehalt.« – »Von allem dem,« versetzte das junge Ding, »kann ich Ihnen keine Rechenschaft ablegen. Ich vertrete hier nur die Stelle meiner Mutter, die anderwärts zu thun hat, und kann Ihnen nur die Preise angeben, die sie bestimmte, ohne daß ich für mein Theil etwas mehr vorschlage.« Das machte mich nur noch stutziger. Anstatt den wohlfeilen Ring zu kaufen, besah ich den theuern mit äußerster Neugierde; und es währte nicht lange, so entdeckte ich an ihm einen Punkt, groß wie ein Nadelstich, der an dem andern nicht war. Ich vermuthete eine verborgene Feder, und betrog mich nicht. – »Ah! liebes Kind,« [146] rief ich ungeduldig, »Sie haben da eine goldene Nadel vorstecken; darf ich wohl auf einen Augenblick darum bitten?« – Das gute Mädchen zog sie so unbefangen heraus, als ich darum bat – das Halstuch flatterte auf beiden Seiten und das Brustbild ward ihr noch ähnlicher; aber kaum stach ich in den Ring, so sprang der Kristall auf, ihre sittsame Büste verschwand, und es erschreckte mich ein so schönes Kniestück von ihr, daß ich über und über roth ward. – »O, jetzt begreife ich,« sagte ich mit funkelnden Augen, »warum dieser Ring noch dreimal so viel werth ist als der andere. So con amore 21 gemalt, habe ich keine Mignatur noch gesehen. Ihre Frau Mutter muß den Handel vortrefflich verstehen; denn der Ring ist des Geldes unter Brüdern werth.« – »O gewiß, mein Herr,« sagte sie gleichgültig, »übertheuern wir niemanden.« – »Für einen großen Thaler,« fuhr ich fort, »überlassen Sie mir auch wohl Ihre goldene Nadel, die zum Schlüssel des Rings wie gefunden ist?« – »Von Herzen gern,« antwortete das gutmüthige Geschöpf, und das Halstuch flatterte nun so lange vor meinen Augen fort, bis ich das Gold sortirt und aufgezählt, sie es dmchgewogen und eingestrichen, und ich des schönen Anblicks vor der Hand genug hatte.

Ich war damals ein blutjunger Mensch, Eduard, der das Geld nicht achtete, das tanti poenitere non emo nicht begreifen konnte, und an allen Ecken der Stadt betrogen wurde. Aber diesen Ring wenigstens habe ich gewiß nicht zu hoch bezahlt; denn, ungerechnet, daß, so lange ich auf der Messe war, nicht ein Tag verging, wo ich mir nicht die Lust machte, seine Feder ein paarmal springen zu lassen, und kein Abend, wo es mir nicht durch seine Vermittelung gelang, dieß artige Kind in ihr Quartier zu begleiten, hat er mir auch noch in der Folge meines Lebens die wichtigsten Dienste geleistet. Die Ringe des Giges und des Salomo in Ehren, hat doch sicher keiner eine so süße magische [147] Kraft von sich geströmt, als der meinige. An seinen Besitz scheint das Geschick die vielen glücklichen Stunden geknüpft zu haben, die ich seit jenen erstern der Frankfurter Messe verlebte. Sollte auch die junge Putzhändlerin noch nicht ganz von der Oberfläche unserer Erde verschwunden seyn, so würde ich sie doch schwerlich jetzt aus ihren Runzeln hervor ziehen können, wenn sie mir irgendwo wieder aufstieße; aber das jugendliche Andenken, das sie mir mit dem Ringe übergab, wird hoffentlich mir so lange noch zu Hülfe kommen, als ich unter den Lebenden wandle. O du überschwengliches Glück der Einbildungskraft und der Erinnerung! Und doch wie wenig wirst du in unserm Alltagsleben benutzt! als ob wir Armen unserer flüchtigen Freuden noch so sicher, und des wiederholten Genusses der gegenwärtigen Augenblicke noch so gewiß wären! Ließe jeder Ehelustige seine Braut am Tage ihrer Uebergabe in dem Costume meiner Putzhändlerin unter dem Krystalle seines Traurings malen, die erste Auslage würde ihm in altern Jahren zehnfach wieder zu gute kommen. Wie mancher widrigen Stunde der Erschlaffung würde er durch diese Kleinigkeit wieder aufhelfen! Wie manchen häuslichen Zwiste könnte er mit diesem Dokumente, das beiden Theilen zum Beweise dienen würde, vorbeugen! Warum rettetet ihr nicht, ihr Veralteten, einen Feuerbrand aus eurer Jugend, an dem sich jetzt euer erkaltetes Herz erwärmen, und der euch mit wiederkehrenden Kräften beleben könnte? So stecke ich allemal, und selten umsonst, meinen Frankfurter Ring an den Finger, wenn ich nöthig habe den jungen Herrn zu spielen. Er dient mir oft als ein Medusen-Kopf, mit dem ich den feindlichen Ernst aus meinem Museum verjage; und nie vergesse ich, ihn in so kritischen Stunden zu tragen, als mir heute zu Theil wurden. Wundershalber will ich nur sehen, wie lange er seine magische Wirkung noch äußern, und ob nicht, wenn seine Feder erschlafft und seine Farben verbleichen, auch endlich sein jugendlicher Einfluß auf mich selbst verschwinden wird?

Doch ich bin und bleibe ein Schwätzer, und vergesse immer die eine Geschichte über der andern. Mache es nur jetzt, um geschwind von der Sache zu kommen, wie ich es eben mit dem Ninge gemacht[148] habe, lieber Eduard; besieh erst noch einmal auf das genaueste das artige Brustbild meiner Heiligen – die verschämte ängstliche Miene – das belebte Kolorit, und das Steigen und Fallen ihrer frommen Empfindungen; und nun wende geschwind das Blatt um, wenn Du Dir auch die andere Hälfte des pitoresken Anblicks gönnen willst, den ich erlebte. Du gehörst, gottlob, nicht zu jenen Unerfahrnen, die ich verscheucht habe, und es würde wohl sehr lächerlich herauskommen, wenn ich einem Manne, wie Du bist, meinen guten Rath mit auf den Weg geben wollte.


Als Schüler Epiktets, weißt Du zu gut den schnellen

Begierden zu entfliehn. Dich wird kein Uebersprung

In's Thal der Leidenschaft den Faunen beigesellen,

Die meine Muse, trotz dem Diadem von Schellen

Auf ihrem Haupte, nie besung.

Die Weisheit führe Dich mit Glück durch jene Wellen –

Und Schlangenlinien den angestaunten Zellen

Der feinsten Haut vorbei, bis in die Dämmerung

Der Werkstatt der Natur, die selbst mein Adelung

Zu schüchtern ist Dir aufzuhellen.

Blick, alter Freund, blick her! An diesen Wunderquellen

Sah sich ein Nestor wieder jung.


Wie bebend stand sie da, die Perle der Pücellen!

Wie ein verklärter Geist, den an des Himmels Schwellen

Ein Schauer der Verherrlichung

Zum erstenmal ergreift! Sie, jedem Dichterschwung,

Zu hoch, sie traulicher dem Auge darzustellen,

Ist keine Sammlung von Pastellen,

Ist keine Sprache reich genung.

Wie ward mir! Ach, aus meinen Augen blickte

Ein Herz, das wie ein Gott genoß;

Die Stimme fehlte mir – in meinen Adern floß

Ein Feuerstrom, der sie nur stärkender erquickte,

Je wüthender er sich ergoß.

Die Lieb' in Ungestüm verweilte nirgends – pickte

Ein Röschen hier, das seinen Kelch verschloß,

Eins dort, das sich schon besser schickte,

Schon prahlender in Blätter schoß,

Und jedes, das die lange Zeit verdroß,

Die es umsonst im Schutz der Interdikte

Der Lüsternheit entgegen sproß.


[149]

So schweifte mein Gefühl mit wechselndem Gewinnste

Durch Berg und Thal, den Bienen gleich, und sog

Sich voll – flog schwerer – und verflog

Zuletzt sich an das Kreuz, das unter Florgespinnste

Des Propstes Zaubergriffel zog.

Wie ängstlich flatterten die aufgeschreckten Reize

Der Scham, den Tauben gleich bei einer Reiherbeize,

Von allen Scherzen ausgezischt

Aus dem Tumult. Genug! – mit Thränen untermischt,

Wird nun der Opfertrank dem lang' getäuschten Geize

Des hungrigsten der Götter aufgetischt.


Doch kaum begann das Fest, die Augen angefrischt,

Sah ich kaum, unter mir, von dem versteckten Kreuze

Des Propstes den Kontour verwischt,

So fühlt' ich schon mit jedem Blick von Klaren

Die Strahlen seines Banns mir in das Auge fahren,

Das wild bis an die Schranken lief,

Die, ihm zwar weit genug durch meinen Ablaßbrief

Geöffnet, doch zugleich mit einer wunderbaren

Geheimen Kraft gesegnet waren,

Die alles, was im Reich der Phantasieen schlief,

Die Gränzen zu bedecken rief.

Gespenster stiegen auf; die Gegend wurde trüber,

Sturm zog sich um den Kreuzgang her;

Mir war als schleudre mich ein ungestümes Meer

In das Gebiet der Schatten über,

Gelähmt zu jeder Wiederkehr; –

Mir war als schlüge das Gebelle

Des Höllenhundes an mein Ohr:

Mir war als ob der Danaiden Chor

Sich mir mit ihren Eimern vor,

Und neben mir sich der Verdammte stelle,

Der, ewig durstend an der Quelle,

Die Tropfen zählt, die er verlor.

Neugierig streckte sich so mancher Diebsgeselle

Verbotner Freuden aus der Welle

Des Phlegethons nach mir empor – – –


Doch was erhebt dort aus dem Feuer

Des Orkus sich für ein Koloß?

Entsetzlicher, als selbst die Ungeheuer

Aus jenem fabelhaften Troß!

Die Dietriche des Himmels glühen

In seinen Händen – Funken sprühen

[150]

Von seinem purpurnen Talar!

Sein Nimbus schwebt im Qualm der Seuchen,

Die ihm die neue Welt gebar! 22

Sie nagen sein Geripp und scheuchen

Der Neugier Blick von seinem Schlangenhaar!

Sein Haupt, das frech drei Kronen auf einander

Getürmt, sein Fürstenstuhl. den eine nackte Schaar

Umzingelt, stellen mir im Glanz der Salamander

Das Oberhaupt der Kirche dar;

Ihn, der verwüstend wie ein Brander,

Titus Thron – Papst Alexander.

Jetzt auf Klärchens Brust ein Unterhändler zwar,

Doch selbst auch hier, wie vor dem Hochaltar,

Ein ehrvergeßner Abgesandter

Des Todes und der Sünde war.

Statt eines Gnadenbriefs warf spottend der Barbar

Ein Leichentuch auf meine Schwanenbetten;

Mein Auge schwindelte im Bann

Des Propstes, und erstarb – die letzte Oelung rann

Kalt über mich, und Todtenmetten

Vereitelten den Amoretten

Die Ueberfahrt nach Canaan.

Mir schien, als schleppe mich ein brausendes Gespann,

Mit Krepp behängt, mit traurigen Aigretten

Bekrönt, dem Hügel zu, wo man

Das Glück der Schlafenden schon aus dem Kranz von Kletten

Der ihn umweht, erraten kann.

Erschreckt durch solch ein Bild, sah ich mich um und sann,

Nur noch den Rest der Seligkeit zu retten,

Die mir mein Dokument gewann.

Umsonst! Die Hölle schien auf meinen Fall zu wetten;

Dem schwindenden Phantom begann

Mein eifersüchtiger Tyrann

Ein neues Blendwerk anzuketten.

Schon dreimal hatt' ich mich in den Bezirk gewandt.

Wo sich mein erster Blick mit Hoffnungen verband,

Die lange noch nicht eingetroffen;


[151]

Und dreimal prallt' ich ab, gleich einem, der am Strand

Calabriens sein schönes Mutterland

Vergebens wieder sucht. Sein Gärtchen ist ersoffen;

Sein alter Spielplatz ist mit Sand

Bedeckt – sein Veilchenthal steht jetzt bis an den Rand

Voll Nesseln, und er sieht dort die Charybdis offen,

Wo sonst ein Meilenzeiger stand!


Doch hier entfällt die Feder meiner Hand,

Ich geb' es auf den Stoff noch besser auszustoffen. 23

Genug! Noch eh' ich mich in diesem Schutt und Brand

Ein wenig nur zurechte fand,

Zerfloß mein Jugendtraum – ach! wider mein Verhoffen,

Selbst wie ein Schatten und verschwand.


In mancher Fährlichkeit, wenn ich bald Menschenhasse,

Bald frommer Heuchelei die freie Stirne wies,

Wenn ich in dunkler Nacht, trotz meinem Weisheitspasse,

Mich manchmal an die Nase stieß,

Malt' ich mich Dir so gern; doch dießmal, Freund, erlasse

Den Umriß mir der kläglichen Grimasse,

Die mir mein Unfall hinterließ.

Der Sohn des Dädalus fiel, glaub' ich, nicht viel strenger

Bestraft, vom Himmel in die See;

Die traurigste Gestalt schlug nicht ihr Auge bänger

Nach Rosinanten in die Höh;

Kein Wittwer fühlte sich wohl je

Verwittweter als ich; selbst nicht der Minnesänger

Der höllischen Euridice.


»Ach, Klärchen, ach! wo kamen die Bilder – die schrecklichen Bilder her?« rief ich trostlos aus, indem ich dem lieben Kinde von unserm traulichen Sopha herunterhalf. – »Was denn für Bilder?« fragte sie, trat zugleich vor den Spiegel, ohne auf meine nachstrebenden Blicke zu achten, und schon rollte der Vorhang über jene heiligen Kleinodien, die vielleicht von mehr Gespenstern bewacht wurden, als je einen Schatzgräber erschreckt haben. Sie hatte so eine Eile damit, als ob sie befürchtete, ein einziger Sonnenstrahl schon könnte dem herrlichen Gemälde, das ihr so rein und treu, [152] wie aus einem Krystall wiederschien, alle seine Schatten und Lichter ausziehen. Mein Herz war beklemmt – es fühlte mit Wehmuth seinen Uebergang aus der schönen Natur in die gemeine Welt. – »Nun mein Herr,« wiederholte sie, während sie ihren ersten Unterrock über sich warf, »was für Bilder waren es denn?« – »Blendwerke der Hölle,« antwortete ich. »Sie hätten wohl einen Riesen aus seiner Fassung bringen – einen Furchtsamern als mich wohl tödten können.« – »So bin ich denn recht froh,« fiel sie mir in das Wort, »daß wir noch so gesund beisammen sind.« Und dabei knüpfte sie die Hauptschleife, von der ich Dir, glaube ich, schon oben etwas gesagt habe, wohl noch einmal so fest zusammen, als sie war, da ich sie aufzog. – »Wo ich hinsah,« fuhr ich fort, »lagen die Phantome vor mir, stiegen mir nach wo ich hindachte, und haben mir den schönsten Handel verdorben, der wohl je über einer Reliquie geschlossen wurde.« – »Das thut mir herzlich leid, mein Herr,« erwiederte sie, und langte nach ihrem Nadelkissen. »Ohne die Mühe des Aus- und Anziehens eben hoch in Anschlag zu bringen, würde ich sie mir doch ganz erspart haben, hätte ich vermuthen können, daß Ihnen dieselbe Ansicht, auf die ihr Eigensinn so hartnäckig bestand, so übel bekommen würde. Weder Pater Bauny,« sagte sie, und fuhr in den einen Aermel ihres Mieders, »noch der Pater Lessau,« und sie fuhr in den andern, »weder Sie noch der Papst,« und sie fing an sich einzuschnüren, »würden mich haben bereden können, Ihnen damit beschwerlich zu fallen, wenn ich, wie gesagt, es gewußt hätte.« – »Sie sind die Güte selbst, Klärchen, und so aufrichtig als schön; um desto mehr ist es zu bejammern, daß so viele Vollkommenheiten unter dem Drucke eines Zauberers liegen.« – »Wie, mein Herr?« drehte sie sich verwundernd nach mir um: »Halten Sie den Schutz der Mutter Gottes – das Kreuz der heiligen Cäcilia, für Zauberei? und rechnen Sie die frommen Interdikte meines Seelsorgers unter die verbotnen Künste?« – Ich ließ mich nicht durch ihre Frage irren. – »Unbegreiflich!« fuhr ich nur noch ingrimmiger fort, je fester sie ihr Schnürleibchen zusammen zog, »wie ein Propst gegen einen Papst – ein gemeiner Schwarzkünstler gegen den größten, so [153] ganz ohne Widerrede Recht behielt!« – »O! mein Herr,« fiel sie mir hier sehr ernsthaft ein, »seine väterliche Fürsorge für mein Bestes ...« – »Was meinen Sie damit? Klärchen!« fragte ich in der albernsten Zerstreuung – »verdient auch selbst in Ihrem Munde, diese Schmähung nicht. Wie können Sie nur den guten Mann mit Ihren Phantomen in Verdacht haben? Wie hätte er denn Ihren Handel verderben können, der, glauben Sie mir, viel zu sonderbar war, als daß ihn selbst ein Prophet hätte errathen. sollen? Thun Sie immer der Wahrheit die Ehre, und gestehen Sie, daß Sie nichts mehr als Ihre eigene Schuld trugen, und da Sie über allen unsern Ein- und Ausgängen die Kreuze des Propstes mit lachendem Muth verwischten, Sie notwendig die rächenden Geister wider Sich empören mußten, die diese heiligen Zeichen umschweben. Es ist mir lieb, daß Sie aus eigener Erfahrung lernen, wie wenig Ihr Glaube gegen den unsern vermag, und daß man ungestraft auch das geringste Geschöpf nicht unrecht ansehen darf, das unter dem Schutze der Heiligen steht. Aber, mein lieber Herr,« fuhr sie jetzt mit mehr Theilnahme fort, »da Sie nun das erfahren haben, wie mögen Sie Sich immer noch nicht besser mit Ihren Augen in Acht nehmen? Sie verfolgen ja jede Nadel die ich mir anstecke, als wenn Ihnen noch so viel an Ihrem Schwindel gelegen wäre. Warum setzen Sie Sich nicht einstweilen in eine Ecke, bis ich mit meinem Anzuge zu Stande bin?«

Beinahe glaube ich, Eduard, daß Klärchen mit ihrem kindischen Geschwätz nicht ganz Unrecht hatte. Ich begreife es noch nicht, warum ich, ohne zu wanken, neben ihrem Spiegel gelehnt blieb, den sie doch, mit so gänzlicher Ausschließung meiner, über ihren Anputz zu Rathe zog, als wenn ich nicht in der Stube wäre. Mit der traurigsten langen Weile stand ich da, und mußte zusehen, wie sie alles so artig wieder aufbaute, was ich zu Ehren der Natur einriß – wie mir jede Minute eine Augenfreude mehr entzog, bis alle und jede ihrer heiligen Reize – und wie ich fürchtete – auf ewig meinem Anblick verschwanden.

Sie war nun so weit mit sich fertig, daß sie nur noch das letzte Streifchen Musselin um ihren Busen zu schlagen hatte, als [154] sie, durch einen flüchtigen Hinblick nach ihrem Halsgeschmeide, meine Füße in Bewegung brachte. Ich holte den guten Nicaise aus seinem Winkel, und ich hoffe, daß der bescheidene Ernst, unter welchem ich ihn jetzt wieder zu seiner warmen Ruhestätte begleitete, den Leichtsinn hinlänglich verbüßt hat, mit dem ich mich unterfing ein so heiliges Gebein der Erkältung auszusetzen. Und nun stand das fromme Klärchen wieder so erbaulich vor mir, daß ich nichts weniger als ein neues Schrecken von ihr erwartete, mit dem sie mich doch bald genug überraschte. – »Jetzt, mein Herr,« sagte sie freundlich, »jetzt geht mir zur völligen Beendigung unseres Handels nichts mehr ab, als – Sie wissen wohl – die restitutio in integrum, die Sie mir, als eine Hauptbedingung, zugesagt haben.« – »Ihre restitutio?« fing ich das Wort auf, und ward roth bis über die Ohren. »Kann das fromme Klärchen auch spötteln? O haben Sie nur Geduld! Jene Schreckbilder werden mich nicht ewig verfolgen, und mein Näherrecht wird dem heiligen Vater schon noch Gelegenheit verschaffen, seine ganze Macht und Gnade an Ihnen zu versuchen.« – »Da verstehen wir uns einmal wie der nicht,« antwortete sie, und legte ihre Hand traulich auf meinen Arm. »Ich rede sehr ernstlich, mein Herr! Mein Spiegel hat mir keine Kleinigkeit, und hat mir also nicht verschwiegen, in welche Gefahr jene unruhige Lage auf dem Sopha meine Singstimme versetzt hat. Ich beschwöre Sie also bei der Unschuld der Harmonie, bei der Glorie der heiligen Cäcilia, das Mahlzeichen wieder in seinen vorigen Stand herzustellen, das unter Ihren Händen verlosch. Hier ist die geweihte Farbe, die auf dem Altare dieser großen Erfinderin der Orgel – dieser Patronin aller Sängerinnen und Sänger, gemischt, und der einzige Reichthum meiner Toilette ist.«– Mit diesen Worten reichte sie mir aus dem einen Schubfach einen Pinsel, aus dem andern eine krystallene Schale, die diese kostbare Schwärze enthielt. Es lagen in dieser ihrer Zumuthung wieder so viel neue Begriffe für mich, daß ich nicht gleich wußte wo ich damit hin sollte. – »Also nur Ihrer sonorischen Stimme wegen, Klärchen?« fragte ich lakonisch, und schüttelte den Kopf. – »Und weßwegen könnte es denn sonst seyn?« fragte sie dagegen; [155] und wir blickten einander wieder mit der Verwunderung an, in die uns schon so oft unsre Mißverständnisse gebracht hatten. Das Mädchen, Eduard, wird mir ein Räthsel bleiben bis zu dem letzten Augenblicke.

So wenig ich auch von Zeichnung und Malerei verstehe, so hatte ich doch nicht das Herz ihre Forderung von der Hand zu weisen. Ich folgte ihr also, und dießmal ganz demüthig, bis an den Sopha nach – knieete mit der nichts sagenden Miene eines elenden Malers, den ein Narr miethete eine Venus von Correggio auszubessern, vor die beschädigte Sängerin – sah zum letztenmal im Vorbeigehn den theuern Kniegürtel, der mich in so viele Verlegenheit schon gebracht hatte, und der Vorwurf, den ich mir machte, seine weitläuftigen Indulgenzen so ärmlich benutzt zu haben, lief mir eiskalt über den Leib. Ich nahm mich jedoch auf das beste zusammen – zog meine Striche die Länge und die Quere auf dieselbe Stelle, wo ich die Spur der ersten halb verlöschten antraf, und ehe ich mich umsah, stand mein Gemälde im möglichsten Glanze da. Wenn Du aber denkst, daß es ein Kreuz war, Eduard, so irrest Du Dich. Die Grundsätze meiner Moral und Religion werden mir nie erlauben, für den Aberglauben einen Pinselstrich zu thun, es müßte denn seyn, um ihn zu verspotten; und dazu hatte ich hier freilich alle mögliche Aufmunterung. Was soll das Symbol des heiligen Kreuzes, ich bitte Dich, an dem Scheidewege einer Sängerin? Ich wollte nur, dachte ich, daß der Propst da wäre, um ihm das Lächerliche und Unschickliche davon begreiflich zu machen. Doch bin ich denn nicht sicher genug daß er herkommt? Gut! so will ich ihm denn einen Beweis ziehen, der ihm so stark in die Augen leuchten soll, daß sie ihm übergehen. Die Gelegenheit war wirklich zu schön! Denn so gewöhnlich es auch ist, seinen Gegner an einen dritten Ort zu bestellen, so konnte doch zu der stillen Rache, die ich an dem meinigen zu nehmen gedachte, wohl schwerlich einer besser gelegen seyn, als die einsame Gegend seines täglichen Besuchs, die seine vertrauteste Freundin durch einen Zusammenfluß glücklicher und unglücklicher Zufälle mir selbst zu verrathen genöthiget wurde. – Und so malte ich denn dem guten[156] Mädchen, ohne daß sie auch dießmal so wenig erfuhr, was auf ihrer Grundfläche vorging, als sie die feine Verbindung meiner guten Absichten mit meiner schlechten Arbeit argwöhnen konnte – Etwas – das sich ungleich besser für ihre Umstände schickte; malte ihr statt des heiligen Kreuzes, das sie erwartete, mit allem Ausdrucke der Wahrheit, ein Bild, das auf einen flüchtigen Blick jener Figur nicht ganz unähnlich war – kurz, ich malte ihr nichts mehr und nichts weniger als – was denkst Du wohl Eduard? als einen – Stimmhammer.

Wir waren beide, obgleich aus verschiedenen Gründen, mit dem guten Fortgange der Wiederherstellung so zufrieden, daß wir noch, während das Gemälde abtrocknete, die freundlichsten Blicke mit einander wechselten. Stelle Dir aber mein Erstaunen – stelle Dir ... nein Du kannst es nicht – mein Erschrecken und ihre Verzweifelung vor, als ihr Aufstehen vom Sopha ihr nur zu fühlbar entdeckte, daß ich während meiner Arbeit – wo muß ich die Augen gehabt haben? – den ganzen Rest der geweihten Farbe, der wenigstens noch zu hundert Kreuzen hinlänglich gewesen wäre, verschüttet – das feinste Linnen, das man sich denken kann, verdorben, und selbst den Kniegürtel der unbefleckten Jungfrau ein wenig befleckt hatte. Alle die entsetzlichen Folgen meiner Ungeschicklichkeit, ob ich sie gleich nicht so geschwind übersehen und so genau berechnen konnte als Klärchen, traten mir doch lebhaft genug unter die Augen, um mich aus meiner Fassung zu bringen. Ich hatte kaum das Herz nach dem armen Kinde in die Höhe zu blicken, das, durch diesen Unfall ganz niedergedrückt, seinen vorigen Heroismus unwiederbringlich verlor. Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen, lehnte sich hinfällig an die Wand, vergoß in der Geschwindigkeit mehr Thränen, als letzthin von der heiligen Magdalena versteigert wurden, und stürzte sich endlich, wie ohnmächtig, auf den Sopha zurück. – »Liebes, bestes Klärchen,« rief ich in der äußersten Bestürzung, »um aller Götter willen beruhigen Sie Sich! Sagen Sie mir, in welchem Kloster diese Schwärze der heiligen Cäcilia zu kaufen ist; ich will hinlaufen – sie holen, und Ihnen den Verlust Ihrer Toilette, wenn er auch noch so beträchtlich [157] wäre, mit tausend Freuden ersetzen. Vor allen Dingen aber bitte ich Sie – und ich will Ihnen gern dabei hülfliche Hand leisten – kleiden Sie Sich um.« – Jetzt erwachte sie, und drehte ihre mächtigen Augen, mit dem verächtlichsten Blicke den sie fassen konnten, nach mir Unglücklichem zu. – »Gehen Sie, mein Herr,« rief sie mit sublimer Stimme: »Machen Sie, daß Sie bald aus unserm Hause kommen! Es ist kein Glück und Segen in Ihrer Nachbarschaft.« – Mehr erlaubte ihr der Schmerz nicht vorzubringen. Sie stützte ihren Kopf auf die rechte Hand, über die ich neue Thränen in Perlen herab rollen sah. Ich stand wie versteinert vor dem so hoch betrübten Kinde. Eine Weile darauf erhob sie noch einmal ihr trauerndes schönes Gesicht und ihre bebende Stimme. »Muß ich Sie noch immer sehen, mein Herr?« fragte sie mit einer Empfindlichkeit, die mir das Innerste der Seele bewegte. – »Undankbare!« versetzte ich jetzt mit tragischem Ernste: »Sie soll ich, Ihr Haus soll ich – mein Näherrecht soll ich verlassen? Und Sie wollten das Knieband der Madonna – den Ablaßbrief Papst Alexanders – wollten Sich alle seine Indulgenzen zueignen, ohne mir nur eine kleine Frist zu gönnen, sie mit Ihnen zu theilen?« – »Das,« fiel mir das fromme Mädchen mit unbegreiflichem Stolz in's Wort, »ist noch der einzige Trost in meinem Unglücke, daß ich diese Heiligthümer unwürdigen Händen entreiße! – Auf meiner Seite habe ich die Bedingungen erfüllt, mehr als zu sehr erfüllt, und bin darüber in Ruhe. Dieß, mein Herr, ist, bei der gebenedeiten Mutter! das letzte Wort, das Sie von mir hören. – Jetzt können Sie gehen, oder meine Tante erwarten, wie es Ihnen beliebt.« Sie hatte kaum ihrer Tante erwähnt, so ward mir schwühl um das Herz. Ich wagte keinen Augenblick länger zu verweilen, und, nach ein paar hingeworfenen Worten zum Abschiede, die mir das Geschöpf nicht einmal beantwortete, eilte ich zur Thüre hinaus, die ich auch sogleich hinter mir zuriegeln hörte.

Ich kannte mich kaum vor Aerger, wie ich in mein Zimmer trat. Ich klingelte nach Bastian, um ihn zu fragen, was er wolle? und klingelte ihm wieder, um ihm zu befehlen, ungesäumt einzupacken [158] und die Post zu bestellen. – Ich will fort, Eduard! Was brauche ich die Zurückkunft der alten Hexe erst abzuwarten? Sie ist für ihre Miethe einen Monat voraus bezahlt, und ihr heiliges Klärchen kostet mir ein und vierzig Dukaten, die ich nicht übler hätte anwenden können. Was soll ich länger an diesem abscheulichen Orte? Es würde mich nur um mein Bißchen Verstand bringen, wenn ich noch einen Abend hier verleben, die Ankunft des Propstes erinnern, und wohl gar bei seiner morgenden Inspektion gewärtigen müßte, mit meinem Stimmhammer konfrontirt zu werden. Wohl mir, daß ich der unterirdischen Wirtschaft dieses Gesindels noch so glücklich entwischt, und der Mühe überhoben bin, um den Preis des vermaledeiten Ablaßbriefes noch einmal mit den Geistern der Hölle zu ringen! Ich thue hiermit feierlich Verzicht auf meinen Antheil an jenem unheiligen Fetzen, der einst Zeuge der Mordschaffenden Umarmung eines ehrlosen Papstes war, und jetzt, als Zeuge der verrätherischen Heuchelei eines nichtswürdigen Mönchs, das Knie seiner Buhlerin gürtet. Das Wort, um das ich so lange ungewiß herum ging, ist endlich, gottlob! über die Zunge – Ich nehme es nicht wieder zurück, Freund! und hoffentlich wirfst Du mir auch nicht vor, daß ich es zu voreilig gesprochen habe. Aber was kümmert es mich? Mögen doch diese Heiligen ihr Unwesen treiben, bis sie selbst zu Reliquien werden! Mein armer Kopf! wie er feuert und tobt! Ich muß – ich muß meine Bosheit thätiger auslassen als mit der Feder!


Weißt Du, von woher ich zurück komme? Ich habe dem gesegneten Andenken des vortrefflichen Rousseau, das ich vor einer Stunde so grausam beleidigte, mein Versöhnungsopfer gebracht; habe alle die teuflischen kasuistischen Bücher meiner Schlafkammer vertilgt, die mich, großer Gott! der Versuchung so nahe brachten, ein Jesuit zu werden. Von dem Traktat an de probabilitate bis zum Sanchez de matrimonio – von siebenzehn Büchern, mit denen ich in nähere Bekanntschaft gerathen war, ist nichts übrig, als die leeren Hornbände, und das einzelne Blatt aus der Legende der heiligen Klara, das den großen Beweis der Dreieinigkeit enthält, [159] und das mir noch beifiel aus dem Feuer zu retten, um es als einen Beleg meiner Erzählung zu gebrauchen, als das Buch schon lichterloh brannte. Alles übrige ist vom Feuer verzehrt. Der Scheiterhaufen dieser unseligen Werke brannte gerade unter der Büste jenes unsterblichen Schriftstellers – Die empor rollende Flamme röthete, je mehr sie sich in dem Kamine verbreitete, sein blasses Gesicht, das, wie vom Feuer der Tugend belebt, auf mich herab blickte. Ich glaubte in seinen ernsten Mienen die höchste Mißbilligung meines Leichtsinns zu lesen, und schamhafte Reue über die Verirrungen meiner verlockten Sinne färbten nun meine Wangen.

Wenn Bilder von jenen Tausenden Seliggesprochener gleiche Empfindungen zu schaffen vermöchten ... ach! wer könnte die religiöse Verehrung derselben verdammen? Wer könnte alsdann über die Andacht eines fühlenden Mädchens spotten, das vor der Madonnengestalt neben ihrem Bette das Knie beugt, um ihre schwankende Tugend zu stärken? Wer möchte es wagen, ein Bild, das zur Erinnerung an Ehre und Rechtschaffenheit dient, – es sei ein Boromeus oder ein Rousseau – aus seinem Gesichtskreise zu verbannen? – O, ihr Päpste, Pröpste und Mönche! die ihr eine Legion von Lotterbuben, nicht zur Bewahrung, sondern zur Verführung der Tugend, auf Altäre gestellt – durch heillose Künste das zarte Gefühl des Gewissens verhärtet – manche schwache Seele durch Freipässe zum Laster sicher gemacht – an jede Lampe, die eure heiligen Concordien, Magdalenen und Madonnen erleuchtet, einen Trost für Verbrecher gehängt – durch ihren werthlosen, erdichteten Nachlaß die Armuth um ihr Brod betrogen – durch eure geweihten Todtenbeine Verstand und Unschuld erhitzt und geschändet – und an Rosenkränzen, unter dem Zeichen des heiligen Kreuzes, manches ehrliche Mutterkind in das Lazareth verlockt habt – könnte ich doch, o ihr Verworfensten des Menschengeschlechts! alle eure Nischen und Kapellen – alle eure dem Verbrechen geheiligten Schutzörter zerstören, wie ich jetzt die giftschwangern Blätter vernichtet habe, die meiner Leidenschaft stöhnten! – Und ihr, meine guten Landsleute, die ihr etwa nach mir diese [160] Miethe beziehet, danket es mir, daß ich sie voll jener unsaubern Gesellschaft, deren Asche bald in alle Winde verfliegen wird, gereiniget habe! Kauft dafür zu euerm Zeitvertreibe Rousseau's geistreiche Schriften bei euerm Nachbar Fez, und lest sie im Angesichte seiner Büste! Vor den bezaubernden Reizungen der Psalmistin brauche ich euch kaum zu warnen: ihr kennt sie nun, und auch sie selbst wird schwerlich einem Ketzer mehr trauen.

Wenn die kürzeste Thorheit die beste ist, so darf ich nach allein dein, was die meinige bei ihrer Entstehung zu werden versprach, immer noch froh seyn, daß sie nicht den siebenten Tag überlebt hat. Ihre pittoreske Ausstellung ist freilich – ich will es lieber selbst erklären, ehe es ein anderer sagt – die partie honteuse meines Tagebuchs, die ich gern, so wenig ich auch sonst auf kastrirte Schriften halte, davon trennen möchte, wenn es nur ohne Beschädigung des Ganzen geschehen könnte. – Der Sturm war heftig, Eduard; ich verlange keinen seiner Art noch einmal zu erleben – aber da er nun glücklich vorbei ist, möchte ich auch um vieles nicht die Erfahrung missen, die er mir gab. Er hat mir die tiefsten Blicke in den Abgrund geöffnet, zu dessen Erforschung alle, die ihn befahren, das Ihrige beitragen sollten; und ich kann wohl sagen, daß ich nie einen stärkern Beruf gefühlt habe, über seine gefährlichen Klippen zu predigen, als eben jetzt, da ich, ermattet und zerschlagen, von ihm zurück komme. Es wäre doch sonderbar, wenn etwa alle Wegweiser der Tugend und der Sitten aus diese Weise zur Welt kämen, und uns nur weiß machen wollten, daß sie urplötzlich mit Spieß und Schild gerüstet, gleich Minerven, aus Jupiters Gehirn gesprungen wären. Für das Ansehn im Publiko möchte diese Verläugnung ihrer wahren Abkunft allerdings sein Gutes haben: aber diesen Herren selbst, wenn sie nun einander antreffen, müßte es, dächte ich, alsdann auch gehen, wie dem ehrlichen Cicero, der, sobald er zum Augur geweiht war, keinem andern Augur auf der Straße begegnen konnte, ohne zu lachen. –

Die Pferde wollen noch nicht kommen, und doch hätte ich so gern diese häßliche Geschichte hinter mir, an die mich hier alles auf das unangenehmste erinnert, von der glimmenden Asche an in [161] meinem Kamine, bis zu den leeren Bänden, die, wie Schlangen- und Krokodillen-Bälge, daneben liegen. – Ja wohl, ja wohl, lieber Eduard, ist es eine häßliche Geschichte! Was würde aus meinem guten Rufe werden, wenn sie durch Deine Nachlässigkeit oder Deinen Muthwillen bekannt würde! Laß mich, ehe ich Avignon verlasse, darüber noch erst Abrede mit Dir nehmen. Suche es auf allen Fall – ich rede jetzt ernsthaft mit Dir, lieber Freund, – wenigstens zu vermitteln, daß mich die letztvergangene unglückliche Stunde nicht zu sehr in dem guten Zutrauen unserer Damen zurück setze. Gieb den ganzen Handel für ein Spiegelgefecht meiner luxuriösen Einbildungskraft – für eine launige Spötterei über die falsche Glorie menschlicher Tugend aus. Und wenn das auch nicht verfangen will, so gehe nur den jetzt so gewöhnlichen Weg, der selten fehl schlägt, und mache, wenn von meinem Falle gesprochen wird, eine geheimnißvolle Miene dazu! Was gilt's, man übersieht alsdann die Wahrheit, und sucht nun hinter meinen Nuditäten versteckte Prophezeihungen, wie man sie in dem hohen Liede sucht. – In dem hohen Liede? sagte ich. Wie kommt mir das ein? Ich widerrufe diese Vergleichung, die meinem Tagebuche offenbar Unrecht thun würde. Salomo mag es mir nicht übel nehmen; aber, nach meiner Einsicht, hat ihm der Zufall viel zu viel Ehre erwiesen, seine poetischen Grotesken bis auf unsere Zeiten zu erhalten, zumal in der ehrwürdigen kanonischen Maske, hinter der sie vermummt sind. Ich bin zwar von dem Stolze weit entfernt, mich in der feinern Denkungsart und in der höhern Dichtkunst für ein Muster auszugeben; unser Vaterland hat deren ganz andere aufzuweisen, die so sehr respektirt werden, daß man sie kaum liest – aber doch glaube ich behaupten zu können, daß, so erhabenschlüpfrig auch jene erotischen Vorstellungen des Orients seyn mögen, meine kleinen deutschen, anspruchlosen Gemälde doch immer noch natürlicher, höflicher und geschwinder zum Zwecke führen, als jener Gesang aller Gesänge. Klärchen – ich will sie nicht loben – ist gewiß niedlicher gebaut als die Sulamit; und es käme noch darauf an, ob sie nicht besser als jene zu einem emblematischen Modelle der christlichen Kirche dienen könnte. Doch sage ich dieses nur im [162] Vorbeigehen, und wahrlich ohne den mindesten Anspruch: denn, ob es mir gleich Spaß machen sollte, wenn Du meine schönen Landsmänninnen dahin brächtest, Weissagungen selbst hinter den Bildern zu suchen, die ich ohne Vorhang ausgestellt habe; so geschähe mir doch offenbare Gewalt, wenn auch die Nachwelt sich einfallen ließe, mit mir umzugehen, wie die Vorwelt mit dem ehrlichen Salomo, und mich für einen Propheten erklärte. Du kannst es am besten den künftigen Jahrhunderten bezeugen, daß, so oft ich mich in das Paradies der Dichtkunst verstieg, ich nie anders als auf einem natürlichen Wege dahin gelangte, und doch vielleicht mehr Ursache habe als der inspirirteste Dichter, mit meiner poetischen Laufbahn und mit den Gunstbezeugungen zufrieden zu seyn, die mir die Musen erwiesen. – »Wie so?« fragst Du verwundert, und lachst mir spöttisch in's Gesicht: »Ich habe doch nicht gehört, daß deine Dudelei eben so gar viel Lärm und Aufsehn in der Welt gemacht habe.« – Ich auch nicht, guter Freund: aber das ist von jeher auch meine geringste Sorge gewesen; und ich würde selbst den Horaz von Herzen bedauern, wenn er für seine harmonischen Gesänge keine wichtigere Belohnung eingeerntet hätte, alsmonstrari digitis et dicier hic est. Nimm also nur Deinen Spott wieder zurück; denn, klängen auch die Ausdrücke, die mir vorhin entfielen, für einen – sage es nur heraus – für einen Zwerg des Apollo etwas zu vornehm, so sind die Riesen, die seinen Thron um geben, doch gewiß zu großmüthig, um dem kleinen Spieler, den sie so lange unter sich geduldet haben, die Airs aufzumutzen, die er ihnen nachmacht. Aber dieß bei Seite gesetzt; auch ohne groß zu thun, kann ich wohl behaupten, und Dir es durch Vorlegung meiner Ab- und Zurechnungen mit den Musen beweisen, daß, ungeachtet der kleinen Abzüge, die ich mir gern gefallen lasse, meiner neidlosen Genügsamkeit immer noch ein hübscher Gewinn übrig bleibt. Hast Du Zeit – wie leider! ich eben jetzt, denn ich höre und sehe noch nichts von meinen Postpferden – so wollen wir die Rechnung mit einander durchgehen. Diese Beschäftigung, die man sonst gern so lange zu verschieben pflegt als möglich, wie wohlthätig wird sie mir nicht in diesem Augenblicke! Es ist schon weit lichter um [163] meinen Schreibtisch. – Alle Grillen sind abgetreten – alle Mißgestalten entfernen sich – denn sie sehen daß ich Linien ziehe und nicht gestört seyn will. Deine Monita? O die beunruhigen mich auch nicht – die liegen allenfalls noch in der Ferne – und wo sollen sie überhaupt herkommen, wenn Du, wie ich hoffe, meine Angaben so richtig findest als meine Belege?


Noch übergab kein Vehmgericht

Mich abgelebten Harfenisten

Den Häschern, und verwies mich nicht

In Nicolai's Todtenlisten. 24


Das ließ mich hoffen, mit der Zeit

Mir einen Freipaß zu erlaufen,

Um sichrer der Unsterblichkeit

Mit meiner Klingel nachzulaufen.


Allein, je besser ich den Rauch

Vom Wesen unterscheiden lernte,

Um desto mehr die Hoffnung auch

Sich in den Hintergrund entfernte.


Es ist mit eines Dichters Ruhm

Gar eine wunderliche Sache:

Mißtrauen ist sein Eigenthum,

Und Mißvergnügen seine Wache.


Im Schweiße seines Angesichts,

Im Taumel eines leeren Schalles,

Verdient er wenig oder nichts,

Erhält nicht viel – und fordert Alles.


Jetzt seh' ich nur zu gut, wie viel

Akkorde meiner Leier fehlen,

Um mich, wie Orpheus, durch ihr Spiel

In das Elysium zu stehlen.


Hat nicht einmal mir ein Koncert,

Das kunstreich Philomelens Noten

In Takt setzt, in Oktaven sperrt,

Mir eine Fiedel angeboten.


[164]

Wär' ich solch einer Ehre werth,

Gewiß ich stände längst in Pflichten

Des Tribunals auf Strang und Schwert,

Um meine Sünden selbst zu richten,


Und die Hausirer jagten sich

Von Markt zu Markt mit meiner Büste,

Und – – – doch ich schwöre Dir, daß ich

Nach solchem Nimbus kaum gelüste.


Dank der Natur! mein Dichterkampf

Ist wie ein Fieberfrost verschwunden;

Längst wärm' ich mich im Opferdampf

An dem Altare der Gesunden.


Jetzt brauch' ich keinem Oberon

Wie sonst von weitem nachzukeichen;

Wir gehen gleich – weiß ich doch schon

Zu rechter Zeit ihm auszuweichen.


»Du wolltest,« raun' ich ins Geheim

In's Ohr mir, »mit den Musen schmollen,

Weil sie Gedanken zu dem Reim

Dir nicht wie ihrem Wieland zollen?


Sein Gang, das schlauste Menschenherz

In seiner Tiefe fest zu greifen,

Stört dich ja nicht, mit leichtem Scherz

An seinen Flächen hin zu streifen;


Und bist Du nicht mit Klopstocks Flug

Den Geistern in's Gebiet gedrungen,

So hast du dich doch oft genug

Zu Menschenfreuden warm gesungen.


Hat sich denn einer je gehärmt,

Daß ihn kein Lorberkranz umschließet,

Wenn an dem Busen, der ihn wärmt,

Er der Vergessenheit genießet?


Und wer hat Zeit, wenn ihm sein Kohl

Die Zunge reizt, zu überlegen,

Ob süßere Gemüse wohl

In Otaheite reifen mögen?«


Gewiß ich müßte sonderbar

Mein eignes Richteramt verwalten,

Um diese Gründe nicht als wahr

Der Eigenliebe vorzuhalten.


[165]

Was zog mich, als das Zauberband

Des Selbstgenusses, zu den Musen?

Ich fand mein Daseyn – ach ich fand

Nur Ruh' allein an ihrem Busen.


Wenn höfische Gespenster mich

Mit Gott und Welt verfeindet hatten,

Entschlüpft' ich ihrem Kreis, und schlich

Ein Stündchen in des Pindus Schatten.


Hier sang ich meines Lebens Traum,

Erpfiff mir neuen Muth zu leben,

Und segnete den Wunderbaum,

Der mir sein Blatt dazu gegeben.


Hier an den Liebreiz der Natur

Mit allen Sinnen angeklammert,

Hat meine Zither nie der Flur

Der Zeiten Elend vorgejammert.


Doch hat mir auch mein Brod dafür

Die fröhliche Natur gewürzet,

Und niemals karg um die Gebühr

Der Freudenfänger mich verkürzet.


Gelockt durch meinen Waldgesang,

Hat manches Vögelchen in Stunden

Der Neugier sich am Ueberhang

Der Birken bei mir eingefunden:


Sie faßten Herz, von Baum zu Baum,

Von Ast zu Ast, mir nachzuschweben,

Und bald sah ich in ihrem Flaum

Den ersten Schlag der Freude beben.


So hab' ich mir durch Stolz und Groll

Des Lebens Pfade nie verdorben,

Und, wie ein reisender Apoll,

Mir meine Musen selbst geworben.


Da schon, als im Tumult der Schlacht

Die Flöte Friedrichs wiedertönte,

Und durch die Harmonie der Nacht

Die Furien des Kriegs versöhnte,


Schon da, sucht' ich den Helikon

Auf Hügelchen, die erst begonnen;

Und vor dem Frieden hatt' ich schon

Ihm beide Gipfel abgewonnen.


[166]

So hab' ich durch mein Saitenspiel

Die vollen Spulen meiner Stunden

Vergnügt bis an das nahe Ziel

Des letzten Knötchens abgewunden!


Und klagst du nicht den Wand'rer an,

Der still und friedlich heimgeschlichen,

Daß er nach Cookens Reiseplan

Nicht das bestürmte Meer durchstrichen;


Fragst nicht, wie bunt der Faden war,

Ob locker oder grob gesponnen,

Durch den einst Theseus der Gefahr

Des dunkeln Labyrinths entronnen:


So frag' auch nicht, was für Gewinnst

Mein Tagewerk der Welt verspreche;

Ach schon genug, wenn mein Gespinnst

Nur mehr beträgt als meine Zeche!


Dem Geist der wirkenden Natur

Sei heimgestellt es zu verputzen,

Und, wär' es auch als Einschlag nur,

Zu höherm Stoff es zu benutzen:


Damit, was ich der Freude spann,

Der Nachwelt nicht so ganz verschwinde,

Daß nicht ein Mädchen dann und wann

Ein abgetröselt Fädchen finde.


Sein ehrlicher antiker Schein

Müß' ihr den ersten Antrieb geben,

Auch ihren Knäul bald im Verein

Der holden Musen abzuweben;


Es leihe da, wo Widerstand

Nur Freude bringt, ihr seine Kräfte,

Dien' ihr zum Oehr am Brautgewand,

An ihrem Myrtenkranz zum Hefte;


Dien' ihr als Sinnbild beim Empfang

Des letzten Unterrichts der Mädchen,

»Ach!« denke sie, – »welch ein Vergang!

Ach! Alles hing an diesem Fädchen!«


Täuscht mich nicht optischer Betrug,

So seh' ich in den fernsten Zeiten

Sich über meinen Aschenkrug

Noch manche Glorie verbreiten.


[167]

Wenn dann umsonst die Marmorgruft

Des Fürsten, den sein Land vergessen,

Die Tugenden zu trauern ruft,

Die er im Leben nie besessen:


Wird ungerufen, Arm in Arm,

Den Busen unter Rosenbändern

Gelüftet, guter Mädchen Schwarm

Zum Grabmal ihres Freundes schlendern


Sie werden, über meinem Staub

Gelagert, auf den jungen Rasen

Das abgefallne Winterlaub

Von der bescheidnen Urne blasen;


Sanft soll alsdann mein Genius

Mit seinem Fittich sie berühren,

Und sie durch manchen Kettenschluß

Zuletzt in seine Werkstatt sichren.


Dort, wo beim Quell der Phantasien

Wir unsre Nacht mit neuen Sternen,

Mit Rosen unsern Tag umziehn,

Und zum Genuß uns täuschen lernen;


Wo wir an dem Altar der Zeit

Das weiseste Gewerb' erlauschen,

Gesänge gegen Traurigkeit,

Scherz gegen Thränen einzutauschen;


Wo warnend Psyche's Lampe brennt,

Damit nicht das Gespenst der Reue

Den Weg nach unserm Monument

Mit Gift, statt Lorbern, überstreue:


Hier wird sich gern der holde Kreis

Der Mädchen um den kleinen Götzen,

Den meine Muse sang, zum Preis

Wohlthätiger Gefühle, setzen;


Hier werden sie Apollens Macht,

Sie werden das Bedürfniß fühlen,

Das Feuer, das er angefacht,

Durch seine Jünger abzukühlen;


In Sappho's Drang nach Amors Lust,

Müß' ihrem Mund der Schwur entgleiten

Den ersten Funken ihrer Brust

Auf einen Dichter abzuleiten.


[168]

Denk nur! wie müßte nicht die Herrn

Des Pindus solch ein Schwur erfreuen!

Sie würden, glaub' ich, mir schon gern

Um seinetwillen Weihrauch streuen:


Und hätt' Apoll um seinen Berg

Nur erst den Nebel aufgeheitert,

Spräch' er wohl selbst; dort hat mein Zwerg

Die Aussicht ungemein erweitert.


Diese meine offenherzige Beichte, die ich Dir hier im Vorbeigehen über meinen Beruf zur Dichtkunst – über die Forderungen und Erwartungen, die ich darauf gründe, abgelegt habe, könnte auch wohl, wenn ich es recht überlege, allein schon hinlänglich seyn, mir die Absolution des schönen Geschlechts zu verschaffen, um die mir so bange ist. Thue Dein möglichstes, lieber Eduard, sie auf eine oder die andere Art zu erhalten, wenn Dir daran gelegen ist, mich wieder in Berlin zu sehen. Mit vernünftigen Männern ist es etwas anders. Mit denen wirst Du über den Werth meines Tagebuchs schon einig werden. Halten diese meine Geschichte für wahr, so ist mir nicht angst, daß sie mir sie nicht aus den edelsten Grundsätzen vergeben sollten – Halten sie die Sache für Erdichtung, so wissen sie auch schon, daß es nicht so gefährlich ist als es aussieht, wenn ein ernsthafter Carlin 25 sich herabläßt eine bunte Jacke anzuziehen, eine schwarze Maske vor das Gesicht zu nehmen, und den Harlekin so natürlich zu spielen, als wenn ihn Gott bloß dazu erschaffen hätte. Was schaden ihm seine Jacke und Maske und seine Mütze mit Schellen, wenn sie ihm nur Eingang bei seinen Zuhörern verschaffen, die, so benöthigt sie auch seiner moralischen Arzeneien seyn mögen, sich doch für viel zu gesund halten, um einenernsthaften Schritt darnach zu thun. So ist auch meine Art zu erzählen auf der ganzen Tonleiter der Unterhaltung die allerverschrienste; aber sie ist es gewiß mit Unrecht. Ich habe eine zu gute Erfahrung von dem wahren Nutzen, den solche geistige [169] Ausschweifungen bei Gelegenheiten hervorbringen können, wo sonst nichts Gutes verfangen will. Ich kann Dir diese Behauptung mit einer Thatsache aus meinem vorigen Leben belegen.

Als ich von Leiden zurück kam, wo ich den Gang des menschlichen Herzens, ich gestehe es, besser noch studirt hatte als die Pandekten, wurde ich, wie das so geht, in ein Tribunal gesetzt, das über Gut und Ehre, Hals und Hand, zu entscheiden hatte. Da merkte ich nun gar bald, wie viel es auf die jedesmalige Stimmung der Herren Beisitzer ankam, was die Gesetze sprechen sollten. Man sah es sicher ihren Urtheln an, ob sie an einem regnigen Tage, bei beschwerlicher Verdauung, bei unterbrochener Ausdünstung und mit beklemmter Brust – oder ob sie bei heiterm Wetter, nach einer gesunden Bewegung und ruhigem Schlaf, und in Erwartung eines menschlichen Vergnügens gefällt waren. Mit diesen Leuten über die natürliche Billigkeit zu streiten, wenn sie eben an Krämpfen oder sonst einem physischen Uebel litten, war verlorene Arbeit, und es wurde oft nur um desto gewisser ein armes, und, wie sie es nannten, überwiesenes Geschöpf zum Pranger verurtheilt, je mehr ich mich seiner aus den Gründen der Toleranz annahm. O! dachte ich, ihr guten Herren! euch will ich doch wohl noch beikommen. Beccaria war mein Liebling, Ich trug sein Büchlein immer in meiner Tasche, und hielt es als Spiegel, der den Basilisken bersten macht, überall dem voluminösen Carpzov entgegen, wo ich ihn fand; und ach! wo fand ich ihn nicht? Seine kriminelle Gelehrsamkeit strotzte in dicken Bänden hinter den Gitterschränken unserer Rathsstube, und betäubte durch ihren giftigen Aushauch jeden schwachen Kopf, der ihnen zu nah kam. Dieser Moloch seiner Zeit, dem während seines Lebens unsere mechanischen Zentgerichte, nach einer mäßigen Rechnung, an die dreißig tausend ihrer Zeitgenossen geopfert haben, breitete auch nach seinem Tode noch seine häßliche Lehre durch seine Jünger aus, die, in der Blindheit des Geistes und in dem Stolze ihrer Kenntnisse, ihm anhingen. Die Fiskale, anstatt selbst zu denken, fanden es bequemer sich auf ihren Meister zu beziehen, der alles das, was sie überdenken sollten, schon überdacht und in die einfachsten Regeln von [170] der Welt gebracht hatte. Die Untersuchungsakten waren mit seinen Machtsprüchen durchspickt, und jeder Sachwalter, jeder Richter beugte gehorsam seine runzelige Stirn vor dem Despoten. Ich hätte, was ich nicht war, ein Herkules seyn müssen, um dieses vielköpfige Ungeheuer mit Einem Streiche zu tödten. Ich fühlte mit Ingrimm, daß diejenigen, die seine Keule geerbt haben, sie nicht schwingen mochten. Ich hatte nur eine Pritsche, um gegen einen Drachen zu fechten – aber auch dieses armselige Gewehr gebrauchte ich als ein muthiger ehrlicher Mann, und es ist unglaublich wie gut es mir gelang. So oft es mir ahndete, daß der Beschluß der nächsten Sitzung eine arme Gefallene entweder zur Kirchenbuße, zum Zuchthause, oder zu einem Geschmeide verdammen würde, das einem hübschen Halse nicht gut steht; so machte ich mir geschwind eine Geschichte zurecht, von der ich hoffen konnte, daß sie das harsche Zwerchfell meiner Herren Kollegen tüchtig erschüttern würde. Kaum las ich sie dann beim Eintritte der ernsthaften Versammlung als eine Neuigkeit vor, die mir dieser oder jener schwatzhafte Freund zu Regensburg oder Wetzlar gemeldet hätte; so klärten sich auch schon ihre gestrengen Gesichter auf, von dem Präsidenten an bis zum untersten Beisitzer. Sie gingen nun mit jenem Wohlbehagen, das uns zur Nachsicht gegen uns und andere so geneigt macht, an ihre wichtigen Geschäfte, und wenn es zur Umfrage kam, hatten sie sich gemeiniglich mit ihrem gesetzmäßigen Urtheile um viele Schritte in die lachenden Gränzen der Menschlichkeit zurück gezogen, ohne daß sie selbst begreifen konnten wie es zuging. Carpzovs Ansehen verlor nach und nach immer mehr gegen das meinige – eine Ehre, die mir gewiß keiner meiner ehemaligen Lehrer geweissagt hätte; das Tribunal gewöhnte sich an eine liberale Denkungsart; und da zugleich ein guter Genius dem Fürsten eingab, das Zimmer unserer Zusammenkünfte weißen – die kleinen Fenster ausbrechen, erweitern – mit Spiegelscheiben versehen, und, als ein Sinnbild der obsiegenden Unschuld, eine Susanna im Bade an der Mittelwand des Saals befestigen zu lassen, so bekam durch diesen erheiterten Anstrich des Aeußeren auch unsere Gerichtsverfassung selbst ein freundlicheres Ansehn. Die Herren [171] träumten, sie wären in guter Gesellschaft; ihr Tempel schien ihnen in ein Boudoir verwandelt; ihre sonst schneidenden Aussprüche verloren sich in empfindsame Sentenzen, und das Kollegium rückte in Ansehung gemässigter und wohlwollender Gesinnungen wenigstens um ein halbes Säkulum vorwärts. Und nun ward es auch mir leichter, die Ehre des guten Beccaria in dieser Versammlung zu retten. Noch jetzt denke ich mit innigster Zufriedenheit daran, wie ich um jene Zeit, durch nichts mehr oder weniger als eine Polisonerie – ich besinne mich im Deutschen auf keinen leidlichen Ausdruck – die bei meinen Herren Kollegen ein unerwartetes Glück machte, einen alten Vater aus den Händen des Henkers in die stille Verwahrung seines Sohns brachte, der noch jetzt als ein wackerer Officier bei den Truppen unsers Königs den Tag segnet, an dem es mir gelang, ein beschimpfendes Urtheil von seiner Familie wegzuscherzen. O, mein Eduard! könnte ich jetzt alle die um meinen Schreibtisch versammeln, denen ich durch dieses Kunststück, das ich allen Beisitzern der Kriminal-Gerichte, cum grano salis empfehlen möchte, Erlaß einer entehrenden Strafe verschafft, theils sie, statt in das Raspelhaus, unter die Haube gebracht, theils durch das falsche Zeugniß einer ehrlichen Geburt, wovon meine lachenden Kollegen mir die Verantwortung überließen, in eine bürgerliche Zunft verholfen habe; wie viele dankbare Thränen würden nicht um den Mann fließen, der jetzt selbst in dem mißlichen Fall ist, um Abolition zu bitten! Doch ich weiß es endlich zu gut, wie man es anfangen muß, sie ohne viele Unkosten zu erhalten. Ich frage nur den Referenten bei dem Tribunal, das sich etwa anmaßt über meinen Handel in der Nebenstube zu urtheilen – ich frage ihn auf sein Gewissen, ob nicht sein erster Gedanke war, als er meine Akten durchlas: O wärest du doch an der Stelle des Inquisiten gewesen! Du hättest deine Sache schon besser machen wollen. Es ist zwar noch die Frage, ob der Herr wahr redet – Aber schon der Gang seiner Empfindung sollte es ihm doch begreiflich machen, daß es hart seyn würde, mich nach der Halsgerichts-Ordnung Karls des Fünften, oder nach den rationibus decidendi eines Carpzov zu richten.

[172] Das Studium der Toleranz ist eine der schönsten neuern Erfindungen. Sie verdiente, so gut als die Oekonomie, eine eigene besoldete Lehrstelle. Fände sich einmal einer der Nutritoren unserer Akademien, der Ursache genug hätte, diese Wissenschaft in solch einen besondern Schutz zu nehmen, so wollte ich vorläufig rathen, daß er ihr ja keine andere als die umgekehrte Ordnung unserer so genannten Brotstudien anwiese. Der erfahrne Lehrer, wenn ja über ein Kompendium gelesen seyn muß, lege kein anderes zum Grunde als ein – nur richtiges – Protokol seines eigenen Lebens, und ziehe dabei, wo dieses nicht hinlangt, die Beichten zu Rathe, die einige große Männer öffentlich abgelegt haben – einen Petrarch und Lavater, einen Rousseau und Fielding, den heiligen Augustinus und mich. Wäre auch ihren Aussagen nicht immer zu trauen, so wird er es doch bald genug merken, wo der eine falsch gesehen, der andere falsch geschlossen – der eine zu viel, der andere zu wenig gesagt, der – gelogen, jener – seine Schwachheiten bemäntelt, oder gar mit der Maske der Tugend verlarvt hat. Er führe seine Zuhörer an, über dem Chaos ihrer trotzigen und verzagten Herzen zu schweben, suche es ihnen geläufig zu machen, ihre eigenen Empfindungen auf alle mögliche menschliche Zufälle zu kalkuliren, und sich in das Alter, in die Umstände und in das stürmische Blut dessen zu versetzen, den ihre ruhige Vernunft zu verdammen eilt. Er lehre den Jüngling Tagebücher halten, wie das meinige ist, und, wenn die Langeweile seines hinschleichenden Lebens ihn bitter und böse gemacht hat, kein anderes Buch fleißiger lesen. Meinetwegen mag er auch, wenn er Herz und Geschick genug dazu hat, es zum Besten der Welt, mit allen den moralischen Anmerkungen drucken lassen, die ihm Zeit und Erfahrung behülflich gewesen sind zu sammeln. Es ist freilich nicht die gewöhnliche Art die Tugend zu predigen, wenn man sich selbst auf den erhabenen Ort des Prangers stellt; aber deßhalb ist es auch nicht die schlimmste. Es giebt der Mittel viel, eine heilsame Arzenei gemeiner zu machen. Jedes Jahrhundert, jeder Quacksalber, jeder Professor hat sein eigenes. Wird denn nicht jetzt selbst das feste Wort des Herrn in einem neuen Modegewande ausgeboten? Warum sollte denn nicht [173] auch ich einen noch wenig versuchten Weg betreten, um durch ein offenes Geständniß meiner Verirrungen jedem andern menschlichen Herzen näher zu kommen?

Ueberhaupt muß der Mann besser rechnen können als ich, der sich zu bestimmen untersteht, ob dieses oder jenes beschriebene Blatt zum Nutzen des Ganzen mehr beitragen werde. Ziehen die Schriftsteller, wie gewöhnlich, nur ihre Eigenliebe darüber zu Rathe, so ist die Frage freilich geschwind genug zur Ehre ihrer Talente entschieden; aber auch hier hängt alles von der Weisheit jenes unsterblichen, unbekannten und glorreichen Genius ab, der auch den anspruchlosesten Lumpen noch immer gebrauchen kann, einem Bedürfnisse mehr, auf einer solchen Bettlerwelt als die unsrige ist, abzuhelfen.

Du räusperst Dich, Eduard, winkst mir inne zu halten, und die Lust des Widerspruchs schwebt Dir um den Mund. Gut! Meine Pferde sind noch nicht da, meine Tinte ist fließend, und Papier und Federn liegen noch auf dem Tische. Das schreckt Dich nicht, ich weiß es; so laß denn hören! – »Wenn du glaubst,« hebst Du trocken an, »mit allen deinen Tadlern eben so gut fertig zu seyn als mit mir,« wie ich denn das wirklich geglaubt habe, »so thut es mir leid um deinen schönen Traum. So lange dein Tagebuch nur unter uns, und, wie so viele andere Schreibereien der Welt, nur Manuscript unter Freunden bleibt, o! da verlohnt es sich freilich nicht der Mühe viel Aufhebens davon zu machen. Nimmst du aber den pro securitate publica so bedenklichen Fall an, daß die Gemälde deiner Unsittlichkeit zu der Ehre einer öffentlichen Ausstellung gelangen, so wäre ich wohl neugierig das Bedürfniß zu erfahren, das euch leichtsinnige Schriftsteller berechtigen könnte, eine Leidenschaft zu spornen, die wir ohnehin Noth genug haben im Zaume zu halten.« – Das klingt nun sehr systematisch – sehr ernsthaft, und hat mir Mühe gekostet herzuschreiben. – Aber mache mich nicht böse, Eduard! sonst verschaffe ich Dir zur verdienten Antwort einen Anblick, dessen Du gewiß gern überhoben seyn würdest, rufe Dir mehr bleichsüchtige Mädchen in meinem Hörsaale zusammen, als Du übersehen kannst, und lege [174] Dir jenes Bedürfniß, an dessen Daseyn Du zweifelst, so zergliedert vor, daß Du froh seyn sollst wenn nur ich das Maul halte. Gehe ehrlicher mit mir zu Werke, guter Freund! Verstecke Deine gesunden Augen nicht immer hinter die Blenden Deiner Bücher, und ziehe erst, ehe Du mit mir rechtest, den schleichenden, unnatürlichen, unmännlichen Gang in gehörige Betrachtung, den die schönste aller Leidenschaften in einem Zeitalter nimmt, das in so vielen Rücksichten nur von ihr seine einzige Hülfe erwartet. Sage mir auf Dein Gewissen, Eduard, ob man es einem Schriftsteller, der nur einigermaßen hoffen darf in gute Häuser zu kommen – ob man, anstatt ihn zu tadeln, es ihm nicht als ein Verdienst anrechnen sollte, wenn er das Herz faßt, Mädchenliebe zu predigen, und sie mit so lebhaften Farben zu schildern sucht, als diese Art Malerei nur vertragen kann. Mag meinetwegen ein künftiges tugendbelobteres Jahrhundert meine armen Schriften zum Scheiterhaufen verdammen! Ich habe nicht das geringste dagegen; wenn sie nur vor der Hand in dem großen Magazine nothwendiger Uebel geduldet werden. Das ist doch weiter keine zu vornehme Anmaßung, die mir Mißgunst zuziehen, und nur jemanden in Angst setzen sollte, daß ich mir damit ein Aemtchen zu erschreiben gedächte, auf das er selbst Anspruch macht. Was könnte es denn für eins seyn, als höchstens das eines Pestpredigers? das mühseligste in der ganzen Republik – ohne Rang, ohne Sporteln, und zu dem sich, schon seiner Gefahr wegen, nur wenig Kandidaten melden. Man gönne es mir doch! Das Ministerium kann ja die Stelle wieder einziehen, wenn sie überflüssig geworden und die Seuche vorbei ist. Auch kann meinethalben die Nachwelt die Arzeneien, die ich mir jetzt, sogar während der Kirche, kein Gewissen machen darf unter die armen Preßhaften zu vertheilen, als unnütze, verdorbene Waare zu den übrigen Exkrementen unsers Jahrhunderts werfen; leisten sie nur gegenwärtig eine solche Nothhülfe, wie sie ungefähr geschickte Aerzte von einem Scharlachfieber bei Kranken erwarten, die an einer hartnäckigen Fühllosigkeit darnieder liegen. So würde auch ich bei denen, die ich in der Kur habe, es schon für ein gutes Symptom halten, wenn meine Umschläge ihre verschobene Einbildungskraft [175] nur erst so weit wieder in Ordnung brächten, daß ihnen die gewöhnliche Hausmannskost nicht länger widerstände, die Schönheit und Natur der Genügsamkeit darreicht. Könnten sich auch die Mattherzigen nicht sofort bis zu jener Stärke eines reinen Gefühls erheben, daß sie an der Unbefangenheit und Unschuld meiner Margot, und an den eben so einfachen als gefunden Gerichten Geschmack fänden, die sie ihren bessern Bekannten vorsetzt; so wäre es einstweilen schon gut, wenn der Heißhunger sie nur in den ersten besten Gasthof triebe, wie zum Beispiel der zum schwarzen Kreuze ist, von dem ich selbst eben zurück komme, und wo sich schon einer sättigen kann, der nicht an gar zu feine Ragouts gewöhnt ist.

Ich sehe, Eduard, Du zuckst die Achseln, drehst Dich seufzend von mir, und glaubst mir in Deine Bibliothek zu entwischen; aber den Weg dahin kenne ich auch, und es ist heute wohl nicht das erstemal, daß ich Dir bis vor Deinen Arbeitstisch nachschleiche. Du hast hier noch immer, wie ich sehe, um Deinen globum terrestrem sehr disparate Dinge herliegen: Landcharten und Zeitungen neben Garvens meisterhaften Versuchen – Smith über den National-Reichthum neben Archenholz siebenjährigem Kriege – hier sogar Lavaters geheimes Tagebuch über dem meinigen – alles so bunt unter einander wie in der Welt selbst. Die Sachen, sagst Du, haben sich hier zusammen gefunden, wie ich sie nach Maßgabe meiner Laune gebraucht habe, ohne daß sie unter sich selbst weiter etwas gemein hätten. Das ist zu glauben, lieber Eduard, und in so weit mag auch wohl eins so viel Recht auf seinen Platz haben als das andere. Indeß hätte ich wohl die Grille, daß ich genau wissen möchte, was ein Schächer wie ich, unter einer so gelehrten Gesellschaft allenfalls für einen behaupten könne, wenn hier nur das Verdienst um die Welt den Rang bestimmte. Schiebe nur mein unglückliches Tagebuch her – ich bin darin doch am meisten belesen, und muß am besten wissen, wo seine Stärke und Schwäche liegt. – Was hast Du mir nun aus dem Haufen, den ich Dir lasse, entgegen zu setzen, um mich zu demüthigen? Jenen Moralisten dort? O! streiche ihm nur ein wenig seine Runzeln, mir aber meine struppigen Haare aus dem Gesichte, und Du wirst zu Deiner [176] Verwunderung eine gewisse Gleichheit der Verwandtschaft entdecken, die mich Dir um vieles erträglicher machen – die mehr als alles Dich aufmuntern wird, mich gegen diejenigen in Schutz zu nehmen, die mir so gern die Titel meiner Herkunft abstreiten möchten.

Um Dir die Sache zu erleichtern, so breite, mit Beihülfe unsers Archenholz, nur Deine Landcharten und Zeitungen aus einander, und halte nun die Kinderspiele meiner Phantasie, wie ich sie Dir zureiche, gegen die Ritterspiele der Großen – meine nackenden Gemälde gegen ihre blutigen Bataillen-Stücke, und irre mit philosophischem Auge von den einen zu den andern. Ich lasse Dir Zeit, Freund, und verlange nicht, daß Du mir eher gewissenhaft erklären sollst, welche von beiden Du für verdienstlicher hältst, als bis Du ihren verschiedenen Eindruck auf das menschliche Herz mit Deinem vorigen strengen Urtheile verglichen; und im Angesicht Deines Globens genau erwogen hast, auf welche Seite der Gemälde sich das bürgerliche Wohl, das häusliche Glück, und das System der so grausam verfolgten Bevölkerung am meisten hinneigt.

Ich will Dich nicht weiter in Deinen stillen Betrachtungen stören. Aber o könnte ich nur meiner Feder jene elektrische Kraft mittheilen, die mir, trotz meinem Frankfurter Ringe, in Klärchens Kammer versagte; wie herzhaft wollte ich sie gegen die physischen und moralischen Verirrungen, die man so ehrbar mit dem Ansehn eines Plato und mit dem Mantel des Sokrates zu bedecken glaubt, und gegen die politischen Gräuel schärfen, mit denen zusammen ein Geist des Verderbens den fröhlichen Genius der Erhaltung verfolgt! Ich wollte den Jünglingen männlichere Neigungen, den Mädchen wirksamere Lockungen, und den Zepterträgern Menschlichkeit anschwatzen, und die lachendsten Phantasien der Liebe zum Beitritt aufbieten, um alle mordlustige Gedanken von unserm freundlichen Erdstrich zu scheuchen, und seine allgemeine Trauer zu heben. Aechte Philosophen, und ihr besonders würdet es mir verdanken, ihr guten, tugendhaft schmachtenden und verlassenen Töchter meines Vaterlandes. Ihr würdet, sittsam erröthend, mir selbst den [177] schlüpfrigsten Umweg vergeben, wenn ich ihn, da beinahe alle gebahnten Straßen der Natur entzogen sind, mit einigem Glück einschlüge, um euch zu euern Rechten zu verhelfen, und die verwilderten, ehescheuen und verblendeten Ueberläufer meines Geschlechts durch gute Worte wieder in euern sanften Sprengel zurück zu führen; auf daß eure wahre Bestimmung zu ihrer verlornen Ehre gelange; auf daß die Freude, die ihr zu erwecken geschaffen seid, ehrlicher und ritterlicher benutzt, und, statt der Dornen und Disteln eines Schlachtfeldes, das hohe mütterliche Gefühl auf euern rosigen Wangen entwickelt werde, das ihr Schuldlosen in einer Bleichsucht ersticken müßt, die laut wider die Tyrannen der Welt, laut wider die Verächter eurer Reize um Rache schreit. Könnte ich durch rührende Darstellung aller der entzückenden Augenblicke, mit denen eure Sanftmuth und eure Launen – eure Stärke und eure Schwäche – eure Schmeicheleien und eure lehrreichen, sanften Strafen, mir das Leben erheitert, und meine Besserung bewirkt haben – mein abtrünniges Geschlecht zum Anschmiegen an das eurige wieder beilocken – bei Gott! ich wollte mich keines wollüstigen Bildes schämen, das mir selbst die Tugend erlauben würde, zu dieser guten Absicht von euren geheimsten Reizen zu borgen; ich würde noch beim Austritt aus diesem jammervollen Planeten mit väterlicher Zufriedenheit auf die anwachsende Nachkommenschaft hinblicken, die ich mir schmeicheln dürfte zum Genuß besserer Zeiten erschrieben zu haben. – Sollte sich in der auserwählten Schaar dieser Abkömmlinge einer befeuerten Liebe ein und der andere Fürstensohn befinden, so wünsche ich ihm zu dem seltenen Umstande seines Daseyns Glück. Seine bürgerliche Stammhaftigkeit übernehme meine Vertheidigung in dem Zirkel seiner Innung, in den Schlössern der Großen, die sich zu vornehm dünken, der Natur und der Einbildungskraft etwas schuldig zu werden.

Scheint Dir dieser Glückwunsch nicht mit jenem Abscheu zu reimen, den ich vorhin gegen die blutdürstige Kaste geäußert habe, die über uns herrscht, so hast Du zwar nicht ganz Unrecht: wenige aus ihrem Mittel – Du siehst daß ich billig bin – verdienen es, daß ein gutes Herz sich ihrer Fortdauer annimmt. Da sie denn [178] aber nun einmal da sind, wäre doch wenigstens zu wünschen, daß sie nicht gleich in ihrer Geburt verunglückten, indem unsere demüthige Lage nur desto schimpflicher wird, je krüppeliger sie selbst sind. Das ist so wahr, daß ich es damit wohl könnte bewenden lassen; aber, um es Dir offenherzig zu gestehen, ist es doch nicht die eigentliche Ursache des Absprungs meiner Ideen. Daran war wahrlich nur eine kleine Anekdote Schuld, die mir nach einer ganz andern Verwandtschaft von Begriffen eben beifiel. Ich würde sie, als einen überflüssigen Beleg, nicht einmal der Mühe werth halten meinen vorhergegangenen anzuhängen, nähme ich in dieser ungeduldigen Stunde nicht selbst nur zu gern alles mit, was mich, bei dem ewigen Außenbleiben meiner Pferde, nur im mindesten zu zerstreuen vermöchte. Zudem kann man auch nicht wissen, ob nicht mein Geschichtchen recht gut bei Dir angewendet sei. Deine Verdienste werden Dich doch über lang oder kurz an das Ruder eines Staats bringen. Zufällig könnte es ja wohl eins seyn, das aus seinem natürlichen Schwung, und bloß aus der Ursache gekommen wäre, weil kein Mensch den Verstand hatte es darin zu erhalten. Meine Erzählung liefert nun, wie Du sehen wirst, eine recht gute praktische Anweisung hierzu.

Sie ist nicht wie so viele andere, die von Höfen in Umlauf und nichts weniger als bewiesen sind, aus der Luft gegriffen. Nein, guter Freund, die meine ist aus Quellen geschöpft, wie sie wohl selten einem Geschichtschreiber zu Gebote stehen. Ich wüßte zugleich keine aufzutreiben, die, ihren belehrenden Inhalt ungerechnet, geschickter wäre, mich über meine gegenwärtige drückende Lage zu erheben. Welche wohlthätige Eigenschaft der Seele ist doch eine lebhafte Erinnerung! Ein einziger Rückblick, den ich über ein paar Dutzend verflossene Jahre werfen muß, um auf den Zeitpunkt der Begebenheit, um auf die schöne Nebenrolle zu kommen, die ich dabei zu spielen das Glück hatte, wie freundlich tröstet er mich über meine mißlungene auf jenem bezauberten Sopha, den ich, übelgelaunter als je einen, eben verließ. Mögen meinetwegen die Postpferde bis in die sinkende Nacht ausbleiben, ich habe Zeitvertreib genug für mich und meine Feder gefunden. Es war ein gewisser, [179] Gott weiß warum? verabschiedeter Kammerherr, eben des Hofs, von dem die Rede ist, der mich zuerst auf die Spur brachte. Er hatte aus seinem politischen Schiffbruche nichts weiter gerettet, als eine mäßige Pension, die er in unserm wohlfeilen akademischen Landstädtchen verzehrte – einen ironischen Zug um seinen zahnlosen Mund, und eine ganz eigene verblümte Sprache, wenn ihm, als einen alten Praktikus die Laune ankam, meine Träume von dem Glück und den Sitten der großen Welt zu berichtigen. –

Gewohnt, mich wöchentlich zweimal zu besuchen, um lieber in meinem freundlichen Gartensaale, als unter den Tabakswolken des lärmigen Kaffeehauses die Zeitungen zu lesen, fand er mich auch eines Abends, ein Blatt davon in der Hand, setzte sich mit dem andern, das auf meinem Tische lag, in eine Ecke am Fenster und »hören Sie,« – rief er mir bald nachher zu – »was mir hier für eine unerwartete Neuigkeit mit Schwabacher Schrift gedruckt in die Augen leuchtet. Nächsten Sonntag vermält sich unser Erbprinz mit der Durchlauchtigsten Tochter des benachbarten Fürsten. Das ist doch wieder eine der Ehen, wie sie nur in diesem hohen Hause gerathen und gedeihen – ein Kinderspiel, wenn Sie wollen, voll grillenhafter Mysterien, mit denen Ihnen sonder Zweifel, Ihre Herren Professoren der Statistik und Geschichte schon längst den Mund gewässert hätten, wenn es nicht eben Mysterien wären, die aber ihren wohlthätigen Einfluß auf das Ganze, so gut wie das Geheimniß der Freimaurer, von einem Jahrhunderte zum andern, durch eine ununterbrochene Stufenfolge braver Regenten bewährt haben. Alle Vasallen haben Gott anzurufen, daß er auch gegenwärtiger Verbindung gleichen Segen ertheile, und auch Sie, junger Herr, könnten deßwegen künftigen Sonntag schon ein Vaterunser mehr beten. Denn sehen Sie, wenn Ihr alter Hagestolz von Oheim in die andere Welt geht, und Sie nun, Freundchen, in der unsern an die Stelle eines Sohnes treten, den er, als ein ungeschickter Steuermann auf dem schwarzen Meere einer wilden Ehe gleichsam über Bord warf – und Sie nun seine beiden schönen Rittergüter erkapern, die Ihnen das Standrecht unserer lieben ungerechten Lehnsverfassung zuspricht, – haben Sie es da nicht für [180] einen doppelt glücklichen Zufall anzusehen, daß solche in dem herrlichen Gebiet unsers angebornen Beherrschers liegen – und wäre es nicht für Sie so traurig als für alle und jede im Lande, wenn dieselbe Sünde, die Ihr abgelebter Vetter an seinem eigenen Fleische und ritterlichen Blute beging, und die ihm jetzt, wenn er Sie ansieht, aufs peinlichste am Herzen naget; – wenn, sage ich, ein gleicher oder ähnlicher widersinnlicher Verstoß gegen die Ordnung, die im schönsten Flor prangenden, und vom ersten Stamme bis zu dem jetzt aufblühenden Sprößling, treu erhaltenen Besitzungen unsers Fürsten, unter seine saubern mit Schulden und Lastern beladenen Herren Erbverbrüderten, versplitterte, vor deren Regierung uns Gott in Gnaden bewahren möge. Sie, lieber Wilhelm, haben freilich gut lachen, ich verdenk's Ihnen auch nicht, aber noch weniger kann ich es einem bemittelten Manne verdenken, wenn er allen lachenden Erben, die oft schon von weitem nach seinem offenen Thorweg schielen, so früh als möglich einen Riegel vorschiebt, wie den Hausdieben. Vor unserm Erbprinzen, der sich schon gegen solche Laurer in Positur setzen wird, ist mir nicht bange, desto mehr aber für seine junge Gefährtin, die ich schon im Geiste bei ihrer Einweihung in jene Mysterien, Augen machen sehe, wie groß!« Auf mein hingeworfenes Warum? rückte er seinen Stuhl näher. Wir sind allein, dämpfte er seine Stimme, – und Sie geben mir die Hand, daß Sie schweigen wollen. – Ich versprach's, es ist aber so lange her, daß ich wohl, ohne Nachtheil des längst begrasten Erzählers, mein Ehrenwort brechen kann. Auf der linken Seite der Burg, zischelte er mir ins Ohr, erhebt sich, wie angeklebt ein uralter rother Thurm, dem es von außen kein Mensch ansieht, was er alles enthält. Der obere Stock ist zu einer Art Kapelle eingerichtet, die an ein großes Schlafzimmer mit einem mächtigen antiken Paradebett stößt. Den untern Raum bewohnt, umringt mit allerlei Hexengeräthen, eine vermaledeite Zigeunerin, von der ich Ihnen aus eigener Erfahrung tausend heimtückische Streiche erzählen könnte. Man beehrt sie allgemein mit dem Titel der klugen Frau, doch nicht bloß deßhalb, weil ihre gelbsüchtigen Augen Manches entdecken und verrathen, wobei die duldsame Oberhofmeisterin [181] die ihrigen zudrückt, auch nicht darum, weil sie aus der Ehren- und Lebenslinie einer Jungfrauenhand Romane schneidet, als man deren so abenteuerlich keine in unsern Buchläden findet, auch eben so wenig des ziemlich zweifelhaften Talents wegen, aus den Kankergespinnsten, die ihr zu Gesichte kommen, Hitze oder Kälte bestimmter vorauszusagen, als ein florentinisches Wetterglas; – sondern, weil das abergläubische Volk als gewiß voraussetzt, der allsehende Gott befördere zu dem schlüpfrigen Posten, in den sie durch den Tod ihrer Vase und Vorgängerin vor vierzig Jahren gerückt ist, immer nur eine kluge Frau, die am Schlusse eines so wichtigen Tages als übermorgen eintritt, den Einfluß, den er auf das Schicksal des Landes haben werde, so klar wie in einem Krystall vorhersähe. – Was, dachte ich, wird aus diesem Windeie seiner Einleitung wohl für ein Molch herauskriechen? – schlug die Arme in einander und spitzte die Ohren.

Ob nun schon, fuhr er mit dogmatischer Weitläuftigkeit fort, dieß heilige Amt wie die Erbämter bei Kaiserkrönungen, nicht eher etwas gilt, als bis es, hier ein häusliches – dort ein politisches Bedürfniß, das Vielen oft nur zu lange ausbleibt, auf eine kurze Zeit in Thätigkeit setzet; so wird es ihr demungeachtet von allen unsern Staatsdienern beneidet, die Sinn für das Schöne, und gesunde Augen im Kopf haben – und zwar nicht ohne Grund; denn es verhilft dieser sogenannten klugen Frau nun schon seit sie die Kapelle besorgt, künftigen Sonntag zum drittenmal zu einer Augenweide, für die wohl gern ein römischer Augur, dem, wie Sie wissen, nur oblag, sich in den Gedärmen der Opferthiere zu bespiegeln, die seine vertauscht haben würde. – Und zwar steigt sie aus ihrem Raupenstand in derselben Stunde zu dieser Ehre empor, wo die kleine Adamstochter, blaß wie ein Nebelstern zu der Warte des Günstlings im Aufsteigen ist, dessen Nächte sie erleuchten soll, ohne zu wissen wie? denn ich traue der lieblichen Unbefangenen zu, daß ihr die. Rolle, die sie spielen soll, eben so fremd ist, wie sie es der Tochter des Roi bien faisant, als Braut eines in allen und jeden Regierungsgeschäften unwissenden königlichen Neulings gewesen seyn würde, wäre nicht noch zur rechten Zeit die dienstfertige [182] Marquise de Prie beiden in ihrer artigen Unwissenheit zu Hülfe gekommen. 26

»Lieber Kammerherr,« unterbrach ich ihn hier, »ich will ein Schelm seyn, wenn ich ein Wort von Ihren gelehrten Anspielungen verstehe.« –

»Nun dann, um Ihnen verständlicher zu werden,« erwiederte er, »darf ich Sie nur ganz kurz von einem in dieser Familie, seit der Ritterzeit bestehenden Hausgesetze unterrichten, so unerhört es auch in andern erlauchten Häusern seyn mag.« – Es verbindet nicht nur jeden Erben des Fürstenstuhls, wie es dermalen auch unsern sechzehnjährigen verband, seine, zur Erhaltung des edeln Stammes, benöthigte Gehülfin, weder auf Messen, Hofbällen, noch in andern Festivitäten, mit einem Worte, nirgends anderwärts aufzusuchen, als allein in den Zwingern der Kinderstuben. Was aber beinahe noch auffallender ist, so legt es zugleich jeder nach der Vorschrift erwählten jugendlichen Schönen die unerläßliche Pflicht auf, ehe sie den letzten Schritt thun darf, der ihre, bereits durch die Beistimmung der Aeltern, durch die Eheberedung, den Ring am Finger und den priesterlichen Segen erlangten Ansprüche auf ihren Verlobten bestätiget, ihre, wie soll ich mich doch bescheiden genug ausdrücken [183] – ihre eigenthümlich angeborne Ausstattung den prüfenden Blicken der geheimen Güterbeschauerin zu unterwerfen, die zu der Zeit eben hierzu angestellt und verpflichtet seyn wird. – Nach genauer Wahrnehmung alles dessen, was etwa wahrzunehmen ist, und wovon der begaffte Gegenstand oft selbst keine Silbe weiß, hat so ein Weib das Recht zu beurtheilen, ob es dem künftigen Mitbesitzer gnügen werde oder nicht. – Nun kann ich mir lebhaft vorstellen, wie in der Geisterstunde des nächsten Sonntags unsere alberne Pythonissin, auf ihrem mit Kerzen umleuchteten Dreifuß, gleich jenem bis in den dritten Himmel entzückten Apostel, der unaussprechliche Dinge sah, die vor ihm noch kein Auge gesehen, und von denen kein Ohr gehört hatte, sich von der einen Seite wie eine Närrin brüsten, von der andern aber eben so gewiß wie ein höllischer Geist erzittern wird, wenn ihm ein heiliger Engel in seinem ätherischen Glanze erschiene. Mit welchem ungleich reineren Anschauen und männlichem Nachdenken würden nicht bei so einer Gelegenheit die Augen eines Philosophen dem hohen Berufe weiblicher Schönheit bis auf den kleinsten zwar, aber in dem großen Brennspiegel der Natur wirksamsten Fünkchen nachspüren! Wie würde die Betrachtung Seelen wie die eines Haller, Büffon und Harvey erschüttern, daß der Schöpfer und Regierer unzähliger Welten, die Erhaltung der unsrigen einem kaum merkbaren Atom übertrug und in seiner Dämmerung den Zunder verbarg, der die erloschenen Menschengeschlechter zu neuem Aufleben wieder anzufachen, und ohne es selbst zu ahnden, alle Jahrhunderte zu einer ewigen Fortdauer aneinander zu reihen geschickt ist. Und einer elenden unverständigen Dienstmagd, die, wenn das Glück gut ist, höchstens aus seiner Strahlenbrechung wie aus dem flatternden Gewebe ihrer Spinnen nur gemeine Tageserscheinungen zu folgern weiß, konnte ein abgeschmacktes Herkommen, ohne Zuziehung, wenn auch nicht des dabei am meisten interessirten Theils, doch wenigstens eines Landes-Deputirten, die richterliche Gewalt einräumen, unwidersprechlich zu entscheiden – (Pardon! junger Herr, wenn ich aus Ehrfurcht gegen eine angehende Landesmutter den Schleier der Allegorie über die heiligen Urkunden werfe) – ob dem himmlischen[184] Meteor schon in der laufenden Stunde, oder erst nach mehrern Mondwechseln, oder gar nicht der Eintritt in den ehelichen Thierkreis zu gestatten sei. Während der nächtlichen Beleuchtung dieses Zweifelknotens betet für dessen fröhliche Auflösung der Hofkapellan zu Bekräftigung seines am Traualtare darauf abgezielten Segens. Auch die geheimen Staatsräthe bleiben in dieser mystischen Nacht in banger Erwartung so lange versammelt, bis ihnen eine Botschaft der wachthabenden Fee aus ihrem Schlupfwinkel kund thut: »Das allsehende Auge der Vorsehung habe die prophetische Sehkraft der ihrigen vollkommen gerechtfertiget. Die Herren könnten nun getrost auseinander und schlafen gehen; ihre politischen Hoffnungen wären durch den schönsten Erfolg gekrönt.«

Und wie der Pöbel zu Neapel in Staatsbedrängnissen vor den Pforten des Tempels, der das Wunder seines Aberglaubens – das verdickte Märtyrerblut des heiligen Januarius in einer goldnen Kapsel verwahrt, knieend der Ankündigung des Prälaten entgegenharrt, daß seine Fürbitte bei Gott es endlich zum Fließen gebracht habe; – so belagert auch hier der unruhige Volkshaufe die geheimnißvolle Burg so lange, bis die Thurmwächterin zum Zeichen, daß die Wohlfahrt ihres Landes fester als die so vieler andern gegründet, und das altweltfürstliche Haus durch einen neuen Tragbalken vor seinem Einsturze gesichert sei – zu ihrem Fensterladen eine brennende Laterne aushängt. – Sie können wohl denken, mein Herr, wie der allgemeine unerträgliche Lärmen beiderlei Geschlechts, den die Gauklerin so gewiß wieder als die vorigen beiden Male, wo es meine eigenen Ohren empfanden, in der Residenz veranlassen wird, manchen ehrlichen Mann, den nicht etwa selbst die Umarmung einer Geliebten munter erhält, in dem Schlafe stören muß. Unbegreiflich ist es daher gar nicht, warum sie in einem Wirkungskreis von so bedeutendem Umfange mehr Ehre und Besoldung genießt, als der erste Minister. Auch trägt sie die Nase höher als er, und damit sie ja in ihrem Amtsgeschäfte keinen Schein von Beweisen übersehe, auf die sich ihr Richterspruch gründet, trägt sie noch obendarauf eine Brille. »Qu'après demain – Dieu le grand Dieu confonde.« Hier stampfte er mit dem Fuße und wischte sich den Schweiß [185] von der Stirn. Ist der Mann toll, dachte ich. Was in aller Welt geht dich doch die alte Runkunkel sammt ihren Deutereien, ihrer Brille, ihren prophetischen Spinneweben, und was geht dich vollends der alte Groll an, den er, Gott weiß aus welcher Ursache, gegen sie gefaßt hat. –

»Aber, lieber Kammerherr,« wendete ich mich lächelnd an seine verstörte Miene, »was hat es denn nun eigentlich für eine Bewandtniß mit der Kapelle, die Ihnen über dem alten Weibe ganz aus den Augen gekommen ist?« – »Diese steht,« kam er endlich wieder. ins Gleis, »außer jener Blindschleiche, die einen Tag um den andern dort herum kriechen und kehren muß, unter dem alleinigen Verschluß des jedesmaligen Regenten, zu der er, nach dem Testamente seines Ahnherrn, sogar seinem Sohn und Erben den goldnen Schlüssel nicht eher, als in der Stunde seines Beilagers anvertrauen darf. Zugleich wird dem jungen Prinzen aus dem Hausarchive eine von dem ersten Stammvater entworfene Schrift versiegelt eingehändiget; die er den Morgen darauf auch mit seinem Petschafte bedruckt wieder zurückliefern muß – und die, was glauben Sie wohl? den Neuvermählten unter den drohendsten Beschwörungsformeln verbietet, das hochzeitliche Bett zu besteigen, bevor sie nicht in der hinter der Tapete verborgenen Kapelle ihre Andacht verrichtet hätten. – Trotz des heftigen Gegenstoßes von widereinanderlaufenden Empfindungen, den ein so unerwarteter Befehl bei Jedem hervorbringen muß, dem er in dem kostbarsten Augenblicke seines Lebens in die Ohren gerasselt kommt, ist nun schon seit undenklichen Zeiten dieses sonderbare Herkommen, wie ein elektrischer Schlag von Vater auf Sohn in dem festen Glauben übergegangen, daß an dessen gewissenhafter Befolgung das Glück des Fürsten und die Wohlfahrt des Landes gebunden sei, so wie es nicht umsonst durch die Zeichen und Wunder verkündiget worden sei, die den begeisterten Augen der unzähligen Sibillen im rothen Thurme vorüberzogen. Lange wähnte man, der mysteriöse Thurm verwahre unter Aufsicht eines weiblichen Drachen das Arkanum der Adepten. Da sich aber ein Finanzminister nach dem andern erbot, den Ungrund dieses Gerüchts aus den Kammerakten darzuthun, [186] so würde sich noch keine Seele rühmen können, das Geheimniß erforscht zu haben, hätte sich nicht das liebe Ungefähr ins Mittel geschlagen. Der jetzige Herr, der den Hang seiner nun in Gott ruhenden Gemahlin zur religiösen Einsamkeit kannte, ließ ihr, da er eben auf die Hirschbrunst verreiste, den goldnen Schlüssel zu der abgelegenen Kapelle zurück, um sich durch frohe Erinnerungen an ihre hier genossenen glücklichen Stunden über seine Abwesenheit zu trösten. Was er aber nicht erwartete geschah. Die Hochselige verlor ihn eines Morgens am Eingange der heiligen Halle. Ein Kamerad und Blutsfreund von mir fand und hielt ihn für den seinigen, und versuchte ihn an dem zugehörigen Schlosse, das er ohne Mühe öffnete; der Zufall, dachte er, soll mir nicht umsonst diesen Fund in die Hände gespielt haben, und so bemächtigte er sich der so viele Seculn hindurch verheimlicht gebliebenen Wahrheit mit innigster Freude, und bei der langen Entfernung ihres rechten Besitzers mit aller Bequemlichkeit. Einst, in einer traulichen Abendstunde, entdeckte er mir sein Abentheuer unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Auch sind Sie der erste, dem ich es unter gleicher Bedingung aufs Herz binde. Nach der Beschreibung meines lieben Vetters, sollte man die fensterlose Rotunde eher für das Museum eines Liebhabers der Kunst, als für ein Betzimmer halten, denn mit diesem hat sie nur eine entfernte Aehnlichkeit. Sie ist mit einem gläsernen Kuppelgewölbe überspannt, durch welches in der Nacht die Sterne magisch herabschimmern. Doch scheint es, der verständige Erbauer habe aus eigener Erfahrung sehr richtig geschlossen, daß die beiden hieher verlockten Andächtigen sich und das Irdische nicht so weit aus den Augen verlieren würden, um nach dieser eine Weile angestaunten ätherischen Beleuchtung nicht auch einer ihren menschlichen Sinnen behaglicheren entgegen zu sehen – und in diesem wohlberechneten Augenblicke bricht, wie aus einem Krater, eine Lichtmasse aus der Tiefe des rothen Thurms herauf, die ihre dunkeln Ahndungen aufklärt, und zugleich, indem alles was sie umgiebt, Farbe und Beleuchtung erhält, eine Sammlung trefflicher Malereien bestralt, die ihre bänglich gestimmten Herzen auf einmal belehrt, was Gott, Natur und Fürstenpflicht in dieser [187] feierlichen Stunde von ihrem Daseyn verlangen. Nun frag' ich Sie selbst, mein Herr! ob einem mit diesen ernsten Anforderungen unbekannten Kinde nicht grün und gelb vor den Augen werden muß, wenn es so ohne alle Vorbereitung in solch einen Zauberstrudel geräth, gegen den die glänzendste Oper nur eine Armseligkeit ist? Die übrigen Verzierungen dieses Heiligthums bestehen in zwei großen Wandspiegeln, die von dem Fuße des sammetnen Teppichs auf bis an das obere Gesims steigen, und alles auffassen und treu abgebildet zurückgeben, was sich ihrem Strahlenkreis nähert. An den beiden Seiten eines jeden blinket eine niedliche Handbibliothek hinter vergitterten Schränkchen hervor, über die Genien und Amoretten von kararischem Marmor Wache – statt des Gewehrs aber ein blau seidnes Schnürchen in der Hand halten, das die mattherzigste nur mit einem Finger anziehen darf, um diese reichen Schätze geistiger Erholungen zu entriegeln. In der Mitte der Rotunde bläht sich ein einzelner elastischer Sopha, dem Hochaltare gegenüber, auf welchem in einem ziemlich abgenutzten Einbande, gleich dem Buche des Schicksals die Annalen des Fürstlichen Hauses, bis auf die leeren Blätter aufgeschlagen da liegen, die zur Fortsetzung bestimmt sind. Am Anfange des Werks steht die Vorrede von der eignen Hand des Stifters. Mein Vetter hat mir eine Abschrift davon gelassen, die ich Ihnen gelegentlich zum Versuch mittheilen will, ob es Ihnen besser gelingen wird als mir das Kauderwälsch zu enträthseln.« Hier schien es dem guten Manne einzufallen, daß ihn wohl der Zeitungsartikel zu einer größern Schwatzhaftigkeit möchte verführt haben, als einem pensionirten Kammerherrn anstünde – er legte auf einmal das Blatt verdrießlich auf den Tisch, griff nach Hut und Stock und eilte nach der Thür. »Warten Sie nur einen Augenblick,« hielt ich ihn auf, »bis ich meinem Bedienten geklingelt habe, um Ihnen nach Hause zu leuchten. Unmaßgeblich könnten Sie ihm auf seinem Rückwege die versprochene Vorrede mitgeben, wenn Sie solche bei der Hand haben.« »Wohl!« sagte er, und verließ mich. Bald darauf händigte mir mein Laternenträger die Handschrift ein. Ich hatte mich inzwischen in mein Studierstübchen zurückgezogen, und [188] ohne daß ich prahlen will, war mir nach drei Stunden, mit Hülfe meines Glossariums, eine verständliche Übertragung der alten Urkunde in reineres Deutsch so vollkommen gelungen, daß ich vor Freude den Kammerherrn hätte küssen mögen; denn erst jetzt sah ich um wie ungleich mehr mir seine Unkenntniß in den Schriften der Vorzeit werth war, als sein im Grunde verworrenes Geschwätz. Der Stiftungsbrief des edeln Erbauers jener Kapelle enthält neben manchen andern Vorschriften einen ungemein treuherzigen Zuruf an seine männlichen Nachkommen. Man sieht in jeder Zeile wie gut er es mit ihnen meint, und wie viel ihm an der ächt ritterlichen Fortpflanzung seines Geschlechts gelegen sei – und obschon die Sicherheitsmaßregeln, die er ihnen bei der Wahl ihrer Ehehälften empfiehlt, von unsern verfeinerten Sitten so himmelweit abgehen, als das Heldenbuch von Geßners Idyllen, so kann man doch bei den Grundsätzen von denen er ausgeht, höchstens die Achseln zucken und lächeln, ohne gerade seine Ansichten zu verwerfen – So bestimmt er z.B. eine jährliche Extra-Steuer zum Gehalt einer erfahrnen und bis ins Grab verschwiegenen Matrone, die er, vor der standesmäßigen Uebergabe seiner Verlobten, zur Beglaubigung ihrer jungfräulichen – und nachher zur Bewachung ihrer Würde als Landesmutter ohne Einfluß ihrer Oberhofmeisterin angestellt wissen will. Diese Stelle seiner Vorrede, mit allen den einzelnen Anweisungen, die ich jedoch vor der Hand noch übergehe, gab mir einen ganz andern Begriff von den Pflichten der ehrwürdigen Bewohnerin des rothen Thurms, die mir kurz vorher der Kammerherr mit so grellen Farben schilderte.

Während dem Entziffern der gothischen Buchstaben der veralteten Urkunde, war der Wunsch bei mir rege geworden, die beiden Pilger vor dem Eintritt in die Kapelle persönlich kennen zu lernen.

Meinst Du nicht auch, daß es in unsern moralischen sowohl als physischen Studien einen eignen Spaß macht, wenn wir bei der Puppe eines Zwiefalters, die scheinbar todt vor uns liegt, die Farbe seiner Flügel und die Lebhaftigkeit vorher zu errathen gesucht haben, mit der wir ihn, nach seiner Ausbildung, dem ängstlichen Naturzwange entschlüpfen, und er staunt über seine schöne [189] Verwandlung mit funkelnden Augen dem blühenden Jelänger jelieber zuflattern sehen. Jung wie ich damals und sehr geneigt zu so einem Gedankenspielwar, kam es mir auf eine Reise von ein paar Meilen nicht an, um mir einen so unschuldigen Zeitvertreib zu machen.

Ich entschloß mich kurz, ließ meinen Staatsrock einpacken und richtete es so ein, daß ich am Abend vor der Festlichkeit in der Residenz eintraf. –

Aber hier, wo ich vor dem grünen Lorbeerbaum still hielt, schien es, als ob mein guter Genius Zeit und Ort so richtig abgemessen hätte, um mir das Vergnügen einer wohlthätigen Handlung zu verschaffen, die, zehn Schritte weiter, nicht mehr möglich war. Denn in dem Augenblicke, da ich den Schlag meines Wagens hinter mir zuwarf, war eine in schwarzen Flor verkappte Fremde im Begriff aus dem ihrigen zu steigen, verfehlte aber den Tritt, und hätte, ohne mein schnelles Zuspringen, Gott weiß, welchen häßlichen Fall, auf das Steinpflaster gethan.

Vor Schrecken konnte sie nur einsilbige Danksagungen herstammeln. Sie zitterte noch an meinem Arme, den ich ihr, ohne noch zu wissen, wie jung und schön sie war, aus bloßem Antrieb gemeiner Höflichkeit darbot, um sie durch das Gedränge des Gasthofs hindurch in das Zimmer zu führen, das man ihr anwies. Ein noch günstigerer Zufall machte mich hier – so verschieden sind bei aller Familienähnlichkeit, die verschwisterten Horen unsers Lebens – näher noch zu ihrem Nachbar, als ich es bei Klärchen geworden bin. Das Haus war so von Fremden besetzt, daß mir der Wirth nur ein Hinterstübchen ohne Ausgang einräumen konnte, das von ihrem Zimmer bloß durch eine Thür getrennt war, die man jedoch von der einen wie von der andern Seite verriegeln konnte. Der Fehltritt des, wie ich nun sah, höchst lieblichen Mädchens, erleichterte ungemein unsere Bekanntschaft. – Wir wechselten zuerst unsere Namen gegen einander aus. – Der ihrige, sagte sie, den sie vor achtzehn Jahren in der heiligen Taufe erhalten, sei Amanda. – Der ist doch, erwiederte ich, um das Gespräch in Gang zu bringen, theils sonorischer, theils passender, als [190] so viele, die jetzt Väter die Mode haben, ihren Töchtern beizulegen, wie sie ihnen der erste beste Roman an die Hand giebt, als z.B. Fredegunde, Hildegarte, oder Aloisia Sigea und dergleichen. –

Mittlerweile wurde ein Eßtischchen mit zwei Couverts hereingetragen. Ich sah sie fragend an, – sie schien nichts dawider zu haben – und ich noch weniger. Wir hatten einander schon abgemerkt, daß jedem eine andere Gesellschaft lieber wäre, als seine eigene. Ehe wir uns noch vor unserer Erdbeerkaltschale niedersetzten, erfuhr ich schon so viel, daß sie in Geschäften hier sei, die ihr wohl nicht so leicht jemand ansehen würde.

Aber jetzt, bevor ich zu den grünen Erbsen übergehe, die ich ihr vorlegte, und mit Zucker bestreute, bitte ich Dich und Euch alle, Ihr politischen Schleichhändler, die Ihr wohl öfter als ich krumme Wege einschlagen und Schreiber, Minister und Generale bestechen müßt, um hinter Dokumente zu kommen, die in Euern Kram taugen, für das Folgende um eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit. Es wäre doch möglich, daß sich etwas, einem grano salis ähnliches darin fände, mit dem Ihr die Suppen würzen könntet, die Ihr für Euern Herrentisch zu kochen habt.

Eben da ich für die schöne Unbekannte, am Schlusse unsers gemeinschaftlichen Mahls die Flügel eines Rebhuhns abgelöst hatte, und nur die beiden Beine für mich behielt, schien sich alles fremdartige unter uns zu verlieren. Sie trat mir auf einmal – vermuthlich um mich nicht länger in Ungewißheit zu lassen, ob sie, mit der ich so ungleich theilte, der Leckerbissen auch werth sei, die mir schon genügten, wenn sie ihr schmeckten – ja, ehe ich's nur von ferne ahnden konnte, trat sie mir – erstaune Eduard! – in dem Nimbus einer so blendenden Würde unter die Augen, daß ich nicht sogleich wußte, was ich mit der Ehrerbietung und Hoffnung anfangen sollte, die sie mir einflößte; denn dieses reizende Mädchen – denke nur – war nichts geringeres als eine bevollmächtigte Gesandtin der ersten Klasse, wie ehemals die Prinzessin Ursini. – Ich traf so auffallende Berührungspunkte unter beiden an, daß ich meiner schönen Tischgenossin auf keine Weise zu viel Ehre anthue, wenn [191] ich sie der verschmitztesten Unterhändlerin des vorigen Jahrhunderts an die Seite stelle – mit Ausnahme der allzugroßen Verschwiegenheit, welche die Neugierigen im Wiener Kabinet jener hochmüthigen Frau vorwarfen. Ich würde an meiner Gesellschafterin das offenbarste Unrecht begehen, wenn ich sie dieses Fehlers der Unterhaltung beschuldigen wollte: dafür bewahre mich die Erinnerung ihrer allerliebsten Offenherzigkeit. – Genannte Prinzessin, – wirst Du Dich wohl noch aus ihrer Geschichte erinnern – war heimlich beauftragt, Staatsgeheimnisse eines fremden Hofs auszuforschen und sie dem ihrigen zu verrathen. Amandchen mit ihrer Instruktion war in demselben Falle. –

Ich hätte, wäre es darauf angekommen, – meine Parallele zwischen diesen beiden wichtigen Personen, sehr weit, ja bis zum spanischen Successionskrieg ausdehnen können, der nicht, zu seiner ewigen Schande, das Brandmal seiner Veranlassung, das Blutzeichen seines Ursprungs so offen an der Stirn tragen würde, hätte man auch die kluge Vorsicht des mehrmals schon gedachten und gepriesenen Ahnherrn angewandt, die teterrima belli causa, vorher, ehe es zu spät war, von verständigen Matronen beleuchten zu lassen. Die Vergleichung ließe sich noch weiter bis zum Baadner und Utrechter Frieden fortsetzen – denn in allen diesen wichtigen Welthändeln hatte die schlaue Französin ihre Hände im Spiel, so gut wie jetzt Amandchen die schönen ihrigen in dem Krieg und Frieden des künftigen Sonntags. – Ich wünschte Dir dieß alles nicht nur deutlicher, sondern auch so anschaulich zu machen, als es mir in dem süßen Augenblicke wohl werden mußte, wo meine Ohren dem Tenor ihrer Stimme, meine Augen der Geschicklichkeit ihres Athemzugs nachspürten, der manchmal, wie der Zephir auf einem Schmerlenbach, an dem Obertheile ihres Muselins mit ein paar Wellenlinien spielte, die meiner Aufmerksamkeit beinahe eine andere Richtung gegeben hätten. Mir kam es zugleich vor – doch kann ich mich irren, – als ob die kleine Gesandtin sich nicht ohne Grund, mehr auf die Wunder ihrer achtzehn Jahre, als auf die Würde ihrer Mission zu Gute thäte, und ich versprach ihr heimlich, mich darnach zu richten – denn wenn sie mich die reichhaltige[192] Tiefe jener nur errathen ließ, so enthüllte sie mir hingegen diese, wie sie sich selbst ausdrückte, bis auf die Gräten.

»Damit Sie doch,« fing sie mit einer eben so artigen als rührenden Wendung an, »– auch erfahren, wer eigentlich die junge Person ist, der Sie als ein schützender Engel in dem schrecklichsten Moment ihres Lebens zuflogen – ach, es durfte nur noch einer vergehen, und es lag ein gutes Mädchen vom gesundesten Gliederbau und erträglichem Aeußern zerschmettert zu Ihren Füßen – so darf ich kein Bedenken tragen, meinem so großen Wohlthäter im Vertrauen zu eröffnen, daß ich bei der lieben Prinzessin, die morgen Nachmittags zu ihrer Vermählung hier erwartet wird, mehr die Stelle ihrer Freundin, in der weitläuftigsten Bedeutung des Worts, als dem Titel nach, die, ihrer Kammerjungfer vertreten habe.« –

Diese unerwartete Nachricht brachte mich so ganz aus meiner Fassung, daß ich in diesem Augenblicke höchst verlegen war, welcher von ihren beiden schönen Eigenschaften ich vorzüglich huldigen müsse. Schon diese Verhältnisse, fuhr sie fort, können es erklären, warum die Fürstin Frau Mutter, dem Wunsche ihrer geliebten Tochter gemäß – damit sie doch eine alte Bekannte in der Stadt fände, mit der sie ein Wort allein schwatzen könnte – mich heute schon und um so viel lieber hieher schickte, weil ihr selbst zu viel daran liegt, bald zu erfahren, wie ihrem furchtsamen Kinde die erste Nacht außer dem älterlichen Hause vergangen sei. Das werde ich nun freilich umständlich genug in der Audienz hören, die sie mir den Morgen nach ihrem Beilager ertheilen will; denn das gute Kind kann nun einmal nicht das Geringste vor mir auf dem Herzen behalten. –

Ach, Gott gebe nur, seufzte ich heimlich, daß kein ungünstiger Ausspruch der Thurmwächterin der Braut den Eingang in das Allerheiligste versperre, und deine ganze schöne Gesandtschaft, mein gutes Amandchen, zu- Wasser mache. –

»Ob ich nun zwar, fuhr sie mit vielem Anstande fort, gar wohl einsehe, daß die pünktliche Ausführung eines so kitzlichen Geschäfts, bei welchem sich wohl selbst die gelehrtesten Männer ungeschickt [193] benehmen würden, nur einer Person möglich ist, die das gute Kind von seinen Windeln an gepflegt, und sein Zutrauen in so hohem Grade erworben hat, als meine Wenigkeit; so gestehe ich Ihnen doch, daß ich der Ehre dieses geheimen Auftrags gern überhoben gewesen wäre. Schicklicher würde es ohnehin seyn, die Tochter entwickelte der Mutter die beklommenen Gefühle ihrer Seele in einem Handbriefchen, aber beide wissen wir es nur zu gut, wie viel sie mit der Feder vermag – und nun vollends, mein Gott! nach einer so ungewohnten Veränderung! Leider muß ich sonach der armen Kleinen zum Sprachrohr dienen – das ihre Ohrenbeichte aufnehmen und weiter bringen soll; es mag mir auch noch so himmelangst davor seyn.«

Diese kleinmüthigen Aeußerungen einer Herzensfreundin und langjährigen Kammerjungfer der jungen Verlobten, versprachen mir schon nicht viel tröstliches über die heiligen Urkunden zu hören, auf die es hier ankam; aber meine Besorgniß stieg noch um vieles höher, je seltener sich das naive Amandchen des allegorischen Schleiers bediente, den der alte Hofmann darüber geworfen hatte.

Doch um sie nicht stutzig zu machen, hütete ich mich weislich, sie vor der Hand von meinem Selbstgespräch mehr merken zu lassen, als mir in Rücksicht des Plans dienlich schien, der sich nun unter meinem Scheitel zu bilden anfing. – Ich rief dafür den Aufwärter, uns ein paar Gläser Punsch zu bringen; diese thaten auch redlich das ihrige. –

Mit einer nachdenkenden Miene, die ihrem Gesichtchen recht artig ließ – und während sie von dem warmen Getränk, nippte, hob sie ihre blauen Augen in die Höhe und schüttelte das Köpfchen. Nein – schien es ihr nicht länger möglich zu seyn, ihren innern Aerger zu unterdrücken – nein, es ist unverantwortlich, wie die beiden Höfe die vierzehnjährige Dame behandeln. Nicht eher als gestern, mein Herr, beim Frühstück, von dem ich nicht glaubte, daß es das letzte von mir aufgetragene seyn würde, wurden ihr die Ansprüche des Prinzen auf ihr Persönchen bekannt gemacht, und der Ehekontrakt vorgelegt, um ihren Namen darunter zu kritzeln. Ich dachte der Schlag würde mich rühren, als ich ihr die Feder [194] eintunken mußte. Schon vier Wochen lag er hinter ihrem und meinem Rücken ausgefertiget in dem Kabinette des Fürsten, als ob unser eins nicht besser beurtheilen könnte, als Aeltern und Minister, was – hier fiel es ihr ein, noch einmal an den Knöcheln des Feldhuhns zu knaupeln, das sie schon weggelegt hatte, und vergaß darüber den Nachsatz, auf den ich doch so begierig war.

Die kindischen Thränen – knüpfte sie nach einem Weilchen den Faden ihrer Erzählung wieder an – welche die arme Unbefangene vergoß, fruchteten eben so wenig, als unsere triftigsten Vorstellungen. Ihre gewiß erfahrne Oberhofmeisterin sagte es der Fürstin ins Gesicht, daß der Uebersprung ihrer Tochter aus der Schulstube in die Lehrstunden des Brautbetts ein wahrer salto mortale sei. Possen, antwortete Ihro Durchlaucht – jener Hof, der um unser Jettchen geworben hat, ist nach einem alten Hausgesetz verbunden, keine zu wählen, die älter ist. Uns bleibt nichts übrig, als der Grille nachzugeben. Der Fehler ihrer Jugend wird nach Jahr und Tag nicht mehr sichtbar seyn – und was müßten verständige Leute von der Einsicht eines Fürsten denken, der solcher Lappalien wegen eine so vorteilhafte Verbindung ausschlüge. – Die Länder beider Herren stoßen an einander, und ich wette, in zweimal vier und zwanzig Stunden giebt es keine Gränzstreitigkeiten – keine Pyräneen mehr. –

An dem Leitband einer solchen Politik wird nun morgen das unschuldige Kind einem Manne in die Hände gespielt, – das ist noch die Frage, dachte ich – den es weder gesehen, noch von dessen Vorhaben mit ihr sie auch nicht den geringsten Begriff hat. Ich bitte Sie um Gottes Willen, mein Herr, was soll aus so einer Heirath kluges herauskommen. Mit dem Prinzen ist es freilich etwas anders – der hat ihre großen Augen, ihren sittsamen Anstand und ihren herrlichen Wuchs schon lieb gewonnen, als er, wie es nun verlautet, incognito in einem grauen Ueberrocke, ihrer öffentlichen Konfirmation beiwohnte. Sie war auch damals zum Verlieben – Ich hatte sie auf das schönste herausgeputzt, ein wenig geschminkt, und sie fiel der ganzen Gemeine in die Augen – ich aber wußte am besten, was dahinter steckte – dafür kann [195] aber auch niemand neugieriger auf übermorgen seyn, als ich – Außer mir – fiel ich der kleinen Verrätherin unbedachtsam in die Rede, und ließ, um ihr zu zeigen, daß ich wohl auch Geheimnisse zu verschwatzen hätte, ein paar unverfängliche Worte von jener räthselhaften Kapelle fallen; hätte aber bald darüber meinen ganzen Kram verdorben: denn wie ich sie auf die Mysterien dieses Heiligthums fast so neugierig gemacht hatte, als ich es selbst war, – nur unglücklicher Weise hinzusetzte, ob die junge Prinzessin nicht billigen Anstand nehmen würde, ihre dort verrichtete Andacht den Ohren auch ihrer innigsten Jugendfreundin Preis zu geben; so brachte mein geäußerter Zweifel ihren kleinen Gesandtenstolz in sichtbare Bewegung. – Nun das wird sich zeigen, antwortete sie mir ziemlich-schnippisch. Ich kann nur ausrichten, was mir die Tochter an die Mutter aufgeben wird, und wäre die Sache ja des Verschweigens werth, so sollte ich denken, werden die einzigen drei Personen, die davon Kunde haben, es auch wohl zu beobachten wissen – Das aber war eben der Stein des Anstoßes, den ich beseitigen mußte; denn, wollte ich nicht auf halbem Wege stehen bleiben, so mußte auch meine vierte Person mit ihren beiden Ohren ihren Antheil davon bekommen. Einer Schwätzerin gegenüber hat ein Aufpasser immer gut Spiel; denn unerachtet mir ihre schmollende Miene sehr deutlich zu sagen schien – du glaubst mich zu überlisten, guter Freund, da mußt du aber leiser auftreten, wenn du das Vögelchen nicht verscheuchen willst, das du in deinem Sprenkel zu fangen denkst – so ließ ich mich dadurch doch nicht irre machen. Ich stimmte nur meine Lockpfeife anders, bald so, bald so, bis ich den Ton traf, den es am liebsten hörte. Ein Wort für tausend! Mein zu jener Zeit eigenes Glück mit dem verschmitzten Geschlechte, brachte es endlich dahin, daß mir die liebenswürdigste aller möglichen Gesandtinnen, mit zitternden Lippen, bebender Brust, das Versprechen zustammelte: – von nun an nichts in der Welt mehr vor mir geheim zuhalten, es möchte auch daraus entstehen, was Gott wollte.

Diesen glücklichen Ausgang, wähnte mein stolzes Herz, wird die schöne Fremde bei aller ihrer Klugheit schwerlich geahndet haben [196] – O ich eingebildeter Thor, der ich immer gewesen bin! – Sie hatte ihn, glaube ich, schon bei unserer Kaltschale vorausgesehen, schon, wie eine geübte Nätherin, beim Einfädeln des Zwirns auf das letzte Knötchen gedacht. So traulich, als man nur in einer Kammer ohne Ausgang seyn kann, schlang sie im Auf- und Abgehen ihren weißen Arm um den meinigen. – Jetzt, mein zudringlicher Herr, faßte sie sich kurz, noch ein ernsthaftes Wort. Ihrer unmäßigen Neugier zu gefallen darf ich weder mein Berufsgeschäft aus den Augen, noch mit Verplaudern die Zeit verlieren, denn mit fürstlicher Ungeduld ist nicht zu spaßen. Nun habe ich aber so für mich im Stillen vorausgesetzt, daß Sie mich, wenn ich hier abgehe, wenigstens die Hälfte Weges gern – nicht wahr, Sie thun es gern? – begleiten, das hebt denn alle Schwierigkeit. Während ich mich in meinen Reiserock werfe, bestellen Sie das Anspannen – setzen Sich neben mir in meinen Wagen und lassen den Ihrigen so lange leer nachfahren, bis Sie Sich an den Lamenten meines Beichtkinds satt gehört haben. – Was sagen Sie zu meinem Plan? – »Was ich dazu sage – liebes vorsichtiges Mädchen – ich bewundere ihn und mache ihn in allen seinen Punkten und Klauseln zu dem meinigen. Kein Alberoni, kein Choisel, kein Kaunitz hätte ihn in vorliegenden Umständen angemessener entwerfen können. Wahrlich Sie sind zu einem Gesandtschaftsposten geboren.« Sie erwiederte meine Schmeichelei mit einem herzlichen Händedruck, und wir bestärkten noch – ehe sie die Thür hinter mir verriegelte, unsere gegenseitige Zusage so gut als durch einen körperlichen Eid. Ich warf mich so beruhigt, so mit mir zufrieden, auf meine Matratze, wie ein Spion, der sich mit heiler Haut durch die feindlichen Vorposten geschlichen hat. Den Morgen nach dieser nächtlichen Verschwörung tranken ich und Amandchen noch unsern Kaffee zusammen – dann dachte jedes an nichts weiter, als durch seinen Anputz der Einladung – ich an die fürstliche Tafel – sie an den Kammertisch – Ehre zu machen. Die Scheidelinie, die uns den Tag über trennte, reichte doch nicht – das war unser Trost – bis zu unserer Nachbarschaft im Gasthofe.

Mein Wunsch, die ersten Akteurs des heutigen Duodramas [197] kennen zu lernen, gelang vollkommen. Ich kam dem Erbprinzen an seiner Tafel gegenüber zu sitzen, freute mich der schönen ritterlichen Gestalt und wünschte der Braut in Gedanken Glück zu einem solchen Wegweiser nach der dunkeln Kapelle.

Die Ähnlichkeit mit seinem Herrn Vater – der sich aber nach einer kurzen Erscheinung, des Herkommens oder des Podagras wegen, dem Feste seines Sohnes entzog – beruhigte mich über den verlornen Schlüssel seiner Frau Mutter höchstseligen Andenkens. – Wir tafelten in großer Eil – Der Nachtisch war noch nicht in Ordnung gesetzt, als ein Signal-Schuß, der die Annäherung der fürstlichen Braut verkündigte, uns alle von dem Konfekt hinweg an die Fenster jagte. Nach Verlauf einer ungeduldigen Viertelstunde kam sie – und ich faltete wehmüthig die Hände – dem rothen Thurme und seinem Zwinger vorbei, in den Schloßhof gerollt, und alle unsere Herzen flogen ihr entgegen, als der glückliche Eroberer des ihrigen unter dem Lauffeuer der Kanonen und dem Geläute der Glocken, dieß betäubte Kind der Natur aus dem Wagen hob. So schön blaß als ich mir einen sterbenden Engel vorstellen würde, wenn ein solcher sich denken ließ, reichte sie in ihrem Hochzeitsstaate ihrem nicht weniger geschmückten Bräutigam zitternd die Hand, und von dieser Minute an nahm meine Seele einen so innigen Antheil an ihrer reizenden Unschuld, daß, wäre es mir nachgegangen, ich die heillose Kapelle gern dem gewöhnlichen Schicksal milder Stiftungen Preis gegeben hätte.

So lange das Uhrwerk der Etiquette fortrasselte, verloren sich alle meine Blicke in den offenen Himmel der ihrigen. – Ich trippelte an dem Schweif des Hofstaats hinter ihr her, als nach einer kurzen Pause der Erholung ihr Verlobter diese blaßblühende Rose aus dem Halbzirkel der hochfarbigen Mohn- und Klatsch-Blumen, die ihr ohne Aufhören um die Ohren säuselten, rettete, und mit dieser herrlichen Blume an der Hand, sich in dem anstoßenden Zimmer dem heiligen Mann näherte, der sie an seine pochende Brust befestigen sollte – mit einem Worte, als der Prinz seine schöne Braut zum Traualtar führte. Unaufmerksam auf die – vermutlich stattliche Rede des Kapellans, erbaute ich mich nur an [198] der Wirkung, die sie hervorbrachte, an den kleinen köstlichen Perlen, die den andächtig gesenkten Augen der hingegebenen Jungfrau entfielen. Ich bemerkte mit innerm Schauder, wie bei dem göttlichen Befehl: Seid fruchtbar und mehret euch – die Juwelen ihres Brautkranzes zitterten, und als der Priester nach Auswechselung der Ringe die Verbundenen für das weitere eingesegnet hatte und ein allgemeines Amen die heilige Handlung beschloß, welche Ausdehnung mußte dieses fromme Losungswort nicht bei mir – bei dem einzigen von der mittönenden Gemeinde erhalten, der die Verlegenheiten so genau kannte, die es ihnen nach Verlauf weniger Stunden zuziehen würde.

Unter dem Nachsummen der Orgel leitete uns der Stab des Obermarschalls in das Pantheon der fürstlichen Hausgötter – in den prächtigen antiken Speisesaal. Aus der Mitte der Hauptwand strotzte das Bildniß des bärtigen Stammvaters hervor. Ueber seinem Harnisch blinkte an einer goldenen Halskette der Binde- und Löseschlüssel zu dem Himmelreich seiner Kapelle, den in den langen Nebenreihen seiner beseligten Nachkommen eine nachbarliche Hand der andern zugereicht hatte. Ihre immer freundlicher werdenden Trachten spiegelten das allmählige Fortsteigen zum bessern Geschmack aufs deutlichste ab, und alle überstrahlte sie diesen Abend ihr letzter Abkömmling mit glattem Kinn und gepudertem Haare in einem goldstoffenen, mit königlichen Adlern und andern Raubthieren verzierten Gewand – eine Huldin an seiner Rechten, die durch Glanz der Jugend, die Anmuth des Putzes, die ganze weibliche Linie der heimgegangenen Fürstinnen verdunkelte, die sich zwischen den festen Körpern ihrer Eheherrn, gleich der freundlichen Milchstraße am nächtlichen Horizont – zwischen den Stieren, Löwen, Steinböcken und Skorpionen durchschlängelte.

Wie Schatten aus dem Elysium schienen jene alten Ritter ernsthaft auf das heutige Prunkmahl herabzuschielen, das statt der gewaltigen Schüsseln der Heldenzeit – statt der Humpen und goldenen Becher nur mit Reizmitteln des Gaumens – nur mit aromatischen Leckereien – ausländischen in krystallnen Gefässen[199] blinkenden Weinen und Spielwerken des ästhetischen Konditors besetzt war – für Gäste und Zuschauer ein sprechendes Symbol unsers verfeinerten Zeitalters, das mit den Faustkämpfen und Turnieren unserer gediegenen Vorfahren, zugleich ihre männliche Eß- und Trinklust an ihren Gelagen verdrängt hat. Wie geschwind würde sie auch, wenn sie sich der Schmetterlinge, die die hochzeitliche Tafel umkränzten, durch ein Wunder bemächtigte, ihnen die bunten Flügelchen – die zarten Fühlhörner zerknicken, und das feine Nervensystem zerreißen, das ihre lustigen Körperchen zusammenhält. Aber meine betrachtenden Blicke hefteten sich vorzüglich auf sie – die in der Würde der Unschuld – unter einem Thronhimmel – zur Seite eines liebefunkelnden Fürsten dennoch mein Mitleiden erregte. Ich schlich forschend den Bewegungen der reinen Seele nach, die sich aufs herrlichste in ihrem verschämten Gesichtchen abdrückte. Bei jedem Ermunterungsworte, das sein Tenor ihrem Diskant zuflüsterte, brachte das Bewußtseyn – heute Nachts ein Bette mit diesem Manne zu theilen, aus der Tiefe des Herzens bis über die bescheidenen Grübchen ihrer Wangen, alle Blutkügelchen in sichtbaren Aufruhr. Unter ihren niedergesenkten Wimpern zitterte hinterher noch die Angst, daß die vielen Zeugen ihrer Erröthung auch den gehässigen Gedanken unartig erriethen, den sie sich so gern selbst verschwiegen hätte. Armes Kind, dachte ich, welche Unruhe würde dich vollends ergreifen, könntest du nur von weiten die Vertraulichkeiten ahnden, in die ich gestern mit deiner Busenfreundin gerathen bin.

Nach drei lästigen Stunden, die sie – die Königin des Festes, trotz der Künste des Kochs, ohne Genuß, und in der mit jeder Minute höher steigenden bangen Erwartung, welche Marter-Krone ihr das Ende ihres Ehrentags aufsetzen würde, verseufzt hatte, lockte die Göttin der Tanzkunst mit ihren harmonischen Gehülfen die bunte Tischgesellschaft in die Erleuchtung eines blendenden Marmorsaals. Ein Chor reizender geputzter Nymphen, an den Händedruck muthiger Jünglinge gefesselt, erwartete – sie alle, denen noch der Strom der Jugend durch die Adern brauste – erwarteten nur noch den Eintritt des gefeierten Paars, um ihre Annehmlichkeiten [200] zu entwickeln und aus den Flügeln des hinschwindenden Lebens Freude, Beifall und Verherrlichung des Festes ihres zukünftigen Gebieters zu erjagen. Nur sie, die schönste und edelste in dem strahlenden Kreis, dem Bilde einer nächtlichen Hore gleich, die der verschwisterten Aurora zueilt – eröffnete den Ball mit ihrem Lebensgefährten ohne Einklang mit seinem Frohsinn, und schwebte, walzte und taumelte unter dem Nebel ihres Schicksals ohne Theilnahme an unserer lärmenden Bewunderung.

Welch einen sklavischen Zwang mußten nicht während dieses sinnlichen Sturms die Schlangen- und Wellenlinien ihres zarten Körpers unter dem Panzer eines reichen Schleppkleides erdulden – bis nach Vergang einer Stunde das traurige Adagio zwischen einer langen Reihe brennender Fackeln, wie bei einem Leichen-Begängniß, die Ermattete zur Ruhestätte ihres Toilette-Zimmers begleitete.

Wiewohl sie nun an dieser letzten Station ihrer jungfräulichen Reise meinen stillen Betrachtungen entschwand, so leistete mir doch der Schimmer der Wachskerzen, deren eine auch ich ihr vortrug, den beruhigenden Dienst, daß ich meine kluge Stellvertreterin dem lieben Kinde nachschlüpfen sah. Wie die verscheuchte Feldmaus der Fabel schlich ich mich nun aus dem Geräusch der großen Welt zurück in den stillen Schatten des grünen Lorbeerbaums und harrte auf die Ankunft meiner Vertrauten.

Jetzt dachte ich, hat endlich der gebietende Stammvater die schöne Urenkelin, wo er sie haben will. Die laufende Stunde ist die erste, wo er sein Puppenspiel mit ihr beginnt, denn ich erinnerte mich aus seiner Vorrede ganz dunkel einer Stelle, die dahin Bezug hatte. Ich holte mein Portefeuille und suchte sie auf – sah aber zugleich, wenn sie mir ganz verständlich werden sollte, wie nothwendig es war, einen Augenzeugen über die Umstände abzuhören, die er in seinem tollen Gehirne voraussetzt.

Ich kenne – sagte er – aus eigener Erfahrung – die muß doch sehr sonderbar gewesen seyn, Eduard – das unerträgliche Frösteln, denn so glaubte ich müsse das veraltete Wort übersetzt werden, das da stand, ich aber in meinem Glossarium durchaus [201] nicht finden konnte – das die Reize so unbefangener Geschöpfe mit einer Gänsehaut überzieht, wenn sie zum erstenmal, wie ein Krebs im Frühling, die Schaale abwerfen, und ihr zartes Gewebe – ihre natürliche Aussteuer, die mehr werth ist, als die reichste Morgengabe an Gold und Edelsteinen, der Luft aussetzen sollen.

Ihr guten Fräuleins – fuhr er zu faseln fort – laßt diesen albernen Schauer, der Euch so übel als einem muthlosen Knaben zu Gesichte steht, der seinem Ritter auf der Stechbahn das Schild vortragen soll – laßt dieses alberne Zittern in der kalten Herberge Eurer Toilette zurück, ehe Ihr die heiße Zone meiner Kapelle betretet, damit das hochgestiegene Barometer der Liebe, das Euch gute Tage verspricht, nicht zum Gefrierpunkte herabsinke – Wie soll sich ein so leidenschaftlicher Junge, als ich hoffe, daß meine Prinzen, Enkel und Urenkel seyn werden, benehmen, wenn ihr Liebchen zitternd und bebend vor ihnen steht, und sich jedem Lichtstrahl zu entziehen sucht, der ihr auf die Brust fällt. – Ueber solche Grimassen können Momente verloren gehen, die für meine Nachkommenschaft von den wichtigsten Folgen sind.

Ob ich gleich diese Stelle seines Hirtenbriefs zweimal überlas, konnte ich mich doch nicht über ihren wahren Sinn recht verständigen. Desto mehr freute ich mich auf den Kommentar, den mir eine unverwerfliche Augenzeugin darüber geben würde.

Dergleichen spitzfindige Grillen, als diese ist, gingen den turniersüchtigen edeln Herren gewöhnlich durch den Kopf, ohne etwas Übels dabei zu denken, sobald sie sich einfallen ließen, in das Gebiet der Weiblichkeit einzubrechen, wo sie weder Weg noch Steg kannten. Nur ein Spießgeselle der grauen Ritterzeit, der seine Freiwerberei als eine Weglagerung – das Ehebett für einen Tummelplatz, und seine Auserwählte nur in dem Lichte einer gekaperten Christin betrachtete, die ein Sklavenhändler zu Tunis und Tripolis auf offenem Markte feil bietet – nur so ein grob zugehauener Klotz, auf den unsere Stammbäume errichtet sind, konnte jenes verschämte Frösteln einer zarten Haut anstößig finden, das uns feiner gestimmten Jünglingen, wenn wir es nur öfter zu sehen bekämen, als das Wetterleuchten einer sittsamen Natur [202] erscheinen, und der moralischen Sinnlichkeit die lieblichste Augenweide gewähren würde. Ich saß vertieft in diesen Gedanken, als ich Amandchens Sänfte vor der Hausthüre niedersetzen hörte, ihr sogleich entgegen eilte und sie in ihr heimliches Stübchen führte. Hier warf sie sich theatralisch auf einen Lehnstuhl. Sie sehen, mein Herr, erhob sie ihr sonorisches Stimmchen, und zeigte zugleich auf ihr klopfendes Herz und ihr flatterndes Halstuch, in welchem Zustande ich mich befinde; aber die vergangene Stunde hat mich auch mehr angegriffen, als irgend eine, die ich noch erlebt habe. Ich kenne doch auch ein wenig die Höfe, aber der abgeschmackteste steht gegen den hiesigen in Schatten. Hier regiert kein Fürst, sondern altes Herkommen, denn dieß ist immer das erste und letzte Wort, womit sie ihre einfältigen Gebräuche entschuldigen.

Es war zum Erbarmen, wie das bis zum Umfallen erschöpfte Kind aus dem Fackeldampf heraus in das Putzzimmer trat, wohin ich ihr nachschlüpfte. Dort empfing sie ein halbes Dutzend Dirnen von den niedrigsten Gesichtern, an ihrer Spitze eine ganz zu ihnen passende Matrone, die das große Wort führte.

Ich erboste mich von weiten über die zwölf Hände, die auf das ungeschickteste die junge Dame ihres schweren Brautstaates entledigten. Denn mir – schnippte Amandchen die Finger – ließen die Närrinnen nur die Ehre des Zusehens.

So weit entkleidet, daß sie Athem schöpfen konnte, führte man sie – und das war noch das klügste, wenn es lange gedauert hätte, in ein hinter einem Vorhang bereitetes aromatisches Bad, worin man ihr jedoch – damit ja dem Prinzen die Zeit nicht zu lang werden sollte, höchstens acht Minuten vergönnte, mit sich selbst zu vertändeln. Denn als diese verstrichen waren, hob die alte Sybille die Gardine und trat – denken Sie – mit dem Spiongesicht eines Visitators vor das liebe schüchterne Kind, das dem Bade entstiegen, wie die Venus in meinem Bilderbuche da stand, und mit vorgestreckten Händchen sich in sich selbst zu verstecken suchte.

Nur ein Wort – unterbrach ich die Schwätzerin – hatte die [203] Frau nicht eine Brille auf der Nase? Ja wohl, antwortete sie, und noch dazu eine der unverschämtesten, die je unter Luchsaugen gesessen hat.

Holla! dachte ich, da haben wir ja die Wahrsagerin aus den Spinneweben in ihrer ganzen Glorie. Amandchen, rief ich, nun bin ich so gut wie zu Hause. Das ist mir lieb, versetzte sie, so will ich Ihnen wundershalber nur erzählen, was der Zigeunerin für sinnloses Zeug aus dem häßlichsten Munde ging, als sie die schöne Gestalt vom herrlichsten Wuchs und dem tadellosesten Gliederbau, abtrocknete.

Das ist doch einmal, rief sie in ihrer tollen Bewunderung aus, eine Ausstattung, wie sie nicht leicht einem fürstlichen Hause zugebracht wird; fahren Sie fort, theuerste Prinzessin, wie Sie angefangen haben, das Glück des Landes steht von nun an in Ihren Händen.

Unter diesem dunkeln Orakelspruch überreichte sie ihr das mit Spitzen besetzte Brauthemd und ordnete das übrige an.

Aber wie man eine junge Fürstin ankleiden muß, war ihnen allen böhmische Dörfer. Sagen Sie mir, mein Herr, sind denn die Stecknadeln erst in neuern Zeiten erfunden? denn in diesem abgelegenen Winkel der alten Burg konnte mein ungeduldiges Jettchen zu keiner gelangen, um ihren Busenstreifen festzustecken. Ich zog zwei Karlsbader aus meinem Halstuch, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen, aber dem grämlichen Weibe mußten sie, wie Ihnen gestern, zu spitzig vorkommen, denn sie schlug mir sie aus der Hand, unbekümmert, daß mir darüber, wie Sie sehen, die Zipfel auf die, Achsel hängen.

Das alles möchte noch hingehen, wie man ihr aber das Miederchen anlegte, in welchem sie die Nacht über glänzen sollte, da kam das gute Kind aus seiner Fassung.

Wie, ich bitte Euch, liebe Leutchen, lispelte sie gegen die sechs ungeschickten Mädchen, – wie können denn die Schleifen, die ihr so locker bindet, nur eine Stunde halten? Doch das war so gut als in den Wind gesprochen. Statt aller Antwort griff das alte zauberische Weib nach einer Schnur, die an der Wand herab hing, [204] zog sie an und verursachte dadurch in der Nähe und Ferne der alten Burg ein so durchdringendes Geklingel, daß gewiß dem Taubsten die Ohren davon gegällt haben – und zugleich thaten sich in derselben Minute die zwei Flügel zum Eingang in das Brautgemach von selbst auf.

Mir lief es, ich versichere Sie, eiskalt über den Leib.

Die Alte winkte uns – küßte zum Abschied die Hand ihrer neuen Gebieterin mit einer so verfluchten anmaßenden Miene, als wolle sie ihr sagen: ich bin es, die dich dazu erhob, und meinen nachsichtigen Augen nur, vergiß es nie – hast du es zu danken, daß dich schon heute der Hof und die Stadt für wehrhaft halten.

Darauf verbeugten sich auch die andern; ich war die letzte, die sich ihr näherte, und meine Blicke und meinen Händedruck hat ihr fühlend Herz, ich weiß gewiß, verstanden. Die Alte verließ nun mit steifem Schritte das Zimmer, und das arme Kind blieb nun ohne alle menschliche Hülfe, so zu sagen, zwischen Thür und Angel stehen, indem auch wir übrigen, eine nach der andern, uns trollten.

Ich empfahl meinen Liebling in einem stillen Gebet der Obhut des Himmels, eilte die Stiegen herunter, und blickte noch einmal seufzend nach dem verwünschten Thurm, vor dem Sie mir banger gemacht haben, als Sie wohl denken.

Das, lieber Herr Nachbar, ist alles, was ich Ihnen für heute zu vertrauen weiß. Meine Offenherzigkeit – ich gestehe es – hat mir Ueberwindung gekostet. Doch ich war ja – lächelte das gewissenhafte Amandchen, durch einen körperlichen Eid dazu verbunden, das beruhiget mich. Morgen – ach Gott was werde ich morgen alles zu hören bekommen! – frühstücke und bleibe ich in dem Vorzimmer meiner zur Erbprinzessin erhobenen Pflegetochter, bis sie mir Audienz giebt. So bald ich abgefertiget bin, sehen wir uns wieder, und das übrige haben wir ja schon der Länge und Breite nach besprochen. Unter dieser tröstlichen Aussicht auf den folgenden Tag suchte nun jedes seine Erholung von der Unruhe des heutigen in den Armen des Schlafs.

Blicke, lieber Eduard, nur nicht so verächtlich auf das Garderoben-Geschwätz, [205] das ich Dir, meinem vertrauten Leser, nicht umsonst so weitläuftig ausgesponnen habe. Die Plaudereien eines Kammermädchen und eines in Pension gesetzten Hofschranzen, sind wahre Gold- und Fundgruben für jeden, der sich mit der histoire scandaleuse der vornehmen Welt befassen, oder gar einer solchen Wunderblume Glaubwürdigkeit verschaffen will, als ich der Mühe werth hielt, Dir hier mit der Treue eines Linnée bis auf ihre kleinsten flimmernden Staubfäden abzuzeichnen. Mit den klug ausgedachten Ursachen, warum der alte Patron eine so überaus zarte Pflanze erst an die Luft gewöhnen will, ehe er sie in seinen Kunstgarten versetzt, hat die angeführte Stelle aus seiner Vorrede Dich schon bekannt gemacht. Auch sie gehört zu den vielen Auswüchsen der männlichen Phantasie seines Zeitalters – jener unbegreiflichen Zeit, in der ein Sanchez – Svarez – P. Mato und ihres gleichen Folianten über die Jungfrauschaft der Mutter Gottes, mit Erlaubniß der Obern in Druck gaben – in öffentlichen Hörsälen ihre anziehenden Schönheiten zergliederten und mit mystischem Stumpfsinn nachgrübelten, anvirgo Maria semen ministrarit in incarnatione Christi – Damals, wo es Landessitte war, daß in gemischten Gesellschaften edle Ritter mit ihren Puder- und Pumphosen auftreten konnten, wie deren noch in alten Rüstkammern hie und da zum Skandal aufgehängt sind, und auf die kein noch so freches Weib im Vorbeigehen einen Blick werfen kann, ohne die Nase zu rümpfen oder bis über die Ohren zu erröthen – damals, wo nach der gangbaren Mode, (die ich bei meinem beständigen Lesen theologischer Schriften, unerwartet in dem Kommentar des berühmten Salmasius über die erste Epistel an die Korinther umständlich beschrieben fand 27) der Kopfputz des schönen Geschlechts so sinnreich [206] geformt war, daß jeder, der sich einer Dame näherte, ihr gleich an der Haube ansehen – und sich darnach richten konnte – ob sie werehelicht – Wittwe oder Jungfrau sei. Ihr freundlichen sittsamen Augen, wo habt Ihr Euch doch damals hinflüchten können, ohne vor Schrecken zurückzuprallen! Wie mochte ein ehrbares Fräulein, ohne Empörung ihres Innern, vor dem Spiegel ihre Locken so legen, wenden und kräuseln, als es die Mode verlangte!

Was für Empfindungen müssen nicht das Herz einer Wittwe in den ersten Trauertagen gefoltert haben, wo sie das Wahrzeichen ihres vorigen glücklichen Standes umkehren, und es dem falsch freundschaftlichen Bedauern anderer Preis geben mußte, die es noch prahlend umhertrugen. In Betracht solcher Geistesverirrungen und Anstöße gegen das zarte weibliche Gefühl, ist die Maßregel, die der Graubart nahm, um dem Brautschauer seiner Urenkelinnen vorzubeugen, eine wahre Kleinigkeit, und dennoch, stände mir nicht Amandchens Zeugniß für die Wahrheit, würde ich nimmermehr geglaubt haben, daß es auf deutschem Boden eine Fürstenburg gäbe, wo ein so veraltetes Possenspiel noch gesetzliche Kraft habe. Welcher himmelweite Abstand jener trüben Tage von den aufgeklärten unsern.

Die jetztlebenden liebenswürdigen Prinzessinnen, so viel ihrer der Staatskalender aufzählt – ich nehme die kleine aus, die in der laufenden Stunde den Fehler ihrer Jugend und Erziehung büßen muß, wie wenig haben sie, so bald sie über das erste Dutzend Jahre hinaus sind, von einem zu kalten Luftzug der folgenden zu fürchten. Das müßte ein Mikroskop aus der andern Welt seyn, das an ihren entblößten Schwanenhälsen die geringste Spur eines Gänsehäutchens entdeckte. Nach ihrer ersten Andacht treten sie, zu allem abgehärtet, mit dem nil admirari des Rousseau in die ihnen geöffnete große Welt. Jede giebt sich, mit Recht oder Unrecht, das Ansehen der erfahrensten ihres Geschlechts. Sie kennen den Rubicon aus den vielen Beschreibungen, die sie vor Schlafengehen gelesen[207] haben, zu gut, um sich nicht – wenn man sie zum Ueberschwimmen einladet, scherzend dem Spiel seiner Wellen zu überlassen, und sollte ja eine und die andere bei ihrer Landung ein Frösteln überfallen, so erregt es gewiß ein anderes Schreckbild als das, einer zu ritterlichen Ueberraschung an dem jenseitigen Ufer. Diese muthvolle Ergebung in ihr Geschick haben sie den aufgeklärten Begriffen zu danken, die sie aus der Schulstube mitbringen, und die einen so vorbereitenden Unterricht überflüssig machen, als dieMarquise de Prie der Tochter des Roi bienfaisant und Braut eines in allen und jeden Regierungsgeschäften unwissenden königlichen Neulings zu geben genöthiget war, 28 und haben sie nicht ganz ohne Aufmerksamkeit dem Ballonspiele der Hofdamen mit den aufgeblasenen windigen Herzen ihrer Anbeter zugesehen und nur ein wenig besonnener als ein Schaf, von dem Salze geleckt, das ihnen zur Schärfung ihres Züngelchens, dergleichen philosophische Schriften, als etwa die meinigen sind, vorstreute, so wird ihre fein geschliffene kleine Taschen-Lorgnette das Eiland, auf das sie hinsteuern, hinter dem vorliegenden Nebel so gut entdecken, als Columbus mit seinem Fernrohr die neue Welt.

Dafür setzen sich aber auch unsere gebildeten Fürstensöhne mit leichtem Anstand über die grillenhaften Vorurtheile ihrer ritterlichen Vorfahren hinweg, und weit entfernt, gleich jenen ernsthaft und gerüstet, wie zu einem Zweikampf auf Leben und Tod, zum Puppenspiel der Liebe überzugehen, schreiten sie nach einem angenehmen Herumschweifen in den Irrgärten der Jugend zur Ehe, wie zu einer Ruhebank, die ihnen unter den vielen, aus dem Gesträuche zuwinkenden, die bequemste dünkt, gleichgültig, ob ein anderer hier etwa kurz zuvor ausgeruhet oder gefrühstückt hat. Genug für die ermüdeten Herren, daß sie sitzen. In dieser glücklichen Lage nehmen sie den Blumenstrauß, den ihnen ihre Gefährtin als ein Weihgeschenk darbringt, unbesehens und unbekümmert, ob nicht das Knöspchen der Centifolie ein Blättchen, – die Aurikel ihren feinen Staub verloren – doch als ein unbezweifeltes Unterpfand [208] ihrer ersten Liebe, mit eben so herzlichem Dank in Empfang als die edeln Herren der Vorzeit, nur daß sie ihn manierlicher ausdrücken. Diese zudringlichen Gedanken – umsonst schob ich meine Nachtmütze hin und her, um sie zu verscheuchen – kamen mir sehr zur Unzeit. – Die beiden Bundesgenossen mochten sich schon lange über ihr eigenes Glück verständigt, undwie guten Fürstenkindern geziemt, die daraus entspringende Wohlfahrt ihres Landes treulich besorgt haben, ehe ich einschlief. Ich that die besten Wünsche für ihre Zufriedenheit, die mir noch auf den Lippen schwebten, als ich mit Aufgang der Sonne erwachte. Desto eilfertiger war ich nunmehr mit meinem Anzug und meinen kleinen Geschäften. Ich berechnete mich mit dem Wirth und berichtigte freigebig nebst meiner auch Amandchens Zeche. Es war das wenigste, was ich aus dankbarer Rücksicht unserer verträglichen Nachbarschaft für sie thun konnte – dann nahm ich Abrede mit unserm Kutscher, mußte aber noch zwei ungeduldige Stunden das Fenster hüten, ehe das schwatzhafte Vögelchen ihrem Bauer zuflatterte.

Nun, meine theure Freundin! trat ich ihrem heitern Gesichtchen entgegen – Sie legte aber ihre Finger auf den Mund, winkte mich in mein Stübchen zurück und verriegelte das ihre. So bald sie ihre Hofmaske abgelegt hatte, standen auch unsere angespannten Wagen vor der Hausthür, unter dem Schatten des Lorbeerbaums.

Ohne uns um die Ferngläser der Fremden zu bekümmern, die uns einsteigen sahen, fuhren wir so eilig davon, als fürchteten wir ein Hinderniß von Seiten der Polizei, und drückten einander stillschweigend die Hände, bis wir die Stadt, ihre Ehrenpforten von gestern und die fürstliche Burg mit dem rothen Thurm im Rücken hatten. Jetzt rief Amandchen dem Kutscher zu, langsam zu fahren, schmiegte ihr Köpfchen an meine Brust und ließ mich nun, um es kurz zu machen, so frei als in ihre eigene, in die Herzenstiefe einer Prinzessin blicken, als wohl noch keine so traulich, beredt und rührend die Scene ihrer Weihe der Mutter entwickelt hat.

Mein Puls kam nicht eher zur Ruhe, bis kein Wörtchen, kein Komma, kein Pünktchen mehr an dem kindlichen Bericht fehlte. Die [209] kleine Malerin bildete ihr Original so sprechend nach, daß sie mich sogar mit mehr als einer Kopie des warmen Kusses beschenkte, den ihr die entschiedene Erbprinzessin zum Abschied auf die Lippen gedrückt hatte. Er zitterte so herzlich auf den meinigen wieder, als ob es der lieben Geberin ahndete, daß es trotz unsers gegenseitigen Versprechens, der letzte Tauschhandel unserer freundschaftlichen Gefühle seyn würde. Nunmehr leiste ich auch völlig Verzicht darauf, denn da – um es im Vorbeigehen zu erwähnen, seit jener Epoche die damals so anspruchslose, schüchterne Prinzessin schon zehnmal Mutter geworden ist, und auf ihren Lorbeern ausruhen könnte, läge ihr nicht eine häusliche Sorge auf dem Herzen, die täglich größer wird; sie sieht ihren Liebling, den ersten Sprößling jener mystischen Nacht traurig sein schönes Haupt hängen, ohne daß es ihr gelungen ist, es aufzurichten – die Kapelle wird seit verschiedenen Jahren nicht mehr besucht – wie gern würden die liebenden Aeltern dem Sohn den goldnen Schlüssel überlassen, bände ihnen der Stiftungsbrief nicht die Hände; denn bis jetzt haben sie sich noch immer vergebens an den Höfen nach einer Fürstentochter umgesehen, die eben so unbefangen, so wenig erfahren und unterrichtet wäre, als es die Mutter vor ihrem Eintritt in die Kapelle war – so hat, sage ich, die Zeit in ihrem Umschwung, nebst so manchem andern meiner Wünsche, auch die Sehnsucht nach jener liebenswürdigen Gesandtin verzettelt – und ich würde tüchtig erschrecken, wenn sie mir auf meiner Retourreise von Klärchen irgend in einem Gasthof begegnete. Als ich neben ihr in dem Wagen saß, der durch ihren Fehltritt mir so lieb geworden war, die Fenster aufgezogen und die Stores herabgelassen hatte, konnte ich freilich nicht glauben, daß ich zwanzig Jahre nachher mich ihrer in Avignon so gleichgültig erinnern würde. Vom Anfang bis zum Ende ihrer Erzählung waren alle meine Sinne zugleich auf ihre mitspielenden innern Empfindungen gerichtet, die sich mir bald durch ihre funkelnden Augen, bald durch einen nachbarlichen Händedruck, bald durch das Verstecken ihres verschämten Gesichtchens hinter den Schlagschatten des meinigen verriethen, und das Kolorit ihrer geschichtlichen Darstellung um vieles erhöhten.

[210] »Ich werde,« begann sie, »in meinem Leben nicht vergessen, wie verändert seit gestern die junge Dame mir vorkam, als ich in ihrem Boudoir meine Abfertigung holte. Leuchtend wie ein Cherubin, in ihrer Morgentracht, sprang sie vom Sopha auf, als ich eintrat und Nantchen! liebes Nantchen!! – schlang sie ihre beiden Händchen um meinen Hals – seit Du mir gestern mit allen den Närrinnen, die mir den Kopf warm machten, aus den Augen kamst, was für unerhörte Dinge habe ich nicht erlebt. Du kannst sie nicht eher, als bis Du selber einmal Braut seyn wirst – aber auch meine Mutter wird sie kaum glauben,« und nun warf die gute Kleine in der Freude ihres Herzens – wie sie es immer mit ihren Kleidungsstücken zu machen pflegte, – alles, was sie mir vertraute, so bunt unter einander, daß es Noth thät, sie in ihrem eigenen Roman zurecht zu weisen, und alles das, was sie bald aus Uebereilung zur Hälfte vorausgeschickt hatte und wieder zurückholen, bald das wieder hervorstören mußte, was sie beinahe vergessen hatte – in Ordnung zu bringen.

»Das will ich übernehmen, mein gutes Nantchen,« erwiederte ich; »ich will hinterher schon aufräumen – fahren Sie nur fort.«

»Doch Dir zu Gefallen, Eduard, muß ich hier den Strom ihrer Rede durch Einschaltung eines Prologs unterbrechen, der zur Verständniß unsers Dramas nöthiger ist, als es nur einer vor den Schauspielen der Alten seyn kann. –

Der graubärtige Ahnherr trete in seiner Maske auf und entwickele die guten Absichten seines Plans noch näher, als sie hier und da aus einigen Stellen seiner Vorrede durchgeschimmert haben, damit Du aus dem eigenen Munde seiner erlauchten Urenkelin desto gründlicher zu beurtheilen vermagst, in wie weit er sie erreicht hat.

Vertausche ich auch manchmal unsern feiner gestimmten Ohren zu Liebe ein allzuderbes Wort, das ihm in seiner verjährten Sprache über die Zunge sprudelt, mit einem glimpflichern Ausdruck, so will ich doch sorgen, daß es dem Sinne keinen Abbruch thue, und die heroischen Hülfsmittel nicht vertusche, durch die er der moralischen und physischen Erschlaffung vorzubeugen gedenkt, die, wie er glaubt, seiner Nachkommenschaft droht.

[211] Sie kann nicht ausbleiben, dachte er, wenn die Herren Erbverbrüderten so fortfahren wie sie anfangen – wenn sie als einen Damm ihrer ziemlich ausgeschöpften Hoheit, Prunk und Statuen um sich herum stellen, die ihnen jede freie Aussicht in die Natur versperren, und wenn sie immer so hoch auf den Stelzen ihres Standes einher treten, daß kein Blick der Freundschaft – kein Ausdruck der Vertraulichkeit ihre Augen und Ohren erreichen kann, sie flössen ihnen denn von andern Stelzentretern in gerader Richtung zu; und da weiß man schon wie wahr und rührend sie ausfallen. Sie müssen – es ist nicht anders – in ihrer Welt fremd werden, und endlich unter den Possen ihres Anstands erliegen. Was soll, dachte er ferner, anders als Zwecklosigkeit und lange Weile aus ihren ehelichen Verbindungen entstehen, da sie immer nur ein zehnfach verwandtes Blut in dem kleinen Zirkel herum treiben, auf den sie der genealogische Kalender einschränkt, und wodurch ihre Körper und ihre Seelen einander am Ende alle so ähnlich werden, daß es ein Elend ist? Großer Gott! was soll da Kluges heraus kommen, wenn sie aus einer Idylle eine politische Rechnung – aus einem Schäferspiele eine Haupt- und Staatsaktion machen? Der gute Mann blickte dabei mit seinen gesunden Augen in die offene Flur, sah, wie der Baum kränkelt, der nur mit seinen eigenen Ablegern gepfropft wird – sah, daß der Acker nur kümmerliche Ernten treibt, der mit dem Korne, das er jährlich einbringt, immer wieder besäet wird, – sah in der Wirthschaft des Thierreiches, wie tief am Ende die vollkommensten Racen herabsinken, wenn man sie zwingt sich unter einander zu vervielfältigen. Verwies ich nicht schon – fragte er in seinen Ingrimm – manchen Gaul dieser Art in den Bauhof, dessen Ahnherr, nach dem Stallregister, den Kaiser bei seiner Krönung trug – manchen in die Post, der in gerader Linie von der Haquenée, oder gar von dem Bucephalus abstammte?

Da entschloß sich der biedere Fürst – in väterlicher Rücksicht auf die gemeinschaftliche Wohlfahrt seines Landes und seiner Erben entschloß er sich, keinen Schwächling in seiner Familie aufkommen zu lassen. Nach langem Hin- und Hersinnen glaubte er es am[212] besten zu treffen, wenn er eine Macht, deren großen Einfluß er nur zu oft an sich wahrnahm – wenn er die wohlthätige Macht der Phantasie in den, für das Land gefährlichsten Augenblicken, gegen den kraftlosen Hofton zu Hülfe rief, und seine Lieblinge – die Erbprinzen, wenigstens in der media nocte ihres Beilagers, durch einen natürlichen Einfall aus der Contenance brächte. Muß ich auch zugeben, da ich es nicht ändern kann – wendete er ein – daß die guten Leutchen, die ich im Auge habe, noch vorher auf dem Burgplatze alle die raren Künste entwickelten, für die ihres Gleichen bezahlt werden, wie sie es verdienen, – kann ich auch der tyrannischen Etiquette nicht so scharf in die Leine greifen, daß sie nicht erst das arme angekuppelte Paar in Ceremonien müde treibt, ehe sie es bis an den Standpunkt seiner Vereinigung bringet; so wäre es mir doch außer Spaß, wenn ich im Geiste diese Staatspuppen, sammt ihrer Kälte, ihrer Erschlaffung und ihrem fürstlichen Anstande, das Paradebett besteigen sähe. Nein! sagt er, das lasse ich nicht zu. Ich will der wohl erzogenen steifen Prinzessin zuvor Gelenke – ihrem niedlichen Gesichtchen erst Ausdruck – ihrem in etwas zurückgebliebenen Busen mehr Schnellkraft, und will dem uralten Geblüte, das in ihren Adern schleicht, Leben und Wärme geben. Sie mag ihrer Oberhofmeisterin Ehre machen wo sie nur will – aber in dem wichtigen Augenblicke, wo sie nicht nöthig hat vornehm zu thun, behalte ich mir, als Stammherr, ihre Zurechtweisung allein vor, und hoffe, so Gott will, sie vor ihrem Uebergange zu einem zweckmäßigen, feurigen, natürlichen Mädchen umzugestalten, das, wie Freund Lavater von einer sagt 29 – denn sein prophetischer Geist sah alle Fragmente der Welt voraus – Kraft hat zu geben und zu empfangen.

Mein Prinz – fährt er fort und streicht sich den Knebelbart – soll vor seiner Umarmung erst in einen muntern – gefälligen – verliebten Jungen verwandelt werden, wie sie in der Welt herum laufen, oder – ich will nicht Hans heißen! Das Fünkchen Liebe, [213] das er aus der Hofkapelle mitbringt, soll in einer ganz andern von meiner Erfindung erst zu Flammen auflodern, – seine Pflichten sollen ihm, wie trägen Kindern, durch Bilder verständlich gemacht, – und seine natürliche Rolle, ehe er sie spielen darf, soll ihm erst so lieb werden, daß er seine angelernte darüber vergißt. Er habe das Opfer, das er zu den Füßen seiner Verlobten für sich und sein Land erbettelt, nur den Verlockungen der Sinne, dem Tumulte des Bluts – habe alles was er wünscht und erhält – nur dem Zauberstabe der gereizten Einbildungskraft – nichts davon dem Stabe des Hofmarschalls zu danken!

Und der brave Stammvater setzte sich hin und fertigte sein ewiges Kanzelei-Schreiben an alle die Glücklichen aus, die durch ihn und seinen Erbprinzen, für dessen Stammhaftigkeit er selbst patriotisch gesorgt hatte, in der Folge der Zeit zu der Ehre gelangen würden ihr Vaterland zu beherrschen. Wenn sie auch, murmelte er vor sich, alle meine andern löblichen Anstalten im Lande mustern, meistern und umstoßen, so, denke ich, sollen sie doch nichts wider meine Einrichtung ihrer ersten Nächte haben, da ihnen ja, wenn sie nur das geringste Nachdenken besitzen, ihr eigenes Daseyn verbürgen muß, daß ich den Rummel verstand. Und so stiftete er jene Kapelle mit ihrem Sopha – ihrem Stammbuche und ihrem Ornate.

Nimm einstweilen mit diesem kurzen Auszuge aus seinem Stiftungsbriefe vorlieb. Könnte ich nur mit eben so leichter Feder Jettchens Geständnisse aus den Bruchstücken zusammen setzen, die ich von ihrer Vertrauten erhielt. Jene ihres Wegs so unkundige Pilgerin gleicht in der Erzählung ihrer empfindsamen Reise einem Schiffer, der auf dem unabsehbaren Meere vom Sturm ergriffen, sich endlich glücklich an ein lachendes Eiland getrieben sieht. Er überläßt sich zuerst dem entzückenden Gefühle seiner Rettung, er gedenkt nicht mehr der Wellen, die ihn dahin schaukelten, und möchte sich lieber schämen, wenn er auf die überstandenen Minuten seines Zagens zurückblickt. Eben so wenig kann ich, ohne unbillig zu seyn, einem träumenden Kindsköpfchen zumuthen, daß es die grausen Phantasien, die ihm bis zum Erwachen vorschwebten, im [214] Zusammenhange entwickele. Ich hingegen, der ich ein Nachtstück zu malen habe, das nicht sowohl zur Zierde meiner Bildergallerie, als vorzüglich zur Beantwortung jener in diesen Blättern schon mehrmal angedeuteten Streitfrage der Gelehrten und Naturphilosophen diene, ob es bei Behandlung eines zarten weiblichen Herzens zweckmäßiger sei, ihm auf der Reisecharte der Liebe die Stationen seiner Bestimmung mit rother Dinte zu unterstreichen, oder es ohne Vorbereitung allen Schrecken des Hinscheidens jungfräulicher Unschuld in der Hoffnung Preis zu geben, den süßen Lohn, der dahinter liegt, durch Ueberraschung noch zu erhöhen. Ich darf, wenn ich unpartheiisch handeln und nicht ein Gemälde ohne Perspektive und clair obskur, gleich einem Chinesischen aufstellen will, unsere kleine Unerfahrne auch nicht eine Stufe ihrer kindischen Angst überhüpfen lassen, um mit ihr, eher als es Zeit ist, in die Region des Trostes überzuschweben. Beides muß gegen einander genau erwogen werden, um mit Grund entscheiden zu können, ob der altmodische Ahnherr, der seine Urenkelinnen nicht unbefangen genug habhaft werden kann, oder ob die Erzieherin der jungen Prinzessin Recht behalten wird, die erst abwarten wollte, bis der Hofmaler den Kopf des Amors unter ihrer Bleifeder nicht mehr für ein Fratzengesicht erklärte und deßhalb Anstand nähme, ihr zum Nachzeichnen die ganze Figur des Götterknaben vorzulegen, bis sie erst mit ihrem Klaviermeister eine vierhändige Sonate ohne Anstoß abspielen, und der junge Kapellan ihr an den Augen ansehen könnte, daß sie seiner Auslegung des sechsten Gebots, die er bis jetzt weislich überschlug, die gehörige Aufmerksamkeit schenken werde; – denn so lange die Fähigkeiten der jungen Dame nicht bis zu diesem Grade ausgebildet wären, fanden es die Frau Oberhofmeisterin zu bedenklich, sie dem Zügel der Erziehung zu entlassen« Das Unglück – wenn es eins seyn sollte – ist geschehen. Es wird sich bald zeigen, gnädige Frau, ob es so groß war, als Sie Sich einbildeten.

Meine Pinsel sind rein – und an meinem Farbenkasten, der wie der Seidelmannische von der Gallenblase des Zitteraals, bis zu der brennenden Purpurmuschel fortsteigt, liegt es nicht, wenn [215] meine pittoreske Darstellung nicht so meisterhaft ausfallen sollte, als die seinige.

Wir haben gestern, lieber Eduard, die durch Urtheil und Recht losgesprochene und zu den großen Pflichten einer Landesmutter für tüchtig erklärte Dame zwischen Thür und Angel stehen gelassen. Noch zittert, noch weilt sie und kann es nicht über sich gewinnen, den letzten Schritt in die Dämmerung zu thun, die das Geheimniß ihres Berufs verbirgt – aber da stürmt die Klingelschnur der Zauberin aufs neue und verbreitet seinen Metallklang durch die Hallen der Burg bis zum rothen Thurm hin. –

Die Kleine fährt wie bei einem Erdbeben zusammen, und eilt nun vom Schrecke getrieben, wie ein verscheuchtes Mäuschen, in das spärlich erleuchtete Brautgemach. Stelle Dir nur vor, wie einem so zärtlich gebauten Körper nach solchen Anstrengungen – wie einer wohlorganisirten Seele, die alle Martern des Ceremoniels bis auf den letzten Grad erhalten – mit einem Worte, wie der kleinen Prinzessin zu Muthe seyn muß, wenn sie nun statt der tröstlichen Aussicht der Ruhe, ein mit Franzen und Federn überladenes Staatsbett schimmern sieht, von dem sie schon dem äußern Ansehen nach eben so wenig etwas Kluges erwarten kann, als sie heute erlebt hat.

Wie eine Drathpuppe, die von der Rolle nichts weiß, die sie spielt – die es von obenher erwartet, welches Gelenk sich zuerst heben – welches Glied sich bewegen soll, steht das gute Kind da, und blickt mit unbelebten Augen – und nur mit dem hölzernen Gefühl der Abhängigkeit nach ihrem Gebieter. Dieser tritt nun zwar strahlend wie Phöbus – doch ernst und langsam wie ein Bote herein, der von weitem her eine üble Nachricht zu bringen hat. – »Beklagen Sie mich, meine Auserwählte,« redet er sie mit kaltem Anstand und kostbaren Worten an: »In dem Augenblicke, nach welchem ich einen ganzen beschwerlichen Tag gerungen habe, erhalte ich noch ein Kanzlei-Schreiben von meinem Ur-Ur-Urältervater, das ich, großer Gott! vorher noch beantworten soll, ehe ich die Erlaubniß habe Sie die meinige zu nennen. Es soll an dieses Zimmer eine Kapelle stoßen, zu der der Höchstselige mir den[216] Schlüssel schickt – Dort sollen wir, beste Prinzessin, auf dem Altare unsere Namen in ein Buch schreiben – dort sollen wir eine heilige Handlung verrichten, auf der, wie sein Brief sagt, das Glück des ganzen Landes ruhe. Was muß der gute alte Mann gedacht haben? Ich bitte Sie, liebe Prinzessin, wo soll ich an Ihrer Seite – ach! würde er mir es zugemuthet haben, wenn er Sie gekannt hätte? – nur einen Funken von Andacht hernehmen? Zu einer ungelegneren Zeit, dächt' ich, wäre wohl keine menschliche Seele noch in eine Kapelle geschickt worden.« – Die gute Prinzessin denkt im Grund ihres Herzens dasselbe. Sie macht keine kleinen Augen, da sie wieder von Ceremonien hört, vor denen sie wenigstens in der Mitternachtsstunde gehofft hatte sicher zu seyn – Aber sie nimmt sich zusammen. – »Wenn die Landeswohlfahrt darauf beruht,« sagt sie so manierlich als ob ihre Oberhofmeisterin zwei Schritte davon stände, »so bin ich in Wahrheit noch nicht so schläfrig, daß ich nicht meinen Namen noch schreiben und ein Vater Unser beten könnte.«

Sie suchen nun beide die verborgene Thür der Kapelle, und finden sie glücklich dem Brautbett gegenüber, hinter den Tapeten. Der goldne Schlüssel wird versucht – er schließt, und sie stehen, als die Thür hinter ihnen zufällt, zwischen ihr und dem Vorhange des Allerheiligsten. Mit einem Schritt über die Schwelle treten sie in das Innere, der gestirnte Himmel zieht mit seinem sanften Abglanz ihren ersten Aufblick an sich, ein heiliges Grauen umringt sie – Eins sucht in dem feierlichen Halbdunkel – und drückt stillschweigend die Hand des andern. Stille Seufzer, die alles, ja mehr enthalten, als was Worte zur Verherrlichung Gottes auszusprechen vermögen, steigen als ein gemeinschaftliches Gebet aus ihren gleichgestimmten Herzen empor und beseligen sie; aber nach wenigen der Andacht gewidmeten Minuten steigt auch in ihnen der Wunsch auf, daß sie einander sehen – an die Brust schließen und die hohen, selbst durch ihre Größe drückenden Gefühle mittheilen möchten. Keine andere Leidenschaft beherrscht sie, als zu danken und anzubeten, und mit dieser Seelenruhe, bei welcher die Welt, ihre Herrlichkeit und ihre Freuden ihren Augen entschwanden – [217] war dem Prinzen der Gang zu seiner Bestimmung beinahe gleichgültig geworden, und Sie – indem beide sich anschickten, die Kapelle zu verlassen, ergab sich schon weniger scheu dem Willen der Vorsehung. Aber in diesem Augenblicke treten an allen Ecken kristallene und in Rosenöl brennende Lampen hervor, und verbreiten ihr Licht auf jene Meisterstücke der Kunst, die so lebhaft, als wären sie erst diesen Abend fertig geworden, und in solcher Harmonie von der Wand strahlen, daß sie alle zugleich nur auf Einen Punkt wirken. Stelle Dir nun die großen, beleidigten, unschuldigen Augen vor, die so etwas nie gesehn – nie geahndet hatten! Sie prallen ab, wie sie hinfallen. Die auf das höchste Erschrockene staunt ihren Führer an, der selbst mit den schnellsten Gedanken seiner Ueberraschung nicht nachkommen kann, und so verlegen vor seiner Braut da steht, als wenn er die Unartigkeiten aller seiner Ahnherren zu verantworten hätte. Aber wie ganz anders erscheint ihm zugleich seine Geliebte! – So hatte er sie nicht gekannt, so hätte er sie schwerlich in seinem Leben kennen gelernt. Ihre gepreßte Brust hebt sich, und fängt ein paar köstliche Thränen auf, die dem Unmuth der verwundeten Unschuld entwischen. Sie wagt es nicht noch einmal zwischen die Lichter hinzublicken, und weiß doch auch nicht wo sie mit ihren großen blauen Augen bleiben soll. Sie ringt nach einer Erklärung, die sie nicht zu fordern das Herz hat, und, tausendmal schöner in der Angst ihrer Jugend, als sie es je in dem Zirkel des Hofs war, entwickelt sie in dem kurzen Zeitraum einer Minute mehr Physiognomie der Seele, als selten ein Fürst zu sehen bekommt, mit jenen feinen Uebergängen und sanften Schattirungen, die uns ein Mädchen erst lieb machen, und die, glaube ich, in allen Paradebetten verloren gehen. Das Gedränge nie gefühlter Empfindungen nimmt auf das schnellste zu – die Füße wanken ihr wie einem gemeinen Mädchen, sie sieht nichts, woran sie sich halten kann, als den einzigen Sopha – der immer der beste Zufluchtsort auch für eine müde Prinzessin ist. Hier – dem Altare gegen über, auf dem die Annalen des fürstlichen Hauses ausgebreitet da lagen – hier war es, wo der weise Stifter dieses Heiligthums sie erwartete, und hier kniete nun auch der entzückteste [218] seiner Nachkommen, wie er es selbst sagt und ihm niemand abstreiten wird, vor seine Auserkorne nieder – wagt es erst kaum, ihre widerstrebenden Hände in die seinigen zu fassen – nennt ihren Unwillen gerecht – sucht ihren empörten Stolz zu besänftigen, und schiebt alles, wie er es mit Recht thun kann, auf seinen Stammvater. – Er würde außer sich seyn, sagt er mit bebender Stimme, wenn das alte sonderbare Herkommen ihn um die Achtung seiner geliebtesten Prinzessin, und in demselben Augenblicke bringen sollte, wo er sie erst ganz zu verdienen gehofft hätte. – Kein Mensch, weder aus dieser noch jener Welt, würde ihn haben bewegen können, den zärtlichen Augen seiner einzig Geliebten so weh zu thun, wenn ihm nur im geringsten geahndet hätte, welch ein Kabinet die Haupturkunde seines Hauses verwahre. – Er müsse sich, fährt er fort, in Erstaunen verlieren, wenn er, die lange Reihe seiner Ahnen herunter – an alle die, bekannter Maßen so reizenden – unschuldigen – erhabenen und höchst vortrefflichen Fürstinnen dächte, die doch eine nach der andern sich dieser Probe der Angst hätten unterwerfen, und ihren Namen als Landsmutter in dieser Kapelle verdienen müssen. – Nichts hätte sie wahrscheinlich dabei aufrecht erhalten und trösten können, als der Gedanke an das allgemeine Beste, dessen Erhaltung allein dieser Tempel geweiht sei. – Freilich, setzt er hinzu, wäre es auch wohl das erste Gesetz jedes gutdenkenden Fürstenkindes, ob man es gleich nur zu oft in Winkeln suchen müßte, wo man es nicht denken sollte.– –

Indem er alles dieses mit einer zärtlich stammelnden Stimme vorbringt, kann er sich zugleich an ihren scheuen Augen – an ihrer holden Erröthung – an der immer höher steigenden Empörung ihres blendenden Busens, und an der schönen Unordnung nicht satt sehen, die durch so manche heftige Bewegung der beunruhigten Sittsamkeit unter ihren Spitzen und Bändern entstanden ist. Er leidet treulich mit ihr, und forscht, nach jedem Kusse, den er ihren zitternden Händen aufdrückt, in ihren Blicken, um wie viel Grade ihr Schrecken gesunken, und um wie viel sie schon gefaßter sei einen neuen zu ertragen. Aber noch vergehen einige bange Minuten, ehe sich das Gute dieser Anstalt und der große Sinn zeigt, den der [219] Stifter darein gelegt hat. Kaum aber haben die eben so wahren als zärtlichen Vorstellungen ihrem belasteten Herzen die erste unmerkliche Erschütterung mitgetheilt – so rollt die ganze schwere Masse, wie ein Schiff, das vom Stapel gelassen wird, nur desto geschwinder – reißt alles mit sich fort, was es auf seinem Wege antrifft – und schwebt nun stolz zwischen Himmel und Erden. Sie sieht mit dem fröhlichsten Erstaunen – was sie nie erwarten konnte – sieht ihren Liebhaber in ihrem Gebieter. Die Drahtpuppe ist verschwunden – Sie bewegt jetzt selbst was sie bewegt – Sie findet Geschmack an ihrer Rolle, und spielt sie vortrefflich. Kein Blick ihrer besänftigten Augen fällt auf den innigst gerührten, schmachtenden Jüngling, der ihr nicht eine süße Empfindung – keiner fällt verstohlen an die Wand, der nicht eine kleine Belehrung mitbrächte. Ohne es zu wissen, ahmt sie die eigene Miene der furchtsam nachgebenden Psyche nach, die aus dem herrlichen Altarblatte auf sie herüberblickt – und mit welchem Feuer kehrt nicht sein Auge auf die ihrigen zurück, wenn es die Zeit einer halben Sekunde gewann, auf ein Gemälde aus Titians Jugend zu gleiten, das ihm gerade vor den Augen über dem Sopha, seiner furchtsamen Prinzessin aber im Rücken hing, wie ihm Psyche's Apotheose! Ach wie weiden sich beide an dem hohen und wahren Ausdrucke des Gefühls, das jedes in dem Herzen des andern zu erregen sich einbildet, ohne zu ahnden, wie viel sie davon dem Widerscheine der Kunst, die hier so schwesterlich der Natur die Hand reicht, zu verdanken haben! Gott segne ihren glücklichen Irrthum! Trunken von der Seligkeit ihres Daseyns – erschüttert durch den Zauber dieser heiligen Stätte – zu Göttern verklärt durch das Feuer der Einbildungskraft – sinken sie staunend einander in die Arme – sinken in die Vergessenheit ihrer selbst. – Der Segen ihres großen Ahnherrn – das Wohl des Landes, und das höchste Entzücken der Liebe schwebt über ihnen. Millionen Sphären rollen über den Häuptern der Glücklichen hin. – Sie mögen kommen – gehen – verschwinden – was kümmert es sie? Die Sterne, die lange über dem Sopha funkelten, stehen jetzt unter ihm – aber was fragen sie nach den Körpern des Himmels – ihrem Stande und ihrer [220] Bewegung? Was sollten sie? Sind sie nicht selbst ein Universum? Aus der Zusammenkunft ihrer Planeten in dem schönsten Punkte des Thierkreises werden sich neue Epochen der Freude, neue Systeme der Liebe entwickeln, die in dem unermeßlichen Raume der Geister- und Körperwelt – unabhängiger und glorreicher als jene, ihre unbekannte Bahn beschreiben – durch Jahrtausende sich fortwälzen, und dem lieblichen Genius der Erhaltung vorleuchten werden bis an das Ende der Tage. Umsonst arbeiten alle Wirbel und Kräfte der Schöpfung, schwingen, reiben und drücken sich, um aus dem Leben der Verherrlichten diese erste stolze Nacht zu verlöschen – Sie verlischt – aber das rührende Andenken derselben, mit allen ihren menschlichen Folgen, wird ihren Seelen unvertilgbar und den entferntesten Zeiten noch heilig seyn.

Schon glänzen die Gebirge, die Thäler und Hügel des Erdballs in den Strahlen der Morgenröthe – der entzückte Prinz bemerkt ihr Farbenspiel nur an denen, die in seiner Herrschaft liegen, und die ihm auf der ganzen Oberfläche der Natur die liebsten geworden sind. Von ihrem Horizont aus wirft er noch einen Seherblick in die Nachwelt – sieht sich glücklich eingereiht in die Mitte unzähliger Vorfahren – unzähliger Nachkommen, und der Wunsch seines Stammvaters ist in allen seinen Theilen erfüllt. Sein Kanzlei- Schreiben ist beantwortet, und dem Einsturze seines stolzen Gebäudes ist durch zwei neu angestellte, tüchtige Arbeiter vorgesehen, und die Anlage seiner Kapelle gegen allen Tadel gerechtfertigt. Sanft belastet von der Schwere ihres vielfältigen Glücks, reichen sich die Liebenden dankbar die Hände. Keines weiß, wer das andere besiegt hat. Arm in Arm treten sie an den Altar der Psyche – blättern bei dem Glanz ihrer Lampe in dem heiligen Stammbuche die Stelle auf, die es ihnen anweist, und setzen unter alle die Namen, die hier mit zitternden Händen geschrieben stehn – in auch nicht festern Zügen, den ihrigen. Ein herrliches Werk! an dessen Fortsetzung es jedem gutdenkenden Sohne dieses hohen Geschlechts eine Freude seyn sollte zu arbeiten. Das glückliche Paar giebt sich das Wort es gelegentlich durchzugehn – um – wie die wackere Prinzessin hinzu setzt, die Geschichte eines[221] Hauses kennen zu lernen, in das sie so freundlich aufgenommen wurde. An der letzten Stufe der Kapelle geloben sie noch der schaffenden Natur ein Votiv-Gemälde, das selbst in einer solchen Sammlung der Aufbewahrung noch werth sei. Schwach – vielleicht zu schwach aus überschwenglicher Liebe, und unbegreiflich allen benachbarten Fürsten, wenn sie es erfahren sollten, übergiebt der Held dieser fröhlichen Nacht an dem Ausgange des Tempels – seiner Gemahlin den goldenen Schlüssel zum Zeichen seiner ewigen Treue – ohne Furcht, daß sie ihn jemals verräumen oder verlieren werde, wie seine Frau Großmutter Liebden höchstseligen Andenkens.

Ein wohl verdienter Schlaf erwartet sie beide in dem weiten Umfange des Brautbetts, das unterdeß nichts von seinen Franzen, nichts von seinem Ansehn verloren hat, und gegen das sich der einfache Sopha verstecken muß. Die Engel des Himmels wären ungerecht, wenn sie nicht gütig auf die Geweihten herunter blickten, die alles, was die Natur und die Kunst, und was selbst das Geschwätz des Kapellans verlangt, das zu keinem von beiden gehört, auf das pünktlichste erfüllt, und schon Vater und Mutter vergessen haben, ehe sie einschlafen. Mögen jene freundlichen Bilder ihnen im Traume vorschweben, unter deren Abglanze sie des Landes Wohlfahrt besorgten! Die ehrlichen Dichter und Prosaisten, die sich heute in diesem Tumulte der Sinne mit ihrem Krame bescheiden zurück zogen, werden schon zu einer gelegeneren Zeit ihre, nicht minder wirksamen Dienste dem fürstlichen Hause anbieten, wenn der erste Eindruck der Farbenmalerei verraucht seyn – und die ekle Seele sich nach Hülfe umsehen wird, um der größten Gefahr der Liebe – dem drohenden Ueberdrusse, zuvorzukommen.

Vielleicht daß ein solcher Augenblick selbst mein armes Tagebuch aus seiner Dunkelheit hervorzieht, und ihm – Gott geb' es! – die Ehre verschafft, das Vehikulum einer Prinzessin, die meiner Margot gleich sieht, oder eines Prinzen zu werden, der meinen Haß gegen alle andere Ritterthaten mit auf die Welt bringt, die nicht in das Gebiet der Menschheit gehören.

Du magst von dieser Kapelle und ihrem goldenen Schlüssel [222] denken was Du willst, Eduard! ich wenigstens habe keine an irgend einem Hofe gesehen, die philosophischer ausgedacht, und niedlicher angelegt wäre. Die Gemälde, die dieses Kunst- und Naturalien-Kabinet zieren, sind wohl nicht weniger zweckmäßig und selbstsprechend, als das Gastgebot des Storchs in dem Audienz-Gemache zu C-, das einem Gesandten, der nicht blind ist, gerade in die Augen fällt, wie er hinein tritt, und wohl eher als jene verursachen könnte, daß ein ehrlicher Mann in seinem Vortrage stecken bliebe.

Sollte Dich einmal der Zufall in diese Dir etwas abgelegene Gegend bringen, so bitte ich Dich, Eduard, scheue den Umweg nicht von etlichen Meilen, um diesen Hof mit seiner alten Burg und seinem rothen Thurm – wäre es auch nur auf einen Mittag, zu besuchen. Ich würde Dir keines andern wegen so etwas zumuthen; aber bei diesem hier wäre es mir lieb. Du würdest nicht allein Dich mit eigenen Augen überzeugen, wie gut dem alten Herrn sein Einfall gelungen ist, und könntest ihn bei Gelegenheit weiter empfehlen – sondern auch Ich dürfte hoffentlich so viel dabei gewinnen, daß Du nicht länger mit mir über meine malerischen Vorstellungen zanktest. Denn, wie wäre es wohl möglich, daß Du nicht den tiefsten Respekt für die Kapelle, und nebenbei auch für mein Bilder-Kabinet, bekämest, da es ganz nach demselben Risse gebaut ist, wenn Du einer der wunderschönen Prinzessinnen in der Nähe, oder zwischen einem Paar jungen, kraftvollen, freundlichen Herren zu sitzen kämest, die ihre frohe Existenz jener milden Stiftung verdanken, und für deren Erhaltung sie, als künftige Nutritoren derselben, schon durch ihr leichtes, ungezwungenes Betragen gut sagen. Diese, der Natur gleichsam abgestohlnen Kinder gewähren jedem gesunden Auge den freudigsten Anblick. Sie schreiten in einer reinen Erbfolge, ehrlich, fest, und zufrieden mit sich und andern, durch die Zeit fort, ohne den Namen des entfernten Edeln zu beschimpfen, von welchem sie so weit herkommen: während in andern erlauchten Geschlechtern die animalischen Feuertheile ihrer Stammältern so sehr unter dem Mantel der Etiquette verraucht sind, daß die meisten Länder vor unserer Nase nur noch von Menschengestalten regiert werden, denen ein Frost über den Leib [223] geht, wenn sie in ihrer Rüstkammer den offenen Helm betrachten, der das Haupt ihres Ahnherrn umgab – die nicht den Panzer zu bewegen vermögen, den sie ihren Vorfahren sehr bequem in dem angebornen Wappen nachtragen. Wie können so ausgeartete Ritter dem Lande ein Ansehn geben, dem sie vorstehen? Wie können sie dem Geschlechte, das die Preise austheilt, und dem, zu ihrem Unglücke, die Folge der Zeit nichts von seinen hohen Erwartungen geraubt hat, nachkommen, ohne zu den unmännlichen Hülfsmitteln ihre Zuflucht zu nehmen, die, wie das Historienbuch sagt, schon viele in der Verzweiflung ihrer Mattherzigkeit ergriffen, ihren Schweiß auf Haasen- Schwein- oder Hirsch-Jagden verloren und wohl gar, um Friede im Hause zu haben, den goldnen Schlüssel ihrer Frau Gemahlin in fürstlicher Rücksicht anvertrauten, daß wenigstens sie dafür sorgen würde, dem Lande, das sie nun einmal ihren Lehnsvettern mißgönnen, einen Beherrscher zu verschaffen, gesetzt auch, daß es ihm die Unterthanen schon an den feurigen Augen, männlichen Gesichtszügen und festem Anstand ansehen, wie wenig es ihm nach allen göttlichen und menschlichen Rechten gebührt.

Sage mir, Eduard ... Doch – Himmel und Hölle was erblick' ich! Gott! wie wird mir mein politisches Geschwätz eingetränkt werden! Das einzige Gespenst, vor dem ich mich fürchten kann – erscheint – hinkt über die Gasse, und kommt immer näher. Mit großen Augen begafft es jetzt meinen aufgepackten Wagen – und nun – ach! steigt es schauerlich die Treppe her auf. Mit Einem Worte, die alte Bertilia ist zurück! Aber, um aller Barmherzigkeit willen! wo bleiben die Pferde? Wahrlich, ich glaube, sie müssen erst, sammt ihrem Knechte die Messe hören, ehe ihnen ihre Religion erlaubt, einen Ketzer weiter zu schaffen. Eduard! lieber Eduard! was sollte wohl aus mir werden, wenn die gelbsüchtige Tante nur die geringste Spur von meinem Besuche bei Klärchen – nur die Zerknitterung entdeckte, die während ihrer Abwesenheit das florne Halstuch ihrer Nichte erlitt, und mich nun die kleine betrogene Heilige, als eine zweite Delila, meinen Feinden verriethe? – O wenn doch nur dießmal die Postpferde kämen! Aber [224] selbst Bastian, den ich nun zum drittenmale darnach geschickt habe, bleibt außen. Ich komme mir wie verrathen und verkauft vor – – –

Es ist aus mit mir, Eduard! Die Tante – sie pocht an – die Feder entfällt mir.


Ich habe Dir, bester Freund! von einer bitterbösen Stunde Rechenschaft zu geben, und ich kann es mit aller Bequemlichkeit thun; denn leider! ist es so weit mit mir gediehen, daß ich unter dem Verschlusse eines alten Weibes stehe, mit keinem Menschen, als vor der Hand noch mit Dir, sprechen kann, und dem Hospitale so zweckwidrig versetzt bin, wie der heilige Engel unter dem Spiegel. Für heute ist weiter an keine Abreise zu denken, und manchmal will mir gar angst werden, daß man mich wohl bis zum Feste der heiligen Cäcilia, Gott weiß zu was für einer Ceremonie! inne behalten könne.

Das abscheuliche Weib! Sie trat höflich genug zu mir herein, und auch ihre Miene kam mir nicht widriger vor als gewöhnlich. Ich setzte ihr, mir gegenüber, einen Stuhl, und unser Gespräch begann: –

»Sie wollen uns schon verlassen, mein Herr, wie ich aus den Anstalten schließe?« – »Briefe aus Marseille, liebe Madam, nöthigen mich dermalen zu einer geschwindern Abreise; doch denke ich, so Gott will, gegen den achtzehnten künftigen Monats wieder zurück zu seyn. Wollten Sie mir wohl das Quartier auf diese Zeit aufheben?« – »Je, mein Herr – so wissen Sie denn auch schon von der merkwürdigen Feier dieses Festtages? Wissen Sie denn aber auch, wie unbegreiflich hoch die Miethen in der Stadt alsdann stehen?« – »Ich weiß es – aber der Preis thut nichts – was ein anderer geben kann, gebe ich auch.« – »Das wäre schon gut, mein Herr; aber ohne Rückfrage bei dem Herrn Propste kann und darf ich mich so weit hinaus auf nichts einlassen. Kann ich doch nicht wissen, was er mit dem Quartiere vorhat. Er kann es ja einem Freunde zugesagt, oder gar die Absicht haben, um Unruhe zu vermeiden, es leer stehen zu lassen. Sie wissen, er ist Vorsteher von dieser milden Stiftung; und da ist es wohl natürlich..« [225] – »O sehr natürlich!« fiel ich ihr ungeduldig ins Wort. »Wenn ich nur begreifen könnte, wo meine Pferde so ewig lange blieben!« – Sie wollte mich aber nicht verstehen. – »Es thut mir nur leid,« fuhr sie fort, »mein Herr, daß Sie gegenwärtig kaum das Viertheil Ihres Miethzinses abgesessen haben..« – »O, ich bitte Sie, liebe Madam, einer solchen Kleinigkeit nicht zu erwähnen – Es kommt ja der Armuth zu Gute ...« und ich sah mit einem finstern Blicke nach meiner Uhr. – »Ueber diesen Punkt,« fing sie – und ich fing an: »Sagen Sie mir nur, ob die Post weit von hier ist? Ich thue wohl am klügsten, ich laufe selbst hin« – und ich stand zugleich auf. – »Unterbrechen Sie mich nur nicht immer, mein Herr,« antwortete das dumme Weib, und erhob sich nun auch. »Ueber diesen Punkt,« sagte sie, »wären wir also einverstanden, mein Herr. Und um Sie nicht aufzuhalten, will ich nur noch flüchtig das kleine Inventarium durchgehen, das Sie im Gebrauch hatten – nur der Formalität wegen, da ich überzeugt bin, alles in Ordnung zu finden.«

Jetzt schoß mir das Blatt – Ich Unbesonnener! Wie war es möglich, daß mir nicht eher die Bücherschalen auffielen, die hinter dem Stuhle der Alten wie auf meine peinliche Anklage zu lauern schienen? Da ich das Weib, wie ich von Herzen gern gethan hätte, nicht auf der Stelle blind machen konnte, so sah ich keine menschliche Möglichkeit diese Beweise meiner Schuld bei Seite zu schaffen. Konnte ich mich doch nicht einmal auf eine leidliche Verteidigung besinnen, gleich als ob alle und jede Sophistereien mit diesen verbrannten Schriften aus der Welt wären. – Sie setzte bedächtlich ihre Brille zurechte – besah den Spiegel, trotz dem Wiederscheine ihrer scheußlichen Figur, auf das genaueste – drehte den schlafenden Engel nach dem Lichte – breitete die taffenten Fenstervorhänge aus einander – und da ich eben im Begriffe war, die Schweinshaut von meinem Koffer über das Corpus delicti zu werfen, drehte sie nun endlich ihre Drachenaugen auch dem Kamine zu.

Könnte man doch malen, wie man wollte! Aber ein altes Weib im Zorne gehört ja, glaube ich, zu den Dingen, die uns [226] Horaz verbeut auf die Bühne zu bringen. Du sollst also nur ihre Stimme hören, Eduard! und Du wirst, denke ich, schon daran genug haben. Länger nicht als eine furchtbare Minute sah sie, noch sprachlos, bald auf mich, bald auf die ausgeschälten Bände, als ob sie an ihrer Besinnungskraft, oder ihrer Brille zweifelte. Sie trat näher, rollte einen Blick der Verzweiflung über den theuern Aschenhaufen, hob einen Hornband des Sanchez in die Höhe – ließ ihn vor Entsetzen fallen, und stürzte nun selbst, wie wahnsinnig, und mit gefaltenen Händen daneben. Eine Furie, die den Höllengott anruft, kann keinen gräßlichem Anblick geben, als sie mir darstellte. Das Haar sträubte sich mir, und ich trat selbst mit einem Andachtsschauer zurück, als ihre Lefzen in Bewegung geriethen. Ich habe in meinem Leben nicht allein viele einfältige und zweckwidrige – nein, ich habe auch verdammliche und fluchende Gebete ausstoßen gehört; doch von der Zusammensetzung des ihrigen war mir noch keines zu Ohren gekommen. Im Anfange waren ihre Ausdrücke nur albern, wie etwa der Eingang mancher Controverspredigt. »Sancta trinitas!« schrie sie, »ora pro nobis! Rechnet mir, o ihr Heiligen und Märtyrer, die Missethat nicht zu, die ein Verächter eures Namens in diesem Gotteshause beging!« Aber als ob sie damit nur das Recht errungen hätte zu fluchen, knetete sie hinterher alles, was nur Gräuliches und Verworrenes in hundert Gebetbüchern verzettelt seyn mag, zu einem Anathema wider mich zusammen, daß selbst, in Vergleichung dessen, diebulla in coena domini 30 eine Höflichkeit seyn würde – Gott bewahre mich, daß ich es ihr nachspreche!

Ich hörte ihr lange mit geduldigem Erstaunen, ja, wenn Du willst, mit einer Art Bewunderung ihrer höllischen Beredsamkeit zu. Endlich aber, da ihr giftiger Ausfluß nicht nachließ – ihr [227] Mund immer schäumender und ihre Augen flammender wurden – da sie mir entgegen donnerte, daß viele meines Gleichen, in ihrem frommen Lande, geringerer Verbrechen halber gerädert wären, und den Raben am Bache zur Speise dienten – und mir der arme unschuldige Calas darüber einfiel – da überlief mir die Galle. – »Den Augenblick steh auf, und packe dich, du abscheuliches Weib, packe dich zu deinem Schandbalge von Nichte, damit ich dich nicht in der Asche des Otterngezüchts ersticke, das du beheulst.« – Und so lief ich, selbst ein wenig von ihrer Wuth angesteckt, nach dem Schellenzuge, und stürmte nach Bastians Hülfe. – Aber indeß ich, wie ein Narr, klingeltewar mir die Hexe entwischt; und ehe ich mich besann, warum ein Mensch, den man auf die Post geschickt hat, unmöglich zu Hause seyn kann, hatte sie den Schlüssel abgezogen und die Thüre von außen verschlossen. Ich mußte nun selbst einsehen, wie überlegen sie mir war, da meine Aufwallung von gerechtem Zorn mich blind gegen alle Nebenumstände machte, die mir hätten dienen können; sie hingegen, ungeachtet ihrer Wuth, auch nicht die geringern Bosheiten aus der Acht ließ.

Dieser Auftritt, Eduard, hat mich ganz außer Fassung gebracht. Ich kann mich noch gar nicht recht in mein Verhältnis; mit dem Hospitale hinein denken, und das pro und contra meines Falles abwägen. Freilich habe ich Bücher verbrannt, die einer milden Stiftung gehörten; aber, großer Gott! was waren es für Bücher! Verdient man wohl den Galgen, wenn man Gift stiehlt, um es in einen Abgrund zu werfen, damit es niemanden schade? O! gewiß verdient man ihn, wenn es Mörder sind, die uns richten. Das ist keine tröstliche Aussicht, und ich fürchte, – ich fürchte, man wird mir das Brandopfer eintränken, das ich dem Andenken des unsterblichen Rousseau gebracht habe.

Eben habe ich alle Thüren des Vorsaals und des Hauses verschließen hören, und sehe nun Tante und Nichte – Gott mag wissen nach welchen Gehülfen ihrer Bosheit – über die Gasse rennen. – Meinetwegen mögen sie alle Schöppen und Schergen der Stadt zusammen treiben! Ich will lieber, wie ein Mann von[228] Erfahrung sagt, mit Löwen und Drachen kämpfen, als mit einem einzigen bösen Weibe. – Daß nichts Gutes für mich aus einer Conjunction entstehen kann, die sich aus der Heimtücke des Alters und aus dem beleidigten Gefühle der Jugend, und zwar von da aus, gebildet hat, wo die Rachsucht am lebhaftesten und wie ein Kitzel wirkt – kann ich mir an den Fingern abzählen. Jener drückende Groll des frommen Mädchens, der kaum eine volle Stunde alt und von einer desto gefährlichern Beschaffenheit seyn muß, je verdeckter er ist – wie wird er nicht der lauten Anklage der Tante bei den Beschützern des Rechts zu Statten kommen, zu denen sie beide hineilen! Wie wird die fromme Sängerin mich die Beschimpfung nicht büßen lassen, die ich ihren Reizen und ihren Indulgenzen anthat! Wie theuer werde ich alle die Kreuze bezahlen müssen, um die sie meine Ungeschicklichkeit brachte! Sie darf nur den Feuereifer ihrer würdigen Tante mit ein paar heuchlerischen Thränen unterstützen – darf, wenn ihr Rechtspatron in Gedanken da steht, nur den heiligen Nicaise ein wenig lüften, oder, wie sie es mir gemacht hat, durch einen pittoresken Faltenschlag ihres Florkleides das Auge des Richters fesseln, und ihn durch den tollsten aller Kettenschlüsse verleiten, Beweise von Unschuld dahinter zu suchen; so wird ihm mein Vergehen gegen Gott und seine Kirche so einleuchtend und strafwürdig vorkommen, als es die Alte verlangt. – O, du betrügerisches Geschlecht! Warum hüllte dich die Natur in jene blendende Decke, die alle und jede Nachforschung nach deiner wahren Gestalt vereitelt? Warum verlarvte sie deine Abscheulichkeit mit Reizen, die auch den hellsehendsten Mann überlisten? und ach! warum ließ sie nur Einen Weg zu jenem verflochtenen Labyrinthe deines Herzens? Wie ganz anders würden nicht jetzt meine Aktien stehen, wenn ich ... Doch warum sollte ich mich noch strafbarer aus Klärchens Kammer zurück wünschen, als ich sie, Gott sei Dank! verlassen habe? Um des verächtlichen Vortheils willen, bei dem Widerspruche meines Gewissens, in den Augen solcher Menschen, als ein Mann von Ehre, feiner Lebensart, und als einer zu gelten, der es so ganz werth sei, ihrer Religion anzugehören?

[229] Ich trenne mich ungern von Dir, mein Eduard, aber die Klugheit verlangt es. Wenn zwei Weiber wider Einen Mann in Aufruhr sind, bleibt ihm wohl nichts nöthigeres zu thun übrig, als auf alle mögliche Mittel zu sinnen, ihrem unermüdeten Hasse entgegen zu arbeiten, ehe er sich noch durch andere Leidenschaften, die ihnen immer bei der Hand sind, verstärke, und es zu spät wird. Ich hoffe schon noch Zeit zu finden mit Dir fortzuplaudern, wenn ich nur erst über meine Vertheidigungsanstalten mit mir selbst einig seyn werde. Möchte doch der folgende Tag – denn der laufende ist schon wirklich zu kurz dazu – hinreichen, alle meine heutigen Morgenthorheiten, wo nicht wieder gut, doch unschädlich zu machen! – Wahrlich, Eduard, heute vor acht Tagen konnte ich mir nicht träumen lassen, daß ich meine erste Neujahrswoche mit so einem Wunsche endigen würde.


Vom 7ten bis 8ten Januar –

aus meinem Gefängnisse.


Meine arme freundschaftliche Feder! Heute zum ersternmale von ekeler Schreiberei abgestumpft, die mir meine mißliche Lage abdrang, nehme ich sie jetzt, wie Mendelssohn die seinige, erst in der Ruhe der Nacht mit Vergnügen wieder in die Hand, – nicht, wie er, um über die Unsterblichkeit der Seele zu schreiben, sondern Dir in kläglichen Tönen das Mißbehagen meines armen Körpers zu schildern, der gern in die weite Welt möchte, und sich schon zu lange in seinen Bewegungen unnatürlich gehemmt sieht. Es giebt einen hübschen Text eine traurige Stunde zu verschwatzen, und ein Gefangener bedarf der Zerstreuung. – Ein Gefangener – welch ein häßliches Wort! Von Jugend auf ist es mir ein Mißlaut gewesen, und Du glaubst nicht, wie widrig der Begriff davon immer auf meine Nerven gewirkt hat. Ich gehe bei keinem Kerker vorbei, ohne daß der Gedanke an Fesseln mir in die Beine fährt. Nie habe ich es über das Herz bringen können, selbst den gemeinsten Vogel in einen Käfich zu sperren; denn der Verlust der Freiheit [230] wirkt gewiß mit gleichem Kummer auf alle, es mögen die Federn einem Dompfaffen angehören oder einem Zaunkönig. So mache ich mechanisch schon, und wenn es mich in der tiefsten Betrachtung der Glorie Gottes unterbrechen sollte, dem Hunde die Thüre auf, sobald er daran kratzt; und nichts ist mir auch um deßwillen von jeher lächerlicher und thörichter vorgekommen, als die treuherzige Zumuthung, bei gewissen Gelegenheiten mein eigener Scherge zu werden, und den besten Theil von mir – meine Vernunft, gefangen zu nehmen. Auch bin ich, Gott sei Dank! nie in dem Falle gewesen, worin ich jetzt bin. Denke Dir, Eduard, wie empfindlich ich ihn fühlen muß! Schon meine heutige kleine Erfahrung läßt mich ahnden, was aus mir werden würde, wenn sie so viele Jahre fortdauern sollte, als sie Stunden gedauert hat. Alle guten Kräfte meiner Seele und meines Leibes würden in eine Lähmung verfallen. Ich könnte in einem Kerker Freunde um mich haben – ich würde sie hassen lernen; ja es könnten, glaube ich, die drei Grazien mit mir eingesperrt werden, es würde mir nicht besser gehen als den gefangenen Elephanten, und keine Nachkommenschaft würde wider meine Enthaltsamkeit zeugen.

Unbegreiflich, daß es Gemüther giebt, die mit diesem natürlichen Gefühle scherzen, ruhig ihre Zeit verschwelgen, verjagen und in Schauspielen vertändeln können – bei dein Bewußtseyn, daß inzwischen ihre rechtliche Strenge, oder ihr Uebermuth gleich organisirte Maschinen wie sie sind, in Ketten und Banden hält! – Wehe dem Regenten, der diese Gewalt, die nur eine noch höhere Pflicht, als das Mitleid ist, rechtfertigen kann, leichtsinnigen, unmündigen oder boshaften Händen überläßt! – der nicht den Zaum locker hält, den er der Freiheit anlegt, und nicht immer fürchtet, das arme Geschöpf, das unter ihm seufzet, hartmäulig, stättisch, kollerig und unbrauchbar für diese und jene Welt zu entlassen! – der, statt Lustschlösser zu bauen, die seine Nachfolger dem Verfalle Preis geben, nicht lieber seine Baulust – zur Verschönerung der Gefängnisse, zur Erweiterung ihrer Höfe, und zur Bepflanzung derselben mit Blumen und Bäumen benutzt, und der den Uebertreter, selbst aller Gesetze von der Wohlthat der Sonne auszuschließen[231] wagt, die doch der oberste Richter ausspendet, um zu scheinen über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte! – Und was soll ich über euch ausrufen, o ihr, die ihr die Kunst eures Gleichen zu martern, bis zu dem Grade verfeinert habt, daß ihr nicht allein ihre Körper, nein, auch ihre Seelen einzukerkern versteht, – ihren Phantasien alle Nahrung abschneidet, dem Redelustigen keine Antwort, der Neugier keine Zeitungen gönnt, Feder und Tinte verbietet, und dem Abgematteten, nach einem mühseligen Tagewerke, die noch größere Strafe der Unthätigkeit aufbürdet, und ihm zu aller Erholung von seinem Elende mir die nagende Betrachtung desselben übrig laßt?

Der trostreiche Ersatz, den mir jetzt mein Schreibtisch für den Verlust der vorher gegangenen einfältigen Stunden gewährt, belehrt mich, welche Pein es seyn mag, den Strom seiner Gedanken in sich selbst verrauschen zu hören, ohne ihm einen Ausfluß verschaffen zu können, der an das Herz eines Mitmenschen anschlage. Wie fühle ich nicht jetzt, bester Eduard, selbst in Deiner Entfernung, den Werth Deiner Gegenwart! und zu was für einem Kleinod ist mir nicht meine Feder geworden!

Um mir meine lange Tirade zu gute zu halten, darfst Du nur hören, wie es mir heute ergangen ist. Als ich mich, ernsterer Geschäfte wegen, von Dir losgerissen, und mein Tagebuch weggelegt hatte, setzte ich mich nachdenkend in meinen Lehnstuhl. Das erste, wonach sich wohl jeder mehr oder weniger Bedrängte umsieht, sind Freunde: aber leider! fand ich diese schöne Aussicht hier noch um vieles eingeschränkter, als an jedem andern Orte der Welt. Du weißt, wie klein der Zirkel meiner hiesigen Bekanntschaften ist. Außer meinen Anklägerinnen zieht er sich nur noch um drei Geschöpfe herum; soll ich sie Männer nennen – so sey's! davon immer einer zu Unternehmungen ungeschickter ausfällt als der andere. – Auf den elenden Tropf in Purpur, an den mich der Oheim der Marquise empfahl, kann wohl kein vernünftiger Mann den geringsten Staat machen. Ein Kerl, der nichts als die drei Blasensteine der heiligen Klara von Montefalcone im Kopfe hat, verdirbt sicherlich jede Sache, zu der nur ein Gran Menschenverstand nöthig [232] ist. – Buchhändler Fez, der nur, der Himmel mag wissen über was von Klaren der zweiten? nachgrübelt, das, wenn es auch nicht so tief liegt als jene Beweise der Dreifaltigkeit, doch alle Strahlen seines Geistes wie auf einen Brennpunkt zusammen zieht – sollte der sich mit den Angelegenheiten eines andern bemengen, so müßte es wohl nur einer seyn, der ihm von dem, worüber seine Einbildungskraft brütet, angenehmere Nachrichten geben könnte, als ich es zu thun im Stande bin. – Und Laurens Wächter? – Der steht fest, wie eine Bildsäule. Wo Beine nöthig sind – und beim Sollicitiren sind sie es gewiß – ist der nicht zu gebrauchen; und daß meine Herren Inquisitoren – in so einer Angelegenheit wohl zu verstehn – sich zu ihm bemühen sollten, ist nicht zu erwarten. – Indeß, da man von seinen Freunden nur den Vortheil ziehen kann, den sie zu gewähren geschickt sind, so schien mir, auch ohne Beine, der Kopf des getauften Juden immer noch den Vorzug vor den beiden andern zu verdienen.. So belesen in dem Petrarch als Er ist, wird er zu meiner Schwachheit bei Klärchen nur lächeln, und die Harmonie, an die der Dichter sein Ohr gewöhnt hat, wird es ihm unmöglich machen, an dem Geschrei eines Unglücklichen auf dem Scheiterhaufen einen bischöflichen Spaß zu finden. Hat er nicht übrigens in dem täglichen und stündlichen Umgange mit Fremden Gelegenheit genug gehabt, auch die guten Seiten eines Ketzers kennen zu lernen? und wer könnte genauer berechnen als Er, zu was allem die Toleranz gut sei? Ohne weiteres Besinnen setzte ich mich also an meinen Schreibtisch, meldete dem Ehrenmanne meine sonderbare Gefangenschaft, bemäntelte die Veranlassung derselben so gut es ging, und legte, um ihm meine Unschuld desto begreiflicher zu machen, mit dem letzten Dukaten, den ich in meiner Barschaft fand, zugleich das letzte Versprechen der falschen Concordia bei, auf das ich mich Schande halber bezog.

Sobald meine Depesche fertig war, trat ich an das Fenster, und lauerte auf Bastians Zurückkunft, um ihn damit abzufertigen. – Ich sah ihn bald genug über die Gasse gesprungen kommen. Aber zum Malen war es, wie er nun vor dem Hause stand, bei jedem Schlage, den er mit dem Klopfer that, hinhorchte, und wie [233] ungeberdig er sich anstellte, als er endlich merkte, daß er von seinem Herrn abgeschnitten sei. Ich rief ihm zu, und erschreckte ihn vollends durch den kläglichen Ton, den ich in meiner Bekümmerniß auf seinen Namen legte. Du hättest die Augen sehen sollen, die er in die Höhe warf! Mit wilderem Erstaunen hätte sie seine Schwester nicht aufreißen können, wenn ich an jenem kritischen Abende das liebe Kind wirklich um das kleine Hausmittel betrogen hätte, das sie mir, ohne Zeichen des heiligen Kreuzes – und doch gewiß unschuldiger darbot, als das vielfach gesegnete Klärchen. Es war seit dem neuen Jahre das zweitemal, daß mich wieder etwas an die gute Margot erinnerte, und Du kannst nicht glauben, Eduard, wie wohl es mir that; so wohl, daß ich beinahe darüber ihren Bruder und seine Gesandtschaft vergessen hätte. Es schien, als wenn es ihm selbst leid thäte, mich in meinem süßen Traume zu stören. Er öffnete ein paarmal den Mund, ehe er es über das Herz bringen konnte, mir die Neuigkeit, die er von der Post mitbrachte, zu entdecken: der Legat habe die Verabfolgung meiner Pferde verboten, und der Teufel möge wissen, warum? Seine weinerliche Stimme und sein scheuer Hinblick bald auf mich, bald auf den Thürklopfer, zeigten nur zu deutlich, in welchem furchtbaren Zusammenhange ihm jenes Verbot des Legaten mit dem verschlossenen Hause zu stehen schien; und auch auf mich wirkte seine Nachricht so viel, daß ich mich nicht länger in seine Familienähnlichkeit vertiefte, geschwind von Margots Busen – auf meine gegenwärtige, weit unbequemere Lage zurück kam, und nicht weiter säumte, meinen Brief an der Mauer herab fallen zu lassen. Bastian fing ihn sehr geschickt mit dem Hut auf; und erst jetzt sah ich ein, wie bedenklich es sei, einen Kommunikationsweg durch das Fenster zu eröffnen. Schon die einzelnen Worte, die wir einander zuwarfen, hatten eine Menge Neugieriger um mein Haus versammelt; einer theilte dem, andern seine Muthmaßungen mit, man setzte vor meinen Augen eine Geschichte zusammen, die ich wohl hätte hören mögen, und die vermuthlich zur Grundlage aller heutigen Gespräche der Stadt dienen wird. Einige Patrioten hielten sich sogar berechtigt, meinen Eilboten anzuhalten, und ihm seine Depesche abzufordern. [234] Aber hier zeigte sich's, was für ein herrlicher Freipaß ein guter Ruf sei; denn kaum las man die Ueberschrift an den Wächter der Laura, so zogen sie lachend den Hut ab, ließen dem Briefe seinen Lauf, und glaubten den Inhalt errathen zu haben.

Kaum hatte ich mit meinem Fenster die einzige Oeffnung, die mir noch zugänglich war, zugemacht, und mich in meinen Lehnstuhl zurück gezogen, so fühlte ich ganz deutlich, daß der Mittag vorbei sei, und knöpfte meine Weste enger zusammen. Die französische Artigkeit, sagte ich mir, wird dich doch nicht verhungern lassen, ehe sie dich verhört hat? Das sieht ihr nicht gleich. Selbst in dem dickköpfigen Deutschland befördert die Gerechtigkeit, die überall konsequent handelt, keinen in die andere Welt, dem sie nicht eine Henkersmahlzeit mit auf den Weg giebt. Es muß, nach der Regel, dem Verurtheilten erst wieder wohl seyn, ehe sie ihn weiter über die Gränze des Lebens schickt; die Migräne muß dich erst verlassen haben, ehe man dir den Kopf abschlägt, und die Strafe des Stranges wird aufgeschoben, so lange der kranke Dieb noch nicht von seiner Bräune kurirt ist.

Diese Gedanken, die mir der Hunger eingab, wurden durch einen Auftritt unterbrochen, der ihnen eine ganz andere, aber um nichts bessere Richtung anwies. Meine Nachbarinnen – auch mein Bastian kamen zurück – Haus und Stube wurden geöffnet, und meine verspätete Mahlzeit wurde aufgetragen. Wenn dieses eine Veränderung in meiner Lage gab, so war sie jedoch mit Umständen begleitet, auf die ich ganz gern Verzicht gethan hätte. Tante und Nichte brachten eine Verstärkung mit, die mir nicht anstand. Die Alte wurde von einem schwarzbraunen Kerle von Prokurator geführt, und Klärchen, was mich am meisten verdroß, zipperte mit dem Propst über die Gasse, ihre Händchen so traulich um seinen vielfaltigen Aermel geschlagen, als ob es darin ausruhen sollte, und zu meiner Thüre, als sie geöffnet wurde, sah ich meine Schüsseln, statt, wie es sich gehörte, durch meinen Bastian, den ich so sehnlich erwartete, von zwei päpstlichen Soldaten auftragen, die man nicht zerlumpter und ausgemergelter hätte aussuchen können, um mir meine jetzige Ohnmacht fühlbar zu machen. Diese schmutzigen [235] Truchsesse benahmen mir alle Eßlust. Ich fühlte keinen Hunger mehr, und begaffte sie nur mit großen Augen. Wer Preußen in der Nähe gesehen hat, noch besser aber von fern, kann schon keinen Blick auf diese geistliche Miliz thun, ohne zu lachen; aber der Reiz dazu wurde bei mir gar sehr durch den Aerger gemäßiget, der mir über meine so elende Bewachung aufstieg. Die beiden verhungerten Kerle schienen über ihren Dienst noch verlegener zu seyn als ich. Sie zogen sich langsam, ernsthaft, und mit gebogenem Knie an die Thüre zurück, und pflanzten sich, jeder an einen Pfeiler, davor, als ob es ihre Schuldigkeit wäre. Ihre Blicke, die dabei so unverrückt auf meine Schüsseln geheftet blieben, als ob sie in ihrem Leben noch kein altes Huhn in der Suppe gesehen hätten, würden schon jeden Historiker überzeugt haben, daß sie unter keinem Heinrich dem Vierten das Land bewachten. Ich hätte diesen armseligen Gesellen wohl keinen größern Possen spielen können, als recht bequem meine duftenden Gerichte vor ihren Augen zu verzehren.. Aber, die Ursachen ungerechnet, die mich schon physisch davon abhielten, würde es mir auch noch eine gewisse Empfindlichkeit der Seele verwehrt haben, die sich immer mit mir zu Tische setzt, und jeden Anblick von Elend, jeden Gedanken an Unterdrückung aus seinem Umkreis entfernt wünscht. Der unreinste Nahrungssaft, dächte ich, müßte meine Adern durchströmen, wenn ich mich im Beiseyn eines, zum Hunger Verdammten sättigen könnte, ohne meine Bissen mit ihm zu theilen. Ich würde weniger die wollüstige Befriedigung meines Bedürfnisses, als die gewaltsame Erstickung des seinigen fühlen, und fürchten, daß sich die gallige Empfindung mit meinen Brüdern vermische, die der Anblick meiner Mahlzeit, in der Angst zu leben, worin er dastände, nothwendig bei ihm erregen müßte; denn in solchen animalischen Augenblicken ist wohl kein Herz so gut, daß es sich nicht gegen die widersprechende Grausamkeit des Schicksals auflehnen sollte, das bei der ungleichen Vertheilung menschlicher Güter und ihres Erwerbs alle Erdenbewohner nur durch den Ungestüm des Hungers gleich gesetzt hat.

Ich gab diesen Bettlern, mit denen mich, wenn ich es genau überlege, doch nur meine Thorheit in der Nebenstube in Bekanntschaft [236] brachte, meine Gerichte Preis; und es that mir nur leid, daß mir meine Freigebigkeit so wenig kostete; denn das dankbare Gefühl, das nun ihre entkräfteten Augen überglänzte, würde mich für die höchste Verläugnung meines Gaumens hinlänglich belohnt haben. – »Geht nur, ihr guten Leute,« unterbrach ich ihr gratias, »tragt die Schüsseln auf den Vorsaal, und laßt es euch wohl schmecken. Wenn ihr mir meinen Bedienten herbeischafft, soll er euch auch noch ein paar Flaschen Wein auftragen, und es soll euch frei stehen, ob ihr auf des Papstes Gesundheit, oder auf die meine trinken wollt.«

Es giebt wohl kein geschwinderes Mittel, eine Gegenrevolution zu bewirken, als das ich eben gebrauchte. Meine Wache war durch meine Herablassung und durch meine Fürsorge für ihren Magen so gut zu meinem Vortheile bestochen, daß es mir nur einen Wink würde gekostet haben, um die Arme, die man gegen mich bewaffnet hatte, wider meine Verfolger zu lenken, und den Prokurator und die Alte, den Propst und die Nichte, in meine Gewalt zu bekommen. Da ich aber auch, um mir Pferde zu schaffen, die Post hätte stürmen – da ich Stadt und Vorstadt hätte betrinken müssen, um es dahin zu bringen, einen Mann im Stiche zu lassen, der, kraft des Amtes der Schlüssel, von lange her über sie herrschte; so gab ich den Einfall auf, und begnügte mich vor der Hand mit dem Vortheile, den ich schon dadurch gewann, daß jetzt die Besatzung des Vorsaals meinen Bastian frei und ungehindert passiren ließ, ohne sich um unsere geheime Unterredung zu bekümmern. – »Weise jetzt deine Neugier zur Ruhe,« rief ich ihm entgegen, als er mit großen Augen herein trat, »und befriedige vorerst die meinige! Erzähle mir ohne Weitläufigkeit, wie mein Freund, der Kirchner, meine Botschaft aufgenommen hat.« – »Ach, ich will wünschen,« versetzte Bastian, »daß Sie klüger aus dem Geschwätze des ehrlichen Mannes werden als ich. Ihren Brief habe ich freilich nicht gelesen; aber in der Antwort wenigstens, die er mir mündlich an Sie auftrug, liegt doch gewiß nicht ein Funken Menschenverstand.« – »Das geht mit allen Orakeln so,« erwiederte ich: »der Befrager muß ihn erst hinein legen; das ist in der Ordnung. – Laß nur [237] hören!« – »Als er das Goldstück aus Ihrem Briefe in Sicherheit gebracht hatte,« fuhr Bastian fort, »las er ihn bedachtsam durch, lächelte, schüttelte den Kopf bei einigen Stellen, sprach durch die Nase, und wiederholte seinen Unsinn einigemal, damit ich ihn ja nicht vergessen möchte: Sage Er Seinem Herrn meinen Gruß – Er solle sich nicht grämen und wundern, daß er in Avignon, in dem Gränzstreite zweier Heiligen, verloren – und die hochbelobte Concordia, vielleicht aus wohlmeinenden Ursachen, ihm verwehrt habe, das Weichbild der harmonischen Cäcilia zu überschreiten. Anderwärts, hoffe er, würde sie ihm ihre anscheinende Härte zehnfach ersetzen. Er habe nur bald die Schwierigkeiten zu entfernen – die ihm – ich versichere Sie, mein Herr, daß er diesen Unsinn wörtlich gesagt hat – dieses Anderwärts mache. Die Mittel dazu, behauptete er, lägen in Ihrer Gewalt. – Sie sollten nur die guten Einfälle aufbieten, wodurch Sie ihm Ihre Unterhaltung so angenehm und geistreich gemacht hätten ...« – »Ich glaube,« unterbrach ich hier meinen Gesandten, »der Kerl raset, oder er will mich zum Besten haben.« – »Wohl möglich!« antwortete Bastian. – »Wann hätte ich mich denn,« fuhr ich nachdenkend fort, »nur im geringsten seinetwegen mit meinem Witze in Unkosten gesteckt? Aber nur weiter!« – »Ferner sage Er Seinem Herrn,« schnarrte Bastian auf das natürlichste dem Kirchner nach, »habe er sich nur die Augen zu reiben, und über die Gasse zu blicken, so werde ihm der Zwerg erscheinen, der allein die Verbrannten aus ihrer Asche wieder erwecken könne.« – Hier riß mir die Geduld, ich sprang vom Stuhl, und: »Was zum Teufel,« fluchte ich, »soll ich mit diesem albernen Geschwätze anfangen? Aber so geht es, wenn ein Narr einen großen Dichter nachahmen will. Weil sein Petrarch immer und ewig ihm unverständlich seyn wird, so denkt der Tropf, glaube ich, Laurens Schatten möchte es übel nehmen, wenn ihr Wächter sich deutlicher ausdrückte. Den Augenblick gehe zu ihm, und sage ihm zur freundlichen Antwort, daß er für seine scherzhafte Laune ein anderes Ziel suchen solle als mich – so wie ich zu meinem Goldstücke, das ich mir wieder ausbäte, auch schon einen andern Liebhaber ..... Doch warte nur.« – Ich trat ärgerlich an das Fenster; [238] aber ich sah nicht lange gedankenlos über die Gasse, so stieß ich auf etwas – das mir mit Einem Blicke jenes verworrne Räthsel in's Licht setzte – stieß auf die Zwerggestalt meines Freundes Fez, der, auf seinen Laden gelehnt, mir gerade in das Gesicht gähnte. – »Ja wohl, guter buckliger Mann,« rief ich aus, »bist du es allein, der mich aus meiner Gefangenschaft retten kann – Du bist der Zwerg, auf den mich das Orakel verwies. Geschwind, Bastian, reiche mir eine Bücherschale nach der andern von dem Haufen her, der an dem Kamine liegt! Ihre betrügerischen Titel sollen bald in eine Liste gebracht seyn. – Eins bis siebenzehn! Gottlob, daß ich damit fertig bin! Nun, Bastian, trage geschwind dieß Papier zu unserm Nachbar, dem Buchhändler – laß ihn den Ladenpreis daneben setzen, und laß ihn unterschreiben, daß er gegen die Summe sich für die Beischaffung dieser seltenen Werke verbürge!« – Eben so glücklich löste sich die andere Hälfte des Räthsels. Ich begriff jetzt, ohne lange zu suchen, die guten Einfälle, die meinem nachsichtigen Freunde in meiner schlechten Unterhaltung so wohl gefielen, den in allen Ländern beliebten und bei allen Prozessen anwendbaren Witz – einer gefüllten Börse. Ich zog die meinige heraus, und besah sie mit Wohlgefallen; und da es einmal dort oben geschrieben stand, daß ich alle meine Thorheiten bezahlen sollte, so nahm ich mir vor, es mit der besten Art und wie ein großer Herr zu thun.

Meine gute Laune kam während dieser Betrachtung in gleichen Schritten mit meinem Hunger zurück, der eben auf's höchste gestiegen war, als Bastian herein trat, und mir die theure Rechnung des Herrn Fez einhändigte. Ich warf sie gleichgültig auf den Tisch. – »Geschwind, Bastian,« rief ich ihm zu, »schaffe mir etwas Gutes zu essen, und bringe mir auch eine Flasche Sillery mit, damit ich vergesse, daß ich noch in Avignon bin.« – Man würde sich vielen Kummer ersparen, wenn man von den widrigen Vorfällen, die uns in dem kurzen Uebergange vom Leben in's Grab aufstoßen, den finstern Anblick zu vermeiden, und nur die lächerliche Seite davon aufzusuchen gelernt hätte, die jedes menschliche Ereigniß, wenn man es nur recht zu drehen versteht, darbeut. Sogar dieEmpfindung [239] eines gewaltsamen, schmerzhaften Todes kann uns durch die Gewißheit zum Lachen bewegen, daß der Tyrann, der uns damis belegt, sie doch nicht über eine, kurze Spanne der Zeit, auszudehnen vermag. Ich würde mir vornehmen, sie mit Großmuth und mit Verspottung der Ohnmacht meines Feindes zu ertragen, wie man es von den gefangenen Wilden erzählt, und mich durch die Vorstellung erheitern, daß mein unsterblicher Geist in der unendlichen Zeit, die ihm nachfolgt, über den Einsturz seines Kerkers eben so herzlich lachen werde, als wir jetzt über den heftigsten Schmerz einer Viertelsekunde – spotten. Ich kann nimmermehr glauben, daß ich nachher noch geneigt seyn würde, die Narren, die hier an meiner ohnehin morschen Hütte noch zupften, zur Verantwortung zu ziehen, oder ihnen zur Bestrafung nur ein kaltes Fieber an den Hals zu wünschen. Mag es ihnen doch gehen wie Gott Will! Die Empfindung der Nache ist mir so unangenehm, daß ich ihrer bald satt habe, und meinen Widersachern den Vortheil nicht einmal gönnen möchte, ihre Bosheit gegen mich durch Erregung dieses widrigen Gefühls noch zu verstärken.

Dieser große Gedanke begleitete mich freundlich zu Tische, und hielt an, bis ich gesättigt aufstand, und ein anderer ihn feindselig verdrängte. – »Welchen frohen Abend,« seufzte ich, indem ich meine Weste aufknöpfte, »würde ich jetzt genießen, wenn ich in Berlin wäre! Ich würde meinen Eduard zu einem Gange in die Komödie oder zu sonst einer gesunden Bewegung abholen. Wer soll mir aber hier eine Komödie spielen? Was soll ich hier, in einem Viereck von zwanzig Quadratellen, mit einem vollen Magen und einer erschwerten Verdauung anfangen.« – Meine vorige philosophische und stolze Betrachtung wäre gewiß in den Wind gewesen, wenn sie nicht die Hoffnung noch ein wenig hingehalten hätte, die ich auf die Macht meiner gefüllten Geldbörse setzte. Ich öffnete behutsam die Thür, sah meine Wache fröhlich an ihrem Tische sitzen, und winkte Bastianen, der eben seinem Nachbar ein Glas zubringen wollte. – »Suche dir einen Eingang in die Nebenstube zu verschaffen,« sagte ich ihm, »und überbringe der Vesammlung daselbst, nebst meinem Empfehl, folgende Vergleichs-Vorschläge, [240] die ich dir der Neihe nach zuzählen will! Nimm deinen ganzen Verstand zusammen, und gieb Acht! Sage ihnen erst insgemein, daß mir der Vorfall, der mir Arrest zugezogen, von Herzen Leid thäte; daß ich aber erbötig wäre; ihn auf alle Art – vergiß diesen Ausdruck nicht, denn er ist hier von Bedeutung – wieder gut zu machen. Ueberreiche sodann dem Herrn Propste die Liste der verbrannten Bücher! Erkläre ihm, daß ich sie nach der Taxe bezahlen, und auch noch etwas für die beschädigten Bände zulegen woll te. – Dem Prokurator mache verständlich, daß ich ihm willig die Versäumniß vergüten würde, an der ich schuld sei. – Die alte Tante bitte in meinem Namen auf das demüthigste um Verzeihung wegen meines übereilten Betragens gegen sie – und der frommen Klara versichere, daß ich, für das Aergerniß, das ich ihr gegeben, auf dem Altare der heiligen Cäcilia zwei Wachskerzen zu stiften gedächte, und es ihr überließe, die Größe und Schwere davon selbst zu bestimmen – daß ich bereit sei, diese Anerbietungen noch diesen Abend, in Erfüllung zu bringen, und dagegen erwarte, daß die hohe Versammlung meine Abreise morgen mit dem frühesten – oder auch diese Nacht, nicht weiter erschweren würde.« – Nicht wahr, Eduard, das war ein übertriebenes Gebot? – Ich fühlte es selbst recht gut als ich es that; aber, bei Gott! ich fühlte auch, daß ich mich zu noch größern Aufopferungen verstehen könnte, um nur aus einer Gefangenschaft zu kommen, die ich für die dümmste hielt, in die wohl noch je ein ehrlicher Mann gerieth. Ich will gern, dachte ich, diese unberechnete Ausgabe auf einer andern Seite wieder ersparen, und ließ Bastian gehen, ohne daß ich es über mich gewinnen konnte nur einen Heller davon zurück zu handeln. Du wirst sehen, daß ich nichts bei meiner Freigebigkeit verlor.

Nach einer guten Viertelstunde trat Bastian vor meinen Lehnstuhl, auf dem mich ein leichter Schlaf gefesselt hatte. – Er räusperte sich, und ich erwachte. – »Nun,« fragte ich, »sind die Pferde schon angespannt?« – »Noch nicht,« antwortete der arme Schelm, und die Thränen traten ihm in die Augen. – »Was ist dir, Bastian?« fuhr ich hastig auf. – »Ach, mein Herr,« stockte er, »die Versammlung hat Ihre Friedensvorschläge – nicht angenommen.« [241] – »Nicht angenommen, sagst du?« erwiederte ich, und blickte ihm halb wüthend in das Gesicht. »So erzähle mir denn!« – »Sie werden sehen, lieber Herr,« fuhr Bastian fort, »daß ich alles in der Welt gethan habe, was in so einer verwickelten Sache möglich war; aber wir haben mit Felsenherzen zu thun. Ich pochte an – die Tante, die mir aufmachte, ward roth, wie ein Ziegelstein, als sie meiner ansichtig ward. Ich machte ihnen allen meine tiefste Verbeugung – wendete mich mit meinem Auftrage zuerst an den Propst, der, einem großen Spiegel gegen über, auf einem Sopha saß von hellgelbem Atlas, mit – wenn ich mich nicht irre – mit Lillastreifen und weißen Franzen behängt« – »O, halte dich damit nicht auf,« unterbrach ich ihn, »ich weiß schon, wo er steht, und wie er aussieht.« – »Dann drehte ich mich mit meiner Rede nach dem Prokurator – von ihm nach der Tante, und endigte sie endlich bei Klärchen, und – erwartete meinen Bescheid. Wie denken Sie daß er ausfiel? Erschrecken Sie nur nicht zu sehr, mein bester Herr; aber es ist meine Schuldigkeit Ihnen klaren Wein einzuschenken.« – »Das thue nur bald,« sagte ich lachend »sonst möchten dir deine Freunde draußen keinen mehr übrig lassen.« – Der Wink that seine Wirkung. »Der Propst,« fuhr jetzt mein wortreicher Gesandter weit gedrungener fort, »nahm zuerst das Wort, mit so vieler Würde, daß ich selbst vor ihm zittern mußte. Ist es begreiflich, fuhr er mich an, daß ein Mann, der sich solcher Verbrechen bewußt ist als Sein Herr, es wagen kann, der Gerechtigkeit mit so nichtigen Anerbietungen unter die Augen zu treten? und daß auch Er, mein Freund, der in der reinen Lehre erzogen und geboren ist, sich nicht scheut, solche Anträge zu übernehmen? Fällt denn nicht schon durch die schwarze That selbst, die Sein Herr beging, sein Eigenthum, so groß es auch seyn mag, dem geistlichen Fiskus anheim? und seine Richter sollten sich herablassen, mit ihm über seine Bestrafung zu handeln? O, wir wollen schon sorgen, daß sie exemplarisch ausfallen soll. Er hat nicht nur die Gastfreiheit unsers Landes auf das undankbarste erwiedert – nicht nur einen Kirchenraub an den Schätzen der frommen Stiftung begangen, die ihm Schutz gab; nein! er [242] hat selbst die Werkzeuge auf das treuloseste vernichtet, die unsere gottseligen Vorfahren zur Ausbreitung der Religion und Tugend diesem Hause übergaben. – Er hat – schrie der Prokurator mit einer sehr gelehrten Miene darein, ärger und verabscheuungswürdiger als Herostratus gehandelt: denn jener verbrannte nur den Götzentempel einer Diana; er aber hat das Lehrgebäude unsers heiligen Glaubens, im Bunde mit dem Satanas, zu Asche verwandelt. – Er hat mich – er hat Gott gelästert, krähete die alte Bertilia. – Er hat alle Heiligen beschimpft, tönte Klärchen. – Solche Gräuelthaten, übernahm ihr Nachbar, der Propst, das Wort, lassen sich nicht mit Gold und Silber verbüßen. – Mit Freuden will ich ihn brennen sehen, sagte die Alte. – Und auch ich will keine Thräne dabei vergießen, stimmte die Nichte bei. – Morgen, donnerte der Prokurator, soll es Sein unwürdiger Herr schon erfahren, mit wem er zu thun hat. – Meine Klagrede ist bald fertig – Schwer solles ihm werden darauf zu antworten. – –

Und nun tret' Er ab, mein Freund, rief mir der Propst mit einem so ernsthaften Winke zu, als ich nie wieder zu sehen verlange: Sage Er Seinem Herrn – denn heute ist er es noch – was Er gesehn und gehört hat. Der morgende Tag wird ihn das Weitere schon lehren.« – »Und was soll er mich lehren?« fragte ich mit verächtlichem Grimme, »was ich nicht heute schon weiß? daß dieses Winkelgericht aus den niedrigsten Heuchlern zusammen gesetzt ist, verworfener selbst als jene, die ich dem Rousseau geopfert habe. Ich biete ihnen Trotz! Bin ich nicht ein Unterthan Friedrichs des Großen und Weisen? Auch in der Entfernung von ihm, wird sein Name mich schützen. Und du, mein guter Bastian, bekümmere dich meinetwegen nur nicht! Du sollst hoffentlich länger in meinem Dienste bleiben, als dir der Schwarzkünstler gedroht hat. Trinke jetzt ruhig den Wein aus, von dem ich dich abgerufen habe, und laß auch den armen Soldaten nichts abgehen! Du hast doch ein Abendessen für sie bestellt? – Nun gut! So laßt es euch bei meiner Gefangenschaft wohl schmecken. Ich verlange heute nichts weiter von dir, als daß du mir Licht bringest, wenn es dunkel wird.« – Unter vier Augen kann ich Dir nun wohl sagen, [243] Eduard, daß mir nicht ganz so heroisch zu Muthe war, als ich mich gegen meinen beängstigten Bastian anstellte. Der Name meines Königs, so geltend er auch überall seyn mag, wird auf dieses Gesindel so wenig Eindruck machen, als auf die Bewohner des Feuerlandes. Kommst Du unter die Gewalt der Wilden, so werden sie Dich braten, und wenn Du auch preußischer Kammerherr wärest, oder Ritter vom schwarzen Adler. Nur unter civilistrten, aufgeklärten Völkern ist so etwas von Gewicht, und hat da schon manche Special-Inquisition von größern Verbrechern abgewendet als ich bin.

Ich hatte meinen Kopf, ganz schwer von diesen Betrachtungen, auf den Arm gestützt, und dachte meiner verdrießlichen Sache nicht ohne manche Besorgniß nach, als Bastian mit einem Gesichte herein trat, das mir nur zu gut bewies, daß sie draußen zu meinen Ehren wohl nicht den wohlfeilsten Wein trinken mochten, und mein ehrlicher Kerl vermutlich meine Goldbörse ohnehin für konfiscirt hielt. – »Mein Herr,« wendete er sich freundlich an mich, indem er mir Lichter aufsetzte, »Ihre Soldaten sind ganz von Ihnen eingenommen. Nicht ein Glas von den vier oder fünf Bouteillen, die ich aufgetragen habe, ist anders getrunken worden als auf Ihre Gesundheit. Zehnmal lieber, sagen sie, wollten sie für ihren Gefangenen ihr Leben daran setzen, als ein einzigesmal für ihren Kommandanten, der ihnen kaum so viel von ihrer Löhnung abgäbe, als nöthig sei, es zu fristen.« – »Warum,« antwortete ich gleichgültig darauf, »ließen sich die Narren unter solche Truppen anwerben?« – »Warum?« wiederholte Bastian. »O, das sollten Sie Sich wundershalber von den beiden unglücklichen Brüdern erzählen lassen. Es ist der Mühe werth, und kann Ihnen, mein Herr, ein großes Licht über den hiesigen Gerichtsgang aufstecken.« – »Nun das,« antwortete ich, »sollte mir nicht unangenehm seyn, Bastian!« – »Also darf ich sie herein schicken, mein Herr?« – »Meinetwegen! Habe ich doch ohnehin nichts zu versäumen.«

Sie traten herein, und brachten dießmal ein viel gescheidteres Ansehn mit, als da sie mir das Essen aufsetzten. Die Schminke des Wohlbehagens färbte ihre Wangen, und der Stillstand ihres [244] gewohnten Elends, den sie so unerwartet einmal in ihrem Dienstgeschäfte fanden, flimmerte so deutlich in ihren freundlichen Augen, daß ich mir nur um deßwillen kein Gewissen machen konnte, die Lauterkeit ihrer süßen Empfindungen zu trüben, weil ich zu gut aus eigener Erfahrung weiß, daß nichts so sehr den Genuß eines frohen Augenblicks erhöht, als die Uebersicht unsers überstandenen Unglücks. Denn, wie der Mensch ist! anstatt finsterer Beweise für die Zukunft, zieht er viel eher angenehme Fehlschlüsse auf bessere Zeiten daraus, und das Gefühl eines wirklich erlebten glücklichen Tags macht ihm die Möglichkeit vieler künftigen nur gar zu wahrscheinlich. Glückliche Blindheit, die in der weit ausgespannten, Finsterniß nur die hellen Punkte entdeckt und vereinigt, die einzeln, ach! sehr einzeln, aus ihr hervorstrahlen! – »Es ist euch auch, wie ich höre, nicht sonderlich in der Welt gegangen,« redete ich sie zutraulich an. »Setzt euch nieder, ihr guten Leute, und erzählt mir eure Geschichte! Vielleicht trägt sie etwas zu meiner eigenen Beruhigung bei, die ihr mir gewiß gern gönnen werdet.« – »O, ganz gewiß, bester Herr,« nahm der eine das Wort. »Wir sind so gerührt von Ihrer Güte! Seit sechzehn Monaten war es heute das erstemal, daß wir uns satt aßen, und einige Tropfen Wein über die Zunge brachten und was für ein Wein – großer Gott! Ehemals fehlte es uns an nichts, wir waren dick und fett; aber die Geistlichkeit, Gott vergelte es ihr, hat uns mager gemacht.« – »Das sieht ihr gleich,« konnte ich mich aus Bitterkeit gegen den Propst nicht enthalten mit spöttelndem Tone hinzu zu setzen. »Von allen Verwandlungen, die jene Diener des Altars täglich und stündlich vor unsern Augen vornehmen, gelingt ihnen diese immer am besten. Doch wie versaht ihr es denn, ihr guten Leute, daß ihr in ihre Hände geriethet?« – »Wenn Sie Zeit und Lust haben meiner Erzählung zu folgen,« antwortete der Grenadier, »so hoffe ich Ihnen den Zusammenhang unseres Unglücks auf das anschaulichste darzustellen. Wir sind zwei Brüder, aus der Vorstadt. Unsere Aeltern und Vorältern waren Weber. Sie hinterließen uns, ich gestehe es, ein Handwerk, das auch uns würde ernährt haben; und so hätten wir denn ganz friedlich und schiedlich durch die Welt [245] schleichen können, wie sie. – Aber wir fühlten einen unwiderstehlichen Drang nach höhern Dingen – setzten unsere Erbschaft ins Geld – warben junge flinke Bursche und Dirnen, die so dachten wie wir, und stellten uns an die Spitze einer Bande – Schauspieler.«

Ich kann Dir nicht sagen, lieber Eduard, wie diese unbedeutende Nachricht mir doch ganz sonderbar auf das Herz fiel. War es nicht eine der drolligsten Gaukeleien des Schicksals, daß es mir in derselben Stunde, wo mir eine so heiße Sehnsucht nach der Komödie ankam, wie ich Dir an Ort und Stelle gesagt habe, auf einmal einen abgedankten Theater-Direktor unter die Augen stellte? »Du darfst ja nur,« spaßte ich mit mir selbst, »ihn auf diesen Abend engagiren, so kannst du dein Lüstchen vielleicht so gut stillen, als wenn du in Berlin wärest.« Beinahe ist Ernst aus meinem Spaße geworden. Mir ist wenigstens alleweile nicht schlimmer zu Muthe, als wenn ich eben von einem Privattheater zurück käme.

»Stolze, glückliche Zeiten!« fuhr der Akteur jetzt in einer edeln Deklamation fort. »Wenn wir,« hier kehrte er sich mit einer anständigen Bewegung der Hand gegen seinen Bruder, »den Tag über Könige und Feldherrn gespielt hatten, waren wir jeden Abend im Stande unsere Zeche zu bezahlen – blieben unserm Hofe – unserm Militär und unserm Zettelträger nichts schuldig, und gingen als ehrliche Leute zu Bette. Das dauerte ein volles Jahr. Aber hören Sie weiter, mein Herr! Einst führten wir an der Gränze des Landes – zu Cavaillon, wo wir den Tag vorher mit unserer Truppe angelangt waren, ein ausländisches Drama auf – Faust – den Doktor, wie er vom Teufel geholt wird. Und aus der Oekonomie dieses Stücks, sollten Sie es glauben, mein Herr? hat sich nachher alles unser Unglück entsponnen. – Wir hatten unsere Bühne in dem Wirthshause zum Propheten, auf einem sehr großen Saale des Hintergebäudes aufgeschlagen, der aber dennoch gedrängt voll war, als wir den Vorhang aufzogen. Mein guter Bruder stellte den bösen Feind vor, sah fürchterlich aus, und brüllte, nach der Schrift, wie ein Löwe. Da aber jedermann wußte, [246] daß es nur Verkleidung war, so fand das Stück einen so lauten, weit um sich greifenden Beifall, daß wir eine Stunde nachher – eine Sache, die in den Annalen der Schauspielkunst unerhört ist – es vor einer noch verstärkten Versammlung wiederholen mußten. Freilich griff es uns an, und mein Bruder spie Blut; aber dafür hatten wir auch eine doppelte Einnahme. Das Spiel dauerte bis nach Mitternacht, und die Zuschauer gingen höchst vergnügt aus einander. Wer hätte sich einbilden sollen, daß der Teufel, während wir ihn in seiner Herrlichkeit vorstellten, uns den boshaftesten Streich spielen würde, den er je ausgeführt hat? Gegen mich und die Meinigen hätte er wenigstens kein ärgeres Bubenstück ausdenken können. Wir waren so abgespannt und schläfrig, daß wir kaum die Lichter ausgeputzt hatten, ausgenommen das Endchen, mit welchem mein Bruder uns vorleuchtete, so trabten wir auch schon über den langen Gang unserer Schlafkammer zu. Nun hatte aber der gewinnsüchtige Wirth in unserer Abwesenheit zwo andere Personen in derselben Kammer aufgenommen, ohne ihnen über uns Bescheid zu sagen, anstatt sie, wie er ehrlicher würde gethan haben, in ein anderes Gasthaus zu weisen, da in dem seinigen keine Stube mehr leer war. –

Aber gut genug! es war ohne unser Wissen geschehen; uns ahndete nichts böses, und wir traten ein. Mein Bruder, das Stümpfchen Licht in der Hand, lief gerade nach seinem Bette, zog die Vorhänge zurück, und das Unglück war geschehen. Der fremde Herr, der darin lag – Heiliger Anton! was für ein Schrecken überfiel ihn, als er aufwachte, und diese Höllenfigur vor sich stehen sah! Er verfiel in ein Angstgeheul, wodurch in dem gleich anstoßenden Bette eine andere Figur erweckt wurde, die, gleich einer Venus die noch nicht ausgemalt ist, schon damals nicht weniger versprach, als sie nachher gehalten hat, wie Sie am besten wissen werden, mein Herr..« – »Wie denn ich?« fragte ich voll Verwunderung. – »Weil es,« antwortete der Grenadier, »niemand anders war, als – die Mamsell hier im Hause.« – »Träumt ihr, Freund?« unterbrach ich den Soldaten, »oder faselt ihr?« – »Nichts weniger,« erwiederte er sehr bestimmt. – »Besinnt euch,« fuhr ich auf ihn [247] zu; »denkt nur, welche schöne Zeit müßte das nicht her seyn!« – »Das ist,« besann sich der Erzähler, »mit Ende dieser Woche, ein und zwanzig völlige Monate.« – »Und da schon,« warf ich ein, »sollte die schöne, fromme, unmündige Klara.. Das ist nicht möglich.« – »So möglich,« versetzte der Grenadier, und hob die Hand wie zum Schwur in die Höhe, »daß es selbst mein Bette war, aus dem sie, ich will Ihnen nicht sagen wie schlank und artig heraus fuhr, und sich entweder aus Furcht oder Bescheidenheit unter die Decke ihres zitternden Nachbars flüchtete. Welcher Sturm des Ungefährs übrigens sie in diese Kammer – in das Bette eines Komödianten, und unter den Wendezirkel des Domherrn verschlagen hatte, mag Gott wissen.« – »Was für eines Domherrn?« fragte ich hastig. – »Er heißt,« antwortete mir der Soldat ganz, gelassen – »Ducliquet, und lebt hier in dem größten Ansehen.« –

Nun du barmherziger Gott! murmelte ich in den Bart, so habe ich mir denn nicht vorzuwerfen, die Geheimnisse deiner Heiligen zuerst aufgedeckt, und die Ruhe ihrer Unschuld gestört zu haben. Noch vor Erfüllung der Zeit, noch vor Erschaffung ihres schwellenden Busens – lag sie schon dem Verehrer ihrer Patronin – lag sie herzhaft dem Manne zur Seite, vor dem wohl jeder Christin, die auf den Namen der heiligen Klara getauft ist, ganz besonders bange seyn sollte. Nun läßt sich schon eher begreifen, warum sie die berühmte Stelle in der Legende ihrer Seelenschwester so nachdenkend überlas. Von jener Schreckensnacht in dem Propheten zu Cavaillon her mag sie wohl die alte Geschichte datiren, von der sie mir sagte, sie sei ihr unter andern Nebenumständen erzählt worden. Ach! diese Nebenumstände! Was gäb' ich für die Menschenkenntniß darum, wenn ich sie wüßte! Wie gut würden sie mir vielleicht die Schwärmerei des Domherrn für die heiligen Steine erklären, die seinen schwachen Kopf fast mehr, als der Stein der Weisen das Gehirn eines Adepten, verrücken! O der Unschuldigen, die erst von den Kasuisten erfahren mußte, was in der Liebe Rechtens ist! O der jungfräulichen Hand, die über die abartige Bildung des schlafenden Engels so scheu ward! und o des Thoren, der nur einen Augenblick über die fromme Unwissenheit eines solchen [248] Mädchens nachgrübeln konnte! – »Doch, guter Freund, fahre in deiner Erzählung nur fort,« unterbrach ich endlich meine kleinlauten Betrachtungen, und verdoppelte meine Aufmerksamkeit. – »Hätte das Geschrei dieser beiden,« hub der Grenadier wieder an, »die halbe Stadt in Aufruhr gebracht, es wäre kein Wunder gewesen. Umsonst stellten wir uns alle, wie wir waren, theilnehmend um ihre Lagerstatt her, suchten ihnen begreiflich zu machen, daß wir nicht mehr und weniger Teufel wären wie sie – daß diese Kammer unsere tägliche Wohnung, und unser fürchterliches Ansehen nur ein Theaterkleid sei. Todtenblaß blieben sie immerfort einander in den Armen liegen, kreuzigten und segneten sich, als sie die Augen aufschlugen, und wurden auch ihrer fünf Sinne nicht eher mächtig, als bis Doktor Faust und der Teufel mit jedem ein Vaterunser gebetet hatten. Sobald mein Bruder sein Schlangenhaar an den Nagel gehängt, seine Pferdefüße abgeschnallt, die Hörner, die seinen Kopf fürchterlich zierten, neben dem Bette des Domherrn niedergelegt, und vor den Augen des blinzelnden Mädchens seinen langen Schweif zusammen gerollt und in die Tasche gesteckt hatte, und nun der Angstschweiß dem Prälaten zu trocknen begann, so kehrte auch schon die natürliche Würde seines Charakters zurück. Er hätte uns gern unser sündliches Leben in einer langweiligen Predigt an das Herz gelegt, wäre ihm nicht selbst mehr damit gedient gewesen, uns von unserm Bette zu verjagen als uns einzuschläfern. Sonach hielt er es für das sicherste, uns durch sein Ansehen in Furcht zu setzen, nannte uns seinen Namen und Stand, bedrohte uns mit der Inquisition, die wir als Masken der Hölle verdienten, und war in kurzem sogar, hätten Sie das erwartet, mein Herr? gefaßt genug, mich zu fragen, ob das Kind, das sich in sein Bette versteckt hätte, mit zu unserer Bande gehöre? So sehr wir auch Komödianten waren, so erschraken wir doch alle über die Miene der Wahrheit, mit der er seine Frage vorbrachte. Wir sahen einander an, wußten nicht was wir antworten sollten, und beriefen uns voller Verwirrung auf die Aussage der kleinen Schönen, die indeß aber unter seinem Bette vor in das ihrige wieder zurück gekrochen war, und keine Lust bezeigte, sich in unsere Rechtfertigung [249] zu mengen. Wir brachen sie auch selbst bald genug ab, hielten es für das klügste, den beiden Pilgern unsere Schlafstellen in gutem zu überlassen, und suchten uns zu behelfen wie es anging. –

Mit Tages Anbruch waren sie aus unserer Kammer geschlichen, und in einer Chaise auf und davon gefahren, ohne sich zu bekümmern, was wir davon denken würden. Der Wirth, den wir zur Rede setzten, entschuldigte seine doppelte Einnahme für unsere Kammer, mit unserer doppelten Einnahme auf seinem Saale; der ganze schnakische Handel wurde eine Weile belacht, und bald hernach vergessen. Wir spielten in der dortigen Gegend, so lange sich noch Zuschauer einfanden, und gingen einige Wochen nachher, in der schönsten Erwartung auf Einnahme und Ruhm, nach unserm Avignon zurück. Aber, wie der tragische Dichter sehr geistreich sagt:


Du schlenderst an der Hand der Hoffnung, dem Gesang

Des Glücks unwissend nach, daß dich sein Blumengang

In Labyrinthe führt, wo hungrig Minotauren,

Im Dienst der Grausamkeit, auf deine Ankunft lauren.«


– »Deine Verse in Ehren,« unterbrach ich hier den Akteur; »sie mögen so wohlklingend seyn als sie wollen, so ist mir doch jetzt mehr um deine Geschichte zu thun, als um die erhabenen Maximen, die ein kluger Kopf daraus kochen kann. Laß sie lieber in deiner Erzählung weg, und sage mir in einfältiger Prosa, in welche Labyrinthe und unter was für Minotauren du gerathen bist.« – »So wissen Sie denn, mein Herr,« fuhr der Grenadier fort, »daß wir kaum den andern Morgen unsere Garderobe ausgepackt hatten, als ich und mein Bruder von dem geistlichen Gerichte freundlich beschickt und eingeladen wurden, vor ihm zu erscheinen. Was haben wir doch, dachte ich flüchtig, mit diesen Herren zu theilen? und wir erschienen mit dem ruhigsten Herzen vor ihren Schranken. Aber ach, unser Muth dauerte nicht lange. Was will die Unschuld eines Komödianten vor einem Tribunale bedeuten, das aus Leuten zusammen gesetzt ist, die nie an gute Absicht glauben, aus Achtung für die Unwissenheit alle freie Künste verfolgen, und immer und ewig vom Brodneide gegen unser Handwerk gedrängt werden! Der Vorsitzende legte uns eine Anklage des[250] furchtsamen Domherrn vor, die uns als Landstreicher schilderte, und das Schrecken, das wir ihm nächtlicher Weile eingejagt hatten, für nichts geringeres als einen öffentlichen Friedensbruch und als den boshaftesten Eingriff in die Geheimnisse unserer geheiligten Religion erklärte. Alle unsere gegründeten Einwendungen dagegen wurden verworfen, man glaubte dem Domherrn mehr als den Komödianten, und unsere Muthmaßung über Klärchens Nachbarschaft an seinem Bette brachte vollends seine Herren Kollegen so wider uns auf, daß sie alle, keinen ausgenommen, auf die Verabschiedung und Trennung unserer Truppe zusammen stimmten, und uns mit dem kurzen Bescheid entließen, nie wieder mit lebendigen Personen zu spielen. – Wir schlichen belastet von unserm Unglücke nach Hause, dem Sturme entgegen, der jetzt unter unserer Gesellschaft entstand, als wir wie Gespenster unter sie traten, und ihr den Ausspruch ihrer Vernichtung bekannt machten. Das schreckliche Wort wirkte wie ein elektrischer Schlag auf alle. Mein alter zitternder Dekorateur malte eben an einer Morgenröthe. Der Pinsel entschlüpfte seiner gelähmten Hand, und fiel gerade auf die Schürze der Anatme, die neben ihm saß, und ihrem Theseus die Halbstiefeln putzte. Zwei von meinen Grazien, die diesen Abend zum erstenmale in dem Nachspiele auftreten sollten, ließen den Schleier fallen, um den sie sich zankten, und die dritte sprang wie eine Furie hinter dem Verschlage vor, wo sie sich anzog, und überfiel meinen armen Bruder, dessen gottlose Maske sie als die einzige Ursache unsers allgemeinen Unfalls ansah, und worin sie auch nicht ganz Unrecht hatte. Ich trat dazwischen, gebot Ruhe, und ersetzte meine verlorne Gewalt über die Gesellschaft, durch eine derbe Beredsamkeit. Den Damen legte ich ihren zweideutigen Ruf nahe an das Herz, und ermahnte sie brüderlich, die Geistlichkeit nicht noch mehr wider ihr weltliches Leben aufzubringen, und wohl gar noch, bei zunehmenden Jahren, in die Exkommunikation zu fallen. Meine Helden beruhigte ich durch einige glückliche Tiraden aus unsern Trauerspielen über die Würde der Standhaftigkeit im Unglück, und empfahl allen, die mancherlei Erfahrungen nun auch zu nützen, welche sie unter meiner Leitung erlangt hätten. Der Kleinmuth [251] verlor sich nach und nach auf ihren geschminkten Gesichtern, der Trieb der Selbsterhaltung erwachte, und mein guter Rath wurde befolgt. Die eine von meinen Grazien vermiethete sich noch diesen Abend, die andere sieben Wochen später, als Amme, die dritte ward – um sich, glaube ich, an dem geistlichen Tribunale zu rächen – Ausgeberin bei dem Präsidenten. Meinen ersten Akteur brachte seine Baßstimme in's Chor. Mein Dekorateur malt jetzt Altäre und Kapellen. Ariadne hat eine kleine Wirtschaft angelegt, und findet ihr Conto so gut dabei, als die alte Dame neben an. Meinen Theseus müssen Sie oft gesehen haben, mein Herr! Er trägt die kleinen Pasteten zum Frühstück umher, die, wie man sagt, vortrefflich sind; denn der Undankbare hat seinem alten Direktor nie eine zu kosten gegeben. Ich wüßte mit Einem Worte keines von meiner Gesellschaft, für das die Vorsehung nicht augenscheinlich gesorgt hätte. Auch für uns beide Brüder sorgte sie, die doch in diesem Tumulte am meisten verloren. Da uns der verhaßte Bescheid verbot, mit lebenden Personen zu spielen, so fanden wir in dieser Klausel selbst den besten Wink für unsern wahren Beruf. Wir schafften uns Drathpuppen an, und waren in kurzem im Stande mit einem recht gut besetzten Theater die Märkte zu beziehen. Als die Empfindung der falschen Schaam überwunden, und die erste Auslage verschmerzt war, befanden wir uns sogar selbst besser bei unsern Marionetten, als bei dem vorigen hochmüthigen Trotz. Wir hatten nun keinen Zank mehr unter unsern Heerführern zu schlichten. Jede Puppe war mit der Rolle zufrieden, zu der sie ihre Gelenke bestimmten. Sie schickten sich weit besser in den engen Kreis, den wir ihnen anwiesen, und stießen nicht an die Wolken, wie ich mich wohl erinnere, daß es sonst geschah, wenn meine Helden Sturmhauben, meine Göttinnen Federbüsche aufsetzten. Mit dem einzigen Anzüge des Perseus, den ich zerschnitt, konnte ich jetzt meine ganze Truppe bekleiden, und ich bekam zwei Vorhänge aus der Schürze, die der Ariadne zu kurz war. Die Mechanik unserer jetzigen Aktricen ward nicht so oft wandelbar wie bei den vorigen. Unsere Könige und Ritter lagen mit ihnen in Einem Kasten, ohne daß wir unangenehme Folgen [252] besorgen mußten, und, was das beste war, so hatten wir nicht nöthig unsern brüderlichen Gewinn mit unserer Gesellschaft zu theilen. Jetzt spielten wir den Doktor Faust, ohne daß ein Hahn darüber krähte; und da wir überall zu Lachen machten, und von dem Vornehmsten bis zu dem Geringsten Aufmunterung und Beifall erhielten, so glaubten wir endlich das blinde Schicksal eben so gewiß an dem Seuchen zu führen als unsere Puppen. Es ist, glaube ich, kein Mensch so klug, den nicht ein anhaltender Wohlstand zum Thoren macht. Er denkt immer an den Fortgang seines Glücks – nie an seinen Wechsel. Die traurigen Begebenheiten, über denen ich doch täglich schwebte, wenn ich sie auf meiner kleinen Schaubühne darstellte, wirkten am wenigsten zurück auf mich. Daß Belisar in dem ersten Akte, als Befehlshaber mit einem Ordensband behängt, einherstrotzte, und in demletzten, als ein Bettler mit einer Klingel umher ging, fiel mir gar nicht mehr auf. Ich sah den Nebukadnezar an seiner königlichen Tafel – und bald darauf Gras fressen wie ein Rind, ohne daß es mich rührte. Ich hielt mich zu erhaben über alle Zufälle, die ich andern zur Schau gab; vermuthlich weil ich sie, wie der Regierer der Welt, von oben herab sah und lenkte. Ich dachte, ich wär' es. So trieb ich mich in dem besten Einverständnisse mit meinem Bruder an die sechs Monate herum. Unser täglicher Ueberschuß häufte sich dergestalt, daß wir unsere Truppe bis zu fünfzig Stück – immer eins künstlicher gebaut als das andere – verstärkten, und nun die weitläuftigsten Historien vorzustellen im Stande waren. Aber auf einmal geschah der unerwartete Schlag, der dieses große kostbare und zusammenhängende Gebäude in seinen Grundpfeilern erschütterte und über den Haufen warf .... Warum lachen Sie, mein Herr? – Verwechseln Sie mich nicht, ich bitte Sie, mit einem gemeinen Puppenspieler, der seine Kunst wie ein Handwerk treibt, und nicht daran denkt, daß man auch hölzernen Figuren Gesinnungen in den Mund legen kann, die gerade auf das menschliche Herz wirken. Ich war, wie Sie mich hier sehen, der erste meines Standes, der einen schönen Geist besoldete – einen Metastasio in seine Dienste nahm, der unablässig für mein Theater arbeiten mußte, alte Waare [253] für das Bedürfniß der Zeit ausbesserte, und neue fertigte, die gegen die strengste Kritik sich aufrecht erhielt. Durch diese Einrichtung hätte vielleicht mein Puppenspiel endlich so viel zur Aufklärung beigetragen, als die königliche Schaubühne zu Paris. Aber weislich ließ es die hohe Klerisei nicht bis dahin kommen. Es war vor dem Jahre in der Weinlese, als wir das älteste Stück von allen die jemals gespielt wurden, aufführten, nur neu bearbeitet und in einem Modegewande. Wir hatten es bis zu dieser Epoche aufgehoben, wo das menschliche Herz, wie unser Theaterdichter sagte, besonders zum Gefühl des Großen und Erhabenen gestimmt sei. Unsere Zettel kündigten es von einer Ecke der Stadt bis zur an dern unter dem prächtigen Titel an: Das allgemeine Trauerspiel der Menschheit, oder das verlorne Paradies. Hatten wir gleich auf eine große Menge Zuschauer gerechnet, so übertraf der Zulauf doch unsere größte Erwartung. Als alle Himmelslichter angezündet waren, und der Vorhang nun aufflog, gerieth die Versammlung in einen so lärmenden Beifall, daß durch die Erschütterung, die es verursachte, ein Stern der ersten Größe vom Horizonte herab fiel. Indem trat ich als Prologus auf – winkte mit der Hand, und es war rührend anzusehen, wie augenblicklich dieser unbändige Tumult in die tiefste Stille überging. Meine Anrede an das Publikum enthielt, wie bei den Schauspielen der Griechen und Römer, den ganzen Plan des Stücks, und war so gut gearbeitet und darstellend, daß es Ihnen seyn würde, mein Herr, als hätten Sie mit, in dem Parterr gesessen, wenn es Ihnen gefällig wäre sie anzuhören. Ich weiß sie noch so auswendig als damals; denn, ob sie mich gleich und die Meinigen in Kummer und Elend gestürzt, und ihren poetischen Verfasser genöthigt hat landflüchtig zu werden, so kann ich doch einmal das schnakische Ding nicht vergessen, und recitire es oft mir selbst vor, und gemeiniglich um so viel pathetischer, je weniger ich vor Hunger weiß was ich anfangen soll. Heute, hoffe ich, wird es noch besser gehn, da ich ein gutes Souper in der Aussicht habe. Darf ich, mein Herr?« – »Ganz gern, lieber Grenadier,« antwortete ich, und setzte mich in meinem Lehnstuhle zurechte. –

[254] Ich versichere Dich, Eduard, der Mann beschämte in diesem Augenblicke unsere berühmtesten Akteurs; denn kaum hatte er seine Mütze abgenommen und sein rostiges Gewehr, das ihm während seiner Erzählung noch immer im Arme lag, in die Ecke gelehnt, so befeuerten sich seine Augen, und der Drang des Genies zitterte auf seinen Lippen. Er trat in einer edeln Stellung mir gegenüber, und es herrschte eine Würde auf seinem Gesichte, die mit der Arbeit seines Dichters sonderbar abstach. »Ich bin,« deklamirte er, mit langsamer, ernster, und besonders mit der sonorischsten Stimme, ohne die selbst das schönste Gedicht keinen Eindruck auf unser Herz macht,


»Ich bin der Prologus. Hört an,

Wie Gott der Herr die Welt begann.

Denkt ihr, daß er mit Einem Ruf

Dem Chaos Ordnung anerschuf,

So denn ihr falsch – so macht ihr euch,

Wohlweise Herrn, dem Pöbel gleich.

Noch immer braußt es. Gift und Schaum

Durchströmt die Zeit, verschlammt den Raum;

So viel es dessen sich entlud,

Steht es noch immerfort in Sud;

Unförmlich, wie es Anfangs war,

Schäumt es nicht aus und wird nicht klar.

Denn, wie auf einem Feuerherd

Ein Topf voll Spülicht kocht und gährt,

Daß alles wild und unbestimmt

Bald abwärts fährt, bald oben schwimmt,

So treibt das heut'ge Sekulum

Das morgende mit sich herum;

Die Wasserblase, die gebläht

Sich jetzt am Rand des Topfes dreht,

Und Farben strahlt, zerplatzt und sinkt

Von ihrer Höh' herab und – stinkt.

Nachdem sich hier ein Element

Der Fäulniß von dem Ganzen trennt,

Und sich, wie es dem Zufall g'nügt,

An einen andern Unrath fügt,

Entstehn Systeme und entstehn

Beweise, die in Rauch vergehn;

Der alte Irrthum sinkt und schnellt

Bald einen neuen in die Welt,

[255]

Daß alles durch einander irrt,

Der Maulwurf ein Gesalbter wird,

Und oft der Wirbel einer Nacht

Den Narren zum Propheten macht.

Mischt Faulheit sich und Heuchelei

Mit Unvernunft in Einen Brei,

So stößt die Gährung mit Gebraus

Konvente von Geweihten aus,

Wie die Chymisten Tinte ziehn

Aus Salz, Galläpfeln und Urin;

Aus ähnlicher Mixtur entstand

Papst Bonifaz und Hildebrand.

Da Gott der Herr in Gloria

Von fern schon diesen Gräuel sah,

Warum zermalmt' er nicht den Topf

Auf ewig, sammt dem ersten Tropf,

Der an dem Boden lag, noch eh'

Er seinen zweiten spaltete?

Doch da's dem Schöpfer nicht gefiel,

So stell' euch unser Puppenspiel

Die erste Menschenthorheit dar,

Die in's Unendliche gebar:


Im ersten Aufzug sollt ihr sehn

Sich Sonn' und Mond im Kreise drehn,

Und fünkeln ohne Maß und Zahl

Die lieben Sternlein allzumal:

Zwar bleibt noch, bis zur Wiederkehr

Des andern Tag's, die Erde leer;

Doch währt's ein Vaterunser kaum,

So schwindet auch der leere Raum.


Ein zweiter Vorhang öffnet euch

Das Thierreich und das Pflanzenreich,

Wo mit dem schnellsten Uebergang,

Bei Wolfsgeheul und Vogelsang,

Sich Berg und Thal mit Grün umzieht,

Der Giftstrauch bei der Rose blüht,

Der Tiger ohne Trug und List

Des ersten Schafes Freund noch ist,

Und über alles ausgeziert

Die Schlang' aus Hörn sich distinguirt.

Und seid ihr dieses Anblicks satt,

Tritt Adam ohne Feigenblatt


[256]

Im dritten Aufzug auf, gelehnt,

Am nächsten Apfelbaum, und gähnt;

Und weil er weder wie noch wann –

Woher – wohin – begreifen kann,

Weiß er auch weiter nichts zu thun

Von der Erschaffung auszuruhn,

Als er geht hin und strecket sich

Zum erstenmale – königlich

In's Gras – versucht's und macht sich blind

Für Erd' und Himmel, und ersinnt

Das Glück der Menschen – wie bekannt –

Von allen Zungen Schlaf genannt.

Doch bald drauf schwebt von ungefähr

Gott über das Theater her,

Blickt um sich, und erblickt, wie tief

Der schläft, den er zum Leben rief,

Und steigt herab – sinnt – und erschafft

Der Ruhe schönste Gegenkraft.

Aus Adams Rippen steigt ein Weib

Von weißer Haut und schlankem Leib,

Die erste Jungfer! – die's auch blieb,

Bis sich ihr Herr die Augen rieb.

Sie sehn sich – werden Frau und Mann,

Wie's die Mechanik wünschen kann.

Doch dauert ach! nur kurze Zeit

Der Flitterwochen Herrlichkeit.

Der böse Feind der sie so gern

Zu stören sucht, lauscht schon non fern

Nimmt die Gelegenheit in Acht,

Die er verschläft und sie – bewacht,

Fährt in die Schlange, die gewandt

Geschlichen kommt, wie ein Amant

Sich schmiegt und biegt, und sich verlängt,

Bis sie an Evens Lippen hängt.

Sie – die nicht weiß, was ihr wohl wißt,

Daß sie in ihr den Teufel küßt,

Freut sich, daß sie der Schmeichelei

Auch eines Thieres würdig sei,

Das, wie sie's kennen lernt, den Mann,

So oft er schläft, ersetzen kann,

Und sucht und treibt es, bis zuletzt

Die Schlange ganz den Mann ersetzt,

Und macht, daß wir von Kind zu Kind

[257]

Des bösen Feinds Bastarden sind.


Der gute Mann, der neu gestärkt,

Erwacht, und keinen Unrath merkt,

Sucht seine Gattin halb im Traum,

Und trifft sie an am Lebensbaum,

Und, ohne Skrupel und Verdacht,

Was ihr die Schlange weiß gemacht,

Nimmt er, uneingedenk der Pflicht,

Den Apfel, den sie eben bricht.

Aus ihrer Hand – dankt und beißt an,

Wie Moses uns hat kund gethan.

Doch kaum daß er von dannen geht,

Findt er schon alles umgedreht:

Der Himmel scheint ihm schwarz gewölbt,

Sein schönes Weib scheint ihm vergelbt,

Erschlafft ihr junger Busen – und

Zu weit und groß ihr Rosenmund.

Der Löwe brüllt mit Ungestüm

Ihm nach, kein Hase läuft vor ihm,

Die ganze Schöpfung lacht ihn aus,

Vom Elephanten bis zur Maus.

Und muthlos, nackenb, roth vor Scham,

Die wie ein Frost sie übernahm,

Erborgen sie – unüberlegt,

Von einem Baum, der Feigen trägt,

Sich Blätter, und bedecken sich

Zur Hälfte kaum, gar kümmerlich.


Und Gott der Schöpfer ruft ihm zu:

Was thust du Adam, wo bist du?

Er horcht und kratzt sich hinterm Ohr,

Schleicht stumm mit seiner Frau hervor,

Die, ungewiß ob Gott auch sah,

Was sie gethan und ihr geschah,

Mit aller Last der ersten Scham

Vor's geistliche Gerichte kam.

In seinen Blicken Zorn und Spott,

O, ihr Gefallenen! rief Gott,

Warum erscheint ihr so verblüfft?

Was – Adam! Hast du angestift?

Benahm ein Apfel aus der Hand

Des Weibes dir schon den Verstand,

Wie wirst du wissen, was du thust,

Wenn du an ihrem Busen ruhst,

[258]

Geschmeichelt und berauscht durch sie

Von Lieb' und Wein und Harmonie?

Und dir, Frau Eva – noch so jung!

Dir war Ein Mann noch nicht genung?

Selbst hier, wo es nur Einen giebt,

Und der dich wie ein Riese liebt?

Wie sollen denn, stellt einst der Lauf

Der Zeit und Welt mehr Männer auf.

Sich deine armen Töchter bloß

An Einen halten – halb so groß,

In keinem Stücke halb so rar

Und neu, als es dir Adam war?

Was stehst du da und blickst mir grob

In das Gesicht, und thust, als ob

Für Weiberherzen einerlei

Ein Mann und eine Schlange sei?

Gehorsam merk' ich, Ehr' und Pflicht

Ist euer beiden Sache nicht.

Gut! Eure Strafe steht bereit,

Und breite sich in Ewigkeit

Von Eh zu Eh, von Haus zu Haus,

Auf eure Söhn' und Töchter aus.

Merkt auf! Die Frau soll ewig ein

Abhängiges Geschöpfe seyn,

Von allen Wirbeln der Natur,

Vom Mond – vom Mann – von seiner Uhr,

Von seiner Laun', es wäre dann

Sie launiger als selbst ihr Mann.

Das Feigenblatt, das wie du meinst,

So schön dir läßt, weck' auf dereinst

Den Drang, der deine Töchter toll

Auf neue Moden machen soll!

Selbst unter Muselin und Flor

Tret' Eva's Lüsternheit hervor,

Den Busen zehnfach eingeschnürt,

Gescheh' ihm doch was ihm gebührt,

Und jede bleib' an Seel und Leib,

Was du verstecken willst – ein Weib!


Und nun zum Mann! der sich das Haupt

Des Weibes und der Erde glaubt,

Wenn schon die Mücke, die ihn sticht,

Dem plumpen Irrthum widerspricht,

Der, wenn er Korn und Weizen sät,

[259]

Nur Stroh dafür und Disteln mäht,

Und immer, zehne gegen Eins!

Nur Essig ziehet statt des Weins.

So lang' er kann, dünk' er sich frei,

Und Herr, selbst in der Sklaverei,

Und mach' in seinem Dünkel sich

Vor Erd' und Himmel lächerlich!

Doch seine Hölle geh' erst an,

Wenn eine Frau und ihr Organ,

Ihr Trauungs- und ihr Wochenstaat

Sich seiner stillen Wirtschaft naht:

Wenn sie schon in der ersten Nacht

Ihm seine Herrschaft streitig macht,

Und sein Befehl sich, Kuß für Kuß,

Nach ihren Grillen schmiegen muß,

Und sie für Ein Recht das sie giebt

Zehn Forderungen unterschiebt,

Mit ihrer Schwachheit sie beschönt,

Und täglich immer weiter dehnt,

Bis ein verdoppeltes Geschrei

Ihm vorwirft, daß er Vater sei;

Indeß er im Kalender stört,

Ob auch der Gast ihm angehört,

Für den er jetzt Geleit und Zoll

Und Wegegeld entrichten soll.

Wenn dann sein Herz sich ausgespült

Und federleicht und müßig fühlt,

Und, alt und schwach und seiner satt,

Sein Weib ihn überwunden hat;

Dann fluch' er noch dem Apfelbiß,

Der ihm sein Paradies entriß;

Dann erst nehm' ihm ein ödes Grab

Den königlichen Zepter ab!


Und wie der Schöpfer sie verdammt,

Thut auch der Cherubin sein Amt;

Als wär's ein Bettler, heißt er ihn

Mit seiner Dirne weiter ziehn.

Und sie – des dummen Sündenfalls

Vermaledeiung auf dem Hals,

Sie schlendern nun, wie's Gott gefällt,

Aus Eden in die weite Welt,

Und lange Weile, Spott und Schmach

Folgt ihnen auf dem Fuße nach.

[260]

Und unter Blitz und Donner packt

Gott unser Herr, im vierten Akt,

Sein Gärtchen ein, und Nacht und Graus

Füllt das Gerüst des Himmels aus;

Die Bäume werden aufgerollt;

Das Reich der bunten Thiere trollt

Sich fort – des Ohrs und des Gesichts

Erlustigung fällt in ein Nichts;

Die Sonne, die so herrlich schien,

Verlischt, und Mond und Sterne fliehn.

Damit's nicht stinkt, wird vor dem Schluß

Geräuchert vom Epilogus.«


Kaum hörte sich der Epilogus nennen, so fiel er seinem Bruder, aus Furcht, er möchte seine poetische Rede in Prosa fortsetzen, hastig in das Wort, und überraschte mich nicht weniger durch die unerwartete Lebhaftigkeit, mit welcher auch Er von seinem militärischen Standorte ab, in das Feld seiner verlassenen Kunst überging. – »Sie werden an der Vorrede meines Bruders genug haben, mein Herr,« wendete er sich zu mir, »denn sie enthält alles, was durch unser Schauspiel nachher nur in Handlung gebracht wurde, und ich mag Sie mit meiner Nachrede nicht noch aufhalten. Auch ist es wahrlich weder diese noch jene, die den Umsturz unsers Theaters bewirkte. Sie mußten nur nachher der Ungerechtigkeit zum Vorwande dienen, die ein Heuchler, der in seiner eigenen Rolle gestört wurde, an uns, an der Schöpfung der Welt, und dem Stande der Unschuld beging. Hören Sie, mein Herr und erstaunen Sie! Ich hatte schon alle Reihen Bänke unsers Parterres durchgeräuchert, als ich in der hintersten, dunkelsten Ecke auf ein paar Zuschauer traf, die vermuthlich selbst keine verlangten; denn sie fuhren, aus aller Fassung gebracht, aus einander, als ich ihnen mit meinem Rauchfasse zu nahe kam. Es war ein junger Officier, und es war – – stellen Sie Sich meine Verlegenheit vor! – abermals das schöne Mädchen, das ich schon als Reisegefährtin des Herrn Ducliquet so unschuldiger Weise erschreckte. Ich sah es ihr an, daß sie in diesem Augenblicke sich mehr vorzuwerfen hatte als alle unsere Marionetten; und doch mußten diese schwerer als [261] sie für die Untreue büßen, die sie diesen Abend an ihrem Patron beging. Die damals verlornen Minuten des rachgierigen Domherrn liegen schwer auf uns, und werden uns drücken so lange wir noch in dieser Zeitlichkeit wallen.« – »Das wäre sehr Schade um deine ausgezeichneten Talente,« unterbrach ich den Grenadier: »Du bist Zu pathetischen Rollen wie geboren, und ich hoffe, daß der Druck nicht lange mehr dauern soll, der das Publikum um ein paar so treffliche Redner gebracht hat. – Doch davon ein andermal – Jetzt, fahre nur fort!«

Indem meldete Bastian, daß ihr Abendessen auf dem Tische stehe. Der Prologus setzte sich in Bewegung; aber der Epilogus, den mein Beifall noch mehr in Feuer gebracht hatte, bat seinen Bruder noch um einige Augenblicke Geduld, und wendete sich mit einem pragmatischen Uebergange wieder an mich. – »Es war immer noch ein glücklicher Zufall,« sagte er, »daß sich mir das schöne Gesicht unter dem Schimmer meines Rauchfasses verrathen mußte; denn sonst würden wir bis diese Stunde noch nicht den geheimen Zusammenhang unserer tragischen Geschichte entdeckt haben.« – »Sind wir deßhalb jetzt besser daran?« murmelte sein hungriger Bruder. – »So aber,« fuhr der andere fort ohne sich stören zu lassen, »können wir von der ersten verborgenen Feder an, die so viele Räder in Bewegung setzte, den unglücklichen Vorfall bis zur Auflösung des Knotens verfolgen. Es sollte einem Dichter leicht werden ein Trauerspiel daraus zu verfertigen – so regelmäßig als es die Verschwörung von Venedig oder der Umsturz des babylonischen Reichs ist; wären wir nur noch so glücklich ein Theater zu haben, um es aufzuführen. Die drei Einheiten, mein Herr, des Orts, der Zeit, und der Handlung, finden sich hier, nach den Forderungen des Aristoteles, auf das genaueste vereinigt, und würden, mein Herr, so gewiß ihre Wirkung thun, als« ... Jetzt fing mir vor der Ueberstrümnng seiner Gelehrsamkeit ein wenig an angst zu werden. – »Du bist zwar der erste, den ich sehe,« unterbrach ich ihn mit einer verwunderten Miene, »der seine Unglücksfälle nach der Kunst zu ordnen im Stande, und selbst fähig ist, wie die Spinne, aus dem Stoffe seines eigenen Lebens ein[262] Kunstwerk zu weben; indeß rathe ich dir als ein guter Freund, es vor des Hand noch zu verschieben, damit nicht etwa deine Suppe nach den Regeln des Aristoteles – kalt werde.« – »O, der unglücklichen Gabe der Redseligkeit!« brach er nun mit einem Seufzer aus: »Sie ist mir immer in allem, wie mein Genie, im Wege gewesen – Sie ist es – warum sollte ich es läugnen? die mir und meinem armen Bruder alle warmen Suppen vereitelt hat – Denn – sehen Sie, mein lieber Herr, ehe ich damals auf meinen angewiesenen Standort kam, erzählte ich einigen meiner Bekannten im Parterre die Entdeckung, die ich in der Ecke gemacht hatte, ein Nachbar erzählte sie dem andern, und alle Köpfe drehten sich zuletzt nach der verrathenen Gruppe herum. – Auf dem Theater – anstatt zu epilogiren, hielt ich mich damit auf, mein Geheimniß erst meinem Bruder, dann unserm Theaterdichter, und dann – dem Lichtputzer vorzuschwatzen. Die Zeit verging – ich ließ das Parterre lange pochen und toben, ehe ich auftrat um meine Nachrede zu halten – Ach! ich dachte damals nicht, daß es meine letzte seyn würde! Durch diesen Aufenthalt, mein Herr, geriethen viele Haushaltungen in Avignon in Unordnung. Jedes kam um eine halbe Stunde zu spät nach Hause, besonders aber die schöne Klara. Ja! könnten wir immer in die Kabinette der Großen blicken, wie viel anders würden wir über den Werth ihrer Zeit, und über den Einfluß, den oft der Verlust einer Minute in ihrer Wirthschaft auf die Regierung der Welt hat, urtheilen! Die kritische Stunde, wo der Domherr seine Freundin erwartete, war verflossen. Er war in die Abendmette gegangen, ohne sie in ihrem Betstuhle zu finden. Sobald er fertig war, eilte er nach Hause, und sie trat nicht vor ihm her, wie sonst. Er rief, fragte, suchte nach ihr, und vermißte sie auf das schrecklichste, und schickte seine ganze Dienerschaft, sogar seinen Koch, aus, sich nach ihr zu erkundigen. Dieser, nachdem er vergebens bei ihrer Tante nachgefragt hatte, stieß von ungefähr auf den Haufen, der unser Schauspiel verließ – Er sah das verspätete Mädchen an dem Arme des jungen Officiers – hörte bald ausführlich das Wie und Warum, und brachte es seinem Herrn. Gott weiß mit was für Zusätzen, zu Ohren. Kein Epilogus [263] sollte ausschwatzen, das habe ich damals gelernt. Der Erfolg zeigte, wie gut es gewesen wäre, wenn ich es eher gewußt hätte. Der Domherr hob alle Gemeinschaft mit Klärchen auf, und verwies sie noch diesen Abend aus seinem Sprengel. Sie durfte nicht mehr, wie das Schaf des armen Mannes, auf seinem Schooße schlafen und aus seiner Schüssel essen ...« – »Lieber Bruder,« fiel ihm hier der Prologus in's Wort, »würde es nicht gut seyn wenn wir die unsere warm setzen ließen?« – »Thue das,« antwortete der Redner, »aber unterbrich mich nicht.« Und nun fuhr er mit demselben Feuer fort: »Der Unmuth des Domherrn wirkte jetzt schrecklich zurück auf uns. Er erweckte den Fiskal, klagte uns an als Verführer der Jugend, ließ unsere Zettel abreißen, veranstaltete eine Haussuchung, und rächte an uns Unschuldigen das marternde Gefühl seiner Eifersucht auf die grausamste Art. Die Gerichtsdiener brachen in unsere stille Wohnung ein, bemächtigten sich unserer Dekorationen, unserer Drathpuppen und unserer Papiere..« – »Ohne dich zu stören,« unterbrach ich hier seine Erzählung, »deiner Papiere – sagst du?« – »Ja wohl, unserer Papiere!« wiederholte er und trocknete sich die Stirn. »Wir haben nichts gerettet als was uns im Kopfe blieb – haben zwar seitdem unsere Lust- und Trauerspiele noch einmal, – aber, stellen Sie Sich vor! – als Akten geheftet haben wir sie zu Gesichte bekommen. Die Stellen darin, die immer den meisten Beifall erhielten, waren mit rother Tinte unterstrichen, und der Fiskal hatte sie in eine Liste zusammen gesetzt, die er unser Sündenregister nannte.« – »So?« sagte ich ernsthaft, und das Herz schlug mir so hoch, daß ich aufstehen mußte. »Geht einstweilen hin,« sagte ich zu den beiden Brüdern: »Wenn ihr gegessen habt, will ich euch weiter hören.« – Und so eilte ich von ihnen weg in meine Bibliothek, um mich von der schnellen Bestürzung, die mich überfiel, in einem Zimmer zu erholen, das dem Nachdenken gewidmet war. Hier stammte ich meinen Kopf an den Bücherschrank, und fing an mich mit mir selbst ernstlich über das zu besprechen, was ich so eben vernahm. Das ganze gräßliche Schicksal, das meinem Tagebuche drohte, trat mir vor die Augen – Ganz gewiß, sagte ich, [264] wird man sich seiner so gut bemächtigen als der Rollen der armen Puppenspieler – Man wird es – ich ward über und über roth bei diesem Gedanken – einem gerichtlichen Translator Preis geben, und die ganze Stadt wird die geheimsten Nachrichten deines hiesigen Aufenthaltes, deiner einfältigen Streiche, und deine kritischen Bemerkungen über die Narrheiten anderer zu lesen bekommen. Was – um aller Barmherzigkeit willen! was sollte wohl aus dir werden, wenn der Propst deinen dogmatischen Handel mit Klärchen, und alle die zweideutigen Vorfälle auf deiner berühmten Kreuzfahrt ersähe, sie mit rother Tinte unterstriche, und dein Bißchenhautgout das, mit zehn Bogen guter Gedanken verdünnt, auch den feinsten Gaum nicht beleidigen kann, – heraus stocherte, und, auf ein Quartblatt zusammen gedrängt, dem Gerichte übergäbe? – – Ihr Heiligen! Ihr Märtyrer der Wahrheit! wendet gütig dieses Unglück von mir! – Ich that mir einen albernen Vorschlag nach dem andern – sah immer keinen Ausweg, und gerieth am Ende so in Furcht, daß, hätte ich nur eine so gute Gurgel gehabt als Johannes, ich seine Kolik gewagt und mein bitteres Buch würde verschluckt haben. Sollte ich es meiner eigenen Wache anvertrauen? Sollte ich mich, oder meinen Bedienten damit ausstopfen? Diese Mittel, flüsterte ich mir zu und schlug die Arme in einander, sind schon zu oft da gewesen, um nicht gefährlich zu seyn. – Aber welche unerschöpfliche Quelle listiger Einfälle ist nicht das Herz eines Beängstigten! Laß ihm Zeit, und es ergrübelt sich Schlupfwinkel und Ausgänge, die dem erfahrensten Schergen unbekannt blieben. Nach einem, nur kurzen Nachdenken, schwand meine Verlegenheit. Ich sah den sichern Ort, den ich suchte, und sah ihn in meiner Nähe. In der weiten Natur hätte ich keinen geschicktern ausfinden können, mein verfolgtes Werk zu verbergen. Dem listigsten Jesuiten, dem eifrigsten Inquisitor würde ein Grausen befallen, wenn er sich diesem Schutzorte nähern, oder seine geweihte Hand darnach ausstrecken sollte. Dir zwar, der meine ganze Wirtschaft kennt, der, frei von Vorurtheilen, keine Nachforschung anstößiger findet als die andere, wird es nicht schwer fallen, schon in voraus meinen Schlupfwinkel zu errathen – aber zu meinem Glücke ist [265] hier keine Seele so genau bekannt mit mir, und so verschmitzt wie du; selbst der Propst, selbst der Wächter der Laura nicht.

Ich ging nun ganz ruhig wieder in mein Sprachzimmer, warf mich nachlässig auf meinen Lehnstuhl, rief meiner Leibwache, und forderte nur desto begieriger den Erzähler auf, in seiner tragischen Geschichte fortzufahren, je mehr ich mich in meinem Selbstgespräche überzeugt hatte, wie nützlich es sei, aus dem Beispiele eines schon Bestraften den Gang der Justiz zu erfahren, in deren Hände man fällt. –

»Sollte es nicht besser seyn,« fing jetzt der Epilog mit einer Frage an, die von seinem guten Herzen zeugte, »ich ließ den Vorhang über die Folge unsers erbarmungswürdigen Schicksals fallen, da schon der Anfang, wie ich gesehen habe, Ihre mitleidige Seele so heftig erschüttert hat? Ach, mein Herr, der gute Wein, von dem ich eben herkomme, scheint auch mich zur Wehmuth noch mehr gestimmt zu haben, und ich stehe nicht dafür, daß die Sympathie des Unglücks nicht unter uns..« – »Suche dich zu fassen,« sprach ich ihm gutmüthig zu, »ich will es auch thun. Mäßige aber nur, wenn ich bitten darf, deine affektvolle Sprache, und laß lieber, wo er nicht hingehört, deinen tragischen Accent weg; denn ich bin kein Liebhaber von Thränen und Ohnmächten.« – »Ich will mein möglichstes thun,« antwortete er, und hielt, meinen Ohren zur großen Beruhigung, so ziemlich auch Wort. – »Unser Theater,« faßte er sich jetzt in's kurze, »wurde geschlossen. Ich und mein armer Bruder wanderten zum Leidwesen der ganzen Stadt in's Gefängniß, und unser unseliger Prozeß nahm seinen Anfang. Neunmal wurden wir zum Verhör geführt, ohne daß die Herren unsere Unschuld begreifen wollten. Es wurden lange Reden für und wider gehalten, und dicke staubige Bücher nachgeschlagen, ehe sich das Gericht über unser Verbrechen vereinigen konnte. So haben wir, bei Wasser und Brod, sieben schreckliche Wochen hinter eisernen Gittern gesessen, ehe unser Endurtheil gefällt ward. In Rücksicht unsers Unverstandes – erklärte der höfliche Präsident endlich in der letzten Sitzung – habe das geistliche Tribunal dahin gestimmt, Güte für Recht ergehen zu lassen. Statt der Leibes- [266] und Lebensstrafe, habe es uns nur mit einer Geldbuße von dreihundert Livres belegt, die wir an die Armenkasse des Domstifts zahlen sollten; und wegen der aufgelaufenen Sitz- und Gerichtskosten habe es seinen Untereinnehmer angewiesen, sich an unsere Effekten zu halten. Wir verstummten beide bei Anhörung dieses gnädigen Bescheids, der uns mit glatten Worten zu dem schmählichsten Hungertode verdammte. Man ließ uns nicht zum Worte kommen – der Präsident wies uns aus dem Saale, und wir wurden nun in unsere Wohnung geführt, um die Vollstreckung der Hülfe, wie sie es nennen, mit anzusehen. Ach, mein Herr! könnte man vor Gram sterben, ich würde den Tag nicht überlebt haben, an dem ich den vieljährigen Erwerb unseres sauern Schweißes, die theuere Sammlung unserer mechanischen Kunstwerke, theils in einer öffentlichen Versteigerung an Ignoranten verschleudert – die Hauptfiguren aber der Rache unsers Klägers geopfert sah! Brutus und Cato, Cäsar und Pomponius Mela, kamen in die Hände der Juden. Der eine Trödler kaufte den Baum der Erkenntniß – der andere den Mond und die Sterne. – Die Vögel unter dem Himmel und die Thiere auf dem Felde wurden jetzt Spielwerke der Kinder; und unsere ersten Aeltern verdammte man, auf Verlangen des Domherrn, ihrer Blöße wegen, wie seine Worte waren, zum Feuer. O des einfältigen boshaften Richters! Verträgt sich denn mit dem Stande der Unschuld ein anderes Costum? und waren denn diese herrlichen Puppen nicht ganz getreue Nachbilder der Natur? Eben das, antwortete er, wäre das Strafwürdigste bei der Sache. Es half kein Bitten und Flehen. Sie wurden beide von den Schergen ergriffen und – o des Barbaren! – vor unserer Hausthüre verbrannt. Entschuldigen Sie, mein Herr, die Thränen, der ich mich noch jetzt nicht enthalten kann ihrem Andenken zu weihen. Man vergaß, daß es Drathpuppen waren. Eva – in der ungestörten Blüthe weiblicher Schönheit, und gebaut wie ein Döckchen! und Adam – man konnte nicht auf ihn Hinblicken, ohne in ihm den Herrn der Welt zu erkennen! Der Stand der Unschuld ist auf ewig dahin. – Das haben wir der Klerisei zu verdanken. Sie Zertrümmerte – es ist ihre Art – die ganze Schöpfung mit [267] lachendem Muthe, um zu ihren Sporteln zu gelangen. – Die Strafe der dreihundert Livres, der verwickeltste Knoten unsers Trauerspiels, blieb indeß noch immer ungelöst. Der Held, der ihn zerhauen sollte, trat auf. Stellen Sie Sich, mein Herr, wenn Ihre Einbildungskraft so weit reicht, unsere Empfindung vor, als nun an den Schranken, vor denen wir knieten – wie ein Gott aus den Wolken – eben der junge Officier erschien, der vor sieben Wochen in unserm Parterre mit so viel Bequemlichkeit die Erschaffung des Weibes belauschte – mit dem Erbieten erschien, uns der Armenkasse abzukaufen. Der Handel wurde vor unsern Augen geschlossen. Verrathen, konfiscirt und verkauft, wie unser Cäsar und Cato, wurden wir von dem Werber abgeführt – gemessen – in Lumpen gesteckt, die wir uns gescheut hätten unserm Belisar anzuziehen – und befinden uns seitdem unter der päpstlichen Garde. – Aber hören Sie noch, mein Herr, auf was für einem Fuß! Von der armseligsten Löhnung, die je den Sklaven unseres Standes gereicht wurde, zieht der Barbar, der uns kaufte, noch monatlich die Hälfte so lange ab, bis wir dadurch unsern eigenen Ankauf ihm ersetzt haben. O des niederträchtigen jungen Mannes! Doch er wird seinen Menschenhandel theuer genug büßen, das ist noch unser Trost! der Trost unserer Rache! Bei dem langsamen Tode, den er uns auflegt, wird uns hoffentlich der Hunger immer noch eher ins Grab bringen, ehe sein abscheulicher Vorschuß erstattet sehn wird.«

»Bastian,« rief ich hier meinem Bedienten zu, und wischte mir die Augen, »ich sage dir, laß diesen armen Leuten nichts abgehen so lange sie mich bewachen. Schaffe ihnen der Nahrung so viel als sie verlangen, und stärke ihre Herzen durch geistiges Getränke. Fordere, wenn du es holst, von dem Kommunionweine; denn in diesem vermaledeiten Lande, weiß ich, ist es, nach einem andern Verhältnisse als bei uns – der beste, weil es nur Pfaffen sind die ihn trinken.«

Eine süßere menschliche Empfindung nahm jetzt den Platz der Rache ein, die diese armen Wichte an ihrem Hauptmanne zu nehmen gedachten. – »Gott segne Sie, großmüthiger Herr,« sagte der eine, »für Ihr Mitleiden gegen ein paar der betrübtesten Lustigmacher, die je die Erde getragen hat!« – »Die Klerisei,« sagte [268] der andere, »hat alle unsere Schätze geraubt – nur die guten Perlen nicht, die jetzt unsern Augen entfallen. Wir fühlen, daß wir nicht ganz arm sind – fühlen in diesem rührenden Augenblicke, daß wir noch ein Herz haben, das Ihrer Achtung und Ihrer Güte nicht unwürdig ist.« – »Kinder! steht auf!« unterbrach ich den Strom ihrer Empfindungen, indem ich jedem eine Hand reichte, um ihn von dem Boden aufzuheben, auf dem sie vor mir, wie vor dem Bilde eines Heiligen, lagen. »Vergeßt euer Unglück bei der frischen Flasche die eurer wartet – Laßt es euch wohl schmecken, und erinnert Bastian, wenn er euch versorgt hat, daß er mir mein Tintenfaß fülle.« – Ich sah den beiden verbrüderten Trauergestalten ernsthaft nach, wie sie unter Thränen und Lächeln sich von mir wendeten, und Hand in Hand auf ihren Posten zurück schlichen, und verfiel, ach wahrlich nicht ohne Ursache! von einem wehmüthigen Gedanken in den andern.

So finde ich denn wieder einmal, dachte ich, Talente dem Kummer – fröhliche Menschen mißgünstigen Heuchlern – gutmüthige Geschöpfe dem Hungertode preis gegeben! O ihr unglücklichsten aller Puppenspieler! So blieben denn auch eure schönen Tiraden und Denksprüche über Großmuth und Mitleid, die ihr täglich euern Zuhörern warm an das Herz legtet – ohne Frucht? So dachte denn keine Seele daran, euch nur Einen der lustigen Abende zu vergelten, deren ihr im Schweiße eures Angesichts so viele unter eure leichtsinnigen Mitbürger vertheiltet? So rührte denn euer sprechendes Elend nicht Einen eurer Bekannten bis zu einem freiwilligen Beitrage zur Hinfristung eures Lebens, den sie sonst, ohne nachzurechnen, dem Vergang einer müßigen Stunde opferten, und den sie sich am Maule ersparten, um ihn an eure hölzernen Trauerspiele zu wenden? O der Thoren! die erst Dichter, Maschinen und Puppen nöthig haben, um die süße Frucht des Mitleids ihrem Gaumen schmackhaft zu machen! – die, indem sie sich nach dem Schauplatze drängen, um für ihren Gulden über den nachgeäfften Tod des Ugelino zu weinen, mit trockenen Augen das arme Geschöpf am Wege vorbeigehn, das nur dieses Almosens bedarf, um nicht inzwischen, wie er, zu verschmachten! Unglaublicher [269] Widerspruch des menschlichen Herzens, das, mächtiger gerührt durch sinnlichen Betrug als durch die schreiendste Wahrheit, kalt und grausam gegen brüderliches Elend, nur gerechtes Erbarmen für das fühlt, das längst überstanden und aus der fabelhaften Vorzeit entlehnt ist! – Ihr armen Märtyrer einer unschuldigen Freude! wendete sich jetzt mein bewegtes Herz an die unglücklichen Brüder; da euch eure nichtswürdigen Landsleute verlassen, so will ich von meinem Kerker aus euer Freund werden, und, wenn mich Gott diese Nacht überleben läßt, sollt ihr schon selbst zu euerm morgenden Frühstücke von den Pasteten essen, die euer schändlicher Theseus so oft eurer Nase vorbei trug. Wie viel bin ich euch nicht für die so lebhafte Darstellung euers erbärmlichen Schicksals schuldig, das mich mehr gerührt hat als das regelmäßigste Stück auf dem besten Theater! Es hat mich ganz wieder mit dem kleinen Unfalle versöhnt, der mich unter eure glimpfliche Bewachung gebracht hat. Vorzüglich aber habt ihr euch, ohne es zu ahnden, um mich, um meinen Eduard, und vielleicht um die Nachwelt, auf das beste verdient gemacht, indem ihr mein Tagebuch, das durch die Aufbewahrung eurer Geschichte allein schon lehrreich seyn würde, von seinem schmählichen Untergange rettet. – Wahrlich das soll euch nicht unbelohnt bleiben!

Ich schlug mit diesen Worten in großer Bewegung meine Augen gen Himmel, fühlte, daß ich auf dem Wege war eine edelmüthige Handlung zu begehen, und kann Dir nicht sagen, Eduard, was es mir für Freude machte, noch etwas Gutes aus meiner verworrenen Historie mit Klärchen entstehen zu sehen. Denn das ist gewiß, ohne meinen neugierigen Ausfall auf ihre Tugend und Schönheit, ohne meine Zudringlichkeit in den Kirchensprengel des Propstes, ohne meinen Feuereifer gegen das kasuistische Gesindel, wäre ich wohl schwerlich in die Bekanntschaft der beiden trübseligen Puppenspieler gerathen. Wie hätte ich ihnen helfen, wie hätte sich der edle Gedanke bei mir entwickeln sollen, der jetzt meine ganze Seele erwärmt, und mich zur Lebenserhaltung zweier ehrlicher und gut organisirter Menschen anspornt, die, so Gott will, der Natur und der Welt den Zuschuß meiner Descendenz doppelt ersetzen [270] werden, um die wahrscheinlich mein schreckhafter Traum auf dem Sopha die hiesige Gemeinde gebracht hat?

Diese lachende Aussicht, die ich im Hintergrunde entdeckte, reizte mich noch mehr, die Wildniß durchzuhauen, die mich vor der Hand noch umgab. Aber, großer Gott! wie sollte ich es anfangen? Das Nothwendigste schien nur indeß immer zu seyn, meine Papiere in Sicherheit zu bringen. Ich ergriff nun, ohne mich länger zu besinnen, die sämmtlichen Kriminalakten meines Tagebuchs, rollte sie und schnürte sie mit Klärchens blauem Strumpfbande bis auf den Bogen zusammen, woran ich schreibe, und so mußten diese meine offenherzigen Bekenntnisse sich so lange biegen und schmiegen, bis sie glücklich – obgleich ein wenig gezwängt – an den Zufluchtsort, den ich ihnen anwies, und den Du längst errathen hast, glücklich in den hohlen Gypskopf des guten Rousseau gelangten. Ich konnte mich unmöglich des Lachens erwehren, als ich die Büste wieder an ihren Ort gestellt hatte, nun vor ihr stand, und die ernsthafte Miene, die sie mir zuwarf, mit den Possen verglich, die dahinter versteckt waren. Ach! sagte ich, hätten sie ihren Platz in dem Kopfe dieses Mannes gefunden als er noch lebte! hätte der flüchtige Geist meines leichtsinnigen Werkchens die verstopften Röhren seines trockenen Gehirns bespült und geöffnet, der Durchgang durch die Welt wäre ihm gewiß nicht halb so sauer – nicht schwerer geworden als mir. Seine traurigen Bekenntnisse würden nicht so in's Schwarze gemalt, und sein Bild nicht mit so tiefen Furchen entstellt auf die neugierige Nachwelt kommen. Aber alsdann, begreife ich wohl, wär' er auch nicht Rousseau gewesen – hätte zwar, wie ein Eichhörnchen an einer seidenen Schnur, den Kindern zum Spielwerk dienen – Zuckerbrod aus den Händen eines tändelnden Mädchens erlauschen, und manche trauliche Stunde in dem Schauer ihres Halstuches verschlummern können – nur wäre er nicht als Elephant mit zermalmenden Schritten über unsere verdorbene Erde getrabt, und hätte nicht das Erstaunen seiner Zeitgenossen erweckt, denen die Erscheinung eines solchen Denkers eben so unerwartet als ungelegen war.

Ich mußte mich mit Gewalt von seiner Büste entfernen, um [271] den Gedanken an ihn los zu werden, und nicht in seinen Ernst zu verfallen, den ich für mein morgendes Verhör für viel zu gut hielt. Die Stimmung, in die mich der Prologus und sein Bruder versetzt hatten, mochte wohl Schuld seyn, daß ich mich lange nicht überwinden konnte, an meinen Vorstand vor Gericht anders zu denken als an ein Puppenspiel. So setzen wir hinterher noch alles auf Noten, beten unter einem Triller, und schlafen nach dem Takt ein – wenn wir eben aus einem Koncerte gekommen sind. Hätte ich mich gehen gelassen, ich möchte wohl wissen was morgen aus mir geworden wäre! Zu meinem großen Glücke hatte ich, während meiner äußern und innern Thätigkeit, mein abgebranntes Licht übersehen. – Es senkte sich – sprudelte und verlosch, ehe ich nach einem andern rufen konnte. Unterdeß Bastian es zurecht machte, nöthigte mich die Dunkelheit – denn ich konnte weder den Amor noch seinen Präceptor erkennen – meinen Armstuhl zu suchen. Diese kleine Ruhe, so vorübergehend sie auch war, gab doch den Ausschlag. In den drei oder vier zerstreuungslosen Minuten, die mir Bastian gönnte, verdunstete meine Verwegenheit ganz, die auch hier wie anderwärts nur Sache des Bluts war.

Das Verhör, das mir bevorstand, kam mir lange nicht mehr so lustig vor. Die Herren, gegen die ich mich verantworten sollte, so sehr ich sie auch für Komödianten hielt, schienen mir doch ungleich mehr Freude an tragischen Ausgängen zu haben als an Farcen. Selbst nach dem langsamen Gange der hiesigen Rechtspflege, wie mir ihn meine Wache vorgezeichnet hatte, war immer eher auf ein Kerkerfieber zu rechnen, als auf ein Absolutorium. Ich verschwieg mir nicht, daß meine Vergehungen ungleich wichtiger waren als die ihrigen, und daß ein hämischer Referent nicht einmal viel Geschicklichkeit nöthig habe, um aus den Beweisen, die Wider mich da lagen, und aus meinem eigenen Geständnisse, das ich ungefragt schon abgelegt hatte, ein Verbrechen zusammen zu setzen, über das wohl selbst das Kammergericht zu Berlin große Augen machen, und, bei aller seiner Liebe zur Gelindigkeit, ohne einen Kabinets-Befehl nicht wagen würde mich loszusprechen.

[272] Den guten Einfällen, die mir der Kirchner aus Unkenntniß meiner Verhältnisse, oder vielleicht nur darum empfahl, weil sie Ihm am meisten behagten, stand leider die trostlose Konfiskation im Wege, die der Propst schon vorläufig über meine Habseligkeiten gesprochen hatte. Was in aller Welt sollte mich also gegen die Religion meiner Gegner schützen? – eine Religion, die, wider allen Rittergebrauch, die Waffen in Beschlag nimmt, noch ehe sie den Handschuh hinwirft. Ich kratzte mich einmal über das andere hinter den Ohren, runzelte die Stirn ärger als Rousseau, und überzählte kleinmüthig die wenigen Stunden, die mir, nach abgerechneter Nacht, nur noch frei blieben, mich in Vertheidigungsstand zu setzen. Ich fühlte die Notwendigkeit immer dringender werden, einen gescheidten Plan zu entwerfen; doch, sobald ich alle die Schwierigkeiten der Ausführung übersah, vergingen mir die Gedanken, und ich schien mir ohne Rettung verloren. Meine Einbildungskraft, je geschäftiger sie war, mir die Klagrede nach ihrem ganzen schreckhaften Inhalte vorzuhalten, mit der mich der Prokurator auf morgen bedroht hatte, machte es meinem armen Verstande nur desto unmöglicher, etwas kluges und bewährtes darauf zu antworten. Mein leichtsinniger Muth fing an gewaltig zu sinken. Natürlich stieg, nach dem Gesetze der Schwere, nun auch dafür meine Furcht desto höher. Nur ein Wunder, rief ich in einer Art von Verzweiflung, kann dich aus dieser höllischen Verlegenheit ziehen; und – Dank, freundlicher Dank sei dem leeren Schalle, der mir entfiel! – Wie mag es doch zugehen, daß oft das sinnloseste Wort, das der Zunge entschlüpft, unsere Seele so mächtig ergreift, und Gedanken und Entschließungen bewirkt, nach denen wir mit der größten Anstrengung unsers Geistes vergebens herumtappen? – Ein Wunder? wiederholte ich mir mit hinstaunendem Nachdenken – Und wäre es denn so unmöglich, daß dir eins gelänge, das kräftig genug wäre deine Widersacher zu Boden zu schlagen? – Ich ging eine Weile alle Wundergeschichten durch, so viel mir deren bekannt waren; keine aber wollte auf meine Kräfte und meinen Zustand passen. Wenn du, sagte ich launig zu mir, zum Fenster hinaus sprängest, so wäre es zwar ein Wunder, [273] wenn du nicht den Hals brächest: aber selbst dann – zu was würde dir es helfen? Der Pöbel – da du doch nicht über die Stadt springen kannst – würde dich zeitig genug einfangen, dich der alten Aufseherin auf's schimpflichste ausliefern, und der Propst und der Prokurator würden in dem Versuche deiner Flucht nur einen Beweis mehr wider dich aufstellen. Nein! das ist nichts, fertigte ich mich ab, ohne jedoch müde zu werden, mir immer neue und eben so unsinnige Vorschläge zu thun. Ein Klügerer als ich, hätte gewiß keine Minute länger mit diesen Albernheiten verloren, und hätte unrecht gethan. Ich habe aber das Gute an mir, daß, ungeachtet ich in meinem alltäglichen Leben, und in dem gemeinen Umgange mit andern, nur wenig auf den Zusammenhang der Dinge achte, die in Gesellschaften verarbeitet werden – ich mich selbst so wenig als meinen Nachbar auffordere, die dunkeln Begriffe des Gesprächs, um das sich oft die andern bis zum Schwindel drehen in's Klare zu setzen, und mit Einem Worte die Kraft meines Nachdenkens schone; so kann ich dagegen, wenn es seyn muß, auch meinem Kopfe eher etwas zumuthen als viele andere; und das kam mir auch dießmal gar sehr zu Statten.

Sollte Dir dieses einer Prahlerei ähnlich sehen, so entschuldige sie mit meinen großen Erwartungen, und bedenke nur was ich vorhabe! Dagegen will ich auch in so weit wieder einlenken und Dir eingestehen, daß, so gut ich auch meine Maßregeln genommen, und so fest ich hoffe, daß mir mein Wunder um vieles, besser gelingen soll, als dem Kapellan der Gräfin Bentink das seinige 31 – es doch bei allem dem – selbst in dem albernen Lande, dem ich es zuwenden will, immer ein Wagestück bleibt. Mehr darf ich Dir vor der Hand nicht darüber sagen, um Dir weder zu viel Hoffnung, noch zu viel Angst zu machen. – Von einer Person, die dabei mit in's Spiel kommen wird, muß ich jedoch noch ein Wort fallen lassen, damit Du nicht zu sehr erschrickst, wenn sie auftritt – ich meine den Domherrn, den ich auf morgen früh neun Uhr, als der [274] Stunde meines Verhörs, durch ein Handbriefchen eingeladen habe, dieser übernatürlichen Ereignung beizuwohnen. Außer dem daß ich nichts weniger thun kann, ihm die Höflichkeit seines Hochamts zu erwiedern, bin ich seiner Gegenwart bei meinem Vorhaben so benöthigt, daß ich alles zurück nehme, was ich in den vorigen Blättern von seiner Unbrauchbarkeit zu allen Geschäften viel zu voreilig geurtheilt habe. Er steht jetzt sogar in meiner Rechnung unter den drei elenden Menschen, die ich Dir, mit Deiner Erlaubniß, als meine hiesigen Freunde vorstellte, obenan. Die nähere Bekanntschaft seiner, die ich der Plauderhaftigkeit meiner Wache verdanke, zeigt mir ihn jetzt in einem Lichte, das den Buchhändler sowohl als den Kirchner gewaltig in Schatten setzt. Ich gestehe, ich hielt ihn bisher ungerechter Weise für nichts mehr, als einen aufgeblasenen abergläubischen Schwachkopf – mochte seit dem Tage, wo er mir am Feste der Genoveva den Possen spielte, nichts weiter mit ihm zu thun haben, und begriff nicht, wie mich der Bischof von Nimes mit gutem Gewissen an einen so unbedeutenden Menschen hatte empfehlen können. Jetzt aber, da mir ihn der Epilogus auch noch als einen boshaften, wollüstigen, rachgierigen und furchtsamen Mann geschildert hat, der sich aber auf sein großes Pferd setzen kann, wenn ihm ein anderer den Zaum hält, scheint mir die Empfehlung des guten Bischofs sehr richtig, und genau auf seine Kenntniß des hiesigen Lokals berechnet; und ich müßte mir wohl selbst gram seyn, wenn ich noch länger versäumen wollte, diese Eigenschaften eines ausgebildeten, und dem hier herrschenden Gemeingeiste so angemessenen Charakters, in Thätigkeit zu setzen, um meine Verfolger mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sage nur also niemand, daß dieser und jener in der Welt zu nichts tauge! Es ist der Irrthum schwacher Regenten. Selbst die Kröte, vor der Dich ekelt, dient Dir zum Ableiter giftiger, und Deinem Körper schädlicher Dünste; und mußt Du nicht jeden Bettler, der Dein Mitleiden erregt, als Deinen Wohlthäter betrachten, wenn Du anders ein Freund gutmüthiger Empfindungen bist? Sprich offenherzig, ob nicht der Blödsinnige – der Schwärmer – der Tugend-Talent- und Geschmacklose Deinem hungrigen Stolze die beste [275] Nahrung gewähren? ob die Vergleichung ihrer Fehler mit Deinen Vorzügen Dir nicht manche Stunde erheitert? und ob es Deinen schwachen Augen nicht sanfter thut, auf die Dunkelheit derer, die unter Dir stehen, als in den Glanz jener zu blicken, die Fleiß, Natur und Erziehung neben Dich oder über Dich gestellt haben? Ich habe jetzt keine Zeit dieß Thema auszuführen; aber ich wünschte, Eduard, es übernähme es ein anderer geschickter Kopf: denn es schwebt mir wie im Dunkeln vor, daß man leicht, bei weiterm Nachdenken darüber, auf den rechten Weg kommen würde, den man einschlagen muß, um kein Mitgeschöpf zu verachten, und mit der ganzen Welt Freundschaft zu halten.

Der Domherr, dem ich diese menschenfreundliche Ausschweifung verdanke, hat mir eben geantwortet. Er will zur gesetzten Stunde erscheinen. Das überhebt mich nun der Mühe, diesen Bogen – ob er gleich, wenn er meinen Feinden in die Hände gerieth, so gut seyn würde wie ein Steckbrief – zu seinen Vorläufern zu gesellen, denen selbst, so viel ihrer sind, ich ganz wohl ihre Freiheit wieder geben könnte, wäre es nicht einerlei, ob sie diese Nacht in Rousseaus Kopfe Herbergen, oder auf meinem Schreibtische. Denn da ich nun sicher bin, lieber Eduard, daß der Mann im Purpur meinem Verhöre beiwohnen wird, so sind, glaube ich, die Anstalten zu meinem Wunder so gut getroffen, daß ich sehr wenig von den Puppenspielern müßte gelernt haben, wenn es schief ablaufen sollte. – Nur noch eine einzige Kleinigkeit geht mir ab – das ist meine Defension in einer Gegenrede an den Prokurator, die ich, mit Deiner Erlaubniß, Eduard, aus dem Kopfe zu Papier und von dem Papiere wieder in den Kopf bringen muß, ehe ich ruhig und mit der vollen Gewißheit zu Bette gehen darf – morgen das ganze Winkelgericht zu meinen Füßen zu sehen.

Fußnoten

1 Er suchte die Apokalypse zu erklären, und brachte, wie es scheint, der menschlichen Schwachheit dieß Opfer, um sich, wegen seiner überschwenglichen Größe, mit den Menschen auszusöhnen.

2 Nach einer Stelle des Cicero pr. Archia Cap. 7. Haec studia adolescentiam alunt, senectutem oblectant, secundas res ornant, in adversis solatium praebent.

3 Er starb in hohem Alter, und, wie seine Sektion bewies, ohne je, bei vollkommnem Zustande der Mannheit, ihren Forderungen untergelegen zu haben.

4 Der Kardinal von Polignac, der den Antilukrez geschrieben.

5 Ring des Papstes, womit die apostolischen Breve besiegelt werden. Das Siegel stellt den heiligen Petrus als einen Fischer vor.

6 Ein Paar neumodische Handschuhe, die Sara Jennings, vermählte Herzogin von Marlborough, sich weigerte ihrer Freundin, der Königin Anna, abzutreten, verursachten in einer Reihe von Folgen die große Revolution, durch die Philipp der Fünfte auf dem spanischen Throne befestiget, Oesterreich davon ausgeschlossen, der verdunkelte Ruhm Ludwigs des Vierzehnten wieder hergestellt, und die stolzen Hoffnungen seiner Feinde vereitelt wurden. Der Keim dieser großen Begebenheiten kam aus den Händen eines armseligen französischen Beutlers, dem es nicht träumte, was für glückliche Folgen für seinen König und für sein Vaterland der Zufall auf sein Tagewerk legen würde.

7 Erst in neuern Zeiten wird das Hohe Lieb für das gehalten was es ist, nachdem mystische Andacht ihr Spiel lange genug damit getrieben hat.

8 Au Monomotapa, quand le roi éternue, tous les courtisans sont par politesse obligés d'éternuer. L'éternuement gagnant de la cour à la ville, et de la ville aux provinces, tout l'empire paroit affligé d'un rhume général. Helvetius de l'Esprit p.m. 118.

9 L'An deux mille quatre cent quarante, par M. Mercier.

10 Scilicet ut careat rugarum crimine venter,

Sternatur pugnae tristis arena tuae.

Ovid. Amor. lib. 2. eleg. 14. v. 7, 8.

11 Voltaire.

12 S la Pucelle chant 14.

13 Franz der Erste, König von Frankreich.

14 Il est permis d'user des termes ambigus en les faisant entendre en un autre sens qu'on ne les entend soi-même. On peut jurer qu'on n'a pas faite une chose, quoiqu'on l'ait faite effectivement, en entendant en soi-même, qu'on ne l'a pas faite un certain jour, ou avant qu'on fut né. Cela est fort commode en beaucoup de rencontres et est toujours très juste, quand cela est nécessaire pour la santé, l'honneur ou le bien.

Sanchez Opp. p. 2. 1. 3. c. 6. n. 13.

15 Die öffentliche Buhlerin Alexanders des Sechsten, und Mutter des Cäsar Borgia, seines Sohnes.

16 S. Eccardi Corpus historic. medii aevi, wo dieses Tagebuch, das sich selten gemacht hat, abgedruckt ist.

17 Eunuch. Act. 3. Sc. 3.

18 Der Gott der Gärten.

19 Der Name des Landguts, wo Rousseau starb, und in dem Garten daselbst, auf einer kleinen Insel begraben liegt, die eine der schönsten Partien des Gartens ausmacht.

20 Mancini.

21 Diesen Ausdruck, den ich damals gebrauchte, hat unser Wieland seitdem so Mode gemacht, daß ich ihn sogar vor einiger Zeit in der Predigt eines Kandidaten von der Kanzel gehört habe.

22 Während seiner Hierarchie ward Amerika entdeckt. Als Statthalter Gottes bestätigte er dem Eroberer den eigenthümlichen Besitz durch einen Schenkungsbrief, und überschwemmte sogleich den neuen Welttheil mit Mönchen, die für das Evangelium, das sie dahin trugen, im Tausch jene unglückliche Krankheit zurück brachten, die selbst die ersten Quellen der Natur vergiftet.

23 Ein gewagtes Wort für étoffer.

24 Nicht die Todtenliste von Nicolaus Klim, sondern die meines Freundes Nicolai in Berlin, die vielleicht den größten Raum der allgemeinen deutschen Bibliothek einnimmt.

25 Ein ehemals sehr berühmter Schauspieler auf dem italienischen Theater zu Paris, der im gemeinen Leben von einem ernsthaften und festen Charakter war.

26 Fleury imagina de lui faire voir des peintures lascives, pour l'endoctriner, et Bachelier chargea Mademoiselle R. dont le talent étoit connu pour peindre de belles nudités, d'apporter des desseins de la nature en action. On alla plus loin; on chercha les sculptures les plus obscènes, pour qu'il pût les palper et les voir dans tous les sens, et qu'il ne fut point entrepris, lorsque la princesse polonoise, aussi neuve et aussi modeste que lui, seroit arrivée. Douze tableaux, dessinés et peints par l'habile peintre de grâces, et représentant les amours des patriarches, furent donc placés dans un lieu où la curiosité pouvoit engager le prince dans un moment de solitude, à y jeter les yeux. On représentoit dans le premier numéro l'innocente société d'un berger et d'une bergère; dans le numéro suivant on voyoit dans le berger une passion naissante, des regards, quelques libertés galantes; le numéro troisième représentoit des attouchemens. Dans le quatrième le berger cherchent autre chose; et ainsi de suite jusques au grand dénouement Madame de Prie étoit partie pour Strasbourg pour apprendre la même chose à la princesse, etc.

Mémoires de Richelieu Tom. IV. p. 51. 52. 53.

27 Vid Cl. Salmasii Epistola ad Andr. Colvium super Cap. XI. primae ad Corinth. Epistol. de Caesarie virorum et mulierum coma. Lugd. Batavor. ex officina Elzevirorum MDCXLIV. p. 643. Helveticus etiam virilis scite sexum discernit expressa parte in braccis quae virum facit. Apud nos olim talis fuit. In quibusdam etiam Galliae locis nuptae in capitis cultu supra frontem praeferunt pro insigni quo distinguantur ab innuptis, virilis membri figura. Viduae inversam eam habent, maritae rectam. Non ad haec pudenda descendendum est ut veste utamur aut ornatu sexus discrimen nimis exacte et graphice repraesentante. Nuditas ut est simplicior, non est etiam multo turpior etc.

28 Vid. Memoires de Richelieu Tom. VI. p. 52.

29 S. Physiognomische Fragmente zweiten Versuch, S. 122, wo man auch das Porträt der Dame sehen kann, an der diese Kraft gerühmt wird.

30 So heißt die aus Verwünschungen und Flüchen zusammengesetzte Schrift, welche seit Jahrhunderten alle grüne Donnerstage in Gegenwart der Päpste, wider alle diejenigen verlesen wird, die sie mit dem Namen Ketzer beehren. Am Ende derselben wird eine brennende Fackel auf die Erde als Sinnbild des Bannstrahls geworfen, den sie im Geiste über die anders denkenden schleudern. Ein herzerhebendes Fest zu Rom!

31 Siehe den launigen Brief Voltair's an den König von Preußen in seinen questions sur l'Encyclopédie, unter dem Artikel miracles modernes.

Dritter Band

Avignon
[3] Avignon.

Den 8ten Januar.


Wirf Dich in den Staub nieder vor dem Blatte, das Du hier empfängst, Eduard! Folge in Demuth der stolzen Feder, die es berührt, und trenne es, als ein Heiligthum, von der Gemeinschaft der übrigen Blätter, wenn Du einmal so glücklich seyn wirst, mein Tagebuch zu besitzen. Welchen Genuß von Glorie opfere ich Dir nicht mit der Stunde auf, die ich Deiner Neugier widme! Fühle es einmal ganz, wie sehr ich Dein Freund bin!

Mein Wunder ist gethan, und ich bin frei! – nicht frei, wie ein entlassener Sklave, sondern wie ein König. Du nur hältst mich ab, daß ich nicht jetzt die Gassen durchfliege, und Tausenden, die, mir zur Seite, auf ihre Knie fallen, meinen Segen ertheile. – Was für ein mächtiger Sterblicher ist nicht ein Wunderthäter unter einem solchen Volke! Ich dürfte nur winken – und ich schmauste bei allen Prälaten dieses glücklichen Staats, und jede Mutter würde mir freundlich die Kammer ihrer beneideten Tochter eröffnen. Von dem Sonnenplatze an bis zum Grabe der Laura – wo ich nur weilte und wandelte, werden die Wege gekehrt und die Plätze geschmückt. Mein Haus ist umringt von Wallfahrern und von summenden Chören, wie das Haus zu Loretto. Auf der Treppe – auf dem Vorsaale lauern Schaaren von blühenden Jungfrauen, werfen mir Küsse und Blumen zu, so oft ich mich zeige, und bitten um das Gegengeschenk meiner Kreuze.

Und woher kommt denn dieser Unterschied zwischen Gestern und Heute? Woher diese zügellose Bewunderung – dieser Aufruhr von Ehrfurcht, die mich auf den wankenden Thron von Avignon heben? Wie entstand dieser schnelle Uebergang aus der Sklaverei[3] eines alten Weibes zu der Herrschaft über die Gemüther? Wie bildete sich diese Masse von großen Wirkungen? Wie entwickelte sie sich in dieser Spanne von Zeit? – Durch frommen Betrug! Du sollst es gleich hören, Eduard, wenn ich nur vor dem Lärmen der Hymnen, die aus allen Ecken zu meinem Ruhme ertönen, zum Worte kommen kann.

Der entscheidende Morgen war erschienen. Da trat Bastian, zitternd und blaß, wie der Diener des Kanzlers Morus, mir vor das Bette, fragte mich nach einer ernsten Pause, ob ich mich etwan in Schwarz kleiden wollte? und staunte mich an, und riß das Maul auf, wie eine Maske von Schlütern, an dem königlichen Schlosse zu Berlin, als ich ihm statt aller Antwort in das Gesicht lachte, und auf meine gewöhnliche Kleidung hinwies. Sobald ich mit meinem Anzuge fertig war, setzte ich mich in meinen Lehnstuhl, legte meine Uhr vor mir auf den Tisch, und sah dem Possenspiele, das meiner wartete, ruhig entgegen. Ich beschäftigte mich still mit der ungewohnten Rolle, die ich darin spielen sollte, überlas meine Rede, mochte wohl eine Stunde so da gesessen haben, und überzeugte mich eben auf meiner Uhr, daß ich nur noch eine bis zur Eröffnung meines Verhörs zu meinen fernern Betrachtungen übrig behielt – als sich die Thüren meines Gefängnisses entriegelten, und meine Ankläger, Richter und Zeugen herein traten – der Propst und der Prokurator, die alte Bertilia in der Mitte, und ihre Nichte zum Schlusse. Hatte mich ihr Besuch, den ich so früh nicht erwarten konnte, überrascht, so that es die kalte gerichtliche Würde noch mehr, die sie mitbrachten. Beides stand nicht in meiner Rechnung; doch ängstigte mich der jetzt sehr wahrscheinliche Fall am meisten, mein Schutzengel – der Domherr, möchte zu meiner Hülfe zu spät kommen.

Der Propst näherte sich gravitätisch dem Tische, warf sich in meinen Armstuhl, ohne die Verbeugung zu erwiedern, mit der ich ihm meinen weichen Platz überließ. Der Prokurator zog erst das Koncept seiner Rüge, dann – die fünf bis sechs Bogen aus seinem Busen, die zum Protokoll meiner Aussagen bestimmt schienen – legte seine Brille auf den Tisch, seine Akten darneben, und [4] pflanzte sich, so lang und dürr wie er war, zur Linken des wohl beleibten Präsidenten. Die keichende Tante schob ihren Stuhl an die eine Seite des Kamins, mitten unter die Beweise meines Verbrechens, auf die sie gallensüchtig hinblickte, ohne, zu meinem Glücke, zu ahnden, was für weit wichtigere sich eben so nahe bei ihr, unter der Büste eines Mannes versteckt hielten, der gar nicht wie ein Verräther aussah. Klärchen mit ihrer unbefangenen Miene, setzte sich, auf der Gegenseite, parallel mit ihrer würdigen Tante. So drängte mich von selbst die Ordnung, in der sie sich zu setzen beliebten, auf den einzigen Standpunkt, der mir zwischen den beiden Damen noch frei blieb. – Der Aschenhaufen der Kasuisten lag mir im Rücken, und der Kopf meines Freundes und Hehlers ragte hoch über dem meinen hervor, und blickte mit mir zugleich dem Propst in die Augen, ohne ihn in seinem Anstande irre zu machen. Er würde es übel nehmen, wenn man nur so etwas von ihm glauben könnte. So stand ich vor diesem Winkelgerichte, aus Mangel eines übrigen Stuhls, kerzengerade, und machte mir eine Weile den Spaß, durch mein schüchternes, gedemüthigtes Aussehn ihren gerichtlichen Hochmuth zu kitzeln. Als aber der Prologus die Federn – der Epilogus die Tinte gebracht – sich sogar der Prokurator gesetzt hatte, und der Propst sich schon anschickte zu sprechen, und noch immer kein Auge sich höflich nach einem Sitze für mich umsah – so erschreckte ich auf einmal die beiden Damen, die neben mir saßen, durch den vornehmen Anstand, in den ich überging – klingelte nach Bastian, und befahl ihm zwei Stühle zu bringen. »Es ist schon an Einem zu viel,« rief der strenge Richter ihm nach; aber Bastian benahm sich so ungeschickt, daß er auf Gefahr des Kirchenbanns meinen Befehl pünktlich befolgte.

Stille Erwartung herrschte nun in unserm Kreise, und der Propst fing zur Einleitung an, uns die Absicht dieser Zusammenkunft bekannt zu machen, ob sie uns gleich allen mehr als zu gut bekannt war, und die Pflichten und Rechte, die ihm, als Aufseher aller milden Stiftungen, in diesem Hause zuständen, mit geheimem Wohlgefallen zu zergliedern. Ich merkte es dem Narren bald ab, daß er mit dem, was er seinem Richteramte schuldig zu seyn glaubte, [5] zugleich die Nebenabsicht verband, den hohen Vorzügen seines Verstandes und dem Talente seiner beredten Zunge gegen einen Ausländer die möglichste Ehre zu machen, und dem armen Sünder noch einen großen Begriff von seinem erhabenen Genie und seiner Wohlredenheit mit auf den Weg zu geben. Wir stimmten dießmal vortrefflich zusammen; denn mir war viel zu viel daran gelegen sein Geschwätz zu verlängern, als daß ich den geringsten Anstand hätte nehmen sollen, jede noch so schiefe Wendung, die er seinen Sätzen gab, mit dem beifälligsten Lächeln – jede noch so schwülstige Redensart mit einem Blicke des Erstaunens zu belohnen. Ja, als er sich einmal in einer Periode so hoch verstieg, daß er einen Brocken nach dem andern ergreifen mußte, um sich nur mit Ehren wieder herunter zu helfen, und der Schwall von Worten, die ihm darüber nachrollten, das unleidlichste Geklirr in meinen Ohren erregte – war ich boshaft genug, daß ich wie begeistert mich seitwärts nach dem guten Rousseau umwendete – ihn mitleidig ansah, und die Achseln zuckte. Nie habe ich so grob einem Wortkrämer geschmeichelt; aber nicht weniger selten war auch die Wirkung, die es hervorbrachte. Wenn ich ihn sinken sah, durfte ich nur einen recht treuherzigen Blick der Erwartung und Aufmerksamkeit auf ihn schießen, so trieb ich ihn damit auf wie einen Kreisel, daß er mit erneuerter Schnellkraft noch eine gute Weile fortlief. Ich wiederholte das Spiel mehr als Einmal mit innerm Vergnügen. Je länger es dauert, dachte ich, desto weniger wird sich der Domherr versäumen. Zuletzt aber ging dem Ehrenmanne im ganzen Ernste der Athem aus. Er konnte kaum noch ein paar Worte heraus bringen, womit er die genauere Entwickelung meiner peinlichen Anklage dem Prokurator anheim gab.

Dieser schwarzbraune Kerl, wie er von seinem Sitz in die Höhe fuhr, verdunkelte sich noch um eine Schattierung mehr, setzte hastig seine Brille auf, und machte, das Koncept in der Hand, seine gedrohte Beredsamkeit flott.

Da ich das Spiel, wodurch ich mir den Vortrag des Präsidenten erträglich machte, bei der studierten Chrie des Prokurators nicht anbringen konnte, so würde mich die lange Weile getödtet [6] haben, die sie mir verursachte, hätte sie mir nicht Gelegenheit gegeben, mir das schönste Kompliment über meinen Scharfsinn zu machen, durch den ich schon gestern Abends alles errathen, und bereits in meiner Gegenrede beantwortet hatte, was der alberne Kerl diesen Morgen in Perioden auskramte, die lange nicht so geschmeidig waren als die meinigen. Ich gäbe nicht einen Dreier für die Abschrift seines Brandbriefs, und Du gewiß auch nicht! Auch setzte mich sein Geschrei mit allen den donnernden Ausfällen gegen die Widersacher des Glaubens nicht eher in Verlegenheit, als in dem Augenblicke, wo er es endigte. Sein Dixi gab mir einen Stich in's Herz. Ich mußte mich nun anschicken darauf zu antworten; und doch war, so lange der Domherr ausblieb, der Zeitpunkt noch nicht da, wo ich es mit dem gehörigen Nachdrucke thun konnte. Zwar hatte ich es durch mein Spiel mit dem Propste schon so weit gebracht, daß nur noch höchstens einige Minuten bis zum Eintritte dieses Planeten in unsern Kreis fehlen konnten; aber auch diese, wie hätte ich sie ausfüllen – wie hätte ich die Gefahr meines Stillschweigens abwenden wollen, wäre mir nicht in diesem kritischen Augenblicke, ein kleiner Vortheil, von meinen Schuljahren her, beigefallen, der bei vielen Gelegenheiten von der trefflichsten Wirkung ist.

Es ist so gar selten, daß man aus dem Schutte seiner ersten Erziehung einmal einen Splitter hervorzieht, der im wirklichen Leben anwendbar ist und einige Brauchbarkeit zeigt, daß ich mir nicht versagen kann, mich selbst zu unterbrechen, um Dich mit dem innern Gehalte meines Funds bekannter, und Dir die Freude begreiflich zu machen, die er mir verursachte. Dergleichen Kabinets-Stücke sind uns schon um deßwillen so kostbar, weil sie uns gewöhnlich unter Schlägen, Scheltworten und manchen ominösen Wahrsagungen anvertraut wurden, und uns, so oft wir sie wieder sehen, an den Nothzwang unseres jugendlichen Muthwillens, und an alle die Aufopferungen jener wahren Freuden der Kindheit erinnern.

Du hast den klugen Mann gekannt, lieber Eduard, dessen Unterrichte ich mein Bißchen Beredsamkeit verdanke. Da er selbst [7] bestimmt war wöchentlich einmal Reden an Schwache zu halten, so kannte er alle die berauschenden Mittel, um die Zuhörer taumelig, und ihnen weiß zu machen, daß sie überzeugt wären. Er hatte eine so sichere Geschicklichkeit erlangt, über jedes Thema, das man ihm vorlegte, für und dawider – gleich gut zu predigen, daß er nach den Gesetzen des Lykurg verdient haben würde, ohne Umstände aus dem Lande gejagt zu werden; und das ist doch wohl das Stärkste, was man zum Lobe eines öffentlichen Redners sagen kann. Gott habe ihn selig! Er hat mir die Kunst schicklich von nichts zu reden, gar sehr erleichtert. Unter einer Menge Modellen, die er immer aus allen Sprachen zur Unterstützung seines Unterrichts und als Beweise zusammen trug, wie man auf dem Strome der Worte eine Stunde fortschwimmen kann, ohne stecken zu bleiben oder zu sinken, war mir besonders Eins durch öfteren Gebrauch sehr geläufig geworden: denn nicht allein wurden in jüngern Jahren alle meine Standreden an den Geburtstagen meiner Aeltern darnach geformt; sondern selbst an dem wichtigen Tage, wo ich in den Schooß der christlichen Kirche aufgenommen wurde, ordnete ich mein Glaubensbekenntniß darnach, und erbaute die ganze Gemeinde. – Seitdem ist mir freilich nur noch ein einzigesmal eine Gelegenheit aufgestoßen, dieses schöne Muster zu nutzen; und das war bei Eröffnung eines Landtags, bei dem ich, unschuldiger Weise, als Deputirter meines Kreises erschien. Auch da zog mir die getreue Nachbildung meines schönen Originals die größten Lobsprüche des Ministers und die Schmeicheleien der anwesenden Stände zu. Du kannst beurtheilen, Eduard, ob ich sie verdiente, wenn Du jetzt meine Antwort an den Prokurator hören wirst, in der ich mich ganz an jene beredte Vorschrift, und um so viel lieber hielt, da sie einen französischen Schriftsteller 1 zum Verfasser hat, der die Art [8] wohl kennen muß, wie man seine Landsleute am besten behandelt. Ich erhob mich mit Würde von meinem Sitze, überblickte mit furchtlosen Augen den Zirkel der mich richten sollte, und mit der bedächtigen Stimme, die große Wahrheiten erwarten läßt, fing ich an:


Bedenk' ich, meine Herrn, die Unbeständigkeit

Der Menschen und der Welt, des Raumes und der Zeit,

Seh' ich in den Bezirk vergänglicher Gestalten

Oft einen Irrwisch sich für einen Fixstern halten,

Seh, daß sich Licht und Recht um eigne Axen dreht,

Was früh im Aufgang war, des Abends untergeht,

Daß mit erborgtem Glanz, wenn sich die Sonne wendet,

Ihr prahlender Trabant noch unsre Augen blendet;

Geh' ich die Vorzeit durch, und seh' am Tiberstrand

Dort einen Zwerg sich blähn, wo sonst ein Riese stand;

Hör' ich des Schicksals Ruf aus großen Trümmern schallen,

Da selbst der Riese fiel, wird auch der Zwerg wohl fallen;

Des Bonzen Fischerring wird ein gemeiner Stein,

Als Splitter nur berühmt verlorner Künste seyn;

Steig' ich dann in mich selbst, tief in mein Herz, und hebe

Sein flatterndes Gewand, sein blendendes Gewebe,

Und seh', aus welchem Teig von Trug und Heuchelei

Und Stolz die kleine Welt, der Mensch, geknetet sei,

Geh die Geschichte durch, und seh, daß mit einander

Wir, vom Thersites an bis zu dem Alexander,

Nur leichten Federn gleich in ungewissem Wind,

Des Zufalls Gaukelspiel und niemals unser sind,

Und daß, so hoch ein Propst sein Hirtenämtchen achtet,

Und seine Schafe schiert, und ihre Milch verpachtet,

In mancher schwülen Nacht das Pallium schon trägt,

Und sich zum Bischof träumt und seine Kreuze schlägt,

Und wenn sich Miethlinge in seinen Schafstall schleichen,

Die Hörner des Altars – – – Doch dixi! Es entweichen

Begriff' und Worte mir – Mein Engel zeigt sich jetzt

In stolzer Purpurtracht mit Hermelin besetzt.


Es war auch hohe Zeit, daß er erschien; denn ich weiß nicht, was sonst aus meiner feurigen Rede und dem Eindrucke möchte geworden seyn, der schon anfing sich auf den verzogenen Gesichtern meiner Zuhörer zu zeigen. Garrick, sagt man, konnte das Alphabet [9] mit so rührendem Accente aussprechen, daß alle die ihm zuhörten in Thränen zerflossen. Ohne meine Rede, ihres bessern Zusammenhangs wegen, zu loben, that sie doch, ich muß es sagen, eine nicht minder große Wirkung. Der Probst gerieth in augenscheinliche Unruhe, ließ einmal mehr als der durch Cicero's Beredsamkeit erschütterte Cäsar, das Schnupftuch fallen – warf bei einigen starken Stellen Blicke des ungeduldigsten Zorns auf mich – Blicke eines wüthenden Erstaunens auf das arme Klärchen, das darüber, außer aller Fassung gesetzt, immer höher erröthete, und eben im Begriff war das Weite zu suchen, als der Eintritt des Domherrn meine Rede, die, nach ihrer künstlichen Einrichtung, einer Schraube ohne Ende nicht unähnlich war, zum Stillstande, und jedes zu bewegte Herz wieder in's Gleichgewicht brachte. Das Gericht erhob sich, um diesen eben so unerwarteten als vornehmen Beisitzer zu bewillkommen. Ich lief ihm entgegen, umarmte ihn mit der vertraulichsten Anmaßung, nannte ihn einmal über das andere meinen Freund, meinen Erretter, und – »Kommen Sie,« rief ich mit angstvoller Stimme, »und wenden Sie die unbeschreibliche Gefahr ab, die in diesem Augenblicke über mir – noch weit mehr über Ihrer geheiligten Religion schwebt. Der freundschaftliche Unterricht, edler Mann, durch den Sie mich an Sich fesselten – die Würde Ihres Standes, die Sie nicht um nichts in den Purpur der Könige kleidet, – der Glaube, die Liebe und Hoffnung, die Sie vor aller Welt bekennen – fordern Sie durch mich auf, Ihr Ansehn zu behaupten – Ihre Gewalt zu zeigen!« – Der Mann sah mich während dieses Ausfalls mit stummem Erstaunen an, und setzte sich in der größten Verlegenheit auf den Sessel, den ich in voraus für ihn mit dem meinen zugleich hatte herbei schaffen lassen. Der stolze Trotz auf dem Gesichte des Propstes – die gelbsüchtige Erwartung, die sich in den Augen des Prokurators malte – in den Runzeln der Tante herum irrte, und das Gemisch, Gott weiß welcher Empfindungen, auf den Rosenwangen der Nichte – verdienten wohl eine eigene Schilderung – Aber da müßte ich erst Zeit dazu – müßte Dir nichts wichtigeres zu erzählen, und diesen Mittag nicht Gäste zu erwarten haben. – [10] Froh bin ich nur, daß ich das wichtige Dokument meiner gerichtlichen Rede, auf das sich nun alles bezieht, fertig – und so wie ich sie gestern Abends zu Papier brachte, vor mir liegen habe, und sie nur da einzuschalten brauche, wo sie hingehört. Sie ist, wie Du finden wirst, nach einem ungleich häklichern Muster geformt, als ich vorhin – wo es auf weiter nichts ankam als Zeit zu gewinnen – meiner Beredsamkeit unterzulegen für nöthig fand. Man sollte kaum glauben, daß die beiden Modelle, die ich heute so gut benutze, aus einem und demselben Schranke kämen; und doch ist es wahr, nur mit Unterschied. – Jenes lag, mit einem Haufen anderer seines Unwerths, in dem untersten und gangbarsten Fache; dieses hingegen lag ganz einzeln in dem obersten. Es wurde für das non plus ultra der Rhetorik gehalten, und war nur auf die nicht gewöhnlichen Unfälle des menschlichen Lebens berechnet. Wenn das erste gut ist, wie Du gesehen hast, Eduard, die Laufgräben zu öffnen, so läuft man mit diesem hier Sturm. Der Meister, wenn er mit seinen Schülern bis an diese letzte Speiche der Redekunst kam, empfahl es immer mit den nachdrücklichsten Worten. »Ihr glaubt nun wohl, lieben Kinder,« sagte er mit einer feinen Ironie, die selbst, wie Du weißt, einer der stärksten Hebel in der Redekunst ist, »alle menschenmögliche Mittel in der Gewalt zu haben, um Euch in dem Sprachsaale der Welt fortzuhelfen. Aber, Eure Geschicklichkeit unbescholten, reicht sie – figürlich zu reden – bei allem dem nicht weiter, als ungefähr – die Mücken zu verjagen. Das ist nun zwar für das tägliche Leben ganz gut; denn dies unbequeemen Geschöpfe sind aller Orten zu finden. Wie aber, wenn Euch nun einmal – wer kann dafür stehen? – ein Löwe begegnet, oder ein Krokodill auf Euch lauert? Dann möchte Euch leicht Euer Kunststück mehr schaden als nutzen, und Ihr seid sicher verloren, wenn Ihr kein anderes Arkanum im Schubsacke habt, als eins – wider die Mücken.« – Und nun erst gab er uns dieß künstliche Gewebe in die Hand, begleitete unsere Betrachtung mit manchem Fingerzeig – enthüllte uns das versteckte Gerippe, das kraftlos darunter lag, um uns den Reiz der Einkleidung desto fühlbarer zu machen, durch die es allein [11] Leben und Stärke erhielt, und freute sich über unser kindisches Erstaunen.

Sobald sich Ankläger, Zeugen und Richter wieder in den Zirkel gesetzt hatten, trat ich auf –

»Das schönste Eigenthum unbefleckter Seelen,« hub ich mit der heitersten Miene an, die ich auffassen konnte, »das, über alle menschliche Eingriffe erhaben, allen Zufällen trotzt, ist das Gefühl ihrer Unschuld. Es erhöht ihre Freuden und verschönert ihr Glück. Aber erst in Widerwärtigkeiten zeigt es ganz, wie stolz, wie herzerhebend, wie unverletzbar es sei. Dann erst, wenn es den Rechtschaffenen bis vor die Schranken seiner Verfolger, in ihre Kerker, und zu den Strafen ihres ungerechten Urtheils begleitet, entwickelt es die edelsten Vorzüge seiner geistigen Natur. Alle andere menschliche Gefühle können geschwächt, in Schmerz erstickt – sie können vernichtet werden, außer diesem. Die schleichende Bosheit, die Rache des Lasters, kann dem Unschuldigen auflauern – kann ihn fesseln und tödten; aber ihn strafbar zu machen, liegt außer ihrem Gebiete. Der Trost seiner Rechtfertigung geht nicht nur mit ihm über die Gränzen des Lebens; mit unvertilgbaren Zügen läßt er sie selbst in den Herzen derer zurück, die zugleich mit seiner sterblichen Hülle die hohen Ansprüche seiner Seele der Vergessenheit zu überliefern gedachten. Der furchtbare Nachklang seines Rechts übertönt das Geräusch ihrer Geschäfte, durchzittert ihre schlaflosen Nächte, und bietet selbst in dem Freistaate des Schlummers die Rache der Träume wider sie auf. Sie ringen in ihren Festen umsonst nach dem armseligen Gewinn eines betäubenden Augenblicks. Ein qualvolles Leben, ein fortnagendes Gewissen, rächt den Unverletzbaren nur zu schrecklich an dem Verbrechen ihrer Gewalt.

O daß nicht immer der Bedrängte bis an diesen Triumph gelangen kann – nicht immer der Redliche nur unter feindlichen Händen erliegt! O daß der Allsehende, der Herzen und Nieren prüft, einen Theil seiner Sehkraft nicht auch den Wächtern verlieh, die er der Unschuld zum Schutze gesetzt hat, – daß die allgemeine Finsterniß, die unsern Erdball beherrscht, alle Wesen vermischt, und jede Wahrheit verhüllt, nur zu oft auch die Schritte selbst derer [12] mißleitet, die dem edeln Geschäfte ihrer Entdeckung vorstehen – und daß sich ein Fall denken läßt, den man nur nennen darf, um den ganzen Umfang seines Entsetzens zu schildern, den traurigen Fall, meine ich, wenn die Unschuld durch einen Fehlgriff der Gerechtigkeit erschreckt, und, gejagt von ihren Freunden, umsonst nach Beweisen arbeitet sich Ihnen kenntlich zu machen – wenn der Straflose, mit der Schuld äußerer Umstände belastet, schüchtern vor den Schranken edel denkender Richter steht, die ihn umarmen würden, hätte nicht das Schicksal einen zu dichten Nebel über den Abglanz seiner reinen Seele gezogen, wenn er sich verdrängt endlich – beschimpft und verrufen – aus der Verwandtschaft der Herzen verstoßen sieht, die ihm durch Sympathie angehören! In solchen schauderhaften Augenblicken zaget die Unschuld, und erschrickt über sich selbst. Traurigkeit tritt an die Stelle ihres Stolzes. – Ihr Gefühl, das sich minder vor dem Tod entsetzt, der ihre Nerven beschleicht, als vor der Verirrung der Hand, die ihr solchen auflegt, ermattet unter dem Kampfe, und erliegt. In ihrem Unvermögen, die Tugend ihrer Richter von dem Makel eines verfehlten Urtheils zu retten, wendet sie sich zum letztenmale gegen die Betrogenen mit jammernder Liebe, wünscht ihnen aus Großmuth die Fortdauer ihrer Verblendung, und flieht – unverletzt zwar, doch Gott! unter welchen Empfindungen, den Kreis ihrer irrenden Freunde, unbegleitet von mitleidigen Thränen, ungerächt und ohne Triumph.

Dieses, von meinem ersten Gemälde so abstechende Gegenbild, legt Euch, meinen Richtern, die grausame Lage meiner Verhältnisse gegen Euch dar, wie ich sie in ihrem ganzen bedrohenden Umfange fühlte, noch ehe sie mich vor Eure Schranken gebracht, noch ehe sie die Beredsamkeit meines redlichen Anklägers erweckt hat. Wie habe ich nicht in seiner vortrefflichen Rede die männliche Stärke bewundert, mit der er das Unglück eines Lasterhaften zu malen weiß! Er glaubte in diesem Augenblicke mein Gegner zu seyn – aber mein Herz konnte ihn nicht dafür halten. Wohl mir, daß ich seine Schilderung mir gegen über stellen und zergliedern kann, ohne zu erröthen! Sie ist meisterhaft schrecklich – aber sie [13] trifft mich nicht. Sie stellt mich mit den Farben der höchsten Wahrscheinlichkeit als einen Fremdling dar, der das geheiligte Recht der Gastfreundschaft gröblich beleidigte, der sich in dieses fromme Haus einschlich, um der Armuth ihr Eigenthum, der Religion ihre Stützen, und der Kirche ein Bollwerk zu rauben, das sie schon seit Jahrtausenden ihren Feinden so muthig als wirksam entgegen setzt. Sie überliefert mich den Gesetzen als einen Mordbrenner, den die verfolgende Rache des Himmels selbst an dem Orte seiner begangenen Frevelthat – selbst neben der Asche des kostbaren Gebäudes übereilt hat, dessen Vernichtung sein Werk ist. – Dieses ist das widrige Licht, das ein warmer Verehrer der Tugend über eine That verbreitet, die ich umsonst suchen würde in's Läugnen zu stellen. – Wie gedemüthigt vor Gott und Menschen würde ich mich in diesem Augenblick fühlen – wie könnte ich die Blicke des Abscheues ertragen, denen ich bloß stehe – wie vermöchte ich, edle Richter, den gewaltigen Eindruck meiner Anklage auf Eure Gemüther zu vernichten, wenn meine Straffälligkeit so erwiesen bliebe, als sie es jetzt den Mitgliedern Eures hohen Tribunals vorkommen muß! Nur desto stärker gegen mich empört, je aufgeklärter Ihr Verstand, je reiner der Schmuck Ihrer Sitten, je aufrichtiger Ihre Ehrfurcht für Tugend und Religion ist, machen es Ihnen diese herrlichen Eigenschaften nur noch unmöglicher, Ihrem Mitleiden Gehör zu geben. Der Schutz, den Sie der Religion zugeschworen, verdrängt das Erbarmen gegen denjenigen, der die Rechte dieser Religion so grausam verletzte. – Die Gesetze, die Sie handhaben, legen es Ihnen als Pflicht auf, Schande und Strafe über den muthwilligen Uebertreter derselben auszurufen.

Diese Wahrheiten, die ich mir nicht verhehlen kann, was lassen sie mich nun anders erwarten, als mich von den würdigsten meiner Zeitgenossen überführt, verdammt und aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen zu sehen! Und dennoch, ich schwöre es bei dem Eifer, der Euch belebt, seid Ihr, meine Richter, auf dem Wege, in mir einen Mann zu bestrafen, der nicht etwa Euer Mitleiden – ich entsage ihm gern – nein! der Eure ganze Achtung [14] verdient, und sie, nicht als ein Almosen, sondern mit dem Trotze eines guten Gewissens, als eine Schuldigkeit von Euch fordert. Möchte doch das belehrende Beispiel dieser feierlichen Stunde allen und jeden Dienern der Gerechtigkeit bekannt werden! Wenn ein Tribunal wie das Eurige nicht vor der Gefahr des Irrthums geschützt ist – welcher Richter mag es, nach Euch, noch wagen ein Urtheil zu fällen?

Doch wohin verführt mich meine eigene schreckhafte Vorstellung? Verzeiht es einem beängstigten Fremdlinge – verzeiht es mir, daß ich nur einen Augenblick von einer Gefahr träumen konnte, gegen die Euch Eure Kenntnisse, Eure Menschenliebe und Eure Redlichkeit waffnen. – Heil mir! Ich stehe nicht vor so gemeinen Richtern, denen schon das Eingeständniß einer zweideutigen Handlung Beweis genug von der Strafbarkeit dessen ist, der sie beging. So leicht auch die hinreißende Beredsamkeit meines feurigen Anklägers ein minder behutsames Tribunal bis zu diesem Fehlschlusse verleiten könnte – bei Euch wird sie keinen andern Erfolg bewirken, als den, der ihren reinen Absichten am angemessensten ist. Je vollkommener seine fürchterliche Anklage wider mich da steht, desto mehr wird sie Eure prüfende Aufmerksamkeit schärfen, und Eure Großmuth nur desto mehr reizen, das Mangelhafte meiner Vertheidigung zu ersetzen, und den Schwachen und Ungeübten gegen den Stärkern in Schutz zu nehmen. Gegen den Stärkern in Schutz nehmen, sage ich? Bin ich es denn nicht dem Ruhme meines Gegners schuldig, zu glauben, daß er selbst, während der Entwickelung der Triebfedern meiner Handlung, die stufenweise Abnahme seines Widerstandes redlich erkennen, meine Rechtfertigung unterstützen, und gern einem erwarteten Sieg entsagen werde, da er den Feind nicht fand, den er zu erlegen gedachte?

O möchte doch dieser innere Vertrag redlicher Seelen, dieses stillschweigende Einverständniß, das unter uns beiden besteht, zur Ehre der Wahrheit allen ihren Verfechtern voraustreten! Möchte die Welt immer nur so edle Streiter gegen den Irrthum auf dem Platze sehen, die eines solchen Kampfes werth sind!

Meine Rechtfertigung bedarf keines Schmuckes. Sie ergiebt [15] sich aus der einfachen Darstellung meiner Denkungsart, und liegt offen in meiner Geschichte. Ich verließ mein Vaterland, das von einem zwar mächtigen, aber leider ungläubigen Könige beherrscht wird. Ich verließ es mit dem Vorsatze, der alle Reisende leiten sollte, Wahrheit und Weisheit in den Ländern aufzusuchen, in denen in unsern Tagen diese Vorzüge so einheimisch wären, wie sie es vormals in Rom und Griechenland waren. So irrte ich von einem Gebiet in das andere, immer getäuschter in meiner Erwartung, bis ich endlich die glückliche Gegend des Komtats, und in ihm das Ziel meiner Befriedigung erreichte. Welch eine Weide für mein leibliches und geistiges Auge! Mit jedem Fortschritte wuchs mein Erstaunen. Gebahnte Straßen neben grünenden Auen, die mit dem bunten Gemische weidender Herden belebt waren – unabsehliche Flächen mit Saaten geschmückt – Berge mit Reben – Hügel mit fruchtbaren Bäumen bepflanzt – ruhige, freundliche Dörfer – prächtige Städte, mit frohen, glücklichen Menschen besetzt – Liebe und Treue auf allen Gesichtern – und dieses große herrliche Gemälde von einem immer heitern Himmel umwölbt.

Es ist bei dergleichen überraschenden Ansichten einem wohl eingerichteten Herzen natürlich, die Ursachen aufzusuchen, die solche Folgen bewirken. Ich betrat voll von dieser löblichen Neugierde diese Hauptstadt, die ich als die erste Quelle betrachtete, von der aller dieser Segen in das Land floß, und machte es mir zur Pflicht, der ausströmenden Kraft nachzuspüren, die ein so künstliches Triebwerk in immer gleicher Bewegung erhält, und die geheimen Federn zu entdecken, die stark und gespannt genug sind, jedes Rad so abgewogen in Thätigkeit zu erhalten, daß eines in das andere greift, ohne zu reiben, zu stocken, und den Endzweck zu hindern, den das Ganze hervorbringen soll. – Sind es, befragte ich mich, die strengen Gesetze eines Lykurg, oder sind es die philosophischen Grundsätze eines Friedrich, die dieses glückliche Land leiten? Welche Gewalt ist es, die das Wunder seiner Regierung möglich macht? Die Frage ist entschieden, wie man sie aufwirft. Wer kann eine Stunde unter Euch leben, Mitbürger dieses Staates, ohne den mächtigen Genius zu ahnden, der alles dieses bewerkstelligt? den Geist Eurer [16] Religion! Er ist es, unter dessen mächtigem Einflusse Eure Landesverfassung wie ein Felsen unter dem ewigen Tumulte der Wellen unerschüttert da steht. Er löst die verwickelten Grundsätze einer vollkommenen Staatskunst, über welche Monarchen und Weise in ewigem Streite liegen, in die einfachen Pflichten eines gemeinen Tagewerks auf. Der Segen, den Eure Kirche täglich ausspendet, spottet jener rastlosen Sorgen, die oft der klügste Regent vergebens anwendet, um dem Staate starke, geübte und mannhafte Hände zu gewinnen, denen er mit Sicherheit die Handhabung des gemeinen Wohls übertragen kann. Die spröden Faden, aus denen sein Gewebe zusammengesetzt ist, wie ungleich gelinder schmiegen sie sich nach dem Willen auch des schwächsten Kopfes, der die heilige Weihe empfangen hat, als nach dem Sinne eines Mannes, der durch vieljährigen Fleiß, Wachen und Nachdenken sich zur Führung anderer gestärkt glaubt! Ich überblickte mit Erstaunen die einfachen Mittel, die hier der päpstliche Glaube dem Dünkel der Weltweisheit entgegensetzt. Statt die Aufsicht über Ordnung und Gesetze erfahrnen Greisen – statt die Bewachung des Landes thätigen scharfsichtigen Männern übertragen zu finden, sah mein an jenen Anblick verwöhntes Auge hier nur Jünglinge zum Verdammen und Lossprechen berufen, und zu Vätern ihres Landes geweiht. Statt der Betriebsamkeit des Volks – sah ich nur Andacht. Ich ging mehrere Blenden von Heiligen vorbei, mit Anbetern umkniet, ehe ich auf eine Werkstatt stieß, die nicht leer stand. Ich hörte keinen Lärm, welcher Arbeit verkündigte: aber desto mehr Glocken, die zur Anbetung der Heiligen einluden. Ueberall sah ich verlassene Häuser und volle Kirchen. Ich sah ein unbeschäftigtes Volk, das auf langen Wallfahrten nach der Berührung eines Märtyrers ausströmte – sah die Lehrstunden der Kinder unter den Füßen eines wunderthätigen Bildes verlaufen, und die Tage des geschäftigen Alters aufgelöst in heilige Feste. Ich sah in einer Welt, wo ich alles der Vergänglichkeit unterworfen glaubte, ewig brennende Lampen – sah Todtengebeine, die jede Krankheit des Körpers, und heilige Zeichen, die jedes Gebrechen der Seele zertheilten – sah geweihte Tropfen, die ein langes beflecktes Leben verwischten [17] – sah die Hand des sterbenden Geizigen noch in dem Schatze wühlen, den er verlassen mußte, um für den wohlfeilsten Preis, den er erhandeln konnte, unendliche Reichthümer für die Ewigkeit zu erkaufen – sah gerührt, wie die dienstbare Frömmigkeit den Uebergang einer gebrandmarkten Seele in die andere Welt mit unverwelkten Blumen bestreute, und forderte mir, von diesen mir so ungewohnten Ansichten betroffen, wie es ein Blindgeborner seyn würde, der in einem Opernsaale und unter den Wirkungen verborgener Maschinen den Gebrauch seines Gesichts erhielt, lange vergebens Rechenschaft von dem Eindrucke ab, den ich fühlte, ohne den Ausspruch zu wagen, ob das, was mich so mächtig erschütterte, Wahrheit sei oder Täuschung. Wie viel lagen nicht Dinge von unendlicher Wichtigkeit für mich in der Entscheidung dieses erhabenen Zweifels! Sollte ich mich, wie ein Eingeborner dieses glücklichen Landes, bei dem allgemeinen Glauben beruhigen, den ich im Gange fand? Sollte ich mich, mit dem Vertrauen eines Kranken gegen seinen Arzt, der Hülfsmittel bedienen, die Eure geheiligte Religion feil bietet? oder sollte ich erst, ehe ich die Arzeneien verschluckte, ihre geheime Zusammensetzung untersuchen, und ihren Endzweck entwickeln? Ich glaubte mir, als einem Fremden, das letztere erlaubt, und mit der Offenherzigkeit, edle Richter, die ich Euch schuldig bin, gestehe ich, daß ich mit allem dem Mißtrauen, das der Irrthum erzeugt, zur Prüfung jener Grundsätze überging, die Ihr Glücklichen als Erbschaft, ohne nur einen Augenblick an ihrer Rechtmäßigkeit zu zweifeln, von Euren Vorfahren in Besitz nahmt. Ich that in dem Labyrinthe, in das ich eintrat, keinen Schritt, ohne zuvor die Sicherheit des Grunds zu erforschen, und verwickelte mich darüber zuerst in Irrgänge, die mich immer weiter von meinem Ausgange entfernten; und so hätte mich beinahe die redliche Absicht, die Geheimnisse Eurer Religion zu erforschen, in das Unglück gebracht, ihr Widersacher zu werden.

Aus der Masse von Vorzügen, die das Lehrgebäude Eures Glaubens darstellt, beschäftigte indeß keiner mein Erstaunen so sehr, als der Nachlaß Eurer Heiligen, den ich lange nicht und von keiner Seite meiner Vorstellungsart anzupassen vermochte. Er ist [18] unstreitig der größte Reichthum Eures Landes – darüber konnte ich mich nicht täuschen; aber es ward mir schwer, andere Länder für um so viel ärmer zu halten, als sie weniger als das Eurige von diesem Gewinne aus der Beute der Vorzeit besitzen. Ich konnte mein, durch die glänzenden Ueberreste griechischer und römischer Kunst geblendetes Auge lange nicht gewöhnen, an Euren oft unscheinbaren Reliquien Geschmack und Freude zu finden – konnte mich nicht bereden, daß ein Tempel, der auf dem Gerippe eines Heiligen erbaut, oder mit seinen Gebeinen und ehrwürdigen Lumpen behängt ist, darum merkwürdiger als ein Pantheon – erhabener seyn sollte als ein Colisee. Ja, ich gestehe Euch mit Erröthung, daß meine unter den Vorurtheilen meines Vaterlandes gebildete Seele immer widerstrebte, an die ausströmenden Kräfte zu glauben, die Ihr von den Ueberbleibseln Eurer Märtyrer rühmt, und die Eure geweihten Tafeln beweisen. Meine Zweifel verstärkten sich nur, je ernster ich daran arbeitete sie zu heben, und setzten sich sogar einer Gewalt entgegen, der vielleicht noch keine irrende Seele widerstanden hat. Mich hatte die Empfehlung eines frommen Bischofs in die Bekanntschaft eines Eurer Mitbürger, in den Schutz eines erleuchteten Mannes gebracht, dessen geringster Schmuck der königliche Purpur ist, den er trägt. Ungern verschweige ich sein Lob in seiner Gegenwart, und überlasse es Eurem Bewußtseyn, die Ihr ihn näher und länger zu kennen das Glück habt. Er nahm mich auf, als ob ihm das Bedürfniß meiner Seele schon im voraus bekannt, und ihm der Gedanke sichtbar wäre, der über ihr schwebte. Sein erstes Gespräch verbreitete sich lehrreich und freundlich über den Werth frommer Reliquien. Er machte mich zum erstenmale mit den schätzbarsten derselben – mit den drei Blasensteinen der heiligen Klara bekannt, die, beredter und überzeugender als die Zungen der Schriftgelehrten, das größte Geheimniß unsers Glaubens erläutern, indem sie sichtbar alle die Eigenschaften vereinigen, die jeder rechtschaffene Christ der hochgelobten Dreieinigkeit beilegt. Das Visum repertum, das er mir über diese Kleinodien vorlas, erschütterte zwar mein Herz, das aber zu schwergläubig war, um nicht auch hier einen Vorwand zu finden, den Eindruck [19] zu entkräften, den es auf mich zu machen anfing. Mißtrauen gegen die Stimme der Wahrheit ist die natürliche Folge des Irrthums. Ich höre zwar, sagte ich seufzend, das merkwürdige Zeugniß, und fühle das Unwiderstehliche der Folgerungen, die es enthält, in seinem ganzen Umfange; aber wo sind die heiligen Steine, die mir für die Wahrheit desselben bürgen? Wo sind sie? damit ich hingehe und sie anbete, und mit ihnen in der Hand jene stolze eingebildete Wissenschaft zum Schweigen bringe, die unserm Glauben die gebieterischen Sätze eines heidnischen Euklides entgegen stellt. Sind sie, wie es das Ansehn hat, in dem Tumulte der Zeiten verloren gegangen; so bleibt mir nichts übrig, als ihren Verlust zu bejammern, und selbst so lange ihr ehemaliges Daseyn zu bezweifeln, bis sie sich wieder finden, und Gott die Ungleichheit zwischen mir und dem glücklichen Sterblichen aufhebt, der sie sehen, betasten und durchwägen konnte. Meine nächste Pflicht schien mir nun die, nach diesen heiligen Steinen bis an das Ende meiner Tage zu forschen. Ich störte alle Kabinette der Naturgeschichte – alle Sammlungen von Reliquien durch, fand wohl hier und da einen einzelnen Stein, an dessen Gewichte, Selbstständigkeit und einfachem Wesen nicht zu zweifeln war, der aber, wenn ich ihn mit zwei andern von gleichen Eigenschaften zusammen brachte, nie die Probe bestand, nach der ich ausging. – Ich betrat einen andern Weg, auf dem ich nicht ohne die höchste Wahrscheinlichkeit mich den verlornen Kleinodien zu nähern hoffte. – Gern würde ich über diesen eben so fruchtlosen Versuch stillschweigend hinwegeilen, um die jungfräuliche Seele, die ihn veranlaßte, nicht aus ihrer bescheidenen Ruhe zu bringen; aber die höhern Pflichten der Aufrichtigkeit, zu der ich jetzt vor andern aufgerufen bin, macht es mir, theuerste Klara, unmöglich, Ihrer Erröthung zu schonen.

Ich sehe, edle Richter, mit welchem Wohlgefallen sich Eure Blicke nach dieser Freundin Eures Zirkels – nach dieser frommen Mitgenossin Eurer geistigen Vergnügungen, wenden; und Ihr werdet, ich zweifle nicht, die hohe Erwartung, die ich von ihr faßte, durch die glänzenden Eigenschaften mehr als zu gerechtfertigt finden, die uns alle an sie fesseln. Das Glück der Nachbarschaft mit dieser [20] Auserwählten; die herrlichen Psalmen, unter denen mich ihre sonorische Stimme jeden Abend einschlummerte – jeden Morgen erweckte; ihre Unschuld, die aus jeder ihrer Bewegungen, aus jedem Faltenschlag ihrer Kleidung hervorstrahlte; die beispiellose Frömmigkeit ihrer Jugend – alles trug in mir zu der Ueberzeugung bei, daß die Heilige, deren Namen sie führt, deren Glauben sie ererbt hat, deren Tugend sie wieder darstellt – ihr auch wahrscheinlich die Steine zurück gelassen habe, nach deren Entdeckung meine Seele immer heißhungriger ward. Dieser Gedanke, der mächtig genug gewesen wäre, mich bis an den äußersten Pol der Erde zu treiben, um ihm Luft zu machen – wie viel dringender mußte er nicht in der glücklichen Nähe auf mich wirken, in der ich mich mit dem Ziele meiner Hoffnung befand!

In der feierlichen Stille einer hellen Nacht näherte ich mich der Thür dieser Auserkornen ihres Geschlechts – hoch pochte mir das Herz nach der Entdeckung dieses großen Geheimnisses; aber noch war es ihrer nicht werth. Die fromme Aufseherin unserer Jugend versperrte mir, wie ein Seraph, den Eingang, und wies mich als einen Ungeweihten in meine einsame Klause zurück. Dank sei Dir, würdiges Weib! für Deine Strenge, die mir damals so schwer zu ertragen fiel; sie erweckte den Trieb mich aufzurichten, indem sie mich niederschlug, und befeuerte mein Verlangen, mich der Glorie erst würdig zu machen, nach der ich hinstrebte. Das Bild meiner freundlichen Hoffnung schwebte mir vor in der Zerstreuung des Tages, in den Träumen der Nacht, erheiterte meine Einsamkeit, und fesselte mich mit Blumen an die Pflichten meines hohen Berufs. Unter dem Schutze des Purpurs meines edeln Freundes und Begleiters warf ich mich der mächtigen Genoveva zu Füßen, und vereinigte mein Gebet um Aufklärung mit dem Gebete der Gemeinde. Ich wallfahrte nach dem Grabe der Laura – stärkte meine Empfindung in den reinen Dünsten, die aus ihrer Asche emporsteigen – bereicherte mich mit den Erfahrungen ihres Wächters, und suchte auf dem Pfade, auf dem er zu seiner Ueberzeugung gelangt war, die meinige zu erringen. Ich schlich den Heiligen nach, wo ich sie fand, durch das Labyrinth ihrer Legenden [21] – auf dem geschmückten Throne ihrer Altäre – in dem Schauer ihrer Verwesung. Ihre glänzenden Feste konnten kein geweihtes Gebein ihrer Gerippe ausstellen, ich näherte mich ihm mit Ehrfurcht. Erblickte ich die Madonna als Zeichen über einem Wirthshause, so trat ich ein. Entzog sich ein Splitter des heiligen Nicaise meinen feurigen Augen – ich schlich ihm nach, und suchte wenigstens meine Hand daran zu erwärmen. Ich erkaufte mir mächtige Vorbitten bei der hochheiligen Concordia, und errang durch Gold, das zu Ehren ihres Namens geprägt ward, endlich eine der wirksamsten Reliquien, die meinen Uebergang in das Gebiet der Geheimnisse vermittelte, und den Schleier wegzog, hinter dem ich die heiligen Steine versteckt glaubte. Ich triumphirte – aber zu früh! Dürfte ich es wagen, die Holdselige, die meinen mißlungenen Eifer theilnehmend mit ihrem Mitleiden beehrte, aus dem Bezirke ihres Richteramtes in jene trauliche Stunde meiner frommen Untersuchung zurück zu führen; sie würde nicht anstehen, Euch meinen Richtern alle die Empfindungen der Kleinmuth, der Muthlosigkeit und des Kummers zu bezeugen, unter denen ich ihre Schwelle verließ.

Ein unruhiges Herz verfinstert oft den hellsten Verstand; wie viel schwärzer mußte es nicht auf ein Gehirn wirken, das noch durch Vorurtheile, Zweifelsucht und Unglauben umnebelt war! Habt Mitleiden mit mir, Ihr, die Ihr, schon fest in Eurem Glauben, allen Gegenbeweisen, Erfahrungen und Anmaßungen der Leidenschaft trotzen könnt! Der Unmuth über meinen mißlungenen Versuch – statt mich auf die wahre Ursache zurück zu führen – verwickelte mich vielmehr in neue feindselige Fehlschlüsse wider die Wahrheit Eurer Religion. Die Aufwallung meines Bluts verhinderte mich zu begreifen, worauf mich doch die Geschichte der heiligen Klara von Montefalcone hinwies, daß meine Nachforschungen zu voreilig, und es nur auf dem Wege der Zergliederung möglich sei, auf die verborgenen Steine zu treffen. So überzeugt ich auch jetzt bin, daß ihre fromme Namensschwester einst der erstaunten Erde diese verlornen Beweise der Dreieinigkeit wiedergeben, und durch den Nachlaß ihres Todes das Leben krönen [22] werde, das sie jetzt führt, so entfernt war ich damals von dieser trostreichen Aussicht. Ich glaubte in meiner fruchtlosen Bemühung keinen andern Beweis zu finden, als den: daß nicht allein die Legende der verewigten Klara erlogen, sondern alle und jede Verjährungen Eures Glaubens nicht bündiger zu beweisen sein möchten, als die Steine der Klara.

In diesem Aufbrausen eines schwachen Gehirns trat ich vor die herrliche Sammlung der geistreichen Schriften, die den größten Schmuck dieses Hauses ausmachen. Ich spottete ihrer Titel als Prahlereien eines heuchlerischen Stolzes – schalt den Inhalt, den sie ankündigten, als Verirrungen des menschlichen Geistes – entschloß mich das Lehrgebäude niederzuwerfen, das sie aufstellten, und diese Stützen des Glaubens mit dem Uebermuthe eines Heiden dem Pagoden meines Kamins zu opfern.

Aber in diesem Augenblicke schienen alle Heiligen mit Erbarmen auf mich zu blicken – mit Erbarmen gegen ein Herz, das in seinem Drange nach Wahrheit sich bis an diesen Abgrund verlaufen konnte. Ich fühlte daß mein Schutzgeist zurück kam. Meine Wünsche, ohne mich zu verlassen, nahmen jetzt einen richtigern Gang, und meine Empfindungen veredelten sich. Mitten in dem Entsetzen, das mich nun über die häßliche Gestalt ergriff, unter der die That, die ich auszuführen im Sinne hatte, auf die Nachwelt übergehen würde, entdeckte ich neben dem finstern Wege, den ich einschlagen wollte, jene feine Scheidungslinie zwischen Recht und Unrecht, die gemeine Richter so leicht und nur zu oft übersehen. Was ist der Mensch ohne eine höhere Leitung! und wie so nahe gränzt das Laster an die Tugend! Ihr, die Ihr schon längst über das Bewußtseyn der Seele, über die Beruhigung des Gewissens nachgedacht habt – Ihr, die am Feste des heiligen Crispinus mit flammenden Worten Euren Gemeinden so deutlich als mit dem Beispiele Eures Lebens beweist, warum sein Raub, statt ihn auf den Richtplatz zu bringen, ihn unter die Zahl der Seliggesprochenen versetzt hat, mein Herz schmiegt sich an das Eurige, und sucht seine Lossprechung in Euern Lehren. Ihr werdet ohne Mühe begreifen, wie dieselbe That, die mich einige Minuten [23] zuvor als einen Verbrecher würde gebrandmarkt haben, nur durch gute Absicht geleitet, durch fromme Bewegungsgründe geheiliget, sich zu einer unschuldigen, zweckmäßigen und löblichen Handlung umbilden konnte. In dem höchsten Unwillen über mich selbst, nahm ich jetzt die ungerechten Schmähungen zurück, die ich wider Männer auszustoßen mich erfrecht hatte, denen ich die Schuhriemen aufzulösen nicht werth war, und betrachtete sie, wie ich sie immer hätte betrachten sollen, als eine Gesellschaft, die der große Zweck vereinigt hat Gutes zu stiften, und segnete sie als Wohlthäter des menschlichen Geschlechts, die noch Samen über ihre Gräber streuten zu ewigen Ernten. Haben sie nicht, befragte sich meine gerührte Seele, indem ich eine ganze Reihe ihrer unsterblichen Werke umarmte, ihre Nächte mit Nachdenken verwacht, ihr schönes Leben verschrieben, um noch ihren Enkeln den steilen Weg zu erleichtern, der zur Entdeckung der Wahrheit führt? – Und ach! warf ich mir bitter vor, in der Nähe dieser sicheren Wegweiser, hast du deine kostbare Zeit ungenutzt verschlafen, und in dem Augenblicke, da du ihre Hülfe am meisten bedarfst, bist du im Begriff dich auf immer von ihnen zu trennen?

Wohl dem menschlichen Herzen – es hat seine Spannkraft nicht ganz verloren – das noch durch den Gedanken einer unwiederbringlichen Zeit erschüttert wird! Es zieht nun alle seine Kräfte zusammen, und sucht den Werth der verschleuderten Stunden in dem kleinen Zeitraume, der ihm noch übrig bleibt, einzuengen, und den Verlust von Jahren durch den mißlichen Gewinn eines nachfliehenden Augenblicks auszugleichen. – Auch das meinige arbeitete unter einem gleichen Bestreben. Schaudernd sah es in das Vergangene und auf die Sorge, die es vernachlässigte, und blickte wild auf seinen entfernten Abstand vom Ziele; aber in diesem verzweifelnden Kampfe errang es Hoffnung sich seinen Weg zu verkürzen.

Ich erinnerte mich, und nie hat mir mein Gedächtniß einen wichtigern Dienst erwiesen – daß ich in den Büchersälen Eurer Klöster, in den Schatzkammern Eurer Kirchen, Schriften sah, deren Inhalt jeder nachdenkende Mann – auch ohne Untersuchung – [24] schon als klar bewiesen annehmen, und als den lautersten Ausfluß der Wahrheit verehren wird, weil sie die kritische Prüfung, in der jedes menschliche Machwerk seinen Untergang findet, unter höherem Schutz überstanden – ich meine die Probe des Feuers. – Noch vor kurzem hatte ich in dem Schatze, der über den Gräbern zu Saint Denys aufgestellt ist, das berühmte Buch des Thomas a Kempis bewundert, das einzig aus einer reichhaltigen Bibliothek, die in Rauch auf ging, gerettet, und unversehrt aus dem Schutthaufen hervor gezogen wurde. Der fromme Mann, der es mir zum Küssen überreichte, beantwortete mir die Frage, ob denn die Tausende bei diesem Unglück verlornen Bücher nur Irrthum enthalten hätten, mit einer Erklärung, der ich damals den Trost nicht ansah, den sie mir bald in der drangvollsten Stunde meines Lebens gewähren sollte. So hängt oft die Vorsehung die wichtigsten Ereignisse unsers Lebens an unmerkliche Faden, und verbindet uns, ohne daß wir es ahnden, mit der großen Kette, die sie in ihrer Hand hält. So kann vielleicht in den fernsten Zeiten noch sich zu der allgemeinen Harmonie ein Wohlklang aus so schwachen Tönen entwickeln, als jetzt meinem Munde entfallen – so kann die Verhandlung der gegenwärtigen Stunde vielleicht noch Heiden bekehren, und ganze Länder – Gott gebe es! – dem Joche Eures Glaubens unterwerfen.

Es waren, sagte der Mann, viele Werke in dieser verunglückten Sammlung, die wohl noch vortrefflicher waren, als das gerettete; aber man kannte sie, und keine Seele bezweifelte ihren Werth. – Nur Thomas a Kempis war nicht geachtet – und sein Buch von der Nachfolge war unter allen dasjenige, dem man am wenigsten folgte. Seit dem Wunder seiner Erhaltung ist es erst in den Ruf gekommen, den es verdient – erst seitdem ist es allen Religionen ein heiliges Muster geworden. Es hat sich in unzähligen Auflagen verbreitet, und die Vorreden erzählen die Kritik, die es aushielt. – Dieses waren die belehrenden Worte, die jetzt volltönend an die Saiten meiner Seele anschlugen, und mir den einzigen Ausweg zu zeigen schienen, den ich zu nehmen hatte.

Von allen den Lehren, die jene herrlichen Werke enthielten, [25] die vor mir standen, war eine wie die andere meinen Augen verborgen. – Um keiner Unrecht zu thun zweifelte ich an allen. – Meine dringende Abreise – meine Trennung von ihnen, benahm mir die Möglichkeit sie zu erforschen, und in diesem Drucke und Gegendrucke von Wünschen und Zweifeln ermannte ich und entschloß mich, sie der kürzesten Prüfung zu unterwerfen, die mir in meiner Lage auch die willkommenste seyn mußte. In der süßen Hoffnung, sie – die eben so ungesucht, ungelesen und vergessen waren, wie der große Thomas, bald durch das Feuer bewährt wieder zu sehen wie ihn, trennte ich sie aus ihrer Hülle, häufte sie locker in diesem Kamin auf einander, beging die That, die Ihr so strafbar findet, und – o wie pocht mir das Herz! – steckte sie an. Voller Erwartung verfolgten meine Augen jede Wendung der auflodernden Flamme, die sich schnell ausbreitete, und bald über den kostbaren Stoff, den ihr mein gläubiges Zutrauen übergeben hatte, zusammenschlug. Dieser Berg von Gelehrsamkeit senkte sich – jede Minute überlieferte ein kostbares Werk mehr seiner Vernichtung. Sein Inhalt verrauchte, und beizte mir die Augen, ohne das Herz zu erwärmen. Meine Betäubung stieg immer höher – ach! sie ward zum Entsetzen, als ich an der Stelle dieser glänzenden Ueberreste der Vorzeit – endlich nichts mehr als einen gemeinen Aschenhaufen erblickte. – Ist es möglich? rief ich nun aus. So war denn auch nicht Ein Buch unter so vielen, das den unmittelbaren Schutz Gottes oder eines Heiligen verdiente? So gingen sie alle in Rauch auf, ohne mir nur Einen meiner marternden Zweifel zu heben, – nur Eine Wahrheit mir zurück zu lassen, die meinem Herzen Trost, meinem Verstande Nahrung verschafft hätte? Ach! Es bleib mir nichts übrig, als ewige Zweifel, und reuige Thränen über diesen vergeblichen Brand.

Indeß – der Lauterkeit meiner Absicht bewußt, kam es mir nicht von fern ein, daß etwas Straffälliges in meiner Handlung liegen könne. Es gilt den Ersatz dieser Bücher, sagte ich zu mir; und ich errieth nicht eher, unter welchem schwarzen Anstriche auch dem billigsten Gemüthe meine Feuerprobe erscheinen könnte, als bis mich der Eifer der frommen Aufseherin dieser Stiftung nur zu [26] sehr davon überzeugte. Aus der nachtheiligen Vorstellung, unter der ihr meine That erschien, aus dem Hasse, womit sie ihr tugendhaftes Gemüth und die edeln Seelen meiner Richter zur Rache entflammte – sind die traurigen Folgen entstanden, unter denen ich bis zu der Stunde meines Verhörs geseufzet habe. Ihr glaubtet berechtigt zu seyn einen Mann von Ehre – einen Reisenden von unbescholtenem Rufe – einen Unterthan eines großen Monarchen, und einen Eurer Freundschaft empfohlnen Fremdling, als einen Verbrecher zu behandeln – glaubtet es dem Ansehn der Tugend und dem Vortheile Eurer Kirche zuwider, den erbotenen Ersatz anzunehmen. Ein gemeinschaftlicher Irrthum vereinigte die besten, edelsten Herzen zu meiner Bestrafung. Noch jetzt, vortreffliche Richter, nachdem ich Euch die wahren Triebfedern meiner Handlung entwickelt, und die geheimsten Winkel meines Herzens geöffnet habe, muß es Euch – so schwach sind die Kräfte selbst der scharfsichtigsten Menschen der Wahrheit auf die Spur zu kommen – muß es Euch, sage ich, ungewiß bleiben, ob nicht betrügerische Beredsamkeit Eure Beurtheilung zu blenden suche – ob nicht der Mann, der so dreist von seiner Unschuld spricht, in geheim über Eure Leichtgläubigkeit spotte, und ob Ihr nicht einen Verräther Eures Glaubens entlassen würdet, indem Ihr mitleidig meine Fesseln löset. Aber auch diese Fehlschlüsse, wenn es Euer trauriges Loos seyn sollte, ihnen unterzuliegen, würden dennoch der Achtung nichts benehmen, die ich Eurem Amte, Eurer Gewalt, und Eurer Rechtschaffenheit schuldig bin. Ich würde nur mein finsteres Schicksal – den dunkeln Zusammenhang meiner Rechtssache, und den Zufall bejammern, der die Gerechtigkeit so sehr mißzuleiten, und Freunde einer und derselben Wahrheit so weit von einander zu entfernen vermochte. – Dank sei der allmächtigen Hand, die auch diese letzte Decke, die uns noch scheiden konnte, von Euren Augen wegzieht! Der Augenblick ist da, der meiner Rechtfertigung sein glorreiches Siegel aufdrücken – jede Trennung unserer Gemüther aufheben – meine Unschuld durch Eure Freundschaft belohnen, und Eure Tugend von der Furcht eines verfehlten Urtheils befreien wird.

Bitter waren freilich die Stunden, die mich bis an das Fest [27] brachten, das meiner wartet – an das Fest Eurer brüderlichen Umarmung! – Ueberseht noch einmal mit mir die ganze Trauer meines gestrigen Tages, als ich, im Begriff meiner Abreise, ausgeschlossen von aller menschlichen Hülfe – bewacht von Bewaffneten – eingekerkert in eine einsame Wohnung – unter den Zurüstungen eines furchtbaren Gerichts – ach! vielleicht meinem letzten Schlummer entgegen ging. Stellt Euch ... nein! Ihr vermögt es nicht! – das Schrecken der folgenden Nacht vor, als ich mit müden Schritten nach meinem Lager, den Trümmern derer vorbeischlich, deren Stimme ich in Rauch erstickt – deren Daseyn ich in Asche vergraben hatte! Ihre Schatten schienen fürchterlich mich zu umschweben, die Klagen der bedürftigen Seelen, die ich um ihre Tröster betrogen, bestürmten meinen Schlaf, und mein zweifelndes, unbefriedigtes und muthloses Herz vermehrte noch meine innere Marter. – Unter diesen Schrecknissen verging die Nacht – in diesem Wirbel von Unruhe beschlich mich die Morgenröthe meines Gerichtstages. Ernste Blicke in mein Innerstes, wehmüthige Hinsichten auf Euch – waren meine ersten Empfindungen, und jener schon erkaltete Aschenhaufen der erste Gegenstand meiner erwachten Sinne.

Ich blickte noch einmal mit schwermüthigem Herzen in diese Gruft verblichener Wahrheiten, und hätte mit der Vorsehung rechten mögen, daß ihr meine Bekehrung zu unwichtig schien, um dem Feuer seine verzehrende Gewalt zu benehmen, und die Ordnung der Natur zum Vortheil meiner Ueberzeugung zu ändern. – O ihr Unsterblichen, rief ich aus, die ihr uns euren Geist in diesen Schriften zurück ließet! warum beschütztet ihr nicht euer Vermächtniß? – O ihr Heiligen und Verklärten! wie? hielt es denn keiner von euch der Mühe werth seine Legende zu retten? O, möchtest nur Du – vor allen nur Du, selige Klara, dein Visum repertum.. Ein Geräusch gleich einem gewaltigen Winde unterbrach hier den Lauf meiner Worte, und hemmte meine Stimme. – Meine Blicke fuhren nach dem Kamine hin, von wannen es her kam. – Was sah ich! was sträubte mein Haar! Könnte ich euch jetzt um mich her versammeln, daß euer Ohr meine Rede [28] vernähme – ihr stolzen Widersacher jenes großen Geheimnisses, das ihr mit euren Zirkeln zu verspotten – mit eurem Einmal Eins zu vernichten glaubt! Ich sah – hört es, meine Richter und folgt meinem Erstaunen – Ich sah, und ich glaubte ein Schattenspiel der Auferstehung zu sehen – den Staub der Verblichenen sich von dem Herde erheben – sich bewegen – sich ordnen; ich sah die Wahrheiten, die in jenen heiligen Schriften einzeln zerstreut lagen, sich aus ihrer Vernichtung erheben, und sich zu einem Monumente derjenigen bilden, die dem menschlichen Verstande die wichtigste, wie die unerreichbarste ist. In einem schnell vorüber fliegenden Augenblicke war ihrer aller Asche zu einer selbstständigen Säule zusammen gedrängt, die dreiseitig, und wie aus ätherischem Porphyr gehauen, meinem entzückten Auge erschien. Es war die höchste Ueberraschung – ich glaube es mit Grunde, sagen zu können – die einer menschlichen Seele begegnen konnte, und die keine Zeit vermögend seyn wird aus meinem Gedächtnisse zu verlöschen. Aber leider! dauerte diese anstaunungswürdige Erscheinung nur einen Augenblick – die Säule zerfiel als wäre sie nie da gewesen. – Und wer würde mir jetzt glauben, daß es nicht ein Traum, nicht ein Blendwerk der Sinne war – wenn diesem Phänomene nicht unmittelbar ein anderes gefolgt wäre, das wie die Sonne einem sehenden Auge keinen Zweifel erlaubt, und einen Beweis zurückließ, der von jeher für unumstößlich anerkannt wurde, und die unbegreiflichsten Begebenheiten so klar macht wie die gemeinsten Ereignisse – den großen Beweis – meine ich – des Augenscheins?

Es erhob sich jetzt – könnte ich es doch dem Erdkreise ankündigen! – aus dem Staube der vor mir lag – aus dem Chaos jener mystischen Säule, erhob sich jetzt das Phänomen eines glühenden Blattes. In einen Rahm gefaßt, der wie aus Sternen zusammen gesetzt schien, schwebte es über dem Herde, und das milchweiße Licht, das es ausströmte, stärkte mein verklärtes Auge zu dem hohen Genusse seiner Betrachtung. So leuchtete es mir einige selige Stunden. Mein Herz pochte vor Staunen – meine Brust dehnte sich unter dem Drange der Freude – Ach! in welch[29] einem Meere von Empfindungen badete sich nicht meine Seele! In Entzücken und in Anstaunen dieses Wunders verloren, vergaß ich mein Daseyn – vergaß Euch, meine Richter, und die übrige armselige Welt. Und wäre die Thür meines Kerkers auch unverschlossen und der Weg zu Euch frei und offen gewesen – die Selbstgenügsamkeit meines Gefühls würde mir allein schon verwehrt haben, von meiner geweihten Stelle zu weichen, und andere Zeugen meines Glücks zu suchen als Mich. – Nie wurden wohl die stillen Fortschritte der Zeit mit so glänzenden Punkten gemessen, und ihr Uebergang in die Ewigkeit so lieblich bezeichnet, als in diesen gebenedeiten Stunden. – Mit jeder Minute, die mich meinem ernsten Verhöre näher brachte, verlosch ein Stern an dem Rahmen des brennenden Blattes. Es verlosch der letzte daran, und abgekühlt senkte es sich in meine hinstrebenden Hände. Ein Blick aus meinen beseelten Augen, der in der Eil des Blitzes darauf stürzte, war genug. – Er predigte mir die verkannte Wahrheit in ihrem ganzen Umfange, erschütterte und überzeugte mein Herz. Ich hatte nur noch Zeit, das aufgefangene Blatt an meinem Busen zu bergen, als der Augenblick eintrat, der mich vor die Schranken Eures Gerichts zog.

So habe ich Euch denn, meine Richter, durch die Irrgänge meiner Gedanken und Empfindungen bis zu dem letzten Beweise geführt, der zwischen mir und meinem Ankläger entscheiden soll. Dank sei aber zuvor noch der heiligen verewigten Klara! Mein Nachforschen nach ihren Edelgesteinen war nicht umsonst. Das Feuer, das aus den Augen der Geweihten spricht, die ihren Namen führt – das begeisterte Blut, das ich während meiner Rede ihre schönen Wangen durchziehen sah – sagt es Euch laut, meine Richter, daß ich den lange verborgenen Ort entdeckt habe, der jene Kleinodien verwahrt – den unerreichbaren Ort Eurer täglichen Wallfahrten, und den stillen Weg, der dahin führt – den Ihr ehrwürdige Männer dieses Gerichts mir noch lange unter heiligen Betrachtungen nachwandeln werdet, wenn ich schon längst von meiner Entdeckungsreise zurück, meinem Vaterlande wieder gegeben seyn, und nur in Gedanken noch die schattige Gegend umschweben [30] werde, die dem Erdkreis sein größtes Wunder verbirgt. – Mag indeß die Zeit der Erfüllung noch so weit in der Zukunft liegen, wir wollen uns in gläubiger Zuversicht an das schon vollendete Wunder halten, das uns heute zu Theil ward – an das Zeugniß der Wahrheit, das, durch das Feuer bewährt, jede fromme Ungeduld hinhalten – jede Hoffnung beleben – jeden Zweifel an die hochgelobte Dreieinigkeit bei allen denen zerstreuen wird, die meine Aussage hören. – Das Visum repertum der Heiligen, die einst jene wundervollen Steine in ihrem Schooße trug, und seitdem, um nie verloren zu gehen, unter ihren Schwestern bis zu derjenigen forterbte, deren jungfräulicher Schooß sie noch heute verschließt – dieser Beweis ihres ehmaligen und jetzigen Daseyns ist an diesem Tage glänzend und unverletzt aus den verzehrenden Flammen hervor getreten – Seine Wahrheit ist gerettet. Hier, meine Richter, hier ist das heilige Blatt – Fallet nieder und betet an!«

Mit diesen Worten zog ich jenes in ein feines Papier geschlagenes Blatt aus meinem Busen, das ich, wie Du weißt, um es als Beleg zu gebrauchen, aus der Legende der heiligen Klara von Falkenstein und in dem kritischen Augenblicke aus dem Feuer riß, als die Sammlung Pater Martins von Cochim schon lichterloh brannte. Welch einen ungleich wichtigern Dienst leistete es mir jetzt! Ach daß Du nicht bei mir warst, Eduard! und die sonderbaren und verschiedenen Bewegungen nicht mit ansehen konntest, die dieser unerwartete Ausgang meiner Rechtfertigung auf jedes einzelne Mitglied dieses hohen Gerichts hervorbrachte! Der Domherr stürzte mit einem Ungestüm herbei, der nur zu sehr den leidenschaftlichen Antheil verrieth, den er an diesem Wunder nahm. Thränen traten ihm in die Augen, als er die Lieblingsstelle seiner Erbauung in so unversehrtem Drucke, auf diesem an den Rändern versengten Bogen entdeckte. Er benedeite in der Unordnung seines Verstandes alles was ihm in den Mund kam, – das Haus, wo dieses Wunder geschah – die Asche, aus der sich dieser Phönix erhoben hatte – mich, dem die Vorsehung das unverbrennliche Blatt einhändigte – besonders aber sich, der zur Entstehung dieses erstaunlichen Phänomens die erste Gelegenheit [31] gab. – »Nun,« rief er ohne seine Phrasen zu enden, »ist der große Beweis gerettet – die Nachforschungen der Schriftgelehrten werden ... die heiligen Steine liegen ... ja ich hoffe sie noch mit eigenen Augen ...« Doch indem schien er sich zu besinnen, wie anstößig dem guten Klärchen ein Kompliment vorkommen müsse, das auf ihre Sektion gebaut war. Er ließ seinen Enthusiasmus nicht weiter laut werden, hüllte sich in seinen Purpur, und warf sich erschöpft und athemlos auf den Lehnstuhl.

Die innern Rührungen der alten, frommen, erstaunten Bertilia zeigten sich lange nur in den stillen Verzerrungen ihres scheußlichen Gesichts. – »Ich bin,« ergriff sie endlich mit heulender Stimme das Wort, »grau bei Wundern geworden; aber keines – nein! keines hat mächtiger noch mein Herz gerührt. Wie werden meine Nachbarn – wie werden alle die neidischen Weiber im Hospitale – wie wird Stadt und Land über das Heil erstaunen, das diesem Hause, und eben in der Zeit widerfuhr, da es – o ihr Heiligen! der Aufsicht eurer Magd anvertraut war!«

Doch wie mag ich nur einen verlornen Blick an diese Furie wenden, da die Graziengestalt ihrer Nichte dicht neben ihr steht, die mir in der Gruppe meiner Bewunderer doch immer die liebste Figur – aber eben darum auch am schwersten zu zeichnen ist! Ach! es wäre wohl der Mühe werth, wenn ich es nur vermöchte, Dir die mancherlei Schlangengänge ihrer Empfindungen, mit allen den feinen Schatten zu schildern, die auf ihrem Gesichtchen spielten, als sie dasselbe Blatt zu solchen Ehren erhoben sah, bei dem sie ihren Puder verlor. Ein verstohlner Blick ihrer schönen Augen, der über den Sektionsbericht ihrer Namenschwester nach dem Domherrn hingleitete, und die Erröthung auf beiden Gesichtern, die nachfolgte, würden mich, wenn es nicht schon der Epilogus zur Genüge gethan hätte, genau auf die Spur ihrer ersten Lehrstunde gebracht haben. Jene älteren Erinnerungen schienen alle Gewalt aufzubieten, um das frische Andenken ihrer jüngern Erfahrungen aus ihrem Blute zu treiben, oder ich müßte das Farbenspiel ihrer Wangen – müßte den beredten Ausdruck ihres Gefühls nicht verstanden haben, den ich doch deutlich in ihren Mienen zu lesen [32] glaubte. Doch setzte sie – wenn ich recht sah – der schnelle Uebergang des so sehr gedemüthigten Mannes zu der Glorie eines Wunderthäters mehr noch in Verlegenheit als alles übrige. Sie wendete ihre Augen so schüchtern nach mir, als hätte sie ihnen aufgetragen, mir in ihrem Namen das Unrecht abzubitten, dessen sie sich schuldig gegen mich fühlte. – Da sie ihr aber keinen Blick der Vergebung aus den meinigen mitbrachten, so nahm sie ihre Sirenenstimme zu Hülfe. – »Wer hätte das gestern noch denken sollen!« tönte sie mir sonorisch in's Ohr, daß es nicht anders möglich war, der Stimmhammer mußte mir dabei einfallen. Ihr rechter Fuß, über den das Band der unbefleckten Jungfrau gegürtet war, zitterte zugleich als ob er im Fieber läge, und der heilige Nicaise war im Steigen und Fallen. Abscheulich schönes Mädchen! dachte ich, und beinahe glaube ich, sie errieth meine Gedanken: denn so geschickt auch die Wendung war, mit der ihr Blick von mir seitwärts nach ihrer Tante überging, so schien er mir doch zu abgebrochen um ganz natürlich zu seyn. – »Ich sehe im Geiste,« sagte sie mit einem unterdrückten Seufzer zu ihr, »welch einen Segen die Begebenheit dieses Morgens über das Haus meiner Wohlthäterin bringen wird. Von den fernsten Orten her werden Wallfahrten nach dem unverbrennlichen Blatte geschehen, und ach! wie hoch werden nicht Ihre Miethen im Preise steigen! – Aber,« fuhr sie mit niedergeschlagenen Augen fort, »wohin, ihr Jungfrauen des Himmels! wohin werde ich mich alsdann verstecken, wenn, als Erbin der heiligen Klara, auf mich aller Augen gerichtet sind? – Ach mein Herr!« drehte sie nun wieder ihr Köpfchen zu mir, ergriff meine Hand, und drückte sie vor überströmender frommer Empfindung und im Angesichte des Propstes an ihren schwellenden Busen. Aber kein Mensch gab jetzt etwas auf diesen Vorsitzer meines peinlichen Gerichts. Kalt und ernsthaft stand er mit verschlossnen Lippen vor dem Tische. Der Mann am Protokolle stand lange wie versteinert neben ihm. – Endlich ermannte er sich, und fragte mit leiser Stimme seinen Patron, ob er den Vorgang zu Papiere bringen sollte? Da ihm dieser aber aus übler Laune nicht antwortete – hielt er es länger nicht aus, setzte sich, und that [33] es ungeheißen, indeß der Domherr, dem alles an der Ausbreitung des Wunders gelegen zu seyn schien, die Thür aufriß, und meinen Bastian und meine Wache herbei rief. Eine neue auffallende Scene für einen so ruhigen Beobachter als ich jetzt war. Die beiden Bärmützen, die sich zu nichts geringerm als zu dem schrecklichen Befehle abgerufen glaubten, mich in ihr ehemaliges Gefängniß zu begleiten, stutzten gewaltig, als sie mich nur mit gerührten und freundlichen Gesichtern umringt fanden – trauten ihren Augen und Ohren kaum, als sie die Ehrerbietung sahen – und die süßen Worte hörten, mit denen mich meine Kläger und Richter überhäuften. Der Domherr mußte sie mehr als Einmal erinnern, dem neuen Wunder des unverbrennlichen Blattes zu huldigen, ehe sie begreifen konnten was er wollte, und was es eigentlich mit der schnellen Veränderung meines Zustandes für eine Bewandtniß habe. – Als sie es aber endlich begriffen, so stürzten desto freudigere Thränen von ihren brüderlichen Wangen herab. Der Prologus drückte mir die Hände, der Epilogus küßte mir sie – beide winkten mir ihren Beifall zu, und selbst in ihren nassen Augen flimmerte das lachende Geständniß, daß sie mich für ihren Meister erkannten.

Alles das rührte und belustigte mich wechselweise: doch Bastian, der in der Schwärmerei seiner Jugend und Frömmigkeit den Vorgang wie ein Evangelium glaubte, und sich selig pries einem solchen Herrn zu dienen – Bastian allein kam, ohne es zu wollen, auf die rechte Spur mich aus meiner Fassung zu bringen. »Ach!« sagte er mit schmelzender Stimme, »was wird nicht meine gute Schwester Margot und mein Schwager für Freude haben, wenn sie das hören!« Ich erschrak, wie ein Dieb, der seinen Steckbrief in den Zeitungen liest, bei dieser Erwähnung. – »Gott, Gott!« sagte ich heimlich zu mir, »wie unabsehlich weit hast du dich in diesen sieben Tagen von den unschuldigen Hüttenbewohnern des ehrlichen Caveracs und von dir selbst entfernt! – von einem natürlichen guten Manne – zu einem religiösen Betrüger!« ... Mir war zu Muthe wie einem Juden, der Schinken verkauft. Ich hatte einen Abscheu vor meinem Handel. – Da aber der Vortheil mir – der Nachtheil meinen Feinden zufiel, so fand ich hierin einen [34] doppelten Bewegungsgrund, mich geschwind genug zu beruhigen, und ließ es einstweilen damit gut seyn. – Bastian war inzwischen zur Thüre hinaus gewischt, und stürmte, wie der Diener eines Zahnarztes das Volk zu der Boutique seines Patrons. In wenig Augenblicken waren Zimmer, Vorsaal und Treppe voll von Neugierigen und Andächtigen, die mir alle vorkamen als wären sie dem Tollhause entlaufen. Bei einem solchen Getöse muß man der Wunder besser gewohnt seyn als ich – muß man, glaube ich, ein Geistlicher seyn, um sich nicht bange werden zu lassen. – Während dieses Tumults hatte sich der Propst fortgeschlichen – sein Waffenträger ihm nach. Ich war heilfroh darüber, denn so lange sich dieser Schwarzkünstler noch in meiner Nähe befand, schien mir immer noch etwas im Wege zu stehen. Nun erst ward mir recht leicht um das Herz. Ich sah mit wahrem Entzücken, daß mein Gericht aufgehoben – meine hämischen Ankläger zum Schweigen gebracht – was mir aber mehr als alles dieß den Gewinn meines Prozesses versicherte, ich sah daß die Volksstimme auf meiner Seite war. Eine halbe Stunde hielt ich noch das Anstaunen der Menge – ihre unbesonnenen Fragen, und die ekeln Ausbrüche ihrer Verehrung aus: da ich aber zuletzt dieser albernen Scene höchst müde war, und mich besann, daß ich vor meiner Abreise noch andere wichtige Geschäfte abzuthun hatte, so wendete ich mich mit dem Anstande eines Mannes, dessen Bitten Befehl sind, an den buntscheckigen Haufen, äußerte mein Verlangen, daß man mir nun auch einige Ruhe gönnen möchte, packte mein Zauberblatt wieder ein – und machte ihnen Hoffnung, es nächstens der allgemeinen Andacht öffentlich auszustellen. Diese höfliche Erklärung that ihre Wirkung – und um ganz sicher vor weiterem Anlaufe zu seyn, befahl ich meinen Grenadieren, sich vor das Haus zu stellen – und, bei Strafe der Kassation, keine Seele sich dem Thürklopfer nähern zu lassen.

Sobald ich mich mit meinem Erretter, dem Domherrn, und meinen beiden frommen Nachbarinnen allein sah – mir die Ehre ihrer Gegenwart bei meinem letzten Mittagsmahle ausgebeten, und meinem Bastian eingeschärft hatte, es mit verständiger Rücksicht[35] auf meine vornehmen Gäste zu besorgen, ging ich nun als der obsiegende Theil ohne weitere Umstände an ein Geschäft, das oft selbst bei einem gewonnenen Prozesse noch seine großen Schwierigkeiten hat, ich meine den Ersatz der Schäden und Kosten. Ungeachtet ich gestern mich selbst dazu erbot, fühlte ich mich doch heute verwegen genug mein Wort wieder zurück zu nehmen; so sehr hatten sich seitdem die Umstände geändert. Ich fand es meiner moralischen Denkungsart ganz zuwider, jenes Schlachtvieh, das ich der unreinen Herde der Kasuisten entführt hatte, um es dem Andenken Rousseau's zu opfern, in der Nähe von schwachen Menschen wieder aufzustellen – fand es viel edler, diesen Gewinn meiner Börse einer guten Handlung zu widmen, und machte mir nicht das geringste Bedenken, es auf Kosten der milden Stiftung zu thun. Sonach wendete ich mich an den Domherrn: »Ich begreife, wie weh es den hiesigen gläubigen Seelen thun würde, wenn ich das Dokument der Dreieinigkeit dem Lande entziehen wollte, in welchem es die Vorsehung ausgefertigt hat..« – »Nein bei Leibe,« unterbrach mich der erschrockene Domherr, »das darf nicht geschehen!« – »Zumal da niemand,« fuhr ich fort, »dafür stehen kann, daß nicht das Volk, dem ich die Ausstellung dieses Wunderblattes schon halb und halb versprochen habe, über dessen Verlust in Aufruhr gerathen könne..« – »Freilich, freilich!« schrie der Domherr darein, »es würde alles drunter und drüber gehen.« – »Und doch,« fuhr ich jetzt schon um vieles herzhafter fort, »können mir Ihro Weisheit nicht absprechen, daß mir dieser Schatz ohne Widerrede zusteht, sobald ich den Scheiterhaufen der Kasuisten vergüten soll, der hier nur als ein Vehikel dieses Wunderblatts zu betrachten ist, so wie dem Scheidekünstler das Gold gehört, der das Erz, worin es lag, erkauft hat.« – »Lieber Freund und Gönner,« fiel mir hier der Prälat wieder in das Wort, »sollte denn nicht ein Ausweg zu finden seyn? Ich bitte Sie bei allem was heilig ist, denken Sie doch auf einen Ausweg!« – »Das habe ich schon gethan,« versetzte ich, und schlug ohne Respekt für seinen Purpur meine Arme kreuzweis in einander. »Wäre es mir gegeben mit heiligen Sachen zu wuchern – wäre der Ersatz der Kosten nicht gemeiniglich schon ein halber Beweis [36] unrechter Handlung, und machte es mir nicht eine geheime Freude, diejenigen mit Großmuth zu bestrafen, die mich zu verfolgen gedachten; so würde ich, unter uns gesagt, theuerster Freund, etwas geiziger handeln – würde die verbrannte Sammlung für ihren geringen Ladenpreis wieder herstellen, und mich und mein Vaterland mit einem Blatte bereichern, das einem wohldenkenden Herzen mehr werth seyn muß als alle Bibliotheken der Welt. – Aber ich entsage gern meinem Eigenthume daran ...« – »Das ist schön und groß gedacht,« tönte hier Klärchen – und: »Ach! es fällt mir ein Stein vom Herzen,« krähte die Alte darein, die bis jetzt in ängstlicher Erwartung des Ausgangs von weitem mit ihrer Nichte mir stillschweigend zugehört hatte. – »Dagegen,« fuhr ich sehr anmaßlich fort, »verlange ich die Befreiung von allen niedrigen Unkosten als Bedingung, und nebenbei das Versprechen von Ihnen allen, bei Ihren künftigen Nachforschungen nach jenem großen Geheimnisse des Mannes in Segen zu gedenken, der sich um die dunkle Lehre der Dreieinigkeit vielleicht verdienter gemacht hat, als alle Gottesgelehrten, die bis jetzt, ohne sonderlichen Erfolg, daran gearbeitet haben.«

Der Domherr, in der Freude seines Herzens, bestätigte nicht allein auf das höflichste die Komplimente, die ich mir selbst machte, sondern er dankte mir auch im Namen aller Gemeinden der christlichen Kirche – deren er doch keiner einzigen vorstand – für mein großmüthiges Erbieten. – Er zweifle nicht, sagte er, daß es auch der Legat im Namen des heiligen Vaters thun, und mit dankbarer Freude meine so billigen Bedingungen genehmigen werde. – Er eile jetzt zu ihm, um unser aller Angelegenheit in Ordnung zu bringen; denn mit Kanzlei-Geschäften müsse man einem geistlichen Herrn früh kommen. Er hoffe in einigen Stunden damit fertig zu seyn, und alsdann – hier küßte er mich mit der freundschaftlichsten Wärme – den schriftlichen Erlaß meines Haus- und Stadtarrests und aller Schäden und Unkosten, so viel ihrer auch seyn möchten – gegen ein gutes Glas Wein an meinem Tische auszuwechseln. – Er ging, und, nach einigem Fispern mit ihrer Nichte, verließ auch die alte Bertilia das Zimmer, um, wie sie sagte, in das ihrige [37] beten zu gehen. Klärchen, die sich nun auf einmal mit mir wieder so allein sah als an dem Namenstage ihrer Tante, ward roth bis über die Augen, und wie man nur zu oft, in der Absicht sich aus einer kleinen Verlegenheit zu ziehen, in eine noch größere fällt, so bat sie mich, sie aus der einsamen Stube in die bewußte Bibliothek zu führen, die doch sicher der geheimste und einsamste Winkel im ganzen Hause war. »Sie wolle noch einmal,« gab sie vor, »in meiner Gegenwart den merkwürdigen Platz aufsuchen und bezeichnen, wo die Legende ihrer verklärten Namensschwester, bis zu ihrem Hingange in den Kamin, verweilt hätte.« Ohne mich lange über ihr geschwindes Vergessen des Lokals zu verwundern, reichte ich ihr den Arm. – Sobald wir aber beide vor dem Bücherschranke ankamen, überraschte sie mich – nein, es ist nicht auszusprechen wie? Du könntest Jahre darauf sinnen ohne es zu errathen.

Als wenn sie mir in das Herz geblickt – als wenn sie die ganz unbeschreibliche Erniedrigung gekannt hätte, in der mir ihr Bildniß erschien – unternahm sie, zu meinem Erstaunen, sich aus dieser tiefen Herabsetzung zu erheben, und meinem Menschenverstande zum Trotz alle die gründlichen Versuche umzustoßen, die mir über ihre Heiligkeit, Unschuld und Sittsamkeit die Augen nur zu sehr geöffnet hatten. – »Nun das gestehe ich,« sagte ich bei mir selbst, sobald ich ihre Absicht merkte, »dieser äußerste Grad der Unverschämtheit hat noch gefehlt, um die Mißgestalt ihres Charakters vollends auszumalen!« – Aber es währte nicht lange – solltest Du es glauben Eduard? – so fingen mir an meine gewissen Erfahrungen von ihr problematisch zu werden – meine Versuche kamen mir einseitig, und die Schlüsse, die ich daher folgerte, willkührlich und übereilt vor. – Ich vergebe Dir, wenn Du über diese Nachricht lachst. Ich bin der erste, der eingesteht, daß, nach allem dem, was unter uns vorgegangen, mir von ihr zu Ohren gekommen, und noch heute meinem Geiste so gegenwärtig war als gestern meinen Augen – es etwas höchst unerwartetes sei, daß mich dasselbe Mädchen, so kurz vor meiner Abreise, eines bessern von ihr überzeugen solle. – Aber genug! es gelang ihr. – Das Kind erschien mir heiliger und unbefangener als jemals, und so [38] sehr ich mich Anfangs auch sträubte, trat ich doch zuletzt freiwillig den sublimen Vorstellungen bei, die sich Herr Fez – ein braver, gescheidter Mann, von ihr macht, der sie von Jugend auf in den Augen gehabt, und sie wohl richtiger als ich zu beurtheilen Gelegenheit hatte.

Ich sehe, Du bist nach diesem Geständnisse im Begriff mir Deine Freundschaft aufzukündigen, schiltst mich einen Schwachkopf, und magst nichts weiter mit mir zu thun haben. – Aber warte nur noch einen Augenblick und höre! –

Anstatt das Fach zu bezeichnen, wo die Legende der heiligen Klara kürzlich noch stand, wendete sie sich sogleich, als wir vor den Schrank traten, mit unbeschreiblicher Anmuth nach mir, ohne es anzublicken, und legte mit kindischer Gutherzigkeit ihre beiden Händchen in die meinen. – »Ich habe Sie aus keiner andern Absicht in dieß abgelegene Kabinet gelockt,« sagte sie, »als mein Herz, das mir zu voll ist, ungestört vor Ihnen auszuschütten. – Halten Sie mir meinen kleinen Betrug zu Gute, mein bester Herr! Wie viel,« fuhr sie äußerst gerührt fort, »habe ich Ihnen nicht seit der vergangenen Stunde zu danken! Es haben sich seit meiner Geburt manche gute Menschen meiner angenommen – haben in Unschuld und Tugend für mich gesorgt – mir über vieles Rath und Trost ertheilt, und meinen Verstand erweitert – aber dennoch bin ich bis heute mir selbst immer noch unbekannt geblieben. – Ihnen war es vorbehalten, mir diese Kenntniß zu geben. Sie, mein Herr, sind der erste, der mich über meinen innern Werth belehrt, und mich in meinen eigenen Augen zu einer Würde erhoben hat, mit der ich kaum weiß was ich anfangen soll. Das süße Bewußtseyn, die heiligen Steine in mir zu tragen, die bis jetzt allen menschlichen Nachforschungen entgangen sind – o daß es mich nicht übermüthig und stolz – und nur nicht der Erbschaft meiner höchst seligen Schwester unwürdig mache!« – »Wie? Klärchen!« sagte ich höhnisch: »Hatten Sie denn vor meiner Rede nie einige Ahndung davon? – fühlten nie ein sanftes Drücken in der heiligen Gegend, wo sie liegen?« – »Auch nicht das geringste!« antwortete sie mir mit einer Unbefangenheit, die allerliebst war. – »Hat Sie denn,« [39] fuhr ich schalkhaft fort, und ich dachte sie würde über und über roth werden, »auch Herr Ducliquet nicht auf die Spur gebracht?« – »O!« sagte sie, ohne im mindesten aus der Fassung zu kommen, »vor einigen Jahren zwar hat mir dieser gute würdige Mann die Lebensgeschichte meiner verklärten Namensschwester zur Erbauung und Nachahmung vorgestellt. – Es war sogar sein erstes Gespräch mit mir. – Aber ich war damals ein Kind – hatte keine Acht darauf, und schlief über seinem Unterricht ein. Lange fand ich keine Gelegenheit, meine Unachtsamkeit wieder gut zu machen. – Vorgestern erst glückte es mir. Erinnern Sie Sich wohl noch, wie begierig ich in einem Buche las, das ich Ihnen nicht sehen ließ? – Jetzt kann ich es Ihnen sagen; aber legen Sie mir es nicht als Stolz aus! Es war die Legende dieser Heiligen – war eben das Blatt, das Gott im Feuer erhalten hat.« – »So?« sagte ich, »aber wie kam es denn, daß Sie das erstemal dabei einschliefen?« – »Weil es sehr spät war,« antwortete Sie. »Sehen Sie – es war Mitternacht..« – »Aber um des Himmels willen, Klärchen,« fiel ich ihr ein, »wie trafen Sie denn so spät mit dem Domherrn zusammen?« – »O,« antwortete sie, »das hängt ganz natürlich an einander. Soll ich es Ihnen erzählen?« – »Wenn ich bitten darf, liebes Kind,« lächelte ich sie an, »so thun Sie es so genau als möglich und mit allen Umständen.« – »Nun gut,« fing sie schwatzhaft an. »Meines Vaters Schwester zu Cavaillon – die Wirthin in dem Propheten, hatte uns hier besucht, und nahm mich mit sich, als sie zurück ging. Wir trafen das ganze Wirthshaus übersetzt an, da wir ankamen. – Es war schon spät, und ich konnte vor Müdigkeit kein Auge mehr aufhalten. – Das gute Weib machte auch alle Anstalt, um mich bald zur Ruhe zu bringen – führte mich in eine große leere Stube, und wies mir ein Bett an. Ich hatte mich noch nicht ganz aus meinen Reisekleidern geworfen – so brachte mein Vetter einen Passagier in dieselbe Kammer. – Es war Herr Ducliquet. – Er erkundigte sich, was das für ein Kind wäre. – Mein Vetter nannte mich, und wünschte uns eine gute Nacht. Der liebe fromme Herr, wie Sie ihn kennen, nahm sogleich Gelegenheit, mir recht viel Erbauliches über meinen Namen [40] und meine Patronin zu sagen. – Aber, wie Kinder sind – ich hörte die Sache nur halb und schlief darüber ein. Bald nachher.. doch das ist eine Geschichte, die weiter hieher nicht gehört..« – »O das thut nichts, Klärchen,« sagte ich: »erzählen Sie nur immer fort – ich könnte Ihnen einen ganzen Tag zuhören.« – »Nun denn, mein Herr,« erwiederte sie, »so ist es Ihre eigene Schuld wenn ich Ihnen lange Weile mache. Ich schlief also, wie Sie wissen – aber es währte nicht lange, so erweckte mich ein Getös von der andern Welt. – Ich fahre schlaftrunken in die Höhe – und sehe – stellen Sie Sich das Erschrecken eines Kindes vor – den Teufel vor meinem Bette.« – »Gott sei bei uns!« unterbrach ich die Schwätzerin. – »Ach! fürchten Sie nichts,« fiel sie mir hastig in's Wort: »Er war es nicht leibhaftig – es war nur ein Komödiant, der ihn den Abend vorgestellt hatte, und jetzt sein Bette suchte – und, was Sie erst recht verwundern wird, mein Herr – es war einer von den Soldaten, die Sie bewacht haben!« – »Unmöglich!« rief ich aus. – »O, verlassen Sie Sich darauf!« versetzte sie: »Sie können ihn selbst darum befragen. Das Schrecken,« fuhr sie fort, »war nicht geringe; aber die Folgen davon waren doch gut. Ich lag die ganze Nacht durch in einem Fieber, und war so in Furcht gesetzt, daß ich den Morgen darauf nicht länger in Cavaillon aufzuhalten war. – Ich weinte so lang und so jämmerlich, daß endlich meine Verwandten sich heraus nahmen, den Herrn Ducliquet, der wieder nach Avignon reiste, um einen Platz für mich in seinem Wagen zu bitten. Er bewilligte ihn auf das gütigste – und dieser Zufall, mein Herr, dieses Schrecken und diese Reise machten mein Glück. – Unterweges examinirte mich der würdige Mann über meine Glaubenslehren, ließ mich ein Morgenlied singen, und meine Stimme gefiel ihm. – Als wir hier ankamen, überlieferte er mich meinem Vater – denn keine Mutter hatte ich mehr – und suchte ihn zu bereden, mich die Noten und das Singen lernen zu lassen. Der hätte es auch gern gethan; aber er war zu arm um etwas auf meine Erziehung verwenden zu können. Da schlug sich der wohlthätige Herr in's Mittel – und, wie manchmal ein geringer Umstand in unser ganzes Leben [41] eingreift, erbot sich nicht allein, mir auf seine Kosten im Singen einen Lehrmeister zu halten, sondern auch in allen andern nützlichen Dingen Sorge für meine Bildung zu tragen. – So kam ich in das Domstift, wo er mich der Aufsicht seiner Haushälterin übergab, die wie eine Mutter für mich gesorgt hat. – Ach! ich wäre gewiß noch in dem Hause dieses guten Herrn, wenn ich nicht selbst mein Glück verscherzt hätte.« – »Wie denn so?« fragte ich lächelnd, und glaubte nun gewiß das Mädchen auf einer Unwahrheit zu ertappen, die ich mir schon vornahm sie recht fühlen zu lassen, aber es war nicht möglich. – »Sehen Sie,« fuhr sie fort, »Herr Ducliquet hatte ausgewirkt, daß die gefährlichen Menschen, die mir so ein Todesschrecken eingejagt hatten, der Folgen wegen, nicht weiter mit lebendigen Personen spielen durften. Da legten sie nun ein Puppenspiel an. – Einmal, da ich ausgeschickt war um Semmel zu holen, ging ich eben vorbei, als sie ein geistliches Stück aufführten. Ich glaubte nicht unrecht zu thun – wendete einige Sous daran und ging hinein. Man wies mich auf die hinterste Bank, wo ich weder etwas hörte noch sah. Gern wäre ich wieder heraus gewesen; aber das war bei dem Gedränge schon nicht mehr möglich. Ich kam neben einem Officier zu sitzen, und saß wie auf Kohlen. – Er hatte die Barmherzigkeit, mir den Arm zu geben und durch das Volk zu helfen, als das Spiel vorbei war. – Aber mein Gott! wie war die Zeit vergangen! Es war ganz dunkel, wie ich zurück kam, und vor Angst hatte ich die Semmel vergessen. – Ach wie theuer mußte ich diesen kindischen Einfall und diese Vergessenheit büßen! Meiner Pflegemutter war das Ragout verdorben, und der Herr, der den Koch nach mir geschickt hatte, mußte hungrig zu Bette gehn. – Meine Entschuldigungen halfen nichts; denn sie waren beide keine Liebhaber vom Schauspiele. – Sie sagten sich von mir los, und ich mußte noch diesen Abend aus ihrem Hause. Was sollte ich anfangen? Seit acht Wochen war ich eine Waise. Es blieb mir nur die einzige Verwandte übrig, zu der ich flüchtete, und die mich mit Erlaubniß des Herrn Propsts aufnahm. Nun geht es mir zwar ganz gut hier – aber was ich kann das kann ich – denn mit meinen schönen Lehrstunden hat es ein Ende.«

[42] Ich ward über die natürliche Erzählung des armen Kindes, die der Sache ein ganz anderes Licht gab, schon etwas nachdenkend. – »Klärchen!« sagte ich, und sah ihr scharf in die Augen, ohne daß ich, Gott weiß, die geringste Verlegenheit darin erblickte, »damals waren Sie ein Kind; das entschuldigt viel: aber wie sind sie denn nachher ...« und ich hielt inne, weil ich selbst nicht recht wußte was ich ihr zuerst vorwerfen sollte. – »Was denn, mein lieber Herr?« fragte sie hastig, und starrte mich dabei mit ihren großen unschuldigen Augen an – und ich fuhr, selbst und allein außer Fassung gesetzt, stotternd fort – »zu den Kreuzen gekommen, die ...« – »Das,« fiel sie mir ganz verwundert in das Wort, »das wissen Sie ja! die malt mir der Herr Propst meistens einen Tag um den an dern.« – »Aber um Gottes Willen,« erwiederte ich und schüttelte den Kopf, »wie mag ein so frommes blühendes Mädchen so etwas erlauben?« – »Wie so?« fragte sie erstaunt: »Es geschieht ja zu meinem Besten, um mich, wie der Herr Propst und meine Tante sagen, die immer dabei steht, vor allem zu bewahren, was mir die Stimme verderben kann; und finden Sie denn nicht, mein Herr, daß es geholfen hat? – Ach, diese heiligen Zeichen – Sie mögen sagen was Sie wollen – sind von erstaunlicher Wirkung.«

Ich sah das Mädchen mit stiller Verwunderung an. Wäre es möglich! dachte ich, faßte Herz – und that ihr noch eine Frage. – Aber die war umsonst – denn sie verstand sie nicht. Ich sann und sann, und konnte so wenig aus diesem sonderbaren Geschöpfe als aus mir selbst klug werden. – »Es ist doch,« sagte ich in stiller Ueberlegung, »nicht so ganz platterdings unmöglich, daß ihr der Propst entweder so etwas weiß macht, oder es auch wohl selbst glaubt – denn was glaubt man nicht alles in dieser Religion! – und daß beide nichts weiter dabei denken, als ein anderes, das Handschuh anzieht um sich vor der Luft zu bewahren. Indeß ... wundershalber will ich sehen, was sie mirdarauf antworten wird!« – »Klärchen,« erwiederte ich mit zunehmendem Interesse an ihren naiven Antworten, setzte mich dabei auf den nächsten Stuhl, und zog sie wieder, wie das letztemal nach Auswechselung [43] unserer Bänder, an meine Kniee, mit denen ich sie traulich umfaßte. – »Nehmen Sie mir nicht übel, Klärchen, daß ich auf eine alte vergessene Geschichte zurück komme. – Gestern, Kind – ich kann nicht ohne Entzücken daran denken – was dachten Sie denn gestern – als ich mir die Erlaubniß des Pater Lessau und Bauny so gut zu Nutze machte?« – »O, da,« antwortete sie, »war mir nicht wohl zu Muthe – das gestehe ich Ihnen. Ich dächte Sie hätten gesehen, wie angst mir um meinen heiligen Nicaise war. – Ich erwartete immer, Sie würden ihn noch in tausend kleine Bißchen zerstückeln.« – »Weiter, liebes Klärchen!« indem ich sie sanft mit meinen Knieen drückte. – »Ja – und als Sie mir,« fuhr sie mit einem Blicke fort, der gar drollig war, »das Kreuz der Cäcilia verlöschten, war mir noch weniger wohl um das Herz; doch verließ ich mich noch auf die Wiederherstellung und auf meinen hübschen Vorrath von geweihter Farbe. – Als Sie aber auch diese verschütteten – nein! ich läugne es nicht – da war ich so toll und böse auf Sie, als ich noch in meinem Leben auf niemanden gewesen bin. Ich dachte gewiß, es wäre nun um meinen Discant geschehen – und ich würde nicht einen Psalmen mehr zur Naht bringen – das Schmählen des Propstes und meiner Tante ungerechnet, das ich voraus sah. Heute mache ich mir freilich weniger daraus, da ich nichts wüßte, was Sie mir nicht durch die heiligen Steine zehnfach ersetzt hätten.«

Diese unbegreiflich unschuldige Erzählung, durch die das liebe Kind, so als wenn es nichts auf sich hätte, meine Einbildungskraft entflammte, und in die reizendste Gegend zurück brachte, die ich wohl behaupten kann in meinem Leben gesehen zu haben, setzte mich erst ganz außer mir, als sie schwieg; denn jetzt sprach die gefährliche Stille, die uns umgab, nur desto vernehmlicher. – Ich sprang wie verwirrt von einem Stuhle auf, und mit dem Gefühl eines Wunderthäters war ich eben im Begriffe, den Riegel an der Kammerthür vorzuschieben – als sie Bastian mit der einfältigen Frage halb öffnete: was für Wein er diesen Mittag aufsetzen solle? – Wie er seinen Kopf so vorstreckte, hätte ich ihm lieber in diesem Augenblicke seinen Abschied gegeben; denn die vermaledeite Aehnlichkeit [44] mit seiner Schwester verjagte mir wieder alle die muthigen Gedanken, die mir Klärchen eingab. Ob ich nun gleich kurz nachher froh war, so kam mir doch jetzt diese Unterbrechung meiner Ideen zu unerwartet, um mir nicht weh zu thun. Ich blickte einige Minuten schweigend gen Himmel – wendete dann mit Ernst und Mitleiden meine Augen gegen das liebliche Mädchen – »Hier ist,« sagte ich heimlich zu mir, »tausend- ja millionenmal mehr als Margot!« und halb betäubt führte ich sie nun in die Stube zurück, wo der Tisch schon gedeckt stand. Ich zog, nachdenkend, die Hände auf den Rücken gelegt, ein paarmal meine Zirkellinie um ihn, ehe ich einen herzdrückenden Seufzer, an dem ich arbeitete, los werden konnte, der aber auch dafür mehr Erleichterung nachließ, als keiner, der bis jetzt in meinem Tagebuche vorkommt; und indem ich mich mit diesem Bogen zur Aufnahme meiner Beichte an einen Nebentisch setzte, fertigte ich auch Bastian ab, der immer noch keine Antwort auf seine ungelegene Frage erhalten hatte. – »Rechne auf die Person, wir sind unser Viere,« sagte ich ihm, »eine Flasche Burgunder, und eben so viel Champagner – kann doch jedes seinem Nachbar abgeben was es daran zu viel hat. – Aber von der besten Sorte,« rief ich ihm nach, »denn wir haben einen Domherrn bei Tische.« – Ich habe, kann ich mit Wahrheit sagen, noch nie in besserer Laune ein berauschendes Getränk bestellt. Indeß nun das arme Kind da mir ungewiß gegen über sitzt – auf jeden Zug meiner Feder schielt, und in meinen Augen vergebens zu lesen sucht was in mir vorgeht, bittet mein gerührtes Herz, so oft ich hinblicke, ihr alle die Beleidigungen ab, die ich ihr anthat, und, empfiehlt in stiller Andacht diese schöne nackende Seele dem Schutze Gottes und aller Heiligen. Ach! nie ist eine, bei dieser namenlosen Einfalt, in einer so verdorbenen Welt als die unsere ist, dieses Schutzes so bedürftig gewesen!

Es ist mir für meine Schreiberei lieb, daß ich noch eine Weile der albernen Gespräche, die ich mit der Zurückkunft des Domherrn erwarte, entübrigt, und unter der stillen Aufsicht Klärchens so gut wie allein bin – denn so habe ich doch noch Zeit die mancherlei wider einander laufenden Gedanken für Dich noch durchzufegen, [45] die von allen Seiten her sich immer mehr anhäufen. – Meine schwankende Denkungsart – laß mich zuerst von der sprechen – die ich mir wohl sonst, nicht ganz ohne Grund, vorwarf – ärgere mich dermalen nicht im geringsten. Ein ehrlicher Mann, wenn er es wirklich seyn will, muß schwanken, sobald sich an dem Objekte über das er nachdenkt, die Farben ändern; und ich kann die klugen Leute vor meiner Sünde nicht leiden, die sich selbst da ihrer Festigkeit rühmen, wo es offenbar ein Fehler ist fest zu seyn. Es ist ein wahres Glück für die praktische Philosophie, daß ich durch meinen Arrest so lange hier aufgehalten wurde, um noch im Zeiten gewisse Vorurtheile zurück zu nehmen, die schon tiefe Wurzeln zu schlagen anfingen, und die ihr so nachtheilig hätten werden können als dem guten Rufe dieses vortrefflichen Mädchens. – Und noch glücklicher trifft es sich, daß ich, Gott Lob! von dem gewöhnlichen Eigensinne spekulirender Köpfe frei bin – denn sonst hätte ich mich gewiß auch jetzt noch nicht aus der Schlußfolge gefunden, die ich einmal glaubte mir bewiesen zu haben. – Die Wahrheit wäre mir entwischt, wo ich ihr am nächsten war, und Du, lieber Eduard, wärest so gut als ich um das Resultat meiner mühsamen Experimente gekommen, das ich Dir dochnun, auf das feinste entwickelt, als die lehrreichste Entdeckung meiner Reise mitbringen kann. Das Vorgeben unserer großen Menschenkenner, daß jedes Mädchen – unschuldig oder nicht – in ihren eigenen Angelegenheiten dem scharfsichtigsten Manne eine Nase drehe – ist aus der Luft gegriffen, wie viele solcher Sentenzen. Versteht nur erst, ihr guten Leute, ein weibliches Herz – ohne Einmischung eures eigenen – zu entfalten, so wird euch auch keins so leicht über seinen Werth oder Unwerth betrügen! – Freilich ist es eine kitzliche Sache damit; das kann ich nicht läugnen, denn mein Beispiel beweist es zu klar. War ich nicht drauf und dran, das schuldloseste Geschöpf zu verdammen, das vielleicht in unserm Welttheile zu finden ist? – und wer hätte mich einer Uebereilung dabei zeihen können? Traten nicht so viele Anzeigen wider sie auf, die mein Urtheil vor jedermann rechtfertigen mußten? – Und doch war ich in Irrthum, und wäre es auch, ohne das letzte zufällige [46] Gespräch mit ihr, immer und ewig geblieben. Das mag wohl nicht selten der Fall bei unsern systematischen Grillen seyn. Wenn wir uns mit vieler Mühe die Augen verkleistert haben, öffnet sie uns ganz unerwartet das Geschwätz eines Kindes. Ist die Schamlosigkeit, die ich der guten Seele, nach der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes, vorwarf – ist sie bei ihr wohl etwas anders als der höchste Grad paradiesischer Unschuld? Wie lange hat es nicht gewährt eh' ich das begriffen habe! Nur die Seltenheit der Sache kann mir zu einiger Entschuldigung dienen. Bei den Wilden zwar, sagt man, fänden sich Spuren davon – aber in einem kultivirten Lande! – nach dem Sündenfalle! – ist es das erstaunungswürdigste Phänomen das sich denken läßt. Konnte ich denn nicht gleich vom Anfange Klärchens Betragen aus diesem Gesichtspunkte betrachten? Ach, wie viel geschwinder würde ich alle jene Abweichungen von dem Gewöhnlichen bei ihr enträthselt, und die undankbare Mühe erspart haben, ein so liebenswürdiges Geschöpf – bei beständigem Widerspruche meines Herzens – in meiner Vorstellung so abscheulich tief zu erniedrigen! – Aber unsre liebe, herkömmliche, Europäische Denkungsart – die doch selbst im Grunde nichts anders als Abweichung von der Natur ist – steht uns immer bei metaphysischen Auflösungen im Wege.

Drollig genug, daß ich durch ein vorgebliches Wunder hinter ein wahres gekommen bin! Aber was soll ich nun – da die Sachen bis auf diese Spitze getrieben sind – anfangen? – Auf der einen Seite – fühlt sich das fromme Kind so glücklich in dem Besitze der heiligen Steine; auf der andern habe ich alle hirnlose Köpfe – das heißt alle Einwohner der Stadt – damit erhitzt. – Wird das nicht zu den tollsten Planen und Nachforschungen Gelegenheit geben, über die eine Tugend so leicht zu Grunde gehen kann, die durch weit größere Seltenheiten die Ehrerbietung der Erde verdient? Wirklich, es wird mir ganz bange um das Herz, wenn ich das so recht überlege.

Das reizende Mädchen! wie lieb ist sie mir nicht seit einigen Minuten geworden! Ich kann es nicht ausdrücken wie lieb! Wenn ich so von meinem Bogen auf in die Höhe blicke, und diesen schönen [47] großen Augen begegne, aus denen die ganze Reinigkeit und Energie ihrer Seele wiederstrahlt – so kann ich nicht – nein! wahrlich ich kann mich nicht eines Gedankens erwehren, den mir mein guten Genius gewiß nicht umsonst so warm an das Herz legt. Bei der kleinen Margot ward er schon einmal ziemlich laut bei mir – aber Du weißt, wie flüchtig er damals und wie wenig überdacht er war. Hier aber finde ich ungleich mehr Ursachen ihm nachzuhängen. – Ernstlich, Eduard! Ich kann mir doch an den Fingern abzählen, daß ich über lang oder kurz – wie man sagt, heirathen werde; und wie wird das geschehen, wenn ich nicht zuvorkomme – als auf die gewöhnliche Weise, die so albern als mißlich ist? Hier hätte ich nun einen Gegenstand gefunden, wie ihn nur die begehrlichste Liebe eines Philosophen verlangen kann, und als keiner – ich bin es versichert – mir je wieder so vollkommen aufstoßen wird. Ich mag um ein Mädchen werben wo ich will, wird mir wohl eins seinen Körper und seine Seele so aufrichtig und so befriedigend enthüllen, als es dieß Kind gethan hat? Ach! ich werde nicht besser als andere auf geradewohl einschlagen müssen, und alles das zu spät erfahren, was doch so gut wäre vorher zu wissen. Die seltene Gelegenheit, die ich in diesem Stücke bei Klärchen gefunden – kommt mir nicht wieder. Warum will ich mich also noch bedenken? Besitzt sie denn nicht alles, was ich manchmal in Sommernächten von meiner künftigen Gattin erträumte? Und Gott! im welchem Maße besitzt sie es! Lauterkeit des Herzens – hohe Einfalt eines herrlichen Verstandes – ächte Unschuld – eine nie berührte Stimme – und einen Gliederbau, wie er nicht oft der Natur gelingt. Ihr Herkommen mag freilich nicht vornehm seyn – aber das ist auch das letzte, worauf ein Mann zu sehen hat, der seinen wahren Vortheil versteht. Ihre abergläubische und schwärmerische Religion – o die war ihr während ihres Jungfrauenstandes recht nützlich, und nach der Trauung, denke ich, will ich sie ihr schon mit guter Art aus dem Kopfe bringen. – An die heiligen Steine – mag sie meinetwegen noch eine Weile glauben – die sollen mich an nichts hindern, und ich hoffe noch manche glückliche Stunde mit ihr über ihr gütiges Zutrauen in ihre Schiedsrichter [48] zu lachen. Daß der Propst ihr mit seinen Augen und Händen so nahe gewesen – könnte mir unter jeden andern Umständen anstößig vorkommen – hier wäre es eben so lächerlich, als wenn sich einer dabei aufhalten wollte, daß ein Priester seine Geliebte bei der heiligen Taufe schon vor ihm in den Armen gehabt habe. Ohnehin – wäre es auch nur um der einfältigen Nachfragen wegen der Dreieinigkeitssteine – würde ich das Mädchen eben so wenig ihren vorigen Bekannten unter dem Gesichte lassen – als sie jemals nach Berlin bringen, das auf keine Art dieser Perle werth ist. – Nein, Eduard! fern von euern Vorurtheilen – euern Etiquetten – euerm Neide und euren Sarkasmen – will ich mit Freuden mein Abzugsgeld in die königliche Invaliden-Kasse bezahlen – und in einem weniger sandigen und undankbaren Erdstriche als dem eurigen meiner Einkünfte und meines Lebens in den Armen dieses Engels genießen, ohne mich nur nach euch umzusehen, als in den Zeitungen. Mit meinem runden Charakter, zufriedenen Herzen, und mit der philosophischen Laune, die mich nirgends verläßt, will ich das Ding, das den meisten Leuten so schwer wird, schon möglich machen, und will es in Ruhe erwarten, was Du zu dem Plane meines Glücks sagen wirst, wenn Du mich einmal, wie ich hoffe, in meinem Winkel besuchst.

Da meine Feder – wie gewöhnlich, wenn sie das Herz führt – so voll und so geläufig ist, so will ich Dir ein Projekt mittheilen, das zu gut in meine Absichten paßt, um es nicht so bald als möglich – vielleicht schon morgen – in's Werk zu setzen. – Als ich letzthin von Vauclüse zurück kam, begegnete mir nicht weit von Lille ein Mann, der, den Hut tief in die Augen gedrückt, die Arme in einander geschlagen, trocken und ernst einher schritt. Eine dänische Docke, die traurig ihm nachschlich, und nicht den Muth hatte, einen Sprung in das Feld zu thun, war sein Begleiter. Das letztere fiel mir zuerst auf. Ich denke immer nicht gut von einer Haushaltung, wo ich die Freundschaft zwischen Herrn und Hund gestört finde. Ich erkundigte mich nach diesem Fremden – erst bei einem Bettler, dem er trotzig etwas in den Hut warf, und nachher bei einigen Bauern, denen er nicht dankte, [49] als sie ihn grüßten – und so erfuhr ich gar bald seine Geschichte. Er war ein Graf aus Kopenhagen, welcher dort der Regierung einen Dienst erwies, der ihm durch eine große Geldsumme belohnt wurde. Wie es aber manchmal mit solchen Belohnungen geht sie füllen den Beutel und belasten das Herz. – Es ward ihm zu enge in der Königsstadt. – Er gab es der dicken Luft Schuld und flüchtete sich hieher, wo er in der herrlichen Gegend so laut störte, bis er ein Dörfchen fand – so freundlich und wohl gelegen, als man sonst nur in Kupferstichen zu sehen bekommt. Hier ließ er sich nieder und baute sich an. – Aber was half es? Seine Unruhe ist noch immer dieselbe, und es fehlt ihm auch hier der Athem. – Klärchen könnte ihm begegnen, er sähe sie nicht. Immer in tiefen Gedanken, sprachlos und mürrisch, starrt er die reizensten Gegenstände der Natur an, ohne Gefühl, ohne Genuß: und doch, wie ich Dir schon gesagt habe, ist der Mann reich sein eigener Herr – und machte sich schon in seiner Jugend so verdient um den Staat; denn er verrieth Struensee, der sein Freund war. Sobald er sein Haus gebaut, eingerichtet, und sein Garten in englischem Geschmacke gepflanzt hatte, stand ihm an schon alles wieder zum Verkauf, und er beut es noch aus. Ich kann gewiß einen guten Handel thun, wenn ich es ihm abnehmen und ich zweifle nicht, daß er mir auch seinen armen traurigen Hund überläßt. Was ein unruhiges Gewissen baut, habe ich immer bemerkt, ist gemeiniglich prächtig und schön; es wird nichts gespart, um das Auge zu befriedigen und durch Bequemlichkeit und Anmuth den Sinnen zu schmeicheln – und wenn die Absicht sich schlägt, bekommt es ein anderer um das halbe Geld. Dann kommt es nur darauf an, daß der zweite Besitzer ein zufriedenes Haus mit in den Ankauf bringt, um der Hoffnung habhaft zu werden die dem ersten mißlang, und das, was die Natur und die Künste gewähren, mit freudigem Dank gegen sie zu genießen. Nun kann ich wohl sagen – wenn ich vollends mein Unrecht gegen Klärchen wieder gut mache – daß ich in der Welt Gottes nicht wüßte was ich mir vorwerfen sollte. Es geht mir mit meinem Gewissen wie einem Gesunden mit seinem Magen: ich fühle gar nicht [50] es liegt. Ich habe mich immer in Acht genommen dem Staate wichtige Dienste zu leisten; und die Hypochondrie, die ich mir nur durch mein einfältiges Studieren zuzog, ist Gott sei gelobt! in der heitern Luft dieses Landes verdunstet. – Bei diesen Vorzügen, was für eine allerliebste Wirtschaft kann ich mir nicht einrichten, und welche gute Menschen um mich her versammeln! Da ist mein alter Johann – der schickt sich ganz vortrefflich zu einem Haushofmeister – und die kleine Margot wäre zur Kammerjungfer bei meiner Frau wie gefunden. Nach Klärchen wird sie immer die erste Zierde meines Hauswesens seyn, und es ist mir beinahe nothwendig, daß ich sie mir in die Nähe bringe – denn sonst geht es mir gewiß zeitlebens mit ihr, wie es unserm alten Freunde, dem Major, mit dem Neidnagel an seinem Daumen geht, der ihn noch immer schmerzt so oft das Wetter sich ändert, ob er gleich schon im siebenjährigen Kriege die Hand sammt dem kranken Finger verlor. Nehme ich nun noch – wie ich Willens bin – den Prologus und seinen Bruder in meine Dienste – so habe ich auch ein Theater, und will sicher vergnügter und glücklicher leben, als selbst Voltaire zu Fernay gelebt hat: denn ich hätte, neben allem dem was er besaß – außer seinem Genie – obendrein eine junge liebenswürdige Frau, deren er auf keine Weise werth war, und läge nicht, wie er, mit Monarchen – Schriftstellern und Buchhändlern beständig im Streite. – Herr Fez würde sich gewiß lieber, glaub' ich, todt schlagen lassen, als daß er meine erreurs herausgäbe.

Wie doch oft das ganze Gewebe eines zufriedenen Lebens an dem flatternden Faden eines Augenblicks hängt! Wohl dem, der ihn noch zu fassen weiß, ehe er entwischt. Bester Eduard! Seit ich durch das Leben schlendere – doch schon eine hübsche Zeit! – habe ich noch nicht halb so viel Wohlbehagen empfunden, als in dieser laufenden Stunde. Mein Herz ist weder trotzig noch verzagt – weder gleichgültig noch trunken; – aber es ist gerührt, zum sichersten Beweise, daß es auf der rechten Spur ist. Durch wie manche unmuthige Jahre und manche Irrthümer des Verstandes, theuerster Freund, habe ich mich nicht durcharbeiten müssen, [51] ehe ich an dem großen Rade meines Schicksals den Punkt traf, auf dem alles beruht! Wie froh bin ich, daß ich jene windschiefen Anlagen unserer bürgerlichen Verfassung hinter mir habe, in denen ich so lange den Plan meines Glücks suchte! Mein Gott! wie viel verderben wir nicht Zeit, um richtig sehen zu lernen! Es liegt doch so wenig Belohnendes und dabei so viel Unedles in allen den leidenschaftlichen Blicken, die wir bald in diesen bald in jenen magischen Spiegel thun, in der Hoffnung es werde noch Einer, statt leerer Schatten, uns eine selbstständige Zufriedenheit zurück strahlen – daß es kaum zu begreifen steht, wie sich so mancher vernünftige Mann länger dabei herum treiben kann, als nöthig ist um ihn von der Eitelkeit seines Bestrebens zu überzeugen. Diese Ueberzeugung muß doch gewaltig schwer seyn, da sie, trotz der ewigen Beispiele, so wenig Menschen eher gelingt, als bis ihre Laufbahn geendigt und es zu spät ist. Warum, ich bitte Dich, unterscheiden wir das Glück durch Beinamen? – Giebt es denn, wenn wir philosophisch auf den Grund sehen, mehr als Eine Art? – Häusliches Glück ist auf dieser Welt das einzige, was der Mühe lohnt. – Alle übrige Spielarten sind eben so viele Aftergeburten, die einzeln nirgends hinreichen, und nicht verdienen den Stammnamen zu führen, ehe sie nicht mit jenem auf das genaueste verknüpft sind.

Wollen wir unserm Stolze und unsern leidigen Vorurtheilen nicht das Wort reden, so müssen wir alle über die Zusammensetzung menschlicher Glückseligkeit darin übereinkommen, daß sie in nichts anderm bestehe, als – in einer einfachen Lebensart – einem mäßigen Auskommen – einer leidlichen Gesundheit, und in den Freuden und Folgen einer keuschen Liebe. In meiner Jugend, wo ich mich stark auf die Physik legte, konnte ich es lange nicht ausgrübeln, woher wohl die Temperatur meiner Studierstube käme? ob davon, daß die Wärme hinauszog? oder davon, daß die Kälte herein drang? Nun kann ich es zwar auch jetzt noch nicht auf das schärfste demonstriren; aber so viel habe ich doch gemerkt, daß man wohl thut beides anzunehmen und darnach zu handeln, wenn man frei und gesund athmen will. Denselben Versuch werde [52] ich für das Künftige auch auf mein geistiges Daseyn anwenden – und es müßte nicht gut seyn, wenn ich nicht zuletzt – wo nicht nach der Theorie, doch nach der Erfahrung – den Grad von Behagen herausbringen wollte, der den Organen meiner Seele am angemessensten und zuträglichsten ist. – O Klärchen! Was hätte ich nicht alles in dir verloren, wenn ich nicht, selbst noch auf der letzten Linie, die schon zu unserer ewigen Scheidung gezogen war, schnell umgekehrt wäre – wenn ich mein Endurtheil über dich nicht wieder zurük genommen, und mich nicht zu einer Denkungsart ermannt hätte, die zu deinen ungewöhnlichen Tugenden paßt, und wie ich sie gegen Gott und die Welt verantworten kann! – Dank sei dem ewigen Urheber der Natur, der dich in dem Raume meiner Zeit werden ließ, und das seltenste Geschöpf seiner Hand für einen guten Mann aufhob!

Bastian soll in Gottes Namen die Postpferde wieder aufsagen. Der Reisepaß, den mir der Domherr mitbringen wird, kann noch einige Tage liegen, bis ich meine Angelegenheit mit dem dänischen Grafen und mit Klärchen in Ordnung gebracht habe. Nach Tische will ich mit dem Engel sprechen, und mich ohne weitern Aufschub ihrer lieben, kleinen, schreckhaften Hand versichern. – Es wird eine rührende Scene geben. Sie, die nichts im geringsten von dem Glück ahndet, das ihr bevorsteht – wie wird sie nicht über den schnellen Uebergang aus der Aufsicht einer grämlichen Tante in die Arme ihres Wunderthäters erstaunen! Ihres Wunderthäters? Nun das wollen wir weiter nicht rügen! Ein liebendes Weib, Eduard, ist wie das Reich Gottes. – Trachtet am ersten nach diesem, so wird euch das übrige schon zufallen. Auf die Fortsetzung meiner frohen Gemälde mußt Du nun in Geduld warten, bis die Tafel aufgehoben seyn wird. – Geht es mir selbst doch nicht besser. – Jetzt muß ich dem Domherrn entgegen gehen, den ich die Treppe herauf kommen höre – – –


Mein Abschiedsschmaus ist beinahe vorbei. Ich habe mich von der muntern Gesellschaft, die noch um den Tisch sitzt, weggestohlen, um Dir alles noch frisch aus dem Gedächtnisse zu erzählen, wodurch[53] sich dieses Fest vor andern auszeichnet, und um erst alle Nebendinge bei Seite zu schaffen, ehe ich in der Geschichte meines Herzens den Faden wieder aufnehme.

Daß mir der Domherr meinen Reisepaß und eine Quittung über das unverbrennliche Blatt, nebst der Lossprechung von allen Schäden und Unkosten, mitbrachte, versteht sich. Er übergab mir eins wie das andere im Namen des Legaten, unter wiederholter Versicherung seines Dankes und seiner Ehrerbietung, während Bastian meine Tafel anordnete, und ein so prächtiges Versöhnungsmahl auftrug, als es je eines gegeben hat, und das gewiß der Einweihung eines jeden Wunders würde Ehre gemacht haben. – Du verlangst wohl nicht, daß ich Dir, von der Suppe an bis zum Desert, jede Schüssel beschreibe? – Genug! der Speisewirth hatte sich angegriffen, da er hörte, daß die Gerichte für einen so wichtigen Mann als mich – und zu der Glorie der heiligen Dreifaltigkeitssteine bestimmt wären. Nur über den Wein, den wir tranken, mußt Du mir erlauben ein Wort zu sagen.

Bastian hatte ganz meinen Willen, und, wie ich bald nachher sah, auch den Geschmack meiner Gäste getroffen. Außer einem feurigen Burgunder, mit dem er mich mein Gastmahl eröffnen ließ, durfte ich auch nicht fürchten, wie auf der Hochzeit zu Canaan, mit einem schlechtern zu enden; denn es warteten schon auf einem Nebentische eben so viel andere FlaschenVin de Sillery auf die Auswechselung, die ihnen bevorstand. Ehe noch dieser herrliche Wein an die Reihe kam, empfahl er sich schon, als ein alter guter Bekannter, meinem Gedächtnisse. Er erinnerte michscherzend an die Wirkung, die er den Abend auf mich that, wo ich den ersten Sturm auf Klärchen wagte, den die fromme Tante so unfreundlich abschlug. Eben so ernst aber erinnerte er mich auch an den Augenschein, den er mir damals von der strengen Zucht verschaffte, in der mein Klärchen stand – die mir eine so beruhigende Rücksicht als glückliche Aussicht gewährte, und für die nur Gott unsere gute Alte belohnen kann. Wie viel mag die rechtschaffene Frau nicht Liebhaber vor der Thüre dieses Engels so gut abgewiesen haben wie mich. Ich sehe sie noch in Gedanken mit ihrem Wachsstocke [54] vor mir stehen, und überlege jetzt mit billigerm Gefühle alle die eindringenden Worte, die meine wilde und nach Verdienst bestrafte Leidenschaft so übel aufnahm, ob sie gleich nichts enthielten als Klärchens Lob. Unter diesem Selbstgespräche im Angesichte meiner Flaschen hob ich eine davon in die Höhe, um die gedruckte Etikette zu lesen, die daran war. – Gewiß habe ich nie eine mit mehrerer Achtung gelesen. Denke Dir nur, ich fand auf ihr den Namen einer Frau, die, nicht minder tugendhaft als unsere Bertilia, ihre Nichten auch eben so sorgfältig erzieht – einen Namen, der vor vielen der trefflichsten Schriften steht, wie hier vor dem geistreichsten Getränke – mit Einem Worte, den Namen der ehrwürdigen Genlis, die, wie Du vielleicht nicht weißt – die besten Rebenberge von Sillery im Besitz hat. Wohl dem, der einen guten Ruf vor sich her trägt! – Eine Weinflasche sogar, die uns darauf zurück weist, kann dadurch einem verständigen Manne interessant werden. Als ich nachher bei Tische meiner kleinen Unschuldigen das erste Glas davon weihte, war mir wirklich, als hätte ich es aus dem heiligen Brunnen der Vesta geschöpft, um eine ihrer schönsten Dienerinnen damit zu laben. Doch wenn ich so fortfahre, möchte wohl am Ende meine Erzählung nicht undeutlich verrathen, wie bunt es alleweile in meinem Kopfe aussieht; und doch darf ich mit gutem Gewissen es nicht einmal dem Weine Schuld geben, den ich lobe – denn Du mußt wissen, Eduard, daß, wenn ich eine Gesellschaft bewirthe, welche Aufmerksamkeit verdient, ich bei so vielen Eigenheiten auch die an mir habe, daß ich den Wein kaum koste, den ich meinen Gästen in vollen Gläsern zubringe, weil ich immer gefunden habe, daß der Geist meiner Flaschen geschickter ist als mein eigener, um den ihrigen zu entwickeln, und mir das Spiel des menschlichen Herzens frei zu geben, in dessen Beobachtung ein Kopf wie der meinige ein ungleich größeres Vergnügen findet, als in seiner Berauschung. Der schöne Plan meiner Zukunft, mit dem ich mich zu Tische setzte, erwärmte auch ohnehin mein Blut zur Genüge. – Alles was ich sprach, sah und hörte, und aus meinen Bemerkungen abzog – hatte immer einen geheimen Bezug auf ihn. Zuerst fing ich an für mein Hoftheater zu sorgen. – »Ein so [55] festlicher Tag als der heutige,« wendete ich mich an meinen Nachbar, indem ich ihm zugleich ein Glas Vin de St. George reichte, »sollte alle Feindschaften aufheben – alle Gefangenen los und ledig lassen. – Allen Sündern« – übersetzte ich ihm aus Schiller – »soll vergeben, keine Hölle soll mehr seyn.« – »Das ist recht!« erwiederte mir der Domherr, und stürzte das volle Glas hinunter, das ich ihm geschwind wieder füllte, um ihn nicht lau werden zu lassen. – »Sie sehen,« fuhr ich nach dieser Einleitung fort, »hinter ihrem Stuhle« – er sah sich um und erkannte die Puppenspieler – »ein paar Unglückliche, die ehemals, ich will nicht sagen wie zweckmäßig – mit lebendigen Personen die Hölle – und das Paradies mit Puppen vorstellten, und sich durch beides – wie es voraus zu sehen war – den Haß Euer Hoch-Ehrwürden zuzogen. Wie lange ist es nicht schon her, Klärchen, daß die armen abgesetzten Teufel Ihretwegen im Elende schmachten? Bitten Sie mit mir Ihren würdigen Nachbar, daß er die Strafe aufhebe. Es ist einem Manne in Purpur so anständig, Gnade für Recht ergehen zu lassen..« – Hier schlürfte der Prälat mit stolzem Hinblick auf seinen Mantel das dritte Glas langsam über die Zunge, und ich fuhr schon traulicher fort: – »Ja, bester Freund, thun Sie es mir zu Liebe! Wirken Sie den beiden Brüdern – wäre es auch nur weil sie bei dem heutigen großen Wunder an meinen verschlossenen Thüren auf der Wache standen – ihren Abschied aus! Keiner, der zur Zeit einer heiligen und übernatürlichen Erscheinung auf dem Posten gestanden, sollte nachher noch zu gemeinen Diensten erniedrigt werden, wenn sie auch dem Staate noch so nothwendig wären. Das besagen selbst die kanonischen Rechte, und es schlägt sogar, lieber Herr Domherr, ein wenig in die Immunitäten der Geistlichkeit ein. Für das ehrliche Unterkommen dieser Leute übrigens wollen Wir« – kam mir der Pluralis in geheimer Beziehung auf meine Nachbarin in den Mund – »schon sorgen;« aber ich lenkte eben so geschwind wieder ein: »Ich, theuerster Mann, wollte ich sagen, will schon sorgen, daß ihnen so leicht kein Kind in den Weg kommen soll.« – Der Domherr nahm ein Amtsgesicht an. – »Das wäre wohl alles ganz gut,« antwortete er mit vieler [56] Behutsamkeit: »aber wir müssen die Sache doch erst aus ihrem rechten Gesichtspunkte betrachten. – Das ist meine Art so. Die Leute da – stehen in päpstlichem Solde. – Ihre Bestrafung gehörte zwar wohl in mein Fach, aber nicht ihre Begnadigung.« – »O,« fiel ich ihm ruhig in's Wort, »das Militär des heiligen Vaters – so wie auch ihr Hauptmann, der sie der Armenkasse abkaufte, sollen nicht im mindesten dabei zu kurz kommen. – Seine Auslage – so weit sie nicht schon abverdient ist – bin ich erbötig ihm von meinen eroberten Proceßkosten zu ersetzen: und wenn der Hauptmann sein Handwerk versteht, wird er mit beiden Händen zugreifen; denn ich dächte man sähe den guten Leuten die Schwindsucht so ziemlich schon an, die ihnen ohnehin die Bärmützen bald abnehmen wird.« – »Ja, wenn das ist,« besann sich der geistliche Herr, »so ist mir selbst zu viel daran gelegen, nur freundliche Gesichter in meinem heutigen Zirkel zu sehen, als daß ich nicht gern eine Sache vermitteln sollte, die mir im Grunde ganz gleichgültig ist; ob ich gleich nicht begreife, wodurch sich diese leichtsinnigen, liederlichen Bursche..« – Hier fielen die beiden Brüder dem gestrengen Herrn so demüthig zu Füßen, daß er inne hielt, und nicht das Herz hatte ihr Porträt auszumalen; vielmehr entstand nun, durch sie, ein Streit der Großmuth unter uns beiden; denn der Prälat wies sie mit ihrem feurigen Danke an mich. Da ich aber ohnehin überzeugt war, daß ihr Gefühl sich nicht irre, so verbat ich alle unnöthige Aeußerungen desselben, und, indem ich den Prologus abschickte, um eine der Flaschen mit der vornehmen Aufschrift – den Epilogus aber, um frische Gläser zu holen, drückte ich zugleich meiner heimlichen Braut, voller Vergnügen über dieß erste, für unsere Haushaltung gelungene Geschäft, zärtlich die Hand, und sah im Geiste schon die Lichter auf unserm Theater brennen. – »O, du liebe kleine Unwissende!« richtete ich meine süßen Gedanken an sie, »wie will ich alle schöne Künste zu deiner Unterhaltung und zur Bildung deiner Seele aufbieten! Wie wirst du deine mächtigen blauen Augen aufreißen, wenn ich dir an manchem fröhlichen Abende auf meiner kleinen Bühne die Scenen der großen Welt und die Thorheiten der Höfe zur Schau stelle, wovon du[57] noch keinen – zum Glück für deinen Zeitvertreib – noch keinen Begriff hast; denn wärest du damit schon so bekannt wie ich, würden sie dir nur Langeweile verursachen. – Für geputzte Drathpuppen, und was sonst von Dekorationen dazu nöthig ist, will ich schon sorgen. Habe ich doch meinen Eduard dort, der mir zu Liebe die Lieferung gern über sich nehmen, und darauf Acht haben wird, daß sie auf das getreuste nach der Natur kopirt werden. Es ist eine leichte Sache, daß er sie mir alle Jahre erneuert; so verlör ich selbst – noch so fern vom Hofe – keine Veränderung, die unter den Hauptpersonen vorfällt, und könnte sonach, mit Beihülfe der öffentlichen Blätter, der Illusion und meiner Vorkenntnisse, immer noch mit meinem lieben Vaterlande in einiger Verbindung bleiben. – Das wenige, was allenfalls mir ein Heimweh verursachen könnte, wirst du, bestes Mädchen, mir zehnfach ersetzen. Wie werden mich nur allein deine kindischen Erinnerungen an die vorigen Zeiten ergötzen, wenn – wie ich mir launig ausgedacht habe – derSündenfall unser Theater eröffnen soll, über den du – wie wir alle – deine Semmel vergessen, und aus dem sich – nicht anders als bei uns – alles dein Glück und Unglück entsponnen hat! Das zweitemal sollst du dieses herrliche Stück nicht bloß von der hintersten Bank aus lorgniren – das verspreche ich dir, armes gutes Kind!«

Es ist doch gewiß, Eduard, daß die Hoffnungen der Liebe auch der gemeinsten Sache einen eigenen Reiz geben! Ich glaube, mein Herz hätte noch eine Stunde mit seinem kleinen Abgotte so forttändeln können, ohne es müde zu werden! hätte nicht der belobte Wein, der nun aufgesetzt war, mich an meine Gäste erinnert. Mit allen den verborgenen Kräften, die der Geist der Natur in ihn gelegt hat, stand er freundlich in unserm Kreise, und wurde nun ... Ja freilich, wenn ich mir es bequem machen wollte, dürfte ich Dir jetzt nur in zwei Zeilen sagen, wie viel Flaschen davon getrunken wurden, und Du müßtest wohl damit zufrieden seyn. Mancher andere würde glauben sich an der Präcision zu versündigen, wenn er ein Wort mehr darüber verlöre. In seinem Tagebuche kann er auch wohl Recht haben – das will ich ihm nicht abstreiten.[58] In dem meinigen aber ist es, glaube ich, schon nothwendiger, daß ich die Mühe der Pünktlichkeit, die ich bis jetzt nicht gescheut habe, am wenigsten bei dieser Gelegenheit aus der Acht lasse, und jedes einzelne Glas, das meine Gäste tranken, mit meinen Anmerkungen begleite, um Dir den Stufengang der Empfindungen auf das genaueste zu schildern, die es in ihren Seelen erregte, da es doch sicher und gewiß ist, daß für einen Beobachter auf dem Grund einer Flasche ganz andere Erscheinungen liegen, als in der Nähe des Stöpsels, und daß man sehr übel thun würde, sie unter einander zu mengen. Aus dem Schaume des ersten Glases – wenn ich anders richtig gesehen habe – breitete sich ein Schimmer natürlicher Fröhlichkeit aus, der, nach meinem Urtheile, den beredtesten Dank für die Wohlthaten Gottes enthielt. Klärchen sah dabei allerliebst aus. Das zweite entwickelte zu meinem Vergnügen jene Lebhaftigkeit des Geistes, die uns zu witzigen verwegenen Scherzreden oft herzhafter macht als es gut ist. Der Prälat brachte zuerst eine hervor, die für diejenigen, die den kühnen Schwung davon einsahen, viel Salz hatte. Die fromme Bertilia selbst ward ganz munter darüber; für ihre unschuldige Nichte freilich war das feine Räthsel so gut wie verloren, und mir ward schon angst, wie ich auf eine gute Art dem fröhlichen Drange ihres Bluts einen Ausgang verschaffen sollte, als ihm glücklicher Weise der Epilogus Luft machte. Er reichte ihr zwar nur einen Teller – aber wenn das Gemüth einmal zur Freude gestimmt ist, bedarf es auch nur einer Kleinigkeit um ihr Spiel in Bewegung zu setzen. Es fiel ihr, wie sie uns zur Entschuldigung sagte, seine komische Figur vor ihrem Bette zu Cavaillon, und ihr kindisches Schrecken ein, das ihrem Bedürfnisse zu lachen jetzt ungleich besser zu Statten kam, als damals ihrem Bedürfnisse zu schlafen. Ich kann Dir nicht sagen, Eduard, wie gut ihr diese kleine körperliche Erschütterung stand! Es war das erstemal, daß ich die Perlen ihrer Zähne, wie an eine Schnur gereiht, zu sehen bekam, und es war zu verwundern, wie, nach so vielen Entdeckungen in dem Gebiete ihrer Schönheit, mich diese noch so angenehm überraschen konnte. Diesen hübschen Anblick, dachte ich, willst du dir oft verschaffen; und um ihn mir [59] auch jetzt noch eine Weile zu erhalten – schenkte ich geschwind – Reihe herum noch einmal ein, und gewann dadurch – zwar nicht gerade was ich hoffte – aber dafür einen Anblick von einer – wenn es möglich ist – noch lieblichern Art. – Die funkelnden Augen meines Klärchens und des Domherrn geriethen an einander. – Das alte Mißverständniß des geistlichen Herrn, der bis jetzt noch immer ein wenig vornehm und zurückhaltend gegen seine schöne Nachbarin geblieben war, schien schnell dem holden Gedanken der Vergebung zu weichen. Er schlürfte seinen Wein mit bedächtigerm Hinblick auf das sanfte Spiel der Wellen hinunter, die den heiligen Nicaise höchst malerisch schaukelten, und gerieth dabei, wie es mir vorkam, in jenes gutmüthige Erstaunen, das unserm großen Friedrich so oft in die Augen steigt, wenn er eine beim Antritte seiner Regierung magere und kahle Gegend – angebaut und in blühendem Zustande wieder sieht. Er reichte seiner ehmaligen Pflegetochter die Hand, die, äußerst gerührt, mir sogar die ihrige entzog, die ich zärtlich in der meinen gefangen hielt, um ihm mit beiden für die Wiederkehr seiner väterlichen Liebe dankbar zu schmeicheln.

Es war, wenn Du mir nachrechnen willst, das zwölfte und letzte Glas der einen Bouteille – (hier, mußt Du wissen, ist in allem größer Gemäß als zu Berlin) – das mir zu dieser höchst rührenden Scene verhalf. Gott sei gelobt und gepriesen, daß es nicht auch die letzte Flasche war! In der zweiten, die ich mir zur Fortsetzung meiner stillen Bemerkungen geben ließ, lagen noch ganz andere Erscheinungen verborgen. Der gelüftete Pfropf flog mit einem Knalle – der in der Welt schon manches Mädchen erschreckt hat, und dem Ohre eines Kenners so wohl thut – an die Decke, und der Wein hielt, was sein Herold ankündigte; denn zweimal mußte ich geschwind hinter einander die Flötengläser Reihe herum füllen, um dem tobenden Schaume seinen Willen zu thun, ohne in diesen theuern Minuten Zeit zu haben auf meine Gäste zu achten. Desto mehr überraschten sie mich, als ich meine Flasche neben mich setzte, und mich nach ihnen umsah. Ach, mein Gott! wie hoch waren inzwischen nicht ihre Empfindungen gestiegen! – Ich erstaunte über die unglaubliche Veränderung, die ich antraf. Ist [60] das mein Klärchen, fragte ich still vor mich hin, die so freundlich den unzähligen Küssen zusieht, die der entzückte Prälat ihren Händchen aufdrückt? – Sind das die Augen eines Kindes, das sich gegen seinen Vater entschuldigt? Sind das die Blicke eines beleidigten Wohlthäters, der seiner Pflegetochter verzeiht? Hurtig! sagte ich zu mir selbst, schüttelte meine Bouteille, und füllte auf's neue die Gläser bis an den Rand; und nun sah ich noch deutlicher, wie weit das Geschäft ihrer Versöhnung gediehen war. Sie konnten schon nicht mehr das Glas mit Vergnügen trinken, wenn es nicht unter ihnen ausgewechselt und von den Lippen des andern berührt war. Erst alsdann stürzten sie es – mit buhlerischem Gelächter, sage ich Dir, stürzten sie es hinunter, und der Traum – ach Gott, wie soll ich meine Schamröthe verbergen? – der Traum meiner häuslichen Glückseligkeit war dahin! Die Wiedervereinigten achteten nicht mehr der Augen, die sie belauschten, noch der aufmerksamen Ohren, die ihnen zuhörten. Sie verhandelten ihre Angelegenheiten so offen, daß der Prologus und sein Bruder mich anlächelten, und mir fragend zuwinkten, ob sie nicht recht gehabt hätten? – O, ja! ihr guten Leute, dachte ich, ihr habt nur mehr als zu wahr gesprochen. Und da ich sah, daß der Domherr nicht aufhörte dem lachenden Mädchen in die Ohren zu flüstern – die Perlen ihrer Zähne immer näher betrachtete, und mir sogar für die Sicherheit des Orts bange ward, der die heiligen Steine verwahrte, so fing ich – nicht mehr für mich, das wirst Du mir zutrauen – aber für die armen Puppenspieler fing ich zu fürchten an. Wenn er, sagte ich heimlich zu mir, das Glas noch trinkt, bei dem ich eben im Einschenken war, so bist du um dein gutes Werk, und deine Hofakteurs sind auch noch um ihren Abschied betrogen, wie sie es schon um ihr neues Theater sind. Ich faßte, Herz – zog das Glas zurück, und – »Sie dürfen es wahrlich nicht eher trinken, lieber Mann,« sagte ich, »bis Sie meinen Grenadieren ihre Entlassung zur Stelle gebracht haben. – Alsdann aber trage ich Ihnen auch dafür noch zwei – drei Bouteillen von diesem guten Weine auf, der Ihnen nur desto besser schmecken wird, wenn Ihnen kein anderes Geschäft mehr abzuthun bleibt [61] als Ihr eigenes.« – Diese kurze, unversehene Anrede brachte ihn auf die Beine. – »Gut, gut,« sagte er, »davon will ich bald genug wieder zurück seyn. Hüten Sie mir indeß das Glas, liebes Klärchen, das ich stehen lasse,« – und so küßte er noch einmal ihre Hand, nahm seinen Hut und ging.

Jetzt, dachte ich, wird sich das Mädchen besinnen, und von Scham vor deinen Augen vergehen. – Aber ich dachte nicht klüger als vor drei Stunden, als ich mit ihr in der Bibliothek war. – »Das ist heute,« drehte sie sich zu mir, »ein glücklicher Tag. Der gute würdige Herr! Wir haben uns über das Vergangene besprochen. – Er hat mich tausendmal um Verzeihung gebeten, und wir sind nun bessere Freunde als jemals. Und wissen Sie wohl,« wendete sie sich gegen ihre Tante, »ich ziehe noch diesen Abend zu ihm? – Er verlangt es durchaus. – Wenn Sie also, meine Beste, so gut seyn wollten, mir mein Paket zusammen zu schnüren..« – »Siehst du wohl,« fiel ihr die Tante in's Wort, »daß ich Recht hatte, wenn ich Dir manchmal Behutsamkeit anrieth, und. Dir die Rückkehr Deines alten Freundes wahrsagte? Ich verstehe, Gottlob! den Rummel.« – »Ganz gut!« antwortete ihre unbefangene Nichte: »aber ohne die Vermittlung dieses fremden Herrn,« o, wie gab mir ihr Lob einen Stich in das Herz! »wer weiß, wie lange Ihre Prophezeihung noch außen geblieben wäre!« – »Uebrigens,« fuhr die Alte fort, »wüßte ich nichts was ich lieber zuschnürte als Dein Paket; denn der Propst schien heute grausam aufgebrach über Dich wegzugehn, und ganz sicher müßte ich wieder in das Spital wandern, wenn Du meine einzige Nichte wärest.« – Mit diesen Worten, die ich mit einer Verschämtheit anhörte, die Dir einem Menschen wohl zutrauen darfst, der weder in Berlin noch anderwärts – und auch hier ganz unschuldig, in so ein Haus gekommen, stand das scheußliche Weib auf, wodurch sie meinen Augen gewiß keinen Possen that. Indeß beunruhigte mich ihre Entfernung auf einer andern Seite, da ihre schöne Nichte, die ich von Abscheu nicht mehr ansehn konnte, wieder mit mir allein blieb. Doch mein Freund, der Zufall schlug sich auch dießmal in's Mittel. Indem die Alte zur Thür hinaus trat, war Bastian im Hereintreten [62] – »Herr Fez,« rief er mir zu, »bittet sich die Erlaubniß ...« »Geschwind laß ihn ein,« fiel ich ihm in's Wort; und der wackere Mann näherte sich mit einer tiefen Verbeugung. Wir haben uns immer, wie Du weißt, mit halben Worten verstanden – so auch jetzt. – »Ich habe nicht versäumen wollen, an diesem frohen Tage..« – »Ja wohl, ja wohl, lieber Herr Fez! Glücklicher habe ich in meinem Leben noch keinen..« – »Könnte ich denn nicht, mein Herr, das unverbrennliche..« – »O, das Wunderblatt! das sollen Sie gewiß.. Aber jetzt nehmen Sie nur Platz, lieber Herr Fez, – hier, neben Klärchen – und Sie, liebes Kind, bringen Sie doch dem Herrn das Glas zu, das vor Ihnen steht!« – Ohne sich zu besinnen, reichte sie es ihm, so wie es ihr der Domherr zu hüten gegeben hatte – und mit der sichtbarsten Freude nahm er es aus ihrer Hand. Und ich, Eduard, freue Dich, bekam dabei einen Einfall, der, wenn er auch sonst nichts werth ist, Dich doch wenigstens über meine aufrichtige Verachtung für dieses Geschöpf vollkommen, wie ich hoffe, beruhigen soll. – »Sie haben,« redete ich den Buchhändler an, »immer so viele Achtung und Liebe gegen das fromme Kind gezeigt, das Sie unter Ihren Augen aufwachsen sahen, daß es Ihnen gewiß eine herzliche Freude machen wird, zu erfahren, wie hoch zu Ehren ... Doch, liebe Kleine!« unterbrach ich mich selbst, »es fällt mir schwer auf's Herz, daß ich vor meiner Abreise noch vieles zu berechnen habe. – Sie könnten mir ja wohl die Erzählung abnehmen, die dem Herrn Fez aus Ihrem Munde viel lieblicher klingen wird als aus dem meinigen. Zeigen Sie doch dem wackern Manne den Ort, wo das berühmte Buch stand – und seyn Sie.. trinken Sie aber noch erst jedes ein Glas von meinem freundlichen Weine – ein wenig gefällig gegen seine Neugier. Ich habe – Sie wissen wohl, liebes Klärchen, noch mancherlei kleine Ansprüche an Sie – und kann sie wirklich nur gern an einen Mann abtreten – dem ich so vielen Dank schuldig bin, als dem Herrn Fez. – Hauptsächlich aber, bitte ich Sie, in Erwägung zu ziehen, daß zur Ausbreitung eines Wunders die Freundschaft eines Buchhändlers der sicherste Weg sei.« Meine [63] Vorstellung machte Eindruck bei ihr, wie bei einem Gelehrten. Sie dachte jetzt nur an ihre Legende, stürzte ihren Wein hinunter, und trat voller Begeisterung der wartenden Nachwelt entgegen.

Es ist mir zwar nicht mehr möglich genau nachzukommen, das wie vielste Glas es war, das sie zuletzt trank; aber so viel kann ich, nach der leichten Art, mit der sie mein Vorwort zu Gunsten des Herrn Fez aufnahm, doch berechnen, daß ein Gemisch darin müsse gegohren haben, vor dem schon jedes nicht ganz verlorne Mädchen den stärksten Ekel verrathen würde, ehe sie es an den Mund brächte. Und dieses Geschöpf – rief ich ihr nach, wie sie dem armen Fez den Weg wies – konntest du, durch eine Kette von Sophistereien, deinen besten Wünschen so nahe bringen? konntest – ohne betrunken zu seyn – das Ideal einer würdigen Gattin in ihr entdecken, und hast es bloß einer Flasche Champagner zu danken, daß du deinen Freunden – daß du dir selbst nicht verächtlich, und das Gelächter des ganzen Comtats wirst? Was wäre aus dir geworden, wenn die Heuchlerin deinen schon gefaßten Entschluß errathen – deine Händedrücke besser verstanden, und dir selbst die Gläser eingeschwatzt hätte, die du ihr zutrankst! – O, was für ein armseliges Ding ist es um den menschlichen Verstand! und wie begreiflich wird es mir in dieser Nachmittagsstunde, daß so viele tapfere, gelehrte und würdige Männer von meiner Bekanntschaft – ich müßte ein Ries Papier an ihren Namen verschreiben – das eheliche Eigenthum einer Buhlerin wurden! Arme dänische Docke! du würdest noch einen unfreundlichern Herrn an mir bekommen haben als dein jetziger ist! Und du, mein Johann, und meine gute Margot, in was für eine verstörte Haushaltung hätte euch mein trauriges Geschick bringen können! O, daß ich nie dieser entscheidenden Stunde vergesse! sie jedesmal in meinem Tagebuche nachlese, wenn mich ein frisches unschuldiges Gesicht in solche Lavaterische Trugschlüsse verwickelt, und mir je wieder die Luft ankommt, meine verwegene Hand an eine schreckhafte zu schmieden! Bastian mag mich so oft an seine Schwester erinnern, als ich eine Kammerthür zuriegeln will, und der Prologus und Epilogus mögen so lange meine Leibwache bleiben, als ich noch einer Wache [64] benöthigt bin; und damit ich endlich einsehen lerne, daß Unschuld und Paradies längstens zum Teufel gingen, sollen sie mir von Zeit zu Zeit ihre Knittelverse vordeklamiren, in denen wahrlich mehr Menschenverstand liegt, als in allen Trauungsformeln und hochzeitlichen Reden.

Während daß die Schöne die Verbindlichkeiten, die mir Herr Fez auferlegt hatte, in dem Maße als sie es werth waren erwiederte – mich an meinem stolzen Feinde, dem Probst, rächte, und dem heuchlerischen Domherrn den ersten Unterricht vergalt, den er ihr, wie es der nun klar ausgesponnene Faden seiner Geschichte bewies, in der Kunst zu betrügen gegeben, freute ich mich über das schöne Verhältniß der Belohnungen und Strafen, die hier der Gott meiner Ode, der Zufall, vertheilte, und dankte ihm herzlicher als jemals für das nicht zu berechnende Gute, das er mir, seitdem mein Mund ihn besang, in dem päpstlichen Gebiete erwiesen.

Ich sah nach meiner Uhr. Wenn du heute noch über die Gränze willst, sagte ich mir, so hast du keine Zeit mehr zu verlieren, und ich pfiff meinen Leuten. »Dort, Bastian, neben dem schlafenden Engel, liegt mein Reisepaß. – Trage ihn auf die Post, und bestelle mir sechs tüchtige Pferde, damit ich vom Flecke komme! – Und nun ein Wort mit euch beiden andern – In der Hoffnung, daß ihr ehrliche Bursche seid – vielleicht die letzten, die noch hier sind, und die Gott noch aus diesem Sodom zu retten gedenkt, ehe er es unter Feuer und Schwefel begräbt – will ich euch in meine Dienste nehmen.... Laßt mich ausreden und erspart euern Dank! Nun ist es aber – ohne daß ich weiter mit euch Staat zu machen gesonnen bin – nicht möglich, daß ihr mich in diesen päpstlichen Lumpen begleitet; denn alle Leute müßten glauben, ich hätte den heiligen Vater ärger gelästert, als Doktor Luther, und man führte mich deßwegen als Gefangenen nach der Engelsburg oder nach der Inquisition. Eben so wenig ist es meine Gelegenheit, so lange noch hier zu verweilen, bis eine Livree für euch fertig seyn kann – ich sehe also kein anderes Mittel, als daß ihr euch bei dem ersten besten Schneider in Ordnung bringen [65] laßt, und mir nach Marseille nachkommt.« – »Ach mein gütiger – ach mein großmüthiger Herr!« nahmen hier die beiden Brüder einander das Wort aus dem Munde. »Sollten wir,« fing der Prologus an, »ohne Ihren Schutz nur eine Stunde länger hier bleiben müssen – so ist,« setzte der Epilogus nach, »Ihre gute Absicht so gut wie verloren.« – »Müßt ihr denn beide zugleich sprechen?« fragte ich ungeduldig; und nun schwiegen sie aus Höflichkeit beide, bis ich dem ersten befahl, seinem Range nach fortzufahren. – »Wir haben hier von unsern glücklichen Zeiten her,« nahm er das Wort für seinen Bruder mit, den er treuherzig anblickte, »noch einige Schulden – die würden sicherlich aufwachen, und uns auf's neue in's Gefängniß bringen, wenn unser Abschied bekannt würde; denn wenn der Soldatenstand auch sonst zu nichts gut wäre, so ist er es doch darin, daß man seine bürgerlichen Schulden nicht zu bezahlen braucht, so lange man Uniform trägt. Aber ich wüßte wohl einen Ausweg. Bei dem getauften Juden, mit dem auch Sie einigen Verkehr hatten, stehen seit jener Zeit ein paar ganz neue Anzüge, noch nicht für den halben Werth versetzt. – Wir gedachten sie – aber es kam nicht dazu – bei einem Vorspiele zu gebrauchen. Wenn Sie uns nun – bester Herr, behülflich wären sie einzulösen, so wären wir auf einmal gekleidet, und die Farben würden sich nicht übel zu Ihrer Equipage schicken.« – »Und was wären denn das für Anzüge?« fragte ich. – »Es sind,« antwortete der Narr, »ein paar Masken; die eine für mich, stellt einen Satyr, die andere für meinen Bruder, den Jocus vor.« – »Nein! das ist nichts, ihr guten Leute,« antwortete ich lachend. »Ich reise inkognito – und auch ihr müßt euer voriges Handwerk in meinem Dienste vergessen lernen. Aber ist denn,« mußte ich schreien, weil eben mit allen Glocken in die Vesper geläutet wurde, »keine Trödelbude hier?« – »O, mehr als Eine!« antwortete er. – »Nun!« sagte ich, »so geht denn gleich hin, und stoppelt euch in der Geschwindigkeit etwas zusammen, das einigermaßen zu meinen Farben paßt. – Ein grauer Rock – eine rothe Weste – das ist vor der Hand genug, wenn auch übrigens keine Achselbänder dabei sind.« – Ich gab ihnen Geld zu dem Handel, und [66] die beiden Brüder sprangen fort, als wenn ihnen das Unglück nachsetzte. Jetzt wäre es ein Spaß, dachte ich, wenn ihr Hauptmann Schwierigkeit mit dem Abschiede machte, und ihnen die Verrätherei gegen Klärchen nachtrüge. – Doch damit hat es wohl keine Noth. – Hingegen mag Gott wissen, was ich mir selbst mit meinem guten Werke für eine auf den Hals lade. Der Theatergeist steckt ihnen noch gar zu fest im Kopfe. Ganz gut, daß sie mir die Sonntage, wo ich etwa einmal die Kirche versäume, ihr Paradies und ihre Hölle vorstellen – doch das wird man in der Komödie am Ende so überdrüssig, als in der Predigt. – Wenn aber nun vollends in den Werkeltagen der eine meinen Hofmarschall wie ein Harlekin, der andere wie ein Cato meinen Kammerherrn machen – dieser wie ein Alexander mir vorschneiden – jener mir mit der Laterne des Diogenes leuchten wollte, so hielt ich das, wie ich mich kenne, in der Länge nicht aus. Das klügste wäre wohl, ich dächte in Zeiten darauf, sie in ein Fach zu bringen, wozu sie Genie haben. Eben fällt mir eins bei. – So viel ich weiß, ist noch keine solche Truppe in Berlin gewesen, wie ehemals die Nicolinische zu Braunschweig. Wie wäre es, wenn die beiden Brüder während meiner Reise durch Frankreich eine Anzahl hübscher Kinder zu einer Pantomime anwürben? – Die Kosten wollte ich allenfalls vorstrecken, ohne daß ich viel dabei wagen würde, zumal wenn ich ein Auge darauf hätte, daß die Aktricen etwas für das künftige versprächen. Das könnte wirklich ein Geschenk werden, das schon verlohnte seinem Vaterlande zu machen. – Doch ich vergesse über diesem weit aussehenden Projekt den guten Herrn Fez, Klärchen und ihren Domherrn. – Wären nur meine Pferde da, und meine Leute beisammen! ich wollte gern die Rückkunft jener nicht abwarten, und weiter ihre Namen in meinem Tagebuche nicht nennen, möchte doch aus ihnen werden was wollte. Meine gegenwärtige Lage fängt an mir recht ernsthaft schlecht vorzukommen, und macht mich ungeduldig und wild. – Thue nur einen einzigen Blick her, Eduard, und sprich, ob ich mir unter solchen Aussichten, als mich alleweile umringen, gefallen kann? – Hier vor der Nase ein unterbrochenes Bacchanal, das nächstens wieder angehen wird – [67] dort, hinter der einen Wand das Betzimmer der Alten, die ihre Nichten berechnet, und hinter der andern meine ehrliche Schlafkammer, die schon seit einer Viertelstunde entweiht wird. Wahrlich, ich komme mir vor wie der heilige Antonius unter den Teufeln. – Holla! da kommen doch endlich die Figuren aus der Bibliothek! – Auf das Mädchen ist es mir unmöglich einen Blick zu werfen, aber den armen Fez, der sacht zu meinem Schreibtische herschleicht – muß ich doch wohl zur Kompletirung meiner Akten noch abhören. –

Der gute buckelige Mann! Ich merkte es ihm nur zu sehr an, daß er für alle Höflichkeit, die er mir erwiesen, mehr als zur Genüge bezahlt war. Er drückte mir dreimal hinter einander stillschweigend die Hand, wie man sie in Golconda den Mäklern drückt, die Diamanten verkaufen. – Das war doch gewiß kein schlechtes Gebot, und auch verständlich genug. – Aber nein! meiner Eigenliebe war es zu wenig. Ich hätte gern umständlichere Nachrichten von meiner Zeichnung gehabt – hätte gern gehört, daß sie richtig – ähnlich – von großer Kraft und ein Meisterstück der ewigen Kunst sei. Kommt es Dir nicht wie im Traume vor, als ob diese kostbaren Ausdrücke schon irgendwo einmal Deinen Ohren wohl und weh gethan hätten? Besinne Dich! – Nun? – O Freund! wie kannst Du die Lehrer Deiner Jugend so gänzlich vergessen? Erinnerst Du Dich denn gar nicht mehr unsers gemeinschaftlichen, vermuthlich längst selig verstorbenen Zeichenmeisters, Theodor Sperling? – der immer mit seinem berühmten Verwandten in Anspach prahlte, dessen Namen er zwar – an seinen Talenten aber nicht schwer trug. Man sollte nicht denken, daß man einige zwanzig Jahre hinterher noch Freude haben könne, gelobt zu werden, wie ein Kind – und doch erfuhr ich die Wahrheit davon an mir. Ich ging so lange mit meinen immer näher tretenden Fragen um den blöden lakonischen Mann herum, bis ich ihn endlich auf meinen Stimmhammer brachte, und gewiß erfuhr, daß er ihn gesehn und bewundert hatte, und ruhte nicht eher bis ich ihm alle die süßen Worte entlockte, durch die der gute Sperling mich über mich selbst erhob, indem er Dich niederschlug, wenn mein Pinsel [68] etwas erschuf, das Du nicht erreichen konntest – und das einer Tulipane oder einer Schneeglocke ähnlich sah. – »O,« sagte Herr Fez, »ich – – auf meine Ehre, versichere ich Sie, daß mich zeitlebens kein Kabinetsstück so entzückt hat.« – »Also haben Sie wirklich einige Ähnlichkeit gefunden, lieber Herr Fez?« schmunzelte ich ihm zu. – »Da müßte man,« erwiederte er, »doch mehr als blind seyn, wenn man sich irren könnte. Es ist so viel Leben, Ausdruck, Wärme, Kolorit, und eine so sanfte Haltung in diesem Bilde, daß ich es, ohne Schmeichelei, für eins der schönsten und kräftigsten unsers Jahrhunderts halte.« – »Dieser Ausspruch, würdiger Mann,« antwortete ich, »kann mir von einem solchen Kenner gewiß nicht gleichgültig seyn. Ich wünschte nur, daß alle diejenigen, die mir gern abstreiten möchten, daß ich malen kann, meine Zeichnung mit so guter Laune und so verständigen Augen betrachteten, als Sie, lieber Herr Fez!« – »Ihnen abstreiten, daß Sie malen können?« fragte er voller Verwunderung. »Wäre es möglich, daß es so gefühl- und geschmacklose Menschen gäbe?«

Indem hörten wir den Domherrn auf der Treppe, und der rechtschaffene Mann machte sich aus dem Staube. Ich sah mit Vergnügen von meinem Schreibtische, daß Klärchen eilig das Glas wieder füllte, das ihr Freund ihrer Bewachung empfahl, und fand nach meiner Einsicht in dieser kleinen Handlung so viel reife Ueberlegung und weibliche Klugheit, daß ich ihres künftigen Schicksals wegen ganz außer Sorgen bin. Ich stand, wie der Prälat athemlos hereintrat, einen Augenblick auf, berichtigte in möglichster Eil meine Rechnung mit ihm, die er mir zugleich mit dem Abschiede der beiden Soldaten einhändigte, und begleitete ihn unter seinem beständigen Geschwätz, auf das ich nicht hörte, bis an das Ziel seiner Wünsche – an seinen Stuhl. Er übernahm sein Glas, wie ein Maurer seine Kelle, die er als Zeichen da ließ daß er fortarbeiten wolle, und schlürfte es mit sichtbarem Wohlgeschmack und dem zärtlichsten Hinblicke auf Klärchen hinunter. – O des menschlichen Glücks! Wie hängt es fast immer von unserer Unwissenheit und Einbildung ab! Hätte dem guten Manne nur das mindeste von dem geahndet, was sich Herr Fez in seiner Abwesenheit [69] mit seinem Glase und seiner Geliebten heraus nahm, wie würde es ihm nicht alles verbittert haben, was jetzt seinen Lippen und seiner Vorstellung so süß dünkte! Er hätte darauf geschworen, daß es derselbe Wein sei, den er stehen ließ, fand ihn, auf meine leichtfertige Frage, weder frischer noch matter als er seyn sollte, und behauptete mit der Miene des Kenners, seine Zunge sei fein genug, um immer zu wissen, das wie vielste Glas aus einer Bouteille es sei, das er tränke. Es würde mir, bei dem Bewußtseyn, das mich drückte, schlecht zu Gesichte gestanden haben, über die so zuverlässige Unterscheidungskraft seines Geschmacks zu spotten. Klärchen fand noch weniger Beruf dazu, und war so gefällig mir das Amt seines Mundschenken abzunehmen, da sie sah, daß ich von ihr weg nach meiner Schreiberei schielte. Ich kann also die letzte Seite, der ich noch mächtig bin, ruhig ausschreiben, da nun alles für mich hier abgethan ist. Meine beiden komischen – oder willst Du lieber burlesken Bedienten, sind, leidlich genug gekleidet, vom Trödel zurück, und tragen meine Sachen in den Wagen – und meine sechs Pferde sind auch da. Auf die beiden Bacchanten gebe ich selbst weniger Acht als auf die gelbsüchtige Bertilia, die ihrer schönen Nichte das Nachtpaket gebracht, und sich nun leider Gott erbarm es! nicht weit von mir auf ihren frühern Gerichtsstuhl gestreckt hat, um ihren Rausch zu verschnarchen. Diese Harmonie, wenn es möglich ist, verstärkt noch mehr die Ungeduld, die ich habe, aus diesem Sumpfe an Gottes freie Luft zu kommen. Da es zu spät ist, noch vor Nacht Aix zu erreichen, so soll es meine Abendbeschäftigung seyn, diesem Bogen den Beschluß meines heutigen reichhaltigen Tages in dem Wirthshause noch anzuhängen, wo ich etwa übernachten werde, und mit Dir den Austritt aus dem päpstlichen Gebiete und aus einer Woche zu feiern, die der Anfang des Jahrs höchst niederschlagend für den prahlenden Stolz meiner Tugend eröffnet, und das erste Blatt meines neuen Kalenders gewaltig beschmutzt hat.

Meine einzige, zwar immer leidige Tröstung ist, daß es wohl keinen in der Welt giebt, worin von den zwei und funfzig Wochen die er enthält, nicht Eine wenigstens, so gut wie die meinige, verdienen [70] sollte ausgestrichen zu werden. Wenn ich nur die übrigen im Jahre, wie ich im ganzen Ernst hoffe, nach der Kritik der reinen Vernunft anwende, so denke ich bei Gott und der Welt – bei den Sitten- und Kunstrichtern noch immer Gnade und Erbarmung zu finden.

Fußnoten

1 Messieurs, quand je régarde avec exactitude

L'inconstance du monde et sa vicissitude,

Lorsque je vois, parmi tant d'hommes différents,

Pas une étoile fixe, et tant d'astres errants,

Quand je vois le Césars etc.

Racine – les Plaideurs Act. 3. Sc. 3.

Lambesk
Lambesk.

Hier bin ich nun schon einige Meilen über der Gränze jenes wurmstichigen und von Mönchen durchwühlten Landes, und befinde mich schon um vieles besser. Unter dem Burgfrieden eines Prinzen, der mit Joseph dem Zweiten verwandt ist, werde ich von seinem abgedankten Haushofmeister bewirthet, der mein Vaterland kennt – dem es dort wohl ging – und der es den Reisenden zu vergelten sucht, die daher sind. So klein diese politische und moralische Verbindung auch seyn mag, so kommt sie mir bei meinem Nachtlager doch sehr wohl zu Statten. Ich ward schon meiner fehlerhaften Aussprache wegen, die mein deutsches Vaterland verrieth, und die, sobald sie an die Ohren meines Wirths anschlug, ihn an alle das Gute erinnerte, das er bei uns genoß, auf das freundlichste in seiner Herberge empfangen; und als vollends meine persönlichen Verdienste dazu kamen, und meine Bedienten um den Küchenherd das Wunder sehr theatralisch beschrieben und vorgestellt hatten, von welchem ich eben herkäme, so wußten die Leute im Hause nicht, wie sie mir ehrerbietig genug begegnen sollten. Ich bin mit Wachskerzen umgeben, wie ein Heiliger, dessen Festtag man feiert, die erst der Wirth, dann seine Frau, dann seine Tochter und Magd einzeln auftrugen – um nur oft, und jedes mit eigenen Augen, den großen Mann anzugaffen, der ihrem Hause den Vorzug gegönnt hat, seine ermüdeten Glieder zu bedecken. – Um nichts Menschliches zu verrathen, ging ich mit stillem Ernste in dem erleuchteten Zimmer auf und ab, als ob ich an solche Klarheit gewöhnt wäre, bis sie mir ein Abendessen auftrugen, das eine wahre Coena domini und aus den feinsten Schüsseln zusammen [71] gesetzt war. Wenn ich immer und überall in diesem Nimbus erscheinen könnte, ich wollte keinen Meßmer, keinen Lavater, und keinen von den Herren beneiden, die so glücklich sind unser aller Mißgunst zu erregen. – Jetzt nun, da ich mich wie ein Erzbischof gesättigt, und mich beinahe ein wenig berauscht habe, wie ein gefürsteter Abt – da sich auch meine allzu dienstfertigen Wirthsleute in den unteren Stock zurück gezogen, und meine Bedienten umringt haben, die sich immer, wie ich von weitem höre, einander unterbrechen, um mit dem ehrwürdigen Ansehn ihres Herrn groß zu thun; jetzt könnte ich nun ruhig und lächelnd in das feine schneeweiße Bette steigen, das mir winkt, wenn mich das Versprechen, das ich Dir, lieber Eduard, mit meinem letzten Federstriche zu Avignon gab, nicht mehr als wie billig, munter erhielt. So höre mich denn eben so munter an, und höre noch die letzten Merkwürdigkeiten meines heutigen großen Tages, unter welchen ich glücklich bis an das Tintenfaß gekommen bin, das mir, in Wiener Porcellan, ein zweiköpfiger Adler vorhält.

Als ich mit dem Schwure, keinem Kasuisten, keiner Heiligen und keiner milden Stiftung je wieder so nahe zu kommen, die Gruppe, die ich Dir oben beschrieb, noch um eine Bouteille betrunkener, unter Rousseaus Aufsicht verließ, und ohne Geräusch meinen Hut und Stock aus der Ecke gezogen hatte, wo die fromme Bertilia ihrer verdienten Ruhe genoß, schlich ich stillschweigend meiner Wege, und war schon bis an die Thür gekommen, als der Domherr meinen Abzug bemerkte. Seine Zunge war jedoch zu schwer, ein deutliches Lebewohl auszusprechen; dafür aber schlug er mir so lange seine Kreuze nach, bis ich ihm aus dem Gesichte kam. Klärchen wischte höflich mir nach bis auf den Vorsaal, wo sie mir aus überströmender Dankbarkeit, im Angesicht des heiligen Nicaise, der unverschämt zusah, noch ein paar Küsse aufdrang, die, so Gott will, die letzten seyn sollen, die mir eine Heilige gab. Auf der Treppe hielt mich noch ein anderer widriger Anblick auf. Der schwarzgelbe Prokurator trat mir mit der Verbeugung eines Advokaten entgegen, der, nach einem verlornen Prozesse, seine Expensen sucht, überreichte mir mit der Abschrift seines Protokolls die Beglaubigungs-Urkunde [72] meines gethanen Wunders, und zugleich ein Handbriefchen vom Propst. Es thut mir leid, daß ich es nicht für Dich aufgehoben, und jetzt statt des Originals, das ich wegwarf, Dir nur einen Auszug davon mittheilen kann. Der geschmeidige Mann versicherte mich darin seiner unbegränzten Hochachtung, und bat mich, wenn ich je wieder diese Domaine des heiligen Vaters besuchte, die Freundschaft zu nähren und zu befestigen, die er, als ein unwürdiger Vorsitzender bei meinem Verhör und während meiner triumphirenden Rede, zu mir gefaßt habe. Er nannte mich einen seltenen Mann, der ganz von Gott ausgerüstet sei, das blinde Volk zu regieren – und empfahl sich mir so zudringlich, als hätte er in mir seines Gleichen gefunden. Ich beantwortete im Heruntersteigen seine Höflichkeit mündlich an seinen Boten, bedauerte, daß meine Abreise die Freundschaft, die nur ein Wunder unter uns zu stiften vermocht hätte, so bald unterbräche, daß ich aber, wenn ich Avignon jemals wieder mit einem Fuße beträte, mich seiner Leitung ganz überlassen würde, und dann erst das zu werden hoffte, was er allzu gütig schon bei mir voraussetzte. Unter diesen hingeworfenen Komplimenten gelangte ich die Treppe herunter, bis an die Hausthür – als mir hier noch ein Umstand auf das Herz fiel, der, wenn Du ihn nach Deiner gewöhnlichen Flüchtigkeit, nicht übersehen hast, Dich bis zu dieser Zeile nicht wenig geängstigt, Dir den Odem versetzt, und Deine Lippen und Hände bewegt haben wird, um mich, mit einem jeden Schritte weiter, den ich nach meinem Wagen that, freundschaftlich noch aufzuhalten – als mir nehmlich glücklicher Weise noch beifiel, daß ich, aus allzu großer Eil aus Klärchens Augen zu kommen, – unter Rousseau's Kopfe mein Tagebuch vergessen hatte. Nun wäre es zwar zum Nutzen der Welt vielleicht gut gewesen, wenn es die alte Bertilia beim Auskehren gefunden, und es als unnützes Papier verbraucht hätte – vielleicht aber auch nicht; wer kann das wissen? Für mich wäre es doch immer ein, ich hoffe es zu Gott, unersetzlicher Verlust gewesen – da ich dergleichen Tage, als die acht letzten, nie wieder durchzuleben gedenke, und viel zu vergeßlich bin, als daß ich hätte hoffen können mir die Erinnerung davon, [73] die mir doch für mein ganzes Leben sehr dienlich seyn wird, bis zum Aufschreiben wieder lebendig zu machen. Ich lief nun wie ein Wiesel die Treppe hinauf, das Zimmer hinein, gerade vor den Kamin.

Es war ein Glück, daß die alte Bertilia noch schlief. – »Lassen Sie Sich nicht stören,« sagte ich zu Klärchen, die dem Domherrn auf dem Schooße saß, und mich mit höchster Verwunderung angaffte: »Ich habe hier sonst nichts – als nur unter dem Gypskopfe ein Paket Belege vergessen, die zu meiner Einnahme und Ausgabe gehören, und die ich selbst nicht der Mühe werth achten würde, wenn sie nicht mit Ihrem Strumpfbande umwickelt wären, das mir, mein gutes Klärchen, viel zu lieb ist, um es im Stiche zu lassen; und nun leben Sie wohl, und grüßen Sie Ihre Tante.« – »Was?« stammelte der Domherr, »was sagten Sie da von Klärchens Strumpfbande?« –»Das wird das liebe Kind Zeit genug haben Ihnen selbst zu erklären,« antwortete ich, und schlug die Thür hinter mir zu. – Wer war froher als ich, da ich meine Kriminalakten unter dem Arme, von meinem Schrecken nun wieder zu mir selbst kam! – Non omnis morior, war das wenigste was ich dabei dachte; und wie dankte ich es nicht dem langsamen Epilogus, daß er mir nicht das erstemal schon die Hausthür öffnete, als ich ohne mein Tagebuch davor stand! denn der Anblick, der mich jetzt überraschte, würde mich gewiß ganz um das Bißchen Besinnungskraft gebracht haben, von der einzig seine Rettung noch abhing. Der große Platz vor dem Hause, und so weit ich in die Gassen sehen konnte, war von Menschen gestopft, die in der Nähe und Ferne auf die Knie fielen, und mich um meinen Segen anflehten. Ich richtete mich in meiner Chaise gerade in die Höhe, und warf der betrogenen Menge, wie von der Kanzel, gutmüthig alle die Kreuze wieder zu, die mir der Domherr mit auf den Weg gab. Einige von den Andächtigsten drängten sich vor, um die Pferde abzuspannen und meinen Wagen zu ziehen, und es gelang mir durch nichts anderes, sie von dieser Ausschweifung ihrer Ehrfurcht, die mich schwerlich postmäßig würde gefahren haben, abzuhalten, als daß ich ihnen die offene Hausthür zeigte, und ihnen [74] sagte, daß sie alle meine Wunder unter den Händen des Domherren antreffen würden. Haufenweise strömten sie nun in das Haus, und meine Postillons bekamen Raum ihre Peitschen zu schwenken, und, ohne jemanden umzufahren, vor der Hand wenigstens, ungestört bis an den Buchladen meines Freundes zu kommen. Hier aber mußten sie die Zügel mit Gewalt anziehen; denn der kleine Mann war heraus getreten – schrie und winkte, und hielt uns etwas so Flatterndes entgegen, daß wir alle fürchteten, er möchte die sechs Pferde scheu machen. Es war sein Katalogus, den er mir, wie er sagte, zu weiterer Fortsetzung unserer Freundschaft überreichte, und noch einige abgebrochene Worte seines Entzückens darein gab, die allein schon im Stande gewesen wären, einen sechsspännigen Wagen in seinem Laufe zu hemmen; so überspannt waren sie und so holprig. Ich hatte jetzt nicht Zeit sie ihm anders zu beantworten als mit einem lauten Gelächter, über das er höchst verwundert zurück trat, und mir freien Weg ließ. So weit ich kam, fand ich alle Bürger in Bewegung, wie an dem Frohnleichnamsfeste. Nur den getauften Juden hatte die Revolution meines Wunders nicht von seiner Stelle gebracht. Ich sah ihn, als ich bei seiner Kirche vorbei fuhr, noch an eben dem Pfeiler stehen, an dem ich zuerst seine interessante Bekanntschaft gemacht hatte. So eilig ich auch war, ließ ich doch einen Augenblick halten, und schickte ihm meinen Abschiedsgruß durch den Epilogus zu, der ihm zugleich die verpfändete Maske eigenthümlich abtrat, und noch das Glück hatte, einen kleinen Thaler von ihm heraus zu bekommen. Ich erhielt auf einem Kartenblatte nachstehende Worte, mit Bleistift geschrieben, von ihm: »Ihr heutiges Wunder,« – Du siehst, lieber Eduard, Dohm und seine Anhänger mögen auch sagen was sie wollen, ein Jude bleibt immer ein Jude, – »ist das größte, wovon ich gehört habe, und das einzige, woran ich glaube. Fahren Sie fort, lieber junger Mann, über die Thorheiten Ihrer Zeitgenossen zu spotten. Thun Sie es aber ja, wenn Sie nicht unter Blindgebornen sind, wie hier, lieber heimlich und von weitem, wie ich es selbst hier thue. Das ist der freundschaftliche Rath eines Mannes, der seine Ruhe und Sicherheit liebt.« – Ich bog mich [75] weit aus meinem Wagen hervor, und warf ihm lächelnd eines von meinen Kreuzen zu, das er mit einem schelmischen Kopfnicken beantwortete. Es gab mir, so wenig es war, doch hinlängliche Auskunft über den Werth, den er darauf setzte. O, des ehrlichen Konvertiten! dachte ich, und fuhr weiter.

Avignon lag schon eine große Strecke hinter mir, ehe ich mich ein wenig aus dem Gewirre meiner Ge danken los winden konnte, die, wie sie an einander anstießen, meine Seele mit sich herum trieben. Bald sah ich mit Spott, bald mit Aergerniß und Scham, bald mit innigster Zufriedenheit, auf die Zeit, die hinter mir lag, und auf die Gefahren zurück, denen ich, weniger zur Ehre meiner Klugheit als zur Glorie meines Erretters, des Zufalls, glücklich entging. Einmal überzählte ich hochmüthig die Menge von Erfahrungen, durch die sich, in einer Spanne von acht Tagen, meine Welt- und Menschenkenntniß so unglaublich bereichert hatte. – Ein andermal warf ich mir bitter vor, daß sie der Mühe und der Kosten nicht werth wären. Die unzähligen Abwechselungen meines heutigen Tages – von dem Anfange meines Verhörs an, bis auf den Segen, den ich dem getauften Juden zuwarf, hatten indeß meine Kräfte so erschöpft, daß mir, mitten in meinem Nachdenken, die Augen zufielen. Ich glaube, ich würde in Einem weg, bis vor mein Wirthshaus, geschlafen haben, wenn es, auf der Station, die mich an die Gränze des Comtats brachte, meinen Begleitern beliebt hätte, ohne Zuziehung meiner die Post wechseln, und frische Pferde vorhängen zu lassen. Aber das Nachdenken hatten meine klugen Schauspieler nicht. – »Mein Herr,« rief mir, ich weiß nicht welcher von den beiden Brüdern, in den Wagen, »haben Sie denn nicht Lust auszusteigen?« – »Und warum das?« fragte ich schlaftrunken. – »Hier ist,« antworteten sie, »der letzte Ort in dem Gebiete des Papsts.« – »Desto besser!« gähnte ich, und legte mich in die andere Ecke. – »Aber,« schrien sie fort, »es ist ja Cavaillon, mein Herr.« – »Meinetwegen!« versetzte ich ärgerlich, »was liegt mir daran?« – »Nehmen Sie es nicht ungütig,« erwiederte der unausstehliche Kerl, wir glaubten, es würde Ihnen lieb seyn den Propheten kennen zu lernen.« – »Was denn, zum Henker! für[76] einen Propheten?« fuhr ich jetzt auf. – »Der unser Glück,« unterbrachen sie sich beide, »und unser Unglück gemacht hat. Er liegt nur wenige Schritte hier von der Post.« – Jetzt ermunterte ich mich erst. – »Ihr guten Leute,« sagte ich, indem ich ausstieg, »habt nichts als euer zerstörtes Theater in dem Kopfe. Das müßt ihr euch abgewöhnen, und mir nicht immer damit in den Ohren liegen, zumal wenn ich schlafe. Aber sagt mir einmal – lebt denn der Onkel von Klärchen noch?« – »O, ja wohl,« antworteten sie. – Nun! dachte ich, da du einmal um deinen Schlaf bist, willst du doch wundershalber sehen, was für eine Respektsperson von Verwandten du heute dran und drauf warest dir auf den Hals zu laden – kannst dir auch nebenbei das Bette zeigen lassen, wo dem Mädchen der Teufel zuerst erschien. An fremden Orten nimmt man ja oft wohl noch geringere Merkwürdigkeiten in Augenschein. Habe ich nicht selbst einmal in Erfurt einen Thurm mit Mühe und Gefahr für einen Dukaten erstiegen, weil es zwei Tage vorher der König von Schweden gethan hatte, um die große Susanna zu sehen, vor der, wie mich der Glöckner versicherte, alle Teufel ausreißen. – Und so trat ich denn auch hier, meinen Wegweisern nach in die Garküche des Propheten, und fand an meinem Onkel einen sehr gesprächigen Mann.

Er stämmte seine beiden Hände in die Seite, so bald er den Doktor und den Teufel erkannte. – »Je, meine Herren,« rief er voll von Verwunderung aus, »Sie treten ja da in einem Aufzuge einher, der wahres Wohlleben verkündiget! – Das freut mich von ganzem Herzen; denn ewig werde ich Ihnen danken, daß Sie mir über meine gottlose Nichte die Augen geöffnet haben. Ich ließ mir zwar damals meinen ganzen Kummer nicht gegen Sie merken, meine lieben Herren; aber, ohne jene Nacht, kann ich nun wohl sagen, wo Sie ihr erschienen, wäre einmal mein schönes Vermögen in ihre Hände gefallen. – Aber das ist nun damit vorbei, und ich habe es bereits der Magdalenen-Kirche verschrieben.« – So wenig ich nun auch Ursache hatte mich dieses Geschöpfs anzunehmen, so schien es mir doch ungerecht von ihrem Verwandten, ihr eine Erbschaft zu entziehen, woran sie, bei allen ihren Fehlern, [77] doch immer mehr Anspruch hatte als die heilige Magdalena. Sie kann sich ja wohl auch noch, dachte ich, mit der Zeit bekehren, wie jene, zumal wenn sie nicht mehr nöthig hat der Gnade der Domherren und Pröpste zu leben. Ich nahm mir also vor, ihm den Einfall aus dem Kopfe zu bringen; aber es schlug mir fehl. Als ich mit gehöriger Behutsamkeit des Wunders erwähnte, und ihm erzählte wie der Domherr aus Achtung für ihre Namensschwester sie wieder in das Haus nähme, gerieth der Mann in einen Zorn, den ich weiter nicht zu stillen vermochte. – »Das mag er,« antwortete er mir; »in das meinige soll sie keinen Fuß wieder setzen, so wenig als ihr Verführer. – Wollen Sie sehen, wo das erste Unglück geschehen ist? so kommen Sie!« – Er führte mich nun in die große Stube – zeigte mir das Bette, und mit Thränen im Auge fing er gerührt an – »Hier mein Herr, ist das schönste, beste, unschuldigste Mädchen dem bösen Feinde geopfert worden; aber ohne mein Verschulden. Wie hätte sich eine Christenseele einbilden können, daß ein Kind neben einem Geistlichen, der in der Nacht, von der Reise ermüdet, um eine Herberge bat, so etwas zu besorgen hätte? – ein Kind, das damals noch nicht ... Doch ich will keine Sottise sagen – aber Sie verstehen mich, mein Herr ... O, du barmherziger Gott! was hast du uns für Seelenhirten gegeben! Ich war stolz auf das Mädchen – denn reizender – sehen Sie, und niedlicher gebaut, war weit und breit keine andere zu finden.« – »Ach, ich kenne sie, besser vielleicht als Sie selbst, mein guter Mann,« antwortete ich seufzend. – »Ich habe ganzer acht Tage neben ihr an, gewacht und geschlafen..« – »Und reisen nun – ist es nicht so?« fiel er mir kleinlaut in die Rede, »nach Montpellier?..« – »Nichts weniger,« gab ich mit großen Augen zur Antwort, »ich gehe jetzt nach Marseille, wo ich den Winter über..« – »Nun, da nehmen Sie mir nicht übel,« unterbrach er mich, »da kennen Sie meine Nichte schwerlich besser als ich. Seyn Sie froh, mein guter Herr! Sie sind der erste Passagier, der von dort her zu mir kam – in der Nähe dieser Virtuosin gewohnt hat – und noch so gleichgültig von ihr sprechen, und gar ein gutes Wort für sie einlegen kann.« – »Heilige Cäcilia!« [78] entfuhr mir der Ausruf. – »Ja, ja!« spöttelte er mir zu, »traue nur einer der heiligen Cäcilia und ihrem Kreuze! Sie sehen doch nun wohl, daß meine Nachrichten ächt sind. Ich habe sie von guten Händen. In der That war es der artigste Herr, von dem feinsten Geschmacke, den ich jemals gesehen – ein junger Baron aus der Neumark, der auf Ihrer Route, und fünf Tage, gezwungen war, von den Beschwerden der Reise – Sie wissen wohl – bei mir auszuruhen. Da ich mir nichts anders denken konnte, als daß Sie auch nach Montpellier müßten, so freute ich mich recht meinen Gruß an ihn bestellen zu können – denn vermuthlich ist er noch dort. Alles erinnert mich an ihn, bis auf die Livree sogar, die er eben so gab wie Sie. – Es war ein heller, vortrefflicher Kopf! Hätte er sich nur besser vor meiner Nichte gehütet!« –»Aus der Neumark war er, sagen Sie?« griff ich endlich dem Schwätzer in's Wort, »und er gab,« indem ich den Epilogus bei dem Fittich nahm, »dieselbe Livree?« – »Accurat so,« antwortete der Wirth, »und mit eben solchen Quasten und Knöpfen.« – »Und der Name?« fiel ich ihm ein, »wie war denn sein Name?« »Aussprechen kann ich ihn nicht,« sagte er, »das habe ich schon mehrmalen versucht; zum Glücke aber habe ich mein vorjähriges Rechnungsbuch noch nicht zerrissen, dort können Sie ihn unterm Monat November selbst lesen – Bemühen Sie Sich nur in meine Unterstube.« – Ich ging ihm voller Neugier nach, bis an seinen Schrank, aus dem er mir sein Rechnungsbuch zulangte. Er schlug mir das Blatt auf. Ich las mit Bedauern den Namen eines Mannes, den ich – hier nicht gesucht hätte wie viel er – für Brühen von jungen Hühnern schuldig geworden war, und sah, daß seine beiden Bedienten – vermuthlich bessern Appetits wegen – fünfmal so viel verzehrt hatten als ihr Herr. Das ist, was ich aus seinem Conto herauslas. Sein Name soll übrigens nicht über meine Zunge kommen – darauf kann der junge Herr sich – wenn er ungefähr mein Tagebuch zu sehen bekäme – auf Kavalier-Parole verlassen; und treffe ich ihn, wenn ich durch Montpellier komme, noch an, so könnten wir wohl gar unsere Nachhausereise zusammen machen. – Nicht daß ich etwa wünschte, noch mehr von [79] unserer Nachbarin zu erfahren – von der weiß ich in dieser Zeitlichkeit nun genug. Nein! ich wünschte es bloß, weil der Wirth von ihm rühmt, daß er ein artiger Mann, von dem feinsten Geschmacke, und ein vortrefflicher Kopf sei. – Wahrlich Eigenschaften, die man sich an einem Reisegesellschafter nicht besser wünschen kann! – »Sie haben voriges Jahr eine hübsche Einnahme gehabt, Herr Wirth,« sagte ich, indem ich ihm sein verrätherisches Buch wieder zurück gab. »Ich sehe, Sie sind ein ordentlicher Mann, der sein Vermögen gut zu verwalten weiß: desto weniger, um wieder darauf zu kommen, kann ich es billigen, daß Sie es einer Heiligen vermachen wollen, deren größte Sünde wohl ist, daß sie sich bekehrt hat.«– »Das ist mir –wahrlich, das ist mir zu hoch,« antwortete der Wirth, »und ich wende eine Flasche Wein an Ihre blasenden Postillions, damit sie Ihnen Zeit gönnen es mir zu erklären.« – »O, dazu gehört nur eine Minute, lieber Mann,« erwiederte ich. »Sie können wohl glauben, ich habe nicht das geringste Interesse bei der Sache – und eben so wenig habe ich etwas wider die heilige Magdalena – aber das Aufsehn, das sie überall macht – die Kirchen, die ihr geweiht sind – das Lob, das ihre Wiederkehr von allen Kanzeln erhält, und die Ehre, die man ihren Thränen erweist, – haben, seit ihrem Evangelio – glauben Sie mir – mehr schöne und gute Mädchen um ihre Unschuld gebracht, als alle Domherrn zusammen; und das ist doch, Gott weiß, viel gesagt! Denn, wie das menschliche Herz ist, um eine reuige Sünderin zu werden gleich der heilig belobten Magdalena, denken die meisten, muß ich ja doch erst meine Jugend nützen wie sie. Lieber wollte ich an Ihrer Stelle, Herr Wirth, meinen sauern Erwerb, auf den Fall meines Todes, den Armen schenken.« – »Den Armen, mein Heer?« wiederholte er höhnisch. »In diesem schönen, fruchtbaren, unbebauten Lande, sollte es Arme geben, die Unterstützung verdienten? Sind denn nicht schon genug Spitäler voll von Müssiggängern und Faulen? Mag denn hier wohl eine Seele arbeiten? Findet es nicht jedes bequemer zu betteln – zu stehlen, so lange es jung ist – im Beichtstuhle sich seine Sünden vergeben zu lassen, um neue zu begehen, und sich um eine Stelle in einer milden[80] Stiftung zu bewerben, wenn es altert und krank wird? Dieses Leben führte der Vater, der Sohn setzt es fort, und vererbt es wieder an seine Kinder. – Nein, mein Herr! die hiesigen Armen sollen nichts von mir bekommen. Aber da Sie mir wegen der Magdalena einen Floh in's Ohr gesetzt haben, so kann es wohl seyn, daß ich mein Testament ändere – und ein gutes, frommes und schönes Mädchen an Kindesstatt aufnehme, die einmal einem rechtschaffenen Manne wieder mein erworbenes Vermögen zubringt.« – »Thun Sie das, lieber Onkel!« sagte ich – und Gott sei Dank, daß ihm dieser Ehrentitel auf keine Art zukommt, da er bei verwandten Seelen eben nicht im Gebrauch ist; denn in diesem Falle, Eduard, gäb' ich ihn diesem wackern Manne nicht mehr aus Laune, sondern aus bessern Urkunden sogar, als andere oft vorzeigen können, die ihn stolz von uns fordern. – »Thun Sie das, lieber Onkel,« sagte ich ihm also beim Einsteigen in den Wagen: »bemühen Sie Sich um ein hübsches Kind, das Sie der Verführung Ihrer Domherrn entreißen, und das Ihnen und der Jugend den großen Verlust von Klärchen, wenn es möglich ist, ganz wieder ersetzt. Mir ist es sehr lieb, daß ich wenigstens doch beim Austritte aus diesem Lande Einen ehrlichen Mann habe kennen lernen. – Gott erhalte Sie! Leben Sie wohl!« – Ich faßte noch mit gerührtem Herzen den Segen auf, den er mir nachrief. Von einem so ungeweihten Speisewirthe er auch herkam, hoffe ich doch, soll er mich besser entsündigen als die Kreuze jenes betrunkenen Herrn.

Wie ich vor das Stadtthor kam, bemerke ich erst, daß ich auf einer Insel gewesen war, und begriff nun leichter, wie sich hier – abgesondert vom festen Lande – noch einige Ehrlichkeit erhalten konnte.

Die Brücke über die Dürance kam mir, trotz dem heiligen Nepomuk, der zu ihrem Schutze darauf stand, doch so gefährlich vor, daß ich ausstieg, und mich nicht eher darüber wagte, bis ich meinen Wagen an dem andern Ufer erblickte.

Das Bild der Sonne schwebte nur noch an dem Saume des Horizonts, und ihre gebrochenen Strahlen rötheten die hinschwindende [81] Landschaft. Die Gegend war im Steigen – die Pferde zogen mühsam – und ich schlich voll von Gedanken zu Fuße hinter dem Wagen her. Wie wir den Hügel bald erstiegen hatten, befahl ich meinen Leuten, sachte fortzufahren und die matten Pferde verschnaufen zu lassen, setzte mich an seinem Abhang auf die Wurzeln eines abgestorbenen Oelbaumes, und suchte mir die Empfindungen deutlich zu machen, die meinem Herzen entstiegen. Wie ungleich waren sie jenen, die sich sanft aus ihm ergossen, als ich das freundliche Caverac in seiner gesegneten Flur – als ich in dem sympathetischen Gefühle der Jugend meine geliebte Margot verließ! Unter einem noch schöneren Himmel als dort, wie erschlafft fand ich hier, in dem Müssiggange eines frömmelnden verdorbenen Volks, jede Federkraft der Natur! Welch eine bängliche Ansicht! So weit meine Augen mich trugen, sah ich Standbilder der Heiligen auf rebenlosen nackten Bergen – entdeckte nur verfallene Stege – durchgebrochene Dämme, morschen Götzen mit ruhmlosen Namen zum Schutze überlassen – hörte das Läuten der Abendmetten in den umliegenden einzelnen Dörfern – ohne daß ein Schäfer vor seiner gesättigten Herde, oder ein müder Ackersmann hinter seinem umgelegten Pfluge, dem Aufrufe zur Ruhe nachschlich, – ohne daß ein Winzer, von fröhlichen Kindern begleitet, aus seinem Weingarten hervorbrach. – Großer Gott! rief ich wehmüthig aus, und faltete die Hände, wie lange wird dieser Mißverstand deiner wohlthätigen Absichten, diese Beschimpfung deiner Natur noch dauern! Wie lange wird noch der Bürger seine kostbare Zeit, der Landmann seine nützlichen Kräfte, der Tagelöhner den kleinen Erwerb seiner wenigen übrig gelassenen Arbeitsstunden, an den Putz einer Wachspuppe und das Wohlleben ihrer Götzendiener verschwenden – in seinem Hause das Licht – auf seinem Herde das Feuer ersparen – um durch eine verdienstliche Finsterniß der ewigen Lampe Oel zu verschaffen! Wie lange werden die Sklaven der Andacht das Mark ihrer Söhne gegen ein geweihtes Todtenbein vertauschen, und mit dem Geruche seiner Heiligkeit ihre Schlafkammern verpesten! Wie lange noch, großer barmherziger Gott! werden die Unsinnigen für die baldige Entwicklung ihrer[82] Töchter alle Heiligen anrufen, um ihre ersten Blüthen dem ehelosen Mönche zu opfern, der jedem frühen Gefühl eines erwachten Herzens noch früher entgegen kommt, jede aufkeimende Frucht wie ein Raubthier bewacht, und alle Erstlinge der Natur und des Fleißes als sein Eigenthum ansieht! Durch, ach! wie viele Menschenalter – rief ich mit gepreßter Brust – wird dieser schwere Uebergang zur Wahrheit und Freiheit noch zögern! – Und wie ich so sprach und meine Augen zu Gott erhob, vergüldete die ewige Sonne, zum letztenmal heute, die steinigen Hügel. Ich schrieb noch im Glanze des Abendroths folgende Gedanken in meine Schreibtafel, aus denen Du sehen wirst, daß ich nicht umsonst das Wirthshaus zum Propheten besucht habe – überblickte noch einmal diesen so schönen und so gemißbrauchten Erdstrich – und winkte nach meinem Wagen.


Als hätte die Natur im Bilden

Mit Liebe länger hier verweilt,

So ganz hat diesen Lustgefilden

Sich ihre Schönheit mitgetheilt:

Doch Mönche kamen und zertraten

Den Plan der fröhlichen Natur,

Und auf dem Umkreis ihrer Saaten

Herrscht Gleißnerei und Armuth nur.


Trajan entlockte Fleiß und Leben

Hier diesem Felsen – diesem Hain,

Und Berge luden ihn voll Reben

Zum Jubel guter Fürsten ein.

Ihr Fluren, die ihr freundlich blühtet,

Als Jupiter noch auf euch sah,

Wie traurig liegt ihr, abgehütet

Von päpstlichem Gesindel, da!


O, Land, das nur den faulen Bäuchen

Der Mönche zu Gebote steht,

Und, mit abgöttischen Gebräuchen

Belastet, – schwankt und untergeht!

Ach, warum hat, ruft meine Stimme,

Gott seinen Blick von dir gewandt?

O du, der Hirnwuth und dem Grimme

Der Heiligen verrathnes Land!


[83]

Wo Priesterstolz und Aberglaube

Wie Mehlthau eine Gegend trifft,

Verdorrt die Saat, verwelkt die Traube,

Und aus dem Oelbaum rieselt Gift.

Besangen wohl des Landmanns Lieder

Sein Glück an einem Erntetag

In Argos Thälern, eh die Hyder

Dem Arm des Rächers unterlag?


Hier heißt die Tugend eine Bürde;

Der Weisheit selbst wird hier geflucht,

Die nicht in Klöstern – Menschenwürde,

Nicht Trost am Tisch des Gauklers sucht:

Bei Ihm – der Felsen abzuründen

Verspricht, der Berg' und Thäler gleicht;

Und deinem Mund Erlaß der Sünden

Und deinem Gaum Vergebung reicht.


Wie stürzt nicht der bethörte Haufe

Ihm zu! begafft und überschlägt

Die Waare, die zu gutem Kaufe

Er ihren Sinnen vorgelegt!

Der Mörder packt dann, wie der Zecher,

Ein Sortiment zum andern auf,

Und jener Schutzgott der Verbrecher

Spricht Segen über ihren Kauf.


Und dieser Troß von Himmelserben

Durchwallfahrt dieß verarmte Land –

Spielt seinen Ueberrest von Scherben

Dem Hohenpriester in die Hand,

Vertauscht für unbegriffne Worte

Das Bettelbrod, das er erwirbt,

Und mit dem Schlüssel zu der Pforte

Des Himmels – gähnt er hin, und stirbt.


Ihr Räuber dieses Landes! höret

Der Wahrheit Ruf, die aus mir spricht:

Euch droht, die ihr das Volk bethöret,

Des Volkes blutiges Gericht;

Ich seh' im Kreis von euern Bürgern

Des Aufruhrs schwarze Fahne wehn,

Und eure Schafe – zu den Würgern,

Furcht – zur Verzweiflung übergehn;


[84]

Und seh' erstaunt, wie jede Puppe

Der Andacht in ihr Nichts versinkt;

Wie nicht mehr die geweihte Schnuppe

Der ew'gen Lampe sie umstinkt –

Kein Kuttenträger mehr die Zofe

Der heiligen Maria macht,

Und kein an eines Priesters Hofe

Gebildeter dieß Land bewacht;


Seh' eure Heiligen zerstückeln –

Seh' die Legenden in dem Wind

Zu edlern Stoffen sich entwickeln,

Die eines Gottes würdig sind;

Und seh' entfernt, wie aus dem Staube

Die Tugend ihre Stirn erhebt,

Und neue Hoffnung – neuer Glaube

Und neues Glück dieß Land belebt.


Und dann erst, möge Gott es wollen!

Wird Ordnung und Natur gedeihn;

Die Wüsten werden Früchte zollen,

Die öden Berge – guten Wein:

Gesundes Volk wird, ungesegnet,

Im Schatten seiner Laube ruhn,

Und, ohne daß ihm Gott begegnet,

Doch redlich seine Arbeit thun.


Dann erst entsteigt den Finsternissen

Des Glaubens die versteckte Flur;

Man wird von keinem Wunder wissen,

Als von den Wundern der Natur;

Der Pilger wird sie nur im Reize

Der Unschuld seines Mädchens sehn,

Und manch Kapellchen ohne Kreuze

Wird seiner Andacht offen stehn.


Den 9ten Januar.


Unter dem Heere von Gedanken, die diesen Morgen auf mein Erwachen zu lauern schienen, war Dein Bild, theuerster Eduard, der erste, der mir anflog, so wie es der letzte war, mit dem ich einschlief. Darf es Dich wundern, daß ich mich leichter selbst aus dem Auge verliere, als Dich? Wem könnte ich denn wohl den Verdruß, der mir aufstößt, billiger zurechnen, als dem Anstifter [85] meiner Reise? so wie ich ihm eben so gern das Gute verdanke, das mir begegnet. Nachdem ich Dir meine Verbeugung gemacht hatte, und zu der Musterung Deiner Nachtreter überging, merkte ich es, durch die letzt vergangenen acht Tage gewitzigt, den meisten bald an, daß ich wohl am klügsten thäte, sie lieber gleich vor meinem Bette abzuweisen, ohne mich an ihre zuvorkommenden Mienen zu kehren. Ich suchte mir Einen unter der bunten Gesellschaft aus, der mich mehr als die andern alle befremdete, von dem ich mir jedoch, wo nicht die angenehmste, doch die lehrreichste Unterhaltung versprach; vorausgesetzt, wenn ich Muth genug hätte, ihm bis in den Schlupfwinkel nachzugehen, in den er sich, wie ich ihn in das Auge faßte, zu verkriechen anschickte. Freilich hätte er mir nicht so neu vorkommen sollen, als er mir schien: denn es war der ewige Gegenstand meiner Betrachtungen – mein eignes Selbst. Da ich aber, wie Du nur zu gut weißt, vorige Woche nicht zu mir selbst kam, so wird es begreiflich, wie ich die Veränderungen, die stufenweise mit ihm vorgingen, so wenig bemerken konnte, daß es mir jetzt schwer ward, seine sonst so offene Physiognomie unter den Flecken heraus zu heben, die ihn entstellten. O hätte mich Freund Eduard, seufzte ich, ruhig in dem Winkel sitzen lassen, aus dem ich mit stolzem Wohlbehagen über die übrige Welt hinblickte! Dort lebte ich unter der strengen Aufsicht meiner moralischen Bücher, kannte keine Heilige, keine Kasuisten, und war meiner Tugend gewiß. Dort hätte ich, mit Zufriedenheit meines Beichtvaters, exemplarisch an meiner Hypochondrie verscheiden, und die Rechnung meines Lebens dem obersten Richter vorlegen können, ohne zu erröthen. – Würde ich denn aber auch, warf ich mir auf einmal ein, darum besser gewesen seyn als jetzt? Hätte mir der oberste Richter nicht antworten können: »Du trittst mir zwar unbescholten und mit dem Bettelstolze eines guten Gewissens unter die Augen – du bist unbefleckter als jener Domherr, den eine Reihe schändlicher Thaten verklagt; aber bist du wohl darum viel besser als er? Kannst du dir als Verdienst anrechnen, daß der Zufall den ich gewähren ließ, dich an eine viel kürzere Kette legte als ihn? – dich in den Zirkel eines kränkelnden, reizlosen Lebens [86] einzäunte, und dir nur den geläuterten Nahrungssaft zuflößte, den die gesunde Weide hervorbringt, auf der du geboren warst, und starbst, ohne daß du die Giftpflanzen zu kosten bekamst, die, in einem andern Erdstriche einheimisch, den Einwohnern zur gemeinen Nahrung geworden und mit ihrem Blute vermischt sind?«

Er! dessen Stimme an mein Herz schlägt, bewahre mich vor dem Unverstande, mit Ihm zu rechten! Er mag es wohl besser wissen, als wir selbstsüchtigen Thoren, was wir eigentlich werth sind, und – wie gar nichts unser Antheil an allem dem Guten ist, das aus unserer belobten Freiheit entspringt. O ich erbärmliches Geschöpf! Was ist doch aus meiner Selbstzufriedenheit – was aus den Forderungen geworden, die ich auf die allgemeine Achtung zu machen mich berechtigt glaubte? Eine Spanne Zeit verschlang den Reichthum einer ganzen langen Reihe von Jahren. Jetzt ist es mit der schönen Leichenrede vorbei, die ich manchmal im Namen des ganzen Menschengeschlechts in Gedanken hielt, wenn ich mir eine recht behagliche Stunde machen wollte. Der neue Text, den mir die vergangene Woche unterlegt, ist von einem Gehalte, der mir schwerlich die lange Weile über meinem Grabhügel vertreiben kann. So wirke er denn, rief ich endlich aus, was er vermag, und mache mich wenigstens, so lange ich diesseits des Grabes wandele, duldsam gegen andere Schwächlinge, die mir gleichen, und desto verschämter und andächtiger, wenn ich die Worte jenes großen Menschenkenners in den Mund nehme: »Und führe uns nicht in Versuchung.« – Ich kenne keine, die einen deutlichern Spott auf unsere Geisteskräfte enthielten. Auf wessen Bedürfnisse paßten sie nicht? In dem Sinne der meinigen gesprochen, was wollen sie anders sagen, als: Mache mich nicht zu gesund am Leibe, damit ich nicht kränker am Geiste werde. Führe mir auf meinem geraden Gange keine Heilige und keinen Heuchler entgegen; denn ich bin zu blind, großer Gott! um sie unter ihren Larven zu erkennen, und zu ungeschickt, ihnen solche abzuziehen, ohne mich selbst zu beschmutzen.

Ich schlug meine Augen in die Höhe – eine Bewegung, die wir so gern als ein Zeichen der Andacht anrechnen, da es [87] doch meistens nur ein Hebel ist, durch den wir unsere beunruhigte Seele über ihren eigenen Anblick hinweg zu bringen, und eine andere Richtung zu gewinnen suchen; denn hinter der geringsten unsrer Handlungen steckt Stolz und Betrug. – Mich brachte mein mechanischer Aufblick dießmal nicht höher als in die Region der großen Herren. Mein Wirth war nicht umsonst in Wien gewesen; denn außer seinem Schreibzeuge, das ich Dir schon beschrieb, hatte er auch noch das Bild des Kaisers mitgebracht, die Kopie über dem Eingange seines Gasthofs, das Original aber, wie billig, in seinem Staatszimmer aufgehängt, in das er mich – Du weißt aus welchem Irrthume – logiert hatte. Ich konnte immer Gott danken, daß es nicht das Bild eines Heiligen war; denn wer weiß, wohin das meine Phantasie, die nur ein Brett suchte um fortzuschwimmen, verschlagen hätte! In dem Deutschen Reiche, wohin mich Joseph der Zweite trug, war ich wenigstens zu Hause.

Ich schiffte mit ihm auf gerade wohl fort, von einem der Fürsten zum andern, die es theilweise beherrschen, und mein beklommenes Herz erleichterte und tröstete sich an ihren Höfen. Ich war erkenntlich für ihre freundliche Aufnahme, und außerordentlich billig gegen die Fehler, die ich an ihrer Person oder Regierung bemerkte; denn meine eigene Demüthigung machte es mir unmöglich, sie anders als mit der Art von Mitleiden zu betrachten, die ein Hektikus für seinen Bruder empfindet, der Blut speit. Es wird Dich vielleicht Wunder nehmen, Eduard; aber ich mochte im Verfolg meiner Visiten unsere größern oder kleinern Herren so genau mustern so als ich wollte, ich zählte immer mehrere, unter deren Zepter oder Krummstabe es sich leidlich genug leben ließ, und die, selbstständig, der Ehre, die wir ihnen erzeigen, so ziemlich werth sind, ehe ich Einmal unter zehnen auf einen traf, bei dem man, wenn man ihn auch, wie viele andere Dinge, mit Respekt nennt, es doch so unmöglich findet, einen festen Gedanken zu fassen, wie bei einem Polypen. Da sich der Hauptstock dieses Sumpfgewächses ohne den Inbegriff der kriechenden, schlüpfrigen und wurmstichigen Saugarme nicht denken läßt, die ihn zum Polypen erheben – und hinwiederum diese zu keinem edlern Dienste bestimmt [88] sind, als die unreinen Nahrungssäfte, die sie einschlucken, dem regierenden Klumpen zuzuführen, um sein Pflanzenleben durch die Mechanik des ihrigen zu erhalten; so giebt das Ganze kein unebenes Sinnbild eines solchen Fürsten und seines Hofs. Was kann man mit einem so begabten Zwittergeschöpfe anfangen, als daß man es stehen läßt, so lange Gott will? Denn gesetzt, Du nähmest auch das Lebendigste, was an ihm ist – seine Auswüchse, unter die Scheere, so wird doch für den einen Ast, den Du heute absonderst, morgen ein anderer wachsen, der vielleicht noch häklicher ist, als der erste. Dieses Mittelding von Thier und Pflanze wird, wie die Regenten die ihm gleichen, in unserm kultivirten Vaterlande immer seltener, und bald wird die fortschreitende Zeit den Deutschen Boden ganz davon gereinigt haben. Auf dem Platze, den solche Pigmäen aussaugen, werden sich große, selbständige Bäume erheben, die durch ihren schattigen Umfang alle Schmarotzer- und Wucherpflanzen ersticken, veredelte Früchte tragen, und guten Samen über das Land streuen, das ihren Wachsthum befördert.

Gott segne diese prophetischen Worte! Sie entfließen so leicht einem patriotischen Herzen, und klingen so schön in dem Munde eines Unterthanen des Römischen Reichs, besonders, wenn er sie seinem Oberhaupte in einem Französischen Gasthofe zuruft. Auf alle Weise enthalten sie besser geordnete Empfindungen, als das bittere Gewäsch jenes politischen Geschmeißes, das nicht müde wird, die angebornen Rechte seiner Beherrscher zu benagen, ihren ererbten Stand lächerlich zu machen, und ihren Glanz zu besudeln. Wie oft empört mich die Zudringlichkeit dieser boshaften Tadler, die den Großen der Erde keine Entschuldigung hingehen lassen, selbst die nicht, die in ihrer menschlichen Natur liegt! Wie wollte ein ehrlicher Mann, bei den unaufhörlichen Beschleichungen dieser Weltverbesserer, die sich in ihren Wirbeln immer selbst durchkreuzen und gegen einander anstoßen, nur einen ruhigen Augenblick finden, wenn sie nicht, nach Art der Spinnen, das Gute an sich hätten, daß sie eben so geschwind, als sie anrücken, in ihre Höhlen zurück kriechen, sobald man sie nur von fern mit der Spitze des Fingers berührt? Es giebt kleine Wendungen – ich will Dir einige angeben [89] – die auf solche vorlaute Klüglinge nachdrücklicher wirken, als Bücherverbote. Wenn der eine lange genug über die Anmaßungen der Fürsten, und über die Stelzen, auf denen sie sich über uns erheben, gefaselt – der andere ihre häufigen Mißgriffe bei der Wahl ihrer Staatsdiener aufgezählt – der dritte die Erschlaffung in ihren Regierungsgeschäften auf das genaueste entwickelt hat; wenn jener Schwätzer sich mit gelehrtem Anstande in seinem Lehnstuhl festsetzt, um desto bequemer seine philosophische Hitze an dem kaltherzigen Regententroß zu verblasen; wenn dieser ihren festlichen Müssiggang mit schelen Augen verfolgt, die Backen voll nimmt, um ihr Eigenthum als einen Raub zu verschreien, den ihre ritterlichen Ahnherren an dem gemeinen Wesen begingen, oder wenn er ihnen zumuthet, Rechnungen abzulegen, die durch Gottes Zulassung längst schon geschlossen sind: so ergreift mich die Ungeduld – so schlage ich mich endlich ins Mittel, nehme den einen und nehme den andern bei der Hand, und führe ihn, Treppe auf Treppe ab, in seinen eigenen verschobenen, lächerlichen oder zerrütteten Haushalt zurück, begleite ihn in das Putzzimmer oder Schlafgemach seiner Gebieterin, oder in die Kerkerstube seiner Knechte und Mägde – schlendere mit ihm seinen verfallenen Scheuern oder verwilderten Krautäckern zu, gehe das Inventarium seiner Wäsche durch, frage ihn, wie seine Vorältern zu dem Zehenten kamen, den sie ihm vererbten, und durch welches Recht Er mehr Spielraum einnimmt als ein anderer, der eben so breit ist als er? Den Grämling endlich, der alle Kron- und Erbprinzen zu Mißgeburten menschlicher Thorheit herabwürdigen, seine Beherrscher wählen, oder zu seinem Idol eine Hyder aus den klügsten Köpfen des Volks – den seinigen jedoch mit eingeschlossen – zusammen setzen möchte, dränge und treibe ich durch das Labyrinth seiner Sophismen nach Berlin, zu den Füßen unsers Monarchen. Sein Daseyn ist schon allein die beste Vertheidigung der Erbfolge. Die klügste Wahl hätte nicht väterlicher für uns sorgen können, als hier die Natur, die aus dem Urstoff so mancher lieblosen, stolzen und schwachen Ahnherren endlich einen König destillirt hat, der, gut, selbstständig und groß, alle Herrschertalente vereinigt – der, [90] mit dem feinsten Gefühl begabt, zu jedem Uebel das Gegenmittel zu finden, nie einen stärkern Hebel gebraucht, als die Last erfordert, die er wegschaffen soll. Dieser Brennpunkt, der meine Blicke immer wieder sammelt, wenn sie noch so weit über die Gränze schweifen, vereinigte sie auch dießmal. Ich verlor mich so sehr in Betrachtung dieses merkwürdigen Mannes, daß Kaiser und Reich lange warten mußten, eh' ich auf sie zurück kam.

»Meine gnädigen und hochgebietenden Herren,« beurlaubte ich mich am Ende von der ganzen vornehmen Gesellschaft, »mein langes Ausbleiben beschämt mich; aber das große Vorbild, das ich in Ihren Kreis bringe, wird es entschuldigen. Darf ich Ihnen noch zum Abschied einen wohlgemeinten Rath ertheilen, so suchen Sie nur seine einfachern Tugenden zu erreichen – die glänzenden erlassen wir Ihnen gern – und Tausende mit mir werden aufstehen, und Sie gegen das giftige Gewürme in Schutz nehmen, das Ihre Vorzüge begeifert. Mögen doch Ew. Majestäten und Ew. Durchlauchten durch Verbrechen Ihrer Vorfahren, oder durch Geistesschwäche der unsern, zur Herrschaft über uns gelangt seyn; wir wollen Ihnen den zufälligen Genuß Ihres angeerbten Gewinnstes gönnen, ohne über den ersten Erwerb desselben lange nachzugrübeln – wenn Sie Sich nur als edle Spieler betragen – uns nicht durch das stolze Lächeln der Schadenfreude bei jedem Bissen trockenen Brodes, das wir essen, an den Verlust unseres Fettes erinnern, und nicht den Enkeln zu hart die Ungeschicklichkeit ihrer Vorältern entgelten lassen. Mag es noch so gewiß seyn, daß Ihre geheiligte Person durch eben die kleinen Hülfsmittel an uns zum Ritter ward, die Sie jetzt in unsern profanen Händen für verdächtig und strafwürdig erklären – so wollen wir doch in blindem Gehorsam die moralischen Bollwerke ungestört lassen, hinter denen Sie Ihre Rechte verschanzt haben, und der Politik huldigen, die das Gesetz der Vergeltung an den Galgen geschlagen hat – wenn Sie nur nicht gar zu treu dem Beispiel eines Ihrer Herren Kollegen nachgehen. 1 Durch eine Flasche Wein gewann er das [91] Gebiet seines Nachbars – und sogleich, als weiser Gesetzgeber, verbannte er das begeisternde, Getränk aus seinen eroberten Staaten, versicherte sich der Treue seines Volks – durch Mohnsaft, und vertheilte jedes kraftvolle Männerherz in kleinen Bissen unter ein Heer hungriger Bacchantinnen. Vor solchen politischen Anstalten – meine gnädigsten Herren, bewahre Sie Gott!«

Ich wurde in meiner stattlichen Rede an die großen Herren drollig genug durch eine noch stattlichere unterbrochen, mit der mich mein Wirth hinterrücks anfiel, der, während ich mich mit Kaiser und Reich unterhielt, unbemerkt mit meinem Frühstück eingetreten war, und, sobald er seine Hände frei hatte, sich mit vielem Anstande nach mir zu kehrte. An der Thüre sah ich zugleich einen hagern Kerl, der, bis auf sein ominöses Gesicht in die Draperie eines Scharlachmantels geschlagen, wie die Maske eines Römischen Censors da stand. »Ich habe,« fing der Wirth an, »die ganze Nacht der Vorsehung gedankt, die meinem Hause das Heil widerfahren ließ, einen Mann wie Sie zu bewirthen.« – O ho! dachte ich, dieser Herrenhutische Eingang verspricht nicht viel Gutes für meinen Beutel; aber hierin irrte ich mich. – Immer habe ich gewünscht, den Reisenden, die vor meinem Gasthofe halten, noch ehe ich sie bewillkommne, an das Herz zu reden, und ihnen mit einem großen feierlichen Gedanken gleichsam in die Pferde zu fallen. – Ich spitzte voll Erstaunen die Ohren. – »Was soll man sich bei den Sinnbildern so vieler Wirthshäuser denken, bei dem goldenen Hammel, der silbernen Striegel oder dem Kreuze von Malta? Ich versuchte es im Anfange meiner Wirthschaft mit dem Bilde meiner Frau. – So lange das Bild noch frisch war, that es auch Wirkung. Nach und nach ward es aber bleich – die Gäste blieben aus, und ich war entschlossen, es aufmalen zu lassen. Es ging aber anders: denn eben in dieser Epoche, geschah es, daß mich der Prinz auf einem Besuche, den er seinem großen Vetter [92] in Wien abstattete, als Mundkoch mitnahm, und nach seiner Zurückkunft mit dem Titel seines Haushofmeisters entließ. Auf dieser Reise lernte, ich erst, ich muß es gestehen, den feinen Geschmack der französischen Küche mit dem nahrhaften der Deutschen verbinden. Ich sah Joseph den, Zweiten nicht ohne Nutzen einigemal speisen, und glaubte es dem Andenken dieser belehrenden Reise schuldig, kein ander Bild auszuhängen, als das seinige. Sieben Jahre hängt es nun da; doch fängt es nun auch an unscheinbar und den Leuten gleichgültig zu werden; ich merke es nur zu sehr schon in meiner Wirthschaft. Da flüsterte mir nun meine Frau diese Nacht zu: – ›Andre's! Die Erzählung der fremden Bedienten liegt mir immer im Ohr und läßt mich nicht schlafen. Das Wunder, das ihr Herr gestern gethan hat, wird bald genug Lärm machen; denn so etwas wächst wie ein Schneeball. Weißt du was! der Herr muß gut seyn, da er Wunder thut – und wir brauchen ein neues Schild. – Sein Porträt würde sich unter allen am besten dazu schicken. – Ich dächte, du bätest ihn darum. Unsre Wirthschaft würde sicher dabei gewinnen; denn nagelneuer kann man keinen Heiligen auf treiben – Thue es, lieber Mann, damit uns kein anderer Gasthof zuvorkommt.‹ So sagte meine gute Frau, und gewiß ist es nicht bloß Eigennutz, sondern. Frömmigkeit, die ihr diesen Wunsch abnöthigt. – Schlagen Sie uns solchen nicht ab, würdiger Mann! Nur Eine Stunde – und dieser geschickte Künstler ...« – Hier bewegte sich der Scharlachmantel, und sein Handwerkszeug fiel mir mit Entsetzen in die Augen. Ich fuhr wie aus einem schweren Traum auf, und sah im Spiegel, daß ich so roth war, wie die Draperie des Malers. – Das, dachte ich, soll auch gewiß der einzige Anstrich seyn, den er dir giebt.

»Halten Sie inne,« fiel ich dem Wirth mit äußerstem Verdruß in die Rede, »und verschonen Sie mich mit solchen – Anträgen: ich will das Beiwort, das sie wohl verdienten, verschlucken. Kanonisieren Sie, wen Sie wollen nur mich nicht. Mein so genanntes Wunder, von dem ich gestern bei Ihnen ausruhte, war, deutsch gesprochen, nichts mehr und weniger als eine Posse: das können Sie mir nachreden, ohne mir Unrecht zu thun. Ein Herr wäre [93] wahrlich übel daran, wenn er für alles das stehen müßte, was seine einfältigen Bedienten um den Küchenherd von ihm posaunen.«

Ich ging ernst und mit großen Schritten die Stube auf und ab. Der Wirth schwieg, und ich sah es ihm an, daß er bei jedem hitzigen Worte, das ich ausstieß, immer mehr an meiner Heiligkeit irre ward. Du mußt wohl, dachte ich, ein wenig einlenken. – Sind doch schon klügere Leute durch solche Albernheiten verblüfft und verrückt worden. – »Es thut mir leid,« drehte ich mich gelassener zu ihm, »daß Sie einen geschickten Maler hierher bemüht haben; aber Sie sollen nichts dabei einbüßen. Ich will gern das Mißverständniß bezahlen, in das meine Leute Sie gebracht haben, von den vielen Lichtern und Schüsseln des gestrigen Abends an, bis auf den Fleischergang dieses Herrn. Setzen Sie nur alles auf meine Rechnung. Dafür bitte ich mir aber wiederholt aus, daß Sie allen Reisenden, die Sie über mein Wunder in Avignon dogmatisiren hören, das Verständniß öffnen, und entschuldigen Sie mich aufs beste bei Ihrer lieben Frau. Wenn ich Ihnen beiden etwas rathen soll, so behalten Sie ja das Bild unsers guten Kaisers fernerhin bei. Es wird Ihrem Hause gewiß das meiste noch einbringen. Warum sollte es andern Reisenden nicht gehen wie mir? Es erinnerte mich an die guten Tafeln von Wien – das Wasser kam mir in den Mund, und ich kehrte bei Ihnen ein.« –

Dieses brachte den Mann ganz wieder zu seiner Besinnung. »Sie haben Recht,« sagte er nach einigem Nachdenken; »Wien ist die hohe Schule der Kochkunst, und ein Wirth, der das seinige dort gelernt hat, sollte eigentlich in keinem Lande verderben. – Das Bild des Kaisers – ja – ja – weil der Herr Maler einmal hier ist, so mag er es heute noch auffrischen. Es bleibt doch noch immer das anlockendste Schild.« – »O ganz gewiß,« fiel ich ihm ein: »es erweckt nicht allein große Gedanken, sondern auch lüsterne. Aber ich möchte gern bei Zeiten nach Aix. – Schicken Sie mir meine Bedienten herauf, und sorgen Sie für das Anspannen.«

Ich warf ihm ein Schnippchen nach, und meine Wundergestalt [94] auf einen Stuhl, sobald er sich mit seinem Künstler getrollt hatte. – »So darf man,« sagte ich mit höhnischem Verdrusse, »nur eine Thorheit in der Welt begehen, oder dem dummen Haufen ein Blendwerk vormachen, wenn man wünscht sich modelirt, gemalt oder in Kupfer gestochen zu sehen, den Kirchen, den Wirthshäusern, den Büchersälen zum Schilde zu dienen. Da forschen denn Zeitgenossen und Nachkommen nach dem Ausdruck unsers Geistes – denken, so muß ein großes Genie aussehen, und, um der Larve ihres Vorbildes gleich zu werden, verzerren sie ihre eigenen. Nein, bei Gott! so ein Affengeschlecht als wir Menschen sind! – Und du,« – fuhr ich in meiner Galle gegen das Trio fort, das herein trat, »du Bastian – abergläubischer, dummer Kerl, und ihr beiden elenden Puppenspieler – was zum Teufel gehen euch meine Wunder an? Wenn euch nach der Ehre gelüstet, einem Heiligen zu dienen, so sucht euch einen; denn wahrlich euer Unverstand allein wird mich nicht dazu machen. Erwähnt einer von euch das vermaledeite Avignon noch mit einer Sylbe, so sind wir geschiedene Leute. Ich will dieses Nest durchaus vergessen, und mich nicht bei jedem Bissen Brod und von jedem Esel daran erinnern lassen. Das ist mein letzter Bescheid!«

Sie standen so einfältig und niedergebeugt vor mir, wie Ladendiener vor ihrem Handelsherrn in dem kritischen Augenblicke, wo er ihnen seinen Bankerot ankündiget. Ich sah es ihnen an, daß sie bei meiner Herabwürdigung mehr noch an die ihrige dachten; denn jeder Pinsel, er mag in einer Liverei stecken oder in einem Hofrocke, fürchtet an Werth zu verlieren und in Finsterniß zu versinken, wenn der Nimbus seines Gebieters verlischt. Zwei traten stillschweigend nach meiner Erklärung ab. Nur der Epilogus schien etwas noch auf dem Herzen zu haben, und fing mit seinem gewöhnlichen Anstande an, es auszukramen.

»Unter allen guten Eigenschaften eines Bedienten,« erhob er seine Theaterstimme, »steht wohl die Ehrlichkeit..« »Keine Chrie, Herr Volksredner,« siel ich ihm ins Wort, »die verbitte ich mir. Sage es ohne Umschweife. Was hast du anzubringen – nun?« – »Nun denn nämlich,« stotterte er, »ich bin so glücklich gewesen, [95] eine Entdeckung zu machen.« – »Und die besteht?« – »Ja, mein Gott! wie soll ich Ihnen antworten? Ich darf den Ort nicht nennen – Eigentlich braucht es auch nicht – es steckte ja nur in der Liverei, die Sie dort kauften.« – »Kerl,« fuhr ich ihn an, »das einemal sprichst du wie ein Buch, das andremal noch schlechter – Wo ist denn hier der mindeste Zusammenhang?« – »Sie wollen ja keinen,« versetzte er mit weinerlicher Stimme: »Ihr Verbot hat mich so – so irre gemacht, daß ich für alles in der Welt in diesem Augenblicke nicht auf einer Schaubühne stehen möchte – man würde mich auspfeifen; und doch ist das, was mir geschehen ist, ein wahrer Coup de théatre – Werden Sie nur nicht wieder ungeduldig, mein Herr! – Heute früh, als ich mich in meinen neuen Rock warf – wo muß ich gestern Nachmittags mein Gefühl gehabt haben? – stellen Sie Sich meine Ueberraschung vor, entdeckte ich einen verborgenen Schubsack. – Ja, den wird mir nun freilich niemand streitig machen; wem aber gehören die Sachen, die ich darin fand? Das ist die Frage. Gehören sie Ihnen, der die Liverei bezahlt hat? – dem Bedienten, der sie vor mir trug und verkaufte? – seinem Herrn, der sie anschaffte? – mir, dem sie jetzt auf dem Leibe sitzt? – oder dem unbegreiflichen Trödler, der ...«

Indem blies der Postillion, und ich griff nach meinem Hute. – Das that Wirkung. – Der Schwätzer fuhr nun in die Tasche, und zog seinen Fund hervor, der, in Makulatur geschlagen und mit einem schmutzigen Bande umwickelt, nichts viel wichtigeres als einen Pfefferkuchen erwarten ließ. – »O Sie werden gleich sehen, daß es keiner ist,« antwortete er meiner spöttischen Vermuthung, »wenn Sie noch so lange verziehen wollen, bis ich das Paket aufgeschnürt habe.« – Ich hätte ihm den Gefallen nicht gethan, wenn meine Neugier auch noch so groß gewesen wäre. »Das will ich bei Gelegenheit schon selbst thun,« antwortete ich; »denn dir will ich gewiß keine geben, dein Geschwätz fortzusetzen.« – Und so schob ich das Paket oben zwischen die Weste, und ging. – »Nein, mein Herr,« flüsterte er mir noch auf der Treppe ins Ohr, »es ist wohl ein Bißchen mehr als ein Pfefferkuchen – Bei dem hätte ich mir [96] kein Gewissen gemacht – Es ist eine Schreibtafel – ich habe noch keine von der Schönheit gesehen, und es steckt eine Arabische Handschrift darin, die ich aber weiter nicht untersucht habe.« – »Das will ich glauben,« antwortete ich kurz. – »Aber,« hielt er mich noch auf der letzten Stufe bei dem Aermel, »wem gehört sie denn nun?« – »Wem anders,« fuhr ich ihn an, »als dem Herrn des lüderlichen Burschen, der vor dir in der Liverei steckte. Einer von euch ist wie der andere. Eure Unordnung, eure Plaudereien und eure doppelten Schubsäcke sind den Teufel nicht werth.«

Wie ich an den Wagen kam, stand eine Menge Gaffer darum, die, so früh es auch war, doch vermuthlich schon von meinem Wunder gehört hatten. Ich stieg ein, ohne den Hut abzuziehen oder sie eines freundlichen Blickes zu würdigen. Das ist immer das sicherste Mittel, den Pöbel von falschem Glauben an uns abzubringen, und mehr wünschte ich jetzt nicht. Ein Heiliger wird es bei der frömmsten Seele nicht lange bleiben, wenn er sich ihr als ein Grobian zeigt.


Ich fand jetzt zum erstenmale, und werde es, fürchte ich, öfter finden, daß ich ein paar Bediente an den Puppenspielern zu viel hatte; denn ich wäre gern Bastianen aus meinem Wagen los gewesen, wenn ich nur einen andern unbesetzten Platz für ihn gehabt hätte. So saß er mir hier gegenüber mit seiner freundlichen Miene, in der allerlei Erinnerungen lagen, die mir in diesen Augenblicken eben kein besonderes Vergnügen machten. Ich habe Dir schon von der sprechenden Aehnlichkeit erzählt, die er mit seiner Schwester hat. Wie ich die Augen aufschlug, kam es mir vor, als ob mich Margot ansähe, und mich eben durch eine naive Frage außer Fassung bringen würde. Hätte ich ihr wohl nur die einfache Erkundigung: Wie haben Sie Sich die Zeit über befunden? beantworten können, ohne zu lügen und roth zu werden? Es ist doch eine eigene Sache um das Gewissen; es findet in jedem Kinde seinen gestrengen Richter; und zu welcher grausamen Folter wird ihm nicht der flüchtigste Hinblick auf ein unschuldiges Herz! Ich fühlte meine Brust immer beklemmter; und durch eine Verwechselung [97] des Sinnlichen mit dem Geistigen, die gewöhnlicher ist als man glaubt, schob ich es sehr philosophisch auf das Seelenfieber, das ich mir in Avignon zuzog, ohne eher zu muthmaßen, daß wohl auch eine äußere Ursache daran Schuld seyn könne, als bis ich vor Unruhe mir die Weste aufriß, und nun das Paket, das offenbar meine Hitze vermehrt hatte, heraus fiel.

Es kam mir recht wie gerufen. Meine Brustbeschwerde ließ nach, und die Neugier schaffte mir Zerstreuung. Kaum hatte ich es aus einander, so sah ich mit Erstaunen, in welchem hohen Grad mein Epilogus ehrlich gewesen war, wenn er anders Juwelen besser kennt als das Arabische. Das goldene Schloß an der Schreibtafel war mit Brillanten besetzt, davon sich einer drücken ließ, um es zu öffnen; die Arabische Handschrift aber war nichts mehr und weniger, als ein Deutscher Brief von mehrern Bogen, ohne eine andere Unterschrift, als einen einzelnen Buchstaben: indeß schloß ich doch aus dem Wenigen, was mir das Rütteln des Wagens zu lesen erlaubte, daß er von einem Landjunker herrührte, der – was denkst Du wohl? – den guten Geschmack – Gott weiß aus was für Ursachen – förmlich in Klage nimmt. Es hätte mir vielleicht die Zeit vertreiben können, einen Herren dieses Zeichens über einen solchen Gegenstand schwatzen zu hören; nur stellte ich mir den Spaß nicht groß genug vor, um deßhalb meinen Wagen auf der offenen Landstraße halten zu lassen. Ich schlug also den Brief wieder zusammen bis auf ein andermal: als ich ihn aber an seinen vorigen Ort bringen wollte, schob sich etwas dazwischen, das ich für ein Schnallenfutteral hielt. Die sind doch nicht auch etwa von Brillanten? dachte ich, häkelte den Deckel auf, und Himmel und Hölle! und »Halt – halt, Postillion,« rief ich, »ich muß an die Luft. – Fahrt langsam fort – ich werde nachkommen.« – So sprang ich heraus, blieb an der Straße stehen wie ein Meilenzeiger, und staunte lange vor mich hin, eh' ich bemerkte, daß Bastian neben mir stand und mich ängstlich beobachtete. »Warum,« fragte ich ihn mit hinfälliger Stimme, »bist du nicht sitzen geblieben?« – »Ach, lieber Herr, weil ich glaubte, es sei Ihnen etwas gefährliches zugestoßen.« – »Das ist es auch, Bastian: so [98] ein unerwarteter Anblick – – ich glaubte, der Schlag würde mich rühren. – Da, sieh selbst zu, ob ich recht gesehen habe! Erkennst du ...« – Bastian warf, wie er den Deckel des Futterals zurück zog, funkelnde Augen auf das Mignatur-Gemälde, das er hier erblickte, und schien sich und mich und die ganze Welt darüber zu vergessen. – »Nun?« fragte ich nach einer Weile. – »Ach wunderschön!« rief der junge Bursche. »Ich bin zwar nicht so glücklich, weiter etwas von dem Porträt zu kennen – als das Gesicht; wenn aber alles an der lieben Mamsell so treffend gemalt ist als das, so habe ich in meinem Leben nichts gleicheres gesehen. – Armes Klärchen!« fuhr er lächelnd fort, »der Tag ist schwül – wie behaglich mag es dir vorkommen, so allein zu seyn und dich zu lüften! – Ach wie würdest du zusammenfahren, wenn du wüßtest, daß dich ein Maler belauschte! – Der Schalk! Gewiß hatte er sich neben dir eingemiethet, wie wir, guckte durchs Schlüsselloch, zeichnete, pinselte, ohne Athem zu holen, und hat dich nun – ach Gott und wie? über und über verrathen! – Lieber Herr! sagte ich es denn nicht schon vor acht Tagen, wie ich das schöne Kind zuerst an dem Fenster sah, nichts weiter sah als das Köpfchen – daß es ein Engel wäre? Und kann wohl ein, ich frage Sie auf Ihr Gewissen, ein Cherubin reiner und durchsichtiger glänzen, als diese unvergleichliche Figur?«

Jetzt merkte ich erst, wie unrecht ich that, den feurigen Jüngling mit der ganzen unverhüllten Gestalt dieses Engels bekannt zu machen: denn ob ich gleich noch vor kurzem in meinem Tagebuche dieser Art Kabinets-Malerei das Wort sprach; so setzte ich doch, wie Du weißt, gewisse Bedingungen voraus, unter denen sie allein von Nutzen seyn könne; und diese fielen freilich ganz bei meinem guten Bastian weg. Es ward ihm unglaublich schwer, sich von der schönen Waare zu trennen, die ihm hier, vermuthlich zum erstenmale, zur Schau vorgelegt wurde. Es gehören freilich mehr Jahre und andere Erfahrungen dazu, als die seinigen waren, um über diesen Prunk der Natur gleichgültig hinweg zu gaffen.

»Aber wie konnte Sie das schöne Bild so erschrecken?« fragte Bastian, indem er es mir mit einem Seufzer zurückgab. – »Wie [99] es das konnte?« antwortete ich ziemlich verlegen: »weil ich, wie du schon gehört hast, an nichts, was in Avignon lebt und webt, erinnert seyn will, am wenigsten an ein Geschöpf, das der hohen Schönheit nicht werth ist, mit der es die Natur beschenkt hat.« – »Ach, bei allen den Fehlern des Originals, bei allem, was Sie dem guten Kinde Schuld geben,« antwortete Bastian, »wird doch gewiß jedermann so ein Bild gern sehen; und es ist wohl glücklich, daß Sie gestern der Propheten-Wirth auf die Spur des Eigenthümers gebracht hat! Er wird sich nicht wenig freuen, wenn er es wieder erhält!« – »Ja, ja,« sagte ich, »er hat es theuer genug erkauft, und bezahlt noch daran.« – »Was muß sein Kammerdiener für ein alberner Mensch seyn!« fuhr der meinige listig fort. »Wenn mir so etwas zum Aufheben anvertraut würde, ich wollte gewiß das sorgfältigste Auge darauf haben.« – »O ich kenne deinen Diensteifer,« antwortete ich lächelnd: »aber jetzt hast du Bewegung nöthig; lauf nach dem Wagen und laß ihn halten.«

Nun war ich allein, konnte nun, wie ich so gern thue, meine Empfindungen gegen mich laut werden lassen, konnte nach Belieben mit den Füßen stampfen und in die Luft reden, ohne daß jemanden hinter oder neben mir Angst werden, oder daß er mich fragen durfte: Was fehlt Ihnen? – »Ein heimtückischer Streich!« rief ich, und warf grelle Augen auf die Mignatur. »Abscheulich schönes Geschöpf! wie weit glaubte ich mich schon von dir und deinem Andenken entfernt, während sich dein Bild, großer Gott! an meinem beängsteten Herzen erwärmte, und sich nun auf einmal so reizend und unverschämt meinen Augen darlegt, wie es deine Kasuisten erlauben! Konnte der Zufall,« fragte ich bitter, »keinen andern Boten auftreiben als mich, um das Gemälde dieser heiligen Buhlerin über die Gränze zu bringen?« – Einen Augenblick war ich entschlossen, es an einem Stein zu zermalmen. Die Ehrfurcht für die Kunst allein, die Achtung für fremdes Eigenthum, hielten mich ab. Nun! so will ich denn wenigstens, dachte ich, dieser Kreatur, ob sie gleich sonst nicht verdient die Feder eines rechtlichen Mannes zu beschäftigen, ein Monument setzen, und ihrem Bilde eine Warnung anhängen, die seine blendenden Farben so gut wie vernichten, [100] und den lüsternen Herren, denen es nach mir unter die Hände kommt, die Lust schon benehmen soll, das Original aufzusuchen. Ich hoffe, die keuschen Musen, wenn sie wirklich keusch sind, sollen es mir vergeben, daß ich dem Rücken dieser Heiligen den Stempel ihres Lebens zum Correktiv ihres verführerischen Anblicks aufdrücke. Eine widrige Beschäftigung! ich gestehe es gern: da sie aber nur dahin zielt, den Lieblingen meines Herzens, den jungen Unerfahrnen, denen, wie meinem armen Bastian, die Natur so heftig zusetzt, daß sie darüber alles verhören, was ihnen die Sittlichkeit vorpredigt – die Augen über diesen kasuistischen Kontreband zu öffnen; so ist die Frage, ob in dem ganzen Martial ein einziges so gemeinnütziges Epigramm steht, als das meinige hoffentlich werden soll.

Unter diesem Selbstgespräche setzte ich mich, ohne weiter zu zweifeln, ob ich auch diesen Ehrenplatz verdiene, in den Schatten eines Lorberbaums, der nicht weit von dem Wege stand, spitzte meinen Silberstift und schrieb nun auf die Rückseite des elfenbeinernen Blattes folgende Adresse an die Vorderseite, wobei ich nicht viel andres that, als die Herzensbewegungen meines guten Bastian getreu zu übersetzen, und am Ende ein kurzes Sapienti sat beizufügen:


Ach, welch ein Engel setzt hier mir Herz und Augen in Brand!

Wirft nicht ein Spiegel, wie der, uns den verlorenen Stand

Der Unschuld wieder zurück? Baut dort in schattiger Lage

Nicht noch die Tugend ihr Nest, wie seit dem ersten der Tage,

Als Gott ihr stolzes Gefühl mit einem Kleinod verband,

Für das, der alles genannt, doch keinen Namen erfand?

Dein Aug' in Ehren, doch, Freund, vor der Entscheidung der Frage

Leih' erst dein prüfendes Ohr der tausendzüngigen Sage.

Dieß Wunder Gottes, spricht sie, so weit das Aug' und die Hand

Es zu begreifen vermag, steh' als ein eisernes Pfand,

Gleich andern Wundern der Welt, in Mönchs- und Pfaffenbeschlage,

Und – Doch bedarf es wohl noch, daß ich um Worte mich plage?

Was dir ein Engel verspricht, mit solchen Geistern verwandt, –

Flieh die Erfahrung – versteht sich ohne Glossen am Rand.


Sobald ich die Schöne mit dieser Aufschrift gebrandmarkt und mein Müthchen gekühlt hatte, ward ich ruhig und heiter, wie ein Mann nach einer gethanen mühseligen Pflicht, steckte das Bild in [101] die Schreibtafel, und schwur, es nicht wieder vor meine Augen zu bringen. So gar lange wird es ohnedieß nicht in meiner Verwahrung bleiben: denn schwerlich möchten die Aerzte in Montpellier den rechtmäßigen Eigenthümer vorher entlassen, eh' ich hinkomme, wiewohl er ohnehin dieß Souvenir nicht so gar nöthig haben wird, um sich lebhaft an sein Liebchen zu erinnern.

Während des Hingangs nach meinem Wagen überlegte ich, wie ich die vielen Tage, die ich durch meinen abgekürzten Aufenthalt in Avignon gewonnen hatte, um vieles nützlicher in der Hauptstadt der Provence anwenden wollte, nahm meinen geographischen Wegweiser zu Hülfe, überlas alle die Merkwürdigkeiten, die er mir dort versprach, und freute mich herzlich der guten Gesellschaft, die, seiner Versicherung nach, dort so einheimisch seyn soll, als es in Avignon die schlechte ist. Mit diesen Gedanken beschäftigt, erreichte ich meinen Wagen, und eine Stunde nachher die Stadt.


Ich weiß nicht, lieber Eduard, ob Dir die eigene Gewohnheit bekannt ist, der ich mich fast mechanisch überlasse, wenn ich in einen fremden Ort komme. Ich gehe nämlich, so wie ich aussteige, auf seine Beschauung aus, und zwar aus mancherlei Ursachen. Denn einmal kann man sich den ersten Tag, wo man noch stockfremd auf den Gassen ist, manches erlauben, wozu man schon den zweiten nach seiner Ankunft nicht mehr das Herz hat, und darüber, die niedrigste zwar, aber auch erste Sprosse überhüpft, die doch unsere Leiter, auf der wir empor steigen, so gut zusammen hält als die oberste, und mitgezählt werden muß, wenn man die Höhe richtig bestimmen will. In dieser Rücksicht ist die erste Stunde Deines Eintritts in ein städtisches Getümmel sicher auch die bequemste. Sie ist die einzige, die Deinen Launen und Deinen Schritten noch ihren Gang frei läßt, der einen Tag später, wo wenigstens Dein Wirth und Dein Lohnlakai Notiz von Dir nehmen, um ein gut Theil beschränkter ist. Dein zerzaustes Haar, die ungesalzene Miene, der staubige Ueberrock, die Du von der Reise mitbringst, nöthigen niemand, vor Dir den Hut zu ziehen, oder Dir höflich aus dem Wege zu treten. Du könntest Dich, wenn Du es bedarfst, [102] an der Ecke der Straße barbiren lassen, ohne den Blick eines Vornehmen zu scheuen, der etwa bei Dir vorbei geht, indeß Dich noch oben darein das geheime Bewußtseyn kitzelt, mehr zu seyn, als Du vorstellst, und als die guten Leute glauben, unter die Du Dich gemengt hast. Morgen – wenn Du vielleicht gern mehr vorstellen möchtest als Du bist, ist es mit diesem Kitzel vorbei, und es ist noch die Frage, ob Dir das abgeredte Spiel der großen Welt selbst diese kleine, nicht unbehagliche Empfindung ersetzen würde. Aber schon deßwegen möchte ich nicht von meiner Gewohnheit abgehen, weil mich die Erfahrung gelehrt hat, daß der erste Eindruck, den die Außenseite einer Stadt, so dunkel er auch ist, bei mir zurück läßt, mich doch weit weniger irre führt, als ihre Topographen und besoldeten Trompeter. Ich könnte Dir eine Menge großer und kleiner Städte herzählen, wo ich nichts weiter nöthig hatte, als aus dem Wagen zu steigen, durch den Koth ihrer Gassen zu waden, die Schnörkel an den Giebeln ihrer Häuser zu begaffen, den Drachenköpfen ihrer Dachrinnen auszuweichen, einen Blick auf ihre Markgeschäfte zu werfen, oder einer ihrer geputzten Gesellschaften mit meinen Augen und Ohren auf der Promenade nachzuschleichen, um geschwind mit mir einig zu werden, – weiter zu fahren. Ich könnte Dir ... Doch ich will Dich nicht länger mit meiner Vorklage aufhalten, sondern Dir kurz und gut sagen, daß es mir in dem merkwürdigen Aix gerade so ging.

Meine Uhr stand auf zehn, als ich ankam, und auf zwölf, als ich wieder abfuhr, ungeachtet ich während dieser kurzen Zeit auch eine Klosterkirche besuchte, die außer den Ringmauern lag. Traue einer den Reisebeschreibern! Wie konnten sie es einer einzelnen Gasse wegen, die auf beiden Seiten mit Palästen besetzt, und so breit ist, daß freilich von den Gliedern des Parlaments, die darin wohnen, keines dem andern auf die Finger sehen kann, eine herrliche Stadt nennen, ohne die unzähligen Nebengassen in Anschlag zu bringen, wo der ungleich größere Theil ihrer Einwohner durch schmutzige, verfallene Häuser, wie an einer rostigen Kette, gleichsam an einander geschlossen ist? Alle meine Blicke, die ich neugierig von einem Thore zum andern ausschickte, kamen [103] unbefriedigt und schwermüthig zurück. Ich sah doch in der Welt nichts, als einzelne, scheue Menschen, die es auf meiner offenen Stirne zu lesen schienen, daß meine Verhältnisse unter dem Monde glücklicher wären als die ihrigen, und mir mit ingrimmiger Miene aus dem Wege traten, wenn ich sie anblickte. Ein Kaffeehaus, in das ich eintrat, vereinigte zehn Bürger, die, jeder für sich, ihr Frühstück einschlürften, ohne einen Laut von sich zu geben, und die von eben so maulfaulen Menschen bedient wurden. Ich schlenderte den geräumigen Markt einigemal auf und ab. – Der Ausdruck einer wohl genährten groben Selbstliebe in den Gesichtern der Vornehmen, denen ich begegnete, empörte mein Herz; die schüchterne Darlegung derselben in den Mienen der Geringern, auf die ich stieß, erweckte in demselben ein widriges Mitleiden; und die gefühllose Dummheit auf den Stirnen der Mönche, die hinter ihren Schmerbäuchen hertrabten, verdarb mir vollends meine schöne Morgenstunde. Mein Urtheil war geschwind gefällt, und noch erlebte ich hinterher etwas, das mich wahrlich nicht verführen konnte, es wieder zurück zu nehmen. Ich brachte das eine wie das andere in ein paar Dutzend Zeilen, die ich in mein Memorien-Buch schrieb, und auch Dir zu Deiner Notiz dieser Stadt hersetzen will.


Ihr weises Parlament hält Bürgerschaft und Adel

In gleicher Mäßigkeit und Ruh,

Und dreht hier jeden Kopf, wie der Magnet die Nadel,

Dem Gegenpol der Freude zu.

Gewohntes Beispiel, träger Wille

Gießt Oel auch in des Jünglings Blut,

Und in den Gassen herrscht solch eine Sabbathsstille,

Wie auf dem Markt zu Herrenhut.

Auch fühlt' ich gleich in Einem Vormittage,

So gut als hätt' ich es schon Jahre lang gefühlt,

Wie wenig mir ein Puppenspiel behage,

Wo Harlekin die zweite Rolle spielt.

Indem mich nun der Geist der Langenweile

So vor sich her, gleich einem Kreisel trieb,

Rief mir mein Taschenbuch zum Glück ins Ohr, ich eile

Dem Tempel jetzt vorbei, wo Friedrich eine Zeile,

Und zwar die einzige für einen Tempel, schrieb,

Weil seinem D'Argens hier, dem Feinde

[104] Des Irrthums und der Wahrheit Freunde,

Das letzte Ruheplätzchen blieb.

Welch Auge blickt nicht gern nach einer Myrtenkrone,

Die, sonder Neid, ein Mitgenoß

Der Seligkeit am Helikone

Um seines Freundes Urne schloß! –

Dem Zuruf eines Aschenkruges

Von dieser Seltenheit geh nie mein Stab vorbei!

Doch hier – betrogne Phantasei! –

Fand ich, statt Friedrichs Wort, ein hämisch aberkluges,

Verworrnes Epitaph im Styl der Klerisei,

Das mir bewies, daß nie im Weichbild der Abtei

Ein Feind des Irrthums und Betruges

Zu seiner Ruh gekommen sei.


Noch einige Worte zur bessern Erläuterung dieses Textes. Ich fragte den Minoriten, der mich in seiner Klosterkirche herumführte und den Teppich abnahm, mit dem das marmorne Monument des guten D'Argens bedeckt war: warum man denn die kurzen königlichen Worte mit einem solchen Schwall anderer vertauscht hätte, als ich hier in goldenen Buchstaben vor mir sah? – »Weil wir sie,« antwortete er mit dummer Aufrichtigkeit, »in dem Sinne nicht brauchen konnten, die der König hinein legte. Die Freigebigkeit des königlichen Ketzers trugen wir kein Bedenken zur Verschönerung unserer Kirche zu benutzen; aber seiner heidnischen Inschrift geschah nicht mehr als Recht, da sie auf Befehl unserer Obern wegbleiben mußte.« – »Diese Abweichung,« antwortete ich, »würde sich kein Kloster in Schlesien erlaubt haben.« – »Auch wir nicht,« lachte er laut auf, »wenn wir dem Tyrannen so nahe wären als jene; aber die Entfernung, mein Herr – bedenken Sie nur die Entfernung!« – Ich brauchte wahrlich dieser seiner Erinnerung nicht, und fühlte es in diesem Augenblicke nur zu sehr, wie weit ich von Berlin verschlagen war. Ich hätte mich mit der französischen Aufschrift begnügen sollen: denn bei demhaut et puissant Seigneur, mit dem Nachsatze Chambellan, verzog sich mein Mund doch nur zum Lächeln; die Lateinische hingegen erweckte nichts weiter in mir als Aerger. »Instante morte,« wiederholte ich laut, und drehte mich nach dem Mönch – »Aber, [105] lieber Mann, ist es denn auch so gewiß, als Ihr Latein sagt, daß sich der Marquis noch aus seinem Todbette zu dem Glauben seiner Väter bekehrt hat?« – »O nichts weniger,« fiel der Minorit ein: »das ist nur ein Anstrich, den wir der Sache gaben! Nein, mein Herr, er ist gestorben – Sie werden es hören, wenn Sie nach Toulon kommen – wie er gelebt hat: Erroris inimicus – veritatis amator. Er verlangte hier – in seinem Erbbegräbniß beigesetzt zu werden. – Angemerkt haben wir es auf dem Epitaph – aber wir wußten es zu verhindern: denn was kümmert uns die Asche eines Abtrünnigen, der Judenbriefe geschrieben, und Freund und Anhänger Friedrichs des Großen, oder vielmehr, wie wir das Frederic le grand auf der Inschrift verstehen – des größten Freigeists unseres Jahrhunderts war!« – Dummes Geschöpf! dachte ich, und suchte es ihm noch durch meine Blicke zu verstehen zu geben, als ich die Kirche verließ. – –


Ihr habt doch noch nicht abgepackt? rief ich meinen Leuten entgegen, die an der Thüre des Gasthofs aus mich warteten. – Noch nicht, antworteten sie. – Nun, so laßt in diesem Augenblicke anspannen.

Ich trat unterdeß in das Speisezimmer, und fand die Tafel gedeckt, um die schon einige geistliche Herren in hungriger Erwartung herschritten. Der Wirth war ganz betroffen, als er meinen sonderbaren Befehl hörte, überreichte mir den Küchenzettel, und zählte mir alle seine Weine an den Fingern her; da aber auch das nicht verfangen wollte, fragte er mich, ob ich denn schon bei den Kapuzinern das unüberwindliche Krucifix, die Manufaktur der Macaroni, und die Sammlung von Reliquien bei den Nonnen der Heimsuchung Mariä gesehen hätte, die einzig in ihrer Art wäre? – Kein Reisender würde es so leicht verabsäumen, der nur einen Gran ... »Sollte sich wohl,« unterbrach ich ihn geschwind mit der Gegenfrage, »der zweite Kniegürtel der Mutter Gottes darunter befinden?« – »Kann wohl seyn,« antwortete der Wirth, »denn die Sammlung ist die vollständigste in der ganzen christlichen Welt.« – »Aber warum fragen Sie eben nach dem zweiten?« fiel [106] ein junger Abbé ein. – »Weil der eine,« erwiederte ich, »vorige Woche in Avignon versteigert wurde.« – »Und wer ist denn so glücklich gewesen ihn zu erstehen?« fuhr er mit sichtbarer Neugierde fort. – Daß man es doch nicht lassen kann, auch in unbekannter Gesellschaft, und wäre sie noch so schal, sich eine wichtige Miene zu geben! »Ich, mein Herr,« warf ich mit vornehmer Gleichgültigkeit hin, und zog mir darüber den ganzen Troß auf den Hals. – Der eine wollte wissen, wie hoch er mir zu stehen käme? der andere, aus welchem Stoff er bestände? und ein dritter bat sich die Gefälligkeit aus, ihm solchen zu zeigen. Ich bedauerte unendlich, daß er nicht mehr in meinen Händen sei. Da das kostbare Stück von der Toilette einer Dame herrühre, habe ich für billig gehalten, es wieder an eine zu bringen, die sich aber, wenn die Herren nach Avignon kommen sollten, gewiß ein Vergnügen daraus machen würde, es ihnen vorzulegen. – »Und ihre Adresse, um Vergebung?« riefen zwei zugleich, und einer so hastig als der andere. Wäre die meinige, die Du oben gelesen hast, nicht Deutsch gewesen, und hätte ich es nicht verschworen, mir das Bild wieder unter die Augen zu bringen, wer weiß was ich gethan hätte! Unstreitig etwas ganz überflüssiges – denn kaum daß ich ihnen geantwortet hatte: Es ist eine junge Heilige, Namens Klara, so singen sie alle zugleich an, mir in das Gesicht zu lachen. – »O meine Herren,« stimmte ich mit ein, »wie ich sehe, ist Ihnen das fromme Mädchen so gut bekannt, als mir selbst, und so habe ich Ihnen denn auch weiter nichts zu sagen.« – Sie setzten sich nun mit großer Lustigkeit zu Tische, die ich ihnen von Herzen gönnte, und ich steckte zu einiger Entschädigung des Mittagsmahls, da es doch sehr wahrscheinlich war, daß ich es ungenossen würde bezahlen müssen, das Brod von dem Kouverte ein, das für mich hingelegt war. – »Da thun Sie wohl,« winkte mir der Wirth zu, »denn in Marseille ist es kontreband.« – »Und warum das?« fragte ich. »Weil dieß Produkt unsrer Gegend, wie Sie auch selbst finden werden,« antwortete er, »so vorzüglich gut ist, daß es uns die reichen Marseiller vertheuern würden, wenn die Ausfuhr davon erlaubt wäre. Indeß können Sie doch bei meinem Vetter, dem Wirth im heiligen [107] Geiste,« flüsterte er mir in das Ohr, wie er mich an den Wagen begleitete, »täglich so viel davon bekommen, als Sie nur wollen, wenn es Ihnen einerlei ist, es unter einem andern Namen zu essen.« – »Es wird doch nicht eingesegnet?« sagte ich lächelnd, dankte ihm für die gute Anweisung, die er mir gab, fuhr nun um vieles besser gestimmt durch die leeren Gassen, und hoffentlich zum letztenmale bei dem dummen Minoritenkloster vorbei.


Gott gönne, rief ich noch, der Asche des Verfassers

Der Judenbrief' in klügern Mauern Ruh! –

Und flog nun, wie ein Strom lang' aufgehaltnen Wassers,

Dem lustigen Marseille zu.


Ich flog, wie ich nur erst die Vista erreicht, und die große Handelsstadt und den Spiegel des Meers vor mir liegen hatte, durch das reizendste Land, das sich die schwelgerischte Einbildungskraft nicht schöner zu malen im Stande ist. Schade nur, daß es nicht unter dem Zepter des großen Freigeists steht, wie jene geweihten Zwerge ihn schimpfen! Wie würde Friedrich dieses Feuer der Natur, dieses fruchtbare Klima, diese Weizenfelder und Oelgärten, und die Kräfte dieser bräunlichen lebhaften Menschen benutzen, die jetzt bald von diesem, bald von jenem verdammten Heiligen ihrem Tagewerke entrissen, und, in Processionen zusammen getrieben, aus einem Narrenfeste in das andere zu Grabe gehetzt werden!

Das stärkende Brod, unerachtet ich keinen Brocken davon verstreute, konnte mich doch nicht ganz über die Besorgniß beruhigen, daß ich Marseille nicht zeitig genug erreichen würde, um in dem heiligen Geiste noch einen gedeckten Tisch zu finden. Ich betrog mich zu meinem Vergnügen. In einer Seestadt, wo kein Wind bläst, der nicht den Speisewirthen einen Trupp Ausgehungerter zuführt, finden alle Nationen, zu allen Zeiten des Tags und in jedem Gasthofe, die Einrichtung einer Feenwirthschaft. Unzählige dienstbare Geister nehmen den Ankömmling in Empfang. Immer fertige Gerichte rauchen ihm entgegen, und keiner verläßt den Speisesaal, der nicht in seinem Kauterwälsch Gott für die sinnliche Freude der Sättigung, und für das bängliche Leben, [108] dankt, das er ihm wieder um einen Tag fristete. Um wie viel klüger kam ich mir vor, daß ich mich weder durch den Hunger, noch durch die Tischgesellschaft in Aix hatte verführen, und um den mannigfaltigen physischen und geistigen Genuß betrügen lassen, den mir hier eine neben dem Weltmeere errichtete Tafel – den nur die verschiedenen Sitten, Trachten, Gesichter und Zungen versprachen, die das erste menschliche Bedürfniß freundschaftlich um mich herum an einander reihte!


Das war ein guter Geist! Durch ihn ward ich der Qualen

Des Spleens und Hungers los. In seinen Mittagsstrahlen

Erquickt der Matte sich. Hier trieben Ries' und Zwerg

Und Juden, Türken, Kanibalen,

An Einem Tisch vereint, das Selbsterhaltungs-Werk,

Wie Moses, Mahomet und Petrus es befahlen.

Mir, da Deisten auch nicht mehr als andre zahlen,

Blieb meine Zunge zwar das erste Augenmerk:

Doch lächelnd sammelt' ich zugleich die leeren Schalen

Von Hummern, Matripors, Seeigeln, Admiralen,

Für einen Freund zu Nürenberg.


Ich konnte mich von dem angenehmen Schauspiele dieser Tafelrunde nicht trennen, selbst da meine Rolle dabei gespielt war. Ich blieb noch immer ritterlich daran sitzen, und erlauerte dadurch ein Vergnügen, das ich seit meiner Reise entbehrt, und auf das ich in diesem Augenblicke am wenigsten gerechnet hatte. Denn eben als ich mich in geheim über den blinden Nationalstolz und über das Vorurtheil eines Spaniers lustig machte, der uns allen beweisen wollte, daß die Mandeln zu Cadix weit voller und schmackhafter wären, als die hiesigen – erschienen zwo junge artige Damen mit einem ältlichen Mann an der Seite, warfen fröhlichen Muths ihre Staubmäntel ab, und setzten sich nach der Anweisung der frischen Couverts, die der Wirth für sie hinlegte, in meine Nachbarschaft. Je näher sie mir kamen, desto weißer schien mir ihre Haut, desto glänzender ihre Augen, desto gütiger ihre Blicke zu werden: aber sie entzückten mich erst über alle Maßen, als ich sie gegen einander sprechen hörte; denn sie sprachen – Deutsch. Nun habe ich immer geglaubt, es erfordere schon die allgemeine Achtung gegen das schöne [109] Geschlecht, daß man nie ein paar Mädchen fortschwatzen lasse, in dem Falle, daß man ihre Sprache versteht, ohne sie in Zeiten von diesem Umstande zu benachrichtigen. Ich that es daher auch jetzt. Es standen frische Erbsen vor mir, ich bot sie der mir nächsten mit der Anmerkung an, daß dieses Gericht für Deutsche etwas sehr neues vom Jahre wäre. – »Ganz gewiß,« antwortete sie; »unter vier Monaten würden wir,« Du kannst denken wie ich überrascht wurde, »schwerlich in Berlin welche geschmeckt haben.« – »Wie, meine lieben Nachbarinnen?« fuhr ich lebhaft fort, »Sie sind Berlinerinnen?« – »Das sind wir,« versetzte sie lachend: »wundern Sie Sich darüber?« – »Freilich sollte es mich wundern,« antwortete ich, »daß ich erst ein paar hundert Meilen von Hause so ausgezeichnete Landsmänninnen kennen lerne.« – Hier drehte sie sich lustig nach der andern Seite: »Schwester, der Herr will mir weiß machen, er wäre von Berlin; melde es doch dem Vetter, der versteht sich besser aufs Examiniren, als ich.«

Ich bog mich etwas vorwärts, um den Herrn in das Gesicht zu fassen, und fand die Anspielung seiner schönen Nichte sogleich nur zu deutlich erklärt; denn diese Physiognomie konnte niemanden angehören als einem Visitator, und es fand sich auch nachher, daß ich richtig gesehen hatte. Mir war jedoch jetzt mehr daran gelegen, seiner reizenden Nichte, als ihm, mein Indigenat zu beweisen; ich fing es aber am unrechten Flecke an. Ich nannte ihr alle meine Berliner Freunde und Bekannten; aber leider gehörte keiner davon zu den ihrigen, und von allen den stolzen Namen, mit denen ich das Maul voll nahm, war auch nicht Einer von ihrer Bekanntschaft! Selbst von Dir, lieber Eduard, hatten sie nie gehört, so schön sie auch waren. Ich war trostlos. Indeß schien mir noch nicht alles verloren. – »Nennen Sie mir,« sagte ich, »nur einige Personen aus Ihrem Zirkel; es müßte nicht gut seyn, wenn wir nicht am Ende zusammen treffen sollten.« – Aber da ging es eben so unglücklich. Ich wußte ihr auf keine ihrer höhnischen Fragen, weder wo der Monddoktor wohne, noch wen die alte Sibylle auf dem Johannismarkte geheirathet habe, noch auf andere dergleichen Dinge, womit sie mich in die Enge trieb, den geringsten Bescheid [110] zu geben, und ich sah wohl, daß ich so lange bei ihr für einen Prahler gelten würde, bis ich mich durch andere Umstände legitimirte, die besser zu den ihrigen paßten. Ich erbot mich daher, sie nach Tische auf ihr Zimmer zu begleiten, und mich dem scharfen Examen ihres Herrn Vetters zu unterwerfen. Sie versicherte mich, daß es ihnen lieb seyn würde, setzte bis dahin ihren Verdacht bei Seite, und schwatzte nun von allerei gleichgültigen Dingen, die mir aber gar nicht unwichtig schienen, so lange sie ihr weißes, freies, deutsches Gesichtchen mir zukehrte, in das ich mit wahrer Vaterlandsliebe blickte. Als sich ihr Herr Vetter gesättigt hatte, standen wir alle auf seinen Wink auf; ich bot seinen beiden Nichten den Arm, er schlenderte hinter uns her, und sie hatten nichts dawider, daß ich befahl, uns einige Erfrischungen auf die Stube nachzubringen.

Mein Vorstand bei dem Herrn Vetter war sehr kurz. Nach zwei Worten war er von der Wahrheit meines Vorgebens überzeugt, ich erhielt Ehrenerklärungen von den Damen, und wurde nun mit gegenseitiger Freude für ihren Landsmann erkannt; denn in einer je größern Entfernung von der Heimat man einen Mitbürger findet, desto lieber wird er uns. Es ist, als ob der Gedanke eines gemeinschaftlichen Vaterlandes erst außerhalb desselben Stärke bekäme. Die äußern Verhältnisse, wodurch er dort nur zu leicht geschwächt wird, verlieren ihren Druck durch die Weite des Wegs. Der Abstand der Vornehmen von den Geringern scheint sich von selbst aufzuheben, wo die Abstufungen fehlen, die den Zwischenraum ausfüllen, und man umarmt sich aus patriotischem Gefühl, ohne lange zu fragen, zu welcher Kaste gehört ihr? Es that mir so wohl wieder einmal neben Menschen zu sitzen, die seit ihrer Jugend, wo nicht einerlei Gesellschaft mit mir genossen, doch dieselben Glocken, dieselben Trommeln gehört hatten – den Thiergarten so genau kannten als ich, und, so gut wie ich, gegen Berlin alle andere Städte verachteten, durch die sie gekommen waren. Wir wechselten unsere politischen Bemerkungen, wie unsere eigne Geschichte, auf das traulichste gegen einander aus. Ich wäre, glaube ich, aus Ueberfluß des Herzens im Stande gewesen, ihnen mein [111] geheimes Tagebuch vorzulegen, wenn es die Zeit erlaubt hätte, und sie waren eben so wenig zurückhaltend gegen mich. Vorzüglich machte sie ein Glück schwatzhaft, das ihnen über dem Meere bevorstand. Die Sache hing so zusammen.

Eine Schwester des Herrn Visitators und Tante seiner beiden Bruderstöchter, die – sagte die eine – in ihrer Jugend bildschön war, hatte in dem siebenjährigen Kriege einen französischen Proviant-Bedienten geheirathet, der, nach unglaublichen Abenteuern zu Wasser und zu Lande, sich endlich mit ihr in St. Domingo niederließ, sich dort – fiel hier der Visitator ein – erstaunliches Vermögen erwarb, und auf seinem Todbette es seiner Wittwe vermachte. Durch die Länge der Zeit war das gute Weib nun auch hinfällig geworden. Sie soll, lispelte die andere Nichte, sehr kränkeln, und kann sich fast gar nichts mehr zu gute thun. Ihr vieles Geld kann sie auch nicht mit aus der Welt nehmen. Das bedachte sie, und Gott rührte ihr Herz, daß sie sich noch in Zeiten nach ihren armen Verwandten umsah, und sie mit dem Versprechen zu sich einlud, ihnen ihre Erbschaft zuzuwenden. Der Herr Vetter suchte sogleich, wie er diesen wichtigen Brief erhalten hatte, um Entlassung aus preußischen Diensten an, die er auch auf das allergnädigste erhielt, und reist nun, überflüssig mit Gelde versehen, das ihm seine liebe Schwester von Banquier zu Banquier anwies, mit den beiden einzig übrig gebliebenen Sprößlingen der Familie einem Reichthum entgegen, auf den er, wie er mich heilig versicherte, in seinem ganzen Leben nie rechnen konnte. Indeß verschwört es der gute Mann nicht, wenn er bald genug zum Besitze dieser Glücksgüter gelangen sollte, wieder in seine Vaterstadt zurück zu kehren; denn er stellt sich es doch als einen großen Spaß vor, sich einmal allen den Augen in einem gewissen Anstande zu zeigen, die ihn von Jugend an nur als einen Lump gekannt hätten.

Ich unterdrückte das Lächeln, zu dem mich diese entfernte Hoffnung des ehrlichen Mannes so kurz vor seiner Hinreise, und die treuherzig wichtige Miene, mit der er sie vorbrachte, nur zu sehr reizten. Der Gedanke ist so natürlich, Eduard: es scheint uns ja allen, so viel wir unser sind, auch das größte Glück fast[112] kein Glück mehr, wenn wir es immer entfernt von unserer Heimat genießen, und nicht die Freiheit haben sollen, unsere alten Bekannten und Schulgesellen damit zu blenden. Ich hörte, wie Du aus meiner genauen Wiedererzählung schließen kannst, zum erstenmale einem Visitator mit aufmerksamer Geduld zu; ob ich mich gleich nicht für eben so verbunden hielt, während er sprach, bei seinen gemeinen Gesichtszügen zu verweilen, da ich die Wahl hatte, meine Augen indeß mit zwei andern deutschen Gesichtern zu vergnügen, die freilich nicht so alltäglich waren, als das seinige. Doch ich ward bald genug seiner ganzen redseligen Person los.

Der Kapitän, dem die Wittwe zu St. Domingo die Ueberfahrt ihrer Verwandten als eine Rückfracht verdungen, so wie sie jenen zugleich die Zeit, wo sie mit ihrem Führer zusammen treffen sollten, bestimmt hatte, ließ ihnen jetzt wissen, daß er wegen seiner nunmehr beendigten Geschäfte sie mit ihrer Habe an Bord erwarte, um noch diese Nacht abzusegeln. Mit dieser Nachricht schickte er ihnen zugleich Träger, um die Koffer zu holen. Der arme Visitator und seine Nichten hätten nun wohl gern noch diese Nacht auf festem Boden von ihrer Landreise ausgeruht; da es aber die Umstände nicht erlaubten, so gaben sie sich heroisch darein, und, nachdem er hastig eine Tasse von der Chokolate und zwei Gläser von dem Champagner hinunter gestürzt, die der Kellner für meine Rechnung eben auf den Tisch gepflanzt hatte, so eilte er seinen Koffern nach, versprach seine Nichten abzuholen, wenn es Zeit zur Abfahrt wäre, und überließ uns mit einem freundlichen Winke den Ueberrest der Kollation.

Das Zimmer kam mir zwar viel aufgeräumter und geputzter vor, als er weg war: doch machte mich das große Zutrauen eines Onkels nicht wenig stutzig, der mich in der Dämmerung, bei solchen Erfrischungen, mit solchen Mädchen allein lassen konnte, die jetzt in der lustigsten Laune von der Chokolate zu dem brausenden Wein übergingen, und abwechselnd, dem festen Lande, wie sie sagten, zur letzten Ehre, trällernd um den Tisch tanzten, bis es für diese Art Leibesbewegung zu dunkel ward. Fürchte aber nur nicht zu sehr für mich, Eduard. Denn, ungeachtet die Gefahr wuchs, als [113] die fünfzehnjährige Schwester, nach wohl errungener Müdigkeit, der sechzehnjährigen den Tummelplatz allein überließ, und sich mit der Bitte in das anstoßende Kabinet begab, sie möge sie ja nicht eher wecken, bis es die höchste Noth sei – und, ob ich Dir auch gern gestehe, daß ich in einem gefährlichen Augenblicke vorher, wo die erhitzten Schönen ihre Halstücher abwarfen, und mir nur desto vorteilhafter in die Augen fielen, mir in geheim die spitzfindige Frage vorlegte, ob nicht der strengste Sittenrichter – auf den zwar traurigen, aber doch möglichen Fall, daß diese Rosenknospen auf dem Meere verloren gingen – mir die wenigen im Raub gepflückten Blätter immer noch lieber gönnen würde, als einem Haifische? – und ob es gleich nicht dunkler werden konnte, als die noch muntere Schwester einen Sitz neben mir auf dem Kanapee einnahm, und mich launig aufforderte, ihr die Seekrankheit, vor deren neuer Bekanntschaft sie sich am meisten fürchte, aus dem Kopfe zu treiben: so schützte mich doch – und ich setze es dankbar auf die Rechnung des vielen Guten, das sich daher entspann – die Erfahrung der vorigen Woche vor jedem kasuistischen Gedanken. Ich nahm vielmehr von unserer baldigen Trennung Gelegenheit, dem schönen Geschöpfe, das neben mir saß, noch einige gute Lehren mit auf den Weg zu geben.

»Ihre Bekanntschaft, meine lieben Landsmänninnen,« sagte ich mit rührender Stimme, »hat mir meinen heutigen Tag recht werth gemacht, und es wird mich herzlich freuen, wenn ich erfahre, daß es Ihnen in der Entfernung wohl geht. Bald eilen Sie nun auf den Flügeln des Windes einem Lande des Wohllebens und der Freude entgegen. Mit so vielen Reizen geschmückt, als Ihnen beiden die Natur gab, werden Sie dort mehr Aufsehen machen, als selbst in Berlin; und dort, wo bewahrte Unschuld, mit Schönheit verbunden, ungleich seltener ist als Reichthum, wird gewiß bald eine glückliche Ehe – auf die Sie in unserer verarmten Vaterstadt noch lange vielleicht vergebens hätten warten müssen, Ihr Theil werden. Es muß auch von nun an Ihr einziges Ziel seyn, lieben Kinder! Denken Sie, wenn Sie es erreichen, und mit dem stolzen Bewußtseyn einer unbefleckten Tugend die Freuden [114] der Liebe ernten, die Sie zu geben und zu nehmen bestimmt sind – denken Sie dann an das Wahre und Uneigennützige meiner Vermahnung. Erinnern Sie Sich, in welcher für Sie und mich gefährlichen Stunde ich sie Ihnen an das Herz legte – in der Stunde unsers Abschieds – unter der Einladung der Nacht – während der fröhlichsten Stimmung Ihres Bluts, das Sie, wenn ich es sagen darf, meine lieben Kinder, ein wenig leichtsinnig, durch unbekannte hitzige Getränke in eine Wallung gebracht haben, die der Aufmerksamkeit auf uns selbst nur zu nachtheilig ist.« –

Es ging mir zwar hier wie manchem andern Prediger. Die eine Hälfte des Auditoriums, an das meine Rede gerichtet war – schlief, und die mögliche Erbauung der andern – mußte ich Gott anheim stellen. Indeß hätte ich doch um vieles nicht der Hülfe entbehrt, die ich mir gegen meine eigene Zerstreuung dadurch leistete, daß ich meinen Vortrag an eine Seele mehr richtete, als mir zuhören konnte. Diese Kleinigkeit benahm der Dunkelheit, die uns umgab, alle Gefahr; denn ich weiß nicht, ob ich mich so deutlich und ohne Stocken über den Werth der Tugend würde erklärt haben, wenn ich an die Bequemlichkeit meiner Kanzel, in Verbindung mit dem lieben Kinde, so einzeln, wie es neben mir saß, und entfernt von seiner Schwester, gedacht hätte, die, wie Du gehört hast, nicht eher gerufen seyn wollte, als »bis es die höchste Noth wäre.« Doch da dieser Sinnenbetrug, wie ich wohl merkte, in die Länge nicht dauern konnte, so ließ ich es mit dieser kurzen Probe genug seyn.

»Hum!« sagte ich zum Schluß, »ungerufen, sehe ich wohl, ist es im heiligen Geiste nicht hergebracht, daß man den Passagieren Licht bringt.« Ich griff nach dem Schellenzuge. – Die Schnur lag straff, und um sie ziehen zu können, suchte ich die Quaste. Aber gütiger Gott! wohin hatte die sich versteckt, und wie erschrocken führ meine Hand zurück! Ich bat das schöne Mädchen tausendmal um Verzeihung; aber, kannst Du es glauben? sie hörte mich nicht. Das müde Kind war, trotz meiner Predigt, so tief eingeschlafen, wie in der Kammer die Schwester, und machte mir jetzt keine kleine Angst. Da sie gerade unter der Klingel saß, so war es zwar sehr begreiflich, [115] wie die seidene Trottel, durch ihr Köpfchen gehoben, bei der geringsten Bewegung dahin gleiten konnte, wo ich sie fand; aber wie sollte ich sie nun aus der Klemme bringen, in die sie gerathen war? und ich brauchte doch Licht. Da war nun weiter nichts zu thun: ich mußte mich aus der Verlegenheit ziehen, wie es möglich seyn wollte. Ich fingerte auf das behutsamste, und ward endlich der Quaste habhaft, die so warm war als die Hand, mit der ich sie faßte, und nun stürmte ich in die Klingel. Sogleich stürzte der Aufwärter mit zwei Kerzen herein. Ich wollte schmählen – »O sie brennen schon lange,« entschuldigte er sich, »aber wir wagen nie, eher Licht zu bringen, als es die Herren verlangen.«

Alles das Geräusch konnte die schlafende Schöne nicht erwecken. – Es war wahrlich eine scharfe Kritik auf meine Predigt. – Ich trat ihr endlich mit den Lichtern unter die Augen, nahm jedoch mit Vorbedacht in jede Hand eins – aber sie rührte sich nicht. Dagegen konnte ich sie desto aufmerksamer betrachten. Es war zum Malen, wie fest der sanfte Schlaf die braunen Augenwimpern zusammen drückte, ein feines Lächeln um den Mund, Karmin um die Wangen zog, und mit kurzen Athemzügen eine Brust hob, bei der sich niemand verwundern durfte, daß die Quaste so fest lag. Ich überließ mich dem Vergnügen dieser süßen Beschauung ohne Bedenken; denn durch die Chokolate, den Wein und durch meine Predigt, die zusammen das Mädchen einschläferten, hatte ich es ehrlich bezahlt. Genau genommen, ging auch diese – ob sie gleich keine lebendige Seele vernahm als meine eigene, deßhalb nichts weniger als verloren; denn ungerechnet, daß man sich selbst nicht ungern hört, ward es jetzt nur zu sichtbar, wie erbaulich sie auf mich zurück gewirkt hatte. Ich war mit mir zufrieden, hatte, unter dem Schutze des heiligen Geistes, Kirche, wo nicht für andere, doch für mich, gehalten; und ich lasse mir es nicht abstreiten, daß jenes großmüthige Gefühl meiner warmen Hand, das ich mit der seidenen Quaste zurück brachte, mehr Verdienstliches hat, als die paar Groschen, die ein Geizhals in den Klingelbeutel wirst, und sich wunder etwas darauf einbildet.

Ich setzte nun die beiden Lichter, nach dem angenehmen [116] Dienste, den sie mir geleistet hatten, wieder auf den Tisch, und mich mit der heitersten Ruhe an das Fenster. Als ich aber den Mond in dunkeln Wolken über dem Meer hängen sah, und die jetzige Sicherheit der guten Kinder unter meiner Wache mit den Gefahren verglich, denen sie so unbefangen entgegen schliefen, – da, Eduard, ward mir ganz bänglich ums Herz, und es überfiel mich ein Frost, so oft ein Lärm im Hause vermuthen ließ, man würde sie nun wecken und zu ihrer Bestimmung abrufen. Indeß verging noch eine glückliche Stunde für sie, bis zu Mitternacht.

Nun trat endlich der Visitator schnaufend herein, war ganz betroffen, wie er sagte, von der wilden Wirtschaft, die auf einer Tartane herrsche, und schon über und über schwindlich von der ersten Probe, die seine Füße in dem Schiffraume gemacht hätten. Seine bekannte Stimme schreckte die beiden Mädchen sogleich auf, da sie sich hören ließ. Sie traten schlaftrunken neben ihn, und fragten, ob ihre Betten auf dem Schiffe schon gemacht wären? – Ja, ja, antwortete er, es ist alles in Ordnung, bis auf den Schlaf, den ich euch wünsche. – »O,« dehnte sich die eine, »wir schlafen heute ungewiegt.« – »Ungewiegt?« wiederholte er höhnisch: »das wird sich bald ausweisen – aber kommt nur!«

Ich gab der ältesten Schwester den Arm, die jüngere hing sich an ihren verstörten Vetter. Ein paar Fackeln leuchteten uns. Wir gingen, jedes in seine eigenen Gedanken vertieft, einige Gassen durch, bis an den Hafen; denn ob ich gleich dem Mädchen gern einen Auszug aus der Predigt gegönnt hätte, die sie verschlief, so fürchtete ich doch, sie in einem Selbstgespräche zu stören, das, nach den tiefen Seufzern zu schließen, von denen sie sich los machte, ihr noch zuträglicher schien, als die Warnung eines so frischen Bekannten, der nicht einmal in der unschuldigen Geschichte mit der seidenen Trottel auf ihr Bewußtseyn gewirkt hatte.

Eine Barke, mit lustigen Ruderern besetzt, erwartete die Gesellschaft am Ufer. Das neue große Schauspiel, das sich hier mit einemmal ihren Augen entdeckte – das unabsehlich ausgebreitete Meer – das Flimmern seiner Wellen im Mondschein – der Zuruf vieler tausend Stimmen von den schwankenden Schiffen her, [117] die sich mit dem Getöse am Ufer durchkreuzten – alles das nie Gesehene, nie Gehörte, das sie hier umringte, machte einen so heftigen Eindruck auf die armen Stadtmädchen, daß sie mich zitternd ansahen, mir um den Hals fielen und weinten. Ich war bewegt, und da mich die guten Kinder baten, sie bis auf ihr Schiff zu begleiten, hatte ich den Muth nicht, es ihnen abzuschlagen: ich zog mir noch so viel an meinem Schlaf ab, als etwa nöthig seyn möchte, um als Landsmann dem Kapitän sie zu empfehlen, und mir durch eine Lokalkenntniß ihrer schwimmenden Wohnung das Andenken an sie während ihrer Reise noch mehr zu versinnlichen.

Meine Nachgiebigkeit durfte mich nicht gereuen. Ihr Empfang auf dem Schiffe war so festlich, als ob es Prinzessinnen wären, die sich zu einer kleinen Lustreise einschifften. Wir traten, statt in eine beräucherte Kajütte, wie ich fürchtete, in einen artigen Salon, der, mit bunten Lampen behängt, eine runde Tafel beleuchtete, die mit den ausgesuchtesten Erfrischungen besetzt war, und fanden einen alten freundlichen Mann an dem Kapitän, der uns bewillkommte. Er blickte den Mädchen mit beifälligem Lächeln in die Augen, indem er mich zugleich fragte, wer ich wäre? Ich legte ihm in der Geschwindigkeit Rechenschaft von unserer kurzen Bekanntschaft ab, und empfahl sie ihm als Landsmann. – »Seyn Sie unbesorgt für die guten Kinder,« antwortete er: »ich bin der älteste Freund ihrer Tante, den sie jetzt auf der Insel hat. Vor dreißig Jahren schiffte ich sie ein, wie heute ihre Nichten; und diese sollen gewiß nicht übler fahren als sie, das habe ich der guten Frau versprochen. Ich habe wohl Zeit gehabt, – Sie lesen es zur Genüge auf meiner Stirn – mein Handwerk zu lernen. Die Tartane ist mein eigen. – Es ist kein Bettelschiff, wie da viele in dem Hafen auf der Ausbesserung liegen. – Den Tag bringen wir lustig in diesem Raume zu, und des Nachts ... Kommen Sie, lieben Kinder, ich will Ihnen zeigen, wo Sie schlafen sollen.«

Er führte nun die beiden Schwestern in einen niedlichen Verschlag, der rechter Hand an den Saal anstieß, worin zwei freundliche Bettchen, und dazwischen an der Mittelwand ein Spiegel, der [118] größte vielleicht, den sie noch gesehen hatten, befestigt war. Dieses vollendete ihre Ueberraschung. – »Nein! das ist allerliebst!« drehten sie sich nach dem Spiegel zu, und setzten ihre Hütchen zurechte. »Hier, sehen wir schon, wird es uns wohl gehen.« – »Ja! das soll es auch, so Gott will; mein ganzes Schiff steht unter Ihren Befehlen,« antwortete der alte Seemann mit einer Artigkeit, die mich nicht wenig verwunderte. »Auch habe ich weiter keine Passagiere,« fuhr er fort, »an Bord genommen, um Ihnen den Raum nicht zu verengen;« und nun nöthigte er uns zusammen an den Tisch. Eine Schale Punsch, die wir unter fröhlichen Gesprächen ausleerten, befeuerte uns noch mehr für den guten Mann, der besonders für die beiden Schwestern die zärtlichste und sogar medicinische Sorgfalt zeigte: denn als sie nach schönen Orangen von Malta langten, die eben vor ihnen standen, erklärte er, daß dieses für sie die einzige verbotene Frucht auf seinem Tische sei; die er ihnen jedoch, setzte er freundlich hinzu, aufheben wollte, bis ihnen die Abkühlung nöthiger sei als jetzt.

Dieses zuvorkommende Betragen des alten Mannes gegen die Mädchen mußte mir doch wohl auffallen, Eduard? Sollte denn, dachte ich, ihre Schönheit den Greis so sehr bestochen haben, daß er in ihnen die Nichten eines Visitators übersieht, und sie behandelt, als ob sie aus dem Schaume des Meers gestiegen wären, und St. Domingo beherrschen sollten? Oder hat ihm die Tante ein so reiches Fährlohn ausgesetzt, wenn er sie gesund überliefert? Nun ich gönne den armen Waisen alles mögliche Glück, mag es doch herkommen woher es will.

Du kannst denken, in welch einem vergnügten Erstaunen sich erst die beiden Schwestern befanden. Sie schlürften ein Gläschen Punsch nach dem andern ein, und lächelten einander an. Ueber den vielen Artigkeiten, die ihnen gesagt wurden, hatten sie – das liegt nun einmal in ihrem Geschlechte – alle Furcht verloren. Dann und wann, wenn sich das Schiff bewegte, schien es ihnen zwar einzufallen, daß zu viele Herzhaftigkeit ein junges Mädchen nicht kleide – dann thaten sie wohl einen angenehmen Schrei, und baten nachher in vollem Lachen den Kapitän um Verzeihung. [119] Du kennst ja, lieber Eduard, die Ziererei der Weiber. Sie verläßt sie nicht, so wenig auf der See wie auf dem Lande, auf dem Schiffe wie auf dem Sopha – sie mögen eine Spinne oder einen Wallfisch, einen Zwerg sehen oder einen Riesen. Der Kapitän war Weltmann genug, um zu thun, als ob er an ihr Schrecken glaube. – »Mein Gott!« sagte er, »bei einer ersten Seereise sind solche kleine Erschütterungen wohl zu vergeben, zumal jungen Damen. – Machten es doch meine beiden Buben nicht besser, als ich vor zehn Wochen mit ihnen auslief. Sie waren auch noch auf kein Schiff gekommen; denn bis dahin steckten sie in der Schule. Jetzt sind sie der Wirtschaft schon gewohnt, und werden Ihnen jede Ihrer Herzensbewegungen auf das genaueste vorhersagen können, da sie seit kurzem erst selbst die Erfahrung gemacht haben. – Klammern Sie Sich nur getrost an diese Helden, wenn Sie die Furcht überfällt. – Holla! wo sind sie denn?«

Jetzt traten ein paar starke, blühende Jünglinge herein, die in kurzen Verbeugungen sich der Gesellschaft näherten, und die beiden Mädchen mit ihren feurigen Blicken zu verschlingen drohten. Diese konnten mit ihren Gegenreverenzen nicht aufhören, bis der Kapitän seinen Söhnen lächelnd befahl, sich zwischen die jungen Damen zu setzen.

Auf einmal war mir nun das Räthsel ihrer festlichen Aufnahme gelöst, und der alte Schiffer zeigte sich mir in einem nur desto bessern Lichte; denn ungezwungener, klüger und väterlicher, dachte ich, kann man doch kaum einen geheimen Liebesplan anlegen, als ich mir an den Fingern abzählte, daß hier der Vater für seine Söhne, mit oder ohne Vorwissen der Tante, gethan hat. Ich möchte das Mädchen sehen, das, in einer solchen Lage, solchen Werbern entlaufen könnte! Denke nur selbst nach, Eduard! Abgeschnitten von der ganzen Welt sammt ihren Zerstreuungen – eingeschränkt auf einen einzigen Gegenstand der Begierde – so nahe dem Tode in dem Schweben des schönsten Lebensgenusses – jedes Gefäß des Herzens durch die stärkende Seeluft erweitert – jeder durchströmende Blutstropfen tausendfach erwärmt, die ganze Maschine in beständigem Schaukeln, und immer die größte [120] Oper der Welt, den Auf- und Untergang der Sonne, vor Augen – in welche Stimmung von Wohlbehagen, Sehnsucht und Zärtlichkeit muß das nicht eine weibliche Seele versetzen, und in welchem magischen Lichte muß ihr nicht der Jüngling erscheinen, der über ihrem Haupte, nur für ihre Sicherheit und Ruhe besorgt, Wache hält, ihr muthvoll und lächelnd den heran nahenden Sturm ankündiget, sie, wenn er einbricht, in die Arme schließt, und an das Herz drückt, und, wenn sich der Aufruhr gelegt hat, mit glänzenden Augen ihre zitternde Hand küßt! Welche süßen Vorgefühle müssen sich nicht bei solchen von der Natur selbst herbeigeführten Auftritten in der Brust eines Mädchens entwickeln, – und wie armselig kommen mir dagegen die Situationen vor, die sich in jedem Romane wiederholen, den wir unter uns spielen sehen! Denke Dir den seligen Augenblick, wo ein junges Paar, nach solchen Prüfungen und Vorbereitungen, endlich an das Land – und endlich dahin steigt, wo es die Liebe erwartet. Hätte ich Töchter zu verheirathen, wahrlich ich würde sie einige Monate mit ihren Liebhabern, und unter der Leitung eines solchen Menschenkenners von Kapitän, auf ein Schiff setzen und den Wellen überlassen, wäre es auch nur, um ihnen den schleppenden Gang zu ersparen, den in unserm Zirkel, ein Mädchen wie das andere, aus der Kinderstube gähnend in das Gesellschaftszimmer und gähnend in das Brautbette nimmt.

Da die jungen Herren nur gebrochenes Deutsch, die beiden Mädchen kein besseres Französisch sprachen, so suchten sie, unter vielem Gelächter, Hülfe in der Geberdensprache, die zu ihrer Unterhaltung mehr als hinreichend war. Der alte Seemann beobachtete die jungen Passagiere mit innigem Vergnügen, und ich sah aus allen Anstalten, daß es ihm mit der zeitigern Abfahrt wohl kein sonderlicher Ernst mochte gewesen seyn; denn eine muntere Stunde vertrieb die andere, und es fing schon der Tag an zu grauen, ehe der gute Vater sich entschließen konnte, die frohen Seelen zu trennen. Jetzt aber befahl er seinen Söhnen, auf ihre Posten zu gehen, und auf das Signal Achtung zu geben; den beiden Mädchen aber mit hochrothen Wangen und flimmernden Augen legte er nun [121] selbst die Orangen vor, und gab jeder noch eine mit in die Kammer. – »Ich werde,« sagte er, »die Segel nicht eher ausspannen lassen, als bis Sie fest schlafen, und ich hoffe schon funfzig Meilen von Marseille zu seyn, ehe Sie aufwachen.«

Es war kein Wunder, daß den guten Kindern alles, was ihnen heute begegnete, wie ein Feenmährchen vorkam. Sie freuten sich, als sie von mir Abschied nahmen, daß ich Zeuge davon gewesen sei, und schrieben mir die Namen einiger ihrer Freundinnen auf, denen ich es erzählen sollte, wenn ich nach Berlin käme. Ich versprach es, und gedenke es auch zu halten, sollte mir es auch noch so viele Mühe kosten, sie in den kleinen Gassen aufzusuchen wo sie wohnen mögen.

Der Visitator schien es auch genug zu haben, da die Punschschale ausgeleert vor uns stand, und stolperte seiner Kammer zu, die ihm der Kapitän an dem andern Ende des Zimmers, seinen Nichten gegenüber, anwies. Ich umarmte ihn und den braven Seemann mit unbeschreiblicher Herzlichkeit, stieg nun auch in meine Barke, und beruhigte bald die Matrosen, die mich über die Länge meines Außenbleibens etwas mürrisch empfingen, mit dem Versprechen eines dreifachen Fährgeldes, wenn sie mich glücklich an das Ufer brächten.

Mit dem Schlafe für diese Nacht war es nun vorbei, – und ich entschloß mich, in einer der Kaffeebuden, deren eine Menge um den Hafen stehen, die Abfahrt des Schiffs zu erwarten. Während ich nun, das Gesicht dahin gerichtet, neben einem Teller mit Orangen saß, die ich, dem Recepte des Kapitäns gemäß, zur Abkühlung meines Bluts nach und nach aussaugte – den ewigen Streit des ungetreuen Elements, das vor mir lag, mit den Kräften der Menschen, die ihm entgegen arbeiten, und den Vortheil der Schiffahrt mit ihrem Nachtheil für unsere Sitten, unsere Ruhe und Gesundheit verglich, machte mir mein Gedächtniß die Freude, mich an die schöne Ode zu erinnern, die Horaz an das Schiff richtete, das seinen Freund Virgil nach Athen brachte. 2 Das erhabene [122] Vorbild reizte meine Phantasie, ihm von weitem nachzufliegen; und wenn ich auch meinen Landsmann mit seinen Nichten eben nicht animae dimidium meae nennen möchte, so sah sich doch meine Muse gern noch einmal in den Augenblicken nach ihnen um, wo sie mir der Wind – wahrscheinlich auf ewig – entführen sollte.

Ich war eben mit meinem Abschiedsliede fertig, als ich, von der Glasthüre aus, die Segel aufziehen sah. – Jetzt schlafen nun die lieben Mädchen, dachte ich. Der Himmel beschütze sie! Und mit klopfendem Herzen trat ich aus meiner Bude an den Strand, und sang – obschon mit etwas heiserer Stimme – meine Wünsche dem Schiffe nach, das ganz aufgeblasen den Hafen verließ und in den Strahlen der Morgenröthe dahin flog:


Hängt eure Lampen aus, ihr Brüder

Helenens! Cypris, strahle nieder,

Sanft, wie es deinem Stern gebührt!

Und laß auch du, der Winde Vater,

Das Schiff von Stürmen unberührt,

Das unsern Visitater

Und seine Nichten führt!


Ihr Glücksstern bringe durch die Schatten

Der Nächte sie den Hangematten

Der Rudrer unberaubt vorbei –

Und Fama mache mich des Kummers

Um ihre Jugendblüthe frei,

Daß sie ja keines Hummers

Und Meerwolfs Beute sei!


Dem war die Brust mit Stahl umzogen,

Der die Bekämpfung wilder Wogen

Zuerst zu seinem Spiel erkohr:

Doch auf den Stufen der Gefahren

Steht ihm die jüngste Schöne vor,

Die nichts von ihren Waaren

Auf dem Verdeck verlor.


Vergebens schied mit weisem Plane

Zeus und Neptun vom Oceane

Das Menschen angewiesne Land:

Verwegen stoßen sie vom Stapel,

Und holen von dem fernsten Strand

Peteschen, Mal de Naples

Und andern Konterband.


[123]

Ein neuer Dädal, Blanchart, eilet

Vom Piripi hinweg, und theilet,

Den Adlern gleich, der Lüfte Bahn;

Ein Franklin zündet an dem Blitze

Des Himmels seinen Wachsstock an:

Auf jedem Musensitze

Erhebt sich ein Titan.


Der Mensch, zu mäßigem Genusse

Geboren, nähm dem Ueberflusse

Sein Füllhorn gern auf einmal ab:

Von schwer erstiegnen Schaugerüsten

Stürzt schwindelnd ihn sein Stolz herab,

Und ein Gefolg von Lüsten

Begleitet ihn ins Grab.


Meine thierischen Kräfte waren so erschöpft, wie meine poetischen. Ich fühlte die Schlummerkörner, die ich heute so reichlich ausgesät hatte, wurzeln und keimen, und war froh, als ich den heiligen Geist erreichte, wo ich sie bald in meinem Bette zur Reife brachte.

So endigte sich der erste halbe Tag meines Aufenthalts in Marseille, den ich aus Drang von Selbstzufriedenheit, dergleichen ich lange nicht empfand, Dir, lieber Eduard, als eine augenscheinliche Probe meiner angehenden Besserung, hoffentlich so überzeugend dargestellt habe, als Du nur verlangen kannst. Was wolltest Du mit Grund dagegen einwenden? –


Der heitern Mittagsstunde schlossen Sich ja die frömmsten Horen an, Die mich von Psyche's Spielgenossen, Statt mit vergifteten Geschossen, Mit Blumen nur verwunden sahn.

Fußnoten

1 La Mecque étoit auparavant occupée par Abu-Gabshan, qui eut la simplicité de s'en défaire pour une bouteille de vin, dans un malheureux moment où il se trouva d'humeur à boire. Il voulut ensuite se relever d'un marché si préjudiciable et fut appuyé par les gens de sa tribu, mais et lui et eux furent chassés de la Mecque par Cosa, ayeul de Mahomet. vid. Prideaux Vie de Mahomet. p. 3.

2 Ode 3. lib. I. Sic te diva potens Cypri –

Marseille

Den 10ten Januar.


Die volle Sonne hatte Mühe mich zu wecken. Als ich die Augen aufschlug, mußte ich mich einigemal fragen, wo ich wäre [124] und wohin ich wollte, eh' ich es deutlich erfuhr. Das erste, was mir beifiel, war ein Wechsel auf Herrn Frege, einen Sohn des berühmten Banquiers dieses Namens zu Leipzig. Ich lernte einen artigen und gefälligen Mann an ihm kennen. Sein Deutsch war mir beinahe lieber, als das, womit ich gestern an der Wirthstafel so angenehm überrascht wurde; denn er zahlte mir Geld, und bat mich auf morgen zu Tische. Mein heutiger Mittag hat nichts für mein Tagebuch abgeworfen. Es wollten keine Berlinerinnen kommen, so sehr ich mich darnach umsah. Unter den Anwesenden fand sich nicht Ein Auge, in das ich hätte blicken mögen; und es war eben so gut: denn ich konnte um so viel ruhiger der Erholung pflegen, die mir nach der Nachtwache von gestern sehr nöthig war.

Mit diesem Gefühle in allen Gliedern, und einem Pack Zeitungen, die für die Gäste da lagen, schlich ich wohl gesättigt nach meinem Zimmer. Hier pflanzte ich Bastianen, der mir sie vorlesen sollte, meinem Lehnstuhle gegenüber. Es ging schlecht. – Margot, sagte er zu seiner Entschuldigung, lese auch nicht besser. – Ich setzte den Prologus an seine Stelle, einige Zeilen nachher auch den Epilogus: aber der Zeitungstext und ihre Stimmen paßten so widrig zusammen, daß ich vor der Hand für das beste hielt, auf die Bequemlichkeit eines Vorlesers Verzicht zu thun. Es greift doch nichts die Gehörnerven so empfindlich an, als werthlose Neuigkeiten, die uns in einem hochtrabenden Tone verkündiget werden. Der erste deklamirte: daß Ludewig der Vielgeliebte zwei Tage und drei Nächte mit Madam Dubarri auf dem Schlosse zu Meudon zugebracht habe. – Der andere: daß der Herzog von Orleans entschlossen sei, eine Reiherbeitze zu halten. – »Das mag er,« unterbrach ich den Epilogus: »trage nur die unnützen Blätter wieder in den Saal, damit nicht etwa gar jemand darauf warte.«

Der gute Kerl hatte indeß nicht ganz umsonst gelesen. Er erinnerte mich, wie er das Maul so voll nahm, an seine sogenannte Arabische Handschrift, die ich jetzt Zeit genug hatte nach Herzenslust zu untersuchen. – Ja, dachte ich, das soll auch geschehen; denn ich will doch noch lieber einen deutschen Landjunker über einen philosophischen Gegenstand schwatzen hören, als einen französischen [125] Nouvellisten, der immer nur das Volk mit dem Zeitvertreibe seines Königs bekannt macht, nie mit seinen Geschäften. Sind sich diese Schmierer aber nicht in allen Staaten gleich? Ist es nicht, als ob sie dafür bezahlt wären, durch alle den Pomp festlichen Müßiggangs, den sie aus der Tagesordnung der Regenten sorgfältig ausheben, und in ihren Wochenblättern für das Publikum auskramen, dem Unterthan seine saure Arbeit noch mehr zu verekeln, und ihm seine drückenden Abgaben noch unerträglicher zu machen?

Ich zog nun den Brief aus seiner kostbaren Verwahrung, that im Vorbeigehen auch nicht einen Blick auf das berüchtigte Bild, und, glaube mir, ich war mit den paar Stunden, die ich verlas, nicht so gar übel zufrieden. War es der sonderbare Kontrast, in welchem mir der Eigenthümer der Schreibtafel und des Gemäldes, gegen das gehalten, erschien, was der Brief von ihm sagte, denn es ist klar, daß er an ihn gerichtet ist; – sind es die Wahrheiten, die hier und da darin vorkommen, und mir oft so hell in die Augen leuchteten, daß sie mir übergingen; – oder waren es die Sophistereien der Freundschaft, die mich so anzogen? Ich weiß es nicht. Genug, ich übersah die schwachen Stellen mit Lächeln und Nachsicht, verweilte mit Vergnügen bei andern, die von stärkerm Gehalte waren – verglich die Empfindungen des Schreibers mit der Erfahrung der meinigen, und gerieth darüber in ein Gedankenspiel, das mich, in Ermangelung eines bessern Zeitvertreibs, immer leidlich genug beschäftigte.

Wäre der Brief nicht so unerträglich lang, ich schriebe Dir ihn ab. – Aber könnte ich Dir ihn nicht stückweise vorlegen, und die ganze bunte Masse von Gerichten, die er hier auf einmal auftischt, unter die magern Epochen vertheilen, die etwa, wie heute, in meinem Tagebuche, vorfallen? Warum nicht? Aus dem systematischen Zusammenhange werde ich nicht das mindeste reißen: über diesen hat sich der natürliche Menschenverstand des Schreibers glücklich hinweg gesetzt. Dessen ungeachtet, hoffe ich, sollst Du mir meine Mühe verdanken. – Der Brief wird Dich immer mit einem sehr seltenen Manne bekannt machen, dergleichen unser guter König wohl nur wenige in seinen Staaten aufweisen kann; mit einem [126] Vasallen nämlich, der zufrieden auf seiner Hufe sitzt, und die Richtigkeit des Satzes praktisch beweist: nihil petenti nihil deest.

Sollte Dir nun vollends der Verfasser des Briefs, der, wohl zu merken, als er ihn schrieb, nicht einmal ahnden konnte, neben was für ein Mignaturbild man ihn beilegen würde, die Augen über den nachtheiligen Einfluß öffnen, den, wie er es ernstlich gegen seinen Freund und Feldnachbar behauptet, die Entfernung vom Vaterlande auf unsere Sittlichkeit und Gemüthsruhe hat; so bewirkt vielleicht diese Abschrift den guten Gutschluß bei Dir, den auch mein Tagebuch zu entkräften leider nicht gemacht ist, daß Du Deine kranken Freunde künftig nicht mehr so auf gerade wohl in die weite Welt schickst.


Lieber August!

In der frohen Erwartung Deines versprochenen Gegenbesuchs auf meinem Landgute, in den Anstalten zu Deiner Aufnahme, die mich eben von dem einen staubigen Winkel meines Hauses zum andern trieben, als ich gestern Deinen Abschiedsbrief erhielt, brauche ich wohl kaum zu sagen, wie sehr er mich überrascht hat. Nichts – ich kann Dich es auf Ehre versichern, nichts in meinem Leben hat es mehr gethan, als diese Ankündigung Deines Aufbruchs nach Avignon. Dein Entschluß ist rasch, lieber August. Schwerlich hast Du ihn selbst geahndet, als ich vergangenes Frühjahr einige Wochen bei Dir vertändelte; denn sonst würdest Du mir ihn doch wohl entdeckt, und die Bewegungsgründe dazu entwickelt haben, die Du jetzt meinen eigenen Nachforschungen anheim stellst. Kaum kann ich von meiner Verwunderung zurück kommen. Warum bautest und schmücktest Du Dein stolzes Haus, möchte ich fragen, da es Dir so Noth that, es zu verlassen? Warum übergabst Du, es in der Aufschrift über dem Portal der Zufriedenheit, da Du die Göttin erst anderwärts aufsuchen willst, der Du es hier mit goldenen Buchstaben geweiht hast? Du hast durch Deine plötzliche Abreise alle Deine Feldnachbarn an Dir irre gemacht. Einige erblicken nichts weiter darin, als einen beschimpfenden Vorwurf gegen ihren Zirkel und langweiligen Umgang; andere schütteln die Köpfe, [127] und fürchten, daß Dich nur die großen Schulden in die Flucht trieben, in die Dich die Thorheit Deines Baues gebracht habe. Ich allein kenne Dich zu gut, um nicht mehr als zu viel Uebereinstimmung mit Deinem Innern auch in dieser Deiner Handlung zu finden, und befestige mich noch mehr in den Gedanken, wovon ich den Faden schon vor fünf Jahren in der alten Burg Deiner Vorältern auffaßte, und den ich bei meinem dießjährigen Besuche in diesem neuen Palaste alle Muße fand vollends auszuspinnen. Wäre noch der geringste Anschein geblieben, daß meine stillen Wünsche für Dein Glück und alle die schönen Hoffnungen sich mit der Zeit erfüllen würden, um die mich nun Deine Abreise bringt, wahrlich, Du hättest nicht einmal von meinem heimlichen Gespinnste etwas erfahren sollen. Jetzt aber, da Dich die Unruhe, die Du von Deinen ehemaligen langen Reisen zurück brachtest, aufs neue wieder in die weite Welt jagt, und Dich von Deiner prächtigen Wohnung, wie von den schmucklosen Hütten Deiner Freunde, entfernt, jetzt, da ich mir nicht anders zu helfen weiß, mußt Du mir vergeben, daß ich Dir den ganzen Knaul auf der Post nachschicke, so voll ich ihn, ohne meinen ländlichen Geschäften Abbruch zu thun, habe aufwickeln können.

Erinnere Dich, lieber August, der Zeit unserer gemeinschaftlichen Erziehung. Damals vertrauten wir einander so gern unsere kleinen Geheimnisse. Wenn einer von uns ein Vogelnest fand, zog er immer den andern zur Frage, ob es wohl Nachtigallen wären oder Sperlinge? Wenn einem von uns sein Strohhut der Quere saß, rückte ihn der andere ohne viele Umstände zurechte. Warum wollten wir in älteren Jahren und bei wichtigern Dingen zurückhaltender seyn, und nicht eben so treuherzig als ehedem unsern Bemerkungen Luft machen? Der Tod Deines rechtschaffenen Großoheims, meines Erziehers und Wohlthäters, trennte uns arme Spiel- und Schlafgesellen, und gab jedem eine andere Richtung. Die Deinige ging in das Edle, Erhabene und Weite; die meinige hingegen nöthigte mich, auf dem väterlichen Boden, wie Epheu, fortzukriechen, und aus eigener Kraft Wurzel zu schlagen. Funfzehn Jahre vergingen, ehe Du mir wieder unter die Augen kamst; [128] und Wie falsch waren meine Urtheile über Dich, eh' ich Dich sah! Ich berechnete nach der Summe der vielen frohen Empfindungen, deren ich mir bewußt war, und zu denen ich auf die einfachste Art ohne Aufwand gelangte, wie groß erst die Masse der Deinigen seyn müsse, die, unter der Leitung verständiger gelehrter Männer, aus Bestandtheilen zusammen gesetzt wurde, die sich gegen die Materialien meines Glücks wie polirter Marmor zu rohen Feldsteinen verhielten. Meine Neugier trieb mich nicht weniger zu Dir, als der Drang meiner unveralteten Liebe. Als ich seit meiner Kindheit nun zum erstenmale wieder den alten Thurm Deiner Burg in der Ferne erblickte, ja, bester August, da war es mir so warm um das Herz, als ob alle die verlaufenen Blutkügelchen meiner Jugend wieder zurück strömten. Es grübelte mir in der Nase, und ich würde geweint haben, hätte nicht die Hoffnung, Dich nach einigen Augenblicken zu umarmen, den Strom meiner Thränen bis dahin noch in seinem Ufer gehalten. Du weißt, wie viele ich in dem ersten Ausbruche der Freude an Deinem Busen vergoß, und wie zugleich meine Blicke arbeiteten, Dich aus den fremden Federn zu heben, in die Dich Zeit und Verhältnisse tiefer gebettet hatten, als ich erwartete. Ach, es gelang mir nicht! Und wie konnte es auch? An die Stelle des muntern, offenen, launigen Jungen, wie ich gewohnt war mir meinen August zu denken, war ein feiner, behutsamer, zurückhaltender Denker getreten, der durch bestimmte wohlklingende Ausdrücke mir meine zudringlichen, regel- und zwanglosen Fragen eher zu verweisen, als zu beantworten schien. Eine gewisse Aengstlichkeit schritt, selbst an dem Arme Deines Freundes, durch die prunklosen Zimmer neben Dir her, die Dein Oheim mit immer gleicher Zufriedenheit bis an sein seliges Ende bewohnte. Du warest verlegen in meiner Gegenwart, und sicher dachtest Du nicht viel besser von mir, als von dem alten Hausgeräthe, das Dich umgab. Wie war doch jetzt alles Deinen kritischen Augen so anstößig, von dem rußigen Thurm an, der mir so frohe Herzensbewegungen verursachte, bis auf die unschuldige Sammlung von Hirschgeweihen, die den Saal Deines Oheims schmückten – bei denen allein er das Wort: Prächtig! in den [129] Mund nahm, und die er, als das Journal seiner glücklichsten Tage, mit mehr Freude betrachtete, als Ludewig die Tapeten, auf die Le Brün seine Schlachten gemalt hatte! Was für ein Fest der Erinnerung war es mir nicht, als ich hinein trat, und dieselben veralteten Armstühle noch in ihren Ecken stehen sah, die mir in so manchem schwierigen Augenblick Schutz gaben! Alle die lieben süßen Spiele meiner Kindheit, schien es mir, schlüpften hinter den schweren wollenen Fensterbehängen hervor, und bewillkommten ihren alten Bekannten. Der große blaue Gewehrschrank, der mir damals keine geringe Ehrfurcht einflößte, that es wahrlich um nicht viel weniger, als ich ihn wieder sah, und ich glaubte, das Herz würde mir springen, als ich die hölzerne Wanduhr mit dem Guckuck noch in demselben Tone schnarren und schlagen hörte, wie in jenen flüchtigen Stunden, wo sie so despotisch meine Zeit beherrschte, und der ich mich nie ohne Zittern näherte, weil sie unstreitig das kostbarste Hausgeräth Deines Oheims war. Die Mode, wie Du weißt, verrückte ihm nie einen Stuhl, und eher würden ihn die Würmer um die Kisten und Kasten seiner Vorältern gebracht haben, ehe es einem Rost, Röndchen oder Martin gelungen wäre.

Du, mein kluger Freund, brachtest andere Augen von Deinen Reisen mit, als mir die Natur, Gott sei Dank, bis jetzt erhalten hat. Für Dich waren alle die freundlichen Winke verloren, die mir der Schauplatz meiner Jugend aus allen Ecken zuwarf. Mit Betrübnis verließ ich Dich endlich in den Anstalten eines neuen Baues. Mein Herz ward mir schwer, als ich Dich von dem Einreißen der alten Burg sprechen hörte. Ich eilte, um aus dem Staube zu kommen, und es war mir, als hätte ich einen treuen Spielgenossen aus dem einbrechenden Sturme gerettet, als Du meinen Hinblick verstandst, und so gütig warst, mir die hölzerne Uhr zu verehren, die zum Andenken Deines guten Oheims, selbst in diesem Augenblick, über meinem Schreibetische rasselt.

Lieber Gott, sagte ich unterweges zu mir, was für eine närrische Sache muß es doch um den guten Geschmack seyn, mit dem sich mein ehrlicher August allemal entschuldiget, wenn ihn etwas verstimmt, was ich entweder gleichgültig ertrage, oder was [130] mir wohl gar Freude macht! Immerhin! Wenn mein Freund nicht zufrieden in der alten Burg leben kann, so hat er Recht, daß er sie einreißt, und eine andere baut, die ihm Genüge thut. Ach wenn nur schon die beschwerlichen Jahre der Vorbereitung vorbei und die heiligen Hallen geöffnet wären, die seine muntern Launen zur Wiederkehr einladen, und ihn mit dem Gefolge seiner Tugenden beherbergen sollen, die jetzt der Anblick eines Gothischen Gebäudes in die Flucht jagt! – Diese fünf Jahre verliefen in Mühseligkeit und Erwartung – aber dafür hast Du nun auch Deinen schönen Plan ausgeführt, und den Reiz unserer ungeschminkten Gegend mit einem Gebäude erhöht, das ein edles Ansehn mit der höchsten Bequemlichkeit und den schönsten Verhältnissen auf demselben Raume vereinigt, der sonst, wenn Du willst, eben so viele Sünden dagegen aufstellte. Die einfachen Häuser Deiner Nachbarn liegen seitdem, wie beschämt und in gehörigem Abstande, demüthig umher, und es gehören förmliche Einladungen dazu, ehe sich einer von unsern Grauröcken entschließen kann, Dich in Deinem Tempel zu besuchen. Ich rechnete freundschaftlich auf die erste, die Du ausschicken würdest – erhielt sie, ließ nun alles in meiner Wirthschaft stehen und liegen, und schickte mich an, die Deinige zu bewundern. Nun, dachte ich, werde ich endlich den Freund meiner Jugend ganz so glücklich sehen, als die Mühe verdient, die er sich gegeben hat es zu werden. Meine Zufriedenheit wird freilich eine ärmliche Figur neben der seinigen machen; da ich aber nun einmal einen so kostbaren Unterhändler der menschlichen Glückseligkeit, als der Geschmack ist, weder besolden kann, noch zu beschäftigen weiß, so will ich mich einstweilen, ohne Neid, an die frohen Empfindungen halten, die mir die Natur umsonst gab.

Wenn ich nicht irre, empfingst Du mich mit einer weit herzlichern Umarmung als das erstemal. Die großen Augen, mit denen ich alles anstaunte, machten Dir Spaß. Je weniger ich mich wiederfinden konnte, je bänglicher ich alles das vermißte, was den köstlichen Rost der Erinnerung an sich trug, desto mehr thatest Du Dir auf die Dinge zu gute, welche Du an die Stelle jener setztest, die Du so hartherzig aus Deinen Augen und von der Erde wegräumtest. [131] Ich will Dir nicht die Schönheiten Deines ländlichen Palastes herzählen. Sie fallen wohl jedem in die Augen, der nicht blind ist, und ohnehin kennst Du ihren Werth besser als ich. Eben so wenig will ich der alten Burg wieder erwähnen. Zu was würde es uns beiden helfen? Aber so viel kann ich Dir wohl sagen, daß es mir in Deiner neuen Wohnung so ängstlich vorkam, als Dir in der alten. Die geschmückten Zimmer, die Du mir anwiesest, rührten mich nicht eher, als bis ich an die rußigen dachte, die wir zusammen bewohnten. Deine Vasen – ob es Griechische oder Römische sind, weiß ich nicht – standen mir meistens im Wege, und es war mir immer, als ob ich den Möbeln, die ich unter einerlei Namen in meinem Hause sorglos gebrauche, hier zuvor eine Verbeugung machen müßte, eh' ich sie berührte. Ich konnte mir nicht bergen, daß von dem Spiegel, der weit über mir weg bis an die Decke lief, der vierte Theil für mich armen Pigmeen schon mehr als zu viel, das übrige theure Glas nur ein Auswuchs des guten Geschmacks, und, wenn Dich nicht einmal ein Patagonier besucht, Deinen Gästen unbrauchbar sei. Ich blieb, aus Furcht vor unglücklichen Folgen meiner Sorglosigkeit, immer mitten in dem Zimmer stehen, staunte die schön verzierten Wände an, ohne daß ich wagte, mich ihnen mit einem Stuhle zu nähern. Du mußt es mir zu gute halten, lieber August, aber ich finde wenig Vergnügen in der Bewunderung, und alle die trefflichen Kunstsachen, die Du hier aufgestellt hattest, machten mich so klein, so schmutzig, daß ich sie schon deßwegen in meiner Nähe nicht leiden konnte. Indeß, was hätte alles das zu sagen? Du hast Dir eine Wohnung gebaut, und nicht mir. Auch kann ich Dich heilig versichern, daß ich die Zeit meines Besuchs über mehr den Gang Deiner Zufriedenheit, als der meinigen berechnete, und weniger Dein Gesellschafter war, als Dein Beobachter. Ich habe, Dich ganz zu erforschen, mir Deine Aeußerungen über Dich selbst so gut zu Nutze zu machen gesucht, als Dein mißlauniges Stillschweigen, habe Dich in dem Zirkel der Gesellschaft belauscht, wie in Deiner Einsamkeit, und, wie der Arzt aus den Pulsschlägen der Hand auf die Bewegung des Herzens schließt, habe auch ich [132] in den oft schnellen Uebergängen Deiner Empfindungen den Ursachen nachgespäht, die mir ihr Steigen und Fallen erklären könnten. Zu was haben mir meine freundschaftlichen Nachforschungen geholfen? Ach! sie überzeugten mich, daß Du an einer Krankheit littest, die um so gefährlicher ist, als sie allgemein für eine erhöhte Gesundheit gilt, und um deßwillen unheilbar bleibt, weil der Kranke den einzigen Arzt, der ihm helfen könnte, zum Hause hinaus wirft, so oft er sich ihm nähert. Warum gehe ich so um den Brei herum? Das Uebel, mit dem Du behaftet bist, heißt, Deutsch zu reden, der gute Geschmack, und der Arzt, dem Du mit sechs Postpferden von einem Ende der Erde bis zu dem andern zu entfliehen suchst, ist meine treue Freundin und Hausgenossin, und heißt Natur.

Du hast viele gebildete Menschen – Virtuosen in den schönen Künsten gesehen, lieber August; aber sahst Du wohl je einen von ihnen, der glücklicher dadurch gewesen wäre, als Dein Oheim? Alles trug etwas zu seiner Zufriedenheit bei – seine Tugenden wie seine Fehler – seine Stärke sowohl als seine Gebrechen – und wie ungesucht war nicht der Gang seines Glücks! Er dankte Gott eben so herzlich für das, was er besaß, als für das, was ihm mangelte. Die Landwirthschaft war die Beschäftigung, von der er glaubte, daß sie ihm der Herr Himmels und der Erde unmittelbar anwies, und seine liebste Erholung war die Jagd. Ich bin, gestand er oft mit treuherzigem Ernste, kein Freund vom Nachdenken: denn ich habe es längst weg, daß tägliche tüchtige Leibesbewegung, ohne vieles Sinnen und Betrachten, auch der Seele zu gute kommt; die Arbeiten aber, die ich meiner armen Seele auflege, blähen nicht allein sie selbst auf, sondern auch den Körper, machen ihn zu einem unnützen Müssiggänger, und bringen ihn aus seiner gesunden Ordnung. Deßwegen war es ihm auch nicht möglich, an das natürliche Verderben des Menschen zu glauben, und den Spruch, den er manchmal von der Kanzel hörte: »Aus dem Herzen kommen arge Gedanken u.s.w.« hat er bis an seinen Tod für eine unrichtige Uebersetzung gehalten. Bei mir, sagte er, wenn sie ja aufsteigen, kommen sie aus dem Magen. So lange [133] ich mir den nicht verderbe, werde ich nicht so leicht eine Christenpflicht unterlassen oder ein Laster begehen. Aus derselben Unbefangenheit seines Herzens entsprang auch seine launige Abneigung gegen moralische Schriften. Bekam er ja eine von ungefähr in die Hände, so lachte er allemal über die unnöthige Bemühung des Schreibers. Ich möchte wundershalber wissen, sagte er dann, ob das schönste Buch dieser Art einen Kerl, der eben eins von den zehn Geboten übertreten will, davon abhalten wird. Man liest wohl so etwas, wenn man ruhig ist, seine fünf Sinne beisammen hat, und den Senf des Autors entbehren kann. – Aber wie dann, wenn das Blut kocht und das Herz braust? Da beweise einer so lange er will, daß man ruhig seyn soll – er wird nicht halb so geschwind wirken, als es nach meiner Erfahrung mit einem frischen Glas Wasser gelingt. Mit was für freundschaftlichen Augen betrachtete er seine Mitgeschöpfe! Er that ihnen gewiß zu viel Ehre; aber was für einen sichtbaren Einfluß auf ihn selbst hatte das nicht! Auf seiner ehrwürdigen Stirne glänzte der sanfte Widerschein einer ruhigen Seele. Unsere Kinderspiele konnten nicht unschuldiger und herzlicher seyn, als es die fröhlichen Stunden seines Alters waren, und sein Gewissen trieb sich fast auf dieselbe leichte Art herum, als das unsere. Wir hatten vor neuen Thorheiten nicht Zeit uns der ältern zu erinnern, und Er, wenn er auf seine Sünden zu sprechen kam, sagte mit dem gutmüthigsten Ernste: Unfehlbar habe ich, ungeachtet meiner Diät, deren so große und so viele begangen als ein anderer; aber, Dank sei dem barmherzigen Gott für mein schwaches Gedächtniß! ich habe eine nach der andern so gut vergessen, als das Bißchen Latein, das ich in meinen Schuljahren lernen mußte.

Du Mann von Geschmack, sage mir, lieber August, ob Du glaubst, daß ein solcher Zusatz Deinen Oheim noch heiterer, menschenfreundlicher und zufriedener würde gemacht haben, als ohne ihn es seine einfache Kost, sein guter Magen, seine Leibesbewegungen und sein schwaches Gedächtniß thaten? Ueberlege es wohl, und setze nicht zu geschwind den vielen, nur zu wirklichen Aufopferungen, die er sich zu Erlangung dieses Scheinguts hätte müssen gefallen [134] lassen, jene magere Liste von Entschädigungen entgegen, die uns alle Kompendien der schönen Wissenschaften auskramen; jene erhöhten Freuden des Lebens, die aus euern geschärften Sinnen, aus der Regelmäßigkeit eurer Urtheile, und aus dem systematischen Stolze entspringen sollen, auf den ihr euch unter einander so viel zu gute thut: denn dieser Putz der Seele, wenn es ja einer ist, verliert sehr in der Nähe, und gleicht dem schimmernden Staube eines Johannis-Würmchens, der in der Nacht leuchtet, ohne die arme Kreatur selbst zu erwärmen. Dein seliger Oheim besaß nicht das mindeste von dem, was man Geschmack nennt. Er kannte ihn nur in seiner sinnlichen Bedeutung, und da kannte er ihn gut. Der Verdruß, ihn auch in seiner figürlichen kennen zu lernen, war ihm nur für sein Alter aufgehoben. Diese Epoche seines Mißmuths, die uns unsere lustigen Stunden so sehr verbitterte, ist mir immer gegenwärtig geblieben; doch habe ich mich nie lebhafter daran erinnert gesehen, als letzthin in Deinem Hause und bei Betrachtung Deines Kunstkabinets. Da wir damals, als dieß vorging, zu viel mit unsern Leimruthen zu thun hatten, so weißt Du vielleicht gar nicht, worauf ich ziele, und was für einen ärgerlichen Prozeß ihm seine Unbekanntschaft mit jenem Worte auf den Hals zog. Ich habe mir die Akten dieses sonderbaren Rechtshandels zu verschaffen gesucht, und sie liegen jetzt vor mir; doch zweifle ich, daß Dir der Auszug daraus denselben Spaß machen wird, als mir, ob er gleich, nachdem man es nimmt, keine unbedeutende Beilage zur Geschichte der Kunst seyn würde.

Der Freiherr von K... besaß das wichtige Gut in unserer Gegend, das nachher die königliche Domänenkammer an sich gebracht hat. Er war ein Mann von Erziehung und Kenntnissen, hatte seine Reisen trefflich benutzt, kam verheirathet mit einer edeln Römerin zurück, baute sich ein Haus in der Residenz, das in keiner Rücksicht dem Deinigen nachstand, und lebte hier wie ein Kenner, dem sein Reichthum erlaubte, jeden lüsternen Wunsch zu befriedigen, den ihm sein Kunstgefühl eingab. Er buhlte, ohne es satt zu werden, um die Meisterstücke der vergangenen und gegenwärtigen Zeit, stellte deren, so viel er habhaft werden konnte, der Bewunderung [135] der Fremden und Einheimischen aus, und überredete sich und ließ sich überreden, daß er glücklich sei, weil er Geschmack habe. Endlich verließ er doch als Wittwer, ziemlich gelbsüchtig und mager, den Schauplatz zwanzig verträumter Jahre, und flüchtete sich und seine Kunstsachen auf sein väterliches Landgut, das indeß unter den Händen seiner Verwalter weder an Einkünften noch Ansehen gewonnen hatte. War er in der Stadt der guten Gesellschaft überdrüssig geworden, so wollte er es der auf dem Lande lieber gar nicht zumuthen, ihm die Zeit zu vertreiben; und ob ihm gleich oft das Herz vor Neugier pochte, wenn er über die Gränzlinie blickte, die schon allein der nur zu sichtbare Wohlstand der Güter seines Nachbars um die seinigen zog, so konnte doch der Besitzer so herrlicher Sammlungen es nie über sich gewinnen, den Junker auf der alten Burg zu besuchen, der für keine Sinn hatte, die nicht aus Gerste oder Hafer bestand. Leitete ihn auch manchmal vor seinen Gemälden ein Kunstgedanke auf einen ökonomischen, so war es ihm doch nur eine unangenehme Ueberraschung, der er so sehr auswich, als einem langweiligen Gespräche. Er fühlte, daß eine andere Zusammensetzung dazu gehöre, als die seinige war, um den Uebergang von Thomsons Jahrzeiten – zu einer Bodenrechnung, oder von dem Viehstück eines van der Velden zu den blökenden Kühen seines Hofs erträglich zu finden; und so wenig Peter Bembus die Bibel lesen mochte, um sich nicht den Styl zu verderben, so wenig Vergnügen fand auch Herr von K ... an Wirthschafts-Kalendern und Saat-Tabellen. Auf diese Weise jagte er sich noch einige Jahre unter seinen Büchern, Bildern und geschnittenen Steinen mit der geschmackvollsten Langenweile herum, bis ihm kein Mittel mehr übrig blieb, um ihrer los zu werden, als sein Sterbebette. Er bestieg es so froh, als einer, der sich eine Veränderung zu machen wünscht; aber auch hier verdarb ihm sein feines Gefühl für das Schöne seine letzte Unterhaltung. Der gute Landgeistliche, der sich andächtig ihm näherte, schüttelte bedenklich den Kopf, als er ihn verließ; denn der Freiherr hatte während der Einsegnung ihn nicht ehrerbietiger behandelt, als Malherbe seine Wirthin und seinen Beichtvater, da er mit sterbender [136] Stimme diese noch über ein Wort auszankte, das die grammatische Probe nicht hielt, jenen aber höhnisch versicherte, er würde ihm die Freuden des Paradieses verekeln, wenn er in dem Tone, den er angestimmt hätte, fortführe. So wenig erbaulich nun auch der Hingang des Herrn von K ... in die andere Welt seyn mochte, so gelang ihm dafür der Beweis desto besser, den er in seinem Testamente ablegte: daß man auch noch in der Todesstunde das reinste Deutsch schreiben könnte; denn er gab einer Gerichtsperson seinen letzten Willen in die Feder, zwar mit schwacher Stimme, aber desto stärkern und gewählten Ausdrücken, entwickelte auf das verständigste die Grundsätze zur Erziehung seines unmündigen Sohns, die er einem bekannten Gelehrten in Leipzig, dem Professor Christ, übertrug, und ernannte mit großer Besinnungskraft Deinen Oheim als Vormund, unter der zutraulichen Bitte, die Verwaltung seines nachgelassenen Vermögens zu übernehmen, und seine in etwas verfallenen Güter in bessere Ordnung zu bringen.

Dein würdiger Oheim fühlte sich nun zwar durch den Auftrag des Verstorbenen sehr geschmeichelt. »Der Mann,« sagte er zu seinem alten Hausvogt, »muß mich doch für einen ehrlichen Kerl und guten Landwirth gehalten haben, ob er mich gleich, so lang' er lebte, nichts davon merken ließ.« Indeß konnte er doch dabei eine Bemerkung nicht unterdrücken, die ihm sein gerader Menschenverstand eingab: – »Seinen Nachlaß soll ich in Ordnung bringen? Gut! das soll zwar geschehen; aber warum that es denn der liebe Mann nicht selbst? Wenn ich ein Jahr versäumen wollte, mein Haus kehren zu lassen, machte mich dann aus dem Staube, und bäte meinen Nachbar, dafür Sorge zu tragen, was würden die Leute denken? Drollig genug, daß man den letzten Willen eines Mannes, der uns eine ähnliche Zumuthung thut, nicht auch, so gut wie jenes, für eine Unhöflichkeit aufnimmt! Er darf sein Leben vergeuden; genug, daß er in seinem Testamente jemanden auf das Korn nimmt, dem er die Mühe und den Schweiß überträgt, die er selbst zu verlieren keine Lust hatte. Da greift er ohne Bedenken in die Zeit, zu der er doch eigentlich gar nicht mehr gehört, und setzt seine stinkende Faulheit noch im Grabe fort, unter der Nase [137] des gutwilligen Narren, dem er seine abgeschüttelte Arbeit aufgehalst hat. Wenn das sein Haus bestellen heißt, so verstehe ichs nicht.« –

O du mein verewigter Lehrer und Wohlthäter! unschuldiger Landmann – unerfahren in den Künsten, die der Luxus erfand, und Fremdling in allen andern Wissenschaften, als die uns die einfache Natur lehrt; was für ein unseliges Geschick öffnete dir den Haushalt eines Mannes von Geschmack, und unterwarf deiner Verwaltung Dinge, die nach ganz andern Regeln beurtheilt werden, als nach den Gesetzen der Oekonomie und nach dem Ausschlage des innern Werths!

Zwar fanden die wüsten, ausgesogenen Aecker ihren Herrn an ihm, die abgestorbenen Obstbäume wurden bald durch frische Stämme ersetzt, die dürren Wiesen gewässert, die verschlämmten mit Gräben durchzogen, und noch grünen die schönsten wilden Zäune zu seinen Ehren um manche Gras- und Gemüs-Gärten; der Viehstand erhöhte, die Ernten verdoppelten sich, und die verfallene Brauerei öffnete den armen Bauern eine Labequelle, die seit vielen Jahren vertrocknet war. Alles kam nach seiner Anweisung in Thätigkeit, Fülle und Segen überströmte die Scheuern und Böden seines Mündels, und Muth und Kraft kehrten in die erneuerten Hütten seiner Unterthanen zurück. So sichtbar auf dieser Seite seine vormundschaftlichen Verdienste waren, wie sehr wurden sie nicht auf einer andern durch die Mißgriffe verdunkelt, die er in dem Schlosse des Erblassers mit ehrlicher Unbefangenheit that! Unerkannte Sünden, die ihm aber ein Verehrer der Kunst, ein Kenner des Schönen, ein Nachtreter Winkelmanns, so wenig vergeben wird, als sie ihm sein Mündel vergab – –


Hier aber, Eduard, muß ich eine Pause machen, denn ich halte es nicht länger aus. Es gehört eine eigene Geduld dazu, seine Feder den Worten oder Gedanken eines andern zu leihen. Man weiß nicht, wo man seinen eigenen Kopf dabei hinthun soll. Nein! in der ganzen Natur giebt es keine so widrige Handarbeit, als die eines Kopisten. Ich finde das Holzhacken nicht so undankbar und [138] um vieles origineller. Zehnmal kam ich in die Versuchung, um mir den Weg zu verkürzen, ein müßiges oder schleppendes Wort wegzulassen, oder es mit einem aus meinem Gehirne zu vertauschen, und die Sache ungefähr so zu behandeln, wie gewisse Schriftsteller, wenn sie aus anderer Büchern ein eignes schreiben, oder wie Elias Stapert den König von Pohlen.

Wer ist denn dieser Elias? höre ich Dich fragen. Das will ich Dir noch in der Geschwindigkeit erzählen, ehe ich Feierabend mache. Elias Stapert ist ein abgedankter Skribent, dem ich durch meinen Kredit in Berlin eine Stelle in der dortigen Charité verschafft habe, wo Du ihn aufsuchen kannst, wenn Du Lust hast. Er war ehemals in der Deutschen Kanzellei zu Warschau angestellt, und erzählte mir, man habe ihm dort zu seinem täglichen Geschäfte eine gewisse Anzahl Berichte mit ihren Aufschriften an den König angewiesen. Der Rath, der die Koncepte zum Abschreiben unter die Kopisten vertheilte, band sie zwar nicht an die Uhr, wie gemeine Tagelöhner; aber er schien es so gut in der Hand und im Wurf zu haben, daß er genau jedem so viel zumaß, als er den Tag über leisten konnte, so daß sich keiner so leicht eine Freistunde zu erschreiben im Stande war. Nun hatte der arme Elias ein kleines Haus in der Vorstadt und ein hübsches Gärtchen daran, an das er immer dachte, wenn er zusammen gedrückt an dem Schreibtische saß und nach Luft schnappte. Da kam er nun eines Tags zur Zeit der Rosenblüthe auf den unglücklichen Einfall, zwar nicht den Koncepten, die vor ihm lagen, aber der langen königlichen Titulatur bald hier bald da ein Wort abzuzwacken. Sein erster schüchterner Versuch gelang so gut, daß er ihn ohne Bedenken wiederholte: endlich gewöhnte er sich mechanisch daran, und gewann durch diesen kleinen Kunstgriff an jedem Kouvert zwei Minuten, mithin an dreißigen eine volle Stunde, die er denn, Gott weiß mit welchen süßen Gefühlen, unter seinen Blumen hinbrachte. So hatte er, verschiedene Jahre vor der Theilung von Pohlen, dem guten König eine Provinz nach der andern, auf dem einen Umschlage Reußen und Preußen, auf dem andern Massovien und Samogitien, bald Podolien und Podlachien, bald Kurland und Semigallien abgenommen, [139] ohne daß die politische Welt darauf achtete. Dieß machte ihn, wie das so geht, immer begehrlicher und dreister: er riß nun schon, besonders an heitern Tagen, dem Reiche einen Theil mehr ab, und dehnte die noch übrigen desto länger. Endlich, nachdem er sich einmal an dem: Ew. Majestät werden Sich allergnädigst zu erinnern geruhen – matt und hungrig geschrieben hatte, erholte er sich so sehr an seinem schon um sechs Provinzen ärmern Monarchen, daß er ihm auch noch Smolensko und Szarnicovien wegnahm. Das gab nun freilich, so sehr er auch seine Buchstaben in's weite spannte, dem Ganzen ein sehr leeres Ansehen.

Ein junger Rath, der mit den Kouverts spielte, während sich die andern mit dem Inhalte beschäftigten, nahm das Lückenhafte in der Aufschrift wahr, und that sogleich in pleno eine sehr emphatische Anzeige von seiner ominösen Entdeckung. Die ganze gelehrte Versammlung kam darüber in Aufruhr. Man verschob die laufenden Geschäfte des Tags über diesem außer ordentlichen Vorfall, untersuchte nicht weiter die Eingaben, sondern die Aufschriften, ließ ältere Akten und noch ältere aus dem Archive holen, störte nach allen den königlichen Titeln, die von der Hand des armen Elias waren, erstaunte über seine langjährige Untreue, und berathschlagte sich nun über seine Bestrafung. Der eine Beisitzer votirte, des Exempels wegen, auf den Pranger, der andere, der vorsetzlichen Bosheit halber, auf den Staupbesen, ein dritter und vierter auf eine bloße Censur; am Ende vereinigten sie sich auf die Landesräumung, zu der sie ihm eine Frist von vier Wochen bewilligten. Er mußte nun seinen Platz am Schreibtische einer andern leidenden Kreatur, und seinen Gläubigern Garten und Haus abtreten. Mit nichts als einem Strauße, den er von seinen Nelken abbrach, die eben im Flor standen, und den er unterwegs mit mancher Thräne befeuchtete, verließ er die Stadt, bettelte sich nach Berlin, und kam endlich auch vor meine Thüre. Sein ehrliches Gesicht und seine traurige Geschichte rührten mich, und wie oft ist sie mir nach der Zeit eingefallen! Ich gab ihm ein reichliches Almosen, und sorgte in der Folge, wie ich Dir schon gesagt habe, für sein Unterkommen.

Kannst Du aber wohl glauben, Eduard, daß ich seitdem keinen [140] königlichen oder fürstlichen Titel mehr sehen kann, ohne mich zu ärgern, und die armen Gebeugten zu bemitleiden, die sich an solchem Wortkram wasser- und lungensüchtig schreiben müssen? Wäre ich ein Fürst, ich wollte mich an der kurzen Aufschrift begnügen: An unsern gnädigen Landesvater, und Sorge tragen, daß ich nur diese verdiente. Ich würde einem solchen Propheten, als mein Elias war, kein Haar krümmen, und ihm gern die Stunde gönnen, die er an dem ausgehängten Plunder meiner Titel ersparte. Sie mögen so lang, so wahr, oder so lügenhaft seyn als sie wollen, sie machen doch den, der sie führt, weder reicher noch klüger, befestigen sein Ansehen nicht mehr als sein Eigenthum, und rücken seine großen Anwartschaften um keinen Tag näher. Wie viel unzählige Stunden, die zusammen gewiß mehrere Menschenalter betragen, würden nicht zum Beispiele nur die Sächsischen Kanzellisten an der einzigen Zeile: Jülich, Cleve und Berg auch Engern und Westphalen, gewonnen haben, seitdem diese Floskel in unnützem Gebauche ist, wenn man sie ihnen, zu einer klügern Beschäftigung, erlassen hätte! und wo läge denn der Schaden, der für ihre Herren daraus erwachsen wäre? Diesen Erlaß könnten sie ihnen sogar ganz keck als eine Zulage ihres ärmlichen Lohns anrechnen, und, so versäumt als es diese Klasse von Söldnern ist, würden sie es noch eher für bares Geld aufnehmen, als die leeren Versprechungen, mit denen man sie so gern von einem Jahre auf das andere verweist.

Doch ich muß lachen, daß ich diesen Sklaven, die mit ihren Gänsekielen den Staat fortrudern helfen, ohne nur Einen aufmunternden Blick von dem Steuermanne zu bekommen, so herzlich das Wort rede. Das sind aber die guten Folgen der eigenen Erfahrung; und wie Du mir einst die nachsichtsvolle Behandlung eines gewissen Generals gegen sein Regiment dadurch begreiflich machtest, weil er in seinen ersten Dienstjahren selbst Spießruthen gelaufen sei und auf dem Esel gesessen habe, so erklärt sich mein Mitleiden für diese Schreibmaschinen eben so leicht aus dem Drucke, unter dem mich ihr Handwerk bei der Abschrift des fremden Briefs leider zwei volle Stunden gehalten hat. Er hat mich noch [141] außerdem an andere Mißbräuche der edeln Schreibekunst erinnert, die bei jedem Tribunal die Ausgabe für Dinte, Federn und Papier jährlich vergrößern, mit denen man Zeit und Raum in der Welt immer mehr verengt, und die ich gern noch abschaffen möchte, wenn ich nicht heute zu schläfrig dazu wäre. Ach! warum thun es doch unsere Fürsten nicht! Um wie vieles würden sie selbst sich ihre Regierung, die niemals papierner gewesen ist, als in dem laufenden Jahrhunderte, erleichtern, wenn sie von ihren schalen Titulaturen an bis zu ihren wichtigen Staatsverhandlungen alles, was von dem Kanzler bis zum Kopisten Unnützes, Weitschweifiges und nur dem albernen Herkommen zu Liebe geschrieben und wieder geschrieben wird, auf die gefällige Kürze mündlicher Rede eines gescheidten Mannes zurück bringen wollten! Sie würden den Vortheil davon haben, den täglichen Zustand ihres Landes, auf einem einzigen Bogen vielleicht, übersehen zu können, da sie wohl jetzt sich schon an einem voluminösen Konsistorialberichte müde lesen, der oft keine andere Neuigkeit auslegt, als daß ein Mädchen zum ersten oder zum viertenmale zu Falle gekommen sei, und den sie wohl nicht einmal so sein aus einander setzen, als ich mein Attentat bei Klärchen.


Den 11ten Januar.


Ich wüßte nicht, wie für die Art von Müßiggang, wie ich ihn am liebsten treibe, irgendwo besser gesorgt seyn könnte, als in dieser geschäftvollen Stadt. Alles überzeugt mich, daß durch den Anblick fleißiger Menschen nicht allein die Seele, sondern auch der Körper viel zweckdienlicher in Bewegung erhalten wird, als durch einsame Spaziergänge; gesetzt sogar, daß man auch, wie das doch nicht immer der Fall ist, an sich selbst einen Begleiter fände, dessen Unterhaltung uns für jede andere schadlos hielte. Was die Vorstellungen meines Arztes nicht vermochten, macht hier der Handlungsgeist möglich. Er, der so viele Maschinen belebt, jagt auch die meine mit Tagesanbruch aus den Federn, nöthigt mich an das Fenster, und öffnet mir Augen und Ohren. Setze ich meinen Fuß aus dem Hause, so zieht die Vorsicht, die ich anwenden muß, daß [142] er nicht überfahren, oder durch die Füße eines Lastträgers zerquetscht werde, gewiß manches schlaff gewordene Knötchen meiner Flechsen wieder an, denen unter allen Lagen keine so nachtheilig ist, als die bequeme. Nirgends aber wirken die in Thätigkeit gesetzten Kräfte sichtbarer und wohlthätiger auf die meinigen zurück, als wenn ich den Hafen besuche. Mein Körper ahmt alsdann, ohne es zu wissen, die schwersten Originale der Arbeitsamkeit, die sich ihm darstellen, auf das treueste nach, und indem ich zum Beispiele die kräftige Aeußerung des Wollens und Vollbringens derjenigen beobachte, die an einem seufzenden Kran ungeheure Lasten in das Schiff heben, beiße auch ich die Zähne zusammen, dehne meine Arme, krümme meinen Rücken, die Adern laufen mir auf, und der Schweiß tritt mir so lange vor die Stirne, bis die Schwierigkeit überwunden ist. – Dann aber erleichtere ich auch meine Brust durch einen behaglichen Seufzer, wie jene Kraftmänner die ihrige. Die stärkende Seeluft kühlt uns ab, und von dem köstlichen Hunger, den sie zu ihrer Mahlzeit errangen, trage ich denn auch so viel nach Hause, als mein schwacher Magen bedarf. Ich werde diesen Versuch, den ich aus Vorbereitung zu dem Schmause, der mei ner heute erwartet, diesen Morgen mit meinem Körper vornahm, täglich wiederholen, so lange ich hier bin; denn, Du glaubst nicht, mit welchem ganz andern Vergnügen ich jetzt an die Einladung des Herrn Frege denke, als gestern, da ich Dir zu Gefallen mich zu einem Abschreiber erniedrigte, und sich viele Stunden hinter einander von meiner armen Maschine nichts als die Finger bewegten.

Warum aber, lieber Eduard, haben denn wir eine solche Scheu vor jeder körperlichen Arbeit? Würden wir denn nicht, da schon die sichtliche Vorstellung derselben so große Wunder thut, unsern Lebensgenuß um vieles erhöhen, wenn wir, nach Lockes Rath, neben unserer standesmäßigen Erziehung auch ein Handwerk – und das trockene Brod wenigstens verdienen lernten, das wir in kleinen Bissen genießen? Ist es recht, daß wir durch das vornehme Zurückziehen unserer Hände dem armen Tagelöhner mehr Hunger aufhalsen, als er befriedigen kann, indeß wir uns der [143] Erholungen, die nur den Fleiß belohnen sollten, als Mittel bemächtigt haben, unser unnützes Triebwerk im Gange zu erhalten? Ich dächte, dieser strafende Gedanke müßte jedem in den Weg treten, der, einem Trupp Schnitter vorbei, über Feld reitet, seine müßigen Stunden in einem rollenden Wagen verschnauft, sich auf Bällen und Jagdpartien in Schweiß setzt, und jedes Frühjahr ein Bad besucht, damit ihm nur der Schwamm nicht über den Kopf wachse, der in ihm keimt.

Wir haben alle einen vornehmen Herrn gekannt, dem dieß begegnete – der sich endlich ein Faulfieber an den Hals, und mit sich sechs nützliche Menschen in das Grab zog, die ihn während seiner ansteckenden Krankheit bedienten. Wir erzählten einander in unsern Gesellschaften diesen Vorfall als die gleichgültigste Sache. Hätte er aber unser Gefühl nicht eben so sehr empören sollen, als die in Indien hergebrachte Ceremonie, nach welcher die Sklaven zur Begräbnißfeier ihres verstorbenen Herrn geschlachtet werden? Wohl gut, daß es kein Philosoph war, dem die Leichenrede unsers verklärten Freundes übertragen wurde! – Aber wie zum Henker komme ich zu diesen moralischen Grillen? den ungeschicktesten, die ich wohl hätte aufjagen können, um mich zu dem Gastmahl eines reichen Banquiers zu begleiten.


Ein Doktorhut hat das Gute an sich, daß man ihn, sei es einer hübschen Dormeuse gegenüber, in dem Kränzchen einer lustigen Gesellschaft, oder in dem Zirkel der großen Welt, kurz, bei allen Gelegenheiten, wo er uns hindert, ablegen kann, wie jeden andern gewöhnlichen Hut. Er bleibt deßwegen doch unser, sammt seinen Ansprüchen, und wir finden ihn gewiß unter allen den feinen und groben Hüten wieder her aus, die sich unterdeß über und neben ihn herwarfen. So habe auch ich den meinen glücklich nach Hause gebracht, ohne ihn zu verwechseln, und, da ich ihn schwerlich heute wieder aufsetzen werde, abgestäubt und an den Nagel gehängt. Was sollte er mir jetzt? Er würde die Figur doch nicht sonderlich heben, die ich jetzt in meinem Lehnstuhle mache, so wenig als die[144] Trägheit verscheuchen, die mich allein abhält, Dir die herrlichen Gerichte alle aufzuzählen, denen ich sie verdanke.

Ich habe fünf üppige Stunden verbraucht, um eine Menge neue Bekanntschaften – nicht unter den anwesenden Gästen – sondern unter den Konsumtibilien zu machen; denn gute Gesellschaften sehen sich an jedem großen Ort einander gleich, aber nicht ihre Schüsseln. Der Erziehungskunst, so hoch man sie auch überall getrieben hat, mißlingt ihre Bemühung nur gar zu oft. Sie putzt und spickt und salzt das Wildpret, das sie behandelt, nach verschiedenen Methoden, und bringt doch am Ende nur ein verkünsteltes Gericht, oder höchstens ein Schauessen zuwege, das unter jedem Himmelsstrich einerlei Farbe hat. Sie versteht lange nicht so gut der Natur nachzuhelfen, als ihre ältere Schwester, die Kochkunst, die immer das Eigenthümliche jedes Landes mit der allgemeinen Erfahrung so geschickt zu verbinden weiß, daß jedes Gemüse seinen gehörigen Zusatz, jeder Fisch seine rechte Brühe erhält, und sie unterscheidet viel klüger als jene, welches Stück sie mortificiren, welches sie dämpfen soll – wie viel Wasser jenes, wie viel dieses Feuer bedarf, um gar zu werden, und weist jedem seinen eigenen Topf an.

Da ich indeß immer geglaubt habe, daß nichts mehr zarte Empfindungen, gewürzte Einfälle und neue Wendungen des Geistes hervorbringe, als Gerichte von ähnlichem Gehalte; so nimmt es mich doch Wunder, daß bei den vielen feinen Schüsseln, die Marseille vorzugsweise liefert, die hiesige Akademie der schönen Wissenschaften sich nicht besser auszeichnet. Es waren heute verschiedene ihrer Mitglieder zugegen; aber, so viel ich habe bemerken können, war kein Chaulieu, kein Lafontaine, kein Anakreon darunter, obgleich keiner bei den leckern Bissen, die er zu sich nahm, vergaß, daß seine Zunge auch ein Sprachorgan sei.

Bei allem dem kam mir doch den ganzen langen Mittag über auch nicht einen Augenblick das Heimweh an: und wenn es zutrifft, was mir Herr Frege für diesen Abend verspricht, hoffe ich auch den Ueberrest meines Tages von dieser patriotischen Krankheit befreit zu bleiben; denn er denkt, daß ein Ball, zu dem er [145] mir auf das höflichste sein Einlaßbillet abgetreten hat, mich sichtlich von dem großen Vorzuge überzeugen werde, den die hiesigen Damen vor dem ganzen schönen Geschlechte der Erde ohne Ausnahme behaupten. Ich stutzte, als er mir das sagte, ging in der Geschwindigkeit die berühmten Schönheiten unsers Berlins durch, und schüttelte etwas ungläubig den Kopf. »Nun, Sie sollen es mir wieder sagen,« versetzte Herr Frege: »vergessen Sie nur nicht, Herr Landsmann, eine gute Lorgnette mitzunehmen!« – »O daran soll es nicht fehlen,« erwiederte ich: »ich habe eine der schärfsten, die man finden kann, und die mir zu Caverac, Avignon und Gott weiß wo sonst noch, die vortrefflichsten Dienste geleistet hat.« – »Nun, so wünsche ich Ihnen Glück zu Ihrem heutigen Abend; es thut mir leid, daß mich meine Geschäfte verhindern, Sie zu begleiten.« –

Diese zuversichtliche Behauptung eines wahrheitsliebenden Deutschen, der Leipzig, Dresden, Frankfurt und Berlin inwendig und auswendig kennt, und an einem Orte wohnt, wo täglich alle Nationen der Erde ihre Waaren auslegen, kann wohl nicht anders als meine Neugier aufs höchste spannen. Wenn er Recht hat, so käme man beinahe in die Versuchung zu glauben, daß jene gepriesenen Nahrungsmittel wohlthätiger auf die äußern Organe wirken, als auf die innern. In einer See- und Handelsstadt mag das hingehen; wäre aber Marseille eine hohe Schule, so würde dieses Phänomen mehr Unglück anrichten, als die philosophische Fakultät verhindern könnte. Glaube mir, Eduard, daß ich weniger zu meinem Vergnügen auf den Ball gehe, als um diese Streitfrage zu berichtigen, die wohl eine der wichtigsten in der Naturgeschichte ist.


Dieser Tag des Wohllebens und der Entscheidung wäre nun vorüber! Und welcher Nation der Erde, fragst Du, gehört denn, unter allen den Schönen, die du sahest, die Mustergestalt an, der du den Apfel reichen würdest? Geduld, Eduard! Ich habe noch Zeit genug übrig, mit Dir zu schwatzen; denn ob es gleich schon einige Stunden über Mitternacht ist, so sind doch meine Augen von den Bildern, die bei meinem Fernglase vorüberzogen, noch [146] viel zu gespannt, als daß ich sie so geschwind schließen könnte. Bei den optischen Strahlen der Schönheit, bei den magischen Tönen der Musik, die ich in solcher Menge aufgefangen habe, daß ich Feuer geben und klingen möchte wie ein Büstrich, ist es mir nicht allein gelungen, den wichtigen Streit der Schönen aller Nationen gegen einander völlig zu schlichten; sondern ich bin auch nebenher auf die sonderbare Entdeckung gestoßen, wie man neue Sylbenmaße, an denen es unserer Poesie so sehr mangelt, ohne große Anstrengung finden kann.

Die Operation ist kinderleicht für jeden, dem es während und nach einem Balle so geht wie mir, daß er kein Wort sprechen und denken kann, das nicht Takt hält. Er setze nur die Füße seiner Verse nach eben der Ordnung, Abwechselung und Mensur, die eine tanzende Schöne den ihrigen giebt, und er wird mit Verwunderung sehen, wie sich manches Sylbenmaß unter ihren harmonischen Schritten bilden wird, an das vorher noch kein Dichter gedacht hatte. Zur Probe meiner neuen Erfindung will ich Dir den ersten Eindruck des Ganzen auf meine überraschten Sinne in keinen andern, als solchen abgestohlnen Versen erzählen. Ich erwischte den Takt dazu bloß in den letzten Schwingungen des Tanzes, der eben zu Ende lief, wie ich in den Saal trat.


Freund! das war ein Ball! So hat nie ein andrer

Mich, selbst in fürstlichen Sälen ergetzt! –

Hat mich denn, dacht' ich, wie Paulus den Wandrer,

Ein Traum in den dritten Himmel versetzt?

Ich sah hier Tänzer in fremden Gewanden,

Und Schönen mit fremden Federn geschmückt,

Als hätten die fernsten Völker Gesandten

Zu diesem Feste der Füße geschickt.

Ich sah – –


Doch nein, weiter darf ich nicht fortfahren: denn die Musik schweigt, meine Vortänzerinnen verschnaufen, und der Saal nimmt eine prosaische Gestalt an. Ich machte mich sogleich zu meinem Richteramte geschickt, nahm mein doppeltes Fernglas vor die Augen, und wie ein Blumist in den Gärten zu Harlem in stiller Betrachtung von der Aurikel zur Nelke, von der Hyazinthe zur Klatschrose [147] schleicht, mit seinen Bemerkungen von der Krone zum Stängel, und von diesem, mit gewagten Schlußfolgen, bis zu der verborgenen Wurzel herabsteigt, bald in der einen Blume den Umfang ihrer markichten Blätter, bald in der andern die gedrängtern Schönheiten ihres Kelchs bewundert, und sie erst alle mehrmalen beäugelt, ehe ihn der Abschluß seiner Vergleichungen zu derjenigen Blume zurück bringt, die ihn am meisten bezaubert hat; so pünktlich verfuhr auch ich in meiner Untersuchung, konnte des Spiels, das ich immer mit neuem Vergnügen wiederholte, in den vielen Stunden, die es mich in dem bunten Zirkel herum trieb, nicht satt, und lange nicht über das Urtheil mit mir einig werden, das ich über alle Nationen der Erde fällen sollte. Endlich aber, nachdem ich diese herrlichen Gewächse der physischen Welt von allen Seiten besehen, wieder besehen und mit einander verglichen hatte, blieb meiner Unparteilichkeit, nichts übrig, als dem Herrn Frege beizustimmen, und den einheimischen vor allen den ausländischen, die ich unter sie gemischt sah, den Vorzug der Schönheit zuzugestehen. Ich kann weder euch helfen, ihr feurigen Geschöpfe Italiens, noch euch, ihr schlanken Gestalten Englands, und selbst auch euch nichts, ihr meine lieben blonden Landsmänninnen – euch allen – allen nicht, die Spanien und Pohlen, Rußland, Schweden und Dänemark vor meinen Richterstuhl schickten. An jeder von euch rührten, blendeten und entzückten mich einzelne Reize genug, die ich aber nirgends so flecken- und tadellos und so offen beisammen fand, als in den ätherischen Gestalten Marseillens. Keine war – wie ging das zu? – der andern gleich, und doch jede vollkommen.

Herr Frege behielt Recht. Er behielt Recht von acht Uhr des Abends bis eine Stunde nach Mitternacht: aber eben wie es Eins geschlagen hatte, stellte sich eine Griechin seiner Ausforderung entgegen, und nach wenigen Minuten war ich gezwungen, mein schon gefälltes Urtheil beschämt wieder zurück zu nehmen. Ein guter Wind hatte sie, erst vor einer Stunde, in den Hafen gebracht, unter der Aufsicht und Leitung ihres Oheims, des weltberühmten Ritters von Tott. Er, der lange Jahre die Dardanellen vertheidigte, und die Ungläubigen siegen gelehrt hatte, eroberte für sich selbst eine [148] schöne Cirkasserin, und flüchtete jetzt seinen Reichthum, seine Frau und ihre Nichte nach Frankreich.

Dieses Wundermädchen hatte nur zu lange auf dem engen Spielraum eines Schiffes den Tribut entbehren müssen, an den ihre Reize gewöhnt waren; nur zu lange hatte sie nicht ihren Schmuck angelegt und getanzt. Man kann denken, wie ungeduldig sie ihrer Landung entgegen sah. Gott sei gedankt! rief der Ritter, wie er in den Hafen einlief, jetzt haben wir die reichste Stadt meines Vaterlandes und den besten Zufluchtsort gegen die Langeweile erreicht. Sie haben jetzt nur zu wählen, meine liebe Nichte. Was wünschen Sie zu Ihrer ersten Erholung? – Das Mädchen antwortete: Einen Ball! und so stieg sie aus der offenen See vor den offenen Spiegel, fand sich da wieder, eilte, vielleicht zu sehr, mit ihrem Putze, und ging nun an dem Horizont unsers glänzenden Festes, wie der Morgenstern, auf, der eine ganze Milchstraße verdunkelt.

Der weibliche Zirkel gerieth bei ihrer Erscheinung in einen sichtbaren und sehr gerechten Unmuth; denn unter den Männern blieb auch nicht Einer seiner Auserwählten so treu, daß er nicht seine Augen von ihr abwandte, und seinen Handkuß aufschob, um dieser Huldgöttin einen beifälligen Blick zu entlocken, und in Andacht ihren Einzug zu feiern.


So trat die Nichte – –


Doch, eh' ich meine Romanze in dem neuen Versmaße anstimme, das ich unter den flüchtigen Füßen dieser unvergleichlichen Tänzerin wegstahl, und das ich Dir zugleich als die zweite Probe meiner glücklichen Erfindung vorlegen will, bitte ich Dich, lieber Eduard, zu bemerken, daß in der Reihe der Nichten, die in meinem Tagebuche, und mitunter ziemlich derb auftreten, dieses liebe Mädchen schon die vierte ist.

Als einem Autor von seinem moralischen Gefühl, kann mir dieser zufällige Umstand nicht anders als angenehm seyn; denn es würde mir leid thun, wenn ich hier und da das, was ich ohne Bedenken von Nichten erzähle, einer Tochter nachsagen müßte. Ob ich gleich, wie der Leser, mit der einen so wenig in Verwandtschaft [149] stehe, als mit der andern, so ist doch gewiß, daß man an einer Verlegenheit, die Töchtern begegnet, innigern Antheil nimmt, als in die sich, nach Zeit und Umständen, eine Nichte gebracht sieht. Es ist, mit Einem Worte, sobald man dabei nur Onkel Tante, oder Vormund erwähnen hört, als ob man froh wäre, daß nur Vater und Mutter die Abzeichnungen nicht erlebt haben, in denen sich ein Reisebeschreiber, wie ich, Cook oder Vaillant, oft genöthigt sieht, so reizende Geschöpfe der neugierigen Welt bloß zu stellen. Ich thäte freilich wohl klüger, ich ließe meine Bleifeder ruhen, und suchte mein Bette, wüßte ich nur den verzweifelten Walzer, der mir im Kopfe liegt, auf eine andere Art los zu werden, als daß ich ihn auf Noten setze und Dir preis gebe. Aber, ziere ich mich nicht wie ein Kind! Warum sollte ich Dir denn etwas verheimlichen, was auf einem öffentlichen Balle geschah, und was morgendes Tags, der schon anbricht, die eine Hälfte der Stadt der andern als eine Neuigkeit ins Ohr raunen wird, selbst auf Gefahr, durch ihr zu lautes Geschwätz die schöne Fremde auf immer und ewig daraus zu vertreiben? Es hatte also eben Eins geschlagen:


Da trat die Nichte des muthigen Tott

Mit ihm in den staunenden Saal:

Ein reiner und durch die Gnade von Gott

Gefüllter Busen, und Augen voll Spott

In einem schneeweißen Oval.


Als sie mit Anstand die Reihen durchzog,

Ward Mißgunst und Lüsternheit wach –

Ein summender Schwarm von Jünglingen flog,

Als sie mit Anstand die Reihen durchzog,

Der Blume des Orients nach.


Die Fächer rauschten: doch Mangel an Muth

Entfernte das feindliche Heer;

Der Handschuh lag still, es winkte kein Hut,

Die Tänzer weilten aus Mangel an Muth,

Und keiner noch trat ins Gewehr.


Doch endlich naht sich ihr bittend und dreist –

Und Oberon stieß in sein Horn –

Ein flinker Ritter vom heiligen Geist –

Und endlich naht sich ihr bittend und dreist

Ein Ritter vom päpstlichen Sporn.


[150]

Sie blickt auf keinen, und reicht ohne Wahl

Dem Ritter des Sporns ihre Hand.

Er, wie ein Sturmwind, durchbraust nun den Saal,

Und dreht und walzt sie, verunglückte Wahl!

Bis ihre Besinnung verschwand.


Sie fiel – zwar, leider! so ehrbar nicht, als

Einst Cäsar, doch schöner gewiß.

Was Er verhüllte, war freilich kein Hals

Von solcher Griechischen Federkraft, als

Hier einer sein Schnürband zerriß.


Von Wien bis China, von Osten bis West

War nie ein Schwindel so frei –

Denk dir, was sich beschreiben nicht läßt,

Von Wien bis China, von Osten bis West –

Und nun die Beleuchtung dabei!


Die Nymphen des Balls flohn wider Gebühr,

Und lachten – Doch Männer, wie ich,

Verstummten sittsam, und rückten dafür

Dem Ziele näher, das wider Gebühr

Ihr freundliches Fernglas beschlich.


Mich hatte die Lust ins Weite zu sehn,

Wie Boden und Herscheln, berauscht;

Hier sah ich Sparta, dort sah ich Athen

Nicht dunkler, als ich das Füßchen gesehn,

An das ich mein Strumpfband vertauscht.


Nur Er nahm, der selbst in Stambuls Gebiet

Nie Muth und Bewußtseyn verlor,

Kaum wahr, was seine Nichte verrieth;

So warf er, als ständ' er in Stambuls Gebiet

Noch Wache, sein Schnupftuch davor.


Was half's dem Neider? Ich hatt', eh' er warf,

Mich längst nach dem Lichte gedreht,

Und dreimal erblickt – – Wie wenig bedarf

Der Mensch zum Frohseyn! ich schwör' es, er warf

Sein Türkisches Schnupftuch zu spät.


Sein schwarzes Auge voll blitzenden Zorns

Verjagte die andern. Es floh

Der Ritter des Geistes, der Ritter des Sporns;

Sie wurden unter dem Blitz seines Zorns

Des reizenden Anblicks nicht froh.


[151]

Kaum floh der Schwindel, so bot er den Arm

Der Schönen. Erröthend verließ

Sie nun im Fluge den männlichen Schwarm,

Der jetzt im Einklang – er bot ihr den Arm –

Die Reichthümer Griechenlands pries.


Ich braucht' als Richter das Fernglas nicht mehr,

Seit mein Object mir verschwand;

Mir schien der Rangstreit der andern so leer

An Rechtsbehelfen, sobald ich nicht mehr

Den Urthelsspruch zweifelhaft fand.


Vernehmt den Ausspruch, der ihren Beweis

Und der ihren Zeugen gebührt:

Mehr als ein Apfel versichre den Preis

Dem holden Kinde, das seinen Beweis

Selbst offner als Venus geführt.


In Griechischer Luft, wie Winkelmann schreibt,

Gedeihen die Grazien nur,

Und Griechenland ist und Griechenland bleibt –

Sie hat bestätigt was Winkelmann schreibt –

Die Werkstatt der schönen Natur.


Dieß sei so lange gesprochen zu Recht,

Bis es das Schicksal verhängt,

Daß mich ein Anwalt von Evens Geschlecht

Des bessern belehrt, und jene mit Recht

Aus dem Besitzstand verdrängt.


Die Männer klatschten; doch minder gelind

Verfuhren die Mädchen und Frau'n:

Die schalt mich, die schwur, mein Fernglas sei blind,

Die droht', und die bat mich minder gelind,

Auch ihr Dokument zu beschaun.


Die Alten fragten mit bitterem Stolz:

Gilt die Verjährung hier nichts?

Die Jüngern schrieen: ich wäre von Holz,

Und dächt', ich brauchte nichts weiter als Stolz

Zum Gang eines solchen Gerichts.


Mir blieb kein Ausweg, als den einst Ovid

Am Pontus Euxinus ergriff:

Ich ging und spielte dieß einsame Lieb,

Mein Blut zu kühlen, wie weiland Ovid

Die Schuld seiner Augen verpfiff.


[152] Den 12ten Januar.


O warum kannst Du nicht mit mir frühstücken, lieber Eduard! Der Morgen ist unter meinen Tagszeiten immer noch die klügste, und wo ich am ersten einen artigen Gesellschafter annehmen kann. Es sieht wieder so aufgeräumt in meiner Seele aus, wie in einem Putzzimmer, das die Nacht über von dem gestrigen Staub gereinigt wurde. Alle die schädlichen Dünste, mit denen wir es angefüllt verließen, sind nun verflogen, Spiegel und Fenster sind hell, und die verschobene Symmetrie ist – auf Gott weiß wie lange – wieder hergestellt. Ich habe mich schon nach einem vernünftigen Geschäft umgesehen: es ist die Frage, ob ichs getroffen habe. Ich zog einen andern klugen Reisenden zu Rathe, der hier immer aus meinem Tische liegt, und ward endlich einig mit mir, einen Besuch bei Notre Dame de la Garde zu machen. – Meine Erwartungen von diesem Spaziergange waren meiner Stimmung angemessen, und schränkten sich auf die herrliche Aussicht über das Meer, auf den Hunger, den ich mir ergehen würde, und auf das Vergnügen ein, die launige Beschreibung des Chapelle nun auch einmal an dem Orte selbst zu lesen, den er durch ein paar hingeworfene Zeilen berühmter gemacht hat, als es nimmermehr Philippsburg oder Spandau seyn kann. Dabei ist es auch ungefähr geblieben.


Ich schlenderte durch steile Wege,

Chapellens Reisen in der Hand,

Der Festung zu, die einst mein Herr Kollege

So gut als ich verschlossen fand;

Doch so gefaßt sie stets bei jedem Ueberfalle

Der Dichter scheint, so weiß man doch, sie ist

Nicht fester, als die Festen alle,

Die unsre liebe Frau verschließt.


Die Zeit hat noch überdieß manche von den Merkwürdigkeiten zerstört, die jener Reisende uns aufbehalten hat. Der Schweizer mit der Hellebarte, der damals noch am Thore der Festung Wache hielt, ist so ganz von Regen und Wind verwischt, daß man keine Spur mehr von ihm findet. Auch nicht eine Hand voll Erde bedeckt diesen Felsen mehr, aus dem zu jener Zeit die Leute noch [153] ackern konnten, von denen er die Nachrichten erhielt, die den Kommandanten des Schlosses betrafen, das jetzt, glaube ich, nah und fern keinen mehr hat. Wüßte man nicht, daß mein würdiger Vorgänger sich so wenig in seiner Beschreibung ein unwahres Wort erlaubt hat, als ich in der meinigen, so sollte man es kaum für möglich halten, daß hundert Jahre einen fruchtbaren Berg bis zu der Nacktheit abschälen konnten, in der er jetzt den zermalmenden Strahlen der Sonne bloß steht. Hätte mich nicht der eine Halbzirkel durch die Aussicht über das Meer, den Hafen und die Stadt, für die andere Hälfte entschädigt, so würden meine Augen sich sehr übel befunden haben; denn die so genannten Lusthäuser, die sich auf den angränzenden eben so kahlen Anhöhen gedrängt an einander herum ziehen, und in dem stärksten Brennpunkte der Sonne liegen, gehören, nach meinem Gefühle, unter die albernsten Einfälle, die je ausgeführt wurden. Eine so versengte Gegend als diese, die einem Baume so wenig Wurzel zu schlagen, als einem Gräschen zu keimen erlaubt, ist doch wahrlich nicht geschickt, menschlichen Geschöpfen einen Zufluchtsort gegen die Langeweile zu bieten. O daß ich nicht diese artigen Tempelchen und Pavillons in die schattigen Gegenden Deutschlands versetzen, und ihnen nicht jene schmaragdfarbigen Teppiche unterlegen kann, die schon den Strohhütten, die darauf kleben, das fröhlichste, lieblichste Licht mittheilen! Ach es geht der Baukunst, wie allen andern Künsten: sie zeigt selbst in ihren prächtigsten Werken Armuth und Mangel, wenn sie nicht mit der Natur, die sie umgiebt, in Verhältniß stehen, da hingegen diese alles hebt und nichts verunstaltet.

Abgewendet von den prahlenden Darrböden des kaufmännischen Luxus, sehnten sich nun meine Gedanken und Blicke nach den vaterländischen Gefilden; aber desto weniger behagte mir auch ein längerer Spaziergang auf dem brennenden Steinwalle dieser zitternden Landwehre. Ich strengte mich an so gut es gehen wollte; doch eh' ich den Fußsteig wieder fand, der mich herbrachte, traf ich in meiner Runde, ganz unerwartet, auf einen Ruhepunkt, der, wie Du sehen wirst, meiner Erschlaffung herrlich zu Statten kam. Es war Notre Dame de la Garde selbst, die mir ihn anbot. Durch [154] eine offene vergitterte Blendung, die durch die Festungs- und Kirchenmauer zugleich geschlagen und zu einer Halle gewölbt ist, giebt sie sich hier, mit nachgelassener Etiquette, zu allen Stunden der Anbetung preis, ohne daß es nöthig wird, den diensthabenden Mönch aufzusuchen, um die Hauptthüre zu öffnen. Diese Anlage mag zwar wohl wider alle Regeln des Vauban verstoßen; sie gereicht aber zur großen Bequemlichkeit derjenigen Pilger, die mehr noch von dem Aeolus abhangen, als von der Madonna. Da der steinerne Sitz vor der Niche durch den Vorsprung des Dachs in Schatten lag, so benutzte ich die gute Gelegenheit, bei diesem wunderthätigen Bilde Abkühlung zu suchen, und, aus Mangel eines bessern Zeitvertreibs, alle die ihr geweihten Kleinodien zu betrachten, die mein Auge erreichen konnte; gewiß die sonderbarste Sammlung, die weit und breit anzutreffen seyn mag, und die wohl eine genauere Beschreibung verdiente, als ich Dir gebe.


Demüthig blicket hier durch ein verrostet Gitter

Die schmutzigste Kopie der heiligsten der Mütter.

Nur eine schwache Lamp' erhellt

Die Seegefecht' und Ungewitter,

Von denen mancher kühne Ritter

Nach einem Schwung um das Spital der Welt

Ein grasses Nachbild aufgestellt.

Zu freudigern Erinnerungen

Sah ich auch, hinter Glas verwahrt,

Geraubte Kränze mancher Art

In Siegen – eher nicht gelungen,

Als an Mariens Himmelfahrt.

Doch, was am meisten mir Erstaunen abgedrungen,

Hab' ich bis auf die Letzt verspart.

Ein Kinderschwarm von Wachs, der Armuth und der Blöße

Schon früh geweiht, umgab an der Madonna Thron

Noch einen Sterblichen in seiner Jugendgröße,

(Mit Ehrfurcht nenn' ich ihn) den ersten Schmerzenssohn

Der großen Wöchnerin Therese

In gutem hartgebranntem Thon.

Und mit gerührter Brust ließ ich die Worte fallen:

»Hört mich, ihr Mächtigen der weisen Klerisei!

Wenn eure Zungen einst, bei einer Priesterweih,

Am Ende eures Mahls, gelehrte Fragen lallen;

So zieht doch auch mein Quaeritur herbei,

[155]

Warum der Aermsten wohl von den Madonnen allen

Dieß irdene Geschenk von Josephs Konterfei –

Und in den Wiener Kirchenhallen

Den reicheren in köstlichen Metallen

Dieß große Loos geworden sei?

Hat sie allein zu Wien an Gold so viel Gefallen,

Und in der Armuth Sitz wär' es ihr überlei?

Mir g'nügt der laute Ruf: Seit an Theresens Grabe

Die fromme Bettelei um eine milde Gabe

Sich zwar im Staube noch, doch nicht in Goldstaub wälzt,

Der groß gewordne Kaiser habe

Die kleinen wieder eingeschmelzt.«


So wie mich nur meine kühle Stirn und trockene Haut überzeugten, daß Unsere liebe Frau das Wunder, das ich von ihr erwartete, an mir gethan hatte, und ich in dem Gedanken an unsern klugen Kaiser, und in der theologischen Aufgabe, die ich mit mir nahm, genug Unterhaltung auf meinem Rückwege fand, so stieg ich, so geschwind als es anging, den schroffen Felsen hinab, dem belebten Hafen zu, der gerade zu den Füßen der Jungfrau liegt. Indem ich aber, um an den Mittelpunkt zu kommen, der die freieste Aussicht in das offene Meer gewährt, an den Häusern hinschlich, die ihn von der Stadtseite her einschließen, zog auf einmal über einer der Hausthüren eine schwarze Tafel mit goldenen Buchstaben meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich blieb stehen und las:


Zu Ehren unsrer lieben Frau verschenkt

Herr Passerino, der Ex-Voto-Maler,

An jeden Pilger, der, nach ihrem Thron gelenkt,

Ein Dankbild ihr zu weihen denkt,

Das Stück in Oel für einen kleinen Thaler.

Auch findet man bei ihm ein seltnes Sortiment

Der meisten menschlichen Gebrechen

In Wachs – Wer deren sucht, und Künstlern von Talent

Und Billigkeit – den Vorzug gönnt,

Beliebe bei ihm einzusprechen.


Da es mir eigentlich um nichts weiter zu thun war, als die Stunde, die mir bis zum Mittage noch frei blieb, hinzubringen, und, ohne mich geradezu auf ein Faulbette zu strecken, von der [156] Ermüdung meiner Wallfahrt auszuruhn, so gab ich dieser Marktschreierei – und um desto leichter Gehör, je näher sie mitjener in Verbindung stand, von der ich eben herkam. Du willst doch, dachte ich, die Freigebigkeit des Herrn Passerino ein wenig näher untersuchen, trat in das Haus, fragte nach dem Künstler, und kratzte mich gewaltig hinter den Ohren, als man mich vier Treppen hinauf in jene artistische Höhe wies, wohin diese Herren gemeiniglich ihre Werkstätte verlegen, wenige ausgenommen, die, wie Mengs, Dietrich, Grassy und Graff, alle und jede Licht- und Luftstrahlen der Natur überall an der Hand, und nicht nöthig haben, sie erst unter dem Dache zu suchen. Wirst Du. mich aber für klug halten, Eduard, wenn ich Dir sage, daß ich, so müde und matt ich auch war, dennoch dem Ex-Voto-Maler in seinem Neste nachstieg? Entscheide doch ja nichts darüber, bis ich von ihm wieder zurück komme. Denke nur an den Münster-Thurm zu Straßburg. Es sind noch nicht drei Monate, daß ich seine neun und neunzig Stufen wie ein Narr erkletterte, und wie belohnt – wie bereichert an neuen Erfahrungen flog ich an der Hand meines Jerom herunter! Wer weiß was mir mein heutiger Gang einträgt!

Herr Passerino kam mir an der Treppe entgegen – denn mein Keichhusten hatte mich schon von weitem bei ihm gemeldet – und empfing mich mit so herzlicher Theilnahme, als wär' ich eine seiner gebrechlichste Kunden. Ich fand sein Dachstübchen offen zu meinem Empfange – und an ihm, wie ich recht nachsah, eine Figur, wie ich sie, doch nicht ganz so hager, schwarzgelb, schmutzig und pittoresk, erwartet hatte. Seine erste Frage war – und ich nehme sie ihm weiter nicht übel: – ob ich wollte in Wachs poussirt seyn? – Ich schüttelte ärgerlich den Kopf. – »Doch vielleicht ein Theil Ihrer werthen Person?« fuhr er fort. – »Ich bin,« unterbrach ich ihn schnaufend, »von den gesundesten Gliedmaßen – aber Ihre steile Treppe – lieber Mann – die ...« –»Also nur ein Liebhaber der Kunst?« erwiederte er lebhaft, setzte mir einen Stuhl, und überströmte mich nun in einem Französisch, wie man es an Italiänern gewohnt ist, mit einem Schwall von Worten, die ich mir jedoch erst ins Deutsche übersetzen mußte, eh' [157] ich sie zur Noth verstand. Dafür aber hat mir auch nie eine Uebersetzung mehr Freude gemacht; denn sie brachte mir, treuer als keine andere, das längst vergessene Original wieder vor die Ohren. Ich horchte – stutzte – dachte nach und besann mich. – Aber kaum war ich meiner Sache gewiß, so fuhr ich mit einem Schrei auf, der eines seiner hochfliegenden Kunstwörter – ich glaube es war Clair-Obscur – so geschickt im Fluge zerschnitt, daß ich die kleinere Hälfte davon, die mir zufiel, nicht für die größere vertauscht hätte, die ihm blieb. – »Um Gottes willen!« rief ich, »was für ein Wind hat Sie nach Marseille verschlagen, mein lieber Theodor Sperling? und wie kommen Sie zu dem Italiänischen Namen, hinter dem ich Sie in meinem Leben nicht gesucht hätte?« – Jetzt standen wir einige Augenblicke noch stumm und erstaunt einander gegen über. Es war eine Scene zum Malen, und die – sage noch ein Wort, Eduard, wenn Du Herz hast – das schönste Gegenstück zu der auf dem Thurme zu Straßburg giebt. Meine Vertraulichkeit und mein Deutsch überraschten den alten Mann außerordentlich. Er gaffte mir erst mit aufgezerrten Augen in das Gesicht, und da dieses nicht ging – mit der Brille. Alles umsonst! – »Sollte es möglich seyn« – stellte ich mich jetzt um einen Schritt näher vor ihn, warf mich besser in die Brust, rieb mir die Backen, und nahm die schelmische Miene an, die, wie ich glaubte, mir in meiner Jugend so gut stand – »Sollte es möglich seyn, daß mich funfzehn Jahre und ein paar Zahnlücken so unkenntlich gemacht hätten?« – Er starrte mich noch immer stillschweigend an. Es blieb mir nichts übrig, um ihn und mich aus unserer peinlichen Lage zu ziehen, als den blinden vergeßlichen Mann noch weiter zurück – in meine Schulstube zu führen. »Mein alter Freund und Lehrer!« stimmte ich unter einer herzlichen Umarmung an, »erinnern Sie Sich denn gar nicht mehr des jungen Flüchtlings, dem Sie in der Zeichenkunst, in der Perspektiv und der Architektur so mannichfaltigen Unterricht gaben? – gar nicht mehr des Meisterstücks Ihres Pinsels – der wolligen Angola, an der sie – nach drei fleißigen Jahren – doch noch den Schwanz zu malen hatten – als sie starb?« – Dieser Lichtstrahl that Wirkung. Jetzt schlug [158] das gute Geschöpf seine dürren Hände um mich und seine gelben Augen gen Himmel; aber noch mußte er erst der Erinnerung einige bittere Thränen, einige tief geholte Seufzer zollen, eh' er zu sprechen vermochte. – »Ach! mein theuerster Herr und Freund!« stammelte er nun, »seyn Sie tausendmal meinem Herzen willkommen! Was für ein glücklicher Stern hat Sie in meine einsame Wohnung geleitet, in der ich sonst nur arme Schiffbrüchige und andere durch Kalamitäten ausgezeichnete Menschen zu sehen bekomme, und selten einen Mann, der Wärme für die ewige Kunst fühlt? Ich bin schon vierzehn volle Jahre von meinem Vetter in Anspach und aus meinem Vaterlande entfernt, das, nur zu gewiß, stille Verdienste nicht zu schätzen weiß, und führe seitdem hier – aber auch hier, ein kümmerliches Leben. Wie tief habe ich mich herab stimmen müssen, um nur Brod zu haben! – Einiges, mein theuerster Gönner, ist auf meiner Tafel zu lesen – aber wahrlich, das sind noch lange nicht die schlechtesten Arbeiten, die ich ...« »Lassen Sie uns ein andermal darüber sprechen,« unterbrach ich ihn, »und wenn Sie heute mein Gast seyn wollen, lieber Sperling, so ziehen Sie Sich nur geschwind an, und begleiten mich zum Heiligen Geiste – vorausgesetzt, daß ich Sie von nichts besserm abhalte.« – »Ach! wovon wollten Sie?« sagte der gute Alte. – »So einen vergnügten Mittag hätte ich mir heute nicht träumen lassen. – Ich werde den Augenblick wieder bei der Hand seyn.« – Nach einigen Minuten trat er geputzt aus seiner Kammer, und gewiß, ich irre mich nicht, Eduard, in demselben Sonntagskleide, das Dir so gut noch erinnerlich seyn wird als mir, nur daß der jugendliche Troquet eine ernsthaftere Miene angenommen, und sein verschossenes Papageigrün mit einem tüchtigen Kastanienbraun vertauscht hatte.

Ich hätte gewiß keinen Gast auftreiben können, der weniger nach der Mode gekleidet, und mir doch lieber gewesen wäre, als er. Du weißt zwar, wie ich zeichne, und wie es mit meiner Baukunst aussieht; aber daran dachte ich nicht. Es klebte ihm ein Verdienst an, das ihn meinem Herzen auf das rührendste empfahl, und keinen Vorwurf gegen ihn aufkommen ließ – die lebhafte Erinnerung [159] meiner Jugend. – Ja, Freund, ich hätte ihn, wie ein Fürst seinen Hofmeister, belohnen – sein aufgefärbtes Staatskleid mit einem Orden verzieren, und ihm, trotz seines mißlungenen Unterrichts, ein gutes Jahrgeld anweisen mögen, so durchdrungen war ich von jener unbeschreiblich süßen Empfindung. Ist es nicht einerlei, ob uns ein Virtuos oder ein Stümper dieß magische Glas vorhält? Wir sehen in solchen Augenblicken nicht ihn – sondern uns. Ich lebte nicht mehr in Marseille. Mein Geburtsort, mit seinen Salweiden, seinem Vogelherde und seinen Obstgärten, verschlang alles Land und Meer, das mich umgab. – Ich blieb gern mit ihm so lange an der Wirthstafel sitzen, als ihm noch ein Trunk oder ein Bissen schmeckte – ja ich trieb meine Freigebigkeit so weit, daß ich ihm sogar mich selbst auf den ganzen Nachmittag preis gab, und nicht allein seine Geschichte, die mir – immer noch anziehend genug – den gewöhnlichen Streit der Armuth mit der Ungeschicklichkeit darstellte, sondern auch den Ausbruch seines Künstlerstolzes, seines Brodneides, und seine schiefen Urtheile über gleichzeitige Maler, in kindlicher Geduld anhörte. Ich ließ ihm zuletzt noch ein Abendessen auf mein Zimmer bringen, und habe ihn erst, seit der Stunde, die ich Dir vorbehielt, ziemlich spät und mit dem Versprechen entlassen, das er mir abnöthigte, morgen bei ihm unter der Ansicht des Meers zu frühstücken. Das wird auch wohl von den Stärkungen, die mir derarme Narr anbieten kann, die beste seyn. –


Ich habe in der letzten Zeile ein Wort doppelt unterstrichen, damit es Dir ja nicht entgehe. Es ist mir erst so wichtig geworden, nachdem es meiner flüchtigen Feder schon entwischt war. Seit einer Stunde – das siehst Du ihm wohl nicht an – hält es mich in Bewegung, und ich brauche wenigstens noch eine, um Dir den Hergang deutlich zu machen. »Armer Narr?« – warf ich mich fragend in meinen Lehnstuhl – »Was willst du mit diesem Ausdrucke – was enthält er? Offenbar nur einen kleinen Spott über die mäßigen Talente deines alten Lehrers. Während du deiner Stichelei Luft machtest, und ihn mitleidig über die Achseln ansahest, entschuldigtest du dich zugleich heimlich mit seinem schiefen [160] Unterrichte, daß du kein Zeichner, kein Baumeister geworden bist, und das mit Grunde. Hätte der gute Mann es übel nehmen können, wenn du ihn geradezu einen Stümper genannt hättest?« – Daß ich doch so gern mit der Ironie spiele! Ich sollte sie nie von der Kette lassen. Sie ist bei mir nur ein Hund, der seinen Herrn immer zuerst in die Waden beißt, sobald er ihn los läßt. Ich hatte einen meiner Strümpfe schon halb herunter, als das böse Gewissen neben mich trat, mir ihn ohne Umstände wieder herauf zog, und eine Menge verfänglicher Fragen vorlegte. – »Die Hand auf's Herz,« zischelte es mir in das Ohr, »stand denn der arme Narr deiner Erziehung allein vor? Wurden dir nicht auch andere Wissenschaften als die Baukunst von den fähigsten Meistern gelehrt? – und in welcher bist du denn über das Mittelmäßige gestiegen?« – O des unglücklichen Worts, das mich in eine solche Untersuchung verflochten hat! Jetzt reiheten sich alle die gelehrten Männer, die von Langens Coloquien bis zu Lucians Gesprächen – von Epiktets Enchiridion bis zu Mosheims Moral – für die Bildung meines Kopfes und Herzens auf das redlichste gesorgt hatten – an den Angola-Maler an, und eh' ich mir es versah, stand ich in ihrem ernsthaften Zirkel. Jetzt räusperte sich der eine – jetzt der andere. – Jeder schlug sein Compendium auf, und mein Examen rigorosum begann. Von jedem Radio, nach welchem mich meine Angst hindrehte, kam mir eine Frage entgegen, die mich jedesmal in eine neue Verlegenheit setzte. Wenn der eine Docent es aus Ungeduld aufgab, mich länger aus der Diplomatik zu prüfen – versuchte es der andere, mit gleich schlechtem Erfolg, über die Pandekten. Wich ich dort dem Tacitus aus, so fiel ich hier dem Vitriarius in die Hände. – Bald brachte mich ein Problem der Metaphysik aus der Fassung, bald eine Beweisstelle aus dem Sachsen- und Schwabenspiegel und der Aurea bulla. Stumm und gedemüthigt blickte ich vor mir hin, und spielte an meiner weißen Hutfeder. – Endlich faßten die Herren meine sichtbare Beschämung zu Herzen, hoben ihre Sitzung auf, und trösteten mich noch oben darein auf das herablassendste mit der allgemeinen Beichte: Quantum est, quod nescimus! Sobald ich über die Schwelle meiner [161] Schulstube war, schwenkte ich meinen Hut, und hüpfte trällernd davon. – Ach ich hüpfte nicht weit, so befand ich mich wieder auf meiner Spur, und folgte ihr nun so hartnäckig, als ob mich ein böser Geist triebe, über Stock und Stein durch alle die geraden und krummen Gänge des Labyrinths meines verschobenen Lebens, das, wie ich endlich gewahr ward, mit den Leimruthen, den Obstgärten und Salweiden meines Geburtsorts näher in Verbindung stand, als ich heute Morgen mir hätte einkommen lassen.

Eine solche Parforce-Jagd – so kurz vor Schlafengehn – kann ihr Gutes haben – nur für die Diät nicht. – Nichts in der Welt greift so sehr an, als wenn man den Hirsch und den Jäger zugleich spielt. Wie soll Schlaf in meine Augen kommen, da ihnen noch in so hellen Farben alle Mühseligkeiten meines Wildstands – alle die Schlingen, Netze und Hecken vorschweben, wo ein Theil meiner selbst hängen blieb? Wie kann ich Ruhe auf meinem Kopfkissen erwarten, wenn ich an die Meute großer Hunde, die mich mit ihren Zähnen – an die Wespen, die mich mit ihrem Stachel verfolgten, zurück denke, und wie darf ich hoffen, daß mich solche Klagetöne einschläfern werden, als sich jetzt in nächtlicher Stille aus meinem Hüfthorn erheben?


Wohl jedem, den der Hören Schwung

Auf einen Hügel hebt,

Wo kühlende Erinnerung

Der Jugend ihn umschwebt! –

Dem bei des Thales Uebersicht,

Das ihm im Rücken liegt,

Des Alters Krücke schwerer nicht,

Als sein Spazierstock, wiegt!


Wer blickt gern nach dem Irrweg hin,

Auf dem er nur – der Scham

Und Reue, statt dem Hauptgewinn

Des Wettlaufs, näher kam –

Gern nach der Bahn, die sein Gestirn

Im Schöpfungsraum beschrieb,

Indeß sein Herz, wie sein Gehirn,

Gehüllt in Nebel blieb? –


Seit ich den Pädagogen floh,

Als einst sein Marschallsstab

[162]

Der Träumerei des Scipio 1

Den Rang vor meiner gab,

Und ich kraft meines Steckenpferds,

Das keinen Kappzaum litt,

Zum Rektor meines Vogelherds,

Dem großen Uhu, ritt;


Seit mein gelehrter Müßiggang

Drei Lustra weggeräumt,

Gleichgültig, was Homer einst sang

Und Scipio geträumt,

Ich auf dem nächsten Ritterzug

Zu neuem Zeitverlust

Erfuhr, mein Kopf sei schwer genug

Für eine Mädchenbrust;


Und seit der Ehre Sporn mich stach,

Da jener Rausch entwich,

Ich nun das Audienz-Gemach

Als Supplikant durchschlich;

Unwissend, ohne Kraft und Kern,

Bei mäßigem Verstand,

Doch in dem Kreis der Kammerherrn

Mich nicht verloren fand –


Was offenbarte mir die Zeit,

Die diesen Raum durchflog?

Nichts – als daß Lust und Eitelkeit

Mich täglich mehr betrog –

Daß leider! zwischen Mann und Kind

Kein Unterschied besteht,

Als der: Dort kam der Trost geschwind,

Und hier kommt er zu spät.


Den 13ten Januar.


Hätte ich mich nicht bei meinem alten Zeichenmeister auf diesen Morgen versagt, der es gewiß übel aufnehmen würde, wenn ich sein Frühstück an den Nagel hinge, wie vormals seine Lehrstunden, so würde ich mir eins aus Quassia und Rhabarber vorsetzen; denn mir ist gar nicht wohl. Unter den neuen Bekanntschaften, die ich vorgestern an der Tafel des Herrn Frege machte, muß eine gewesen [163] seyn, die einem Deutschen Magen nicht zuschlägt. – Deren trifft man in Frankreich gar viele an. Ich habe vor andern einen Seefisch in Verdacht, dem ich mir viele unnütze Mühe gab Geschmack abzugewinnen. – Bewegung wäre mir wohl am dienlichsten – aber, wenn mich auch Herr Passerino nicht darum brächte, so würde es doch das unfreundliche Wetter thun. Es ist ein Glück, daß der hiesige Winter nur wenige solcher Tage aushängt. Ja wohl! Aber warum muß denn eben einem so armen Schwächling wie mir diese Seltenheit über den Hals kommen? Uebelkeiten und Fieberfrost von innen – ein heulender Wind von außen her – keinen Lumpen von Winterstaat in meinem Vermögen, und nun ein solches Frühstück in der Aussicht! – Wo soll in dieser verzweifelten Lage Erwärmung des Bluts herkommen? von der Wasserseite seines Pinsels oder seines Kaffees? Ich zittere – und, wenn ich es genau untersuche, weniger vor den Wohlthaten, die er mir aufdringen, als vor den Opfern, die er mir abnöthigen wird. Ich sehe mich schon im Geiste gähnend vor seinem Tische sitzen, indem er ein paar Pappendeckel voll seiner elenden Skizzen geschleppt bringt, sie bedächtlich aus einander schlägt, kein Blatt überhüpft, und bei jedem einen Aufruhr meines Erstaunens erwartet; und, wenn nun darüber eine ganze Stunde zerbröckelt ist – wie er mich, unter schlauem Lächeln, beim Aermel faßt – mich der Wand gegenüber in das rechte Licht stellt, und mit Einem Ruck den grünen Vorhang zurück zieht, um mich durch das Wunder seines neuesten Gemäldes zu überraschen – und wie er endlich – um das Maß seiner Sünden voll zu machen – mich bei der Heiligkeit unserer Freundschaft beschwört, ihm offenherzig meine Meinung über die Kleinigkeit zu sagen, die er mir gezeigt hat. Thät' ich ihm sein Recht an – so gnade mir Gott! Und doch ist es eine verwünschte Zumuthung, selbst unter vier Augen, mit Verläugnung alles Menschenverstandes das Machwerk eines solchen Meisters zu loben. In meiner heutigen Stimmung übersteigt das meine Kräfte. – Es wäre Gewaltthätigkeit gegen mich selbst, und ich müßte wahrlich befürchten, mir meine kalten Krämpfe auf die edeln Theile zu jagen. –

[164] Wenn man seinem Brauskopfe nur Zeit vergönnt! Nach einem halbstündigen heftigen Zanke mit ihm, fing er an sich eines bessern zu besinnen, und die Sache mit der größten Billigkeit abzuthun. »Gehen wir ruhiger zu Werke!« sprach ich mir zu. »Worauf kommt es denn an? Auf Worte ohne Sinn und Bedeutung und ein wenig Mimik. – Die, dächte ich, könnte ich doch wohl am Hofe gelernt haben! Warum sollte mir denn das Hauptingredienz unserer Staatsvisiten und Kourtage, die Sucht nach Schmeicheleien und Lob, in der Werkstatt des armen Passerino stärker auf die Nerven fallen als dort? und wie konnte es mir einen Augenblick in den Sinn kommen, diesen liberalen Tauschhandel unserer kultivirten Natur zu stören, auf Gefahr, mir und meinem alten Lehrer das Morgenbrod zu verbittern? Verlust und Gewinn liegt jetzt, auf das genaueste berechnet, vor mir – darnach will ich mich richten. Ich werde seinen herzhaften kräftigen Pinsel – Er wird meinen feinen richtigen Geschmack bis an die Wolken erheben. Ich werde ihn über Rubens – Er wird mich über Lessing und Winkelmann setzen – jedem übrigens ganz unbenommen, den andern in Gedanken so niedrig, sich selbst aber so hoch zu stellen, als es sein Schwindel erlaubt.«

Diese fliegenden Betrachtungen, wie ich mit Vergnügen bemerkte, bildeten sich, während Bastian mir das Haar kräuselte, zu einem förmlichen System. Ich dachte Wunder was ich zur Beförderung menschlicher Zufriedenheit neues erfunden hätte: – als ich mich aber an meinen Schreibetisch setzte, um es noch mehr zu entwickeln, sah ich wohl, daß es das uralte war, dem ich von jeher, unter gewissen Einschränkungen gefolgt bin – das sowohl in dem Tumulte der Gesellschaften, als in einem Zweikampfe, wie mein heutiger ist, unser liebes Ich am sichersten deckt, und für geringe Kosten es äußerst bequem bettet. Unbegreifliche Menschen, die, unter dem Deckmantel der Wahrheit, gegen die Selbstliebe anderer mit Spießen, Schwertern und Lanzen bei dem geringsten Anlasse vorrücken, keinem nach Beifall bettelnden Auge das Almosen ihres Lächelns zuwenden, oder sich überwinden können, einem unbedeutenden Dinge zu huldigen, das sich ihr Mitgesell [165] als einen Vorzug anrechnet! Was erbeuten sie? Für Schmerzen, die sie erregen, Wunden, die sie erhalten; denn in keinem Gefechte sind die Gegenhiebe so gewiß, als in diesem. Setzen wir den Fall, du wärest so verhärtet, um nicht einmal theilnehmend nach meiner Braut zu fragen, so kannst du lange passen, eh' ich deiner allerliebsten Kinder nur mit einer Sylbe erwähne. Hast du keinen Blick für die Strahlen meiner modischen Schnallen, so habe ich gewiß auch keinen für das Pour le merite deines Sterns. Sie können alle in der Gesellschaft den neuen Musenalmanach in der Tasche haben – trotz deiner hervorstechenden Ballade, wird keine Seele thun, als habe sie ihn gelesen, wenn du unbekümmert um die Stelzfüße oder die Quersprünge der andern da stehst, oder gar, als Klopffechter deines geraden Sinnes, mit alten Damen von Runzeln, mit jungen von Tugend sprichst – dich wunderst, daß ich schon Oberster bin – über den witzigen Einfall des einen, über die hohe Frisur des andern die Achseln zuckst, oder sonst durch den Knall deiner Peitsche mein Steckenpferd scheu machst. Und wenn du ein Fürst wärest, man trägt dir den Stoß nach, den du gabst oder zu geben gedachtest, und niemand stellt dir lieber ein Bein, als den du aus dem Sattel gehoben hast. – Und wärest du, wie Achill, in den Styx getaucht, ein Apoll oder Paris wird doch den verletzbaren Fleck an deiner Fußsohle entdecken, geschäh' es auch nicht eher, als wenn du deine Polyxene umarmst.


Weg mit den Rüstungen auf unsern Ritterspielen!

Wir brauchen höchstens ein Visier.

Es ist ja nur Ein Punkt, nach dem wir alle zielen,

Und dieser kleine Punkt – sind Wir!

Den trifft wohl jeder leicht; drum rath' ich allen, ladet,

Wenn euch die Ehrsucht spornt, durch holde Schmeichelei'n

Einander auf den Kampfplatz ein. –

Wie sanft wird euer Streit! – Ihr werdet wie gebadet

In Rosenöl – die Lust wird allgemein,

Der Kranz des Siegenden sogar wird unbeschadet

Dem Lorber des Besiegten seyn.

Die Wahrheit ist mir lieb. Doch räche

Mein Mund sie selbst an einem Thoren nicht,

Der durch Verschonung meiner Schwäche

Mich für die seinige besticht!

[166]

Die Eitelkeit hält warm: wer wollte sie nicht pflegen!

Mich macht kein Bruderkuß verlegen

Der vielen Passagiers, die Brant 2 uns ausgeschifft:

Mein lauter Beifall geht der Schrift,

Die mir der Autor bringt – mein Handwerksgruß dem Segen

Des bettelnden Gezüchts, entgegen,

Das auf dem Pfad des Ruhms mit mir zusammen trifft. –

Sind es nicht Stümper? – Meinetwegen!

Wenn wir mit unserm, Kopf nicht sichrer sind, als Swift, 3

Was wagen wir, mit Recensenten-Schlägen

Den Freipaß in sein Narrenstift

Auf eines andern Stirn zu prägen?

Leiht gern einander euer Ohr.

Beweist nicht gleich mit einem Rechnungszuge,

Wer in dem süßen Wortbetruge

Mehr oder weniger verlor.

Wir streiten nicht – ich und mein Theodor.

Auf falsche Wechsel zieht der Kluge

Schnell eine falsche Quittung vor.


Nach solchen Vorbereitungen konnte der Erfolg nicht anders als erwünscht ausfallen, und wären meine Magenkrämpfe nicht gewesen, ich wollte über nichts klagen. Ich muß meinem freundlichen Wirth nachrühmen – er hatte es weder an Farben, Palleten noch Pinseln, die in der ausgesuchtesten Unordnung da lagen, noch an sonst einem artistischen Blendwerke fehlen lassen, um seinen Gast in die Illusion zu zaubern, daß er in der Werkstatt eines Malers frühstücke. Ich hätte mich ihr auch gern überlassen; doch unter dem Wiederschein der Bilder, die heute zu meiner Verwunderung die vier Wände seines Stübchens verzierten, das mir gestern ohne diese Tapete viel reinlicher vorkam, war es unmöglich. Es war die vollständigste Kopien-Sammlung der Wunderbilder der Madonna. Eine einzige nur, klagte er mir, ginge seinem Sortimente ab, und noch dazu eine aus der hiesigen Gegend, Notre Dame de la Grace zu Cotignac, zum größten Nachtheile seines Handels; denn es würde immer dreimal öfter nach dieser [167] gefragt, als nach sonst einer andern, besonders von Weibern in gewissen Jahren. – »Doch Ihr Leibschneiden, theuerster Gönner,« fuhr er fort, »von welchem ich Sie so gern befreit sähe, soll mir hoffentlich behülflich seyn ...« – »Zu was, lieber Passerino?« fragte ich erstaunt, »zu was?« – »Die Lücke,« fiel er ein, »in meiner Gallerie auszufüllen.« – »Das,« erwiederte ich mit noch größern Augen, »muß ganz sonderbar zusammen hängen, lieber Sperling.« – Hier rückte er mir einen Stuhl, trat vor mich, und: »Ist etwas in der Malerei,« fing er mit abgemessenen Worten sein Räthsel zu lösen an, »das eine feste, geübte Hand, Kenntniß des Clair Obscur und ein verständiges Auge erfordert, so ist es die Kopie eines wunderthätigen Originals, wo oft die Wirkung nur in einer kleinen Nüance liegt. Das weiß ich aus einer langen Praxis. – Aber mein Gott! was hilft es mir! Ich bin, bei allen diesen Voraussetzungen, doch zu alt, um den Weg zu Fuße – und leider zu arm, ihn in einem Wagen zu machen. Wenn Sie nun morgen nach Cotignac fahren, und hätten die Güte, mich mitzunehmen, so ...« – »Aber wer zum Henker,« unterbrach ich sein Gewäsch, »hat denn gesagt, daß ich nach Cotignac fahre? Es ist in diesem Augenblick das erstemal, daß ich das Nest nennen höre.« – »Thut nichts,« antwortete er: »Die hiesigen Aerzte schicken alle ihre Kranken dahin, die an schwerer Verdauung leiden. – Hilft die Marie nicht, so thut es der Weg, der weder zu kurz, noch zu lang, überaus steinig und zum Erbrechen gut ist. Ueberdieß kann ich Ihnen – denn ich kenne das hiesige Wetter – morgen einen heitern sonnigen Tag versprechen; und welches Glück wär' es nicht für mich, während meiner Abzeichnung einen Mann von Ihrem Blicke, feinen Geschmack, und Ihrem – wie soll ich sagen – so zarten Kunstgefühl an meiner Seite zu wissen!« – Hätte der gute Mann fortgefahren, lieber Eduard, wie er anfing, von seiner festen Hand – seiner Kenntniß im Clair-Obscur und seinem verständigen Auge zu schwatzen, so war nichts gewisser, als daß ich seinen tollen Vorschlag abwies; jetzt aber, da er mein Lob, so wenig es in seinem Munde auch Werth hatte, mit dem seinigen verschmelzte, war es mir nicht mehr möglich, Nein zu [168] sagen. Wahrlich kein schlechter Beweis von der Güte und Kraft meines obigen Systems!

Die Reise nach Cotignac ist also auf morgen festgesetzt. Seine Freude darüber war so groß, daß eine glückliche Stunde verging, ehe sein Kopf ruhig genug war, an seine Kunstwerke zu denken. Wie er ihnen aber einmal wieder auf die Spur kam, blieb er auch desto hartnäckiger darauf. Zu jedem Unsinne, den er über Haltung, Wärme, Kolorit und Ausdruck vorbrachte, langte er aus seinem Portefeuille auch einen Beleg. Ich mußte ihn über alle die Stufen begleiten, die er seit funfzehn Jahren bis auf den heutigen Tag in seiner artistischen Laufbahn erstiegen hatte; und so gelangten wir denn auch endlich zu der Schreckensperiode, die ich diesen Morgen vorher sah – zu dem Wunder seines neuesten Gemäldes. Seine Vaterliebe, eh' er es auspackte, glich einem Wirbelwinde, der einem Ungewitter vorhergeht, und war so heftig, daß sie beinahe in Ungerechtigkeit gegen seine ältern Kinder ausartete: denn er erklärte nicht allein die Meisterstücke aus der Zeit seiner Angola für Sudelei, sondern blickte selbst verächtlich auf seine Madonnen – nannte sie Matrosen-Waare, die er nur nebenher, des lieben Brods wegen, auf den Kauf mache, und die er sich schämen würde, unter seinem Namen – außer in der Italiänischen Uebersetzung – auszuhängen. »Wie viele Fächer,« rief er, »hat mein Genius nicht durchlaufen, eh' er sein rechtes getroffen hat! Von der Blumenmalerei, mit der ich meinen Weg antrat, ging ich zu Thierstücken – Porträts – Bataillen und Landschaften über. Ich brachte es zwar in jeder Art zu einer gewissen Fertigkeit; aber in keiner von allen errang ich den Kranz der Vollendung, den mir die Natur an dem Gestade des Meers aufbehielt. – An den Marinen mein Herr, entwickelte sich erst meine ganze Schnellkraft. – Ach wie lange schlummerte sie in träumendem Irrwahn! Anspach war der Ort nicht, um sie zu wecken. – Das Schicksal mußte mich hierher schleudern, daß ich erführe, wer ich sey.« – Mit diesen Worten, die ihm in dem seligsten Enthusiasmus entflossen, trieb er mich von meinem ruhigen Stuhl in die Ecke des Fensters – riß beide Flügel auf, und streckte den Arm so weit vor, als wolle [169] er seinen krummen Zeigefinger in das Meer tunken. – »Hier, mein Herr,« überschrie er einen Windstoß, »sprudelt die heilige Quelle, aus der ich schöpfe. Wer beschreibt die Erschütterung meines Innern, als meine erstaunten Blicke zum erstenmale über sie hinflogen! Das ist, rief ich aus, was dein Geist lange im Dunkeln geahndet – vergebens gesucht hat. In einer Art von Künstlerwuth griff ich nach Farben und Pinsel – überließ mich meiner Begeisterung, und erstaunte selbst über die Keckheit meines ersten Versuchs. Doch bald – trinken Sie aber nur erst Ihren Kaffee – werde ich Ihnen meinen letzteren vorzeichnen – einen Sturm – aber was für einen! Mich überläuft selbst jedesmal ein Schauer, wenn ich ihn ansehe.«– »Mich auch,« unterbrach ich ihn; »aber bei mir kommt er alleweile vom Original. – Erlauben Sie, daß ich die Fenster wieder zumache – die Zugluft und meine Nerven vertragen sich heute nicht.« – »Sehr wohl,« sagte er; »aber, um wieder auf meinen Sturm zu kommen, – denn bei einem solchen Stücke schadet es der Täuschung nicht, wenn die Beschreibung voraus läuft – so werden Sie sehen, daß ich nicht umsonst über den Hafen blicke, und neben dem Stapel wohne. Ich glaube nicht, daß der große Vernet selbst das Tau- und Takelwerk besser versteht als ich, und daß ein Schiff regelmäßiger gebaut werden kann, als die meinigen gemalt sind. – Mit einem Vergrößerungsglase – ich werde gleich die Ehre haben Ihnen das meine zu borgen – können Sie an jedem sogar den Namen und die Jahrzahl lesen. Einer Kleinigkeit muß ich noch gedenken, werthester Herr, – meines Wahrzeichens auf dem Gemälde – einer glücklichen Erfindung, die aber freilich nur auf mich allein paßt. Das Stück kann in der Welt hinkommen wo es will – mein Name wird dadurch allen Nationen verständlich – jede wird ihn in ihrer Sprache zu nennen wissen – denn überall giebt es – Sperlinge.« – »O das ist nur gar zu gewiß,« entwischte mir in der Zerstreuung; aber er überhörte den Sinn. – »Befehlen Sie noch eine Tasse? Nicht? – Nun so will ich das Bild holen,« – fragte und antwortete er zugleich. Ich hätte das Schubfach des Kastens angeben wollen wo es lag; denn seine verstohlenen [170] Blicke, die er ohne Aufhören dahin warf, verriethen mir längst, daß dort sein größtes Kleinod verwahrt seyn müsse, und ich irrte mich nicht. Er zog das Kunstwerk behutsam heraus, rollte es, seitwärts, auseinander, spannte es in einen Blendrahm, und stellte mir es nun in seiner ganzen Majestät, vor. die Augen, und sich in der seinigen darneben.

Ich für meine Person hätte nun wohl die Mordgeschichte, die es von sich strahlt, zur Genüge beäugelt, mit dem Urbild hinter dem Fenster verglichen, und bis zum Mattwerden bewundert. Aber Du, mein armer Freund! Nun Du sollst auch nicht zu kurz kommen. Weder das Ohrensausen, das mir her Mißklang so vieler Kunstwörter zugezogen – noch das Augenweh, das sich hinter dem Vergrößerungsglase erzeugt hat, sollen mich hindern, Dir die Schilderung des schrecklichen Sturms so poetisch wiederzugeben, als ich sie aus dem Munde seines Erfinders erhielt. Wenn er Dir in diesem Wiederscheine nicht das Haar in die Höhe treibt, nicht eben den Schauer erregt, als dem Meister – so weiß ich nur noch Einen Rath, Eduard: das Gemälde steht seit einer Stunde bei mir zum Verkaufe. – Frage nicht erst lange, wie das zugeht – thue ein Gebot darauf, aber bald.


Ermuntre Dich, laß Deiner vollen

Empfindung ihren Lauf.

Dergleichen Stücke rollen

Wir nur dem Kenner auf.


Er nur fühlt es mit trunknen Sinnen,

Wie durch der Farben Licht

Auf einem Stückchen Linnen

Der Geist zum Geiste spricht.


Wohl mir, wenn meines Sturmes Scene

Dir hoch den Busen schwellt,

Und eine Männerthräne

Auf meinen Pinsel fällt!


Siehst Du, wie sich der Tag entfernet

Auf dieser Wasserflur?

Ganz im Geschmack von Vernet,

Und wahr wie die Natur.


[171]

Sieh, wie der Himmel deinen Augen

Entgegen droht. Hier weicht

Der Mond, die Wolken saugen –

Und jeder Stern verbleicht.


Der Horizont, mit Blut umzogen,

Wirft fürchterlich und schwer

Um das Gefecht der Wogen

Den Trauermantel her.


Hoch über das bis auf die Hefen

Empörte Meer umziehn

Nur einzeln weiße Möven

Den schwarzen Baldachin.


Sei ehrlich! Untersuch' und richte,

Ob nicht der Uebergang

Vom Schatten zu dem Lichte

Mir wunderbar gelang.


Ich bin's geständig zwar – mein Vetter

Malt brav – mit Phantasie;

Doch solch ein Donnerwetter

Erregt sein Pinsel nie.


Wer zählt die Schiffe, die verschwanden,

Und die noch Wasser ziehn

Nothschüsse thun, und stranden,

Und in den Orkus fliehn?


Hier kämpft mit seiner eignen Schwere,

Zerrüttet durch die Zeit,

Mein Hauptschiff, Frankreichs Ehre,

Und unterliegt dem Streit.


Ihm, dem Gewaltigen – ihm sinken

Der Thron, das Vorgemach,

Und Millionen Pinken

Und niedre Barken nach.


Dort sinkt eins, das im Untergange

Selbst noch die Segel spannt,

Ein Raubschiff, nur die Schlange

Von Orleans genannt.


Ein andres dort – Drei Sechsen zieren 4

Des Schiffers Namenzug,

[172]

Den sonst eins von den Thieren

Der Offenbarung trug.


Hier wankt, vom Boreas entkleidet,

Beschädigt am Verdeck,

Graf Artois – Ach! er leidet

Nicht an dem ersten Leck! –


Und hier dreht manche leere Tonne

Sich noch im Wirbel – wo

Die löchrige Sorbonne

Aus dem Gesichtskreis floh.


Der Strudel zieht den letzten Splitter

Der Monarchie hinab:

Dort platzt der stolze Ritter,

Hier knickt der Bischofsstab.


Dort irrt der Schatz von Peru ledig

Sankt Petern nach, und hier

Der Löwe von Venedig

Dem trägen Murmelthier.


Sprich! Blieb ich nicht vom fernsten Gipfel

Bis zu dem nächsten Strand

Mir gleich? – bis in den Zipfel

Der bunten Leinewand?


Bis – wo noch Ausdruck und Gedanke

Gleich schön zusammen stimmt –

Bis zu dem Span der Planke,

Auf dem ein Sperling schwimmt?


Des Weisen Herz darf ohne Zittern

Sich jedem Abgrund nahn:

Der Erdball kann zersplittern;

Er findet seinen Span.


So schwamm mein Ich auch im Getöse

Des Meers, auf Blut und Schaum,

Durch einen Sturm – an Größe –

Zwei Ellen und ein Daum.


Der Sprung, den der liebe Mann so unerwartet aus seiner ästhetischen Höhe in Gott weiß welchen Kramladen that, hätte mich beinahe ganz aus meiner herrlichen Fassung gebracht. Ich mußte [173] zu allen Künsten des Mienenspiels meine Zuflucht nehmen, um meinen Spottgeist und mein gutes Herz im Gleichgewichte zu erhalten. Die vorzüglichste Hülfe indeß verdankte ich ihm selbst, indem er alles, was meine Verlegenheit auswarf – wär' es auch der bitterste Hohn gewesen – für den lautersten Beifall aufnahm, und das unverschämteste Lob viel zu natürlich fand, um meine Aufrichtigkeit in Verdacht zu ziehen. Wenn Du ihn nur gesehen hättest, Eduard! Sein seliges Wohlbehagen würde Dich am ersten von der Güte der Falschheit belehrt, und überzeugt haben, daß sie, die eure unhöfliche Moral, viel zu geradezu, für Laster erklärt, sich in der Praxis als das wirksamste Hausmittel der Menschenliebe bewähre. Meine närrischen Schmeicheleien trieben sein Entzücken immer höher, endlich so hoch, daß er, in einer Art von Taumel, sich so freigebig gegen mich erklärte, als gegen das Publikum auf der schwarzen Tafel über seiner Hausthüre, und mir, stelle Dir vor, mit väterlicher Entsagung seinen Liebling zum Geschenk anbot, gegen Erstattung der fünf Louisd'or für die Farben, die er darauf gesetzt habe. – »Wo denken Sie hin?« knallte ich ihn an. »Wie können Sie in der Welt zu etwas kommen, wenn Sie Sich selbst so wenig zu schätzen wissen? Ich gebe Ihnen gern das doppelte von dem, was Sie fordern, und mache noch immer einen sehr guten Handel.« – »So wollen Sie denn meiner uneigennützigen Freundschaft durchaus nichts verdanken?« sagte er rührend, und reichte mir seine dürre hohle Hand hin, in die ich – sehr froh, daß es nur kein Kenner bemerkte – die verschleuderten Goldstücke einzählte.

Indem aber überraschte mich doch bei diesem einfältigen Handel einer von den Herren, die immer geradezu gehen – ein reisender Engländer. Er trat gestiefelt herein, warf ein paar flüchtige Blicke auf die Madonnen, und hatte genug – drehte sich darauf zu uns hin, und, nachdem er mit ernsten Augen bald den Sturm, bald mit spöttischen den Käufer, und mit höchst verächtlichen den Meister, der eben daran war, das Stück zusammen zu rollen, angeblinzt hatte, klopfte er ihn auf die Achsel, und ... »Was Herr?« fuhr er ihn an, »das nennen Sie nach der Natur [174] gemalt? Wollte Gott, es wäre wahr, nur halb wahr! – Ich gäbe gleich aus meinem Beutel tausend Guineen – schon allein für den Untergang Ihres einzigen Hauptschiffs – God damn me! das gäb' ich darum,« – und so ging er steif und pfeifend wieder zur Thür hinaus. – »Das war ein tüchtiges Gebot,« sagte Passerino ganz unerschrocken: »aber warum blieb der Herr Engländer nicht, und machte seine Bestellungen wie er sie nur haben will? Was wollte er mit meinem Hauptschiffe? Das wird wahrlich nicht lange mehr See halten. – Jeder Kenner, dächte ich, müßte ihm seinen nahen Untergang ansehen.« – »Ja wohl,« antwortete ich. »Doch es ist gleich Mittag, Freund, lassen Sie uns gehen.« – Er nahm nun das zweiellige Bündel unter den Arm, und schlich mir mit einer Miene bis in den Miethwagen nach, als ob er seinen letzten Blutsfreund zu Grabe trüge. Unterwegs aber nach dem Gasthofe ermannte er sich wieder, und bekam sogar Herz genug, mir unter den Bart seinen heutigen Gewinn an Geld und Ehre vorzurechnen. – »Wenn ich alleweile,« brach seine geheime Empfindung los, »einen Blick auf mich werfe, so fällt mir der gute Correggio mit seiner berühmten Nacht ein. Sie ist wenigstens um anderthalb Ellen größer und breiter als mein Sturm, und dennoch verkaufte er sie nicht um einen Groschen höher! Aber, was erst Entsetzen erregt – mußte er sie nicht, wir ein gemeiner Bote, einige Meilen weit in das Kloster tragen, für das sie bestellt war – ohne daß die dummen Mönche ihm für seinen sauern Gang, wie die Historie sagt, nur so viel als eine Mahlzeit beträgt, darüber bezahlt hätten? Als er den Abend in seine Werkstatt zurück kam, und sie ihres schönsten Schmuckes beraubt sah, weinte er bittere Thränen über eine Armuth, die ihn genöthigt hatte, sein unsterbliches Werk, um nicht selbst Hungers zu sterben, solchen Barbaren zu verhandeln. Ich hingegen, großer Gott!« fuhr er fort, »fühle zwar auch die Trennung von dem letztgebornen Sohn meines Geistes; aber durch wie viele tröstliche Umstände wird sie mir nicht erleichtert! Ich gebe ihn ja in die Hände eines braven, verständigen Freundes, der mich noch dafür ehrt und belohnt, der mich heute bei dem Heiligen Geist zu Gaste, und ach! morgen zu der [175] einzigen Marie führt, die mir abgeht, und die Gebenedeiteste ist unter den hiesigen Weibern!« Während er in der einen Ecke des Wagens diese Parallele zog, die ihm der Himmel vergebe, saß ich mäuschenstill in der andern, und, indem ich wechselsweise bald seinem theuern Sturm einen Schub mit den Füßen gab – bald meine Freigebigkeit, mein Magenfieber und meine morgende Kur zum Henker wünschte, fühlte ich es in allen Gliedern, was es auf sich hat, Protektor der schönen Kunst zu heißen.

So endigte sich mein pittoreskes Frühstück. Ich habe Dir es auf das genaueste beschrieben – das wirst Du nicht anders sagen können. Dafür muß ich aber, vielleicht zum erstenmale in meinem Tagebuche, drei volle Stunden überhüpfen, so wichtig sie auch indeß allen andern Erdenbewohnern seyn mögen; Stunden, die in Marseille so hoch gefeiert werden als zu Berlin, und die – daß ich Dir ihren ganzen Werth fühlbar mache – jene kostbaren Minuten enthalten, die selbst unserm großen Könige die sichtbarste Belohnung für sein mühvolles Leben darbieten – mit Einem Worte: die glücklichen Stunden des Mittags. Ich kann Dir sogar von der Eßlust meines Gastfreundes keine Rechenschaft geben: denn, während er an der Wirthstafel aller seiner Sorgen vergißt, halte ich mich mit den meinigen von vorgestern her in meinem Nebenkabinette verschlossen, suche zu verdauen und schreibe. O des häßlichen Fisches! Wer nicht Seehunde und Meerwölfe zu Gästen hat, sollte so ein Gericht nicht auf seinen Tisch bringen. Wie viel habe ich ihm nicht schon bittere Pulver und Stinkkugeln nachgeschickt! Aber sie prallen ab, wie Schrotkörner von einer Mauer. Nichts sprengt – nichts durchbohrt ihn. Jetzt hat sogar mein Wirth aus menschenfreundlicher Theilnahme die verborgensten Schleusen seines Kellers gezogen, und mir eben Weine aus dreier Herren Ländern herauf gebracht, um ihn wegzuschwemmen. Wenn auch dieses Holländische Mittel nichts hilft – nun so mag meinethalben der holprige Mönchsweg morgen die Masse zerreiben, die mich drückt, und der Ekel, den ich bei meiner neuen Bekanntschaft voraussehe, den heben, den mir meine vorgestrige zuzog, da es für einen protestantischen Magen schwerlich ein kräftigeres Emetik giebt, als so [176] ein Madonnengesicht. Sollte aber die Ziehung der Schleusen den Feind aus dem Lande treiben – desto besser! Ich habe eben eine geöffnet, und fühle ihre Wirkung schon bis in den Fingerspitzen. Wie viel läßt sich da nicht Gutes erwarten, ehe alle drei geleert sind! –


Für einen Menschen, der früh einen Seesturm erlebte, unter Magendrücken sich eines vergangenen guten Mittags erinnert, und den gegenwärtigen ungenossen verschrieben hat, befinde ich mich noch leidlich genug – danke Gott für meinen weich gepolsterten Sorgestuhl – für den geistreichen Wein, der schon mein ganzes Vertrauen gewonnen hat – für den Trost meiner Feder, und für die gute Laune, mit der ich der Ernsthaftigkeit freundlich die Hand biete. Ob es mir einmal nicht schlimmer zu Muthe seyn wird, wenn ich mich in meine philosophische Klause zu Berlin hinsetzen, und nach Beendigung meiner Reise die Summen, um die mich meine Freigebigkeit, meine Kaufsucht und meine physischen und moralischen Thorheiten gebracht haben, aus meinen täglichen Ausgaben heben, und unter der ihnen gebührenden Rubrik zusammen rechnen werde, ist freilich eher zu wünschen, als zu hoffen. Denn, laß mich auch – um ernstlich zu sprechen – meine Erfahrung seit dem ersten November, wo ich Berlin verließ, bis heute, den dreizehnten Januar, wo ich mich mit einem Meergräuel herumbalge, noch so hoch in Einnahme bringen, so wollte ich doch wohl die funfzig prahlenden Hefte meines Tagebuchs gegen meinen Schreibkalender setzen, daß der Gewinn den Verlust nicht aufwiegt. Ich weiß zwar meine Rechnung recht gut in Ordnung zu halten; nur schlage ich sie nicht gern nach. Doch da ich heute weit weniger um die Zeit selbst, als um ihre Anwendung zwischen zwei Armen eines Lehnstuhls, verlegen bin, so will ich doch den Gedanken, der anklopft, herein nöthigen, will zum Spaß die Rotte meiner unnützen Ausgaben der letzten acht oder zehn Tage zusammen stellen, und meinen jüngsten Thorheiten die Ehre der Sitzung an meinem Revisions-Tische vergönnen.


[177] In vollwichtigen Dukaten nach dem Kours zu 12 Livres gerechnet.


d. 4. Jan. – dem Wächter der Laura zum zweiten Geschenk

2


it. für das Strumpfband der Maria, das ich Tags darauf gegen ein anderes vertauschte, das ungleich weniger werth war

41


d. 5. – Siehe Insgemein.

d. 6. u. 7. für Beköstigung der Wache, während meiner Gefangenschaft, inclus. des Weins, den sie auf meine und des Papsts Gesundheit getrunken, und eod. des letzten Dukatens an den getauften Juden für sein Gutachten in meiner Proceßsache

23


Summa in Dukaten 66 Stück oder 792 Livres.


Ferner in Louisd'or zu 24 Livres.


d. 8. Verlust an dem, der alten Bertilia auf einen Monat vorausbezahlten und im Stich gelassenen Miethzins auf drei Wochen deux Louis par semaine

6


it. für den Abschiedsschmaus, den ich Herrn Ducliquet und Konsorten gab, l. Rechnung des Speisewirths und Weinhändlers

71/2


it. zurückbezahlter Vorschuß an den Hauptmann der Päpstlichen Garde, für die Rekruten, die er der Armenkasse abgekauft und mir überlassen hat

9


it. eben demselben für die Ausfertigung ihres Abschieds

2


it. für die Liverei der beiden Puppenspieler, l. Quittung des Trödlers

91/2


it. zu Bezahlung ihrer Schulden

21/2


d. 9. – für unverdiente Ehre an überflüssigen Schüsseln und Wachslichtern d. 8. Abends in Joseph dem Zweiten zu Lambesc

2


it. für Erfrischungen und Chokolade, Champagner und Punsch, womit ich den Visitator und seine Nichten bewirthete, incl. der Orangen von Malta, die ich bis zu Morgens-Anbruch verbraucht

21/2


it. für Rückfahrt von der Tartane von St. Domingo aus Ufer

1/2


d. 10. Siehe Insgemein.

d. 11. 12. 13. den Herrn Passerino drei Tage an der Wirthstafel Mittags und Abends frei gehalten, incl. des Weins

2


it. für einen Seesturm von seiner Hand, zwei Ellen und einen Daum groß

10


Insgemein für unnöthigen Aufwand an Federn, Tinte, Papier, besonders den 5. und 10. huj

1


Summa 541/2 Louisd.


Zusammentrag.


Unnützer Aufwand vom 4. bis 7. an 66 Dukaten – macht

792 Livr.


desgl. vom 8. bis 13. an 541/2 Louisd'or

1308 Livr.


Sonach in zehn Tagen: 2100 Livr.


[178] Ei, ei! lieber Eduard, da habe ich mir einen schönen Spaß ausgedacht! Gott bewahre mich, daß ich ihn fortsetze! Nicht ein Blatt mehr von meinem verrätherischen Schreibkalender möchte ich umschlagen – ich würde fürchten vor Schwindel unter den Tisch zu fallen. Was ist mit so einer Rechnung anzufangen? Ich kann sie drehen und wenden wie ich will, so wirft sie doch nichts aus, was ich als Gewinn in Einnahme bringen könnte: denn, was hätte mir wohl meine zehntägige Verschwendung eingetragen, außer allenfalls den Fund einer verlornen Schreibtafel – ein paar Puppenspieler, und zwei Ellen gemalte Packleinwand? Das sind herrliche Zugänge der Wirtschaft! Noch dazu darf ich die erste und beste Nummer nicht einmal rechnen; denn sie fällt übermorgen an ihren kranken Eigenthümer zu Montpellier zurück. – Die zweite? beschwert mir den Wagen, lebt auf meine Kosten in den Tag hinein, und schickt sich in der Welt Gottes zu nichts, als zu Harlekinaden. Und die dritte endlich? wenn ich die vollends in Anschlag bringen will, so giebt mir das gutes Spiel. – Sie faßt meine jüngste Thorheit in sich, die gewöhnlich immer die ärgerlichste ist, und zugleich ein Inventariumsstück, wie ich Gott Lob noch keins besitze, das so alt bei mir werden kann als es will, weder gute noch böse Gedanken und nichts erregt, als Gähnen. Es sind – mit Einem Worte – und bleiben unverantwortliche Ausgaben. Sie würden es für einen Prinzen seyn, der auf Kosten seiner Landstände reiset, geschweige für mich! Womit soll ich den thörichten Geldverpraß – nur dieser letzten zehn Tage – geschweige aller der Wochen, decken, die noch unberechnet dahinter liegen? Wie soll ich meiner zerrütteten Privatkasse aufhelfen, und der Entkräftung beikommen, die sie gemeinschaftlich mit meinem moralischen Vermögen erlitten hat? Bei Gott, ich weiß es nicht! – – Doch halt! da kommt mir eben ein Einfall. Wie wäre es, Eduard, wenn ich, in Ermangelung landschaftlicher Beihülfe, einen andern Nothreif ergriff, der, eben so gut als jener, schon manchen leck gewordenen Reisenden in seinen Fugen gehalten, und vor gänzlichem Zerfallen geschützt hat, und, da ich kein Steuer-Aerar in meine Thorheiten verflechten kann, das eben so geduldige, lesende und neugierige [179] Publikum zur Mitleidenschaft zöge? – Und warum – laß uns ein wenig darüber nachdenken – warum sollte ich nicht? Der Einfall ist gar nicht so übel. Zeigen sich in der Verfolgung desselben nicht noch unversehene Schwierigkeiten, die mir ihn verkümmern, so werde ich am Ende wohl gar noch demSturme, der mir ihn zuführte, eine Ehrenerklärung thun müssen.

Aber, schon kommt mir ein Umstand in die Quere, den ich vor allen Dingen beseitigen muß, eh' ich mein Strandrecht benutzen kann. Es ist vorerst auszumachen, wem die Entscheidung über diese Blätter eigentlich zustehe – Dir – oder mir? Gehört das Votiv-Gemälde dem Gichtbrüchigen, der es aufstellte, oder dem Götzen, dem es geweiht wurde? und wirst Du – wenn Letzteres gelten soll – mir erlauben, das meinige aus Deiner heiligen Halle zurück zu nehmen, um es der öffentlichen Beschauung preis zu geben? Wie mag ich nur fragen? als ob Du wohl je noch den Gang einer Sache gestört hättest, die mehr Gutes erwarten läßt als Böses. – Und daß der Druck mein Tagebuch in diesen voraus bedungenen Fall setzet, soll Dir gewiß am Ende so stark in die Augen leuchten, daß Du mir schwerlich Dein – Imprimatur – versagen wirst.

Den möglichen Ersatz meines verschleuderten Kapitals habe ich, einige Zeilen höher, schon dargethan, und da der Vortheil für mich dabei nicht zu bezweifeln ist, so giebt es wohl nirgends einen so beschränkten Pfuscher von Finanzminister, der nicht hierin seine eigenen Grundsätze erkennen, und meiner Spekulation das Siegel aufdrücken sollte. Ob aber in solcher der Patriot – für den Nachtheil, den ich durch meinen Müßiggang dem Staate – der Philosoph – für die Beeinträchtigung, die ich der Moral zugefügt habe – eine eben so auslangende Entschädigung erwarten dürfe, hätte ich Dir noch zu erweisen; und es ist ein wahres Glück, daß, trotz aller Dünste, die mir zu Kopf steigen, ich Federkraft genug habe, so verwickelte Fragen aus einander zu wirren. Patrioten und Philosophen – ich weiß es – sind krittliche Geschöpfe, und es ist eine wahre Wohlthat von Gott, daß ein unbefangener Autor deren nur wenig antrifft – aber, ich dächte doch – auch sie müßten [180] einsehen, daß mit meiner Sache wenig oder nichts anzufangen sei, wenn ich sie liegen lasse, wie sie alleweile liegt: denn gesetzt, meine Herren, ich ließe die Stunden meines Müßiggangs, mit ihrem ganzen häßlichen Gefolge, als Schatten eines vergeudeten Lebens, tagtäglich an meinem Lehnstuhle oder Rechnungstische vorbei ziehen, so kann ihre traurige Procession doch höchstens nur eine Staubwolke – den vergeblichen Wunsch nämlich bei mir erregen, daß sie noch zu meiner Zeit gehören möchten! Ihr widriger Anblick kann mich allenfalls in meinem Vornehmen befestigen, die folgenden, die mir etwa noch werden, mit guten, nützlichen, wohlthätigen Werken zu schmücken, damit nie eine mehr bei mir vorüberschlüpfe, die mir nicht freundlich und friedlich in die Augen spiele, und noch im Verschwinden einen Kuß zurückwerfe. Das ist nun zwar etwas, aber nicht viel. Wollte ich aus schamhafter Empfindlichkeit vollends gar ihrem Andenken entsagen, und thun, als ob sie nie zu meinem Leben gehört hätten, so wäre das noch weniger. Entschließe ich mich aber nur, ihre Luftgestalten in einen Spiegel zu fassen, und gewönne ich nur so viel damit, daß ich ihn dem Selbstgefühl anderer leichtsinniger Gesellen, die bei mir vorüber ihren Leidenschaften nachlaufen, vorhalten, und bewerkstelligen kann, daß sie einen Augenblick stille stehen, und bei Betrachtung meiner Bilder zu Athem kommen, so giebt mir dieses schon einen ganz andern – beinahe theologischen Antrieb, mit einem Buchhändler zu sprechen, und legt dem ersten Bewegungsgrunde, der nur auf meinen Nutzen berechnet war, einen ungleich wichtigern bei, und der viel empfehlendes selbst für den Philosophen hat. – Immer aber ist weder der eine noch der andere auslangend genug, daß ich mich so geschwind über die Schamröthe wegsetzen möchte, die gewiß jeden ehrbaren Mann anfliegt, wenn er, wie ein Savoyard mit seiner Zauberlaterne, durch die Straßen laufen, und seine Grotesken ausrufen soll. Nein, meine hochverehrten Herren! Die wahre Triebfeder, die mich zu einem Schritte bewegen kann, der eigentlich meinem Gefühle widersteht, liegt in meiner Denkungsart über einen Grundsatz, den ich mir zwar bloß aus der Erfahrung gebildet habe, der aber, nach meiner Einsicht, wohl verdiente, in [181] der praktischen Weltweisheit einen systematischen Anstrich zu erhalten: daß man nämlich die äußere Mechanik zu Hülfe rufe, wo es mit unsrer innern Einrichtung stockt. Dieser dunkle Satz wird erst ganz klar durch die Anwendung. Ich müßte ein Buch schreiben, wenn ich alle die Fälle aufzählen wollte, die seine Brauchbarkeit an den Tag legen. Um dießmal nur von der Unterstützung zu reden, die er mir leistet, so eröffnet er mir ganz allein, mit der Hoffnung, den beleidigten Genius der Moral zu besänftigen, die schöne Aussicht, jenen – nun einmal verlornen und verschrienen Zeitraum meines Lebens hinterher noch einigermaßen zu veredeln, die Anforderung des Staats an mich auf dem Wege der Gegenrechnung auszugleichen, und endlich mich selbst der gerechten Bestrafung zu überliefern, die, da sie nur Richtern zukommt, die weniger wider das Sittengesetz verstoßen haben als ich, äußerst gelind ausfallen wird. Und dieses ...

Doch erst muß ich den Sturmmaler, der eben glänzend und munter von seinem Mittagsmahl herein tritt, aus der Stille meines Schreibtisches entfernen, und ihm etwas zu thun geben, damit er mich in der Ausführung meines Beweises ungestört lasse. – »Können Sie noch wohl Ihre Muttersprache schreiben, lieber Sperling?« –»Das will ich hoffen,« antwortete er mir, nahm eine von meinen Federn, und bewies es mir auf der Stelle durch seinen alten Denkspruch, den er mir auf ein Schnittchen Papier schrieb, wie ehemals in mein Stammbuch:


Wenn, lieber Künstler, dir zum Lohne

Kein Zepter ward und keine Krone,

So tröste dich dein Ruhm! Talente, Geist, Geschmack,

Veredeln selbst den Bettelsack.


»Schön!« rief ich aus. »Ihr Denkspruch beruhigt mich ganz über die Zumuthung, die ich im Begriffe bin Ihnen zu thun. Es betrifft die Abschrift eines Briefs, die ich zwar angefangen, aber nicht geendigt habe; denn er ist so lang wie eine Abhandlung. Die Arbeit ist dringend: denn übermorgen muß ich das Original in Montpellier seinem Eigenthümer zustellen; nun ist aber der heutige Abend meinem Reisejournal, der morgende Tag unserer bewußten Wallfahrt bestimmt – was ist da zu thun? Ich würde sie höchst [182] ungern aufgeben; und doch sehe ich kein ander Mittel – Sie müßten denn die Stunden, die ich dadurch zu kurz komme, übernehmen.« – »Herzlich gern,« fiel mir Freund Passerino ein. – »Getrauen Sie Sich mit der Abschrift heute noch fertig zu werden, gut: so können Sie die Postpferde nach Cotignac so früh bestellen als Sie wollen. Der Inhalt der Handschrift wird Ihnen übrigens die Mühe des Abschreibens gar sehr versüßen; denn es sind Rhapsodien über Talent und Geschmack.« – »O geben Sie her,« unter brach er mich hastig: »über so einem Thema könnte ich ganze Nächte aufsitzen.« – »Eine Bedingung jedoch,« fuhr ich fort, »müssen wir noch festsetzen, daß keiner nämlich den andern störe. Ich brüte hier über einer häklichen Sache, die keine Zerstreuung zuläßt; und doch ahndet mir, daß Ihnen beim Abschreiben nichts schwerer fallen wird, als das Maul zu halten. Es ist natürlich: einem Kopfe, wie der Ihrige, müssen bei so einer Materie Zweifel die Menge aufstoßen. Ich gebe sie Ihnen alle in voraus zu, nur anhören mag ich sie nicht; und müssen sie Ihnen ja über die Leber, so setzen Sie sie neben Ihre Abschrift als Randglossen – das soll Ihnen erlaubt seyn.« – Unter diesen Maßregeln, die ich zu meiner Sicherheit für nothwendig hielt, stellte ich ihm einen Tisch, dem meinigen gegenüber, in das Fenster, legte ihm den Brief des Landjunkers vor – wies ihm die Zeile, bei der ich stehen geblieben, und habe mir durch diesen Ausweg zwei große Beschwerlichkeiten mit einem Mal vom Halse geschafft – die Mühe des Abschreibens und seine Unterhaltung.

Und dieses – fahre ich nun ruhiger in meinem angefangenen Beweise fort – kann wohl auf keine patriotischere Weise geschehen, als daß ich den ganzen Unrath meiner verschwendeten Zeit, wie er sich während der Reise in meinem Tagebuche anhäufte, zusammen kehre, und die körperliche Schwere, die darin liegt, an jenes bekannte Triebwerk hänge, das eine Menge verdienter Staatsbürger sammt Weib und Kindern ernährt – eine Menge nach Fleiß und Arbeit ringender Hände in Bewegung setzt – von dem Lumpensammler an bis zu dem Recensenten – von dem Setzer bis zum Verleger – vom Kupferstecher bis zum Buchbinder. Welcher Kreislauf von Thätigkeit, Mühe und Erwerb, ehe der Nebel meiner [183] verflossenen Stunden in die Höhe steigt, und nun in sanften Thantropfen auf die Blumenkelche, oder – wie es trifft – auf die Krautköpfe meiner Leser herunter fällt! Wie gut, daß nichts auf unserm Erdball verloren geht, selbst das nicht, was wir verthun! – Alles kann nützlich werden, und wird es. Versäumen wir es aufzuheben, so thut es die Natur von selbst; denn sie hat unzählige, Mittel der Anwendung in ihren immer schaffenden Händen. Lange trugen die emsigen Ansiedler von Holland die todt gebrannte Asche ihres Torfs, wie ich die Belege meines Tagebuchs, einzeln aus ihren Kaminen auf einen Haufen zusammen, der endlich zu einer fürchterlichen Größe anwuchs. Was soll, fragten sie sich ängstlich unter einander, in die Länge aus dieser unnützen Staubmasse werden, die, hätten wir sie in unsere Kanäle getragen, sie längst so gewiß würde verstopft haben, als sie jetzt unsere Dörfer und Städte verdämmt? Zeit und Nachdenken haben es sie gelehrt. Jetzt befrachten sie ganze Flotten mit diesem, ihnen ehemals so ärgerlichen Material, und schicken es ihren Nachbarn in Brabant zu, die jährlich darauf harren, um ihre an Erstickung allzu großer Fettigkeit leidenden Felder damit zu lüften, um sie zu bessern Ernten geschickt zu machen. Dieser Tauschhandel ist fortdauernd im Gange, und ist Staatsbedürfniß geworden. Das eine Land bezahlt von dem Ueberflusse seines Korns den überflüssigen Staub des andern, und beide Länder befinden sich wohl dabei. Wie wunderbar, meine Herren, hängt doch auf unserer Kugel – Alles und Nichts – und wie wunderbar, wirst Du sagen, hängt doch Geschwätz und Philosophie, und oft ein schwerer Beweis mit einem Glase so süßen Weines zusammen, als ich eben, wie Du vermuthlich von weitem ahndest, auf aller Patrioten Wohlseyn ausleere!


Abends neun Uhr.


Wie ich glaube – denn gewiß weiß ich es doch nicht – bin ich auf der vorigen Seite mit den Patrioten, den Philosophen und Dir völlig zu Rande gekommen – habe von euch allen die Erlaubniß ausgewirkt, mein Tagebuch drucken zu lassen, und meine Aktien sind nun im Steigen. Doch fürchte nicht, Eduard, daß [184] mich diese abgeschüttelten Sorgen verleiten werden, meinen alten Haushalt so fortzusetzen, als meine niedergeschriebenen Hefte besagen. Gott bewahre! Ich wünsche Gegentheils, – und ich kann wohl sagen, mit aufrichtigem Herzen – daß von nun an nur die reinsten Tugendbilder aus meinem Leben zurück strahlen und meine Feder beschäftigen mögen. Nur muthe mir niemand zu, ihr eine schöne Lüge unterzulegen, in dem Falle, daß ich Dir eine häßliche Wahrheit zu gestehen hätte. Daraus wird nichts. Wer Guckkasten von so erbaulicher Zusammensetzung verlangt, lasse mein Tagebuch ungelesen, und suche sich einen unter den zweien – dreien – aus, die er selbst in der kleinsten Stadt findet. Ich hörte eben einen über die Straße orgeln. – Er stand zu sehr in Verbindung mit meinen Gedanken, um ihn ruhig vorbei gehen zu lassen. Der Epilogus mußte ihm nachspringen. Es trat ein stattlicher Junge herein, der seine Sachen ganz gut machte. Passerino fand seine bunten Bilder recht artig; sein Leierstückchen war es gewiß nicht weniger, und lautet in unserer Deutschen Uebersetzung also:


Schaut auf! Hier wird zur Abenbfeier

Die große Harmonie der Welt,

Dem armen Mann für einen Dreier,

Weit männlicher nach meiner Leier,

Als durch Kastraten vorgestellt!


Dieß ärmlichste von allen Spielen

Entwickelt mehr, als es verheißt:

Den Kleinen – die nach Hoheit schielen,

Den Hohen – die vom Gipfel fielen,

Rührt es das Herz und hebt den Geist.


Hier siehst du – Karl, den Kaiser, speisen

Und König Salomonis Thron,

Und möchtest dich vor Neid zerreißen,

Und wünschest, auch ein Herr zu heißen,

Wie Kaiser Karl und Salomon.


Doch bald nachher erfolgen Possen,

Wie sie von Zeit zu Zeit geschehn.

Den Pharao sammt seinen Rossen

Wirst du, elendiglich erschossen,

Im rothen Meere schwimmen sehn!


[185]

Jetzt schleudert er in Todesschmerzen

Mit Fluchen Kron' und Zepter hin;

Nun rufst du mit bekehrtem Herzen:

Mit Gottes Macht ist nicht zu scherzen;

Wohl mir daß ich kein König bin!


Um Mitternacht.


Ich muß doch meine Feder noch einmal ansetzen, die, wie meine müde getriebenen Gedanken, länger als zwei Stunden geruht hat, um Dir die Lage zu schildern, in der ich mich schaukele; denn sie ist gar zu schnakisch. – Entschuldige nur meine großen Buchstaben. Wenn ich sie hinsetze, kommen sie mir winzig klein vor; aber sie wachsen, wie sie mir entschlüpft sind, hüpfen mir über die Zeilen, wie die Lämmer, und vermehren sich auch, glaube ich; denn mitunter sehe ich sie doppelt. – Der Wein des Wirths ist so wohlschmeckend, als er stark ist. Wenn der nicht gegen den Seekobold Recht behält, so thut es keiner. Ich trinke ein Glas um's andere mit neuem stillen Vergnügen. Mein Lehnstuhl umarmt mich mit einer Herzlichkeit, daß ich nicht daran denken mag ihn zu verlassen, und Passerino macht mir unendlichen Spaß, ohne daß er es selbst weiß. Ich sitze ihm im Rücken und höre ihn abschreiben. Im ganzen Ernste, Eduard, ich höre ihn; denn er murmelt zu jeder Zeile seine Randglosse – stritte gern dem armen Landjunker jedes Wort ab, und geberdet sich – nein der Teufel könnte es nicht ärger, wenn er ein Evangelium abschreiben müßte –


Der Mensch kann ...


Mein ehrwürdiger Freund und Gönner haben mir – dem Maler Sperling – gütigst übertragen, die Zeile, die unter Ihren Händen verunglückte, vollends auszubilden. – Der Mensch, gedachten Sie zu sagen, kann alles was er will. In Beziehung auf die drei Bouteillen mag es auch seine Richtigkeit haben; denn Sie haben solche ausgeleert, wie es Ihr Wille war. Nachher aber reichte die Sentenz nicht weiter – denn Sie wollten fortschreiben, aber [186] Sie konnten nicht. Der Wein scheint eine andere Richtung genommen zu haben, als der liebe Herr erwartete; denn anstatt den Magen auszuspülen, ist er ihm zu Kopfe gestiegen, und hat außerdem nichts gewirkt, als ein starkes Zittern an Händen und Füßen und ein wenig Schwindel. Da sich alles das hinter meinem Rücken gemacht hat, so erschreckte mich eine so unerwartete Erscheinung nicht wenig, als ich mit der Abschrift fertig war, und mich herum drehte, um sie ihrem Herrn zu überliefern. Ich habe sie, wie auch das Original, einstweilen dem Herrn Kammerdiener zugestellt, mit dessen Beihülfe ich eben den Kranken zu Bette gebracht habe. Ew. – ich lasse alle Titulatur weg, da ich nicht weiß, an wen ich die Ehre habe zu schreiben – dürfen also unsers gemeinschaftlichen Freundes halber ganz außer Sorge seyn. Der nächtliche Schlaf wird den Unfug wohl heben, den der Wein aus dreier Herrn Länder angerichtet hat; und da wir morgen mit dem frühesten – auf sehr holperigem Wege – über Land fahren, so ist kein Zweifel, daß diese starke Bewegung dem hartnäckigen Streit mit dem Seefische – der leider noch immer besteht – einen glücklichen Ausgang verschaffen werde. – Wie die Zeit vergeht! Schon zwei Stunden über Mitternacht! Der Herr schlafen – aber etwas unruhig. Mein Licht ist abgebrannt – ich darf nicht länger hier säumen, wenn es mir bis an die Hausthüre noch vorleuchten soll.


Den 12ten Februar.


Ich komme heute weder von der Maria zu Cotignac, wie Du nach der letzten Zeile glauben mußtest, die ich schrieb, noch von sonst einem andern christlichen oder heidnischen Götzenbilde, sondern viel weiter her, und zu Dir zurück, mein unschätzbarer Freund. Ein neues reines Blatt liegt vor mir, mit dem ich heute ein frisches Tagebuch anfange. – Fortsetzen kann ich das ältere nicht, denn es ist auf meiner beschwerlichen Reise verräumt worden. Seit wir uns kennen, mein Eduard, sind die letztvergangenen vier Wochen die ersten, in denen ich keine Stunde an Dich gedacht habe. Dafür bist Du mir aber auch jetzt lieber als jemals. – Ich komme aus [187] den dunkelhellen Gefilden zurück, die an die Finsternisse des Todes gränzen, hörte schon in der Nähe den Strom rauschen, der alle Geschlechter der Erde fortschwemmt, und sah die Dämme von Schlamm weit unter mir, die wir in der Selbstgenügsamkeit unseres Stolzes gegen den Zufluß reiner Quellen um unsre Froschgräben ziehen, und die uns jede Aussicht in das Freie versperren. Die Zeit schien schrecklich vor mir vorüber zu fliegen. Jede laufende Minute hing ihr ein Sterbeglöckchen mehr an. Von unzählig eilenden Pulsschlägen erschüttert, tönten sie in ein fürchterliches Geläute zusammen, gegen welches das Geklimper auf unsern Kirchhöfen Harmonie ist. Ich floh dem Tode mit heißer Begierde entgegen, um aus diesem Gesause der einstürzenden Welt und aus ihrem Staube zu kommen; und doch trieb mich der Schauer der Ewigkeit immer wieder aus seinen ausgestreckten Armen zurück. So flatterte mein Geist in jener unbekannten Wildniß, die an den Zaun unsres Lebens anstößt, ungewiß umher, ohne daß ihm ein Mondschimmer vorleuchtete, oder ein freundlicher Stern begegnete. So hob sich meine Seele, leicht wie ein Dunst, aus ihrem zerbrochenen Gefässe. – Hinüber – hinüber war der einzige seufzende Laut, den ihr die Angst der Verzweiflung abdrang Sie hatte nur noch einen Schwung zu thun, um da zu seyn, wo sie hinstrebte, als eine unsichtbare Gewalt sie aufhielt, und eine freundschaftliche Stimme ihr zurief: »Kehre um, meine Schwester! Es giebt viel schönere Eingänge in dieses Thal – kehre in das Leben zurück, um sie zu suchen.« Und was fand sie, als sie, aus ihrer Höhe herab gewirbelt, wieder auf den Standpunkt kam, von welchem sie aufstieg – als statt der Phantome, die sie umgaukelten, sie wieder Menschengestalten erblickte, und fragen konnte: »Wo ist die schwesterliche Seele, die mich in das Leben zurück zog?« Ach! sie fragte umsonst; aber sie fand ein Herz, das in der Hitze eines schrecklichen Fiebers, unter Prasseln, Toben und Angst zergangen, gleich einem edeln Erz von seinen Schlacken gereinigt, nun abgekühlt auf den Boden gesunken, wie ein funkelndes Goldkörnchen da lag. Die rauhe Schaale, die es sonst umgab, ist verschwunden; was es aber an unnützem Gewichte verlor, hat es an Werth gewonnen [188] – denn die Mühe der Bearbeitung, die Schmelzkosten sind überwunden, und sein wahrer Gehalt ist durch das Feuer bestätigt.

O könnte ich diesen Goldtropfen so glänzend zu Dir hinrollen, als er jetzt aus der Glühpfanne des Herzens geflossen ist, damit Du Dich in seiner Oberfläche spiegeln könntest, ehe er in dem Umlauf unter den Menschen sich wieder verdunkelt und anläuft! Möchte er immer nur von den Blicken derer bestrahlt werden, die ihn zu schätzen verstehn! Möge ein gutes Schicksal ewig alle schmutzige Hände von ihm abhalten, und ihn bewahren, damit er nicht in dem Tumulte der Welt in eine Ecke geworfen oder in Koth getreten werde! Fliegen ihm ja Sonnenstäubchen an – wie bald bläst diese ein freundschaftlicher Hauch hinweg!

Ich habe meine Uhr, die mir die Fehltritte meines Lebens zu bezeichnen aufhörte, als mein überirdischer Traum anhob, und die während meines Kampfs mit der Ewigkeit stillschweigend über meinem Kopfkissen hing – heute zum erstenmal wieder in Gang gesetzt, und – Gott, mit welcher Empfindung! Jede Sekunde, die den Zeiger jetzt weiter rückt, jeder Laut, den sie an die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anschlägt, jede halbe Note auf der Tonleiter der Zeit, und jeder Schwung derselben, der den Todtentanz unserer Stunden entwickelt – durchzittert die feinsten Fasern meines Herzens, und verstärkt den Nachhall meines bittern Bewußtseyns. Doch ich höre meinen Arzt, der unter mir wohnt, die Treppe herauf steigen. – Sein sterblicher Name ist Sabathier. – Er fließe nie als mit dankbarer Ehrfurcht über meine Lippen! –


Eben ist der menschenfreundliche Mann von mir gegangen. – Aber, welch ein schweres Verbot ließ er mir nicht zurück! – »Was schreiben Sie?« – fragte er, nahm mir das Blatt unter den Händen weg und las. Es ist das erstemal, daß ein strenges Auge in mein Tagebuch blickt. – »Nein,« rief er, »in diesem Tone dürfen Sie nicht fortfahren. Sie müssen Sich durchaus des Gebrauchs Ihrer Feder noch einige Tage enthalten. Wenn es mir auch nicht Ihr Puls verriethe, diese Zeilen würden es thun, daß Sie noch krank sind. Im ganzen Ernste, lieber Freund, muß ich [189] Ihnen unter der gewissen Bedrohung einer noch längern Einkerkerung auflegen, Ihren überspannten Vorstellungen, Ihren kostbaren Ausdrücken im Reden und Schreiben nach Möglichkeit entgegen zu arbeiten.« – »Und durch was, lieber Doktor?« fragte ich. – »Durch ein Loth Fieberrinde, ehe Sie Ihren Spargel essen,« antwortete er mir, »und durch ein Glas Limonade nach Tische.« – Und so ging er. – Was will der Mann mit diesem Recepte? Ich dächte, ich hätte nie hellere Vorstellungen gehabt, und sie, seitdem ich schreiben kann, nie so deutlich und natürlich entwickelt, als diesen Morgen. Doch, ich will nicht mit ihm streiten. Meine erste Tugend soll seyn, wie bei einem Kinde – Gehorsam – der pünktlichste Gehorsam. Denn ehe ich den Blick ins Freie und den Balsam der Luft noch länger entbehren möchte, wollte ich lieber durch einen Eid ewig auf meine Feder Verzicht thun.


Den 15ten Februar.


Zwei Tage und eilf Stunden bin ich armer Entkräfteter mehr unter fremder als eigener Sorge für die Erhaltung meines schwankenden Daseyns nun weiter gerückt, und ein stärkender Schlaf der vergangenen Nacht hat mir viel Gutes gethan. Er hat meinen Kopf so befestigt, daß ich ihn nicht mehr zu stützen brauche, und hat mir, Gott sei Dank, die Erlaubniß meines Arztes verschafft, Dir wieder schreiben zu dürfen. Aber sieh nur, wie genau er es mit mir nimmt. Hat er mich nicht, wie einen Anfänger, in die Gränzen einer einzigen Blattseite eingezäunt, die ich, bei Verlust meiner Freilassung, nicht überschreiten darf? Dafür ist er aber auch so gütig gewesen, den Raum der Zeit, den er mir zu diesem süßen Geschäfte frei läßt, desto weiter auszudehnen, und mir den ganzen vorliegenden langen Tag dazu auszusetzen. Sollte man aus dieser Einrichtung nicht schließen, der gute Mann habe es nur darauf angelegt, Dir zu etwas recht scharf gedachtem und geistreichem zu verhelfen? Nichts weniger! Gerade dagegen hat er die ernstlichsten Vorstellungen gemacht. Er will durchaus, daß ich mein Papier mehr mit Worten als mit Gedanken füllen, und wenn [190] wider Verhoffen mir etwas in die Quere käme, das diesen Namen verdiente, ich geschwind aufspringen und einen Kamm durch mein Haar ziehen möchte. – Hast Du je gehört, Eduard, daß man bei uns so eine Diät vorschreibt, oder haben unsere Aerzte bei ihren Patienten von dieser Seite nichts zu besorgen? Zu einem Zwischenzeitvertreib hat der Doktor Bastianen aufgegeben, mich mit meiner Krankengeschichte zu unterhalten. Da sich meine Erinnerungskraft ganz verkrochen hat, so ist es mir in der That lieb, von einem so nahen Zuschauer den Gang eines Dramas zu erfahren, in welchem ich die erste Rolle spielte, ohne es selbst zu wissen. Er hätte, sagt er, gleich beim ersten Aufzuge sich nichts kluges von derselben versprochen; denn er habe, als er in meine Kammer getreten sei, um mich zu meiner malerischen Reise zu wecken, mich im Hemde an dem offenen Fenster gefunden – »Ich verbarg mein Erstaunen,« fuhr Bastian fort, »und fragte, ob Sie Sich nicht ankleiden wollten?« – In der heftigsten Bewegung antworteten Sie: »Geh! kaufe mir einen Rock von Schnee gewebt und eine Mütze von Eis!« – Es war die erste unpassende Rede, die ich noch von Ihnen gehört hatte – denken Sie, wie sie mich erschreckte! – Herr Passerino, fing ich mit zitternder Stimme an, wartet schon seit einer Stunde in dem Vorsaal, und die Postpferde ... »Was?« fielen Sie mir in das Wort, und Ihre Augen flammten, »der Kerl ist aus Spandau entsprungen? Leg ihm gleich die Fesseln an und übergieb ihn der Wache.« – Jetzt säumte ich nicht länger. – Ich rief nach Hülfe durch das ganze Haus, stellte den Maler an die Treppe, um allen Lärm abzuhalten, schickte den Hausknecht nach dem ersten Arzte, den er auftreiben könnte, ließ Ihren Reisewagen abspannen, und lauerte endlich in der größten Angst an der Hausthüre auf die Ankunft des Marktschreiers – Dieß ist kein Schimpfwort – es war sein eigentlicher Charakter, wie es sich erst auswies, als es beinahe zu spät war. Er bezeigte eine herzliche Freude Sie wieder zu sehen. – »Den Herrn,« sagte er mir gleich bei seinem Eintritte, »habe ich schon vor einigen Monaten zu Bruchsal in der Kur gehabt. – Mit seiner jetzigen Krankheit hoffe ich eben so bald fertig zu werden als damals.« – Wie froh war ich über den[191] glücklichen Zufall, der diesen Mann hierher brachte! Auch Sie schienen Sich seiner zu erinnern, und ich mußte glauben, daß er in keinem geringen Ansehn bei Ihnen stände; denn Sie folgten ihm auf den Wink. – Er befahl Ihnen, das Fenster zuzumachen und Sich zu Bette zu legen. Sie gehorchten ohne Widerrede. – Jetzt flog er zur Thür hinaus um selbst die Arznei zu holen, brachte sie, gab mir eine gedruckte Anweisung zu ihrem Gebrauche, und flog wieder davon. Er entschuldigte seine Eil mit öffentlichen Geschäften, die ihm oblägen, rieb sich die Stirn, sprach von Aufopferung und Versäumniß, und als ich darauf erwiederte, daß er sicher auf ein schönes Gratial rechnen könnte – »Ach, ich weiß es, ich weiß es,« antwortete er, ließ sich aber dennoch vor Abends nicht wieder sehen. Auf diese Art setzte er seine Kur in Gang, und brachte Sie, trotz seiner seltenen Besuche, mit jeder Stunde einen Schritt näher zum Grabe. Ich fürchtete Alles, und doch beruhigte mich sein Geschwätz, und das Glück, auf das er sich immer bezog, Sie schon einmal vom Tode gerettet zu haben. Es ist alles in seiner Ordnung, antwortete er auf meine bedenklichsten Mienen. – Er war über nichts verlegen, hatte zu jedem neuen Symptom auch schon ein Fläschchen in der Tasche, und so schien es am siebenten Morgen ganz auch in seiner Ordnung zu seyn, daß er den Kopf schüttelte, die Achseln zuckte, und zu stottern anfing, wenn ich ihn fragte. Jetzt erwachte mein Mißtrauen in seiner ganzen Größe, und eben wollte ich in der Verzweiflung meines Herzens den elenden Kerl zur Thüre hinaus stoßen, als sie sich öffnete, und ein Mann von dem edelsten Ansehn herein – vor Schrecken aber wieder zurück trat, sobald er Ihrer ansichtig ward. Zugleich faßte er auch den Arzt in das Auge, und trat auf ihn zu. – »Ist das nicht,« fragte er, »der Schreier von dem Pferdemarkte? – Freund, wie kommt Er hierher?« – »Man hat mich rufen lassen,« antwortete der Unverschämte, »aber zu spät. Ich bin übrigens ein guter Bekannter von diesem Herrn – habe ihm schon in Deutschland von einer schweren Krankheit geholfen – leider sind aber dießmal seine Umstände zu gefährlich und ganz hoffnungslos, das muß ich sagen.« – »Das soll ein Arzt beurtheilen, der es versteht,« [192] versetzte der Fremde, »und im äußersten Falle auch die Polizei. – Dem Kranken keine Arzneien weiter bis ich zurück komme,« wendete er sich gegen mich und eilte davon. – »O, meine Mittel,« setzte nun der trotzige Kerl seine Rechtfertigung gegen mich fort, »werden jetzt weder schaden noch helfen. – Den Wundermann möchte ich sehen, der Seinen Herrn zu retten vermöchte. Die Krankheit selbst hätte eigentlich nichts zu bedeuten. Ich habe den Prinzen von Rohan von einer dergleichen befreit, die noch heftiger war: aber bei einem Protestanten ist ihr nicht beizukommen: denn sein hitziges Fieber ist nur die Folge seines bösen Gewissens. Wäre Sein Herr von unserer Religion, so hätte dieser Umstand gerade am wenigsten zu sagen. Der erste beste Mönch würde die Sache in einer Viertelstunde geschlichtet haben; aber eine Seele mit Verbrechen beladen, auf die kein Weihwasser, keine Monstranz, keine Madonna wirkt, entschlüpft oft dem geschicktesten Arzte unter den Händen, und fährt zum Teufel, wenn auch der Körper längst wieder in Ordnung gebracht ist – und das ist hier der Fall.« – »Unmöglich,« antwortete ich: »Thorheiten kann der arme Herr begangen haben, das will ich zugeben; aber Verbrechen gewiß nicht. Ich bin seit dem Neujahrstage in seinen Diensten und tagtäglich um ihn, und weiß doch auch, was Sünden sind; aber ich müßte es lügen, wenn ich ihm die geringste nachsagen wollte.« – »Mir darf Sein Herr so etwas nicht weiß machen,« versetzte der Zahnarzt; »ein hitziges Fieber ist gar ein plauderhaftes Ding, und zum Glücke verstehe ich die beiden Sprachen, in denen Sein Herr wechselsweise irre redet. Ach, ich könnte Ihm das Verständniß wohl öffnen, lieber Mann; aber was geht es mich an? Ich bin heilfroh, daß ich hier aus dem Spiel komme. – Die Polizei? das ist zum Lachen! Habe ich mich denn aufgedrungen? Hat mich denn mein alter Freund nicht rufen lassen? Ohnehin breche ich morgen mein Theater ab, und ziehe weiter. – Sorge er ja auch bei Zeiten für Sich, Herr Kammerdiener, und leb' Er wohl! – Meine Rechnung will ich jetzt gleich mit dem Wirthe abmachen.« – Für die sollte der Esel von Hausknecht haften, der Ihn geholt hat! rief ich ihm nach, und schlug die Thüre hinter ihm zu.

[193] Nicht lange nachher führte der Fremde den Arzt herein, der Sie mit Gottes Hülfe bis hierher gebracht hat. Er fing seine Kur freilich auch damit an, womit der erste die seinige endigte – mit Kopfschütteln; aber es dauerte nicht lange, so setzte er Ihren ganzen Haushalt in Bewegung, und schickte zu gleicher Zeit in vier, Apotheken, damit kein Rettungsmittel über die Zubereitung des andern zu spät käme. Ich mußte einen Chinatrank, der Prologus Spanische Fliegen, der Epilogus ein Klystier, und Herr Passerino Blutigel holen. Unterdessen schrieb der Fremde ... »Aber wer ist denn der Mann,« unterbrach ich hier meinem Bastian, »der sich meiner so freundschaftlich annahm?« –»Das,« antwortete er, »habe ich nicht herausbringen können, weder von ihm selbst noch von dem Herrn Sabathier.« – »Er schrieb also,« fuhr der Erzähler fort, »ein Briefchen an den Kommendanten, das er durch den Wirth selbst abschickte, und welches die gute Folge hatte, daß die Gasse mit Sand bestreut, für die Wagen gesperrt, und der erschütternde Lärm von außen gedämpft wurde. Nun setzte er sich mit trauriger Miene an Ihr Bette, und befahl, die Ermüdetsten von uns sollten sich schlafen legen, damit wir Tag und Nacht im Dienste abwechseln könnten.« –

Weißt Du wohl, Eduard, wen sich meine Einbildungskraft bis hierher unter diesem für mich so besorgten Manne vorstellte? Dich, Theuerster, oder meinen Jerom. Konnte mir der Teufel, dachte ich, einen so abscheulichen Bekannten als den Zahnbrecher nachschicken, um mich in die Hölle zu treiben – warum sollte es nicht meinem guten Genius eben so möglich gewesen seyn, mir einen Freund zu meiner Rettung herbei zu führen? Freilich wär' er beinahe zu spät gekommen; aber reist das Verderben nicht immer geschwinder als die Hülfe? Die Folge der Erzählung meines Bastian benahm mir diese schöne Hoffnung auf einmal; denn, wie er mir sagte, that der Fremde Fragen an ihn, die allein schon zeigen, wie unbekannt ich ihm seyn müsse. Ich fuhr, zum Beispiel, bald nach seiner Erscheinung mit der Hand nach der Stirne, vermuthlich weil die Blasenpflaster zu ziehen anfingen, und rief ängstlich dabei: »O Margot, meine liebe Margot, binde mir geschwind [194] dein warmes Halstuch um« – und da glaubte der gute Mann, ich wäre verheirathet, und fragte, ob meine Frau in der Nähe sei? – »Ach nein,« antwortete Bastian weinend, »es ist meine Schwester, die ihm im Sinne liegt; wollte doch Gott, sie wäre hier!« – Eine Weile nachher schrie ich: »Heilige Klara von Falkenstein!« – »Ich höre,« sagte darauf der Unbekannte, »daß der Kranke unsers Glaubens ist. – Wie kommt es, daß ihm noch kein Mönch das Viatikum anbeut?« – Ich rief heftig dazwischen, als ob ich ihm das Gegentheil beweisen wollte: – »Weg – weg von mir, abscheuliches Geschöpf mit deinen höllischen Geistern und deinen Kreuzen!« – Hier sah sich der Herr noch einmal nach uns um, sagte Bastian. – Ich traute mir nicht zu antworten, aber der Epilogus nahm das Wort. »Ach Gott,« sagte dieser, »das ist eine gar lange Geschichte. – Die Klara, von der unser Kranker spricht, ist ein wunderschönes Mädchen zu Avignon. – Kennen Sie etwa den Herrn Dücliquet?« – »Ich habe nicht die Ehre,« antwortete der Fremde. – »Nun so wird es schwer werden,« fuhr der Epilogus fort, »Ihnen die Sache verständlich zu machen. So viel kann ich Ihnen sagen, daß dieses Mädchen die Steine der heiligen Dreifaltigkeit in sich tragen soll, die der katholischen Kirche seit langer Zeit abhanden gekommen sind. – Ob sie mein Herr bei ihr gesucht hat, weiß ich nicht gewiß, aber ich glaube ...« – »Wie lange,« unterbrach ihn der Unbekannte, »ist er bei dem Herrn in Diensten?« – »Seit dem achten vorigen Monats,« antwortete der unleidliche Schwätzer. »Vorher war ich ein Puppenspieler, nachher Grenadier unter der Päpstlichen Garde, werde aber jetzt im Hause der Epilogus genannt, und der Prologus ist mein Bruder.« – »Ich dächte, mein Freund,« versetzte der Fremde ernsthaft, »er ginge schlafen. Er scheint es mir, nöthiger zu haben als ein anderer.« Der Kerl ließ es sich nicht zweimal sagen, und ich, Eduard, bin recht froh, daß er fort ist. Um Gottes willen, was muß sich mein unbekannter Wohlthäter für einen Begriff von meiner Wirtschaft gemacht haben! Es ist ihm wahrlich nicht zu verdenken, daß er sich jetzt nicht weiter um mich bekümmert. – Aber mein Blatt ist leider zu Ende. Pünktlicher [195] kann man wohl seinem Arzte nicht gehorchen; denn, wenn Du Dir nicht selbst Gedanken bei meiner Geschichte machst, von mir liegen gewiß keine darin.


Den 16ten Februar.


»Da haben Sie Recht!« lächelte mich der herzensgute Sabathier diesen Morgen an, nachdem er mein gestriges Blatt bis auf die letzte Zeile durchgelesen hatte, »das hat Ihnen den Kopf schwerlich angegriffen. Wenn Sie mir versprechen so fortzufahren, und daran Spaß finden, so erlaube ich Ihnen heute ohne Bedenken einige Seiten mehr.« –

So will ich mich denn an meinen eigenen Anekdoten auch recht satt schreiben. Wenn diese nicht ächt ausfielen, so müßte keinen in der Welt mehr zu trauen seyn, da hier die gewiß seltenen Umstände zusammen treffen, daß der Held der Geschichte sie aus dem Munde eines Augenzeugen nachschreibt. – »Der Prologus,« nahm Bastian den Faden seines gestrigen Berichts auf, »trat jetzt an die Stelle seines zu Bette geschickten Bruders, und der fremde Herr hielt seine erste Nachtwache an dem Ihrigen – ganz besonders glücklich für Sie: denn gegen drei Uhr stiegen Ihre Phantasien, die ohnehin räthselhaft genug waren, so hoch, daß Sie aus Ihrem Französischen Jargon in den Deutschen fielen, den, außer Ihrem vornehmen Wächter, niemand von uns verstand. Wie hätten wir mit Ihrer Ungeduld zurecht kommen wollen? So forderten Sie einmal etwas mit der ängstlichsten Heftigkeit. Während wir nun aus gleichem Mißverständnisse, ich nach Limonade und der Prologus nach dem Fliegenwedel lief, hatte Ihnen der Fremde schon gebracht, was Sie verlangten.« – »Und was war es denn, Bastian?« fragte ich. – »Also erinnern Sie Sich wohl gar nicht einmal, was Sie zerrissen haben?« – »Ich weiß kein Wort davon.« – »Nun so will ich nur wünschen, daß es Sie hinterher nicht noch gereue. Es waren die vielen Hefte, die Sie gewöhnlich alle Abende um einen oder zwei Bogen verstärkten, und die auf Ihrem Schreibetische noch aufgehäuft beisammen lagen.« – »Mein Tagebuch, Bastian? das hätte ich zerrissen?« – »Ja [196] wohl, mein lieber Herr, in tausend kleine Stückchen. Die Arbeit schien Ihnen eine rechte Freude zu machen. Der Fremde mußte Ihnen einen Heft nach dem andern zureichen. Sonderbar war es, daß Sie die Anzahl davon auf das genaueste im Kopfe hatten, ungeachtet seiner großen Schwäche. Sie forderten den ersten, den zweiten, und so fort, und wurden nicht eher ganz ruhig, bis auch der letzte vernichtet war, das Arabische Manuscript ausgenommen, das Herr Passerino nebst seiner Abschrift bei mir niedergelegt hat.« Ich saß mittlerweile ganz still neben der Nachtlampe, und dachte wehmüthig den vielen schönen Stunden nach, die ich Sie an diesen unglücklichen Papieren mit einem Ernst hatte verschreiben sehen, als wenn Sie für die Ewigkeit schrieben. Sie aber wendeten Sich, wie die Sache geschehen war, mit dem heitersten Gesichte und in Französischer Sprache zu dem Fremden: »Jetzt, Herr Prokurator, thun Sie mir den Gefallen, und befreien mich von diesem Plunder. – Tragen Sie ihn dort ins Kamin – der Prologus soll ihn anstecken.« Als die Flamme aufloderte und die dunkle Stube bis an die Decke erleuchtete, riefen Sie ein Bravo über das andere, und: »Sehen Sie nicht, Herr Prokurator,« sagten Sie halb leise zu dem Herrn, »wie lustig die heiligen Engel den brennenden Scheiterhaufen umflattern?« – Wohl gut, daß der Quacksalber der Exekution Ihres Tagebuchs nicht mit beiwohnte: er hätte sicher Ihr strenges Urtheil für eine Selbsthülfe Ihres bösen Gewissens erklärt. Für eine wohlthätige Krise hielten wir es indeß alle; denn Sie fielen gleich darauf, zum erstenmale seit acht Tagen, in Schlaf, und athmeten so frei, als ob Ihnen eine drückende Last von dem Herzen genommen sei. Auch ich begab mich nun zur Ruhe – Passerino löste mich ab. – Als aber der Tag anbrach, kam ich so neu gestärkt wieder auf meinen Posten, daß der fremde Herr kein Bedenken fand, mir seinen Stuhl an Ihrem Bette einzuräumen, und sich auf einige Stunden zu entfernen. Sie schliefen noch eine gute Weile ununterbrochen fort. Aber ach! wie rührten Sie mich durch Ihre freundlichen Phantasien, als Sie aufwachten! Sie hielten mich für meine Schwester. »Meine gute Margot,« wendeten Sie Sich in sanfter abgebrochener Stimme nach mir, [197] »wie freut mich dein lieber Besuch! O wie übel ist es mir die vielen Jahre her ergangen, seit ich von deinem Bette weg bin! – Lebt denn mein treuer Johann noch? – Nun das höre ich gern. Wie viel habt ihr Kinder? – Deine Mädchen sind wohl sehr schön? Nimm sie um Gottes Willen vor den Domherren, vor den Pröpsten und vor den – Mönchen in Acht – das – bitte ich dich. – Laß sie weder schreiben lernen, noch lesen; denn sonst stänkern sie in allen Legenden. Sprich nie mit ihnen von Tugend, damit sie gar nicht erfahren, daß es Laster giebt; sondern erziehe sie häuslich, reinlich, fröhlich und ganz so wie du warest, als ich dir deinen Strohhut aufsetzte. – Das versprich mir. Was aus deinem Bruder geworden ist, mag Gott wissen. Hieß er nicht Bastian? Ich höre und sehe nichts von ihm. Er hat mir etwas mitgenommen, das mir sehr werth war – dein liebes Gesichtchen. – Gott verzeihe es ihm! – Aber was ist dir denn begegnet, Margot? warum weinst du? Hier, nimm mein Schnupftuch – trockne deine Thränen damit ab. Ich habe es nicht nöthig, denn in meine brennenden Augen ist seit Jahr und Tag keine gekommen.« – – Zu meinem Glücke verfielen Sie hier in Ihren vorigen Schlummer, und ich bekam Zeit mich zu erholen; denn jedes Wort Ihres Selbstgesprächs zerriß mir das Herz. – Ob wohl meine gute Schwester es empfunden haben mag, wie gegenwärtig sie Ihnen war? Das möchte ich wissen. Nun verging wieder eine volle Stunde, ehe Sie aufwachten, und es war eben Zeit, daß Sie einnehmen sollten. Ich reichte Ihnen die Tasse. Sie sahen mich bedächtig an. – »Ach, bist du es, Bastian?« sagten Sie endlich. »Gut! Ziehe geschwind deine Livree an; ich muß dich nach Hofe schicken. Du weißt doch, wo die Frau Oberhofmeisterin wohnt? Mache ihr meine Empfehlung, und sage ihr in meinem Namen – doch ließ' ich um Verschwiegenheit bitten – daß ihre so wohl erzogene, schöne, junge Prinzessin ...« Aber auf einmal sprachen Sie wieder Deutsch, und Ihr Auftrag ging für mich verloren. – »Das thut mir leid, Bastian. Verstandest du denn gar nichts davon?« – »Nichts als zwei Worte, die Sie einigemal wiederholten: Kabinet und Kapelle.« Mehr brauchte ich nicht zu wissen, [198] um auch dieser Phantasie meines kranken Gehirns auf die Spur zu kommen. Es war der Dunst einer Anekdote, der mir aus der Asche meines verbrannten Tagebuchs zu Kopfe stieg. Ich hatte sie Dir, kurz vor meiner Flucht aus Avignon, in einem nicht minder fieberhaften Zustande einem pensionirten Kammerherrn nacherzählt. Sie ist drollig genug, und kann uns einst zu Berlin eine müßige Abendstunde vertreiben helfen. Um mich darauf zu bringen, darfst Du nur eines gewissen rothen Thurms und einer kleinen Prinzessin erwähnen, die Jettchen hieß. – »Doch erzähle Er nur weiter, Herr Kammerdiener. Was ging denn sonst noch mit mir vor?« – »Etwas sehr Erwünschtes!« Die letzten Tropfen mußten mit Mohnsaft versetzt seyn, denn Sie schliefen unter dem Reden ein und in Einem fort bis den Abend. Herr Sabathier besuchte Sie inzwischen dreimal, ohne daß Sie ihn hörten; aber Ihr Puls und Ihr hochrothes Gesicht wollten ihm keinmal gefallen. – »Es ist noch nicht der Schlaf, den ich wünsche,« sagte er zu mir im Weggehen, »und ich fürchte sehr für den neunten Tag.« – Ach er hatte nur zu wahr gesprochen; denn mit dem Eintritte desselben ward Ihr Zustand immer furchtbarer, bis zum zwölften. Ihr unbekannter Wohlthäter verließ Sie so wenig als Herr Passerino diese Zeit über einen Augenblick, und hatte sich ein Feldbette neben dem Ihrigen aufschlagen lassen. Sie fielen aus einer Phantasie in die andere. Wenn Sie sprachen, war Ihre Stimme laut, feierlich und erhaben. Ihre Reden an Gott, an die Natur, und an Sich selbst hätten verdient aufgeschrieben zu werden, und kein Regent würde die Strafpredigten, die Sie als Hofkaplan an einen der Deutschen Fürsten zu richten schienen, ohne Erschütterung angehört haben. – Dieß waren – nicht Bemerkungen von mir, wie Sie wohl denken können, sondern die Urtheile Ihres Arztes und des fremden Herrn, die sich oft beide über die hohen Wahrheiten wunderten, die in Ihren Schwärmereien lagen. Sobald Sie Sich aber zu den armen Mönchen und in unsere Kirchen verirrten, da ward einem nicht wohl zu Muthe in Ihrer Nähe. Ich habe oft Gott gebeten, Ihnen, die Schmähungen nicht zuzurechnen, die Sie in der Heftigkeit Ihres Wahnsinns gegen unsere geheiligte Religion [199] ausstießen. – Einmal schrien Sie: »O des gottlosen Papsts! seine glühenden Schlüssel leuchten mir vor auf dem Wege zur Hölle.« – Dann und wann hatten Sie es mit den Buhlerinnen zu thun. Dann hielten Sie gemeiniglich die Hände vor das Gesicht, schluchzten und schlugen sich vor die Stirn. Sie erschreckten uns oft außerordentlich, besonders einmal den armen Passerino, der sich einfallen ließ, Ihre feurigen Augen zu kopiren – zu seinen Studien, wie er sagte. Sie fuhren ihm so geschwind nach der Gurgel, daß er kaum Zeit hatte, sich zu retten. – »Elendes Schlachtvieh!« riefen Sie mit durchdringender Stimme, »bücke dich nieder, damit ich dich an dem Altare Neptuns erwürge. Stümper aller Stümper, wie konntest du die Größe der Natur so verkleinern? – Das tobende Meer liegt vor deinen Augen, und du malst einen Sumpf. Dein Mond ist ein Irrwisch, und dein Aether grobfädig und verschossen, wie dein Staatsrock. Gedenkst du mich auch, wie unsre arme Angola, in dem Gestanke deiner Farben zu ersticken? Du willst mich malen? Du?« – »Ach, der arme Herr!« seufzte Passerino, »welcher bejammernswürdige Zustand! Das war unstreitig der stärkste Paroxismus seiner ganzen Krankheit. Am besten, ich schleiche mich weg, damit er meiner nicht gewahr wird. Lassen Sie mir es sagen, wenn er wieder bei Verstande ist.« – Er ging und kam auch wirklich nicht eher wieder. – Ein andermal ... Doch wie mag ich mich dabei aufhalten? Sie waren ja nicht bei Sich. – Ist das nicht mit Einem Worte alles gesagt? – »Nein, nein, Bastian, damit kommst du nicht los. Was meintest du?« – »Ein andermal also bekamen Sie einen heftigen Anfall über eine Kleinigkeit, die wir vergessen hatten bei Seite zu schaffen – über die Klingel neben Ihrem Bette. – ›Gott Lob,‹ sagten Sie, ›daß ich die Quaste habe! Jetzt will ich schellen, daß man es in Domingo hören soll.‹ – Der Wirth kam gelaufen und machte Vorstellungen dagegen. Es blieb uns nichts übrig, um Ihnen den Einfall aus dem Kopfe zu bringen, als daß ich außen am Bette in die Höhe stieg und die Schnur vom Drathzuge abschnitt. So phantasirten Sie auch viel von Sparta, Athen und von dem Pontus Euxinus.«

[200] Nun halt ein, Bastian, ich möchte noch gern einige vernünftige Worte mit meinem Eduard allein sprechen, ehe mein Bogen zu Ende geht. Das soll mir lieb seyn, höre ich Dich sagen: denn was in aller Welt soll ich mit deinem Fiebergeschwätz anfangen? – O, hättest Du nur mein Tagebuch gelesen. Das liegt nun freilich ganz in der Asche; indeß ist wenigstens durch dieses Blatt das Register davon gerettet. Meine Phantasien sind, als abgerissene Fäden aus dem Gewebe des Lebens, mir immer noch wichtig, und können mir zum Leitfaden dienen, wenn Du einst neugierig auf den Stoff werden solltest, den ich in der Fremde verarbeitet habe – den Nutzen ungerechnet, den diese Nachlese für mich hat. Keine moralische Betrachtung hat mich je so aufmerksam auf die Irrthümer meines gesunden Gehirns gemacht, als die Schwärmerei meines kranken, und kein Auszug aus den Schriften der Weltweisen hat mir mehr Anlaß zum Nachdenken gegeben, als Bastians Auszug aus meinem hitzigen Fieber. Wenn ich einmal, diesen Bogen in der Hand, neben Dir sitzen und Dir meine wahnsinnigen Reden kommentiren werde; so wirst Du so gut einsehen als ich, warum unter den Gespenstern, die mein von Angstschweiß triefendes Herz bis in den Abgrund des Grabes zu verfolgen schienen, die einzige freundliche Erscheinung der guten Margot mein Blut besänftigte, und kühlenden Balsam in meine Wunden goß. Ach! wie wurde nicht meine Einbildungskraft durch jeden Tritt gefoltert, den ich mir erlaubt hatte neben dem geraden Wege zu thun! Und doch hatten mich – wie Dir mein Kommentar zeigen wird – nur Zufall und Leichtsinn nicht weiter verlockt, als bis an den bedeckten Schmutzgang des kasuistischen Lehrgebäudes; und die Flecken lassen sich allenfalls in einem reinen Brunnen noch abwaschen, die ich davon trug. Wie aber muß erst einem Herzen in dem Augenblicke, wo es brechen will, zu Muthe seyn, das, aus einem schlüpfrigen Irrwege in den andern verführt, mit immer berauschtern Sinnen, bis in das Innere der Freistätte vorgedrungen ist, die in jener unseligen Sittenlehre den scheußlichsten Verbrechen offen steht! In welchem Vorgefühl der Verdammniß muß sich nicht eine Seele vor ihrem Hinüberschweben in die Ewigkeit herumtreiben, wenn [201] der annähernde Todesengel mit seinen Schwingen die Nebel religiöser Täuschung und die Wolken des Weihrauchs zertheilt, die ihr Bewußtseyn umzogen! Wie gewaltig muß der Strom des Lichts den seiner Binde entledigten Geist ergreifen, wenn nun die Gegenstände seines Glaubens hinter dem schillernden Schleier hervor treten, der ihre Häßlichkeit so lange verbarg! Welch eine Uebersicht der schrecklichsten Wahrheiten! Blutqualm steigt ihm von den Altären entgegen, auf denen Aberglaube, Religionshaß und Priesterstolz ihre Schlachtopfer erwürgten. – Falsche durch vorsetzlichen Selbstbetrug gerechtfertigte Eide zerreißen ihm das Ohr. – Manche dem Hohngelächter der Wollust preis gegebene und nach den gotteslästerlichen Regeln der Entsündigung ermordete Unschuld wimmert zu seinen Füssen, und abgetriebene Kinder faulen unter dem Lampenscheine des Götzenbildes, das ihm auf dem dunkeln Hingange in das Unabsehliche vorleuchten soll. – Wird das In profundis des Mönchs, der vor dem Bette des Kranken kniet – wird das Weihwasser, das über seine heiße Stirn fließt – wird die letzte Oelung, die seine Schläfe salbet, – die Schreckensbilder verscheuchen können, die ihn umgaukeln? Wird der ganze Plunder der geheiligten Spielwerke, die jene gewissenlosen Schwärmer als Hülfsmittel zur Seligkeit ihren Anhängern feil bieten, die Beängstigung eines sterbenden zu lindern vermögen, der die reinen Gefühle der Natur gegen so heillose Grundsätze vertauscht hat, die, wie Opium, den Verstand in Träumereien voll süßen Gifts, das Herz in tödtlichen Schlaf verwickeln? – Doch es ist eine glückliche Galgenfrist für die Herren, die damit wuchern, daß die angewiesenen Gränzen meines Bogens mir Stillstand gebieten. Auch selbst mir ist es räthlich, daß ich die Feder weglege; denn der Verdruß, den es mir verursacht, daß ich nur die Waaren ihres Schleichhandels beschauen, und mich in gedankenloser Verwegenheit ihren schädlichen Dünsten nähern mochte, treibt mir das Blut nach dem Kopfe. Träte jetzt mein Arzt herein, er würde es nur zu gewiß an meinem Pulse merken, wie nahe ich daran war, den Vertrag zu verletzen, der unter uns beiden besteht.


[202] Den 17ten Februar.


O daß sich mir in diesem Augenblicke, da ich mich hinsetze, um Dir den ersten Festtag meiner Freilassung zu schildern, der fromme Unbekannte darstellte, dem ich die Rückkehr in das Leben verdanke! Ach warum zögert er? – Ich bin ja wieder stark genug zu erhabenen Empfindungen, und habe heute davon die vollständigste Probe gegeben. Wenn es, wie mich mein Arzt vermuthen läßt, ein edler Mann von hohem menschlichen Gefühl ist, den ein Gelübde bindet, Kranken beizustehn, Nothleidenden zu helfen, so sollte er ja wissen, wie lästig einem guten Herzen Wohlthaten werden, die sich unserm Händedrucke, unsern Umarmungen entziehen. – Er komme, er komme! Und wenn, es ein Mönch wäre, ich wollte ihm für das verdienstliche Werk, das er an mir Armen verrichtet hat, zu Füßen fallen und seine Kutte mit Ehrfurcht berühren. –


Mein trefflicher Arzt besuchte mich diesen Morgen eine Stunde früher als gewöhnlich, war, wie es schien, mit meinem Pulse und meinen Augen zufrieden, und nachdem er auch in meiner gestrigen Schreiberei nichts zu tadeln fand, sprach er mir mit der Stimme eines Engels zu: »Ihr Erntetag ist gekommen, lieber Freund. Genießen Sie von nun an der Früchte, die in den schwülen Stunden Ihrer Krankheit gereift sind – aber genießen Sie solche mit der Behutsamkeit eines vernünftigen Wesens. Dieser Rath gehört so gut zu meiner Gerichtsbarkeit, als Körper und Seele zu dem Gebäude gehören, das unsere beschränkte Kunst in Bau und Besserung erhalten, vor feindseligen Erschütterungen schützen, und vor seinem zu frühen Einsturze bewahren soll. – Folgen Sie, um der mißlichen Hülfe der Kunst zu entbehren – nur den mütterlichen Anweisungen der Natur.« – »Das,« fiel ich ihm in die Rede, »hat mir schon ein anderer großer Arzt gerathen, der Jerom heißt.« – »Aber wohl zu merken,« fuhr er fort, »der schönen Natur.« – »Diesen Beisatz,« erwiederte ich, »hat Jerom vergessen.« – »Desto schlimmer,« antwortete der brave Mann; »ohne diesen ist der ganze Rath nicht viel werth, und giebt in unbewachten Stunden [203] zu großen Mißdeutungen Anlaß. – Doch ich bin ja nicht hergekommen, um Ihre vorigen Aerzte zu mustern, sondern Ihnen noch eine Arznei zu verschreiben, deren erste Wirkung ich noch abwarten will, ehe ich Sie ganz entlasse.« – »Was für eine?« fragte ich erschrocken. Aber kaum antwortete er: »Die frische stärkende Luft« – so lag ich mit Freudenthränen an seinem Halse – so flog ich von ihm nach dem Fenster, nach meinem Hute, nach meinem Mantel – so winkte ich Bastianen, mir meine Latwergenbüchsen und Pulverschachteln aus den Augen zu schaffen – so war ich in einer Minute gekleidet und fertig, um meinem Befreier zu folgen. Er schien selbst von dem Strudel meines Entzückens ergriffen zu werden. – »Kommen Sie,« rief er mir zu, »wir wollen den reinen Aether zu Wasser, zu Lande – und überall aufsuchen, wo er sein Spiel hat.«

Heute also, den 17. Februar Morgens drei Viertel auf neun Uhr, war es, wo ich an dem Arme des besten und edelsten aller Aerzte, neugeboren an Leib und Seele, meine Marterkammer verließ. Alle meine Nerven bebten wie die Saiten einer Aeolsharfe, als ich in den Wagen meines Apollo stieg. – Aber in welcher Harmonie stimmten sie nicht erst zusammen, als wir in dem Hafen ausstiegen! So unglaublich groß hatte ich mir den Gewinn meiner Krankheit nicht vorgestellt, als er jetzt meinen offenen neu geschärften Sinnen zuströmte. – Mein erster Hinblick in das Freie setzte mich in das wollüstige Erstaunen eines Blindgebornen, der unter der Beleuchtung der Morgensonne, umgeben von dem Kreise blühender Mädchen, in dem ersten Erwachen des Jünglingsalters, den Gebrauch seines Gesichts erlangt. Alle diese glücklichen Umstände müssen bei ihm zusammen treffen, wenn ich mich herablassen soll, den Umfang meiner Empfindungen mit den seinigen zu vergleichen. Begreife es, Eduard, wenn Du kannst. Der Winter war während meiner Gefangenschaft, ohne daß ich seinen Abzug nur von weitem geahndet hatte, in den schönsten Frühling übergegangen, der mich jetzt in seinem ganzen Schmuck empfing – die damals kahlen Gesträuche der stürmischen Küste zogen sich jetzt, wie ein Kranz von Sprößlingen geflochten, um das sanft glänzende Meer herum – mancher Baum, [204] den ich bei meinem letzten Frühstücke, das Passerino mir vorsetzte, als das Geripp eines erfrornen Unbekannten, meiner Blicke nicht werth hielt, begrüßte mich jetzt wie einen alten Freund, als Palme – Lorber – Cytisus oder Sumack – die vergilbten runzligen Hügel hatten sich die Zeit über, wo ich dem Verdorren so nahe war, mit frischem Rasen bekleidet, und selbst der Felsen der Madonna spielte in's Grünliche. – Nur an den widrigen Bastiden bemerkte ich nicht die kleinste Veränderung; sie blickten aus ihrer hohen, Ferne noch immer so albern, so vornehm, so versteinert herunter, wie vormals. In jedem kleinen Matrosengärtchen hingegen, über dessen Schilfzaun ich wegsehen konnte, jagten schon halb nackende Kinder unter blühenden Mandelbäumen nach Schmetterlingen, und Käfern – und das Gedränge der Blumen aus der lockern Erde, und das Zwitschern der Vögel um und neben mir, und der Wiederschein des azurnen Gezeltes, das so viele Freuden bedeckte – wie fühlbar machte mir nicht dieses herrliche Ganze das schwer errungene Bewußtseyn eines neu angehenden Lebens. Ich glaubte nicht eher, daß noch etwas die süße Behaglichkeit meines Gefühls vermehren könnte, als da mich die freundliche Gondel aufnahm, in welcher Sabathier ein paar Plätze für uns besprochen hatte. Eine Luft, kaum stark genug um einen Schmerlenbach zu kreiseln, spielte über die schillernde Fläche des Meers; die Inseln Pomegue auf der einen Seite, Ratonneau auf der andern, in der Mitte das Schloß If, auf welches wir zusteuerten, lagen duftend vor uns, wie auf einem Gemälde von Zeemann. Dieses lachende Ziel unserer Spazierfahrt zog so sehr meine Blicke an sich, daß ich beinahe einen Unglücklichen übersehen hätte, der zu einer ganz andern Bestimmung, unter der Bewachung einiger Soldaten, mit mir zugleich in das Boot stieg.

Es war der Sohn eines reichen Kaufmanns – ein junger Wüstling, den vielleicht auch ein hitziges Fieber zur rechten Stunde dem Sturm entrissen hätte, der ihn jetzt aus den Festtagen des Frühlings in die schreckliche Stille eines öden Thurmes verschlug. Wie verschieden wirkten nicht hier die Reize der Natur auf zwei verbrüderte Wesen! Während ich mit freundlichen Augen die spielenden [205] Wellen verfolgte, die das Schiffchen sanft hoben und senkten, während ich mich in den süßesten Träumereien wiegte, saß der von seinem Gewissen gefolterte Jüngling, mürrisch und menschenscheu, in der fernsten Ecke der Barke, warf dann und wann einen finstern Blick auf das plätschernde Ruder, das ihn mit jeder Minute seiner Bestrafung näher brachte, nahm keinen Antheil an unsern Gesprächen, und schien, wenn er mich ansah, selbst dem Mitleiden zu fluchen, das sich für ihn dann und wann mit meinem Frohsinne vermischte. Ach er schien nur in dem Verlust seiner Freiheit den Verlust ihres Mißbrauchs zu fühlen, und nur an die bunten Karten, an die feilen Dirnen und an die wilden Gelage zu denken, denen er einen ganzen lustigen Sommer hindurch entsagen sollte. Seine glückliche Bildung war durch Ausschweifungen entstellt, und noch zeigte sich keine Spur von Reue, Trost, oder männlichem Entschlusse zur Tugend in seinen funkelnden Blicken. O möchte er doch, durch Ruhe, Einsamkeit, mäßige Kost und durch bittere Erfahrung geläutert, mit gesunderm Blute und bessern Neigungen in einen weiseren Wirkungskreis zurücktreten, als er heute zu verlassen gezwungen wird. Mit diesem stillen bänglichen Wunsch begleiteten meine Augen den armen Verzweifelten bis an den Eingang seiner düstern Behausung, wohin ihn seine Wache sogleich abführte, als wir angelandet waren. Diese Absonderung von dem Lebendigen – diese Versetzung eines meiner Mitgeschöpfe, aus den Sinnlichkeiten einer blühenden Handelsstadt in die Felsenburg, in die Vergessenheit, in die Nebel eines stürmischen Eilandes – diese tragischen Bilder, die sich mir hier, als Augenzeugen, in ihrer ganzen fürchterlichen Wahrheit darstellten, würden nur zu gewiß alle frohen Empfindungen aus meiner Seele verscheucht haben, wäre nicht der glücklichste Zufall, der mir nur begegnen konnte, dazwischen getreten.

Aus dem Trupp einiger Offiziere, die sich von der Festung her der Barke näherten, drängte sich einer unter wiederholtem Ausruf meines Namens auf mich zu, und ich lag in seinen Armen, ehe ich noch begreifen konnte, wer es wohl seyn möchte. – Aber wie beschreib' ich Dir mein Glück, als ich ihn erkannte! Es war [206] einer der schätzbarsten Menschen, die ich je geliebt habe – der Marquis von Saint-Sauveur, der vor neun Jahren zu Berlin alle Zirkel belebte, in die er eintrat. Damals war er auf Reisen. Jetzt steht er als Brigadier unter dem Regimente, das zu Marseille liegt, und würde mir keinen Augenblick fremd vorgekommen seyn, wenn ich mir ihn unter einer Uniform gedacht hätte. Wie schnell verlosch das Trauerbild des Gefangenen vor seiner himmlischen Erscheinung! Die Gewalt des reinsten Vergnügens bemächtigte sich meiner Seele, und der auffallende Beweis, den mir hier ein Jugendfreund gab, daß weder Zeit noch Krankheit die Physiognomie zerstört hatte, die mir zuerst sein Zutrauen erwarb, setzte mich in eine Selbstzufriedenheit, die ich diesen Morgen vor meinem Spiegel nimmermehr erwarten konnte. Es ist mir noch ein Räthsel, und wäre mir viel begreiflicher gewesen, wenn er mich für einen andern genommen, wenn ihn meine skeletirte Figur, mein Anlanden an diese Insel der Buße, und die verdächtige Bangigkeit irre geführt hätten, der ich mich niemals in der Nähe eines Zuchthauses erwehren kann. Am wenigsten konnte ich es in diesem Augenblicke, wo ich ein Officiercorps auf mich zukommen und einen aus ihrem Kreise heraus stürzen sah, der mich umarmte. Dieser plötzliche Uebergang von Erschrecken zum Entzücken konnte nicht wohl ohne Erschütterung des Herzens abgehen. Ich fühlte, daß ich der glücklichste Mensch sei, den dieser Felsen wohl seit seiner Erschaffung getragen; aber ich war nicht vermögend, es auszudrücken – ich konnte aus beiden Sprachen nur Ausrufungen der Freude zusammen bringen, meine Zunge sträubte sich gegen jedes andere Wort. So wankte ich an dem Arme meines Freundes auf und ab an dem Gestade, bis uns der Bootsmann zurief, daß alles zur Abfahrt bereit sei. Der muntere, schwatzhafte freundliche Mann gehörte mir bis zum Austritte aus der Gondel allein zu. Ich war neidisch auf jeden Laut von ihm, den ein anderer vernahm, sah niemanden als ihn, und würde ihm auf dem Fuße gefolgt seyn, hätte auch seine gastfreie Entladung mich und meinen Aufseher nicht schon dazu berechtigt. Das prächtigste Haus auf dem schönsten Platze der Stadt, empfing uns in dem reizendsten Zimmer. Hier legten [207] sich endlich meine innern Wellen – hier in diesem kleinen Zirkel ward ich mir erst selbst und meinem Freunde verständlich, und hier nahm ich an seiner Seite und unter den Augen meines trefflichen Arztes ein Mittagsmahl ein, das auch den Unzufriedensten mit dem Gange der Welt versöhnt haben würde. Doch ehe ich weiter erzähle, muß ich Dich wohl den Mann genauer kennen lehren, den ich mit allem meinem Verstande in der weiten Welt nicht besser hätte auftreiben können, um das Fest meiner Wiedergenesung zu feiern. Ich würde meine unvollkommene Schilderung freilich ersparen können, wenn Du nur vier Wochen seines Umganges froh geworden wärest; aber Gier nach Kenntnissen des Auslandes, die ihn nach Deutschland verschlug, hatte Dich um dieselbe Zeit nach Frankreich getrieben, und Du kamst mit dem erbeuteten Honig aus seiner Heimath zurück, als er mit dem Salze aus der unsern wieder abzog. So trifft es sich oft in dem geistigen Tauschhandel wie in dem bürgerlichen, daß zufällig die vornehmsten Händler en gros einander aus dem Wege fahren, und darüber den kleinen Krämern gut Spiel geben. Ich gewann offenbar durch Deine Abwesenheit. Da Du fehltest, mußte er sich wohl mit meines Gleichen begnügen. Er kam von ungefähr mit mir unter Einem Dache zu wohnen. Unsre nahe Nachbarschaft ging geschwind in eine Gemeinschaft unsrer Vergnügungen, unsrer Studien, und zuletzt in eine gegenseitige Anhänglichkeit über, die zehn Monate nachher, als wir uns trennten, eine Traurigkeit bei mir zurück ließ, die mich selbst in der ersten Zeit zu Deinem Umgange verstimmte. Erinnere Dich dieses Umstandes, lieber Eduard! Ich kann Dir keinen stärkern Beweis von dem Werthe dieses damals so liebenswürdigen Jünglings geben, der jetzt als der gebildetste Mann über viele meiner Freunde, und als der glücklichste über, sie alle hervorragt. Reisen, Menschen-und Weltkenntniß, und die Leichtigkeit, bei seinem großen Vermögen jeden Wunsch der Sinnlichkeit zu befriedigen, und durch täglich wiederholte Versuche die Hungerquelle des Vergnügens zu erschöpfen, würden ihn so gut als die meisten in seiner fürstlichen Lage zu dem spätern Genusse des Lebens abgestumpft und verdorben haben, wäre sein origineller Verstand und sein richtiges [208] Gefühl nicht in Zeiten diesen gemeinen Folgen eines zu frühen Wohlstandes zuvorgekommen. Doch Du sollst ihn selbst hierüber mit mir sprechen hören.

Wie viel, sagte er, hat man nicht Lehrgebäude zur Beförderung menschlicher Glückseligkeit aufgeführt, besonders in deinem sinnreichen Vaterlande, lieber Wilhelm! Sie können im Allgemeinen recht gut seyn; aber es gehören manchmal verdammt subtile Wendungen dazu, um sie uns anzupassen. Jedermann sollte nach seiner individuellen Lage und Empfindung sein eigenes für sich haben. Ich habe mir eins erdacht, das mir recht wohl bekommt, wovon ich aber sehr wenig brauchen könnte, wenn ich zum Beispiele in einem Bergwerke arbeiten, und die Ausbeute erst zu Tage fördern müßte, die ich ungesucht und schon von meiner Geburt an besitze. Mein Reichthum, zu groß für das gewöhnliche Leben, wäre mir, wie andern, zur Last geworden, hätte ich ihm nicht einen Ausweg verschafft, den ich einzig meiner Eigenheit angemessen fand, die, lieber Wilhelm, besonders darin besteht, daß mir nichts in der Welt behagen will, was den Reiz der Neuheit bei mir verloren hat. Die ganze Masse der moralischen und sinnlichen Freuden lag vor mir; aber bei keiner konnte ich den enthusiastischen Eindruck wieder erringen, durch den ihre erste Bekanntschaft meine Organe so unendlich beseligt hatte. In dem stolzen Nil admirari der Philosophen entdeckte ich einen hohlen widrigen Schall, aber nichts weniger als einen Ersatz. Mein Leben mußte immer abschmeckender werden, je länger es dauerte. Wie sollte ich den Nachtheil der Erfahrung von ihm entfernen? Wodurch sollte ich das störende Gefühl, das mir bei jedem Genuß in den Weg trat, vertreiben? Das waren die schweren Fragen, die ich mir unaufhörlich vorlegte. Ich versuchte alle Hülfsmittel, die mir Kunst und Natur anboten, durchkroch alle Systeme. Endlich blieb ich bei einem stehen, das mir noch am besten zuschlug – bei dem, wie ich es benamen möchte, der Uberraschung. Hier findet sich gleich eine gute Gelegenheit, es dir in seinen Grundtheilen zu entwickeln. Dieser Teller mit Pfirsichen, den man eben aufsetzt, diese unerwartete Erscheinung in der jetzigen Jahrszeit, die unsern Augen auf das freundlichste [209] zuwinkt, und, so satt wir sind, dennoch den Mund voll Wasser drängt, soll hoffentlich meiner Demonstration leichten Eingang bei dir verschaffen. Wie mein Koch angewiesen ist, lieber Wilhelm, nicht nur die gewöhnlichen Gerichte für den Hunger durch neue Brühen zu erhöhen, sondern jeden Mittag unter meinen Schüsseln wenigstens Eine einzureichen, die für die Sinne von gleichem Werth ist als diese, ohne sie mir erst durch einen Küchenzettel anzukündigen – so ist jedes, dem ein Geschäft in meiner Haushaltung obliegt, dahin verpflichtet, seinen Herrn vor dem Anblicke des ewigen Einerleis zu schützen, und gegen die Ermüdung zu arbeiten, die in der Einförmigkeit liegt. Es ist oft zum Verwundern, wie gut es meinen Provinsalen in ihrem Wettstreite gelingt, mir durch immer veränderte Decorationen das Spiel des Lebens nicht nur erträglich, sondern auch angenehm zu machen. Die Abwechselung, die sie mir verschaffen, wirkt auf ihren Dienst selbst zurück, dem seine Zwanglosigkeit alles Mechanische und Unterwürfige benimmt. Sie dienen mir mit einem stolzen glücklichen Bewußtseyn; denn sie halten sich nicht für Maschinen, sondern für Erfinder, und sie haben Recht. Freilich erfordert diese Einrichtung betriebsamere Schwungräder, gespanntere Federn, als die gewöhnlich das rostige Uhrwerk eines kleinen Deutschen Hofs im Gange erhalten – das jeder Stunde des Tags, jedem Tage des Jahrs dieselbe Langeweile in demselben Anstande vorzeichnet, wie sie hundert Jahre hinter einander dem Ahnherrn und dem Enkel in derselben Minute vortrat – die oft den armen Fürsten dessen Regierungsperiode sich eben abwindet, in einen solchen ekeln, erschlafften und ungeduldigen Zustand versetzt, daß er seinen Stand und sein Daseyn verflucht, und lieber, wie Nero, seine Residenz anzünden möchte, um nur etwas Neues zu sehen, etwas anders zu fühlen, als ihm das Furierbuch für den gegenwärtigen Augenblick vorschreibt. Ich habe es den Romanschreibern abgelernt, welcher Zauber in dem Unerwarteten liegt, und welche widrige Wirkung die Episoden thun, die man viele Blätter voraus sieht. Wird nicht oft der kleinste Garten durch eine verständige Benutzung seiner geringen Fläche unendlich erweitert, und durch schlängelnde Nebenwege [210] nach verschiedenen Aussichten so in die Länge gezogen, daß sich eine so süße Ermüdung darin erholen läßt, als in den größten Anlagen? Warum sollten wir denn nicht auf gleiche Art Mannigfaltigkeit in unser beschränktes Leben zu bringen, und die kurze Dauer desselben, ohne Zuthun der Langenweile, durch einen desto reichhaltigern Genuß zu verlängern vermögend seyn? Du findest mein Zimmer hoffentlich schön, behaglich und freundlich? Ich auch. Und warum? Weil es uns beiden gleich neu ist. Ich befinde mich wohl darin, weil ich es gestern nicht sah und morgen nicht sehen werde. Es stoßen ihrer funfzehn an einander, davon ich jedes nur einen Tag hinwärts, einen Tag herwärts, auf einem monatlichen Durchzug bewohne. Keines wird eher geöffnet, als bis die Reihe daran kommt, und jedes, das ich auf diese Weise zweimal gesehen habe, erwartet mich in dem folgenden Monat unter einer andern Bekleidung. So wird dem Ueberdrusse keine Zeit gelassen, sich bei mir einzunisten. Nichts ist, Gott sei Dank, mein eigen, als mein Reichthum, dem ich, durch die Ausdehnung, die ich ihm mit meinen Gehülfen zu geben weiß, alles das Lästige und Klebende benehme, das sonst mit ihm verbunden ist. So habe ich keine Bibliothek; aber einen gelehrten und geschmackvollen Bibliothekar, der das Gold, das er in dem Kothe der Schriftsteller findet, für mich bei Seite legt, und wo nicht ein Buch ganz gelesen zu werden verdient, – und wie wenig sind deren! mir bloß die Stellen anstreicht, die sich auszeichnen. Hierdurch sind meine Studien mir erst lieb und nützlich geworden; und da ich sonach das Schlechte und Mittelmäßige in der Litteratur gar nicht kennen lerne, bleibt mir die Wahl nur unter dem Neuen, Guten und Vortrefflichen, und ich bin sicher mein Gedächtniß nicht zu überladen. Eben so wenig kommt meine Einbildungskraft, die nur über frisch duftende Blumen gleitet, in Gefahr durch abgestorbene, welke oder faule Blätter in ihrem Schwunge gehemmt zu werden. Was noch das beste dabei ist, so trage ich weder Brustschmerzen, Kopf- und Augenweh, oder üble Launen aus der moralischen Welt in meine physische über; und da ich in dieser wie ein Seefisch in immer frischem Wasser auf dem Ocean der Zeit schwimme, und mich, [211] kraft meiner Richtung, keine Welle berührt, die der vorhergehenden gleicht, so siehst du wohl ein, lieber Wilhelm, daß vielleicht kein philosophisches Lehrgebäude dem Gefühl, das die Natur in mich legte, den Verhältnissen, in die mich der Zufall versetzte, und der geistigen und körperlichen Gesundheit angemessener seyn kann, als das meinige. Keines schmiegt und biegt sich mit minderm Zwange nach der Veränderlichkeit unserer Natur, nach der Wandelbarkeit menschlicher Freuden und Güter, von denen nichts unter der Sonne selbstständig ist und alle Reize der Neuheit behält, als die Tugend – nichts an Gehalt und Seltenheit zunimmt, je älter es wird, als die Freundschaft. – Aber daß auch selbst diese noch durch mein System gewinnt, hat mich heute dein überraschender Anblick gelehrt. Wie geschmückt und bevölkert schien mir in dem Augenblicke unserer Umarmung der nackende Felsen, der uns nach einer langen Trennung wieder vereinigte! – Wie erweiterte sich selbst vor meinen umfassenden Augen das Meer, das uns umgab, und welch ein Freudenfest ist aus meinem Mittage geworden, durch die Sonderbarkeit, daß du – mein Gast bist! O bleibe nur so lange, als du mir neu und lieb seyn wirst – fechte in meinem ewigen Krieg gegen die Langeweile an meiner Seite, und lerne von mir die mancherlei Schwenkungen und Wendungen, – um als Militär zu sprechen – durch die ich meinen Feind irre mache und in die Flucht jage. Welchen Abbruch thust du ihm schon durch deine Gegenwart! – »Jedes Vergnügen, das sich in diesem Lande aufstören läßt, hätte ich es auch noch so oft genossen, wird mir durch deine Theilnahme neu werden: denn die Ueberraschung, die es bei mir verlor, werde ich inder wiederfinden, die es dir verursacht.« – Hier unterbrach ihn ein Glas Maderawein, der dreimal die Linie passirt, und nur seit gestern in seinem Keller gelandet war, nach der Versicherung des Mundschenken, der es ihm brachte.

Ich benutzte geschwind den Augenblick, den seine schwatzhafte Zunge der meinigen frei ließ. – »O Freund,« rief ich, »bei allen den fein gesponnenen Netzen, die du überall ausgestellt hast, um die flüchtigen Lebensfreuden einzufangen, bei aller der Kunst, mit der du ihre Schmetterlingsflügel zu fassen verstehst, ohne daß sich [212] ein buntes Stäubchen davon verliere, glaube ich doch für ihren höchsten Genuß ein Mittel entdeckt zu haben, das weit über die deinigen geht – das dem erschlafftesten Gefühl seine Schnellkraft, den abgenutztesten Befriedigungen ihren ersten Firniß wiedergiebt, alles verjüngt, erneuert und verschönert, was unsere Sinne umfassen, und gleich einem Talisman über die gleichgültigsten Dinge ein magisches Licht verbreitet. – Sie lachen, lieber Sabathier, als hörten Sie ein paar Charlatans, deren jeder den Vorzug seines Arkanums gegen den andern heraus streicht; aber ich hoffe, sie sollen als unparteiischer Richter dem meinigen den Preis zuerkennen. – Erschrick nur nicht, lieber Saint-Sauveur, wenn ich es nenne. – Es heißt mit Einem Worte: das hitzige Fieber. Wie hat es meine geistigen Federn gespannt, und die fünf Schwungräder meiner Sinne geschärft! Von dem Bissen trockenen Brodes an bis zu deinen herrlichen Pfirsichen, ist mir alles, was über meine Zunge geht, willkommen und schmackhaft. Die Welt scheint mir so frischfarbig und kräftig, als feierte sie heute ihren ersten Schöpfungstag. Was meine Blicke berühren, schwimmt in einem ätherischen Schimmer, und jedes Wort, das mein Ohr erreicht, jedes, das über meine Lippen rieselt, – wäre es auch noch so albern – kommt mir, als ein Beweis, daß ich lebe, überaus wohlklingend und witzig vor. Du weißt es, theuerster Saint-Sauveur, wie lange ich dich liebe; aber selbst meine Freundschaft seit ihrer Entstehung reicht nicht an das dem warmen Herzen entströmende Gefühl, das mich jetzt an dich fesselt. Wie segne ich meine Krankheit! Sie hat das staubige Triebwerk meiner Seele gereinigt, meine Adern mit Rosenöl ausgespritzt und meine Nerven«..

»Lassen Sie uns aufstehen, Herr von Saint-Sauveur,« fiel mir hier der Arzt in meine wohlklingende Rede, indem er mir das Glas, das ich zu leeren im Begriff war, unter dem Vorwande, über den ich mir noch eine Erklärung von ihm ausbitten möchte, aus der Hand nahm: »Der Wein würde Gift werden, wenn er zum viertenmal die Linie passirte. – Ich dächte,« fuhr er fort und sah nach der Uhr, »wir besuchten den Hafen. In einer halben Stunde wird ein Schiff vom Stapel gelassen; ein Schauspiel, das [213] Ihrem Berliner Freunde seltener wohl ist als jedes andere, und ihn zu einem gesündern Schlafe vorbereiten wird, als der Tri-Madera.« – Sein medicinischer Vorschlag wurde so geschwind angenommen als ausgeführt: denn in diesem Hause braucht man nicht auf das Anspannen des Wagens zu warten.

Möchte doch der Traum meines Lebens und mein neues Tagebuch nie andere Stunden enthalten, als mir heute zu Theil wurden! Welch ein herzerhebender Anblick für einen, der kaum aus seinem einsamen, sonnenlosen Kerker getreten war, als wir in dem Hafen ankamen – als meine heitern Augen über den gedrängten Zirkel fröhlich-müßiger Zuschauer hinblickten, der jene fleißigen Männer umgab, die in voller Anstrengung ihrer Riesenkräfte das stolze Gebäude aus seinem Schwerpunkte von dem Boden zu heben suchten, auf dem es errichtet war, um es auf kreischenden Walzen in das Meer zu rollen! Bei dem Werft stiegen wir aus. – Indem wir uns dem neu erbauten Schiffe näherten, machte mich Saint-Sauveur besonders auf das Verdeck aufmerksam, das mit einer Menge Neugieriger besetzt war, die schon Stunden lang auf den Augenblick lauerten, der die Masse in einen blitzschnellen Schwung setzen und einem an dern Elemente übergeben würde. – »Dort,« sagte er lächelnd, »ist eine Empfindung zu holen, die dir noch fremd und auf das sonderbarste angenehm ist, wie das schon die Menge schließen läßt, die Geld und Zeit dafür hingiebt.« – Ich sah mich ungewiß nach meinem Arzte um. – »O,« sagte dieser, »ich habe gar nichts dawider. Es ist der unschuldigste mechanische Versuch mit sich selbst, den ich kenne, und zugleich ein stärkendes Luftbad. Wenn nur Ein Blutkügelchen, das in Ihrer Lunge stockt, mit dem Schiffe zugleich flott wird, so trägt es Ihnen vielleicht mehr ein, als dem Eigenthümer, der es nach China schickt. Gehen Sie. Ehe es dahin segelt, wollen wir Sie schon wieder abgeholt haben.«

Ich that mir heute, wie ein lebhaftes Kind, dem man das Gängelband abnimmt, so viel auf die kleinste Bewegung zu gute, daß ich zwar herzhaft die Strickleiter ergriff, aber nach dem ersten Tritte auf dieser schwankenden Stiege alle Mühe hatte, mich bei [214] Muth zu erhalten. Steigst du doch, sagte ich spöttisch zu mir, so scheu und zitternd deiner Neugier nach, wie ein unerfahrnes Mädchen in das Brautbette. Zufällig kam ich auf dem Verdeck neben einem zu stehen, das jung und reizend genug war, um meinen unbedeutenden Einfall erst gefährlich zu machen. Still vor sich hin blickte sie über das Geländer, als ich zu ihr trat. – »Ist es auch das erstemal?« redete ich sie nachbarlich an. – »Ja,« drehte sie ihr Köpfchen nach mir; »auch erwarte ich schon lange den Schwung mit Ungeduld, von dem die Leute so viel Wesens machen. Meine Brust ist mir unbeschreiblich beklommen.« – »Mir geht es auch so,« erwiederte ich, »und wenn es erlaubt ist, eine Kleinigkeit philosophisch zu betrachten, so schwebt das Herz auch hier, wie bei jedem Uebergange zu einer unbekannten Erfahrung, zwischen – wie soll ich sagen ...« – »Nach meiner Empfindung,« fiel sie mir ins Wort, »schwebt es zwischen einer süßen Angst und einem ungestümen Verlangen.« – »Richtig, mein schönes Kind!« fuhr ich fort: »aber deßhalb fürchte ich auch, daß der kritische flüchtige Moment der Belehrung der angenehmen Unruhe unserer pochenden Herzen kaum werth seyn wird; und in dieser Rücksicht thut es mir beinahe leid, daß wir – oder wenigstens, daß Sie hier sind.« – Sie warf ein Paar große fragende Augen auf mich. – »Weil« antwortete ich, »Ihnen nun künftig nichts Aehnliches mehr vorfallen kann, was nicht durch das Gegenwärtige etwas von dem Reiz seiner Neuheit verlor. Sie nehmen jetzt eine Erfahrung voraus, die Ihnen zu einer andern Zeit.. Denken Sie an mich, ob ich nicht wahr rede.« – »Das will ich thun,« erwiederte sie lächelnd; »denn jetzt verstehe ich Sie nicht.« – Und das war kein Wunder, Eduard; verstand ich mich doch selbst nicht. Offenbar hatte die Theorie meines Freundes, die mir von heute Mittag her noch in dem Sinne schwebte, Schuld an diesem Geschwätze mit dem Mädchen. Ich hatte sie selbst noch nicht ganz begriffen, und suchte sie doch schon einem Kinderkopfe verständlich zu machen – ganz im Geschmack unsers philosophischen Zeitalters. Meine Einbildungskraft, sah ich wohl, war leichter in Bewegung zu setzen als das Frachtschiff. Dieses lag noch eine Weile nachher, als jene [215] sich schon warm geflogen hatte, unerschütterlich auf dem Werfte. Endlich, als ob es einen kurzen heroischen Entschluß faßte, fing es – das Mädchen klammerte sich fest an mich – zu rollen an, schlug Flammen in die Höh, und einen Pulsschlag nachher schwebte es auf dem wogigen Meere. Fröhliches Getöse auf dem Verdecke begleitete es, Jubelgeschrei vom Ufer her wirbelte ihm nach, und die junge, seufzende, zitternde Schöne – Gott segne ihre fühlbaren Nerven – wußte jetzt wie ihr war, und ließ meinen Arm fahren. Ach, ich hätte ihr ihn gern noch länger geliehen, und, wie man dem Probegang einer ausgebesserten Uhr nachspürt, gern noch länger jene leisen Schwingungen verfolgt, die der Druck von ein Paar weiblichen Händen auf meine Fibern erregte. Aber jetzt bekümmerte sich weiter keine Seele um die andere. Was die Neugier vereinigt hatte, trennte die Befriedigung. Die Gesellschaft flog nun auf die vielen kleinen Boote aus einander, die sich zu ihrer Aufnahme näherten, und Saint-Sauveur erwartete mich in dem seinigen. – »Ich komme recht sehr zufrieden,« rief ich ihm entgegen, als ich einstieg, »von dem Versuche mit mir selbst zurück, und deine Theorie enthält mehr Wahres als ich gedacht habe.« – Indem ruderte das Boot, auf dem sich meine neue Bekannte befand, bei dem unsrigen vorüber. Ich hätte wohl gewünscht mit ihr zugleich an das Ufer zu steigen; aber ich landete einige Augenblicke – an denen vielleicht ein ganzer Roman hing – zu spät an.

Auf dem Hingange nach unserm Wagen kamen wir bei der Wohnung des ehrlichen Passerino vorbei. Die schwarze Tafel über der Hausthüre, sein Sortiment menschlicher Gebrechen, mein Frühstück bei ihm, und die martervollen Tage, die gleich darauf folgten – alles trat in Einem Blicke mir jetzt vor die Seele. Mit feuchten Augen theilte ich meinen Begleitern die Empfindung, die mir anflog, und zugleich die Nachricht mit, die ihnen freilich wenig verschlagen konnte, daß in diesem Hause der brave Mann wohne, der mein Lehrmeister in der Baukunst gewesen sei. Um meine ehemaligen Spöttereien über ihn, zu denen ich alleweile kein Herz hatte, wieder gut zu machen, und um seiner Kundschaft nicht Abbruch zu thun, lobte ich ihn als einen zweiten Vitruv. – »Ich [216] habe ihm vieles zu danken,« sagte ich. – »Besonders auch,« fiel mir Sabathier in das Wort, »als Krankenwärter. Man las es in seinem verstörten Gesichte, wie sehr ihm Ihr Aufkommen am Herzen lag.« – »Das kann ich um so viel leichter glauben,« antwortete ich, »als an meinem Leben die Erfüllung eines Versprechens, eine Spazierfahrt hing, zu der schon der Wagen angespannt war, als ich mich legen mußte, und auf der er nichts geringeres zu holen gedenkt, als sein zeitliches Glück und seine Unsterblichkeit. Diese wichtige Schuld hoffe ich morgendes Tages abzutragen.« – »Morgen?« fragte Saint-Sauveur verwundert. »Einen Weg zur Unsterblichkeit – in der Nähe von Marseille? Das ist mir etwas ganz Neues. Wie heißt denn dieses Ziel der Glorie?« – »Cotignac,« antwortete ich, und erregte damit ein lautes Gelächter. – »Nein,« rief Sabathier, »das könnte meinem guten Rufe schaden, wenn ich es zugäbe« – und – »Nein,« rief der Marquis, »denn von morgen an, Freund, lege ich für die ganze Woche Beschlag auf dich und deine Talente. Ich kann dir davon zu deiner Spazierfahrt keinen Tag frei geben, als den letzten, wo ich das angenehme Geschäft über mir habe, den Flügelmann meines Regiments zum Tode zu führen – und den armen Sünder in dem Augenblicke, der ihm drei Kugeln durch das Herz jagen soll, durch ein harmonisches Pardon zu überraschen.« – »Und womit,« fragte ich hastig, »hat denn der Unglückliche verschuldet, daß er deinem System zum Experimente dienen soll?« – »Nach seinem Verbrechen,« antwortete Saint-Sauveur räthselhaft, »darf ein Berliner nicht fragen. Bei euch wird deßhalb kein Flügelmann der Todesangst ausgesetzt.« – Was wollte der Marquis damit sagen, Eduard? und was wollte er vorhin mit meinen Talenten? Ich begreife eins so wenig als das andere. Ueber meine Zeit, die er auf Wochen in Beschlag nimmt, muß ich mich auch noch mit ihm verständigen. Ich habe deren nicht viele mehr in diesem Lande zu verlieren, wenn ich anders mein Gerippe in Sicherheit haben will, ehe die Sonne noch glühender wird. Und doch kann ich an unsere baldige Trennung ohne Schaudern nicht denken. Wie kam es mir nicht schon so schwer an, daß ich die wenigen Stunden, die mir von [217] heute noch übrig blieben, ohne ihn hinbringen sollte! – Aber mein strenger Arzt riß mich unbarmherzig von seiner Seite, und verwies mich, aus Furcht vor der Abendluft, in meine einsame Herberge. – »Wenn Ihnen,« tröstete er mich, »Ihre heutigen Lebensversuche wohl bekommen und zu einer guten Nacht verhelfen, so öffne ich Ihnen morgen die weite Welt, und überlasse Sie Ihrem Freunde – zur Nachkur.« Möge er es zur guten Stunde gesagt haben.


Den 18ten Februar.


So hätte ich denn seit zwei Stunden das Lenkseil mei ner selbst, das mir auf der Rennbahn des Lebens aus den Händen geschlüpft war, wieder in meiner Gewalt! Sabathier hat es mir so feierlich, als wenn es ein Doktorhut wäre, überreicht. Kaum war ich mit einem Gesichte ohne Runzeln aus meinem Bette ohne Falten gestiegen, und lächelte in dem frohsten Vorgeschmacke meinem Frühstücke zu, das man herein trug, als mir sein Morgengruß so süß entgegen tönte, wie eine Geßnerische Schäferflöte in meinem funfzehnten Jahre. Wie reichhaltig kam mir nicht sein freundliches Gespräch vor! Es würzte meinen guten Kaffee noch mehr. Es belehrte mich ohne mir weh zu thun, und rührte mich durch die genauere Entwickelung des Wunders meiner Genesung.

Du weißt, Eduard, ich habe mich immer für ein Kind des Glücks, für einen Liebling des Zufalls gehalten, und finde so wenig Anmaßliches in dieser Vorstellung, daß ich keinen Gesichtspunkt kenne, aus welchem sich der Mensch gelassener betrachten könnte, als aus diesem. Die Eigenliebe, die dabei eine Rolle spielen wollte, müßte stockblind seyn. Daher habe ich es auch immer für den besten Zug meines Herzens gehalten, daß ich keinen Beweis, der mich darauf zurück führen kann, übersehe, und nicht, wie andere, mir jeden zufriedenen Augenblick als Folge meiner klugen Einrichtung anrechne. In meiner jetzigen glücklichen Lage wäre es vollends unverzeihlich. An meinem hitzigen Fieber mag ich wohl Schuld seyn, aber nicht an meiner Genesung. Diese lag weit außer meinem Gesichtskreise, und es mußten die sonderbarsten [218] Umstände zusammen treffen, um sie möglich zu machen. Das seltenste Ungefähr entriß mich nicht nur den Klauen des Marktschreiers, sondern auch, wie Du gleich hören wirst, den harten Fäusten der hiesigen Aerzte – die, da sie nur selten feinere Maschinen zu behandeln haben als Matrosen und Kaufleute, jeder andern, die nicht eben so derb zusammen gesetzt ist, fast so gefährlich sind, als die ausgemachtesten Stümper. Welche Proben der Angst würde mein armer Körper nicht noch vor seiner gänzlichen Auflösung haben ausstehen müssen, wenn nach dem Marktschreier auch noch so ein Praktikus über ihn hergefallen wäre! Sabathier, mußt Du wissen, gehört nicht zu dieser Zunft, ist Mitglied der preiswürdigen Fakultät zu Montpellier, und gegenwärtig auf einer wissenschaftlichen Reise begriffen, die er über Holland nach Edinburg thun will. Mein anonymer Wohlthäter, – Gott segne ihn – der einen natürlichen Haß gegen alle Charlatane hat, wie die Pharaos-Ratze 5 gegen die Krokodille, schlich und stieg dem nomadischen Medikaster bis vor mein Bette nach, verscheuchte den Geier, und sah sich eben ängstlich nach Hülfe für das gerupfte Täubchen um, das zappelnd da lag, als – der gute Sabathier vor dem heiligen Geiste ausstieg, und der Schall seines berühmten Namens an alle Wände des Gasthofs anschlug. Unverzüglich trat ihm der Unbekannte in den Weg, erzählte ihm schon auf der Treppe meine verzweifelte Lage, ließ ihm kaum Zeit sich umzukleiden, und, nachdem er sein Mitleiden auf das stärkste erregt hatte, führte er ihn vor mein Bette, und nahm ihm, unter meinen schon gebrochenen Augen, das Ehrenwort ab, seine Reise aufzuschieben, und den kranken Deutschen nicht zu verlassen, bis nicht sein Schicksal entschieden sei. Der menschenfreundliche Arzt versprach es, und hat es gehalten. Mein bösartiges Fieber fand in ihm einen Beschwörer, wie es einen bedurfte. Selbst die kleinen Nebenverhältnisse, in die er sich mit mir gesetzt fand, so unwichtig sie auch schienen, waren hier nichts weniger als gleichgültig. Schon der Umstand einer gemeinschaftlichen Herberge mit ihm mußte mir den [219] größten Vortheil gewähren. Dadurch ward es ihm möglich, mich zu allen Stunden zu beobachten, und meine Narrheiten abzuwarten, als ob ich der vornehmste Herr und er mein Leibmedikus wäre. Ich brauchte nicht mit zehn andern Elenden zu kämpfen, um einen Theil seiner Zeit, ein Wort von seiner ermatteten Zunge, ein Recept aus seinem zerstreuten Gehirne zu erhaschen. Auch hatte seine Hand, ehe sie die meinige berührte, nicht wie die Faust, die Dir einst Dein Aeskulap prahlenden Andenkens entgegen streckte, des Morgens zwölf Kindern die Blattern eingeimpft, des Nachmittags eine Komödiantin entbunden, und des Abends einen Neapolitaner zergliedert, und seine Perücke schüttelte keine in der Charité angesteckte Lufttheilchen in meine Atmosphäre. Wenn ich starb, war ich sicher, daß es an meiner eigenen Krankheit geschah. Glücklich ist wohl jeder zu nennen, der in dem Nebel, den das unzählbare Heer von Seuchen um ihn herzieht, in dem Gedränge so vieler schwankenden Irrlichter, die dieser Duft bildet und nährt, und die sich ihm bei seiner Wanderschaft über das allgemeine Leichengefilde als Wegweiser anbieten, auf den Genius eines Kapp, Grimm, Meckel oder Tissot trifft, der ihm vorleuchtet. Ist sein Gewebe nun vollends schon von der Natur locker gesponnen, durch die Hände seiner Erzieher verworren, und von allen den Modefarben, in die es getaucht wurde, so mürbe gebeitzt, als das meinige, und es findet sich, eben da der Lebensfaden zerreißen will, ein solcher Kunstweber als Sabathier zu ihm, der an der laufenden Spule die Fasern noch zu erwischen und so geschickt anzuknüpfen versteht, daß auch nicht der kleinste Knoten zurück bleibt, der das Flickwerk verrathen könnte: so weiß ich nicht wie groß das Verdienst des Kranken seyn müßte, das diesem seinem Glücke gleich kommen sollte.

Diese Betrachtungen machten mir es recht schwer, mich von dem Manne zu trennen, der sie veranlaßte, und der – ohne daß ich damit andern Aerzten zu nahe treten will – einzig in seiner Art ist. – Denn wo hat wohl einer vor ihm einen solchen Abschied von seinem Kranken genommen, als Er von mir? Er faßte mich mit ernstem Anstande bei der Hand, setzte sich neben mir auf [220] den Sopha, und ehe ich mich des Textes versah, über den er seine Beredsamkeit spannte, lag das menschliche Herz so meisterhaft zergliedert vor mir, als wenn Locke und Boerhave in ihm zusammen getreten wären, um mir zu demonstriren, wie wenig ich, moralisch und physisch, werth sei. Ich mußte bei jedem Fetzen, den er mit seiner Sonde in die Höhe hob, heimlich gestehen, daß es ein Theil von mir war. In jeder Beule, die er öffnete, erkannte ich mein eigenes Geschwür, und fühlte in meinem Innern jeden Schnitt, den er doch nichts weniger als in meinem Kadaver zu thun schien. Es ward mir, mit Einem Worte, immer klärer, daß die Kasuisten zu Avignon und der getaufte Jude so vielen Antheil an meinem hitzigen Fieber hatten, als Klärchen und der Seefisch – daß ich meiner Gesundheit nie weiter aus dem Wege gekommen sei, als in der Zeit, da ich sie suchte – und daß Sabathier, der, gleich dem großen Arzte des Lazarus, meine Heilung mit Stehe auf angefangen hatte, jetzt auch, wie er, sie mit keinem bessern Rathe zu beschließen wisse, als mit einem wohl gemeinten Gehe heim.

Ja, ja, Eduard, unstreitig ist es das klügste, was ich thun kann. Ich brauche wahrlich keine Erfahrungen mehr zu dem bewiesenen Satze zu sammeln, daß meiner Diät und meiner Tugend auf Reisen noch weniger zu trauen ist, als in meiner Heimath. Das Ueberraschungs-System meines Freundes soll mich nicht aufhalten. Gott weiß, was ich mir damit über den Hals ziehen könnte, wenn ich es so gründlich studiren wollte, als manches andere, das mich irre geführt hat.

Als Sabathier am Ende seines lehrreichen Gesprächs nach dem Hute griff, verstand ich das Zeichen, flog in die Kammer vor meinen Schreibtisch, und – indem ich geschwind berechnete daß, wenn ich die Summe meines baren Reisegeldes gerade mit ihm theilte, ich in Verhältniß meiner vorigen täglichen Ausgaben immer noch durch mein hitziges Fieber gewönne – packte ich zwei Rollen zusammen, die einen ziemlich starken Beweis enthielten, wie hoch ich mein Leben schätzte, und trat damit in der Demuth eines Genesenen, der dem Apollo nur einen schlechten Hahn opfert, vor meinen trefflichen Arzt. Aber dieser, als schwebe er in der Glorie [221] jenes Gottes, erhob sich in demselben Augenblicke über alle gemeine Mitgesellen seiner Kunst. – »Sie vergessen, lieber Freund,« sagte er, »wie theuer Sie Ihr Leben schon bei dem Quacksalber gelöst haben, den ich vertrieb. Ich bin belohnt genug, daß ich nicht zu spät kam, um seine Rechnung und sein Vergehen gegen Sie in's Gleiche zu bringen, und durch meine Anzeige die Polizei aufzufordern, ihm das Handwerk, wo nicht ganz zu legen, doch solchem eine zweckmäßigere Richtung für das gemeine Beste zu geben.« – »Edler, großmüthiger Mann,« sagte ich, legte meine Geldrollen aus der Hand, und trocknete mir die Augen. – »Und was ist denn,« fuhr ich kleinlaut fort, »aus dem Quacksalber geworden?« – »Man ließ ihm,« antwortete Sabathier, »die Wahl, sich nach seinen Verdiensten entweder bestrafen, oder belohnen zu lassen – entweder mit einem Wahrzeichen an der Stirn das Reich zu räumen, oder in demselben – Mäuse zu fangen. Er entschloß sich zu letzterm, unter der Bedingung, die man ihm gern zugestand, daß er den Doktortitel fortführen dürfe, den er in Erfurt gekauft habe. Er ist bei den hiesigen Hanf- und Taumagazinen angestellt, wo er gewiß von Nutzen seyn wird.« – Ich läugne nicht, Eduard, diese Nachricht machte mir Freude. Nicht, als ob ich gerade sehr stolz darauf gewesen wäre, durch meine unschuldige Vermittlung einen solchen Landsmann in Königlich Französische Dienste gebracht zu haben; sondern weil es mir, bei meiner ewigen Spekulation über die Bestimmung des Menschen, wohl thut, wenn ich einmal auf einen treffe, dem das Schicksal die seinige so deutlich anweist als diesem. – Uebrigens mußte es mir wohl auf alle Weise lieber seyn, daß der Zufall, neben vieler meiner Mitmenschen Erhaltung, nur den Tod der Mäuse mit meiner Genesung verkettet hatte, als umgekehrt – wie das bei vornehmern Kranken als ich bin wohl manchmal der Fall seyn mag.

»Sehen Sie,« fuhr Sabathier fort, »so ist alles in seiner Ordnung. – Der Verzug meiner Reise ist mir hinlänglich durch das Studium Ihrer Krankheit bezahlt: denn schwerlich werde ich in Edinburg eine versäumt haben, die aus mehrern Fehlern gegen die Diätetik zusammen gesetzt, aus so bösartigem Stoff entwickelt, den Nachforschungen [222] eines Arztes würdiger und mir belehrender gewesen wäre, als diese. Auch soll sie mir bei meiner Aufnahme in die dortige Akademie zu einem sonorischen Perioden in meiner Antrittsrede verhelfen.« – Ich machte – einfältig genug – meinem medicinischen Freunde für dieses Lob meiner Krankheit eine tiefe Verbeugung, als ob er mir eine Schmeichelei gesagt hätte, erschrak über diesen neuen Mißgriff meiner Eigenliebe, und stotterte nun voller Verlegenheit: – »Ihre Rechnung im Gasthofe werden Sie mir doch..« – »Diese,« fiel er mir in's Wort, »ist durch den braven Mann berichtigt worden, der mich mit Ihnen in Verbindung gesetzt hat.« – »Lieber Sabathier,« drängte ich mich jetzt näher an ihn, »Sie dürfen mich nicht verlassen, ohne mir den Schutzengel genannt zu haben, bei dem ich in einer so großen Schuld stehe, und die ich durchaus abtragen muß, wenn ich ruhig werden soll.« – »Ich würde es gern thun,« versetzte er, »hätte seine uneigennützige Tugend mir nicht Stillschweigen geboten. Wir wollen dem wackern Manne seinen eigenen Gang lassen, und uns im Stillen begnügen, eine Seele zu bewundern, die sich über das Geräusch menschlicher Beifalls-Aeußerungen des Danks und den Schimmer ihrer eigenen Seltenheit erhaben fühlt.« – »O mein Freund,« erwiederte ich voller Betrübniß, »wie gern möchte ich dieser übermenschlichen Tugend huldigen! – Aber ich kann – wahrlich ich kann nicht. Eine so heldenmüthige Verläugnung der allen Herzen angebornen Schwachheiten erweckt«.. – ich hielt inne. – »Was erweckt sie denn?« fragte Sabathier – »Den Verdacht, von dem ich meinen Wohlthäter gern frei sprechen möchte, eines übermäßigen Stolzes, der seine Blöße nur desto künstlicher versteckt, je lebhafter sein geheimer Wunsch ist, daß die Neugier sie enthülle. Eine Größe, die andere Menschen so sehr verkleinert, ist nicht nach meinem Geschmacke. Die Gleichgültigkeit des Unbekannten gegen meinen Dank ist sehr demüthigend, und ich fühle es wahrlich auf das schmerzhafteste, wie viel Unbarmherzigkeit in seiner Großmuth liegt.« – »Oder wie viel Schonung,« sagte Sabathier lächelnd, umarmte mich noch einmal zum Abschiede, bat sich ein Empfehlungsschreiben nach Leyden an Jerom aus – [223] und unter tausend Segnungen, die meiner stammelnden Zunge entströmten, eilte er in sein Zimmer den Anstalten seiner nahen Abreise zu.


Kaum war er fort, so stützte ich meinen Kopf auf den Arm. – »Schonung?« wiederholte ich, »was will er mit diesem räthselhaften Worte?« und es beschäftigte mein Nachdenken bei einer halben Stunde. Ich wollte lange nicht daran, die Erklärung als wahr anzunehmen, die sich mir aufdrang; aber, so wenig sie auch Schmeichelhaftes für mich enthält, so bleibt mir doch keine andre übrig. Der Unbekannte, stelle ich mir vor, mochte es wohl nach seiner Eigenheit eben so sehr für Pflicht halten, so lange ich krank lag, mir beizustehen, als mir aus dem Wege zu gehen, sobald ich gesund ward. Die Beichte meines hitzigen Fiebers – ob das nicht wohl auch bei andern Ohrenbeichten manchmal der Fall seyn mag? – hat ihm wahrscheinlich nichts weniger als Neigung gegen mich eingeflößt, und in dieser Rücksicht verräth seine stillschweigende Entfernung unstreitig eine seltene Schonung. Ein eifriger Katholik, – mein Gott, – kann ja unmöglich einen Menschen lieben, schätzen und seiner Freundschaft werth halten, der die heilige Klara von Montefalcone mit ihren drei Blasensteinen verspottete, den Papst Alexander zur Hölle verwies, und selbst bei dem Anblicke der drohenden Ewigkeit keine Reue fühlte, Mariens Strumpfband vertauscht zu haben. Ich darf froh seyn, daß der gute Mann meiner Rettung schon den Schwung gegeben hatte, ehe er erfuhr, wie wenig ich ihrer werth sei. Mir thut es zwar weh, daß zwei Herzen, die bereits einander so nahe waren, durch solche Windstöße wieder getrennt werden mußten; aber was kann ich dafür?

Um jedoch den Druck meiner Dankbarkeit los zu werden, will ich zum Ersatz meiner Schuld ein Geschenk in das Hospital schicken, und es als eine Nothhülfe, die ich gegen den sonderbaren Heiligen nehme, der Versteckens mit mir spielt, in dem Wochenblatte anzeigen lassen. Das, hoffe ich, wird nach seinem Sinne seyn. – Edler Sabathier! – Liebenswürdiger Jerom! Dächten alle Menschen wie ihr und ich, wie leicht würde es werden, die drei Religionen [224] denen wir anhängen, unter Einen Hut zu bringen! Wie geehrt fühle ich mich in diesem Augenblicke, wo ich durch einen Zug meiner Feder eure beiden verwandten Seelen vereinigen soll! – Doch da kommt mir ein Briefchen von Saint-Sauveur dazwischen, das ich erst lesen muß. –


Das war ein thätiger reichhaltiger Morgen! Meine dringenden Geschäfte auf der vorigen Seite sind nun alle besorgt, und ich wende meine Augen, die unter blendenden Thränen den guten Sabathier abfahren sahen, wieder nach Dir, mein Eduard, der mir sie von jeher immer am geschwindesten getrocknet hat. – Es ist zwei Uhr. Nur noch einige Zeilen, und ich unterwerfe mich sodann ganz sorgen-, gedanken- und willenlos der Leitung des reichen, romanhaften Marquis, dem meine Nachkur übertragen ist. Sein Wagen erwartet mich; seine heutige Ordre liegt vor mir. Geht er auch so ziemlich mit mir um wie mit einer Sache, – ich lasse mir alles gefallen, ob mir gleich nicht alles gefällt; so kirre hat mich leider das Mißtrauen gemacht, das mir Sabathier gegen die eigene Aufsicht meiner selbst in den Kopf gesetzt hat. Da will er, zum Beispiel, daß ich heute nach Tische eine Lustreise mit ihm antrete, die eine Hälfte des Weges im Wagen, die andere zu Fuße, nach seiner Bastide, die drei Stunden von hier und auf der Straße nach Toulon zu liegt, wohin ich ihn morgen früh begleiten soll. Mit diesem Herumstreifen würden, wie er mir vorrechnet, die nächsten vier Tage bis auf den bewußten Sonnabend verstreichen, den er mir schon gestern zu meiner Wallfahrt nach Cotignac frei gab. Diese Eintheilung meiner Woche ist mir nur halb recht, Eduard; Alzire wird heute, morgen wird Mahomet aufgeführt, und ich soll, statt dieser trefflichen Schauspiele, einem so widrigen Dinge nachgehen, als mir eine Bastide ist, um dort meinen Wettlauf nach Gesundheit anzufangen. Der gute Mann bedenkt nicht, daß ich kaum von einem hitzigen Fieber genesen bin. – Den Tag darauf nach Toulon. Festungen sind mir aber fast so sehr zuwider als Bastiden. Lieber Saint-Sauveur! ich hätte mir von deinem Ueberraschungs-System etwas besseres versprochen, und ich zweifle, ob [225] Sabathier dergleichen Recepte zu meiner Nachkur billigen würde. Dieses abgerechnet, hätte ich gar nichts dawider, auf einige Zeit aus meinem häuslichen Zirkel heraus zu treten, der mich mechanisch in die Tage zurück zaubert, die ich doch gern vergessen möchte. Der überflüssigste Theil desselben, die beiden Puppenspieler, haben durch ihr Verplaudern meiner Historie mit Klärchen vollends ihr Bißchen Kredit bei mir verloren; und doch scheinen sie gar nicht zu ahnden, wie unerträglich sie mir sind. Da unterbrachen sie mich erst vorhin mit dem possenhaftesten Anstande in meiner Schreiberei, um mich über einen Einfall zu Rathe zu ziehen, der ihnen eine frohe Zukunft verspräche. – »Elektra,« – hub der Prologus an, – »Geht zum Henker,« fuhr ich sie an, »mit eurer Elektra, und putzt dafür meine Schuhe!« – Auch Bastian, der gute Kerl, macht keinen Eindruck mehr auf mich mit dem Gesichte seiner Schwester; dafür erinnert er mich aber desto lebhafter an die ekeln Chinapulver, die er mir dutzendweise eingerührt hat. Es ist mir immer, so oft ich ihn ansehe, als ob ich einnehmen müßte. So wunderlich es von mir wäre, ihm dieses zum Vorwurfe zu machen, so bin ich doch froh, daß er mir einige Tage aus den Augen seyn wird. Er kann unterdessen hier mit dem Wirthe zusammen rechnen; und sich mit den Anstalten zu meinem Aufbruche beschäftigen, den ich zu Anfange künftiger Woche festgesetzt habe. Die Freundschaft Saint-Sauveurs würde mich in jedem andern Lande zurückhalten; aber das hiesige Klima verstattet mir keine Weile, und drängt und treibt mich wie einen Storch nach meinem deutschen Schattenneste; ach es würde meine spröden Knochen vollends zu Pulver zerreiben, wenn ich hier bliebe. Daß ich nicht denselben Weg, auf dem ich herkam, zurück nehmen werde, kannst Du wohl – ohne selbst mein Tagebuch betrübten Andenkens gelesen zu haben – bei einem neugierigen Reisenden voraus setzen, ob Dir gleich jenes noch ganz andere Aufschlüsse darüber vertrauen würde. Nein! ich gedenke über Holland und mein geliebtes Leyden heim zu gehen, ohne Avignon, Straßburg und Bruchsal nur in Gedanken zu berühren. In drei Wochen – ach Gott! kann ich bei Jerom seyn, und selbst, wenn Sabathier so langsam fortreist, als er anfing, eher sogar als [226] er und mein Brief. Das habe ich mir an den Fingern abgezählt, als ich ihn schrieb, und sie mir vor Freuden verbrannt, als ich ihn zusiegelte. So gar viel Papier werde ich nun wohl nicht mehr verthun. Ein halbes Buch, denke ich, soll hinreichen, bis ich Dir in Berlin meine schreibselige Feder zu Füßen lege.


Das in halbdunkeln Tinten trefflich gemalte Zimmer, in welchem mich Saint-Sauveur diesen Mittag aufnahm, war ganz der rührenden Stimmung angemessen, die ich mitbrachte, und in der er mich – Gott weiß wie er das anfing! – drei Stunden, bis wir in's Freie kamen, zu erhalten verstand. Es gehört ein Wirth dazu, wie Er war, damit ein Gast, wie ich bin, nicht bei Tische den Abgang eines dritten bemerkt. Die hellen Wahrheiten, die zarten Berührungen der Seele, die menschenfreundlichen Aeußerungen, die in sanften Adagiotönen seinen Lippen entflossen, und die Gutmüthigkeit, die aus seinen liebenden Augen wiederschien, erquickten mein schmachtendes Herz mit dem so lang' entbehrten Vollgenusse eines, in der edelsten und weitesten Bedeutung des Worts, guten Gesellschafters. Er überraschte mich an dem heutigen Mittage um vieles angenehmer noch als an dem gestrigen – nicht durch die neu ersonnenen Gerichte, die er mir vorsetzte, sondern durch die Menge feiner und erhabener Empfindungen, denen er in meiner Seele mit Sokratischer Entbindungskunst Luft machte. Sie schienen mir, wie Vertriebene, die sich unter einer tyrannischen Regierung versteckt hielten, von weitem herzukommen, einander zu ihrer Erhaltung Glück zu wünschen, und das Fest ihrer Wiederkehr in der alten Hütte zu feiern, aus der sie sich so lange verdrängt sahen. So sehr ich auch jetzt hinterher mich gerecht genug fühle, das Uebergewicht seines Geistes in dem warmen Gespräche, das sich unter uns entspann, anzuerkennen, so wußte er doch während desselben den Schwerpunkt so geschickt zu vertheilen, daß es mir vorkam, wir hielten einander vollkommen die Wage. Sein Herz schien, schmeichelhaft für mich, vorauszusetzen, es werde von dem meinigen verstanden. Die Blitze, die sein Witz von sich warf, spalteten sich so leicht an dem Prisma des meinigen, mit welchem [227] ich sie auffing, daß ich nur meiner Kunst den schönen farbigen Strahlenkreis zuschrieb, den es hervorbrachte. Ich hörte ihm so lange mit dem lautersten Vergnügen zu, als mir noch seine Unterhaltung Veranlassung gab, mir eine Verbeugung über meine tiefen Einsichten und mein zartes Gefühl zu machen.

Auf einmal aber trieb mich eine Kleinigkeit von dem erhabenen Standpunkte herunter, auf den mich meine Eigenliebe gestellt hatte. Wir sprachen eben von dem Hange zweier gleich gestimmter Herzen, die, indem sie wie Magnete einander anziehen, auch, wie diese, alles Ungleichartige von sich abstoßen, und ungenutzt ihre Kraft in sich verzehren, wenn sie auf keinen Gegenstand treffen, der in ihren Wirkungskreis taugt. Ich gefiel mir außerordentlich in diesen zugespitzten Einfällen, die ich vorbrachte, und gerieth darüber so in Feuer, daß ich nicht gewahr ward, was neben mir vorging – nicht eher sah, daß der Mundschenk eine Flasche Champagner lüftete, bis der Schall des heraus getriebenen Korks – bis der Name Sylleri – bis das schäumende Glas, das er mir vorhielt, sich meiner Einbildungskraft schon bemeistert, und mich sechs Wochen zurück in das Bacchanal versetzt hatten, das ich am achten Januar mit jenem Gesindel feierte, das leider nur allzu magnetartig auf mich gewirkt hat. Heftiger kann in einer belagerten Stadt ein spielendes Kind nicht erschreckt und aus der Wiege geworfen werden, wenn das feindliche Signal in die Höhe steigt und der allgemeine Sturmlärm nachfolgt, als ich in diesem Augenblicke der widrigsten Erinnerung. Mag Dir diese Vergleichung noch so poetisch vorkommen, sie ist darum nicht weniger treffend und wahr. Ich fühlte mich von dem unglücklichen Bilde, in welchem ich mich wie in dem niedrigsten Stücke von Teniers abgemalt sah, so gepreßt, daß mir die Lippen bebten, und mein Auge in Thränen stand, noch ehe der Schaum im Glase zerronnen war. Armer Wein, seufzte ich im Stillen, der auf demselben Berge gewonnen, vielleicht auf demselben Stocke mit jenem gereift ist, der mir das häßliche Herz einer Heuchlerin enthüllte! Wäre mir dort dein Aufbrausen nicht ekel, dein Name nicht zum Mißlaute geworden, wie süß würdest du hier an der Seite eines edeln Freundes, mir schmecken, und [228] mit welchem Feuer würdest du meine Lobrede auf die gesellige Tugend beleben!

Saint-Sauveur, ob er gleich meine innere Bewegung gar nicht zu bemerken schien, kam ihr doch auf das thätigste zu Hülfe; denn er unterbrach mein angreifendes Selbstgespräch, indem er den Stuhl rückte und aufstand. Es ist die leichteste Art, der Seele eine andre Richtung zu geben, indem man dem Körper eine andre anweist. Der Unterschied, ob mich der Wind von der oder jener Seite anbläst, ob ich rechter oder linker Hand an meinem Schreibetische sitze, ob ich in einen Garten oder in einen Kirchhof blicke, bewirkt bei mir, wo nicht eine gänzliche Umschaffung meiner Denkungsart, doch eine merkbare Verschiedenheit der Begriffe. So ging es mir auch dießmal. Der Zauber, der mich nach Avignon versetzte, schien nur innerhalb des Zirkels meines Stuhls zu liegen. Sobald ich über ihn hinaus in das Fenster getreten war, will ich zwar nicht geradezu behaupten, daß ich mich meiner reuvollen Empfindungen schämte, aber ich bekam doch Fassung genug, den ganzen Auftritt für einen seltsamen Beweis der Nervenschwäche auszugeben, die mir noch von meiner Krankheit anhing, und mein Freund war auch so gut, es für bekannt an zunehmen. – »Wenn dich nur,« sagte er scherzhaft, indem er zugleich befahl, daß sein Phaëton vorrücken sollte, »der Lärm nicht zu sehr erschüttert, den jetzt die schlagenden Nachtigallen in dem Birkenwalde treiben, wohin ich dich führen will.« – Das brachte mich auf einmal aus meiner weinerlichen in eine bitter spaßhafte Stimmung. – »Birkenwald? Nachtigallen?« fing ich mit spottendem Tone seine Worte auf, »das klingt ungefähr in diesem Lande so hohl, als wenn man in Novazembla von Schmetterlingen und Orangen spräche.«

Ich habe gewiß schon in meinem Leben witzigere Einfälle gehabt, und beißendere Antworten ausgetheilt, als diese war, ohne mich ihrer zu rühmen; besonders seitdem ich bemerkt hatte; daß ein Bonmot Dienstags eine ganze Gesellschaft belustigen konnte, welches Mittewochs, wenn es der Erfinder als bewährt in andere Häuser herumtrug oder in seine Schriften aufnahm, gleichgültig angehört und gelesen wurde. Der scharfsinnige Herr mochte noch [229] so genau Zeit, Gelegenheit und Umstände seines Epigramms angeben, keine Seele bekümmerte sich um den kleinen Balg, sobald er über die Geburtsstunde hinaus war. So würde ich also auch dießmal meine spitzige Gegenrede gar nicht erwähnt haben, hätte sich nicht ihr schlaffer Stachel eine Stunde nachher gegen mich selbst gekehrt, und mir eine Beule zugezogen, die ich nicht anders zu heilen wußte, als daß ich sie, unter großen Schmerzen, aufstach. Gott bewahre doch jedermann vor witzig-üblen Launen! Ich konnte der meinigen nicht mehr Herr werden. So abschmeckend sie Anfangs war, eine so laugenhafte Schärfe nahm sie an, als wir bei dem Schauspielhause und der bunten Menschenmenge, die dahin strömte, vorbei fuhren; und sie ward noch beißender, als wir unter die Frachtwagen auf der staubigen Chaussee geriethen: denn, statt es lieber gerade heraus zu sagen, wie ungern ich heute die Stadt und Alziren um die Bekanntschaft einer Bastide vertauschte, gab ich es durch mein Bezeigen auf eine viel auffallendere Weise zu erkennen. Ich schmiegte mich quer über in die Ecke des Wagens, drückte meinen runden Hut in die Augen, und bei jeder Staubwolke, die aufstieg, hielt ich Mund und Nase so geziert zu, als ob die Sandstraßen um Berlin mit Teppichen belegt wären. Jeder Sonnenstich schien ein Epigramm in mir zu entwickeln, und mir zu einer sinnreichen Anspielung zu verhelfen, die den kontrastirenden Unterschied meines fruchtbaren Vaterlandes mit der dürren Provence auf die ungesuchteste Art, wie ich glaubte, in das Licht setzte. Indem ich mich mit meinem Handschuh fächelte und mir den Hals lüftete, sprach ich entweder von den schattigen Alleen, die nach Charlottenburg führen, oder erinnerte meinen Freund an unsere kleinen Soupers in den Lauben zu Sanssouci. Ich war wie ausgetauscht, Eduard, fühlte in meiner Ungezogenheit weder den scharfen Verweis, der in dem Stillschweigen des Marquis lag, noch ließ ich mich durch den Gedanken, wie er doch nicht mehr, als sein Land erlaube, zu meinem Zeitvertreibe gewähren könne, so wenig irre machen, daß ich endlich sogar Hagedorn und Kleist zu Hülfe nahm, um die große Wahrheit zu bestätigen, daß nichts in der Natur an Reiz über den Eintritt des Frühlings in Deutschland [230] und unsern Maimonat ginge. Das Blut trat mir bei dieser vaterländischen Erinnerung in das Gesicht. – Ich blickte wild meinem Freund in die Augen. Er faßte mich bei der Hand und: »Was ist dir, lieber Wilhelm?« fragte er verwundert. – »O der herrlichen Dichter!« antwortete ich mit beschwerter Stimme. »Sie haben das Bild des Mais mit einer solchen Gewalt in mir rege gemacht, daß ich dich bei Gott versichern kann, lieber Saint-Sauveur, ich glaubte in diesem Augenblicke jenen Monat erreicht zu haben, unsre Frühlingsvögel zu hören, und den balsamischen Duft unsrer jungen Birken zu athmen. Eine lebhafte Einbildungskraft ist doch eins der wichtigsten Geschenke Gottes. Sie weiß dem Betrug die Gestalt der Wahrheit zu geben, und unsre Wünsche in wirklichen Genuß zu verwandeln.« – »So wie sie,« fiel mir Saint-Sauveur in das Wort, »die auffallendste Wahrheit zu Betrug herabwürdigen kann.« – Dieser Einwurf meines Freundes war so paradox, daß ich ihn unmöglich ungerügt hingehen lassen konnte. – »Ein ganz neuer Satz,« sagte ich höhnisch: »aber wo ist der Beweis dazu, lieber Marquis? Willst du ihn führen?« – »Ja,« war seine bestimmte Antwort; und wahrlich, Eduard, er führte ihn, und wie? Ganz nach seinem gestrigen System: denn nie hat mich ein philosophischer Beweis durch eine angenehmere Evidenzüberrascht als dieser. Die Wendung deren er sich dabei bediente – sehr verschieden von den Subtilitäten der Scholastik – kam aus seiner und seines Kutschers Hand, an dessen Arm die Schnur befestigt war, die er anzog. Ein Griff in den Zügel, ein Hieb mit der Peitsche, und seine Behauptung – ich hätte vor Scham vergehen mögen – war vollständig erwiesen. Was ich eine Minute vorher für Magie der Einbildungskraft hielt, war Wirklichkeit. Ich hörte die Nachtigallen mit meinen körperlichen Ohren, und zog die besungene deutsche Mailuft mit beiden Lungenflügeln in mich – denn – hier siehst Du die Beule, die ich aufstechen muß – wir befanden uns, wie durch einen Zauberstab, in eine lange Allee von hundertjährigen Birken versetzt.

Ich konnte in der Fülle meines Erstaunens nicht zu Worte kommen, so gewaltig sie sich auch bis zu meinen Lippen vordrängten, [231] war lange verloren in meinem Gefühl, ehe meine scheuen Blicke sich an meinen Freund wagten, und um Vergebung des Unsinns der vergangenen Stunde anflehten. Er verstand sie: aber er bestrafte mich nicht durch Gegenspott, so sehr ich ihn auch verdiente, sondern durch Güte. – »Reisende,« sagte er mit freundlicher Stimme, »sollten nie absprechende Urtheile über ein fremdes Land fällen, bis sie nicht alle seine Winkel durchkrochen haben. Könnte ich dich doch, lieber Wilhelm, von allen deinen kleinen Vorurtheilen so glücklich heilen, als es mir bei diesen gelang! denn sie hauptsächlich sind es, deren Kur mir Sabathier überlassen hat. Wie froh bin ich, daß ich dich bis jetzt ruhig in deiner trotzigen Lage erhalten konnte! Ein einziger Blick deiner Augen neben der Querlinie, auf der sie hinstarrten, würde dir schon von weitem das Ziel der Belehrung, die ich dir aufhob, entdeckt, und ihre gute Wirkung und deine Epigramme geschwächt haben. Jetzt blicke nur, ohne dich weiter zu schämen, an diese hohen Birken hinauf. Giebt es wohl in Charlottenburg ihres gleichen? Siehe, mit welcher Pracht unsere immer grünende Eiche sich hier ausbreitet. Wie reich würde sich euer König dünken, wenn ein solcher Fremdling seinen Park verschönerte! Sättige dein Auge an unserem Besenreisig, an dem gelb blühenden Geniste, das als eine Seltenheit in euern Gewächshäusern gepflegt wird, bade dich in dem Aushauche unserer würzhaften Kräuter, und gestehe, – ich verlange keine andere Genugthuung – daß euer Wonnemonat nicht reizender sein kann als unser Hornung.« – Es hätte mir die hartnäckigste Vorliebe meiner Heimath so fest in dem Herzen sitzen müssen als einem Lappländer, wenn ich nur ein Wort gegen die offenen Beweise und die billige Forderung meines Freundes hätte vorbringen wollen. Seitdem ich Athem schöpfe, hat mich von allen den Maitagen, die ich in Deutschland erlebte, keiner in ein solches Wohlbehagen versetzt, als die gegenwärtige Stunde. Das konnte ich ihm mit Wahrheit sagen. Es war seit meiner Krankheit der erste Ausflug ins Grüne, und die Sinnlichkeit hatte ein desto leichteres Spiel, da die Saiten, die sie rührte, frisch aufgezogen und zur Freude gestimmt waren. In dem sultanischen Gefühle eines mühelosen Genusses lag ich in dem [232] schaukelnden Phaëton, freute mich der wohlriechenden Bogengewölbe über mir und des begleitenden Gesangs der Vögel, wovon ich bei dem gehemmten Trabe der Pferde keine Note verlor. Wie ein kraftvoller Jüngling, dem ein langes frohes Leben vorliegt, sich am Ausgange desselben seinen nebligen Grabhügel als eine Ruhebank denkt, die seiner Ermüdung wartet, so blickte auch ich auf den geraden breiten Weg hin, der sich durch den unabsehlichen Wald zog – dachte mir an dessen Ende die enge heiße Bastide meines Freundes, zwar nicht als einen Lustort, aber als eine Schlafstäte, die mir desto erträglicher vorkam, je später ich sie zu erreichen hoffte. War es also nicht Schade, daß dieses wollüstige Hingeben meiner selbst, diese auf Genuß und Zeitgewinn gezogene fröhliche Rechnung, durch eine Grille des Marquis gestört wurde, zu der ich mir noch dazu vorwerfen mußte, ihm die erste Veranlassung gegeben zu haben?

Er befahl seinem Kutscher zu halten, blickte mir in meine sanft hinsterbenden Augen, und nöthigte mich doch unter folgendem Gespräche aus dem Wagen. – »Guter Wilhelm! wenn ich dich so über der Natur brüten sehe, sollte es mir beinahe leid thun, dich von deinem behaglichen Neste aufzuscheuchen.« – »Wie so, lieber Marquis?« – »Ja nun, hier müssen wir uns auf die Füße machen und einen andern Weg suchen.« – »Einen andern Weg? Wohin denn?« – »Nach meiner Bastide. Du denkst doch wohl nicht, daß sie am Ende der großen Allee liegt? Das wäre der Rede noch einmal werth.« – »Das – bester Mann – habe ich wirklich geglaubt.« – »Nun so hattest du dich wieder einmal in dein Vaterland verflogen. Ein Schlag von Sommerhäusern wie die unsern, und eine prächtige Deutsche Allee zum Zugange würde gut passen.« – »Aber, ums Himmels willen, wie kommt man denn zu deiner Bastide?« – »Eigentlich, lieber Freund, auf der Chaussee, die wir halben Weges verlassen haben; kürzer aber um vieles, wenn wir uns hier seitwärts, so gut es gehen will, durch das Gebüsch helfen. Es kommt auf eine böse Viertelstunde an, so treffen wir auf einen verlassenen Steinbruch, hinter welchem meine kleine Besitzung liegt. Ich habe ihn kürzlich dazu gekauft, ihn vollends [233] durchbrechen lassen, und mir dadurch einen weit nähern Eingang verschafft, der nur einige äußere Verzierung bedarf, um als etwas Rechtes in die Augen zu fallen. Da sind mir nun eine Menge Plane durch den Kopf gegangen, ohne daß ich noch mit mir einig geworden bin. – Du kamst mir wie gerufen. Dein Ausspruch soll entscheiden. Das beschloß ich gestern vor dem Hause des Italienischen Baumeisters, bei dem du in der Lehre gewesen bist, legte deßwegen Beschlag auf dich und deine Talente, und rechnete auf deine Vergebung, wenn ich dich mit dieser Spazierfahrt überlistete, trotz der Alzire, die dich beinahe mir abwendig gemacht hätte. Du siehst, daß ich meine eigennützigen Absichten gar nicht beschönigen will. Wie leicht könnte ich sie sonst hinter deine Nachkur verstecken! In Rücksicht dieser müßtest du mir noch danken, daß ich dein welkes Gesicht an die Sonne gebracht habe.« – »Hol der Henker seine kahlen Entschuldigungen,« murmelte ich in den Bart; »die machen weder seinen Antrag noch den Gang besser. Meine Talente? Das ist eine triftige Ursache! Ihretwegen konnten wir sitzen bleiben.« Und so stieg ich aus.

Es ist doch in Wahrheit eine Verlegenheit wie es nur eine giebt, wenn man durch unverdientes Zutrauen anderer zu unsern bessern Einsichten sich mit seiner Ignoranz aus einem schönen gebahnten auf einen so holprigen, verwachsenen Weg gedrängt sieht, als der war, den wir jetzt einschlugen – um am Ende eines ermüdenden Gangs oder einer verlornen Lehrstunde seinem Gönner darzuthun, daß er sich in der Wahl unser geirrt habe. Mit hundert Dingen in der Welt bin ich in dergleichen Gedränge gekommen; aber mit der Baukunst widerfuhr es mir heute zum erstenmal. Bei allem dem fehlte es mir am Entschlusse, meiner falschen Scham herzhaft entgegen zu treten, mich aufs Maul zu schlagen, und mir durch ehrlichen Widerruf einen Ausweg zu bahnen. Das wäre unstreitig das klügste gewesen: aber es fiel mir nicht bei, und um so viel weniger, als mich schon jede unerwartete Aufforderung so aus der Fassung bringt, daß ich mich immer auf das verkehrteste dabei benehme. Wenn ich ja etwas ähnliches von Jean Jacques habe, so besteht es darin. Fragt man doch wohl bei mir [234] zehnmal umsonst nach Dingen, die ich im Schubsack trage, geschweige bei solchen, die man gütigst voraussetzt. Geht jemand zum Beispiel in der Gesellschaft – und wie oft geschieht das nicht! auf mich los: »Sagen Sie mir doch, mein Herr – Sie, als ein Litterator, als ein Dichter, als ein Hofmann, müssen ja das am besten wissen ...« so weiß ich es gewiß nicht, und wenn es das Einmal Eins wäre.

So betroffen, daß ich mich nicht besinnen konnte, schlich ich denn auch hier dem Marquis nach, ritzte mich in allerlei Dornen, lernte alle Gattungen von Kletten und Nesseln der Provence kennen, und nach manchen Fehltritten, die mich aufhielten, sah ich denn endlich auch an dem unförmlichen Steinbruche, der die Mitte einer Gebirgkette einnahm, die nach allen Seiten hin die Gegend sperrte, jene schwere Aufgabe liegen, die ich zu lösen beschieden war. – »Nun, was meinst du?« fragte der Marquis, und blickte mir forschend in die Augen, die ich geschwind in Ordnung gebracht hatte, und dann den Felsen so listig nachdenkend anstarrte, wie dieser und jener eine Skizze von Raphael. Da stand ich nun wie am Pranger, und brachte nach einer ängstlichen Weile doch nur ein paar abgebrochene Worte hervor. – Ob ich wirklich die Ausrottung des nahen Gesträuchs zur Gewinnung eines Vorplatzes und die Erweiterung des Berggangs in Vorschlag brachte, lasse ich dahin gestellt seyn; es war wenigstens der Sinn, den Saint-Sauveur meiner verworrenen Rede unterschob und mit seinem Beifall beehrte. Er hätte mir jede andere Meinung andichten können, ich würde sie in der Verlegenheit für die meinige erkannt haben – »Wenn diese nothwendige Vorkehrung,« fuhr ich nun schon mit festerer Stimme fort, »getroffen ist, würde ich das Portal mit zwei Toskanischen oder lieber noch Korinthischen Säulen verzieren, und oben darüber eine Marmortafel mit einer passenden Inschrift aus dem Virgil oder Horaz setzen lassen: O rus, zum Beispiel, quando te adspiciam, oder so etwas dergleichen.« – »Das läßt sich hören,« sagte mein Freund; »nur will ich dich bitten, lieber Wilhelm, wenn wir ins Haus kommen, mir deine Idee durch eine kleine Handzeichnung deutlicher zu machen: denn aufrichtig zu gestehen, [235] weiß ich nicht einmal, wie sich die Toskanische Säulenordnung von der Korinthischen unterscheidet.« – Unter uns, Eduard, war das eben auch mein Fall! – »Ich bin,« fiel ich ihm ins Wort, »in architektonischen Zeichnungen seit einigen Jahren ganz aus der Uebung.« – »Nun gut,« erwiederte er, »so thue mir nur den Gefallen, deinem Italienischen Lehrmeister den Riß anzugeben, wenn wir wieder in die Stadt kommen. Einstweilen laß uns auf jenem bemoosten Stein ausruhen, und uns über dieses Gebirge hinweg in dein prächtiges Sanssouci zaubern. Ich sitze oft Stunden lang in meinem beschränkten Gärtchen, und weiß mir es in Gedanken durch die malerischen Aussichten zu erweitern, die mir vor neun Jahren dein Vaterland öffnete.«

Der gute Saint-Sauveur! Er hätte mir zur Erholung von meinen Baugeschäften nichts dienlicheres bieten können. Ich ward Dir auf einmal so beredt und anmaßlich, als ich mich kurz vorher, verlegen und gedemüthigt gefühlt hatte, und auch Er – ohne des Schaustücks seiner Birkenallee weiter zu erwähnen – irrte gutmüthig und heiter mit mir durch alle die niedlichen Sandgänge, die labyrinthisch unsere Berlinischen Lustgärten durchschlängeln, die sanfte Luft, die uns umwehte, war ihm nur ein Vehikel jener aromatischen Düfte, die unser Thiergarten seinen jüngern Wangen zuspielte, und die er damals nicht sinnlicher in sich ziehen konnte, als er sie jetzt durch die Organe derErinnerung einsog. Ach, wäre sie nicht, diese gutmüthige Begleiterin auf unsern Wanderschaften, so würde das längste Leben, wenn es einmal hinter uns liegt, nur ein verlornes Geschenk, und nicht viel besser als das Leben einer Mücke – eingeschränkt auf einen einzigen Tag seyn. – »Ein schöner wahrer Gedanke!« sagte der Marquis, als ich ihm solchen mittheilte. »Er soll uns, wie der Faden der Ariadne, durch den dunkeln Irrgang meines Vorgebirges leiten. Folge mir nur beherzt, lieber Wilhelm, und werde nicht mißlaunig über die hundert bösen Schritte, die du etwa noch bis zu meinem Sopha zu thun hast.«

Ich ergriff geschwind den Rockzipfel meines Führers, um seine Spur nicht zu verlieren, und tappte ihm nun, unsicher wie in der [236] Nacht, durch die kühle Bergkluft nach, die so im Finstern fortlief, daß ich den Ausgang für noch sehr entfernt hielt, als auf einmal – Gott im Himmel! wie ward mir zu Muthe! – eine Thür vor mir aufsprang, und mir – welch ein Uebergang von Blindheit zum Licht! – ein Thal – ein unübersehbares und so entzückendes Thal öffnete, daß mein äußerer Mensch durch die heftige Bewegung, in die mein innerer bei diesem unnennbaren überraschenden Anblicke verfiel, wie gelähmt davor stand, und mein Puls einige Sekunden stockte, ehe sich meine gen Himmel strebenden Hände erheben, und ein Strom von empfindsamen Thränen dem gepreßten Herzen Luft machen konnte. Ich habe dich oft, freundlich, schön und groß gesehen, mannigfaltige Natur, habe dich in der Pracht deines Schmuckes bewundert, den dir deine Freunde, und aus dem Flitterstaate gehoben, den deine Feinde dir anlegten; aber noch nie hattest du dich mir in deiner höchsten Herrlichkeit – nie zur Anbetung deines unermeßlichen Schöpfers in so unwiderstehlich anlockenden Reizen offenbart, als an diesem glücklichen Abende! Was faselte ich vorhin von Nachschmack des Vergangenen, von der Erinnerung eines Lebens, das hinter uns liegt! Mein Vaterland, die Stadt meiner Geburt sammt den jugendlichen Freuden, die ich jemals genoß – alles war jetzt aus meinem Bewußtseyn verschwunden. Ich fühlte nur das Gegenwärtige, und war ausschließend glücklich in ihm.

Bin ich denn der erste Reisende, der hierher kam? da ich mich keines erinnere, der dieses Elysiums der Provence gedacht hat. Sollte sich denn nie einer diesen Anblick, wie ich ihn genoß, erkauft, erstohlen, oder erschlichen haben, um ihn mit Farben oder mit Worten zu malen? Nein, Eduard, der Glückliche allein vermag es, der ihn, wie ich, als ein Geschenk aus der Hand der erfindungsreichen Freundschaft und als ihre geheimste höchste Gunstbezeigung erhält, – wenn anders die Verzweiflung über die Unzulänglichkeit menschlicher Sprache, die auch in meinen Adern kocht, ihm erlaubt diesen reinen Abdruck des Himmels zu schildern. Nur ein Mann, der aus der Fülle der Natur ihre rührendsten Stunden zu heben, und aus ihren flüchtig hinduftenden Tageszeiten die [237] Balsamtheile aufzufassen versteht, die am wirksamsten sind die Quetschungen der Seele zu lindern – nur ein Weiser, der die Sehnen und Fasern des menschlichen Herzens oft und mit Glück entwickelt, und die Einbildungskraft bis in ihre feinsten Blutgänge zergliedert hat – nur der edle Saint-Sauveur, der diesen Solitair von Felsen sein nennt, hat zu dem dahinter liegenden Heiligthum allein den Schlüssel. Man muß sein Freund seyn, um auf den Standpunkt dieses magischen Lichtes zu gelangen, in welchem, von allen Bewohnern dieses herrlichen Thals, er allein nur es zu zeigen im Stande ist. Kein menschliches Auge, es schweife und schwebe wo und über was es will, kann mehr Reize auf einmal umfassen, als das meine in dem Augenblicke, da ich, wie von der Erde in den Himmel gehoben, aus dem Felsen trat.

Die Scheibe der Sonne, als wäre sie allein für dieses Thal geschaffen, hing, zu ihrem Untergange geneigt, gerade vor mir. Ein breiter, schäumender, in die Tiefe stürzender Wasserfall schien ihr anzuhängen, und die letzten Goldmassen ihrer heutigen Spende zu übernehmen, um sie in flimmernden Körnern über das Abendbrod dieser glücklichen Thalbewohner zu streuen. Die Spitzen der hohen Berge, Träger des blauen Baldachins, der über der Königin schwebte, rötheten sich in ihrem Abglanz, und der Schimmer ihres Heimgangs flog zitternd über die unzähligen Gärten und Lusthäuser, die sich von allen Seiten in den sanftesten Abhang hinunter zogen. Der mit ihrem wallenden Lichte überschwemmte Teppich grünender Triften, der sich, so weit der Blick reichen konnte, in dem Grunde verbreitete, warf, mit den Gruppen ruhender Herden, in seiner unglaublich sanften Verschmelzung einen Wiederschein in die Höhe, der selbst ein sterbendes Auge noch würde erquickt haben. Die meinigen – ach! wie soll ich Dir das Wohlbehagen versinnlichen, in dem sie schwammen! – Alle bessere Empfindungen meiner Seele schienen sich gegen meine Sehnerven zu drängen, und aus ihnen Dank gegen Gott, Freude des Lebens und Zufriedenheit mit der Welt zu saugen. Wie liebt, wie ehrt man sein Selbst in solcher Stimmung! Wie gereinigt fühlt sich das Herz von allen verächtlichen Wünschen, die es in so seligen Augenblicken nicht einmal [238] zu begreifen vermag! O könnte ich den rauhen schmalen Eingang dieses Berges für mehrere Seelen zu einer so edeln Absicht benutzen, als mein trefflicher Freund durch ihn bei mir einzelnem Kranken erreicht hat! Ich würde seine dahinter ruhenden Geheimnisse durch ein vorgezognes Tuch so ganz versperren, wie sie es mir bis auf diesen Augenblick waren, und würde euch, meine Freunde und Bekannten, an einem Festtage auf einem Kreis von Rasenbänken um das Amphitheater dieser Steinmasse versammeln, euch, die ihr Stunden lang in euern Schauspielhäusern auf Bretern sitzt, und dem Zeichen entgegen lauscht, das den Vorhang heben soll, den ihr angähnt. Ach wie wollte ich euch, indem ich den meinigen aufzöge, durch den Hinblick in diese heiligen Hallen der verklärten Natur erschüttern, und wenn ich mich durch ihn, stärker als es kein Bußprediger, kein Dichter vermag, eurer Herzen bemeistert hätte, euch auf demselben Wege, den das meinige nahm, zurück in euch selbst, in die Gegenden führen, die ihr so wenig besucht habt als diese – in die Tiefen, wo noch manches Große, Gute und Edle ungeweckt schlummert! Mit welchem Erstaunen würdet ihr bemerken, wie die beiden euch unbekannten Gebiete der natürlichen Zufriedenheit und des sittlichen Gefühls, die ihr durch Künsteleien getrennt habt, zu einem und demselben Reiche gehören! Ihr würdet innigst gerührt mein großes Schauspiel verlassen, würdet nur Ekel an dem Prunk eurer Opern, vorzüglich aber ein reines Herz, durchdrungen von der Wahrheit, mit nach Hause nehmen, die wir zwar alle eingestehen, in dem tollen Beginnen unseres Uebermuths aber täglich und stündlich vergessen – daß der Mensch mit allen Pfauenfedern seines Stolzes und seiner Talente nur ein armseliger Stümper in seinen Nachahmungen und Schilderungen der unerreichbaren Natur, und ein undankbarer Schwächling gegen jenen fühlbaren und doch unbekannten Werkmeister sei, der die Sonne in seiner Gewalt hat, und die Kräfte des Universums leitet wohin er will. Doch, ist es nicht schon eine strafbare Thorheit, das Staubkorn gegen den Unermeßlichen zu wägen, das er, ohne zu achten wohin es flog, von dem Saume seines Kleides abblies – seines mit jenen Flittern, die wir Sonnensysteme, [239] Sterne und leuchtende Welten nennen, besetzten, ernsten, ewigen Kleides? –

Mein Freund, durch das Mitgefühl meines Entzückens, dessen Schöpfer er war, auf das innigste gerührt, reichte mir stillschweigend die Hand, um mich an dem Bande der eingebrochenen Abendröthe, die wie ein Brautgürtel dieses Thal der Freude umschlang, in seine Wohnung zu führen. Ich sah mich noch einmal nach dem Felsen um, und fand hier am rechten Orte den Plan der Verzierung, mit der ich die Gegenseite zu verkrüppeln gedachte, einfacher und edler ausgeführt, als ich ihn entwarf. Hier war der aus einem dunkeln Haine hervortretende Theil des Gebirges mit einem Portale bekleidet, das an den Janustempel erinnerte, der, von Numa erbaut, nur in einem Durchgange bestand. Seine Pforte, die von dieser Friedensseite nie geöffnet wird, schließt sich nur von innen armen Flüchtlingen auf, die, von äußern oder innern Stürmen aufgeschreckt, Wildniß und Einsamkeit suchen. Von dem Ungefähr und ihrem Mißmuth bis vor diesen Felsen getrieben, zittern sie scheu und gescheucht durch die Dunkelheit dieses Schlupfwinkels, und fallen – statt in einen Abgrund, den sie in ihrem Ingrimm wünschen und fürchten – fallen sie – ach wie sanft! – in die umschlingenden Arme der liebenden und tröstenden Natur! In diesem Sinne hat Saint-Sauveur, schon vor mir, manchen durch das Gaukelspiel der Welt verdrehten Kopf, manches kranke Herz, das seiner Besserung werth war, hierher verlockt, und durch einen Blick in dieß Thal und dieß Sonnenbad geheilt. Nie ist wohl eine romantische Anlage glücklicher ausgeführt und zu einem edlern Zwecke benutzt worden, als diese.

Mein Freund hatte nicht nöthig, und seine Gutmüthigkeit ließ es auch nicht zu, mich an meine Korinthischen oder Toskanischen Säulen zu erinnern: ich schämte mich schon selbst genug alles dessen, was ich seit gestern und heute Unwahres und Anmaßliches über Talente und Lehrmeister, Bastiden und Baukunst vorgebracht, und besonders der Kennermiene, mit der ich, im Widerspruch meines Bewußtseyns, gegen den Marquis groß gethan hatte. In dem Schlage jeder Nachtigall, auf jedem Schritte, den ich that, fand ich[240] meine verdiente Bestrafung. Unter hohen Akazienbäumen, die in diesem mit Bergen umzäunten Thale, wie in einem Treibhause, schon Schatten gaben und blühten, gelangten wir in die Wohnung meines lieben Begleiters, und traten in einen Saal, der selbst in seinen reichen Verzierungen das warme Herz des Besitzers und seinen unverdorbenen Geschmack verrieth. Rührende Gemälde der größten Meister sprachen hier zum Auge; mich zog aber noch zu sehr das mit meiner Seele verschmolzene Bild der Natur von allem ab, was Menschenwerk war. Ein Blick bald durch dieses, bald durch jenes Fenster, suchte noch einen Reiz von ihr hinter dem Florkleide zu erhaschen, das der Abend über sie herwarf, bis die verdickte Dämmerung sie ganz meinen Augen entzog, die Vorhänge an den Fenstern herab fielen, ein duftendes Mahl meinen Hunger weckte, und mich überzeugte, daß ich noch nicht so ganz zu den ätherischen Geistern gehöre, als mir mein beseligtes Herz gern weiß gemacht hätte.

»Iß nicht so hastig – trink mit Bedacht von diesem Wein – er reift auf jenen vergoldeten Bergen,« wiederholte mein Freund mehrmalen. Ich sah ihn lächelnd an, glaubte ihm zu folgen, aber Schwärmerei trat immer meinem Vorsatz in den Weg. Ich aß und trank wie ein Verliebter, und antwortete verkehrt auf alles, was nicht Bezug auf das Wunder hatte, das mir vorschwebte. – »Ich sehe wohl,« sagte endlich der Marquis, »ich bewirthe dich nicht, wie es dein Taumel verlangt. So laß uns denn von ihr sprechen, die sich durch einen Blick aller deiner Kräfte bemeistert hat. O du kennst die Göttliche noch nicht in ihrer größten Schönheit. Morgen – ist der Mensch nicht glücklich, der das zu einem andern Sterblichen sagen kann? – morgen will ich dir ein Schauspiel geben, das einen Gottesläugner bekehren würde. – Du hast wohl, als ein wahrer Berliner, gar nicht daran gedacht, daß die Sonne auch aufgeht?« – »Ja, Freund,« rief ich, und klatschte in die Hände, »das Schauspiel sollst du mir geben.« – »Ehe wir nach Toulon aufbrechen,« fuhr er fort ... – »Ach das abscheuliche Toulon!« fiel ich ihm in die Rede; »was sehe ich an seinen Bastionen, Galeeren und seinem Arsenal? Ich bitte dich, laß mich[241] hier, lieber Saint-Sauveur.« – »Ich glaube,« sagte der Marquis lächelnd, »die Bewunderung der Natur könnte dich, wie das Gebet einen Mönch, bis zur Unthätigkeit entzücken. Sie thut es schon jetzt. Du schwärmst von ihr und vernachlässigst sie, denkst nicht daran, sie in ihrem Nachtputze zu überfallen, und ihrem Busen noch einen Liebeskuß aufzudrücken, ehe sie einschläft.« – Ungeachtet meiner dichterischen Stimmung verstand ich den Marquis nicht ganz, bis der Wink eines Bedienten ihn von seinem Stuhl aufjagte, der Vorhang aufflog, und er mich in der schauerlich festlichen Minute an das Fenster stellte, wo der volle Mond in dem reinsten Ergusse seines Schimmers zwischen zwei Bergen herauf stieg.

Wie vorhängend in dem dunkelblauen Gewölbe, gleich einer aus Topas geschliffenen Lampe, blickte nicht dieser glänzende Körper, als ob er in der heutigen Nacht jede andere neben ihm spielende Welt von seiner Umarmung ausschlösse, auf seine kleine freundliche Thalschöne herunter, die, wie abgesondert von dem übrigen Erdballe, zitternd ihre verstecktesten Reize seinem liebkosenden Lichte zu enthüllen schien! – Das Säuseln des Abendwindes in den jungen Sprößlingen, Blättern und Blüthen, das dem Geräusch der Küsse, dem Lispeln der Liebe glich, und der Einklang des Wasserfalls in der Ferne – alles was ich sah, hörte und ahndete, traf einen Berührungspunkt in meinem der Natur geheiligten Herzen. Mit gefalteten Händen blickte ich in dieses nächtliche Fest. Ich konnte mich ungestört in Betrachtungen versenken; denn mein Freund, der neben mir stand, schonte schweigend meine zarten Empfindungen. Der Mond hatte schon viele Meilengrade seines Bogens durchlaufen – noch stand ich da, und sah ihm nach, und maß ihn, und lächelte ihm zu. Endlich riß ich mich los. – »Was für ein glücklicher Mann bist du!« wendete ich mich gegen meinen Freund mit schwacher Stimme, drückte ihm die Hand, und folgte der Kerze, die mir in mein Schlafzimmer leuchtete.

Ich war so vertieft in meine Mondsscene, daß ich den jungen Menschen, der mich bediente, nicht eher gewahr ward, als bis er mir meine Halbstiefeln auszog, die zwar von dem Dornenwege, durch den sie mir heute halfen, hier und da zerkratzt, übrigens [242] aber so wenig beschmutzt waren, daß selbst unser reinlicher Freund Jean Paul keiner noch so weißen Chemise würde gewehrt haben sich ihnen zu nähern. Ehe ich den Bedienten entließ, bat ich ihn, mich morgen ja vor Aufgang der Sonne zu wecken. – »Dafür sorgen Sie nicht,« antwortete er; »unser ganzes Haus ist alsdann munter vom Größten bis zum Kleinsten. So oft wir in dieß Thal kommen, versäumt gewiß keiner von uns fünfen, die stets um den Herrn sind, diesen rührenden Anblick. Wir waren armselige Menschen, ehe wir in seine Dienste traten – Trunkenbolde und Spieler, besonders der Kutscher, der ein Thüringer ist. Einer nach dem andern wurde von seiner Untugend geheilt. Ich war – ich gestehe es zu meiner Schande – ein verlorner Wollüstling; aber kaum drei Tage hatte ich in diesem Paradiese gelebt, dreimal nur die Sonne aufgehen sehen, als mir die Schuppen von den Augen fielen, ohne daß ich sonst etwas dagegen gebraucht hätte.« – Ich schob meine Nachtmütze etwas ungläubig zurechte. – »Trauen Sie meiner Erfahrung,« erwiederte er mir, nahm meine Halbstiefeln unter den Arm und wünschte mir eine ruhige Nacht. Wäre es möglich, dachte ich zuletzt noch im Bette, daß diese solarische Kur bei Klärchen anschlüge? Vielleicht! Sobald nur kein Domherr mit ihr an das Fenster tritt.

Fußnoten

1 Ciceronis Somnium Scipionis

2 S. Brants Narrenschiff.

3 Er stiftete ein Hospital für Narren – und starb selbst als einer.

4 Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Thieres: denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666. Offenbar. Johannis Kap. 13. V. 18.

5 Viverra Ichneumon. Linn.

Toulon
Toulon.

In der Nacht, den 19ten Februar.


Ich hörte Saint-Sauveurs Stimme schon im Saale bei meinem Erwachen, sprang gestärkt von meinem Lager auf und eilte zu ihm. Die Nacht war im Scheiden, als ich eintrat. Eine kühle Luft drang auf mich ein, als ich das Fenster öffnete, und verstärkte den Schauer, den der Mensch, wie die unbelebte Natur, in der Nähe der Beglückung empfindet. Desto willkommner war mir das warme Getränk, das man mir reichte. Noch dauerte es einige Pulsschläge, ehe die ersten Vorläufer des Tags den Himmel begrüßten. [243] Einzelne Vögel zwitscherten ihnen entgegen – Als aber der Saum des Horizonts sich mit einem Bande umzog, das mit Rubinen – armselige Vergleichung! – gestickt schien, bereiteten sich schon tausend singende Stimmen, blökende Kehlen, seufzende und betende Herzen, zu dem Einklange in den großen Choral, zur Zustimmung in den allgemeinen Dank vor; und als der erste kleine Bogen des Zirkels über den silbernen Wasserfall blinkte, und als er schon so feurige Strahlen ausspie, um dem geblendeten Auge für die folgenden Hinblicke bange zu machen, in denen er höher, immer brennender höher trat, und als sich nun zwischen dem Einschnitte des Gebirgs die ganze große flammende Rundung unaufhaltsam in das blaue Weltmeer des Aethers stürzte – da erwachte alles, da dankten, jauchzten, bebten ihr alle Organe der Schöpfung entgegen. Ein Kind weint bei einem heftigen Schalle – Erstaunen läßt seine Augen trocken. Der Mann von Gefühl staunt, empfindet und weint. Keine andere Sprache hatten wir jetzt, ich und mein Freund.

Die Vergoldung des Thals war vollendet – vollendet in seiner ganzen Pracht. Lasurgrün umzitterte Blätter und Bäume, ihre Schäfte waren Gold, die Dächer sprühten Funken, die Fenster flimmerten, das Gewölbe über ihnen allen glühte, und meine Brust hob sich unter den Schlägen des überwältigten Herzens. Jetzt drangen von den Hügeln die Schalmeien der Hirten in mein Ohr. Die Melodie ihres Baskischen Gesangs, die Andacht ihrer Morgenlieder ergriff mich, und ich theilte nun den Reichthum meiner von den myriadenfältigen Schönheiten überschwängerten Blicke, und warf, so viele ich deren von den Gegenständen meiner Bewunderung loszureißen vermochte, auf das freundschaftliche Wesen in mir, das jeden Thautropfen der äußern Sinne mit dürstendem Verlangen auffing, und zu einer Schnur für die Ewigkeit an einander reihte. Seines edeln Geschäftes bewußt, würde es jeden unächten Blendling, der ihm zugeflossen wäre, erkannt und verachtend weit von sich geworfen haben – den Stolz mit allen seinen Kronen und Zeptern, den Neid, den Menschenhaß und die Rachsucht. – Die Schmeicheleien der Wollust glitten von ihm ab, wie Fliegen von [244] einer polirten Stahlfläche. Ohne Gehör für die Stimme der Sirenen, ohne Augen für ihre Reize, ohne Gefühl für den Druck ihrer Hände, beantwortete es ihre zugeworfenen Küsse mit Ekel. Zu reich für das Almosen verrufener Münze, zu groß für gemeine Freuden, schwamm es in reinem Schwanengefieder weit von der schlammigen Erde, leicht, vertrauend und froh, dem Throne des Unerforschlichen zu. Seine Empfindungen waren Gebete, und der Drang seiner Wünsche war, sich mitzutheilen und wohlzuthun.

O du holder Vertrauter meines heutigen Entzückens, schöner, schlanker, süß träumender Genius, den der Zufall mit einer irdischen Hülle bekleidet hat, die seiner nicht werth ist, könntest du erscheinen, wie ich dich ahnde, und einst die Unsterblichkeit dich ausmalen und aufstellen wird; der Tyrann würde abstehen, sein Schwert, die Verleumdung, den Dolch ihrer Zunge gegen dich zu wetzen – der Geiz würde dir seine Schätze anbieten, und der Fürstenstolz selbst vor deiner Hoheit sich bücken. Möge nie ein stinkender Nebel aus den Sümpfen der Welt mir die Würde deiner Schönheit verstecken, nie ein unreiner Hauch deine himmlische Klarheit verdunkeln, und jede Perle, die du in dem Oceane der verflossenen Stunde geschöpft hast, sich in dem Hauptschmucke deiner Ewigkeit wiederfinden!

Wenn Schwärmerei Vergebung verdient, so ist es die für die Tugend, und an einem so heilig romantischen Morgen, als mein heutiger war. Ach das häßliche Toulon! Der Wagen meines Freundes hielt am Ende seines Parks. Seine Rosse schnauften und stampften und wieherten im Gefühl ihres Muths. Und ich mußte dich verlassen, Thal der Unschuld und Freude, dich, Sonne über ihm? – Ach mir war, als könnte nur Finsterniß hinter den Bergen liegen. Ich blickte noch einmal wonnetrunken in ihr heiliges Antlitz, und breitete meine Arme aus, als wollte ich den ganzen Weltkreis an mein liebendes Herz drücken – ich blickte noch einmal zu ihr hinauf, und unwillkürlich entschwebte der harmonische Ausruf meinen Lippen:


Staub, der, zu Gott empor gedrungen,

Am Fußtritt seines Thrones glimmt!


[245] und so bot ich meinem freundlichen Geleiter die Hand, stieg hastigen Schritts aus seinem Tempel, durch den Park, in den Phaëton. Hier faßte er stillschweigend die Zügel, überließ mich ungestört der obern Region, und sorgte nur, daß wir in der untern nicht aus dem Gleise kämen. Indem wir über den Steinweg flogen, ergriff ich meine Harfe, und stimmte mit allen Saiten in den Psalm ein, der seit den zwei Noten, mit denen ich anschlug, in mir forttönte. – Jetzt waren die Beweise meiner Genesung vollständig; die Natur hatte den letzten beigebracht, denn sie hatte mein Dichtergefühl wieder erweckt. Mein Herz schwoll, meine dunkeln Empfindungen bildeten sich zu harmonischen Worten, ätherisches Feuer erhellte den Blick, den ich dankend gen Himmel schlug, eine singende Lerche stieg und funkelte mit ihm zugleich in die Höhe, und mein Lied begann.


Staub, der, zu Gott empor gedrungen,

Am Fußtritt seines Thrones glimmt,

Ziel meines Psalms, im Chor gesungen,

Das jubelnd, dich umschlungen,

In deinem Aether schwimmt!


Seit du, der leeren Nacht entsunken,

Dein stolzes Licht von Ihm geholt,

Sah es in dem Gewühl der Funken,

Die durch den Luftraum prunken,

Schon manchen Stern verkohlt.


Nur deinem Urgestirn veraltet

Kein Reiz! Mit gleicher Kraft beflammt,

Treibt es sein großes Rad, entfaltet

Die Zeiten, und verwaltet,

Wie sonst, sein Mittleramt.


Und lenken aller Erden Psalmen

Gleich nicht den Ausfluß deines Strahls,

Doch überkleidest du die Palmen

Des Athos, wie die Halmen

Des rauhsten Schweizerthals!


Hat nicht ein Geist, aus dir geboren,

Der Liebe Freudenquell gewürzt,

Der aus den Urnen aller Horen,

Vertheilt – doch unverloren,

In alle Wesen stürzt?


[246]

Juwel in des Erschaffers Kranze,

Und erstes Wunder seines Hauchs,

Du leitest, schmückst, vereinst das Ganze –

Eins fehlt nur deinem Glanze –

Bewußtseyn des Gebrauchs.


So viel dir Kraft ward, doch entquellen

Dir Triebe nie, die, warm und rein,

Die Brust des edeln Mannes schwellen,

Freund seiner Mitgesellen

Am Bau der Welt zu seyn.


Du stehst im größten Wirkungskreise,

Als Sklave, der im Joche prangt –

Beherrscher seiner kurzen Reise

Durchs Leben, dringt der Weise,

Wohin sein Herz verlangt.


Er wägt sein Daseyn nur nach Thaten,

Nach Pfunden, die sein Geist erringt,

Froh, wenn der Hoffnung seiner Saaten

Auch nur ein Keim gerathen,

Der in die Zukunft dringt.


Sei größer noch! Um deine Würde

Vertauscht, selbst auf dem Weg' ins Grab,

Der Staubbewohner einer Hürde

Nicht seines Lebens Bürde,

Nicht seinen Wanderstab.


Denn bald zu höhern Geistesproben

Entrückt den Prüfungen der Zeit,

Schwingt ihn die Hand, die dich erhoben,

Von diesem niedern Globen

In die Unsterblichkeit.


Durch diesen heitern Blick ins Freie

Verliert im Nebel meiner Bahn

Sich keine Stunde mir – ich weihe

Dem Ausgang sie, und reihe

Sie meiner Zukunft an;


Daß, wenn ich einst zu höhern Sphären

Auf deinem Lichtweg übergeh,

Der Fruchtstaub vieler guter Aehren

Noch in dem Thal der Zähren

Um meinen Hügel weh.


[247] Als meine Harfe verklungen war, und mein begeisterter Blick aus seiner Höhe zurück auf die Erde fiel, hätte ich gern meine abgestimmten Saiten aufs neue gespannt, wäre ich nicht zu erschöpft gewesen, um mich mit Hülfe ihrer Harmonie eben so vogelleicht über den rauhen Weg zu schwingen, der in einem Zusammenhange von Felsenstücken und Bergklüften vor mir lag, als sie mich unvermerkt über seine erste Hälfte gebracht hatte. Es ärgerte mich, daß mein Führer das stolze Gefühl meiner Schwungkraft durch eine Bemerkung zu necken suchte, die ziemlich spöttisch heraus kam. – »Ich sehe dir an,« sagte er, »daß du mit deinem Ausfluge in das Reich der Ideen nicht übel zufrieden bist. Ich wünsche dir Glück dazu: nur dünkt mir, du hättest besser gethan, ihn auf den schicklichern Zeitpunkt aufzuschieben, in den wir jetzt eintreten. Erst hier, wo leider der Weg äußerst schlecht zu werden anfängt, hätte auch deine Verzückung anheben sollen. Hier würdest du so viel dabei gewinnen, als du auf dem eben zurück gelegten dadurch verloren hast. Ich kann dir, da ich dich jetzt nicht störe, wohl sagen, daß es einer der angenehmsten ist, den ich kenne, nicht nur die ungleich bessere Hälfte des Ganzen, sondern an romantischen Aussichten und lachenden Gegenständen fast so reich, als das Thal meiner Bastide. Alle diese freundlichen Winke der Natur sind dir, während deiner Unterhaltung mit der Sonne, entschlüpft. – Es ist,« fuhr er mit einem philosophischen Seitenblicke fort, »nur zu oft der Fall bei euch sublimen Leuten, daß ihr eure geistigen und leiblichen Gelüste nicht haushälterisch genug gegen einander abzuwägen und nach dem jedesmaligen Stundenbedürfnisse zu vertheilen versteht. Ein gen Himmel geschlagenes Auge nimmt offenbar eine falsche Richtung, wenn fröhliche Kinder, farbige Blumen unter ihm spielen und sprossen, oder menschliches Elend um seinen theilnehmenden Blick bettelt. So lange Milton noch sehen konnte, überließ er sich allen sinnlichen Freuden des irdischen Paradieses seiner Heimath, und dachte nicht eher daran, sich eins zu dichten und seinen Verlust zu besingen, als bis ihm seine Blindheit keinen andern Zeitvertreib zuließ. Auch euer Kleist, wie mir seine Freunde erzählt haben, sog mit thierischem Wohlbehagen jeden Balsamtropfen [248] des Frühlings ein, so lange er dauerte. Erst in den rauhen Wintertagen wiederkäute und malte er ihn. Die Dichtkunst, wie jede Schwelgerei des Geistes, sollte dem Weltbürger zu keiner andern, als zur Zeit der Entbehrung, unter dem Drucke des Müßiggangs, oder wenn sonst irgend ein Zufall seine äußern Sinne gelähmt hat, zur Krücke dienen.« – Bei meiner dichterischen Erhitzung, die mir noch im Blute lag, mußte mich ein so kalter gemeiner Ausdruck nothwendig verschnupfen: doch fehlte mir in diesem Augenblicke die Stimme, nur ein Wort dagegen vorzubringen; so sehr wurde ich durch einen jähen Abgrund erschreckt, an dem wir nahe vorbei schwebten. Ich schmiegte mich, so lange dieser furchtbare Anblick dauerte, mit klopfendem Herzen an den Marquis, und erst als wir hinter Aubogne in einen Hohlweg lenkten, kam ich wie der zur Sprache. – »Du hast mich mit deiner vorigen Aeußerung,« wendete ich mich nun zu ihm, »ganz in Erstaunen gesetzt, lieber Saint-Sauveur, weil ich sie dir am wenigsten zutraute. Ich habe immer die Entwickelung großer Gedanken durch Philosophie oder Dichtkunst, jenes Nachspüren unserer feinen Empfindungen, jenes Brüten über uns selbst, und alles, was du Krücken des Müßiggangs zu nennen beliebst, für die nützlichste Beschäftigung, für die edelste Bestimmung des Menschen gehalten; und ich kann meine wichtigen Zweifel gegen deine Behauptung ...« – »Nicht leicht,« fiel mir der Marquis in das Wort, »unter einem stärkern Widerspruch von Umständen vortragen, als so kurz nach dem Schrecken, den du gehabt hast. Müßig und dem Schicksale überlassen, wie du neben mir da sitzest und zitterst, was könnte ich dir besseres für deine Beruhigung empfehlen, als eben die Krücke, die auf jenem gebahnten Wege dir ganz entbehrlich war? Wie hinderlich hingegen müßte sie nicht einem in Thätigkeit gesetzten Manne werden, der, wie ich zum Beispiele, unvernünftige Geschöpfe vor sich, ihr Lenkseil in Händen, einer Menge Gefahren auszuweichen, mit Einem Worte, statt in dem Empyreo, auf der Erde zu thun hat!« – »Du hast vollkommen Recht,« antwortete ich unter Zittern und Beben; denn in der Hitze des Streits – wie dankte ich Gott, daß er in einem Hohlwege vorfiel! – hob [249] und schwenkte mein Opponent seine Peitsche. Es war nur ein Luftstreich, eine von den unwillkührlichen Bewegungen, die wohl einem Redner entwischen können, der Eindruck zu machen sucht: aber selbst mit dem scharfsinnigsten Vorbedachte würde er schwerlich vermocht haben, zur Unterstützung seines Satzes einen kräftigern Beweis aufzutreiben, als diesen Hieb in den Wind; denn seine vier Schweißfüchse verstanden diese Redefigur unrecht, bäumten sich, schlugen über die Stränge, und wollten sich lange nicht besänftigen lassen. Ich verlangte es weiter nicht bewiesen zu haben, daß Philosophen so gut wie Dichter bedenkliche Führer, und in Vorfällen des täglichen Lebens nicht halb so viel werth sind, als ein besonnener Mann. Aber – mein Gott – dachte ich so vor mich hin – warum fährt doch der liebe Marquis selber, und läßt seinen Kutscher hintenauf stehen, der doch sicherlich den Müßiggang nicht zu benutzen weiß, den er ihm läßt?

Unter diesem Selbstgespräche, das ich so oft wiederholte, als der Wagen schief ging, erkletterten wir endlich die Höhe eines steilen Berges, von der sogleich unser leichtes Fuhrwerk über Stock und Stein in den Kessel einer rußigen Stadt rollte, die man Ollioules nennt. Hier, wo wir einige Stunden anhielten, nahm ich die Gelegenheit wahr, mich heimlich von dem Marquis weg in den Stall zu meinem Landsmanne zu stehlen – nicht so wohl um sein Deutsch, als seine Meinung über die Statthaftigkeit meiner Besorgniß an der Seite meines vornehmen Führers zu hören. Nachdem er meine freundliche Ansprache höflich beantwortet, mir seine Pferde von den Zähnen an bis zum Schweife, wortreich wie ein Roßtäuscher, gerühmt, und mir im Verfolg seiner Dienstgeschäfte alle die Wagen nach ihren verschiedenen Benennungen an den Fingern hergezählt hatte, die außer dem Phaëton noch unter seinem Hauptschlüssel ständen, dachte ich, ich müßte mich doch auch zeigen. Ich fing also damit an, meinem Schulfreunde Ovid die Trauergeschichte des jungen Waghalses, der unserm heutigen Fuhrwerke den Namen gegeben, sehr gelehrt nachzuerzählen, und so kam ich denn ganz natürlich, wie Du selbst siehst, auf den Hauptknoten. – »Ich bin zwar nicht furchtsam,« sagte ich, »doch muß [250] ich gestehen, daß ich mich sehr ungern von jemanden fahren lasse, dessen Beruf es nicht ist. Es bleibt immer, zumal bei schlechtem Wege, ein Wagstück.« – »Das läßt Sie Gott reden,« versetzte der Thüringer und klopfte mich auf die Achsel. »Was deines Amts nicht ist, sagt das Sprichwort, laß deinen Vorwitz. Wer denkt, daß ich Gefallen an so einer Fahrerei habe, betrügt sich. Es geht einem ehrlichen Kutscher, der das Seinige gelernt hat, bitter ein, wenn er von hinten her zusehen soll, wie vorn alles der Kreuz und der Quere geht. Die Regierungskunst – in dem Sinne, wie ichs nehme – fliegt niemanden an, er mag so vornehm seyn als er will. Er muß sie aus dem Fundamente gelernt, muß den Blick frei, Ehre im Leibe, Augen im Kopfe haben, und ein handfester Kerl seyn. Ich sage immer: Der Stein weicht nicht aus, du mußt ihm ausweichen, und wer sich in die Gefahr begiebt, der kommt darin um. Mit meinem gnädigen Herrn wagt man zwar weniger als mit andern seines Gleichen. Er versteht sich so ziemlich auf die Pferde, und, sehen Sie, ich spanne ihm keins vor, das nicht auf den Wink gehorcht; und so geht es denn toll genug, so lange er nur nicht mit der Peitsche vagirt, wie vorhin; denn das können nun einmal meine Füchse nicht leiden. Da war ich aber, noch als ein junger Kerl, in Franken, bei einem, – Gott vergebe mir die Sünde! – fürstlichen Marstall angestellt. Die Gespanne waren gut und brav, das muß ich sagen, und der Kutscher ... doch Eigenlob stinkt. Mein damaliger Herr aber glaubte in seinem Dünkel, das Handwerk, das mir manchen sauern Schweißtropfen gekostet hatte, wäre ihm angeboren, und verstand doch, wenn ich hinten auf der verteufelten Perutsche stand, nicht einmal meinen Zuruf. Es war zum Wälzen. Nicht zehn Schritte konnte er fahren, so waren auch schon die Zügel verwickelt. Nun verlor er den Kopf – nun legte er sie, statt mir das Wort zu gönnen, in die Hände seiner Frau Gemahlin, die ihm nie von der Seite wich. Die wirrte sie nun, daß Gott erbarm, so aus einander, daß mir grün und gehl vor den Augen ward; denn nun wußte gewiß weder das Handpferd noch das Sattelpferd, welchen Strang es anziehen sollte, und doch sollte unser eins Acht geben, [251] daß die Räder im Gleise blieben. Der Teufel hätte das gekonnt und ich nicht! Wenn ich hotte schrie, lenkten sie wüste. Rief ich: Vorgesehen Ihre Durchlaucht, es kommt ein Graben! so waren die Vorderpferde schon drin; denn es ging rasch, müssen Sie wissen. Blieben nun die gnädigsten Herrschaften mit der Axe hängen oder kippten um, so gaben sie es nicht ihrer Ungeschicklichkeit, mit allem Respekt gesprochen – sondern lieber dem Kutscher und den Pferden Schuld, zogen jenem an Lohn, diesen an Hafer ab, weil der eine zu dumm, die andern zu muthig wären. Wie das ewige Umwerfen endlich dem Wagen bekam, das können Sie Sich vorstellen. Alles ward morsch, brach, und zerriß. Nun trommelte man Sattler und Wagner, die nicht bezahlt wurden, zusammen, um das Zerbrochene zu flicken und das Geflickte zu lakiren. Deßwegen hielt es nicht eine Minute länger, als Wurm und Rost wollten. Um es kurz zu machen da das hohe Ehepaar, trotz der täglichen Erfahrung, sich weder rathen noch warnen ließ, und ich mich vor den fremden Kutschern, die von dieser Stallwirthschaft hörten, und davon einige mit mir zugleich in der Lehre gestanden hatten, zu schämen anfing, legte ich eines schönen Morgens meine Striegel und Peitsche vor das Schloßthor, machte mich mit meinem Schnurrbart aus, dem Staube, und, so viel ich weiß, liegt Perutsche und Staatswagen noch heutiges Tages in der Reparatur. Wie es mir nachher erging, ist auch drollig. – Das lassen Sie Sich noch erzählen ...« – »Auf ein andermal,« unterbrach ich ungern den treuherzigen Schwätzer; aber ich durfte mich doch länger nicht vor meinem Freunde versteckt halten, der schon ein paarmal nach mir gerufen hatte.

Er erwartete mich an einer runden Tafel, die, mit einem Schinken zwischen zwei Weingläsern besetzt, wie ein Stillleben von de Herem aussah. Der Hunger würzte indeß die mäßige Kost, und ich setzte mich eine Stunde nachher gesättigt und um vieles beruhigter zu meinem Führer in den Phaëton. Der Kutscher war mein Freund geworden, die Pferde waren erfrischt, und gegen den Weg war nichts einzuwenden. Sobald wir auf die Höhe kamen, sah ich Toulon mit seinen Thürmen und Wällen hinter einem Haine von[252] Oelbäumen hervorschimmern. Die Straße zog sich, wie der Gang in einem Englischen Garten, sanft durch ihre Beschattung hindurch, die Strahlen der Sonne brachen sich an ihren Zweigen, und die schönen Aussichten nahmen an Mannigfaltigkeit, wie mein Herz an Frohsinn, zu, je näher wir der Stadt kamen. Desto mehr befremdete mich die Stille des Marquis, und der Ernst, den ich auf seinem sonst so heitern Gesichte bemerkte, und ich weiß mir es auch jetzt noch durch nichts zu erklären, als durch die mir unbekannten Geschäfte, die ihn nöthigten, sein schönes Thal diesen Morgen, und diesen Abend seinen Freund mit dem Rücken anzusehen; denn sobald wir in dem silbernen Anker abgestiegen waren, kleidete er sich nur um, übergab mich dem Wirthe, und ließ mich in einer großen Stube allein.

Ob wohl, dachte ich, indem er sich eiligst mit dem Wunsche einer guten Nacht von mir entfernte, die Langeweile, in der er dich da in einem fremden Hause sitzen läßt, auch zu deiner Nachkur gehören soll? und that durch den Sinn dieser Frage wohl niemanden mehr Unrecht als mir selbst. Bin ich denn nicht Philosoph? bin ich nicht Dichter? empfindsam im höchsten Grade, und mir selbst Gesellschafter genug? Das kann vielleicht wahr, diese Hülfsmittel können auch vortrefflich seyn, davon ist die Rede nicht; nur kann man sie, wie ich das heute schon einmal erfahren habe, meistens nicht so geschwind herbeischaffen, als man ihrer benöthigt ist. Was aber ein Deutscher zu allen Zeiten bei der Hand hat, ist die fruchtbare Mutter so vieler Raritäten und Sammlungen, ist die Neigung der Seele, die man Liebhaberei nennt. Wenn er diese zu befriedigen Gelegenheit findet, ist er an jedem Orte geborgen. Sie macht in unserm National-Charakter unstreitig einen Hauptzug aus, der, ob er schon den kultivirten Klassen anderer Völker nicht ganz fehlt, doch bei ihnen ungleich oberflächlicher, und lange nicht so ausgebreitet ist als bei uns. Wer kann die Spur dieses Naturtriebes in unsern Kabinetten und Bibliotheken verkennen? Ohne bloß bei dem ersten Endzwecke der Anhäufung litterarischer und artistischer Schätze stehen zu bleiben, hat der Deutsche gewiß immer noch ein Lieblingsfach nebenbei.[253] Hier ist das gemeine Nützliche oft den unbrauchbarsten Dingen untergeordnet, sobald sie nur ein Zeichen des idealischen Werths an sich tragen, den ihnen der Sammler beilegt. Daher sucht der eine vorzüglich alte Drucke, der andere nicht sowohl Meisterstücke des Grabstichels, als Blätter, die sich manchmal nur dadurch rar gemacht haben, weil sie bei ihrer ersten Erscheinung nicht geachtet oder zu Pfefferdüten verbraucht wurden. Wird nicht oft das Bildniß eines Feldherrn, Arztes und Fürsten, das sich aus angeführter Ursache verlor, theurer bezahlt, als sein ganzer Nachruhm werth ist, nicht des schönen Stichs, sondern der Vollständigkeit der Sammlung wegen, in der es eine Lücke ausfüllen soll? Nur ein Deutscher kann auf den Einfall kommen, Bibliothecam Donquichottianam anzulegen, und mit der mühseligsten und kostbarsten Beharrlichkeit die Bücher, die der Autor des Romans dem Museo seines Ritters andichtete, wirklich in ein Kabinet zu vereinigen. 1 Nur die Festigkeit, Geduld und Zeit eines Deutschen konnte hinreichen, den umfassenden Plan auszuführen, nicht allein ein grundgelehrtes neun Bände starkes Werk eigenhändig zu schreiben, und ihm zu Gefallen eine eigene Druckerei in seinem Hause zu errichten, sondern, um es sogleich zu dem seltensten aller Bücher und Druckschriften zu erheben, der Zeit durch den listigen Ausweg zuvorzukommen, daß er nur ein einziges Exemplar davon abziehen ließ. 2 Ich will zwar nicht läugnen, daß dieser schöne heimische Aufbewahrungs- und Erhaltungstrieb, wenn er nicht auf ein festes Gehirn trifft, leicht in die fixe Idee eines Wahnsinnigen ausarten kann; aber genug, er mag sich zeigen wie er will, daß er da ist, das Herz seines Besitzers füllt und erwärmt, und ihn, wie die [254] Tugend, auf allen seinen Wegen begleitet. Kein Städtchen ist so klein, das nicht mehr als einen Spießbürger einschließt, der mit dem Scharfblick einer Spinne auf Beute lauert, die in das Gewebe seiner Liebhaberei taugt; und Du wirst selten ein Putzzimmer wohlhabender Handwerker ohne einen Glas- und Karitätenschrank antreffen, auf dem Platze, wo in andern Ländern ein Schlafstuhl oder sonst ein brauchbares Möbel steht. Wer an Münz-Muschel- und Steinkabinetten keine Freude findet, setzt an ihre Stelle Sammlungen von Pfeifenköpfen, Siegeln, Visitenbillets, oder Reliquien. Ich will keiner – sie mag bestehen aus was sie will – ihren Nutzen absprechen; aber Du kennst die meinige, Eduard, und ich frage Dich auf Dein Gewissen, ob es wohl viele giebt, die ihr an Merkwürdigkeit gleich kommen? Jedes einzelne Stück derselben ist ein Exemplar unicum, ein Autographum, und um so viel mehr der Aufbewahrung werth, weil es oft die opera omnia eines berühmten Mannes, oder doch eine momentane Empfindung desselben, authentisch und diplomatisch darlegt, und zuweilen selbst wichtige historische Zweifel auflöst. Daß mir eine solche Kollektion am Herzen liegt, ist mir wohl nicht zu verdenken.

Als ich in Berlin zum Thore heraus fuhr, schwebte mir, Gott weiß, kein anderes Bild lebhafter vor der Seele als sie, und von allen den seltenen Gegenständen, mit denen ich hoffte, auf meiner Reise bekannt zu werden, waren es die beschriebenen Fensterscheiben, die mir am meisten in die Augen blinkten. Auch Du, mein guter Eduard – um es nur ehrlich zu bekennen – würdest nicht so leichtes Spiel gehabt haben, mich aus meiner hypochondrischen Lage zu bringen, wenn nicht ins geheim meine Liebhaberei Deine beredten Vorstellungen unterstützt hätte. So wenig ein junger Botanist ohne die Ahnung, unbekannte Pflanzen mit nach Hause zu bringen, sich in Wildnisse wagen würde, die oft kein menschlicher Fuß noch betreten hat, so wenig würde auch ich, ohne die höchste Wahrscheinlichkeit, meine Sammlung sehr ansehnlich zu bereichern, von der Stelle gewichen seyn. Jetzt kann ich's sagen, da meine heimlichen Wünsche über alle Erwartung gelungen sind.

Um nur bei meinem heutigen glücklichen Fund stehen zu bleiben, [255] so war ich noch keine zwei Minuten allein in der Stube, als meine spionirenden Blicke ihren Gang, und die Urkunden der Fensterscheiben in Untersuchung nahmen. Ich mußte erst eine Menge unbedeutender Maximen, elender oder schmutziger und mit einem Demant in das Glas eingegrabener Verse durchlaufen, ehe ich in dem wehmüthigen Eheu fugaces, Postume, Postume des Horaz auf Worte traf, die mich fest hielten. Was mir aber die Scheibe erst lieb und meiner Sammlung würdig machte, war die Unterschrift. Sie erregte alle meine Empfänglichkeit, zauberte mich in vergangene glückliche Zeiten und in den Zirkel meiner würdigsten Freunde. Johann George Sulzer, stand darunter, Toulon den 31. Oktober 1775. – Meine Augen feuchteten sich an, als sie diesen geliebten Namen, diese bekannte Handschrift eines verlornen Freundes erblickten, und ihnen, mit der Uebersicht des bemerkten Jahres und Tages, zugleich die folgenden wenigen vorschwebten, die, wie ein kleiner ermüdeter Nachtrupp, hinter den schnell voraus gelaufenen herschlichen. – »Guter Mensch!« stand ich vor diesem zerbrechlichen Monumente, drückte mir gerührt meine eigenen Hände, und seufzte: »Ach du glaubtest damals noch nicht deine Forderungen an das Leben schon so weit abgetragen und den Abschluß deiner Rechnung so nahe; ob du gleich mit dem bangen Vorgefühl eines Zwiefalters, der, durch die Annäherung seiner Auflösung gedrückt, noch einmal seine schlaffen verschossenen Flügel in den Sonnenstrahlen auszudehnen versucht, dem warmen Aether dieses Landes zuschwebtest. – Aber welche Luft ist balsamisch genug, den durch den Wurm des Todes benagten Lebenskeim wieder in Saft zu setzen! – O wer hätte dir nicht gern noch länger den Genuß des königlichen Geschenks deiner kleinen Spreeinsel gegönnt, in deren duftendem Bezirke dir deine und der Natur Freunde so willkommen waren, und wo du – indem meine frohe Erinnerung seine freundlichen Anlagen durchstrich – unter den Gesträuchen des Auslandes nur nicht den Giftbaum hättest aufnehmen sollen, der sich über Gebühr ausbreitete, und so weit um sich wurzelte, daß deine geheime Sorge vor Unglück mit jedem Frühlinge zunahm! Ich sehe dich noch, mit welcher ängstlichen Güte du die unerfahrnen Kleinen abwehrtest, [256] wenn sie unter dem Schatten seiner glänzenden Blätter ihren Spielplatz suchten. Aber du, ehrlicher Schweizer, hattest ihn in der Unbefangenheit eines Naturforschers, in der Herzenseinfalt gepflanzt, mit welcher der gutmüthige Träumer Lafontaine seine schlüpfrigen Erzählungen, und – wie weit können uns nicht unsre zufälligen Gedanken verschlagen! – und ich noch im vergangenen Monate mein Tagebuch schrieb. Gott sei Dank, daß die gefährlichen Auswüchse desselben in der Asche liegen! Doch ich muß mich von dir los reißen, liebe Scheibe, damit ich nicht die Zeit verschwatze, die mir zum Auftrocknen einer bessern Lebenspflanze in meinem heutigen Tage für das Herbarium vivum meines Eduards nöthig ist – und damit du auch nicht mich zu einer so moralischen Betrachtung verleitest, als die von Swift über einen Besenstiel.« – Ich rufte jetzt nur noch den Wirth herein, und fragte ihn, ob er sich wohl des Mannes noch erinnere, der jenen Tag dieses Zimmer bewohnt habe. – »Warten Sie einen Augenblick,« ich darf nur mein Kontobuch nachschlagen. – Hier habe ich das Blatt. Ach mein Herr! von diesem flüchtigen Passagier läßt sich nicht viel sagen. Es ist nicht der Mühe werth, was er in den paar Stunden verzehrt hat, die er hier war. Ich habe von seinem Gekritzel auf meiner Glastafel nichts gemerkt, sonst hätte ich sie ihm gewiß angerechnet: denn Sie müssen wissen, daß ich allen den schreibsüchtigen Herren, die, um ihren Namen glänzen zu sehen, meine Scheiben verdunkeln, eine verhältnißmäßige Abgabe für künftige neue mit in Rechnung bringe.« – »Das finde ich nicht mehr als billig,« antwortete ich; »und damit Sie auf keine Weise zu kurz kommen, übernehme ich den schuldig gebliebenen Beitrag meines Landsmannes und das verdorbene Glas für ein neues auf meine Kosten.« – Der Wirth – klug wie ein Professor – da er an der angefüllten Scheibe nichts mehr gewinnen konnte, war froh eine tabula rasa an ihrer Stelle zu sehen. Ich war es nicht weniger; und da kein Hanwerker geschwinder zu haben ist als ein Glaser, so sah ich mich schon nach zehn Minuten im Besitz des ganzen Namenregisters, aus welchem gemeinen Wuste ich die Handschrift unsers Freundes, in Form eines Oktavblatts, behutsam [257] heraus schneiden ließ. Es ist die vierhundert und ein und dreißigste Nummer meiner Sammlung, die neune mitgerechnet, die ich – – da sehe man nur! Ich möchte mich auf's Maul schlagen – die ich Dir verheimlichen wollte, bis ich sie zu Berlin meinen herbei strömenden Freunden – Dich, als den neugierigsten, an ihrer Spitze – zur Schau vorlegen, und mich mit eigenen leiblichen Augen an euer aller Erstaunen ergetzen könnte. Ist denn aber ein Mensch, der von den Gegenständen seiner Liebhaberei spricht, Herr seiner Worte? Was kann ich nun thun als fortplaudern? Du würdest es sonst gewaltig übel, oder ich müßte einen andern Bogen und mich besser in Acht nehmen. Beides wäre der Mühe nicht werth. Erfahre denn meinetwegen die ganze weitläuftige Geschichte.


Ich war, als ich durch Paris ging, noch keine Stunde daselbst, als der Wirth de quatre nations es schon weg hatte, zu welcher ich gehörte, und seinen Zuschnitt darnach machte. Er fing von weitem an von dem Charakter und dem Kunsttriebe der Deutschen und ihren mancherlei Kabinetten zu sprechen, und da ließ ich mich denn nicht lange bitten, ihm das meinige zu beschreiben, hatte aber Mühe, ihm zuvor den Einfluß meiner gläsernen Urkunden auf Politik, Historie, Chronologie und Kenntniß des menschlichen Herzens begreiflich zu machen, ehe er den Nutzen einer solchen Sammlung einsah. Mit seiner Ueberzeugung erwachte auch der Französische Diensteifer. Nachdenkend nahm er eine Prise Tabak um die andere, schlug dann die Dose mit dem Versprechen zu, sogleich Stube für Stube seine Fenster in Betrachtung zu ziehen. Es war nicht ganz umsonst. Der gute Mann brachte mir bald nachher die Handschriften dreier merkwürdigen Reisenden, die vormals hier eingekehrt waren, auf eben so viel wohl erhaltenen Scheiben. Schade nur daß ich keine verstehe; denn, außer dem Namen eines Türkischen Gesandten auf der einen, enthält die andere, wie es mir vorkommt, das Russische Einmal Eins, oder sonst eine Rechnung von Peter dem Großen, und die dritte ein Motto aus den Hetären des Lucian von der Hand der Königin Christine. – Das war doch gewiß schon ein ganz artiger Erfolg meines Geplauders, [258] aber für gar nichts gegen den Gewinn der folgenden Stunde zu rechnen; denn da trat der Wirth zum zweitenmale mit einem andern freundlichen Manne und den Worten in mein Zimmer: »Gestehen Sie, mein Herr, daß mein Schild mich nicht umsonst auffordert, jeden Passagier nach seiner Landesart zu bedienen. Hier stelle ich Ihnen einen meiner Hausfreunde vor, dem eine Fundgrube für Ihr Kabinet offen steht, als sich wohl keine mehr so ergiebig in der Welt finden möchte; denn noch hat niemand gewagt, sich ihr mit seiner Wünschelruthe zu nähern, oder nur den Verstand gehabt, den Schatzgräber zu benutzen, der Ihnen hier seine Dienste anbietet.«– »Und wer, um Vergebung, ist dieser gütige Herr?« fragte ich. – Beide nahmen einander das Wort aus dem Munde: – »Der Glaser aus der Bastille.« –

Wie sehr gleicht doch der Eindruck unerwarteter Freude dem heftigsten Schrecken! Die Wichtigkeit dieser Bekanntschaft trat mir auf das anschaulichste vor die Seele; und ob mir wohl mein Vortheil immerfort zuflüsterte, meine innern Bewegungen zu verbergen, so zitterte ich doch an allen Gliedern, als er zu seiner Beglaubigung eine Schachtel hervor zog, und mir sechs kleine runde Scheiben in die Hand legte, die vor Alter in die Farben des Regenbogens spielten, und deren ich nicht viele von gleicher Seltenheit besitze. Ich hätte sie mir für keinen Preis entgehen lassen, und erhielt sie – ich schäme mich es zu sagen, wie wohlfeil. Was aber diesem Handel erst die Krone aufsetzte und mich unendlich beglückt, ist ein Kontrakt von den erstaunlichsten Folgen, den er auf die billigsten Bedingungen mit mir einging, unterschrieb und besiegelte. Ich habe schwerlich je einen klügern abgeschlossen, den – wenn Du willst – komischen Anstrich abgerechnet, den er unvermerkt von der guten Laune annahm, mit der ich ihn zu Papier brachte; denn meine Zufriedenheit während dieser glücklichen Verhandlung war so ausschweifend lebhaft, daß, wenn Heinrich der Vierte, als er Paris belagerte, den Kommendanten der Bastille durch Bestechung gewonnen hätte, die seinige nicht größer hätte seyn können. Und ist es denn zu verwundern? Ueberlege nur selbst, Eduard; der Mann, der den stillen Herzensergießungen so [259] merkwürdiger Menschen, als wofür Staatsgefangene überall gelten, näher auf der Spur ist als kein andrer – dem jeder geheime Wunsch, den diese Unglücklichen gebären, und, gleich Findelkindern, auf diesen zerbrechlichen Fahrzeugen aussetzen, über lang oder kurz in die Hände läuft – der selbst, so oft er will, über diejenigen, die dem Strudel der Zeit entrannen, sein Strandrecht ausüben kann – dieser Mann, sage ich, steht bei mir als Kabinetsminister in Eid und Pflicht – ein Titel, den ich ihm im umgekehrten Verhältnisse gegen manche Fürsten, die ihn austheilen, ernsthafter beilegte, als er ihn annahm. Wie der gemeinste Glaser, bedachte er nur bescheiden sein Handwerk; ich hingegen würdigte ihn nach seinem gewaltigen Einflusse auf mein Kabinet, und konnte in dieser Beziehung ihn nicht genug ehren. Denn welch eine Ausbeute wird seine fleißige Hand nicht aus jenem bis jetzt unbenutzten Schachte der dort seit Jahrhunderten verhaltenen Klagestimmen zu Tage fördern! Welches Licht wird nicht mein glänzendes Museum über jene politischen Todesgewölbe verbreiten! Nicht nur die armen Eingesperrten werden durch Wegräumung der alten verblichenen Glasscherben heller sehen, sondern auch unsre blinden Geschichtsschreiber, die über den Seelenzustand eines Staatsverbrechers, über seine Empfindungen in der Einsamkeit des Gefängnisses, selten so viel zu sagen wissen als solch eine Fensterscheibe. Wäre es in der Mitternachtsstunde, die mir über den Hals gekommen ist ich weiß nicht wie, für den Spaß nicht zu spät, einen Catalogue raisonné von diesen biographischen Bruchstücken zu fertigen, deren jedes sein eigenes Blatt verdient, so würdest Du in den freien, bittern und großen Gedanken, mit welchen hier ein Montmorency, ein Retz, Richelieu, Fouquet und Voltaire ihren gepreßten Herzen Luft schafften, schon erstaunenswürdige Belege meiner Angabe finden. Und doch sind selbst diese Denkmäler der Vorzeit für nichts in Vergleichung einer fast unglaublichen Urkunde zu achten, die in einer, wenn ich nicht irre, aus den Menechmen des Plautus genommenen Zeile das größte Geheimniß der vergangenen Zeit enthüllt, mit der Unterschrift, statt des Namens, Vultus tyranni. Diese zwei mystischen Worte, dieser schlau gewählte Spruch des Dichters, zusammen [260] gehalten mit der unbefangenen Aussage des Glasers, der diesen höchst merkwürdigen historischen Splitter aus dem Fenster eines seit hundert Jahren leer gelassenen Gefängnisses, in das ihm ein Schlossenwetter verhalf, genommen hat, verwandeln meine erstaunende Vermuthung in eine Gewißheit, vor der jeder Geschichtsforscher seine Knie beugen sollte. Sie zeigen unwidersprechlich, daß sie nur von einem verheimlichten Menschen, verstoßenen Bruder, vernichteten Fürsten, und von keinem andern als derMasque de fer herrühren können, und vermuthlich auf der Oberfläche der Erde der einzige Nachlaß dieses unbekannten Gefangenen sind. Was für Feste erwarten Dich, Eduard, wenn ich diese Schätze einmal vor Deinen Augen auspacken, wenn ich künftig bei jeder ankommenden Pariser Post Deinen Beistand anrufen werde, die eingelaufenen Dokumente zu ordnen und zu schichten! Wie mag sich nicht schon ihr Ertrag während meiner Reise angehäuft haben, den meine, Gott gebe, glückliche Zurückkunft sogleich flott machen wird! denn das war die letzte Verabredung mit meinem Minister. Seitdem ist kein Tag vergangen, wo ich nicht die Masse meines zunehmenden Reichthums mit kindischer Freude berechnet, mich nach dem Stapelorte, wo er anlanden wird, zurück gesehnt, und vor den schönen Mahagonischrank hingeträumt hätte, der ihn aufnehmen soll. – Allerliebst! Da verplaudere ich nun schon wieder einen Umstand, den ich Dir bis jetzt höflich versteckt hielt – den wahren Grund nämlich meines Heimwehs. Keine Vorwürfe, lieber Eduard. Freundschaft und Patriotism haben viele anziehende Kräfte, aber – was wollen wir es läugnen? – Liebhaberei hat deren noch mehr.

Als einen nothwendigen Nachsatz zu meiner Geschichte muß ich Dir doch noch sagen, daß, sobald ich mich mit meiner Ueberlegung allein sah, ich die rechtliche Gültigkeit meines Traktats in genauere Untersuchung nahm, denn das fällt einem Sammler immer am letzten ein. Sie lief indessen ab wie ich wünschte. Mein Kabinetsminister steht zwar bereits als Glaser in königlichen Pflichten: da ihm aberherkömmlich – ein Wort, das wohl ganz andere Abweichungen entschuldigt – alle und jede alte Scheiben [261] ohne Ausnahme, sobald er nur neue an deren Stelle einzieht, eigenthümlich zufallen; so dürfte sich wohl unter allen Dienern des Staats schwerlich Einer noch finden, der die Nebenvortheile seines Amts mit so gutem Gewissen rechtfertigen könnte als er; und da mir ohnehin diese Abfälle der Bastille mein bares Geld kosten, so ging ich damals so ruhig und zufrieden mit mir zu Bette – als heute.


Den 20sten Februar.


Das schauderhafteste Gemälde von Breugeln, dem Kabinetsmaler der Hölle, kann kein so auffallendes Gegenstück zu einem Claude-Lorrain, dessen Pinsel in die Sonne getaucht scheint, abgeben, als mein heutiger Morgen zu meinem gestrigen. Saint-Sauveur, der, wie ich es erst dadurch erfuhr, als ein vertrauter Freund des Intendanten, bei ihm einkehrt, so oft er hierher kommt, trat früh in mein Zimmer, brachte mir eine Einladung von ihm für den Mittag, und, zu meinem Zeitvertreibe für den Morgen, seine schriftliche Erlaubniß, das Arsenal zu besehen. Ich legte den Zettel neben mir auf das Kaffeebret mit aller der Gleichgültigkeit, die ich für solchen militärischen Prunk habe, die aber dafür den Brigadier desto mehr verschnupfte. – »Ich sehe wohl,« sagte er empfindlich, »du erkennst den Vorzug nicht, wie du solltest, den dir dieß Einlaßbillet vor so vielen tausend durchreisenden gelehrten Wanderern verschafft, die vergebens darnach angeln. Du mußt wissen, daß Herr von Saintaignan es selbst meinen Bitten nicht eher zugestand, als bis ich für dich gut sagte. Warum rümpfst du die Nase? Glaubst du etwa, daß unsere Zeughäuser so zugänglich sind, als unsere Theater und Kirchen? O nichts weniger. Dafür wirken sie aber auch mächtig auf unsere Imagination, wie alles Große, das sich versteckt hält, und der Glückliche, dem es vergönnt wird sie in der Nähe zu bewundern, trägt für sein übriges Leben einen auszeichnenden Glanz davon.« – »Du sprichst,« erwiederte ich, »wie ein Soldat; ich aber denke wie ein Magister, der lieber während seiner Morgenbetrachtungen einer Liqueurbouteille in den Hals sieht, als einer Kanone, und ungern der leidigen Neugier einen Mundbissen von seinem Frühstück aufopfert.« [262] – »Kürze es heute immer ein wenig ab,« versetzte der Marquis, »und hebe auch, wenn ich dir rathen darf, deinen philosophischen Senf bis auf ein andermal auf. Die kritischen Betrachtungen eines Magisters über die Kriegskunst ändern den Lauf der Welt nicht um ein Haar breit; sie stören aber leicht den guten Humor. Davor mußt du dich aber heute besonders in Acht nehmen; denn die Tafel des Kommendanten erwartet an dir einen muntern Gast, und das schöne Korps unserer Damen einen witzigen Gesellschafter. Hier ist Stock und Hut. Rühre dich, Wilhelm. Der lahme Gefreite, den ich dir zu deiner Begleitung mitgebracht habe ...« – »Du also,« unterbrach ich ihn, »hast keine Lust?« – »Meine Geschäfte,« zuckte er die Achseln, »wollen mir es nicht erlauben. Doch wirst du mich auch nicht vermissen. Ich habe dir einen gesprächigen und pünktlichen Mann ausgesucht, der selbst in dem Palaste wohnt, wo er dich einführen soll, der das weitläuftige Inventarium davon unter seiner Kreide und Aufsicht, und für keine andern Merkwürdigkeiten der Welt einen Sinn hat. Ich wünschte nur, dein Verlangen sie zu sehen wäre so groß, als seine Freude sie dir zu zeigen.« – Ich fühlte, ob ich meinen Beutel in der Tasche hätte. – »O nicht etwa,« widerlegte der Marquis meinen Gedanken, »als sei es ihm um ein gutes Trinkgeld zu thun. Für einen so gewöhnlichen Cicerone darfst du deinen Führer nicht halten. Viel zu stolz, neben der königlichen Pension von einem andern einen Groschen anzunehmen, plaudert er sich heiser, und schleppt sein gelähmtes Bein nach – ächt Französisch, bloß zur Ehre seines Monarchen, von dessen Bewunderung er voll ist. Ich will nicht zweifeln, daß selbst ein Preuße dieses Gefühl mit ihm theilen kann, wenn er die Docke zum Schiffbau, den Waffensaal, die ungeheuern Vorräthe in den Magazinen an Tauen, Ankern und Segeln, die Werkstätte des Schreckens in voller Arbeit, das viele kostbare Geschütz und mehrere andere Wunder unsers Arsenals zu Gesicht bekommt. Es ist unmöglich, hier nicht von dem höchsten Erstaunen ergriffen und von der Größe eines Königs von Frankreich durchdrungen zu werden. Gönne immer deinem Begleiter dieß Schauspiel deines erregten Enthusiasmus zur Belohnung für [263] seine angestrengten Flechsen. Ein Französischer Invalid verlangt keine andere. – Ach! ehe ich gehe, noch ein Wort von unserer morgenden Spazierfahrt nach Hieres. – Diese müssen wir einstellen. Wir sind zu einem Schmause am Bord der Vengeance gebeten, den die Seeofficiers zur Einweihung dieses neuen Kriegsschiffs veranstalten. Mich freut es, daß so manches Ungewöhnliche zusammen trifft, um dir den Aufenthalt in Toulon unvergeßlich zu machen – Lebe wohl!« – –

Der liebe Brigadier! Ich verkenne zwar keineswegs seine guten Absichten; aber die Anordnung meines Zeitvertreibs versteht er nicht. Mir will nun einmal die große enthusiastische Ehrfurcht für einen Monarchen, wenn er sie mir nicht, wie unser Friedrich auf eine feinere Art abzulocken weiß, als mit Kanonen und Schiffen, so wenig in den Kopf, als mich witzige Einfälle reizen, auf die man in voraus bei mir Bestellung macht. Und wie könnte ich mich vollends über den Verlust der Hierischen Gewürzinseln trösten, die mir ein Soldatengelag an einer schwankenden Schiffstafel, an die ich nicht denken darf ohne mich schon in voraus seekrank zu fühlen, so vor der Nase wegnimmt!

Nach einem solchen grillenhaften Selbstgespräch war es wohl nicht zu erwarten, daß ich mich den Anmaßungen meines Führers geduldig preis geben würde. Auch trat ich ihm, um seinem prahlenden Gewäsche in Zeiten vorzubeugen, mit Worten entgegen, die zur ersten Ansprache wohl etwas freundlicher hätten seyn dürfen. – »Hinken Sie nur ohne Bedenken und Komplimente vor mir her, Herr Unterofficier, und lassen Sie mir Ihre Merkwürdigkeiten jetzt unbeschrieben. Ich bin für den Augenschein, und auch mit dem hat es keine Eile.« – So trollte ich ihm mit meiner übeln Laune in den Hafen nach, der, im Vorbeigehen gesagt, sehr verschieden von dem reinen Wasserbecken zu Marseille, sich einer feinen Nase schon von weitem ankündigt. Wie mußte ich mein neugieriges Auge hüten, als wir dort ankamen, um nicht mehr als einen flüchtigen Blick seitwärts zu thun, aus Furcht, die prachtvolle Façade des Arsenals möchte meinen Entschluß vereiteln, und mir die Lobrede abzwingen, auf die mein aufgeblasner Begleiter schon [264] seine Ohren gespitzt hielt! Vielmehr drehte ich mich, wie ein eigensinniges Kind, gerade der Seite zu, die er am meisten bemüht war meiner Aufmerksamkeit zu entziehen. Daß doch ein vernünftiger Mann, ohne eben boshaft zu seyn, sich den albernen Spaß machen kann, den Stolz eines andern zu necken! – »Zu was,« fragte ich mit verstellter Neugier, indem ich, statt seinen schlauen Winken zu gehorchen, den stinkenden Behälter der königlichen Galeeren ins Auge faßte, »zu was dienen denn die langen schmalen Schiffchen, die in diesem Sumpfe fest liegen?« – Zu Zuchthäusern für unsere Verbrecher, war seine kurze Antwort. – »Hat sie wohl Howard besucht?« – »Kann seyn,« erwiederte er, »ich weiß es nicht.« – »Ich möchte wohl,« äußerte ich, im Widerspruche meiner Neigung, den Wunsch, »mit Besichtigung ihrer den Anfang machen!« – »Das möchten Sie?« spöttelte der Invalide. »Viel Glück zur sentimentalischen Reise! Mir aber werden Sie vergönnen nicht mitzugehen, sondern Ihre Zurückkunft dort zu erwarten, wo ich hingehöre.« – Er kehrte mir nach dieser Erklärung den Rücken, und hinkte dem Portale des Zeughauses zu. Und ich? Gern hätte ich mein übereiltes Wort wieder zurück genommen; meine einfältige Laune stellte mir aber das Ding als eine Ehrensache vor, die ich gegen den Französischen Invaliden verfechten müßte, blieb in ihrer einmal genommenen Richtung, und zog mich wider Willen mit sich fort bis in die nächste Galeere.


Ich habe zwar schon manche öffentliche Anstalten für das gemeine Beste gesehen, die wenig Raum einnahmen, aber noch keine, wo der Platz so benutzt und die Ersparniß alles Ueberflüssigen so sichtbar war, als hier. Ein schwankendes Bret brachte mich zuerst in eine Kajütte, wo ein alter Kapuziner, zwischen einem Kruzifix und einer Arzneischachtel, die Rolle eines geistlichen und leiblichen Arztes zugleich spielte, und in seinen Bewegungen, ohne angekettet zu seyn, keinen größern Zirkel beschreiben konnte, als den ich jetzt durch meine Dazwischenkunft ausfüllte. Seine feurigen Augen, die aus dem blassen verfallenen Gesichte vorschimmerten, wie glimmende Kohlen in einem Aschenhaufen, sein langer, vor Alter gebleichter [265] Bart, der ihm bis auf den Gürtel in krausen Wellen herab floß, und die trübe gefällige Miene, mit der er mir seinen hölzernen Sessel einräumte, machten schon einen starken Eindruck auf mein Gefühl: als ich aber von ihm vernahm, daß er, jung hierher versetzt, auf diesem Vereinigungspunkte der größten physischen und moralischen Herabwürdigungen des Menschen grau geworden sei – als er einen Blick voll hoher Ergebung gen Himmel schlug, und mit rührender Stimme bekannte, daß bloß der Gedanke an Gott und die Unsterblichkeit ihn so lange aufrecht erhalten habe; da beugte sich mein Geist mit so tiefer Ehrerbietung, als mir schwerlich je ein König durch den Höllenglanz seiner Zeughäuser abnöthigen wird, freiwillig vor diesem edel denkenden, duldenden Greise. Ich wußte meiner Milzsucht, die mir doch allein das wehmüthige Vergnügen seiner Bekanntschaft verschafft hatte, nicht freundlich genug dafür zu danken. Von keiner Kanzel, keinem Katheder ist mir die wundervollste aller Tugenden, die Tugend der Aufopferung, näher an das Herz gelegt worden, als an dieser mir heiligen Stäte. Das erhabene Beispiel dieses frommen Dulders – wie groß und unverdächtig es auch seyn mochte – wurde jedoch – o daß ich nur nicht zu voreilig entscheide! – von einem vielleicht einzigen übertroffen, dessen zu erwähnen ihm der Verfolg seines Gesprächs Gelegenheit gab. Er blickte mir sanft lächelnd in die feuchten Augen. – »Bemitleiden Sie mich nicht zu sehr,« sagte er. »So lange mich noch jugendliche Wünsche bestürmten, ich die Sonne noch nicht vergessen konnte, die mich in dem kleinen Klostergärtchen beschien, ich noch an den Lindenbaum dachte, den ich dort gepflanzt und gepflegt hatte, und der jetzt einen Glücklichern als mich beschattet – und ach, so lange sich noch mein Herz nach der Stille, der Ordnung und der Reinlichkeit« – das, Eduard, sagte ein Kapuziner – »meines Klosters zurück sehnte, drängten sich freilich wohl manche Seufzer des Unmuths aus meiner Brust; doch nach und nach, Gott sei gelobt! bin ich meiner strafbaren Ungeduld Herr geworden. Die Zeit kam, die uns kühl genug macht, alle irdische Freuden so nichtig und verächtlich zu finden, als sie es in Rücksicht ihres geschwinden Vorübergehens sind. Die [266] Zeit kam, wo wir unsre schmeichelhaftesten Hoffnungen, unsere gelungensten Thaten ungewiß anstaunen, und nach einer redlichen Untersuchung in denjenigen allein einen bleibenden Werth entdecken, die uns mit jener Welt in Verbindung setzen. Sie kam und brachte mir Trost. Ich habe sogar in meinem traurigen Wirkungskreise Blumen der Freude aufwachsen sehen, die so herzstärkend keinem andern entsprießen. Oft nur ein Trunk Wassers, den ich einem Verschmachtenden reichte, ein kurzes Trostwort, das einen Verzweifelnden aufhielt, erwarb mir das Zutrauen des Genesenen, die Liebe des Getrösteten, erhob mich zu ihrem Wohlthäter, und machte mir den Posten lieb, auf den mich die Vorsehung gestellt hat. Gewiß würde das Entsetzen ihrer Strafe viele getödtet haben, die, dem Kreise ihrer Freunde wieder gegeben, jetzt frohe Tage genießen, hätten sie nicht gewußt, daß am Eingange ihres Gefängnisses eine Seele noch Theilnahme für sie empfände, für sie betete, und auf ihr standhaftes Bezeigen Acht gäbe. Dort,« – indem er auf ein Paket deutete – »hebe ich Briefe auf, wie sie gewiß kein Roman rührender darlegen wird – ächte Urkunden des menschlichen Herzens, und sprechende Beweise, daß an keinem zu verzweifeln ist, so lange es der Dankbarkeit noch Zugang verstattet. Je unverdorbener, desto empfänglicher für diesen Naturtrieb – je mehr es verdient geliebt zu werden, desto gefühlvoller wird es sich er wiedern. Da habe ich unter meinen der Kette entlassenen Korrespondenten besonders Einen, der es immer noch nicht vergessen kann, daß ich um seine Freundschaft als um ein Almosen bettelte, während er, nicht auf einer Prälaten- sondern auf der Ruderbank saß – ein Mann, mein Herr, den sonderbar genug! kein Verbrechen, vielmehr die Lauterkeit seiner hohen Seele diesen Schrecknissen preis gab – der sich als Jüngling allen sinnlichen Freuden entriß, um die Strafe unserer strengen Gesetze für einen Schuldigen zu büßen, der – sein Vater war.« – »Was?« unterbrach ich den Mönch, »sprechen Sie von dem edelmüthigen Faber aus Ganges? Der hat auf dieser Galeere ...« und Thränen verhinderten mich fortzusprechen. – »Sie kennen also, wie ich sehe, einen Theil seiner Geschichte?« – »Nein, lieber Pater,« schluchzte ich, »ich kenne sie[267] ganz, und habe auch den rechtschaffenen Mann selbst gesehen und gesprochen.« – »Ganz?« wiederholte der Mönch mein Wort; »o dessen, mein guter Herr, werden Sie Sich erst rühmen dürfen, wenn Sie« – hier öffnete er die Thür nach dem Innern des Schiffs – »von daher zurück kommen.« – Mein Blick fuhr erschrocken über dieß Grab der Verzweiflung, und der verpestete Luftstrom, der mir entgegen stieß, versetzte mir den Athem. Hätte Faber nicht Jahre lang hier gelitten ohne zu murren, ich wäre keinen Schritt weiter gegangen. – Der gutmüthige Alte, wie er mich dazu entschlossen sah, ergriff meine Hand. – »Ich will Sie zwar, aus guten Gründen, von Ihrem Unternehmen nicht abhalten: Sie scheinen jedoch für solch eine Anstrengung des Körpers und Geistes kaum Kraft genug zu besitzen. Hier, lieber junger Herr, trinken Sie zuvor ein Glas Tinto, der mit einem Liquor gegen die Ansteckung versetzt ist, und nun gehen Sie in Gottes Namen. Diese Stunde der Wehmuth stärke alle Ihre übrigen Tage zur Geduld, zum Erbarmen und zu einem schuldlosen Leben!« – Mir ward, indem ich trank, so bänglich zu Muthe, als einem, der, durch das heilige Nachtmahl vorbereitet, ein tödtliches Wagstück zu bestehen im Begriff ist. Was für ein Gang war das, Eduard! Ich mag noch so alt werden, ich vergesse ihn nie.

Sobald nur der hohle Schall meiner ersten Tritte auf das Zwischenverdeck des Schiffs den unglücklichen Bewohnern desselben die Ankunft eines freien Mitmenschen verrieth, bewillkommte mich ihr betäubendes Kettengerassel, das sich von einem Ende zum andern um die offene Seitenvertiefung herum zog, die unter mir ihre faulenden Körper bis an die Köpfe verbarg – und in dem Augenblicke streckten sie solche, wie Schildkröten aus ihren Schalen, hervor. Ich blieb, vor Schrecken gelähmt, eine Weile, wie die Bildsäule des Antonius, der den Fröschen predigt, auf dem Fußboden stehen, ehe ich Herz genug fassen konnte, zwischen den beiden Reihen dieser Gespenster durchzuschlüpfen ... Ach! welche tief gesunkene Menschen! Bei jedem Schritte, der mich bei ihnen vorbei führte, küßten sie mir die Füße, erhoben sie, flehend um ein Almosen, ihre gefesselten Hände, und sahen mit Augen voll Schwermuth und [268] Eifersucht mir auf dem folgenden nach, den ich zu dem Nachbar ihres Elends that. – Athemlos gelangte ich an das Ende dieser schauderhaften Allee. Hier lehnte ich meinen Rücken an die breterne Wand, und überblickte mit einem Herzen, das immer höher schlug, das ganze bewegliche, Grausen erregende Gemälde, hörte in erschütterndem Einklange die Wehklagen dieser lebendig Begrabenen aus ihrer gemeinschaftlichen Gruft zu mir herauf steigen, und erst nach einigen feierlichen Minuten, die ich stillstehend der schreckenvollsten Betrachtung weihte, überwand ich die Angst vor meinem Rückwege, und fühlte mich selbst stark genug, meiner Eile, meiner Sehnsucht nach freier Luft zu gebieten, um – dem Elend, das hier weilte, noch einmal bedächtlicher in das hohle Auge zu sehen, und, ohne mein blutendes Herz zu schonen, ihm die Dolche noch tiefer einzudrücken, die es zerfleischten.

So gewiß auch von den beiden Gegenbildern – der menschlichen Würde und ihres Verfalls – der Glanz des ersten eine so schwarze Unterlage entbehren kann, so dienlich kann uns doch ihr Wiederschein in den übermüthigen Stunden werden, wo das Gefühl unsrer Kultur uns mehr beweist, und uns höher setzt, als es sollte. Denn wer von uns, so behauptet Montaigne mit mehrern ehrlichen Rechtsgelehrten und Sittenrichtern, hat nicht Schritte gethan, die ihn gerade auf die Galeere gebracht haben würden, wären ihm nicht glückliche, errettende Umstände noch zur rechten Zeit in den Weg getreten? – Diese und mehr andere Gedanken, die wohl noch spitziger ausfielen, begleiteten mich über das Verdeck zurück, und schienen mir von jeder um mein Ohr klirrenden Kette einen Theil des Gewichts an die Füße zu hängen. Hätte ich mich in beschaulicher Muße auf der Dresdner Gallerie befunden, und bei Zinggs Talenten die Aufgabe zu lösen gehabt, aus dem Licht und Schatten der Gemälde ihren höhern oder niedern Werth zu berechnen, meine Schritte würden dort nicht schleichender, nicht zögernder und der Aesthetik nicht angemessener haben seyn können, als sie es hier den geheimen Bewegungen meines Herzens waren. Auch glaube ich kaum, Eduard, daß meiner Aufmerksamkeit nur ein Wort, nur ein Zug von Bedeutung in den tragischen Reden,[269] in dem konvulsivischen Geberdenspiel der armen Schächer entwischt ist, die ich, ohne mich zu rühmen, mit den Augen und Ohren eines Zentrichters belauschte.


Ich sah, wie hier das Joch der brüderlichen Strafen

Den steifen Hals der Eigenliebe bog,

Wie mit der Armuth und des Geizes Sklaven

Der Wollust Sklav' an Einer Kette zog!

Vom Kelch der Wehmuth trunken, reichte

Ich allen nun mein Geld und Ohr,

Und schrecklich brach die allgemeine Beichte

Der Büßenden aus ihrer Bucht hervor.

Der eine schrie: »O Gott! ich bleicht' an deinem Meere

Mein Bißchen Salz in deinem Sonnenschein,

Und Menschen strafen mich!« – »Ich« fiel ein andrer ein,

»Verbüß' an Fesseln der Galeere

Die dreimal ungewiße Ehre,

Von dreien Weibern Herr zu seyn.« –

Ein Dritter, stolz auf die Calotte,

Die dem beschornen Haupte blieb, 3

Sprach ernst: »Ich fühle mich vom Gotte

Der Musen inspirirt, und schrieb –

Ich schrieb der Bücher viel, und alle

Sind längst ins Deutsche übersetzt.

Ich schrieb vom steigenden Verfalle

Des Staats ein Buch in Quart – da, Freund, hat mich zuletzt

Des Königs Wink, und des Ministers Galle,

Und Flaccus Rath: ›Was nützet und ergetzt,

Das schreib!‹ hierher gebracht. Der Trost in meinen Ketten,

Der einzig noch mein Schicksal mir versüßt,

Ist, daß man Rousseau's Styl am Hof, an den Toiletten,

Nicht halb so gern als meine Prosa liest.«

Beschämt wünscht' ich ihm Glück zu diesem seltnen Grade

Des guten Styls und floh, als mir auf meinem Pfade

Noch ein Gespenst zu Füßen sank:

»Ein Wort – Gott segne Sie! – ein Wörtchen nur zur Gnade,

Mein Herr! Wer hält denn wohl seit mir im Schlangenbade,

In Ems und Ronneburg die Bank?«


Und wäre mein von Mitleiden durchdrungenes Herz noch so geneigt gewesen, die Strafe dieser Unglücklichen und ihre Verschuldung [270] so weit außer Verhältniß zu finden, als sie selbst davon überzeugt schienen, so würde mir doch des Spielers Kette, in Rücksicht der Verbrechen, die, wenn ich nicht sehr falsch las, auf seiner frechen Stirn geschrieben standen, noch zu leicht und zu lang gedünkt haben. Er richtete sich, so weit sie es zuließ, unbescheidener als seine Mitgesellen an mir in die Höhe, und bewegte seine um ein Geschenk bettelnde Hand nicht anders, als wollte er eine Volte schlagen. Wären mir auch nur zwölf Sous von meiner Spende übrig in meinem Beutel geblieben, er hätte sie nicht bekommen sollen; denn er würde sie doch nur gemißbraucht haben, durch ein rouge et noir mein vertheiltes Almosen in seiner Diebskasse wieder zusammen zu bringen. Ein derber Deutscher Fluch, den er mir für den verächtlichen Blick nachschickte, den ich ihm zuwarf, statt ihm zu antworten, prallte mir noch in die Ohren, als ich schon, seines scheußlichen Anblicks entledigt, mich von meinem sauern Gange in den Armen des redlichen Mannes zu erholen suchte, der dieser schrecklichen Gemeine vorstand. Es war der erste Mönch, den ich küßte. So herzlich habe ich selbst nie die Wange eines Mädchens geküßt. Nach einigen abgebrochenen Worten, die ihm nur zu deutlich meine innere Bewegung und meine Ohnmacht, sie ihm besser zu schildern, verriethen, drückte ich noch einmal seine Hand an mein pochendes Herz – und er – schlug ein Kreuz über mich, als ich mich von ihm losriß.


Erquickender hat kaum jemals die freie Luft auf mich gewirkt, als da ich aus diesem Kerker an das Licht trat. Ich hüpfte mehr als ich ging meinem sprechsüchtigen Begleiter zu, der mich an dem Thore des Arsenals ungeduldig erwartete. Er konnte nicht begreifen, wie ich zwei volle Stunden an die häßliche Galeere habe verschwenden, und sie den Schaustücken entziehen mögen, die ich ja jetzt nur im Flug würde betrachten können. Da sein Zeitvertreib ungleich mehr als der meine bei der Sache im Spiel war, so läßt sich auch mein Verdruß gar nicht mit der Größe des seinigen vergleichen, als ich dastand, alle meine Taschen umwendete [271] und endlich mit zitternder Stimme mein Einlaßbillet – für verloren erklären mußte, so wie es mein Schnupftuch war. Das eine war für mich leichter zu entbehren als das andere. Während sich nun der Soldat unter lauten Wehklagen, um das wichtige Dokument zu suchen, so eilig auf die Beine machte, als ob es sein Gehirn wäre, das ich verloren hätte, hielt ich es für räthlicher, dem dringenden Beruf meiner Nase zu folgen, und nach dem Gasthofe zu wandern, als unter freiem Himmel seine hinkenden Nachrichten zu erwarten; doch rief ich noch zu seinem Troste ihm die Versicherung nach, daß ich den folgenden Morgen ganz dem Arsenale und ihm widmen und die heute versäumten Stunden wieder einbringen wollte. Dieser kleinliche Zufall ist mir eigentlich heute gar sehr zu passe gekommen: denn ungerechnet den Zwang, dessen er mich zwar nur vor der Hand entledigt, die Waffen unsers Erbfeindes zu bewundern, so hat er mir doch immer die Muße verschafft, Dir in der ersten Wärme der Empfindung, die doch gewiß am ähnlichsten malt, die Scenen meines Morgens zu schildern. Zweitens läßt er mir auch Zeit mich abzukühlen, ehe ich in die vornehme Gesellschaft gehe, in die mich der Mittag einführen wird. Wohl gut, daß er in der großen Welt drei Stunden später eintritt als in der physischen. Inzwischen, denke ich, sollen die Bilder, die jetzt noch so lebhaft mir vorschweben, ziemlich verblichen, und brauchbarerepour la belle conversation an ihre Stelle getreten seyn. Denn welche Dame, ich bitte Dich, würde mir zuhören, wenn meine Erzählung zum ohnmächtig werden sie aus dem hellen Speisesaale in jene düstre Sklaven-Barake versetzen wollte? Eben so wenig würde ich Glück bei ihr machen, wenn ich mir einfallen ließe, während sie mich anlächelt oder die Zähne stochert, dem heldenmüthigen Kapuziner eine Lobrede zu halten, und an ihrer Seite seiner funfzig, der bessern Zukunft geopferten Jahre, und der widernatürlichen Zufriedenheit zu huldigen, mit der er, ohne nur Einmal in ein schönes Auge geblickt zu haben, auf seinem heiligen Posten steht. Mit Dir, Eduard, ist es etwas andres. Du mußtest mir wohl Ehren halber Stich halten, denn Du zählst Dich zu den philosophischen Köpfen. Doch diese, lieber Gott, sind mir [272] heute selbst so zum Ekel geworden, daß es mich Wunder nimmt, wie ich mich noch im geringsten mit ihnen abgeben mag.


Ihr, denen Gott zum Mitgefühle

Des Seneka, des Antonin,

Weich ausgestopfte Rednerstühle

Und einen Doktorhut verliehn,

Bestürmt mich nicht mit euerm Wortgetöse

Von Menschenkraft und Seelengröße,

Seit Fabers Glanz mich überschien!


Beredt, den Widerspruch zu scheiden,

Daß Freisinn in der Sklaverei

Wohl möglich, und im höchsten Leiden

Ein Weiser Herr des Schicksals sei,

Lauscht zwar mein Ohr auf euern Wohlklang: aber

Beredter prediget mir Faber

Der Stoa Wahlspruch: Ich bin frei.


War es der Geist, der in der Schule

Des Zeno Stärkungen verschrieb,

Der ihn von seinem Weberstuhle

In diese Kluft des Jammers trieb,

Wo, von dem Glück der Freundschaft abgeschieden,

Wie von der Liebe, nur der Frieden

Mit sich allein ihm übrig blieb?


Nein, er ging auf dem dunkeln Pfade,

Den nur der Göttliche ihm brach,

Der für uns litt, frei und gerade

Der geistigen Belohnung nach:

Sein Herz bedurfte keiner Lehre;

Er rettete der Tugend Ehre;

Er hielt, was Seneka versprach.


Ein glänzender Mittag, Eduard, ein Gastmahl, wie es nicht jeder Intendant der königlichen Marine zu geben vermag, wenn er es nicht von Toulon ist, an dessen Küste die berühmten Dattelmuscheln zu Hause sind, die ihm als ein ausschließendes Vorrecht zukommen. Ich fand an diesem Beherrscher der Hölle, die ich heute Morgens bestieg, zu meiner Verwunderung einen sanften, liebreichen Mann in seinen besten Jahren. Er empfing mich als den Freund seines Freundes mit Güte und Achtung. Unsere erste [273] Zusprache inzwischen – ob sie gleich von beiden Theilen nur auf gemeine Höflichkeiten beschränkt war – mißlang je doch ein wenig; so sehr hat man selbst bei gleichgültigen Gesprächen es für ein Glück zu achten, wenn man in dem Innern des andern keine verborgene Saite berührt, die traurig oder widrig zurück tönt. Seine Worte kehrten mir immer eine Spitze zu, und meine Antworten? Du magst selbst urtheilen, wie klug und artig sie ausfielen. Gleich seine Frage, wie mir das Arsenal gefallen, gab mir einen Stich in das Herz. Roth bis über die Ohren, dankte ich ihm bloß für seinen Erlaubnißschein, ohne meiner Unachtsamkeit zu gedenken, die ihn vereitelt hatte. Zu sehr Weltmann, um eine unbeantwortete Frage zu wiederholen, brachte er mich sehr ungesucht auf unsern König zu reden. Mein Lob, in das er herzlich mit einstimmte, wäre auch nicht übel gewesen, wenn ich nur nicht dabei – ich weiß auch nicht wie mir war – einen Tadel seiner Vorliebe für die Franzosen mit eingewebt hätte; denn dazu war doch hier in der That der rechte Ort nicht. Von ihm ging er auf die Annehmlichkeiten Berlins, und zugleich auf die Energie – wie er es ausdrückte – der Deutschen Nation über, ohne nur im mindesten ihren Mangel an andern guten Eigenschaften zu erwähnen. Ich hätte mich gern im Namen aller dazu bekannt, um das Schmeichelhafte, das auch für mich in seinem allgemeinen Urtheile lag, ein wenig zu mäßigen; aber ich wußte in diesem Augenblicke vor lauter erregtem Patriotismus nichts an uns auszusetzen, was sich der Mühe verlohnte. – »Ich kenne zwar Ihr Vaterland nur aus einer nichts weniger als empfindsamen Reise, die ich im siebenjährigen Kriege dahin als Fähndrich that, und von der ich als Oberster einer Brigade wieder zurück kam.« – »Ew. Excellenz wohnten also wohl der schrecklichen Schlacht bei Minden mit bei?« – »Ja,« antwortete er, »ich führte in derselben die Grenadiere von La Tour gegen Ihre Dragoner an.« – Diese hingeworfenen wenigen Worten rissen – ist es glaublich? – eine alte, längst verharschte Wunde meines Herzens auf – »So ist denn,« sagte ich heimlich zu mir, »über dieselbe Zunge, die jetzt so freundlich mit dir spricht, das Schreckenswort: Gebt Feuer! gegangen, das [274] deinen armen Bruder zu Boden streckte!« Die Thränen meines Vaters, die Verzweifelung meiner Mutter und mein eigener kindischer Schmerz traten mir jetzt so lebhaft vor die Seele, daß ich diese traurige Erinnerung nicht wieder los zu werden vermochte, ohne sie dem mitzutheilen, der sie unschuldiger Weise erregt hatte. – »Er stand,« sagte ich, »unter demselben Regimente, das von dem Ihrigen so übel empfangen wurde, war der edelste beste Jüngling, erst achtzehn Jahr alt, als er blieb, und schon Adjudant.« – »Schon Adjudant?« fing er meine Worte auf; »das will im Preußischen Dienste etwas sagen, und giebt allein schon einen hohen Begriff von seinen ausgezeichneten Talenten.« – »Das nun eben nicht,« glaubte ich bescheiden zu antworten; »die beiden Armeen arbeiteten in diesem blutigen Kriege nur zu gut für den Abgang, daß oft das ganze Verdienst, dem ein junger Officier seine schnelle Beförderung verdankte, bloß auf dem Umstande beruhte, aus einer Schlacht nach der andern gesund zurück zu kommen. Hätten meinem guten Bruder, statt selbst zu fallen, die Leichen seiner Kameraden als Stufen gedient, um so fortzusteigen wie er anfing, so zweifle ich nicht, er würde jetzt so gewiß als Ew. Excellenz ...« – Hier faßte mich der General lächelnd bei der Hand, ohne das Ende meiner Militärrechnung abzuwarten, und stellte mich der übrigen Gesellschaft vor.

Bald nachher setzten wir uns zur Tafel. Hier bekam ich meinen Platz neben zwei Damen, von denen mich sogleich die eine in ein Gespräch zu ziehen wußte, das jedem, der hungriger darnach gewesen wäre als ich, vollkommene Sättigung gewähren konnte; denn es gehörte als geistige Nahrung in die Klasse der Schüsseln, die man durch immer neuen Zusatz von Brühen so sehr verlängern kann als man will. War ihr weiß gemacht, daß ich ein Litterator sei, oder glaubte sie es meiner listigen Miene anzusehen; genug, ich hatte noch nicht drei Löffel von der Suppe genossen, als ich schon mit ihren zwei vorzüglichsten Lieblingen des vergangenen und des laufenden gelehrten Jahrhunderts, mit Molieren und Büffon, bekannt war. – »Niemand,« sagte sie von dem ersten, »hat feiner unsre kleinen Blößen an das Licht gezogen, [275] und die Schleichwege zu dem Labyrinthe des weiblichen Herzens deutlicher angegeben, so daß man schwerlich jetzt einen derselben ohne Gefahr einschlagen könnte, von Männeraugen ertappt zu werden.« – Sie blickte mir dabei so herzhaft in die meinen, daß ich sie niederschlug. – »Dadurch,« fuhr sie fort, »ist ein gewisses Zutrauen unter beiden Geschlechtern entstanden, das vieles abkürzt, und desto anziehender ist, je steifer es sich auf die Kenntniß gegenseitiger Schwächen gründet.« – Ich hätte gern der Dame mein Kompliment über den neuen Gesichtspunkt gemacht, aus welchem sie den Werth des Komikers beurtheilte; aber sie ließ mich noch nicht zum Worte. – »Er hat gewiß,« entwickelte sie ihren Satz mit selbstgefälligem Tone, »als ein guter Bürger, der bessern Erziehung und dem natürlichern Gange unsers Jahrhunderts vorgearbeitet. Denn wer hat die Misanthrope, die Tartüffe, die Précieuses ridicules aus unserm gesellschaftlichen Zirkel vertrieben als Er?« – »Ich dächte, Madam ...« – »Und der Zweite,« fuhr sie fort ohne mich anzuhören, »wie hat er sein menschenfreundliches Herz, seine umfassenden Kenntnisse, und die Harmonie der Sprache benutzt, um uns in lauter Spaziergängen zu der Quelle der wahren Natur zu führen, zu der wir ehedem höchst langweilige Umwege machen mußten! Sein Grundsatz von der Liebe, der jetzt allgemein angenommen wird, wie viel hat er nicht zur Ersparung unserer kostbarsten Zeit beigetragen!« – »Welcher, um Vergebung?« fiel ich ihr in die Rede. – »Daß in dieser Leidenschaft,« antwortete sie mit einer dogmatischen Miene, die ihr nicht so ganz übel anstand, »nichts gut sei, was nicht – um es kurz zu sagen – gerade zum Ziel führt. Alle unsere physischen und moralischen Handlungen standen längst unter dieser Regel: aber erst seit ihm gebietet sie auch der Liebe. Seit dem Ausspruche dieses großen Naturforschers ist das ekle Romanhafte unter uns gänzlich verschwunden, und man wird jetzt selten ein so lächerliches Paar finden, das einander gefällt, und nicht auf Büffons Gefahr damit anfinge, wo die Großältern aufhörten.« – »Wirklich?« war das einzige Wort, das ich, während sie Athem holte, einschieben konnte. – »Was, mein Herr,« überströmte mich jetzt der [276] Fluß ihrer Beredsamkeit aufs neue, »was sagen Sie von seinem hinreißenden Style? Voltaire ist gewiß in seinen Gedichten ein rührender, melodischer Sänger: aber ich gestehe, daß ich in beiden Rücksichten die Prose unsers Büffon den schönsten Versen des Dichters vorziehe. Vergleichen Sie nur die Stelle, wo jener von den Schrecknissen der Natur spricht, mit dem Voltairischen Gedichte über das Erdbeben von Lissabon. Wer von beiden hat hier das Grausen der menschlichen Seele bei solchen Vorfällen am besten geschildert?« – Indem wurde mir der Flügel einer Poularde mit Trüffeln gebracht. Der Duft davon reizte meine Zunge; aber ich ließ sie unbefriedigt, um nur endlich der ihrigen Ruhe zu verschaffen. Es gelang mir vortrefflich. – »Solche Vergleichungen,« begann ich mit einer klugen Miene, »machen unstreitig ein großes Vergnügen; und derjenige unter den Schriftstellern, wie Madame sehr richtig bemerken, ist gewiß der größere, der es am besten versteht, durch die Magie der Sprache unsere gesunkenen Empfindungen auf ihre erste Höhe zu treiben, und sie uns gleichsam, wie auf Noten gesetzt, zur Wiederholung des Spiels wiederzugeben. Wenn Büffon zum Beispiele denselben Schauer in Ihrem Herzen zu erregen weiß, den Ihnen diese schreckliche Naturbegebenheit zu der Zeit verursachte, da sie vorging, so ...« – »Welche Naturbegebenheit?« unterbrach sie mich hastig. – »Des Erdbebens von Lissabon,« antwortete ich ganz unbefangen; und ohne mir eine Sylbe darauf zu erwiedern, drehte sie sich nach der andern Seite. – »Ich meinte ...« rief ich ihr nach; aber sie that nicht als ob sie mich hörte, und ich verlor alle Hoffnung, daß sie mir diesen groben chronologischen Irrthum so bald vergeben würde.

Ich war so verblüfft, daß eine Weile verging, ehe ich nur daran dachte, daß ich auch zur linken Hand eine Nachbarin habe. Die gelehrte Vielsprecherin hatte allein Schuld, daß ich nicht einmal wußte, wie sie aussah. Ich erfuhr es nur zu bald. Drei brillantene Astern strahlten mir auf den ersten Blick nach ihr gerade in die Augen, blendeten mich aber lange nichtso, als der junge wallende Busen, den sie verzierten. Wäre ich bei Sinnen gewesen, so würde mich dieser Anblick wenig geirrt haben. Aber, [277] Gott mag wissen, wie es zuging! dachte ich mir die Ruhe, die ein Mann seinen Augen auf diese Höhen erlaubt, noch alltäglicher, als die Prüfungen der Hand, die Bayle, unter der Benennung quotidianae incursionis, sogar dem frommen Abadie Schuld giebt, und übertrieb ich meine Sittsamkeit, um nur nicht alltäglich zu scheinen – genug, ich kehrte betroffener um, als ein Hase vor dem Schützen, und blickte auf den Tisch mit einer Verlegenheit, die in der klugen Wendung, die sie einschlug, um sich zu verstecken, erst dadurch recht ans Licht kam. Spielend mit meinem blanken Messer, bemerkte ich das unselige London – ich wollte es wäre Constantinopel gewesen – auf der Klinge, und ohne ein Auge davon zu verwenden, fing ich nun an meine reizende Nachbarin, seitwärts, mit einer ganz neuen Lobrede auf den Englischen Stahl zu unterhalten. Noch hatte ich sie nicht zur Hälfte hervor gestottert, so mischte sich ein Maltheser Ritter darein, der auf der andern Seite neben ihr saß. – »Es kann wohl nichts in der Welt,« sagte er, »dem Englischen Stahl so sehr zur Ehre gereichen, als der Uebergang von einem solchen Bouquet, an einem solchen Platze, zu ihm.« – Was denkst Du wohl, wie sich unsere gemeinschaftliche Nachbarin dabei benahm? Sie schien sein Epigramm nicht zu hören, und antwortete nur meinen schlichten Bemerkungen. Dafür thaten jetzt meine Blicke ihr möglichstes, um ihre Schüchternheit wieder gut zu machen. Aber es währte nicht lange, so verdarb ich mein Spiel aufs neue. Ich hörte Saint-Sauveurs Stimme, sah mich nach ihm um, fand ihn an der Seite einer jungen Dame, und: – »Ach wer ist denn,« stürzte mir die Frage heraus – »dieser Engel von Mädchen, dieß ungeschminkte edle Gesichtchen zur Rechten des Brigadiers?« – Sie blickte hin, – »Die Tochter vom Hause,« antwortete sie gleichgültig, und legte mir geschwind überzuckerte Kastanien vor, um mir, glaube ich, das Maul zu stopfen.

Während ich noch daran kaute, trug man das seltne Gericht auf, das ich Dir schon angekündigt habe: eine Schüssel mit Dattelmuscheln. Diese werden – was Du vielleicht bei Deinen geringen conchyliologischen Kenntnissen nicht wissen wirst – aus großen, dem Zugang aller Elemente verschlossenen Steinen geschlagen, und [278] dienen, wie die Reichsritterschaft dem Kaiser, bei vorfallenden Festen dem hiesigen Intendanten zu einer immediaten Beihülfe. Der heutige Fang mußte indeß nicht so ergiebig gewesen seyn, als das Bedürfniß seiner Tafel verlangte. Er konnte dieses Staatsessen nur unter seine vorzüglichsten, das heißt, wie bekannt, nur unter seine weiblichen Gäste vertheilen. Ich ging so leer aus als die andern Herren. Glücklich jedoch für die Kenntnisse, die ich mir auf Reisen auch durch meinen Gaum zu erwerben suche, daß der Groll einer Französin gegen einen Deutschen nie über zwei Schüsseln hinaus reicht. Ich gewann dießmal augenscheinlich dabei. Meine Nachbarinnen von beiden Seiten entzogen sich auf das gutmüthigste die Hälfte des ihnen zugefallenen Antheils, so daß ich noch einmal so viel von diesen Leckerbissen bekam, als jede behielt – der gewöhnliche Fall eines Mannes zwischen zwei Weibern. Die Anbeterin von Büffon ließ sich sogar herab, mir nicht nur die Geschichte dieses merkwürdigen Schalthiers, so weit als sie bekannt ist, und das, um mich ihres Ausdrucks zu bedienen, weder der See noch dem Lande angehöre, wortreich zu beschreiben; sondern sie zeichnete mir auf eine Visitenkarte, die sie mit einem Bleistifte aus ihrem Kalender zog, gerade unter ihrem gräflichen Namen und Wappen, die Figur flüchtig hin, die diese Muschel ihrer Eremitenwohnung eindrückt. Sie zeichnete nicht übel: doch war es immer, besonders auf so einer Karte, zum Verständnisse der Zeichnung sehr gut, daß ich nur auf meinen Teller sehen durfte, um nicht ungewiß über das Naturprodukt zu seyn, von dessen Abdruck die Rede war. Diesem kleinen wohlschmeckenden Insekte hatte ich es sonach einzig zu verdanken, daß unser durch das Erdbeben zerrüttetes Gespräch aufs neue wieder in Gang kam, und sich auch bis zu Ende der Tafel darin erhielt.

Den Vorzug, lieber Eduard, muß man doch Französischen Gesellschaften vor den unsrigen zugestehen, daß in ihnen der Langenweile kein Raum, und den Mitgliedern keine Zeit gelassen wird, über den Werth oder die mögliche Auslegung jedes Worts, das gesprochen wird, nachzudenken. Bei dem Ueberfluß von Beiträgen, die zur Beförderung einer vergnügten Unterhaltung eingehen, wird [279] es nicht geachtet, wenn auch einer davon nicht so ausgesucht und vollwichtig ist, als der andere.

Eine Stunde nach der Mahlzeit, die fröhlich verplaudert wurde, setzte sich ein Theil der Anwesenden an den Spieltisch; der jüngere Zirkel, dem auch ich mich anschloß, vereinigte sich zu einem Spaziergange nach dem königlichen Garten. Jeder Herr bot einer seiner Nachbarinnen den Arm; da aber die Liebhaberin der Natur die Karten meiner Unterhaltung im Mondscheine vorzog, und der schöne Busen, von dem die Dame, ehe sie ging, die Astern absteckte, dem Maltheserritter zuwallte, so würde ich allein mitgeschlendert seyn, hätte nicht ein glückliches Ohngefähr mir das große Loos verschafft, die Tochter vom Hause zu führen. Indem wir nämlich die Treppe herab stiegen, kam ein Officier der Marine herauf, und hinter ihm ein Kommando, worunter ich auch den lahmen Gefreiten erblickte. Er zeigte mir im Vorbeigehen das wiedergefundene Einlaßbillet, und ich hätte nicht umhin gekonnt ihm ein Wort darüber zu sagen, auf die Gefahr zehn tausend von ihm anzuhören, hätte mir nicht indem der Brigadier die Hand des schönen Kindes, das er führte, in den Arm gelegt, um dem Seeofficier, der ihn bei Seite winkte, zu folgen. Sie mußten etwas wichtiges mit einander abzuthun haben, denn mein Freund ließ sich den ganzen Abend nicht wieder sehen, und zum erstenmale vermißte ich ihn nicht. Die Gesellschaft, sobald sie in dem weitläuftigen Garten anlangte, vertheilte sich in einzelnen Gruppen zu zwei oder mehrern Personen, die sich trennten, sich vertauschten, und wieder zusammen trafen, wie es der augenblicklichen Laune einer jeden gemäß war.

Ich wüßte nicht, was ich von meiner Organisation denken sollte, wenn das Zwanglose, Frohe und für mich ganz Neue dieses späten Spaziergangs seinen Zauber auf mein Herz verfehlt hätte. Es mag mir auch sonst noch so gewöhnlich seyn, meine Empfindungen aus dem verlaufenen Tage am Schlusse desselben wiederzukäuen; dießmal schien es, das gegenwärtige Vergnügen würde eine solche Grille nicht aufkommen lassen. Mein Wohlbehagen verstattete mir zur Zeit nicht, weder an meinen verbluteten Bruder, noch an meine weitläuftigern Verwandten auf den Galeeren zu [280] denken. Die Farben, die mir die Abendröthe, die mir der Mond aufmischte, setzten alle andere Bilder meiner Seele in Schatten. Ach der herrliche Mond! In diesen kostbaren nächtlichen Stunden, wo sein Abglanz mir jeden auch noch so feinen Zug in dem lieblichen, reinen, unschuldigen Gesichtchen meiner Begleiterin vorführte, mußte ich ihn wohl noch lieber gewinnen, als gestern, wo er zwar ein großes, herrliches, aber doch immer nur lebloses Naturgemälde beschien.

Ich habe Dir zwar schon vorhin die Vorzüge des Engels an meinem Arme mit einzelnen, dem Lobe geheiligten Worten angedeutet. Aber ich weiß schon, wie es mit solchen Worten geht. So gewählt sie auch seyn mögen, gleiten sie doch über das Gehirn, wie die glänzenden Kügelchen des Quecksilbers über eine Glastafel, hinweg. Man muß sie erst auflösen und zu einer Unterlage verarbeiten, wenn man den Strahl, der uns blendet, auch in die Augen eines andern zu spielen gedenkt. Leider hat mein in Asche verwandeltes Tagebuch, an dem in dieser Rücksicht auch nichts verloren ist, bis zu der heutigen Mitternachtsstunde nur Schilderungen aus der weiblichen Welt sammeln können, die, wenn ich das Dosenstück einer gewissen Margot ausnehme, das ich Dir wohl gegönnt hätte, nicht werth waren das Kabinet eines ächten Liebhabers des schönen Geschlechts zu verzieren. Es thut mir daher recht wohl, daß ich einmal auf ein Profil gestoßen bin, das selbst neben einer heiligen Familie von Raphael kein unebenes Seitenstück abgeben würde, hätte mir nur das Original lange genug sitzen können, um mehr als einen Schattenriß von ihm zu entwerfen. Diese unvollkommene Darstellung wird indeß immer noch unendlich schätzbarer seyn, als die ausgemaltesten Stücke meiner vorigen Sammlung. Es war schon ein Zug seltener Gutmüthigkeit, daß die junge Schöne ohne Abnahme an Freundlichkeit ihre Hand aus dem Arme eines bekannten Freundes in den meinigen legte; daß sie aber auch nachher, als ihr im Garten die Wahl eines andern Gesellschafters frei stand, sich mit einem Fremden begnügte, der weder über die Tagesgeschichte der Stadt mit ihr schwatzen, noch in der ihm ungewohnten Sprache durch leichte[281] Scherze ihr Ohr reizen konnte, muß ich ihr schon höher anrechnen. Doch daß sie bei ihren sechzehn Jahren sich die Zeit nahm, ein Herz, das in der Nähe des ihrigen schlug, zu behorchen, daß sie verstand den verdeckten Werth desselben zu entwickeln, seine flatternden Faden aufzufangen, mit der zartesten Fühlbarkeit ihren Gehalt zu unterscheiden, und nur die bessern dem Gewebe ihrer schönen Seele anzuknüpfen, das, Eduard, war mir vollends eine so ungewöhnliche Erscheinung, als ich je eine erlebt habe.

Während mir an ihrer Seite so wohl war, brachte mich meine Erinnerung – zum Glück nur ein einzigesmal – auf meine Nachbarinnen von diesem Mittag. Es war ein krauser Gedanke. Sie hätten mir wohl zu keiner Zeit mehr zu ihrem Nachtheile einfallen können. Was wäre aus mir und meinem herrlichen Abend geworden, wenn es meiner glücklichen Albernheit nicht gelungen wäre, beide von mir zu verscheuchen. – Was hätte ich anfangen wollen, wenn die eine so viel Geschmack an meiner Lehrbegierde, die andere an meinen sittsamen Augen gewonnen, diese zu einem empfindsamen Spaziergange mit mir ihre Astern abgesteckt, jene mir noch etwas über den Büffonschen Grundsatz zu sagen gehabt, und mich – Gott erbarme sich – zu ihrem Begleiter gewählt hätte? Dieses Bewußtseyn entgangener Gefahr, wie mußte es nicht den Genuß meines gegenwärtigen Glücks erhöhen! Meine Seele hing an den Lippen dieses Kindes, das in dem lautern Ergusse seiner Empfindungen mir tausendmal beredter vorkam, als die gräfliche Virtuosin in dem ungereinigten Ausflusse ihrer Gelehrsamkeit. Wenn ich Dir aber nun den Gang der Gespräche, die mich so anzogen, vorzeichnen, aus ihrem gefälligen Inhalte die Schönheit des Herzens, dem sie entflossen, an das Licht stellen will – ja, Freund, da entschlüpft mir die Feder. Solche feine Schattirungen der Rede sind ihr so unerreichbar, als nimmermehr dem Pinsel jenes ätherische Farbenspiel seyn kann, das unter unzähligen Abwechselungen dem anbrechenden Morgen voran geht. So viel kann ich Dir nur sagen, daß, nachdem ich die kleine Zauberin einige Stunden in der Orangenallee auf- und abgeführt hatte, ich mich unmerklich in eine Stimmung versetzt sah, die, der [282] ihrigen nachgebildet, sehr verschieden von der fröhlichen Laune war, deren ich mich vorhin rühmte. Ihre Anfangs muntern Töne gingen, ganz ungleich dem Schlage der Nachtigall, die mit einem Adagio anfängt, mit einem Allegro endigt, nach und nach in immer rührendere Noten, immer schmelzendern Flötenlaut über, und hoben und trieben mein sympathetisches Gefühl bis zum Bedürfnisse der Thränen. Ich wollte ihr von unserm Könige erzählen; ich konnte nicht. Ich versuchte von meinem Vaterlande zu sprechen; aber die Stimme versagte mir. Mir war, als ob ich in der Ferne Klagen der Unschuld, über den dunkelhellen Bergen her den Ruf der Ewigkeit hörte. Die trostarmen Vergessenen auf der Galeere erschienen mir in allem ihrem Jammer, und ich konnte der Aufforderung nicht länger widerstehen, dem Engel, der mir zuhörte, die Seelenleiden meines heutigen Morgens an das Herz zu legen. Wir hatten uns kurz vorher einem Blumenbeete gegenüber gesetzt, wohin sie einem Gärtnermädchen von ihrem Alter, das mit einem Handkörbchen dahin ging, gefolgt war. Sie nickte ihr schon im Vorbeigehen freundlich und bekannt zu, und bestimmte nun durch ihr Gutachten die Auswahl der Blumen, die jene einsammelte. Sobald mein Gespräch aber ihr Mitleiden erreichte, theilte sie nicht weiter ihre Aufmerksamkeit zwischen uns beiden. Sie verließ den Platz, als ob er zu buntfarbig für den Ernst ihrer jetzigen Empfindungen wäre, und führte mich, ohne ein Wort zu sagen, um keins der meinigen zu verlieren, nach einem dunkeln Bogengange, an den eine kleine versteckte Laube stieß. Hier – wo der verschwiegene Mond nur durch die Blätter über dem grünen Rasensitze zitterte, auf den wir uns niederließen – in dieser nächtlichen Stille – allen Augen, außer jenem, verborgen, das über uns schwebte – hier, an der Seite einer weichen weiblichen Seele, denke selbst wie viel meine Erzählung unter diesen Umständen gewinnen mußte. Das liebe Kind beehrte sie mit dem reinsten Beifall, und, »o mein armer Vater!« schluchzte sie am Ende derselben, »welch einer Haushaltung des Kummers bist du vorgesetzt!« – »Und welchen Wundern der Tugend zugleich!« fiel ich ihr ins Wort, und theilte ihr nun auch, durch ihr Mitgefühl noch mehr befeuert, die Trauergeschichte des[283] frommen Kapuziners in Ausdrücken mit, die vielleicht nie über meine Lippen wärmer gegangen sind. Durch Hülfe eines hellen Mondblicks sah ich, wie unter ihren blauen, gen Himmel erhobenen Augen ein stilles Gebet auf ihrem rosigen Munde schwebte. Ich glaubte eine Heilige in ihrer Verklärung zu sehen, und schwieg. Meine Brust war gepreßt. Sie hörte mich seufzen, drückte mir die Hand, und der Strudel hoher Empfindungen schien mich in eine andere Welt zu versetzen.

Indem tönte die Gebetglocke eines nahen Nonnenkosters in unsere Stille herüber. »Ach! ist es schon so spät?« fuhr sie jetzt von der Rasenbank auf, und eilte durch den finstern Bogengang dem bunten Lustbeete zu, von welchem wir hergekommen waren. Ich folgte ihr, doch nur von weitem, nach, wie sie zu erwarten schien, sah, wie sie sich neben das Körbchen setzte, das die junge Gärtnerin indeß mit Hyazinthen, Maiblumen und Granatenblüthen gefüllt und hingestellt hatte, und sah, als ich näher herbei kam, wie sie mit thränendem Auge eine einzelne geruchlose, eine Passionsblume, herausnahm, an ihre Brust steckte, die Hand sinken ließ und sich in tiefes Nachdenken verlor. Ich lehnte mich zitternd an einen Orangenbaum in einer mäßigen Entfernung von ihrem Sitze. Drei feierliche Pulse der Klosterglocke weckten sie wie aus dem Schlafe. Sie sah sich erschrocken und noch erschrockner um, bis das Mädchen, das sie erwartete, aus dem Gewächshause gelaufen kam. – »Geschwind Marie,« rief sie, und trug ihr das Körbchen einige Schritte entgegen, »noch ist die Pfortenthüre nicht verriegelt, aber – eile.« Indem ward sie meiner gewahr, kam auf mich zu, und da ihr meine großen Augen nur zu deutlich verriethen, was in mir vorging, war dieß dem lieben Kinde schon hinreichend, meine Neugier zu befriedigen.

»Meine Unruhe über das Körbchen ist Ihnen gewiß aufgefallen. – Es ist ein festgesetzter Tribut, den ich einer Freundin im Kloster übersende, so oft ich diesen Garten besuche. Sie ging hier gern und öfters mit mir spazieren, liebte das erste Grün des Frühlings, liebte die Blumen so sehr, und kann jetzt hinter den hohen Mauern nicht einmal mit einem Blicke das geringste Gräschen [284] erreichen. Ueber Ihre bewegliche Geschichte, mein Herr, hätte ich mich beinahe mit meinem Geschenke verspätet – ich würde mir's nicht verziehen haben. Ich kann mir die Freude der guten Agathe so lebhaft denken, wenn sie aus ihrem Betstuhle in ihre Zelle zurück kommt und meine Blumen findet, die ihr die Versicherung geben, daß ich in dem Garten bin, mich nach ihr sehne, und ihr so lange in der Nähe bleibe, bis sich keine Glocke mehr hören läßt. Das habe ich dem guten Kinde bei unsrer letzten Umarmung versprochen. In drei Wochen geht ihr Probejahr zu Ende – o wie zittre ich für sie! Denn ach! mein Herr, sie wählt das Kloster – ein schreckliches Unglück, wen es trifft! – nicht aus Neigung, sondern aus Noth, weil sie keine Verwandte, kein Vermögen, und in der weiten Welt nur an mir eine Freundin hat, die ihr nicht helfen kann! Bald muß sie dem Andenken auch dieser feierlich entsagen; Gott wolle ihr beistehen, daß sie es willig thue!« Ein Thautropfen, der unter diesen Klagen der Freundschaft aus den Augen der schönen Beterin in den Kelch der Trauerblume an ihrem Busen herab fiel, erschütterte wie ein elektrischer Schlag meine Nerven. – »Ach! wenn meine Erzählung,« konnte ich kaum in abgebrochenen Worten heraus bringen, »Ihr edles, theilnehmendes Herz gerührt hat, o wie haben Sie mir es wieder vergolten!« – Wir wußten beide vor Wehmuth nicht wieder zur Sprache zu kommen, bis das dumpfe Geläut gänzlich verhallt war. Da erst kehrte ihre Fassung zurück; aber die meine blieb aus. – »Ich habe Sie, mein Herr,« fing sie gelassener an, »bis in die Nacht aufgehalten, ohne daran zu denken, wie unbekannt mit meinem Kummer und wie fremd Sie mir sind. Aber eben darum waren Sie mir in dieser Feierstunde meiner Betrübniß kein überlästiger Zeuge. Lassen Sie uns jetzt gehen, mein Herr. Die Gesellschaft ist längst aus einander. Am Ende des Gartens erwartet mich, wie allemal, meine Gouvernante.« – In stiller, andächtiger Ehrfurcht folgte ich nun diesem wundervollen Geschöpfe, das unter der Hülle hoher weiblicher Schönheit einen Geist besitzt, der mir so überirdisch vorkam, als müsse er schon vor ihrer Geburt in den Reihen der Seligen geglänzt haben. Halte dieß nicht für eine schwülstige[285] Phrase, Eduard; denn wahrlich ich wüßte Dir die Empfindungen meiner Seele nicht natürlicher und verständlicher auszudrücken.

Im Fortgehen kam uns in der Allee die ältliche Dame entgegen, die weniger das Ansehen hatte, Aufseherin des Fräuleins, als ihre ältere Freundin zu seyn. Sie empfing ihre holde Vertraute, die mir die letzten Stunden des nun entflohenen Tages zu der unvergeßlichsten Epoche meines Lebens erhoben hat, sie empfing sie mit schweigender, aber darum nicht weniger herzlichen Umarmung, in der gewiß schon alles lag, was zu ihrem gegenseitigen Verständnisse gehörte und keiner Worte bedurfte. Nur mir hatte sie etwas zu sagen – aber was? Der Brigadier sei auf einen Augenblick da gewesen, und habe ihr, weil er nicht Zeit gehabt mich aufzusuchen, das Schnupftuch zugestellt, das mir diesen Morgen entkommen wäre. – – Wenn Du Dir einen Mann vorstellst, der unter bänglichem Gefühle des Lebens sich über den Erdball erhebt, seine Blicke in die Tiefen der Ewigkeit senkt, und an Gott und Unsterblichkeit sauget, und dem in diesen Augenblicken ein Weib in das Ohr schreit: Mein Herr, Sie haben ein Loch in dem Strumpfe – so kannst Du ungefähr errathen, wie mir in der kostbaren Minute meiner vielleicht ewigen Trennung von dem erhabenen Kinde eine so gleichgültige Nachricht und der Anblick meines einfältigen, längst vergessenen Schnupftuchs gefallen mußte. Ich steckte es mit weit mehr Aergerniß ein, als ich bei seinem Verlust hatte, machte der jüngern Dame im Geist und in der Wahrheit, der ältern hingegen bloß nach dem gewöhnlichen Schnitte, meine Verbeugung, und ging nun, die Arme in einander geschlagen, langsamen Schritts meine Straße.


Das wilde Lärmen, in welchem ich den goldenen Anker wiederfand, war mir nach meiner jetzigen Stimmung äußerst zuwider. Den Schlaf zwar konnte es mir nicht rauben – der floh meine Augenlider ohnehin – aber es mußte mich doch, wenn es anhielt, nicht wenig in dem ruhigen Ueberblicke meines verlebten Tages, und, worauf ich mich besonders freute, in der Wiederholung der [286] vielen süßen Empfindungen stören, die ich aus der Geistesüberströmung meiner vortrefflichen Gesellschafterin habsüchtig nur zusammen getragen, und gleichsam in Masse und mit der Hoffnung nach Hause gebracht hatte, sie dort mit aller Muße zu ordnen und zu zergliedern. Der Wirth, als er mir vorleuchtete, gab mir, als Ursache des Nachtgetümmels in seinem Gasthofe, die Hinrichtung eines Delinquenten an. – »Bei solchen Gelegenheiten,« setzte er hinzu, »gewinnt unser eins am meisten; denn kein Schauspiel macht und erhält das Volk munterer und durstiger als dieses.« – »Der rohe Mensch ohne Kultur,« warf ich zur Antwort hin, »giebt viele dergleichen Räthsel zu lösen.« – »Thun Sie dem kultivirten Menschen nicht Unrecht,« verhöhnte mich der Wirth; »einer ist wohl so unerklärbar als der andere: doch, mein Beruf ist es heute nicht zu philosophiren, sondern meinen Zechgästen Wein aufzutragen.« – Er wollte nun gehen; ich vertrat ihm die Thür. – »Nur noch ein Wort, lieber Mann! Können Sie mir wohl Bescheid geben ...« – »O ja,« unterbrach er mich, »vollkommen.« – »Wissen Sie doch noch nicht, worüber,« fuhr ich ihn an. – »Vermuthlich doch,« versetzte er, »über den Tod des Gehenkten; denn heute wird nur davon gesprochen.« – »Nichts weniger,« gab ich zur Antwort; »was geht mich der Gehenkte an! Die Rede ist von der liebenswürdigen Tochter des Herrn Intendanten, deren Bekanntschaft ich heute gemacht habe.« – »Läuft ziemlich auf Eins hinaus,« kauderwälschte der betrunkene Kerl. »Nächster Tage wird Fräulein Klärchen« – der Name gab mir einen Stich durch's Herz – »auch nicht viel besser als exekutirt seyn.« – »Herr!« polterte ich ihn an, »Sie sind nicht gescheidt, oder haben mich nicht verstanden. Um mich kurz zu fassen, wollte ich nur fragen, ob Fräulein Klärchen das einzige Kind des Herrn von Saintaignan sei?« – »Seine einzige Tochter ist sie,« – antwortete er mir jetzt besonnener. »Doch vergeben Sie, ich will nur einen Blick auf meine untere Wirthschaft werfen, und bin sogleich wieder zu Ihren Diensten.« Mit dieser Versicherung flog er, vor einer Stunde, zur Stube hinaus, ohne sich weiter um mich zu bekümmern. –


[287] Ach, mein Eduard! bis hierher hatte ich geschrieben, und da ich Dir nichts mehr zu erzählen hatte, war ich eben im Begriffe zu Bette zu gehen, als der Wirth sachte die Thüre öffnete, und, da er mich noch aufsah, herein trat. – »Endlich,« hustete er mir entgegen, »ist es ruhig in meinem Hause. Mein Tagewerk ist vollbracht, bis auf die Erklärung, die ich Ihnen von meiner vorigen Rede noch schuldig blieb. Sie erkundigten Sich nach Fräulein Klärchen. Das schöne Mädchen scheint Eindruck auf Sie gemacht zu haben. Sie sind nicht der erste Fremde, dem das widerfährt. Exekutirt – sagte ich? Nun das war nur scherzweise. Ich würde von der ganzen Sache nichts wissen: aber die Dame, die Sie bei ihr werden gesehn haben, und ihre Gouvernante von Jugend auf, ist meiner Frau Schwester; durch sie erfahren wir alles. Nächster Tags, sagte ich? Hören Sie nun wie ichs meine. Künftigen Sonntag, wird seyn der vier und zwanzigste, feiert Fräulein Klärchen ihren sechzehnten Geburtstag; aber wie? Sie setzt sich ganz früh mit meiner Schwägerin in einen zugemachten Wagen, in Begleitung eines Geistlichen, schneeweiß gekleidet, wie ein armer Sünder, steigt nicht weit von Marseille bei den Ursulinerinnen aus, läßt sich ihr langes Haar abschneiden, tritt ihr Probejahr an, und wird in einer Zelle begraben. Der Zirkel ihrer Freunde und Bekannten mit aller seiner Kultur trinkt dann, so gut als heute meine Gäste, ein Glas mehr als gewöhnlich. Sieht das nicht ganz wie eine Exekution aus, mein Herr?« – »Um Gottes willen,« brach ich jetzt los, »um Jesus Barmherzigkeit willen, Herr Wirth, besinnen Sie Sich. Ich spreche von Fräulein von Saintaignan – von der Tochter des hiesigen Herrn Intendanten.« – »Und spreche ich denn von einer andern?« erwiederte er. – »Dieses herrliche Geschöpf, sagen Sie, würde Nonne?« – »Ganz gewiß, mein Herr! Wundert Sie das?« – »Aber, bester Mann,« trat ich ihm jetzt mit gefalteten Händen näher, »wäre es denn möglich, daß ein so verständiger Vater seine einzige Tochter, einen solchen Engel..« – »Vermuthlich damit sie es bleiben soll,« fiel mir der Wirth in die Rede, »bestimmte sie – nicht ihr Herr Vater – zum Kloster – da thun Sie ihm Unrecht – sondern die Mutter that es vor [288] zehn Jahren auf ihrem Sterbebette.« – »Aber was, ich beschwöre Sie, was brachte denn diese aberwitzige Frau auf diesen barbarischen Einfall?« – »Ich will nicht mit Ihnen um Worte streiten,« antwortete der Wirth; »aber wer kann das genau wissen?« »Was ich darüber habe schwatzen hören, will ich Ihnen mittheilen. Der Beichtvater, erzählen einige, habe es der Sterbenden zur Bedingung ihrer Seligkeit gemacht. Dawider wäre nichts einzuwenden. Es ist die Schuldigkeit dieser Herren; aber, ich glaube es nicht einmal. Meine Schwägerin auch nicht. Diese war bei der seligen Marquise bis zu ihrem Verscheiden, und hatte Fräulein Klärchen auf dem Schooße. Auf der andern Seite vor dem Bette knieete der Sohn, der um zehn Jahre älter als die Tochter, natürlich der Mutter auch zehnmal lieber war. Und in diesen bangen Minuten, wie sich meine Schwägerin ausdrückt, wurde das Schicksal der beiden Kinder für die Zukunft entschieden. Die Dame machte, was diesen Punkt betrifft, den Dominikaner, der sie einsegnete, durch eine förmliche Urkunde zum Exekutor – da haben Sie's ja, – ihres letzten Willens, dessen Vollstreckung, wie gesagt, nächsten Sonntag seinen Anfang nimmt, und in Jahresfrist der Schwester den Schleier, dem Bruder die ganze mütterliche Erbschaft zuspricht. Er wird dadurch einer der reichsten Herren im Lande, und er verdient es. Ein wohlgebildeter, braver Officier, dem das Herz auf dem rechten Flecke sitzt.« – »Wenn Sie wahr sprächen, Herr Wirth,« schluchzte ich, »würde er die Erbschaft nicht annehmen.« – »Er sollte sie nicht annehmen?« schrie der Kerl, »sollte die schönen Güter in der Normandie, sollte die Plantagen in Saint-Domingo nicht annehmen? Ist denn der letzte Wille einer Mutter nicht unumstößlich? Wird denn das Fräulein nicht Zeitlebens gut aufgehoben? und war ihr denn die Wahl des Klosters nicht frei gestellt?« – »Der letzte Unsinn einer schwachköpfigen, sterbenden Schwärmerin,« beantwortete ich mit Bitterkeit seine gehäuften dummen Fragen, »die niemanden darüber zu Rathe zieht als einen Dominikaner, kann weder Kraft bei ihren Erben, noch Gültigkeit vor Gerichte haben.« – »Um Vergebung,« wendete der Wirth dagegen ein, »Frau von Saintaignan war nichts weniger [289] als eine schwachköpfige, war vielmehr eine sehr kluge, rechtschaffene und empfindsame Dame, und das Vermögen, über das sie Verfügung traf, kam von ihr her. Ich sehe auch bei Gott nichts unkluges und nicht halb so viel unbilliges in so einem Testamente, als bei einem Majorate; denn jenes erhält die Familie nicht allein auf Erden, sondern auch im Himmel bei Ansehn.« – »Gehen Sie, Herr Wirth,« unterbrach ich ihn, »Sie haben vorhin sehr richtig über Ihren Beruf geurtheilt; Philosophie liegt wirklich ganz außer Ihrer Sphäre. Gehen Sie und schaffen Sie mir ein Glas Limonade.« – Er ging; doch ehe ich mich noch im geringsten von meinem Schrecken erholt hatte, stand er mit seiner Bouteille und seinem Geschwätze wieder vor mir. – »Da Sie doch,« sagte er, indem er mir einschenkte, »eine Flasche Limonade nöthig haben, um über das Schicksal Fräulein Klärchens Ihr Blut zu beruhigen, wie viel werden Sie nicht brauchen, wenn Sie erst die Geschichte des Bruders erfahren!« – »Ich mag sie gar nicht wissen, Herr Wirth. Was so eine Seele angeht, ist mir ganz gleichgültig.« – »Das wird es Ihnen nicht bleiben; lassen Sie mich nur erst erzählen. Daß Fräulein von Saintaignan den Schleier annimmt, gereicht keinem Menschen zum Nachtheile, so wenig als ihr selbst. Ihr Herz ist noch nicht vergeben, und das Kloster befreit sie von allen Nachstellungen. Wenn einem Manne aber, wie dem jungen Marquis, des Heilands wegen eine Braut untreu wird, so ist dieß wohl ein seltneres Unglück, und unserm jungen Herrn muß es noch viel schmerzhafter fallen, weil sein Schwesterchen vielleicht noch mehr Antheil daran hat als der Heiland.« – Jetzt erst schenkte ich seiner Erzählung meine ganze Aufmerksamkeit. – »Die junge schöne Prinzessin von Montbasson,« fuhr er fort, »wurde hier unter der Aufsicht meiner Schwägerin mit Fräulein Klärchen zugleich erzogen. Erstere war von jeher dem Bruder bestimmt; dessen ungeachtet gewannen die beiden jungen Leute einander lieb, die Zeit verging, der Tag ihrer Vermählung war schon festgesetzt, und der Bräutigam wurde nächstens von der Armee erwartet. Dieser Zwischenraum, so kurz er war, warf alles über den Haufen. Die Freundschaft zur Schwester stritt schon lange in dem Herzen der [290] Prinzessin mit der Liebe zum Bruder, und, was wohl noch nie erhört ist, sie siegte. Die schöne Verlobte entschloß sich kurz, schrieb ihrem Bräutigam einen bethränten Abschiedsbrief, flüchtete, ehe sich meine Schwägerin dessen versah, in das Kloster, das ihre Gespielin gewählt hat, und erwartet dort nun schon seit acht Wochen die baldige Wiedervereinigung mit ihr auf Leben und Tod. Dergleichen heldenmüthige Entschließungen, mein Herr, dergleichen Freundschaft, Treue und Hingebung ist nur in unserer Religion möglich. Wenn auch sonst nichts ihre Göttlichkeit bewiese, solche Beispiele würden es allein thun. Der junge Herr, sagt man, soll untröstlich seyn. Das ist begreiflich. Man wird freilich eine Schwester gelassener einkleiden sehen, von der man erbt, als eine geliebte Braut, die alles mitnimmt und dem Himmel aufhebt, was wir schon als uns zugehörig betrachteten, und das unserer Phantasie von unersetzlichem Werthe scheint.« – »Wer hart genug ist,« antwortete ich, »eine solche Schwester dem Moloch – der Mönchswuth zu opfern, verdient statt der Schmeichelei eines liebenden Auges die Umarmungen der Furien. Gott tröste und segne nur die beiden trefflichen Mädchen – was kümmert mich der unnatürliche Bruder!«

Der Wirth schlich während meines heftigen Ausfalls gähnend davon. Ich schlüpfte in meine Kammer – aber woher sollte mir der Schlaf kommen? – stürzte wieder heraus, setzte mich an meinen Schreibtisch, und sitze noch da, fluche der geistlichen Verrätherei an der Menschheit, und zanke zur Abwechselung mit dem Schicksale. Ich kann mich nicht trösten über den Verlust, den Welt, Tugend und Freude durch die Mordthat an diesem unvergleichlichen Mädchen erleidet. Jetzt erst begreife ich ihre Erschütterung, als die Klosterglocken zum nächtlichen Gebete läuteten; jetzt erst fühle ich das ganze Gewicht der stillen Thräne, die ihr über die Wange in den Kelch der Passionsblume rollte; erst jetzt wird mir es klar, warum ihre Bewunderung des ausduldenden Kapuziners sich in Beben und Gebet verlor, warum ihr Auge so gerührt über den Blumen hing, die sie ihrer eingekerkerten Agathe darbrachte, und ich verstehe die Wehklage über ihr Unvermögen her verwaisten Armen zu helfen.

[291] O du, deren melodisch tönende Trauerstimme mir das Herz jetzt schneidend durchdringt, wohl hattest du Recht: ich entdecke mit Stolz den Sinn deiner Rede, daß ich zwar unbekannt mit deinem Kummer, doch des Mitgenusses deiner Schwermuth nicht ganz unwürdig sei. Hält mich auch der Nachschwung in die lichtvolle Höhe der Unsterblichkeit, aus der du, gleich einem Engel, auf diesen Todtenhügel herab schimmerst, immer noch fern von dir, so giebt mir doch schon der mindeste Nebenstrahl deines heutigen Abglanzes alle Ehre und Würde wieder, die ich in der niedern Sphäre des Leichtsinns und der Wollust verlor. – Dich, die jeden Kreis erheitert, jeden geselligen Trieb veredelt, konnte ein Vater, der Lebensgenuß, Freuden und Feste liebt, zu der Einsamkeit eines Klosters verdammen? – eines Klosters? wo deine von ihm entsprossene und sorgsam gepflegte Jugendblüthe, bei den höchsten Ansprüchen auf Gefallen und Liebe, wo deine sanften Herzenserwartungen und jene geheimen Ahndungen mütterlichen Entzückens – einem Götzenbilde zum unnützen Weihrauch dienen, und die Keime zu den reichsten Ernten menschlichen Glücks in dem Darrofen einer Zelle dumpf werden und vertrocknen sollen? – Unglückliches Kind! Entferne dich, wie die Tugend vom Laster, von deinem abscheulichen Bruder, der die Stirn hat, das Verbrechen seiner Erbschaft mit dem letzten Willen einer in Wahnsinn sterbenden Mutter zu beschönigen. Entferne dich, noch ist es Zeit, von den arglistigen Lockungen der frömmelnden Sirenen, die dich in den Strudel ihrer Langenweile zu ziehen drohen. Erhalte deine holde Munterkeit der freien, mit dir verwebten Natur – fern von dem heiligen Schneckengang eines ungebrauchten strafbaren Lebens. Und entflöhest du als Bettlerin dem undankbaren Lande, dessen Zierde du bist, so würdest du doch die Sonne auf- und unter gehen, den Wald grünen, die Saatfelder wogen sehen, würdest die Lerchen singen, den Bach rieseln hören, und in dem großen Tempel Gottes eine redlich freiwillige Dienerin seiner ausspendenden Liebe seyn. –

Dreimal habe ich die niedergelegte Feder wieder erhoben, und meine Herzensangst durch das Adagio der Elegie zu besänftigen versucht; aber das Vorgefühl der unnennbaren Leiden, denen das [292] unbefangene Kind, zur Feier seines Geburtstags, träumend entgegen geht, foltert mich zu sehr, um meinen Schmerz täuschen zu können. – Muß sie denn hin, die arme Verlockte, wo schon so viele lebendig begraben wurden, die ihr an Schönheit, Tugend, und Frohsinn gleich waren: nun so stärke sie Gott bei dem Erwachen ihres Bewußtseyns! Er lasse sie vollen Ersatz in der Freundschaftsquelle der Unnachahmlichen finden, die dem ehelichen und mütterlichen Berufe freiwillig entsagt, um jeden Kelch mit ihrer Jugendgespielin zu trinken, und auf denselben Stufen, gleichen Schritts mit ihr, in die Region der Auserwählten zu steigen! Möge der Gedanke untrennbarer Vereinigung euch immer als ein lachender Genius zur Seite stehen und durch dieses kurze Leben begleiten, ihr göttlich verschwisterten Seelen! – Zwei Blumen – so denk' ich mir euch – zwei herrliche Blumen im Thale, umringt von unübersteiglichen Felsen, die, der Kenntniß der Menschen und ihrer Neugier ewig verborgen, ihr blühendes Daseyn in dem leeren Luftraume verdunsten – aber ein Engel des Himmels hat sie unter seiner Obhut, sonnet, pfleget und schmückt sie, und findet Wohlgefallen an ihrer Eintracht und Schönheit. – Wer kann sagen, daß sie Unrecht leiden? Wer kennt den Umfang ihrer Bestimmung? – An dieses tröstende Bild will ich mich halten und mein Hauptkissen damit polstern, und so oft ich murrend..


Gott! was ist mir begegnet! Es lag, Eduard – während der drei Stunden, die ich Dir vorjammerte, lag eine der schauderhaftesten Nachrichten auf meinem Pulte. Ich entdeckte sie, da ich mir eine Thräne abtrocknen wollte, die mir meine Trauer um das schöne, edle, duldende Kind entriß. Indem ich mein Schnupftuch entwickelte, fiel ein Brief heraus. Hier lies seinen Inhalt.

»So sehr ich auch für Ueberraschungen bin, lieber Wilhelm, so hätte ich derjenigen doch gern entbehrt, die du mir heute zu sehr ungelegener Zeit verschafft hast.« –

Was zum Henker, dachte ich bei mir selbst und legte meine flache Hand auf das Blatt, will der Marquis mit diesem spitzigen Eingange? Ich konnte es nicht errathen, und las fort. –

[293] »Ich würde mich über meinen verlornen Spaziergang kaum getröstet haben – das Glück, das dir ward, gehörte mir, du führtest Klärchen, und ich inzwischen mußte deine tollen Geschäfte bei ihrem Vater vertreten – wäre mir nicht zu einiger Entschädigung der Spaß geblieben, dich am Ende mit den Folgen deiner angenehmen Zerstreuung, die alle deine Schritte durch die Welt begleitet, selbst stärker noch zu überraschen als du mich.« –

Zur Sache, lieber Marquis, rief ich voller Ungeduld. Ach, ich erfuhr sie nur zu geschwind!

»Dein verlornes Schnupftuch und dein unbenutztes Einlaßbillet haben sich wieder gefunden. Ich soll dir das erstere im Namen des Königs überliefern. In Ansehung des andern wird dich das darüber gehaltene Protokoll verständigen, das ich von dem Herrn Intendanten Erlaubniß habe dir im Auszuge mitzutheilen:

›Nachdem der angeblich aus Chursachsen gebürtige Ehrlieb Fürchtegott Freiherr von ..., der seit drei Jahren wiederholter Betrügereien halber, sonderlich in verbotenen Spielen, auf die königlichen Galeeren allhier gebracht worden, heute dato sich des Verbrechens schuldig gemacht, und eingestanden hat, daß er diesen Morgen die Unachtsamkeit eines andern hier durchreisenden Deutschen, der die Galeeren besah, benutzt, und mit derselben Hand, die er nach einem Almosen jenem entgegen streckte, nicht nur dessen Taschentuch, sondern auch einen Erlaubnißschein zur Besichtigung des königlichen Arsenals, diebischer Weise entwendet, und beides eine Stunde nachher einem Englischen Herumstreicher für sechs Livres verkauft habe. Nachdem ferner nur gedachter aus Glocester gebürtiger Vagabond sich in anständige Kleidung arglistig versteckt, und unter dem angemaßten, auf dem Einlaßschein ausgedruckten Namen des rechtmäßigen Eigenthümers sich Zugang in das Arsenal zu verschaffen kühnlich versucht, und nicht vermocht hat, seine dabei hegende verrätherische Absicht zu läugnen, solche vielmehr durch sein wörtlich folgendes Geständniß außer allem Zweifel gesetzt ist u.s.w. – Als haben die königlichen Admiralitäts-Gerichte allhier für Recht erkannt, und sprechen demnach für Recht: daß beide genannte, [294] ihrer Verschuldung überführte Gaudiebe, und zwar der Englische Matrose, nachdem ihm der Name, den er sich fälschlich zugeeignet, abgenommen, und sein eigner ehrenverlustiger an die Stelle gesetzt worden, auf das im Hafen vor Anker liegende, noch uneingeweihete neue Kriegsschiff Vengeance gebracht, dem zur Vollstreckung des Urtheils bereits angewiesenen Officier daselbst überliefert, und vor Untergang der Sonne an den Mastbaum aufgeknüpft und gehenkt werden, bis der Tod erfolge. v.R.w.‹«


Bei den letzten Worten – unheimlicher ist mir in meinem Leben nicht zu Muthe gewesen – entfiel der Brief meinen zitternden Händen, das Athemholen, das mir während des Fortlesens schon schwer genug ankam, schien jetzt ganz auszubleiben. Für alles in der Welt hätte ich nicht gewagt mich umzusehen; denn mir war immer, als ständen von den beiden Gehenkten der Freiherr auf der einen, der Matrose auf der andern Seite meines Lehnstuhls, um mich über ihre Hinrichtung zur Verantwortung zu ziehen. Neben bei fuhr mir auch der graße Gedanke durch den Kopf, daß, wenn ich nicht dem lahmen Gefreiten zu gut bekannt gewesen, und es dem Englischen Spion gelungen wäre, meine Einlaßkarte zu seiner gottlosen Verrätherei zu benutzen, wie leicht mein ehrlicher Name statt seiner, den Galgen geziert und mich dem gerechten Hasse der vortrefflichen Nation bloß gestellt haben würde, die mir nichts als Liebes und Gutes erzeigt hat. In diesen scheuen Augenblicken sprudelte mein abgebranntes Licht, verlosch, und alle Schrecknisse der Nacht stürzten über mich zusammen. Mein brausender Kopf – was ist doch der Mensch für eine armselige Maschine! – drückte sich, wie im Vorgefühl der Erdrosselung, zwischen die Achseln, Galle überlief meine Zunge, und ein häßlicher Krampf sträubte mein Haar. So verschwitzte und verhorchte ich eine lange peinliche Stunde in einer Todesangst, die von den Gehenkten auf mich vererbt schien. Endlich – es war die heftigste Erschütterung meiner gespannten Nerven, aber auch die letzte – hörte ich von weitem ein Posthorn schmettern, und einen Wagen vor das Haus [295] fahren. Der Postillion – ich hätte ihm billig für den blinden Passagier ein Trinkgeld bezahlen sollen – brachte mir meine entlaufene Vernunft zurück. Ermannt sprang ich von meinem heißen Lehnstuhle auf, hob die Vorhänge und öffnete das Fenster. Mein Grausen verflog. Ich sah lebende Menschen, und den Anbruch des Morgens schon hell genug, meinen furchtbaren Brief weiter zu lesen. Schamroth und lächelnd hob ich ihn vom Boden auf, las herzhaft die Mordgeschichte noch einmal sammt der Nachschrift, die ich Dir noch abschreiben will.

»Damit du nun auch hörst,« fährt Saint-Sauveur fort, »wie erbaulich sich dein Landsmann bei seinem Uebergang in die andere Welt betrug, so lege ich dir einen Auszug der Anzeige des Officiers bei, der die Exekution kommandirt hat.« – – »Und als nun beide Verurtheilte auf dem Verdeck zusammen trafen, weigerte sich jeder die Leiter zuerst zu besteigen. Da sich die Sonne schon stark neigte, befahl ich, um keinem Unrecht zu thun, den Streit durch Würfel zu entscheiden, deren auch sogleich drei gebracht wurden. Zur Kenntniß des menschlichen Herzens, wenn es bis auf einen gewissen Grad verdorben ist, verdient angemerkt zu werden, daß die Freude des Deutschen, bei Erblickung derselben unmäßig war. Als er sie von dem Engländer, der zuerst warf, übernahm, küßte er sie, rieb sie warm zwischen den Händen, und: ›Es geht doch nichts über ein Hasardspiel!‹ sagte er, warf, und verlor durch einen Punkt weniger den ausgesetzten Preis. Unwillig, doch entschlossen, machte er sich nun auf den Weg. Indem ihm der Strick um den Hals gelegt wurde, sagte er zum Nachrichter: ›Ich bin aus der Uebung gekommen. In den Bädern, besonders in Ronneburg, verstand ichs besser. Hätte ich den Satz Würfel gehabt, die mir der dortige Kammerpräsident abnehmen ließ, der Engländer sollte, bei meiner Kavaliers-Parole, eher gebammelt haben als ich. Noch ein Wort, lieber Freund, mache Er Seine Sache gut: ich kann Ihn belohnen; denn ich habe die drei Würfel in dem Rumor heimlich eingesteckt; die gehören nun Ihm. Sie können Ihm etwas eintragen, ich will Ihm sagen wie: Schreibe Er unter meiner Addresse nach Leipzig, so kommt der Brief sicher an meinen nächsten [296] Blutsfreund. Diesem biete Er sie an. Er macht gewiß einen guten Handel; denn die Würfel eines Gehenkten sind schon etwas werth. Sie sollen nie fehlen, sagt man. Schade daß ich nicht selbst versuchen kann, was daran ist! Eile Er aber, damit der Kauf noch vor der Michaelis-Messe ...‹ Hier stieß ihn der Nachrichter von der Leiter.«

»Aus dem, was du gelesen hast, darf ich wohl voraussetzen, daß dir morgen das schmalste Mittagsbrot anderwärts schmackhafter dünken wird, als das prächtigste Fest unter dem Mastbaume der Vengeance. Die angenommene Einladung ist leicht wieder abgesagt. Laß uns also, was wohl das klügste ist, mit dem Tage von hier aufbrechen, damit wir noch vor Untergang der Sonne, die du heute deinem Landsmann hast auslöschen helfen, unser schuld- und straffreies Thal erreichen. Dort wird es dir hoffentlich eher behagen, die reichhaltige Geschichte des verlaufenen Tags in eigene stille Betrachtung zu ziehen, als umringt von Fragern und Zuhörern. – Wo wolltest du Zeit hernehmen, die Neugier aller zu befriedigen, in deren Mäuler du gerathen bist? Auf den Maltheser Ritter allein müßtest du eine gute Stunde rechnen. Er ist zu sehr Genealogist, um nicht bei Gelegenheit des Mastbaums – den Stammbaum des gehenkten Edelmanns bis auf den nun ausgegangenen Zweig zu beleuchten, Ahnenprobe mit ihm anzustellen, und dabei zu bedauern, daß eine solche Stiftsfähigkeit, für die mancher ehrliche Bürger gern Haus und Hof hingeben würde, wenn er sie dadurch erlangen könnte, so schändlich verloren gegangen sei. Hast du nun für dergleichen genealogische Ergetzungen keinen Sinn, trauest du dir nicht Festigkeit genug zu, den Bemerkungen deiner moralischen Tischnachbarin, dem viel sagenden höflichen Stillschweigen des Intendanten, den Sticheleien deines lahmen Begleiters, mit Einem Worte, allen den Folgen von Heute, gesetzten Schritts morgen entgegen zu treten; so halte dich gegen fünf Uhr früh, wo ich bei dir vorfahren werde, zu deiner Abreise gefaßt.

Saint-Sauveur.«


[297] Das trifft ganz vortrefflich zusammen! Eben schlägt es. Ich bin völlig, noch von gestern her, gekleidet, und höre, wenn ich mich nicht irre, den Wagen des Marquis über die Gasse herrollen. – Richtig er ists.

Den 21sten Februar.


Den 21sten Februar.

Unterweges von Toulon nach dem Sonnenthal.

Fußnoten

1 Nach einem Auszug aus Bernoulli's Reisen im Jahr 1777. 1ter Theil p. 78. Endlich sind in dieser Blibliothek (des Generals von Borke zu Stargardt) eine Menge Bücher, die nur ihrer Seltenheit wegen merkwürdig sind u.s.w., als zum Beispiel die Bibliothek des Don Quichotte, nämlich alle Romane, welche nach der allgemein bekannten Geschichte dieses irrenden Ritters, den Büchervorrath desselben ausmachten – – –

2 Calendarium Romano-Germanicum medii aevi etc. Adornavit Anton Ulric ab Eralh – Exemplar unicum, partim prelo subjectum, partim libera manu successive impressum etc. in IX Tomos. Dillenburgi 1761.

3 Der Abbé la Coste, der 1760 auf Zeitlebens zu der Galeerenstrafe verdammt wurde.

Vierter Band

Marseille
[3] Marseille.
Den 22sten Februar.
Nie stand die deutsche Kunst auf einem bessern Fuß –
Wir Dichter wiegen uns im Schooß der Aristarchen!
Entrückt dem feinen Ohr des Sängers von Venus
Verräth uns Niemand, wenn wir schnarchen. –
Die Leser? – O für die ist nie ein Schedel leer;
Sie stellen, stützt sich nur ihr schlummernder Homer
Auf ihre Schulter, gleich dem thätigsten Monarchen
Aus eignem Ueberfluß, das sinkende Verkehr
Mit Sinn und Wohllaut, wieder her:
Denn da nach jenem Fund, den Faust gethan und Schäfer,
Ein dritter deutscher Kopf, den, für sein Vaterland
Weit nützlichern Gedankenstrich erfand;
So singe wie ein Spatz, schreib wie ein Siebenschläfer,
Nur sei nicht karg mit jenem Zug der Hand! –
Er gilt im Wechsel für Verstand.
Der Leser hilft so gern dem Autor aus dem Traume,
Freut gläubig sich des Sinns, den er ihm unterlegt,
Und halst dem Ehrenmann, der ihm dieß Brückchen schlägt
Zum Fortgang in dem leeren Raume
Dafür mehr Plunder auf, als durch den Sporn erregt
Die alte Mähre kaum erträgt,
Die an dem Pindus grast und nur zu gern dem Zaume
Des Reiters zu entwischen pflegt.
Vor Lesern, die mich nur mit ihrem Geistesschaume
Besudeln, schütze mich dein Genius! Er wägt
Prüft und ersetzt das Bild, das noch unausgeprägt
Im Münzstock hängen blieb. Nächst ihm, vor dem die Krücken
Gelähmter Dichter sich wie vor Apollo bücken,
Der Skribler nur verlacht, die tadellos und klug
Sich dünkend, auf Homers und Miltons Aschenkrug
Viel blinder noch als sie, mit stolzem Mitleid blicken,
Hat Klingers deutscher Geist am meisten Recht und Fug
[3]
In meiner Gallerie die leeren Rähm' und Lücken
Mit Bildern – minder nicht die dunkeln Eselsbrücken,
Die meine matte Hand mit einem Federzug –
Zum Uebergang ins Reich der Phantasieen schlug,
Mit Leuchten zu versehn. Doch näh're Wünsche drücken
Mir itzt das Herz – Laß Freund, laß von den Blumenstücken
Berlins – es sprießen dort der Rosen ja genug,
Ein Körbchen voll von Deiner Muse pflücken,
Das Zerrbild meines Ich's aufs festlichste zu schmücken,
Das gestern Morpheus mir, in schwerem Eulenflug,
Gleich einem Savoyard, auf seinem breiten Rücken,
Als wär's ein Murmelthier in träumendem Entzücken,
Mit Mohn bekränzt, vorübertrug.
Erwecke zum Genuß des Tages, jene Stunden,
Die ich verschlief; empfind' an meiner Statt
Die Freuden, die ich nicht empfunden!
Wie ein Gebrechlicher sein Ehbett dem gesunden
Hausfreunde überläßt, so unterwirft dieß Blatt
Rein wie die Unschuld selbst, mir aus der Hand gewunden
Sich Deinem Bildungstrieb. Trotz Deiner vielen Kunden,
Für einen Ritterdienst fühlst Du Dich nie zu matt,
Drum hoff' ich auch Du wirst gern meinen Blendling runden,
Der wie ein Embryo des langen Schlafes satt
Sich dehnt und regt, bis er, der Dunkelheit entschwunden,
Gleich einem Königssohn durch Siebolds Kunst entbunden,
Luft, Licht und Diadem Dir zu verdanken hat.
Wohlan, nach grauser Nacht und beigelegtem Streite
Mit einem deutschen Dieb und englischen Spion
Erschein Aurora mir! Gleich ihr, Freund, überbreite
Dein Dichterglanz die fahle Region,
Die mir, erinnre Dich, der hinkende Gefreite
So wunderreich beschrieb, als wär zum Botenlohn
Mein Staunen ihm genug. Doch, Theurer, jetzt geleite
Von jenem Marterstuhl, auf dem ich zu Toulon
Mehr zitterte als je ein Schach auf seinem Thron,
Mich an die freie Luft. So schnell Du kannst, bereite
An meines edeln Freunds und Krankenwärters Seite
Ein weiches Polster mir in seinem Phaëton.
»Gott grüß dich Saint-Sauveur,« lall' ich; in gleichem Ton
Grüßt er auch mich, doch kaum fliegt sein Gespann ins Weite
So schnarchen Er und Ich auch schon.
In dieser Noth nimm Dich des Fuhrwerks an, nur gleite
Aus zu viel Eifer nicht vom Kutschersitz, zum Hohn
Der schönen Lesewelt, wie vormals Phöbus Sohn!
[4]
Streif mit uns Träumenden dem Racheschiff' im Hafen 1
Den Schwalben gleich vorüber, denn uns ficht
Sein Gastmahl nicht mehr an – und wenn das Himmelslicht
An dem, im Tod noch treugebliebnen Sklaven
Der Würfel, seine Strahlen bricht –
Wenn sein zum erstenmal erröthendes Gesicht
Nach der Galeere schielt, wo wir zusammen trafen,
Wo meines Taschentuchs entscheidendes Gewicht
Zum Lehrer ihn erhob, der Recht, Gesetz und Pflicht
Bewiesner demonstrirt als selten es der braven
Gelehrten einem glückt der vom Katheder spricht,
So schließ aus meiner Ruh, wie vielen Herzensstrafen
Der Schlaukopf sich entzieht, der sein geheim Gericht
Mit einer Dosis Schlaf besticht.
Nur störe mich Dein Genius, im Schlafen
Durch des Verklärten Predigt nicht.
Den Spieler hinter uns, im nächsten Wald, begegne
Ein jung Dryadchen Dir, dem jüngst der Saft gerann,
Der seinen Sprößling nährt. Hier halt die Zügel an,
Sei der Verkümmerten ein zweiter Zevs, und regne
In Gold auf sie herab; doch hüb' ein West etwann
Gewisse heimliche, jetzt ihrem fernen Mann
Nicht halb so gut als Dir gelegne
Kleinodien aus ihrem Kirchenbann;
So wende schnell von da Dein wieherndes Gespann
Und fühl' es, daß bei Gott! der glücklichste Verwegne
Im schlüpfrichsten Roman, den Crebillon ersann,
Sich keines festlichern Genusses rühmen kann,
Als hier der Reisende durch meinen, den Gott segne
Erbaulichen Gedankenstrich – – – gewann.
Hat, weiter nun, Dein Geist im Spalt der Felsenmauer
Die ich Dir jüngst gemalt, die nackte Höh' erklimmt,
Das Ungeheuer ihn, das dort auf meiner Lauer
Den Rachen sperrt und nach dem Abgrund schwimmt,
Zur höhern Poesie gestimmt,
So segne meines Schlummers Dauer
Und schildre fürchterlich den Schauer
Des Schwindels, der Dich übernimmt.
Verfolge die Gefahr bis zu dem schmalsten Rande
Der letzten Kluft, die ins Gesicht Dir gafft!
Ein Wunder rette mich; mal' es so lügenhaft,
Als je auf seiner Fahrt zu Wasser und zu Lande
[5]
Ein Robinson – als je auf seiner Pilgerschaft
Ein Mitglied aus der Spielerbande
Der Heiligen, eins aufgerafft.
Durchflechte, Freund, mit Ahndungen und Schrecken,
Ein zweiter Ossian, die Räume der Natur,
Durchdonnre, wenn Du willst, die Flur:
Doch hüte Dich, mich aufzuwecken –
Dieß einzige verbitt' ich nur!
Nach allem Ungestüm, den Du in Deiner Runde
Mit Malerlist und Seelenkunde
Erregt, wie wird so wunderschön
Auf diesem schwarzen Hintergrunde
Das Farbenspiel der Abendstunde
Dein bald errungnes Ziel erhöhn!
Sie bring' uns schnell gesund und heiter
Auf nun gebahnterm Weg in das gepriesne Thal.
Jetzt sind wir da; doch ach, wo sind' ich eine Leiter
Aus meinem Phaëton? Wer leuchtet durch den Saal
Mich in mein Kämmerchen und weiter?
Das alles zieh' aus dem Gedankenstrahl,
Der meinem Kiel entfloß, und nun – zum letztenmal
Noch eine Bitte, mein Begleiter!
Sind gleich die Stunden voll, des warmen Abends Rest
Bedarf zur Krone doch noch eine –
Sie schwebe noch, bevor Dein Schutzgeist mich verläßt,
Einher auf dem verbuhlten West,
Mit Düften angefüllt, die er dem Buchenhaine
Zu meinem Schlaftrunk ausgepreßt,
Und lock' und treibe sanft das weit verflogne kleine
Geliebte Täubchen, das ich meine,
Aus seinem, in mein Federnest.
Dann, Lieber, laß im Mondenscheine
Die Girrenden für sich alleine
Und ende Dein Gedankenfest. –
Und nun dem Maler Preis, der bis zum höchsten Lichte
Das düsterste Gemäld' erhob,
Und dem unförmlichen Gesichte
Des Fortgangs meiner Zeit-Geschichte
Form, Kraft und Leben unterschob!
Der Tag kam in sein Gleis, der, wie es schien, vergebens
Dem Kreise des Gefühls entwich,
Kraft meines Federzugs, der in dem Gang des Lebens
Dem Faden Ariadnens glich.
Zog er denn nicht, o Freund, in Deinen Händen mich
[6]
Aus Schwindel und Gefahr? und ward denn nicht durch Dich,
O Meister in der Kunst des geistigen Verwebens!
Auch er das Zauberband, an dem mein zweites Ich
In leisen Schritten, jüngferlich
Mit allen Grazien des kindischen Erbebens
Zu meiner Kammer überschlich?
Umschlangen nicht an ihm nach langer Trennung sich
Zwei Herzen, voll so inniglich
Magnetischen Entgegenstrebens?
Gott, welch ein Schlaf! welch ein Gedankenstrich!
So sah der erste Mensch im ersten Traum sich wippen,
Und stieg und fiel bald hoch, bald tief,
Verlor in Dornen sich, stieß sich an Marmorklippen,
Und träumte von zerbrochnen Rippen,
Und wußte nicht, welch Glück er sich erschlief,
Bis ihn sein holdes Weib mit süßgespitzten Lippen
Zum fröhlichen Versuch, sich munter dran zu nippen,
Aus den geträumten Dornen rief,
Und ihm – gleich dem Montblanc im Morgenperspectiv,
Zwei Schneegewölbe zeigt, an denen im Betippen,
Kein Finger bricht, gesetzt, er griff' auch noch so schief,
Und ihm, – auf die Gefahr für Wollust umzukippen,
Mit jenem Hauptjuwel, das nur ihr Schöpfungsbrief
Errathen läßt – entgegen lief.

Ehe ich mich ganz von der holden Nachterscheinung entferne, die mit dem letzten Pünktchen meines reichhaltigen Gedankenstrichs, schöner als ich sie, in Wahrheit, geträumt habe, aber noch lange nicht so anschaulich hervortrat, als Du, mein verständiger Freund und Leser, sie ausmalen wirst, muß ich Dir doch der Vollständigkeit wegen die stille Betrachtung noch mittheilen, mit der ich heute, ziemlich spät, mein Bette verließ. Der angeborne und treueste Freund menschlicher Natur, besonders der meinigen, zischelte ich mir zu und rieb nur die Augen munter, hat es doch dießmal wieder recht gut mit dir gemeint, aber fast zu gut! Es ist nicht der erste Morgen, wo ich ihm diesen kleinen freundschaftlichen Vorwurf zu machen habe. Ich bin in meinem Leben, das ist gewiß, manchem widrigen Augenblicke, vielen Sorgen und Grillen, durch die Vermittelung des Schlafs, wenn keine andere verfangen wollten, glücklich entwischt; durch ihn wurden nicht selten meine brausenden [7] Leidenschaften und die harten Gegenreden meines Gewissens gemildert. Dagegen aber hat mich auch sein einschmeichelnder Besuch eben so gewiß um manche schöne Belohnung der Wachsamkeit, um manchen Gewinnst an Kenntnissen gebracht, der nicht zu berechnen ist. Ueber süßen Träumen der Nacht habe ich oft weit süßere des Tags verloren, und bei Freuden, die man nur mit offenen Augen genießen kann, wie heute bei der aufgehenden Sonne, das Nachsehen gehabt. Sie, die ich kürzlich mit solcher Inbrunst besang, ist schon seit vier Stunden dem blumigen Brautbette dieses Thales entstiegen, und hat nun für mich, wie jede Schöne, die sich der weiten Welt Preis giebt, nichts anlockendes mehr. Auch Saint-Sauveur hat, wie die Sonne, das Erwachen seines Gastes nicht abgewartet. Er wäre, sagt mir mein schnurbärtiger Landsmann, den er mir zu meinem Fortkommen zurückließ, mit Tages Anbruche, seinen Geschäften nach, zu Fuße, durch den Tempel des Friedens, und vermuthlich nach Marseille gegangen. O warum hat mich der gute Mann nicht geweckt! Wie gern hätt' ich seine muntere Unterhaltung, in der Kühle des Morgens, gegen die Schattenbilder meines Traums eingetauscht, da ich jetzt, bei voller Besinnung, ein paar heiße einsame Stunden durchbrechen muß, um in meine verschraubte Wirtschaft zu gelangen, wohin mich ein paar alberne Briefe auf das ängstlichste rufen. Sie beleidigten schon mein Auge, als ich sie aufschlug, und ihre Siegel verriethen mir sogleich, als wenn es die bekanntesten Wappen wären, von wem jeder herrührte. Auf dem einen war eine hirnlose Maske – auf dem andern das Petschaft des Michelangelo gedrückt. Ich griff nach dem Wahrzeichen des ersten, der mir eine wortreiche Bitte entwickelte, an deren schleuniger Gewährung mir zwar eben so viel gelegen war, als den beiden Puppenspielern, die sie vortrugen, aber auch gerade um deßwillen mir recht böses Blut machten. Dieß verlangt eine Erklärung, lieber Eduard. Du wirst Dich erinnern, unter welchen Scheltworten ich mir letzthin den armen Prologus vom Halse schaffte, als er sich mit rednerischem Anstand meinem Schreibepulte näherte. Hätte ich nur zwei Minuten Geduld behalten ihn anzuhören, so würde ich erfahren und mich längst darein [8] gefügt haben, daß die Elektra, mit der er seinen Perioden anhub, nichts weniger als griechischen Ursprungs, sondern in jenen glücklichen Tagen seiner theatralischen Herrschaft die prächtige Frau des ersten Akteurs gewesen, seit kurzem Wittwe geworden – Besitzerin eines weitläuftigen Sortiments trefflich organisirter Puppen, und geneigt sei, ihm, aus unveralteter Achtung, ihre Hand zu geben. Schließe ja nicht aus dem gedrungenen Auszuge des Briefs auf seine Kürze. Ich könnte Dich damit tödten, wenn ich Dir ihn in seinem ganzen Umfange vorlegen wollte. Durch mein Zusammendrücken, wie ich es bei so heillosem Geschwätze zu thun pflege, habe ich ihm nur das Gift benommen. In einer Nachschrift bitten beide Brüder um ihre Entlassung noch diesen Vormittag, mit Beibehaltung ihrer Livree, weil der Jahrmarkt zu Montpellier, wo Elektra zuerst ihr neues Theater zu eröffnen gedächte, schon übermorgen seinen Anfang nähme, und sie dort eines Prologs und Epilogs gewiß benöthigter seyn würde als ich. Hierin haben nun die zwei verbrüderten Narren vollkommen recht; auch will ich eilen, und meiner eigenen Freiheit so lange Zwang anthun, bis ich ihnen, wie ein Paar unnützen Stubenvögeln, die ihrige geschenkt habe. Mögen sie mit ihren bunten Federn, die ohnehin nicht von der Farbe meiner Helmdecken sind, aus einer Wildniß in die andere ihren Talenten nachfliegen. Mir soll ihres Schicksals halber weiter kein graues Haar wachsen. Ungleich mehr Sorge macht mir die peinliche Frage, mit der in der zweiten Epistel der unselige Passerino mir zu Leibe geht. Freilich hatte ich es vergessen – aber er nicht, daß der einzige Tag, den uns Saint-Sauveur zu der artistischen Reise nach Cotignac frei gab, morgen eintrete. Er wolle, sagt er, die unglückliche Möglichkeit gar nicht voraussetzen, daß ich zum zweitenmale anderes Sinnes geworden sei, und habe deßhalb die Postpferde mit dem frühesten in meinen Gasthof bestellt. Was will ich thun? Würde er mich wohl aus Frankreich lassen, ehe ich ihm nicht mein Versprechen halte? So sei es denn! Doch soll es gewiß der letzte Liebesdienst seyn, den ich meinem tollen Lehrmeister erzeige, so wie das letzte Marienbild, das ich besuche. Ach! aber wie fällt mir der Abschied so schwer, den ich, o Gott, [9] auf ewig von diesem reizenden, einzigen Thale nehmen soll. Ohne jenes abgeschmackte Berufsgeschäft hätte ich wenigstens noch einen Tag länger – (Saint-Sauveur stellte es mir ja anheim) – hier bleiben, und diese Höhen und Tiefen – diese Landhäuser und Wiesen, die sich vor mir hinstrecken, näher beäugeln können, als durch das Fenster. Ist es nicht zum Tollwerden, daß ich die letzte Vorstellung eines so prächtigen Schauspiels, als mir die Natur auf Morgen verspricht, ausschlagen muß, damit ein paar Müßiggänger einen Tag eher ihre hölzernen Puppen den Gaffern ausstellen, und ein Schmierer an einer noch elenderen als jene, seinen Pinsel versuchen kann? Vergebens wiederhole ich mir, wie viel edler solche Hingebungen werden, je mehr sie uns kosten. Meine Großmuth hebt den Schmerz nicht, und am meisten ärgert es mich, daß es solche Armseligkeiten sind, die mich von hier abrufen. Ich bin doch in der That ein sehr guter Narr, daß ich gehe! Nur noch einen Schluck aus diesem würzhaften Luftstrom! Einen Hinblick noch auf das stärkende Grün dieser Gefilde! und dann lege ich, mit dem Seufzer eines Liebenden, der aus den Armen seiner Schönen – zum Sturmlaufen gerissen wird, die Feder aus der Hand – gebe meine Nase dem Staube der Heerstraße und meinen armen Kopf den Strahlen Preis, die senkrecht auf ihn herabschießen.


Marseille.


Das Gesicht voller Schweißtropfen – alle Poren von der Hitze geöffnet, sprang ich endlich nach zwei melankolischen Stunden den Urhebern meines Mißmuths in die Hände. Sie erwarteten meiner am Thore des Gasthofs, wie ihres Heilandes, und spitzten die Ohren auf das erste Wort, das ich vorbringen würde, und das war: »Ein frisches Hemde!« aber diese in Feuer gesetzten Genies waren schon so fremd in meiner Haushaltung geworden, und so irre, daß sie mich an Bastian verwiesen, der aber nicht zu Hause sei. Sprachlos vor Aerger wankte ich die Treppe hinauf, und fand an meiner Thüre eine Dame hocken, die sich nur noch hätte erbieten dürfen, mir eins überzuwerfen, um alle meine innern Flüche zur Sprache zu bringen. Es war die Geliebte des Prologus, die [10] berüchtigte Elektra, die sich mir in einem Aufzuge zu Füßen warf, daß ich trotz des Zugwindes für das klügste hielt, sie sammt ihren Theaterhelden gleich auf dem Vorplatze abzufertigen. – Ich drückte jedem zum freundlichen Lebewohl ein Goldstück unter der kurzen Ermahnung in die Hände, ihr albernes Handwerk künftighin klüger zu treiben, und die Trödel-Lumpen, die sie aus meinem Dienst mitnähmen, vollends als ehrliche Kerle zu zerreißen. Heilfroh über mein erstes abgethanes Geschäft, schlüpfte ich nun in mein Zimmer, und bald nachher kam mir auch mein Kammerdiener zu Hülfe. Als er das Seinige besorgt hatte, fertigte ich ihn an den Marquis ab, und suchte nun Ruhe und Friede in meinem Lehnstuhle; hatte aber kaum einige Minuten – selbstständig und selig, wie die Gottheit, ohne Prologus und Epilogus da gesessen, als mich der Narr von Maler in das menschliche Elend wieder zurück brachte. Aber auch ihn überhob ich, wie die Puppenspieler, des Vortrags – »Gehen Sie jetzt wie gewöhnlich auf meine Kosten zur Wirthstafel – Morgen früh, Herr Passerino, bin ich zu Ihrem Befehl!« zugleich bewegte ich die Hand gegen die Thür, zu der er nun, ohne den Mund zu öffnen – (so gut hatten wir einander verstanden), hinausschlüpfte. Wundere Dich nicht über meine lakonische Laune, Eduard! Wie konnte ich mich wohl gegen diese Menschengesichter, die mir einen Tag voller Genuß auf dem schönsten Winkel des Erdbodens geraubt hatten, zu freundlichen Gesprächen herablassen! – Doch, es kömmt noch bunter – höre nur! Hast Du nicht auch, wie ich, erwartet, daß mich S. Sauveur auf den Mittag einladen würde? Ja, wenn er nicht durchaus an mir die Haltbarbeit sei nes Systems versuchen wollte – Seine heutige Ueberraschung aber, mag er mir nicht übel nehmen, geht über die Erlaubniß. Rathe einmal, was mir der artige Marquis an Bastians Stelle, von dem ich, ohne mich umzusehen, glaubte, er nähere sich jetzt mit seiner Bothschaft meinem Lehnstuhle – für einen Abgeordneten zuschickte und mit welchen Aufträgen? Einen vornehmen Seeofficier – einen Verwandten des Brigadiers, der mir ankündigte: – »Er habe ihm die Ehre übertragen, in seiner heutigen Abwesenheit für meine Bewirthung und Unterhaltung zu sorgen.« [11] – »In seiner Abwesenheit?« fragte ich mit Befremden, das dem Herrn auffiel – »Nun ja; denn Sie wissen doch,« antwortete er, »daß Sie ihn diesen Morgen auf seiner Bastide zurückließen?« »Nein, das ist mir in der That etwas Neues,« stotterte ich unter einem mißtrauischen Blick auf den Unbekannten – »Nun so kann ich es Ihnen bescheinigen« – Der Brief, den er mir mit diesen Worten überreichte – war zwar nur flüchtig und mit Bleistift geschrieben, unläugbar aber von der Hand meines Freundes – Ein Glück, daß es so war, nimmermehr wäre ich sonst von der Stelle gegangen, so sonderbar kam mir der Inhalt vor – »Ich« – lautete er ungefähr, »antworte Dir sehr in Eile, wie Du siehst, aus meinem Janustempel, den ich dringender Geschäfte wegen vor morgen nicht verlassen kann« – »Aus seinem Janustempel? dringender Geschäfte wegen? in dem Durchgange eines Steinbruchs?« Ich suchte geschwind über meine stillen Fragen Erläuterung in der folgenden Zeile – Was fand ich? »Die zwei ersten Feiertage Deines Festes verlor ich zu Toulon – auf den heutigen dritten und letzten muß ich nun zwar auch Verzicht thun – doch stelle ich Dir, um die Lücke zu füllen, meinen Mann an einem alten Bekannten von mir, aus Berlin, der eben in meinem Wagen nach der Stadt fährt« – »So?« murmelte ich, – »Er? ein sonst so guter zuvorkommender Wirth – konnte sich doch heute vor Dir unter einem Steinhaufen verstecken? Was in aller Welt hatte der Mann für Ursachen dazu?« Das Ding fing an mich zu verschnupfen, doch las ich weiter, und da erklärte sich denn der ganze Handel: doch so, daß ich beinahe außer mir kam. »Mein armer Freund,« erzählte er ganz unverblümt seinem Verwandten, »hat nach seiner Genesung von einer schweren Gemüthskrankheit tägliche Veränderung nöthig – und ich suche hierin nach Möglichkeit seinen Arzt zu ersetzen, der sich entfernt hat: – doch sorge ich heute gewiß so sehr für Deine Unterhaltung, als für die seinige, wenn ich Dich bitte, Deine gastfreie Einladung von mir auf seinen Kopf überzutragen. Dieser Sonderling vom festen Lande hält, wie alle reisenden Deutschen, so gut ein Tagebuch und selbst pünktlicher noch – als ein Admiral.« Ich möchte wohl hören, wie er sein [12] erstes Gastmal zwischen Himmel und Wasser beschreiben wird. Dabei muß ich Dir nur sagen, daß ihm der Götze, dessen Wiegenfest Du begehst, ein so großer Heiliger ist, daß er es gewiß, in dem Taumel seiner Verehrung, allen Deinen übrigen Gästen zuvorthun wird. Was willst Du mehr? Morgen nehme ich Dir die Sorge für ihn wieder ab. Ich muß des armen Schelms wegen zur Stadt, der auf Leben und Tod sitzt – und bin recht neugierig darauf – »So? so?« – wie angenehm ihn das Schrecken seines Pardons überraschen wird. »Es soll mir – und schon deßwegen ist mir dieß Dienstgeschäft lieb – einen neuen herrlichen Beweis für mein System liefern.« – Ist es nicht, überdachte ich das Gelesene, ein recht hämischer Streich, den dir hier der saubere Marquis, und dießmal gewiß nicht bloß aus Vorliebe zu seinem albernen System spielt? Er übergeht zwar deine Sottise zu Toulon mit Stillschweigen, hätte er aber wohl in seiner Missive das heutige vermaledeite Wiegenfest zweimal unterstrichen, wenn es ihn nicht für das schwindelnde Gastmal rächen sollte, um das du ihn durch Einschub des Gehenkten gebracht hast? Wenn er glaubt, daß ein drehender Kopf zu deiner Nachkur gehört, so verzeihe es ihm Gott – aber wer ist denn der Heilige, dem so viel daran liegt? – Den meinigen – so berlinisch er ist – soll er ungehudelt lassen – Doch wie geschwind verschluckte ich meine abschlägige Antwort, als mir der Officier auf die obige Frage Voltairen nannte. »Ich habe das Glück,« fuhr er fort, »die Fregatte zu kommandiren, die seinen Namen führt. Einige seiner Bewunderer haben sie ausgerüstet, und so lange sie Wasser hält, verpflichtet mich meine Bestallung – unter welcher Zone der Erde ich auch den 20sten Februar 2 vor Anker liege, zu dreitägiger Feier seines Geburtstags. Es kann mir kaum so leid thun, daß die beiden ersten ohne Theilnahme unsers Freundes vergingen, als Sie an seiner Stelle, mein Herr, mir bei der Feier des letzten willkommen sind. Es ist weltbekannt, [13] wie viele Anhänger der Schutzpatron meines Schiffs in Berlin hat, von Friedrich dem Großen an bis auf den geringsten Standartenjunker. Meine Gesellschaft wird stolz darauf sehn, einen Repräsentanten seiner dortigen Verehrer in ihrer Mitte zu sehen; und auch ich freue mich herzlich auf die anziehenden Anekdoten, die Sie uns von seinem Aufenthalte in Ihrer Vaterstadt mittheilen werden.« Jetzt war ich mir nicht klug genug, weder wie ich die Einladung des Kapitains ablehnen, noch der Verlegenheit trotzen sollte, in die mich allemal ein Kompliment verwickelt, das man mir in dieser oder jener falschen Voraussetzung aufdringt – und gewiß würde keiner von Euch allen, die mit Voltaires Bekanntschaft groß thun, und mit den Beiträgen seines Witzes dem ihrigen aufhelfen, meine Vokation unterschrieben haben, wenn Ihr die alberne Miene gesehen hättet, mit der ich sie annahm. Die Bangigkeit meiner Erwartung war unbeschreiblich. Ich konnte mir an den Fingern abzählen, daß der Ehrenposten, den ich behaupten sollte, meinen natürlichen Schwindel nur noch vermehren würde, und es ist die Frage, ob der Delinquent, über den man morgen Standrecht hält, nicht mit größerer Besinnung hinter seinem Kapitain hertraben wird, als ich heute dem meinigen nachschlich.


O was für ein Ball des Augenblicks ist der Mensch! Daher sollten wir, nach dem Princip erfahrner Spieler, nicht bei jeder widrigen Karte, die der Zufall aufschlägt, außer Fassung gerathen; immer auf Abwechselung hoffen, und bedenken, daß der mögliche Uebergang vom Verluste zum Gewinnste nur desto entzückender ist. Mit welchem ungestüm freudigen Herzklopfen wird nicht der heute noch so beklemmte arme Flügelmann morgen dem Kreis enteilen, der ihm den Tod drohte! Ich kann es mir lebhaft aus dem Gange meines Blutes erklären. – So schwer und trübe es war, als ich den bänglichen Wagen bestieg – wie sprudelte es nicht, als ich ihn verließ. Ein Hinblick auf das in stolzer Ruhe prangende Meer versöhnte mich geschwind mit mir selber, und meine kleinmüthigen Stubengrillen verkrochen sich vor der Hoheit der Natur [14] – Gott mag wissen, wohin? Sobald ich an der Seite meines Anführers in der letzten der drei, mit Herren und Damen besetzten Gondeln, die nur sein Signal zur Abfahrt erwarteten, Platz genommen hatte, wirbelte von der vordersten her, unter deren Leitung wir vom Lande stießen, ein Zusammenklang blasender Instrumente über das Meer, der, von dem Jubel der Zuschauer erwiedert, alle Seelen zu beleben schien. Ich kann jetzt die Möglichkeit begreifen, wie eine volltönende kriegerische Musik es dahin bringen kann, daß so viele verzärtelte Muttersöhnchen den Haß gegen ihre Werber, ihr Heimweh und ihr Zittern vor dem Tode auf einmal verlieren – lustig dem feindlichen Feuer entgegen tanzen, und sich einbilden können, sie haben Herz; denn siehe, auch ich fühlte keinen Groll mehr gegen den Marquis und seinen Stellvertreter, lachte mit festem Blick der Fregatte zu, die vor meinen Augen hin und her schwankte, und machte mir keine Sorge weiter über den Ehrenposten, zu welchem ich mich, ohne mein Zuthun, erhoben sah. O die Harmonie ist eine herrliche Anführerin für Geschöpfe mit menschlichen Ohren! Ich habe die Donnerschläge der Kanonen nicht gezählt, mit denen uns Voltaire zu unserm Empfang begrüßte; ich weiß nur, daß man mir, unbeholfen wie ich war, das Vorrecht der schamhaften Damen zugestand, und auch mich auf einem herabgelassenen Armstuhl durch eine Winde auf das Verdeck zog, während herzhaftere Männer auf der Strickleiter hinaufstiegen. Von da schlängelte sich die Gesellschaft in das Innere des Schiffs, einem Saale zu, dessen Größe und Schönheit mir kein geringeres Erstaunen verursachte, als jenes Spiegelkabinet den beiden Berliner Nymphen, die sich heute vor sechs Wochen – Gott möge sie unbeschädigt an Ort und Stelle gebracht haben – unter dem Schalle meiner Horazischen Ode nach St. Domingo einschifften. Ich wüßte nicht, wie ich mich bei den Musen entschuldigen wollte, wenn ich Dir diesen auf Wasser erbauten Tempel dichterischen Ruhms nicht beschriebe. Das Erste, auf das der feurige Hinblick der Andern meine Augen hinzog, war die Satyrfigur des Patrons in seiner natürlichen Dürre und Blässe. Er grinzte aus einem, zum Blindwerden vergoldeten Rahm so spöttisch auf unsere Huldigungen herab, [15] daß mir die Schamröthe anflog, die seinen Wangen abging. Unter diesem Bilde lag auf einem Wandtische das auf Pergament gedruckte Trompeterstück, mit welchem Er die Fregatte anblies, die den Schall seines glorreichen Namens als ein Landesprodukt ausführen, und in alle Winde verbreiten sollte. 3 Auf zwölf Feldern von Purpurholz trugen glänzend gefirnißte Genien in erhabenem Schnitzwerk die einzeln Stufen zu der ganzen himmlischen Tonleiter seiner Muse zusammen. Sein schriftlicher Nachlaß strahlte hinter den Gittern von vier Eckschränken hervor. Auf der Höhe derselben prangten, als seine Schutzgötter, die Büsten unsers Friedrich's, Katharinen der Zweiten – des Kaisersohns Joseph und des Königs der Sarmaten, in Pappe. – Wären sie hier, sagte der Kapitain, ihrer Würde gemäß, aus Marmor, so sehen Sie wohl, könnten sie bei stürmischem Wetter durch ihre eigene Härte und Schwere leicht einander gefährlich werden. Wollte Gott, erwiederte ich, die Natur hätte auch Rücksicht darauf genommen, als sie diese Köpfe aufstellte. In der Mitte der Hauptwände haben zwei Charitinnen Körbe mit frischen Blumen empor. Jeder zu beiden Seiten, hielt ein Affe, mit allem Ausdrucke natürlichen Ingrimms, eine Tischplatte in die Höhe, die ausschließlich den Lobschriften auf den Unsterblichen eingeräumt war. Um den Hals dieser angefesselten Träger schlang sich ein Band mit den Namen eines der Menschen, die dem Dichter zur Ableitung der Galle so nöthig waren, als seine tägliche Nahrung.Freron hielt den Anelitteraire 4Beaumelle das Siècle de Louis XIV. – Nonotte les Erreurs de Voltaire und Franc de Pompignan seineCantiques sacrés mit der Umschrift in den Pfoten:Sacrés ils sont, car personne n'y touche. Diese zähnefletschenden Gesichter wären, sagte man, ganz den Originalen ähnlich, die er, nach seinen vier Widersachern benennt, in dem Hofraume zu Fernay an Ketten gelegt, täglich mit eigenen Händen fütterte und peinigte, um diesen schuldlosen Geschöpfen die Freude seines Grolls fühlen zu [16] lassen, den er ihren Namens-Vettern bis an sein seliges Ende nachtrug. Alles war hier, wie Du siehst, auf die Ehre des großen Mannes berechnet; nichts hat aber wohl jemals sie lauter verkündigt, als die ansehnliche Versammlung, in deren Kreise ich äußerst verlegen da stand. Meine Zunge war, gegen die Geläufigkeit der andern genommen, wie vom Schlage gerührt, und genau überlegt, konnte vielleicht nichts besser zu meinen gegenwärtigen Verhältnissen passen, als diese Lähmung; denn wie leicht hätte mir sonst mein deutsches Gefühl den Streich spielen, und mich verleiten können, aus Vergessenheit meiner Repräsentantenstelle, den Signalen unseresKleist, Klopstock und Wieland zu weit in den Irrgängen der Wahrheit zu folgen, und mir die Strafe zu erholen, die der Prophet Jonas von seinen Zuhörern erlitt. Keiner der zwölf Jünger, die hier zum Gedächtnisse des göttlichen Sterblichen versammelt waren, erwähnte seiner eigenen geringen Person, außer in Verbindung mit seinem Meister, und alle suchten einander zu überschreien. Wenn jener im Zählen war, wie oft er mit dem liebenswürdigen Dichter an einer Tafel gespeist habe, so störte ihn dieser durch seinen langjährigen Briefwechsel mit dem berühmten Manne. Mancher hatte mehrere Wochen bei ihm in Fernay verlebt, und – glaubwürdig genug – die Affen persönlich gekannt, die dort im Leben, wie hier in hölzernen Nachbildern, seinen Ruhm stützten. Der eine gab zu verstehen, er habe ihm, der jede Kleinigkeit zu benutzen wußte – durch Umgang vielleicht zu mehr glücklichen Einfällen geholfen, als sich die litterarische Welt wohl vorstellte; der andere beschwor bei seiner Ehre, daß er vier Posten hinter Voltaires Wagen hergefahren, und immer so glücklich gewesen sei, beim Aussteigen ein oder zwei Worte von ihm zu hören, die bis zur nächsten Station wie eine Herzstärkung auf ihn gewirkt hätten. Ein dritter, indem er das Kinn vorstreckte, wie Voltaire selbst, ließ merken, er trüge wohl die Physiognomie des Dichters nicht von ungefähr. – Sei es wie es sei, unterbrach er sich selbst, tant mieux!

Da ich mich von allen diesen Glücksfällen keines einzigen rühmen konnte, so kam es mir auch nicht von weitem in den [17] Sinn, darein zu sprechen, bis mir eine junge Dame die Zunge löste. »Ach Gott!« rief sie enthusiastisch aus, »welchen Genuß gewährt nicht sein herrlicher Geist einem denkenden Wesen!« – Ich blickte ihr geschwind nach dem Busen, weil Kenner behaupten wollen, hier säße den Weibern der Verstand, so wie ihr Herz hinter der Stirn. – Beides aber kam mir etwas platt vor. »Vier Monate war der große Mann,« fuhr sie mit aufgehobenen Augen fort, »in meiner Aeltern Hause zur Miethe, und denken Sie! ich bewohne sein Arbeitszimmer. Es ist klein – aber wahrlich, ich vertauschte es nicht mit dem schönsten Spiegelgemach – schon des Quatrains wegen nicht, das er auf eine der Fensterscheiben gekritzelt hat.« – »Was?« fiel ich ihr in die Rede, »Sie besitzen eine Fensterscheibe mit einer Quatrain von Voltaire?« »Ja,« wiederholte sie mit stolzem Anstand, »vier Verse von seiner eigenen Hand, und die selbst in der neuesten Ausgabe seiner Werke fehlen.« »O Madam!« trat ich ihr jetzt näher, »wie glücklich könnten Sie mich durch dieses Stückchen Glas machen! Bestimmen Sie, ich bitte, einen Preis, ich verstehe mich unbesehen dazu.« – Lieber, lieber Eduard, daß ich doch nie lernen werde, meine Worte zu wägen! »Es thut mir leid,« antwortete sie mit übrigens sehr freundlichen Augen, »daß ich mich auf so einen Handel nicht unbedingt einlassen kann – Jene Scheibe ist mir ein zu liebes Eigenthum und – nicht wahr, lieber Vater?« rief sie einem ältlichen Militär zu – »unzertrennlich von meiner Person.« – Diese Erklärung stopfte mir auf einmal den Mund. Ich leistete zwar ungern Verzicht auf solch einen Schatz für mein Kabinet, that sogar ein übriges, warf zum zweitenmal einen Blick auf das denkende Wesen; aber der Preis war und blieb mir zu hoch.

Der Aufruf zur Tafel unterbrach bald nachher das allgemeine Gespräch. Meine Kunstgenossin setzte sich neben mir – Ich hatte nun alle Gelegenheit, tiefer in ihren Verstand zu blicken – Sie ließ auch ihr Herz sprechen: doch ich erwähnte die Scheibe weiter mit keiner Sylbe. Siehe, Eduard, ich wollte gern zwei Tage hungern, wenn ich mir dadurch das Vergnügen erkaufen könnte, Dir den Küchenzettel des herrlichen Mahls vorzulegen, das jetzt [18] begann. Er würde Dir unsern sinnlichen Genuß viel anschaulicher machen, als meine wortreichste Beschreibung. Im Allgemeinen muß ich Dir jedoch angeben, wodurch es sich vor allen andern auszeichnete, ehe ich zum Schlusse des Festes komme, der eine reine neue Feder erfordert. Es ward – vielleicht nach Schiffsgebrauch, vielleicht auch aus symbolischer Hinsicht – nur eine Schüssel auf einmal aufgesetzt – und schon das gefiel mir; denn so blieb die Bewunderung, die wir ihr einstimmig zollten, wie bei Voltairen, so lange ungetheilt, bis eine andere erschien, die, wie es ihm auch gehen wird, uns noch bewundernswürdiger vorkam, als die erste. Entständen aber auch zwanzig Dichter nach ihm, deren immer einer größer als der andere, den Geschmack an die vorangegangenen verdrängte, sie könnten kein höheres Erstaunen bei mir erregen, als mir die Reihe eben so vieler immer köstlicherer Gerichte abnöthigte. Es war mir eine bittersüße Betrachtung, aber ganz eines Philosophen würdig, daß mir, selbst in dem Gebiete meiner vorzüglichsten Kenntnisse, so viel Neues entgegen kam. Denn außer dem gesegneten Brod, dessen ich mich noch von Aix aus erinnerte, trat doch nicht ein einziges Gericht unter meinen Gesichtskreis, das ich als einen alten Bekannten hätte begrüßen, und im voraus errathen können, was er mir leisten würde. Noch scheint es mir bemerkenswerth, und ich möchte wohl wissen, ob dieses auch bei andern Opfern der Fall sei, daß die Gesellschaft sich nur so lange mit der Verherrlichung ihres Götzen beschäftigte, als der Uebergang von der leeren zur vollen Schüssel dauerte. Voltaires Bild flog in diesen Zwischenzeiten, wie ein Schatten in der Zauberlaterne, nur flüchtig den Augen vorüber; desto herzergreifender fesselte er aber unser aller Aufmerksamkeit, als es lichter auf der Tafel ward, und unter den Spielwerken des Nachtisches ein Teller mit Devisen die Erinnerung an den ganzen Umfang seiner Vorzüge zurückbrachte; denn aus jeder noch so unbedeutenden Figur, die auf Geradewohl genommen, belächelt und zerknickt wurde, entwickelte sich ein, aus dem Schatze seiner Schriften entlehnter ernster oder schalkhafter Gedanke. Es war die artigste Lotterie der Art, die ich je gesehen, und allen Tafeln empfehlen möchte, so wie es die [19] erste ohne Nieten war, die mir vorkam. Sie erheiterte unsern vergnügten Zirkel noch mehr. Es war beinahe so gut, als ob der gefeierte Dichter selbst zugegen sei, ja in gewisser Rücksicht war es noch besser; denn mancher von den Gästen, der vielleicht unter den Augen des Dichters zu blöde gewesen wäre, ihm seinen Beifall anders, als durch ein bescheidenes Stillschweigen zu zeigen – betäubte jetzt unser Gehör; mancher, dem mit Voltaires Versen, heute vielleicht zum erstenmal ein kluges Wort über die Zunge kam, spielte hier den Kenner, und schien, als wolle er ihnen nur desto mehr Glanz durch die Einwilligung verschaffen, die er uns gab, sie ohne Bedenken für schön zu halten. Ich hielt, bis es die andern müde waren, ihren Gewinn auszutrommeln, mein Loos, unter der Maske eines Harlekins, mit so zögernder Bescheidenheit zwischen den Fingern, als ob es ein Impromptu von meiner eigenen Erfindung enthielte; und wenn mir jemand gesagt hätte: du hast Worte in deiner Gewalt, die gleiches Schrecken um dich her verbreiten werden, als jene, die eine übermenschliche Hand, der Tafel des Königs Belsazar gegen über an die Wand schrieb, ich würde ihn für einen Fantasten gehalten, meinen Harlekin so gewiß als jetzt, und ohne Furcht vor dem traurigen Erfolge geöffnet haben, der mir aber nur zu bald in die Hände kam; denn ich hatte kaum die ersten Worte des Verses über die Zunge:


Le grand monde est léger, inappliqué, volage,

Sa voix trouble et séduit. Est-on seul, on est sage.


so entstand, wie in der Natur vor dem Ausbruche eines Erdbebens, eine so auffallende Stille an der Tafel, daß ich verwundert um mich herum blickte, ohne die sonderbar andächtige Wirkung dieser Zeilen auf eine so muntere Gesellschaft begreifen zu können. Ich sah nur niedergeschlagene Augen, hörte nur tiefgeholte Seufzer, und unser Wirth, eine Flasche Champagner in der Hand, schien äußerst verlegen, was er damit anfangen – ob dem Harlekin trotzen, oder meine Neugier befriedigen sollte. Er entschloß sich aus Höflichkeit gegen einen Fremden zu dem letztern – schob das Leichtsinn erweckende Getränk bei Seite, und – »Wundern Sie Sich nicht, mein Herr,« wendete er sich nach mir, »daß der Denkspruch, [20] den das Ungefähr Ihnen zuwarf, uns alle so ernsthaft gemacht hat. Er veranlaßte die Erinnerung an eine eben so vortreffliche als höchst unglückliche Freundin. Sie hatte diese Zeilen über den Eingang eines Eremiten-Häuschens setzen lassen, in welchem sie eben den süßesten Träumereien nachhing, als ein grausames Verhängniß sie plötzlich und wahrscheinlich auf ewig daraus vertrieb. Wenn es meine übrigen Gäste nicht zu sehr angreift, so geben sie wohl zu, daß ich unserm lieben Fremden den traurigen Vorgang erzähle« – Die Herren schoben stillschweigend ihre Gläser von sich: die Damen falteten die Hände wie in einer Betstunde, und das denkende Wesen meiner Nachbarin hob sich ein wenig. »Lassen Sie uns, mein Herr,« fuhr der Kapitain fort, »einen Augenblick in das schöne Thal zurückgehen, von dem Sie heute herkommen. Dünkte es nicht Ihrem Herzen, als Sie es zum erstenmal so abgezogen von der übrigen Welt überblickten, daß es dem menschlichen Elend unmöglich sei, in diesen Wohnsitz der Ruhe zu dringen? und doch hätte Saint-Sauveur, der es wahrscheinlich aber, aus Schonung Ihrer, unterließ, Ihnen aus seinem Saalfenster den Geburtsort der Person zeigen können, die eben dort zu einem Jammer ohne Gleichen heranwuchs. Ich berufe mich dreist auf die selbst höchst liebenswürdigen Damen meiner Gesellschaft, ob sie eine gekannt haben, die ihrem Geschlechte mehr Ehre machte, und an Schönheit, Verstand und Annehmlichkeiten dem Fräulein von Larai gleich war.« Nein, so wahr Gott lebt, fielen sie hier alle dem Redner in's Wort, und er selbst brauchte einige Augenblicke, sich von dem rührenden Hinblick auf sie zu erholen. Denke, Eduard, um wie viel dieser Einklang bei einer solchen Gewissensfrage, diese unglaubliche Zustimmung weiblicher Unparteilichkeit über die Vorzüge einer andern, meine Aufmerksamkeit noch erhöhen mußte! »Der Vater dieses Engels,« ging der Seemann in seiner Erzählung fort, »einer der wackersten Menschen, lebte in jenem reizenden Bezirke auf seinem Landgute, und widmete nach dem Tode einer trefflichen Gattin, seine Erholungsstunden nur Freunden, die ihm glichen, und alle Kräfte der Erziehung des einzigen Zweigs seiner glücklichen Ehe.« Diese ihm so liebe Tochter stand im dreizehnten [21] Jahre, als er, in der besten Meinung, den Grund zu ihrem nachherigen entsetzlichen Schicksale legte. Er versprach sie einem jungen Grafen – Sein Name – doch ich verschweige ihn lieber aus Achtung für edle Verwandte. Sie wechselten die Ringe unter den übelsten Vorbedeutungen. Er steckte den ihrigen mit einer spöttischen Miene an, die den Anwesenden höchst mißfiel, und sie verlor den seinigen bei dem ersten Spaziergange. Bald nachher erhielt der junge Mensch einen Gesandtschaftsposten, der ihn fünf Jahre von seiner Verlobten entfernte. In dieser Zwischenzeit fiel das, nächst an den Wohnort des Barons gränzende Landgut durch Erbschaft an einen Herrn von Grammont, der liebenswürdig, sittlich und von dem edelsten Herzen, weit mehr als der Herzog gleiches Namens, verdient hätte, die Feder eines Hamilton zu beschäftigen. Er besuchte seinen Nachbar – sah die Tochter, die in der Blüthe ihres siebenzehnten Jahres stand, und nun erst hielt er den Zufall, der ihn in dieses Thal eingeführt hatte, für einen Würfel in der leitenden Hand der Vorsehung, die das höchste Glück seines Lebens bezweckte, und strebte, seit dieser unvergeßlichen Stunde, dem großen Ziele seiner Hoffnungen nach. Er erreichte es – gewann bald die Achtung und Freundschaft des Vaters, und nur desto geschwinder auch die Gegenliebe der Tochter, die sich in aller Unbefangenheit der Jugend ihrer ersten Neigung hingab. Kein Ring, kein Brief, kein Gedanke erinnerte sie an ihren entfernten Verlobten, am allerwenigsten der Vater, der sich nur im Stillen die Uebereilung seiner ältern Zusage vorwarf, nicht über das Herz bringen konnte, die wachsende schöne Leidenschaft der Tochter zu stören, und, als sein Freund um ihre Hand bat, weder vermögend war, sie ihm abzuschlagen, noch zu gewähren. Wenn die beiden Liebenden mit Thränen der Zärtlichkeit bittend vor ihm standen, bat er sie dagegen nur um Geduld und Aufschub – vermischte seine Seufzer, mit den ihrigen, verschloß aber nur desto sorgfältiger das Geheimniß seiner Unruhe. In diesem Kampfe mit sich selbst, war ein Jahr vergangen, als dem alten Manne eine tödtliche Krankheit zustieß. So bald er ihren Ausgang ahndete, fühlte sich seine beängstete Seele erleichtert. Mit erheitertem Blicke rief er die weinende [22] Tochter an sein Sterbebette, umarmte sie mit sichtbarer Freude, und, O! – waren seine Worte, wie danke ich Gott, daß er in's Mittel tritt, meinen Fehler gegen Dich wieder gut zu machen. Du liebes treffliches Mädchen! – Mein Tod entzieht Dich noch zeitig genug der lästigen Verbindlichkeit, die ich Dir in Deiner Kindheit auflegte – Dein Herz nahm und konnte keinen Theil daran nehmen – aber es wird ihm nun bald frei stehen seiner eigenen Wahl zu folgen. Du staunst? verstehst mich nicht? Ach! hätte ich mein übereilt gegebenes Wort so leicht vergessen können, als Du Deines, das Dir nur blinder Gehorsam abdrang. Mein letzter Wille vernichtet den erstern – Befolge ihn, so bald Du mich unter die Erde gebracht hast, und zögere nicht, Dich und den glücklich zu machen, der Deines Besitzes so werth ist – weit mehr als jener, dem ich solchen einst zusagte. Ein längeres Leben würde mir den Trost geraubt haben, der mir jetzt mein Ende versüßt: denn nun erst kann ich hoffen, daß Du und Er mein Andenken segnen werden. –

Die liebreichen Befehle des Sterbenden – der Drang ihres eigenen Herzens, am meisten aber das Gespenst des Grafen, setzten ihrem kindlichen Schmerze wohlthätige Schranken. Sie drückte mit der einen Hand, unter einem Ergusse von Thränen, ihrem Vater die Augen zu, und reichte die andere ihrem Geliebten. Nach einer kurzen Trauer feierten sie den Festtag ihrer Vermählung, der ihre Herzen – Tugenden und Güter in ein schönes Ganze verschmolz. Das glücklichste Paar auf dem schönsten Punkte der Erde! lautete die allgemeine Stimme, und nie hatte sie wahrer gesprochen. Nach sieben Monaten vollen Genusses aller irdischen Seligkeiten kam der Zerstörer derselben, der Graf, von seiner Mission zurück. Ich sah ihn den Tag nachher bei unserm Gouverneur. Da scherzte er noch über die Untreue des ihm einst aufgedrungenen Kindes. Er habe sie, setzte er lachend hinzu, in Neapel erfahren, wo zum Glück ein junger Mann sich noch am geschwindesten über solche Unglücksfälle trösten lerne. Als er aber in der Folge überall, wo er nur hinkam, von seinem Verlust unterhalten wurde, und dessen Größe erst ganz begriff, da ihm ein glänzender Zirkel [23] auf die Frage, mit der er ungestüm in den Saal trat: Sagen Sie mir um Gotteswillen, wer ist das wunderschöne Weib, und der strahlende Herr, die mir eben im Vorzimmer begegneten? – aus allen Ecken zurief: Graf! Kennen Sie denn Ihre ehemalige Braut nicht mehr? da fielen diese Worte wie ein Donnerschlag auf sein Herz, erfüllten es mit den wüthendsten Gefühlen des Stolzes, der Eifersucht und der beleidigten Ehre. Seine innere Empörung ward allen Gegenwärtigen sichtbar. Er veränderte die Farbe, so oft der Name Grammont ertönte. Den ganzen Abend über mißtrauisch gegen jedes lächelnde Gesicht, in sich gekehrt, abwesend und stumm, verließ er endlich die Gesellschaft mit dem Fluche des Verbrechens belastet, das er den Morgen darauf ausführte. So wie er in seine Wohnung kam, störte er die halbe Nacht hindurch unter seinen vor fünf Jahren zurückgelassenen Kleinigkeiten, nach dem Versprechungsring der Fräulein von Larai, zwängte ihn an den Finger, und hielt sich nun mit diesem Beweise seiner ältern Ansprüche für berechtigt, einen Gang zu wagen, um sich an demjenigen zu rächen, der sie in seiner Abwesenheit auf das empfindlichste verletzt habe. Unter diesem Blendwerke sophistischer Schlußfolgen, schickte er, ohne auf die Vorstellungen seines Sekretärs, der mir diese Umstände erzählt hat, zu achten, dem schuldlos glücklichen Manne eine beschimpfende Ausforderung zu. Herr von Grammont frühstückte eben mit dem Weibe seiner Jugend in einer Laube von Weinreben, die er, bei dem ersten Erwachen seiner Liebe, aus keiner geringern Ursache auf einer Anhöhe seines Gartens gepflanzt hatte, als weil er von da aus das Eremiten-Häuschen überblicken konnte, wo gewöhnlich in den Morgen- und Abendstunden das Fräulein sich ihren wehmüthigsüßen Gefühlen Preis gab. Diese beiden einander zuwinkenden Plätze gaben durch die Erinnerung an jene bängliche Zeit den Stunden, die sie jetzt hier weilten, einen unaussprechlichen Reiz. An ihrem Hochzeitabende war die erste Traube dieser geheiligten Pflanzung reif geworden. Sie hätten es gern für ein Wunder gehalten, als sie auf ihrem traulichen Spaziergange damit überrascht wurden. In einem dichterischen Schwunge der höchsten Zärtlichkeit, unter dem Abglanze [24] der untergehenden Sonne, der sie beide mit klopfenden Herzen und Ahndungen der annähernden Freuden nachblickten, bog Er, gleichsam als Vorspiel, diese noch unberührte Frucht den Lippen seiner Geliebten zu, und zerdrückte jede Beere, die sie faßten, mit glühenden Küssen, eine Scene, die das holde Weib noch jetzt nicht vergessen kann. Heute feierten die Glücklichen den ankommenden Frühling unter dieser ihnen so theuern Laube. Er wiegte sie auf seinen Knien, und sich an ihrem Busen, und rechnete schalkhaft ihr vor, um wie viele Pfunde seit jenem mystischen Abend sie schwerer geworden sei, als einer seiner Bedienten ihm den Brief brachte. Die kleine Muthwillige ... ach! hätte sie gewußt, mit welcher Natter sie spielte! – ergriff ihn, knickte das Siegel, drohte seine Geheimnisse zu lesen, und stellte es zuletzt seiner Großmuth anheim, ihre Neugier zu stillen. Gleichgültig schob er ihn zwischen die Weste, denn er hatte nur Augen und Gedanken für Sie. Diese Tändeleien der Liebe, die an dem Tage, der ein so grausames Geschick in seinem Schooße trug, der Erwähnung wohl werth sind, beschreibe ich nach der Aussage einer Person, die das Frühstück besorgte, und dabei ab- und zuging – eines vortrefflichen Mädchens, das, als Kind, die Gespielin der jungen Dame, jetzt weniger ihre Dienstbotin, als bewährte Freundin war. Sie, die nach geendigtem Frühstück in die Laube trat, versetzte durch den Ausruf: O das ist zum Malen schön! ihre Gebieterin aus einem süßen Traume in einen andern. Du hast Recht, meine gute Anne! Geh' und trage mir geschwind meinen Pastellkasten in die Eremitage, und indem sie sich aus den Armen ihres Gemahls wand – Laß mich, sagte sie mit losem Ernst, deine Laube muß nicht immer den Vorzug vor meinem Schilfhäuschen haben. In zwei Stunden, eher hilft aber kein Anklopfen, will ich den Herrn Gemahl mit der Kopie seines Originals empfangen, die er mir theuer bezahlen, und die ihn ganz überzeugen soll, wie häßlich ihm dieser lüsterne Mund, diese begehrlichen Augen und diese glühenden Wangen zu Gesichte stehn.

»Mit diesen Worten – den letzten, die er aus dem Munde seines Weibes vernahm, flog sie in ihr Eremiten-Häuschen, setzte [25] sich vor den Zeichentisch, wählte aus dem zarten Gewebe der vergangenen Stunde den herzlichsten Augenblick, und bot allen Zauber der Kunst auf, um durch den Schmelz der Farben und den Hauch der Wahrheit das liebliche Schattenbild ihrer noch frischen Erinnerung zu beleben. Diese letzte Arbeit ihrer Hände, diese kostbare Ueberlieferung ihres zerrütteten Glücks, wird von unserm Freunde Saint-Sauveur als ein Heiligthum aufbewahrt. Ach! wie oft habe ich schon davor gestanden, und nur mit Gewalt vermocht, meine thränenden Augen davon abzuziehen! – In sprachloser Seelenzufriedenheit – die Hände gefaltet, und die Augen gen Himmel gerichtet, saß der überglückliche Mann noch eine Weile unter dem Ueberhange seiner Laube, als man ihm meldete, der reitende Bote warte auf Antwort. Jetzt erinnerte er sich des Briefs – suchte – erbrach vollends das Siegel, überlas ihn – – und nach einem kurzen ernsten Nachdenken befahl er zwei Pferde vor die hintere Gartenthür – nannte den Reitknecht, der ihn begleiten sollte, und verbot, als er aufstieg, den Umstehenden, der Dame etwas von seinem Spazierritte zu sagen: in einer Stunde werde er wieder zurück seyn; – und so flog er dem Orte zu, wo sein Gegner ihn erwartete. Sie trafen einander auf einem Rasenplatz am Fuße der Vestung. Der Graf reichte dem Angekommenen zwei Pistolen – Er wählte eine mit stolzem, furchtbarem Stillschweigen, und beide – nachdem sie zehn Schritte von einander ihre Stellung genommen – drückten los, und in derselben Minute stürzte Grammont mit zerschmetterter Stirne zu Boden. Der Mörder schwang sich auf sein Pferd – flüchtete auf einem gemietheten Postschiffe nach Genua, und hat nun von dort aus die Frechheit, um freie Rückkehr in sein Vaterland zu bitten. Im Krampfe des Entsetzens, ließ der Reitknecht das scheugewordne Pferd seines getödteten Herrn fahren, und mit verhängtem Zügel flog er der einsamen Schilfhütte zu, wo noch in ihrer Glückseligkeit vertieft, die theure Unbefangene verweilte, und eben daran war, einen Schattenzirkel um das fertige Gemälde zu ziehen. Sie hörte das Trappen des Pferds – hörte sich mit einem Jammerton rufen – riß sich in die Höh – stürzte den Zeichentisch um [26] – öffnete die Thür, und sah den verblaßten Menschen, der nur noch die unselige Kraft hatte – mit zitternder Hand nach der Gegend der Vestung zu deuten – die Namen ihres Gemahls – des Grafen – Zweikampf – und Tod – in einzelnen Tönen, aus der beklemmten Brust zu stoßen, ehe er ohnmächtig niedersank. Wer es vermag, schildere den Zustand dieses weiblich zarten Herzens, sobald es der Greuel seines Geschicks erfaßte – schildere den entsetzlichen Fall aus einer solchen Höhe der Seligkeit, in eine so grundlose Tiefe des Elends – den Uebergang des frohsten Selbstgefühls, das noch kurz zuvor ihre Farbenstifte bei dem schönen Nachbilde des Geliebten so glücklich geleitet hatte, zu der Trauerpost seiner Ermordung. In einem Augenblicke lag ihre Hütte – die Laube, der Garten – ach die ganze Welt lag hinter ihr! – Sie flog, ohne nach Begleitung zu rufen – ohne zu wissen wohin? nur auf den ungefähren Wink des Schreckensboten, längs dem Steinwege – allen, die ihr begegneten, unaufhaltsam vorbei, unserer Stadt zu – flog durch das Thor – schöpfte nach Luft, um zu schreien – und forderte mit schmetternder Stimme ihren Gemahl – von dem erstaunten Haufen, der sie umringt, indem sie ihre blutig zerrungenen Hände gen Himmel hob. Eine fürchterlich schöne Gestalt im weißen Morgenkleide – die Bandschleifen durch den empörten Busen gesprengt – mit braunem fliegendem Haare – fortgetrieben durch innere Pein, und hingegeben der Verzweiflung – so sahen wir sie alle, wie wir hier sitzen, unsern Häusern vorüber, durch die Straße rennen – und eilten ihr nach. Auf dem Marktplatze sank sie endlich ohnmächtig darnieder. Einige aus dem Kreise, der sie auch hier mit staunendem Mitleiden umgab, waren im Begriffe, sie in das nächste Haus zu bringen, als Saint-Sauveur, durch den Lärm an's Fenster gezogen, seine Freundin erkannte – blitzschnell herbei flog – sie jenen ab, auf den Arm nahm, und in das nahe Kloster der barmherzigen Schwestern bis in das Zimmer trug, das man ihr einräumte. Er schickte nach den berühmtesten Aerzten der Stadt, forderte, ordnete, und verschaffte alles, was er zur Beruhigung und Bequemlichkeit der Kranken für nöthig hielt; konnte aber, so wenig als ein anderer, begreifen, was dem armen Weibe [27] begegnet sei, bis ihre gute Anna, mit Thränen und Schweißtropfen benetzt, unter uns trat, und den schrecklichen Vorgang nach der Angabe des Augenzeugen erzählte. Indem erholte sie sich – Wir, die das Stöhnen der Erwachten nicht zu ertragen vermochten, verließen das Zimmer, nur Saint-Sauveur blieb, ohne seiner zu schonen. – Welch eine Morgenstunde! Sie werden den schauderhaften Eindruck leicht begreifen, mein Herr, den sie auf jeden zurückließ, der ihr beiwohnte, und sich über die Wehmuth nicht weiter verwundern, in die uns Ihr zufälliger Fund versetzt hat. Der feinste Faden, der mit einem solchen Gewebe des Unglücks in Verbindung steht – würde er auch noch so leise berührt, muß seinen ganzen Umfang erschüttern.«

Der Kapitain hatte nun, wie er glaubte, mir allen genüglichen Aufschluß gegeben, und regte sich aufs neue mit seinem Champagner: aber jedermann ermunterte den Redner fortzufahren, und verbat das berauschende Getränk – »So verlangen denn meine lieben Gäste,« fragte er, »noch immer keine Ruhe? Sie kennen ja alle, außer der fremde Herr da, den Fortgang des Trauerspiels, so gut als ich« – »Aber auch er,« rief ein ältlicher mit Pflastern verstellter Officier, dem der Hieb in einem Ehrengefechte Mund und Nase gespalten hatte, »sollte nicht von uns gehen, ohne die Warnung, die der Verfolg der Geschichte noch rührender predigt, als der Anfang, mit in seine Heimath zu nehmen.« »So hören Sie denn,« fuhr der Kapitain fort, »was mir nicht nur Saint-Sauveur von der folgenden Stunde mitgetheilt hat, sondern so viel ich auch noch bis heute von der Unglücklichen weiß. Sie öffnete die Augen unter jenem krampfhaften Gestöhne, das uns verscheucht hatte, und sah sich starr um; sobald sie aber ihre Jugendfreundin erblickte, stürzte sie ihr in die ausgebreiteten Arme. Fest an dieses einzige Geschöpf geklammert, das sie in der ganzen Natur allein noch zu erkennen schien, ließ sie ihr Herz ausbluten, und ihre sprachlosen Gefühle verathmen. Erschöpft sank sie endlich auf ihr Bette, und zugleich in den tiefsten Schlaf, der bis den andern Morgen anhielt. Die Aerzte bauten große Hoffnungen, auf diesen Beistand der Natur, und trösteten alle Nachfragenden[28] damit, die das Kloster unaufhörlich belagerten. Schöne, aber ach! vergebliche Erwartung! Die Kranke hatte während der Ruhe nur neue Kräfte zu der schrecklichen Folter gesammelt, die ihr bevorstand. Denn, als die wiederkehrende Unglücksstunde ertönte, raffte sie sich in einem schauervollen Erwachen von ihrem einsamen Lager auf – Gustav, war der erste Jammerlaut, den sie, an den Busen ihrer Freundin gelehnt, ausstieß – ach liebe Anna! laß mich doch meinen Gustav suchen, und mein müdes Haupt auf seinem Grabhügel ausruhn! – Unter diesem fortdauernden Gewimmer stieg ihr Schmerz immer höher und höher, bis auf den Gipfel des Wahnsinns. Diese innere Pein ließ nicht eher nach, als bis sich ihre Zunge in einen Strom noch nie erhörter Flüche gegen den Mörder ihres Gemahls ergossen hatte; dann erst kam sie, in der äußersten Abmattung, wieder zu sich. Welchen Drang unnennbarer Martern läßt nicht eine solche Linderung in einer so edeln, sanften und Gott ergebenen Seele voraussetzen! Drei Wochen nachher, die nur aus trübsinnigen Stunden zusammengesetzt waren, kam ihr zum erstenmal ein anderer Gedanke. Anna, – erwachte sie mit ihrem in gesunden Tagen so freundlichen Aufblick – ich möchte mir wohl eine anständigere Wohnung suchen – Bestelle mir doch meinen Wagen. Dieses erste Zeichen von Besonnenheit verbreitete überall Hoffnung und Freude. An der Hand ihrer Getreuen, und mit rührendem Bezeigen ihres Danks gegen die Nonnen, die von ihr Abschied nahmen, verließ sie das Kloster – aber wohin ließ die gute Dame sich bringen? Den dringendsten Bitten ihrer Begleiterin entgegen, nirgend anderwärts hin, als in das öffentliche Irrenhaus! Nachdem sie die innere Einrichtung nachdenkend untersucht hatte, schien es sie zu freuen, in einem kleinen abgesonderten Hof ein paar leere, reinliche, vergitterte Kammern zu finden. – Diese hier, wendete sie sich leise gegen den Aufseher, miethe ich für mich, und die anstoßende – wehmüthig fragend blickte sie dabei Annen in die Augen – für meine Freundin. Seit jenem Morgen wohnt nun dort die edle Dulderin, immer in sich selbst versunken – außer dann und wann, wo sie die Gefährtin ihres Elends durch einen sanften Händedruck zu trösten und zu bitten [29] scheint, sie nicht zu verlassen – in stiller Verborgenheit. Nähert sich aber die Schreckensstunde, die sie auf ewig von ihrem Gustav trennte, so mag die Uhr solche ankündigen oder nicht, ihr instinktgleiches Gefühl irret sich um keine Minute – dann tritt sie an das eiserne Gitter ihres selbst gewählten Gefängnisses, und ihre zurückgehaltenen Klagen tönen nun in sonorischen Worten gen Himmel. Allmählig umzieht Fieberröthe die blassen Wangen, die matten Augen fangen an zu glühen, die Stimme hebt, das Haar sträubt sich, und eine kurze vorlaufende Erschütterung des schönen Gesichts kündigt nun den Eintritt der Wuth an, die bis zur völligen Entkräftung des armen Weibes fürchterlich fortdauert. Dieses ist bis jetzt der abgemessene tägliche Gang ihres verschmachtenden Lebens. Hat schon meine Erzählung Sie so tief gerührt, mein Herr, was wird nicht erst das Zeugniß Ihrer eigenen Augen bewirken! Ich kenne den Hang des menschlichen Herzens nach dem Genusse der Wehmuth zu gut aus Erfahrung, um nicht vorauszusetzen, daß auch Sie den merkwürdigen Gegenstand dieser allgemeinen Trauer aufsuchen werden.« – »Und das,« rief ich, »soll morgendes Tags geschehen.« – »Ich würde mich zu Ihrem Begleiter anbieten,« sagte der wackre Mann, »hätte ich nicht selbst schon oft das Lästige wahrgenommen, das uns fremde Zeugen in solchen Augenblicken der Thränen auflegen. Niemand hat deren wohl mehr um die arme Bedrängte vergossen, als unser guter Saint-Sauveur. Es ist ihm ein Gesetz, sie täglich zu besuchen, und wird er ja davon ab gehalten, wie ängstlich sieht er nicht alsdann den schriftlichen Berichten entgegen, die ihm ihre Freundin und einzige Wärterin, die sie duldet, auf diesen Fall zuschicken muß. Es müssen gebietende Geschäfte gewesen seyn, die ihn mehrere Tage aus ihrer Nähe entfernten. Auch ist er es, der das Begräbniß des Entleibten in der Weinlaube besorgt, ihm ein Denkmahl errichtet, und sich der verwaisten Diener und herrenlosen Wirtschaft dieses gesunkenen Hauses mit der treusten Thätigkeit angenommen hat.« »Hieran,« rief ich voller Entzücken, »erkenne ich meinen Freund. Gott segne seine Bemühung, und belohne seinen Eifer durch den glücklichsten Erfolg!« »Aber, mein Herr,«[30] richtete der Kapitain jetzt die Frage an mich, »wie in aller Welt geht es zu, daß diese tragische Begebenheit, die doch in der Zeit Ihres Aufenthalts allhier vorging, und Stadt und Land erschüttert hat, Ihnen so ganz unbekannt bleiben konnte?« »Ach erinnern Sie Sich denn nicht,« seufzte ich, »was der Marquis von mir geschrieben hat? Glücklich für meine Ruhe, möchte ich wohl sagen, lag ich damals selbst ohne Verstand an der Kette einer schweren Krankheit, unter den Händen der Aerzte, und vermuthlich hat der Marquis und jedermann aus menschenfreundlichen Rücksichten mir auch nachher den Vorgang verschwiegen.« Meiner Nachbarin schien schon lange etwas auf der Zunge zu schweben, das ich gar keine Lust hatte ihr abzunehmen, mußte aber endlich doch herhalten. »Der Herr Brigadier,« zischelte sie mir zu, »mag, im Vertrauen gesagt, wohl noch gewisse zärtlichere Antriebe zu seiner in der That sehr lobenswürdigen Sorgfalt haben als die allgemeine Menschenliebe. Von jeher, kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, hat er nur Augen für diese Frau gehabt, und viele, die ihn genau kennen wollen, behaupten, daß er nur die Genesung der schönen Wittwe erwarte, um ihr seine Hand anzubieten, die sie auch sicher nicht ausschlägt.«

»Sie glauben, Fräulein,« blinzte ich sie an, »daß diese so tief verwundete ...« »O mein Herr,« lachte sie mir ins Wort, »ein liebenswürdiger Mann, der den Verstand einer jungen Dame wieder zurechte bringt, weiß gewiß auch ihrem Herzen beizukommen.« Das kann wohl, dachte ich, der Fall bei dir seyn, und war boshaft genug, in meine auf- und niedersteigenden Blicke, deren Wendungen nicht schwer zu errathen sind, meine ganze Antwort zu legen. Indeß verursachte doch dieß Geschwätz, daß ich nach Tische meinen Kaffee noch mit Nachdenken darüber einschlürfte. Unter einem andern Gesichtspunkte genommen, kommt mir die Sache nicht so ganz unwahrscheinlich vor. Ich glaube es als einen Erfahrungssatz annehmen zu dürfen, daß ein sonst gesunder Verstand, der nicht durch eine fehlerhafte Organisirung der Seele, als zum Beispiel durch Hochmuth, sondern durch zugestoßne geistige Verwundungen verrückt wurde, sich auch wieder findet, so bald die [31] Zeit diese geheilt hat, und sage es dießmal wahrlich ohne alle Seitenblicke auf unsere oft unbändig trostlosen Wittwen, die sich sechs Monate nachher auf das fröhlichste wieder verheirathen. Eine jede dahin spielende Idee würde Blasphemie gegen die vortreffliche Frau seyn, von der ich spreche. Wer wollte aber nicht wünschen, daß, wenn sich auf den Fall ihrer völligen Herstellung ein solcher Verlustsersatz als S. Sauveur darböte, jenes vorgelaufene Gerücht einträfe!

Die Stimmung, in die wir alle uns versetzt fühlten, konnte für jedes einzelne Herz seinen großen Werth haben, nur zum gesellschaftlichen Tone taugte sie nicht. Der Kapitain, ein viel zu guter Wirth, um seinen Gästen Zwang anzuthun, gab daher bald das Signal zur Abfahrt. Mir war sonderbar in meiner Barke zu Muthe. Die schreckliche Ungewißheit menschlichen Schicksals schien ihr nachzuschwimmen. Ich hatte so wenig für die muntere Musik, die uns zurück begleitete, als für das Jauchzen am Ufer dasselbe Ohr mehr, und glich ich vor fünf Stunden einem Neuangeworbenen, der lustig ins Treffen geht, so war mir das Herz jetzt gewiß so sehr gesunken, als ihm, wenn er schwer verwundet von der Wahlstatt zurückhinkt. Der vielsagende Händedruck des Kapitains, den ich ihm stillschweigend erwiederte – die bänglich freundlichen Blicke, die mir meine andern Tafelgenossen beim Abschiede zuwarfen, söhnten mich mit ihrem vorigen Tumulte aus: denn ein so treuer Anhänger gesellschaftlicher Vergnügungen ich auch seyn mag, so kommt es mir doch vor, als würde es den meisten Menschen ganz zuträglich seyn, wenn jedes Freudenmahl sie mit ähnlichen Empfindungen entließe, als ich, und wahrscheinlich alle übrigen Gäste Voltaire's mit nach Hause nahmen.


»Lieber Sperling,« rief ich meinem alten Lehrmeister entgegen, da er mir, wie gewöhnlich, zuerst in dem Wirthshause aufstieß, »können Sie mir wohl den nächsten Weg nach dem Tollhause zeigen?« »Niemand leichter als ich,« war seine geschwinde Antwort; »aber was in aller Welt wollen Sie dort?« Mit dieser Frage stieg er mir in mein Zimmer nach. Als ich hier meinen [32] Staat abgeworfen hatte, und noch die kleine Uhr, die Du kennst, in der Hand hielt, um sie auf meinen Schreibtisch zu legen, veranlaßte sie folgendes Gespräch unter uns. »Finden Sie nicht das Gehäuse allerliebst gemalt, und die Juwelen um das Zifferblatt recht artig gefaßt?« Er besah sie auf allen Seiten. »Das ist ein ganz superbes Stück,« fing er sein Lob an – »Schade nur,« fiel ich ihm ein, »daß es nicht richtiger geht.« Er zog seine Uhr aus der Tasche, und verglich beide. »Ja wohl, drei Viertelstunden und neun Minuten zu früh.« »Und doch,« warf ich die Nase gegen ihn in die Höh, »ist schwerlich Ihr Werk nur halb so viel werth als das meinige. Ehemals ging es vortrefflich, hat aber offenbar durch die Reise gelitten. Entweder ist die Feder überspannt, ein Zahn verbogen, oder es liegt an der Unruhe.« »Bei einer so zarten Arbeit ist das leicht möglich,« erwiederte er, »und in dieser Hinsicht vertausche ich meine tombackene Uhr mit keiner andern. Mag sie noch so plump und altmodisch seyn, so hat sie dafür auch nicht um eine Sekunde gestockt, seit ich sie von meinem Großvater geerbt habe; aber Ihr kostbares Kunstwerk muß ja endlich ganz zu Grunde gehn, mein Herr, wenn Sie nicht in Zeiten seinen Fehlern nachspüren. Ich dächte doch wahrlich, daß es der Mühe verlohnte.« »Meinen Sie das, lieber Sperling? Nun so haben Sie auch die Antwort auf Ihre vorige Frage.« »Wie denn das?« stutzte er. »In einer großen Stadt,« trieb ich nun meinen Spaß mit ihm weiter, »stecken oft die verdorbensten Uhren in den glänzendsten Gehäusen. Die Eigenthümer wissen meist selbst nicht, wie weit die ihre von der Sonne abweicht, und bekümmern sich noch weniger um den Gang der andern. So lange noch nicht zufällige Stöße die Feder gesprengt, die Kette zerrissen haben, sie nur artig in die Augen fällt und nicht rasselt, gilt jede; ob sie übrigens ihre Bestimmung er füllt, ficht niemand an. Wie soll nun ein Reisender, dem es mehr um den innern Gehalt zu thun ist, als um äußeres Blendwerk, dahinter kommen? Wie soll er beurtheilen können, ob in seiner Vaterstadt, auf die er doch gern alles bezieht, die Uhren klüger gehen oder nicht? Giebt es da eine andere Ausmittelung, als daß er nachforscht, wie viele in der Reparatur und an welcher [33] Verschobenheit sie krank liegen?« Der gute Mann sah mich mit großen Augen an. Ich legte ihm meine Spielerei näher. – »Aus dieser Ursache, Freund, verlasse ich nie eine ansehnliche Stadt, ohne vorher ihre Tollhäuser zu besichtigen. Dort allein erscheinen die mannichfaltig verschobenen und lahmen Werke, ohne Malerei, Diamanten und Fassung, und erschweren keinem verständigen Auge die Uebersicht ihrer innern Gebrechen.« Passerino – wie lange, dachte ich, wird er noch so stumpfsinnig da stehn? – blickte mir bald in das Gesicht, bald auf die Schuhe. »Ein Narr,« erhob ich nun meine Stimme, »ist schon einzeln ein offenes Buch; eine größere Anzahl derselben ist die brauchbarste Bibliothek zur Fertigung einer moralischen Mortalitätsliste. Aus ihr entdeckt man, welche Seelenkrankheit an diesem oder jenem Orte am häufigsten die Köpfe verdreht. Sie lehrt, der wie vielste Bürger allemal toll ist, und beantwortet die große Frage, in welchem Staate der Verstand am besten gedeiht, und am wenigsten Gefahr läuft, so, daß jeder, dem daran liegt, seine Einrichtung darnach machen kann. Welchen Vorzug, zum Beispiel, behauptet nicht hierin die deutsche Natur mit ihrer Kruste vor dem französischen Spinnegewebe. Wenn man sich nicht selbst muthwillig durch Reisen in dieß gefährliche Land, oder gar durch vieljährigen Aufenthalt daselbst Schaden thut, mein lieber Passerino, so gehörten schon harte Prüfungen des Schicksals dazu, um einen von uns aus seinem täglichen Schlendrian zu bringen; und ob es mich gleich oft genug in bittere Verlegenheit setzt, wenn ich mit meiner deutschen Strohfiedel den feinen flüchtigen Weltton unserer Nachbarn nicht zu erreichen vermag – so« ... »Ha nun merke ich – fiel mir mein Zuhörer ins Wort – wo Sie hinaus wollen. Ja ja, wir gehen ins Narrenhaus – dort können wir freilich dem lieben Gott viel herzlicher danken, als in brillanten Gesellschaften, daß er uns aus gröbern Stoffen zusammengesetzt, und unsere deutschen Baßsaiten bis jetzt vor allen massiven Griffen gnädiglich bewahrt hat.« Mein Gespräch hatte mir nun zwar den Dienst eines Verdauungsmittels nach einem großen Gastmahle geleistet; aber nicht im mindesten meine bänglichen Gedanken an die unglückliche Dame zerstreut. Ich fragte [34] meinen Mann, ob er sie schon gesehen habe – »Noch nicht,« war seine Antwort, »denn so oft ich auch sonst in jenes Haus kam, so habe ich doch seit Ihrer Ankunft meine Besuche auf Sie, mein lieber Herr, allein eingeschränkt; aber nächstens soll dieser herrliche Gegenstand des allgemeinen Mitleidens meine Reißfeder in Thätigkeit setzen – Ich gedenke meine Zeichnung von ihr, die nicht anders als kräftig ausfallen kann, in Kupfer stechen zu lassen. Wenn nur der zehnte Theil ihrer Freunde darauf subskribirt, so soll mir diese Arbeit einen hübschen Thaler eintragen.« »Die Spekulation ist gut berechnet,« lächelte ich – »darum wollen wir auch unsern traurigen Spaziergang keinen Tag länger verschieben.« »Doch wohl morgen noch,« fiel er ein, mit einer Miene, die meiner Vergessenheit bitter genug zu Hülfe kam. »Versteht sich,« trotz meiner innern Galle zwang ich mich, ziemlich gelassen zu antworten, »wenn wir von unserer pittoresken Reise nach Cotignac wieder zurück sind.« »O alsdann, mein Herr,« rief er entzückt, »stehe ich Ihnen ganz zu Diensten, und ich denke, Sie sollen mit Ihrem Anführer zufrieden seyn. Ich habe freien Zutritt im Tollhause – habe schon manche Thräne dort verweint – und manchen Groschen dort hingetragen.« »Wie so?« »Sehen Sie, mein Herr, schon einige Jahre liegt dort ein Mann an Ketten, der – Gott bewahre jeden davor! – selbst in seinen gesunden Tagen nicht recht bei sich war. – Ein Maler, der ... doch Sie mögen selbst urtheilen. Er hatte in einem hiesigen angesehenen Hause ein hübsches Verdienst – beinahe ausschließlich möchte ich sagen. Zu seinem Unglücke aber kommt dem Sammler ein Seestück von mir zu Gesicht. Er kauft es und räumt ihm in seinem Saale den vorzüglichsten Platz ein. Mehr brauchte es nicht, um seinen Stolz zu beleidigen. Kaum entdeckt er das neue Gemälde, so stellt er sich, die Arme in einander geschlagen, davor; aber anstatt, wie jener große Maler, zu rufen: Auch ich bin einer! so steigt ihm der Künstlerneid so gewaltig zu Kopfe, daß er einige Tage nachher, wie gesagt, ein völliger Narr ward. Sein Zustand griff mir ans Herz, ich vergaß sein Unrecht gegen mich, behandle ihn seitdem wie einen unglücklichen Bruder, und besuche ihn, so oft ich einen [35] Groschen zu Rappee entübrigen kann, der, wie allen verschobenen Gehirnen, auch ihm das willkommenste Geschenk ist.« »Thun Sie das, lieber Sperling? Nun so erscheinen Sie mir in diesem Punkte größer als Voltaire mit seinen vier Affen, und ich begleite Sie nun noch einmal so gern nach Cotignac.« – »Wenn haben Sie die Pferde bestellt?« – »Mit Tagesanbruch« – »Gut!« – »Aber noch Eins, mein Herr! Bei Mönchen haben wir als Ketzer wohl nicht viel Gutes auf den Mittag zu erwarten – Sollten Sie nicht aus Fürsorge einen gebratenen Fasan und einige Flaschen Wein mitnehmen?« »Sehr gern, reden Sie das mit meinem Wirth ab – und für heute leben Sie wohl! denn ich habe sehr viel in mein Tagebuch einzutragen.« Das wäre nun auch nach der Regel von Pünktlichkeit geschehen, auf die ich vielleicht mehr halte, als Dir lieb ist. Ein anderer, glaube ich gern, würde manches als unwichtig übergangen, und sich bei meinen schläfrigen Augen kürzer gefaßt haben; doch könnte es leicht möglich seyn, daß dieser andere seine gedrängte Schreibart in der Folge bereuen müßte. – Ich habe meine eigenen Grillen über die Geschwätzigkeit. Was uns heute bloß als Staub auf unserm Lebensgange erscheint, kann morgen ein Kitt werden, der das Ganze verbindet. Du darfst nur in meinem obigen Gespräch mit Passerino ein Komma weglassen, und ich stehe weiter nicht für den Sinn. Eben so erhalten die Vorfälle des Lebens meistens eine ganz andere lückenhafte Ansicht, indem man so genannte Kleinigkeiten nicht berührt, wodurch doch jene nur zu oft herbeigeführt werden. Heute kann es Dir freilich so gleichgültig seyn, als es mir ist, ob der Wirth für meinen Mittag morgen einen Kapaun oder Fasan – rothen oder weißen Wein in den Wagen packt. Wer kann aber voraus wissen, ob und was für Folgen von dieser Wahl abhangen? Ja, wenn ich einen Roman schriebe, so könnte ich freilich meine Materialien sortiren; könnte zusetzen und weglassen, was ich wollte; aber Protokolle des laufenden Tags erfordern die schwatzhafteste Treue, und gesetzt, es wäre noch so gleichgültig, ob Cäsar in seinem gewöhnlichen Leben auf der rechten Seite ausspuckte oder auf der linken, so konnte doch, als er mit seinem Tagebuche über den Fluß [36] schwamm, dieser kleine Umstand seine eigene und die Lage der ganzen Welt verändern.


Den 25sten Februar.


Schon seit zwei Stunden sitze ich da, kaue meine Feder, und streite mit ihr, ob sie Dich in das Geheimniß ziehen soll, dessen ich mich zu Cotignac bemächtigt habe? Doch bist Du nicht auf dem Runde der Erde mein engster Vertrauter, und müßte ich nicht fürchten, wenn ich gegen Dich schwiege, von der Last, die mir auf dem Herzen liegt, diese Nacht erdrückt zu werden? Vor dem Verschwatzen will ich mich jedoch hüten. Ohnehin macht uns nichts lakonischer, als eine große Entdeckung. Passerino trat schon um fünf Uhr vor mein Bette. Während ich mich ankleidete, spitzte er seine Stifte – eine halbe Stunde nachher fuhren wir ab. Der Weg war so schlecht und langweilig, als seine Unterhaltung. Der elende Fleck, wo wir um zehn Uhr anlangten, war es nicht weniger, und so taumelte ich denn aus meinem Wagen, durch den Klosterhof und durch die Vorhalle, verstimmt bis über die Ohren, in die rußige Kirche. Ein Mönch empfing uns mit der Miene, die allen den guten Leutchen eigen ist, die Archive, Hausarkana, Kinderklappern der Vorzeit, oder heilige Spielwerke im Beschlusse haben. Ich that einen Blick auf das alberne Bild des Hochaltars, und hatte auf immer genug daran. Nicht so mein Reisegefährte. Der setzte sich gegen über auf die nächste Bank, zog sein Pergament heraus, und zeichnete, als ob es für die Ewigkeit wäre. Für mich wäre es eine gewesen, wenn ich ihm länger hätte zusehen müssen. Aber der Mönch kannte den Werth der Zeit, nahm mich stillschweigend bei der Hand, führte mich durch einen dunkeln Gang in das feuerfeste Gewölbe der Sakristei, und stellte mich vor einen großen alten vergoldeten Schrank, der meine geringe Geduld aufs ärgste durch sechs künstliche Schlösser prüfte, die weit über eine Viertelstunde wegnahmen, ehe der Pater eins nach dem andern geöffnet hatte: doch dafür gelangte auch meine Bewunderung zu einem unerwarteten Genusse. Drei weite Schubfächer enthielten die Garderobe der Mutter Gottes – Hemden, Unterröcke, Kaleçons, [37] Strümpfe, Spitzen, Halstücher und Roben, alles, wo nicht neumodisch, doch fein, prächtig und unbefleckt, wie sie selbst. Das kostbarste ihrer Kleider, und das sie nur einmal des Jahrs ihrem Hofstaate zur Schau giebt, war von himmelblauem Atlas mit goldnen Sternen gestickt, und mit Quasten von den reinsten Perlen besetzt. »Dieses Kleid, so äußerst kostbar es auch ist,« sagte der Mönch, »wird noch merkwürdiger durch die beiliegende Nachricht, daß es unversöhnliche Feinde der Gebenedeiten, drei portugiesische Juden waren, die es besorgten; so wie ehemals bei ihrer Niederkunft drei Könige aus Morgenland, wie das Ihnen bekannt seyn wird« – »Ja, ja,« sagte ich, und nachdem er das Kleid, wie die geschickteste Kammerjungfer, wieder in seine Falten gelegt hatte, öffnete er einen mit schwarzem Sammet ausgeschlagenen Kasten. Gott verzeihe mir die Sünde! aber beim ersten Hinblick flog mir der Verdacht durch den Kopf, die heilige Jungfrau habe durch ihre dienstbaren Geister das grüne Gewölbe ausräumen lassen. Mit dieser Juwelensammlung an Ohren- und Fingerringen – Halsbändern und Zitternadeln – Uhren, Zahnstochern – und Tabaksbüchsen, könnte man, dächte ich, die Bekehrung der Juden übernehmen, an der uns doch allen gelegen ist. »In der That, ehrwürdiger Herr,« nöthigte mir diese seltne Erscheinung die Worte ab, »habe ich die Hochheilige nirgends noch so reich ausgestattet gesehen, als hier! Welcher fromme Bienenschwarm muß nicht seinen irdischen Honig diesem Kloster zugetragen haben, um sich dadurch Zellen im Himmel zu bauen!« »Nichts weniger als das, mein Herr,« antwortete der Mönch: »alle Schätze dieses Schrankes rühren von der Dankbarkeit einer einzigen Seele – von der Andacht Ludewigs des Vierzehnten her. Auch legt die Mutter ihm zu Ehren ihre kostbarsten Kleinodien, so wie jenes himmelblaue Kleid mit Perlen, nur zu seinem Geburtstage an. Verlangen Sie noch stärkere Beweise von der Achtung dieses großen Monarchen für unsere Madonne – so sehen Sie hier« – indem er ein neues Fach herauszog – »das Ordensband des heiligen Geistes, das er ihr beim Antritte seiner glorreichen Regierung, – hier seinen Heirathskontrakt, den er der Wunderthäterin durch einen Gesandten [38] zuschickte, als er sich mit der Infantin Maria Theresia von Spanien vermählte, und hier, in diesem kostbaren Einband, den pyrenäischen Friedensschluß« – –

»Aber warum hat denn dieser große Monarch,« fragte ich in meiner Einfalt, »bei der Menge Madonnen in seinem weitläuftigen Reiche eben der Ihrigen eine so übermäßige Auszeichnung erwiesen?« »Warum? mein Herr,« wiederholte der Mönch meine Frage mit mitleidigem Lächeln, »aus der guten Ursache, weil er allein nur ihr sein Daseyn verdankte.« »Das ist etwas anders, aber ich bitte Euer Hochwürden, wie ging denn das zu?« Der Mönch verschloß erst mit dem bedächtlichsten Ernste seinen Schrank, faßte mich darauf stillschweigend bei den Schultern, und drehte meine stolze Figur einer demüthig gebeugten zu, die in einem prächtigen Rahmen beinahe die ganze Hauptwand der Sakristei einnahm – dem Bilde eines Barfüßer Mönchs, in Lebensgröße von Rigaud gemalt – dem wichtigsten Manne, wie der Pater sich ausdrückte, in der französischen Geschichte, und von dem ich doch – so mißlich steht es leider mit meinen historischen Kenntnissen – kein Wort in meinem Leben gehört hatte. Desto mehr Aufmerksamkeit schenkte ich jetzt dafür den Thaten dieses Auserwählten, die mein Führer mit vieler Beredtsamkeit zu entfalten verstand. Bei jedem neuen Farbenstriche, den er dem Gemälde zusetzte, machte ich immer größere Augen. Wie hoch stieg aber nicht erst mein Erstaunen, als ich in dem schönen Ganzen, das sich am Ende aus seiner Erzählung ergab, den Plan zu einem Heldengedicht entdeckte, so tadellos und vollkommen, als vielleicht noch keinem Dichter der Welt einen zu entwerfen gelungen ist. Du wirst es schon finden, daß ich das Maul nicht zu voll nehme, denn alle Eigenschaften, die Aristoteles von der Epopee verlangt, treffen in ihm zusammen. Der Heros ist weder ein Geschöpf der Phantasie, noch ein gleichgültiger Spieler auf dem Schauplatze der Welt – Seine Thaten sind kühn, und greifen in die Zukunft. In der zu besingenden Handlung ist Anfang, Fortgang und Ende von gleich hohem Interesse – die Episoden und Maschinen sogar sind ihr angemessen, natürlich und nothwendig: der ganze liebliche Stoff ist [39] reichhaltig und groß. Ach! warum versagte mir doch die Natur alle Anlage zu der Trompete! da doch eben mir ein Stück für dieses Instrument der höhern Dichtkunst unter die Hand kommen mußte, das gewiß, wenn meine schwache Lunge nicht wäre, Lärm in der Welt machen sollte; und ach! warum hat das Ungefähr nicht lieber Voltairen statt meiner mit diesem Manne der Geschichte bekannt gemacht, der es wohl eher verdient hätte, von solch einem Meister an das Licht gezogen zu werden, als die berüchtigte Pücelle! Um jedoch nicht dem Hahne in der Fabel zu gleichen, der ein Kleinod aus dem Mist scharrte, und als zu hart für seinen Schnabel, es in seine schmutzige Verborgenheit zurückschleuderte, überlasse ich Dir, oder jedem andern Barden, großmüthig das ausgescharrte meinige, um es zu waschen, zu wägen und in homerischen Glanz zu setzen, ohne weiter zu untersuchen, wer mir mehr Dank schuldig wird – der Sänger, den ich in Zukunft, oder der Held, den ich schon jetzt, so gut ich kann, aus der unverdientesten Vergessenheit ziehe.


Denn hüllt uns gleich der dickste Nebel,

Den kein Varrentrapp noch Krebel

Durchzubrechen wagt, seinen Ursprung ein,

Frankreichs stolzen Bürgern sollt' er doch als Hebel

Ihres größten Königs aus dem Ehverein

Ludewigs des Schwachen unvergeßlich seyn.


Vor dem neuen Spiele einer Rolle bange,

Die, – wenn nun beim Uebergange

In die Vierzig – Amor sich entfernt –

Jede Frau gezwungen lernt,

Trug die Königin, die um Ehesegen

Erd und Himmel zu bewegen,

Zwanzig Jahr schon ihr Latein verlor,

Und jetzt mehr als je verlegen,

Einem Helden aus dem Chor

Der Barfüßer ihre Wünsche vor.

Fiacre hieß der Mann. Stolz führt den Ehrennamen

Noch ein Gesindel fort, dem Dienst des Staats geweiht,

Das sein Vehikulum Ermüdeten und Lahmen

Auf Stunden und Minuten leiht.

So jung und nackt er war, stand er zu seiner Zeit

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Mehr noch, als sein Monarch, bei allen Notredamen

In glücklicher Vertraulichkeit.

Nur eine kannt er nicht, die alt und ausgeleeret

An Wunderkräften war. In Tenniers Geschmack

Gemalt, verbleichte sie, von Wenigen verehret,

Still, auf dem Hochaltar des Städtchens Cotignac.


Der Mönch, klug wie er war, und mit dem seltnen Falle

Der Königin vertraut, that, was ihr Ehkompan,

Kalt in der Andacht, nie gethan,

Daß eine wenigstens nur helfe, ruft er alle

Der Christenheit Madonnen an.

Und kaum vernahm von fern das Mutterbild der Gnaden

Den ungewohnten Ruf, als, ohne zu verziehn,

Es in dem ganzen Reiz der Nymphen von Ostaden

Dem eingeschlafnen Mönch erschien. –

»Steh!« treibt es ihn, »steh' auf, dem König ohne Schaden

Weck' Annen auch! Ihr sei zum Possen dem Kalvin

Noch diese Nacht ein Sohn, der einst durch Dragonaden

Das Volk, das mich verkennt, nach Kassel und Berlin

Zum Teufel jagen wird – verliehn!«


Und der Mönch erwacht und erweckt auch Annen. –

Unsrer lieben Frau Wirkungen begannen:

Freundlich war die Nacht, und dem Mönch gelang

Des Kalvinus Untergang.


Und der Prinz kam an, den der fromme Pater

Kraft des Wundertraums verhieß,

Eh sich sein gekrönter Vater

Etwas von ihm träumen ließ. 5


[41] Der Erzähler einer merkwürdigen Begebenheit, der aufmerksame Zuhörer findet, ist, wie ein reicher Gutsbesitzer unter seines Fröhnern, ein überaus glücklicher Mann. Von der einen Seite schlägt der Glanz seines Gegenstandes – von der andern das Ausströmen der erwärmten Neugier, wohlthuend über ihn zusammen. Ist aber das Feld einmal geräumt und die Ernte im Trocknen, so macht er als Nachstoppler eine desto ärmlichere Figur. Ich sah den guten Mönch immer noch eine einzelne Aehre nach der andern auflesen, um die Garbe, die er gebunden hatte, wichtiger zu machen. Wir fühlten aber beide gar bald das Langweilige davon, und ich fing an mich gewaltig nach meiner Heimreise zu sehnen, als es ihm beifiel, daß er mir für die Ehre seines Klosters noch eine Kleinigkeit zu vertrauen hätte. »Auch hat es« – fuhr er in seinem Nachstoppeln fort – »vor allen im Reiche den Vorzug, einen Urenkel von der leiblichen Schwester des heiligen Fiacre in seiner Mitte zu sehen, indeß zu gleicher Zeit, im theologischen Sinne, einer auf dem königlichen Throne sitzt. Sie würden selbst Familienähnlichkeit in den Gesichtszügen jenes Porträts und des [42] Pater André finden, wenn es Ihnen beliebte, mir in seine Zelle zu folgen.« »Lassen Sie uns,« erwiederte ich ängstlich, »doch vorher nachsehen, wie weit der Maler gekommen ist.« Dieser Pinsler aber, als wir auf ihn zugingen, winkte uns so ernstlich, wie Diogenes in der Tonne, aus dem Sonnenscheine seines Enthusiasmus, daß ich im Drange meiner Langeweile doch für klüger hielt, den gütlichen Vorschlag des Mönchs anzunehmen, als mich noch länger auf den Marmorplatten der dunkeln Kirche herum zu treiben, schimpfte aber in Gedanken desto ausgelassener auf meinen tollen Zeichenmeister. Ich hätte schon damals Ursache genug gehabt, mir diese undankbare Aufwallung meiner Laune zu verweisen; denn die Bekanntschaft mit dem Helden einer Epopee war ja wohl belohnend genug, um mich über alle und jede Unbehaglichkeit zu trösten. Mußte ich denn erst noch eine Stunde älter werden, um zur Besinnung zu kommen? O du Sperling aller Sperlinge! vergieb mir um des hohen Verdienstes willen, das ich späterhin deiner Narrheit mit reuigem Herzen zugestand. Wie willig und gedemüthigt that ich ihr Ehrenerklärung und Abbitte! Sogar in diesem Augenblicke meines ruhigen Nachdenkens beuge ich mich noch vor deinem Stümpertalente tiefer, als vor der Hoheit der Raphaele und Titiane, die sich zu vornehm dünkten, auf dem Hochaltare zu Cotignac dir ein Vorbild und jenem Barfüßer eine Kupplerin aufzustellen. Auch die kalte Küche, die du mir in prophetischer Ahndung riethest mit mir zu nehmen, werde ich dir ewig verdanken: denn eben durch jenen Fasan, den ich an die Stelle des Eiergerichts schob, das der Pater André zu verzehren sich anschickte, und durch die vier Flaschen Burgunder, die den Braten umringten, gewann ich in aller Geschwindigkeit das Zutrauen des freundlichen Mannes; und was trug mir nicht dieses gegen das Ende des Mahles ein! Trocknes Brod, das Gott segnen will, bedarf keiner Brühe. Mein kleines, auf den Mittag versetztes und so wenig diplomatisches Frühstück, daß ich in Regenspurg mir nicht getrauen würde, einen Hund damit aus dem Ofen zu locken, vermittelte mir dennoch die Entdeckung eines Staatsgeheimnisses, dem mehr als hundertjährige Riegel vorgeschoben waren. Ein Sekulum war verrauscht, [43] ohne es zu verrathen, ein zweites trug es in seinem morschen Leichentuche weiter, und drohte schon mit ihm zu verschwinden, als der Genius, der über das Verborgene wacht, den Räuber im Fluge aufhielt, und wie einen Reiher zwang, seine Beute fahren zu lassen. Unbegreiflicher Zusammenhang der Dinge! Gleich dem Vogel Fonton in Arabien, 6 der schreiend den Wanderern vorflattert, um sie, wäre es auch ein Sumpf, dahin zu leiten, wo etwas Merkwürdiges versteckt ist, mußte ein deutscher Narr einen andern Deutschen in dieß Mönchsnest verlocken, damit er einen Schatz heben konnte, den dort ein Schwarzkünstler für die Ewigkeit zu vergraben glaubte. Könnte ich der Schadenfreude den geringsten Geschmack abgewinnen, oder spornte mich Nationalstolz, wie würde ich mich gegen die unzähligen Franzosen brüsten, die seit dem 5. December 1638 bis auf den heutigen 24. Februar vergebens darnach geforscht haben; – aber bei Zufällen des Glücks steht nichts besser als Bescheidenheit.

Nach dem zehnten Glase ungefähr, wo es der schweren Zunge des Paters André lästig zu werden schien, den Einfluß der Mutter Gottes auf seinen Großonkel länger in Betracht zu ziehen, erhob er sich, und taumelte der kleinen Niederlage seiner Bücher zu, zog eins aus dem Staube hervor, und – »Hier, mein Herr!« reichte er mir's über die Achsel, »verehre ich Ihnen zum Andenken die neueste Biographie des seligen Mannes – La vie du vénérable Frère Fiacre. Paris 1722. – Können Sie alte Papiere besser [44] lesen, als ich, so steht Ihnen auch noch der Plunder zu Diensten, der als sein einziger Nachlaß bis auf mich fortgeerbt hat.« Ich nahm sein, wie ich wähnte, unbedeutendes Geschenk mit höflichen Blicken an, und lüftete, während die Kuttenträger ihre Gläser aufs neue füllten, das morsche Gewebe ein wenig unter dem pappenen Umschlag, und was – Eduard – fiel mir zuerst in die Augen? Nichts geringers als ein Handbrief der Königin Anna. Welch Glück, daß ich keinen feinern Physiognomisten gegen über saß, als ein paar halbtrunkenen Mönchen! Ihre gebrochenen Augen irrten nur von den leeren Flaschen zu der einzigen, die noch verstöpselt vor ihnen stand – ohne meine verfärbten Wangen des Anblicks zu würdigen. Ich bekam Zeit, mich von meiner freudigen Erschütterung zu erholen, band das lockere Paket fester, warf es so gleichgültig neben meinem Hut hin, als ob es eine deutsche Monatsschrift wäre, und gab nun – die Madonna und ihr Fiacre dürfen es mir wahrlich nicht verübeln – meinem Gespräche eine Richtung, die uns immer weiter von ihrer Glorie entfernte. Desto verbindlicher betrug ich mich gegen ihre beiden Trabanten. Sie wollten mir weiß machen, es wäre ihnen in ewiger Zeit kein Fremder von so einnehmendem Umgang vorgekommen. Ich vergalt es ihnen durch die Lüge, daß ich noch Jahr und Tag in Marseille bleiben, und mir öfters das Vergnügen machen würde, sie zu besuchen, und lache mich nur aus, Eduard – aus Bangigkeit, daß es dem dummen Volke doch wohl einfallen könnte, die Handschriften vor der völligen Auslieferung noch einmal durchzusehen, stellte ich ihnen als die sicherste Zerstreuung und mit der Miene eines jovialen Tafelfreunds, eine zu, die für sie von ungleich größerm Werth war – eine Anweisung an meinen Gastwirth auf zwei Dutzend Bouteillen desselben Weins, der ihrer Zunge so wohl that. Diese Aussicht in die Zukunft warf die sanftesten Strahlen auf die Gegenwart. Das Dankgefühl der armen Geschöpfe war gränzenlos. Sie küßten meine ketzerischen Lippen so inbrünstig, als ob es Schuhsohlen eines Apostels wären, und dem ehrlichen Passerino, der nach vollbrachter Arbeit hereintrat und sich hungrig nach dem Frühstücke, das er selbst bestellt hatte, umsah, setzten sie die leeren [45] Flaschen und den verschrumpften Eierkuchen unter einem so tollausgelassenen Gelächter vor die Nase, daß der Prior nachfragen ließ, was denn hier vorginge? Glücklicher Weise – denn nun pochte mir das Herz noch stärker, stieß der Postillion ins Horn. Ich fuhr geschwind nach meinem Hute und dem Geschenke darneben, umarmte die bärtigen Kerle, empfahl mich ihrem Gebete, und ach! wie heilfroh blickte ich an den blauen Himmel hinauf, als ich den Klosterhof zehn Schritte hinter mir hatte! Der Rückweg, der abwärts ging, und das doppelte Trinkgeld, mit dem ich den Fuhrmann auf Kosten der Pferde bestach, brachten mich um vieles früher nach Hause. Passerino konnte mir unterwegs kein Wort abgewinnen. Dafür entließ ich ihn an der Thüre der Gaststube mit unbeschränkter Vollmacht. Ich warf meine Hülle wie ein Schmetterling ab, jagte Bastian, der aufräumen wollte, aus dem Zimmer – verschloß es, und sitze seitdem mitten unter meinen, den Motten und Mönchen abgerungenen Urkunden, an meinem lieben heimlichen Schreibtische, ohne daß ich vor Eifer mir hätte Zeit nehmen mögen, ein Billet des Marquis zu lesen, das in diesem Augenblick noch unerbrochen neben mir liegt. Nichts ist doch historischen, auch wohl andern wichtigen Untersuchungen nachtheiliger als die erste Hitze. Ich hatte schon bei einer Stunde meinen Spreuhaufen hin- und hergeworfelt, ehe ich das seltne Weitzenkörnchen, das mir dabei schon oft über die Finger geschlüpft war, bemerkte. Ich blätterte und blätterte alle Briefe vorbei, die nicht von der Königin waren, und von denen ich doch jetzt die meisten wieder in ihren Staub zurückwerfe, da sie schlechterdings des Durchsiebens nicht werth scheinen – voll verliebten Unsinns in altem Styl, der, so eindringend er auch zu seiner Zeit wirken mochte, auf Herzen, wie sie in der jetzigen organisirt sind, keinen als höchstens einen lächerlichen Eindruck hervorbringen. Dafür will ich Dir ein Morgenbillet der liebenswürdigen Anna, das sich bisher immer versteckt hielt, und so unbedeutend es aussah, mir doch zuerst die Augen öffnete, seiner ganzen Länge nach abschreiben: Nos neuvaines ont fait merveille. Depuis douze ans bien ecoulés, je viens de revoir mon gracieux mari et maître. L'orage [46] d'hier qui l'a tristement éconduit du cage de sa 7 Fauvette, me l'a ramené. Peus-tu croire qu'il a même soupé avec moi? Oui, oui! mon reverend père, sans qu'il ait 8 – touché à ton plat favori. En es-tu content? Il est reparti pour Versailles. Que Dieu le conduisse. J'espère chasser de ma chambre la peste de son haleine par l'encens que tu m'offriras. Je t'attens à l'heure acoutumée de ma devotion. La Beauvais te dira le reste.

Au Louvre ce 6 Decembr. 1637.

A – d'A.


Mir fiel in diesen Zeilen anfangs nichts so sehr ins Ohr als das Spatgewitter, dem überall das gemeine Volk weit wichtigern Einfluß in den Winter- als in den Sommermonaten zueignet. Nach seinen Begriffen ist es ein Wecker der Vorsehung. Einem so ungewöhnlichen Tumult der Natur müsse, hofft es, ein politischer nachfolgen. Ein fataler Volksglaube! der besonders in Rußland an manchem Unfug schuld ist, so daß ich aus Anhänglichkeit an die große Katharina froh bin, daß während ihrer glorreichen Regierung sich kein dergleichen Luftzeichen ihrem Horizonte genähert hat. Es waren nur ein paar flüchtige Augenblicke, die ich an dieses himmlische Phänomen verlor; denn ich stieg sogleich einige Zeilen tiefer, zu dem weit Erklärbarern herunter, das der Name Beauvais meinen Nachforschungen Preis gab. Die vielen Briefe, die mit dieser Unterschrift in meinem Portefeuille den königlichen Handschreiben beigesellt waren, könnten doch wohl, vermuthete ich, bedeutender seyn, als ich ihnen bis jetzt zugetraut hatte. Ich legte also vorerst meinen Händen die verschuldete Strafe auf, die so sehr gestörte chronologische Ordnung der Briefe wieder herzustellen, ehe ich meinen Augen anmuthete, ihre Hieroglyphen zu entziffern. Sie gingen freilich sehr scheu und und ungern daran, aber o was für eine wackere Lehrmeisterin ist nicht die Neugier! Kaum hatte ich die ersten Schwierigkeiten überwunden, und mich [47] überzeugt, daß es Annens vertrauteste Kammerfrau sei, mit der ich zu thun bekam, so las ich auch schon ihre Handschrift mit derselben Leichtigkeit als die Deinige. Ich möchte das verschmitzte Geschöpf gekannt haben! Schon der erste Brief, den ich enträthselte, flößte mir eine hohe Meinung von ihrem praktischen Verstande ein. Sie empfiehlt in halber Frakturschrift dem ehrwürdigen Bruder die sorgfältigste Behutsamkeit in seinem Benehmen, und warnt ihn besonders vor den scharfsichtigen Augen Orleans. Gestern noch, erzählt sie, sei der Unverschämte ihrer Gebieterin, als sie eben aus der Kirche zurück kam, ohne nur Rücksicht auf ihre zahlreiche Begleitung zu nehmen, mit der Spottrede in den Weg getreten: Madame, vous venez de solliciter vos juges contre moi, je consens que vous gagniez votre procès, si le roi a assez de credit pour cela. Anna wäre so aufgebracht darüber, daß sie ihren Gewissensrath zu sprechen verlange, und ihn eine Stunde früher als gewöhnlich in ihrem Andachtszimmer erwarte. Unter Leitung einer so vorsichtig geschäftigen Hand läßt sich ja eine zwölfjährige Ehetrennung wohl noch ertragen. Je länger ich an ihren Briefen meine Geduld übte, desto mehr verloren bei mir Nôtre Dame de Graces und ihr Fiacre an Ansehen – denn Marie Beauvais, wie mir jetzt jede Zeile verrieth, war eigentlich das große Triebrad aller Wunder des Louvre. Sie hatte den jungen Barfüßer zuerst der Trost bedürftigen Königin vorgestellt – ihm seine Rolle angewiesen und ihre gemeinschaftlichen Betstunden eingerichtet. Nach Recht und Billigkeit sollte keine andere Vermittlerin als Sie den Ehrenplatz auf dem Hochaltare zu Cotignac einnehmen. Leichtsinnige und verrathene Anna! – ich würde dich entschuldigen und bedauern, und ich würde Gott bitten dir die Sünde zu vergeben, die den guten Herzog von Orleans um die Thronfolge betrog, hättest du nur nicht als eine grausame Mutter deinem Erstgebornen gleich bei seinem Eintritte in die Welt den Stein an den Hals gehängt, der ihn in den Abgrund lebenswieriger Schwermuth versenkte. Ja, Eduard, spitze nur die Ohren! Ludewig der Vierzehnte hatte noch einen zwei Jahre ältern Bruder. Fiacre war Vater von beiden, und der Unglückliche, von dem ich eben spreche, [48] war die unbekannte, nur zu berühmte eiserne Maske. 9 Die Mutter gebar diesen ihren Erstling in einem entlegenen Gartenhause unter den hülfreichen Händen der Beauvais – und belegte schon während der Geburtsschmerzen das Pfand ihrer verbotenen Liebe – zu welchem Geschlecht es auch gehören möchte, mit dem Fluche der Weihe, inzwischen ihr Buhler Messen für ihre glückliche Entbindung las. Die Nothhelferin verbarg das Kind bis in sein sechstes Jahr, und so erhielt der heilige Fiacre Zeit genug, sich nach der bequemsten Madonne umzusehen, die den unreinen Thon kneten und zu einem Gefässe der Heiligkeit bilden sollte. Er wählte die unbesuchteste von allen, die späterhin durch den geschickten Wurf ihres Deckmantels um Annens Bette, nach jener mysteriösen Gewitternacht, seine kluge Wahl nur zu gut rechtfertigte. Er erhielt den grausamen Auftrag, und führte ihn gewissenhaft aus wie ein Mönch. Dasselbe Kloster, wo ich heute seinen Urenkel berauschte, erhielt das Gott geweihte Kind, unter der Bedingung, unbekannt mit seiner Herkunft, der Wunderthäterin so lange als Chorknabe zu dienen, bis er zur Tonsur reif seyn würde. Nimm einstweilen mit diesem flüchtigen Auszug meiner Kriminalakten vorlieb, bis ich Dir die Belege dazu selbst einhändigen kann. Wenn die Köpfe einer Ehebrecherin, einer Kammerfrau und eines Mönchs zusammentreten, um den Schwefeldünsten ihres Gewissens einen Ableiter zu verschaffen, so läßt sich leicht denken, daß eine solche Vereinigung keine gemeinen Sophistereien entwickelt. Es findet sich leider! unter meinen Papieren nur ein einziges Koncept des heiligen Fiacre, das aber desto fleißiger bearbeitet ist, wie die ausgestrichenen bedenklichen[49] und dafür eingeschalteten gewähltern Worte an den Tag legen. Gott im Himmel, welch ein Brief! an eine strafbare Königin – von ihrem Gewissensrathe – zur Fastenzeit – in dem Sterbejahre ihres Gemahls, kurz nach Antritt ihrer Regentschaft – im Jahre 1643 an einem Morgen geschrieben, wo sie durch einen nächtlichen bösen Traum erschüttert, von ihrem erschlichenen Throne herab sich nach geistlicher Beruhigung umsah. Wie würde Bayle seinen gelehrten Artikel Marie mit diesem Briefe aufgestutzt haben, wenn er ihn gekannt hätte! Der untergeschobene Kronerbe stand damals in seinem fünften Jahre, und der ihm den Weg gebahnt hatte, in seinem siebenten. Mit welchen behutsamen Saftfarben weiß nicht der heilige Mann diesen Vorläufer des Führers seines Volks zu schildern. Alle himmlische Heerschaaren, schmeichelt er sich, müßten die seligste Freude über die Gewandheit des geweihten Knaben bei den, seinem zarten Alter angemessenen Küchendiensten – über seine Gelehrigkeit in der Schule und besonders über die süße Anwendung seiner Feierstunden empfinden. Dann stehe er oft vor dem schönen Gemälde, das Ihro Majestät der Kirche verehrt habe – freue sich des Kindes, das dem Mutterbilde zu Füßen liege – ohne zu ahnden, wie nahe es ihm verwandt sei. Dieser rührende Instinkt von Bruderliebe, fährt er gleißnerisch fort, sei ein neuer Segen der Gebenedeiten – ein deutlicher Beweis ihres Wohlgefallens an ihm, und ein Wiederschein der Strahlenkrone, die seiner in jenem Leben erwarte u.s.w. Es nahm mich Wunder, daß ich den Brief der Regentin von der Beauvais nicht unterstützt sah, so wie es mir überhaupt vorkommt, als sei der Traum nur aus Höflichkeit gegen einen abgedankten Liebhaber erfunden, mit dem man nicht mehr weiß was man reden soll. Schon in einigen vorhergehenden Missiven vermisse ich das Herzliche der vorigen Zeit, so daß ich wohl begreife, warum allein der dritte Sohn Philipp, nachmaliger Herzog von Orleans, seinem regierenden Bruder nicht glich. Die folgenden Briefe werden immer seltener, kürzer und kälter, und behaupten ein gewisses religiöses Ceremoniel, das gegen den ehemaligen traulichen Ton sonderbar absticht. Wem etwas daran gelegen seyn könnte zu wissen, wie [50] der heilige Fiacre die Tage seines in der Schnellwage des Hofs gesunkenen Gewichts hingebracht habe, dem könnte ich zur Erläuterung wohl noch einige Beichten mittheilen, die hier, wie verloren, da liegen, und sehr warmen Herzen entflossen scheinen. Im Jahre 1660, wo der Regentin wahrscheinlich die Neugier angekommen seyn mochte, das Kind des Gartenhauses kennen zu lernen, befragt sie ihren Wegweiser auf so manchen Gängen des Lebens, sehr herablassend – um die beste Route nach Cotignac, wohin sie eine Wallfahrt zu thun vorhabe – der einzige darauf folgende Brief meldet dem ehrwürdigen Vater ihre Zurückkunft, und befiehlt ihm, sich den Tag nachher bei ihrer Kammerfrau einzufinden, wo sie über eins und das andere mit ihm sprechen wolle, das jenes Kloster beträfe. – Noch ein paar andere weisen ihn an, Gelder zu Almosen in ihrer Schatzkammer zu erheben. Mit den Anweisungen auf ihre Schlafkammer ist es vorbei. Diese Briefe machen meine Verzweiflung. Man lernt doch in der Welt Gottes nichts daraus. Glücklicher Weise giebt noch eine heillose Epistel der Beauvais, die den ganzen Briefwechsel schließt, zu merkwürdigen Muthmaßungen Anlaß, die uns künftig einmal bei einem Glase Punsch munter genug machen werden. Sie scheint eine Antwort auf einen Bericht des heiligen Fiacre zu seyn, der sich auf einen andern vom Prior des Klosters bezieht. Jetzt will ich Dir nur den Anfang und das Ende davon zu Gute geben: Votre Saint-Jean ne vaut pas le diable avec sa maudite ressemblance. Il est incorrigible et fou à lier. Sa mère en est desolée, outrée et l'abandonne à son mauvais destin. Elle vient d'en instruire le roi qui saura bien que faire. – La reine, schließt sich diese drei Seiten lange Urkunde, vous loue d'avoir brulé nos lettres. Faites de même avec celle-ci. Que rien ne reste après nous de tout ce qui a trait à ce damné. Je me recommande à vos prières. Wenn mich mein Gedächtniß nicht betrügt, dem freilich jetzt keine Bücher zu Hülfe kommen, so trifft dieser Brief mit der Zeit zusammen, wo der König sein savoir faire geltend machte, und die eiserne Maske zuerst bekannt ward. Mein Herz blutet, wenn ich an das arme unschuldige, der Entsündigung ehebrecherischer Aeltern und [51] der Staatskunst eines unmenschlichen Bruders geweihte Schlachtopfer denke. Ich spüre dem Gefühle nach, mit welchem der Gemarterte am Fenster seines einsamen Kerkers steht, und jenes Vultus tyranni auf die Scheibe kritzelt, die sich – wahrscheinlich sein einziger Nachlaß – in meine Sammlung geflüchtet hat, als ob sie mich für meine Theilnahme an seinem Schicksal belohnen sollte. Wie betroffen werden die Geschichtschreiber in Frankreich und Deutschland – sie, die bald einen Herzog von Bukingham, bald einen Grafen Rantzau, und endlich gar den Kardinal Mazarin mit der Königin verkuppeln, einander anstaunen, wenn ich meine Dokumente bekannt mache! Die Beauvais verstand den Handel besser. Sie wußte sehr wohl, daß in solchen Angelegenheiten, wie sie betrieb, ein junger Barfüßer mehr, als alle Befehlshaber der weltlichen und geistlichen Miliz – und ein Fiaker mehr werth sei, als ein Staatswagen. Ich danke es dem heiligen Manne noch in seinem Grabe, daß er diesen wichtigen Briefwechsel, statt, wie er seinen klugen Gehülfen weiß machte, dem Feuer – der schwesterlichen Treue übergab, und entweder vergaß, die Rolle seiner Jugendjahre zurückzufordern, oder seinen Erben in ihr ein Kapital zu hinterlassen gedachte, das ihnen auch gewiß – wenn sie recht verstanden hätten es zu benutzen, hohe Zinsen hätte abwerfen müssen. Siehe doch zu, Eduard, daß Du seine Legende irgendwo auftreibst. Sollte sie sich denn nicht in einem Winkel der königlichen Bibliothek finden? Ich weiß zwar ungefähr, wie viel den Lobrednern der Heiligen zu trauen ist; aber zu geschweigen, daß die Wahrheit sich doch nicht so ganz verkleistern läßt, um nicht hier und da durchzuschimmern, so kommt es dem seinigen auch gar nicht in den Sinn, die Materialien, die ihm zu Gebote standen, zu verfälschen. Er stört nur in den gemeinsten Fripperien nach den Lumpen des Schaafpelzes, der dem Wolf hienieden ein so frommes Ansehn gab. Uns, die wir nun den ehrlichen Mann in sein wahres Licht gestellt sehen, kann ein solcher Umzug nicht blenden. Er trägt vielmehr bei, seine Physiognomie durch Vergleichung nur desto hervorstechender zu machen. So müde ich auch des Excerpirens bin, soll es mich doch nicht verdrießen, Dir aus dem Büchelchen [52] noch eine und andere Parallelstelle zu dem vorliegenden Texte abzuschreiben.

Pag. 11. – Il naquit à Marly le 21. Febr. 1609. il reçut l'habit de Religion le 19. May 1631. agé de 22ans. – On lui changea son nom de Denis en celui de Frère Fiacre de Sainte Margarite.

Pag. 38. Le Frère Fiacre penetré de reconnoissance pour les aumones de la reine, prioit le ciel de la rendre féconde – lorsqu' enfin 1638 des mouvemens intérieurs le sollicitoient, comme malgré lui, d'aller dire à la Reine qu'elle auroit un fils etc.

Extrait du procés verbal: Il se sentit une forte inspiration de faire trois neuvaines pour saluer la sainte vierge à Notre Dame de Paris, à Notre Dame de Graces en Provence et à Notre Dame de Victories; et Dieu qui voulut que la France eût obligation de son bonheur à ce pauvre Frère, accorda à ses prières le Dauphin attendu; car ses neuvaines finirent le 5 Decembre, neuf mois précisement avant que le roi naquit. Le 5 Septembre 1638 des les deux heures du matin la Reine fut en travail – à onze heures et 22 minutes avant midi le Roi étant à table fut subitement averti que la Reine accouchoit etc. Gazette et Mercure françois de 1638.

Pag. 60. – Ainsi naquit le Dauphin, le fruit du frère Fiacre après 23. années de stérilité de la Reine. Les nouvelles publiques de ce temps reconnoissent qu'il y a du merveilleux dans cette naissance. Louis XIII. dans ses lettres aux Ambassadeurs, assure que tout ce qui a précedé l'accouchement de la Reine fait voir que ce fils lui est donné de Dieu.

1657. – au milieu de tant de graces il étoit tourmenté de mille pensée impures: qui le croiroit? il évitoit en général les conversations avec les femmes et surtout des femmes devotes, parce qu'on s'y engage d'autant plus facilement qu'on voit dans leur conduite plus de retenue et que par un artifice imperceptible de l'amour propre on passe de l'estime de leur vertu à l'attachement à leur personne. Cependant il étoit tenté, qui le [53] croiroit? il régloit ses paroles, ne permettoit rien à ses yeux: cependant il étoit tenté etc. mais rien au fonds n'est si facile à comprendre. Les saints n'ont été de grands saints que parce qu'ils ont eu de grandes passions etc. Le frère Fiacre affligé par ces pensées sales, s'agitoit, se tourmentoit pour les repousser, il se serroit les tempes, se ridoit le front, secouoit la tête, et faisoit mille autres contorsions.

Circonstances de sa mort: Il faut savoir que de l'an 1646 c'est à dire 38 ans avant sa mort il avoit écrit, qu'il étoit arreté de toute éternité qu'on prendroit son coeur après sa mort et que deux religieux de son ordre le porteroient à Notre Dame de Graces pour y être posé sous les pieds de la glorieuse Vierge Marie; il pria ceux qui tireroint son coeur de son corps, de le tirer par le coté, à cause de la pudicité religieuse. Toutes circonstances ont été accomplies à la lettre.

Pag. 368. Il mourut le 16 fevr. 1684 dans la 75me année de son age. Il avoit la taille mediocre, le front grand et large, les yeux bleus, il étoit blanc, avoit les traits assez réguliers; et tout cela formoit une physionomie belle et très religieuse etc. Les peintres ne le perdirent jamais de vue, il en eut toujours de nouveaux qui se succedèrent pour le tirer.

Pag. 370. Dès qu'il fut enterré, le P. Prieur fut à Versailles porter au roi la lettre que ce serviteur de Dieu lui avoit écrite avant de mourir. Le P. Prieur lui presenta encore la donation qu'il avoit fait de son coeur à la sainte Vierge et qui étoit signée de son sang. Le roi baisa la signature avec respect. Voilà, dit-il, un sang qui est bien vermeil.

Pag. 372. Les superieurs remirent ses manuscripts qu'il avoit laissé cachetés avec prière de ne les ouvrir que dix ans après sa mort. Cette dixième année etant enfin revolue le Roi attentif envoya Msr. de Pompone Ministre et Secretaire d'état avec une lettre de cachet qui lui ordonna d'ouvrir les manuscripts du frère Fiacre. Il les ouvrit en presence des superieurs; il en tira quelques papiers qu'il fit porter au Roi.

Wer das Gefühl nicht kennt, Herr eines Staatsgeheimnisses [54] zu seyn, das er, nach Belieben, mit in die Ewigkeit nehmen oder verschwatzen kann, an wen er will, müßte einen großen Spaß an meiner Figur gefunden haben, wenn er die selbstgefälligen listigen Mienen, die bisher meiner Feder nachschlichen, hätte belauschen können. Denn freilich kann ein Auge, das so viel auf Nuditäten hält, als das meinige, sein Wohlbehagen nicht bergen, wenn es den seltnen Fall erlebt, einem Mönch seine Kutte vom Leibe, einer Kammerfrau das Tuch von der Brust zu ziehen, die das Herz eines Tiegers versteckt, und besonders, wie Peter der Große im kaiserlichen Ungestüm sich an dem Bette der Maintenon herausnahm, eine Königin zu entblößen, von der man so viel Schönes erzählt. Meine Gesundheitsreise, will ich jetzt, ohne Wortwechsel, jedermann zugeben, der die Sache versteht, hat bis auf den heutigen Tag nur Vorfälle entwickelt, die der Mühe des Erzählens nicht lohnen, die keinen Menschen, als etwa Dich, interessiren können, und dem gemeinsten Reisenden aufstoßen. Jetzt aber hoffe ich doch, daß mir die Statistiker, die Biographen und Archivarien, alles Geschwätz der vorigen Blätter der einzigen Perle wegen verzeihen werden, die mir heute der Zufall in die Hände spielte. Mußte nicht Cook auch lange auf dem Weltmeere herumirren, ehe er auf jene glückliche Insel stieß, wohin noch keine Kultur gekommen war, und wo die schönsten Mädchen noch nackender gehen als in meinem Tagebuche. Ich kann mich jetzt brüsten wie Er – Mein Otaheite ist gefunden und mein Name verewigt wie der seinige. 10

[55] Aber soll ich denn heute gar nicht zur Ruhe kommen? Eben im Begriff, das dritte oder vierte Licht auszulöschen, das meiner nächtlichen Arbeit vorstand, fällt mir noch Saint-Sauveurs Brief in die schläfrigen Augen. Ach Gott, wie trieb sie nicht jede Zeile aus einander! Höre nur, Eduard, was mir der sonst so vernünftige Mann zumuthet. Er, der mit Wohlgefallen der Exekution erwähnt, die heute unter seinem Kommando einem Verurtheilten das Leben schenkte – kann doch verlangen, daß ich ihn morgen zu einer – wo keine menschliche Gnade Statt findet – zum Opferfeste einer neuern Iphigenie – zur Einkleidung des unvergleichlichen Kindes begleiten soll, das mir vor ein paar Tagen zu Toulon so wichtig geworden ist? Ich hatte es ganz vergessen, daß morgen ihr siebenzehnter Geburtstag einfällt, der sie von dem gesellschaftlichen Leben zu trennen und zu einer ewigen Gefangenschaft einzusegnen bestimmt ist! Schließt der gute Mann etwa aus meiner Fahrt nach Cotignac, daß ich sonst nichts zu thun habe als Klöster zu besuchen? Die langweiligen Stunden, die ich dort zubrachte, sind mir doch vergütet worden, und wie? Was sollte mich aber in Eins verlocken können, wo ich unter ärgerlichen Ceremonien vielleicht Gefahr liefe, mir ein Gallenfieber zu holen? Ueberdies bin ich ja morgen um neun Uhr zu meiner Sonntagsfeier schon ineinem Tollhause versagt, das sich unter keiner andern Benennung ankündigt als die ihm gebührt. Der Herr Brigadier mag allein reisen. Ich will nicht auch noch mit leiblichen Augen einer Gleißnerei nachgehen, bei der, sonderbar genug, nicht weniger als bei der eisernen Maske, ein Heuchler von Vater, eine strafbare Mutter und ein eigennütziger Bruder ihr höllisches Spiel treiben. Hat mich die Theilnahme an einem Leidenden, dessen Asche von einem, vollen Sekulum bedeckt ist, schon so mürbe gemacht, welches Entsetzen würde mich nicht erst ergreifen, wenn ich die holde Schöne zum erstenmale wieder nach jener herrlichen Nacht unserer Bekanntschaft im Nonnenschleier an dem Rande eines offenen Grabes anstaunen müßte, das sie lebendig verschlingen soll, und aus dem sie, ach Eduard! nun nichts – nichts mehr zu retten vermag. So, streckt denn Unvernunft, Aberglaube und Mönchswuth ihren bleiernen, [56] Zepter von einem Jahrhunderte zum andern! Wo ich auch hinblicke, sehe ich nur Thorheiten und Laster neben dem Jammer der Unschuld. Du vermuthest doch schon, Eduard, daß ich nach solchen Kopf und Herz durchdringenden Gedanken den Marquis mit verweigernder Antwort abgefertigt habe – und Du hast es errathen. Doch, indem ich meinem Bastian den Brief vor das Bette tragen wollte, um ihn morgen mit dem frühesten zu bestellen, trat mir das Bild der guten liebenswürdigen St. Aignan in den Weg, und bat mich, die Sache noch einmal zu überlegen. Ich blieb eine ganze Weile ungewiß stehen, aber die rührende Betrachtung einer Tochter, die Jugend, Schönheit und alle Ansprüche auf ein Leben voll Glück dem kindlichen Gehorsam aufopfert, entschied. Ich zerriß meine Antwort, und bin entschlossen meinem Freunde zu folgen, unsere Thränen zu vermischen und Ihr – koste es mir auch was es wolle, vor ihrem Hingang noch einmal in die blauen himmlischen Augen zu sehen. Der Besuch bei dem andern gebeugten Weibe entgeht mir ja nicht!


Den 24sten Februar.


Wenn Du aus der Konstellation meines gestrigen Blattes zu bestimmen vermagst, in welcher Gegend mein Stern leuchtet, so sind wir geschiedene Leute; denn trotz Deiner Sehkraft konnte es unmöglich mit rechten Dingen zugehen. Kaum bin ich mir selbst glaubwürdig genug, um meinen Standpunkt und die Ereignisse des abgelaufenen Tages für wahr zu halten, den ich Dir jedoch so treu, als alle vorhergegangenen, zu entwickeln verspreche; habe nur, das bitt' ich Dich, Geduld mit meiner Feder! Du kennst ihre Weise. Sie rückt gewöhnlich nur mit dem Zeiger der Uhr fort, aber vorzüglich heute darf in meinem Tagebuche keine Stunde eher schlagen, als sie erlebt ist, damit nicht der Minuten eine, die sie herbeiführten, verloren gehe. Saint-Sauveur holte mich nicht ab, wie ich erwartete, sondern schickte mir seinen Wagen, um ihn abzuholen. Es fiel mir ein wenig auf, und erinnerte mich, daß Er bei aller seiner Höflichkeit sich doch noch nie herabgelassen habe, mich zu besuchen. Er stand in seiner Hausthür, als ich ankam, [57] stieg ein, indem er zugleich dem Kutscher befahl langsam zu fahren, damit wir nur kurz vor dem Anfang der Ceremonie bei den Urselinerinnen einträfen. Konnte er aber nicht lieber um so viel später die Stadt verlassen? Das wollte ich eben fragen, als ich in seinen Augen Thränen bemerkte, die mir alle Sprachlust benahmen, und meine eigene bängliche Stimmung vermehrten. Ich konnte an mir abnehmen, wie viel ihm die Gefälligkeit kosten mußte, als erbetener Zeuge einer, für Herz und Verstand gleich widrigen Handlung beizuwohnen, und fand es bei seinem Mißmuth sehr natürlich, daß er sich einen Begleiter zugesellt hatte, aber leider! hätte er zu seiner Zerstreuung keinen unfähigern wählen können als mich. Unsere beiden Seelen schwammen in gleicher Wehmuth, die unter allen sympathetischen Gefühlen am wenigsten sich mit Worten abgiebt. O wie lang ward mir der Weg nach dem, von der Stadt ohnehin ziemlich entfernten Kloster, und doch wie erschrak ich, als wir endlich nach drei langweiligen Stunden vor dem Eingange der Kapelle still hielten, hinter der das mit Hängeweiden und Cypressen umgebene gothische Gebäude vorragte. Allgütiger Gott! seufzte ich, wie kannst du zugeben, daß man eins deiner freien frohen Geschöpfe – ach deiner herrlichsten eins! in den Kerker dieser Einöde versperre. Muß nicht dem armen Kinde das Herz verbluten, wenn es jetzt aus seiner Herreise zum letztenmale von gaukelnden Vögeln umzwitschert, von balsamischen Lüften umweht, dieses schaurige Gemäuer erreicht, und hinter ihm die Pforte zurasselt, die es auf ewig von dem so freundlich winkenden Frühling – den schönsten Hoffnungen seines Geschlechts und jenen Fühllosen trennt, die seiner kindlich und schwesterlich wimmernden Liebe – doch immer Noch werth bleiben!

Unter so peinlichen Gedanken wankte ich dem Kirchner nach, der uns eine Loge dem Altar gegen über anwies, die durch eine Glasthür in der Mitte zweier Fenster von dem Schiffe der Kirche abgesondert war. Durch den flornen Vorhang, der die Zuschauer verbarg, schimmerten zunächst zwei einander überstehende schwarz beschlagene Bänke meinen feuchten Augen entgegen, und an den beiden Seitenwänden zogen sich die vergitterten Schranken der[58] Nonnen herum. So lange ich und der Marquis allein waren, übersah ich noch so ziemlich gelassen dieß geistige Hochgericht; als aber bald nachher der Vater und Bruder des, seinen Schlächtern nun schon ausgelieferten Lammes hereintraten, empörte sich mein Innerstes so heftig bei ihrem Anblicke, daß ich kaum über mich gewinnen konnte, ihnen ihre höfliche Verneigung kalt zu erwiedern. Die heuchlerische Miene, mit welcher der erstere sogleich auf die Knie fiel, täuschte mich so wenig als das bleiche abgehärmte Gesicht des andern. Mag es meinetwegen wahr seyn, was mir der Wirth zu Toulon von ihm erzählte; es schändet den eigennützigen Jüngling nur desto mehr, daß er lieber seiner Braut und den Pflichten der Ehre und der Menschlichkeit, als dem schwesterlichen Erbantheil entsagte, der ihm, trotz der tollen Verordnung der Mutter, nicht zukam. Ich konnte diesen Abscheulichkeiten nicht länger nachgrübeln, denn jetzt fingen die Glocken zu läuten an, und der Beförderer und Exekutor des schwärmerischen Testaments, der Dominikaner, erschien, warf sich vor den Altar und betete so lange im Stillen, bis jene schwiegen, und nun ein zweistimmiger, aus den Klausen der Nonnen sanft hervorwallender Choral das Trauerspiel eröffnete. Indem sich der Geistliche seiner Bank zur linken Seite unserer Loge näherte, trat zugleich auf der rechten, – o wie stiegen mir die Haare empor – die Verurtheilte, weiß gekleidet, hinter einem Kirchstuhle heraus, und bewegte sich an der Hand ihrer Erzieherin, mit niedergeschlagenen Augen feierlich langsam nach ihrem Sitze. Diese bot ihr einen Flacon zum Riechen. Sie dankte der Freundin, ohne ihn anzunehmen, durch ein gutmüthiges Lächeln für ihre Besorgniß, und verbeugte sich gegen den Mönch, der nun, die Schreckensurkunde in der Hand, seinen Vortrag in schlichtem Predigerton anhob: »Der erste Laut meines Mundes an diesem Zufluchtsort unserer Andacht, sei der Glorie des Allweisen und Unerforschlichen und dem Andenken jener zu seiner Herrlichkeit Uebergegangenen geweiht, der Sie, theures Fräulein, das Daseyn verdanken. Der Glanz ihrer Sterbestunde erhelle die gegenwärtige, die uns beide zu dem gemeinschaftlichen Zwecke vereinigt, den letzten Willen der Verewigten zu vollziehen. Die schönste und größte Verbindlichkeit [59] eines Kindes ist Gehorsam, und Ehrerbietung für Aeltern das erste Gebot, das Verheißung hat. Sie haben sich bereits, dem mütterlichen Verlangen gemäß, zur Annahme des heiligen Schleiers erklärt, und dieß stille Kloster gewählt, wo Sie Ihre übrigen Tage ruhig und Gott gefällig zu verleben gedenken; das Ihnen zur Befolgung gesetzte Ziel ist erreicht. Sie stehen zum letztenmal freigelassen hier, vor meiner segnenden Hand, um Ihren gereiften frommen Entschluß zu bestätigen und zu erfüllen, und so wird es Ihnen wohl gehen, und Sie lange leben auf Erden. Wie festlich muß Ihnen, nach siebenzehn verlaufenen Jugendjahren, nicht heute die Erinnerung an den Tag Ihrer Geburt durch die Feier Ihres Gehorsams und Gelübdes werden, das Sie abzulegen bereit sind.« Bei diesen Worten entfielen einige Tropfen den Augen des lieben Kindes. Der Mönch, der sie nachdenkend anblickte, hielt so lange inne, bis sie wieder gefaßt war, und fuhr dann herzlicher fort: »Ihre Traurigkeit, Theuerste, ist vorübergehend, wie der Schmerz einer Gebährenden. Der Allmächtige wird sie in Freude verwandeln. Diese Thränen, hoffe ich, sind der letzte Tribut, den Ihre Dankbarkeit dem Andenken eines vergangenen glücklichen Lebens zollt; denn wie könnte, da Sie mit heute ein dreimal froheres beginnen, es Ihrem Herzen schwer fallen, jenen vergänglichen Freuden der Welt, an denen es Theil nahm, zu entsagen, und sie höhern Befriedigungen aufzuopfern. Habe ich wohl nöthig, Ihnen bei dieser Landung aus einem Meere voll Gefahren und Stürme tröstend entgegen zu kommen – wohl nöthig, Sie zu ermahnen, den Allwissenden durch ein freimüthiges Bekenntniß aller werthlosen Anhänglichkeiten an das Irdische, von denen sich Ihr Herz jetzt trennen und reinigen soll, zu ehren, da es längst dem meinen geöffnet, sich nie der Erforschung seines treusten Rathgebers und Beichtigers zu entziehen gesucht hat? Sollte es aber dennoch, mir unbekannt, sich einer weltlichen Sorge bewußt seyn – sollte noch ein Wunsch an ihm nagen, den es treulos begriffen wäre, gleichsam als einen verheimlichten Raub, in diese, der Seelenruhe geweihte Wohnung mit hinüber zu nehmen, so –« Hier überzog eine flimmernde Röthe die blassen Wangen des erschrockenen Kindes, [60] es brach in unaufhaltsame Thränen aus, zitterte, rang wehmüthig die Hände, und versetzte durch diesen Anblick den erstaunten Priester in einen heiligen hell auflodernden Eifer. »Fräulein,« erhob er feierlich seine Stimme, »ich lege, ja, unter der strengsten Verbindlichkeit eines Eides und bei der ewigen Wahrheit, deren berufener Diener ich bin, lege ich Ihrem Gewissen auf, jenes verborgene noch nicht getilgte Gelüste Ihrer Seele unverhehlt zu bekennen, das in dieser Stunde der Entsagung noch mächtig genug ist, Ihre Standhaftigkeit zu erschüttern, damit ich an Gottes Statt ...« doch hier erlaubte ihm sein Mitleiden nicht weiter zu sprechen, denn seine Beschwörung, die schon mir beinah alle Besinnung nahm, in welchen Zustand versetzte sie nicht vollends dieß zarte weibliche Wesen! Sie ergriff und drückte in höchster Seelenangst die Hand ihrer jammernden Freundin an das gepreßte Herz, und verbarg die Augen unter dem Tuche, das ihre Thränen einsog. Dieser Anblick war so rührend, daß er selbst die lieblosen Zeugen erweichte, in deren Mitte ich stand. Ich hörte, wie sie sich von den Fenstern zurückzogen, um sich nicht durch ihr Schluchzen zu verrathen, doch vergönnte ich ihnen keinen meiner Blicke, die fest an den leidenden Engel geheftet blieben. Nach einer minutenlangen furchtbaren Stille, während welcher der Mönch für die Beruhigung der so peinlich Befragten zu beten schien, richtete sie ihr holdes Gesicht in die Höhe, wendete es mit ernster Andacht gegen den Altar, und von da zu ihm. Ihre Blicke waren erheitert. Frohes Bewußtseyn der Unschuld ruhte auf ihrer Stirn, und mit fester Stimme, die Hände in Begeisterung erhoben, begann sie: »So vernimm denn, Gesalbter des Herrn, an dieser der Buße und Wahrheit geheiligten Stätte, das Geheimniß meines schwachen, aber unsträflichen Herzens, vernimm jenen süßen Irrthum, in den es sich selbst für den trefflichen Mann verlockte, der meine Kindheit geleitet, Tugenden und Kenntnisse in mir erweckt, und sich meines dankbaren Gefühls endlich bis zur Entkräftung jeder andern Pflicht, in solcher Stärke bemeistert hat, daß mir immer in seiner Abwesenheit bange, ach! so bange wie einer Verlassenen war. Ich konnte an keinem der Tage, in welchem eine Stunde der Erwartung lag, meinen Wohlthäter [61] zu sehen, weder beten noch arbeiten. Mehrmal habe ich in nächtlicher Täuschung geträumt, daß mein Vater seine Hand in die meinige legte und uns segnete, und wenn ich erwachte und mich besann, vergoß ich bittere Thränen über die Unmöglichkeit ihm anzugehören. Willst Du das Liebe nennen, nun so habe ich hoffnungslose Liebe für einen Tugendhaften empfunden. Mein Herz unterwirft sich in Demuth dem wohlthätigen Krummer, mit dem mich, o schon längst! seine Gleichgültigkeit bestrafte; denn ich bekenne, ehrwürdiger Herr, daß sie es, und Gott möge sich meiner erbarmen, allein war, die mich antrieb dem mütterlichen Willen zu gehorchen, und mir, nach langem Kampfe, meine Bestimmung zum Kloster wünschenswerth gemacht hat. So gebrauchte der Allgütige die Würde dieses Mannes, um mich auf den geheiligten Weg zu leiten, den ich jetzt nur desto williger und zufriedener betrete, da er mich mit der edelsten meiner Jugendfreundinnen wieder vereinigen wird, die ihn aus mitleidiger Liebe zu mir voranging. Gute großmüthige Montbasson –« Gin Erguß zärtlicher Thränen unterbrach eine ganze Weile den Wohlklang ihrer Stimme. Herrlicher und reizender habe ich nie ein Weib gesehen, Eduard, als es diese angehende Nonne in den erhabenen Augenblicken war, aus denen ich ihr nachlalle Bescheidenheit, Muth und Ergebung strahlten aus den großen blauen Augen. Die höchste Reinheit der Seele tönte von den befeuerten Lippen. Jeder warme Ausdruck ihres herzlichen Geständnisses entfaltete eine Rose mehr auf den jugendlich verschämten Wangen. Ich war so verloren in der körperliche und geistigen Schönheit dieses unvergleichlichen Kindes, daß ich mich selbst nicht nach dem Mitgenossen meiner Trunkenheit umsehen mochte, der, vorgebogen über das Fensterpolster mit klopfendem Herzen an meine dort ruhende Hand, den Bewegungen des meinigen sympathetisch zustimmte. Sie aber, nun über alle Wehmuth erhaben, und in dem glücklichen Wahne, sie stehe nur vor den Augen Gottes, und kein menschlicher Zeuge, außer den vertrauten Beiden, denen sie die Tiefe ihres hingegebenen Herzens öffnete, könne das Verathmen seiner letzten Seufzer vernehmen, rief mit schmelzender Stimme: »Meine Seele,« rief sie dem Dominikaner in dem schauernden [62] Augenblicke zu, da er seine Hand aufhob, um ihr Gewissen loszusprechen, und sie zu ihrem furchtbaren Beruf einzusegnen, – »fühlt sich jetzt gestärkter, und zu dem Hingang aus der Welt meiner Jugend bereit, nur, daß ich aus ihr so manchen weisen Rath, so vielen Stoff zu hohen Betrachtungen in meine einsame Armuth mitnehmen soll, ohne Ihm, der mich damit ausstattete, dafür danken zu können – nur dieß noch beklemmt mir die Brust. – Ach! findest Du nichts tadelnswürdiges in meinem Verlangen, so übernimm und berichtige, ehrwürdiger Vater, diese Schuld meiner Erkenntlichkeit. Gott, schluchzte sie, faltete die Hände und schlug die Augen gen Himmel, möge ihn segnen und beglücken! Es soll mein tägliches Gebet seyn! Sage ihm dieß zu meinem Abschied.« »Ja, Fräulein,« antwortete der Greis und wischte sich die Augen, »ich will gern und gewissenhaft Ihren Auftrag ausrichten, sobald Sie mich noch belehren wollen – an Wen?« Betroffen staunte das reizende Geschöpf bald den Geistlichen bald ihre Aufseherin an. »Ach!« erwiederte sie endlich, »bedarf es wohl noch des Namens?« – o daß doch der Meine einmal so hoch gewürdigt, solch einem Herzen entquellen, über solche Lippen fließen möchte! – »des Namens meines Wohlthäters? – Ihres edeln Freundes – Saint-Sauveur?«

Und in demselben Augenblicke, in welchem dieß große Losungswort verhallte, sprengte Er, den es zur höchsten Seligkeit eines Sterblichen berief, dessen ahndendes Herz, wie ich nun sah, so ungestüm über meiner Hand geschlagen hatte, die Mittelthür unsrer Halle auf – umschlang in sprachloser Herzenserschütterung die aus dem Schrecken der Ueberraschung ohnmächtig dahin Sinkende, riß ihr den Schleier ab, und drückte wild seine Lippen auf die ihrigen. Und in derselben Sekunde flogen diesem Engel zwei andere aus ihren Wolken zu, die der Betäubten die Schläfe bestrichen, und unter Küssen, Wimmern und den zärtlichsten Fragen – Klara, liebe Klara, kennst du denn deine Montbasson – siehst du denn deine Agathe nicht? – die Erblaßte wieder ins Leben, und Gott im Himmel! in was für ein wahrhafteres Leben zurückriefen. Und in derselben Minute drängten und schmiegten sich Vater und [63] Bruder an die unverlorne Tochter – an die gerettete Schwester, und der Mönch ging und warf sich in abgezogener Andacht vor den Altar. Nur ich, der nicht wußte, wie ihm geschah, der die verdeckten Kräfte nicht begriff, die in dem Augenblicke der Entscheidung mächtig genug seyn konnten, den Schlag aufzuhalten, der über der armen Verurtheilten schwebte, ich, dem dieselben beitzenden Tropfen, die ihm das herbste Gefühl kurz vorher in die Augen getrieben hatte, jetzt als labender Thau über die Wangen zitterten – ich allein blieb in stummem Erstaunen, unbeweglich auf einer Stelle zwischen der offenen Glasthüre stehen. Wen sollte ich über das Wunder dieser Verwandlung befragen? Von wem konnte mein Ruf, in diesem Sturme tobender Leidenschaften, eine hörbare Antwort erwarten? Ach diese Seligen genossen, wie ihre Gespielen im Himmel, ihres überschwenglichen Glücks, ohne des Neugierigen zu achten, der sich mit geblendeten Augen in das Unerforschliche verlor. Umsonst, daß in diesem Schauspiele des Entzückens mein spähender Blick jeder Richtung der Freundschaft, Liebe und Hoffnung nachschlich, die sich hier aus Mienen, Küssen und abgebrochenen Worten ergaben; denn kaum hatte meine geschäftige Einbildungskraft aus den erlauerten Bruchstücken einen unhaltbaren Roman zusammengesetzt, so riß ihn auch meine kältere Beurtheilung eben so geschwind wieder ein. So schwebten meine verworrnen Gedanken noch über der rührenden Gruppe, die sie veranlaßte, als der Dominikaner, von seinen Knieen erhoben, langsam und doch unbemerkt, sich den, in ihrem Glück Versunkenen näherte; doch so bald er in ihrem Kreis stand, waren aller Augen auf ihn, aller Ohren auf seine Worte gerichtet. »Ich sehe Sie, würdige Verwandte der Ewigkeit,« enwickelte sich seine rührende Anrede, »durch die irdische Freude des Wiedersehens zu Empfindungen hingerissen, die mit diesem der stillen Andacht geweihten Orte unverträglich seyn würden, hätte sie nicht der letzte Wille einer frommen Gattin und Mutter herbeigerufen, entsündigt und zu höhern Endzwecken geheiligt. Preis und Dank dem Unendlichen, daß ich diesen Tropfen Zeit noch zu schmecken, und dem Verstummen einer Sterbenden noch meine Stimme zu leihen vermag. Ich erkenne mit Erstaunen [64] und Demuth, daß selbst die verhallten Pulsschläge eines längst verwesten Herzens in der großen Harmonie der Schöpfung noch forttönen, und die ewige Liebe jenes letzte Lallen mütterlicher Zärtlichkeit der Erhörung noch werth achtet. Möge der helldunkle Glanz dieser Stunde, die das Stöhnen des Todes mit dem Jubel des Lebens verknüpft, sich hienieden, o Fräulein! über alle Ihre Handlungen verbreiten! Möge Ihre irdische Liebe sich immer, wie heute, den Gränzen einer unvergänglichen anschließen – der Strom Ihrer Tage unter unverwelklichen Blumen verrauschen, und Sie einst in die Arme der Verherrlichten überschiffen, die vormals, an dem heutigen, unter den schwersten Qualen einer Gebährenden, Sie zu dem gegenwärtigen Freudengenuß mit Erde und Himmel verband!« Die Begeisterung des Greises, die sich seinen Zuhörern wundersam mittheilte, spannte seine und ihre Kräfte bis zur Erschöpfung. Unsere hochklopfenden Herzen arbeiteten wie Gewitterwolken; auch kam ihnen die Natur wie jenen zu Hülfe, und ein Erguß von Zähren entlud sie des Feuers, das in ihrem Innern loderte. Sie rieselten über den schneeweißen Bart des ehrwürdigen Mönchs, und senkten sich, wie Morgenthau, der welkende Lilien aufrichtet, sanft auf jede weibliche Brust, die hier in der seligsten Erleichterung an den ängstlichen Schleier andrang. O Eduard, welche Sabbatsfeier! Sobald sich der Redner gefaßt hatte, ging er in milderem Tone fort: »Sie, würdige gehorsame Tochter, haben nun das Recht errungen, sich und den Mann zu belohnen, der Ihr Herz und Ihren Verstand bildete, und Sie längst unaussprechlich liebend dennoch Muth genug hatte, sein Geheimniß bis zur Aufklärung des Ihrigen – bis zu dem gegenwärtigen festlichen Augenblicke, dem er zitternd entgegen sah, zu bewahren. Sie überwanden Menschenfurcht, weibliche Schüchternheit und trügenden Schein in der großen Entscheidungsstunde Ihres Schicksals – nannten den Namen des Erwählten, und indem Sie ihm auf ewig zu entsagen glaubten – o wie vergilt Ihnen der Gott der Wahrheit den Kampf Ihrer edeln Seele! – fesselten Sie den Glücklichen mit Banden an sich, die weder Zeit noch Ewigkeit zerreißen wird.« So rührend auch die Herzlichkeit war, in der dem frommen Alten diese Worte [65] entflossen, so ward es doch seine Rede noch mehr, als er sein freundliches Gesicht von der schönen Verlobten ab, unerwartet für uns alle, gegen den Bruder wendete, der trauernd und blaß seinem Vater zur Seite stand. »O wie hat der Allgütige,« rief er, »meinen kurzen Hinweg zum Grabe mit Spätrosen bestreut! Sohn meiner verklärten Freundin! So lange mir mein Eidschwur die Zunge noch band, lag es nicht in meiner Gewalt die Leiden Ihrer Unschuld zu endigen, Ihre hohe Tugend gegen ungerechten Verdacht in Schutz zu nehmen und den nagenden Gram Ihrer Seele zu mildern. Alles peinlichen Zwanges endlich entbunden, vernehme jetzt jedermann aus meinem Munde, daß der großmüthige Jüngling, taub für jede Lockung des Eigennutzes, selbst der mütterlichen Prüfung nicht unterlag. Ernstere Verordnungen, die erst heute Kraft erhalten die vorhergegangenen scheinbaren aufzuheben, würden ihn für den Mißgriff seiner Selbstsucht bestraft haben, wenn er nicht, in Uebereinstimmung der zärtlichen Hoffnung seiner redlichen Mutter, schon vorlängst ihrem blendenden Vermächtnisse entsagt, und es dem Kloster zugeeignet hätte, das seine geliebte Schwester zum Aufenthalte wählen würde. Diese für das Andenken an den Edelmuth und die Bruderliebe des Ausstellers fest stehende Urkunde erwartet jedoch, um als Schenkungsbrief gültig zu werden, annoch die freie Einwilligung derjenigen, die von nun an über jede fromme Anwendung ihres Erbtheils allein zu verordnen hat.« Eine sonderbare Erwartung, dachte, und warum, seufzte ich, muß doch der gute Mann, dessen Kutte ich bis jetzt auf das toleranteste übersah, sie mir, mitten in seinem rührenden Vortrage, so ärgerlich unter die Augen rücken? Doch nöthigte er mich, sie aufs neue zu übersehen, als er in dem überzeugendsten Tone fortfuhr: »Verschwunden ist nun der Irrthum, der auch Sie täuschte, tugendhafte Montbasson – verschwunden das Blendwerk vieler Jahre, das Sie, alle um mich Versammelte, durch rauhe unbekannte Wege führte, um Ihre Blicke am Ende mit der herrlichsten Aussicht, die sich aus diesem Leben in jenes verliert, zu überraschen. Der Lohn, meine würdigen Freunde und Freundinnen – indem er zwei versiegelte Päckchen hervorzog, das eine der Tochter, das andere dem[66] Sohne überreichte – der Lohn Ihrer Beharrlichkeit in der Tugend – die glückliche Beendigung meines Auftrags – die Beweise desselben und die Erfüllung so vieler in einander greifender Wünsche, liegen nun in Ihren Händen, und werden Ihnen herzerhebender zusprechen, als ein hinfälliger Greis es vermag.« Welch ein freudiges Erschrecken ergriff nicht beide Geschwister, als sie die mütterlichen Handzüge erblickten – die Aufschrift an meine gute Klara – an meinen geliebten Ferdinand lasen, und jene zärtlichen Töne aus ihrer Kindheit wieder zurückschallen hörten. Wie vermischte sich nicht Vergnügen und Wehmuth in ihren Gesichtern, als sie die Siegel des Umschlags erbrachen und jedem das Bild seiner Mutter und ein Brief von ihr in die Hand fiel. Welches Herz hätte beim Anblick der guten Kinder ungerührt bleiben können, die jetzt in einer langen Umarmung das Andenken der Abgeschiedenen feierten – dann zu den Stufen des Altars eilten, um bei der Andacht, mit der sie sich nun in die heilige Urkunde vertieften, keinen andern Zeugen zu haben als die Gebenedeite, die, von Guido Rheni gemalt, freundlich auf die Lesenden herabblickte. Keiner von uns übrigen wagte durch einen Laut die heilige Stille, die uns umgab, und den Nachklang aus dem mütterlichen Grabe zu stören, der an die beiden schön verschwisterten Seelen anschlug. Dafür erhoben sich aller Herzen auf das froheste mit ihnen, als sie zu unserm Kreis zurückeilten, und sich nun Sohn und Tochter dem glücklichen Vater zu Füßen warfen. Ihre trunkenen Blicke mußten für sie sprechen. Sie hatten einen Fund in der mütterlichen Zuschrift gethan, einen goldenen Fingerring, der sich von selbst verständlich machte und den sie ihm entgegen hielten; aber Er, der eben so vergebens nach Worten rang, blickte gen Himmel, umarmte – und mit bethränten Augen verwies er seine Kinder auf den Boten Gottes, der ihre Aufmerksamkeit zu fordern schien. »Klara,« rief der Mönch, »Sie haben des Vaters, der Mutter und den Segen Gottes aus meinem Munde zu dem Uebergange aus dem jungfräulichen in den ehlichen Stand, und so folgen Sie denn Ihrem großen Beruf.« Freudig gehorchend reichte jetzt das liebe Kind den goldenen Reif ihrem Auserwählten, der ihn entzückter als ein [67] Eroberer die Krone eines Welttheils empfing. – »Und Sie, trefflicher Jüngling,« fuhr der Redner gegen den Bruder fort, »der Sie den Gegenstand Ihrer Liebe aus immer für verloren hielten, als er Ihnen am gesichertsten war – lesen Sie in den Blicken Ihrer Freundin Ihr längst verdientes, nur verzögertes Glück, das von heute an alle Ihre Lebensstunden begleiten wird.« Und die Edle ergriff mit ihrer linken die Hand der Schwester – reichte die rechte dem Bruder, blickte auf zum Himmel, als ob sie von der Mutter ihres Geliebten einen beifälligen Wink auf den ersten Kuß der Belohnung herabziehen wollte, den sie mit bebenden Lippen den noch bebendern des als Bruder und Sohn gerechtfertigten Mannes aufdrückte, und nun mit heiterer offener Stirne das dem Grabe abgewonnene Kleinod aus seinen Händen nahm. Wäre in dieser feierlichen Minute aus der obern Sphäre ein Halleluja, vom Harfenklange der Engel begleitet, in diesen Tempel gedrungen – ich würde es ohne Erstaunen gehört, für kein Wunder gehalten haben.

Welch ein Strom unnennbarer Empfindungen mußte nicht jetzt diese beseligten Herzen durchbrausen, da selbst das meine in Gefühlen strudelte, die es zuvor noch nie erfahren, nie geahndet hatte. Der frohen Theilnahme an diesem herrlichen Schauspiele stiegen verstohlne Wünsche, tief geschöpfte Seufzer nach, die sich so hoch noch nie gewagt hatten. Noch nie war mir die Liebe und ihr größtes Loos – eheliches Glück – in diesem Glanze erschienen, und nie hatte ich mich verlassener gefühlt als in dieser laufenden Stunde. Im Drange mir so neuer Wallungen war mir daher wie einem Durstigen zu Muthe, dem von fern in der Einöde ein rieselnder Quell schimmert, als meine bis jetzt zerstreuten Gedanken sich auf Agathen hefteten. Ich überstaunte die holde Gestalt mit einem Feuer, das alle meine Sinne zu verschmelzen drohte, und wie sehnte ich mich, daß nur einer ihrer liebenden Blicke sich auf mich Armen verirren möchte, die sie einzig ihrer Busenfreundin zuschickte.

»Die sinkende Sonne« – riß jetzt der Mönch uns alle aus unserer süßen Betäubung – »ziehe ihre letzten Strahlen als Krone über dieß große gemeinschaftliche Fest. Fräulein von St. Aignan, [68] Herr von St. Sauveur – ich rufe – als Priester dieses Heiligthums – rufe ich Sie beide Verlobte, und in gleicher Eigenschaft auch Sie auf, Herr von St. Aignan, Prinzessin von Montbasson, mir an die Stätte unsrer Anbetung des Allsehenden, Unerforschlichen und Gnädigen zum Empfang der heiligen Weihe Ihrer Verbindung zu folgen.« Er schwieg – Ein wehmüthigzärtliches Lächeln durchflog die erröthenden Wangen der Aufgerufenen. Ihre feuchten Augen, zitternden Hände und gleichgestimmten Seelen begegneten sich, und in geschlossener Reihe traten sie dem ehrwürdigen Priester nach. Und als er nun vor dem Altare stand, beugte er dreimal sein graues Haupt über die gefalteten Hände, wendete sich darauf in dem Glanze seines Alters gegen die frommen gehorsamen Kinder, sprach in rührendem Ton über jedes Paar das Gebet der Trauung, legte seine beiden Hände auf ihre Stirne und segnete sie. Und die zur Ehe geweihten fielen auf ihre Knie und erhoben in sprachloser Andacht ihre Blicke zu der Madonna, dem Sinnbilde hoher weiblicher Würde, das von dem Schimmer der Abendsonne geröthet auf die Gruppe der Betenden herrlich zurückglänzte. Eine Stufe niedriger war Klarens Vater und ihre Erzieherin, und an der Seite Agathens auch ich niedergefallen. Mein stilles Gebet schwebte in seliger Seelenvereinigung mit dem ihrigen empor. Ich erhob, wie sie, – o Eduard, wie würde ich mich gestern zu Cotignac dessen geschämt haben – Augen und Hände zu der unbefleckten Jungfrau, und hoffte unter heißen Thränen – nenne es Verirrung, nenne es Schwäche meines Verstandes – aber hingerissen von unwiderstehlichen Empfindungen, hoffte ich ihre Fürbitte bei Gott für den Besitz des lieben Kindes neben mir zu erflehen, dessen schmachtende Augen, in Betrachtung vertieft, der Seelengröße nachzufeuern schienen, die Guido seinem göttlichen Ideal angeprägt hatte. Freude und Wünsche umrauschten die Vermählten, als sie von den Stufen des Altars herabstiegen, und ach! ich wähnte die Umarmung zweier Verklärten zu sehen, als Agathe Klaren an ihre Brust drückte. Der Mönch, nach einigen leisen Worten mit dem Vater, grüßte uns alle und entfernte sich. Der Kirchner öffnete eine Seitenthür der Kapelle. Eine Wendeltreppe leitete uns nach [69] einem gewölbten Gange, in welchen wir Paar für Paar eintraten. Zu einer andern Zeit würden seine gothischen Fenster von farbigem Glas meine volle Aufmerksamkeit angezogen haben, aber ich führte Agathen, und wäre der Boden mit meiner Scheiben-Sammlung belegt gewesen, ihre Zertrümmerung hätte mich doch, glaube ich, nicht aus dem stolzen Takt meiner Tritte gebracht. Als wir an das Portal kamen, hob Klara die Hand ihres Befreiers an die Stirn, und blickte, wie wir, mit Wohlbehagen noch einmal auf das düstere Gemäuer zurück, das wir verließen, indem die beiden Flügel der Klosterpforte aufflogen – und wie ich mir denke daß es seyn wird, wenn am Tage der Auferstehung die Gräber sich öffnen – wir aus ihrer Finsterniß hervor hinüber in die Verklärung treten, und einander zujauchzen: Wo bin ich? Wo bin ich? – so, Eduard, war uns in dem Augenblicke des Austritts zu Muthe – denn wir standen – und unsre Gedanken verloren – unsre Begriffe vermengten, und alle unsre Sinne empörten sich – wie durch Gottes Finger berührt und in das innere Heiligthum seiner Größe versetzt, standen wir mit hinstrebenden Augen, wankenden Füßen und aufgehobenen betenden Händen vor dem überwältigenden Schauspiele, das ich Dir letzthin mit eben so schwachen Worten, als diese, zu versinnlichen suchte, vor dem hinunter wallenden brennenden Balle der Sonne, sahen erstaunend jenes Thal der Unschuld und Freude, unter dem dunkelblauen Ueberhange des Abends, wie ein Kind der Liebe der mütterlichen Natur in dem Schooß liegen. Das Wunder dieser Erscheinung wirkte gleich einem heftigen Fieber auf diejenigen, die es zum erstenmal erblickten. Fest an einander gedrängt, flammten ihre Augen, klopften ihre Herzen im Einklang – und jede Brust schmiegte sich an die andere, aber sie alle genossen des Erstaunens wie Kinder, ohne zu fragen. Mich allein belehrte die Erinnerung. Ich erkannte die Sonne, die ich besang – das Thal, dem ich schon so viele Freuden verdanke – den Landsitz meines Freundes – den Felsen meiner Wiedergeburt, und wurde bald überzeugt, daß der Balkon, von dem wir herabsahen, über dem Eingange des Steinbruchs schwebe, an dem, wie Du weißt, meine Baukunst so erbärmlich[70] scheiterte – aber Gott im Himmel! durch welche Räthsel hängt hieß alles mit dem Kloster – den Urselinerinnen und der Feengeschichte Klarens und ihres Bruders zusammen? O du Schöpfer unnennbarer Empfindungen, theurer romantischer Saint-Sauveur! welche Kräfte standen hier deinem Systeme zu Gebote, und wie unwiderleglich hast du nicht heute seine ganze Schönheit entfaltet! Seine Augen hatten schon lange in stillem Seelengenusse an den süßen begeisterten Blicken des holden Kindes gesaugt, das in sich selbst vertieft mit schwellendem Busen in das magische Spiel des schwindenden Tages hinstaunte, ehe er dem noch größern Entzücken nachgab, das theuer errungene Geschöpf in die Arme schloß, und sein volles Herz sprechen ließ: »Hier, Klara – hier in diesem Prachttempel der Natur wollen wir, fern von Klöstern und ihren Frömmlern, ein thätiges – und dem, der uns einander geschenkt hat – wohlgefälliges Leben genießen. Alles, was du heute gesehen, gefürchtet und erfahren hast, war Täuschung – nur die erhörten Wünsche deiner sterbenden Mutter – der Auftrag des redlichen Mönchs – nur meine Liebe, meine langgenährte unaussprechliche Liebe waren es nicht. Was du als verloren dahin gabst, ist dein Eigenthum geworden. Nur für den Einklang, für den Austausch unsrer Herzen habe ich diesen Felsen gehöhlt, und der erste Segen Gottes, der in dieser Halle von seinem Diener gesprochen wurde, fiel auf dein Haupt. Unter allen Altären zur Ehre Gottes, wo in der weiten Welt wurde ihm, als in dieser Kluft, einer errichtet, der seiner würdiger wäre? wo ist je einer geschmückter gewesen, als dieser durch die Blüthen deines kindlichgehorsamen, frommen und edlen Herzens? Ewigen Dank, theures Weib, für das Wort der Liebe und Weihe, das ihm entquoll. Es müsse mich einst vor dem Throne Gottes verklagen, wenn ich je des Wohlklangs vergessen könnte, mit dem es an das meinige anschlug. Ich habe dich errungen. Kann ich wohl seliger werden?« – – Unter welcher zarten weiblichen Erschütterung folgte nicht das holde Mädchen dem Strome dieser Worte! Nur Seufzer der innigsten Freude unterbrachen seine Rede, und heilige Thränen belohnten den geliebten Schwärmer. Seine Seele brauchte Erholung.[71] Sie ruhte aus auf der Höhe ihres Entzückens, dann stieg sie erleichtert, sanft und freundlich zu dem niedern Zirkel herunter, der im Stillen ihrem Auffluge nachblickte. »Vergieb mir,« wendete er sich zuerst an Agathen, »die lange Angst, der ich dich am Eingange eines ewigen Kerkers aussetzte. Der heutige Festtag führt dich der freien Luft, der Natur und der treusten Freundschaft zurück. Vater meiner Klara, und auch Sie, vortreffliche Frau, die sie mir erzog – habt Dank, Ihr guten Menschen, für das große Geschenk, das Ihr meiner Liebe aufhobt – O dieser einzige Abend! welch einen edeln und glücklichen Zirkel umspannt er nicht!« St. Aignan, für jede Theilnahme an Anderen – nur in den Blicken seiner Montbasson verloren, bemerkte nicht einmal, mit welchem feinen Gefühl ihn sein freundschaftlicher Schwager überging und seine Hand mir reichte. »Guter, stolzer Berliner, kam er mir entgegen, wie kitzelt es mich, daß auch du Zeuge des Glücks eines Franzmanns in der schwierigsten Eroberung – und« – setzte er lächelnd hinzu – »auch der Wahrheit seiner Ueberraschungstheorie seyn konntest.« – »Meinen ganzen Beifall,« stammelte ich, und drückte thränend ihn an mein gepreßtes Herz. Seine trauliche Ansprache und Umarmung zog mich, als hätte mir unser Monarch das Band des Verdienstes umgehangen, auf einmal aus meiner Dunkelheit hervor. Klara erinnerte sich unsers nächtlichen Spazierganges mit bedeutenden Winken. Ihre Erzieherin bot mir ihre Dose, und Agathe von selbst ihren Arm, als die Gesellschaft ihren hohen Standpunkt verließ. Während schon die Abendröthe zu verblassen anfing, leitete uns der liebe Mann eine versteckte Treppe herab, durch schlängelnde Akaziengänge des Parks, seinem Wohnsitze zu. Ich bemerkte, so für mich, daß wir uns doch ein wenig über die Zeit mit unsern Entzückungen auf dem Balkon verweilt hätten, denn ich konnte kaum Agathens Gesichtchen mehr erkennen – aber wie schnell verstummte meine Kritik, als mir beim Austritt aus dem düstern Gebüsche das Schloß unsers Anführers mit tausend bunten Lampen, wie mit Diamanten behängt, entgegen strahlte. Ein neuer überraschender Anblick, jedoch nur weniger Minuten. Wir huldigten nur so lange der Pracht und der Kunst,[72] bis sie uns selbst an die schönere Natur und durch eine vortretende Inschrift über dem Eingange an das dreifache Fest der Geburt – der Erlösung und der anbrechenden Vollendung des gefeierten Mädchens erinnerten. Unsre geblendeten Augen, alle zugleich, wie durch den Druck einer Feder, auf die Einzige gerichtet, erfaßten, umschlangen und entwickelten nun die schlanke, holde, siebenzehnjährige Gestalt – Die Bebungen des durch die kleinsten Fältchen ihres sittsamen Nonnengewandes spielenden Lichts setzten ihre Schönheit in einen so ätherischen Schimmer, und uns alle in eine so optische Täuschung, daß in einer Art taumelnder Erwartung: jetzt werde Sie der Erde entschweben, eine Zunge der andern den Ausruf abnahm: Welch ein Mädchen – welch ein überirdisches Mädchen! Ach, sie ist zum Engel geboren. Spotte nicht etwa, guter Freund, meiner enthusiastischen Schilderung! Niemand fühlt die Anstrengung der ohnmächtigen Sprache lebhafter als ich; aber ich kämpfe hier so vergebens mit Worten, wie Raphael bei dem letzten Gemälde seiner Hand mit den Farben: denn welcher Sterbliche vermag das Ideal einer Verklärung zu erreichen? Während dieses Vollgenusses des Gesichts schienen meine vier übrigen Sinne wie in dem tiefsten Schlafe versunken, aber nur zu bald wurden auch sie berührt, erweckt und in die Bezauberung des ersten verflochten; denn als wir auf einen Wink des Gebieters Hand in Hand uns seinem Tempel näherten, die Thüren zwischen flammenden Säulen aufflogen, – Rosenduft unsern Geruchsnerven – Töne der Harmonika unserm Gehör entgegenschwammen – zwölf gaukelnde Genien uns zum Hochzeitmahl einluden – da wußte wahrlich kein Sinn mehr, welcher, in dieser allgemeinen Befriedigung, der glücklichste sei. Wir würden uns gern für Geister gehalten haben, hätte nicht der eintretende Hunger, als wenn er von einer langen Reise zurückkäme, seine vergeßlichen Freunde belehrt, daß sie ihm noch unterthan, und auch heute nichts mehr als sehr glücklich versorgte Menschen wären! Wollte ich Dir jetzt erzählen, daß wir uns setzten, aßen und tranken, bis wir satt waren – so könnte meine Beredsamkeit den Stuhl, den ich einnahm, noch so elastisch polstern – die Tafel, die vor mir stand, noch so reich besetzen – [73] meinem Gaumen sogar alle die Gerechtigkeit erweisen, die man ihm unter den Schlemmern zugesteht, und ich würde Dir doch nur am Ende nichts als eine alberne Wahrheit gesagt haben. Dafür bewahre mich die Harmonie des Ganzen, die dieß hochzeitliche Mahl vor allen und jeden, die mir in meinem Leben Langeweile gemacht haben, auszeichnete. Ich weiß Dich besser zu schätzen. Die psychologischen, moralischen, metaphysischen Erfahrungen, die ich während dieses Vorspiels der geheimnißvollen Nacht mir und andern Gästen abnahm, und die ich Dir so unbefangen mitzutheilen verspreche, als ich sie erhielt, sind, hoffe ich, Deiner Aufmerksamkeit schon eher werth. Wenn sie Dich so gut als mich überzeugen, daß in der Natur nichts in so naher Verwandtschaft steht, als ungewöhnliche Gerichte mit neuen Gedanken, wenn Du nebenbei meinen innern Menschen auf Schleichwegen der Sinnlichkeit, die Deiner Metaphysik noch unbekannt waren, ertappst, so habe ich gewonnen, was ich wünsche. Ich könnte ein Buch über meine stillen Tafelbemerkungen drucken lassen; aber ich würde es nie thun, da ich weiß, daß in unsern lesesüchtigen Zeiten keines mehr, wenn es nur von außen nicht schmutzig aussieht, der Neugier unsrer Schönen entgeht, und ich keine Verräthereien an meinem Geschlechte begehen mag, die es in den Augen des ihrigen nur noch mehr herabsetzen würden, als es ohnehin schon steht. Vor einem so verwünschten Zufalle schützt mich, zum Glück, das geheime Fach in Deinem Schreibepulte. Das beruhigt mich.

Die vermuthliche Pracht des Saals, in den wir traten – zeigt mir erst jetzt mein Nachdenken – ist über der runden Tafel in seinem Centrum, die mich ungleich mehr anzog, ganz von mir übersehen worden. In ihrer Mitte – wie wäre es möglich gewesen anderwärts wohin zu blicken? – erhob sich, aus dem reinsten Alabaster geformt, Amor und Psyche, in der lebendigsten, aber zugleich in einer so behutsamen Darstellung, daß sowohl der männliche Blick an ihre – als das weibliche Auge an seine Göttergestalt, unbeleidigt bis zu dem Kusse beider hold verschlungenen hinanstieg. Die einzige Schwierigkeit war nur von dieser kleinen empfindsamen Reise ohne die Sehnsucht zurückzukommen, das [74] schöne Beispiel nachzuahmen. Wir alle unterlagen der ersten Regung. Einstimmig mit dem Gefühl des Andern, begegnete sich Auge und Auge, drückte sich Mund auf Mund. Ehrenvoller hat wohl nie die Natur der Kunst gehuldigt. O des trefflichen Bildners, der einem Steine diese gebietende Macht zu geben verstand! Dreimal gepriesen seist du mir! denn deinem Amor verdanke ich, daß Agathens Lippen die meinen berührten. O daß von meinem, in dieser seligen Minute entflammten Herzen ein Fünkchen in das ihre geflogen wäre – dann hätte mir der kleine Heidengott weiter geholfen, als das Wunderbild der Maria in jenem romantischen Felsen! An diesen sehr erlaubten Wunsch, mit dem ich nun, zwischen ihr und der alten Gouvernante, meinen Platz nahm, reihten sich nach und nach, bei jeder neuen Schüssel, die man auftrug, jene zufälligen Gedanken und Betrachtungen an, die ich für Dich bei Seite legte, und die mir am Ende des Mahls – nachdem alles für meinen Genuß dahin war – so systematisch vorkamen, daß ich selbst darüber erstaunte. Und nun weiter keine prosaische Zeile – wenn sie sich nicht etwa ungebeten einschleicht – über ein Fest von so hohem poetischen Werthe. Der Eingang meines Selbstgesprächs entwickelte sich von selbst nach einem Blicke, den ich in die unschuldigen Augen der dem Noviciat entronnenen Schöne gethan hatte. Die folgenden minder sittsamen, aber desto philosophischern Stellen meines Gedankenspiels hatten freilich keinen so lautern Ursprung – aber sollte ich denn in einem fort dem guten Mädchen ins Gesicht sehen, um Elegien zu dichten? Da hätte die Tafel ganz anders eingerichtet seyn müssen. – Wer – hob meine Schwärmerei an,


Wer ein holdseliges Weib durch Lieb' und Achtung errungen,

Blickt von dem Gipfel herab des schönsten irdischen Guts,

Und steht dem Heros weit vor, der funfzig Jungfern bezwungen:

Er hat nicht männlich geliebt, er hat nur thierisch verschlungen,

Erregt nur Schauder und bleibt ein Bild verrächtlichen Muths.

Mehr Kraft des Geists als des Beins sei unserm Hymen bedungen;

Der Brautkranz hefte verwelkt, dem heißen Zweikampf entschwungen,

Zur Bürgerkrone erhöht, sich an die Krempe des Huts.

Statt jenes albernen Lieds, an Euern Wiegen gesungen:

Dem Vater gliche der Sohn wie aus den Augen gesprungen,

[75] Kläng' es nicht klüger? – Ihr sängt – (wär's auch im Zweifel – was thut's?)

Es sei ein Strahl des Genies aus dem Gehirne des jungen

Belohnten Freundes der Braut in den Entsproßnen gedrungen:

Die Tugend Alfreds 11 vielleicht, vielleicht die Kühnheit Canuts, 12

Obschon dem Klügsten sogar dieß Kunststück selten gelungen,

Drang, vor dem großen Geschäft, durch das Vehikel der Zungen

Ihm nicht ein Löwengefühl in die Behälter des Bluts.

Dieß ziehn, mit gutem Erfolg, die beiden Helden des Festes

Mehr als das Bildungssystem der neuern Zeit in Betracht.

Als Grubenlicht steigt es herauf aus dem verfallenen Schacht

Der kritisch reinen Vernunft, doch, wie gewöhnlich, verläßt es

Auch Sie, gleich einem Spion in dem Getümmel der Schlacht;

In dreißig Reizen vertieft, die Nevisanus 13 in Acht

Zu nehmen freundlich empfiehlt, sorgt Plato noch für ihr Bestes,

Indem in ihrem Gehirn sein altes Dreieck erwacht:

Die eine Seele, die hier die erste Linie macht,

(Berechnet heimlich ihr Stolz) sei aus des heiligen Nestes

[76] Gewalt, der zweiten, durch Sturm, bereits zur Seite gebracht,

Und schnell – ja schneller, als Sie sich die Erstürmung des Restes

Zum Aufriß auch der dritten gedacht –

Entsteigt dieß Delta dem Thal, das nur ein Giton verlacht,

Umgaukelt Irrwischen gleich in dem Gefächel des Westes

Der Seher Augen, und hängt zuletzt noch heller gefacht

Ein wahres Freimaurerlicht sich an die Loge der Nacht.

Tief in dem Busen indeß der beiden Huldinnen hämmert,

In frommer Hülle gezwängt, die seine Höhen verdämmert,

Das blinde Schrecken noch fort, das ihn seit kurzem durchfuhr.

Ihr blaues Auge, (wenn nicht der Schein das meine betrüget)

Spielt schillernd über ihn hin, so wie des Himmels Lasur

Von fern das Felsengestad der Freundschaftsinseln umschmieget.

Vergebens grübeln sie nach, welch' eine Folge doch nur

Von höherm Wohlstand für ihn in dem erlassenen Schwur

Der Keuschheit und des Gelübd's, ihn zu verheimlichen, lieget.

Sie überschwindeln vor Angst die angewiesene Spur

Der Liebe, glauben sich bald von einem Prior gewieget,

Und bald, wie Psyche, verklemmt an Amors Marmorfigur;

Erhöhn zum Satanas ihn, der einen Seraph bekrieget,

Und beten heimlich zu Gott für die bedrängte Klausur.

Inzwischen nahet die Zeit, die manchen Skrupel besieget,

Die Sterne flimmern, es flüstert die Flur,

Puls, Mond und Abendgeläut, sogar das Picken der Uhr

Weckt die Erinnerung auf, wie bald die Jugend verflieget.

Doch noch geschwinder, als Wachs in heißen Dämpfen sich bieget,

Erweicht die Kochkunst ihr Herz nach dem Bedarf der Natur.

Wer mag es läugnen? Sie ist's, der auch die schläfrigsten Geister

Entgegenträumen – Sie ist's, die jedes Dunkel erhellt.

Schwebt sie als Schutzgöttin nicht um unsers Friedrichs Gezelt

Im Kreis der Musen? und fühlt er nicht des Mittags sich dreister

Als nach dem Morgengebet? Hat diese Feder der Welt

Sein deutsches Herz nicht schon oft durch Frankreichs Brühen und Kleister

Mit seinen Apollen zum Kampf und seinen Cäsarn ge schwellt? –

Und o! wie weise hat sie auch unsre Tafel bestellt,

Und rund um Amors Altar drei kostverständige Meister

Zu dreien hungrigen Kindern gesellt!

Ich prologire hier nicht nach dem System der Hyäne

Und ihres groben zermalmenden Zahns.

Ob dieß Banket schon verdient, daß ich es dankend erwähne,

Preis' ich doch mehr noch den Sinn des hochzeitmäßigen Plans.

Denn kein Gerippe kam hier an einer fas'rigen Sehne,

Kein Ueberrest eines verklärten Organs

Der seinen Zung' in den Weg, und keine weibliche Thräne

[77] Fiel auf die Knöchel herab des Abelardischen Hahns.

Leicht und entgräthet durchfloß die weißen Klippen der Zähne

Der Goldbarsch, 14 Argus 15 und Thun 16 mit der antiken Muräne

Auf süßen Mundwein des persischen Chans.

Bedient von Sylphen, was fehlt wohl unsrer Sättigungsscene

Zum Prunkgelag eines Feen-Romans?

Die Ihr berufen euch dünkt, das Glück der Schmecker zu lästern,

Mariens Sklaven! die Ihr an Klostertische geschraubt,

Von Hülsenfrüchten gebläht, euch Gott gefälliger glaubt,

O! warum hat nicht der Propst der neun barmherzigen Schwestern,

Der keuschen Musen ehrwürdiges Haupt,

Euch Sitz und Stimme, wie mir, bei diesem Nachtmahl erlaubt?

Ich wett' – ein einziges Ei, wie hier aus indischen Nestern

Ein ganzes Dutzend mir winkt, braun mit Vanille bestaubt,

Wög' alles Bettelbrot auf, um das ihr Arme beraubt.

Ihr Blöden, lernt Ihr denn nie die Macht der Küchen und Keller

Auf Menschenherzen verstehn? Hat nicht ein Schiffskoch oft heller

Auf blinde Heiden gewirkt und mehr Pagoden gestürzt,

Als alle Meister der Welt, die Zweifelsknoten geschürzt?

Ein Trio lieblich dem Ohr, wie Löffler, Süß milch und Teller, 17

Gleich einem ländlichen Schmaus, den Frühlingsblumen gewürzt,

Zög' leicht mehr Jünger herbei, und hätte, glaub' ich, wohl schneller,

Als Frank's Episteln vordem, trotz ihrer klugen Besteller,

Den Weg von Trankebar aus zum dritten Himmel verkürzt.

So setzt die Kost der Natur die Prachtgericht' in den Schatten,

Und unsre Augen auch hier durch gleiche Wunder in Brand.

Zieht nicht des Vaters Geschenk bis diesen Abend auf Sand

Des Meers in Felsen gezwängt, zieht jener Hügel von Datten

Nicht dunkel über den Tisch wie Nonnen über ein Land?

Beim Daseyn ohne Gefühl, ohn' allen frohen Verband

Mit Mond und Sonne, mit Freunden und Gatten,

Bleibt zwar dieß arme Gewürm in seines Lebens Ermatten

Gleich der verschleierten Schaar mit meinem Mitleid verwandt.

Doch dießmal kam es zu gut dem Drang des Hungers zu Statten,

Als daß es leibliche Ruh' in unsrer Nachbarschaft fand.

Geschickt wie Söhne des Mars, wenn ihre frevelnde Hand

Novizen-Zellen erbricht, erbrachen wir, suchten und hatten

[78] Wir bald die Scheuen erreicht, und keine über den Rand

Des Munds geschwenket, die nicht die letzte Probe bestand.

Was gleicht dem Meer wie die Welt! In jedem lebenden Tropfen

Der Austern schien so vergnügt, als sie die Gurgel verschlang,

Ein Herz, 18 ein weibliches Herz, das mit der Schale noch rang,

Statt sich zu sperren, der Hand sogleich entgegen zu klopfen,

Der, im Gedränge darnach, die Kunst des Vorgriffs gelang.

So schwelgten träumend wir fort bis zu dem folgenden Gang,

Der, wie ein Rittertournier, um uns die Mäuler zu stopfen,

Die zarte simple Natur von ihrem Platze verdrang.

Ein ernster Herold voran, ihm folgten dienende Sylphen,

Besorget Ordnung und Rang, weist an, beschränkt und vereint

Die edle Kaste der Herrn von Bergen, Rieden und Schilfen,

Gleich der, die fest und gestreng, doch nicht so böse gemeint,

Mit Knappen grau wie Saturn, und andern wackern Ge hülfen

Zuweilen arglos am Hof bei einem Landtag' erscheint.

Nur muthe niemand mir zu, trotz meines Vorzugs im Schmecken,

Aus seinem Harnisch hervor den innern Mann zu erspähn.

Dem Noa selbst biet' ich Trotz, der doch die Stammherrn dem Schrecken

Des Untersinkens entriß, der Enkel Gruß zu verstehn,

Die jetzt mit offenem Helm, beschwert mit Panzern und Decken,

Wie Butter auf der Zunge vergehn.

Doch, daß ich Rang und Verdienst nicht durcheinander verschiebe,

Zieh' ich die Finger zurück, laß' ich den Gästen die Wahl.

Gnug, dieß Heroengeschlecht paßt für ein hochzeitlich Mahl

Vortrefflich, weckt und erwärmt der Vorzeit glückliche Triebe,

Und außer ehlichem Bund und ebenbürtiger Liebe

Kennt es so wenig, als ich, von Plato mehr als die Zahl,

Die er zum Dreieck verschob und zu berechnen empfahl.

Doch bei der Schüsseln Gedräng tritt jeder Zufluß mir bänger

Für meine Rolle ans Herz, und Komus mag mir verzeihn,

Ich übertrage zwar gern, nur nicht aus Küchenlatein,

Das Lachen, das er erregt. Mein Genius weigert sich, länger

In Sieden, Braten und Frikassiren allein,

So sehr das Beispiel auch reizt, dem blinden Iliassänger

Und seinen Beleuchtern ähnlich zu seyn.

Drum führe Helios mich, der nur von Blumengerüchen

Umschwebt, Pomonen besucht, schnell durch den Nebel der Küchen

In die Verzäunung des Nachtisches ein!

[79] Hier seh' ich, wie die Natur in ihrem Bildungsgeschäfte

Mit unbefangener Hand den größten Endzweck erreicht,

Und ohne Hülfe des Kochs und seiner gährenden Säfte

Durch Täuschung Leben erweckt, und die versunkensten Kräfte

So lange zupfet und neckt, durch Furcht und Hoffnung beschleicht,

Bis sie den streitenden Theil mit dem bestrittnen vergleicht,

Bis sie das schlaue und dennoch ewig geäffte,

Verlockte Mannthier zuletzt durch weiblichen Liebreiz erweicht.

Hat sie nicht oft durch ein Haar, auf Weiberscheiteln gewonnen,

Gekrönte Tieger bestrickt und ihr Gebiet übersponnen,

Mit Kinderspielen den Kopf der Wahrheitsforscher gefüllt,

Und manchem betenden Mönch, umglänzt von Sternen und Sonnen,

Statt den verborgenen Gott, das Unsichtbare – der Nonnen

In Zerrgemälden lebloser Wolken enthüllt?

Auch hier – wer hätte denn wohl bei den Erinnerungszeichen

Der Nektarfrüchte, die uns aus fernen Wundergesträuchen

Ihr güldnes Füllhorn, so reich an Brautgeschenken, gesandt,

Den Wink einer guten Mutter verkannt?

Wem gnügt die persische Frucht, nach ihrem zarten und weichen

Geweb' und süßen Gehalt die Brust der Venus 19 genannt,

Den Augen sinnlos vorbei, nur seinem Munde zu reichen,

Ohn' ihre himmlische Form mit schönern noch zu vergleichen,

Die er hienieden – auf seiner Wallfahrt umspannt?

Gleich Spinnen hat die Natur uns an elektrischen Fädchen

In jedem Marmorpallast ein liebes Hüttchen gebaut.

Wer lächelnd neben sich blickt, schwingt immer leichter sein Rädchen,

Als der mit gierigem Ernst in das Unendliche schaut.

Nur durch Vergleichung schminke dein Mädchen,

Je schwärzer dein Mohr, je blonder wird deine Braut.

Die große Wahrheit hat mir das nächste Körbchen vertraut.

Denn wer – beim Anblick der zwei Magdalenen 20

Wär blöde genug, sich nach der größern zu sehnen,

Wenn er die kleinre darneben erblickt?

Die Stolze, schwerlich für nichts mit einem Namen geschmückt,

Der nur die Büßenden ziert, zerfließt in reuigen Thränen.

Gleich einer Opernprinzeß erweckt ihr Umfang nur Gähnen,

Und ist, besieht man sie recht, von allen Seiten gedrückt.

Preis sei der kleinen, die mich, wie vormals Margot, entzückt!

Sie, niedlicher als ein Ei, das, weit davon es zu wähnen,

Ein lauschend Vögelchen birgt, das an der Schale schon pickt

[80] Welch' eine herrliche Frucht! Doch leider! eine von denen,

Die man, zum Unglück für Dich, nicht leicht ins Ausland verschickt.

Obschon mein träumender Geist nicht ohne Sehnsucht und Wonne

Bald ein Gewächs von der Spree mit einem von der Garonne,

Bald asiatischen Prunk mit deutschen Flittern verglich,

Fühlt er doch heimlicher nie und nie gefesselter sich,

Als da ihm – während der Sammt der unberührten Mignonne 21

Der Schmeichelei meiner Hand mit feinem Nachgeben wich –

Schon wieder – Kann ich dafür? – das Ideal einer Nonne,

Und durch Verbindung mit ihr das Bild Agathens beschlich.

Welch Wunder eines Fantoms! zart wie aus Stäubchen der Sonne,

Hell wie Diana bei Nacht, doch ewig Schad', es verblich,

Als ungefähr es ein Hauch des nahen Urbilds bestrich.

Ihr reinen Herzen! Euch steht der Unschuld Engel zur Seiten,

Verweht der Ahnungen Gift, die schlüpfrig über Euch gleiten

Und Eure Würde doch scheun. Nur durch das Edle gerührt,

Wie könnt' ein Spiel der Natur, ein Nichts, ein Blick in die weiten

Gefilde optischen Trugs Euch in die Träume verleiten,

Die zu enträthseln allein dem wilden Jüngling gebührt.

Nur ihn ermuntre mein Scherz in unsern ehlosen Zeiten

Den Magdalenen vorbei sich eine Frucht zu erschreiten,

Die der Mignonne verwandt, noch nie von Wespen erspürt,

Auf Hymens Lager erst reist. Versteht er Zeichen zu deuten,

Welch Glück für Augen und Herz, wenn er nach frohem Erstreiten

Sie, frisch gebrochen vom Stamm, dem Garten Amors entführt.

Nach diesem Probejuwel, dem Gränzstein meines Gesanges,

Zieh' aus dem Orkus, wer mag, die voll unheiligen Dranges

Gespaltne gelbe Granat' an die Bestrahlung des Lichts!

Ich eile mit der Moral zur Mangostine 22 vom Ganges.

Ist's möglich, deck' ihr Gebräm, statt jenes Feigenverhanges

Des ersten nackenden Paars, die Blößen meines Gedichts!

Sie, gleich der sinnlichen Lust, zerschmilzt und giebt, wie ein langes

Verträumtes Leben, nur Schaum, und der Erinnerung Nichts,

Löscht wilden Thieren den Durst, und kühlt die menschlichen Wildern,

Wenn jen' ein nagender Wolf, – wenn Amor diese gehetzt.

Wär' ich ein Pseudo-Horaz, der weder nützt noch ergötzt,

Hätt' ich statt ihrer wohl gar das Haupt von cynischen Bildern

In der Maldivischen Nuß 23 Dir vor die Augen gesetzt.

[81] Allein die freche Natur hat hier ein Sinnbild geätzt,

Das keinen Nachstich erlaubt, auch hab' ich über dieß jetzt

Dir noch ein eignes Produkt aus feinem Kraftmehl zu schildern:

Dem, nach dem Landesgebrauch, als ein Orakel geschätzt,

Ein ernster Augur bereits sein Opfermesser gewetzt.

Sein Auge fordert Gehör, der Gäste Jauchzen zu mildern,

Und seine Zunge, zuvor in Wein prophetisch genetzt,

Ruft laut: Was Unschuld verbarg, erringt die Liebe zuletzt!

Nun war das Weihungssymbol bekränzt mit Knospen der Rose

Dem Gastmahl Platos vereint. Ein Böhnchen einzeln verweilt

Verschlossen in dem Gebäck als Bild des größten der Loose,

Das, wenn sich's einmal verlor, kein zweiter Festtag ereilt.

Sei ein Gewinnst noch so klein, er liegt dem Zufall im Schooße.

Oft wenn der Schmidt seines Glücks den Bolzen dreht und befeilt,

Der doch am Ende nicht trifft, hat Alexander der Große

Den Gord'schen Knoten so leicht als wir den Kuchen zertheilt.

Ein fremder Schauer durchlief der Rose Jugendgestalten

Dem ersten Angriff geweiht – doch der Begeisterte schritt

Schnell zu dem Theilungsprozeß, der keine Zögerung litt,

Im Dienst der obersten Macht das strengste Recht zu verwalten,

Das für den Ruhm eines Paars von gleichen Ansprüchen stritt.

Ein jeder Edle verdient das große Loos zu erhalten.

Sie zittern beide, doch seht, des Schicksals Räthsel entfal ten

Sich wie ein Gottesgericht. Ein Wunder leitet den Schnitt,

Es hat ein Wunder die kleine Bohne gespalten,

Und jede Hälfte, die nun das schöne Ganze vertritt,

Theilt' auf des Augurs Befehl, den Dank und Jubel umschallten,

Gehorsam sich den Erwartenden mit.

Betroffen blickten die Freundinnen beide

Einander in das verfärbte Gesicht;

Sie lächelten zwar der männlichen Freude,

Den Sinn nur davon begriffen sie nicht.

So saßen einmal ein paar erröthende Horen

An Leda's Neste vor jenem mystischen Ei,

Das sie – mit Wahrheit als Gans in Zevs Umarmung verloren,

Und spielten damit und brachen's entzwei,

Und dachten nicht das geringste dabei.

Sie ahndeten nicht, daß sie Helenen geboren,

Und daß des Kindes noch ungestilltes Geschrei

Mehr als ein bänglicher Laut für zarte Jungfrauenohren,

[82] Daß es das Probegetön', der erste Ruf der Schalmei,

Zum blutigsten Krieg, den je die Götter beschworen,

Um den Besitz einer Kleinigkeit sei.

Zehn lange Jahre verstritten die Thoren;

Zuletzt verschütten sie doch, wie deutsche Köche, den Brei.

Und Kerzen füllten den Saal. Im Nu durchzitterten Flammen

Der kalten Psyche die Brust, geschmiegt an Paphiens Sohn,

Und schlugen über die Kränze von Mohn

Der zwei Sirenen und jenen Wellen zusammen,

Die kaum vom Lichte verrathen, auch schon

Gebrochen in ihre Grotten entflohn. –

Wer kann die selige Lust an diesem Vorspiel verdammen?

Doch unsre Helden, voll Kraft der Odysseer, umschwammen

Die Brandung, senkten den Blick und stimmten leis' in den Ton

Des ewig tröstenden Lieds der Philosophen und Ammen:

Geduld! Erwartung ist schwer, doch desto süßer der Lohn!

Jetzt tritt die Ananas vor, sie, die in feuriger Zone

Am Vorgebirge der guten Hoffnung entsprang,

Sieht auf der Tafel sich um und setzt zum endlichen Lohne

Des zärtlich schmachtenden Paars, das seine Wünsche bezwang,

Verschämt, doch unter Verzicht auf ihren weiblichen Rang

Setzt sie, geduldsam zerlegt, die beiden Finder der Bohne

In den Besitz ihres Reichs, in alle Rechte der Krone,

Auf keinen andern Beding als einen guten Empfang.

Wie tönt den Helden das Ohr, als ihre Stunde verklang,

Als ihrem forschenden Blick, nicht ohne Beben, nicht ohne

Vertraun, sein erster Versuch auf jenes Eiland gelang,

Das bald ihr Eigenthum wird. Des Mondes Schimmer beschwang

Die nie bestiegenen Höh'n in jenem schmelzenden Tone

Des Morgenmalers Lorain. – Daß sie ein Kobold bewohne,

Befürchtet kein Steiger, der jetzt im Schwung zum dämmernden Gang

Des edeln Erzes, den Arm um seine Begleiterin schlang;

Die Holden zitterten nach, und eingesegnet vom Sohne

Cytherens, hörten sie kaum auf unsern Abschiedsgesang;

Ein Lied der Trauer für mich, das meiner Jugend Vergang

Mir zum Entsetzen bewies, indem es näher zum Throne

Des Gottes ehlichen Heils, ins stille Brautgemach drang.

Dank sei der Liebe jedoch für die paar seltenen Stunden,

Die diesen Abend einmal der armen Menschheit gelacht;

Sie hat vom Fangstrick des Papsts zwei freie Herzen gebunden,

Und was sich reizendes je dem ungestümen Betracht

Der Männeraugen ergab, dem Sterbekittel entwunden,

Der keine Schöne zur Heiligen macht.

Gesetzt, es hätte sogar die überraschende Nacht

[83] Sie ohn' ein härenes Hemd' und fern von geistlichen Runden

Gott weiß! in welch' eine Lage gebracht;

Hoff' ich doch gläubig zu dem, der gleiche Sorgfalt und Acht

Auf träge Sekula nimmt wie auf den Flug der Sekunden,

Die kleinsten Sphären so gut, die er den Liebesgesunden

Manchmal zum Spielwerk erlaubt, als jene himmlische Pracht

Lebloser Welten, die ihnen leuchten, bewacht,

Zu dem Bewußtseyn hoff' ich, das den Umarmten verschwunden:

Sie haben schwerlich sich jemals besser befunden,

Je freudiger ihres Schöpfers gedacht.

Die guten Kinder sind jetzt im höchsten Spielraum der Liebe

Der Fliege Kolibri gleich, die nie von Dünsten beschwert,

Sanft von dem Zephyr gewiegt, bei leichtem Sättigungstriebe

Auf Blumen schwebend sich nur von ihrem Aushauche nährt.

Wenn sich dann Abends zu ihr, gleich liebeathmend und trunken

Von aromatischem Geist, der schöne Gatte gesellt,

Wie freundlich wird nicht der Blick des frommen Sehers erhellt,

Dann überschimmern vor ihm im dunkeln Aether zwei Funken,

Der großen Fackel des Universums entsunken,

Den ärmlichen Staub der sublunarischen Welt.


Mir aber, als die Glücklichen verschwunden waren, als ich, statt eines Sylphen, von einem gemeinen Diener geleitet in das Zimmer trat, das mir seine Fackel anwies, und ich über mein einsames Bett hinblickte – mir war, als hörte ich alle Thore des Lebens und der Freude hinter mir zufallen. Ich erschrak, hob den Vorhang des Fensters, riß die Flügel auf, und meine feuchten Augen, flogen über die Milchstraße hinaus, dem entgegen, der in diesem Gewühl leuchtender Welten jeden Wurm mit Liebe umfaßt – dachte an Agathen – und o, rief ich –


Du, der von Ewigkeit her den Busen reizender Frauen

Zum besten Spielraum der Männer erwog,

Der diese Stunde gelenkt, die durch ein süßes Vertrauen

An Lieb' und Wahrheit, zwei fromme Kinder den Klauen

Der Klosterhyder entzog!

Wie wollt' ich deiner Erbarmung

Nicht danken, führtest auch du

Der Andacht meiner Umarmung

Die dritte Heilige zu!


Achtet auch der Allweise die thörichten Gebete nicht, die uns in dem Rausche der Sinne entsteigen; so haben sie doch das Gute, [84] den Verarmtesten die zwei schönsten Blumen des irdischen Lebens, Hoffnung und Geduld, in den Schooß zu legen. Auch ich kam von meinem Aufblicke in die obere Region um ein merkliches beruhigt zurück. Meine sinnlichen Wünsche verloren ihre Heftigkeit, als ob sie erreicht wären, und ich fühlte mich abgekühlt genug, über Agathens Schleier hinweg, nach manchen andern Räthseln zu greifen, die mir der verlaufene Tag eben so unentwickelt zurückgelassen hatte.

Denn, wenn ich gleich jetzt ungefähr errathen konnte, in was für Betrachtungen Saint-Sauveur auf unserm Wege nach Toulon so vertieft war, daß er sich wenig um meine Verzückung in den Himmel und um meine Hymne an das Gestirn des Tages bekümmerte – es mir auch eben so begreiflich ward, warum er mich im Gasthofe zum silbernen Anker mit meiner Scheibensammlung allein ließ, und es ihm so sehr zur Unzeit kam, daß mein verlornes Einlaßbillet einem Spieler, zur Nachfolge für andere, seinen Weg wies – wenn gleich die Seufzer, die damals Klaren entstiegen, als ich ihr meinen Arm bot, und ihre stillen Thränen in den Kelch einer Passionsblume, so wenig als die Erschütterung, die ihr die Gebetglocke des nahen Klosters – der Mönch auf der Galeere und das Mitleiden mit Agathen verursachte, jetzt noch einer nähern Erklärung bedurften – ich auch meine vorgestrige Verwunderung über das Geschäft meines Freundes in dem Steinbruche herzlich belachen mußte, und nicht mehr böse auf ihn seyn konnte, daß er während der Veranstaltung seiner heutigen Ueberraschung mich auf ein Schiff bannte und gewaltsam nöthigte, Voltaire's Geburtstag zu feiern: – so blieben mir doch genug neugierige Fragen über den Zusammenhang der heutigen seltsamen Ereignisse übrig, die ich mir schlechterdings nicht zu beantworten vermochte. Diese schwierige Aufgabe würde mein Nachdenken noch lange beschäftigt haben, wenn es nicht ein Umstand unterbrochen hätte, der für mich keine Kleinigkeit war. Ich hörte die Seitenthür öffnen, die nach dem Park führt – Das ist Agathe, sprang ich von meinem Stuhl auf, die vermuthlich, so unruhig als ich, nach Luft schnappt – trat ans Fenster – hörte sie – sah ihren Schleier zwischen den Akazien wehen, und nun war vollends meines [85] Bleibens nicht mehr. Ich eilte aus meinem Zimmer durch das Portal, an dessen Säulen noch einige verlöschende Lampen zitterten. Zu einer andern Zeit würde ich sie als ein treues Sinnbild der Vergänglichkeit aller menschlichen Freuden, in Vergleichung mit den ewigen Lichtern am Himmel, vielleicht länger betrachtet haben; aber in diesem Augenblicke dachte ich weder an Zeit noch Ewigkeit, sondern – solltest du es wohl glauben? an die kleine zarte Mignonne unseres Nachtisches. Großer Gott, und ich suchte Agathen! Ich hatte die längste Weile die lispelnden Sträuche durchirrt, ohne sie zu entdecken, und ich fing schon an zu fürchten, daß es mir hier noch einmal mit meiner Stirne ergehen möchte, wie vor einigen Monaten zu Caverac, als glücklicher Weise ein Fünkchen, das mir in einiger Entfernung entgegen blinkte, meiner gesunkenen Hoffnung wieder aufhalf. Dort – ja dort sitzt das liebe Kind, ihr kleines Laternchen neben sich, auf einer Rasenbank, und so geschwind, als dieser Gedanke, war auch der Zaun, der den Grasplatz von dem Park abschnitt, überstiegen. Ich wil sie nicht erschrecken, nahm ich mir vor, glaubte auch, ich ginge langsam, kam aber bei allem dem bald genug meinem Gegenstande so nahe, daß ich, bestrahlt vom Lichte, zwar nicht Agathen, aber eine andere menschliche Figur unterscheiden konnte, die sich langsam an einer Urne in die Höhe richtete, und mir kein geringes Grausen erregte, ehe ich bemerkte, daß es der Spender des heutigen Segens – der fromme Mönch war, der mir entgegen trat. »Ach, heiliger Vater,« sprach ich ihn an, »was macht Ihr an diesem einsamen Orte, und welchem Heiligen gilt euer nächtliches Gebet?«

[86] – »Einem Unglücklichen, dessen Gebeine hier verscharrt liegen,« antwortete er mit ernster Stimme, »der sein schönes Daseyn – die Liebe und herrlichen Verstand seiner Gattin, dem Vorurtheile der Ehre und einem Mörder Preis gab. Auf seinem Grabhügel unter dieser Weinlaube, die noch eine Stunde vor seinem Tode ihn in den Armen seiner Gemahlin umschloß, bitte ich täglich Gott um Vergebung seiner schweren Sünde, und flehe den Allbarmherzigen um die Genesung der schuldlosen Wittwe« – »Ach!« rief ich, »so bin ich denn in dem Garten des armen Grammont? O, wie nahe liegt hier Freude und Traurigkeit – wie nahe jene stolze Brautkammer und diese Todtengruft an einander! Ach! laßt mich mit euch beten, lieber Mönch, Hülfe für die traurig getrennte – dauerhaftes Glück für die durch euch so fröhlich Vereinten erbeten!« Der Mönch ergriff und drückte meine Hand au seine Brust; dann knieten wir beide in andächtiger Eintracht neben dem Monumente des Entleibten nieder, und als wir uns, eine gute Weile nachher, von dieser Todtenfeier erhoben, ich mit thronenden Augen auf- und über den Garten hinblickte, und es mir schien, als ob der vortretende Mond den Trauerflor von dem Eremitenhäuschen wegzöge, das einst in bessern Tagen der armen Wahnsinnigen so lieb und theuer war, und ich gern als ein himmlisches Zeichen angesehen hatte, daß unser Gebet erhört sep' – deutete ich mattlächend dahin. Der gute Mann verstand mich. Wir stiegen von der Anhöhe der Laube, der kleinen glänzenden Hütte zu, und nun, da ich davor stand und mir über dem Eingang die Worte Voltaire's, die sie, die Erbauerin, zur Aufschrift gewählt hatte, in die Augen fielen – ich mit der Sprache rang, um sie an diesem stillen Orte der Erinnerung noch einmal zu wiederholen, und bei der letzten halben Zeile est-on seul, on est sage, meinen Begleiter bedeutend anblickte, als wenn ich sagen wollte: Wer kann diese Wahrheit besser fühlen, als ein Mönch! – ach, wie gerührt wurde ich nicht durch feine Antwort! »Wollte Gott,« sagte er, »die letzte Halste des Spruchs wäre so wahr als die erste! Ach, wer kann denn mehr allein seyn, als die Arme es ist, die ihn hinschrieb? Was hat sie muthlos bis zum Wahnsinne gemacht, als Trennung – Entfernung und die Unmöglichkeit, ihr verschwundenes Glück wieder zu erlangen? – und sind nicht, mein Herr,« indem er mir die Hand drückte, »sind das nicht auch die Grundpfeiler der Klöster, und bringen sie nicht auch dieselbe Wirkung hervor?« Ich war so verlegen über diese unerwartete Aeußerung eines Dominikaners, daß Gott wissen mag, wer mir zwei Worte, die ich immer für widersprechend gehalten habe: das Glück des abgezogenen Lebens, auf die Zunge geriethen – »Das Leben,« antwortete der Mönch, »sollte nie von Thätigkeit und erlaubtem Genuß abgezogen Werders [87] denn was wäre sonst seine Bestimmung? Wenn dein Widerstand gegen wilde Neigungen nur von der Kette herkommt, die man dir anlegt, wem kann die Ehre davon gebühren, als der Kette? Ach, wie ist das Verdienst der Mönche und Nonnen so geringe! Unendlich ehrwürdiger ist mir der Mann, der in den Wellen des Lebens, wo nicht fest wie ein Fels steht, doch ihnen nur so viele freie Kraft entgegen setzt, daß sie ihn nicht ganz in den Sand spielen. O! ich kenne den Werth der Tugend, die von Versuchung entfernt ist – verstehe die Lieder der singenden Vögel, die ein Käfich umschließt – Was enthielten die Seufzer meiner Andacht von meinem achtzehnten Jahre an bis in mein funfzigstes? Löset die zärtlich frommen Empfindungen der Nonnen, die nächtlichen Gebete eines Klosterbruders auf, und Ihr werdet erschrecken! Wie kann das Zerreiben eines armen menschlichen Herzens, das aus der Werkstatt der Natur sich als einen unnützen Stein in eine Wüste verworfen fühlt, wie kann es zufrieden seyn, wie könnte es Gott gefallen! Das Glück, im Guten thätig und frohen Herzens zu seyn, genieße ich alter Mann erst seit funfzehn Jahren, mein Herr, und mußte mir es durch die Folge meiner sitzenden, und ohne mir einer andern Sünde bewußt zu seyn, als die mir zur Pflicht gemacht war – bußethuenden Lebensart – durch eine schwere Krankheit erringen, die aus Ungeduld gegen Gott und Menschen zusammengesetzt, zu dem höchsten Grade von Melancholie erwachsen war. Hoffnung der Freiheit, die mein Arzt menschenfreundlich unter seine Arzeneien zu mischen verstand, bewirkte allein meine Genesung, und auf seine Furcht vor einem Rückfalle, die er dem Pater Schatzmeister ans Herz legte, verlängerten meine Obern die Kette, die mich an ihre Stiftung band. Ich kam unter die Zahl der Wenigen, denen als Priestern einzelner Kapellen, und als Beichtvätern, oder, welches einerlei ist, als gedungenen Erbschleichern, außer dem Kloster zu leben erlaubt wird. Seit diesem sonderbar glücklichen Verhältnisse habe ich erst angefangen meiner wahren Bestimmung zu folgen, aber das Glück der Jugend – das Eingreifen der Liebe in die Zukunft, war dahin, war einem falschen Götzen aufgeopfert, und ach! kinderlos blicke ich nun in das Grab. [88] Doch lernte ich in der Freiheit, was in meiner Zelle unmöglich war – Menschen lieb gewinnen, und gewann selbst treue und würdige Freunde. Das Bette eines Kranken brachte mich mit dem edelsten von allen, mit dem Marquis von St. Sauveur in Verbindung.« – Aber hier, Eduard, will Ich das Wort nehmen, um Dir die große Seele dieses Religiosen anschaulicher zu machen, als aus seiner eigenen, nur allzubescheidenen Erzählung er hellen würde. Erst durch die zudringlichsten Fragen und durch Zusammenstellen seiner kurzen Antworten, konnte ich mir nur über seine Würde – seinen Antheil an den frohen Begebenheiten des heutigen Tages und den geheimen Zusammenhang derselben Licht verschaffen. St. Sauveur, dessen hohe thätige romantische Tugend er mir nicht beredt genug schildern konnte, brachte ihn in die Bekanntschaft von Klarens Mutter, die zwar eine religiöse Schwärmerin, aber zum Glück für die Tochter eine eben so rechtschaffene, verständige und lenksame Frau war. Sie hatte bei der schmerzhaften Geburt derselben der Maria das Gelübde gethan, sie der Entsagung des Ehestandes und dem Klosterleben zu weihen, und durch ein feierliches Testament ihr alle Mittel benommen, ein anderes zu führen. In einer solchen Lage fand der Dominikaner diese Gewissenssache, als er in dem Hause des Gouverneurs bekannt und von seiner Gemahlin zum Beichtvater gewählt wurde. Der rechtschaffene Mann nahm sich sogleich auf das heiligste vor, die Mutter von ihrer Verblendung zu heilen und das unschuldige Kind zu retten. Er bemächtigte sich der Freundschaft und des Vertrauens der Marquise, und stieg endlich in demselben so hoch, daß er es wagen konnte, ihr seine bessern Grundsätze vorzulegen; aber welche Gewandtheit, welche sanfte Beredtsamkeit mußte er nicht anwenden, um die fromme Frau nur erst bis zum Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Gelübdes – und welche List der Tugend, um sie bis zur Bereuung desselben zu bringen! Endlich gelang es seinem standhaften Eifer, den schwachen Grund in so weit zu untergraben, daß die Säule ihres Aberglaubens – wo nicht ganz einstürzte, doch um ein merkliches sank. Als er eines Morgens das kleine liebe Mädchen auf den Arm nahm, sich an [89] ihren Schmeicheleien ergötzte, ihre großen blauen Augen, ihre zum Küssen einladenden Lippen, und die herrlichen Züge betrachtete, die schon damals ihr Gesichtchen zum Verwundern erhoben, rief er bewegt: Und alle diese Kleinodien der Natur, diese Geschenke Gottes sollen dem menschlichen Glücke entzogen und lebendig vergraben werden, bis sie unter dem peinlichsten Gefühle zu Reliquien verschrumpfen! Diese Worte und die männliche Thräne, die dabei über seinen schneeweißen Bart rollte, erschütterten das mütterliche Herz. – Nun so zeigt mir, grausamer Mann, schluchzte sie, einen Ausweg aus diesem Labyrinthe, ohne meinen Eid zu brechen, und Ihr mögt es bei Gott und seiner heiligen Mutter verantworten. Ja das will ich, rief er ernst und feierlich, und brachte nun einige Tage nachher das Kodicill zu Stande, das er mit ihr verabredete, selbst aufsetzte und mit einem Eide übernahm, es unter keiner andern als den festgesetzten Bedingungen geltend zu machen, die aber immer noch schwärmerisch und durch die Möglichkeit, daß Klara auf ihrer Seite sie nicht erfüllen würde, furchtbar genug waren. Denn hätte das gute Kind, in der angeordneten Betäubung, den Wurm, der ihr Herz nagte, aus weiblicher Schwäche verhehlt – vor ihrer feierlichen Entsagung, nicht unter den Augen des Mutterbilds der Maria den Mann genannt, der ihr den Uebertritt ins klösterliche Leben so schwer mache – alle Mühe des redlichen Mönchs, das Kodicill – Brief – Ring und die Erbschaft wären für sie verloren, und dem Kloster, in das sie aus jener ländlichen Kapelle versetzt zu werden in Gefahr stand, verfallen gewesen. Daher kam die angstvolle erschütternde Beschwörung des Mönchs, daher das Schweben zwischen Furcht und Hoffnung des armen Brigadiers, der hinter dem verhängten Gitter, mit gleicher Bangigkeit wie der Flügelmann, den er vor einigen Tagen überraschte, Leben oder Tod von den Lippen seiner Geliebten erwartete. Daher ärgerte ich mich ganz umsonst über die zweideutige Voraussetzung des Dominikaners in Ansehung des Schenkungsbriefes. Die entlassene Novice wagte nichts, ihn zu bestätigen; denn er lag ja in den Domainen ihres Bräutigams und konnte nun nicht mehr in unrechte Hände fallen. Und ach! wie manche andere Dinge, die [90] ich heute Morgen ganz der Quere nahm, setzte mir diese nächtliche Unterhaltung erst ins Klare. Doch ich habe Dir noch lange nicht die Geistesgröße dieses seltenen Mönchs in ihrem ganzen Umfange dargelegt. Nach dem Tode seiner schwärmerischen Freundin widmete er alle seine Sorgfalt der verwaisten Tochter, deren gutes oder böses Schicksal in seinen Händen lag. Er sah die Rettung aus der Gefahr, die ihre Zukunft bedrohte, als den Zweck seines Daseyns an. Aber welch ein Mann! rufe ich mit der höchsten Bewunderung aus, der sich durch den langen Zeitraum, der sein Ziel verbarg, so geschickt zu winden wußte, daß der Preis seiner Anstrengung nicht verloren ging, – der so viele Menschenkenntniß besaß, um die Kräfte der verschiedenen Federn so zu berechnen und zu spannen, daß sie die beabsichtigte Wirkung hervorbrachten – der bei den Schwierigkeiten, die ihm entgegen traten, nie in der Wahl der Hülfsmittel fehl griff – und Herzen in Flammen sogar, mit solcher Behutsamkeit zu lenken verstand, daß sie, ohne seine Absicht zu ahnden, den glücklichen Ausgang seines geheimen Spiels befördern mußten. Daß er dieses alles in seiner Kutte geleistet hat, wird Dir der Verfolg meiner Erzählung beurkunden. Den Gouverneur schien das Testament seiner Gemahlin nicht weiter zu beunruhigen, so bald er hörte, daß die Vollstreckung seinem würdigen Hausfreunde übertragen war; er kannte seine Grundsätze, und merkte bald, daß es nicht ein Kloster seyn konnte, wohin er seine Pflegbefohlne zu leiten suchte. Er verabredete den Plan ihrer Erziehung mit jener trefflichen Frau, die ihre treue Begleiterin bis vor dem Altare blieb, wo auch sie durch den Preis überrascht wurde, den ihr Liebling erhielt. Er gab ihr an der Prinzeß von Montbasson und Agathen zwei liebenswürdige Gespielinnen zu, und verbarg dieß reizende Trio der Neugier und der Verführung, unter die Schatten eines frohen ländlichen Wohnsitzes, wo ihnen nur die Natur zuflüsterte, und ihre Herzen und Augen unbefangen blieben. Hier tränkte er ihre Seelen mit großen erhabenen freundschaftlichen Empfindungen, bereicherte ihren Verstand mit den schönsten Kenntnissen, übte ihre Hände in den geschätztesten Talenten, und sorgte gleich der zärtlichsten Mutter für das Gedeihen [91] ihrer aufblühenden Reize. Mit allen diesen, Klosterfrauen unnützen Vollkommenheiten, brachte er Klaren in ihrem funfzehnten Jahre dem erstaunten Vater zurück und in St. Sauveurs Bekanntschaft, den er schon längst als ihren Retter ausersehen hatte. »O der Freude, die ich damals empfand,« strömte es ihm von der begeisterten Zunge, »da ich den tiefen Eindruck bemerkte, den das schöne herrliche Kind auf sein Herz machte! Ich hatte gewonnen – Ihre gegenseitige Zuneigung stieg mit jedem Tage höher – endlich so hoch, daß sie nach meinem Wunsche einander unentbehrlich wurden. Jetzt erst, da das holde Mädchen der gebenedeiten Jungfrau schon zu weit aus den Augen war, um ihren Ruf zu hören, trat ich mit dem furchtbaren mütterlichen Testamente auf. Da ich, seitdem sie unter meiner Aufsicht stand, dessen nie mit einer Sylbe erwähnt hatte, so erschreckte sie mein unerwarteter Vortrag – ungefähr, wie ein aufgefundener Wechselbrief, den man längst für verloren gehalten und vergessen hat, ob man gleich, wenn die Zahlung gefordert wird, die Schuld nicht abläugnen kann. Jeden andern aber, der davon hörte, erschütterte diese Neuigkeit, und ich mußte sogar die gehässigsten Nachreden über mich ergehen lassen. Nur Sie, die fromme Tochter, benahm sich groß und edel, sobald der erste Schrecken vorbei war. Sie kämpfte zwar, aber nur wenig Minuten, mit der Notwendigkeit ihres kindlichen Gehorsams – empfahl sich der Barmherzigkeit Gottes, und unter einigen zärtlichen Thränen, die sie dem Andenken ihrer würdigen Mutter darzubringen glaubte, wählte sie das Kloster der Urselinerinnen, von denen ich einigemal rühmlich gesprochen hatte – Ja einige Stunden nachher konnte sie sich selbst über den Zuwachs an Vermögen freuen, den ihr guter Bruder durch ihre Annahme des Schleiers erhalten, und mit ihrer geliebten Montbasson in glücklicher Zufriedenheit genießen würde. Der Marquis, der diese Nachricht durch einen Brief erfahren hatte, schickte mir einen Wagen mit sechs rauchenden Pferden, die mich abholen und auf seinen Landsitz bringen mußten. Ich fand ihn – diesen sonst so muthvollen Mann, niedergeschlagener als ein Kind, und der hohe Grad von Wehmuth, der über sein ganzes Wesen verbreitet war, hätte [92] wohl jedes andere Herz als das meinige, das so freundschaftlich für ihn schlägt, zum tiefsten Mitleiden bewegen müssen – Mein Freund, wimmerte er mir thränend entgegen: – aber es war mir nicht möglich, ihn weiter fortjammern zu lassen – Ich unterbrach ihn mit einer so gelassenen Miene – mit einem so viel versprechenden beruhigenden Händedruck – daß ihn sogleich aus der Dunkelheit meines Auftrags ein Strahl der Hoffnung überschimmerte – Kleinlaut fragte er mich: Darf ich den Engel noch fortlieben? Ich bejahte es. Darf auch Sie? Ich schwieg: aber ich bat ihn um einen Platz zur Errichtung einer Kapelle – Er bewilligte es mit einem starren Blick – Ich hatte schon längst seinen Steinbruch umgangen und gemessen, und überreichte ihm jetzt meinen Plan zur Einrichtung – Er billigte alles, sobald er auf der Waldseite den Eingang in die Kapelle, auf der andern den Balkon mit der Treppe in seinen Park erblickte. Er umarmte mich einmal über das andere – hielt sich eine ganze Weile die Hände vor die Augen – überrechnete die Zeit bis zum Geburtstage des Fräuleins, kritzelte in der Geschwindigkeit einen Brief an den berühmtesten Baumeister in Marseille – riß mir meinen Plan aus den Händen, und befahl dem Haufen seiner Bedienten, alle mögliche Maurer und Zimmerleute, die sie auftreiben könnten, für doppeltes Tagelohn anzuwerben. Wie schlug mir das Herz bei dieser leidenschaftlichen Heftigkeit, indem ich daran dachte, daß es zwar nicht wahrscheinlich, aber doch möglich sei, daß Klara in dem entscheidenden Augenblicke verstummte; und auch bei ihm trat bald nachher die Furcht der Ungewißheit an die Stelle der kleinen Hoffnung, die ihm mein Händedruck mitgetheilt hatte. Ich konnte und durfte ihn nur mit halben Worten trösten, und verließ ihn endlich mit der ernstlichen Bitte, Klaren in ihrem jetzigen Traume nicht zu stören, nie mit ihr von seiner Liebe zu sprechen, sie weniger zu sehen, und das übrige der Zeit und der Hand Gottes anheim zu geben. Eine viel größere Sorge hat mir die edle Montbasson durch ihren schnellen Entschluß gemacht, der Freundschaft das große Opfer ihrer Liebe zu bringen. Sie bekam auf einmal eine Abneigung gegen den Bruder, der sich durch das Unglück seiner [93] Schwester, wofür sie es ansah, bereichern sollte. Durfte ich ihr wohl entdecken, wie großmüthig er gehandelt hatte, sobald er die Klausel in dem Testamente erfuhr? Mußte ich nicht fürchten, daß die heroische That einer Jugendfreundin einen nachtheiligen Eindruck für St. Sauveurs Liebe auf Klarens Herz machen würde? Ich bat Gott inbrünstig um Weisheit zur Leitung dieses so verwickelten Geschäfts – theilte meine ganze Aufmerksamkeit zwischen beide Freundinnen, belauschte das in zärtlich freundschaftlicher Wehmuth dahin schmelzende Herz der einen, und rief St. Sauveur zu Hülfe, wenn es sich ganz für ihn verlaufen wollte, und half der gewaltsam unterdrückten Liebe der andern, ohne daß sie es ahnden konnte, wieder in die Höh', und da sie dennoch auf ihrer religiösen Schwärmerei blieb, setzte ich meine ganze Hoffnung auf den Ausgang des heutigen Festes, dem sie selbst den eifrigsten Wunsch äußerte als Choristin beizuwohnen – als sie hörte, daß ich eine Kapelle der heiligen Ursula durch Klarens Eintritt in das Noviciat einweihen würde. Sie erbat sich von der Aebtissin die Erlaubniß dazu, in der gewissen Hoffnung, gleich nach der Ceremonie mit ihrer Busenfreundin zurückzukehren, und sie bei den Klosterschwestern einzuführen. O wie unendlich hat mich Gott für die Sorge belohnt, die ich für diese herrlichen Geschöpfe getragen habe! Die vielen bänglichen Jahre, die vorangingen, liegen jetzt so vergessen hinter mir, als ob sie nie da gewesen wären, und meine Seligkeit, scheint es mir, hat mit dem heutigen Tage ihren Anfang genommen.« »O lieber, biederer, großmüthiger Mann,« rief ich aus, als er schwieg, »möge Gott doch noch lange Euer ehrwürdiges Leben fristen, und Euch noch oft auf die Spur bringen, arme Verirrte und Verlockte zu ihrem wahren Beruf zurückzuführen!« Ich fiel ihm, als wir an das Gartenthor kamen, um den Hals, bat um seinen Segen – schlug aber, statt ihn hinaus zu begleiten, aus einem eigenen Gefühl, den Feldweg ein, den ich gekommen war. Nach dem Kapuziner auf der Galeere war er der zweite Mönch, den ich umarmte, und ich kann Wohl sagen, herzlicher noch als jenen. Sie verdienen beide die Bewunderung fühlbarer Seelen – aber welcher verdient sie wohl mehr? Jener, der Unglückliche [94] bei dem Bewußtseyn ihrer Schuld vor Verzweiflung bewahrt, oder dieser, der Unschuldige von einem moralischen Tode rettet? Gott mag entscheiden, ich kann es nicht. Ach, mit welchen herzerhebenden ganz andern Empfindungen – selbst der glückliche St. Sauveur, dächte ich, müßte mich darum beneiden – überstieg ich jetzt zum zweitenmal den Gartenzaun! O der Mensch ist nicht so bösartig, als man ihn gewöhnlich ausschreit, oder er sich oft selbst hält! Er sucht zwar nicht gern die Scenen auf, die sein Herz rühren und bessern könnten, aber führt ihn der Zufall dahin, so hängt er sich leidenschaftlicher daran, als an seine strafbaren Irrthümer. Schon traten, als ich mich dem Park näherte, die verbleichten Bilder der Natur hinter dem grauen Vorhang, der sie verbarg, farbig wieder hervor. Das Säuseln des Erwachens – der Gesang des Lebens – die Freude des Wiedersehens – die Auferstehung eines neuen Tags begann. Wie möchtest du jetzt an dein Bette denken, sagte ich zu mir selbst, und wenn es Agathens Reize umschlösse, ich würde mein Herz zuvor durch den Anblick der aufgehenden Sonne erwärmen, ehe sich meine Augen in den ihrigen berauschten; und wäre es der fröhlichste Bürger der Erde, der ungeduldig anklopfte, er müßte warten, bis ich seinen Schöpfer begrüßt, und in dem Meere seines Lichts meinen Bildungstrieb gereinigt hätte. Ich lagerte mich an den Stamm einer Balsamfichte, und erwartete das große Schauspiel mit dem Entzücken, das ich schon kannte. Die Wolken zerflossen – der Mond verblich – die Sterne verloschen, und nun schwenkte sich das gebietende Gestirn aus der Unterwelt über unsern Erdball, ergoß seinen Lichtstrahl und wirkte. Mein Auge spiegelte sich in den Thautropfen, die, wie reine Herzen, wenn sie brechen wollen, noch einmal aufschimmerten und verdunsteten. Unwillkürlich streckten sich meine Arme dem Wunderballe entgegen, der an den Bergsaum heraufrollte, und der Drang hoher Empfindung suchte einen Ausweg über die lallenden Lippen: Ach wo, rief ich in meinem Entzücken – wo gäb' es in der Natur einen Gegenstand, der rührender an das menschliche Herz spräche? und hörte hinter mir rufen: Hier! Betroffen sah ich mich um, und Saint-Sauveur und Klara, [95] an seine Brust gelehnt, waren es, die mich behorcht hatten – »O Ihr habt Recht,« sprang ich von meinem Sitze auf – »ihr trefflichen Menschen! Eure Liebe ist rührender, ist edler noch, als der Glanz der Sonne.« Sanft lächelnd gaben sie sich meiner Betrachtung Preis, und mein Blick weidete sich an dem für ein unschuldiges Herz erstaunlichen Bewußtseyn, das in den Augen des jungen Weibes lag. Wer hätte in Anschauung ihrer nicht alles vergessen – welcher Firniß seliger Gefühle überglänzte nicht ihr verschämtes Gesicht – wie sanft verlor sich nicht ihr Nachdenken in der Glorie des ersten anbrechenden Tages ihrer großen Errettung – wie freundlich spielte nicht sein Strahl um ihren in frohlockenden Dankgebeten schwellenden Busen, der unter blaßrothen Schleifen eines weißen Gewandes, sich allen Blicken noch eben so schüchtern als gestern unter dem Nonnenschleier verbarg. So verschließt die Nachtviole jedem Lichtstrahle ihren duftenden Kelch – hüllt sich in den Instinkt ihrer angebornen Würde, und öffnet ihren Wohlgeruch nur den verschwiegenen Schatten. Doch in welches poetische Labyrinth verlockt mich nicht dieses herrliche Weib! Ich könnte alle Blumenbeete durchstöbern, und würde doch die schönste nicht bedeutend genug finden, um Dir ihre – so weit von Berlinischem Prunk abstehende Grazie zu versinnlichen. Saint-Sauveur fühlte sein Glück und mit Recht unendlich stärker als ich – senkte schweigend sein gerührtes Auge auf die holde Gestalt, die zu ihm auf lächelte, und schien sich in dem ruhigen Stolze seines Gelingens für einen Gott zu halten, dem ein seliger Engel in dem Arme liegt. Als die Sonne höher trat und blendete, wand sich das reizende junge Weib, wie ein bittendes Kind, aus den zögernden Händen ihres tändelnden Freundes. – Er träumte ihr einige Augenblicke nach, dann nahm er mich bei der Hand. »Ich bin nun diesen Morgen ganz dein, Wilhelm!« sagte er. »Laß uns das Thal durchstreichen, und hilf mir nur Einen Menschen in der weiten Welt entdecken, der glücklicher ist als ich, damit sich nicht Uebermuth meiner bemeistere.« Unvermerkt leitete ihn der Hang seines Herzens zuerst auf unserm Spaziergange nach dem Janustempel, der ihm seit gestern nach seinem Brautbette wohl [96] der liebste Fleck der Erde geworden ist. Während er nun unter der zierlichen Wölbung nur die einzelnen Stellen aufzusuchen schien, über die Klarens Füße geschwebt hatten, wo sie saß, zitterte, weinte und ohnmächtig ward, verbreitete sich meine Bewunderung über das einfache schöne Ganze. »Ich sehe wohl,« rief ich endlich lachend meinem Freunde zu, »daß du über die Benutzung dieses Juwels von Felsen nicht nöthig hattest, weder mich noch meinen alten Lehrer der Baukunst, den ehrlichen Sperling, zu Rathe zu ziehen« – »Wie?« unterbrach er mich ganz betroffen, »heißt denn der alte Gurkenmaler so, der an dem Hafen wohnt?« »Ja wohl,« sagte ich, »aber er hat seinen deutschen Namen ins Italienische übersetzt, seitdem er hier ist« – »Das thut mir sehr leid,« versetzte Saint-Sauveur, »denn, wenn mich mein Gedächtniß nicht ganz betrügt, so habe ich schon mehrmalen nach demselben Manne Steckbriefe in den Berliner Zeitungen gelesen, die ich bloß eures Königs wegen noch halte« – »Nach Theodor Sperling?« – »Ja gerade nach diesem« – »Unmöglich,« fuhr ich fort, »dieser, zwar als Künstler sehr unbedeutend, ist jedoch die ehrlichste Haut, die ich kenne, und wahrlich auch nicht verschmitzt genug, der preußischen Polizei zu entwischen – Du irrst dich, lieber Mann!« – »Nun das ist leicht zu erörtern,« antwortete er sehr bestimmt, und befahl dem Bedienten, der uns von weitem nachgetreten war, nur die zwei letzten Monate der deutschen Zeitung bei seinem Kutscher zu holen, der sie aus Vaterlandsliebe sammelt. Mittlerweile geriethen wir in ein Gespräch, das mir mit jeder Minute wichtiger ward. Saint-Sauveur zeigte mir von weitem in seiner magischen Laterne den Plan, den er angelegt hatte, um den ohnehin glücklichsten Sommer seines Lebens durch Hülfe der Kunst, der Natur und seines Ueberraschungssystems noch mehr zu erhöhen. »Die nächsten acht Tage,« sagte er, »bleiben wir in diesem Freudenthale beisammen – dann schwinge ich mich mit Klaren – wie Vertumnus und Pomona, auf das erfrischende Hochgebirge meines Stammguts. Mein Ahnherr, der diese romantische Burg erbaut und mit unserm Geschlechtsnamen beehrt hat, muß die Gabe besessen haben in die fernste Zukunft zu blicken, und mich unter seinen Nachkommen [97] seines Schutzes am würdigsten zu halten, so genau paßt das Ideal, das ihn beim Anbau jener Gegend leitete, zu meinen glücklichen Verhältnissen. Hast du nicht in einem gewissen Mährchen von einem Schlosse gelesen, das ein Zauberer aus Feldsteinen zusammensetzte, und die hundert Säle und Zimmer darin allen den Rittern Preis gab, die in der Folge der Zeit dort absteigen und einsprechen würden – eine einzige himmelblaue Rotunde ausgenommen, die nur dem glücklichen Sterblichen zu öffnen erlaubt und möglich war, der seinem alten Feinde, dem Schwarzkünstler auf den sieben Hügeln, den von ihm so oft mißbrauchten Talisman der wahren Seligkeit rauben, und in jene Freistätte flüchten würde. In derselben Minute, setzt das Mährchen hinzu, wo er dort den geretteten Ring an den Finger steckt – überziehen sich die grauen Mauern mit Smaragden – die himmelblaue Rotunde prangt in ätherischem Feuer, er hört die Harmonie der Sphären – athmet nur Wohlgeruch, erfaßt, wo er hingreift, nur Lilien und Rosen, und seine fünf Sinne kommen ihm als so viele Thore vor, durch die Schaaren von Liebesengeln auf sein Herz eindringen. Dieses Luftgebäude der Phantasie nun – gehört in der Wirklichkeit mir zu – der Eroberer des Kleinodes, dem alle diese Wunder ankleben, bin ich, und unter Klarens Anblick werden sich jene Feldsteine meiner Burg in Bergkrystalle – Rubinen und Amethyste verwandeln – Komm mit uns, lieber Wilhelm, sieh und bewundere mit eigenen Augen die Wirkungen des Talismans, dessen ich mich, glücklicher als alle meine Vorfahren, bemächtigt habe. Meine Säle – Zimmer – Küchen und Keller stehen jedem Rittersmanne offen, bis auf die himmelblaue Rotunde, die mein Ahnherr mir ausschließlich vererbt hat.« Man mag sagen was man will, ein Feenmährchen hat seine eigenen Verdienste – es erwärmt, es befeuchtet bei Kleinen und Großen das kalte oder vertrocknete Gehirn. Kinder – um nur bei ihnen stehen zu bleiben – vergessen Essen und Trinken darüber, wenn ihnen nur kein Zuckerbrot in die Nähe kommt; aber auch dann noch leiht die einmal erregte Phantasie der Wirklichkeit einen Reiz mehr, der ihr abgeht. Es dünkt den Kleinen von der wohlthätigen Hand eines [98] Salamanders gebacken, und schmeckt und bekommt ihnen nur desto besser. So ging es gerade auch mir. Ich folgte dem Feenmährchen meines Freundes mit kindischer Neugierde – ließ den kleinen Anspielungen auf seine wahre Geschichte alle Gerechtigkeit widerfahren, und sein Bergschloß sammt den Rittersälen – sein Talisman und die himmelblaue Rotunde gefielen mir ganz wohl, aber so anlockend konnten sie doch für einen verständigen Mann nicht seyn, daß er darüber seine Rückreise ins Vaterland nur um einen Tag – geschweige einen ganzen Sommer verschieben sollte. Da Freund Saint-Sauveur sah, daß seine Bildersprache nicht wirkte, ging er zur schlichten Prose über. »Meine dortigen Besitzungen,« sagte er, »gehören in allem Ernst zu den angenehmsten in Frankreich. Sie sind mit Wäldern durchflochten, wie du sie liebst – das Klima ist ganz deutsch – die Luft gesund – die Natur groß, fruchtbar, heiter und wohlthätig, und mit meinen romantischen Anlagen wirst du zufrieden seyn.« Das mag wohl alles seinen Werth haben, dachte ich, aber treffe ich es denn nicht auch in Deutschland wieder an? Es ist eine eigene Sache mit dem Heimweh – ich überhörte nochmals seine freundschaftliche Einladung, und blieb unerschütterlich bei meinem Vorsatze – aber jetzt rückte er mir das Zuckerbrot unter die Augen. »Auch Agathe wird uns begleiten,« warf er noch am Schluß seiner Rede so hin ... und nun verrieth sich das Kind mit seiner ganzen Schwäche auf einmal. Ich stutzte – doch länger nicht, als ich Zeit zu dem pfeilschnellen Gedanken brauchte, welche Lust es seyn müßte, in den dortigen herrlichen Wäldern, Agathen am Arme, zu wandeln – der Vorzeit in den alten Rittersälen mit ihr nachzuspüren und ihre Meinung über die himmelblaue Rotunde zu hören. Mag doch aus meinem Vaterlande werden was Gott will! – dort komme ich immer noch zeitig genug an, und ohne mich länger zu besinnen, gab ich mein Jawort zweimal hinter einander. Indem brachte der Bediente das Pakt Zeitungen, ich schob es in die Tasche, ohne es anzusehen. Mein Freund hatte mich in eine Gegend verzaubert, aus der ich mich nicht wieder wegbringen konnte. Er mußte mir alles auf das genaueste vormalen und [99] beschreiben – Alle Winkel in seiner Burg waren mir lieb geworden, und ich hätte mich mit Agathen finden wollen wie zu Hause. Wäre ich in diesem Momente vom Schlage gerührt worden, o Gott, wie viele köstliche Aussichten des Lebens – welche süße Erwartungen hätte ich verloren! Das geschah nun zwar nicht, dafür traf mich aber eine andere Widerwärtigkeit, die jener nichts nachgab. Man händigte mir – und die Rede blieb mir im Munde stecken – einen Brief ein, den eben eine Stafette gebracht habe. »Gieb acht,« erschreckte mich Saint-Sauveur, »die Unwissenheit der Berlinischen Aerzte hat gesiegt – Euer großer Friedrich wird dahin seyn, und dann erbarme sich Gott deines Vaterlandes« – Ich riß den Umschlag auf – las – erblaßte, als ob er es errathen hätte – und nun reichte ich ihm das elende Geschreibe zu seiner Beruhigung hin – Mit der meinigen war es vorbei. Ich setzte mich auf eine Altarstufe und hing den Kopf. »Was zum Henker hast du da für eine Korrespondentin,« fragte Saint-Sauveur, als er die Unterschrift zuerst ansah – »Elektra? – dermalen auf dem Jahrmarkt zu Montpellier?« – Ich gab ihm Aufschluß so gut ich konnte – aber jede Zeile, die er weiter las, nöthigte ihn zu einer neuen Frage, die endlich, zusammen genommen, ein Verhör bildeten, wobei ich selbst nur zu sehr fühlte, wie albern ich aussah – »Du hast also deine Livreen auf dem Trödel gekauft? Schmuck von Werth darin gefunden? und ihn seinem Eigenthümer nicht wieder gegeben? und darüber, wie ich sehe, zwei ehrliche Kerle – als Mörder der entlaufenen Bursche, die vorher die Kleider trugen, in Ketten und Banden gebracht? – Die Frau meldet, das Gericht bedrohe beide Brüder mit der Tortur – und – es ist schrecklich, gäbe ihnen nur drei Tage Zeit, ihre Unschuld entweder darzuthun, oder sich auf den Galgen gefaßt zu machen. Welchen fatalen Handel hast du dir da zugezogen, lieber Wilhelm, und was gedenkst du nun anzufangen?« Ich hockte vor dem Marquis wie ein armer Sünder – gab ihm kleinlaut über alles Bescheid – gestand ihm aufrichtig die Schuld meines unverzeihlichen Leichtsinns und bat um seinen guten Rath. Er that mancherlei Vorschläge, die er aber ihrer Weitläuftigkeit [100] – Unsicherheit oder möglicher Zufälle halber, eben so bald wieder zurücknahm. Nach langem Hin- und Herreden blieb mir nichts übrig, als um seine Pferde und Wagen bis Marseille zu bitten, von da ich Post nach Montpellier nehmen wollte, um die Sache durch meine eigene Gegenwart ins rechte Gleis zu bringen. Der menschenfreundliche Mann war selbst zu betroffen, zwei Unschuldige, meiner Thorheit wegen, in der Todesangst schwitzen zu sehen, und kannte die Geschwindigkeit der französischen Justiz viel zu gut, als daß ihm sein Gewissen erlaubte, mich aufzuhalten – »Willst du nicht wenigstens vorher in unserer Gesellschaft frühstücken?« fragte er zuletzt – »In Eurer vortrefflichen Gesellschaft?« jammerte ich, »ach erinnere mich nicht daran, was ich alles hier verliere – Wo sollte mir die Eßlust herkommen? Muß ich nicht eilen, um fortzukommen, da es die Ruhe und das Leben zweier schuldlosen Menschen gilt?« Hierauf ließ sich nichts erwiedern – Er bestellte sogleich die Pferde, und wünschte nur, daß meine Reise glücklich seyn, und ich bald von Montpellier zurückkommen möchte. – »Freund,« fiel ich ihm ernst ins Wort – »alle die frohen Tage, um die ich mich bringe, sind mir eine harte – aber wohlverdiente Strafe. Sei gerecht und suche sie nicht zu mäßigen! Von Montpellier habe ich fast eben so weit nach deiner Burg als zu der deutschen Gränze. Laß mich also immer den Weg, auf den mich meine einfältigen Streiche gebracht haben – nach der Heimath fortsetzen! Aber höre noch, was dir mein Herz vorzutragen hat – die Zeit ist zu edel, um es mit Umschweifen zu thun. Versprich mir, lieber Saint-Sauveur« – und ich flog ihm an den Hals – »daß du Agathen für mich aufheben willst – und gewiß umarme ich dich eher wieder, als du denkst – Frankreich soll mir alsdann von Berlin nur ein Katzensprung seyn – dort bleibe ich nur so lange, als Noth ist, um meine Bücher – Kupferstiche und andere Kleinigkeiten zu verkaufen – dem besten meiner deutschen Freunde schenke ich meinen Gypskopf und meine Scheibensammlung – und wenn ich mich so leicht gemacht habe, wie ein Vogel – fliege ich fort und bin der eurige auf ewig. O daß ich dir die Lücke deines Grammont ersetzen möchte! – Glaubst [101] du nicht, lieber Saint-Sauveur, daß mir Agathe ein wenig gut werden könnte, wenn ich erst mehr um sie bin?« »Darüber,« antwortete der behutsame Mann, »behalte ich mir vor dir zu schreiben – Traue übrigens in deiner Herzensangelegenheit meiner Freundschaft und dem Wunsche, einen solchen Sonderling, wie du bist, in meiner Nähe zu haben.« Indem kam der Wagen vor das Portal des Janustempels angefahren. Hochbewegt umarmte ich meinen theuern Freund. »In der Hoffnung des baldigsten und glücklichsten Wiedersehens,« schluchzte ich ihm vor, »vergiß um Gotteswillen meinen Auftrag nicht! – Sage deiner lieben Gesellschaft guten Morgen von mir und lebe – lebe wohl!« Ich warf mich unter einem Erguß zärtlicher Thränen von einer ganz eigenen Mischung in die Chaise. Als sie ein wenig verlaufen waren, gesellten sich allerlei Betrachtungen zu mir, die eine trat mir vorzüglich an das Herz. Während Bastian – überrechnete ich – ein- und aufpackt, hast du wohl noch Zeit, deinen immer verschobenen Besuch in dem Tollhause abzulegen – denn wie möchtest du diese Gegend verlassen, ohne die bedauernswürdige Frau kennen zu lernen, für die du vergangene Nacht auf dem Grabe ihres entleibten Gatten so inbrünstig gebetet hast. Ich äußerte gegen meinen Landsmann den Wunsch, wenn es möglich wäre, noch vor neun Uhr in der Stadt zu seyn – »Möglich?« drehte er sich zu mir, »ich verspreche es Ihnen um eine ganze Stunde früher.« Er theilte seinen Diensteifer durch ein paar tüchtige Peitschenhiebe seinen vier Rappen mit, und hielt so gut Wort, daß er mich sogar einige Minuten eher, als er versprochen hatte, vor den heiligen Geist brachte. Es traf sich alles nach Wunsch. Bastian war zu Hause und Passerino bei ihm zum Frühstücke. Kaum waren sie von meiner ernsthaften Angelegenheit unterrichtet, so traten beide zu meinem Dienste zusammen – der Maler besorgte die Postpferde – Bastian das Einpacken, inzwischen ich die freien Augenblicke benutzt und Dir erzählt habe, durch welche sonderbare Verkettung der Umstände – um nur das geringste zu erwähnen, die vergangene Nacht mit einem Theile des heutigen Morgens so verschmelzt wurde, daß sich sogar darüber zum erstenmal in meinem [102] chronologischen Tagebuche der gewöhnliche Abschnitt der Zeit verrückt hat. In den meisten Geschichten scheint es mir zwar sehr gleichgültig – wie die Uhr stand, als die Sache vorfiel, wenn sie nur wahr ist. Hier aber ist es nicht so ganz einerlei, und wenn sich nicht das eine aus dem andern natürlich erklären ließe, müßte es doch wohl jedermann auffallen, daß ich eben so schmuck, als ich gestern von der Hochzeit kam, heute bei Narren auftrete. Wo hätte ich die Zeit hernehmen sollen mich umzukleiden? Passerino hat sich Bleistifte von allen Farben – Bastian einige Pfunde Schnupftabak zum Austheilen unter die armen Preßhaften geholt, und so gehen wir nun – kecker vielleicht, als wir sollten – dem belehrenden Schauspiele entgegen, das Thorheit und Raserei der ihnen nur zu nah verwandten menschlichen Vernunft zu gute geben.


Den 25sten Februar.


In ein kleines, ruhiges, mit einer dunkeln Lampe erleuchtetes Stübchen verwiesen, sitze ich hier in einem ländlichen Posthause, zwei Stationen von der betäubenden Hauptstadt – denn weiter konnte ich heute nicht kommen – und blicke meinem abgelaufenen Tage in einer Gemüthsstimmung nach, wie ich sie mir nur, bei dem letzten herabrieselnden Sandkörnchen meines Stundenglases, zum Ueberschwung in die Ewigkeit wünschen kann. Ich habe die, selbst in ihrer Verrückung noch, unübertreffliche Frau gesehen, gehört, bejammert und angebetet. Wären ihr alle Verstandesberaubte gleich, so würde ich die mahomedanische religiöse Verehrung derselben ohne Bedenken in meine Glaubensartikel aufnehmen. Doch gemach! Wir müssen erst, lieber Eduard, einen langen sauern Weg zurücklegen, ehe wir in die verschwiegene Halle gelangen, die diese Heilige von der großen lärmenden Gesellschaft gemeiner Unsinniger scheidet. Ich ließ mich bei ihrem Vorsteher als einen Freund des Marquis ansagen. Er empfing mich schon darum mit vieler Achtung, die schnell in Zutrauen überging, da meine Eigenliebe ihm nicht verschweigen konnte, daß ich dem großen Feste, von dem ich eben zurückkäme, als der einzige Fremde beigewohnt hätte: denn es ist unglaublich, was der kleinste Beweis von Auszeichnung, [103] mit welcher St. Sauveur jemanden beehrt, in den Augen der Rechtschaffnen für einen Glanz auf ihn zurückwirft. Unter diese Zahl gehört Herr Filbert unstreitig, ein Name, der zwar von keinem Stammbaume beschattet wird, den ich aber in den meinigen vor vielen andern aufnehmen möchte, die, stiftmäßig, ihr Leben in Spiel-, Trunk- und Theegesellschaften vergeuden. Er habe sich, sagte er, um seine nichts weniger als anlockende Stelle beworben, die seiner Mutter Bruder aber, trotz ihrem geringen Schimmer, zu einem wahren Ehrenposten erhoben hätte. Ich zog den Hut ab, als er mir auf mein Befragen nach dem Namen seines Oheims den edeln Howard nannte. »Wenn ich etwas Gutes in meinem beschwerlichen Amte bewirke, so verdanke ich es dem Stolze, einem solchen Blutsfreunde nachzueifern, den ich ganz jung kennen lernte, als er die hiesigen Gefängnisse und Armenhäuser besuchte. Ich habe, wie er, nicht die Phantasien der Weltweisen, sondern der Narren studirt – nicht die Kunst, Paläste anzulegen und zu verzieren, sondern bequeme Kerker zu bauen, und mit gesunder Luft zu füllen, ihm abgelernt, werde der Nachwelt so wenig, als er, eine verbesserte Taktik – wirksamere Mordgewehre, oder neue Plane zu Lotterien und Auflagen – aber der Menschlichkeit in einer Wissenschaft, die noch sehr im Finstern liegt, hellere Augengläser vererben. Diese Anstrengung meiner wenigen Kräfte glaube ich dem Ruhme meines Oheims schuldig zu seyn.« Es ist gut, Eduard, daß die Natur durch das Hirngespinst körperlicher Verwandtschaft manchmal auch noch eine geistige stiftet, so wie der leere Schall eines Namens, den ein berühmter Vorfahr auf uns gebracht hat, selbst bei dem Unvermögen, ihn zu erhöhen, uns doch gewiß abhalten wird, ihn verächtlich zu machen. Ein Namensvetter von Howard oder Filbert könnte, dächte ich, kein unnützer Weltbürger werden. Meine Begriffe sind gewiß von dem Verdienste eines Monarchen nicht klein, der seine Staaten in Ruhe zu erhalten und das Glas voll gährender Hefen so geschickt zu tragen versteht, daß es weder zerbricht noch überläuft; wenn aber die Behauptung wahr ist, daß ein Haufe verschobener Köpfe schwerer zu behandeln sei, als eine [104] Armee, die, da sie aus lauter klugen in eine Masse zusammen gezwängt ist, geduldig dem Winke eines Lappens folgt, den ihr Gebieter ihnen zur Hetze auf eine andere Menschenmasse vortragen läßt, die er – ihren Feind nennt: – so sollte es beinah scheinen, als ob das Regenten-Verdienst eines Narrenwärters mehr besage, als das eines Fürsten. Nach besserer Ueberlegung halte ich jedoch dafür, daß die Regierungskunst des einen wie des andern auf einerlei Grundpfeilern beruhe, und die einfachen Mittel, die Filbert gebraucht, um seine tobende Republik in Gehorsam und Ordnung zu erhalten, dieselben sind, die unser Friedrich, nur nach einem größern Maßstabe, anwendet. »Ich bändige,« sagte er, »durch Hunger – belohne durch die Freude der Sättigung, und lasse übrigens in gleichgültigen Dingen jedem tollen Kopfe das Spielwerk seiner Laune. Sie werden mich sogleich deutlicher verstehen, mein Herr.«

Er führte mich nun in die erste der vier Abtheilungen, die in einem weitläufigen Bezirke die verschiedenen Klassen dieser Brüdergemeine von einander sondern. Wenn Apollo einmal einem Dichterchor sichtbar erschiene, schwerlich könnte er von feurigern Augen bewillkommt werden, als hier aus einem Dutzend finstrer Behälter meinem Begleiter entgegenfunkelten. »Nach was,« fragte ich, »strecken diese Rasenden ihre Hände so weit aus ihren Gittern?« »Nach Federn, Tinte und Papier,« war seine Antwort, »sie würden aber bald die ganze milde Kasse gesprengt haben, wenn ich ihnen hierin immer zu Willen stände. Diesen Hof, mein Herr, habe ich nur den Genies der Gesellschaft eingeräumt, die meiner Aufsicht um deßwillen am nächsten sind, weil sie ihrer am meisten bedürfen. Sie taugen durchaus in keine andere Abtheilung, denn sie würden jeden Narren, der nicht mit ihnen auf derselben Höhe steht, nur noch närrischer machen. Hier hält das Excentrische des Einen den Unsinn des Andern im Gleichgewicht. Die Nachwelt ist zwar das allgemeine Steckenpferd, das sie reiten, und die Minderjährigkeit des Zeitalters ihre ewige Klage.« »Da sie aber,« wendete ich ihm ein, »einander meistens in die Fenster sehen können, wie ich bemerke, so dächte ich, müßte bei gleichen Forderungen [105] ein unaufhörlicher Zwist unter ihnen herrschen, dessen Ausbruch nur die stärksten Ketten hindern können.« »Dafür habe ich gesorgt,« erwiederte der Aufseher. »Es giebt der Wege zur Unsterblichkeit so viele! und indem ich hier dem Tragödien-Schreiber einen Systematiker – dort dem medicinischen Freigeist einen Sternseher – weiter unten dem Goldkoch einen Heldensänger, und am Ende des Hofs dem Weltverbesserer einen Liederdichter gegen über gesetzt habe, lachen die einen über die andern, und treffen sich nie in einem Gleise zusammen. Jeder verführt ruhig seine Waare der Ewigkeit zu, ohne sich um die Ladung des Gegenüberstehenden zu bekümmern. In ihrer Kost sind sie sehr genügsam; desto gieriger aber nach gelehrten Zeitungen, und ich kann allemal aus der rasselnden Kette des einen, oder der schäumenden Wuth des andern abnehmen, wenn einer ihrer Zunft in dem neusten Blatte gelobt ist. Deßhalb lasse ich seit einiger Zeit nur ein gewisses Journal, seiner herabwürdigenden Urtheile wegen, unter diesen Herren cirkuliren, und kann dem Herausgeber nicht genug dafür danken: denn es scheint nur für Narren geschrieben zu seyn, und beruhigt die meinigen außerordentlich. Auf lucida intervalla darf ich nicht eher bei ihnen rechnen, als bis ein Licht in der gelehrten Welt verlischt. Es ist, als ob sie nach einer solchen Anzeige mehr Luft bekämen: denn jeder berühmte Mann scheint ihnen den Raum zu verengen. Könnte sie ein Schlagfluß alle auf einmal tödten, ich glaube, den Tag nachher bekämen diese gelbsüchtigen Thoren alle wieder gesunde Farbe.« »Dürfte ich wohl,« fragte ich, und winkte Bastianen, »diesen Herren einen Theil meines mitgebrachten Geschenkes anbieten?« »O,« antwortete mein Führer, »Sie können es nirgends zweckmäßiger anwenden – nur erwarten Sie keinen Dank dafür – denn so weit reinigt die stärkste Niesewurz ihr Gehirn nie.« – Indem rief mir der Tragikus mit ironischem Ingrimm und mit einem Blick zu – nein, Lucan hat der Furie, die ein Nest Schlangen zerdrückt, während der Sohn des Pompejus sie um den Ausgang der Pharsalischen Schlacht befragt, keinen erschrecklichern gegeben – »Steht der junge Herr dort« – rief er – »etwa auch in dem Wahn, ein Dichter der ersten Klasse [106] zu seyn?« – »Gott bewahre mich,« rief ich äußerst erschrocken, »vor einem so übermüthigen Einfalle,« und beschwor Herrn Filbert, mich aus der Nähe dieses groben Narren zu bringen. –

Die anstoßende Abtheilung war still wie das Grab. »Sie verwahrt,« sagte Filbert, »ehemals gute, nützliche Bürger, die durch äußere unglückliche Zufälle in hülflosen Blödsinn gerathen, und auf ihrem harten Strohlager einer bessern Zukunft entgegen träumen. Das Mitleid wird zu sehr gespannt, um hier zu verweilen; doch werfen Sie immer im Durchgehn einen Blick in die mittlere Zelle, weil Sie bald die Mutter des jungen Mannes, der hier eingesperrt ist, sehen und hören werden. Er ahndet nicht, daß er der Grausamen so nahe wohnt, die, um es kurz zu sagen, ihn durch ihr Beispiel verdorben, durch ihre Lehren zur Verschwendung seiner Jugendkräfte, zum Mißbrauche seines guten Verstandes gereizt und in dieß Elend gebracht hat – eine Geschichte von gewöhnlichem Ursprung und entsetzlichem Ausgange.

Sein Vater – ein reicher Banquier – sonst höchst behutsam in seinen Unternehmungen, – war es nur nicht in der Wahl seiner Gattin. Er blickte aus seinem Komtoir in die junge weibliche Welt, wie in ein Waarenlager, und suchte sich das Mädchen aus, das einstimmig unter den Kennern für die Reizendste erklärt wurde. Stolz führte er sie bald als sein Eigenthum durch die Reihe ihrer Anbeter – glaubte ein unschätzbares Kleinod erhandelt zu haben, ohne zu bedenken, daß es keins in der Ehe giebt, wenn es sich nicht selbst zu schätzen weiß. Das wußte seine junge Frau so wenig, wie der Diamant des großen Moguls – und Er – wenn er nur seine Geldkasten unter dem Schlüssel hatte, glaubte alles in seinem Hause verschlossen. Während er gekrümmt an seinem Schreibetische saß – hatte er kein Arges auf die Bälle, Redouten und Opern, wo sein Edelstein glänzte. Eifriger konnte er aber kaum seine Wechselgeschäfte treiben, als sie das ihrige. Sie hätte sogar den Vortheil gehabt, es länger fortzusetzen, als er, da ihn ein schneller Tod von der Seite seiner schönen Hälfte wegnahm, und nun das Ganze ihren Liebhabern überlassen blieb, wenn nur nicht nach und nach neben ihrer Wechselbank andere mit [107] mehrerem Kredit entstanden – schlankere Gestalten auf den Maskeraden – leichtere Tänzerinnen auf den Bällen – jüngere Gesichter in den Logen erschienen wären, die alle Lorgnetten von der ihrigen abzogen. In dieser Verlassenheit, die mit den Jahren zunahm – bekam sie Zeit, an die Erziehung ihres Sohnes zu denken, der schon ziemlich durch ihr Beispiel gebildet, siebenzehn Jahre alt, und reich und schön genug war, das Werkzeug ihrer doppelten Rache an unserm und ihrem eigenen Geschlechte zu werden. Als er an einem Redoutenabend sie um Rath fragte, was er thun solle, um sich auszuzeichnen, stand sie als Zauberin masquirt vor ihm – hob ihren Stab und entließ ihn mit folgendem Orakelspruch: Blicke um dich und sieh, wie jene stimmenden Bienen die Knospen der Rose belagern, um, sobald sie sich aufthun, den ersten Honig aus ihrem Kelche zu saugen – und du könntest die Flügel hängen und anderm Gewürme ruhig den Vorgenuß einräumen? Ich hasse mein Geschlecht und ergrimme über das deinige. Schaffe mir Genugthuung von beiden und Seelenruhe durch deine Triumphe!

An diesem Abend, erzählt man, gelang ihm seine erste Verführung in einer Schäfer-Maske bei einer Schneiderstochter, als Diana gekleidet, und beider Unschuld ging verloren. Durch mütterliche Erfahrung wehrhaft gemacht, wie gefährlich ward nicht dieser verwahrloste Jüngling jeder unbewachten weiblichen Tugend? Wie manche herrliche Frühlingsblume hat nicht dieser gehorsame Sohn, auf Kosten seiner eigenen Jugendblüte zerstört? In seinem vier und zwanzigsten Jahre verfiel sein, durch Wollust entkräfteter Körper in ein schleichendes Fieber, dem sich die Verstandesschwäche anschloß, die alle seine Ansprüche auf ein frohes Leben vereitelt und ihn endlich unter meine Aufsicht gebracht hat. Die Welt bestrafte das mütterliche Ungeheuer mit Ekel und Verachtung, und der oberste Richter, nach einer mehrjährigen Folter unbefriedigter Leidenschaft, durch Wahnsinn, der sie auch hier nicht einmal dem Mitleiden, sondern dem Spotte der Neugierigen Preis giebt. Sobald sie einen von unserm Geschlechte zu Gesichte bekommt, wird sie gesprächig, und entwickelt den Gang ihres häßlichen Lebens [108] mit einer unbeschreiblichen Naivetät, die jedoch für einen Psychologen nicht ohne Werth ist. An der Spitze einer Schaar sinnloser Weiber scheint sie ruhiger zu seyn, als sie es in der vorigen verschuldeten Einsamkeit ihrer prächtigen Wohnung war, und vertreibt sich die Zeit durch idealische Buhlerei mit dem Himmel. Als man sie über diesen Hof in ihren Käfich führte, kehrte auf einen schrecklichen Augenblick die Besinnungskraft des Sohnes zurück. Er erkannte die mütterliche Furie – griff rasend in sein Gitter – verfolgte sie mit brüllenden Flüchen, und stürzte dann ohnmächtig auf sein Lager. Sie aber, nur mit ihrem schamlosen Aufputze beschäftigt, ging gefühllos vorbei, ohne, wie es schien, das Schlachtopfer ihrer widernatürlichen Laster bemerkt zu haben.« »Die Geschichte ist gräßlich, lieber Filbert,« sagte ich, »sie zerreißt das Herz und bestätigt die Bemerkung, die ich schon in mehreren Irrhäusern zu machen Gelegenheit gehabt habe, daß unter allen schauderhaften Geburten des Wahnsinns keine unserer Seele so widrig und abstoßend erscheint, als die aus zügellosen unkeuschen Begierden entsprang.«

Mein Auge kam von dem Hinblick, den es in die grausende Richtstätte des todtbleichen, hohläugigen, zum Selbstmörder herabgesunkenen unseligen Jünglings that, mit solchem Entsetzen zurück, daß mich Filbert geschwind mit den Worten: »Kommen Sie, mein Herr!« bei der Hand nahm.

»Als einen Mann, der die Welt kennt, wird Sie die folgende Gallerie wieder aufmuntern. Sie enthält, was man halbe Narren nennt, nur um etwas anmaßlicher – lächerlicher und gesprächiger, als uns deren nur zu oft im gewöhnlichen Leben aufstoßen! Sie spielen die Angenehmen, dociren gern – fragen zur Unzeit – sind zudringlich und mit unter von der lustigsten Laune. – Einige haben sich aus rasender Prosa in die matteste Poesie geworfen. Diese Krankheit – ein sonderbares, aber gegründetes Phänomen – ist gerade an die Stelle des Kerkerfiebers getreten, das ich glücklich genug gewesen bin, nach der Anleitung meines Oheims auszurotten. Ich würde gern die harmonischen Anfälle dieser armen Preßhaften – wie den Uebergang eines hitzigen Fiebers in ein [109] kaltes – für ein Zeichen der Besserung halten, wenn der unbegreifliche Stolz, der sie dabei juckt, mich nicht wieder über ihren Zustand irre machte. Einer der ausgezeichnetsten in dieser Rücksicht sitzt gleich in der nächsten Zelle. Ich habe ihn erst kürzlich aus der ersten Klasse in diese – aus der wirklichen in die stille Wuth gebracht, indem ich seinem Hochmuthe ein wenig nachgab. Der Wunsch des Julius Cäsar, lieber an einem kleinen Orte der erste, als der zweite in Rom zu seyn, war ihm in gesunden Tagen überall, wo er hinkam, auf Universitäten und auf Dörfern, verunglückt, hatte sich aber in seinem Kopfe so arithmetisch festgesetzt, daß er auch hier im Tollhause nicht davon abgehen wollte. Eine solche Würdigung seiner selbst verlangte nun freilich einen untergeordneten Zähler, und ich konnte lange für diese Stelle kein taugliches Individuum auftreiben, bis mir ein Kandidat in die Hände gerieth, dem die Epidemie der Schulverbesserung in das Gehirn getreten war. Diesen gesellte ich jenem bei, so wie die Thierwärter ein Hündchen in den Käfich des Löwen stecken, um ihm durch das Gefühl der Großmuth für ein schwaches Geschöpf alle Kampflust gegen stärkere aus dem Sinne zu schlagen.«

Wir traten ein. Schwerlich würde ich mich in die närrische Gruppe, die sich mir darstellte, ohne die voraus erhaltene Erläuterung gefunden haben. Aufgeblasen saß der Erste im Rang, sechs Stufen hoch unter einem Thronhimmel mit Goldpapier überkleistert, hielt in seiner Rechten einen hölzernen Zepter und lächelte mit verächtlichem Mitleid auf die Null herab, der er doch das süße Bewußtseyn seiner zehnfachen Vergrößerung zu verdanken hatte. In gehöriger Entfernung unterhalb seines glänzenden Sitzes verfolgte der tolle, und wie ein hessischer Züchtling aufgestutzte Pädagog, in fortwährendem Zirkelschlag seine überspannten Ideen und haschte nach Wörtern, die er so lange über einen philosophisch-grammatikalischen Leisten zerrte, bis er einen Schuh fertig brachte, der aber auch freilich darnach war.


Ich liege – du liegest – wir liegen

Gleich eingehüllet und warm,

Der eine geschminktem Vergnügen,

Ein andrer der Schwermuth im Arm.


[110]

Ich zähle – du zählest – wir zählen

Die Höhern als Thoren, und sind

Im Forschen, im Wünschen und Wählen

Gleich unberathen und blind.


Ich harre – du harrest – wir harren

Des Possenspieles Vergang.

Doch dauert lustigen Narren

Die Hora selten zu lang.


Du würdest mir gewiß das Lachen vergeben haben, lieber Eduard, das mich beim Anblicke dieses albernen Wortkrämers befiel. Von Ihro Magnificenz zog es mir aber einen tüchtigen Verweis zu. – O, rief er und winkte mit seinem Zepter darein:


O, Ihr Kritons! 24 Laßt den kranken

Füllentreiber unverlacht,

Der zum Kreislauf der Gedanken

Aus der Wildbahn ohne Schranken

Eine Reitbahn macht!


Gönnt dem Thoren sein Entzücken!

Stört nicht seines Stolzes Ruh!

Dreht mit abgewandten Blicken

Er denn nicht sogar den Rücken

Meinem Purpur zu?


Meinst Du nicht auch, Eduard, daß so ein Kreisel, der sich eine Viertelstunde vor unsern Augen herumdreht, wohl uns am Ende selbst wirblich zu machen im Stande sei? Ich möchte es beinahe aus der einfältigen Empfindlichkeit schließen, mit der ich die Zurechtweisung eines solchen Hochmuthsnarren, als dieser Zepterträger war, aufnahm. Ich vergaß wirklich, daß ich in einem Tollhause war, schlug ihm ein Schnippchen zu und kam, indem ich hastiger, als nöthig war, sein Auditorium verließ, darüber mit dem Daumen zwischen Thür und Angel; doch, sobald ich an die freie Luft kam, verlor sich eine und die andere unangenehme Empfindung. –

[111] »Und wer ist denn,« wendete ich mich gegen meinen Begleiter, »der ältliche Mann, der hier so frei herumgeht und so behutsam einhertritt, als ob er auf Eier träte und ein Geheimniß unter dem Mantel trüge?« »Er ist,« berichtete mich Filbert, »mein Unteraufseher in diesem Hofe und nur um etwas klüger, als die er bewacht. Es gab eine Zeit, wo dieser Schleicher als der sicherste Führer durch das Labyrinth der Metaphysik angestaunt wurde, und Schüler zog, die ihn vielleicht hier noch einholen. Es mochte wohl damals nicht ganz richtig mit ihm bestellt seyn. Seine letzte Arbeit aber verrieth ihn vollends. Nach vielen Versuchen über die Anomalien anderer kam er endlich auf seine eigenen, mit denen er, glaube ich, hätte anfangen sollen, und auf den unglücklichen Einfall, Selbstbekenntnisse zu schreiben, wie Rousseau. Von dieser Epoche an zählt sich seine Verirrung.« »Das ist auch,« fiel ich ihm ins Wort, »der geradeste Weg, entweder ein Heuchler oder ein Narr zu werden. – Könnten Sie mir wohl sagen, ob er sie in Form eines Tagebuchs schrieb?« »Ist mir nicht bekannt,« antwortete Herr Filbert. »Die Handschrift wurde auf königlichen Befehl verbrannt.« – »Verbrannt?« wiederholte ich, »wie kommt es aber, daß man einen so gefährlichen Schriftsteller bei dem Zuspruche der vielen Neugierigen in so leidlicher Verwahrung hält, und ihm obschon die Feder nicht – doch die Zunge frei läßt?« »Weil er,« gab mir der Oberaufseher zur Antwort, »keiner Seele etwas zu leid thut, immer am liebsten von sich spricht, wie sein Original, in der freien Luft am ruhigsten ist – eben so gern, als jener, in die Sonne blickt, und ein Metaphysikus in einem Tollhause keine Autorität mehr bei seinen Zuhörern hat. Sein verlorner Wirkungskreis schien ihn anfangs sehr zu schmerzen – dieß bewog mich, ihm als eine kleine Entschädigung die Polizei dieses Hofs anzuvertrauen. Er benimmt sich recht gut dabei – schleicht – wie Sie sehen, von Gitter zu Gitter – horcht, beobachtet und verfehlt nie, es mir sogleich zu melden, wenn einer seiner Untergebenen den Kopf durch das Luftloch gezwängt oder sonst einen Unfug gestiftet hat – doch Sie werden gleich selbst urtheilen können, wie es mit ihm steht.« »Ich bekleide hier« – war seine Antwort auf meine hingeworfene [112] Frage, »ein Amt, das ich lange durch große entfernte Umwege zu gewinnen gesucht habe, ehe ich auf einem ganz einfachen dahin gelangte.« »Wie so?« suchte ich ihn in seine Schwärmerei zu verlocken, und ich traf es so gut, daß er die hier grassirende Poesie zu Hülfe nahm, um mir vermuthlich für sein Selbstbekenntniß desto mehr Achtung einzuflößen, das ungefähr so lautete:


Der Wahrheit dunkeln Pfad zu finden,

Der unterm Monde sich verlor,

Durchglüht' ich mich und hielt den Blinden

Die Leuchte meiner Schriften vor.


Mit Rauch umgeben und versunken

So gut als sie auf Gottes Heerd,

Schätzt' ich mich doch als einen Funken

Des Feuers, das die Geister nährt,


Als einen Theil, der für das Ganze

Nothwendig wie die Sonne sei,

Und wähnte, zum gemeinen Glanze

Misch' ich auch meinen Firniß bei.


Da hört' ich eine Stimm' erwachen:

Die Welt braucht dein erhabnes Licht,

Braucht, um ihr Feuer anzufachen,

Den Brennstoff deiner Schriften nicht!


Laß dem Erhalter seine Sorgen;

Genug dem Sterbling, der im Schweiß

Des Angesichts den nächsten Morgen

Mit Heute zu berechnen weiß.


Steig an der Kette der Ideen

Nicht bis zum Engel – steig herab;

Der stolze Weg, der dir zu gehen

Vergönnt wird, ist der Weg ins Grab.


Der Wurm soll kriechen, sich verstecken,

Den Staub vermehren, der ihn schuf –

Das Unsichtbare zu entdecken

Ist keines Sterblichen Beruf!


Was dein Gehirn in Umlauf bringet,

Befördert keines Sternes Lauf,

Schreib oder nicht, die Sonne schwinget

Sie doch am Horizont herauf.


[113]

Kann wohl ein Doktor, ein Verfechter

Der Wahrheit seines innern Sinns

Mehr nützen als ein Narrenwächter?

Der wollt' ich eben seyn – und bin's!


Wohl Schade, dachte ich, daß du dein Stammbuch nicht bei dir hast, denn das wäre gerade der Mann, den du ohne Bedenken um ein Memoriae gratia bitten könntest. Ich würde auch gern seiner Beichte – ob ich gleich hier und da den Sinn erst hineinlegen mußte, mein Ohr noch eine Weile geliehen haben, wäre nicht das seine durch ein Geräusch am Ende des Hofs stutzig geworden – denn nun war er nicht aufzuhalten. »Lassen Sie ihn nur gehen,« sagte Herr Filbert, »Sie sollen nichts dabei einbüßen. Treten Sie nur an das Gitter Nummer fünf, wenn Sie einen Narren von Magister hören wollen, den das Nachgrübeln über die schwierige, aber nicht ganz verwerfliche Physiognomik irre gemacht hat. Seine Urtheile sind oft sehr treffend – Sehen Sie nur wie seine Wände mit Schattenrissen überklebt sind. In einer Stunde kann ich Ihnen voraus sagen, ist Ihre Silhouette auch darunter, und gewiß so gleich, als wenn Sie ihm gesessen hätten.« – »Da ist es doch,« erwiederte ich, »wirklich ewig Schade, daß sein Talent hier, so ganz unnütz für die Welt, vergraben ist. Spricht er auch in Versen?« – »Das können Sie denken,« sagte mein Führer und klopfte an die Thür. Der arme Narr! Es that mir wohl leid, daß er meinetwegen von seinem Arbeitstische aufstehen mußte. Er schien es mit Verdruß zu thun, und das kann wohl nicht anders als dem zum Nachtheil gereichen, den er unter seine Scheere nimmt. Sobald er mich in das Licht faßte, studierte er meine Gesichtszüge mit so tief forschenden Blicken, daß es mir eiskalt über die Haut lief. Es währte lange – und das ist begreiflich – ehe er sein Urtheil abgab. Ich reichte ihm inzwischen eine Prise Tabak, um mich bei ihm in Gunst zu setzen. Er nahm sie auch mit sichtlichem Vergnügen – nies'te und erklärte sich:


Wohl dem, der so wie Du bedächtig

Nur die gerade Straße geht,

Stets seiner schwachen Sinne mächtig

Sich nie aus seinem Gleise dreht!

[114]

Deß überwichtiges Gehirne

Nie in den Stürmen untersank.

Wohl seiner flachen Stirne,

Denn ihr gebührt der Dank.


Tritt auch in Deinem Trauerspiele

Kein König Lear aufs Bret – wohl Dir!

Dem Rasenden zunächst, am Ziele

Der Narrheit, stand sein Shakespear.

Klug meidet drum der Dichter Haufen

Die, seit ihm, unbetretne Bahn:

Wie bald ist nicht im Laufen

Ein Schritt zu viel gethan!


Ein Schluck zu viel beim Nektar-Schmause

Apollens – eine Rose mehr

Der Rosen in dem vollen Strauße

Der Liebe, schleudert Dich hieher;

Die Thorheit lockt mit Amoretten

Die Bernards in ihr Vorgemach,

Und zieht mit Ordensketten

Den Löwen-Ritter 25 nach.


Während der gute Magister sich so bescheiden über meine Physiognomie herausließ, beschäftigte ich mich indeß mit der, die er mir darlegte, und fand in seiner gewölbten Stirn, gebogenen Nase, und spitzen Kinnlade eine Aehnlichkeit von einem – aber Gott weiß – welchem meiner Bekannten. Ich ließ mir von Bastian eine ganze Deute Rappée geben, die ich ihm verehrte, und wir schieden als gute Freunde aus einander. Filbert sah nach der Uhr.

»Noch haben wir Zeit, einen Blick in den Hof zu thun, der das weibliche Geschlecht einschließt. Gleich am Eingange wird Sie die sapphische Furie fest halten, von der ich Ihnen erzählt habe.« »So wollen wir lieber,« versetzte ich, »davon bleiben! denn es ist mir schon so übernächtig ums Herz, als wenn ich ein Dutzend Musenalmanachs gelesen hätte.« – »Nicht doch, mein Herr,« redete mir der Aufseher zu. – »Schon des Kontrasts wegen mit der vortrefflichen Dame, die Sie bald sehen werden, rathe ich Ihnen zuvor diesem Gegenstücke einen kurzen Besuch zu machen.«

[115] Kaum hatte er die Thür des Hofs geöffnet, so bäumte sich mir auch schon in dem nächsten Behälter ein so widriges Megären-Gesicht entgegen, als mich seit langer Zeit keins erschreckt hat – für die Anatomie der Seele aber ein noch ungleich schrecklicheres Kadaver; denn alle die Grundzüge des Neides, der Gefallsucht, der Heuchelei und der Wollust, die das schlimmste Weib – so lange es bei sich ist – in etwas doch zu verbergen weiß, traten hier durch den Hohlspiegel der Tollheit so vergrößert hervor, daß es keine andere Empfindung, als Schauder erregen konnte. Sie schien eben von ihrer Toilette zu kommen und sich nicht wenig auf ihren Kopfputz und den vortheilhaften Faltenschlag ihres Halstuches einzubilden. Auf der einen Seite lag ein Gebetbuch mit vergoldetem Schnitte von Madam Guyon, 26 wie mir Filbert sagte, neben einer Muschel mit Schminke – auf der andern eine Wulst von schwarzem Sammet, die ihrem hoch aufgestreiften Arme zur Unterlage diente. In dieser gezwungenen Stellung lächelte sie mich zuerst grinzenhaft an, ehe sie eine andere versuchte, die vor funfzig Jahren nicht ohne Wirkung gewesen seyn mag. »Womit,« fragte ich boshaft, »vertreiben Sie Sich hier die Zeit?« »Mit der Vergangenheit,« faßte sie sich in drei stolzen Worten, »der Gegenwart und der Zukunft;« spielte bei dem ersten mit dem Schnürband – warf sich bei dem zweiten in die Brust und blickte bei dem dritten mit gräßlich andächtigen Augen gen Himmel. – Nun höre, wie sie diesen Text ausführte. »Mir,« fing sie mit dem Ausdrucke süßer Erinnerung an, und hätte gern ein wenig verschämt dazu ausgesehen:


»Mir hatte die Natur, als Kind schon, manches Wunder,

Das Männerherzen rührt, in Umriß angelegt;

Gefüllter selbst und runder,

Als sie sonst pflegt.


[116]

Still war ich fortgedieh'n zu immer höhern Reizen,

An Wuchs der Hebe gleich – Dianen an Gestalt,

Der Sommer kaum erst dreizehn

Bis vierzehn alt.


Da setzte mir die Zeit des Pfandspiels und der Küsse

Ans Ohr ein Räuberheer, das immer lauter rief:

Welch Mädchen! Gott, wie süße

Und wie naiv!


Da heftete sich mir das Brillenglas der Greise,

Des Jünglings Geier-Blick mit der Betheurung an:

Ich überträf' an Weiße

Cytherens Schwan!


Doch diese Schwanenbrust verbarg den Trieb der Tauben,

Ein Herz voll freundlicher und girrender Natur,

Und nebenbei den Glauben

An Männer Schwur.


So schnell tönt Zephyr nicht in eine Aeols-Harfe,

Als jedes falsche Wort mir durch die Adern lief,

Das mich zu dem Bedarfe

Der Liebe rief.


Den Morgen weckten mich die zärtlichen Sonnette

Petrarchs. – Mein Tagewerk schloß Sappho's Abendlied,

Und Wach' an meinem Bette

Hielt ein Ovid.


›Dem Röschen folgt nur Spott, das zu dem Fest der Weihe

Berufen,‹ sang ihr Mund, ›von keinem Wunsch erreicht,

Verachtet, in die Reihe

Der Dornen schleicht.‹


Ach! dieser Hebel war's, durch den ein Sohn der Musen

Aus ihrem Gleichgewicht einst meine Tugend hob,

Und mir den Streif am Busen

Zuerst verschob;


Und ist das Lenkseil jetzt, das meinen Prachtruinen

Mit Uebermuth vorbei die Neuverlockten führt,

Die nun den Lohn verdienen,

Der mir gebührt:


Mir, die ich eingeweiht in alle Heimlichkeiten

Der reizenden Natur, längst Oberpriesterin

Für alle Tageszeiten

Der Liebe, bin.


[117]

Wohin verflog der Eid, den manches Ungeheuer

An meinem Busen schwor, wenn in Vestalen-Tracht

Ich sein gesunknes Feuer

Neu aufgefacht!


Wenn ich ihm Leda war, bald Phöbe, bald Latone,

Er – hier als Donnerer mir in die Federn drang,

Dort aus der Göttin Krone

Ein Blatt errang.


Wortbrüchiges Geschlecht! Mit jedem Stufenjahre

Fiel ein Geschworner ab und trat ein Freund zurück,

Und meinem blonden Haare

Wird jetzt kein Blick!


Wie will ich Dir, der mich in meinen Jugendtrümmern

Unkundigen des Wegs zum Merkpfahl aufgestellt,

Die Spötterei verkümmern

In jener Welt!


Vergebens strecke sich von meiner Brust geschieden

Nach ihrem höhern Reiz die stolze Männerhand,

Die fühllos sich hienieden

Von mir gewandt!


Ja, heuchelte sogar, vergafft in meine Strahlen,

Ein Männerseraph mir dort seine Liebespein –

Wie sollten seine Qualen

Mein Labsal seyn!


Gleich Motten sollt' er sich um die verklärten Hügel

In immer näherm Kreis bis an den Brennpunkt drehn;

Dann mit versengtem Flügel

Vor mir vergehn!


Nur Ihn, zu dem ich bald verherrlicht wiederkehre,

Der mich, eh' ich noch war, zum seligsten Beruf

Und zum Gefäß der Ehre

Mein Herz erschuf,


Den Schöpfer soll allein – daß ich nur Einen schaue,

Der ewig Treue hält – mein Wolkenbett empfahn,

Milchweiß und himmelblaue

Krepinen dran. –


Ich bin des Herren Magd und mir – – –«


»Um aller Heiligen willen, lieber Filbert,« fuhr ich jetzt zusammen, »machen Sie, daß ich aus der Atmosphäre dieses abscheulich [118] verrückten Weibes komme. Ich habe doch in meinem Leben manche verschmitzte Koquette entlarvt gesehen – mancher durch Buhlerei verunstalteten Seele aufgelauert, um hinter ihre Schliche zu kommen: aber sie schränkten doch immer – auch ihre unerklärbarsten Ansprüche – bloß auf das Zeitliche ein. Diese Närrin hingegen lebt sogar der Hoffnung, dereinst mit Gott dem Vater eine Intrigue anzuspinnen. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen!« Ich drängte meinen Führer vor mir her – rief Bastianen und den Maler, der, an das Gitter seines versöhnten Feindes gelehnt, mit ihm in ein Gespräch, vermuthlich von der ewigen Kunst, verwickelt war, und nun begleitete uns Filbert, schweigend und nachdenkend, bis an den kleinen abgesonderten – jene traurige Wohnung umschließenden Zwinger, die sich die reichste Erbin im Lande zu ihrem Wittwensitze gewählt hatte. Er empfahl mir den innern Thürriegel vorzuschieben, um Herr über meinen Ausgang zu seyn, im Fall mir das Herz zu schwer werden sollte. »Deßwegen?« lächelte ich, »o Sie halten mich doch auch für einen gar zu großen Weichling, lieber Mann!« Wir setzten uns, nach seiner Anweisung, so geräuschlos als möglich, auf einen Vorsprung der Mauer der Gitterthüre der unglücklichen Dame gerade über. Passerino zog in der Zwischenzeit sein Pergament hervor und nahm das Lokal ziemlich richtig auf. Auf meinen beifälligen Wink zischelte er mir ins Ohr – heute wolle er mir zeigen, daß er seine Kunst verstehe. Das konnte ich Dir nicht versprechen, Eduard; denn ob ich gleich auch an die Schilderei dachte, die der heutige Morgen auf den Abend meinem Tagebuche abwerfen würde, so war ich doch dabei von allem artistischen Stolze weit entfernt. Ach Gott! wo hätte ihn mein beklommenes Herz beherbergen sollen, das von dem ersten Glockenschlage der furchtbaren Stunde an, in zunehmender Erschütterung, bis zu dem letzten fortklopfte, der es vollends zusammendrückte, wie einen blutigen Schwamm. Aus einer innern Seitenthüre des Kerkers – an dem Arme der Freundin, der sie, unter so vielen, den Vorzug gegönnt hatte, ihrem Elende zu folgen – schwankte die Tiefgebeugte, wie ein abgeschiedener Geist auf einen Engel gestützt, dem Gitter zu. Mit jedem langsamen [119] Schritte, durch den sie sich mir näherte, hob sich allmählich immer mehr der Schimmer ihrer Schönheit aus dem dunkeln Grunde des Gefängnisses heraus, bis mir – und ich glaubte unter der Last nie gefühlter Wehmuth zu versinken – die schlanke ätherisch-bleiche – wunderschöne Trauergestalt deutlich vor den Augen stand. In weißen Musselin gekleidet, drückte sie mit der einen kraftlosen Hand ein Krucifix von Elfenbein an ihre bebende Brust – noch kraftloser floß die linke über den schwarzen Leibgürtel herab. Nach einigen fürchterlich stillen Sekunden senkten sich ihre glühenden, an den blauen Himmel gehefteten Augen, und begegneten dem Thränenstrome der meinigen. Sie starrte mich an – erhob langsam ihre linke Hand, als ob sie nachsänne, und bald nachher ergriff der Tenor ihrer Klagstimme mein todtbanges Herz. O! daß ich jetzt vermöchte. Dir das Seelengewitter in seiner ganzen schrecklichen Wahrheit zu schildern, unter welchem sich die Leidende stufenweise bis zum letzten zermalmenden Ausbruche ihres Wahnsinns erhob. Eitler Wunsch! die geübtesten Wortführer der Natur würden daran verzweifeln. So höre wenigstens mich ihr nachlallen. Ach! über welches abgelaufene Zeitalter schwebte ihr Geist – auf welcher Staffel der Vergangenheit mußte sie mich stehen sehen, als ihre ausgestreckte Hand mir das Bild des sterbenden Heilandes mit der herzzerreißenden Frage vorhielt:


Sahst du des Jordans Ufer,

Bethränter Pilger? Sprich –

Und hörtest du den Rufer

Am Kreuz – Es dürstet mich!


Und willst der bittern Zähren,

Die dein Gefühl vergießt,

Nur Eine mir gewähren,

O dann sei mir gegrüßt!


Doch wähnst du mich zu trösten:

So wende dein Gesicht,

Denn sieh, das Bild der größten

Geduld vermag es nicht!


Um mich Zerknirschte sammeln

Sich viel Bedrängte her:

[120]

Doch Aller Zungen stammeln

Ach – diese leidet mehr!


Ihr raubte das Entsetzen

Sogar des Säuglings Glück!

Und keine Thränen netzen

Den Brand in ihrem Blick.


Nur ihre Lippen beben

Dem nach, den sie verlor!

Und ihre Hände heben

Sich nur nach ihm empor!


Nein, Eduard! Beweglicher als ihre Stimme kannst Du Dir keinen Ton in der Natur vorstellen, und doch war mir die Pause noch rührender, in welcher die schöne Sinnlose, einige peinliche Minuten, verloren dastand, ehe sie, die Augen gen Himmel gewendet, ihre innern Empfindungen, zärtlich wie die Liebe selbst, hervorgirrte:


Als Er sich mir, von allen

Ihn Wünschenden, ergab,

Mit welchem Wohlgefallen

Sah Gott auf uns herab!


Als in dem Abendschauer

Der feiernden Natur

Sein großes Herz die Dauer

Von meinem Glück beschwur;


Mein Auge nun von süßen

Gefühlen überging,

Und ich mit Erstlingsküssen

An seinen Wangen hin;


Als von der trauten Laube,

Die seine Liebe zog,

Er nun die erste Traube

Nach meinen Lippen bog;


Und ich in seinen Blicken

Mein Bild gezeichnet fand –

Natur! war dieß Entzücken

Nur Blendwerk deiner Hand?


Weh dir – ging nun ihr gedämpfter Flötenton in den feierlichsten Ernst über –

[121]

Weh dir, o Tag der Weihe,

Der Blutschuld Mitgenoß,

Die grauenhaft die Reihe

Glückvoller Stunden schloß!


Und wie ein in der Wildniß irrendes Kind, das um Hülfe jammert – fuhr sie fort:

Du meines Kummers Zeuge,

Den meine Seele ruft,

Verlorner! ach entsteige

Dem Dunkel deiner Gruft!


Und wie, wenn jenes hinhorcht und seine vergeblichen Bitten in Bergklüften verschallen hört – schlug auch sie hoffnungslos ihre aufgehobenen Hände zusammen – suchte Trost in der Qual der Erinnerung – sah nur und hörte ihren Freund und ließ die edeln Handlungen seines Lebens, wie in einem Spiegel, den sie dem ungerechten Schicksale vorhielt, vorüber gehen:


Wenn im Gedräng der Sorgen

Er keiner unterlag,

Und, Freundin, rief, nach Morgen

Glänzt uns ein Erntetag!


Wo Werth und Lohn des Fleißes

Dem in der Schale liegt.

Der jeden Tropfen Schweißes

Gleich einer Krone wiegt.


Wenn der bescheidne Tröster

Gefallnen Schutz verlieh,

Und sprach: Bin ich erlöster

Und würdiger als sie?


Und Er dem Tag entwunden,

Nach mancher frommen That,

Zum Lohn der Abendstunden

Sich meinen Kuß erbat –


Erforscher unsrer Herzen,

Furchtbarer! Wogest du

Schon da der Zukunft Schmerzen

Mir schwer Getäuschten zu?


Der Athem stockte mir bei ihrem fragenden Starrblick, der aber bald sanfter gebrochen sich nach der blassen Lichtscheibe richtete, [122] die hinter einem Wölkchen hervortrat. »Mond,« rief sie in melancholischer Schwärmerei –


»Mond, der du noch so traulich

In seiner letzten Nacht

Die Schönheit mir beschaulich

Des Schlummernden gemacht!


Als mein Gebet im Schweben

Auf deinem Hoffnungsstrahl

Dem Ewigen sein Leben

Und meine Ruh' empfahl.


Vertrauter stiller Schatten!

Wo weilt dein Todtenlicht,

Verbirg das Grab der Gatten

Der Sattgelebten nicht!


Dort wandele des Schlummers

Willkommner Genius,

Die Folter meines Kummers

In Freiheit und Genuß!


Wär dann dem Ruf der Taube,

Die ihrem Liebling girrt,

Vielleicht auf unserm Staube

Der Mörder nachgeirrt –


Dann fasse das Gewissen

Und peinige die Hand,

Die Herzen durchgerissen,

Die Gott zusammen band.«


Diese Losungsworte flogen der Minute voraus, die den letzten Vorhang des erschütternden Trauerspiels aufzog. Hatte ich vorher diese Schreckensscene als den einzigen Ausweg zur Beruhigung der Hochgemarterten, selbst bei der Gewißheit, daß er über einen tobenden Abgrund führe, seufzend herbeigewünscht; so wäre ich ihr jetzt noch lieber entflohn, aber sie faßte mein sträubendes Haar mit unwiderstehlicher Gewalt und lähmte meine Glieder. Meine Augen hefteten sich nur desto stärker an die Erscheinung dieses peinlichen Wunders, je mehr es, als die bis jetzt noch schwankende Flamme des Wahnsinns nun in voller Glut der Verzweiflung über das fürchterlich schöne Weib zusammenschlug, mein armes Herz zu [123] zerreiben drohte. Jeder Pulsschlag setzte ihre Wangen in eine immer höhere Röthe – die Brust hob sich bis zum Zerspringen – ihr langes blondes Haar entschlüpfte seinen Schleifen und flatterte strahlend, wie ein Komet, durch die Nacht des Kerkers. Ohne auf die rührenden Bitten ihrer heldenmüthigen Freundin – ohne auf das kleine anpochende Herz zu achten, das unter dem ihrigen schlug, tobte sie und streckte ihre entblößten, durch Wuth gestärkten Arme gegen den Himmel. Die Allmacht des Jammers hatte mich unwissend zu Boden geworfen – knieend flehte ich zu Gott um Linderung – O du, der alles vermag, schaffe Linderung diesem zersplitterten Herzen! Ach wo war sie hingekommen, die edle Dulderin? Ich sah an ihrer Stelle nur einen Engel der Rache, der über ein Leichenfeld hinschwebt, und auf den Blutspuren der erwürgten Unschuld seine Beute verfolgt. Drohungen der Ewigkeit blitzten aus ihren zürnenden Augen – flossen über ihre schäumenden Lippen. Mit Entsetzen sammelt meine Feder einige der gifthauchenden Worte, die ihrem zerrütteten Gehirn entquollen: – aber den erschütternden Wohlklang derselben, welche Harmonie der Sprache, welches tönende Erz vermag ihn zu erreichen!


Kannst du auch Rache segnen?

So nimm, Gott, meinen Schmerz

Und grab ihn dem verwegnen

Mordschuldigen ins Herz.


Das Blut, das er vergossen,

Droh' ihm im Morgenroth!

Und nur mit Blut durchflossen

Wink' ihm sein Abendbrot!


Die Süßigkeit der Ehe,

Die Liebe müß' ihn fliehn,

Selbst seinen Kuß verschmähe

Die feilste Buhlerin!


Es fasse jede Kammer,

Wo seine Schwermuth weint,

Den ganzen Menschenjammer,

Den dieses Haus vereint!


[124]

Des Uebelthäters Werke

Lohn' Angstgefühl und Spott!

In seinem Tode stärke

Ihn kein Gedank' an Gott;


Durch Blutgefilde treibe

Hinüber ihn mein Fluch,

Und Satans Finger schreibe

Ihn in sein Höllenbuch!


Dort möge des Verbrechers

Gewinn gegraben stehn,

Und ewig nicht des Rächers

Erbarmung sich erflehn!


Kaum waren diese schrecklichen Verwünschungen über ihre Zunge, so schien es, als ob sich ihre eigene Seele davor entsetze. Sie zitterte, schwankte und sank ohnmächtig in die Arme ihrer Busenfreundin, die selbst von Thränen erschöpft, mit zärtlicher Behutsamkeit sie in das Nebenzimmer trug. Jetzt drang weiter kein Laut aus der Kerkerwohnung der edeln Kranken; und mir war, als hätte mich ein Orkan auf einen einsamen Felsen geworfen. Meine zerbeizten Augen starrten vor sich hin und die Stille, die nach einem solchen Aufruhr mein Gehör überfiel, erleichterte mein blutendes Herz nur, um es desto heftigern Nachwehen Preis zu geben. Diese Betäubung verlor sich nicht eher, als bis meine beiden Begleiter sich in so weit von ihrer eigenen erholt hatten, daß sie mir ihre zitternden Hände bieten konnten – und so schwankte ich endlich aus dieser Behausung des Schreckens mit zu Gott erhobener sprachloser Empfindung.

Wie sauer ward mir dieser Gang! Setze den Fall, Eduard, daß Dein bewundernder Blick von Rubens jüngstem Gerichte auf einmal zu dem Jahrmarkte eines Teniers herabsänke – Du würdest Dir doch nur einigermaßen den widrigen Eindruck vorstellen können, den jener Haufe gemeiner Narren auf mich machte, an deren Behältern vorbei ich jetzt meinen Rückweg nehmen mußte. Ich hatte keine Augen, kein Mitleiden für sie mehr, so voll war mir das Herz von den Seelenleiden des herrlichen Weibes und der schrecklichen Wahrheit der Worte


[125]

Um mich Zerknirschte sammeln

Sich viel Bedrängte her:

Doch Aller Zungen stammeln:

»Ach, diese leidet mehr!«


Ich traf, als ich in Filberts Zimmer trat, den Arzt an, dem St. Sauveur die Besorgung seiner unglücklichen Freundin auf die Seele gebunden, und der seit einer Viertelstunde auf meine Zurückkunft und die Nachrichten gewartet hatte, die ich ihm von dem Zustande der Kranken mitbringen würde. Meine Bemerkungen konnten nichts neues für ihn enthalten. Ich brach sie kurz ab und bat dafür ihn mit nassen Augen, mir, der ich auf dem Punkt stände, Marseille zu verlassen, den Balsam mit über die Gränze zu geben, dessen mein verwundetes Herz so sehr bedürfe – die Gewißheit der Wiederherstellung dieses weiblichen Engels. »Sie verlangen zu viel von der mißlichen Kunst, der ich diene, wenn ich Ihnen,« antwortete er, »mehr als die große Wahrscheinlichkeit ihrer Genesung zusichern soll, da sie auf Bedingungen beruht, über die Gott allein Macht hat – daß nämlich die periodische Heftigkeit ihres Wahnsinns nicht tödtlich für das Unterpfand ihrer ehelichen Zärtlichkeit seyn werde, und die Geburtsstunde mit jener Geistes-Erschütterung nicht zusammen treffe. In dieser Voraussetzung dürfen wir den glücklichsten Erfolg – von dem Erstaunen erwarten, mit welchem ihre erste Entbindung – die Erscheinung der Frucht ihrer Liebe und das neue süße Gefühl ihr mütterliches Herz erfüllen wird. Die Vereinigung aller dieser Umstände, durch die sich die Natur im Fortgange erhält, wirkt in gleichem Maße schmerzstillend auf den äußern Menschen, als sie den innern zu hohen, moralischen, edeln Entschließungen erweckt. Ja, mein werther Herr, auf die Gott gebe! glückliche Stunde ihrer Niederkunft, die vielleicht zu Anfange künftiger Woche eintritt, setze ich mein größtes Vertrauen – und bin beinahe überzeugt, daß die heilsame Gegenerschütterung in dem Augenblicke, wo die Verlassene Mutter wird, ihren zerrütteten Verstand wieder ins Gleichgewicht bringt. Die kleinen Hände des neugebornen Kindes werden die beiden Enden des zerrissenen Bandes ihrer Liebe wieder zusammenknüpfen. Mit [126] himmlischer Neugier wird sie in seinem Gesichtchen die edeln holden Züge des Vaters aufsuchen – entdecken, und die Freude des Wiedersehens in einem hohen Grade genießen. Sie wird sich nicht mehr für verlassen in einer öden Welt achten, und ihre lange verhaltenen Thränen werden an der Wiege ihres schlummernden Säuglings einen wohlthätigen Ausfluß gewinnen. – Die Sorge für den kleinen Hülfsbedürftigen wird ihr die Nothwendigkeit ihrer eigenen Erhaltung sanft an das Herz legen, und so, denke und prophezeie ich, wird sie der Allmächtige, unter dem Vorgefühl besserer Tage, zum Bewußtseyn ihrer selbst – zu ihrem, jetzt so getrübten glänzenden Eigenthum und in die Nähe ihres und unsers edeln Freundes zurückführen.

In dieser schönen Erwartung besuche ich täglich die holde Kranke. Während ihres Schlafs, der nach der galligen Entledigung ihres unnatürlich gereizten, sanften, großmüthigen Herzens – zum Glücke für ihre Erholung bis gegen Mittag anhält, kann ich ihr allein mit meiner Hülfe beikommen, die sie wachend ausschlägt, und Verabredung mit ihrer freiwillig Mitgefangenen nehmen, deren Beistand der armen Verirrten wichtiger ist, als der meinige, und die sich gewiß schon eine ängstliche Weile nach mir umsieht. – Sie sind innigst gerührt, mein Herr! Möge der Eindruck dieses erhabenen Trauerspiels Sie nicht aus unserer großen sittenlosen Stadt, sondern bis zum Ausgang Ihres Lebens begleiten, und Sie für die kummervolle Stunde entschädigen, die für so viele Leichtsinnige, die sie schon sahen, verloren war. Reisen Sie glücklich, und leben Sie wohl! –«

Ein Händedruck – denn der Sprache war ich nicht fähig – dankte dem ehrlichen Manne für seinen Trost und seine guten Wünsche. Ich umarmte den wackern Filbert, unaussprechlich bewegt, und setzte mich zwar höchst traurig, aber doch mit einem Herzen, das sich fühlte, und mit sich zufrieden war, in die Sänfte, die Bastian herbeigeholt hatte. Ich brauche Erholung, erklärte ich ihm beim Aussteigen, und kann unter zwei Stunden noch nicht abreisen – richte dich darnach! Doch eben da ich im Begriff war, mein Zimmer zu verschließen, um ungestört meiner Schwermuth nachzuhängen, [127] trat mir der Maler mit seiner Zeichnung in den Weg – »Das, meinen Sie –« fuhr ich ihn nach dem ersten Ueberblick an, »stelle den leidenden Engel vor, von dem wir herkommen? Können Sie es bei Gott verantworten, so eine Sudelei für Nachbildung seines herrlichsten Geschöpfes auszugeben?« Doch – um den armseligen Wicht nicht ganz nieder zu drücken, fuhr ich gemäßigter fort: »Aber, es ist begreiflich – so überwältigt von schmerzhaften Empfindungen, als Sie und wir alle waren, würde es einem Rotari – einem Leonard da Vinci eben so wenig gelungen seyn. Gehen Sie, lieber Passerino, einstweilen zur Wirthstafel. Ich habe höchst nöthig, die wenigen Stunden vor meiner Abreise allein zu seyn.« Wie kann ich mich doch – zankte ich nun mit mir selbst – über nichts und wider nichts so ereifern? Ich hätte doch wohl aus dem Bewußtseyn meiner eignen erworbenen Fähigkeiten auf die Kräfte meines Lehrers schließen können. Warum ließ ich mich von ihm zu einer Arbeit begleiten, der er nicht gewachsen war? Bei solchem Bedarf eines helfenden Genies kommt uns freilich die Mittelmäßigkeit als ein Laster vor, aber es ist unbillig. Für meine Erinnerung kann ich übrigens jedes Bild von ihr entbehren. Weder Worte, noch Farben könnten es mir so treu schildern, als es die vergangene Stunde mir in die Seele gebrannt hat. Während dieses Selbstgespräches suchte ich ein zweites Schnupftuch, denn das gebrauchte war ganz durchnäßt von Thränen, und darüber spielte mir der Zufall aus seinem Glückshafen statt der schwarzen Kugel, die ich schon gefaßt hatte, eine der scheckigsten – das Paket Zeitungen nämlich, in die Hand, die ich heute früh in dem Janustempel eingesteckt und ganz vergessen hatte. Ich mußte mich erst besinnen, was ich damit anfangen, und daß es ein Steckbrief nach Freund Sperling war, den ich darin aufsuchen sollte. Gott gebe, wünschte ich mit pochendem Herzen, daß sich St. Sauveur geirrt habe! – Geirrt? Ja – das sähe ihm ähnlich. Der Schäker – dem immer sein System zu Gebote steht, sah die Ueberraschung nur zu gut voraus, die er mir und meinem Lehrmeister zubereitete. Was fand ich? Eine sehr willkommene und allemal um das vierte Blatt wiederholte Ediktal-Citation, wie [128] ich sie Dir in einem kurzen Auszuge mittheile. – »Nachdem,« hieß es, »ein gewisser – Namens Theodor Sperling, der sich fälschlich für einen Maler und Architekten ausgäbe, seit vielen Jahren verschollen sei – so werde er, im Fall er noch am Leben, kraft dieses mit der Bekanntmachung vorgeladen, daß weiland seine leibliche Tante ihn, als ihren nächsten Blutsfreund, zum Universalerben sowohl ihres Freiguts zu Triesdorf, als übrigen Nachlasses in einem bei dem Stadtrath niedergelegten Testamente, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung eingesetzt habe, sich dieses Vermächtnisses nicht eher erfreuen zu dürfen, bis er zuvor jener sich angemaßten brotlosen Künste, die bei ihm weder durch erforderliche Kenntnisse, noch durch Genie unterstützt wären, für das künftige gerichtlich, eidlich und feierlich entsagt haben werde. Widrigenfalls, wenn er in Zeit eines Jahres und sechs Wochen nicht erscheine oder den vorgeschriebenen Eid abzulegen sich weigere – solle er für todt oder der ihm zugedachten Verlassenschaft, die sich nach gerichtlicher Würdigung circa auf 31700 Reichsthaler belaufe, für unwürdig angesehen werden, und solche dem dasigen Waisenhause auf das rechtsbeständigste verfallen seyn. Anspach, den 19. December 1785.« –

Die gute verständige Tante, war mein erster Gedanke, hat nun wohl freilich hier nicht den Grundsatz Filberts vor Augen gehabt – jedem Narren das Spielwerk seiner Laune zu gönnen: indeß ist doch die Art, es ihrem Neffen aus der Hand zu winden, nicht so gar übel, und nur zu wünschen, daß er sichs nehmen lasse. Mein zweiter Wunsch war, daß er noch zur rechten Zeit dem Waisenhause in den Weg treten möge, und ich rechnete geschwind im Kalender die Möglichkeit aus. Ich hielt die Nachricht für sättigend genug, um den – freilich etwas zu lange am Pranger ausgestellten Erben von der Wirthstafel abrufen zu lassen – und während der Zeit, die ich hier noch zu vertändeln hatte, die Hetze zwischen der ewigen Kunst und dem zeitlichen Freigute mitzunehmen. Ich setzte mich, als er gelaufen kam, wie ein Senator in Positur, bat ihn, sich einen Stuhl zu nehmen, und leitete meinen Vortrag mit der Frage ein: »ob er sich nicht wieder in seine Heimat sehne?« Er verstand mich die Quere. »Nein,« antwortete er bestimmt – [129] »so angenehm es mir auch seyn würde, den lieben Herrn zu begleiten, so kann doch dieses lockende Anerbieten meinen einmal gefaßten Entschluß nicht umstoßen. Ich bin zu sehr in meinem Vaterlande verkannt – bin es aber nicht allein. Verdienste – das wissen Sie selbst! – haben dort weder Ansehen, noch Brot. Ist es nicht die allgemeine Klage der Maler, Bildhauer und Dichter? und was kann das Vaterland darauf antworten?« – »Was es darauf antworten kann?« erfaßte ich seine Frage, über ihren anmaßlichen Ton ein wenig aufgebracht. »Je nun – die Patrioten kehren die Anklage um, und richten sie wider alle diese verkannten Herren selbst. Wenn wir Euch, sagen sie, als Künstler vernachlässigen, so würden wir Euch als Handwerkern alle mögliche Gerechtigkeit angedeihen lassen. Ihr überlegt nicht, daß der Staat, der Euch nähren soll, der arbeitsamen Hände weit benöthigter ist, als der gefälligen Künste. Unsre steinigen Aecker – verfallenen Wege – elenden Hütten und zerrissenen Schuhe wollen nicht gemalt – besungen, beschrieben und in Kupfer gestochen – sondern gepflügt – gepflastert – gebaut und besohlt seyn. Wir lassen Euch darben, weil Eure göttlichen Talente uns unbrauchbar sind.« »Hoffentlich,« fiel mir der alte Kauz mit großen Augen in die Rede, »ist das weder der Fall bei mir, noch bei vielen andern. Correggio ...« »Halt, Freund,« trat ich ihm in den Weg – »Auch er hat, nach ihrer Meinung, für die Zeit, in der er lebte, keine kluge Wendung genommen. Hätte er – sagen sie – von jenen fühllosen Mönchen, die seine unsterbliche Nacht nicht besser als eine gemeine Tapete von Wachstuch bezahlten, ein Tafelgut in Pacht genommen, sein Name würde freilich so vergessen, als der ihrige – aber seine Thränen würden schon bei seinen Lebzeiten vertrocknet und sein Elend nicht auch auf seine Frau und Kinder übergegangen seyn. – Wenn du merkst – dünkt dem Patrioten die beste Lebensweisheit – daß die Zeitgenossen deine Gedichte – Gemälde und Meisterstücke deines Meißels nicht mögen, so laß deinen Geist ruhen, und kehre zu dem andern Theile deiner Selbst zurück, an dessen Erhaltung du zuerst hättest denken sollen. Suche mir, sagt das Vaterland, mehr körperlich, als geistig, [130] durch die Axt, die Nadel, den Hobel, als Schreib- und Rechnungsmaschine, oder als Markthelfer nützlich zu werden. Du wirst deinen Kopf weniger anstrengen und mehr eigenen Genuß davon haben, als jene wahren oder eingebildeten Talente gewähren, die ihres Zwecks und Lohns fehl und betteln gehn.« – Mein Eifer, lieber Eduard, hatte mich so weit von meinem Texte verschlagen, daß es mir, wie manchem Prediger, Mühe machte, auf die Anwendung zu kommen. »Wenn Ihr Vaterland,« nahm ich einen traulichen Ton an, »Sie verkannt hat, lieber Passerino, so haben Sie ihm hingegen alle Rückkehr zu Ihnen versperrt.« »Wie so?« fragte er verwundert. – »Mögen Sie wohl noch fragen? Wer kann ein Original in einer Uebersetzung wieder finden? Und wenn sich sieben Städte um Ihren Besitz stritten, wie um den Homer – würde es Ihnen nicht eben so gehen, wie ihm? Wie kann Passerino das fordern, was Sperlingen gehört? Gesetzt, es fiele Ihnen in Deutschland eine Erbschaft zu; müßten Sie nicht entweder Ihren sonorischen Namen oder die Erbschaft aufgeben? und könnten Sie Sich wohl durch Ihre Marinen legitimiren, daß Sie der rechtmäßige Erbe wären? Doch vielleicht ginge das noch am ersten an« – »Lieber Herr,« unterbrach er mich lächelnd – »Sie setzen hier Fälle voraus, die ganz und gar nicht auf mich passen. Ich habe in Deutschland nirgends etwas zu hoffen – sogar von meiner leiblichen Tante nichts, die zwar wohlhabend, aber die unverträglichste, geizigste und mir abgeneigteste Frau auf Gottes Erdboden ist. Ihre Brüder waren geschätzte Maler; sie aber lebte bloß von ihren Renten und verstand – Nichts. Sie hielt nur die Italiener für Meister, und immer setzte sie hinzu: ich würde nie einer werden – und eben ihr zum Possen habe ich meinem Namen durch eine Uebersetzung geholfen, und werde ihn forttragen bis an meinen Tod.« – »Ja, wenn das so zusammenhängt, mein guter Passerino,« wobei ich mich hinter den Ohren kratzte, »so weiß ich kaum, wie der Sache zu helfen steht.« – »Welcher Sache?« fragte er neugierig. »Nun – ich kann Ihnen wohl wieder sagen, was ich von einem meiner Korrespondenten als gewiß gehört habe – Ihre liebe Tante ist seit Jahr und Tag sehr verträglich geworden. Sie [131] vermuthet, daß es Ihnen hier eben nicht nach Wunsch geht.« – »Das hat sie errathen,« seufzte er, »denn Ihnen kann ich es wohl gestehen, daß ich manchmal nicht weiß, wovon ich den andern Tag leben soll. – Und Sie werden wohl selbst bemerkt haben, daß ich noch immer das Kleid trage, in welchem ich Ihnen Stunden gab, und daß es nun nicht länger mehr halten will ...« »Und diese will Ihnen,« fuhr ich fort, (ohne ihn merken zu lassen, wie nahe mir sein Elend ging) – »ihr schönes Freigut zu Triesdorf sammt den Einkünften einräumen, wenn Sie der ewigen Kunst ...« »Entsagen? Nicht wahr?« fiel er mir ins Wort – »Nun und nimmermehr« – »und zwar gerichtlich, eidlich und feierlich entsagen.« – Dadurch erschreckte ich ihn so, daß er zitterte. – »O! da muß sie,« hub er an, »ganz verrückt geworden seyn!« – »Das nun eben nicht,« erwiederte ich; »aber diese Grille hat sie sich nun einmal so in den Kopf gesetzt, daß sie es sogar in ihrem letzten Willen zur Bedingung gemacht hat und darüber – gestorben ist.« – Er überblickte mich bei dieser Anzeige mit zweifelhaftem, unbeschreiblichem Erstaunen, und ward bald karminroth, bald leichenblaß, je nachdem ihm das schöne Vermächtniß oder die häßliche Bedingung zu Kopfe trat. Ich reichte ihm nun das Blatt. – »Da lesen Sie selbst – aber überlegen Sie hauptsächlich dabei – daß hier nicht zu zaudern ist, und das Testament nur noch einige wenige Wochen zu Ihrem Vortheile gilt.« Er schlich, wie das böse Gewissen, mit seinem Vorbeschied in die Ecke des Fensters, las, und schüttelte bei jeder Zeile den Kopf. Seine unglaubliche Anhänglichkeit an ein stümperhaftes Talent erregte mein innigstes Mitleiden. Aber, großer Gott, was für eine Schaar von Brüdern hat er nicht in dieser Rücksicht umherlaufen. Wie viele opfern nicht ein glückliches sorgenloses Leben dem Vorurtheile des Standes, – ihre Ruhe einer falschen Ehre, ihre gegenwärtige Zufriedenheit dem Hirngespinste der Nachwelt auf; verhören das Koncert, das sie umgiebt, und horchen nur nach der Trompete hin, die einst, wie sie sich einbilden, über ihr Grab schmettern wird. – Wer kann die Märtyrer der Religion zählen, die oft so irrig – abgeschmackt und toll ist, als nimmermehr die fixe Idee des armen [132] Sperling! Wer muß, bei gesundem Verstande, nicht die Unsterblichkeit der Miltone, Buttler und Kepler bemitleiden, die sich bei lebendigem Leibe ihre Lebenskraft abzapften – die besten Gelegenheiten versäumten, das Herz eines fröhlichen Freundes, den Busen einer schönen Zeitgenossin zu erobern – nur an ihren eigenen Fingern und Federn nagten – und die magersten Bissen verschluckten, um nach ihrem Tode, wo sie nicht mitessen konnten, unbekannten Buchtrödlern desto fettere aufzutischen. Ich mochte den Weg, auf den mich Sperling gebracht hatte, nicht weiter verfolgen, aus Furcht, auf meinen eigenen Haushalt zu stoßen – schob einstweilen mein Selbstgespräch auf, und hielt es für dringender, mich in das seine zu mischen, das nicht aufhören wollte. So oft ich bei seinem Erker vorüberschritt, warf ich eine Bemerkung hinein, die er nutzen sollte. – »Die ewige Kunst, können Sie mir, als einem alten Freunde, glauben, verliert nichts dabei, wenn Sie Sich fügen. – Das Vergnügen, Talente unterstützen zu können« – indem ich meinen Oberrock anzog – »ist vielleicht mehr werth, als die oft betrügliche Ueberzeugung, ein eignes zu haben.« – Er ließ sich durch alles das nicht stören. »Ich stelle mir eine wahre Freude vor,« (redete ich so für mich) »wenn ich einmal meinen alten Lehrer auf seinem Landsitze besuchen kann, und wir bei einer guten Mahlzeit über die Größe des armen Correggio plaudern, – und uns der vergangenen Zeiten erinnern werden.« Auch das focht ihn nicht an – Er starrte noch immer vor sich hin, das Wochenblatt seinem dürren Knie über gebogen, und hing den Kopf, ohne einen Laut zu geben. Bastian meldete, daß die Pferde gleich da seyn würden, aber sein Seelenkampf dauerte fort, und mir ward dabei ganz schwül um das Herz. –

So oft ich, lieber Eduard, den Donquixote gelesen und bis zum Ende des herrlichen Buchs über seine Thorheiten gelacht habe, so grübelte es mich doch bei dem letzten Kapitel, wo er wieder klug wird, immer in der Nase. Ich dächte, es wäre für uns alle nichts erbaulicheres und rührenderes geschrieben. Wie der arme Mann, so stillschweigend in sich gekehrt, nachsinnt, die Schatten des vergangenen Lebens – jene Heldenthaten – seine [133] heiße platonische Liebe zu Dulcineen, Sancho's gutmüthige Freundschaft und die treuen Dienste des dürren Rosinante – seiner erstaunten Seele vorübergaukeln – wie er alles, was sonst in seiner Einbildung von so hohem Werthe war – jetzt in einem ganz verschiedenen Lichte betrachtet – nicht begreift, wie ihm doch sein gesunder Menschenverstand abhanden gekommen, und Gott demuthsvoll um Vergebung bittet, daß er so lange ein Narr gewesen. Ein solcher Büßender – welche Mitgefühle muß er nicht bei jedem rege machen, der ihn anblickt! In gleicher bänglichen Lage befand, sich dermalen auch mein guter alter Zeichenmeister, und erhielt sich so lange warm darin, bis ihn das Horn meines Postillions von seinem Sitze aufjagte. Er ergriff in großer Bewegung meine Hand – »Theuerster Freund und Gönner –« holte er tief Athem: – »Ziehen Sie mich aus meiner Angst, und sagen Sie mir aufrichtig: Kann ich wohl den bedungenen Eid mit gutem Gewissen ablegen?« »Ja, Freund« – klopfte ich ihn auf die Achsel, »mit dem besten von der Welt – Sie wunderlicher Mann! Was machen Sie für Umstände, und wie mögen Sie Sich nur einen Augenblick besinnen? Bei zwei Talenten – und sonst auf Gottes Erdboden nichts – könnte man, dächt' ich, ja wohl eins abschwören, wenn der Umstand darauf beruht, ein Freigut zu gewinnen.« Das schien ihm einzuleuchten. »Sie werden im Anspachischen und überall,« fuhr ich fort, »menschliche Gebrechen genug finden, deren Sie so viele in Wachs pousiren können, als Sie wollen. Das verbietet Ihnen ja die Tante nicht, und giebt Ihrer Thätigkeit allen möglichen Spielraum.« – »Da haben Sie Recht,« erheiterte sich auf einmal sein trübseliges Gesicht. »Spornstreichs laufe ich nun nach Hause, um Anstalten zu meiner Abreise zu machen – will meine Madonnen und Seestücke recht behutsam einkästeln, und ....« »Ist das nicht wieder ein Einfall! Was um Gotteswillen, gedenken Sie mit so vielen unbefleckten Jungfrauen in den Preußischen Staaten anzufangen, wo man an keine einzige glaubt?« »Aber, fragte er sehr naiv, die von letzthin darf ich doch – Notre Dame de Graces von Cotignac?« »Auch diese Nothhelferin« – erboste ich mich über seine Thorheit – »hat [134] dort keinen Ruf. In unserer Religion und bei unsern Gensdarmes – was brauchts da solcher außerordentlichen Vermittlerinnen? Und nun vollends Ihre Marinen! – Dort – überlegen Sie selbst – auf dem festen – ja, wie einige behaupten – auf dem festesten Lande – nahe bei Nürnberg – wie können Sie wohl – hoffen, daß Sie damit Eindruck und Aufsehen machen werden? Als Vorbilder taugen Ihre Stürme – Kriegsschiffe – Kaper und Brander nicht einmal so viel, als Ihre Madonnen. – Als Anleitung zur Seeräuberei erreichen sie nicht die schlechteste Deduktion, und für das natürliche Strandrecht würden Ihre Beweise mit dem Finger auf dem gemalten Ocean denen weit nachstehen, die ein dort abgegangener Kammerrath oder Direktor längst schon gegen die Gränznachbarn geführt hat. Folgen Sie mir, verkaufen Sie, um den schweren Transport zu ersparen, Ihren ganzen artistischen Nachlaß einem hiesigen Trödler, ohne lange zu handeln. Kann er Profit daran machen, so gönnen Sie es ihm ja ... Doch noch Eins, alter Freund, ehe wir uns trennen! Haben Sie auch Reisegeld?« – Er schüttelte kleinmüthig den Kopf. – »Nun so borge ich Ihnen, was ich gestern nicht gethan hätte, vierzig Louisd'or – hier nehmen Sie – damit können Sie das Post- – und die Einnahme von Ihren Gemälden dazu gerechnet, – auch das Schmiergeld bezahlen! – Und nun – leben Sie« – ich streichelte ihm das Kinn – »recht wohl, armer gerupfter Sperling, und zaudern Sie nicht, um bald in die Federn zu kommen.« Er begleitete mich bis an den Wagen, weinte – küßte mir dankbar die Hand, und so schieden wir beide sehr gerührt von einander.

Es erweckt doch ganz eigene Empfindungen, wenn man nach so vielen Erfahrungen, als ich in der Fremde gemacht habe, endlich seine Wagendeichsel dem Vaterlande zugekehrt sieht. Aber hätte mich nicht meine Unbesonnenheit mit der Schreibtafel gezwungen, den Weg fortzusetzen, glaube mir, das Gesetz der moralischen Schwere, das dem Schweizer, wie dem Lappländer, außerhalb seinem Neste keine Ruhe vergönnt, würde sogar in diesem Augenblicke von seiner Kraft an mir verloren haben..... Edler [135] großmüthiger St. Sauveur! Die überraschenden Stunden, in denen du meinem erschlafften Herzen so viele schöne Beispiele männlicher Tugend zuspieltest – der Zauber jugendlicher Schönheit und Unschuld, durch den die holde Gefährtin deines Lebens einige Tage des meinigen verklärte, sind Bande, die mein Wesen an das eure bis zur Auflösung des Grabes fesseln. – Und du, der reinen schönen unverdorbenen Natur herrlichster Zögling – du meiner Wünsche erhabenes Ziel! – Wie viel lange Morgen noch, o Agathe, werden meine Träume bis zu dem Zeitenwurf über dir schweben, der, wenn Gott mein Gebet erhört, alle folgende Tritte deines Gangs mit Rosen bestreuen soll. Durch meine Vereinigung mit dir wird mein Daseyn erst sein wahres Kolorit – und jeder Winkel der Erde, an den du es ankettest, den Reiz meines Vaterlandes gewinnen. Aber Ihr, zu denen diese Empfindungen in der Ferne, die uns scheidet, hinströmen – du heilig verbundenes Drei! vergieb mir, wenn ich in dieser hinfliegenden reichhaltigen Minute, über dich und deinen Himmel voll Seligkeit noch eine Macht erkenne, die selbst, ergreifender als du, mein bebendes Herz anmahnt! Ja, Eduard, in diesem Gedränge so lieblich schwärmerischer Gedanken war sie es, die holde Irrende, die gebietender als alle andere Lockungen vor meine Seele trat. Jenes heilige Gefühl, unter ihren Augen gewonnen, das sich von dem weltlichen Geschäfte, dessen ich mich eben entledigt habe, wie die Andacht von dem Wucher, zurückzog, heftete sich jetzt nur desto stärker an meine empfängliche Seele und verbreitete sich über sie in vielfach dunkelm Geflechte. Sie schien meinem vorbeirollenden Wagen aus ihrem Kerker nachzurufen: Kehre um, leichtsinniger Mensch! – Erwarte das große Schauspiel meiner Genesung, um an meinem Altar dein Herz an der heiligen Flamme zu erwärmen, die mein grausendes Schicksal umnebeln, aber nicht verlöschen konnte. Kehre um und sieh, wie sich aus der Verklärung meines Freundes ein Funken herabsenket, der meinem Irrgestirn zur Rückkehr in seine Bahn vorleuchten – an meiner Brust lodern – das Ebenbild seines Vaters zurückstrahlen, und mein vertrocknendes Auge mit lindernden Thränen befeuchten wird! So sprechend [136] stand die hohe Dulderin vor meiner Seele; als ich aber aus dem Kreise des magischen Spiegels heraustrat, und mich nach mir selbst wieder umsah – ergriff und schleuderte mich mein Bewußtseyn in einen desto düsterern Abgrund.

Freund, ich habe Dir nie verleugnet, was in meiner Tiefe vorging – warum sollte ich Dir jetzt die beschämenden Gefühle verhehlen, die, wie der Zugwind auf offene Wunden, auf die schmerzhaften Stellen meines Herzens eindrangen. O! das ist eine viel zu schonende Vergleichung. – Es war der reine Lichtstrom aus Agathens unbefangenem – aus Klarens belohntem und aus dem bangenden Herzen der heiligen Märtyrin zusammengeflossen, der die Kruste eines stehenden Sumpfs bespülte und die Quellen seines schädlichen Aushauchs sichtbar machte. – Der Anblick empörte meinen Stolz. – Ich wollte Trost – erwartete Schutz – forderte Beruhigung von ihm – erhob mich – und, woher, fragt' ich übermüthig, kommt dir so unverlangt die Beleuchtung deines Unwerths? – von einer Wahnsinnigen...... Wie? welcher Dämon gab mir dieß verunstaltende Wort ein?

O du schuldloses Opfer des grausamsten Verhängnisses. – Wehe dem Lästerer, der das Kleinod deines Wesens darum nicht für unschätzbar erklären wollte, weil es getrübt ist! Er lasse den Nebel des Augenblickes verdünsten, und wie ein angehauchter Diamant, wird es in seinen angebornen Glanz – in seine fleckenlose Natur übertreten. – Selbst in der Gluth der Vernichtung wird es, gleich ihm, in Aether zerfließen und keine Spur irdischen Ursprungs zurücklassen. –

Ich habe mir längst abgemerkt, Eduard, daß jede liebevolle Empfindung mir weit wärmer in den Kopf tritt, wenn ich fahre oder reite, als auf meinem Lehnstuhle. Ueberfällt mich ein solcher Enthusiasmus in einer Postchaise, so verliere ich mich selbst – wie hier, zu Pferde gemeiniglich meinen Hut. Wundere Dich also nicht über die kostbaren Ausdrücke meines Selbstgesprächs, und laß mich ruhig fortschwärmen, bis ich die Station erreicht habe. O Liebe, Liebe, rief ich gen Himmel blickend, du in der Sprache der Engel erhabenstes Wort – in dem Sternenkranze des Ewigen [137] mildester Strahl – herrlichstes aller Gefühle, nur dem Menschengewürme unbegreiflich, das über den ächten Sinn deines Namens weg – zu Sprachverwirrern hinkriecht, die ihn mit Schlangenzungen mißdeuten. Ach! kein Pulsschlag verklingt in dem Reiche der Natur, der nicht Millionen Verlästerer deiner Gottheit erweckte. Als Sinnbild von dir setzen sie das raubgierigste Ungeheuer auf deinen Altar – wähnen bei der Enthüllung ihres befleckten Götzen deinen heiligen Schleier zu heben, und schmücken die Opfer, die sie ihm würgen, mit dem Afterscheine deines unsterblichen Kranzes! O ihr Betrüger euer selbst, ihr lieblosen Verfolger der weiblichen Würde! Haben sich wohl je eure Irrgänge dem stillen Pfade genähert, auf welchem die Liebe einherwandelt? Unschuld tritt ihr voran, reulose Freuden folgen ihr, und ihr Ausgang verläuft sich in die seligste Ewigkeit. Werfet nun einen Blick auf das Blendwerk eures Anführers, und zittert! Selbstsucht ist sein Schild, Trug seine Rüstung, und seine Waffengefährten sind in der Hölle geworben. Nur niederträchtige Künste – sinnliche Verlockung – Meineid und Verläumdung folgen seiner Blutfahne. O ihr, seine strafbaren Anhänger, aus was für entsetzlichen Haufen müßt ihr nicht die Mitgehülfen eurer Unthaten wählen, um an ein Ziel zu gelangen, wo nur Seelenpeiniger in scheußlichen Larven euer warten. – Euer ehrloser Rückzug geht über Felsenspitzen und Dornen, und aus euerm schändlichen Sieg werdet ihr nichts von der mühsam errungenen Beute nach Hause tragen, als ein verletztes Gewissen. – Und nun dieselbe Hand auf's Herz, die dieß ernste Gemälde entwarf! Konnte sie denn nirgends ihren Pinsel reinigen, als in einem Tollhause? Buhlerisches Avignon – dort war es, wo ich – was will ich's läugnen? – die sittlichste Kunst zum Dienste des Unsittlichen erniedrigte – dort, wo mein entbranntes Gehirn jene schlüpfrigen Bilder entwickelte, zu denen ich, wo nicht selbst saß, doch andern Mißgestalten zu sitzen erlaubte. Könnte der Zufall, der sie mir auf dem Krankenbette wegstahl und zum Feuer verdammte, den Maler beruhigen, der sie aufstellte, wie froh wollte ich über ihren Staubhügel hinwegsehen! ... Das könnte ich wollen? Nein, Eduard; ich würde vielmehr mit Freude [138] jene Erfahrung meines Lebens – wenn ich die Palingenesie verstände, – aus ihrer Asche hervorrufen; – sie sollten vor meinen und anderer Augen leuchten, so lange der Schmutz, aus dem sie entstanden, noch Farbe hielte. Dem Unerfahrnen, der meine Bilder anstaunte, dem Lüsternen, der ihnen zulächelte, und dem Kenner, der die Treue der Kopie aus seinem eigenen Originale abzöge – ihnen allen sollte mein Kabinet offen stehen, und – wenn die Herren über dem Eingang die Aufschrift: Plusque ex alieno jecore sapio quam ex meo – gelesen und ihre Ferngläser hell gerieben hätten, – sollte es mir lieb seyn, sie, von einer Nudität zur andern verlockt, endlich an der Warnungstafel anprallen zu sehen, die ich mit beträchtlichen Kosten an dem Ausgange meines Saals aufgerichtet habe. Hier möge dann jeder sich besinnen – den Spaziergang durch meine Gallerie mit dem vergleichen, den er durch die Welt nahm – möge sich – nachdem es kommt – entweder freuen, daß er, Gott sei Dank, auf allen seinen Reisen zu Wasser und zu Lande nie an solche Klippen gestoßen – möge, wenn er kann, sich etwas darauf zu gute thun, daß sein Putz- und sein Schlafzimmer – von Scipio's Enthaltsamkeit an bis zu der keuschen Lucretia, nur mit Tugendspiegeln getäfelt sei – oder er fasse auch den kurzen Entschluß, sich nie von seinem Ernste und seiner Studierstube zu entfernen, um sich keinen solchen Gefahren auszusetzen, als mich leider! betroffen haben, und, wenn sie ihm ja aufstießen, mein abschreckendes Beispiel zu benutzen, und ihnen klüger auszuweichen, als meiner Wenigkeit gelang. Auch das soll mir recht seyn. Müßte er sich aber als ein ehrlicher Mann gestehen, daß seine Sittlichkeit, hier und da, wohl noch schimpflichere Niederlagen erlitten habe, als die meine, so weiß ich ihn mit keinem bessern und brüderlichern Rath zu entlassen, als – er schlage den Weg ein, auf den mein hölzerner Arm hinweist – den Weg der Reue, wo er auch mich mit meinem Wanderstabe finden wird.....

»Das sind faule Fische« – war das erste Wort, das ich hörte, als ich mit meinem Selbstgespräche vor dem Posthause abtrat. Ich stutzte – bis ich sahe, daß es nur einer Höckerin galt, [139] die der Hausknecht, trotz der Versicherung, daß die Sardellen frisch wären – abwies. Wenn es nun aber ein Philosoph gewesen wäre, befragte ich mich, der dir mit diesem entscheidenden Urtheile in den Korb geguckt hätte? was würdest du ihm haben antworten können? Ein Glück für ihn, daß ich wieder auf eigenen Füßen stand und alles Hochtrabende in der Chaise zurückgelassen hatte: – denn nun ward mir die Sache erst selbst klärer. – »Nicht ganz getroffen!« erwiederte ich ihm. »Faule Fische, sagen Sie? Nein, mein Herr, es sind gar keine – sind nichts, als gute ehrliche Frösche, die ich zum Zeitvertreib mit der Angelruthe in dem nächsten Tümpel gewonnen habe, um Versuche, die zu sehr wichtigen Resultaten leiten können – über die Reizbarkeit der Nerven anzustellen. Ich mache mir zuweilen den Spaß, während Euer Ehrwürden den Ungeheuern des Oceans Wurfspieße entgegen schleudern, ohne, daß ich wüßte, eins noch getroffen oder getödtet zu haben. Meine Frösche können wenigstens nicht mehr quaken, wenn ihnen die Haut über die Ohren gezogen ist. Ihre gute Absicht, mein Herr, ist jedoch gewiß nicht zu verkennen, und verdient den Dank aller Edeln.« So kämen wir als gute Freunde aus einander, und gingen, glaube ich, jeder ruhig und mit sich zufrieden ins Bette.


Den 26sten Februar.


Als ich mich gestern Abend der Sektion der Frösche gegen den Philosophen annahm, hätte ich nicht geglaubt, daß ich Dich heute um dieselbe Zeit mit einem Mitbruder meiner Studien bekannt machen würde, der die Sache ins Große treibt, und den ich selbst erst zwischen Nimes und Montpellier kennen lernte. Es traf sich sonderbar genug. Ich brach heute mit dem frühesten auf und stieg so schlaftrunken in den Wagen, daß Bastian ein paar elastische Kissen unter meinen Kopf legte und mich der Ruhe übergab, die ich vorletzte Nacht der Unterhaltung des Dominikaners so gern aufgeopfert und in der vergangenen noch nicht hinlänglich ersetzt hatte. Ich legte also eine Station nach der andern so sanft zurück, als wenn es auf meinem Bette geschähe. Wir waren durch Nimes gefahren und schon eine gute Strecke bei Caverac vorbei [140] als meine Chaise still stand und das Fluchen des Postknechts mich ermunterte. Vier Wagen vor dem meinigen sperrten den Weg, weil an ihrer Spitze ein fünfter das Rad gebrochen hatte, und sie mochten schon lange da gehalten haben, ehe ich ankam. Bastian war ausgestiegen, um zu sehen, was vorging. Ich hörte ihn von weitem mit einem Bekannten sprechen, und verließ nun auch meine Polster. Der erste Wagen, dem ich neugierig vorbeischlich, faßte drei Frauenzimmer, immer eins reizender als das andere. Ich machte ihnen meine tiefe Verbeugung, die ich mit Erstaunen über eine so ungewöhnliche Erscheinung an dem zweiten, dritten und vierten Wagen wiederholen mußte. Was in aller Welt ist das für ein Transport? dachte ich. – Entweder ist hier herum eine Pensionsanstalt für junge Fräulein, oder ein Bassa von drei Roßschweifen schickt, Gott weiß warum? sein Serail nach Montpellier. Indem ich so da stand und mich der lachenden Gegenstände freute, die den Steinweg belagerten, klopfte mich Jemand auf die Schulter. – Ich drehte mich um – erinnerte mich sogleich des ehrlichen Gesichts und ... »Je – lieber Onkel!« rief ich ganz verstört – »wie kommen wir denn, so weit von Cavaillon – hier zusammen? – Sind Sie denn nicht mehr Wirth in dem Propheten?« »Nein, mein Herr,« antwortete er mit sichtbarem Frohsinn. – »Ich habe die lästige Wirtschaft aufgegeben – diene seit kurzem als Mundkoch bei Lord Baltimore, der dort sich mit den Leuten zu thun macht, die seinem Wagen aufhalfen – und reise jetzt mit ihm nach Spanien.« – »Und diese vier Wagen?« fragte ich – »Gehören zu seinem Gefolge.« – »Und dieß Dutzend allerliebster Kinder?« – »Sind Kammerjungfern seiner Gemalin. – Wenn Sie wollen, will ich Sie unserer jungen Gebieterin vorstellen, der auf jener Rasenbank ohnehin Zeit und Weile lang wird – so ist Ihnen beiden geholfen.« »Wohl,« sagte ich, »wenn Sie glauben« – und so näherten wir uns der vornehmen Frau. Schon in einiger Entfernung konnte ich schließen, daß es keine gemeine Schönheit sei. – Ihr Reisekleid von grauem Taffet lag ihr von obenher knapp an, und umflatterte ein paar vorgestreckte niedliche Füßchen. – Ein schwarzer Sommerhut beschattete ein helles Gesichtchen – [141] die eine Hand spielte mit einem Spazierstock, die andere ruhte auf einem englischen Windspiele neben ihr, das uns anmeldete. Das Ganze gab ein freundliches Bild. – »Hier, Mylady,« rief mein Introducteur, »habe ich die Ehre, Ihnen einen meiner Bekannten vorzustellen, dem die Equipagen Euer Gnaden den Weg verstopfen.« Die herrlich schlanke Figur erhob sich ein wenig von ihrem Sitze. Ich verneigte mich auf das ehrerbietigste – stotterte einige Entschuldigung über meine Freiheit – richtete mich in die Höhe – begegnete ihren Augen und ... »Mylady« – und – zugleich – »um Gotteswillen!« rief ich – »Sie sind es – Klärchen – Sie?« –

Wenn Du denkst, daß sie von uns beiden es war, die am meisten erschrak, so kennst Du sie schlecht. – Mit der stolzesten Ruhe maß sie mich mit den Augen, und sagte mit Würde: – »Ich heiße jetzt Baltimore, Gemalin des Herrn, der eben auf uns zukommt. – Wie ist es Ihnen zeither gegangen?« Ich stand verblüffter vor ihr, als jemals – ohne eine Silbe zu antworten. Unheimlicher ist mir in meinem Leben nicht gewesen. – Ueberlege selbst, Eduard, was hier alles zusammentraf, um mich außer Fassung zu bringen. – Die hohe fremde Miene der Dame – gegen einen Bekannten, wie mich – ihr gegenüber – die Schreibtafel des Barons mit ihrem Mignaturgemälde und meinem Epigramm in der Tasche – scheu, wie ich immer gegen alle und jede bin, die Thorheiten von mir wissen, so daß ich lieber von ihrem Tode höre, als ihnen begegne – und in demselben Augenblicke zugleich von der Gefahr umschwebt – dem Lord – Klärchens Gemal – meine Hochachtung zu bezeigen ... Nein, Eduard – um mit solchen Verlegenheiten zu kämpfen, muß man eine unverschämtere Stirn haben, als ich. Mein Entschluß war kurz – Ich faßte den Propheten-Wirth bei dem Aermel – drehte mich um, und eilte nach meiner Chaise. – Als wir so weit waren, daß uns Niemand hören konnte, blieb ich stehen. – »Nun, lieber Herr Mundkoch« – schöpfte ich Athem – »jetzt, bitte ich, befriedigen Sie meine Neugier, die unglaublich ist! – Wir kennen ja beide ihre liebe Nichte von dem Bette an, wo ihr der Teufel zum ersten [142] Male erschien, bis zu dem Sopha, wo ich ihr das Strumpfband der Maria verhandelte – durch welches Wunder ist ihr die Hand eines reichen vornehmen Engländers zu Theil geworden?« – »Durch kluge Erfahrung,« antwortete er, »die bei den Weibern meistens den Abgang der Unschuld ersetzt – und durch die Blindheit, mit der Gott uns Männer gestraft hat. So erkläre ich mir wenigstens die Sache, wenn mir das und jenes von der Donna einfällt, und ich über ihr Glück erstaune. – Aber jetzt, glauben Sie mir, verdient sie es. – Sie ist ganz wieder auf dem Wege der Tugend, eine zweite Magdalena – liebt ihren Mann und macht ihn glücklich.« – »Seit wie lange?« fragte ich. »Seit heute vor acht Tagen,« erwiederte er; »sie verlangte – und der Lord freute sich kindisch darüber – in der Franziskanerkirche – gerade über dem Grabe der tugendhaften Laura getraut zu werden. – Herr Ducliquet hat sie eingesegnet – der getaufte Jude hat bei der Ceremonie aufgewartet – und in der Propstei« ... »Ist, fiel ich ihm in's Wort, die Hochzeit gewesen?« »Ja,« sagte er, »und auch das Beilager.« Ich schlug bei dieser Nachricht die Hände gefalten über den Kopf. – »Barmherziger Gott,« rief ich aus, »welch ein Greuel von Menschenverbindung an deinem Altare! Gute Laura, was für antipetrarchische Gedanken mögen an diesem Tage über deiner Asche geschwebt haben!« – »Ruhig, mein Herr!« erinnerte mich der Propheten-Wirth, »meine Nichte bemerkt Sie – Lassen Sie uns alles vergessen und vergeben seyn, was vorbei ist, und gedenken Sie künftig der Lady Baltimore im Besten. – Doch ehe wir uns trennen, mein Herr, – denn ich sehe, daß meine Herrschaft einsteigt, muß ich Ihnen geschwind einen Irrthum benehmen, in welchen ich Sie in Ansehung Ihres Landsmanns gesetzt habe. – Es war eine boshafte Nachrede seiner fortgejagten liederlichen Bedienten, – denen ich keinen Glauben hätte beimessen sollen. Der brave Mann hat sich mit Klärchen nicht einmal so viel vorzuwerfen – wenn ich so frei seyn darf, es zu sagen – als Sie. Ein Liebhaber der Kunst kann ja wohl in allen Ehren ein schönes Mädchen als Modell benutzen! Mehr hat er nicht gethan. Ich habe seitdem Herrn le Sauve kennen lernen, den [143] Maler, der für ihn gearbeitet, und dem Klärchen in mancherlei Stellungen gesessen hat – von dem weiß ich alle Umstände. Gnade Gott dem Herrn, der auch die unschuldigste Sache bei verschlossenen Thüren vornimmt! – Mehr braucht es bei solchen Schurken nicht, um ihn in den schlimmsten Ruf zu bringen – so daß er zuletzt keine Tasse Hühnerbrühe mehr nehmen darf, ohne Verdacht zu erwecken..... Doch ich muß fort – leben Sie wohl – wir bleiben nur diese Nacht in Montpellier.« – Die vier vordersten Wagen waren schon in vollem Galopp – er hatte seinen Platz in dem fünften – dem nächsten vor dem meinigen. Mein Postillion, voll Ungeduld über den Aufenthalt, blieb nicht zurück, so daß ich die Ehre hatte, im Gefolge von Lady Klärchen an dem Posthause anzulangen, wo die Quartiere für die englische Herrschaft schon durch einen Kourier bestellt waren.

Den ganzen Weg über hatte sich meine Neugier um eine Frage herumgedreht, deren Auflösung von meinem geschwinden Aussteigen aus dem Wagen abhing, ehe mir der Mundkoch entwischte. – Ich kam ihm glücklich entgegen. – »Nur noch ein Wort statt tausend,« hielt ich ihn bei dem Kragen. – »Warum in aller Welt führt Ihre Frau Nichte Gnaden wenigstens ein Dutzend Kammerjungfern mehr mit sich, als eine Königin brauchen würde?« – »Das muß freilich Wunder nehmen,« antwortete er, »wenn man den wahren Zusammenhang nicht weiß. – Mylord – so hat mir sein Kammerdiener vertraut, schreibt ein systematisches Werk über die Eigenheiten der Weiber. – Englische Schriftsteller wählen ja immer ein auffallendes Thema. – Diese artigen Kinder sind nicht sowohl im Dienste bei seiner Gemalin – als in dem seinigen – sind Studien für seine philosophischen Spekulationen und ahnden es selbst nicht. Sie verrathen ihre kleinen Schwachheiten – Fehler und Tugenden unbefangen, und liefern ihm tagtäglich neue Bemerkungen zu seinem Texte. Es ist der vollständigste Apparat zu dergleichen physiologischen Experimenten, den man sich nur denken kann – aus den leichtsinnigsten–schwermüthigsten – sprödesten – unschuldigsten – und erfahrensten Geschöpfen zusammengesetzt – mit deren Seelen, (denn wirklich ist es nur darauf abgesehen) [144] er hunderterlei Versuche anstellt, um endlich ein neues Resultat herauszubringen. Gott gebe, daß es ihm gelingt – denn es wäre gewiß ein sehr nützliches Buch!« – »Und dieser Sachverständige,« fuhr mir heraus, »hat Ihre Nichte heirathen können?« – »Stille,« fiel mir mein verunglückter Oncle ins Wort – »hier ist nicht der Ort, darüber zu schwatzen. – Ich muß in meine Küche – leben Sie wohl, mein Herr, leben Sie wohl!« – Das Buch möchte ich sehen – setzte ich nun meine Verwunderung mit mir allein fort – indem ich mich von einem Lohnbedienten in die Stadt führen ließ, in die man, wie du wohl wissen wirst, nicht anders, als zu Fuße oder in Sänften kommen kann. – Armer Autor! Gott gebe dir Glück zu deinen Studien, denen freilich die meinigen nicht das Wasser reichen! Ueber deine junge Frau könnte ich dir zwar wohl wichtige Beiträge liefern – aber, ob sie es gleich nicht um mich verdient hat, würde ich mich doch schämen, weniger edel zu handeln, als Herr Ducliquet, der Probst und der getaufte Jude.

Montpellier ist bei allen seinen unläugbaren Vorzügen doch eine sonderbar ängstliche Stadt, lieber Eduard. – Gassen, die so schmal sind, daß die Inwohner der gegenüber stehenden hohen Häuser einander die Hände reichen können, und ein Liebhaber, der so gute Gelegenheit hat, seiner Schönen den Tag über in die Fenster zu sehen, nichts weiter als ein Bret braucht, um des Abends einzusteigen. Wenn die Hitze zunimmt, spannt man, aus Furcht vor dem Sonnenstich, Tücher über sie her. Dann sieht jede ohnehin wie ein Himmelbette aus, und kann füglich dazu benutzt werden. Die Schilder der Wirthshäuser sind alle aus der Botanik genommen. – Da hört man von keinem Römischen Kaiser oder Kurfürsten, wie in Frankfurt und andern deutschen Städten, sondern nur Namen aus dem Linneus. Ich fragte nach dem besten. Mein Lohnlaquai nannte mir die Rhabarber-Pflanze und die Chinawurzel. – Ich wählte das letztere und hätte es nicht besser treffen können; denn an der Hausthüre lehnte ein Bedienter, dessen mir nur allzubekannte Livree mich sogleich verständigte, daß er dem Herrn angehöre, den ich suchte. Er bestätigte es, und war so flink in seinem Dienste, daß er dem Baron die Ankunft der Schreibtafel [145] schon gemeldet hatte, als ich noch auf der Treppe war. Kaum hatte ich meinen Staubmantel abgeworfen, so trat dieser auch schon in mein Zimmer – eine Figur von dem edelsten Anstande, ein offenes – liebreiches – verständiges Gesicht – so einnehmend und munter in seiner Unterhaltung, wie es nur ein Deutscher seyn kann, den gute Gesellschaften und Reisen gebildet haben. Ich wußte nicht gleich, nach was ich zuerst greifen sollte, um ihm eine bessere Meinung von mir beizubringen, als ich selbst hatte – machte Entschuldigungen über den Aufzug, in dem er mich träfe – hätte zwei Nächte nicht geschlafen – und käme – das war es eigentlich, wodurch ich mir ein Ansehen bei ihm erbetteln wollte – von der Bastide meines vertrautesten Freundes, des Marquis von St. Sauveur, dessen Vermählung ich als der einzige Gast beigewohnt hätte.

In der That traf ich es hier wieder so gut damit, wie bei Herrn Filbert. Er kannte den Brigadier – wünschte mir Glück zu seiner Freundschaft – und hörte mit innigem Antheil mein enthusiastisches Lob über seine Gemalin. »Es ist wohl Schade,« sagte er, »daß Sie ihm nicht auf sein Stammgut haben folgen können. Dort würden Sie ihn als einen kleinen Fürsten bewundert haben, der alles das leistet, was man oft umsonst von dem größten erwartet.« Ich ging nun nicht ohne Herzklopfen zu dem Hauptgeschäft über, das ich mit ihm abzuthun hatte. – Er machte es mir sehr leicht – nahm alles, was ich über meine hitzige Krankheit – nachherige Erschlaffung – und verordnete Zerstreuung zu meiner Rechtfertigung herausstotterte – für gültig an, und forderte, ehe ich ihm noch seinen Verlust einhändigte – Feder und Tinte, um durch ein Billet an den Kriminal-Gerichts-Präsidenten, den armen Puppenspielern noch vor Nacht ihre Freiheit zu verschaffen. »Es ist nicht meine Schuld,« sagte er, »daß die guten Leute in Ketten liegen«. Sie wurden zwar auf meine Anzeige in den Zeitungen – nach der Livree, die sie trugen – eingezogen; doch ihre eigene Aussage in dem Verhör, das man mit jedem besonders anstellte, machte sie hauptsächlich verdächtig. Sie mußten ganz den Kopf verloren haben. – Daß sich der eine Prologus, der andere [146] Epilogus nannte, ließ man Puppenspielern hingehen; als sie aber den Herrn, der sie gekleidet, angeben und beschreiben sollten, standen beide mit einander in geradem Widerspruch. – Der eine nannte Sie so, der andere so, und ich konnte nur versichern, daß kein Edelmann in ganz Deutschland einen so kauderwelschen Namen führe. Der älteste Bruder sagte aus, Sie wären in Avignon eines Kirchenraubes wegen arretirt worden – der jüngste, Sie hätten die heilige Dreifaltigkeit in einem Kamin entdeckt. – Man fragte nach ihrem Abschiede, sie hatten keinen aufzuweisen. Ihr Herr wäre durch ein Wunder aus Avignon entkommen – zu Lambesk hätten sie die Schreibtafel in einer verborgenen Tasche gefunden – und dem Herrn sogleich in Verwahrung gegeben – der es vermuthlich vergessen, sie dem Eigenthümer auszuliefern, und bei ihrem Abgang in Begriff gestanden hätte, in sein Vaterland zu gehen. Diese widersprechenden Aussagen, die alle Stunden einen neuen tollen Zusatz erhielten, erbot sich doch jeder Bruder zu beschwören – dabei sahen sie sich vor Gerichte so scheu um, wie das böse Gewissen. Die Frau, wenn es möglich ist, bezeigte sich noch verwirrter. Sie deklamirte in leeren nichts sagenden Phrasen ihre Vertheidigung, und rief unaufhörlich in dem Gefängnisse und vor dem Tribunal: ›Ach mein Theseus! – wo bist du hin, mein Theseus?‹ – Doch war sie es, die den Brief an den deutschen Baron in dem heiligen Geist schrieb, ohne Hoffnung zwar ihn anzutreffen, und den ich sogleich durch eine Stafette abschickte. Mir fing selbst an bange für den Ausgang zu werden. Ich hielt sie zwar sehr richtig für Narren – verschob jedoch mein Urtheil über den Verdacht, dem sie bloß standen. Das Tribunal hingegen hielt sie hinlänglich für überwiesen, und ohne meine Gegenvorstellung hätten sie vielleicht schon die Question ordinaire et extraordinaire erlitten. Es thut mir leid, daß den armen Schelmen ihre Ehrlichkeit so übel belohnt worden ist. Daß mich ihre Unschuld jetzt mehr freut, als Schreibtafel, Venus und Brief, die ich eins wie das andere für verloren hielt, können Sie mir wohl zutrauen. Ich bin glücklich, daß meiner über die Zeit verschobenen Abreise nun nichts mehr im Wege steht. Denn vielleicht wissen Sie schon, mein Herr, [147] daß mich in Deutschland eine liebenswürdige Braut mit Sehnsucht erwartet, um so viel mehr, da mein letzter Brief ihr den Tag meiner Ankunft bestimmt, und sie gebeten hat, mir auf ein Gut ihrer Tante sechs Meilen weit entgegen zu kommen. Die Aengstlichkeit, mit der sie mir sonach entgegen sehen muß, beklemmt mich nicht wenig.« – Brauche ich Dir, lieber Eduard, wohl die Stellen in dieser Erzählung anzustreichen, die mir einen Stich nach dem andern ins Herz gaben. Ich erduldete sie ohne Murren, als eine gerechte Züchtigung meines unverantwortlichen Leichtsinns. Kleinmüthig zog ich das anvertraute Gut aus der Tasche, aber wie ich es dem Eigenthümer einhändigte, brachten mich die Vorklagen, die ich beifügen wollte, in eine neue Verlegenheit. Auch diese schlug er sofort als ein Mann von Welt nieder. Er öffnete die Schreibtafel, besah mit wahren Kenneraugen Klärchens Bild und überlas lächelnd mein Epigramm auf der Hinterseite. Die Gelegenheit war zu gut, um ihm nicht die Veränderung bekannt zu machen, die seitdem mit dem Original vorgegangen sei, und durch welches Ungefähr ich heute ihr Gefolg verstärkt hätte. »Nur heute? das ist glücklich!« sagte er ein wenig ironisch, (vermuthlich hat der Pro- und Epilogus eins und das andere zu Protokoll gegeben, was er Anstand nahm, mir gerade in das Gesicht zu sagen). »Also an Lord Baltimore verheirathet? Nun da ist sie in den rechten Händen,« schlug er ein lautes Lachen auf – »ich kenne den alten Schwärmer und seine abgeschmackten Versuche für einen Text, über den unser kluges und erfahrnes Klärchen ihn in einer Stunde mehr lehren würde als alle die abgesetzten Lady's, die ihren Triumphwagen begleiten. Wer weiß, ob sie ihn nicht wieder zum Glauben an weibliche Tugend bekehrt, und seine Erfahrungs- und Seelenkunde mit einem Phänomen bereichert, dem er bis jetzt umsonst nachgeforscht hat. Wie wird sie die Unbefangene spielen – ihn schon von weitem kommen sehen, während er seine Experimente für die ersten hält, denen sie bloß steht. Die Reise nach Spanien ist gewiß ihr Werk. – Dort, wo keine Seele sie kennt, wird sie ihm noch lange, ehe sie in den hintersten Wagen versetzt wird, für den Stein der Weisen gelten, den er sucht.« – Ich erwähnte des[148] Mundkochs. – »Den allein,« sagte er, »wünschte ich von der saubern Gesellschaft zu sprechen. Der Ehrenmann hatte mich vor einiger Zeit, wie mir mein Kammerdiener vertraut hat, in einem schimpflichen Verdacht, und seine liebe Nichte, der er damals alles Böse an den Hals wünschte, in einem noch schimpflichern.« – »Diese Ungerechtigkeit,« fiel ich dem Baron ins Wort, »bereut er jetzt gegen beide von Herzen, seitdem er einen unverwerflichen Zeugen Ihrer bloß artistischen Verhältnisse mit seiner Nichte – den Herrn Le Sauve gesprochen hat, der die Schöne so oft unter Ihren Augen und in der Lage gemalt hat, die Sie dem Modell gaben.« – Der Baron verfiel in ein kleines Nachdenken, das ihn glücklicherweise verhinderte, die brennende Schamröthe zu sehen, die mir in das Gesicht trat – denn siehe nur, ehe ich mich dessen versah, fiel mir der verfluchte Stimmhammer, bei dem meine Kunst scheiterte, und die geweihte Farbe ein, die ich verschüttete. – »O hätte ich,« erwachte der Baron wie aus einem Traum, »das schöne Geschöpf noch so unmündig an Kenntnissen und Jahren gefunden, als da Herr Ducliquet ihre Bekanntschaft machte, keine Seele würde jetzt gegen die Wahl des Lords etwas gegründetes einwenden können. So aber war sie schon ganz verloren, als ich sie kennen lernte – nur für die Kunst des Malers nicht. Ihre trügerische Außenseite konnte schon keinen mehr betrügen, dem es nicht ganz an sittlichem Gefühl und gesunden Augen fehlte, wenn er nicht wie Baltimore, für sein freigeistiges System mit Blindheit gestraft war – am wenigsten ein Herz wie das meinige, das einem fast eben so reizenden – zugleich aber auch dem reinsten und tugendhaftesten weiblichen Wesen angehört. O, meine Karoline, mit welchem Wohlbehagen unverletzter Treue werde ich dir nun bald unter die Augen treten! Wie belohnend, mein Herr, ist dieses Bewußtseyn am Ende einer Reise, sie mag einen Welttheil oder das Leben umfassen!« – Lieber Eduard, wenn Du mir die glühenden Zangen der Beschämung, die mich bei jedem dieser Worte zwickten, nachfühlen müßtest – ich würde Dich herzlich bedauern. Da mochte ich mich doch auf die eine oder die andere Seite des Prangers stellen, den der Baron Klärchens Liebhabern anwies, so hatte ich keine Ehre [149] davon. Ich bekam eine recht kleine Idee von mir, die noch nicht vergehen will. Besonders that es meiner Eigenliebe weh, daß hier zwei Deutsche in so verschiedenem Lichte einander gegenüber saßen. Ich konnte mir nicht verbergen, daß diesem jungen, blühenden, artigen Manne das Reisen viel besser zugeschlagen sei, als mir. Mich, glaube ich, hat er auf den ersten Blick weg gehabt. Sagte er nicht oben, ich wisse vielleicht schon, daß er eine Braut habe – und würde er wohl mit der Huldigung seiner Karoline so laut gewesen seyn, wenn er mir nicht schon angesehen hätte, daß mir der Inhalt des Briefs in der Schreibtafel so bekannt wäre, als ihm selbst? Was konnt' ich in dieser Ueberzeugung klügeres thun, als den Vorwürfen, denen ich nicht auszuweichen vermochte, offen entgegen zu gehen? »Ich merke, Herr Baron,« stoppelte ich meine verschämten Worte zusammen, »daß Sie voraussetzen, ich habe mich von dem Geheimnisse Ihres Herzens auf eine Art unterrichtet, die große Entschuldigung bedarf. Was mir eigentlich nöthig war um den Eigenthümer des Gefundenen aufzusuchen, konnte mir schon die Adresse sagen – das seh' ich jetzt recht gut ein – und dennoch ...« »Wenn der Brief meines Freundes« – unterbrach er mich – »Ihnen die Zeit verkürzt hat, so hat er seine Absicht doppelt erfüllt, und es ist mir lieb, daß Sie ihn lasen« – »Und auch abgeschrieben?« fragte ich. – »Ja, auch das!« antwortete er lächelnd. »Hätte er ihn im Ernst geschrieben, so viel er übrigens auch Wahres enthält, so dürfte ich wohl hoffen, ihn bald genug zu überführen, wie Unrecht er mir und dem guten Geschmack gethan – und wie voreilig er die Aufschrift über dem Portale meines Landhauses kritisirt hat.« – Ich könnte nun mit gutem Gewissen und an keinem schicklichern Orte als hier den Brief über oder gegen den guten Geschmack, wovon ich Dir bereits in meinem verbrannten Tagebuche den Anfang mitgetheilt hatte, ganz einschieben. Er würde Dir zum bessern Verständniß der Sache, auf die sich die Widerlegung des Barons bezieht – mir aber als eine Anleitung dienen, die Verdienste meines Landsmanns in ein noch schöneres Licht zu setzen – aber ich würde nur dadurch den Faden meiner Erzählung, die doch auch bedacht seyn will, verlieren. Genug, [150] Du sollst nicht darum kommen, und sollte ich Dir ihn in einem besonderen Futteral mitbringen. – »Ich schmeichele mir,« fuhr der Baron mit sichtbarer innerer Zufriedenheit fort, »daß ich die Zeit meiner Abwesenheit in fremden Ländern nicht so gar übel für meinen künftigen Aufenthalt im Vaterlande und für das Glück meiner Erwählten angelegt habe. Die Kenntniß der großen Welt muß vorausgehen, um durch Vergleichung sein häusliches Glück desto schmackhafter zu machen – so wie man nach einigem Genuß sehr feiner Gerichte gern wieder zu einer kräftigen Hausmannskost zurückkehrt. – Auch mein Kunstgefühl soll mir hoffentlich so viele Freude gewähren, als meinen Nachbarn ihre ruhige Ignoranz. Die Leuchter – die Vasen von griechischer Form, denke ich, sollen mir so wenig im Wege stehen als ehemals den Griechen – eine Venus von Titian wird meinem Auge immer einen so angenehmen Ruhepunkt verschaffen, als das freundlichste Gesicht einer Dorfnymphe, und Lady Baltimore in ihrer schönen Nacktheit, wo mich jeder Pinselstrich an das Original erinnert, besser als noch jene Göttin, der man außer ihrem Reiz auch nicht viel Gutes nachsagen kann. Da Sie Klärchen, wie ich gehört habe, persönlich kennen, müssen Sie nicht eingestehen, mein Herr, daß ihr Anblick minder noch wollüstige Begierden erweckt, als edle und erhabne Gedanken, die nur durch die Ungestalt der Seele zurückgestoßen werden, die den herrlichen Bau, wie die Kröte einen Tempel, bewohnt. Haben Sie wohl je Nevisans Gedichte und die dreißig Bedingungen gelesen, die er zu einer vollkommenen Schönheit fordert?« – »Ja,« antwortete ich, »ich habe diese Stelle erst kürzlich für einen meiner Freunde abgeschrieben.« – »Und ich,« – erwiederte der Baron, »habe noch mehr gethan – habe sie, das Buch in der Hand, durch Klärchens Vermittelung mit der Natur selbst – jedes rohe Wort des Dichters mit dem feinen Reiz verglichen, den es anzeigt – sie alle an dem schönen Mädchen beisammen, aber durch das lebendige Kolorit – durch die Abstufung des Schattens und Lichts – durch die Schlangenlinien, die sie vereinigen, ungleich anziehender, und hier den Ausdruck der Natur unendlich poetischer gefunden, als den Dichter. Hauchen Sie nun [151] einer so sinnlich vollkommnen Gestalt Selbstschätzung und Tugend ein, und Sie haben das anbetungswürdigste Ideal weiblicher Schönheit und Würde. Ich will Ihnen aus meinem Portefeuille ein Blatt holen, worauf ich die Physiognomie dieses Mädchens nach verschiedenen Ansichten, als Nonne – Heilige – Betende – Entzückte und als einen Engel geätzt habe. Wäre die Zeichnung – wie sie es freilich nicht ist – von einer Meisterhand – von der Hand eines Raphael oder Battoni, Sie würden nicht läugnen können, daß dieses zur Venus so geschickte Modell unter allen Gestalten denselben Eindruck machen würde. Was kann uns aber einen höhern Begriff von der Allgewalt der Unschuld und Tugend auf das menschliche Herz geben, als daß es selbst in seiner Verdorbenheit durch nichts so stark als durch eine Bildung angezogen wird, in welcher die Anlagen dazu gezeichnet sind, und selbst die größte Verführerin, wenn sie am unwiderstehlichsten zu verlocken trachtet, wider Willen zu dieser Maske ihre Zuflucht nehmen muß.«

Während der Baron in seinem Zimmer die edeln Gesichtszüge der jetzigen Lady Baltimore aufsuchte, kam sein Bursche mit der Nachricht zurück, daß meine ehemaligen Bedienten ... Nein – fuhr es mir so wüthend durch den Kopf, daß ich vom Stuhle aufsprang, ohne weiter auf ihn zu hören – der Prologus, der ihr als Teufel erschien – der Epilogus, in dessen Bette sie flüchtete – die beiden Grenadiere, die sie mir boshafter Weise in Avignon vor die Thür stellte – die armen Unglücklichen, die in Ketten lagen, während der Propst sie in integrum restituirte – Ducliquet sie einsegnete – diese Unschuldigen sind es, die inderselben Nacht erfroren aus einem feuchten Kerker kriechen, in der, wenig Schritte von ihnen, jener Sünderin alle Freuden der Natur zu Befehl stehen, und ein Lord in schwärmender Andacht den unheiligen Busen küßt, an den von Ewigkeit her das böse Schicksal zweier gutmüthiger Puppenspieler gebunden war! Diese Betrachtungen jagten mich die Stube auf und ab, und ich konnte mich nicht eher wieder fassen, bis der Baron hereintrat und nun – der Bediente seinem Herrn viele Grüße von dem Kriminal-Gerichts-Präsidenten ausrichtete und die frohe Nachricht wiederholte, daß die beiden [152] Brüder und ihre Gesellschafterin des Gefängnisses entlassen wären. Wir wünschten gegenseitig zum Ausgange dieses verworrenen Handels einander Glück, setzten uns zusammen an einen Tisch, und fingen nun an nach allen Regeln Lavaters gemeinschaftlich die schönen, offenen, unschuldigen und rührenden Liniamente zu entwickeln, hinter welche die Mutter Natur ein so häßliches – heuchlerisches – freches – und verbuhltes Herz verborgen hatte, als Herr Ducliquet zu seiner Bearbeitung nur eins verlangen konnte. Ich lege Dir zwei von den radirten Exemplaren bei, die mir der Verfertiger zum Vertheilen unter meine Freunde verehrt hat. Ewig Schade, daß meine geheimen Nachrichten von ihr in der Asche liegen! – Wie würden sie nicht den Kupferstich unterstützt haben! Indeß ist es doch gut, daß ich allen denen, die etwa von meinen Thorheiten hören sollten – (denn was verschwatzt sich nicht!) – diese betrügende Physiognomie vorhalten kann, mit der Bitte, sich zum vollständigeren Beweis meiner Rechtfertigung vel quasi, noch die jugendlichste Farbe – die rührendste Karnation – die sonorischste Stimme und jenen lebhaften Frohsinn hinzuzudenken, der dem Original eigen ist. Wer alsdann noch anstehen kann, mich loszusprechen, muß entweder die Enthaltsamkeit eines Patriarchen – eine Braut zu Hause – oder ein versteintes Herz haben.

Eine Bekanntschaft, wie die meine mit dem Baron war – und von so kurzer Zeit her, daß inzwischen die Sonne weder einmal auf- noch untergegangen ist – sollte man denken, müsse sich eben so kurz abbrechen lassen; aber wir beide machten eine seltene Ausnahme von diesem gewöhnlichen Falle. Er sah es mir an, wie sein Händedruck zum Abschiede mir an das Herz trat, und Er »Wartete unterweges,« sagte er, »nicht eine Geliebte auf mich, so wollte ich auf Sie warten, um Ihnen zu beweisen, daß jedes Land gleichen Werth für mich hat, das mir die Aussicht giebt, einen Freund mehr zu gewinnen. Ich reise als ein Liebhaber, Tag und Nacht, dem Gegenstande meiner Wünsche entgegen.« – Sie – als ein Neugieriger, der in seinem Vaterlande nichts zu versäumen hat, dem kein Umweg etwas kostet, Ihnen darf ich bei solchen Verhältnissen [153] ja wohl, über der französischen Gränze, noch einen vorschlagen, der vielleicht so viel werth ist, als jeder andere, den Sie gemacht haben. Sie sind Zeuge von der gegenseitigen Ueberraschung zweier Liebender gewesen, denen für einander bange war, und die wir nun in diesem Reiche unstreitig für die glücklichsten halten können. Wäre es aber nicht, schon der Vergleichung wegen, Ihrer Mühe werth, nun auch ein paar gute deutsche Herzen aufzusuchen und zu beobachten, die längst mit einander einig, sich doch trennten, nur um durch eine von Posttag zu Posttag immer höher steigende Erwartung, der Magie der Liebe einen Reiz mehr zu geben. Ich will das System unsers gemeinschaftlichen Freundes nicht tadeln; aber ich halte mich an das meinige. Die Seligkeit ist gleich – obschon die verschiedenen Wege dahin ihre eigenen Vorzüge haben. Ich nahm seine Einladung mit Vergnügen an. Er nannte mir den zu seiner Verbindung mit Karolinen bestimmten Tag. Während ich ihn in meinem Musenalmanach anstrich, und seufzend überlegte, wenn doch einmal mein Glücksstern ein solches Kalenderzeichen erhalten würde, hatte sich der Baron fortgeschlichen.

Um ihn heute nicht weiter zu stören – da es schon über Mitternacht ist – übertrug ich Bastianen, ihn morgen früh bei seiner Abreise nochmals meiner Hochachtung – Dankbarkeit und besten Wünsche zu versichern. Gott sei Dank für die Gewißheit, mit der ich nun zu Bette gehe, daß keine menschliche Kreatur meinetwegen leidet. So darf ich auch wieder einmal auf eine vollkommen ruhige Nacht rechnen – und ach, auf noch mehrere; denn seit einigen Tagen hat sich doch vieles, was mich insgeheim drückte, gehoben! Mein armer Lehrmeister, für den ich noch immer die alte Anhänglichkeit hatte, ist, wider alles Erwarten, klug und reich geworden. Klärchen – fast noch unbegreiflicher – ist unter die Haube gebracht. Die Puppenspieler sind ihrer tollen Wirthschaft wiedergegeben, und die fatale Sucht, eine Heilige zu entdecken, hat seit Agathens Bekanntschaft sich glücklich bei mir verloren – ist mir sogar zum Ekel geworden, da ich aus Baltimores Beispiel gewahr geworden bin, was solche Studien am Ende abwerfen. Welch ein behagliches Gefühl gewährt doch ein erleichtertes Herz! Bei der [154] Rückkehr ins Vaterland kann man gewiß keinen angenehmern Begleiter haben.


Montpellier den 27sten Februar.


Ich erwachte wie eine Unke, der ein Sonnenstral in den Rücken fällt. Die beiden Puppenspieler und Elektra knieten vor meinem Bette, und benetzten meine herunterhängende Hand mit heißen Thränen. Warum war mir doch ihre Dankbarkeit so überlästig? weil ich – mochte ich mir kaum gestehen – sie so wenig verdient hatte. »Geht, geht, Ihr guten Kinder!« – suchte ich sie von mir abzuwehren – »Euer gerührtes Herz wirft mir aufs bitterste meinen Leichtsinn vor, der Euch in Ketten und Banden gebracht hat. Ueber Schmerzengeld und Entschädigung für Euren Jahrmarktsverlust will ich mich sogleich mit Euch berechnen – und daß mir die Prozeßkosten zufallen, versteht sich ohnehin.« »Diese, mein lieber Herr,« erwiederte der Epilogus, »hat der Herr Baron bereits an einen Banquier gewiesen, der dafür haftet. Wollen Sie dennoch ein Uebriges thun, so gewähren Sie uns die Bitte, daß wir heute das Theater mit der Vorstellung unsers tragischen Zufalls eröffnen und daß wir« –»Nun?« fragte ich – »unter dreifacher Beleuchtung in einer glänzenden Apotheose – Sie, theuerster Herr, als den deus ex machina vorstellen – in Ihrem gewöhnlichen Kostüme – wie wir's kennen« – »Seid Ihr toll, lieben Kinder?« fuhr ich in die Höhe – »Doch« – nachdem ich mich einige Augenblicke besonnen hatte – »meinetwegen – Wenn Ihr glaubt, daß es zu Eurem Vortheil seyn kann, so stellt mich aus, auf welche Art es Euch beliebt. Die Leute, mit denen ich hier etwa Bekanntschaft mache, kommen doch schwerlich in Eure Boutique.« Sie sahen, daß mir angst und bange im Bette ward, und trollten sich fort. Gleich darauf kam Bastian herein, dem die Gesellschaft auf der Treppe begegnet war, und freundschaftlich ein Freibillet verehrte – Er bat um Erlaubniß, dieser Comedie larmoyante beizuwohnen, die ich ihm herzlich gern ertheilte. Die Nachricht, die er mir von der Abreise des Barons brachte, war mir ungleich interessanter. Sein Bedienter, der mit dem Koffer [155] voraus war, hatte das Portefeuille vergessen, das seit gestern Abends auf meinem Stuhle liegen geblieben war. Bastian fand und trug es ihm nach, während ich noch schlummerte. Als er – erzählte er mir – in dem Posthof ankam, war eben der Lord im Begriff, mit seinen fünf Equipagen aufzubrechen. Er erkannte den Baron als einen alten guten Bekannten, und glaubte ihm etwas recht neues in seiner jungen Frau vorzustellen. Die Lady stutzte, als sie den Baron, und hinter ihm einen Bedienten mit dem wohlbekannten Portefeuille und der Schreibtafel, so nahe bei ihrem Gemal sah – doch der artige Deutsche freute sich so ungezwungen über die Ehre ihrer Bekanntschaft, und ließ vor ihren Augen Portefeuille und Schreibtafel in die Wagentasche stecken, daß ihr Muth bald wieder zurückkam; indeß beging er doch die kleine Bosheit, in ihrer Gegenwart den Lord zu fragen, ob er endlich das Resultat seiner vieljährigen Studien gefunden hätte? – Ja, antwortete der Philosoph mit großer Selbstzufriedenheit und so strahlenden Augen, daß seine junge Gemalin die ihrigen äußerst verschämt niederschlug, und roth ward bis über die Ohren. Der Lord war viel zu scharfsichtig, als daß ihm das Himmelszeichen hätte entgehen sollen, das jungen, erst kürzlich verheiratheten Weibern so gut steht. Hé bien, klopfte er dem Baron auf die Achsel, qu'en dites-vous? Aber die Dame trippelte nach dem Wagen. Triumphirend hob er sie hinein, und schwang sich ihr nach. Lieber Gott, vergieb mir die Frage! – aber was soll man zu deinen Anstalten sagen, wenn man sieht, daß sogar die Angst des bösen Gewissens eine Frau in den Augen ihres betrogenen Ehemanns noch verschönert? Der Baron nahm jetzt den Propheten-Wirth so lange auf die Seite, bis der letzte Wagen vorfuhr, und sprach sehr ernstlich mit ihm. Ehe er in den seinigen stieg, legte er Bastianen in den Mund, was er mir von diesem komischen Auftritt erzählen sollte. Seine geheimen Gedanken dabei wollte er mir aufheben, bis ich zu ihm käme. Alles recht schön, wenn nur der gute Mann es seit einer Stunde nicht ein wenig bei mir verschüttet hätte! Seine Großmuth gegen die Puppenspieler ist nicht viel besser als eine Beleidigung für mich. Prozeßkosten soll ihm doch seine Schreibtafel nicht zuziehen, und wenn ich sein [156] Hochzeitgast seyn soll, haben wir uns erst darüber zu verständigen. Mußt Du mir nicht hierin Recht geben, Eduard?

Ob ich gleich keiner Braut nachzurennen habe, werde ich es doch nicht lange hier aushalten. Die Merkwürdigkeiten in den Ringmauern der Stadt haben nicht sehr viel anziehendes für mich, ob ich ihnen gleich ihr großes Verdienst nicht abläugnen will. Sie sind gerade so, wie sie sich für den berühmtesten Stapelort der Medicin schicken. Du findest verschiedene Theater hier – aber nur anatomische und chirurgische – und die herumliegenden Gärten sind weder französische noch englische – sondern botanische. – Die engen Gassen verschlingen sich in einander wie die Gedärme in einem menschlichen Körper. Aus allen Thüren und Fenstern tritt Dir ein Apotheker-Geruch entgegen – und auf dem Markte liegen Skelete, die man bleicht. Diese auf das höchste irdische Gut – auf Gesundheit und Leben – berechneten Anstalten machten – ich will nicht sagen meine Hypochondrie – aber doch eine gewisse Besorgniß für meinen körperlichen Wohlstand rege, der ich mit allem Ernst nachging, den die Sache verdient. Ich habe die Regel, die mich in jüngern Jahren auf mehrere Universitäten geleitet hat – von jeder etwas mitzunehmen, wodurch sie sich vor andern auszeichnet, eben so probat auf meinen Reisen gefunden In Straßburg kaufte ich eine kalte Pastete und Strohwein – in Nancy eingemachte Johannisbeeren ohne Körner – zu Auxerre ein Taschenmesser – in Nimes seidne Strümpfe – und ich könnte Montpellier verlassen, ohne mich mit dem Rathe eines der großen Aerzte zu versorgen, die hier von ihrem Thron aus ihren Zepter über den halben Erdkreis erstrecken? Würde ich nicht diese Versäumniß zu spät bereuen, wenn mich einmal eine von den ein und dreißig tausend Krankheiten, die, wie ich gelesen habe, dem menschlichen Leben, wie die furchtbarste Armee, gegenüber stehen, zu Boden schlüge? da sie vielleicht heute noch durch die geschickte Hand eines Aeskulap im Keim zu ersticken wäre. Wenigstens will ich mir doch endlich Gewißheit über den Stein in der Leber verschaffen, mit dem mich vor zwei Jahren D. Kämpf so gewaltig erschreckt hat.

Gesunden mag es freilich auffallen, daß hier keine Waare verfertigt [157] wird, die nicht Bezug auf die Verfeinerung der Waffen hat, über die Moliere, selbst in dem Augenblicke, als ihn, bei der Vorstellung des Malade imaginaire, ein warnendes Beispiel! der Tod beim Worte nahm – seinen freigeistigen Spott ausgegossen – – daß hier kein Haus zu finden ist – wo nicht Droguisten – Bader – Professoren und Schüler der Heilkunde wohnen – daß man selbst in Gasthöfen nur Kräutersuppen zu essen bekommt, und sogar das hiesige Meer, nach meiner Bemerkung von heute Mittag, keine Austern darbringt, die nicht mit kleinen Seespinnen wie mit Schröpfköpfen besetzt und mit Sedativ-Salz geschwängert wären. Aber einem Kranken erscheinen diese Umstände unter einer ganz andern Gestalt. Er faßt Zutrauen zu einem solchen so reich ausgestatteten Orte, und hofft auf den balsamischen Dünsten, die er ausströmt, noch einige Jahre weiter zu schwimmen.

Nach diesem Selbstgespräche drehte ich mich gegen den Lohnlaquai und fragte nach dem berühmtesten hiesigen Arzte. »Das ist,« anwortete der Mensch, »unstreitig Doktor Mellin, der auf dem Markte wohnt, um seine Bleiche in Augen zu haben. Kein Kranker kommt hier an, der sich nicht seines Raths bedient, und kein neugieriger Fremder reist durch Montpellier, der nicht den Tempel besucht, den er in seinem Hause der Freundschaft errichtet hat.« Ein sentimentalischer Zug putzt doch jedes Menschengesicht schon von weitem. Ich faßte schon das beste Vorurtheil für den Mann, ehe ich ihn sah, und ließ mich von dem Schweiß, der mir über das Gesicht lief, nicht abhalten, ihm zu Gefallen, zwei schon einmal durchkeuchte Straßen wieder zurück nach seinem Hause zu keuchen. Es ging mir aber nicht nach Wunsch, denn auf mein Anklopfen rief mir jemand aus dem Fenster zu: »der Herr Doktor sei mit ein paar Damen auf den Peyrou gegangen.« – »Was ist das für eine Gelegenheit?« fragte ich ganz schachmatt meinen Begleiter. – »Ein Lustplatz,« war seine hochtrabende Antwort, »auf dem man vier Königreiche übersehen kann – das sagt alles.« »Gut! so führt mich den nächsten Weg dahin.« Es war, als ich anlangte, das erstemal in meinem Leben, wo ich meiner Müdigkeit gut ward, und meine Erwartung übertroffen fand. In der Ungewißheit, [158] wo sich mein Auge zuerst hinwenden sollte, machte ich den Anfang mit dem Mittelpunkte des schönen Platzes, auf welchem das Ritterbild Ludewigs des Vierzehnten hervorragte. – Die Stände von Languedoc – las ich im Schweiße meines Angesichts an dem Fußgestelle – gelobten dieß Denkmal Ludewig dem Großen bei seinem Leben und errichteten es nach seinem Tode. – Und ich, ergriff mich der bittere Gedanke an die arme eiserne Maske, gelobe seinem verkannten Bruder, dem dieser Ehrenplatz mit mehrerm Rechte gebührt – Eins hundert Jahre nach seinem Tode – und wendete mich, um meine äußere und innere Hitze zu verschnaufen, von diesem nach einem andern, meines Beifalls ungleich würdigern Monumente – nach dem Wassertempel, der dem Haupteingange gegenüber, mit sechzehn marmornen Säulen, die seine Kuppel tragen, umgeben, einen großen Behälter bedeckt, in dem sich die Masse Wassers sammelt, das ihm auf thurmhohen Arkaden durch einen drei Stunden langen Kanal zugebracht wird. Malerisch rauscht es auf den drei freien Seiten des Doms, gleich der Quelle, die ein Monarch von dem ihm zugeflossenen Reichthum wohlthätig unter sein Volk verlaufen läßt – in ein noch größeres Becken herab, von da es durch verborgene Röhren in die Stadt geleitet wird. Ich saß so stolz in dieser Rotunde wie ein Flußgott unter seinen Nymphen, hörte ihr Plätschern – nahm freundlich die Kühle auf, die sie mir zufächelten, und würde meine Augen an dem erstaunlich prächtigen Anblick der Wasserleitung, die vor mir lag, auf das entzückendste geweidet haben, wenn dieß herrliche Werk, nach einem geraden Lauf von einer Viertelstunde, nicht den Fortgang des überhingleitenden Blicks durch eine schiefe Wendung unterbräche. Wie empörte sich aber erst mein Herz, als mir mein Führer erzählte, daß diese Krümme durch die schiefe Denkungsart eines der landschaftlichen Deputirten entstanden sei, denen dieser kostbare Bau war übertragen worden. Er besaß auf dem Wege, den der Bogengang durchschneiden sollte, einen Oel- und Weingarten, an dem seine niedrige Seele so fest hing, daß er die Rechte des Eigenthums auf das unverantwortlichste mißbrauchte, und es durch seinen Einfluß in den Berathschlagungen dahin zu leiten [159] wußte, dieß Denkmal einer großen Nation, deren unwürdiges Mitglied er ist, auf immer zu verunstalten. Als ich mich genug ausgelüftet hatte, ließ ich mich durch die brennende Sonne nicht abschrecken, über die hohen Arkaden – zwischen den reizendsten Aussichten auf beiden Seiten – bis an den Garten dieses Elenden hinzuschweben. An der Ecke, wo der Bogengang sich zu wenden gezwungen wurde, war ein Pilaster – eine wahre Schandsäule für den Oel- und Weinkrämer, errichtet. Ich machte sie wenigstens dazu, und schrieb mit Bleistift meinen Fluch daran:


Stimmst du, sein niedrig Herz zu kränken,

Natur! mit meinen Wünschen ein;

So wirst du nie mit jährlichen Geschenken

Sein tugendloses Aug' erfreun.


Was seiner undankbaren Seele

Ermangelt, Reinigkeit und Kraft,

Geist und Geschmack – das fehl' auch seinem Oele,

Das fehl' auch seinem Rebensaft!


Der Zufall begünstigte mich so sehr, daß ich bei der Zurückkunft von meinem hängenden Spaziergange auf den berühmten Arzt stoßen mußte, den ich suchte. Der Lohnlaquai zeigte mir ihn schon von weitem. Er saß in dem Nymphentempel zwischen zwei artigen Frauenzimmern, denen er, Gott weiß welchen Trost, zusprach. – Ich ließ mir eine Audienz von ihm erbitten, die er mir ungefähr wie ein großer Herr bewilligte, der durch wichtigere Geschäfte zerstreut ist. Denn während ich ihm meine Angelegenheit vortrug, schielte er mehrmal nach dem Sitze, von dem ich ihn aufgerufen hatte. Er hörte mir kaum einige Minuten zu – sah mir in die Augen – befühlte meinen Puls, und als ich ihm mein Bedenken über den Stein in der Leber vorgelegt hatte – lachte er mir gerade ins Gesicht. »Aber, lieber Herr Doktor,« bettelte ich ihm vor, »wo glauben Sie denn, daß es mir fehlt? Versagen Sie mir nicht Ihren guten Rath.« »Nein,« antwortete er, »den sollen Sie haben.« Weißt Du, Eduard, worin er bestand? In einigen Versen aus einem französischen Liedchen, die er mir vorträllerte, und die übersetzt vielleicht so lauten würden:


[160]

Statt ängstlich deine Uhr zu richten und zu putzen,

Zu spähn, ob jedes Rad leicht in das andre greift,

Und frei um seine Spindel läuft,

Ermuntre deinen Geist, den Augenblick zu nutzen,

Der Zeit, die dir vorüber schweift,

Die schnellen Fittige zu stutzen.


Ich erinnere mich irgendwo gelesen zu haben, daß ein gewisser Palisius zu Rom einem Maler, Namens Protogenes, auftrug, die Treue seines Hundes auf einer Votivtafel zu verewigen. Das arme Thier war der Spur seines Herrn nachgelaufen – wie der Mensch seinen Leidenschaften – bis zur völligen Entkräftung, von der er nur mit Mühe geheilt werden konnte. Der Künstler stellte alles der Natur gemäß dar – die starren Augen – die blutenden Tatzen – die herabhängende Zunge. Nur der Schaum des heißen Rachens wollte ihm nicht gelingen, so daß er zuletzt aus Ungeduld den Schwamm, mit dem er seinen Pinsel reinigte, gegen das Bild warf. Was geschah? Der Wurf glückte so gut, daß der Maler auf einmal den Schaum natürlich an der Schnauze des Hunds hängen und die Schwierigkeit überwunden sah.

Dieß Geschichtchen, lieber Eduard, hat viel ähnliches mit der meinigen. Ich darf mich auch wohl rühmen, die physischen und moralischen Uebel, von denen mich Sabathier und andre gute Menschen heilten, eben so treu nach der Natur auf meinem Dir gelobten Votiv-Gemälde geschildert zu haben, als nimmermehr Protogenes die kläglichen Umstände des Hundes auf dem seinigen, bis auf den Stein, den ich, wo nicht in der Leber, doch in der Einbildung mit mir herumtrug. Mit dem, sagte ich immer zu mir, wird es wohl nicht bis zum Malen kommen – und wenn der unter deinen abgeschüttelten Gebrechen fehlt, ist dein ganzes Ex voto nichts werth. Es war die letzte und Hauptschwierigkeit, aber auch sie ist nun, Gott sei Dank, durch den Schwamm gänzlich gehoben, den mir der ungeduldige Doktor an den Kopf warf – denn was könnte jetzt meinem Bilde noch zum endlichen Aufhängen in Deinem Tempel abgehen? So sonderbar auch das Betragen des Mannes gegen den Ernst abstach, den ich an unsern Aerzten [161] gewohnt bin, gestehe ich doch, daß mir die scharfsinnigste Entwickelung meiner verworrenen Organe nicht halb so viel Freude gemacht hätte, als es sein Spott that. Ich konnte nun mit entzückender Beruhigung auf D. Kämpf als einen Ignoranten herabsehen. Von welchem festen Stoff muß nicht meine Lebenskraft seyn, da so ein Mann nicht einmal einen Versuch mit ihr machen will! Meine Brust schien mehr Raum bekommen zu haben. Ich wußte nicht mehr, wo die Leber lag, und griff in der freigebigsten Stimmung nach meiner Börse. »Lassen Sie es damit gut seyn!« wehrte sich der Franzos gegen meine deutsche Sitte. »Damit Sie aber sehen, mein Herr, wohin Sie mein guter Rath leiten soll – so lade ich Sie diesen Abend auf ein Souper ein, an dem auch ein Engländer in Ihren Umständen für fünf Louisd'or Theil nehmen wird. Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, so dürfen Sie nur eine gleiche Summe an meinen Koch abgeben, und ich kann Ihnen zugleich versprechen, daß Sie die witzigste und liebenswürdigste Gesellschaft der Stadt da ziemlich beisammen finden werden.« Du kannst wohl denken, daß ich mich nicht lange besann; nur bat ich ihn noch um Erlaubniß, seinen Freundschafts-Tempel zu besehen, der mir sehr angerühmt worden sei. »Sehr gern,« erwiederte der höfliche Mann, »hier haben Sie den Schlüssel dazu. Lafleur dort, der schon mehrere Fremde dahin geführt hat, wird Sie anweisen.« – Und so flatterte er zurück zu den Damen, deren Krankheit ihm mehr am Herzen zu liegen schien, als meine Gesundheit. Jetzt konnte ich die schöne Anlage des prächtigen Spazierorts schon mit ruhigerm Gemüthe betrachten. Er übertrifft wirklich an freundschaftlicher Verbindung des Nutzens mit dem Vergnügen Alles, was ich bis heute in Frankreich bewundert habe. Wenn nun vollends, statt der Bildsäule Ludewigs des Großen, eine von den tausend Eichen, die über die christliche Zeitrechnung hinausgehen, und nur noch in deutschen Waldungen gefunden werden, die Mitte beschattete, und sich an der brennenden triumphalischen Mauer eine Birkenallee herumzöge – Himmel, was für eine genußreiche Nachmittagsstunde würde ich diesem Wunderwerke des neuen Galliens nicht verdankt haben! Freilich – in der Verbindung mit der Stadt [162] gedacht, für die es da steht, erscheint es mir als ein Solitär, den ein altes Kräuterweib an seinem schmutzigen Finger trägt. Wenn man hingegen die Summe der befriedigten Bedürfnisse und des sinnlichen Vergnügens von dreißigtausend Seelen, die täglich auf diesem Sammelplatze ihre eingeschluckte Kerkerluft verathmen, auf Jahrhunderte hinaus berechnet, so ergiebt sich ein Schatz von frohen Empfindungen, gegen den die Unkosten der ersten Anlage immer eine Kleinigkeit sind. So rechneten die Römer bei ihren Amphitheatern, öffentlichen Bädern und Aquäducten, mit denen sie, oft den armseligsten Landstädten, ein großmüthiges Geschenk machten. »Aber, damit wir nicht Eins über dem Andern vergessen, wo sind denn,« fragte ich den Lohnbedienten, »die vier Königreiche, die Er mir versprochen hat –?« »O, die sollen geschwind gefunden seyn,« war seine Antwort. »Sehen Sie! Jener graue Fleck, der sich am Horizonte verliert, ist das Pyrenäen-Gebirge – und also Spanien – jener noch kleinere ist Piemont, der Krone Sardinien zuständig – und wenn Sie Ihre Augen etwas anstrengen, entdecken Sie dort im Meere einen Punkt, der aber nichts geringeres ist als das Königreich Korsika.« – »Und wo ist denn,« fragte ich lachend, »das vierte?« »Hier – wo Sie stehen.« Ich folgte unwillkürlich der Weisung seines Fingers, und blickte gerade auf seine neumodischen Schuhschnallen, die auch groß genug waren, um mich zu verständigen. Gegen sieben Uhr verließ ich den prachtvollen Peyrou und schlich hinter meinem Anweiser her, durch das Geschlinge der Gassen dem Tempel der Freundschaft zu, der unter meinem Verschlusse stand. Ich gelangte sehr entkräftet, wie das bei dergleichen Tempeln der gewöhnliche Fall ist, in sein inneres Heiligthum. Im Vorübergehen bei der Küche gab ich meine Pränumerationsgelder auf ein Kouvert für diesen Abend ab – und behielt nun länger als eine Stunde frei, um jene empfindsamen Denkmäler, die, wie das Standbild Ludewigs des Großen, den Gefeierten bei Lebzeiten angelobt – nach ihrem Tode aber erst gesetzt waren, mit gehöriger Muße zu betrachten, ehe die Abendgesellschaft sich in dem anstoßenden Zimmer versammelte. Der Saal der Freundschaft nun – doch schon des Rangs wegen, den die Lebenden [163] vor den Verstorbenen behaupten, halte ich für besser, Dich mit seiner Einrichtung erst nach Tische bekannt zu machen.

Nach der eigenen Ankündigung des Wirths war es die Quintessenz der hiesigen feinen Welt, die seine Abendmalzeit vereinigte. Als einem Reisenden kam mir dieser auserwählte Zirkel ungemein zu statten, um so mehr, da es witzigen Leuten wie den Nachtigallen geht, die nur desto hitziger werden, und sich dem edelsten Wettkampf hingeben, je mehrere in einem Dickicht zusammentreffen. Doch als Statistiker mußte mir das Verhältniß der ausgehobenen klugen Köpfe gegen die Zahl der Einwohner nothwendig auffallen; denn da außer dem Doktor nur noch acht Personen zugegen waren, die mir und dem Lord für unser Geld aufspielten, so muß der geistige Gehalt der hiesigen Seelen wohl so unbedeutend seyn, wie bei den Rosen, deren man eine unzählige Menge zermalmen muß, ehe ein Tropfen Oel über die wässerigen Theile aufschwimmt. Dafür wird es aber auch desto kostbarer. Wie alltäglich muß es nicht diesen Abend in den übrigen Häusern der Stadt ausgesehen haben! Ach ich hätte das kleine liebenswürdige Häufchen entführen mögen, so viel Geschmack fand mein Verstand an dem fliegenden Witz der Herren, und meine Augen an den Annehmlichkeiten der fünf Damen, die zwischen uns eingereiht waren. Diese sind so unmöglich zu beschreiben, als der erstere zu übersetzen. Wie könnte der schwerfällige Botengang unserer Sprache jene französischen Feinheiten erreichen, die gleich den Schwalben vorbeischießen – sich durchkreuzen, und mit demselben unregelmäßigen Flug zurückkommen. Genug, ich gab mich ihnen ganz hin, und dankte Gott, daß die Milzsucht nicht so tiefe Wurzeln bei mir geschlagen hatte, als bei dem Engländer. Seine fünf Louisd'or für die Aufheiterungskur dieses Abends waren geradezu verloren. Er aß und trank nicht – stocherte in den Zähnen, und überhörte die witzigsten Aufforderungen, die an ihn ergingen. Wenn er sich ja einmal zu einer Antwort herabließ, so schickte er immer ein Wort voraus, das einem französischen Ohre höchst widerlich klingt – ein fatales au contraire, das nirgends hinpaßte. Als wir gegen Mitternacht vom Tische aufstanden, war er der erste, der nach seinem Hut lief, [164] und sich mit einer trockenen Verbeugung entfernte. Es ärgerte mich die ganze Treppe herunter, daß auch ich mich durch sein Beispiel übertölpeln ließ, dieser lieblichen Gesellschaft, die jetzt am allerwenigsten Lust zu haben schien, sich zu trennen, so zeitig den Rücken zu kehren. Kaum befanden wir uns auf der Gasse, so schüttelte er mich, um seiner bösen Laune Luft zu machen, beim Arme. – »Wie gefällt Ihnen, mein Herr Fremder, der Zeitvertreib in Montpellier?« »Nicht besonders,« erwiederte ich etwas verlegen, »wenn ich den heutigen Abend ausnehme.« – »Den wollen Sie ausnehmen? Nun Gott verdamm mich, da besitzen Sie mehr Toleranz als ich. Wissen Sie, mit welchen Menschen wir eben diesen Abend vergeudet haben? Mit den würdigen Nachkommen eines Gesindels, das unser Herr Leibarzt auf Unkosten der Fremden zu Tode gefüttert hat, weil es sich – wie jetzt seine Söhne und Töchter – bei lebendigem Leibe, für dergleichen Soupers, zur Anatomie verkaufte, und jetzt, kraft dieses schönen Kontrakts – als Gerippe in seinem Tempel der Freundschaft aufgestellt ist.« »Um Gottes Willen, Mylord!« fiel ich ihm in die Rede, »sollte auch so eine Handelsspekulation möglich seyn, so ist es doch nicht glaublich, daß Kinder neben einem Saal, wo die irdischen Reste ihrer Aeltern aufbewahrt sind, schmausen würden.« »Glaublich oder nicht,« tobte er fort, »genug es ist wahr. – Hätten Sie nur, wie ich, jenes Pantheon gesehen.« – »Ja, das hab' ich.« – »Nun so können wir deutlicher davon sprechen. Der feine Herr, mir gegen über, der bald die Freuden des Lebens, bald das Glück eines empfindsamen Herzens auf der Zunge trug, ist der Sohn eines verdorbenen Kaufmanns, dessen ausgespritztes Gehirn nur durch die Saalthüre von dem seinigen getrennt war. Das Mädchen, das zwischen uns saß, ist die Tochter der ausgestopften Advokaten-Frau, die dort neben einem Skelet kauert, dem Ihre Nachbarin zur Rechten das Leben verdankt, und die Brust, die das naseweise Ding im gelben Schleppkleide gesäugt hat, hängt nicht weit davon inSpiritus vini.« – Mir schauderte vor dieser widrigen Sippschaft, während der Engländer mit hohler Stimme fortfuhr: »Ja, mein Herr, das nennt der Kerl seine verewigten Freunde, deren [165] Erben sich jetzt, nach demselben Kontrakt, bei ihm gütlich thun. Doch schwöre ich bei Gott, daß es heute die letzten fünf Louisd'or waren, die ich dazu beitrage.« »Bei der genealogischen Kenntniß unserer Tischgenossen,« nahm ich das Wort, »können Sie mir auch wohl nähere Auskunft über das liebe unschuldige Gesichtchen geben, das an der Seite des Doktors alle andere ausstach. – Ihre braunen Locken – ihre Perlen im Munde, gestehe ich, haben nicht bloß meinen Augen zu schaffen gemacht.« »Nun so will ich nur wünschen« – schlug er ein Hohngelächter auf – »daß Sie nicht zu sehr erschrecken mögen. Dieses liebe Gesichtchen gehört von mütterlicher Seite – von dieser kann ich nur sprechen, denn die väterliche ist der andern Hälfte selbst ungewiß geblieben – der einzigen Tochter einer wohlseligen Jungfer an, die während ihres schönen Lebens des Morgens Sträuße auf den Stuben herum trug, und deren äußere und innere Theile, mit Quecksilber ausgespritzt, ein ganzes Fach jener freundschaftlichen Sammlung einnehmen, und diese braunen Locken und diese Perlen im Munde, so sehr sie Ihnen auch das Herz rührten – sind nichts desto weniger das Haar und die Zähne – einer Kindermörderin.« »Nein, Mylord,« rief ich mit empörtem Gefühl, »das ist zu arg.« – »O ho, mein schwergläubiger Herr,« fiel er mir ein, »fragen Sie nur weiter nach. Die Geschichte ist so stadtkundig, als alles übrige, was ich erzählt habe.« – Unter diesem Gespräch, das mir den Nachgeschmack meines genossenen Abends gar sehr verdarb, waren wir bis vor das Haus gekommen, wo der Lord wohnte. »Verlangen Sie,« nahm er mich krampfhaft bei der Faust, »ein treues Mignaturbild von dem Neste, wohin wir verschlagen sind, so bemühen Sie Sich auf mein Zimmer. – Ich will Ihnen die Stelle eines Briefs von Jean Jaques an meinen Vater vorlesen, die in wenig Worten alles erschöpft. Daß der Mann den Gegenstand zu schildern verstand, den er einmal ins Auge faßte, ist bekannt. Licht her!« donnerte seine Stimme in der Hausthüre, und es ward Licht von unten nach oben bis in das sechste Zimmer, wo er endlich verschnaufte. Er holte seine Brieftasche. – Wir setzten uns, und er las: Montpellier est une grande ville fort peuplée, coupée par [166] un immense labyrinthe de rues sales tortueuses et larges de six pieds. Ces rues son bordées alternativement de superbes hôtels et de miserables chaumières pleines de boue et de fumier. Les habitans y sont moitié très riches, et l'autre moitié misérables à l'excès; mais ils sont tous également gueux par leur manière de vivre, la plus vile et la plus crasseuse qu'on puisse imaginer. Les femmes sont divisées en deux classes: les Dames qui passent la matinée à s'enluminer, l'après-midi au Pharaon, et la nuit à la debauche, à la difference des bourgeoises, qui n'ont d'occupation que la dernière. – Vous savez, sans doute, quels égards on a en Italie pour les Huguenots, et pour les Juifs en Espagne; c'est comme on traite les Etrangers ici; on les regarde précisément comme une espèce d'animaux faits exprès pour être pillés, volés, assommés au bout, s'ils avoient l'impertinence de le trouver mauvais. – – Ich bat um Erlaubniß, die Stelle abzuschreiben. Mit bitterem Vergnügen las er sie mir zur Uebertragung in meine Schreibtafel noch einmal vor – warf den Brief, unter einem Schlag seiner flachen Hand, auf den Tisch, und – »Ich Thor,« rief er, »konnte diesem abschreckenden Gemälde zum Trotz mich doch verführen lassen, das verrufene Original jenseits des Meers aufzusuchen. Vier verdammte Wochen verschlucke ich nun schon diese mephitische Luft, gegen die unser Kohlendampf Wohlgeruch ist – habe schon sechs solcher Todtenmahle, als das heutige – die der menschenfreundliche Prosektor mir als Arzneien verordnete, beigewohnt. Länger aber will ich sein Narr nicht seyn. Au contraire: bin ich nun einmal verdammt, mich dem Drucke des Lebens Preis zu geben, so sei es wenigstens in meinem Vaterlande. Doch es ist Zeit, daß jeder sein Bette suche. – Holla – leuchtet dem Herrn! – Schlafen Sie wohl!«

Der Kopf schwindelte mir bis in die Chinawurzel. Ein dunkles, schmerzhaftes Gefühl beklemmte mir die Brust. Nach genauer Untersuchung fand sich, daß es nichts als zärtlicher Kummer war, den ich für das unschuldig verläumdete schöne Mädchen empfand – denn an die Wahrheit einer so häßlichen Nachricht war mir nicht möglich zu glauben. Der morgende Tag soll mir die [167] Sache klar machen. Ich habe überhaupt nicht leicht einem mit größerem Verlangen entgegen gesehen – denn ich gehe mit der frohen Aussicht zu Bette, ihn in der Gesellschaft eines Mannes hinzubringen, dessen liebenswürdiger Charakter mich von Jugend auf an sich gezogen hat. – Und hätte ich nichts als seine Visitenkarte neben einem Haufen anderer, in dem Zimmer des Doktors, unter dem Spiegel entdeckt, so würde ich mein Souper nicht für zu theuer halten. Solltest Du von dem muntern, launigen Kammerherrn * * * nichts gehört haben? der die schläfrigste Gesellschaft, in die er tritt, schon durch seine Gegenwart aufheitert? – Dieser ist's, von dem ich spreche; er war der Freund meiner Aeltern und mein Pathe. So lange ich Kind war, vergaß er nie, mir Konfekt von der fürstlichen Tafel mitzubringen, und in meinem dreizehnten Jahre wollte er mich dem Herzoge zum Pagen empfehlen, aber mein Vater, der damals noch nicht an meiner Erziehung verzweifelte, verbat es. Was er dagegen vorbrachte, ließ sich zwar hören; aber der Kammerherr behielt nach meinen Gedanken dennoch Recht. Er wußte die Vorzüge eines Hofmanns gar zu hübsch aus einander zu setzen. Kurz nachher brachte mich ein Erbgut, das meiner Mutter zufiel, ins Preußische. Der Kammerherr schrieb mir noch ein paarmal: aber nach und nach – wie das so geht – verloren wir einander aus dem Gesichte. Für ein paar fühlende Seelen geht doch nichts über die Freude des Wiedersehens. Meine Apotheose muß Bastianen sehr angegriffen haben. Ich fand ihn so tief eingeschlafen, daß er nicht zu ermuntern ist. Zum Glück kann ich noch ohne Hülfe ins Bette steigen!


Montpellier den 28sten Februar.


»Laß es mit deiner Dramaturgie gut seyn, Bastian! Ich habe in meinem Leben keine ausstehen können, am wenigsten heute, wo mir wichtigere Dinge durch den Kopf gehen, als der Effekt, den meine Puppe auf dem Theater gemacht hat.« Nach dieser ernsten Erklärung, die ihm auf einmal das Maul stopfte, mußte er mir den Wirth rufen, während ich aufstand. Denn ich wäre den ganzen Tag nicht ruhig geworden, wenn ich nicht Auskunft über die Mordgeschichte [168] von gestern erhalten hätte. Jetzt habe ich sie auf das ausführlichste, und weiß nun nicht, wie ich die Hitze verblasen soll, in die sie mich gesetzt hat. Ja, Eduard, ich schwöre Dir zu – besäß' ich die Gabe der Beredtsamkeit, ich wollte sie nur zu einem einzigen Texte anwenden. – Dürfte ich als geistlicher Redner von der Kanzel donnern, und berechtigt seyn, Aufmerksamkeit von meinen Zuhörern zu fordern – ich wollte nicht über die Gnade Gottes – nicht länger über die Wiedergeburt, nicht über die Dreieinigkeit, sondern Jahr aus Jahr ein über die menschliche Grausamkeit der Verläumdung predigen, und vergnügt in das Grab steigen, wenn ich nur dieß einzige Laster aus meiner Gemeine verbannt hätte. Ich würde es bei meinem Predigen machen, wie der Stifter unserer Religion, der in keinem alten Konkordienbuche erst nach Beweisstellen forschte, um ein in Schwange gehendes Verbrechen zu richten. Er griff in das gemeine Leben, und erdrückte die Natter, wo er sie fand. Was bekümmert sich eine Neuigkeitskrämerin, die oft im Angesichte ihres Beichtvaters ihrer Nachbarin bald diese bald jene nachtheilige Geschichte, die man ihr von dieser und jener erzählt hat, ins Ohr raunt, was bekümmert sie sich um sein altes Evangelium und die verläumdete Unschuld der Batseba? Sage Er ihr lieber selbst den Sonntag darauf in öffentlicher Versammlung, was ihre Zunge Böses gestiftet und für unheilbare Wunden geschlagen hat. Die gewöhnliche Sentenz des Verläumders – die schon manche reine Tugend getrübt, manches Glück zu Grunde gerichtet hat – die einzigen fein vergifteten Worte: »Etwas mag wohl daran seyn!« könnten ein reichhaltiger Text zu einer allgemeinen Erbauung werden. O ihr, die ihr oft mehr aus Leichtsinn oder übler Laune, als bedächtiger Bosheit, durch gehässige Nachreden meinem empfindlichen Herzen blutige Thränen abgepreßt habt – o könnte mein Tagebuch, wenn es je unter eure kritischen Augen gerathen sollte, euch doch auf allen Blättern belehren, daß ihr wider Rechte verstoßt, die auch euch zu Gute kommen, wenn ihr das schillernde Licht, das oft Zu fall und Umstände über den besten Menschen verbreiten, zur Grundfarbe seines Charakters macht. Armes, gutes Kind! das mir ein mißmüthiger Mann – ohne zuvor [169] der Entstehung des Gerüchts, das ihn irre leitete, nachzuforschen, – als Kindermörderin bezeichnete. Etwas Wahres muß doch daran seyn! Ja, das ist es auch! aber dieses Etwas ist die unschuldigste Sache von der Welt. Das Mädchen war zwölf Jahr alt, als der freundschaftliche Arzt von dem Tage an, da ihm die Haut der Mutter kontraktmäßig zufiel, sich väterlich der Verwaisten annahm. Es fehlte ihr nichts zu einer vollkommenen Schönheit, als dunkles Haar, weiße und gesunde Zähne, und er nahm das eine und das andere von einer enthaupteten Kindermörderin, schmückte seine Pflegetochter mit jenen braunen Locken, die so malerisch an ihrem weißen Nacken herabrollen, und pflanzte statt schwarzer Stifte reine Perlen in ihren Mund. That er unrecht daran? Ist es etwa menschlicher, wenn andere in demselben Fall ihr Gebiß von mehrern Savoyarden zusammenkaufen, und mit dem Elfenbein der armen Jungen auf Eroberungen ausgehen? Würden wohl die Geschichten aller der Haartouren auf unsern vornehmen Dummköpfen erbaulicher ausfallen, wenn sie eben so bekannt wären, als die eben erzählte? Der Arzt, behaupte ich, hat das liebe Kind nicht nur schöner, als es vorher war, sondern auch fester für ihre Tugend hergestellt. Denn ward jene Unglückliche, die vielleicht aus Verzweiflung ihr Kind mordete, des Beispiels wegen hingerichtet, welche Reliquien könnten rührender an das Herz sprechen? Welche Warnung könnte ein unbefangenes Mädchen vor dem ersten Fehltritte kräftiger sichern, als der Nachlaß einer so tief Gefallenen, den es als seinen täglichen Schmuck trägt, mit dem es jeden Morgen vor seinen Spiegel tritt? Der ausgelernteste Verführer würde schwerlich Lippen erreichen, die Kleinodien von so magischen Kräften bedecken. Ich würde den Spötter aufs Maul schlagen, der aus diesen, dem lieben Kinde zugefallenen höhern Reizen die Bemerkung ziehen wollte, daß man, mit der seltensten Mühe sogar, nicht einmal aus zwei weiblichen Geschöpfen ein ganz unberührtes ächtunschuldiges zusammen zu setzen vermöchte. Es wäre nichts, als ein boshafter Einfall. Nach ernster Erwägung eines richtigen Verstandes sind die Spiele des Verführers mit den Locken der ersten Eigenthümerin – sind die Perlen, denen seine Falschheit [170] huldigte, rein durch den Tod, dem er die Betrogene überlieferte, abgewaschen. Die Reize dieses Naturschmuckes sind, zu Erweckung edler Triebe, auf die neue Besitzerin übergegangen. Die Schuld und das Unglück, die sie ehmals befördern halfen, bleibt allein an der Seele des Verführers ein unauslöschlicher Makel. Ist unser Herz einmal einer unwahren Beschuldigung auf die Spur und in den Fall gekommen, der Verläumdung ein unschuldiges Opfer abzukämpfen, so dünkt man sich groß, bekommt Muth, und macht es sich zum Gesetz, keine üble Nachrede zweifelhaft auf sich beruhen zu lassen – keinem Gegenstande, der eines Beschützers bedarf, Bequemlichkeit halber aus dem Wege zu gehen. Darum, und damit Niemand meinem Tagebuch den Vorwurf mache, als habe es das milzsüchtige Geschwätz des Lords nur noch weiter verbreitet, soll mich die Mühe nicht verdrießen, die bessern Gedanken näher zu entwickeln, die mir gleich Anfangs unser freundschaftlicher Wirth und seine Tischgenossen einflößten – und den einen wie die andern mit der Wärme eines jungen Advokaten, der seinen ersten Prozeß gewonnen hat, in Schutz zu nehmen. Warum – wenn es nicht aus Nationalhaß, dem unbilligsten von allen, geschah – ergoß der Engländer so viele Galle über die anatomischen Leibrenten des französischen Arztes? Verdienen sie nicht eher Lob, als Tadel? Ist es denn nicht menschlicher berechnet, einem Armen – statt ihn verhungern zu lassen – das Kapital seiner Erhaltung – auf die sicherste Hypothek, die ein Mensch verlangen und geben kann, vorzustrecken, und die Schuld bis zu dem großen Zahlungstermin zu fristen, wo die Natur die ihrige einfordert? Kann wohl leichter Gesellschaftston, ungezwungener Umgang, die sonst zwischen Schuldnern und Gläubigern nicht eben gewöhnlich sind, sicherer in Schwung gebracht werden, als durch einen solchen Kontrakt, der beide Theile so genau mit einander verbindet? Handelten diese Verkäufer ihrer selbst, die gewiß zu ihrer Zeit fröhlicher, als mancher Fürst neben seinem Erbprinzen, bei Tafel saßen, etwa deßhalb unmoralisch, daß sie ihre todten Reste lieber ihrem Wohlthäter – der Wissenschaft und dem gemeinen Besten Preis gaben, als den Würmern? Wie froh verlebten sie ihre zugemessene Zeit auf dem Schauplatze [171] der Welt, wie sorgenlos konnten sie in den Freundschaftstempel bei der Gewißheit eintreten, daß ihre Zurückgelassenen für gleichen Lohn ihre Gastrollen neben an fortspielen würden! Je weiter ich den menschenfreundlichen Anstalten unseres Arztes nachgehe, je philosophischer erscheinen sie mir. Indem der Anatom in gutmüthiger Erinnerung auf die Knochen derer hinblickt, die noch vor kurzem auf fremde Kosten sich an seiner Tafel des Lebens erfreuten, bietet der Menschenfreund seine hülfreiche Hand auch ihren Söhnen und Töchtern, sorgt, so lange sie in dieser Zeitlichkeit wallen, nicht nur für jede ihrer Befriedigungen, sondern benutzt auch ihr Daseyn für andere, indem er an der Gränze, wo die körperliche Heilkunde in die des Geistes übergeht, sie bald als Schildwache gegen einen Feind ausstellt, der die Tiefdenker am liebsten beschleicht, bald sie als Blutigel den Grillenfängern ans Herz setzt, denen, wie mir und dem Lord, durch kein Mittel beizukommen ist, als durch muntere Unterhaltung. Wie unheilbar muß nicht der Kranke seyn, den in einem Asyl, wo die Essenzen des gesellschaftlichen Lebens nicht so gäng und gebe sind, als die Waaren der Apotheken, die paar Goldstücke gereuen, die er an eine so glücklich ersonnene, viel versprechende Kur wendet – und der es der witzigen, schönen und liebenswürdigen Abendgesellschaft zum Vorwurf macht, daß sie sich wenige Schritte von dem Museum ihn zu erheitern bestrebt, wo ihre Blutsfreunde zergliedert – in Wachs – Quecksilber oderSpiritus vini der Auferstehung warten. Gewiß, lieber Eduard, ist von allen albernen Sophisten derjenige, den Hypochondrie dazu gestempelt hat, der albernste. Mein Gott! sind denn die Erbbegräbnisse hoher Familien nicht gewöhnlich mit ihren Eß-, Tanz- und Redoutensälen unter einem Dache? Was würden kluge Hofleute von ihrem Fürsten halten, der sich vor der Asche desjenigen scheuen wollte, der ihm zu seinen gebietenden Einfällen Platz gemacht hat? Müßte nicht eine allgemeine Hemmung der Freude entstehn, wenn Grabhügel unsere über sie hinrauschenden Ergötzlichkeiten aufhalten könnten? – Hätte der Hall, bald aus diesem, bald aus jenem Todtengewölbe, Wirkung auf unser Ohr – hörten wir immer das schreckliche: Stehe still, leichtsinniger [172] Mensch! rufen. – Du hast mich nicht nach Würden geschätzt – nicht genug geliebt, als ich noch bei dir war – hast mir Unrecht gethan, und kannst es – Wehe dir! – nicht wieder gut machen – beim jetzt modert das Herz, das du gekränkt hast, da es noch fühlen konnte – die Hand hat keine Kraft mehr, die ich dir zur Versöhnung reichte, und du stolz von dir stießest. Du gäbst jetzt wohl die Hälfte deines Lebens für einen Tag, wo du mir die Reue gestehen könntest, die du mir verschwiegst – aber die Zeit dazu ist verlaufen – wenn solche Klagstimmen aus den Gitterthüren der Kirchhöfe unsern Jagden, Spaziergängen und Festen entgegen träten, was, o du barmherziger Gott! sollte aus uns werden?

Der Uebergang von dem gerechten Lobe meines gestrigen Abends zu meinem heutigen Mittagsmahl machte mir die Oelkuchen der Chinawurzel nur noch widriger. Wäre ich verdammt, meine Tage in Montpellier abzuspinnen, so bliebe mir wahrlich nichts übrig, als mich dem Doktor in die Kost zu geben. Brächte mich mein Kouvert vollends neben meine Klientin, so möchte er mich meinetwegen nach meiner irdischen Vollendung so freundschaftlich behandeln, als er wollte.

Daß die Liebe sättigt, wohl zu verstehn, ehe ihre neugierigen Wünsche erhört sind, wußte ich schon lange, daß es sich aber mit der Freundschaft eben so verhält, erfuhr ich erst diesen Mittag. Und wären die Gerichte noch so lukullisch gewesen, ich glaube nicht, daß ich zu ihrem bedächtigen Genusse meine Gedanken hätte sammeln können, so sehr war ich mit der Action und Reaction des Vergnügens beschäftigt, das ich in einer guten halben Stunde bei dem Kammerherrn – zwar nicht ganz ohne Furcht – erwartete; denn ich kenne mich. – Solche freundschaftliche Erschütterungen sind meiner Festigkeit so gefährlich, als die Ergießungen des Meers einem holländischen Damme, und ich stehe nicht dafür, ob ich nicht des lieben Mannes wegen noch ein paar Tage länger hier bleibe, als ich willens war, und Dich sonach, lieber Eduard, um so viel später umarme.


[173] Nein, Du hast nichts zu fürchten. – Meine Vorklage war vergebens. Der Kammerherr hält gewiß keinen halbwege gescheidten Menschen eine Stunde länger in Montpellier auf, als er dazubleiben gedachte. Das soll das letzte Mal seyn, daß ich auf einen alten Freund baue. Ich mußte dreimal an das einsame Haus pochen, in das er sich eingebettet hat, ehe mir ein eisgrauer Bedienter die Thür öffnete. Ich hatte alle Mühe, den tauben Kerl zu verständigen, was mein Begehr war, und es vergingen zehn Minuten, ehe er von der Botschaft an seinen Herrn zurückkam, und mich einließ. Mein erster Blick, der gerade auf den Armstuhl fiel, auf welchem, statt des liebenswürdigen Mannes, den ich suchte, ein Greis in Kissen versunken lag, belehrte mich schon ziemlich von dem großen Rechnungsfehler, in den ich gefallen war. Konnte ich mir denn nicht an den Fingern abzählen, daß jene, seit unsrer Trennung verlaufenen Jahre, die schon mich zu drücken anfangen, ihn ganz niedergebeugt haben würden, – daß ein Mann, der schon von weitem herkam, als wir auf unserem Wege zusammentrafen, ungleich kraftloser und ermüdeter seyn müsse, als ich? Ach, dieses schöne Exemplar eines wohl stilisirten Hofmanns lag jetzt wie ein alter Taschenkalender da, an welchem die Vergoldung verwischt – und der Einband verschrumpft ist. Ich näherte mich ihm; aber weder seine Augen, noch sein Gedächtniß, unterstützten meine Anrede. Er nahm mich immer für einen andern.


Ein nobles Invaliden-Chor

Hochwürd'ger Blinden, stiftsgerechter Lahmen

Belagerte sein steiles Ohr.

Der innre Schall so werther Namen

Ließ nie den Silberklang des meinigen hervor.

Zuletzt gefiel's ihm gar ein Bildniß auszukramen,

Das schon zu Plattner's 27 Zeit Farb und Gestalt verlor,

Er paßt' es schlau in meinen Rahmen,

Und krähte mir mit heisrer Stimme vor:

Ja, beim Merkur, du bists! Sind etwa deine Damen

Auch von der Reise mit, Signor?


[174] Dieser heidnische Schwur, der nirgends gefährlicher klingt, als in Montpellier, erschütterte mich bei nahe so sehr, als mich die Verwechselung demüthigte, die er mit meiner Person vornahm. Ich gab es schon ganz auf, mich ihm kenntlich zu machen, und sah mich nach der Thür um, als sein Kammerdiener uns mit einem sympathetischen Mittel zu Hülfe kam, das ich mir merken will. Auf seinen Ruf in das Nebenzimmer trat ein junges freundliches Mädchen herein, legte ihr Strickzeug auf den Tisch – ließ sich den Vorfall erzählen – bat um meine Karte – hielt sie ihm mit der einen Hand vor die Augen, und legte die andere in die seinigen. Seit Straßburg ist mir nun zwar aller thierische Magnetismus verdächtig geworden, aber hier mußte ich, zu meinem Erstaunen, eine Ausnahme machen; denn kaum hatte er seine abgestorbenen Finger an der Hand des jungen Mädchens erwärmt, so kam auch seine Sehkraft zurück – er las meinen Namen ganz fertig, und »Ja« rief er frohlockend aus:


»Ja, nun erkenn' ich Sie – und Ihre Wangen sind

Den Rosen gleich, die sich entfalten:

Doch, mein Exempel lehrt, wie jämmerlich geschwind

Auch Rosen – vor der Zeit veralten.

Ihr Vater? lebt er noch? Das war ein Mann! Er hat

Mit mir studiert. – Beglückte Zeit! – Wir wußten

Sie auch zu brauchen, Herr! Kein Mädchen in der Stadt,

Das wir nicht kannten – Trauseat

Cum caeteris! – Jetzt kommt mein Husten.«


Er kam geschwind, dauerte aber desto länger. Unterdessen unterhielt mich das elektrische Mädchen. – »Ich bin,« sagte sie, »die Tochter vom Hause. Wir leben von den kranken Fremden, die bei uns einziehen. Der Medikus des alten Herrn« – mit Vergnügen hörte ich, daß es mein Doktor war, »empfahl, da nichts helfen wollte, ihm die Berührung eines siebzehn- bis achtzehnjährigen Mädchens – ließ mich rufen, und der Versuch gelang zum Verwundern ...« »Und bloß mit der Hand?« fragte ich. »Ja, mein Herr, wie Sie gesehen haben. Seitdem sitze ich immer in der Nebenstube, um gleich da zu seyn, wenn etwas vorfällt, wozu er sein Gesicht und sein Gehör braucht. Der Herr hat mich [175] auf ein halbes Jahr gemiethet – aber der Arzt zweifelt, daß er die Miethzeit aushalten werde. Es sollte mir leid thun; denn mein Dienst ist leicht und einträglich.« »O, bei einer so eigenen Kraft,« tröstete ich sie, »darf Ihnen nicht bange seyn! Geschwächte Reisende gehen hier nicht aus, und der Herr Doktor wird schon weiter für Sie sorgen.« Mein alter Freund, da sein Husten vorüber war, suchte nun sein abgelebtes Talent hervor, mich à mon aise zu setzen. Das schöne Mädchen mußte ihm zum zweitenmal ihre Hände Preis geben, ehe er die Zunge bewegen konnte. Er mochte wohl den mitleidigen Blick, der ihr galt, auf sich ziehen. »Ja, da sehen Sie, junger Herr, wie weit es mit mir gekommen ist. Der Doktor hat mir hier ein erwärmendes Mittel verordnet, das zwar einigermaßen wirksam – für mich aber bitterer ist, als kein anderes. In Gegenwart dieses unschuldigen Kindes will ich mich nicht weiter darüber erklären. Was für eine Krankheit hat Sie denn hieher gebracht? Hypochondrie, sagen Sie? O da sind Sie gegen mich noch zu beneiden – die kommt von den Studien, hebt sich wohl noch, und läßt keine Reue zurück; wenn man aber, wie ich, funfzig Jahre alle Schulen des Hofes durchgelaufen, und in jeder die Gifte verschluckt hat, die ihnen eigen sind, da will ich den Arzt loben, der dem Patienten zu helfen versteht. Wem es keine Zufriedenheit gewährt, hinter sich zu blicken, der kann auch nicht mit Hoffnung vorwärts sehen.« Doch, um kürzer von dem alten Hektikus zu kommen, will ich zum dritten Male seinen prosaischen Husten in einen poetischen bringen, der doch noch immer leidlicher klingen wird, als jener

»Der Hof,« räusperte er sich –


»Der Hof verdirbt uns das Gewissen,

So wie er uns das Blut verdirbt.

Willst Du Dein Leben Dir versüßen,

Die Seele reinigen, so flieh' ihn! Man erwirbt

Auf diesen Bühnen nichts, das nicht mit Gallenflüssen

Errungen wird. – An Händen lahm und Füßen

Hascht man nach dem Genuß – und stirbt.

Ich überschlug zu spät, was mir der Hof gegeben,

Und was sein Dienst mir stahl – und mit erschrocknem Blick

[176]

Gab ich seit kurzem ihm mein ungenießbar Glücke

Zur Wiederkehr in ein verlornes Leben,

Zur Rettung meiner selbst – zurück

Umsonst! Nun sitz' ich hier und kaufe

Die Apotheken aus, und wenn's Gott nicht gefällt,

Daß ich dem Grabe noch entlaufe,

Bis ich zuvor mein Haus bestellt,

So fürcht' ich sehr, ich komm' in jener Welt

Gar aus dem Regen in die Traufe.«


Das Sprechen hatte ihn so erschöpft, daß er sich auf einmal zurücklehnte, die Hände des Mädchens fahren ließ, und, ohne meinen Abschied zu vernehmen – einschlummerte. Um kein Geräusch zu machen, warf ich dem guten Kinde nichts als einen freundlich herzlichen Blick zu, indem ich mich mit Katzentritten zu der Stube hinauszog, und noch leise auftrat, als ich schon auf der Gasse war. Ich kam über meine fehlgeschlagene Erwartung ganz verdrießlich in dem Gasthofe an, und sah von weitem einige Betrachtungen über die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens anrücken, die mir auch keine sonderliche Zerstreuung versprachen. – »Laß uns ausfahren, Bastian,« rief ich; »und die umliegende Gegend besehen!« – »Ach!« seufzte er, »lieber Herr, da hätte ich wohl einen bessern Vorschlag.« – »Nun, so laß hören!« – »Als wir gestern so schnell den Wagen der Mylady Klärchen nach, durch Lünell fuhren, dachte ich in meinem Sinn: Jetzt eilst du mit deinem Herrn so gerade fort nach Deutschland, und nur drei Viertelstunden von dem Dörfchen vorbei, wo deine Mutter und Schwester wohnt, die du vielleicht in deinem Leben nicht wieder zu Gesicht bekommst. – Wenn Ew. Gnaden nun, anstatt ...« »Ja, du hast Recht, Bastian,« fiel ich ihm in's Wort – »Wir wollen nach Lünell. – Dort kannst du deine Verwandten besuchen; ich gebe dir Urlaub bis Morgen gegen Mittag. Deine Schwester aber und meinen alten Johann möchte ich selbst auch wieder sehen. Den kurzen Weg sind sie mir wohl schuldig, da ich ihnen noch einmal so weit entgegen fahre. Lauf auf die Post voraus – bestelle eine leichte Chaise, damit ich schon angespannt finde, wenn ich nachkomme.« Bastian war wie ein Pfeil die Treppe hinunter, [177] und ich wollte eben nach, als.. denke einmal, der Kammerherr, aus altgewohnter Hofsitte, mir einen Gegenbesuch machte – zwar nicht in eigener Person, sondern, viel gefährlicher, durch eine schön verzierte Karte mit seinem Wappen und Namen, die mir seine junge Aufwärterin überbrachte. – Doch die schönsten elektrischen Versuche hätten mich in diesem Augenblicke nicht aufhalten können. – Ich hatte Margot in Gedanken – schenkte der Ueberbringerin um nichts und wieder nichts einen großen Thaler, und entließ sie mit vielen Empfehlungen an ihren alten Patron.

Der Hausknecht mußte mich den nächsten Weg nach dem Posthofe führen. – Ich fand eine Chaise mit vier Pferden, setzte mich mit Margots Bruder ein, und ehe zwei Stunden vergingen, befanden wir uns vor einem recht artigen Wirthshause zu Lünell. Bastian – so wie ich abstieg – machte sich auf die Beine. – Ich bestellte sogleich ein ausgesuchtes Abendessen für mich und meine Gäste – und täuschte unterdeß meine Ungeduld mit Besichtigung des Orts und seiner Weinberge – kam aber immer noch zu früh zurück, und wußte jetzt eben so wenig, als vorher, was ich mit mir anfangen sollte. Der nächste Weg vom Weinberge, dachte ich, geht zum Fasse, um das Gewächs zu versuchen. Mit diesem Vorsatz trat ich, vorbeigehend, in die Stube des Wirths. – Es war ein verständiger Mann, der mir sehr gern ein paar Flaschen von den beiden vorzüglichsten Sorten auftrug. An demselben Tische saß außer mir noch ein Narr von Reisenden aus Arles, der mich sogleich in Untersuchung nahm, und sich als einen Antiquarius ankündigte. Ich muß Dir doch etwas von seiner Unterhaltung mittheilen. »Der Herr kommen gewiß über die via Aureliana?«

»Ich komme gerade von Montpellier.«

»Mons puellarum, wie einige alte Autoren es nennen – und gedenken also wohl von hier die Antiquitäten von Arles zu besuchen?«

»Nichts weniger!« – Hier schenkte ich mir und ihm ein Glas ein. »Der Ort,« fuhr er mit belehrender Miene fort, »verdiente es doch vor vielen andern. Die alten Römer haben ihn, in dem unfruchtbarsten Landstrich zwar, den man sich denken kann, erbaut; [178] denn die Wege von allen Seiten dahin, muß man zugeben, sind die schlechtesten in der Monarchie. Der ältere Plinius nennt schon die dortige Fläche sehr artigCampi lapidei.« – »Da hat,« fiel ich ihm in die Rede, »der ältere Plinius nach meiner Einsicht, nichts artigeres gesagt, als was, wenn ich dahin ginge, mein Postknecht auch sagen würde. – Dergleichen Wege aber, sie mögen modern oder antik seyn, suche ich nicht gern ohne Noth auf.« »Ohne Noth? Das glaube ich wohl,« antwortete er spitzig – »aber hoffentlich spreche ich mit einem Verehrer der Alten, und für einen solchen sind keine Beschwerlichkeiten zu groß, um die Spuren ihrer Größe aufzusuchen. Dergleichen Schätze des grauen Alterthums, als unser Thelina, oder, wenn Sie es lieber hören, unsere Mammilliaria aufzuweisen hat, treffen Sie nirgends in so einer Menge beisammen an. Der Obelisk, das Amphitheater, die verfallene Wasserleitung können allein schon einem vernünftigen Manne das längste Leben erheitern, und nun vollends die Elysäischen Felder – die sind, ich gestehe es Ihnen, mein einziger liebster Spaziergang. Wenn ich dort manchmal in Gedanken vertieft, vor einem Aschenkruge stehe – die Denkschriften – die Beweise jener ruhmvollen Zeiten lese – so ergreift mich eine Empfindung, die sich nicht beschreiben läßt. Was für ein Volk muß das gewesen seyn, das solche Männer hervorbringen konnte, als jene Inscriptionen besagen. Strabo und Pomponius Mela haben ...« Mir lief hier ein kalter Schauer über die Haut. Ich wartete seinen angefangenen Perioden nicht ab – schob ihm für seinen Unterricht die Flasche zu, die mir in Vergleichung der andern nicht schmecken wollte, setzte den Ueberrest der bessern, die ich schon halb im Kopfe hatte, in den meines Huts – nahm ihn unter den Arm und taumelte in mein Zimmer; denn von allen Schwätzern, lieber Eduard, ist mir keiner so zuwider, als der mir Gelehrsamkeit auskramt, während ich eine Trüffel schäle – an dem Bein eines Haselhuhns klaube, oder – wie hier der Fall war, vortrefflichen Wein schlürfe. Das wäre eher ein Mann für unsern Freund G**, als für mich. – Wie würde ihn so ein Gesellschafter aufmuntern – ihm so eine Mammilliaria, behagen. – Er –


[179] Der seine schöne Frau und ihre Jugendwächter

Und seine Kinder kaum mit der Gewißheit kennt,

Als die verloschenen prätorischen Geschlechter

Vom ersten Consul an, bis zu dem letzten Fechter

Des abgelebten Roms, und um ein Monument

Vor Christi Kreuzigung sich aus dem Athem rennt;

Wie könnt' er wohl dem bettelnden Lateine,

Wenn ihm das Sprüchelchen: Steh, Wandrer, still und weine,

Ins Auge leuchtet – widerstehn,

Und einem Sarkophag und einem Leichensteine

Aus Nero's Zeit vorübergehn?

Für mich mag, was sie will, die graue Vorwelt lügen!

Im heuchlerischen Hang, die Nachwelt zu betrügen,

War sie nicht ehrlicher, als ihre Kinder nun.

Ich weiche beiden aus auf meinen Ritterzügen,

In Hoffnung, von dem Kampf mit menschlichem Vergnügen

Auch ohn' ein Marmorgrab gemächlich auszuruhn,

Und hab' itzt gnug mit mir, und unter allen Krügen

Mit einem Aschenkrug am wenigsten zu thun.


Stieg ich schon die Treppe unter solchen belebenden Gedanken hinauf, so rieb ich mir erst vor ausgelassenem Muthwillen die Hände, als ich mich mit meiner halben Bouteille ungestört allein sah – leerte sie vollends aus, und klingelte nach einer frischen. Je leichter auch diese ward, desto begeisterter fühlte ich mich, diesen herrlichen Wein zu besingen. Ein Lächeln innerer Zufriedenheit – ein sanfter Trieb allgemeinen Wohlwollens, besonders gegen das gute freundliche Geschlecht, das mir immer im Sinne liegt, durchwärmte mein Blut, und in der süßesten Schwärmerei stimmte ich das erste Trinklied an, das mir je über die Zunge gekommen ist. O, rief ich, indem ich mein volles Glas gegen das Licht hielt:


O daß mir Bacchus nie den Quell

Von diesem Wein verstopfe,

Und immerdar so rein und hell

Dein Gold, o geistiger Lünell,

In meinen Becher tropfe!


Perlt nicht in deinem Wundersaft,

Gleich einem Salbungsöle,

Ein Opium der Leidenschaft,

Ein Elixir – der Lebenskraft,

Ein Labetrank der Seele?


[180]

Wer deine Süße schmeckt, wird nie

An Tyrannei erkranken.

Beim Traume der Philosophie

Schwör' ich, daß Dohm 28 und Beccarie 29

Von diesem Weine tranken.


O, hätt' einst unsern Frederic

Ein solcher Geist erheitert.

Wär' unter seinem Adlerblick

Wohl nicht mein ankerloses Glück

Im Sturm des Kriegs gescheitert. 30


Denn Mitleid schleicht bei dem sich ein,

Den deine Trauben tränken;

Es schäumt der Wunsch in deinem Wein,

Freund seiner und der Welt zu seyn,

Und kein Geschöpf zu kränken.


Euch, die mit mir Ein Punkt der Zeit

Nach Einem Zwecke neiget,

Ihr Grazien der Weiblichkeit,

Euch sei der süße Duft geweiht,

Der meinem Glas entsteiget.


Mein liebes künftiges Geschlecht,

Dem nur in diesem Wein bezecht

Ich froh entgegen gehe,

Stoß an – Gott fülle mir so ächt

Einst den Pokal der Ehe.


Indem flog die Thür auf, und Margot mir in die Arme. Ich hätte wohl gewünscht, daß sie eine Strophe eher gekommen wäre. Sprachlos hielt sie mich fest umschlungen, und ich, eben so sprachlos sie umschlingend, bedeckte das rührende Gesicht mit Küssen von dem zärtlichsten Gehalt. Wir vergaßen uns in dieser Scene des Wiedersehens so sehr, daß keins den guten Johann, der weniger geschwind zugeflogen kam, als seine leichtfüßige Frau, [181] eher bemerkte, bis er mich thränend bat, daß ich auch ihm eine Hand reichen möchte. Nun kam sie zur Sprache – nun erzählte sie mir, welche unverhoffte Freude ihr Bastians Besuch – noch mehr aber die Nachricht von meinem Hierseyn in ihrer nächsten Marktstadt gemacht, und wie sie mit eigenen Händen geholfen hätte, die Esel zu satteln, damit wir nur recht bald zu unserm so gar guten Herrn kämen. Ach Gott! unterbrach nun eins das andere, wie unaussprechlich glücklich haben Sie uns gemacht! Eben noch so unbefangen in ihren Tändeleien, als heute vor acht Wochen, machte sie mir wieder ganz warm ums Herz. Mit welchem hellen Gelächter erinnerte sie sich nicht unserer Wirthschaft zu Caverac, und gern hätte sie mich noch einmal – wäre ich ihr nicht auf dem Dache gewesen – über den Strauchdieb auf dem Fichtenberge abgehört. Doch konnte ich ihren beiden lieben Händchen nicht schnell genug wehren, daß sie mir nicht ein paar Runzeln von der Stirn glättete, um nachzusehen, ob mir nicht eine Narbe geblieben wäre. »Johann,« rief sie, »sieh nur her, was mein Kräuterumschlag für Wunder gethan hat! Da ist auch nicht die geringste Spur mehr von dem Kopfstoße zu finden.«

Ein fröhliches Abendessen, das sich durch drei Flaschen des belobten Weins bis weit über die Mitternacht ausdehnte, vermehrte unsere Zufriedenheit. Keine Redoute kann eine Stadtdame so munter erhalten, als es die kleine Margot während unsers lieblichen Bankets war. Erst bei der dritten Bouteille, die ich und Johann allein übernahmen, wurden ihre naiven Einfälle einzelner – ihre Worte abgebrochener, und die zwanglose Natur wiegte sie endlich neben uns ein. Ich winkte ihrem Mann, und half ihm sein müdes Weibchen in das Himmelbett tragen, das dem Schlafstuhle, der mir nun übrig blieb, ungefähr so nahe stand, wie zu Caverac ihr Strohlager dem meinen. Mein alter Kammerdiener konnte nun, ohne ihre Bescheidenheit zu beleidigen, so viel zum Lobe seiner Lebensgefährtin vorbringen, als ihm sein Herz eingab. Ich mochte wohl noch eine halbe Stunde Theil an seinen Empfindungen genommen haben, als auch mir die Augen zufielen, und Johann so leise als möglich, um mich nicht zu stören, die angebrochene [182] Bouteille unter den Arm nahm, und zum Zimmer hinaus seiner Lagerstätte nachschlich. Das Opium des öligen Weins wirkte so stark, daß der helle Morgen schon lange über unsern Häuptern schweben mochte, ehe nur eins von uns dreien erwachte, und das war ich. Nun bitte ich Dich für einen Augenblick, lieber Eduard, um ein freundliches Gehör! Sage mir, was würdest Du von einem Maler halten, der aus Furcht, mehr zu sehen, als sein Pinsel wieder zu geben vermag, sein Gesicht von einer paradiesischen Gegend in dem Augenblicke wegwenden wollte, wo die Nebel fallen – die Sonne hervortritt – Berg und Thal überschimmert, und sich ihm die schönste Perspektive der Natur eröffnet? Deine Antwort mag ausfallen, wie sie will, genug, ich genoß lange – auf Gefahr, geblendet zu werden – diese eben so glückliche als kritische Lage auf meinem Lehnstuhl. Endlich wünschte ich mir die Schönheiten der Ferne um einige Schritte näher – erhob mich leise von meinem Sitz, und wollte eben meine süßen Betrachtungen fortsetzen – als ein Blick auf die Wanduhr, die anschlug, mich, wie vom Donner gerührt, neben Margots Bette niederstürzte. – Jetzt, dachte ich – und Thränen löschten schnell die Flammen meiner Augen – jetzt tritt jene tugendhafte Dulderin vor ihr Gitter – blickt wehmüthig gen Himmel – und flehet zu Gott um die Wohlthat einer Zähre. Segen über den Mann, der zuerst der Zeit eine Stimme gab! Mit Betrübniß überblickte ich mein zagendes Herz – mit Erröthung die in aller Unschuld Schlummernde – erhob mich von meinen Knieen – deckte mit dem Ernste eines väterlichen Freundes, was zu decken war, und nun erst weckte ich sie. Sie flog mir mit liebkosendem Frohsinn entgegen, und auch ich freute mich, daß ich nicht ganz unwerth war, ihren Morgenkuß zu erwiedern. »Willst du nicht deinen Mann aufsuchen, Margot, und unser Frühstück bestellen?« Voll jugendlicher Heiterkeit hüpfte sie mir sogleich aus dem Gesichte, und ehe ich noch ganz die meinige wieder erlangt hatte, kam sie mit dem glücklichen Sterblichen zurück, der ihre Liebe besaß. – Er trug eine Schaale mit Milch herbei – sie ein Körbchen mit Obst. – Es waren auch Pfirschen von den besten Sorten – [183] jedoch meiner jetzigen gesündern Einbildungskraft ohne Gefahr, darunter. Bald nachher traf auch Bastian ein. Ich zog ihn aus Achtung für die Schwester mit an unsere runde Tafel. Margot blieb freilich die Perle von der Gesellschaft. Doch gehörten die beiden andern Gäste auch nicht unter die schlechten Feldsteine. Jeder hat seinen Werth, ob die Natur gleich keinen so begünstigt hat, wie jene, die der Politur nicht bedarf, um in den Schmuck einer Königin aufgenommen zu werden. Ich wollte indeß doch nicht, daß Du es in Berlin herumbrächtest, wie gemein ich mich wieder einmal gemacht habe. Ich trug noch der Kleinen viele Freundschaftsversicherungen an meine guten Wirthsleute zu Caverac auf. – Gott lasse es ihnen wohl gehen! Johann erbot sich, mir von Zeit zu Zeit Lieferungen von dem hiesigen vortrefflichen Muskatenwein nach Berlin zu besorgen – »Und ehe der Sommer verläuft,« fiel ihm seine Frau in die Rede, »erfüllen wir das Versprechen, Sie selbst in Ihrer großen Stadt zu besuchen.« »Eins wie das andere« – erklärte ich ihnen dagegen, »bitte ich euch, anstehen zu lassen, bis ihr Nachricht von mir erhaltet – denn wahrscheinlich komme ich in kurzem wieder in diese Gegend, und lasse mich vielleicht gar, wie es Johann gemacht hat – häuslich hier herum nieder.« Sie machten große fragende Augen – ich hütete mich aber, so schwatzhafte Leutchen tiefer in jenes Geheimniß sehen zu lassen, das ich vor dem Altar des Janustempels in den Schooß meines St. Sauveur nieder gelegt habe. Sie zerflossen beide in Thränen, als ich Abschied nahm, und ich und Bastian stiegen auch nicht mit trockenen Augen in den Wagen. Ich kam glücklich in den Posthof vor Montpellier, und, was mir eben so lieb war, zeitig genug an, um diese medicinische Mördergrube heute noch verlassen zu können, und wenigstens ein paar Stationen auf meinem Wege weiter fortzurücken. Was sollte ich noch einmal zu Fuß in die Chinawurzel wandern? Ich bedurfte keines Gasthofs – mein Frühstück hatte mich hinlänglich gestärkt. Ich schickte also meinen Bastian ab, um mit dem Wirthe Richtigkeit zu machen – und setzte mich so lange unter den schattigen Ueberhang meiner Chaise, bis er von seinem Geschäfte zurückkam. [184] Ein heimisch angenehmer Schauer des Eigenthums flog mir über die Haut. – Die Stadt lag mir im Gesichte – ich hatte den Rücken frei, und dachte an mein Vaterland. Wenn ich es nur erst wieder erreicht habe, so verschwöre ich.... Doch nein, unterbrach ich mich erschrocken – den Meineid gegen Agathen ohnehin bei Seite gesetzt, wäre es noch immer ein höchst verwegenes Gelübde. – Denn ob mir gleich jetzt der Stein des Doktor Kämpf nicht mehr auf dem Herzen liegt, wer kann für die Zukunft – wer kann dafür stehen, daß du nicht auch einst als ein veralteter Kammerherr den elektrischen Funken nachtappen mußt, die hier dem schönen Geschlecht, wie bei uns den Katzen, entsprühen. – Und wenn dich nun Agathe, wovor Gott sei, nicht möchte, und dich nun nach und nach bei zunehmenden Jahren die gute Gesellschaft zu Berlin von ihren muntern Soupers als ein unbrauchbares Mitglied ausschlösse – was bliebe Dir wohl zu deiner Erheiterung übrig, als dich an eine zu halten, die mit ihrer Haut dafür steht, und die man, so viel ich weiß, an keinem Orte in der Welt antrifft, als hier. Ich machte also, indem ich von dem Monte puellarum Abschied nahm, wegen meines Wiederkommens einige kluge Bedingungen, und bei der letzten Zeile des Akkords, den ich zu meiner Erinnerung in die Schreibtafel eintrug, war Bastian wieder da, und der Wagen bespannt.


Wenn mich einst Husten, Stein und Gicht Aus jugendlichen Reihen jagen, An meinem hageren Gesicht, Melancholie und Schwindsucht nagen, In jenen unwillkommnen Tagen, Wo man das Ordensband, das unsre Brust umrauscht, Den Sack voll Gold, auf den der Erbe lauscht, Gern um ein Pflaster für den Magen Und einen Kräuterthee vertauscht, Nur Aerzte noch nach unserm Pulse fragen, Kein Kuß sich mehr an unsre gelbe Haut, Kein kluges Mädchen mehr an unser Bette traut, Und uns nur Schmerz und Mißbehagen Von einem Stuhl zum andern tragen – Wenn mich des Landes Fett nun lange g'nug genährt, Mein Fürst, den ich erzog, so sehr mein Alter ehrt, [185] Und ihm Erholung gönnt, daß er mit süßen Mienen, Doch mit dem Vorbehalt, wenn es die Noth begehrt, Sich meines treuen Raths noch ferner zu bedienen, Mich in dem Spiegelsaal zum Veteran erklärt; Wenn sein Heiduck nun jener Furche lächelt, Die meine weise Stirne zieht, Und die Prinzeß sich stärker fächelt, Je näher sie mich kommen sieht, Belebter nun der Hof mit neuen Müßiggängern Sich ohne mich um seine Axe dreht, Um mich herum die Schatten sich verlängern, Und mein Gestirn, das jetzt im Mittag steht, Den Kreis verläßt und untergeht – Wenn Wielands ausgespielte Flöte Nun auch nicht mehr die schlaffe Seele rührt, Und mich nicht mehr die Abendröthe Nach Amathunt in unsers Göthe Geheime Myrthenwäldchen führt – Und wenn auch Dir, der mir um eine Stufe Des Lebens dem vertrauten Rufe Des Todesengels näher steht, Manch Lüftchen schon aus Platons Haine Die Wettgesänge der Gemeine, Die Deiner harrt, entgegen weht; Wenn auch nun Du, mein Leukon, 31 in den Frieden Der Seligen hinüber eilst, Die Nebel, die den Lebensmüden Vom Aether der Verklärten schieden, Mit Deiner Rechten schon zertheilst, Nur mit der Linken noch hienieden An Deines Freundes Brust verweilst; Wenn Dir schon lächelnd auf der Schwelle Der Ewigkeit das neue Licht, Wie Deine Tugend, rein und helle Mit Jubelglanz entgegen bricht, Dein Mund mich küßt und sterbend spricht: Er war mein Freund, mein trautester Geselle, In Scherz und Ernst, trotz seiner Schelle, Ihr Seligen, ach trennt uns nicht! Dann schließe deine engste Gasse, Der dickste Duft von deinen Spezerei'n, [186] Bis ich einst ganz die Mumie dir lasse, O Montpellier, mich Abgelebten ein. Dein Hundsstern sauge noch die letzten Lebenssäfte Mir aus und leuchte mich in mein willkommnes Grab. – Nur jetzt, da noch viel fröhliche Geschäfte Mich weiter ziehn und alle meine Kräfte Mir nöthig sind, laß von mir ab!

Fußnoten

1 Das Schiff Vengeance.

2 Es giebt zwei Medaillen, die auf Voltairen geschlagen sind, davon die eine den 20ten Febr. die andere den 20ten Nov. 1694. als seinen Geburtstag angiebt. Palissot in seiner Eloge hält den erstern Datum für den richtigen; so auch die Kaufleute zu Nantes, die obiges Schiff ausgerüstet haben.

3 Discours à mon vaisseau.

4 Dieß Wortspiel brauchte Voltaire, wenn er von Frerons Année litter sprach.

5 Der Autor dieses Tagebuchs kann wohl die Wahrheit seiner Erzählung nicht besser belegen, als durch das unverwerfliche Zeugniß des Geschichtsschreibers Papon, eines von den Vätern des Oratorii zu Marseille. Wenn er die Schlußfolge derselben, die er dem Leser überläßt, mit Stillschweigen übergeht, so ist diese Zurückhaltung nur seinen Verhältnissen zuzuschreiben. In seiner Histoire litteraire de Provence, die 1780 zu Paris erschien, heißt es: – – Ludewig der Dreizehnte hatte schon drei und zwanzig Jahre in einer kinderlosen Ehe gelebt, als eines Tages der Bruder Fiacre, ein Barfüßer, Gott um Fruchtbarkeit für die Königin anflehte. Die heilige Jungfrau, sagt man, erschien ihm am 3. November 1637, und versicherte ihn, daß sein Gebet erhört wäre, doch mit dem Zusatze, daß die Königin ihr dreimal neun feierliche Messen und zwar neun davon in der Kirche U.L.F. der Gnaden, in der Provence sollte halten lassen. Zum Beweise, daß sein Gesicht keine Täuschung wäre, zeigte sie sich dem Bruder Fiacre so, wie sie auf dem obgedachten Gemälde vorgestellt ist. Der König und die Königin schickten diesen Mönch, nachdem sie die Nachricht von jener Erscheinung aus seinem eigenen Munde vernommen hatten, in die Provence, um zu sehen, ob die heilige Jungfrau wirklich daselbst so abgemalt wäre, wie sie ihm, seinem Vorgeben nach, erschienen war. Zugleich erhielt er den Auftrag, wenn es sich so verhielte, neun Messen in der obgedachten Kirche lesen zu lassen. Es traf alles mit der Beschreibung, die der Bruder Fiacre von seinem Gesichte gemacht hatte, überein, er leistete, was ihm aufgetragen war – und die Königin kam am 5. September 1638 mit Ludewig dem Vierzehnten nieder. Sie ließ es ihre erste Sorge seyn, der heiligen Jungfrau ihre Dankbarkeit zu bezeigen, und schickte den Bruder Fiacre mit einem Gemälde nach der Kirche U.L.F. zur Gnade, auf welchem der junge Prinz vor der Mutter Gottes knieend vorgestellt ist. In der Folge machte sie eine Stiftung zu sechs Messen, welche auf ewige Zeiten in dieser Kirche gelesen werden sollten. Zuletzt wallfahrte sie im Jahr 1660 mit ihren beiden Prinzen zu dieser Kirche, und Ludewig der Vierzehnte weihete bei dieser Gelegenheit der heiligen Jungfrau sein blaues Ordensband, welches noch jetzt sorgfältig dort aufgehoben wird, so wie er ihr auch in der Folge seinen Heirathstraktat mit der Infantin Maria Theresia und den pyrenäischen Friedensschluß prächtig eingebunden überschickte u.s.w. Man vergleiche damit noch die Stellen, die der Verfasser des Tagebuchs aus dem Leben des heiligen Fiacres ausgezogen und weiter hin angeführt hat.

6 Il y a dans la Nubie un oiseau nommé Fonton, de la grosseur d'une alouette, lequel, ayant decouvert dans les bois quelque chose de remarquable, vient voler autour des gens et ne les quitte point jusqu'à ce qu'ils se mettent à la suivre. Quand on est arrivé au lieu qu'il veut indiquer, il s'arrête et se perche sur un arbre, où il commence à chanter, et l'on n'a qu'à chercher tout à l'entour, pour trouver bientôt ce qu'il a voulu montrer. Mais il faut se donner garde de faire cette perquisition désarmé; car si on y trouve quelquefois des abeilles, ou du gibier, on y rencontre aussi souvent quelque gros serpent ou quelque bête féroce, comme un bufle, un tigre, un leopard etc.

Description de l'Afrique par Dap

per. p. 258.

7 Vermuthlich ein Wortspiel mit dem Namen La Fayette.

Anm. d. Herausg.

8 Hier zeigt sich, daß die Gedankenstriche keine neuere Erfindung sind.

Anm. des Herausg.

9 Die Entdeckung, die hier der Reisende schon vor fünf und zwanzig Jahren in seinem Tagebuche entwickelte, scheint so wenig mehr in Frankreich bezweifelt zu werden, daß man jetzt sogar das Gemälde jenes verlarvten Bruders Ludewig des Vierzehnten in Lebensgröße als Schild eines Kaufladens, in der rue Coquillere zu Paris mit folgender Unterschrift ausgestellt sieht:

Du repos des états déplorable victime,

Le sort courba son front sous trente ans de revers;

Ce jouet du malheur etoit l'enfant du crime,

Il naquit sur le trône et mourut dans les fers.

10 Obgleich Ludewig der Dreizehnte bei der Geburt des ihm von Gott geschenkten Sohns ungläubig den Kopf schüttelte, so hat er doch schwerlich den wahren Vater hinter der Kutte des heiligen Fiacre und so wenig vermuthet als die vielen Schriftsteller, A1 die auf einen andern riethen. Der Autor dieses Tagebuchs schmeichelt sich der erste gewesen zu seyn, der ihm seinen verdienten Platz in der französischen Geschichte anwies.

11 König von England, starb 901, einer der besten Menschen und Monarchen, die je gelebt haben.

12 Canut der Große, König von Dänemark, der 114 Jahre nach jenem England eroberte.

13 S.J. de Nevisan – Sylva nuptialis.

Meinem verschwiegenen Leser zu gefallen, will ich ihm doch dieß Richtscheid zur Beurtheilung einer schönen Frau in den eigenen Worten des Verfertigers bekannt machen:

Triginta haec habeat, quae vult formosa vocari

Foemina: sic Helenam fama fuisse refert.

Alba tria, et totidem nigra, et tria rubra puella:

Tres habeat longas, tres totidemque breves:

Tres crassas, totidem graciles; tria stricta, tot ampla,

Sint ibidem latae, sint quoque parva tria:

Alba cutis; nivei dentes; flavique capilli;

Nigri oculi, cunnus, nigra supercilia;

Labia, genae, ungues rubri, sit corpore longa,

Et longi crines; sit quoque longa manus;

Sintque breves dentes, auris, pes; pectora lata

Et clunes; distent ipsa supercilia,

Cunnus et os strictum, stringunt ubi singula stricta;

Sint ora, et culus, vulvaque turgidula;

Subtiles digiti, crines et labra puellis;

Parvus sit nasus, parva mamilla – caput

Cum nulli, aut rari sunt, haec formosa vocari

Nulla puella potest, nulla puella prodest.

14 Lat. Orata – war bei den Griechen, als Symbol der belebenden Schönheit, der Venus gewidmet.

15 Wegen seiner vielen, Augen ähnlichen Flecken so genannt.

16 Scomber Thynnus – der Diana geweiht, wurde bei hochzeitlichen Gastereien als Sinnbild ehelicher Treue aufgesetzt.

17 Drei unserer vorzüglichsten Gottesgelehrten und Kanzelredner.

18 In der herrlichen Sammlung anatomischer Präparate des Hrn. Cruikshank zu London befindet sich eine wohlgerathene injicirte Auster, in welcher das Herz dieses Thieres zu sehen ist. S. Schäffers Briefe 1tes Bändchen S. 243.

19 Teton de Venus.

20 La grosse – la petite Madelaine.

21 Auch eine Art Pfirschen.

22 Eine in Asien einheimische, kühlende, vortreffliche Frucht.

23 Was kann die Natur bei der Ausbildung dieser unverschämten Nuß für eine Absicht gehabt haben? Ehemals wurde sie von großen Herrn oft mit mehrern tausend Thalern bezahlt. In neuern Zeiten ist sie im Preis gefallen. Eine ziemlich treue Abzeichnung von ihr findet sich in Sonnerats Reisen nach Neuguinea.

24 Kriton erwarb sich den bittersten Undank von seinem Bruder Thrasyllus, da er ihn von dem süßen Wahnsinn, daß alle Schiffe im Hafen sein wären, heilte und zu der traurigen Gewißheit zurückbrachte, daß es nicht wahr sei. Mir fällt das Beispiel manchmal ein, wenn ich auf Recensionen gewisse Antikritiken lese.

25 Don-Quixote.

26 Daß so ein Gebetbuch meinen Gedanken einen großen Spielraum einräumt, mag folgende Stelle daraus beweisen: Transportée sur une montagne et dans une chambre où je fus reçûe par Jesus Christ. Je démande pour qui étoient les deux lits que j'y voyois. En voilà un pour ma mère et l'autre pour vous, mon épouse. Je vous ai choisie pour être ici avec vous.

27 Ein im Jahre 1745 verstorbener vortrefflicher Arzt, Vater des noch lebenden Philosophen gleichen Namens in Leipzig.

28 Dohm, der sich der Juden in einer kräftigen Schrift angenommen.

29 Beccaria, der durch sein bekanntes Werk: Ueber Verbrechen und Strafen, der Menschlichkeit unendliche Dienste geleistet hat.

30 Als 1745 die Preußische Armee in Kursachsen eindrang, ward das Familiengut des Autors, Schönfeld bei Leipzig, geplündert, die Hofgebäude niedergeschossen, das Vieh erstochen u.s.w.

31 Herr Kr. St. E. Weiße, dessen Hochzeitfest H. Prof. Rammler in der schönen Ode: An Hymen, unter diesem griechischen Namen feierte.

A1 Siehe Siecle de Louis XIV. p.m. 258. in denOeuvres de Voltaire, und an mehrern Stellen. Auch kann man die Nachrichten des Abbé Soulavie in dem 6ten Bande der Memoires de Richelieu – und Mihiel – Le véritable homme etc. mit einander vergleichen. In letzterem finden sich auch gute Nachrichten über die Kammerfrau der Königin – Beauvais p. 136-146, so wie über die Gewitternacht, die es unnöthig machte, den zweiten Prinzen zu verheimlichen.

Agde
Agde.

Den 1ten März.


»Wie hoch kommt Ihnen die Berline zu stehen?« fragte mich der Postmeister in Montpellier zu seinem Fenster heraus, als ich eben abfahren wollte. – »Ach – das –« antwortete ich – »kann ich erst dann berechnen, wenn sie mich an unsern gemeinschaftlichen Geburtsort gebracht haben wird.« »Wie?« – fing er meine Worte auf, – »so wäre der Herr, wenn ich recht verstehe, wohl gar ein Landsmann Friedrichs des Großen?« »Ja, ja,« unterbrach ich ihn – »ich kann es nicht läugnen, mich aber noch weniger deßhalb hier aufhalten lassen. Hätte der Herr Postmeister nach dem merkwürdigen Passagier sich umsehen mögen, der nun seit einer langweiligen Stunde seine Berline geschaukelt hat, wahrscheinlich würde er ihm von dem Sieger bei Roßbach viel erwünschteres erzählt haben, als der Pariser Publicist, der in jedem Blatte sein nahes Ende ankündiget, um, denke ich, in den folgenden sich noch oft aufs Maul zu schlagen, so Gott will. Lebe der Herr wohl!«

Der Name meines Wagens fiel mir, aus dem Munde des Franzosen, zum erstenmal sonderbar ins Gehör – erinnerte mich an den geschickten Sattler, der ihn so tüchtig gebaut hatte, daß er unter meinem Reisegeräthe gewiß das einzige Stück ist, das dem Auslande keinen Sous für Reparatur abgeworfen hat und so ganz deutsch wieder zurückkommt, als ich kaum von mir selbst zu rühmen wage.

Es ist wohl nichts der Aufmerksamkeit auf Reisen so sehr [187] entgegen, als ein heimischer Gedanke, so unbedeutend er auch seyn mag; die Station, wo er sich anhängt, ist gewiß für unsere Bemerkungen verloren. Dieß war der Fall wenigstens bei mir. Ich gab über meinen braven Sattler, weder auf den Weg, der vor mir lag, noch auf die Eigenheiten der Landschaft, oder sonst etwas Acht, und griff meinem körperlichen Einzuge in Berlin mit einer so geistigen Abwesenheit vor, daß ich, wie ein elektrisches Fluidum, die mehr als hundert Meilen dahin in einem Augenblick zurücklegte und mich auf einmal an dem Brandenburger Thore befand. Der wachhabende Officier stand kerzengerade vor mir, forderte mir mein Signalement ab und ich schickte ihm dagegen die Frage zu, wie sich unser geliebter König befände? Er gab mir die besten Nachrichten, freute sich übrigens meiner Bekanntschaft und entließ mich.

Mit lachendem Herzen fuhr ich nun die Gasse hinauf, warf einen freundlichen Blick bald aus dem rechten, bald aus dem linken Schlage, nach diesem oder jenem Fenster meiner Freundinnen und Freunde und – Halt! rief ich, halt! sobald ich den Giebel meiner Wohnung ansichtig ward. Wie flog ich zu der Hausthür hinein – die Treppe hinauf, und wie herzlich begrüßte ich nun die wiedereroberte kleine Welt meines Zimmers.

Ich hatte kein geringes Vergnügen, als mir mein Wandspiegel jetzt eine ganz andere Figur, als jene gekrümmte und hohläugige zurückwarf, die vor fünf Monaten, seufzend seiner verrätherischen Oberfläche vorbeizitterte. Der neue Kunstschnitt meines Haars – das air aisé – das je ne sais quoi – die ich über den Rhein her mitbrachte, hielten mich so lange fest auf meinem reizenden Standpunkt, bis Bastian mit meinen Kisten anrückte. Das Ausschälen, Abstecken, Aufschnüren und Entwickeln – nimm es in einem Sinn, in welchem Du willst – hat mir von jeher unendlichen Spaß gemacht. Es hängt eine gewisse innige Erwartung daran, die das Gemüth oft angenehmer bewegt, als es die Herrlichkeiten selbst thun, wenn sie ausgepackt da liegen.

Wie zitterten meine Hände, als sie das Kästchen mit den so merkwürdigen Fensterscheiben öffneten und ich sie nun unbeschädiget [188] in meine Sammlung einschichten und den Handelskontrakt mit dem Glaser der Bastille dazu legen konnte! Weit länger und ängstlicher sah ich mich nach einem sichern Ort in meinem Weichbilde für die Kriminalakten des heiligen Fiacre um, ehe ich mich an das geheime Fach meines Schreibtisches erinnerte, in welchem – ach! meine eigenen ehemaligen Liebes-Dokumente verwahrlich niedergelegt sind, und eben wollte ich, damit nicht etwa ein Unberufener dazwischen käme, und meine Schleifwege entdeckte, die Thür verriegeln – als mir Agde – der Golf von Lion und nicht weit von seinem Ufer ein Bollwerk ins Gesicht schimmerte, das über einem schäumenden Strudel hervorragte. »Wie heißt jene Burg?« war das erste Wort, das ich an den Postillion verlor, und es verzinste sich gut. »Brescau,« antwortete er, »Sie haben doch wohl von den berühmten Leckerbissen der dortigen Muscheln gehört?« Ich schüttelte den Kopf – »Nun so werden Sie diesen Abend mit großem Behagen ihre Bekanntschaft machen. Der Felsen, um welchen diese Schalthiere einheimisch sind, versorgt die Wirthshäuser in Agde überflüssig damit; denn ihrer Zartheit wegen können sie nur an Ort und Stelle genossen und keine Meile weit verschickt werden.« »So?« sagte ich verwundert – »dieß Produkt macht also von vielen andern der französischen Natur eine ganz eigene Ausnahme. – Die Gebäude da oben sind sonach wohl Fischerhütten?« »Wollte Gott, sie wären es!« erwiederte mein Führer – »Nein, mein Herr, es sind Wachthäuser einiger Invaliden, die den bequemsten Ehrenposten von der Welt, die Aufsicht nämlich über das Staatsgefängniß haben, das in jene Felsenmasse gehöhlt ist. Ein Wink des Monarchen – mehr braucht es nicht – sondert hier vornehme Schuldige, wohl auch, wofür Gott sei, unschuldig Verdächtige, von der Gemeinschaft mit der übrigen Welt ab, und gewiß kann die Natur in ihrem Umkreis keine bessere Gelegenheit darbieten, um jedes Leben in Vergessenheit zu bringen. Gott erbarme sich der armen Verkerkerten, die hier in der Tiefe des Meeres athmen.« »In der Tiefe des Meeres, sagst du? Ich will doch nimmermehr hoffen, daß die dort anprallenden Wellen an ein menschliches Ohr schlagen?« »Nicht anders, mein Herr! Der[189] Gefangene, sobald er jenen Gipfel erreicht hat, wird gleich darauf so tief herab, als er hoch gestiegen ist, an Seilen, wie in einen Schacht, heruntergelassen und seine Laufbahn ist geendet. Niemand kann Zahl und Namen dieser Versunkenen angeben, die weiß nur der König, vielleicht auch der nicht, aber nach den Nahrungsmitteln, die täglich einer von der Besatzung aus dem Bürgerspital abholt, können ihrer nicht so gar wenig seyn.«

»Im Frühling vorigen Jahres traf sichs, daß ich eben hier vorbeikam, als ein solcher Unglücklicher aus der Welt gestoßen wurde. Der Polizei-Wagen hielt nicht weit vom Ufer; zwei von der Wache öffneten ihn und übernahmen den Gefangenen.«

»Verkappt und gefesselt brachten sie ihn in ein Fahrzeug. Der Herr Engländer, dem ich vorgespannt hatte, befahl mir zu halten, stieg aus und näherte sich der Scene mit seinem Fernglas. Ich brauchte das nicht, um den Vorgang eben so deutlich zu bemerken als Er. In ungefähr zehn Minuten landete der Kahn zwischen den zwei Klippen, die dort – sehen Sie? – den Platz zum Einlaufen bilden, und nun kam uns der Verhüllte noch fünfmal auf der Freitreppe, die rund um den Felsen in einer Spindellinie bis zu seiner Spitze aufsteigt, ins Gesicht. Es lief mir eiskalt über die Haut, als ich ihn den letzten Schritt thun und bald nachher von der Oberfläche der bewohnten Erde verschwinden sah. Mein englischer Passagier ballte voll Ingrimm die Faust gegen den Polizei-Wagen, als er, vor uns her, nach der Chaussée lenkte, setzte sich fluchend in den seinen und ließ mich nicht zu Athem kommen, bis ich jenen eingeholt und ihm aus den Augen gebracht hatte; ich aber betete indeß ein Ave Maria für den armen Verstoßenen, und die heilige Jungfrau hat mir's vergolten.«

»Wie so? lieber Freund!« fragte ich neugierig. »Weil ich,« antwortete der brave Kerl, »von der Stunde an ein ganz anderer, viel besserer Mensch geworden bin, als ich sonst war. Denn während ich bei dem Fort vorbei meine müden Pferde wieder nach Hause ritt, ein gutes Trinkgeld in der Tasche hatte, und meinen Kittel von der lieben Abendsonne vergoldet sah, – ach! wie hoch schlug mir das Herz, wie viel gute Entschließungen faßte – und [190] wie verdammte es nicht die gottlose Unzufriedenheit, die sich sonst immer mit mir auf den Gaul setzte! Ich habe seitdem mein Tagewerk lieb gewonnen, so mühsam es auch seyn mag, und will mir ja einmal mein trockenes Brot nicht zu Halse, so brauche ich nur, um es mir schmackhaft zu machen, an den armen Herrn zu denken, der kein besseres im Grunde des Meeres verschlucken muß. Wie mag er die vielen freundlichen Stunden, die indeß über seiner Finsterniß verlaufen sind, in welcher Seelenangst mag er sie nicht verseufzt haben! Wie würde er Gott loben und danken, wenn er an meiner Stelle – ach an der Stelle meines Sattelpferds wäre!« Hier zog er sein Schnupftuch heraus, wischte sich die Augen und schwieg. »Bitte« – zischelte ich Bastianen zu – »den guten Menschen diesen Abend bei dir zu Tische, und laß ihm nichts abgehen;« ihn aber bat ich, einige Augenblicke zu halten, weil ich aussteigen und doch das Fort aufnehmen wolle, wo die seltenen Muscheln gefunden würden. »Thun Sie, was Ihnen gefällig ist,« war seine Antwort, »ich mag nichts davon wissen, doch nehmen Sie Sich in Acht, daß die Abzeichnung Ihnen an der Grenze keinen Verdruß zuzieht.« Ich ging, setzte mich, der Feste gegen über, auf den Rasen, und trug den Abriß von ihr auf ein Pergamentblatt meiner Schreibtafel über. Als ich damit fertig war, und zu meiner Berline zurückkam, zeigte ich den beiden Zurückgebliebenen meine artistische Arbeit, ich weiß eigentlich selbst nicht warum? denn Kunstverstand konnte ich doch wohl bei keinem voraussetzen. Der Postknecht drehte das Pergament nach allen Seiten. »Nein,« gab er es zurück, »die Zeichnung brauchen Sie nicht versteckt zu halten, die wird die Festung nicht verrathen.« Mein Kammerdiener benahm sich schon feiner. »O ja,« sagte er, nach vieler Ueberlegung, »Ihre Abbildung,« indem er einigemal nach dem Original hinblickte, »dächt' ich, wäre sehr richtig. Das hier, nicht wahr? stellt den Strudel – jenes das Wachthaus, diese Linie den Weg, und diese Striche den Gefangenen und seine Begleiter vor? Als einAvant la lettre bringen Sie das Blatt ganz sicher über die Grenze – denn ein solches – wer versteht es? aber nachher – ja, da würde ich selbst für den Schlag Menschen [191] als unser Postillion,« raunte er mir listig in's Ohr – »zu einer schriftlichen Erklärung rathen.« »Laß es gut seyn, Bastian!« lachte ich ihm ins Gesicht; doch benutzte ich seinen Wink, sobald ich in's Wirthshaus kam, und setzte die paar Zeilen unter meinen Entwurf:


Stolz steigt der Fels in die Luft, trotzt, in dem Orkus gegründet,

Dem um ihn tobenden Meer, dem ihn umkreisenden Blitz;

Sein kahler Gipfel, bekränzt von Nebelwolken, verkündet

Verlassen von der Natur, der Rache scheußlichsten Sitz.

Ein ehern Schneckengewind des steilen Stufengangs schraubet

Zu seinem ernsten Gericht den Ausgestoßnen hinan,

Den unter wüthender Angst, der letzten Hoffnung beraubet,

An ihrem furchtbaren Thron die Eumeniden empfahn.

Einst unser Bruder – und jetzt, von seinem bösen Geschicke

Belastet, schwankt er einher, zum Missethäter entstellt,

Weint und verzweifelt und wirft noch drei entsetzliche Blicke

Gen Himmel – über das Meer und in die Lauben der Welt;

Dann stürzt des Herrschers Gebot mit der Vergessenheit Fluche

Ihn in die Bergkluft hinab und mitternächtlicher Graus

Umschlingt als Leichentuch ihn, und löscht im freundlichen Buche

Des Lebens seinen Vertrag mit Zeit und Menschenglück aus.


Jetzt, da ich meine poetische Beschreibung überlese, die fast einem Bau-Anschlag gleich sieht, sollte mir wohl banger um sie werden, als um meinen Grundriß, denn jene könnte eher als dieser einen von unsern ruhmbegierigen Architekten auf den Einfall bringen, sich durch Erfindung eines ähnlichen Gefängnisses – Spandau etwa gegen über, – ein bleibendes Verdienst um den Staat zu erwerben. Nur wüßte ich nicht, was er dort den Vorbeireisenden, zur Besänftigung ihres empörten Gefühls, an die Stelle der gepriesenen Muscheln vorsetzen könnte, die mich diesen Abend ziemlich der Natur wieder näherten, mit der, als Vermittlerin der ausgesuchtesten Tyrannei, ich schon drauf und dran war zu zanken.

Erklärte es der Hunger nicht einigermaßen, der, seit dem Frühstück mit der kleinen Margot, mir immer heftiger zusetzte, so wäre es unbegreiflich, wie eine Leckerei aus der Nähe einer solchen Marterkammer den schreckhaften Eindruck derselben in dem Grade[192] schwächen konnte, daß mir auf die letzt die armen Menschen, die dort schmachten, nur noch als entfernte Freunde vorschwebten, auf deren Gesundheit man sich leicht einen Rausch trinkt, da unser machtloses Bedauern, wenn sie auch noch so unglücklich wären, ihre Thränen nicht abtrocknen, und unsre strengste Kasteiung ihre Leiden nicht heben kann.

Beziers
Beziers.

Den 2ten März.


Wie freute ich mich, als ich diesen Morgen Agde verließ, auf den Ort, den ich nun erreicht habe.

Jeder unsrer Geographen, die ich über meine Reise zu Rathe zog, zeichnet ihn durch eine Sentenz aus, die, wäre sie erwiesen, Jerusalem und alle Hauptstädte der Welt demüthigen müßte. Wenn Gott, sagen sie, auf Erden wohnen wollte, würde er Beziers zu seinem Aufenthalt wählen. Die Herren, welche in ihre auf gut Glück zusammengestoppelten Nachrichten diese französische Hyperbel mit deutscher Arglosigkeit aufnahmen, können sie, in den neuen Ausgaben ihrer Handbücher, auf mein Wort weglassen.

Ich erkläre sie geradezu für eine Gotteslästerung, indem ich nicht nur dem höchsten Wesen alle die Eigenschaften, die ihm unser Katechismus beilegt, sondern auch guten Geschmack in einer Vollkommenheit zutraue, die so sehr, als jeder andere Gedanke von seiner Größe, weit über unsere Vernunft geht.

Langmüthiger! vergieb dem kleinstädtischen Gesindel ihren Bürgerstolz, so einfältig sie ihn auch an den Tag geben.

Der Weg, den ich von meinem Nachtlager bis zu dem wackeligen Schreibtisch zurückgelegt habe, vor dem ich alleweile auf einer breternen Bank sitze, verdient jedoch eine ehrenvolle Erwähnung.

Die treffliche Chaussée, die sich durch eine dürre undankbare Landschaft schlängelt, kommt dem Reisenden – Fußgänger nehm' ich aus – aufs beste zu Statten. Er hat nicht Zeit, Langeweile zu haben. Sein fortrollender Wagen hat schon alle unangenehme [193] Gegenstände überflogen, ehe das Auge sie fassen kann. So gelangt er – zwar mit drehendem Kopfe, doch ehe er sich umsieht, an das Stadtthor, das nicht nur gerade nach dem zweiten, zu dem man wieder hinausfährt, sondern auch nach dem einzigen Wirthshause hinweist, das Fremde aufnimmt. Diese kluge Anlage befördert die Uebersicht des schönen Ganzen in einem Augenblick. Meine Neugier war auch schon vollkommen befriediget, als ich den Gasthof zum Ortolan am Ende des Städtchens erreicht hatte.

Hier lag nun die Aussicht auf den fortlaufenden Steinweg der nächsten Station zu offen da, um mir nicht Lust zu machen, meine Morgenreise sogleich fortzusetzen.

Da rückte mich aber der Wirth aus meiner bequemen Lage und lud mich zum Frühstück auf einen Spieß der seltenen Vögel ein, von denen einer auf seinem Schilde gemalt stand. So etwas läßt sich nun freilich nicht ausschlagen. Der Mund lief mir voll Wasser. Ich stieg aus und bestellte die Postpferde nach Verlauf einer Stunde. Diese Eile, kann ich mir nicht anders vorstellen, muß den spitzbübischen Kerl beleidiget haben, denn ohne zu entscheiden, ob er mir Sperlinge oder Finken vorgesetzt hat, wollte ich doch, wenn es Noth hätte, vor Gerichte beschwören, daß es keine Ortolane waren. Ich hatte an dem Versuche eines einzigen Flügels genug, schob die Schüssel mit Ekel von mir und, »Glaubt der Herr Wirth,« fuhr ich ihn an, als er mit schrumpfigen Mandeln zum Nachtisch hereintrat, »daß man einem Deutschen alles weiß machen kann? Hol' Euch dieser und jener mit Euren Ortolanen und Eurem gotteslästerlichen Städtchen!« Ich hätte gern meine Worte wieder zurückgehabt, denn kein elender Skribler, der heißhungrigen Lesern unter dem Titel eines komischen Romans ein Buch in die Hände spielt, bei dem ihnen das Lachen vergeht, kann sich ungeberdiger gegen die gelehrten Verräther seines Betrugs benehmen, als sich der Mann gegen meine unpartheiische Recension seines Geflügels auflehnte.

Nun setzt wohl nichts mehr die Galle in Bewegung, als wenn solch ein Unverschämter, dessen elende Kost wir eben erprobt haben, den Stein, der ihn treffen sollte, nach uns zurückschleudert und zu [194] seiner Rechtfertigung unsern Geschmack verdächtig zu machen sucht, wie es sich dieser Sudelkoch gegen meine feine Zunge herausnahm. Bitter und böse über seine so beleidigende Gegenrede, wollte ich eben Bastianen rufen und noch einmal auf die Post jagen, als ich in der Thüre einem Quidam entgegen rennte, der im Begriff war, anzuklopfen. »Um Vergebung – ich habe mich geirrt,« stotterte er, »ich sah vor dem Hause eine Berline stehen und dachte, sie gehöre einem Herrn zu, den ich täglich und stündlich erwarte, dem Sekretär des Herzogs von Bedfort, für dessen Gallerie ich ihm – Lassen Sie Sich nicht stören, mein Herr! – einen Titian verkauft habe.«

»Ich weiß nicht, was ich von seinem Ausbleiben denken soll. Er hat mir nichts auf den Handel gegeben und die Zahlungsfrist ist nun schon vor drei Wochen verlaufen.« Meine runzlige Stirn klärte sich auf. »Treten Sie doch näher, mein Herr!« nöthigte ich ihn in das Zimmer, »mit wem habe ich denn die Ehre zu sprechen? Handeln Sie mit Gemälden?« »Nein,« sagte der freundliche Mann, »ich bin hier geschworner Notarius.« »Einen Titian sagen Sie?« – »Ja,« erwiederte er, »eine Venus von ihm und sicher aus seiner besten Zeit. Sie ist als Fideikommiß auf mich gekommen; ob sie aber, nach einer alten Tradition, dieselbe ist, vor der Karl der Fünfte den Pinsel aufhob, will ich nicht mit Gewißheit behaupten, ungeachtet schon mehrere Kenner die warme Stelle haben angeben wollen, wo er dem Maler von allzustarkem Enthusiasmus entschlüpft sei.« »Der erste Umstand,« sagte ich lächelnd, »würde für den Werth des Bildes auch wenig beweisen. Große Herren heben oft Pinsel aus dem Staube, die es nicht verdienen, und lassen bessere liegen, die sie aufheben sollten. Das sind zufällige Dinge, auf die sich ein wahres Genie nichts zu Gute thut, und die selbst als Anekdote in der Geschichte der Kunst von keinem Belang sind. Die Gemüthsbewegung des Künstlers hingegen, von der Sie sprachen, wäre schon bedeutender. Aber dürfen Sie denn, mein Herr! ein Fideikommiß veräußern?«

»Die Verbindlichkeit seiner Erhaltung,« erklärte er mir etwas weitschweifig, »hört, den Gesetzen gemäß, bei dem letzten Nachkommen [195] des Erblassers auf. Nun kann ich zwar die Familie noch nicht für erloschen ausgeben, da mir eine Tochter geblieben ist, die den besten Willen hätte, sie fortzusetzen, wäre ihrem Freier nur mit einer bloß gemalten Ausstattung gedient. Indem ich aber von dem wenigen Meinen, außer diesem Kunstwerke, durchaus nichts entübrigen kann, so tritt die Rechtsfrage ein, ob ein Vater in meinem Falle seine einzige Tochter der Gefahr, ihren Bräutigam zu verlieren, aussetzen, oder ihrem nicht unbilligen Verlangen nachgeben soll, das Bild der Liebe der Wirklichkeit aufzuopfern? Ich habe den Zweifelsknoten als Rechtsgelehrter erst auf allen Seiten betrachtet und ihn endlich als ein zärtlicher Vater gelöst.«

»Denn kann auch, sage ich, das herrliche Gemälde nach seinem Verkauf nicht auf die künftigen Leibeserben meiner Tochter übergehen, so müßten sie doch, sage ich, vor den Kopf geschlagen seyn, wenn sie mich deßhalb in Anspruch nehmen wollten, da ich doch ehrlicher Weise ihnen zu ihrem Daseyn nicht anders verhelfen kann.«

Ich machte dem schwatzhaften Mann so viele schmeichelhafte Komplimente über die Bündigkeit seiner Deduktion, und wußte zugleich meine in Geheim aufsteigenden Wünsche so geschickt durch die sehr wahrscheinlichen der bedrängten Schönen zu unterstützen, daß ich ihm bald genug die Erklärung, an der mir am meisten lag, abgelockt hatte: »er wolle nun auch keinen Tag länger auf den saumseligen Bezahler lauern, wenn sich ein Liebhaber fände, der in seinen Kauf träte.« »Und auf wie hoch, wenn ich fragen darf, haben sie ihn abgeschlossen?« »Auf tausend kleine Thaler,« erwiederte er, »eine mäßige Summe für einen Titian, der so gut erhalten ist, als es ein Fideikommiß nur seyn kann; aber, wie gesagt, die bängliche Lage meines armen Kindes« ... »O, diese« fiel ich ihm ins Wort, »könnte wohl selbst einen so zärtlichen Vater vermögen, noch etwas von jenem Preise nachzulassen, wenn er baares Geld sieht. Nicht wahr?« Er zuckte mit den Achseln. »Nun darüber,« fuhr ich fort, »läßt sich noch sprechen, wenn Sie mir erlauben, Ihnen und der Venus meine Aufwartung zu machen.« »Viel Ehre für beide!« verneigte er sich. »So darf ich Ihnen wohl folgen?« fragte ich, »denn länger, als eine gute halbe Stunde kann ich mich hier[196] nicht aufhalten.« »Das thut mir leid,« entgegnete er, »und ich kann sonach Ihnen nur noch eine glückliche Reise wünschen, weil ich vor drei Uhr nicht wieder zu Hause seyn kann – nöthiger Geschäfte wegen.« »Das,« besann ich mich, »läßt sich wohl noch vergleichen. Die meinigen sind nicht so dringend, um darüber einen schönen Anblick aufzugeben. Ich darf ja nur die Postpferde später bestellen. Nach drei Uhr also, lieber Herr Notar, will ich mich einstellen.«

Er nickte mir bloß mit dem Kopfe zu, ergriff verdrießlich seinen Hut und ging. Unter der Thür drehte er sich noch einmal nach mir um. »Wenn Sie lange Weile haben, und wollen unterdeß, bis ich zurückkomme, meiner Tochter zusprechen, so steht es bei Ihnen. Die Venus aber kann Ihnen freilich ein Mädchen nicht aufdecken. Der Kellner weiß, wo wir wohnen.« Er war schon auf der Treppe, ehe ich antworten konnte. Das ist ein wunderlicher Heiliger, dachte ich; erst so gesprächig und nun so kurz abgebrochen! Sollte er denn aus den paar Worten, die ich über den Preis seines Gemäldes fallen ließ, einen Knauser in mir vermuthen, der erst den Vater treuherzig gemacht hätte, um durch jüdischen Handel die Verlegenheit der Tochter zu benutzen, und ihren ohnehin geringen Brautschatz noch zu schmälern? Das möchte, wohl bei andern Käufern der Fall seyn. Nein, ich will nicht zur Ungebühr so preßhafte Personen noch mehr pressen. Das schwör' ich bei dem Andenken des unsterblichen Titian.

Es wäre doch drollig, Eduard, wenn das abgeschmackte Beziers mir zu einem Kleinod verhülfe, nach welchem ich, seit ich denken und fühlen kann, vergebens geangelt habe. Zum Glück – auch in dem Falle sogar, wenn die mißlichen Umstände eines einzigen Sprößlings den Vater auch nicht zu einem Sous Nachlaß bewegen könnten, – bleibt meiner Kasse noch hinlänglich Kraft, den gebannten Geist des großen Malers aus dem verfallenen Bau des Notars zu erlösen, ohne daß mir, wie gewöhnlich den Schatzgräbern, weitern Fortkommens wegen bange seyn darf. Reiche ich mit meiner Baarschaft nur bis Leyden! Bei einem Freunde, wie mir Jerome ist, habe ich keine Verlegenheit zu fürchten, wenn ich ihm nichts leereres verrathe, als meine Geldbörse!

[197] Wie hat mich doch in diesem Augenblick eine Postchaise erschreckt, ehe ich sahe, daß sie durchfuhr!

Es müßte aber auch wunderlich zugehen, wenn der Zufall eben jetzt den erwarteten Sekretär in die Quere brächte. Sein Termin ist verlaufen. Es hat drei geschlagen; ich fliege nun meiner Schutzgöttin entgegen.


Den 3ten März.


Du siehst mich immer noch hier, Eduard, und kannst leicht denken, daß sich, außer meinem wichtigen Handel von gestern, noch andere Dinge eingemischt haben müssen, die meine Abreise von diesem fatalen Ort verzögerten. Die Sache hängt so zusammen. Ich fand den Notar und seine einzige Tochter vor einem großen Topf Chokolate à double Vanille, zu meiner Bewillkommnung. Die Liebesgöttin lauschte hinter einem grünlichen Vorhang, gerade über dem abgenutzten Sopha, auf welchem die Braut saß, deren Jugend und Farbe mir einen sehr billigen Kauf versprach, wenn ich ja in Versuchung käme, bei einem Meisterstücke der Kunst an gute Wirthschaft zu denken. Das gute Kind, bemerkte ich mit heimlichem Vergnügen, hatte ihre Blüthenzeit schon so weit hinter sich, daß es toll und thöricht vom Vater wäre, wenn er noch einen Tag anstände, vermittelst des älteren Fideikommisses dem jüngern Luft zu machen.

Die gar zu höflichen Leutchen verschwendeten einen Schwall ihres Getränkes an mich, das ich, während meine Gedanken hinter dem Vorhange schwebten, aus Zerstreuung hinunter – und dagegen in allem meinem Geäder eine gewaltige Hitze aufjagte.

Um indeß dem Strom einigermaßen entgegen zu arbeiten, der mich, seiner Natur nach, mit jeder Tasse viel weiter nach Paphos zu treiben drohte, als es für den Vortheil meines vorhabenden Geschäfts gut war, benutzte ich jede Gelegenheit, dem vergilbten Mädchen das Glück der Ehe und die Seligkeit verbundener Seelen aufs reizendste vorzumalen. Meine Poesie blieb nicht ohne Wirkung. Ihre Wangen flammten stärker noch, als die meinigen, und sicher ließ sie in ihrem pochenden Herzen jedesmal [198] hundert Livres von dem geforderten Preise nach, so oft ich mich geneigt fühlte, mein Gegengebot um funfzig zu erhöhen. Dieser stillschweigende Handel um ein verdecktes Gemälde ward mir jedoch je länger, je lästiger. Ich mußte alle meine Artigkeit zusammennehmen, um im Beiseyn der verschämten Braut den Vorhang nicht ein wenig zu lüften. Endlich – auf einen bittenden Wink des Vaters, setzte sie die Tasse aus der Hand, rückte den Tisch und entschloß sich, die beiden Herren mit der Venus allein zu lassen. Ich hätte sie, und das will viel sagen, umarmen mögen, als sie mit der dritten und letzten Verbeugung an der Thür, meiner Ungeduld ein Ende machte. Welch eine Erwartung, welch ein köstlicher Augenblick! Der Notar ergreift die Schnur – ich zittere am ganzen Leibe – der grüne Vorhang fliegt seitwärts – meine feurigen Augen, wie Lichter, die schnell in das Dunkle treten, stürzen nach und umfassen nun mit Erstaunen das Gebild, das mich so lange durch seine schamhafte Verhüllung gequält hat. Es liegt vor mir in seiner ganzen weitläuftigen Nacktheit. Und ich – wie vor den Kopf geschlagen stehe ich da, habe nicht das Herz, noch einmal hinzublicken, lache bitter und befrage mich:


Dieß wäre Sie, die jedes Herz erweichet,

Den Wachenden entzückt, den Schlafenden erweckt,

Die Göttin, die mir noch den besten Kelch gereichet,

Nachdem ich alle durchgeschmeckt?

Bei allen Heiligen, die jemals mich geneckt,

Bei Lady Baltimor, die der Madonna gleichet,

Bei Margots Reiz, der sich nicht minder unbefleckt,

Gleich einer Lilie, die Zephyr aufgedeckt,

Stolz aus dem Nebel hebt, der nach den Thälern streichet,

Schwör' ich – Es ist die Braut! vielleicht nur zu korrekt

Nach der Natur gemalt, – denn was hier strotzt und bleichet,

Hält Venus zu Florenz mit scheuer Hand versteckt;

Die Braut ist's, die im Drang, der aus der Brust ihr keuchet,

Matt wie der Tauben Paar, das ihr zu Füßen schleichet,

Die Arme nach Erlösung streckt.

Getroffner hat noch nie mich ein Portrait verscheuchet

Und ein Original erschreckt.

Doch, daß verständlicher noch die Verlockung werde,

Winkt, so wie ehedem dem Wandrer zur Gefährde,

[199]

Zu ihrem Räthselspiel, die frevelhafte Sphinx,

Hier zu fast gleichem Zweck mit listiger Geberde

Ein blinder Junge dir, dem links

Die Rüstung Amors liegt – und nun mit gelber Erde

Gleich drunter: Titianus pinx.


Hätte mich nicht Zeit und Erfahrung gelehrt, Meister meiner ersten Hitze und meines spanischen Rohrs zu werden, ich weiß nicht, wie es dem geschwornen Notar ergangen wäre. So aber ließ ich es bei einem verächtlichen Blicke bewenden, den ich von der Betrachtung dieser untergeschobenen Venus ausdrücklich für ihren leiblichen Vater aufgehoben hatte. Der Betrug ist zwar grob, berechnete ich in der Geschwindigkeit, den der Unverschämte dir zu spielen gedachte, dafür ist er aber auch, genugsam zwar noch lange nicht, durch den Aufwand von der theuern Chokolate bestraft, um die er sich nun aufs kläglichste in seiner Bettelwirthschaft geprellt sieht. Wohl gar, ging mir ein schreckliches Licht auf, stellte er dir nur darum frei, einige Stunden allein mit dem verschossenen Original zuzubringen, um gegen ein tüchtiges Schaugeld die Aehnlichkeit der Kopie desto besser vergleichen zu können; denn der Kerl ist gewiß jeder Bosheit fähig. In zornigem Stillschweigen nahm ich meinen Hut von der Wand, stäubte ihn ab, während er, ohne daß ich darauf achtete, den Kaufpreis seines Ungeheuers von einem Tausend Livres zum andern heruntersetzte, und eilte, weniger über seinen doppelt mißlungenen scheußlichen Versuch, als über meine Leichtgläubigkeit aufgebracht, die Treppe hinab, denn ich hätte mir doch wohl vorstellen können, daß unsere Stubengelehrten ein solches Fideikommiß, wenn eins hier vorhanden gewesen wäre, wenigstens eben so gern einer Anzeige würden gewürdiget haben, als jene ruchlose Sentenz. Am längsten schlug sich meine bittere Laune mit dem Tüncher herum, der sich erfrecht hatte, den Namen jenes glorreichen Malers auf seinen Schmierlappen zu prägen.

»Du,« rief ich mit geballter Faust in die Luft:


»Du, der des Löwen Haut gleich jenem Esel stahl,

Der dennoch blieb, was er gewesen,

Du Schöpfer meiner Augenqual,

Wird je dein Name laut, so sei's im Hospital,

[200]

Wo du für dein Gebild die Farben aufgelesen.

Es leihe als Symbol von ihrem Hochzeittag

So lange Trost der männertollen Dirne,

Bis ein verschobenes Gehirne

Den ekeln Brautschatz heben mag.

Erwarte nicht, o Thor! daß deine kranken Tauben,

Die man zu gut an ihren Federn kennt,

Ein Körnchen je des süßen Weihrauchs rauben,

Der auf dem Herd der Liebe brennt!

Wird wohl ein Wurm wie du, der nach Cytherens Insel

Verweht, ein welkes Blatt aus ihrem Kranz erschleicht,

Ein Genius, dem gern und aus Gefühl vielleicht

Sein Kaiser tief gebückt, den leicht entschlüpften Pinsel

Zum letzten Schattenstrich des Kleinods wieder reicht,

Das alle andre hebt, wenn's gleicht?« –


That ich wohl klug, daß ich noch Galle zu dem Höllengetränke mischte, mit dem der Fidei-Kommissar und seine, zu einigem Trost der Durchreisenden,einzige Tochter meine Augen zu bestechen hofften?

Mein armes, dießmal wider Verschulden, gepeitschtes Blut war darüber in eine Wallung gerathen, die mir keine Ruhe verstattete.

Schon seit einer Stunde außer dem Thore meiner unglücklichen Einfahrt hatte ich bereits einen halben Cirkel um das dumme Städtchen geschlagen, als ich gegen alle Erwartung auf einen Punkt stieß, der mich fest hielt.

Ein großer menschlicher Gedanke mit genialischer Kraft ausgeführt – eins der vielen Wunder des Kanals von Languedoc, lag gerade vor mir. Ich sah ein Postschiff unter meinen Füßen anschwimmen, das, um seinen Lauf in der höhern Landschaft fortzusetzen, zwei und siebenzig Ellen bis zu meinem Standpunkte heraufsteigen mußte, welches durch sieben Schleußen, die das Wasser zu so viel Stufen anschwellten, in wenig Minuten bewerkstelliget wurde. Während ich nun zusah, wie viele verdrießliche Gesichter die Barke aussetzte und wie vergnügt die schienen, die sie dagegen einnahm, und bei einem Hinblick auf die Stadt, das eine wie das andere Phänomen sehr begreiflich fand, fuhr mir die Frage durch [201] den Kopf, ob ich nicht auch klüger thäte, die Verdauung der doppelten Vanille auf einem schaukelnden Schiffchen, als in einer Kneipe abzuwarten, wo man Sperlinge für Ortolane giebt? Ich hatte nichts triftiges dawider einzuwenden, als etwa die Besorgniß Bastians, wenn ich über Nacht ausbliebe.

Indem streckte mir ein armer in Ruhe gesetzter Soldat seine dürre Hand nach einem Allmosen entgegen. Sein altes, offenes, ehrliches Gesicht brachte mich auf den Gedanken, ihn zu meinem Botschafter zu brauchen. Nun war er freilich auch lahm dabei, aber nicht so sehr, um einen Weg nach dem Wirthshause zu scheuen; denn er übernahm meinen Auftrag sehr gern und um so williger, da ich auf einer Visiten-Karte, von der ich ohnehin weit entfernt war in Beziers Gebrauch zu machen, für den Ueberbringer einen gleich zahlbaren Wechsel von vier und zwanzig Sous auf meinen Kammer-Kassirer trassirte.

Ich habe schon größere für kleinere Bemühungen an weit lahmere Geschäftsträger ausgestellt, ohne nur halb so viel Provision dabei zu gewinnen, als dieser mir abwarf. Das freundliche dankbare Auge des armen Invaliden für den geringen Verdienst, den ich ihm zuwendete, leitete auch das meine gen Himmel zu jenem großen Banquier, bei dem ich ja, mit Allem, was ich habe – mit dem reichlichen guten Brote, das ich verzehre, so wie mit dem wenigen schwarzen, das ich dem Hungerigen breche, in Schuld stehe.

Diese vorüberfliegende Empfindung, die eigentlich jeden Heller und Groschen begleiten sollte, den wir ausgeben, machte mich in diesem Augenblick reicher und froher, als wenn mir jemand die ächte Venus geschenkt hätte, vor der ein Beherrscher der Welt den Rücken bog. Das Fahrgeld für die erste Station nach Somailles betrug, selbst den Wechsel dazu gerechnet, so wenig, daß ich schwerlich eine andere siebenstündige Zerstreuung wohlfeiler hätte erkaufen können. Meine Unterhaltung in der ersten Stunde möchte ich gern, wenn es nicht zu eitel klänge, auch für die beste halten, denn sie entspann sich in mir selbst. Die mitschiffende Gesellschaft – aus Lappen von verschiedener Güte und Farbe zusammen gesetzt, und [202] die Du mir wohl nicht zumuthen wirst in eine Musterkarte zu bringen, warf dem Ausländer, ehe sie ihn angriff, erst Leuchtkugeln in das Nest, um ihn aufzujagen. Jedes reichte aus seinem Vorrath dem andern ein Stückchen gefärbtes Glas oder Rauschgold zu, um den Ehrenkranz des gemeinschaftlichen Vaterlands noch höher zu schmücken.

Ich gab für die Lust, die sie dadurch mir machten, ihnen dagegen auch gern mein Erstaunen zu ihrem Spielwerke preis, und so war mit wenig gesellschaftlicher Falschheit beiden Theilen geholfen.

Ein jubilirter Fähndrich eines längst verschollenen Freikorps war der erste, der mir auf der Bank mit dem Uebelgeruch seiner hörnernen Dose und einem Mißklang deutscher Worte näher rückte; die einzigen Ueberreste seiner Beute aus dem siebenjährigen Kriege. Trotz ihrer Verstümmelung gaben sie mir doch, so gut als Gresset's Vert-vert, und bestimmter als es der Redner wohl selbst glaubte, den gesellschaftlichen Ton seiner großen Verbindungen in Deutschland so treu wieder zurück, daß mir die Ohren weh thaten.

Er gedächte noch mit Entzücken, schwor er mir zu, seiner Rasttage zu Meißen, Dresden, in dem Plauischen Grunde und auf dem weißen Stein. Desto unerwarteter, obgleich sehr lieb, war es mir, von jemanden, der die Vergleichung machen konnte, zu erfahren, daß ich mich ganz in der Nähe einer Augenweide befände, die nicht nur jene, wie er sich ausdrückte, nicht übeln Gegenden meines Vaterlands, sondern die prächtigsten sogar seines eigenen, weit hinter sich ließe, die malerische nemlich – unglaublich schöne Aussicht, die ein Bischof von Beziers auf der Terrasse seiner herrlichen Residenz genösse. »Das ist viel gesagt,« entwischte mir, indem ich im Geiste jene Prunkgefilde der Natur und mein unvergeßliches Sonnenthal überblickte. »Nun so gebe ich mich,« erklärte er mit militärischem Anstand, »nicht eher zufrieden, bis Sie mir Ehre und Augen verpfänden, daß Sie Sich selbst überzeugen wollen, wie viel zu wenig ich noch gesagt habe.« Um so ein Versprechen lasse ich mich nicht lange bedrohn. Ich wiederholte es ihm in der Folge noch einmal, weil mir sein fortwährender Bombast über denselben [203] Gegenstand in der Länge verdrießlich ward. »Morgen, wenn ich von meiner Spazierfahrt zurückkomme,« sagte ich, »soll gewiß mein erster Gang nach der bischöflichen Burg seyn.« »Setzen Sie ihn nur noch einen Tag weiter hinaus,« suchte er mich zu bereden, »so bin auch ich wieder zu haben, begleite Sie, und besuche zugleich den dortigen Kastellan, meinen leiblichen Vetter, der sein Trinkgeld sauer verdienen soll, dafür stehe ich.« Es that mir wohl leid, daß mir meine ohnehin zu lange verschobene Abreise von Beziers nicht erlaubte, sein höfliches und so vortheilhaftes Erbieten anzunehmen; beinahe aber thut es mir noch weher, der schönen Natur eine neue Gunstbezeugung abzulocken, die den Eindruck aller jener verwischen soll, an denen mein Herz noch jetzt mit der treuesten Leidenschaft hängt; indeß tröste ich mich mit meinen unersättlichen Augen, die noch überdieß zu Pfand stehen. Williger stimmte ich in die Lobrede ein, die der Schwätzer dem Kanal hielt, gab gern zu, daß Deutschland dergleichen nicht aufzuweisen habe, und fand wirklich die Stellen, die er mir im voraus mit Wortgepränge ankündigte, trotz der dadurch gestörten Ueberraschung, jedesmal merkwürdiger noch, als ich erwartete. Das erste Wunder, das ich anstaunte, war ein ausgebrochener Felsen, Malpas genannt, über dessen Rücken Lastwagen rasselten, während die Barke unter seinem kühlen, dämmernden, hohen Gewölbe hundert und zwanzig Toisen auf das lieblichste fortschlüpfte. Einige Stunden nachher warf sich ein reizendes Thal, wie eine große Smaragdschaale, meinen frohen Blicken entgegen. Aus seiner Tiefe stiegen drei ungeheure Bogenmauern in die Höhe, die das Schiff und den Kanal gleichsam in der Luft forttrugen, indeß senkrecht unter uns ein Fluß rauschte, eine Heerde Schafe an seinem Ufer weidete, und eine Gruppe lustiger Mädchen sich, ohne Furcht vor unsern Ferngläsern, zum Baden anschickte.

Das süße Lebensgefühl, das in dem Herzen eines auch noch so Unempfindlichen aufwallen muß, der dieß fortlaufende reiche Natur- und Kunstgemälde zum erstenmal erblickt, und das jetzt glänzend aus meinen Augen hervorleuchtete, machte mir die ganze Gesellschaft geneigt, so wenig meine Bewunderung auch Bezug auf [204] sie hatte. Alle setzten bei mir voraus, daß ich von Barke zu Barke bis nach Toulouse fahren, und auf der Route bei St. Feriol aussteigen würde, um den größten bekannten Trichter der Welt zu betrachten. Er schwebe, erklärten sie mir, zwischen drei Bergen, wie aus Felsen gegossen, und enthalte anderthalbmal die ganze Masse Wassers des, vierzig deutsche Meilen durchfließenden Kanals, um ihn nach den sechs Ablaß und Feier-Wochen, die man jährlich seiner Reinigung und Ausbesserung widme, wieder zu füllen. Diese Mittheilung werde mit Hülfe dreier metallnen Hähne bewerkstelliget, die, wie an einer Theeurne, sich aufdrehen ließen, und jenem Wassermagazin der erlittene Abgang durch mehrere ihm zugeleitete Bäche in einigen Tagen wieder ersetzt. »Und wer,« fragte ich, »war der Erfinder und Schöpfer dieses erstaunlichen Menschenwerks?« »Ein Landsmann und Zeitgenosse des berühmten Pelisson, und nicht nur zur Ehre, sondern auch zum glücklichen Gewinnst für uns,« riefen sie alle mit innigem Wohlbehagen, »ein gemeiner Gärtner von Beziers, denn der brave Mann ließ absichtlich den Kanal einen Umweg nehmen, um seiner Vaterstadt ein großmüthiges Andenken zu hinterlassen. Wäre er gleich nicht in Narbonne geboren worden, werfen ihm die dortigen neidischen Einwohner vor, so konnte er doch als Bürger des Staats, dem er zuerst angehörte, ihm mehrere Millionen ersparen, wenn er dem Wasser, das er in Beziers gezwungen war durch Kunst in die Höhe zu treiben, ein neben uns, schon von den alten Römern hierzu eingerichtetes Flußbette angewiesen hätte. Das ist wohl wahr, stimmten sie alle ein, aber was geht einen Bezierser der Staat an?« »Ach!« seufzte ich heimlich, »so hat denn auch jenes große Genie, das nur zufällige Geburt in diesen Winkel verschlug, der kleinstädtischen Denkungsart untergelegen, die hier lokal ist! – Auch Fauquets Freund – ist es möglich,« verwunderte ich mich etwas zu laut, »der rechtschaffene Pelisson wäre hier geboren?« »Ja wohl,« übernahm der Fähndrich die Antwort, »das hiesige Klima scheint ganz besonders geeignet, vorzügliche Menschen zu entwickeln.« Ich sah ihn bedenklich an, dachte an den Notar, an den Wirth zum Ortolan, und schwieg.

[205] Desto tiefer bückte sich mein zagender Genius vor jenem Muthigen, der diesen künstlichen Strom ausgoß. Der Gedanke an den Umfang, an die Schwierigkeiten seines herrlich ausgeführten Plans, spannte meine Neugier nur noch höher auf diesen seltenen Sterblichen. Der Freibeuter empfahl sich dadurch sehr bei mir, daß seine geläufige Zunge mir so viel von dessen Geschichte, als er nur selbst wußte, mittheilte. Wie rührte es mich, alle die Kräfte in dem Kopfe eines Mannes ohne gelehrte Erziehung vereinigt zu sehen, die erforderlich waren, um das Zutrauen des klugen behutsamen Colbert zu diesem ungeheuern Unternehmen – die Zustimmung des Königs zu zwanzig Millionen Aufwand, und einen so vollkommenen Sieg über ein Heer von Gegnern und Neidern zu gewinnen. Der Edelsinn Ludewigs erhob mir das Herz, der den Erfinder nicht würdiger zu belohnen wußte, als mit dem vollendeten Werke selbst, das seinen Nachkommen, den jetzigen Grafen von Caraman, jährlich eine halbe Million Einkünfte abwirft.

Dieß thatenvolle Leben beschäftigte meinen Enthusiasmus selbst noch in Somailles, wo wir zur gesetzten Zeit anlangten.


Es segne, es segne sein dankbares Land

Den Namen Riquet – und Welt und Nachwelt verehre
Den Helden, dessen wohlthätige Hand
Zwei ferne, fremde, tobende Meere
Friedlich mit einander verband!
Die aufgeschreckte Natur warf mit gigantischem Zorne
Felsen, Wälder und Seen in seine romantische Bahn;
Das scheue Chor der Oreaden entrann,
Als er das große verworrene
Räthsel zu lösen begann.
Auf dreißig Stufen vom Manne zum Greise
Erschritt er den letzten entscheidenden Tag,
Er rief dem Wasser – es kam, es floß im sichersten Gleise,
Und Gondeln flogen zum Ziel der neu erfundenen Reise,
Berg auf und Berg unter, dem Boot ihres Anführers nach.
Da blickte sein Auge zu Gott, und sieh! dem menschlichen Fleiße
Ward göttlicher Lohn; es blickte noch einmal, und brach.

Ja, Freund, es brach, kurz nachher, als er von seiner ersten Probefahrt zurückgekommen war, und die meinigen feuchteten sich an, als ich's hörte.

[206] Sollte wohl für Reisende irgendwo in der Welt besser gesorgt seyn, als auf diesem prächtigen Kanal? Ich glaube kaum. Denn ungerechnet, daß man hier keinen Staub zu verschlucken, für grundlose Wege kein Pflastergeld zu bezahlen, die Grobheiten der Postknechte, den Umsturz des Fuhrwerks und Langeweile so wenig zu befürchten hat, als Zeitverlust, so irrt noch überdieß Dein Auge, wie in einer Gallerie von Claude Lorrain, von einer schönen Landschaft zur andern. Dein Körper schwimmt in dem behaglichsten Gefühl. Für Deinen Gaumen wird schon von weitem das beste Geflügel mürbe gekocht, und geistiger Balsam für Deine arme Seele. Jeder Schuh Wasser, über welchen die vor Wind und Wetter geschützte Barke sanft hingleitet, scheint zu dem Wege, den sie zurücklegen soll, so genau berechnet zu seyn, als die Kette einer Minuten-Uhr.

Wenn Du früh abfährst, siehest Du Dich in eine, zu einem Zweck vereinte, oft sehr gemischte, aber immer muntere Gesellschaft eingereiht, bist der Sorge für den Mittag überhoben, des Empfangs eines freundlichen Wirths an einer schon gedeckten Tafel für festgesetzten mäßigen Preiß, und bei der Landung am Abend, außerdem noch, eines reinlichen Bettes gewiß. Vom Anfang bis ans Ende der Fahrt harren in den Wirthshäusern, bei denen Du anhältst, nicht nur körperlich frische Pferde zum Ziehen des Schiffs – sondern auch untergelegte, geistige, ehrwürdige Kapuziner, die beordert sind, Gott für Deine glückliche Ueberkunft zu danken, und für Dein weiteres Fortkommen bis zur nächsten Kapuzinade Messe zu lesen.

Höher, als bei dieser, ist wohl in keiner öffentlichen Post-Anstalt die Vorsorge getrieben worden. Auch bewies mir der Mönch, der unserm heutigen Abendmal vorstand, die Wirksamkeit des angeordneten Gebets durch einen längeren als hundertjährigen glücklichen Erfolg; denn, sagte er, obschon der Kanal täglich und stündlich hin- und herwärts befahren wird, so hat man doch kein Beispiel, daß auch nur ein Boot seitdem verloren gegangen sei, da hingegen unzählige Schiffe verunglückt sind, als sie noch genöthiget waren, ihren Lauf durch die Straße von Gibraltar, aus [207] dem Aquitanischen – in das Mittelmeer zu nehmen. Ich erregte nicht den geringsten Zweifel dagegen. Die Bewirthung hier gefällt mir so wohl, daß ich den Ortolan keinen Augenblick vermisse.

Somailles
Somailles.

Den 4ten März.


Meine Aergerniß über den Notar, seine orangenfarbene Tochter und ihr Hochzeitgemälde ist verschlafen, und Bastian, wenn ich auch nicht mit der Frühbarke abgehe, klug genug, die wahre Ursache meines längern Außenbleibens nothdürftig zu errathen. Ich liebe ganz besonders dergleichen unruhige und doch wohl eingerichtete Wirthschaften, wie ich hier finde. Die Zeit wird mir keinen Augenblick lang. Ich sehe dem Aus- und Einsteigen der Ankommenden undAbgehenden, wie einer Theaterveränderung mit Vergnügen zu – verplaudere mit jenen einige Stunden, ohne es sehr zu achten, wenn mir diese aus den Augen verschwinden. – Geschichte des menschlichen Lebens in einem gedrängten Auszuge! – Ich darf mir nur noch den Fortgang der Welt mit immer neu aufgepackten Zeitgestalten unter dem Sinnbilde eines Kanals vorstellen, so habe ich eine moralische Betrachtung, so gut, als eine mit Kupfern. Zufrieden indeß mit der kleinen Probe, die ich gemacht habe, ist mir, nach ruhigem Nachdenken, die Lust vergangen, des edeln Riquet Erfindung, außer eben jetzt zu meiner Rückreise, für das weitere zu benutzen.

Ich verkenne zwar keinen der Vortheile, die sie Reisenden, unter andern Umständen, als den meinigen, gewährt; für mich aber, der keine Fracht zu verfahren hat, als die unbedeutende seines eignen Selbsts – der sich ungern an den Glockenschlag bindet, und immer mit Helvetius fürchtet, daß uns schon dadurch ein Mensch verhaßt werden könne, wenn man ihm lange gegen über sitzt, taugen alle Fahrzeuge um so weniger, je richtiger sie ihre Stunden halten, und je bunter sie besetzt sind. Da ich vollends [208] gelegentlich erfahren habe, daß die Postschiffe zehn Tage auf denselben Weg verwenden, den ich zu Lande in dreien zurückzulegen hoffe, so thue ich ohne weiteres Bedenken Verzicht auf die Ehre, mit dem Wasserbecken zu Feriol und dem größten Trichter auf Gottes Erdboden Bekanntschaft zu machen. Man käme schon von einem Frühlings-Spaziergange in seinem Leben nicht nach Hause, wenn man nicht manches Merkwürdige vorbeizugehen gelernt hätte.

Mit der Terrasse des bischöflichen Sitzes ist es etwas anders; diese liegt mir, so zu sagen, unter den Händen. Ich brauche ja nur ausgeruhte Füße und helle Augen, um diesen Solitär nach allen seinen Facetten zu betrachten. Kein Kenner des Wahren, Schönen und Großen, sagte der Fähndrich im Romanenstil, kann ihn unbesehn lassen, ohne ein Majestätsverbrechen gegen die wundervolle Natur zu begehen. Ach, seitdem mich die Puppenspieler von Agathens Seite aus St. Sauveurs Landsitze versprengten, habe ich das Seelenbedürfniß des Anschauens in seinem ganzen Umfange entbehrt. Desto wohlthätiger werden mir morgen meine Frühstunden verstreichen. Ein halber Tag länger in Beziers ist freilich ein hoher Kaufpreis; wer wollte aber ein Juwel deßwegen, weil es schlecht gefaßt ist, vernachlässigen? Indem sah ich, daß mich das Gebet des Mönchs glücklich an den Ort meiner Abfahrt gebracht hatte. Möchte es mir doch eben so glücklich von ihm wieder forthelfen! Kaum war ich aus der Barke gestiegen, so stürzte mir Bastian mit einem »Gott sei gelobt,« an den Hals, »daß Ihnen der Schrecken, nichts geschadet hat!« »Was für ein Schrecken?« fragte ich. »Nun? mit dem tollen Hunde,« erwiederte er, »hier herum muß ja wohl die Stelle seyn, wo er, so glücklich für Sie, mein guter Herr, noch zur rechten Zeit den Schlag vor den Kopf erhielt.« »Hast du deinen verloren?« spöttelte ich und ging meinen Weg nach dem Gasthofe zu, ohne weiter auf sein Gewinsel zu hören. Hier aber begann es von neuem: »Der ehrliche Invalide! Welche Dienste muß er nicht ehemals dem Vaterlande geleistet – was für einen Säbel geführt haben, da er jetzt noch mit seiner Krücke so gut trifft!« Ich blickte den Schwätzer mit großen Augen an. »Sie hätten aber auch nur,« fuhr er fort, [209] »die innige dankbare Freude des armen Graukopfs sehen sollen, als ich ihm nach Ihrer Anweisung das Goldstück einhändigte.« »Nach meiner Anweisung?« fragte ich, »weise sie doch her!« Ich drehte mich mit meiner Visitenkarte nach dem Fenster, sah mit Verwunderung meine eigenhändige Schrift vor mir, und trällerte, um Bastianen keine Verlegenheit merken zu lassen – Gott weiß was für ein Liedchen – das aber sicherlich keins zum Lobe Beziers und der Physiognomik war, denn – kannst Du denken! der lahme bettelnde Soldat, dessen offenes Gesicht mich gestern so weich machte, hatte meine ihm zum Botenlohn verschriebene Schuld von vier und zwanzig Sous mit derselben dürren Hand, die er mir zitternd entgegenstreckte, und einer Geschicklichkeit ohne Gleichen, in so viel Livres verfälscht, die der arglose Bastian und mit tausend Freuden, wie er mir versicherte, auszahlte, ja nebenher noch eine Flasche Wein auf die Gesundheit des geretteten Menschenverstandes seines armen Herrn mit dem Helden ausleerte. »Daran hast du sehr wohl gethan!« sagte ich, – »warum batst du ihn nicht auch noch heute zum Abendessen; denn käme er mir jetzt unter die Augen, ich wollte ihm wohl meine Erkenntlichkeit noch thätiger beweisen. Hier hast du deinen Rechnungsbeleg wieder. Ich hoffe, es soll keiner dergleichen mehr vorkommen.« »Dazu gebe ja der Himmel seinen Segen!« seufzte Bastian, indem er mir das Schreibzeug zurecht setzte.

Will ich auch des lieben Gottes nicht weiter erwähnen, der Beziers, das wiederhole ich dem Herrn Hübner und Krebel zum letztenmal, so wenig, wie ich, zu seinem irdischen Aufenthalt wählen wird – so wohnt doch immer ein Statthalter von ihm, ein Bischof da, der, dächte ich, wohl vor allen Dingen seiner diebischen Gemeine das siebente Gebot näher, als es das Ansehen hat, an's Herz legen sollte; aber eben erfahre ich vom Wirth, mit Nebenumständen, die mich so giftig machen, als ob mich wirklich ein toller Hund inoculirt hätte, daß der Hirte dieser räudigen Heerde seine schöne Terrasse sogar, nie als einige Tage zur Frühlingszeit in Amtsverrichtungen besucht, die seine Gegenwart erfordern.

»Der Zutritt zu jenem Weltwunder,« erzählte er weiter, [210] »wäre zwar gegen ein Gratial jedem Durchreisenden vergönnt, aber nur nicht vor zehn Uhr des Morgens; so lange schlafe der gnädige Herr in Paris und sein Kastellan hier.« »Nun, Herr Wirth,« schrie ich ihm dagegen in die Ohren, »so bestelle Er mir die schon einigemal recht schändlich abgesagten Postpferde auf Morgen desto pünktlicher mit Anbruch des Tages, denn ich mag in diesem mir höchst fatalen Ort keinen weiter verlieren.« Nach dieser, wie ich glaube, deutlichen Erklärung flüchtete ich, ohne mich weiter so wenig um ihn, als um die bischöfliche Burg und meine verpfändeten Augen zu bekümmern, voll Bosheit ins Bette.

Beziers [1]
Beziers.

Den 5ten März.


Und stehe jetzt in einer zehnmal ärgeren – in einer wahren ruchlosen Stimmung wieder auf; denn ich möchte mich gern dem Teufel übergeben, um mich von hier wegzubringen, wenn ich so gut Freund mit ihm wäre, als Doktor Faust.

»Warum hätte ich denn Sie und Ihren Kammerdiener,« überschrie der Kerl meine Flüche, als er nach neun Uhr vor mein Bette trat, »um nichts und wieder nichts aus dem süßen Schlafe rütteln sollen, da, so hören Sie doch mir! vor Nachmittags keine Postpferde zu haben sind. Was verlieren Sie denn dabei? Sie sind ja hier gut aufgehoben, und können nun die Residenz, die Bilderkammer, den Hausschmuck und die Terrasse von Monseigneur nach aller Bequemlichkeit besichtigen; denn ehe Sie mit Ihrem Frühstücke und Anzuge fertig werden, ist der Kastellan munter.«

Der Mensch blieb mir unausstehlich, er mochte vorbringen, was er wollte. Ich wies ihm die Thür, ging dreimal die Stube auf und ab, und wiederholte, wie jener Kaiser, das A.B.C. um über meinen Ingrimm Herr zu werden. Ich ward es, und machte mich um zehn Uhr auf den Weg. Alleweile, da ich zurückkomme, ist es zwei Stunden über Mittag. Mein aufgewärmtes Essen habe ich dahin gewiesen, wo es herkam; denn ich mag nicht eher [211] wieder essen, trinken und mich sonst nach einer Freude umsehen, als in Castelnaudari. Dort in dem trefflichsten Gasthause der ganzen französischen Monarchie, wie die Kenner behaupten, hoffe ich wieder Freundschaft mit mir selbst zu stiften und während eines herrlichen Frühstücks Dir den Pallast, die Terrasse, die Zimmer und Gemälde des Bischofs und seine persönlichen Amtsverrichtungen so poetisch zu beschreiben, als sie es verdienen. Habe ich doch über den heutigen halben Tag und die folgende ganze Nacht zu gebieten, um in meiner lieben heimlichen Berline, die ich eben nach langem Stillstand wieder begrüßen und nicht eher, als vor dem Thore jenes berühmten Hotels verlassen werde, meine schönen Rückerinnerungen in Musik zu setzen.

Castelnaudari
Castelnaudari.

Den 6ten März.


Keiner von allen mir bekannt gewordenen Wegen der Welt ist mir weniger langweilig, reizender und ebener vorgekommen, als der mich aus dem Fegfeuer zu Beziers in das Paradies, das ich nun glücklich erreicht habe, gebracht hat.

Ich ward in den funfzehen Stunden, die mich, ungeachtet meiner elastischen Chaise, umsonst in den Schlaf zu wiegen suchten, immer munterer, je mehr sich der eine Ort entfernte, der andere näherte. Ach wie wünsche ich mir die drei letzten Tage zurück, um sie meinem dermaligen freundlichen Aufenthalte zulegen zu können! Mein sinnlicher, so lange unbefriedigter, nun desto begehrlicherer Mensch, wie festlich wird er nicht sein Heute verleben!

Das moralische Ich soll hoffentlich zusehen, und ihm, wie der ältere Bruder dem jüngern, seine kindische Freude nicht mißgönnen.

Hätte mir auch nicht Phöbus seine abgeschnallten Flügel zum Rückflug nach jenem Prälatensitz nur für die vergangene Nacht geliehen, diesen Morgen gäbe ich sie ihm ohnehin wieder; denn so umringt von den köstlichsten Leckereien, mein Tagebuch vor mir [212] auf einem Tische von Purpurholz, wie könnte ich mich mit einer Zeile mir befassen, die das geringste Nachdenken – einen Gran Menschenverstand mehr erforderte, als den – eines Abschreibers.

Ich nasche bald von diesem, bald von jenem Gerichtchen meines auserlesenen Frühmals, während es meine Feder allein ist, die Dir erzählt und den Wohlklang unverändert zurücktönt, den ich unter dem Mondschein der schnell verflogenen Nacht meinem Silberstifte einblies.

Ich zog einen großen Thaler aus dem Beutel, um mir freien Zugang in das geistliche Storchsnest zu erkaufen. Unterweges kam mir zwar einigemal die Lust an, ihn wieder einzustecken, und lieber meinen Besuch dem Posthalter zu machen, mit dem ich immerfort in Gedanken über seine schlechten Anstalten zankte. »Bist du nicht hier,« redete ich mir ins Gewissen, »schon auf das erbärmlichste in deinen Erwartungen getäuscht worden, und kannst dennoch deine Wetterfahne aufs neue dem Winde eines Großsprechers preis geben, der wohl nicht ohne Ursache abgedankt, vielleicht hoffte, mit deinem Trinkgelde näher noch verwandt zu werden, als er es mit dem Kastellan ist. Unglückliche Neugier, die, sogar bei dem Betruge, den sie ahndet, sich nicht abhalten läßt, ihn aufzusuchen!« – Unter diesem fortwährenden Tadel eines jeden Schritts, den ich that, erstieg ich nichts desto weniger die Anhöhe, stand noch eine Weile unentschlossen vor dem verriegelten Thore, ehe ich anklopfte. Endlich – verzeih' es Freund, wenn mir jetzt ein gemeiner, kahler Soldatenfluch entfuhr, »derTeufel!« hob ich an,


Gleich einem Korporal, der nach der Kegelbahn

Den Rest der Löhnung trägt, »der Teufel hol den Thaler!«

Und schlug mit ihm an's Thor. Kaum war es aufgethan,

So streckt' auch schon ein Kerl, der einem trunknen Prahler

Mehr glich, als einem Kastellan,

Die hohle Hand darnach. So schnell als er voran,

Trabt' ich nun hintennach. Merkuren selbst, im Wandern

Geübter doch als ich, zog nicht sein Schlangenstab

Zum Ida schneller hin, als nun Trepp' auf Trepp' ab

Von einer Gallerte zur andern,

Bald zu des Bischofs Thron, bald zu des Bischofs Grab

Mich dieser Unhold zog. An allem blieb er kleben,

[213]

Was je die Pracht mit ihrem Vogelleim

Bestrich, was je Geschmack und feine Art zu leben

Der Armuth nimmt, um es dem Stolz zu geben;

Und kein Gemach war so geheim,

Er ließ nicht ab, trotz meinem Widerstreben,

Den letzten Umhang aufzuheben.

Vorzüglich aber schien der schmucke Bildersaal,

Sobald er ihn betrat, sein Kunstgefühl zu wärmen.

Die großen Worte: Ideal,

Helldunkel, Schmelz und Kraft, die leider überall,

Von Leipzig bis Paris, uns um die Ohren schwärmen,

Durchwirbelten die Luft, vom nächsten Wiederhall

Zum fernsten, wie ein Feuerlärmen.

Mein Auge galt ihm nichts, es mußte nach dem Staar

Des seinen duldsam sich bequemen,

Hier Venus und Adon für unser Aeltern-Paar,

Dort das verbuhlte Weib des Königs Potiphar

Für ein Marienbild zu nehmen.

Zog Herrmanns Schlacht und Sieg, von Rubens deutsch und frei,

(Gleich unsrer Nation, in halb verschoßnem Lichte)

Den Kenner an, und zog gleich einem Schandgedichte

Die Nacht des Bluts und der Verrätherei

Des niedrigsten gekrönter Bösewichte,

Als Gegenstück kaum meinen Blick herbei,

So fragt' er mich, ob eine Weltgeschichte

Von überschwenglicherm Gewichte

Als Galliens Annalen sei?

Zog dort auf Heinrichs Stirn das himmlische Entzücken,

Ein Volk, das ihn verwarf, vergebend zu beglücken –

Zog Ludwigs 1 edle Bildung hier,

Der sein ererbtes Reich, (ihm lohne Gott dafür!)

Statt mit Trophäen es zu schmücken,

Mit festen Straßen, – schönen Brücken

Verherrlichte, des Auges Neubegier,

Auf ihre Glorie zu blicken:

So jauchzte mein Kompan, und sein Gehirn kam schier

In die Gefahr sich zu verrücken,

So sagte mir sein Händedruck, wie gut

Ihm der Gedanke that, die Schelsucht eines Deutschen

Durch den, einst nur dem Ruhm und nur dem Heldenmuth

[214]

Geweihten Lorbeerhain der Gallier zu peitschen,

In dessen Schauer jetzt, abschreckend wie die Brut,

Die nur von Moder lebt, der Ahnen-Dünkel ruht.

Kraft seiner Eigenschaft, das Schöne zu bemerken,

Sah er mich höhnend an, wenn ich der Schwermuth Hang

Mich überließ, die sanft aus Poussin's Meisterwerken

Dem Mitgefühl entgegen drang,

Und bot mir seine Hand, um mich zum Uebergang

Nach Watteau's Maskenball zu stärken,

Und kroch drauf mit Lebrün dem Dragonaden-Zug

Des Feldherrn nach, der, gläubig-aberklug

Vom Sonnenstich, im Namen Gottes

Den Nußstrauch um die Spur der Ketzerei befrug,

Und die sein Schwert nicht traf, mit Wünschelruthen schlug; 2

Indeß von ihm gewandt, im Zauberkreis des Spottes

Mein Blick den Raum durchstrich, wo Coypels Dichterflug

Die traurige Gestalt des bessern Donquixotes

Ins Pantheon der Narren trug.

Schon sah ich über mir den halben Tag verschwunden

Und fiel, dem Ueberdruß der Kunst kaum losgewunden,

Mit jedem weitern Schritt in neuen Ueberdruß;

Denn dieser Peiniger, den mir des Schicksals Schluß

An meine Fersen festgewunden,

Ach dieser Brutus meiner schönen Stunden

Berauschte sich, wie's schien, in meinem Ungenuß.

Gott, welch ein Trauerspiel! Bald fiel es in das Grasse.

Denn, war vor Ihm in meinem Hasse

Gleich noch so hoch kein Sterblicher gediehn,

Hatt' ich doch, wie Linnée, den Tiger in die Klasse

Der Katzen nur gesetzt, ihm Krallen nur verliehn.

Jetzt stieg Er schwärzer auf in meinen Phantasien.

Denn, als nach manchem Saal, im prächtigen Gelasse

Der Ritterzeit – nach manchem Baldachin,

Die Ihn so blendeten, daß er den Hut zu ziehn

Nicht widerstand, nun endlich die Terrasse,

Nach der ich längst geseufzt, erschien,

[215]

Denk mein Entsetzen Dir, dann erst erkannt ich Ihn

Für Jenen, den mein Mund beim Eintritt von der Gasse

So frevelhaft citirt. Glüht nicht dem Satanasse

Mein Aufgelb in der Hand? Was sollt' ich thun? Entfliehn?

Zu spät, Er hielt mich fest, warf schreckliche Vergleiche

Mir in den Weg, wies mir den Unterscheid

Von mir zu seinem Herrn – geweiht und nicht geweiht

Fürst oder nichts zu seyn – und zeigte mir die Reiche

Der Welt und ihre Herrlichkeit.

Leis rief ich: »Hebe dich von hinnen! Ich gelobe

Dir nichts als meinen Fluch.« Da wirbelte die grobe

Verworfne Faust zwei Stiegen mich hinab

Zu der, dem Pallium, dem Kreuz, dem Hirtenstab

Und Bischofshut geweihten Garderobe.

Und als ich seinem Wink mich dennoch nicht ergab,

Zog er mein schwächstes Theil, mein Herz noch auf die Probe.

Zwei Flügel sprangen auf. Ein Duft von Rosen brach

Aus einem Himmelbett, grün, wie ein Laubedach,

Zu räumig nur für einen einzeln Christen.

»Ist hier der Hain,« rief ich, »wo Amors Tauben nisten?

Wohin bin ich versetzt?« Und der Versucher sprach:

»In des Prälaten Schlafgemach!«

Hier, wo die Grazien nicht nur in Marmor-Büsten,

Nein, Töchter auch des Lands in jungfräulichem Licht

Zur Zeit der Firmelung sich ihm entgegen brüsten,

Stürzt Er – nicht wie ein Spatz auf Kirschen nur erpicht,

Die keinem andern Spatz den Schnabel schon versüßten –

Er stürzt – wie Jupiter mit göttlichen Gelüsten

Zur Ruh auf Ledens Schooß durchs Empyreum bricht –

Aus seinem Wolkenbett. Nach schlauer Uebersicht

Der holden Kinderchen, die aus dem Schlaf ihn küßten

(Dieß ist ihr Eingangs-Zoll ins Prälaturgericht)

Wählt Er ein Gänschen aus, mit Schwingen, die noch nicht

Sich so heroisch blähn, als ob sie längst schon wüßten

Nie sie mit wogendem, dankbarem Gleichgewicht

Den Segen seiner Hand gerührt erwiedern müßten.

Je mehr ihr Jugendglanz ihm in die Augen sticht,

Je schüchterner sie seinen Blick begrüßten,

Je sanfter lispelt Er: »Mich drängen Amt und Pflicht,

Euch lieben Schwächlinge zum ersten Unterricht

Für eures Daseyns Zweck mit Kenntniß auszurüsten;

Das hohe Lied dien' uns zum Führer! Es verspricht

Den Lernbegierigen nach kurzen Stundenfristen

Den Spiegel ihrer selbst – doch, Alberne, was ficht

[216]

Dich für ein Schauer an? Kennst du dieß Lehrgedicht?«

Sie nickt. »Verstehst es auch?« Er hört mit Wohlbehagen

Ihr kindisch Nein – er hört, daß vor den Ostertagen

Sie schon der Ruth' entwuchs, und drum der Schul' entfloh.

Weil der Präceptor ihr – Sie schäme sich's zu sagen,

Wenn sie im Lesebuch ein A mit einem O

Vertauscht – »Still!« fällt er ein, »laß lieber, statt zu klagen,

Mich deine Augen sehn – Scheust du sie aufzuschlagen,

Weil sie zu feurig sind? Ich bin ja nicht von Stroh.«

»Nun dabei,« lächelt sie, »habt Ihr wohl nichts zu wagen.«

Sie läßt drei Blicke los – nur drei – und lichterloh

Brennt schon sein Hirtenstab, sein Hermelin am Kragen,

Und jede Trottel brennt an seinem Domino.

»Jetzt,« lallt sein Mund, »jetzt hilf die Grillen mir verjagen.

Horch! Gott schuf Mann und Frau mit Herzen, Kopf und Magen,

Doch ihr hing er auch noch ein kleines quid pro quo

Zum Freudenwecker an. Das Bild an jenem Schragen

Stellt dir ein Beispiel dar. Sieh, wie geweckt und froh

Ein reizend Mädchen dort, ohn' eine Spur von Zagen

Mit einem Schwane spielt, der wie ein Thier sich roh

Und keck dabei benimmt. Sieh, wie er seine zwo

Verliebte Schwingen hebt, aus diesem Nest voll Plagen

Die kleine Nackende ins Paradies zu tragen,

Das, ehe der Advent mit Fasten uns bedroh,

Ich dir itzt zeigen will.« Betroffen fragt sie: »Wo?

Liegt denn – wo sucht Ihr denn das Par..« und sinkt im Fragen

Mit einem Laut als säng sie ein Adagio,

Tief in sein Lotterbett, wo schon oft Klügre lagen,

Die jetzt, als Heilige, weit über andre ragen.

»Ach, Hoch – ehr – würdger Herr,« stöhnt sie, »beim Salomo

Bitt ich – beschwör ich Euch – wollt Ihr mich denn zernagen?

Ist's möglich! Firmelt Ihr denn alle Mädchen so?«

Doch fühlt das Gänschen kaum durch das nur allzu süße

Triumphlied seines Schwans sich dreimal überstimmt,

Als es den Fittig hebt, dem jede Feder glimmt. –

Für seines Daseyns Zweck von Kopf bis an die Füße

Gefirmelt – wie ein Stern, der in den Thierkreis schwimmt,

Gelenker als es kaum der bischöfliche Riese

Dem Schwächling zugetraut, der Flug zum Paradiese,

Nicht scheuer als ein Seraph nimmt.

»Gott strafe den Tartüf!« rief ich. Durch diese Wort

Erschreckt, hob der Verführer sich

Schwarz, wie der Dampf aus einer Gift-Retorte,

Von mir hinweg, zugleich umglänzte mich

[217]

Ein Strahl von obenher. Mit Beben zwar, durchschlich

Mein Fuß die grause Burg, doch bald an offner Pforte,

Schlug ich ein Kreuz vor und entwich.


Wie ich athemlos in meine Stube trat, schlug Bastian die Hände über den Kopf zusammen. »Ach mein Herr!« schrie er laut auf, »was ist Ihnen begegnet? Blaß wie eine Leiche, und die Stirne – voll kalter Schweißtropfen!« »Laß das« – schöpfte ich nach Luft – »gut seyn – Nur geschwind frische Wäsche und einen andern Rock! Durchräuchere die ausgezogenen, und mache um des Himmels Willen, daß wir fortkommen! Ich habe – Gott, wie zittere ich! – Ihn, dem ich mich heute zu deiner großen Aergerniß mehr als einmal übergab – ja, Bastian, ich habe den leibhaften Teufel gesehn.« »Ach lieber Herr!« trat mir Bastian näher, »wie könnten Sie? – – Sie waren ja in der Wohnung eines Prälaten!« »Thut nichts,« antwortete ich mit heisrer Stimme, »den ganzen Morgen, kannst du mir glauben, bin ich in seiner Gewalt gewesen!« »Nun so erbarme sich Gott!« jammerte der arme Schelm, und schmiegte sich mit klappernden Zähnen so fest an mich, als ob der böse Geist hinter ihm, und er vor dem Bilde seines Schutzpatrons stände. Genug, Eduard, ich so wenig, als mein abergläubischer Kammerdiener, wurden unsere Rückenschauer eher los, als da wir, von unserer fortrollenden Berline aus, die Thurmspitzen von Narbonne erblickten.

Hier erfuhr ich beim Umspannen, daß seit vier und zwanzig Stunden keine Post weder hin- noch herwärts, und auch eben so lange, gab mein Führer sein Wort dazu, kein Pferd in Beziers aus dem Stalle gekommen wäre. Ein neuer, aber überflüssiger Beweis von der Wahrheitsliebe und Redlichkeit des Ortolan-Wirths; denn seine, für nicht genossene Gerichte, für nicht getrunkene Weine mir zugeschnellte Rechnung, die ich noch warm in meiner Tasche, so wie er mein Geld dafür in der seinigen hatte, sprach ohnehin laut genug. Aus wahrem Vaterlandsgefühl warne ich meine Mitbürger, die etwa nach mir diese Gegend bereisen, sich ja, weder durch unsere deutschen Wegweiser – durch das anlockende [218] Schild der Herberge – durch Fideikommisse und ehrliche Gesichter, noch durch die bischöfliche Terrasse zu einem längern Aufenthalt in diesem gotteslästerlichen Städtchen verführen zu lassen, als etwa der Postwechsel nöthig macht; und besonders die Bespannung ihres Fuhrwerks selber zu bestellen, damit sie geschwinder, als ich armer Betrogener, in das Kastell des Wohllebens gelangen, dessen Vorzüge vor allen andern Kosthäusern des Reichs ich, mit Deiner Erlaubniß, stillschweigend und in meinem Tagebuche zum erstenmal, gleich einer zarten Empfindung, die sich nur fühlen, aber nicht beschreiben läßt, übergehe. Der Ehrenmann, in der weitesten Bedeutung des Worts, der in der Kürze eines halben Tages der herrlichsten und wohlfeilsten Bewirthung das Dankgefühl meines Daseyns höher hinaufgetrieben hat, als alle die Summen, die ich von Jugend an darauf pränumerirt habe, wie freundschaftlich greift er mir nicht, selbst bei unserer Trennung, unter die Arme, wie verschieden von jenem Sudelkoch, dem die unverschämteste Lüge glatt über die Zunge ging, um mich noch einen Tag länger rupfen zu können. Hier trat der Fall wirklich ein, den jener nur vorgab; Bastian hatte sich dießmal mit eignen Augen überzeugt, daß der Poststall leer stände. Da trat aber mein heutiger Wirth auf das edelste dazwischen, um die Schwierigkeit zu beseitigen, und seine Vermittelung half mir nebenbei zu der unverhofften Bekanntschaft eines für mich sehr merkwürdigen Orts.

»Wenn Sie,« sagte er, »einen geringen Umweg, und das Nachtlager auf einem Dorfe nicht zu sehr scheuen, so biete ich Ihnen meine eigenen vier tüchtigen Wallachen an – denn es sind Normänner, – die Sie auf einem viel bequemern Wege, als die Poststraße über Carcassone ist, morgen bei guter Zeit nach Toulouse bringen sollen.«

»In Ihrem Hause, lieber Mann,« antwortete ich, wie es mir um's Herz war, »wollte ich ganz geduldig selbst noch einige Tage auf die Zurückkunft der Postpferde warten; aber auf der andern Seite möchte ich doch nicht gern darüber auf bessern Weg und vier Normänner Verzicht thun. Wo meinten Sie, daß ich übernachten soll?« »In einem zwar unansehnlichen kleinen Dörfchen, [219] das aber,« erklärte er mir, »das Stammgut eines zu seiner Zeit berühmten Schriftstellers war, und auch seinen Namen führt, Montesquieu.« – Das war doch einmal ein Wort, Eduard, das sich hören ließ. Kaum war es ihm über die Lippen, so dachte ich weiter nicht an mein körperliches Wohlbehagen, und nahm seinen Vorschlag mit herzlicher Freude an. Er verließ mich, um sogleich Anstalt zu machen, indeß ich meine Landkarte aus einander schlug, und meine Augen in der Gegend nach dem anziehenden Orte herumschickte. Ich fand einige, als Zollstätte, mit einer Fahne, – andere, als bischöfliche Residenzen, mit einem Sternchen, und einen mit zwei sich kreuzenden Schwerten zum Merkmal bezeichnet, daß in seiner Nähe eine Schlacht vorgefallen sei; dem Ort aber, wo der große Mann geboren war, lebte und schrieb, hatte mein geographischer Handlanger nicht einmal seinen Platz auf dem Erdboden gelassen, geschweige ihn eines Ehrenzeichens gewürdiget. Der jovialische Hausherr ließ mir nicht Zeit, mich darüber lange zu ärgern. »Hier bringe ich Ihnen,« trat er ein, »zum Abschied noch eine Flasche des guten Weins, der auf den Bergen zu Montesquieu reift; sonst kauften ihn die Engländer auf's theuerste uns vor dem Munde weg, aber seit dem Tode des gelehrten Präsidenten fragen sie nicht mehr darnach; jetzt steht er um die Hälfte im Preis, ob er schon noch immer von derselben Güte ist.« »Das thut mir leid um die Engländer,« sagte ich, und nahm ihm das volle Glas ab. »Sie sollen,« trank ich ihm die Gesundheit zu, »zum Vergnügen aller Reisenden, noch lange leben, Herr Wirth von Castelnaudari! Sie wissen nicht, wie elend es mir drei Tage nach einander gegangen ist, ehe ich hier ankam. Sie haben mich mit einem einzigen Frühstück vollkommen wieder hergestellt, und wären Sie nicht klüger, als meine Landkarte, so hätte ich, wie andere, auf der ordinairen Poststraße fortrumpeln müssen, ohne nur zu ahnden, daß der Geburtsort des Mannes, den ich vor allen andern schätze und liebe, mir auf dem Seitenwege in der Nähe lag. Wenn man von gottesvergessenen Menschen so mürbe gemacht wird, als ich in Beziers, wie empfänglich ist dann nicht unser Herz für alles Gute, das uns bessere zufließen lassen!«

[220] Ich schüttete gegen meinen heutigen Wohlthäter alle mögliche Floskeln des Danks um so verschwenderischer aus, als er mir es in wenig Stunden von mehr als einer Seite her geworden war, und bestieg dann meine Berline mit einer gewissen stolzen Selbstzufriedenheit, da ich sie zum erstenmal mit vier prächtigen Normännern, die keinem königlichen Einzuge Schande machen würden, bespannt sah. Dergleichen erborgte Empfindungen halten indeß bei einem verständigen Jünglinge nicht lange an, der die vergangene Nacht über guten oder schlechten Versen verwachte, einen Feldweg, wie von grünem Sammt bezogen, vor sich, kühlende Zephyrs im Gesicht, ein weiches Kissen unter seinem Kopf liegen hat, und auf Stahlfedern sitzt. Auch war meine heutige Reise ganz dem süßen Taumel ähnlich, mit dem vormals das Wiegenlied einer lieben Amme meine Kindheit beseligte, und der nicht eher verging, als da der Kutscher Abends sieben Uhr mit dem Zuruf: Herr, wir sind in Montesquieu! vor einem Schindelhäuschen still hielt.

Wie lieblich schlägt solch ein Klang an jedes gute menschliche Ohr! Er erweckt, wie eine Kirchenglocke, Gedanken der Andacht – erinnert an die Veredlung unsers Geschlechts – an den wohlthätigen Geist der Gesetze – an öffentliches und häusliches Glück.

Das wohl! aber wenn man, wie hier der Fall war, nur ein verödetes, elendes Dörfchen mit solch einem Namen beprägt sieht, möchte man ihm dann nicht lieber einen aus Westphalen genommenen beilegen, der weniger stolz klänge und sich besser zu seinem Schmutz paßte? so wie man nur zu oft in vornehmen Gesellschaften den verdorbenen Sprossen eines edeln Stammes, wo nicht vernichten, – doch umtaufen möchte. Nie hätte mir ahnden können, in dem Stammgute des Philosophen dieses Namens einen solchen Mangel an Ordnung, Reinlichkeit und Policei, unter dem Bettlerhaufen, der ihn bewohnt, anzutreffen, als ich leider mit Augen sah. Zur Entschuldigung sagte mir zwar der alte Bauer, der hier den Wirth macht, daß dieser einst wohlhabende Ort im letzten Religionskriege so herunter gekommen wäre. Er sei vorher und so lange mit fleißigen, redlichen, aber freilich kalvinistischen Einwohnern [221] sehr reich besetzt gewesen, bis die Verbreiter der reinen Lehre alles ketzerische Unkraut ausgerottet, Kirchen und Schulen verbrannt und keine Hütte verschont hätten, außer der seinigen, der Einkehr und des Weinschanks wegen. Der nachherige gelehrte Herr des Dorfs habe sich zwar durch Rath und That bemüht, seiner verfallenen Besitzung wieder aufzuhelfen, aber zu solch einem Unternehmen reiche ein Menschenalter nicht hin, und man könne doch auch nicht verlangen, daß der Nachfolger wie der Vorfahr denken und seinen Unterthanen Frohnen und Zehnden erlassen solle, ob es gleich das einzige Mittel wäre, dem Uebel ihrer drückenden Armuth zu steuern. »So will ich Gott danken,« fiel ich ihm in die Rede, »daß ich in seinem, wie ich sehe, dreieckigen Gastzimmer, lieber Mann, wenigstens vor Religionsverbreitern sicher übernachten kann, wenn es auch vor Ratten nicht seyn sollte. Schlafe er wohl, und lasse er es ja meinen schönen Miethpferden an nichts abgehen, ich bedarf nur Ruhe.« »Ueberhaupt,« setzte ich nun die Unterredung mit mir allein fort, »darf ich, ohne mich eben mit der erstiegenen Höhe unserer Kultur breit zu machen, doch mit frohem Herzen zu den weit niedern Stufen derselben herunterblicken, auf welchen noch vor hundert Jahren die Vorlebenden standen. Wie viele gute Köpfe haben nicht erst, entweder wegen ihres zu schwachen, oder zu starken Glaubens über das Henkerschwert springen müssen, ehe ich in dem meinigen mit Sicherheit eine freie Denkungsart herumtragen konnte. Selbst dir, guter Montesquieu, sammt deiner persischen Maske, würde es nicht besser ergangen seyn, als deinem Erbe, wenn du nicht durch den Tempel von Gnidos einen leichtern Weg zu der steilen Sorbonne und in deinen aufgefangenen Briefen aus dem Serail ein so bewährtes Erweichungsmittel jener religiösen Felsenherzen entdeckt hättest, daß jeder, dessen Hand nur geschickt genug ist, es aufzulegen, der weitläuftigen dogmatischen Prozesse mit dem Scheiterhaufen überhoben und gewiß seyn kann, für rechtgläubig erkannt zu werden: denn ein Maler, der die Entzückungen der Liebe mit so feinen, und nur desto kräftigern Farben zu schildern versteht, als du, hat alle Bischöfe auf seiner Seite.«

[222] Es war, als ich kaum einige Stunden der Ruhe gepflogen hatte, zwar nur mein Kamin-Schlot, der diese Nacht durch ein Bündel dürrer Weinreben, die so wenig wissen konnten, als ich, daß er seit vielen Jahren nicht gefegt war, in Brand gerieth. Dieß hinderte aber nicht, daß ich den größten Theil meines schönen Schlafs darüber verlor – der Lärm im Hause mir die Hand lähmte, da ich eben den Vorhang eines persischen Serails zu lüften versuchte, und mich zugleich im selben Augenblick eine Najade, die, leichter bedeckt, als es selbst das erste Schrecken erlaubt, mit ihrem Löschgeräthe in mein Zimmerchen gestürzt kam, weiter von Gnidos entfernte, als es einem träumenden Jünglinge lieb ist. Gütiger Himmel! in was für eine wilde Wirthschaft kann man nicht gerathen, wenn man der Spur eines berühmten Mannes nachgeht! Sollte denn der gelehrte Präsident, der so große Sorge für Monarchien trug, sein Dorf nicht einmal mit einer Feuerordnung beschenkt haben? Welche erbärmliche Anstalten! Statt einer Schlangenspritze führte man in Prozession einen jungen Mönch auf, der die Flamme, wie sie es nannten, besprach, die auch nur noch einige Minuten knisterte, sich dann senkte und verlosch.

Während dieser geistlichen Gaukelei trieb das Sturmglöckchen – mißtönend wie eine blecherne Klingel, des gaffenden nackten Gesindels eine größere Menge mir unter die Augen, als sie zu ertragen vermochten; aber schon mächtig genug, jagte der stinkende beißende Rauch, der die Hütte durchzog, mich und meine normännischen Wallachen aus unseren Buchten. Sie stellten sich von selbst vor den Reisewagen, so instinktmäßig, als sich mein matter Körper hineinwarf, und schnauften, wie ich, nach reinerem Aether. Blitzschnell drängte sich nun der verstörte Schenkwirth herbei, forderte nicht, sondern bettelte – erst um sechs Livres für unsere Beherbergung – dann um drei zur Vergütung der Unruh, die mein allzufrostiges Temperament veranlaßt hätte, und noch um eben so viel für den geistlichen Beschwörer.

Mittlerweile ich diesem Bettler die Geldstücke zum Schlage heraus seiner vorgehaltenen rußigen Nachtmütze zuschleuderte, stand jener in einem so dichten weiblichen Kreis, als wären hundert alte [223] und junge Busen an einander geschnürt, und dankte mit funkelnden Augen Gott für die sichtlich frommen Bewegungen, in die das eben geschehene Wunder sie alle, besonders die jüngern, versetzt hatte. Ernster, näher und andächtiger, als er diese besprach, sah' ich es ihn selbst vor der brennenden Esse nicht thun, und es freute mich gar sehr, zufällig wieder einmal auf einen Klosterbruder zu stoßen, der es mit der heranwachsenden Jugend gut meint. Der falsche Schein der Morgenröthe, die hinter einem dunkeln Gewölke hervordämmerte und, nach Versicherung des Kutschers, den baldigen Durchbruch eines dahinter versteckten desto rosigern Tages versprach, breitete über jene nächtliche Gruppe einen so magischen Schimmer, wie ihn Schalken seinem herrlichen Gemälde der klugen und thörichten Jungfrauen zu geben gewußt hat, und lenkte meinen Seherblick auf einen Gegenstand, der mir zu einer ganz neuen Vergleichung verhalf. Die Spiele der Natur, am Himmel und auf der Erde, sind bei ihrer Mannigfaltigkeit so verschieden von einander, daß jeder Dichter bemüht seyn sollte, auch den entferntesten Berührungspunkt unter ihnen aufzufassen. Eins der blassen Mädchengesichter, die den Wunderthäter umgaben, hatte sich aus zu dringender Andacht seinem langen braunen Barte so sehr genähert, daß ich diese Zierde seines Standes eine ganze Weile für den Schleier des Gesichtchens nahm, das durchschien, bis ich den optischen Betrug entdeckte.

»Siehe, Bastian,« rief ich dann wie inspirirt, »dort ist auch ein rosiger Tag hinter dunkeln Wolken im Durchbrechen!« Aber sein prosaisches Gehirn verstand das Treffende meines Ausrufes nicht. Ich traue meinen Lesern höhere Gaben zu, denn wer keine Aehnlichkeit zwischen den Objekten, die ich hier einander gegen über stellte, finden könnte, müßte sich schlecht auf Gleichnisse verstehen, keinen Wahrsagergeist und so wenig poetischen Sinn haben, als mein Kammerdiener. Beim Abfahren warf ich noch einen launigen Seitenblick auf den Geburtsort des gepriesenen Geists der Gesetze, an dessen Stelle nur zu sichtbar einer der schmutzigsten Poltergeister getreten ist.

Ehrlicher Montesquieu! redete ich seinen Schatten an, wie [224] wenig – ach – wie so gar nicht haben die Balsamstauden deines eingezogenen Lebens, die, wunderbar genug, auf diesem Mistbeete zur Reife kamen, ihren eigenen Grund und Boden veredelt und besämt! Wahr! aber hat denn ihr Blumenkelch sich befruchtender über die Wirthschaften ergossen, die von unser Einem Respekt fordern? Wo? – ich sehe mich so weit um, als mich die Augen tragen – sind denn Absenker dieser Edelgewächse besser gediehen? Schlingen sich nicht statt dieser bescheidenen – noch immer Gift-und Schmarozerpflanzen in frechem Wachsthum an die Schlösser der Könige, an die Palläste der Großen, an die Säulen und Stützen der Armen hinauf, und tödten durch schädlichen Aushauch alle lebendige Kraft der Staaten, den Muth, die Arbeitsamkeit – die natürlichen Rechte der Unterthanen und ihren freien Gehorsam für gesetzliche Ordnung?

Stehen nicht deine lehrreichen Schriften in allen fürstlichen Bibliotheken, die ich kenne, wie vertrocknete Saamenkapseln, nur noch zur Schau da? Und wo gäb' es ein Land oder Ländchen, dessen Minister nicht weit klüger wären als du, und um hundert Procente bessere Regierungsplane entwerfen könnten, als die deinigen sind? – –

Gott weiß, wie lange ich noch unter meiner Reisemütze so über die Schnur gehauen hätte, wäre mir nicht, sobald ich auf meinem gestrigen Plätzchen wieder fest saß, der Beschwichtiger aller heillosen Grillen – der Besänftiger jedes empörten Bluts – – mein, von einer bösen Stunde verscheuchter Freund, treu, wie gewöhnlich, zu Hülfe gekommen.

Ich vertraute meinen erschlafften Körper ihm und meinen getiegerten Miethlingen sorgenlos an, die in dem Tumulte des Feuers und Rußes nichts von ihrem angestammten Muthe und gefälligen Aeußern verloren hatten.

Der Weg, der ihnen heute mit mir zu thun übrig blieb, mochte wohl eben so gut und sammetartig seyn, als der gestern zurückgelegte.

Mit Gewißheit kann ich es jedoch so wenig behaupten, als der Schläfer zu meiner Linken, neben dem ich in einem so komisch-tragischen [225] Traum verfallen lag, als mir je einer vorkam. Er, ein wilder Abkömmling meiner politischen Nachtgedanken, trat mit Würde einem andern voraus, der von weitem ihm nachschlich, und aus allen Elementen zusammengeknetet keinen vornehmern Ursprung hatte, als den Bart eines Mönchs.

Ich weiß wohl, daß Du dergleichen mark- und saftlosen Erzählungen nie hold gewesen bist, da es aber so selten glückt, daß man diesen Zerrbildern der Seele, bis zu den Nebeln ihres ersten Vordämmerns, auf die Spur kommt, und ich ohnehin vor Sonnenaufgang keinen klärern Stoff zu verarbeiten habe, so mußt Du mir schon vergeben, wenn ich Dir den einen und den andern mit gleicher Gesprächigkeit entwickele, als Deine Tante die ihrigen. Es währte vielleicht nach dem sanften Stillstand meiner äußern Sinne keine drei Minuten, als ich, altdeutsch gekleidet, mich in Gesellschaft der sieben Churfürsten auf die Kaiserwahl nach Frankfurt am Main verirrte. Im Schlafe weiß man weder von Ceremoniel noch Kalender. Ich hielt mich, wie Du siehst, bloß an den Kodex der güldenen Bulle, die an dieser Zahl eben genug hatte, um sie als Erbfeinde der sieben Todsünden aufschwören zu lassen. Ob sich diese in der Folge der Zeit in gleichem Verhältniß mit den erstern vermehrt haben, oder ob für die mehr entstandenen Erbämter keine weiter zu erdenken sei, ist eine Frage, deren Beantwortung den Lehrern der neuern Statistik zusteht. Mir konnte sie nicht in den Sinn kommen. Ich fühlte nur meine glückliche Lage, und fragte mich einmal über das andere: Kann man wohl vornehmer und sicherer reisen, als Du?

Meine Begleiter waren recht artige, höfliche und lustige Herren. Auch gelangte ich durch ihren mächtigen Einfluß in das Wahlgeschäft zu einem Ehrenposten, dessen ich mich am wenigsten versah. Ich stand, ganz außer mir – rathe einmal wo?


Ich stand, geschmückt als Herold, nächst den Stufen

Des Kaiserstuhls an seinem Krönungstag,

Die Volksvertreter aufzurufen

Zum neuen Ritterschlag.


Kaum ward ich laut, als mich, in einer fremden

Antiquen Pracht, ein großer Junker-Troß

[226]

Mit Fahnen, Spießen, Panzerhemden

In seine Mitte schloß.


Die Herren, vest, gestreng und freigeboren,

Ergriffen mich, wie ein gemeines Lamm,

Und schleppten mich bei beiden Ohren

An ihren Heldenstamm.


Was soll ich hier? schrie ich. »Hier sollst du sehen

Kraft deines Amts, daß wir von Kind zu Kind

Aecht, und aus ebenbürt'gen Ehen

Geborne Ritter sind.«


Mich überfiel ein bürgerliches Grauen,

Weh dir, seufzt' ich, wenn dich dein Ehrenamt

Zum Tugendrichter todter Frauen

An diesen Pfahl verdammt!


Und perlt denn wohl im Amazonen-Flusse

Ein Tröpfchen noch des Quells, der ihn ergoß?

Folgt Treue dem Verlobungskusse

Nur in ein Ritterschloß?


Drückt Amor nicht den Stempel edler Wappen

Manchmal in Blei? Beschien der Abendstern

Nicht oft schon in dem Arm des Knappen

Die Braut des Pannerherrn?


Sie prahlten fort: »Wir sind an Krönungstagen

Bestimmt, der Majestät uns anzureihn,

Und den Churfürstlichen Gelagen

Getreu und hold zu seyn.


Aus Männermuth mit Weibertreu verschmolzen,

Im reinsten Gold, das keinen Fleck verträgt,

Hat uns die Zeit zu diesen stolzen

Schaumünzen ausgeprägt.«


Mein Ohr erlag dem Schrei so vieler Kräher,

Verdruß und Scham durchströmten mein Gesicht,

Ich fühlte angstvoll, zum Verdreher

Der Wahrheit taug' ich nicht;


Zum Thoren nicht, der auf ein Feld von Aehren

Jedweden Korn- und Strohhalm Zoll für Zoll

Vergleichen, messen und gewähren,

Nur nicht enthülsen soll.


[227]

Staub nur entsteigt den treusten Ahnenproben,

Dem ält'sten Stammbaum modriger Geruch;

Drum wünscht' ich mein Geschäft verschoben

Bis nach des Kaisers Spruch.


Mein Wunsch gelang. Denn eh' ich, gleich der Motte,

Nur einen morschen Adelsbrief durchschlich,

Sah ich die Matador der Rotte

Selbst uneins unter sich.


Blutdürstig fiel, gleich Wilden, ihr Geschwader

Von Haut zu Haut, auf seine Vettern her,

Und einer schlug dem andern Ader

Mit seinem Probespeer


Der Erste schrie: Wer geht mir vor an Adel?

Mein Ahnherr war bei Fürsten angenehm,

Mann ohne Furcht und ohne Tadel,

Wie Bayard ehedem.


Des Zweiten Schild zum höhern Standsbeweise

Führt ihm das Jagdroß Karls des Großen an,

Das, wie bekannt, die erste Reise

Ins Aachner Bad gethan. – 3


Doch gleich hatt' ihn aus eines Dritten Munde

Ein noch weit ältrer Ahnherr überschrien;

Der saß einst an der Tafelrunde

Des Zauberers Merlin.


Den Andern blieb, so mächtig überboten,

Kein Nachsatz mehr für ihre Forderung,

Und keiner that ins Reich der Todten

Noch einen Rittersprung.


Denn, wer es weiß, daß selbst kein Purpur Schelme

Veredeln kann, vermeidet den Versuch

Und wünschet eher sich statt Helme

Ein ehrlich Leichentuch.


Doch kam noch mancher einzeln angekrochen

Und übergab als Einlaßkarte mir

Bald einen grauen Ritterknochen

Bald ein gemalt Visier.


[228]

Ein Preuße schwor, von väterlicher Seite

Hab' er auch einen Helden ausgespürt,

Der einst im Faustkrieg das Geleite

Von Nürenberg geführt.


Ein Schwabe rief: Ob mich schon mancher schlaffe

Heraldikus nicht für ganz ächt erkennt,

Trag' ich doch die antikste Waffe

Bei unserm Kontingent.


Ein Hesse, der nach Mönchs- und Nonnenkutten

Sein lahm Geschoß mit lahmer Faust gespannt,

Vertraute mir, er sei mit Hutten

Und Berliching verwandt.


Ein Baier wies mir seinen Helm; den habe,

Prahlt' er, mit Blut gefüllt, aus einer Schlacht

Beim Kreuzzug nach dem heil'gen Grabe

Sein Ahnherr mitgebracht.


Ein Reichsbaron fragt' ihn mit Hohn und ballte

Die Faust: Bist du darum von besserm Schrot

Und Korn? – – Zu beider Glück erschallte

Des Kaisers Machtgebot:


»Legt eure Panzer ab, stellt ohne Fahnen

Vor meinen Thron euch dar und hört mich an!

Was hat dieß Heergeräth der Ahnen

In eurer Hand gethan?


Wer hat die Säulen unsres Reichs gestützet

Und treu dem Schwur, der ihm zum Erbtheil fiel,

Das werthe Vaterland beschützet

Im ernsten Waffenspiel?


Wer unternahm den Brennstoff unsrer Zeiten,

Den Blitz des Kriegs, den Funken des Verraths

Mit treuer Einsicht abzuleiten

Als Genius des Staats?


Vermehrtet Ihr durch eure Heldennamen

Des Bürgers Wohlfahrt oder seine Last?

Meßt euch, ob wohl in euern Rahmen

Ihr großes Vorbild paßt!


Und wißt, wer sich des deutschen Erbvertrages

Der Ehr' entzog, sein ihm vertrautes Schwert

Verrieth, ist auch des Ehrenschlages

Des meinigen nicht werth.


[229]

Der Tapfre nur, der aufgeklärte Seher

Im Fürstenrath, tret', als ein ächter Sohn

Des Ahnherrn, unserm Throne näher

Und ernte gleichen Lohn.«


Der Kaiser schwieg. Ich aber trug im Kreise

Der Horchenden sein Aufgebot herum.

Schnell ward ihr Stahlgeklirr ganz leise

Und aller Zungen stumm.


Und blieben stumm. Doch bald getröstet zogen

Die Junker ab, stolz, frech und aufgeschwellt

Von Dünsten, wie der Regenbogen,

Der mehr verspricht, als hält.


Denn, wie dieß Zeichen von des Himmels Gnade

Erst, wenn der Sturm des Landmanns Fleiß zerstört,

In optisch täuschender Parade

Sich vornehm zu uns kehrt;


So zeigen sie nie lieber sich gerüstet

Und brüstender mit ihrer Ahnen Muth,

Als bis das Land, vom Feind verwüstet,

Statt ihrer Buße thut.


Nicht Einer war so sehr um sich verlegen,

Daß er sich nicht hinaus zum Rittersaal

Trotz lachend, wie die Kinder pflegen,

Zu seinen Bauern stahl.


Bald jauchzt er dort, daß ohne Ihn der Schrecken

Des Dorfs verflog, das den Gestrengen nährt,

Und, wo nicht Ihn, doch Helm und Decken

Des edeln Ahnherrn ehrt.


Ich sah mich um, und da ich keinen weiser

Und tapferer als meinen Schatten sah,

Rief ich erstaunt wie unser Kaiser:

»Ist denn kein Dalberg da?«


Kaum flog dieß Wort des Jammers von der Lippe,

So schien es mir, es trät' in Trauerflor

Der Vorzeit drohendes Gerippe

Aus seiner Gruft hervor.


An Helden leer, an Redlichen noch leerer,

Schien mir der Staat nur einer Wüste gleich;

Sein Glanz ging unter, und der Mehrer

Des Reichs fiel wie das Reich.


[230]

Den Boden, der sonst einen Kranz von Eichen

Und Lorbern trug, bedeckte dürrer Sand,

Auf dem nur noch als Todeszeichen

Die Thränenweide stand.


Blaß blickt' ich, wie ein Monument beim Flimmern

Des Nordlichts, in ein weit gedehntes Grab,

Und warf zuletzt zu jenen Trümmern

Auch meinen Heroldsstab.


Sobald mein Ohr – denn darauf kam alles an – sein verschobenes Kissen wieder gefunden hatte, vernahm es von diesem gräulichen Lärm der Verwüstung keinen Laut mehr. Meine gedrückte Seele lüftete sich, hüpfte leicht, wie eine Grille, über den kostbaren Schutt und über das ungebührliche Schattenbild hinweg, das so sehr die edle Kaste beleidigt hatte, der anzugehören von Kindesbeinen an mein Stolz war. Flucht war hier das Beste; denn, ungerechnet daß schon seine bürgerliche Abkunft mein Ritterschwert in der Scheide zurück hielt, wäre es auch überdieß ein Donquixoten-Streich gewesen, mich mit meinem eigenen Traume zu schlagen. Das Vorgefühl der erwachten Natur pickelte mir an die geschlossenen Augenlieder, öffnete aber, wie es schien, nur die kleinste Fallthüre ihres weitläuftigen Tempels, aus welchem mir die heiterste Morgenerscheinung in jener schlanken weiblichen Gestalt entgegen schwebte, die meinen Geist so gerne besucht, wenn er träumt. »O du kommst wie gerufen, liebe Julie!« faßte ich sie bei der Hand, »denn eben will ich eins der Phänomene belauschen, deren du schon manche im Stillen mit mir bewundert hast. Sieh nur, liebe Kleine, wie kindisch die himmlische Aurora sich wendet und sträubt, ehe sie dem ungeduldigen Tage ihre weißen Lilien Preis giebt. Ich möchte wohl wissen, ob jenes jugendlich blasse Landmädchen in diesem Augenblicke nicht auch« – – Es war wohl kein Wunder, daß Sie – die ich schon wachend mit der Morgenröthe verglichen hatte, mir zwei Stunden nachher im Traume und gerade so wieder vor die Augen trat, wie ich sie auf einem der vorigen Blätter stehen ließ. Daß ich aber auch nicht einmal nöthig hatte, es meiner Zuhörerin vorzulesen, um mich ihr verständlich [231] zu machen, läßt sich wohl sehr gut, glaube ich, durch das, was schon so vieles ins Klare gesetzt hat – durch den, allen Fantomen eigenen elektrischen Zusammenhang mit unserer Maschine erklären.

Ihm sei, wie ihm wolle; genug das meinige war so vollständig als ich, Du und meine übrigen Leser mit der nächtlichen Situation der Dorfschöne bekannt, und wäre es nun nicht sehr albern von mir gewesen, in Gegenwart einer Dame, die doch auch nur mit Aether bekleidet war, darüber zu spötteln? Es ward mir viel weniger schwer, der Unschuld das Wort zu reden, und den Mönch zu entschuldigen. »Wenn solch einem, aus dem ersten Schlaf aufgeschreckten Kinde, dem Anschein nach von funfzehn hiesigen Jahren, auf einmal ein nie gesehenes bärtiges Meteor aus einem heiligen Hause in den Gesichtskreis tritt, meinst du nicht auch, gute Julie, daß es über seinem eigenen Erstlings-Erstaunen leicht übersehen kann, wie hingegeben es einem andern, eben so neugierigen, bloß stehet, und würde nicht selbst ein warnender Wink, den ein erfahrner Moralist der Unbefangenen zuwürfe, weit mehr Unheil anrichten, als Gutes?« Meine luftige Freundin lächelte mir Beifall zu. »Dir aber besonders,« fuhr ich in männlicher Begeisterung fort, »dir armen nur bis zu Sonnenaufgang deinem Kerker entlassenen Jüngling, dir gönne ich vollends die vorüberfliegende Freude des Anschauens von ganzem Herzen. Ich würde eher den Kopf dazu schütteln, wenn du, wie Tartüff während seines Sermons, deiner Zuhörerin ein dichteres Halstuch umhängen wolltest, als dein Bart ist.«

»Wirf immer deine entfesselten Neulings-Blicke, so weit ihnen der Horizont offen steht, auf jene Höhen und Tiefen des paradiesischen Freistaats, in die reizende Gegend, die sich dir, ohne eine Feuersbrunst bei Nacht, ohne deine beneidenswerthe Gabe des Löschens, – ach, die sich dir nie würde entdeckt haben, hätte nicht mein Glaube an einen großen Namen mich bis an den Krater eines ungekehrten Kamins verirrt.«

»Die beste Entschuldigung des armen Mönchs, liebe Julie, liegt in meinem Herzen und in deinem Busen. Jener, der auch [232] ihm so jugendlich unter Staub und Asche entgegen wallte, erschien ihm als die reinste Perle, die in der großen Schnur, die ihn umgab, alle andere verdunkelte. Sie war der einzige Brennpunkt, der, was ganz besonders für ihn spricht, nur seine zerstreuten Blicke und das braune seidene Gewebe anzog, das über seine Brust herabfloß, und dem er unmöglich wehren konnte, um eine andere zu spielen, die weicher, lockender, erhabener und ihm tausendmal lieber war, als sein Kinn. Es steht zu hoffen, daß der arme Klosterbruder sich seines Funds mit desto beseelterm Gefühl werde gefreut haben, je länger die Trauer um ihn seyn wird, in die ich ihn jetzt im Geist zurücktreten sehe. Ich begleite ihn mit wahrem Mitleiden. Das Bild, das mich selbst im Traume so angenehm beunruhigt, wird ihn in alle Betstühle und Kapellen verfolgen. Er wird glauben, er habe, wie gewisse Insekten, nur eine Stunde gelebt. Welch ein leidiger Trost für ein menschliches Herz!«

»Ach, theurer Schatten!« drückte ich ihr mit diesen Worten einen zwar nur geträumten, aber warmen Kuß auf die Hand, »wie wenig, ich fühle es nur zu sehr, ersetzt die geistige Beschauung eines ehemals genossenen Glücks seinen Verlust!« Das schöne Fantom zitterte, seufzte, erröthete und verschwand.

Meine Blicke folgten ihm nach bis unter die Sterne und Wandelsterne. Da ich aber dort weder sie, noch ein anderes Mädchen fand, das mir zuhören konnte, klammerte ich mich, wie ein ausgemachter Schwätzer, an den ersten, besten Gegenstand, der mir aufstieß. Könnte, redete ich in die Luft, einer von Euch Kometen denken und fühlen, und weiß ich denn, ob er es nicht kann? und ich setze den möglichen Fall, es begegnete ihm auf seiner regellosen Bahn zum erstenmal die volle Scheibe des Monds – welcher von unsern moralischen Zeichendeutern dürfte ihm einen schärfern Text lesen, als der meinige ist, wenn er überwältigt von süßem Gefühl und bis in seinen brennenden Schweif erschüttert, den kleinen lieblichen Wunderball so lange anstaunte, als er wolkenlos unter ihm schwebt? Wer möchte ihn tadeln, wenn er die Sekula, die seiner leiblichen Beschauung die Wiederkehr verbieten, so tief in den Abgrund des ewigen Nichts verwünschte, als wahrscheinlich der junge[233] Mönch die Schaarwächter seiner Klausur, und als ich, fuhr ich fort und blinzelte nach dem Lichte, den Mörder verwünschen würde, der mich jetzt meiner Sehkraft beraubte. Denn bei dem wachen Bewußtseyn, mit dem ich endlich an meinen Schreibtisch gelangt bin, und spöttisch auf die erbärmliche Kleinigkeit herabsehe, die meinen unsterblichen Geist über eine Stunde beschäftigen konnte, schwöre ich Dir zu, lieber Eduard, daß, in so viele poetische Gleichnisse sich auch mein Traum über die Zufriedenheit der beiden Augen-Paare verbreitet hat, die vergangene Nacht an einander geriethen, ich mir doch zu behaupten getraue, daß keines von ihnen herrlicher überrascht und in gleich hohem Grade glücklich seyn konnte, als es die meinigen waren, als sie nun der erste Stral der Sonne aufzog. Eine ganze Weile glaubte ich noch fortzuträumen. Mir war, als sei ich in einen vornehmen englischen Park versetzt, in welchem blühende Bäume mit frisch begossenem Rasen, das Blöken der Lämmer mit fröhlichen Singstimmen abwechselten, die aus unzählichen Vogelhäusern wirbelten. Meine geborgten normännischen Füße, die, wie Räder einer Wassermühle, mir keine Sekunde Zeit ließen, nur einen der vorbeiströmenden Gegenstände fest zu halten, verwickelten meine Sinne noch mehr in ihren Irrthum In der süßesten Betäubung fing ich zu lallen an:


Welch holdes Traumgesicht, welch unabsehlich freies Mit Segen überströmtes Land! Lob sei dem Herrn, der mir dieß Bild des Maies Auf meinen Schlaf herabgesandt! Doch nein, ich bin erwacht, ich seh' erstaunt im Glanze Des Morgens, den mein Auge grüßt, Wie die Natur mit einem Kranze Zu einem wahren Hochzeittanze Zahllose Wachende umschließt. Hier laden tausendfache Sprossen, In süßer Hoffnung zum Gedeihn, Des Lebens traute Mitgenossen Von einem Fest zum andern ein. Um mich herum, auf jungen Aesten Beblümter Stauden schaukelt sich Ein muntres Heer von bunten Gästen, Die ein geheimer Hang nach Westen

[234] Aus Norden gängelte, wie mich. In diesem heiligen Gewühle Unschuld'ger Freuden, o wie rein Und selig müssen die Gefühle Der Hirten dieser Fluren seyn! –

Doch die Thürme von Toulouse Schimmern meinen Augen schon, Und das Harfenspiel der Muse Fällt in einen Trauer-Ton.

Rücksicht ins Vergangne störet Ihre frohe Phantasei, Zitternd horcht sie auf und höret, Calas, Deines Bluts Geschrei.

Hilft in schwarzem Traum dem biedern Matten Greis um Mitleid flehn, Sieht ihn mit zermalmten Gliedern Seines Todes Kampf bestehn.

Siehet Blut die Gattin weinen, Blut bei jedem Keulenschlag, Dem, als Bein von ihren Beinen, Ihr Vertrauter unterlag.

Zählet der Verwaisten Thränen Und des kindlichen Gefühls Volle Pulse bei den Scenen Dieses grassen Trauerspiels.

Thron des Aberglaubens! Wehe Deinem rauchenden Altar, Bis der Greis verjüngt erstehe, Der Dein Todtenopfer war;

Bis Gott zu den Flammenstufen Seines ernsten Richterstuhls Auch den letzten vorgerufen Deiner frechen Capitouls.

Und Du, Dulder, ihrer Strafen, Wenn Du längst der Erde Last, Alle Menschenangst verschlafen Und den Traum gesegnet hast

[235] Wenn zu jenem großen Tage Die Erforschungsstunde schlägt, Die auf unberührter Wage Deiner Unschuld Leiden wägt;

Und dann fern von Dir Voltaire Muthlos bangt, indeß Dein Licht Stralen wirft, ach, dann verkläre Auch ein Stral sein Angesicht!

Anwalt in der großen Sache Der beleidigten Natur, Schwor er Deinen Mördern Rache, Und er hielt den edlen Schwur.

Rief die Weisen auf, zu streiten Gegen Priester, Wuth und Wahn, Und schlug mächtig an die Saiten Aller bessern Herzen an.

Er verwandelte in Ehre Deine Schmach, und schaffte Ruh Deiner Asche. Dafür kehre Gott auch ihm sein Antlitz zu!

Dafür werde seiner Ränke Nicht gedacht! der Cherubim Himmlischer Vergebung schwenke Seine Fahne über ihm.

Fußnoten

1 Ludwig der Funfzehnte, den man als le roi des ponts et des chaussées pries.

2 Le Maréchal de Montrevel avoit fait venir de Lyon un homme, qui devoit découvrir les Camisards par le moyen de la baguette divinatoire. Cette baguette tourna sur dixhuit personnes, qui furent amenées à Alais. Dans quel état est le peuple, lorsque le Gouvernement emploie les manoeuvres d'un fourbe, et que le soupçon devient la preuve du crime? Histoire abregée de la Ville de Nimes. p. 127.

3 Siehe Memoires de la Curne de Ste Palaye, nach der Uebersetzung des Herrn Klüber im 3ten Bandepag. 146.

Toulouse
Toulouse.

Den 6ten März.


Diese trüben Gedanken begleiteten mich in den Gasthof, wo ich einkehrte, der von unten bis unter das Dach mit allen Lockungen der Sinnlichkeit versehen, nicht umsonst dem stolzen Kapitolium gerade gegen über lag; denn eine der vielen, Trepp auf, Trepp ab, wie Liebesgötter in einem Venustempel, herumschwebenden Aufwärterinnen, die mich anwies, erzählte mir, die Herren Kapitouls frühstückten gewöhnlich hier, ehe sie zu Gericht gingen. »Das ist keine üble Gewohnheit,« antwortete ich, »denn nichts stimmt menschliche [236] Herzen mehr zum Mitleid für andere, als eigener Lebensgenuß, und für den scheint mir in diesem Hause vortrefflich gesorgt. So eingerichtet war es wohl noch nicht, als Calas gerädert wurde?« »O nein,« sagte sie, »damals war der Platz noch unbebaut und gehörte, glaub' ich, der schwarzen Brüderschaft zu.«

»Wohl Schade!« erwiederte ich, »denn hätte eine so weise Schwesterschaft, als ich jetzt hier vereinigt finde, den Frühstücken seiner Richter vorgestanden, die Mehrheit der Stimmen wäre gewiß zu seiner Lossprechung ausgefallen.« Sie lächelte bedeutend und fragte nur noch, ob ich hier übernachten würde? Ich zuckte mit den Achseln. »Nicht wohl,« sagte ich, »denn ich gedenke mit der Wasserdiligence nach Bordeaux abzugehen. Wie lange habe ich da noch Zeit?«

»Ungefähr zwei Stunden,« berechnete sie und entschlüpfte.

Vor allen schickte ich nun Bastian dahin ab, um Plätze für uns und meinen Wagen zu bestellen, verriegelte darauf mein Zimmer, um ohne weitere Störung meine heutigen Morgengedanken so warm niederzuschreiben, als sie mir auf dem Herzen lagen. Ich setzte mich neben ein offenes Erkerfenster, aus welchem mir der majestätische Pallast jener Mordgehülfen gerade vor den Augen lag. Dieser zweckmäßige Standpunkt meines Schreibtisches, konnte ich doch wohl glauben, würde mich über meine gewöhnliche Darstellungsgabe erheben; als ich aber das beschriebene Blatt überlas – wie kraftlos kamen mir die Abdrücke meiner innern Empfindungen vor. Ich blickte verdrießlich weg, fing mich an vor meinen Lesern zu schämen, und wollte eben, um mich mehr zu befeuern, wie sich gewisse Schauspieler heimlich in den Arm kneipen, wenn ihre Rolle Ausdruck des Schmerzes verlangt, nach der grassen eisernen Kerkerthür hinsehen, aus der man den matten, schuldlosen, siebenzigjährigen Greis zum Richtplatz geschleppt hat; als mich ein ungestümes herrisches Klopfen nach der meinigen hinzog. Das ist doch ein höchst unbescheidenes Benehmen, fuhr ich laut auf, denn wie konnte ich mir einbilden, daß es Pocher gäbe, die das Recht dazu hätten, ohne für grob gehalten zu werden, bis es mir ein Mann zeigte, der, schwarz gekleidet, mit fliegenden[237] Haaren hereintrat und mir durch das Schreckenswortde par le roi, das alles gleich macht, meine Glieder lähmte. Die Feder, die ich noch naß in der Hand hielt, entfiel mir, und ich habe erst einige zwanzig oder dreißig Meilen darnach reisen und das Gebiet einer fremden Macht gewinnen müssen, ehe ich ihr heute wieder ihren freien Lauf lassen konnte.

Auf meine ehrerbietige Frage: was zu seinem und des Königs Befehl sei? antwortete er befehlend: »Gedulden Sie Sich!« Noch war ich weit entfernt, zu muthmaßen, daß es meine Bagage wäre, auf die er mich warten ließe, bis ich sie von vier Lastträgern ihm vor die Füße setzen sah. Nächst ihnen traten zwei andere, eben so schwarze ominöse Figuren, mit Federn hinter den Ohren herein, als ob sie mir an der Fortsetzung meines Tagebuchs helfen wollten. Ach sie haben es nur zu gewiß durch den traurigen Bericht gethan, den ich Dir, lieber theilnehmender Freund, über die bösen Stunden abzulegen habe, die mir ihre werthe Bekanntschaft verursacht hat. Derjenige, dem ich den ersten Schrecken verdanke, und der auch, den andern gegen über, den obersten Platz an meinem Schreibtische einnahm, belehrte mich nun mit gerichtlichem Anstand, daß sie – und ich glaubte in die Erde zu versinken – Kapitouls, und beauftragt wären, mich über gewisse Artikel zu vernehmen. Was mögen das für welche seyn? dachte ich zitternd nach. Unmöglich können doch die Herren von ihrem Richthaus herüber durch das Fenster erspäht haben, was ich schrieb; Gott gebe nur, daß sie es jetzt nicht entdecken, und ich hätte für keinen Preis einen Blick auf den heutigen Heft meiner Handschrift geworfen, der auf das unverschämteste neben dem Vorsitzenden lag, um ihn nicht auf die Spur meines Anathems zu bringen. Der Mann am Protokoll lauerte und jener begann seinen Vortrag: »Sie werden, mein Herr, im Namen des Königs zum wahren Geständniß aufgefordert – wer Sie sind und was die Absicht Ihrer Bereisung seines Reichs ist?« Diese königliche Neugier konnte mich nun wohl in keine Verlegenheit setzen. Ich antwortete frisch weg: »Ich bin einer der getreuesten Unterthanen Friedrichs, wenn Sie erlauben – des Großen, ein Berliner, sowohl meiner Geburt, als Krankheit nach, die mich viele schwermüthige [238] Jahre hindurch am Verdauen und Lachen verhindert hat. Die dortigen Aerzte haben mich in die mittägliche glückliche Provinz Ihres Königs, den Feldhühnern, Ortolanen und was sie sonst noch etwa meiner Diät für zuträglich hielten, besonders aber der guten Laune nachgeschickt, die in deutschen Apotheken nicht officinell ist. Die Kur ist mir vor trefflich bekommen. Ich kann jetzt die leckersten Bissen vertragen und die Stimmung meines Gemüths hat sich über alle Erwartung verbessert, so daß ich alles wiederum meiner Jugend gemäß, ja sogar – sage ich, jedoch mit schuldiger Ehrerbietung – mein heutiges Verhör nur auf der lachenden Seite betrachte. Protokolliren Sie, mein Herr, daß ich meine frohe Herstellung nur ganz allein der großmüthigsten, liebenswürdigsten, scherzhaftesten und tolerantesten Nation der Welt verdanke.«

»Haben Sie bei Ihrer Gesundheits-Reise sonst keine Nebenabsicht gehabt?« fuhr der Präsident mit einer kleinen Verbeugung für mein Kompliment – und ich um vieles beherzter gegen ihn fort: »Nur noch eine, die ich aber nicht erreicht habe.« »Welche war diese?« »Die Verbesserung meines Verstandes und Herzens.« »Das ist wohl nur Scherz, mein Herr, vor Gericht jedoch sehr zur Unzeit angebracht.« Ich bückte mich für seinen schmeichelhaften Verweis eben so bescheiden, als er vorhin bei meinem Lobe auf die französische Nation. »Sind Sie nicht auch vor kurzem in dem Kloster zu Cotignac gewesen?« Hier schoß mir das Blatt, doch war ich nicht einfältig genug, es zu läugnen. »Was hat Sie zur Reise dahin veranlaßt?« »Indigestion.« Der Examinator blickte mir ernst ins Gesicht. »Und,« setzte ich noch hinzu, »die ungestümen Bitten meines ehemaligen Zeichenmeisters, der die unerreichbare Notre Dame de graces zu kopiren versuchen wollte.« »Wie lange verweilten Sie im Kloster?« »Von einigen Frühstunden an bis kurz nach dem Mittag, als der Stümper mit seiner Abzeichnung fertig war.« So wechselten unschuldige und verfängliche Fragen, anderthalb Bogen durch, mit einander ab, bis mein Tauschhandel mit dem Pater André klar am Tage lag. Die Deputirten waren von meiner kalten Küche, der Berauschung meiner Gäste, unserer unklösterlichen Lustigkeit, kurz von allem bis auf die Zahl[239] der Flaschen unterrichtet, die wir geleert, und der vollen, die ich außerdem noch dem ehrlichen Pater auf den Gastwirth zu Marseille angewiesen hatte. Die folgende Frage: »Ob ich nicht wichtige Urkunden dagegen bekommen?« zog mir beinahe die Kehle zu, doch erholte ich mich nach einem kleinen Hüsteln. »Das ich nicht wüßte. Der Mönch zwar, – – der mit einem Heiligen verwandt seyn will, machte mir, seiner Einbildung nach, ein bedeutendes Geschenk mit dessen gedruckter Legende, und gab mir noch eine Rolle ganz unleserlicher Belege darein. Es ist die Frage, ob sie mein Bedienter nur mit eingepackt hat.« »Und zwar die entscheidendste von allen,« entgegnete der Vorsitzende mit einem ernsten, recht häßlichen Blick, »denn außerdem müßte sein Herr sich gefallen lassen, so lange hier unter strenger Aufsicht zu bleiben, bis sie beigeschafft wären.«

Jetzt wurde Bastian gerufen; dem befahlen sie, Koffer und Kasten zu öffnen, und das, was sie enthielten, ihnen stückweis vor Augen zu legen. Der Kerl benahm sich so außer Fassung dabei, als wenn der Teufel von Beziers hinter ihm stände. Ich sah mich genöthigt, den Handlanger zwischen ihm und den Deputirten zu machen, damit sie nur nicht sein verstörtes Gesicht, dem ich selbst in diesem Augenblick die schwersten Verbrechen hätte zutrauen können, bemerken möchten.

Sobald die Rolle mit den heiligen Dokumenten zum Vorschein kam, rekognoscirte und überreichte ich sie den Bevollmächtigten. Ungefordert legte ich ihnen auch meine Rechnungen und andern Papiere vor, um mich recht weiß zu brennen. Dank meiner gelehrten Hand! Bei dem flüchtigen Blick, den einer der Beisitzer darauf warf, übersah er sogar meinen Kontrakt mit dem Glaser der Bastille, der mir doch ein sichtbares Herzklopfen verursachte, als ich seiner ansichtig ward. Sie hielten sich ganz allein an die Rolle des Pater André, gaben ihr, ohne sie zu entwickeln, einen neuen Umschlag, den sie mit ihren drei Petschaften versiegelten und mich anwiesen, als Zeichen, daß ich den königlichen Willen nach Ehre und Gewissen befolgt habe, meinen offenen Ritterhelm darneben zu drücken.

[240] Ich sah die Sache nun für geendigt an. Schon hatten die Kommissaire Bastian erlaubt, meine Habseligkeiten wieder an ihren Ort zu bringen, und ich wollte ihm mit den glücklich abgefertigten Papieren mehrerer Sicherheit wegen eben mein Tagebuch noch zureichen, als der jüngste Deputirte – denke Dir, wie mir zu Muthe ward – es unterweges mit der Erklärung anhielt: Er habe sich lange in Wien aufgehalten und wolle doch sehen, ob er Deutsch noch so fertig lesen könne, als ehemals. Glück über Glück, daß er nicht lange suchte, und etwa die niedlichen Bruchstücke aus dem Briefwechsel der Königin Anna mit ihrem Liebhaber aufstörte. Was würden die Herren von meinem Ritterhelm gedacht haben, wenn sie jene Abschriften gefunden hätten! Gott sei gelobt, daß er sich nur mit dem letzten Heft beschäftigte, nicht etwa weil es für mich weniger gefährlich – ach im Gegentheil! sondern weil der poetische Fluch auf ihn und seines Gleichen, den er vor den Augen hatte, kein Wiener Deutsch war.

Er starrte das Blatt einige Minuten an und legte es mit einem »Nicht wahr ein Wäschzettel?« zu den übrigen. Wer war froher als ich! Hinter mir hörte ich ein Kofferschloß nach dem andern zuschnappen, und der Vorsitzende entließ meinen Kammerdiener mit einem gebieterischen Wink nach der Thüre, den er sich nicht zweimal geben ließ. Mir aber ging es noch nicht so gut. Ich mußte noch zur Schlußformel meines Verhörs die Tortur seiner Beredtsamkeit aushalten. »Mein Herr,« wendete er sich mit Würde zu mir, »Ihro allerchristlichste Majestät erlauben zwar großmüthigst jedem Fremden, Ihre Staaten zu bereisen, gönnen ihm gerne die Luft – den gesellschaftlichen Umgang und die fröhlichste Theilnahme an den physischen und moralischen Vorzügen Ihres Reichs. – Sie werden aber hoffentlich selbst begreifen, mein Herr, daß diese Vergünstigung sich nicht bis auf die Ausfuhr und Entwendung alter Urkunden und Briefschaften erstrecket und erstrecken kann. Das Unvorsätzliche – das Ungefähr, wie ich glauben will, wodurch sie Ihnen in die Hände geriethen – indem Ihre, ad protocollum gegebene Erläuterung dieser verwickelten Sache mit der uns mitgetheilten Aussage des Pater André zur Genüge [241] übereinstimmt – kommt Ihnen in so weit zu Statten, mein Herr, daß Ihr sonderbarer Tauschhandel mit ihm, den Wir von Gerichts wegen, unter Vorbehalt Ihres Regresses an jenen Trunkenbold, für null und nichtig erklären, weniger auffällt. Die Willfährigkeit und gute Art, die Sie bei der Zurückgabe der zum Leben des heiligen Fiacre gehörigen Belege bewiesen haben, wird Zweifels ohne den hohen Senat vermögen, Sie, als eine keinem weiteren Verdachte unterworfene Person, frei zu lassen.« Hier ward der Redner durch den Eintritt dreier weiblicher Engel unterbrochen, die jedem der Herren, wahrscheinlich zur Stärkung in ihrem Berufsgeschäft, eine Tasse Chocolate überreichten. Während sie solche einschlürften, durfte ich ja wohl diesen unerwarteten Zwischenakt zu dem Vergnügen benutzen, einer Hebe um die andere auf das tiefste in die Augen zu sehen.

Als sie abtraten, blitzten ihnen die meinigen noch so funkelnd nach, daß der Herr Vorsitzende seine Stimme erheben mußte, um meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. »Zwar,« diese Sylbe schob er vorerst ein, als er den abgerissenen Faden seines Vortrags auffaßte, »zwar frei zu lassen; jedoch wird zugleich einstimmig von Uns verlangt, daß Sie, mein Herr, je eher, je lieber, und sobald ich Ihnen den Paß zuschicken werde, Ihre Abreise von hier beschleunigen.« – Warum denn eben das? dachte ich. O Herr Präsident, seyn Sie ruhig! Ihre schönen Mädchen hätten mich ohnehin nicht aufgehalten – »zu der wir übrigens insgesammt,« endigte er seine Rede, »Ihnen von Herzen alles erforderliche Glück wünschen.« Ich würde gern zu der Feierlichkeit gelacht haben, mit der er die Sitzung aufhob, hätte sie mich nicht um alles gebracht, was mir noch einigermaßen meinen Ausflug über die Gränze zu einer nützlichen merkwürdigen Reise stempeln konnte. Jetzt bringe ich meinen Landsleuten doch in der Gotteswelt nichts mit, das der Mühe lohnte. Welcher Leser wird an meine historische wichtige Entdeckung glauben, da ich sie mit keinem Original-Dokument zu belegen vermag. Mein Wort? Das Vidimus meiner eigenen Abschriften? Ja! damit darf man einem deutschen Gelehrten wohl kommen! – Indeß wär' ich doch [242] heilfroh gewesen, als ich den Blutrichtern des armen Calas nun über die Gasse nachsah – hätte ihre Bekanntschaft meiner Einbildungskraft nicht Schattenbilder zurückgelassen, die beinahe noch fürchterlicher waren, als sie selbst. Was kann noch aus dir werden, fing ich schauerlich zu berechnen an, wenn die Mehrheit der Stimmen dir dein Absolutorium verweigerte – wenn die ältern Kapitouls, klüger als die abgegangenen jüngern, auf den natürlichen Einfall geriethen, deine Aussage mit deinem Tagebuche zu vergleichen, wenn sie es einem Translator, der Oden nicht für Wäschzettel nimmt, übergäben, du in deinem Jammer, so lange bis es in französischer Sprache eben so geradebrecht wäre, als ihr Homer, warten, und nachher, Gott erbarme sich! alle die Stellen verantworten müßtest, deren sie nur zu viele, als kriminell, oder als unverständlich, mit rother Tinte anstreichen würden. Verwünscht sei der Prior zu Cotignac mit seinen Konventualen! denn nur sie, die nicht mittranken, nur ihr Neid über ein Geschenk, an dem sie keinen Theil hatten, können allein diese Verrätherei an dir und dem lustigen Pater André begangen haben. O die heillosen Mönche! – Mitten in diesem Selbstgespräch vermehrte ein Gerichtsbote, der dazwischen trat, mein Herzklopfen, ehe ich sah, daß es der liebe erwartete Erlaubnißschein zu meiner Abreise war, den er mir einhändigte.

Der große Thaler, den ich ihm für seinen Gang in die Hand drückte, ging ungleich leichter von mir, als jener, den ich dem teuflischen Kastellan zu Beziers opferte. Meine Freude war aber nur augenblicklich. Unter allen Bewegungen der Seele ist keine, die der Phantasie mehr zu schaffen macht – einem männlichen Geiste überlästiger, mit einem Worte keine, die demüthigender, albernèr und peinigender ist, als die Furcht. Mir kamen die schauderhaftesten Beispiele aus einer Menge Kriminalakten wie zugeflogen, an die ich sonst in meiner Unschuld gar nicht zu denken gewohnt bin, und die ich meinem Zustande doch jetzt so anpassend fand, als ein eingebildeter Kranker jede grasse Sektionsgeschichte dem seinigen.

Ich überlas meinen Freipaß wohl zehnmal mit äußerstem [243] Mißtrauen. Jeder Punkt und Strich, den ein Unbefangener gar nicht bemerkt, kann ja, dachte ich, ein abgeredtes Zeichen mit Polizeidienern seyn, an die man in voraus weiß, daß du gerathen mußt. Spielen nicht oft boshafte Jungen mit einem armen Vogel, um ihn sicher zu machen? Kann er weiter fliegen, als der Faden lang ist, den sie ihm heimtückisch um den Fuß schlangen, und kann ein so guter Kerl, wie du, nicht schon tagelang auf der Diligence in engem Verhaft sitzen, und immer in dem süßen Wahn stehen, er reise nach seinem Vaterlande, bis seine Auflaurer für gut finden, ihm solchen zu benehmen? Kaum hatte ich von allen diesen schreckhaften Möglichkeiten eine abgefertiget, als gleich eine andere an ihre Stelle trat. Einmal versuchte ich trotzig zu thun. Possen, sagte ich, die Originalschriften sind ja den königlichen Bevollmächtigten überliefert. Wer kann mir beweisen, daß ich sie gelesen habe, außer – stockte ich ganz auf einmal niedergeschlagen – dein unseliges Tagebuch. Nun – fuhr ich schnell besonnen fort, was hindert dich denn, es zu vernichten, ehe es wider dich zeugt? Die eine Hälfte liegt schon in der Asche – lege die andere dazu! Ja, wenn nicht die väterliche Liebe zu dem Nestling gewesen wäre, die sich geradezu gegen den grausen Gedanken sträubte. Endlich kam ich – was gewinnt man nicht durch Nachdenken! – auf einen Einfall, der mir in meiner ängstlichen Lage als der beste Nothhelfer so genialisch erschien, daß ich ihn sogleich auf das herzhafteste ausführte. Ich unterwarf nämlich mein Buch der Operation des Origenes. Die ausgeschnittenen gefährlichen Blätter theilte ich wieder in zahllose Dreiecke, die ich an einem gewissen staubigen Orte verbarg, dem sich nicht so leicht ein schwarz gekleideter Kommissair nähern wird. Ich will den Inquisitor loben, der ihn als verdächtig anspricht, oder auch die Papier-Schnitzel ohne meine Hülfe in ein lesbares Ganze zusammensetzt.

Nach solchen genommenen klugen Maßregeln, sollte wohl jeder Vernünftige glauben, müsse mir das verzagte Herz gewachsen seyn. Nichts weniger. Der Schrecken war mir einmal ins Blut getreten und stieg mir immer höher zu Kopfe.

Wird es denn der König, warf ich die Frage auf, wohl für [244] wahrscheinlich halten, daß jemand seine Ahnen-Probe vierzehn Tage in der Tasche haben kann, ohne sie zu untersuchen? und ist nicht der königliche Glaube an die Möglichkeit allein schon hinlänglich, ihn par raison d'Etat in das erste beste Gefängniß so gut mit einem Maulkorbe zu stoßen, als mit einer eisernen Maske? Heiliger Fiacre! schütze mich, daß ich nicht um deinetwillen auf die Brescauische Austerbank, der du glücklicher entgangen bist, als du verdientest, zu liegen komme! Hier unterbrach mich Bastian mit der Nachricht, die Wasserkutsche sei sammt dem Daraufgelde für den guten Platz während meines Verhörs ab und davon gefahren. »O desto besser,« rief ich, »die Gesellschaft, die man auf einem Toulouser Postschiff erwarten darf, würde sich ohnedieß sehr schlecht mit meiner gegenwärtigen Stimmung, und die langweilige Fahrt noch schlechter mit einem geschwinden Fortkommen vertragen, an dem mir mehr noch gelegen seyn muß, als den Herren Kapitouls, die hier frühstücken. Auf der Landseite entkommen wir ja diesem Drachenneste um vieles geschwinder. Habe ich doch meinen Freipaß, was warten wir? Mache dich auf die Beine, Bastian, und schaffe mir ohne Verzug vier tüchtige Pferde vor den Wagen, oder lieber sechse. Hörst du?« Das war ihm eben recht.

Es verging keine Viertelstunde, so stand alles zu meiner Flucht in Bereitschaft. Die glücklichsten Umstände trafen zusammen, sie zu befördern.

Ich sah meine Berline mit sechs Pferden bespannt, die vor Ungeduld stampften, wie ich. Eins zog wie das andere, denn ihre Führer waren, wie sie mir bald vertrauten, Zwillingsbrüder, kalvinischen Glaubens, und meinten es überhaupt ehrlich.

Sie drückten mir nicht nur auf das herzlichste die Hand für mein freigebiges Trinkgeld am Ende der Station, nein sie zeigten es allen ihren Kammeraden, um sie aufzumuntern, ein gleiches zu verdienen. Die Wege waren vortrefflich, der Abend ruhig, wie ein gutes Gewissen, und die Nacht hell, wie bei uns ein Frühlingstag. Nie hat mir der Klang der Posthörner mehr Freude gemacht. Nach der Eile, mit der ich an den berühmten Garküchen des Perigords vorbei rollte, hätte kein Mensch errathen, welchen Werth ich [245] auf ihre kalten Pasteten setze. Ich ließ mich durch keine aufhalten, denn ich kam mir selbst wie eine Waldschnepfe vor, die alle ihre Federn anstrengt, um dem Unglück, in einer nach Holland oder Deutschland verschickt zu werden, zu entfliehen.

So erreichte ich zwar durch Gottes Hülfe und ohne den mindesten Anstoß schon den siebenten März, einige Stunden nach Mittag, das schöne weinreiche Bordeaux – aber die lange Strecke Wegs, die ich noch bis in mein Vaterland vor mir sah, erlaubte mir nicht, durch irgend einen Genuß Zeit zu verlieren.

Wie hätte ich Lust haben können, meinem Körper gütlich zu thun, den ich bei weitem noch nicht außer Gefahr glaubte, und der sich, wie Du noch hören wirst, bei allem, was ihm aufstieß, recht linkisch benahm.

Jetzt, nach einer ruhigen fröhliche Stunde, und nachdem ich glücklich über die Strickleiter weg bin, die sie mir ersteigen half, steht es freilich ganz anders um Deinen Freund, lieber Eduard.

Ich werde nicht zum letztenmal über die wilden Blicke lachen, die ich umher warf, als ich nicht weit von La Trompete, der hiesigen Festung, aus dem Wagen stieg. Alle Augen, alle Kanonen, glaubte ich, wären auf mich gerichtet. Ich sah in jedem Vorbeigehenden – ärger als Rousseau auf seinen Spaziergängen – nur einen Spion, der meine Ankunft der Polizei anzeigen werde. Ich ging nicht, nein, ich zitterte von weitem meiner Chaise nach, die ich Bastian allein überließ auf die Post zu bringen und bespannen zu lassen – aber die Gasse dahin wollte kein Ende nehmen. Indem stürzte ein Trupp Matrosen, denen man es deutlich ansah, daß sie sich so wenig um mich, als um die ganze Welt bekümmerten, mir aus einer Taberne in den Weg. Sie schwenkten ihre runden Hüte und jauchzeten einmal über das andere mit stammelnder Zunge: Es lebe Katharina die Zweite! Der Name dieser großen Frau fiel mir kaum in die Ohren, so vergaß ich Kammerdiener und Wagen, und überließ mich blindlings dem Zuge meines dunkeln aber mächtigen Zutrauens. Ich schloß mich dicht an die lustige Bande an, und so oft ich mich bemerkt glaubte, schwenkte auch ich meinen Hut und mischte herzhaft mein Vivat in das ihrige. So [246] taumelte ich in ihrer Gesellschaft zwei Straßen durch bis vor die Stadt an den Hafen, wo sie auf einmal Halt machten. Eine schöne gebietende Gestalt stand vor ihnen, dämpfte mit einem Wink ihr tobendes Geschrei und wies sie auf das Schiff, von welchem der Name ihrer Monarchin in goldenen Buchstaben mir über die Wellen entgegenglänzte, und dem sie sogleich auf einem Boote zuruderten.

Wie sich das Gedränge der grünen Jacken um mich her verloren hatte, stand ich nun einzeln, aber ziemlich außer Fassung, vor dem Kapitain, der, wahrscheinlich ein wenig verwundert, einen reinlichen Ueberrock unter seiner Mannschaft zu sehen, mich von Kopf bis zu Fuß mit ernsten Augen betrachtete. Da ich nicht von der Stelle wich und bei dem geringsten Geräusch scheu hinter mich blickte, fragte er mich endlich: ob etwas für mich hier zu thun sei? Ich trat näher, nannte mit leiser Stimme meinen Namen, der zum Glück für mich ihm nicht ganz fremd war, und bat aus gewissen Ursachen, die ich ihm schon noch entdecken wolle, vor der Hand nur um Schutz – – »Aber gegen wen denn?« fragte er ungeduldig – »Gegen die wollüstigen und grausamen Kapitouls zu Toulouse,« zischelte ich ihm zu, »und ihre hiesigen Spione.« Nach einem kurzen Besinnen gab mir der brave Mann einen Wink, ihm auf das kleine Fahrzeug zu folgen, das bereit war, ihn überzusetzen.

O wie gern gehorchte ich! Hätte Bastian nicht besser Acht auf mich gehabt, als ich auf ihn, so wären wir vielleicht so bald nicht wieder zusammen gekommen. Er schrie vom Ufer uns nach, bat und erhielt die Erlaubniß, mit einzusteigen. Wie geschwind verzog sich meine bisherige Brustbeklemmung. In welche Freude ging sie nicht über, als ich bald nachher mich in der Kajüte meines Beschützers, zwar nur auf Bretern, die aber mit dem Gebiet einer mächtigen Monarchin zusammen hingen, allen und jeden Nachstellungen des festen Landes entrissen sah. Dieses schöne Gefühl entwickelte zuerst die heroische Frage in mir, ob es nicht möglich und mir am besten gerathen wäre, unter Russisch-Kaiserlicher Flagge allen gesetzlichen Ungeheuern des französischen Labyrinths zu entwischen. [247] Ich legte diesen Wunsch am Ende meiner Geschichtserzählung dem lieben Kapitain aus Herz. Er hörte meinen Vortrag mit gütiger Aufmerksamkeit an – schwieg ein Weilchen, schien aber den Zusammenhang der Sache sehr wohl begriffen zu haben. »Wohin wollen Sie denn eigentlich?« fragte er. »Ja, mein Gott, nach Leyden,« antwortete ich, »wenn anders Ihr Weg Sie da vorbei führt. Ich bin auf dem Meere nicht ganz orientirt.« Es war dem lieben Manne Ernst, nur zu helfen. Das sah ich ihm an. Er ging einigemal nachdenkend mit langsamen Schritten auf und ab in der Kajüte, ehe er mir Antwort gab, die aber auch nun desto bestimmter und erfreulicher ausfiel. »Ich sehe zwar, mein Herr,« wendete er sich freundlich zu mir, »Ihre Lage nicht für so gefährlich an, als Sie; damit Sie jedoch nicht sagen können, Sie hätten Ihr Zutrauen vergebens auf einen Russen gesetzt, so will ich es, so gut ich kann, zu verdienen suchen. Wenn Sie mit Kost und Quartier auf meinem Schiffe zufrieden seyn wollen, so lassen Sie nur heute noch Ihre Bagage an Bord bringen. Es hat seine völlige Ladung, und würde bereits auf der hohen See seyn, wenn ihm der Wind so günstig gewesen wäre, als er für Sie zu werden scheint; denn sollte er diese Nacht sich nur noch um einige Grade verstärken, so kann ich vielleicht schon morgen aus dem Hafen laufen, und will gern Ihrem Wunsche gemäß meine Segel nach der Holländischen Küste richten, um Sie dort aus Land zu setzen. Auf dem offenen Meere giebt es für uns andere keinen Umweg. Das ist kurz und gut meine Erklärung.« Seine menschenfreundliche Großmuth rührte mich bis zu Thränen. Es ist so selten, unter den sogenannten Weltleuten auf einen zu stoßen, der an unserm Schicksale thätigen Antheil nimmt. Ich ergoß mich in so wortreiche Danksagungen, daß er mich vor Ungeduld mit der Frage unterbrach: »Ob mir sonst noch etwas zu wünschen übrig sei?« »Nicht das mindeste,« antwortete ich, »als daß es mir lieb wäre, da mir der Wind noch Zeit dazu läßt, wenn ich mittlerweile die Stadt besehen, die Bordeauxer Weine durchkosten und noch eine und andere Einrichtung zu meiner Seereise machen könnte. Darf ich mich aber wohl mit Sicherheit an [248] das französische Ufer wagen?« »Ueber mein Schiff hinaus,« erwiederte er, »reicht zwar meine Gewalt nicht, doch will ich gleich eine Mittelsperson zu Hülfe rufen.« Auf seinen Wink trat nun sein Kommißschneider mit einem Pack grüner Uniformen herein. Er brauchte nicht lange zu messen, denn die kleinste darunter, die er meinem Körper anpaßte, saß nach seinem Kunstausdrucke wie angegossen. Es machte mir eine kindische Freude, mich im Angesichte des freien Weltmeers zu einem Russischen Seeofficier eingekleidet zu sehen.

Ich stellte mich mit stolzem Anstand vor den Spiegel, und warf mich nicht schlecht gegen das intolerante Frankreich in die Brust. »Jetzt fehlt Ihnen,« sagte der scherzhafte Kapitain, »um dem ganzen Toulouser Kapitol die Spitze zu bieten, nichts als ein Blatt Papier zu Ihrer Legitimation in der Tasche – ein Patent, das ich Ihnen als Schiffs-Lieutenant ausfertigen will.« »Doch nur titular?« fiel ich ihm erschrocken in die Rede. »Nicht anders!« versetzte er lachend. »Denken Sie denn, daß ich den Dienst so schlecht verstehe, dem ersten, besten Passagier das Kommando am Steuerruder anzuvertrauen? Man kann mit einer gewissen Portion Eigendünkel eher wohl die Segel eines kleinen Fürstenthums dirigiren, wenn es auch hier und da leck ist, als das geringste Schiff, das dem Russischen Staat dient.« Er warf bei diesen Worten einen Blick, den ich mir merken will, in die Ferne, der viel zu sprechend war, um ohne Bedeutung zu seyn. »Wen traf dieser Blick, Herr Kapitain,« fragte ich, »wenn ich es wissen darf?« »Warum nicht? Er galt wohl gar einem Ihrer Bekannten –« erwiederte er. »Doch gewiß,« schob ich geschwind ein, »keinem meiner Freunde, das will ich im voraus beschwören.« »Einem,« fuhr er fort – – –

Aber o Ihr, die Ihr mich bis zu dieser Zeile geduldig auf meinen Spazier- und Irrgängen begleitet habt, Euch, meine vortrefflichen Leser, muß ich jetzt einige Augenblicke still zu stehen bitten, denn ich selbst stehe zum erstenmal in meinen Wanderungen vor einem Oha, über das ich nicht wegzukommen weiß. Ein heimtückischer Zufall hat mir die meisterhafte Zeichnung meines Russischen [249] Freundes entrissen, und den lustigsten Text von der Welt durch eine Lücke unterbrochen, die ich leider! jetzt nur mit einer kläglichen Note auszufüllen im Stande bin.

Diese Verlegenheit thut mir doppelt wehe, weil sie mich zugleich nöthigt, ein Geheimniß auszuplaudern, das ich mit mir ins Grab zu nehmen gedachte. Das Schicksal, scheint es, will mir nicht vergönnen, das Geringste vor Euch auf dem Herzen zu behalten. Es liegt, ich weiß es, manches Räthselhafte noch in meinem Tagebuche, das Eurer Aufmerksamkeit wohl schon oft anstößig gewesen seyn mag; doch davor darf mir nicht Angst seyn, denn in einigen Tagen, hoffe ich, wird Euch auch das Widersprechendste unzweideutig und klar, wie die Wahrheit, vor Augen stehen.

Ob aber die kräftige Schilderung des Unbekannten je wieder an das Licht kommen werde, das sie so sehr verdient, muß ich, ohne es ganz zu bezweifeln, allein der künftigen Zeit überlassen, denn die meinige ist, – und das eben war, wie ihr alleweil hören sollt, mein Autorgeheimniß, – verlaufen.

War es ein Anfall von Eitelkeit, falsche Scham eines jungen flüchtigen Gesellen, oder Nachahmungssucht – ich lasse es unentschieden, die mich, nach meiner Zurückkunft in Berlin, auf den tollen Einfall brachte, meine Selbstbekenntnisse, wie Jean Jaques die seinigen, unter Schloß und Siegel zu legen, und, gleich ihm, zu verordnen, daß mein Erbe ihnen erst zwanzig Jahre nach meinem Ableben Luft mache.

Ein Augenblick Ueberlegung brachte mich, wie ich denke, auf einen klügern Entschluß. Wärest du, sagte ich mir, auch nothdürftig zu entschuldigen, Possenspiele mit deinen Zeitgenossen zu treiben, die es nicht mir längst an dich gebracht, sondern auch das Wiedervergeltungsrecht noch immer in Händen haben, so sähe es doch einer Poltronnerie sehr ähnlich, wenn du dich erst aus dem Staube machen und der Nachwelt gleichsam hinterrücks deine Schneebälle aus einer Entfernung in das Gesicht werfen wolltest, in der sie dich nicht mehr erreichen kann. Und ist es denn nicht, fuhr ich ernsthafter fort, mehr als zu bekannt, wie pflichtvergessen [250] der Freund, dem der große Mann die Herausgabe seiner Konfessionen übertrug, die strenge Frist verkürzt hat, die Rousseau der Neugier seiner Hinterbliebenen auflegte? Aber gesetzt auch, eine solche Untreue wäre mit den deinigen nicht zu befürchten, bleibt es denn nicht noch immer die Frage, ob die klugen Leute, denen du die Vollstreckung deines letzten Willens in einer Zeitperiode zuwälztest, die sich wahrscheinlich von der gegenwärtigen durch den geläutertsten Geschmack auszeichnen wird, – ob sie, sage ich, dein Testament nicht als inept erklären und deinen armen entsiegelten Papieren, statt ihnen den kostbaren Weg in das Gebiet der Makulatur zu eröffnen, den weit kürzern hinter den Herd anweisen würden? Solche vornehme Wagstücke, gestand ich mir offenherzig, sind nicht für einen Schriftsteller, wie du bist.

Diese vielseitigen Ansichten der Sache brachten mich endlich auf einen Ausweg, bei dem ich stehen blieb. Wäre es denn nicht sicherer, zischelte ich mir ins Ohr, gemächlicher für dich und ehrlicher gegen deine Mitbürger gehandelt, wenn du ihnen, während du noch auf ebenem Boden mit ihnen wandelst, die offenherzigen Berichte von der übeln Wirthschaft ablegtest, die du, jedoch zum Glück nur wenige Monate, in einem sittenlosen Lande mit deiner Zeit getrieben hast? und um sie nicht auf einmal zu erschrecken, die zwanzig Hungerjahre, zu denen Rousseau im Laufe seiner Unsterblichkeit das lesende Publikum verdammte, auf das jugendliche Spielwerk ausdehnest, das du ihm preis zu geben gesonnen bist? Dadurch bekommen deine Begleiter nicht nur Zeit zu verschnaufen, sondern der Stern deiner Autorschaft zu gleich einen hübschen Spielraum, den Kometen, die inzwischen an dem litterarischen Himmel aufbrausen, und ihn leicht in ihren Schweif verwickeln könnten, ehrfurchtsvoll und so lange aus dem Wege zu treten, bis sie ihre blendende Laufbahn durchschnitten haben. Wirklich habe ich durch diese kluge Wendung seinen völligen Untergang aufgehalten. Wie viele prächtige Meteore sind nicht in diesem langen Zeitraum durch den Aether gezogen, verschwunden und vergessen, und das meinige blinkt noch in der zwanzigsten Leipziger Messe, tritt noch einmal aus dem Nebel hervor, in welchen es sich oft hüllte, und lächelt [251] noch hier und da einem alten Bekannten so freundlich ins Auge, als ehemals meinem nun längst verewigten Freunde Eduard, dem seine ersten Stralen gewidmet waren.

Mit welchem wehmüthigen Vergnügen sehe ich auf jene Morgenstunden zurück, wo ich ihm das Votivgemälde vorhalten konnte, das ich in der Ferne aus tausend heterogenen Farben für Ihn zusammengesetzt hatte. Es war eine freundschaftliche Beschäftigung, eine augenblickliche Zerstreuung in der bänglichsten Zeit, die je über Berlin geschwebt hat – in der Krankheits-Epoche unsers großen Monarchen. So saß ich denn auch, gerade vier Wochen vor seinem völligen Verlöschen, nach einem mäßigen Frühstück meinem Freunde gegen über, und langte von den letzten Heften meiner Reise, die hinter meinem Sitze auf einem Ecktischchen lagen, einen nach dem andern mir zu, wie ihn die Reihe traf. Meine Vorlesung war bis auf gegenwärtigen, und bis zu der Zeichnung vorgerückt, die ich kurz vorher meinem Zuhörer, der sich auf dergleichen Malereien besonders verstand, als ein Meisterstück angekündigt hatte; aber kaum waren ihm die ersten Grundlinien davon sichtbar geworden, so erhob sich ein Wirbelwind in dem größten Ungestüm von der Gasse, der Thüren und Fenster aufriß, und indem ich eben nach diesem, noch übrigen Abschnitt meines, unserer heutigen Unterhaltung gewidmeten Vortrags greifen wollte, mir ihn unter den Händen wegnahm. Hätte ich nicht zum Glück den Ueberrest meiner Handschrift zu Hause gelassen, es wäre ihm nicht besser ergangen, und mir nichts übrig geblieben, als meine Boutique zu schließen.

Kein spielendes Kind, dem sein papierner Drache entwischt, kann bestürzter ihm nachblicken, als ich meinen fliegenden Blättern. Ich sah sie über die Dächer hin, bald an diesen, bald an jenen Schornstein anprallen, sinken und steigen, und endlich ganz aus meinem Gesichtskreis verschwinden. Während meines vergeblichen Hinstaunens in den leeren Raum, hatte Eduard, thätiger und gefaßter als ich, alle dienstbaren Geister seines Hauses aufgeboten, den politischen Steckbriefen nachzueilen. Ihr erzeigt allen ehrlichen Leuten den wichtigsten Dienst von der Welt, wenn ihr sie auffangt, [252] schrie er ihnen nach. Umsonst! nach einer Stunde kamen die Abgeordneten athemlos, beschmutzt und mit leeren Händen zurück.

Der Wind, – entschuldigten alle ihre mißlungene Hetze – wäre zu arg. Dem hätte er die Kappe, jenem den Athem genommen, und allen so viel Staub in die Augen gestreut, daß ihnen Hören und Sehen vergangen sei. Wir schickten sie demungeachtet, sobald das tobende Wetter vorbei und die Luft rein war, zum zweitenmal aus, ließen überall in den Häusern der Gesandten, in den Trödelbuden, in den Kramläden, und in dem königlichen Schlosse den verlornen Papieren nachstellen, aber mit gleich wenigem Erfolg, und eben so vergebens habe ich in den zwanzig Jahren, die zwischen jenem Tage und dem heutigen liegen, auf den glücklichen Zufall gelauert, der sie mir zeitig genug wieder bringen sollte, um sie meinen guten Lesern noch mittheilen zu können. Welchem staubigen Winkel mögen sie zugeflogen seyn? Ach vielleicht doch verwahrt sie das Pult eines ehrlichen Finders, der sie wohl längst ihrem rechtmäßigen Eigentümer zugestellt hätte, wäre er ihm nur bekannt gewesen. Freilich käme jetzt jedes Einschiebsel zur Vollständigkeit meines armen Tagebuchs zu spät, das, wie ich meinen Lesern schon vertraut habe, mit der dießjährigen Ostermesse sein Ende erreicht.

Da indeß diese merkwürdige Zeichnung auch an jedem andern Orte der Ausstellung immer noch werth bleibt, so kann ich um so viel mehr dieß Original, das sich selbst mit Hülfe des Windes vogelfrei gemacht hat, allen Journalisten und Sammlern fliegender Blätter, wenn es ihnen vorkommen sollte, zu einem nicht gemeinen Lückenbüßer empfehlen. Die Zeit hat ja schon manches Dokument ans Licht gebracht, was man Jahrhunderte hindurch für verloren erklärte.

Irre ich nicht, so ist ja ein Brief des Cicero ad familiares durch den Pergament-Band eines alten Kalenders und eine mangelhafte Stelle in dem Petron durch den Umschlag einer päbstlichen Bulle ergänzt worden, und kann ich mich denn nicht auf meine eigene Erfahrung berufen? Hätte sich der französische Hof wohl träumen lassen, daß die Briefe der Königin Anna an ihren Beichtvater [253] irgendwo noch versteckt lägen und nach Verlauf eines Säkulums einem Reisenden in die Hände gerathen würden, der an sie am allerwenigsten dachte. – – – –

Wenn er nur wüßte, – – – fährt meine Handschrift fort; – – – aber indem fing die Schiffsuhr zu schlagen an. Der Kapitain verließ mich, um seine Befehle für die laufende Stunde auszugeben. Um keiner beschäftigten Hand im Wege zu stehen, setzte ich mich auf das Verdeck, machte mir einen Sitz von Tauen und Segeln zurechte und zog, um mir in Ermangelung besserer Gesellschaft die Zeit mit meiner eigenen zu vertreiben, den gangbaren Heft meines Tagebuchs aus der Tasche. In diesem Portefeuille deiner Erfahrungen, lächelte ich es an und schlug die Hand darauf, hast du nun schon eine ziemliche und mehr als hinlängliche Sammlung medicinischer und philosophischer, theologischer und artistischer Windbeutel niedergelegt. Zu ihrer Vollständigkeit fehlte dir nur noch ein politischer Den hat dir nun unerwartet ein unpartheiischer Mann in die Hände geliefert. So flüchtig auch seine Zeichnung seyn mag, (ach wäre sie nur nicht gar verflogen!) so sticht doch der Dünkel des Portraitirten mit zu vieler Wahrheit vor, um nicht ähnlich zu seyn. Warum wolltest du sie nicht in deinem Bilderbuche aufnehmen, das, nach deinen eigenen Menschlichkeiten, nichts so deutlich zur Schau stellt, als die, allen Gauklern gemeine Physiognomie des Hochmuths, die, wie es scheint, meinem vornehmen Kapitain so widerlich ist, als meiner Wenigkeit. Die Nilratze kann unmöglich eine stärkere Antipathie gegen Krokodille haben, als ein natürliches, mit edlem Stolze begabtes Herz gegen aufgeblasne Menschen. Man kann doch gewiß nichts geringeres seyn, als ich jetzt bin, aber auch in mir schlägt ein solches Herz und ich vertauschte es nicht, selbst gegen den Zepter nicht eines königlichen Prahlers. Meinem Kapitain sah man es an der Stirne an, daß er seinem wichtigen Posten eben so gewachsen war, als er ihm mit Bescheidenheit vorstand. Er wußte nicht nur zu befehlen, sondern auch zu lenken. Dafür aber genoß er auch Achtung und Zutrauen vom Höchsten bis zum Geringsten.

Sein Schutz gab mir Zuversicht, seine Herablassung erhielt [254] mich in Demuth, seine Freundschaft erhob mich. Er, ein Sprosse des edeln Geschlechts von Kosodawlew, 1 das dem Staate schon manchen klugen Kopf und brauchbaren Diener gezogen, flößte mir eine so große Liebe zu seiner Nation, so tiefe Ehrfurcht für seine Monarchin ein, daß, hätte ich nicht gehörige Rücksicht auf mich genommen, mir wohl auch der Schwindel über meinen neuen unverdienten Titel hätte zu Kopf steigen können.

Als ich jenes Bild in meine Gallerie aufgehängt hatte, blieb mir für heute nichts zu besorgen übrig, als Abschied von der großen Nation zu nehmen. Ich steckte mein Patent ein, setzte mich auf einen Fischerkahn, und stieg mit festem Muth ans Land. Eine der schönsten Städte Frankreichs breitete sich nun vor meinen Blicken aus, ich gab aber weniger auf ihre Häuser und Plätze, als mit heimlichem Lächeln auf die Huldigung Acht, die alle Vorübergehenden meiner Uniform erzeigten. In meinem Leben ist der Hut nicht so oft vor mir gezogen worden. Die allgemeine Verbeugung vor der großen Frau, der ich zu dienen den Anschein hatte, machte mir es begreiflich, wie manche ihrer wirklichen Diener, wenn sie andere Höfe und Länder besuchen, auf Stelzen einhertreten, und ich möchte sie beinah entschuldigen, wenn es mir möglich wäre, der Schwachheit des Stolzes das Wort zu reden, oder sein Vordrängen auf meinen geraden einfachen Lebensgang mit Gleichmuth zu ertragen.

Ich gehöre, wie sich das so ziemlich aus meinem lachenden Hinstaunen in die Welt ergiebt, gewiß nicht zu der Klasse der Friedensstörer; wer mich aber aus Ursache seines Eigendünkels beleidigt – jede andere kann ich eher vergeben – mir, um mich zu hänseln, Wasser in meinen Wein mischt, darf sich nicht wundern, wenn ich, ohne lange daran zu schlucken, den unreinen Trank ihm [255] in das Fratzengesicht sprudele. Nicht etwa erst als russischer Titular-Schiffs-Lieutenant, sondern schon längst habe ich in meinen häuslichen, politischen und litterarischen Verhältnissen das System angenommen, das meine anscheinende Gebieterin zur Sicherung der ihrigen erfunden hat – das System der bewaffneten Neutralität. Es ist von allen, die ich kenne, gewiß das beste. Wir sind beide, wenn ich meine Kleinheit neben ihre Größe setzen darf, zu gutmüthig, um nicht jedem seine Sturmhaube, oder seine Schellenkappe zu gönnen, so lange er seinen eigenen Spaß damit treibt; aber niemand in der großen Welt darf seine Lanze gegen sie, und in der kleinen seine Peitsche gegen mich aufheben, wenn ihm seine Haut lieb ist.

Du siehst, Eduard, daß ich in dieser Rücksicht meinem Officiershute so viel Ehre mache als Sie ihrer Krone.

Während ich mich aus einer Gasse in die andere drehte, als wenn ich sie der Länge und Breite nach ausschreiten wollte, die Weinhändler, die hier jeden Fremden schon von weitem als einen Einkäufer anlächeln, durch mein Gesicht voll Würde in ihre Kellerstuben zurückschreckte, und den Policeidienern, ohne daß sie es ahndeten, in Gedanken Trotz bot, besorgte Bastian meine letzten Geschäfte mit vieler Einsicht.

Er kaufte für mein Bedürfniß, wie er glaubte, Lord Ansons Reise um die Welt, und ein paar englische Halbstiefeln, und verhandelte meine gepriesene Berline, als unnöthig zur See, an den Miethkutscher des Preußischen Konsuls, unter der Bedingung, meine Habseligkeiten noch umsonst bis an das Ufer zu fahren. Er selbst ging mit meinem Puderbeutel in der Hand voran, den ich seiner besondern Sorgfalt um deßwillen empfohlen hatte, weil er, wie ich Dir wohl jetzt vertrauen kann, einen Schatz für mich, die Schnittlinge nämlich meines in der Uebereilung der Furcht kastrirten Tagebuchs enthält. Sonach verlasse ich nicht nur um vieles leichter, als ich gekommen bin, sondern auch ungleich einiger mit mir selbst, ein Land, von dem, genau besehen, ich nichts mitnehmen möchte, als das Sonnenthal und Agathen. – Die Dämmerung erinnerte mich zur rechten Zeit an den Vergang meines militairischen Urlaubs. [256] Ich schüttelte, wie ein Apostel, mir den Staub von den Schuhen, wendete beim Eingang des Hafens noch einmal mein zufriedenes freies Gesicht nach der größten der unzähligen Trompeten dieses, in allen Dingen, hoch trabenden Reichs, nach der Festung der Stadt, als nach dem letzten Gränz- und Markstein, den ich nicht sowohl zwischen mir und dem prahlerischen Gallien, als vielmehr in stiller Hinsicht auf mein künftiges Leben, zwischen dem französischen Leichtsinn und dem deutschen Ernst setzte. Ach welche reuige Empfindungen, gutmüthige Gefühle und meines Vaterlands würdige Vorsätze bewegten mein Herz, indem ich über die auf dem kräuselnden Strom gebrochenen Stralen des Abendsterns, den ich reiner und freundlicher nirgends erblickt habe, zurück nach meiner Garnison fuhr.

Es war mir, wie einem, der seiner Besinnung lange beraubt, ihrer nun seit kurzem mächtig geworden, und mit freudigem Zittern, in der Hoffnung, nie wieder zu kommen, dem Tollhause entschleicht.

Das erste Wort meines Befehlshabers, als ich in seine Kajüte trat, wo er so tiefsinnig über einer Seekarte schwebte, als ein Denker über einem moralischen Werke, war ein Lob auf den herrlichen Wind. Als Schiffs-Lieutenant, glaubte ich, müßte ich Ehren halber mit einstimmen; es schien aber, der gute Mann errieth mich. Er zeigte mir auf der Karte den Weg nach Petersburg und sprach so gleichgültig davon wie von einer Spazierfahrt, tröstete mich freilich dadurch über meinen Katzensprung nach Holland, aber nur halb, denn es lief mir schon beim Anblick des leer gelassenen Papiers der Meeresfläche, das doch gewiß mehr Unfälle bedeckt, als alle angränzende Länder, die mir grün und gelb vor den Augen flimmerten, ein kalter Schauer über den Leib. Ich berechnete die entsetzliche Tiefe und daß ich nur waten, aber nicht schwimmen könne. Das große kaiserliche Schiff verkleinerte sich in meinem Gehirne zu einer zerbrechlichen Schachtel – die mich – als wenn es in meinem täglichen Bette viel anders wäre, – nur im Schweben zwischen Zeit und Ewigkeit hielt. Denke nur: mitten in diesen ernsten Gedanken fällt mir noch, zu meinem Unglück, der gräßliche Sturm ein, den der Anspachische Theodor in seinem [257] wirbligen Kopf erregt hat. Ein schlechtes, lächerliches Vorbild, ich weiß es, das sich aber dennoch meine Phantasie nicht wehren läßt so täuschend auszumalen, als es nur ein Stück von Vernet seyn kann. Wenn das Schiff stranden sollte – ach, ich fände kein Bret, worauf ich mich, oder meinen Namen retten könnte; denn auf Votiv-Tafeln, den Schutz der Heiligen und auf die Gebete der Mönche darf ich, wie es wohl andere thun, am wenigsten rechnen. Ich habe es nicht um sie verdient. Hat mich nicht schon das bloße Bild des einen zu Cotignac in die Toulouser Händel und in das Wagstück verwickelt, dem ich mich jetzt preis gebe? Mein Gott! wie ich zittere und schwatze; aber setze Dich nur, lieber Freund, einen Augenblick an meine Stelle. Ich weiß ja nicht, wie ich mich anders über den ungewohnten Lärm betäuben soll, der auf dem Schiff herrscht. Welcher Unterschied zwischen meinem heutigen Abend und jenem Mittag auf der Fregatte des Voltaire.

Dort hörte ich nur Witz sprudeln und lachte über das denkende Wesen an meiner Seite. Hier hingegen gellen mir die Ohren von nie gehörten Kommando-Wörtern – von Matrosen-Flüchen, Hämmern, Klirren und Poltern, bald über, bald unter mir. Was das alles für Anstalten sind, um bis zu einer Holländischen Treckschüte zu gelangen! So muß der arme Mensch überall dulden, harren und mit Unruhen kämpfen, ehe er ein häusliches langweiliges Glück erreicht.

Sähe ich nur schon die großen Augen meines Jerom, wenn ich ihn in meinem Seekostüm überfalle. Was wird er denken, ehe er erfährt, daß nichts solides dahinter steckt! Es sind noch nicht fünf Monate, seit er auf dem Münster zu Straßburg meinen Glauben an den thierischen Magnetismus so spöttisch behandelte. Ach wie viel unglaublichere Charletanerien habe ich nicht in der kurzen Zwischenzeit erfahren! Ich höre im Geiste sein Gelächter, wenn ich sie ihm erzählen werde. Erzählen? Ich ihm? O ich armer, geplünderter, halb verbrannter, halb verschnittener Autor! Woher sollte mir der Stoff – und was meiner Vergeßlichkeit zu Hülfe kommen? Der kleine Rest meines Tagebuchs? die Haarwickel in meinem Puderbeutel Ist es wohl der Mühe werth, [258] daß sie sich über dem Wasser halten? Ach, mag sie doch meinetwegen der Rachen eines Wallfisches verschlingen, wie den ehrlichen Jonas. Ich verlange nicht einmal, daß er sie wieder ausspeie, sobald sie mich nur nicht nachziehen. Doch eben höre ich den Kapitain befehlen, daß die Mannschaft sich schlafen lege, die nicht angestellt ist.

Das gilt auch mir. Ich gehorche.


Am Bord des Schiffs Katharina die Zweite,

den 8ten März.


Mein erster Versuch mit der Hangematte ist glücklicher abgelaufen, als ich glaubte. Geist und Körper fühlen sich gesund, und mit meinem Wohlbehagen ist auch mein Muth gestiegen.

Der Wind – Ich würde ihm zwar nicht trauen, aber mein Kapitain sagt – und das ist mir genug – er wäre so gut, als ein Seemann ihn wünschen könne. Schon werden die Segel gespannt, die Anker gehoben und das Steuer-Ruder von der erfahrnen Hand eines Seehelden gefaßt, dessen edle bescheidene Miene schon Ehrfurcht und Vertrauen einflößt, der das Leben und Glück der Menschen zu schätzen weiß, die seiner Leitung überlassen sind, seinem wichtigen Beruf ohne Großsprecherei als ein ehrlicher Mann vorsteht, manchen Sturm mit Festigkeit und Klugheit bekämpft hat, ohne ihn in Journalen zu beschreiben, oder mit so grellen Farben zu schildern, wie der Anspachische Schmierer hinter seinem Dachfenster das berühmte Revolutions-Gemälde, das zwei Ellen und einen Daumen groß, aber schlecht erfunden und keinen Heller werth war. O welch ganz anderes Kolorit hat die Wahrheit, und wie glücklich ist ein Passagier, der, wie ich, einen scharfsichtigen Kapitain am Kompaß – einen erfahrnen Steuermann am Ruder weiß! Sei es ein Kriegs- oder Kauffartheischiff, sie bringen es gewiß glücklich in den Hafen. In solchen hoffnungsvollen Gedanken ruhte mein Blick auf dem ehrlichen Gesichte des alten Schiffers, der sie mir eingab, als Kosodawlew bei uns vorbei in seine Kajüte eilte, um das Signal zur Abfahrt zu geben. Er [259] nahm mich bei der Hand mit sich. »Munter, munter, Herr Lieutenant!« sagte er scherzend. »Mein dirigirender Minister dort nimmt es mit allen Winden der Erde, und meine große Kaiserin mit allen Schutzheiligen in der Legende auf.« Und ich, während er veranstaltet, daß man Ihre Flagge aufstecke, sitze andächtig an meinem schwankenden Schreibpultchen, und bete es ihm nach:


Vom Borysthen bis zur Garonne, Vom Wolgastrom bis an den Belt Durchschwebt Ihr Name wie die Sonne Wohlthuend jeden Theil der Welt, Und angelacht von Ihrem guten Gestirn, ruft mir mein Vaterland: Verlaß ein Reich, das Rauch und Tand, Um Gott zu blenden – Wünschelruthen Zum Richtscheid der Gesetz' erfand, Das einen Greis dem Grab entwand, Um auf dem Rade zu verbluten. Schon hebt Aurorens Rosenband Mein freies Schiff, schon fliegt der Strand, Wie Cäsar stürz' ich in die Fluthen Mein liebes Tagbuch in der Hand. 2

Fußnoten

1 Diesen edeln Namen borgte der Reisende für seinen idealisirten Schiffs-Kapitain, dem verehrten Manne ab, der jetzt als Minister des Innern am Ruder des Russischen Staats sitzt, in dankbarer Erinnerung an die vortreffliche Uebersetzung des Gedichts Wilhelmine, die Er, auf das für den deutschen Autor so schmeichelhafte Verlangen Katharina der Zweiten, unternommen, und 1785 seinen Landsleuten durch den Druck bekannt gemacht hatte.

2 Der Autor bewahrt noch jetzt, am Ende seiner Laufbahn, in seinem Herzen das Andenken an diese große verewigte Monarchin, und die ihm von Ihrer Hand mancherlei zugeflossenen Gnadenbezeigungen. Folgende schmucklose Worte, die er mehrere Jahre vorher, ehe Sie von dem Schauplatz ihrer ruhmvollen Thaten abtrat, an seine erhabene Wohlthäterin gelangen ließ, so wenig Anspruch sie auch sonst auf das Interesse des lesenden Publikums machen können, werden doch wenigstens – das rechtfertige sie – seine dankbaren Empfindungen, durch den Stempel der Wahrheit beurkunden, den er ihnen aufgedrückt hat:

Ew. Majestät haben mich in meinem stillen Museo mehrmalen mit den großmüthigsten Beweisen Allerhöchst Ihrer Gnade zu überraschen gewürdigt. Da ich sie mir keinesweges als Belohnungen zueignen durfte, so habe ich sie mit dem demüthigsten Dank als Folgen des großen Charakters betrachtet, der Ew. Majestät auszeichnet, und habe im Stillen den umfassenden Geist bewundert, der eben so liebreich den Wissenschaften begegnet, als er mächtig und allgemein auf sein Zeitalter wirkt. Ich gehe oft der thätigen Hand mit Erstaunen nach, die mit gleicher Fertigkeit, den Plan eines Gesetzes, und den eines Schauspiels entwirft, und der kein Gebiet zu entfernt, kein Zirkel zu klein ist, wo sie eine Nation beglücken – oder ein häusliches Vergnügen befördern kann. Ew. Majestät haben das Geheimniß wieder gefunden, das seit Augusts Zeiten verloren war, aber wie sehr haben Sie es nicht, große Frau, unter Ihren Händen verschönert!

Mit dem Stolze, den mir der Gedanke einflößt, ein litterarischer Zeitgenosse Ew. Majestät zu seyn, habe ich die Ehre in der tiefsten unbeschränktesten Ehrfurcht zu ersterben

Ew. Kaiserlichen Majestät

allerunterthänigster aller gehorsamster

Th.

Gotha

den 6. März 1793.

Leyden
[260] Leyden.

Den 25sten März.


O wie hat die große Frau meinen Glauben an ihr glückliches Gestirn und Kosodawlew mein Vertrauen zu ihm und seiner Kenntniß gerechtfertigt, die noch weit über Kompaß und Seekarte hinausreicht! War es doch, als ob Wind und Wetter ihm so gehorsam als die Matrosen – und die Wellen des Meeres nur Stahlfedern wären, die auf weichen Polstern uns hüben und forttrügen. In welcher Glorie ist mir die Natur erschienen, und wie freuten sich meine Augen an jedem wiederkommenden Morgen, daß sie noch nicht, verloren für die Anbetung Gottes, in des Grabes Moder versunken waren! Ich glaubte in jenem Blumenthal, das Agathen umschließt, den Sonnenkörper in seiner größten ätherischen Pracht besungen zu haben, ach ungleich poetischer sah ich ihn in der feierlichen Geburtsstunde des Tages über den Horizont hervor wallen und mein Erstaunen verstummte. Wer den Mond und die Sterne nur über dem Dunstkreise des Erdballs funkeln sah, denke ja nicht, daß er ihren wahren Glanz kenne, und niemand behaupte, sein eigenes Herz zu verstehn, der seinen Freund oder seine Geliebte noch nicht zwischen Wasser und Himmel umarmt hat. Breitete sich das eine immer so sanft und geschmeidig unter uns, der andere über unsere Häupter eben so wolkenlos aus, als auf dieser meiner ersten Seereise, ich wüßte wohl, welchem Elemente ich mein irdisches Glück anvertrauen würde, denn nirgends fühlt man das kostbare Geschenk des Lebens dankbarer und inniger, als auf diesen schwimmenden Bretern und nirgends reicht uns der Tod näher, schmerzloser und gaukelnder die Hand, als bei der Punschschale,[261] die unsere Abende begeistert und von der wir nicht eher, als mit dem letzten Tropfen, in süßer Betäubung nach unserer Hangmatte taumeln, ohne darauf zu achten, wie sehr sie einem Leichentuche ähnlich sieht. Wer möchte nicht lieber in dem freien Weltmeere begraben seyn, als in einem verschlossenen Sarge unter einer drückenden Erde, – dem Spielplatz aller bösen Neigungen, künstlicher Bedürfnisse und Laster. Wie verächtlich erscheint einem Beschiffer des Oceans die übrige Welt mit ihren Eitelkeiten und Freuden.

Der glücklichste Monarch kann nicht zufriedener von seinem glänzenden Throne gen Himmel blicken, als ein Seemann von dem Verdecke seines Schiffs. Die stärkende Seeluft, die physische Abgezogenheit von dem Beginnen der Menschen entwickelt die schönste moralische in seiner Seele. Großherzig und neidlos belächelt er in seiner philosophischen Kajüte das Wettrennen des Hochmuths nach Rang, Ehrentiteln und nach den Gängelbändern widersinniger Orden, und ärgert sich über gelehrte Flugschriften, lügenhafte Zeitungen und das summende Geschmeiß, das seine faulen Eier hineinlegt, nicht eher, als bis er gelandet hat.

Dann erst, in der Nähe geistiger und leiblicher Apotheken von einem Sprach- oder Spiel-Zimmer, von einem Tanz- oder Spiegelsaal in den andern getrieben und verfolgt von dem Zungengeräusch der guten Gesellschaft, verläßt ihn sein glücklicher Gleichmuth. Er sehnt sich ermattet zurück in seine schwebende Klause, und will lieber um verdiente heitere Tage und vorwurfsfreie sternhelle Nächte mit Sturm und wilden Fluthen kämpfen, als mit den schmeichelnden Zephyren und den glatten Herzensergießungen der großen Welt um die Zerrbilder ihrer erdichteten Empfindungen, mit denen sie gegen die verwahrlosten Naturkinder, die ohne Anspruch auf Glanz edel nur denken und handeln, so gern groß thut. Ich schwöre Dir bei allen Winden, die uns von dem Hafen zu Bordeaux aus bis an die Holländische Küste trieben, daß während meines Herüberschwebens mir nicht eine unmuthige Stunde, kein trüber Augenblick in den Flug kam, außer da ich mit Anbruch des letzten Morgens meines Volontair-Dienstes, von dem Hurra des Schiffsvolks geweckt, ein Land aus dem Nebel hervorleuchten sah, [262] das ich beim Schlafengehen noch hundert Meilen entfernt glaubte, und da bald nachher ich, indeß mein Koffer, Tagebuch und Puderbeutel in ein kleineres Fahrzeug geladen wurden, das wie ein Sarg auf mein Hineinsteigen wartete, thränend an der Brust meines guten Kapitains, vor Schmerz kaum ein abgebrochnes Lebewohl stammeln konnte. Ich athmete noch schwer, als ich schon am Ufer stand, wußte vor Betäubung nicht, wie viel oder wie wenig ich den beiden Matrosen, die mich herüber gerudert hatten, als Beitrag zur allgemeinen Trink-Kasse aus meiner Geldbörse in den Hut warf, und winkte mit dem meinen so lange noch dem lieben Schiffs-Patron zu, bis mich ein anderer Führer sehr verschiedenen Ansehens in einen räderlosen Wagen nöthigte und wie einen armen Sünder zum Richtplatz von Schevelingen nach Haag und von da mit einem untergelegten Pferde nach der Leydener Treckschüte hinschleifte.

In diesem langweiligen Fahrzeuge fand ich Muße genug, dem Trübsinn, den ich mitbrachte, mit aller Bequemlichkeit nachzuhängen. Ich stützte den Kopf auf den Arm. O! seufzte ich, warum können doch jene Menschenseelen, die der meinigen so theuer geworden sind, mich nicht auf der Wallfahrt durchs Leben immer als treue Schutzgeister umflattern und bis an das einsame Grab begleiten. Wenn Eduard, setzte ich hypochondrisch den Fall, den ich selbst bei unsrer ersten Entfernung durch meine ihm täglich abgelegte Rechenschaft meines Thuns und Treibens fest hielt, zum Ueberschwung in jene unbekannte Sphären früher reifte, als ich, o wie verlassen würde ich dann in meiner Heimath herumirren. Wie wenig heitert mich die Hoffnung auf, meinen Jerom bald, bald an das pochende Herz zu drücken; denn das Vorgefühl naher Trennung wird sich nur zu schmerzhaft unter meine feurigsten Umarmungen mischen. Werden mich wohl je wieder die freundlichen Augen Saint Sauveurs begrüßen, wenn, was doch Gott nicht wolle, Agathe mit den ihrigen die Pforten meiner schönsten Erwartung verschließen sollte? Und nun schickte ich noch einen Thränenblick dem edlen Russen über die See nach. Mit welcher Freude verband ich ihn Eurem Kleeblatt, denn er ist dieses Vorzugs werth. Mit demselben Goldstempel, [263] den die Natur Euch vertraute, hat auch Er die Stiftungstage unserer auf dem Meere geschlossenen Freundschaft mir so tief in das Herz geprägt, daß der Rost der Zeit sein liebes Bild so wenig daraus zu verlöschen vermag, als das Eure. Glaubt nicht, daß ich hier übertreibe, denn in dem engen Bezirk eines Schiffs, wo kein Schwankender dem andern höflich aus dem Wege treten kann, beweisen vierzehn frohe Tage einer gemeinschaftlichen Seereise mehr für die Einigkeit der Herzen, als eine gleiche Anzahl Probe-Jahre auf dem festen Lande, wo alles fest steht, – ausgenommen seine Bewohner.


Den 28sten März.


Zwei Tage habe ich nun schon in der süßesten Träumerei an der Seite meines geliebten Jerom verlauscht. Ein Glück für Dich, daß sie zu reichhaltig an unbeschreibbar schönen Empfindungen des Wiedersehens waren, als daß ich mich nur einen Augenblick nach meinem schwatzhaften Tagebuche hätte umsehen mögen. Heute verschafft mir bloß die Bleikolik eines Mäklers einige Muße, mit dem entfernten Freunde so lange zu plaudern, bis der nähere mich vom Schreibtisch abruft.

Wenn ich mich kurz fasse, kann ich Dir viel erzählen. Der gute friedsame Holländer! Er konnte mich durchaus nicht länger in meiner militärischen Maske ausstehen, sobald der erste Schrecken vorbei war. Ich nahm so geschwind als ein Chamäleon die Lieblingsfarbe des Landes durch einen schwarzen Rock an, den ich nach Ablegung meines unschuldigen Ehrenkleides anzog.

Jetzt erst stand ich mit dem philosophischen Arzte wieder auf dem sonstigen vertraulichen Fuß. Er nahm mich nun schon etwas herkömmlicher und beinahe neugieriger als ein Pater seine Beichttochter, in Untersuchung. So willig ich auch zu dem aufrichtigsten Bekenntnisse war, so wollte es doch nicht recht damit fort.

Ich stockte alle Minuten und warf das hinterste zu vorderst Man ist nun einmal mündlich nicht nur weniger bestimmt, als schriftlich, sondern auch viel scheuer in seinem Vortrage; und da der Theil meiner Reise bis Marseille dort verbrannt und mein [264] Gedächtniß viel zu ohnmächtig war, den Staub jener Ereignisse aufs neue zu beleben, so mußten – besonders die zu Avignon nothwendig an Klarheit verlieren; dennoch schüttelte mein Zuhörer mehr als einmal den Kopf zu meiner Erzählung. Als ich mir endlich, so gut es gehen wollte, bis zu meiner gefährlichen Krankheit fortgeholfen hatte, und nun aufstand, um die nachher niedergeschriebenen und ziemlich gut erhaltenen Protokolle meines weiteren Verhaltens beizuholen, glaubte er, daß nun die Reihe an ihm sei zu sprechen. »Bleiben wir für heute, lieber Wil'm, bei deinem Krankenlager stehen, das du, wie ich nun selbst von dir gehört habe, durch muthwillige Bestürmung der Natur, um den Ausdruck zu mäßigen, nur zu wohl verdient hast.« »Wie Jerom?« fiel ich ihm in die Rede, »du nennst meine Lebens-Versuche Bestürmung der Natur, um nicht etwas ärgeres zu sagen? Warst du es denn nicht, der mir zuerst eine leichtsinnigere Behandlung des moralischen Menschen gegen den Hypochonder empfahl, als er mich von meiner Berliner Studierstube aus schon eine ganze Strecke über den Rhein gejagt hatte? Waren es nicht Scherz und Liebe, die du mir in dem Gasthofe zu Straßburg als die besten Hülfsmittel gegen meinen drückenden Ernst vorschriebst?« »Großer Gott!« schlug er seine Augen in die Höhe, »wir armen, so oft mißverstandenen Aerzte! Verordnen wir einem Schlaflosen zwei Tropfen Opium, so nimmt er den folgenden Abend das Doppelte, freut sich des angenehmen Traums, in den er verfällt, leert zuletzt das ganze Glas und taumelt in die ewige Nacht.«

»Hätte nicht schon Sabathier, von dem ich den traurigen Ausgang deiner Lebensweise nur zu umständlich erfahren habe, dir das Verständniß über die unglaublichen Mißdeutungen eröffnet, mit denen du meinen gutgemeinten Rath verunstaltet hast, du würdest jetzt eine viel derbere Lektion von mir bekommen. Der liebe Mann, der dir in der höchsten Noth zu Hülfe kam, überbrachte mir, auf seiner Hinreise nach Edinburg, deinen kurzen Empfehlungsbrief, der für ihn ganz unnöthig war, und verweilte einige Tage bei mir. Da wurde denn deiner und deiner Vergehungen gegen körperliche und geistige Diät mit aller der Mißbilligung [265] gedacht, die sie verdienen. Ich will wünschen, daß die gemachten Erfahrungen dich vor künftigen Rückfällen besser schützen mögen, als das Packt Recepte, das er mir für dich zurückließ. Ich dächte, ein größeres könnte ich nicht in Jahr und Tag in unserm Hospital zusammenschnüren. Ich habe es deinem Kammerdiener zugestellt, um es zu deinen übrigen Kostbarkeiten zu packen, denn hier bin ich dir Arztes genug. Daß Sabathier dir, nach seiner Entfernung, nicht mehr zur Seite seyn konnte, machte mich Anfangs sehr um dich besorgt; denn hatte ich nicht alle Ursache zu fürchten, daß deine Wiederkehr in die gesunden Tage so keck und ungestüm seyn würde, als es bei schlaffen Seelen nur zu gewöhnlich und von den schrecklichsten Folgen ist? Zu meiner Beruhigung aber hörte ich, er habe deine Unbedachtsamkeit in die strenge Aufsicht eines andern rechtschaffenen Freundes gegeben, der« – – – »Ach damit,« unterbrach ich ihn, »hat er den edlen St. Sauveur gemeint. Ja, theurer Jerom, diesen Mann kann ich zum Glück dich in seiner ganzen Vortrefflichkeit aus demUeberreste meines Tagebuchs kennen lehren, ohne daß ich die Schnittlinge in meinem Puderbeutel dazu ziehe, denn diese betreffen bloß die Genealogie Ludewigs des Vierzehnten.« »Was in aller Welt willst du damit sagen?« fragte er. »Hast du denn bei deiner Unordnung ein Tagebuch gehalten? und welche Gemeinschaft hat es mit deinem Puderbeutel?« Aber kaum ertheilte ich ihm, nothdürftig, Erläuterung über die beiden unterstrichenen Worte, so drang er in mich, die abgerissenen Glieder zur Ergänzung meines Skelets aus ihrer jetzt unnöthig gewordenen Verborgenheit zu ziehen, schlug alle meine Einwendungen nieder und lief in die Nebenstube. »So höre doch nur, ungeduldiger Mensch!« rief ich ihm nach; er aber eben so geschwind nach Bastian, der auf seine Anweisung bald darauf mit meinem Portefeuille zu mir hereintrat und den diplomatischen Puderbeutel neben mir auf den Schreibtisch setzte. Was blieb mir übrig, als meinem Wirth zu gehorchen, ob es schon keine leichte Aufgabe ist, eine so zerrüttete Biographie wieder in einen klugen Zusammenhang zu bringen. Das erste Blatt ward mir blutsauer, ehe es, in Ordnung geschoben, zum Abschreiben [266] vor mir lag. Ich mußte den Athem an mich halten, um die oft winzigen Zerstückelungen der Toulouser Scheere nicht auch noch auf dem Stubenboden auflesen zu müssen, oder eine aus ihrer Lage zu verrücken; dafür bin ich aber nun sicher, daß ich der Königin Anna nicht um einen Buchstaben Unrecht gethan habe.

Je mehr sich die Anzahl der kleinen Bruchstückchen in dem Puder verminderte, je geschwinder ging es mir von der Hand. Ich kam nach Maßgabe der Schwierigkeit mit meiner musiven Arbeit immer noch bald genug zu Stande, wenn Du überlegen willst, daß ich oft ein Blatt, das Du jetzt in einer Viertelsekunde umwendest, stückweise vielleicht zweihundertmal umwenden mußte, um auf die andere Seite zu kommen. O, wie würde unsern Autoren das Schreiben verleidet werden, wenn sie sich, oder andere, so abschreiben müßten. Meine große Geduld muß mir bei jeder mann zur Ehre gereichen, der das Handwerk versteht.

Der holprige Weg lag nun glatt und eben wieder vor mir, und freudig pochte ich an Jeroms Thüre. Zu hastig im Hereintreten, flogen ihm alle die aufgehäuften Originalschnittchen meiner Handschrift wie Mücken und Sommervögel um den Kopf und schüttelten ihren weißen Staub ab.

Er blies sich einen Weg durch die Wolke, trat aus ihr heraus, wie ein Apoll, setzte sich mir gegenüber und hörte nun der Vorlesung meiner mannichfaltigen Abenteuer mit gutmüthiger Aufmerksamkeit zu. In meiner Krankheitsgeschichte, die ich, wie Du weißt, nach Bastians Anzeige niederschrieb, kam ihm nichts so merkwürdig vor und beschäftigte sein Nachdenken mehr, als der stärkende ruhige Schlaf nach dem Delirio, in welchem ich die Hälfte meines Tagebuches zerriß und zum Kaminfeuer beförderte. »Du nahmst,« sagte er, »ohne dir es deutlich bewußt zu seyn, Gerechtigkeit an dir selbst, und die nachfolgende wohlthätige Krise läßt sich ganz wohl erklären.« Ueber den Wahrsagergeist des heiligen Fiacre neun Monate vor der Entbindung der Königin Anna spottete er wie ein medicinischer Freigeist, lachte aus vollem Herzen über mein Verhör zu Toulouse, so wie über die Furcht, die mich auf die See [267] trieb, und fing nun selbst an zu bedauern, daß die erste Abtheilung meiner Reise in der Asche lag.

O! es wird allen Lesern der zweiten so gehen, dachte ich.


Den 26sten März.


Sei aufmerksam, Eduard, ich bitte Dich. Als ich gestern Abends mit dem heisern Hals eines Fastnachtspredigers in mein Zimmer trat, fiel mir das mächtig große Packet in die Augen, das Sabathier für mich bei Jerom niedergelegt hatte. Nun Gott erbarme sich deiner! stemmte ich beide Arme in die Seite, wenn der gute Mann dir so viele Krankheiten zutheilt, als dieser Haufen Recepte voraussetzt. Mein Körper, das gebe ich zu, bedarf freilich mancherlei Nothhülfe, aber Jerom hat Recht mit dem Hospital.

Nein, das sind sicher, besann ich mich, die zwei Quartanten mit Kupfertafeln, die der gelehrte Arzt vor kurzem über die Anatomie herausgegeben, und sollen wahrscheinlich ein Geschenk für deine Bibliothek seyn. Sehr artig von ihm! Nur ist das keine Lektüre im Bette. Die Ansicht eines Menschengewebes befördert unter keinerlei Umständen den Schlaf, und vollends zergliedert verursacht es mir allemal Krampf. Bleibt mir vom Leibe, sagte ich, indem mich ein Schauer überlief, stieg schnell zu Bette und weiß nun meiner Vorsicht nicht genug zu danken. Denn, als ich heute früh, beim Hin- und Wiedergehen am Theetisch, den Bündel nicht länger so vor mir sehen konnte, ohne zu wissen, was er unter seinem Siegel verbarg, hätte mir wohl kein anatomischeres Werk in die Hände fallen und keins mich mehr erschüttern können, als das ich eben auspackte.

Die fabelhafte Wiedergeburt des Vogels Phönix versinnlichte sich hier vor meinen Augen. Freudiger könnte er wohl nicht aus seiner Asche aufflattern, als das klopfende Herz in meiner Brust – Erstaunter könnte er schwerlich sein neu entwickeltes Gefieder lüften, als ich einen Heft nach dem andern meines, bis jetzt zerrissen und verbrannt geglaubten Tagebuchs an das Licht hob. Ich zählte diese bunten Federn meiner Flügel durch – es fehlte nicht eine und mein Aufschwung zur Unsterblichkeit war nun nicht mehr zweifelhaft. [268] Lange blieb ich, stumm wie eine Bildsäule, vor ihnen stehen, ehe ich zur Besinnung kam, mich nach dem mächtigen Schutzgeist umzuschauen, dem ich ihre wunderbare Erhaltung zu verdanken hätte.

Welcher könnte es wohl anders seyn, als der Retter meines Lebens – der verständige Sabathier Er versteckte dem Wickelkinde das spitzige Spielwerk, um es ihm, wenn es größer und klüger seyn würde, väterlich lächelnd zurückzugeben. Unter diesen Gedanken öffnete ich seinen Brief, aber wie heftig war auch nun der Gegenstoß, den meine Erwartung erhielt, als ich folgendes las: »Lernen Sie endlich, an der Gränze Ihrer Gesundheitsreise, den barmherzigen Bruder kennen, der mich mit sechs Pferden von Montpellier abholen ließ, als Sie zu Marseille mit dem Tode rangen, mich mit rührender Beredtsamkeit beschwor, Ihnen beizustehen, und mir das zufällige Glück Ihrer Herstellung fürstlich belohnte. Er war es, der Ihre Handschrift der Vernichtung entriß, indem er statt derselben Ihnen aus einer alten Postille, die nach einem gewöhnlichen Schicksal, das Sie vielleicht nie treffen wird, zu Makulatur geworden, in der Nähe lag, die Anzahl Bogen zureichte, die Sie in der Fieberhitze verlangten. Sie zerschlitzten mit sichtbarem Wohlgefallen einen nach dem andern, und bezeigten, da sie im Kamin aufloderten, so viel Freude, als bei einer guten Handlung. Diese glückliche Täuschung hat nicht nur Ihr Tagebuch, sondern auch eben so gewiß den Erkrankten gerettet, der es schrieb. Sie kühlte sein Blut, beruhigte seine aufgeschreckte Phantasie und verschaffte ihm jenen erquickenden Schlaf, den alle meine Opiate nicht bewirken konnten, und der die Heftigkeit seines Fiebers brach. In der Anlage wird er sich Ihnen selbst, und zwar nicht bloß als den seltensten Menschenfreund, sondern als den strengsten Beurtheiler Ihrer Selbst-Bekenntnisse zu erkennen geben. Er las sie, mit Thränen, hinter dem Vorhang Ihres Bettes, indem er bei jeder – vergeben Sie mir den Ausdruck – leichtsinnigen Aeußerung mitleidige Blicke auf Ihr Krankenlager warf, und Ihre verlaufenen und verschleuderten Tage mit den gegenwärtigen trostlosen Stunden verglich, die, wie wir uns beide nicht verhehlen konnten, [269] von jenen nur zu gewiß abstammten.« Dieser Vorbericht benahm mir beinahe die Lust, mit dem barmherzigen Bruder, auf dessen geweihtes Haupt ich übrigens allen Segen vom Himmel erbitte, in nähere Bekanntschaft zu treten. Wie es scheint, hat er meinen voriegenden Text nur deßwegen aus dem Feuer gerettet, um eine Strafpredigt darüber zu spannen, die vermuthlich an Erbaulichkeit die alte Postille übertreffen sollte, die er mir zum Zerreißen preis gab; denn welcher geistliche Redner traut sich nicht mehr Beredtsamkeit und Salbung zu, als seinem Konfrater. Ich kratzte mich lange hinter den Ohren, ehe ich mich entschließen konnte, sie meinem frömmelnden Tadler zu öffnen; aber kaum, daß ich seinen dickleibigen Brief entsiegelt und den ersten Blick auf die Unterschrift geworfen hatte, so fiel er mir auch vor Herzklopfen aus der Hand. O diese letzte, schrie ich laut auf, ist auch deine schönste Ueberraschung, mein, mehr als alle barmherzige Brüder, mein theuerster St. Sauveur. Nur mit zitternden Händen konnte ich den Brief wieder aufheben, küßte und legte ihn mehrmal in seine alten Brüche, ehe ich ihn aus einander schlug und mich andächtig genug gestimmt fühlte, ihn zu lesen.

Welche Bewunderung hat er mir nicht seitdem schon abgenöthiget, in welches Entzücken mich versetzt und wie viel süße Thränen der Dankbarkeit meinen Augen entlockt. Ich schreibe Dir ihn nicht ab, lieber Eduard, nicht bloß deßhalb, weil er für die Kürze der mir zugemessenen Zeit zu lang, sondern auch, weil dieß Meisterstück an Schönheit des Vortrags, wahrer und doch schonender Freundschaft mein armes Tagebuch gar zu sehr in Schatten stellen würde.

Wenn wir nach unserer frohen Zusammenkunft uns erst einige Abende hindurch an diesem matt gelesen – der leidenschaftlichen Sophistereien – der bösen Beispiele und der schlüpfrigen Bilder, die es hier und da enthält, genug haben und unsere Herzen welk fühlen; dann wollen wir uns der Ergießungen dieser reinen Quelle – dieser edeln, großen und fühlenden Seele, als eines stärkenden Labetrunks nach vielen erschlaffenden schwülen Tagen, mit desto innigerer Wollust freuen und ohne den Schreiber, der jene nur [270] allzutreuen Gemälde einer unsittlichen Welt abstahl, in die Hölle zu verdammen, dem frohen, festen Sinn seines gutmüthigen Tadlers für Tugend und Menschenwürde, vorzüglich aber den geheimen verschlungenen Wegen nachspüren, die ihn zu dem Gipfel, von dem er nun auf uns herabsieht, erhoben und die wir, trotz unsrer Scharfsichtigkeit, lieber Eduard, beide noch nicht entdeckt haben. O warum kann ich ihm nicht in diesem Augenblick für den hohen Genuß seiner sanften Belehrung dankend zu Füßen fallen! Wie, um Gottes willen, ging es zu, daß ich nicht schon aus der zarten Behandlung meiner bis zum Zerbrechen gesunkenen Maschine, den Freund errieth, der allein Menschenkenntniß genug besaß, sie wieder in ihre physischen und moralischen Fugen zu zwingen. Mußte ich erst aus seinem Briefe den Retter meines Tagebuchs kennen lernen?

Wen – außer Ihm, hätte ein so feiner Takt leiten können, die Nachwehen eines sich selbst vernichtenden Autors zu fassen – das Unglück, das er seinen Geisteskindern drohte, abzuwenden und seine lebenslängliche Trauer über aufgeopferten Nachruhm in ein wahres Auferstehungsfest zu verwandeln? Wie konnte ich zu Marseille, und auch hier noch, fuhr ich immer staunender zu fragen fort, einem unbekannten Mönche jene Ehrfurcht für einen Weltmann, die brüderliche Sorgfalt an meinem Krankenbette, die uneigennützige Verzichtleistung auf Kostenersatz – Belohnung und Dank – wie konnte ich ihm einen Augenblick zutrauen, daß er an einen sterbenden Ketzer wichtigere Geschenke wagen würde, als einen geruchlosen Rosenkranz und die letzte Oelung?

Wie ging es zu, – schlug ich mich zuletzt noch vor die Stirne, daß keiner meiner Wächter und Wärter mir das Geheimniß verrieth? Bastian half mir aus dem Traum. »Wir,« sagte er, »so viel unser waren, sahen diesen Abgesandten des Himmels nur schwarz gekleidet vor Ihrem Bette und nach seiner Verschwindung kein einzigmal wieder.« Jetzt begriff ich, warum der Schlaue, aller französischen Höflichkeit entgegen, mich nie mit einem Gegenbesuche beehrte, – nie zu einer gemeinschaftlichen Spazierfahrt abholte, und so fremd mit meiner Haushaltung that, als habe er in [271] seinem Leben kein Wort von dem alten Maler Sperling und den beiden Puppenspielern gehört, ob ihm schon ersterer eine fast verlorne Erbschaft und die andern ihre Befreiung von Tortur und Galgen zu verdanken hatten.

Hochgepriesen sei mir sein System. Noch hat kein anderes meine Seelenkräfte so auf einmal, wie durch einen elektrischen Schlag zu erschüttern vermocht, als seine heutige Ueberraschung. Gleich dem sokratischen Genius leitete mich seine unsichtbare Hand bis zu dieser seligen Stunde der Erkenntniß. O daß sie, rief ich kleinmüthig aus, für die höchste meiner Lebensfreuden mit demselben Gelingen fortwirke! – stellte mich an das Fenster, blickte, Thränen der Zärtlichkeit in den Augen, gen Himmel und dachte eine ganze Weile noch an Ihn und Agathen, ehe ich meinen großen Fund unter den Arm nahm und nach Jeroms Studierzimmer eilte. »Hier bringe ich dir,« trat ich vor seinen runden philosophischen Drehstuhl und Arbeitstisch, »meine weitläuftige Krankheits-Geschichte nebst allen dazu gehörigen Belegen an Heilungs- und Präservations-Mitteln. Untersuche doch, ob sie des Aufhebens werth sind. Dein Ausspruch soll entscheiden.« »Gut, lieber Wil'm,« wendete er sein ernsthaftes Gesicht von seiner Schreiberei ab gegen mich, »das hat aber Zeit bis auf den Abend. Jetzt habe ich mein Nachdenken für preßhaftere Personen nöthig, als du bist. Allen Respekt,« staunte er mein Packet an, »für den gelehrten Sabathier, aber was will er mit diesem Schwall von medizinischen Verordnungen? Der Arzt, glaube mir, kann so gut, als der Moralist, seine Lebensregeln auf eine Quart-Seite bringen – Doch lege nur einstweilen deine Gegenbeweise,« streckte er ungeduldig seine Feder einem Lesepult zu, »dorthin neben Zimmermanns Erfahrungen, und wenn du nichts besseres vorhast, so besuche indeß so lange unsere Hörsäle, Professoren, Kirchen, Armen-Anstalten, oder was du sonst willst, bis ich dir wieder zu Diensten seyn kann.« »Du bist heute kurz angebunden, lieber Jerom,« erwiederte ich. Statt zu antworten, reichte er mir, mit einem Blick, der mir ans Herz ging, die Namen-Liste aller der Leidenden hin, die auf Strohsäcken und seidenen Betten nach baldigem Trost aus seinem Munde [272] ächzten, tunkte seine Feder frisch ein und schrieb weiter. Ich erschrak über dieß übernächtige schwarze Register so sehr, daß ich, wie von Gespenstern verfolgt, aus seinem Museo nach dem unerträglich leeren meinigen flog. Hier, nach einem kurzen Besinnen, versuchte ich das möglichste, um mich aufzuheitern, aber es ging nicht. Umsonst durchbilderte ich eben so zaghaft meine leicht zerbrechliche historische Scheiben-Sammlung, als mit poetischer Dreistigkeit jene noch im Archiv der Liebe verschlossene, von Agathens Reizen; aber auch diese so oft erprobte Linderung wollte nicht anschlagen. Fort dann, rief ich, in die freie Luft! und machte mich mit meinem verstimmten Instrumente auf den Weg, spannte die Saiten aufs höchste, brachte aber doch nichts, als Mißtöne hervor. Nach einem irrenden Spaziergang längs dem Kanal, schlenderte ich verdrossen auf den Marktplatz, und, nachdem ich hier und dort lange genug andern im Wege gestanden und von dem Vorgesehn der Lastträger, die den geraden ihrigen gingen, erschreckt worden war, flüchtete ich, einfältig genug, dem deutschen Kaffee-Hause vorbei in das holländische. Da hatte ich es vollends getroffen! An der Vaterlandsche Courant, die man mir hinschob, war mir so wenig gelegen, als an einem Glas Genever, das man mir vorsetzte, und bei der schwatzenden Gesellschaft, die sich in langsamer Bewegung durchkreuzte, verunglückte mir jede höfliche Annäherung. Meine Wetter-Beobachtungen und andere dergleichen unschuldige Einleitungen zum Gespräch, mit denen ich in Berlin recht gut durchkomme, machten hier nicht den geringsten Eindruck. Ein kurzes ja well myn heer war der ganze Weihrauch, den mir hier und da einer aus seiner Pfeife unter die Nase blies. In Avignon, Marseille und andern artigen französischen Städten sah ich mich oft noch Stundenlang von einer hübschen Aufwärterin, oder einem gesprächigen Marqueur aufgehalten, wenn ich schon meinen Hut von der Wand gelangt hatte. Hier bekümmerte sich keine Seele darum. Man ließ mich ruhig über die Schwelle, sobald ich mein Doppelchen für die Ansicht des mir zugemutheten Aquavits auf den Teller gelegt hatte.

Schmollend, ohne recht zu wissen, ob über die hiesige oder [273] meine gewohnte Lebensweise, schlug ich einen längern Umweg durch schnurgerade Gassen, nach – wie soll ich es nennen? nach einem leidlichern Gefühl ein, und gerieth, als wenn heute ein böser Geist sein Spiel hätte – unvermuthet an das Eckhaus, wo ich ehemals gewiß bequemer wohnte, als Peter der Große während seiner Studien des Schiffsbaues zu Sardam. Ein struppiger Tituskopf streckte sich jetzt aus demselben Schubfenster vor, aus welchem ich sonst mit gekräuseltem Haar über die vier Fakultäten hinweg in die offene Welt lachte. Noch immer, wie zu meiner Zeit, verzierten japanische Blumentöpfe das Ruheplätzchen des Erkers, wo ich so oft Jerom die Schweißtropfen von der Stirne trocknete, wenn er ermüdet aus dem botanischen Garten zurückkam. Die drei Universitäts-Jahre, die ich als Miethmann neben seiner Studierstube – ach, ich mag es einkleiden, wie ich will, – gedankenlos, – aber das muß auch wahr seyn, – sehr jovialisch vertändelte, gaukelten mir in der lebhaftesten Erinnerung vorüber. Dennoch ward es mir auf einmal so unheimlich in der Nachbarschaft dieser meiner Jugend-Herberge, daß ich mir den Sporn gab und mit dem immer beibehaltenen Eifer für die Naturgeschichte, den Meerwundern auf dem Fischmarkt einen fliegenden Besuch machen wollte; aber kaum war ich um den Laternen-Pfahl herum, so stieß ich – da ich es in dieser Prüfungs-Stunde gerade am wenigsten wünschte, – auf meinen lieben Schulfreund, den in allen Gassen beschäftigten Jerom. »Wo kommst du her?« warf er mir im Fortgehen die Frage vor. »Von der Betrachtung« – rieb ich mir die Stirn – »unserer ehemaligen Wohnung, und du?« – »Aus der Marterkammer,« erwiederte er, »einer zum erstenmal gebährenden, – aber nun mit dem frohsten Erstaunen belohnten Mutter, der ich eben die Ausbeute eines schönen Jungen zu Tage gefördert und an die bebende Brust gelegt habe. Jetzt gehe ich, wenn du mit willst, in das Arbeitshaus, um ein wenig auszuruhn – und dann in der Nähe dort, zu dem ungeduldigsten Domine von der Welt, um ein ihm sehr dienliches Quartanfieber zu bewillkommen, das – er sah nach der Uhr – in Zeit einer halben Stunde eintreffen wird.« »Wohl bekomme dir, lieber Jerom,« [274] hing ich mich gähnend an seinen Arm, »deine Visite beim Domine und deine Ruhestunde im Arbeitshause. Dazu wäre mir eine Bilder-Gallerie lieber, wenn eine da wäre.« »Das ist dir zu glauben,« lächelte er, »leider nur sind dergleichen Asyle des Müssiggangs – das mußt du ja von Alters her wissen – bei uns nicht hergebracht. Wir benutzen unsere Säle zu nothwendigern Dingen – nicht aus Geringschätzung der Kunst und des Geschmacks,« antwortete er meiner spöttelnden Miene – »denn wie viele unserer wohlhabenden Einwohner besitzen nicht Sammlungen von den schönsten Gemälden, aus denen man eine größere, als die Düsseldorfer ist, zusammensetzen könnte.« »Ja, ja,« nickte ich mit dem Kopfe, »wohl Schade um die Meisterstücke der niederländischen Schule, – um Eure Rembrands. – van Dyks – Gerhard Dauws – Wouvermanns und de Wit's, deren so viele noch in den Achter- undBinnenkammern und Comptorchen gemeiner Bürger, unverantwortlich zerstreut und dem ehrsamen Publikum versteckt sind. Herkömmlicher Weise? sagst du. Nun ja! aber ich möchte auch wohl wissen, was es in Holland nicht wäre? von seinen Gesetzen und Sitten an, bis auf die Physiognomie seiner Gärten, Dörfer und Städte. Der Genius der Zeit vermag nichts über das ewige Einerlei Eures mit Recht bewunderten Landes, wenn man es nämlich zum erstenmal sieht; käme aber auch ein Reisender wieder nach hundert Jahren zu Euch, ich wette, er findet weder eine modische noch ästhetische neue Anlage, oder eine merkwürdige Erscheinung unter Euerm Horizont, die vorher noch nicht da war.« »Das will ich dir,« endigte Jerom unser Gassen-Gespräch, »nächsten Tages durch den Augenschein widerlegen,« und so trennten wir uns am Thore des Werkhauses, bis uns der Mittag wieder zusammen brachte. In einer holländischen Stadt tritt er pünktlich – fast so spät, als in Regensburg, aber, als Nothhülfe der, aufs genaueste berechneten, physisch errungenen Erschöpfung, so reich ausgestattet, als dort, ein, schreitet abgemessenen Gangs von einer nahrhaften Schüssel zur andern fort, bis unter den zusammenfließenden Nebeln des Thees, Tabaks und der Kanäle die Stunde der Verdauung und gesellschaftlichen Unterhaltung über die Ernte-Tabellen [275] der Börse, protestirten und acceptirten Wechsel, geglückten oder mißlungenen Spekulationen, anbricht. Da ist es denn kein Wunder, wenn während dessen unser Eins sich nach den ganz andern Zeitverkürzungen in Berlin zurück sehnt.


Den 27sten März.


»Und wenn du nun,« sagte Jerom, als ich beim Frühstück des Heimwehs, das mich gestern befiel, und der Bewegungsgründe erwähnte, die es auch heute noch, laut genug, unterstützten, »jene Zeitkürzungen erreicht hast, – die ich dir wohl so fein zergliedern wollte, als den unnatürlichen Auswuchs eines schwammigen Körpers – wirst du dich darum in deiner spekulativen Schlafkammer, – wie ich sie einstweilen so nennen will – glücklicher und großherziger zu Bette legen, als ein betriebsamer Spediteur allgemeiner Bedürfnisse – ein Banquier von Kredit – ein thätiger Negociant in der seinigen? wirst du von deinem Ausflattern in den leeren Raum der vornehmen Welt weniger ermüdet und zufriedener zurückkommen, als jene von den Schiffswerften, – den Packhäusern und der Börse? Kannst du aus deiner erhabenen Sphäre – können alle, die dir gleichen, wohl das Herz haben, mit Stolz auf unsere Demuth – mit Neid auf unsern Erwerb – mit Spott auf unsere einfachen Erholungen herunter zu sehen? Gesetzt sogar, lieber Wil'm, laß uns immer einmal ernstlich darüber sprechen, du könntest deine viel bedürfende Weichlichkeit in Allem befriedigen und stiegest nur an Blumen-Geländern, erst nach einem Sekulo, wie Fontenelle, ins Grab, würde dein langgedauertes Daseyn, bei allen genossenen Freuden, verdienstlicher, als das unsere, und die Erde dir darum leichter werden, als uns und allen und jeden dienstbaren Bienen an dem großen Honigstocke der Welt? – –«

Dergleichen Hohlspiegel lasse ich mir nun nicht gerne lange vor's Gesicht halten, drum drückte ich dem Redner, als wenn es aus dankbarem Gefühl geschähe, stillschweigend die Hand und ließ ihn, um nicht als Raub-Biene seinen Stachel zu reizen, so viel Wachs, Saft oder Wasser, als er fortschleppen konnte, den Zellen [276] seiner summenden Mitgehülfen zutragen. »Ich gönne,« murmelte ich hinwärts nach meinem Schreibtisch, »dem fleißigen Gewürm seine Freude von ganzem Herzen. Mehr kann ich, mehr kann ein Kammerherr nicht thun. Unsere zwar schön vergoldeten Schlüssel – übrigens aber, das wissen wir alle, von dem schlechtesten Metall, können freilich weder Vorraths- noch Werkhäuser öffnen, denn sie öffnen gar nichts und schließen nirgends, müssen jedoch, wie alles in der Welt, zu etwas nütze seyn, weil sie da sind.« Bei dieser tiefsinnigen Ausrede ließ ich es einstweilen bewenden.


Den 30sten März.


Es war mir die paar Tage her ganz unlustig zu Muthe, und dabei recht Angst, daß Jerom mit Untersuchung meiner handschriftlichen Beichte nicht so geschwind fertig werden möchte, als ich abzureisen wünschte, denn er erwähnte derselben bis heute Morgen mit keiner Sylbe. Er habe, führt' er zur Ursache an, in meinem Prozeß mit der Moral – ein sonderbarer Ausdruck – manche Seiten mehrmal überlesen müssen, um meine Sophistereien ins klare zu setzen, und sein Endurtheil doch auch nicht eher abgeben mögen, bis er nicht erst selber darüber mit sich einig geworden wäre, müsse aber zu seiner Schande gestehen, daß es ihm damit nicht besser geglückt sei, als den meisten Fakultisten mit Kriminalakten. »Meines Dafürhaltens,« fuhr er fort, »thust du am klügsten, du stellst deine Sache der öffentlichen Meinung und der Mehrheit der Stimmen anheim. Hätte dem Vagabonden, werden nun Wohl die meisten Leser mit mir übereindenken, immer ein Arzt, wie Sabathier, ein Mentor, wie Saint-Sauveur, zur Seite gestanden, seine Reisebeschreibung wäre Zweifels ohne nicht minder erbaulich und nützlich für unsere Kinderstuben ausgefallen, als weiland die Fenelons vom Telemach; denn sich selbst überlassen, belehrt uns sein Tagebuch nur zu deutlich, kommt er in allem Guten eher zurück als vorwärts.« Ich schickte mich an, meine Einwendung dagegen vorzutragen, aber, »Auf den Abend« unterbrach er mich, »wenn mein Tagewerk vollbracht seyn wird, das Weitere davon!« [277] entfernte sich und läßt mich sonach noch immer über seine endliche Entscheidung in Ungewißheit.


Seit der Theestunde ist meine Angst vorbei. Mein Tagebuch – kann ich Dir nicht eilig genug zu wissen thun, – hat die letzte Probe, die ich noch erwartete, hat nun mit der seinigen die Kritiken zweier gleich großen Welt- und Menschenkenner, als es nicht leicht nach ihnen einer wieder vor die Brille nehmen wird, überstanden. Wie viele deutsche Bücher mögen wohl dieselbe Aufmunterung vor sich, und einen so schönen Beruf haben, ihre Wurzeln auf dem vaterländischen Boden weiter zu schlagen. Nur nicht so verwundert gethan, mein lieber Eduard! Du wirst doch wohl nicht immer meinen Autor-Kitzel für Scherz gehalten haben, wenn ich mit lachendem Munde davon sprach, denn kann man denn wohl von diesem Jucken sprechen, ohne selbst darüber zu lachen? Ich unterliege ihm jetzt vollends, so schwach als ein Kind. Weder Dein Ernst, noch Dein Spott darüber sollen mich anfechten, denn wenn uns, sage ich mir, ein längst todt geglaubter Freund nach unendlichen überstandenen Gefahren zu Wasser und zu Lande, auf einmal, frisch erhalten und lustig in die Stube gepoltert kommt – laß ihn selbst schmutziger erscheinen, als den verlornen Sohn in der Bilderbibel, wie verschränkt müßte das Herz seyn, das nicht in der unaussprechlichen Freude des Wiedersehens, wenigstens seine Hausnachbarn, Blutsfreunde und andere liebe Bekannte, zusammen trommelte? Und ist das nicht ganz der Fall mit mir, meinem Tagebuche und seinen Lesern? Freilich – kann ich nicht läugnen – hätten seine beiden ersten Besichtiger gern verschiedene der Malereien, die es mitbringt, retouchirt, einige verschliffen, andere wohl gar, in der andächtigen Stimmung des verstorbenen Herzogs von – – – – vernichtet, um den Hofdamen kein Aergerniß zu geben. Was sagen aber auch die Freunde der Kunst zu seiner Bilderstürmerei? Er verschonte so wenig die Unschuld der Bathseba, als den trunkenen Lot mit seinen Töchtern, von van der Werft – weder Rubens fleischige Grazien, noch die schlankesten [278] badenden Nymphen von Albano – ließ von seinem Kabinetsmaler alle akademische Nuditäten in der väterlichen Verlassenschaft, je reizender sie waren, desto eher, aufs neue grundiren und erbaulichere Figuren darauf setzen. Nun sah es freilich kein Mensch dem König David mit der Harfe, den Prinzessinnen des Hauses, oder andern Familien-Portraits an, was hinter ihnen steckte, und der Teufel konnte sein Spiel so wenig damit treiben, als der Herzog selbst, denn er starb ohne Kinder.

Meinen armen Zeichnungen wäre es, wie gesagt, nicht besser ergangen, hätte es nur ohne Nachtheil des Zusammenhangs so leicht geschehen können, als in jener fürstlichen Bilderkammer.

Aber St. Sauveur, der sie aus dem Feuer riß, ließ seine, zum Versuch des Ausbesserns erhobene Hand so gut sinken, als Jerom, der mir mein Portefeuille nach dreitägiger Durchsicht mit einer Erklärung so eben wieder zurück gebracht hat, die ich lieber verschwiege, wenn ich etwas zu verschweigen gewohnt wäre. »Hier, Wil'm,« trat er mit einem Lächeln, das mir nicht gefiel, in mein Zimmer, »hast du deine – wie du sie zu nennen beliebst, – Recepte wieder. Als Arzt weiß ich gar nichts damit anzufangen.« – »Gar nichts?« fiel ich ihm in die Rede. »Das ist arg!« »Und als Philosoph,« fuhr er ächt holländisch fort, »eben so wenig.«

»Gieb dein Werk aus, für was du willst, nur nicht für ein moralisches Vehikulum – dazu ist und bleibt es verdorben. Das wenige Gute, was hier und da darin, gleich Waizenkörnern unter Spreu, verstreut liegt, würde keine Hand voll dienlicher Aussaat betragen, wenn man sich auch die undankbare Mühe geben wollte, sie von ihrem Unrath zu sichten. Und wem könnte am Ende auch wohl auf einem Erdstrich, der von Kultur so strotzt, wie dein Vaterland, mit solch einer Kleinigkeit gedient seyn?« Ich runzelte die Stirn und schlug die Augen zu Boden. »Deine Offenherzigkeit,« fuhr er nach einer zwar kleinen, aber doch immer sehr demüthigenden Pause fort, »und die Wahrheit deiner Ohrenbeichte, ob sie schon der neugierigste Sündenerforscher weniger treu wünschen würde, verdient indeß –« ich schöpfte wieder Athem – »einige [279] Schonung. Es steht vielleicht zu hoffen, daß sie manchen Verstockten, der sich vor Priestern und Leviten weiß brennt, zum erstenmal schamroth mache – Gott gebe, daß es nur nicht auch in weiblichen Engeln das Blut hebt! – und dieß ist beinahe das einzige, was mich abhält, auf gänzliche Unterdrückung deiner buntscheckigen Selbstbekenntnisse zu stimmen. Möglich auch, daß sie andere, der Sittlichkeit noch schädlichere Schriften – sophistische Romane – kasuistische Betrügereien – aus den Lesezirkeln verdrängen, und so kann man freilich nicht wissen, ob du nicht zufällig der Welt wohl gar noch einen Ritterdienst leistest.«

»Die scharfe Lauge, welche Kunstrichter,« setzte er ironisch hinzu, »über den Verfasser ausgießen werden, soll es übrigens wohl verhindern, daß dieser nützlichen Tagebücher nicht zu viele entstehen, denn ihre Vervielfältigung könnte leicht ein anderes Unglück anrichten, das den, ohnehin zweideutigen Werth des deinigen weit überwöge, nämlich« – ich horchte hoch auf – »daß leichtsinnige, kurzsichtige Jünglinge die Fehltritte, deren du auf deiner paarmonatlichen Reise so viele begingst, und unbefangener, als nöthig war, eingestehst, für den, allen vernünftigen Menschen gewöhnlichen Fortgang zur Erkenntniß hielten, und aus Furcht, eine Ausnahme zu machen, immer weiter von der rechten Straße abkämen.« Ich war heilfroh, daß der liebe Strafprediger abgerufen wurde, aber er kam nur zu bald, und zugleich auf seinen verlassenen Text wieder zurück. »Da haben wir,« warf er ingrimmig seinen Hut in die Ecke, »die Folgen eines unbewachten Lebens in terminis. Eben komme ich von dem Bette des Elends eines jungen Mannes, der mit der langwierigsten aller Todesarten – mit der Schwindsucht kämpft, und Vergehungen an der wohlthätigen Natur mit der Rückendarre büßen muß. Wehmüthig hängen seine hohlen – an den großen blauen, thränenden Augen einer ihm seit kurzem unverdient zu Theil gewordenen liebenswürdigen Gemalin, deren Umarmung ich ihm als einen Meuchelmord untersagt habe, durch den er die Schuld seiner Selbstentleibung – es ist schrecklich zu denken – noch in der Verwesung bis zum Greuel seines Andenkens vergrößern, und über seinen Grabhügel eine Saat von Nesseln verbreiten würde.«

[280] »Die einst so frischen Bilder seiner, der Wollust geopferten Tage umgaukeln jetzt als verzerrte Masken sein Lager, und jene grausamen Spielwerke seiner tändelnden Hand – jene der Unschuld abgelockten Schleier, fallen jetzt, als so viele drückende Leichentücher, über sein brennendes Haupt. Bange, schlaflose Stunden treten an die Stelle verlaufener flüchtiger Freuden, und verkümmern ihm, gleich unbarmherzigen Gläubigern, die Schlußrechnung seines vergeudeten Lebens. Aerzte, Philosophen und Priester stehen niedergeschlagenen Gesichts vor dem nach Beruhigung Aechzenden; denn welche Kunst und Wissenschaft vermöchte solch ein Verschmachten – diese Seelenangst – dieß Grausen vor der Zukunft zu heben?« »Halt ein, lieber Jerom,« unterbrach ich ihn, »solche schauderhafte Gemälde kann nur ein Arzt, wie du, kann nur ein Zergliederer entwerfen, der eines schneidenden Messers gewohnt ist.« »Nein,« erwiederte er, »ich stelle dir nur eine von den täglichen Erfahrungen für jeden Beobachter entgegen, der seine Augen gebrauchen will. Dir selbst sind ähnliche Trauergestalten auf deinen Schleifwegen begegnet, du hast sie oft treu genug abgezeichnet, aber ihren Eindruck immer wieder durch schnellen Uebergang zu andern leichtfertigen Bildern geschwächt. Das ist der größte Vorwurf, den ich deiner Art zu malen mache, ob ich dich gleich zu gut kenne, um dir eine gottlose Absicht dabei Schuld zu geben.«

»Kannst du, zum Beispiel, bei der öffentlichen Ausstellung, die du vorhast, und zu der sich, wie gewöhnlich, gewiß mehr neugierige, unerfahrne Müßiggänger drängen werden, als unbestechbare Kenner, jenen Avignonischen Zeichnungen ihre verführerische Wirkung benehmen?« »Ja, das kann ich,« hielt ich ihn beim Aermel, da ihn eben ein Billet von einer kritzelnden weiblichen Hand, bei dessen Durchlesen er die seine einigemal an die Stirne, und die Augen mit sichtbarem Entsetzen in die Höhe schlug, schnell auszugehen nöthigte, »wenn du mir erlaubst, nur diesen einzigen Fall deiner Praxis in mein Tagebuch einzutragen, ich will dich auch gern nicht über den Brief noch abhören, der dich eben so gewaltig erschreckt hat. Für meine Kunden wird schon dieser Erguß deines empörten menschlichen Herzens hinlänglich und der beste [281] Temperirtrank seyn, den ich ihnen neben jenen französischen Philtres vorsetzen kann, die ich an der Gränze gegen deutsche Quacksalbereien eintauschte. Es müßte doch wunderlich zugehen, wenn sie nicht ihre eigene Vernunft über den Gebrauch des einen und den Mißbrauch der andern verständigte.« »Meinst Du?« brach er die Unterredung kurz ab, nahm seinen Hut und überließ mich meinem Protokolle.

Und so möge denn meine Hoffnung zu Euch, Ihr meine jungen, leicht zu befangenden, oft allzugefälligen Leser nicht fehlschlagen!

Vorstehendes Gespräch mit einem der ehrlichsten Laboranten guter Tisanen für Körper und Geist, das ich Euch so frisch hinreiche, als jene Frühlings- und Herbstblumen, die ich, ein bloßer Dilettant in der Botanik, mit Kletten und Disteln, bunt durch einander, wie sie mir auf meinen Wanderungen in die Augen fielen, zu einem Strauß band, ist mir, ich gestehe es, schwer über die Feder gegangen.

Dafür aber auch, dachte ich, muß diese heroische Verläugnung der Eigenliebe am Schluß eines Tagebuchs in allen guten Seelen eine ganz andere Rührung bewirken, als der Eingang der Selbst-Bekenntnisse meines großen Vorgängers. Gutmüthiger – fühle ich mit innerer Zufriedenheit, hat sich wohl nie ein deutscher Autor gegen seine Leser – und wenigerschlau gegen die Recensenten benommen. Ja, selbst wenn jene – ich erstaune über die männliche Entschlossenheit meines Herzens – auch noch St. Sauveurs Brief einzusehen, und diese, die sich auch damit nicht abfertigen lassen, eine Geißelung von meinen eigenen Händen verlangen, die bis auf's Blut geht. Auch das! Man lasse mich nur erst Berlin und meine Studierstube wieder erreicht haben.


Den 1sten April.


Heute also, Nachmittags, will Jerom mich mit der Seltenheit seines Landes, auf die er mich vorgestern vertröstete, bekannt machen, die wir selbst, setzte er jetzt noch hinzu, während unserer akademischen Lehrjahre, wo uns doch kaum etwas unglaublich vorkam, nicht für möglich würden gehalten haben, und bis jetzt noch in [282] keinem bekannten Erdstrich, außer Italien, zur Reise gediehen wäre. »Im Freien?« fragte ich. Er bejahete es. »Nun so wird es Zuckerrohr, Ananas – oder wohl gar die beste Frucht der Welt, die Mangostine seyn, die ich auf St. Sauveurs Hochzeit, eingemacht nur, schon über allen Ausdruck vortrefflich fand.« Er ging von mir, ohne zu antworten, bestellte die Mahlzeit eine Stunde früher und zugleich den Roef 1 für uns beide allein auf der Amsterdamer Treckschüte.

Mag es doch seyn, was es will! Nil admirari war Rousseaus Devise und soll auch von heute an die meinige sehn.


Wenn Du etwa dachtest, ich sei zur Feier des heutigen Tages in April geschickt worden, so hast Du zu früh gelacht, guter Freund. Nein, ich habe heute – an dem letzten Abend meines Hierseyns und sonach recht zur gelegenen Zeit einen in der That höchst merkwürdigen Schlußstein für das Gewölbe meines Tagebuchs nach Hause gebracht und lasse nunmehr der patriotischen Behauptung Jeroms volle Gerechtigkeit widerfahren. Für die unserer Maschine so nöthige Erholung nach einer guten Mahlzeit kenne ich doch nichts zweckmäßigeres, als eine holländische Treckschüte. Unsere Fahrt wie auf Oel, von Leyden bis zu einem der nächsten Dörfchen, dauerte etwa Dreiviertel-Stunden.

Nachdem wir zwischen den freundlichen Gestaden des Kanals, wie an den Säumen eines aufgerollten Atlasbandes, vielen kaufmännischen Ruhepunkten zum Natur-Genuß eines Tages in der Woche, mehrern hölzernen Landungs-Plätzen am Rande – unzähligen Warnungstafeln vor Fußangeln – den Schlangenstäben manches Merkurs, der als Hausgötze von seinem Hochaltar über die Hecken blickte – und allen den thönernen Fama's, die zu blasen drohten – glücklich vorbei, kraft eines Enterhakens an einen Fußsteig ausgesetzt wurden, der hundert Schritte davon einem kleinen Flecken zuführte, – stand Jerom auf einmal bei einer freiliegenden [283] Bude, gleich einer Laterne, still, aus der uns, unter einem Aufbau lieblicher Blumen und Früchte, ein noch anlockenderes Mädchen-Gesicht entgegenfunkelte.

Die Schöne, als hätte sie unsern Besuch erwartet, öffnete – und ich blickte verwundert auf meinen Anführer – ihre Glasthüre.

Er trat mit mir ein, schob den Nachtriegel vor, ließ die flohrnen Vorhänge an den Fenstern herunter und versetzte uns in eine künstliche Dämmerung, vor der ich beinahe erschrak. »Wie gefällt dir,« raunte er mir nun halb laut in's Ohr, »dieß liebe Kind?« und reichte ihr vertraulich die Hand. Ach mehr als zu wohl, dachte ich, aber zu einem Naturwunder gehört doch noch mehr, als ein paar blaue schmachtende Augen, ein lächelnder rosiger Mund und Grübchen – zum Versinken des Kusses – in den verschämten Wangen. Er schien der Entwickelung meiner Gedanken, Schritt vor Schritt, wie ein in der Gegend einheimischer abgefeimter Spion zu folgen und brach sein listiges Stillschweigen endlich mit der verfänglichsten Gewissensfrage: »Du hast, lieber Wil'm, ich weiß es, vieles Schöne und Ausgezeichnete in der weiblichen Welt, – aber hast du wohl je mehr anspruchlose Grazie, eine unverstecktere reine Seele in einer fröhlichern jungfräulichen Bildung gesehen, als die, mit der ich heute einen so lüsternen Reisenden, als du bist – in April schicke?« Ob ich je etwas reizenderes gesehen habe? fing ich heimlich seine Frage auf – O ja! Margots Jugend blühte einem noch reichlichern Erntefeste entgegen – Klärchen konnte die Augen noch sittsamer niederschlagen, ohne daß sie mich in April schickte – und o mein Gott! vollends Agathe – aber wie kann der ehrliche Mann ein unschuldiges Mädchen – gleich einem Sklavenhändler zu Tunis, so in's Gesicht loben! Die Kleine konnte vor Verlegenheit kaum athmen, ob sie schon an solche Ausstellungen einigermaßen gewöhnt schien. Ich fühlte immer mehr Mitleiden mit ihrer beleidigten Bescheidenheit, je länger ich das bängliche Steigen und Sinken ihres mousselinenen Halstuchs verfolgte. »Nun, lieber Wil'm,« weckte mich endlich Jerom aus meiner tiefen Betrachtung, »du willst ja ein Physiognomist [284] seyn; erräthst du noch immer nicht?« – – – »Was soll ich denn errathen?« staunte ich schweigend bald ihn, bald die räthselhafte Blumenhändlerin an. »So wisse denn,« zog er mich nach einer peinlichen Weile, durch die er meine Zweifelsucht von vorgestern nur zu sehr bestrafte, aus meiner lächerlichen Ungewißheit, »daß unter dieser jugendlich kostbaren Hülle – erröthen Sie nur nicht zu sehr, gutes Kind – ein noch größerer Vorzug verborgen liegt, der nicht für so national, als jene, sondern für eine, unter unserm Horizont ganz unerhörte Seltenheit gelten muß – eine – warum wirst du so unruhig, Wil'm? – eine ländliche Muse, eine holländische Improvisatorin.« – »Du willst scherzen,« zischelte ich ihm mit ganz sonderbar beklemmter Brust in's Ohr. »Nichts weniger,« antwortete er laut. »Du hast doch Pergament und Bleistift bei dir? Nicht wahr, liebe Emilie, Sie erlauben diesem ungläubigen Herrn, die Probe mit Ihnen zu machen?« Diesen Ausgang hatte das schöne Landmädchen vermuthlich besser vorausgesehen, als ich. Daher ihre vorige schamhafte Verlegenheit und ihr jetziges freundliches Nachgeben. »Ich würde es nicht wagen,« stotterte sie in angenehmer Verwirrung – »meinen Waldgesang einem Ohre vorzutönen, das durch große Virtuosen so verwöhnt ist, als ein deutsches – aber mein Arzt, mein Beschützer, verlangt es, und ich bitte Sie, mein Herr, mir ein beliebiges Thema anzugeben, aber ja nur eins, das mir nicht fremd ist, und keinen Tiefsinn verlangt.« »Nun bei Gott!« – erwiederte ich und schlich in der Tasche meiner Schreibtafel nach, »wenn es Ernst ist, so wüßte ich kein schicklicheres vorzuschlagen, als Ihr eigenes schönes Gewerbe, das für die phantasirende Dichtkunst wie gemacht ist, mit einem freundlichen Hinblick,« setzte ich scherzend hinzu, »auf Ihren ausländischen Zuhörer, denn er handelt auch mit Blumen und Früchten wie Sie.« »Ja,« fiel mir der ironische Jerom in's Wort, »nur mit dem Unterschied, daß die seinigen Sprößlinge einer verdorbenen Einbildungskraft und in den österreichischen und andern ehrbaren Staaten Konterband und verboten sind.« Das unschuldige Landmädchen stutzte und ich war höchst ungehalten auf den Schwätzer, der jedoch auf das artigste wieder einlenkte. »So [285] sprechen wenigstens,« lächelte er, »geschworne Fiskale – verunglückte Spediteurs verlegener und im Preis gefallener Spezereien – Krämer, Höker und Aufkäufer, die gern den Alleinhandel auf dem Markte mit geschmacklosem Konfekt und dürrem Obste forttrieben und schelsüchtig ihren alten Kunden nachblicken, wenn sie ihren prahlenden Magazinen vorbei, der natürlichen Gottesgabe zuströmen, die der junge Herr sich nicht einmal die Mühe giebt, etwa durch bezahlte Zettelträger auszurufen und anzupreisen, um ihnen Abgang zu verschaffen.«

Ich wußte nicht recht, wie ich mit dem Redner dran war. Er traf zwar meine Gedanken so ziemlich, aber ich stehe doch nicht dafür, ob seiner fein gedrehten Erläuterung nicht eine neue Spötterei unterlag. Die kleine allerliebste Aktrice nahm jetzt eine ganz andere – recht malerische Stellung an. Nach der Bewegung ihrer niedlichen Hände gegen die Strohkörbchen voll Erdbeeren, Schoten und frühzeitigen Pfirsichen – nach der Wendung ihrer bescheidenen Augen gegen die chinesischen Vasen mit Rosen und Hyacinthen – und nach andern kleinen erlaubten Kunstgriffen zu urtheilen, schien sie sich einen Schwarm Marktleute vorzustellen, von denen die meisten aus Leckerei, einige aus Neugier, die wenigsten aus eigentlichem Bedürfniß die Bude umringten. Aus ihrem Mienenspiel ließ sich ohne Schwierigkeit errathen, daß sie die einen beizulocken, die andern zu entfernen, und wenn neidische Aufpasser darunter wären, ihnen im Vorbeigehen einen Kirschkern auf die Nase zu schnellen, im Sinn hatte.

Holländische Volkslieder sind nicht leicht ins Deutsche zu übertragen, doch bin ich nach Möglichkeit der jungen Blumen-Verkäuferin auf ihrem poetischen Ausflug so treu nachgeschwebt, als ich es auf ihrem prosaischen Lebensgang thun würde, wenn es nur meine Zeit und Agathe erlaubten. Ich theile Dir, lieber Eduard, von dem Erguß ihres freispielenden Geistes so viel mit, als meine schwere deutsche Bleifeder nur auffassen konnte. Hätte sie aber auch keinen Tropfen unterweges verschüttet, so würden dem schönen Ganzen doch immer noch die Apostrophen ihrer Augen, ihre sonorische Stimme und die rednerischen Uebergänge ihres belebten [286] Busens fehlen, um auf andere Ohren denselben Eindruck zu machen, als auf die meinigen. O daß doch in meinem Vaterlande eine gewisse gleich liebenswürdige Emilie, die, obgleich des erhabenen Ossians Freundin, doch auch in Etwas die meine ist, es in einer warmen Sommerstunde versuchen möchte, meine Orangen und Amathusäpfel auszurufen. Ich wette auf Leib und Leben, sie fänden in allen Häusern Eingang und Käufer unter dieser Bedingung.

Unbefangen, wie ein gutes Kind, lächelte die kleine Holländerin, hüstelte ein wenig und stimmte an:


Behagten Euch nur solche Waaren,

Wie sie, gestempelt und verzollt,

Minervens Polterkarrn von Jahren

Zu Jahren auf die Märkte rollt;


So, Freunde schlüpftet Ihr vergebens

In meine Bude. Ein Gericht

Zur Stärkung auf dem Gang des Lebens

Ist höchstens, was sie Euch verspricht.


Ich hab' auf meinen Rasentischen

Nur Näschereien ausgelegt,

Die mir, den Wandrer zu erfrischen,

Mein Gärtchen leicht zusammen trägt.


Ist gleich mein Blumenkranz kein Zeichen

Für eine Modehändlerin,

So lockt er doch, denn bei ihm streichen

Der Fahrweg und der Fußsteig hin.


Auch graut der Morgen kaum, so halten,

Wie Wetter, Wind und Zufall will,

Ost unerwartete Gestalten

An meiner Tonnen-Nische still.


Wie viele nähern meinem Zaune

Sich nicht um eine Hand voll Schleen,

Wenn Bücher-Ueberdruß und Laune

Mit ihrem Geist ins Grüne gehn.


Den Richter, der mit krauser Stirne

Zu einer Ehescheidung trabt,

Hat manchmal eine Jungferbirne

Aus meinem Weidenkorb gelabt.


[287]

Aus meinem thönernen Pokale

Berauschte jüngst ein Priester sich,

Als er nach seinem Filiale,

Mit Schweiß betröpft, vorüber schlich.


Dem Mädchen, das, vom Stadtgewürze

Erhitzt, aufs Land nach Kühlung läuft,

Hab' ich, zu Pfunden, oft die Schürze

Mit Mirabellen angehäuft.


Bald sind' ich eine Federspule,

Bald eine Musterschrift im Gras,

Die ein Entlaufener der Schule

Im Morgenschmaus bei mir vergaß.


So oft sich meine Körbchen leeren,

Rück' ich mit neu gefüllten vor,

Mein Kontobuch? – – kann ich beschwören

So gut, als Rousseau seins beschwor.


Um vieles zwar säß' ich bequemer,

Wohl gar am Rathhaus unter Dach,

Ahmt' ich dem Proteus unsrer Krämer

In seinen Handelskünsten nach;


Der bald mit Perlen ferner Flüsse,

Mit Gold aus Ophir Wucher treibt,

Sein Salz und seine tauben Nüsse

Nur aus Elysium verschreibt;


Bald Engelsreinigkeit den Narben

Gefallner Unschuld unterschiebt,

Glanz dem Betrug und Rosenfarben

Verblühten Wangen wiedergiebt;


Bald auf dem Wollen-Raub der Herde,

Die ihn umblöket, eingewiegt,

Im Traum die mütterliche Erde

Bis an den Himmel überfliegt,


Und wohl noch wähnt, vom nächsten Sterne

Herabgeschneuzt und fortgeschnellt,

Er sei die größte Blendlaterne,

Die je das Weltall aufgehellt.


Doch, was ein Irrwisch aufgekläret,

Bleicht bald am Lichte der Natur;

Was sie erzeugt, ist nur bewähret,

Was sie bewährt, erhält sich nur.


[288] Ich will Dir nicht zumuthen, Eduard, diese Verse für so geist- und gedankenreich zu halten, als die Schillerschen und Vossischen sind, muß aber auch billig eingestehen, daß es weniger die Schuld des Originals, als der Uebersetzung ist. Trotz seines verwischten Kolorits denke ich doch, soll es als Impromtu eines jungen holländischen Landmädchens immer noch die Ehre des Drucks so gut verdienen, als so manches in unsern poetischen Wäldern.

Ich bin mit Jerom völlig einverstanden, daß, wenn auch unter der Torfasche dieses Moorlandes hier und da ein Funken dichterischen Feuers glimmen sollte, zu selten doch einer davon in Flammen schlägt, als daß nicht die ihrige für ein Meteor gelten müsse; und ich kann es keinem ihrer Mitbürger verdenken, der im Vorbeigehen sich einige Minuten von seinen Geschäften abmüßigt, bei ihr einspricht, um nur wundershalber zu sehen, wie sich ein roher gemeiner Gedanke poliren läßt. Wer wollte der kleinen Poetin nicht gern ihre Gartengewächse zehnfach theurer bezahlen, als einer prosaischen Hökerin, zumal da jeder ohne große Spekulation berechnen kann, daß sie durch diesen Handel, dem, so gering er scheint, doch auch kein drückenderes Kapital unterliegt, als das ihr Flora und Pomona vorstrecken, und Klio verzinst, schnurgerade der wahren holländischen Ehre entgegen steigt, reich – eine, wie man es nennt, gute Partie, und zuletzt wohl gar eine bedeutende Person in der Republik zu werden. Läßt sich's denn nicht erwarten, daß ein junger spekulativer Kopf auf dem romantischen, immer offenen Gange nach ihrem Komtor, gelegentlich auf den klugen Gedanken gerathen könne, die schöne Sängerin sammt ihrem jungfräulichen Erwerb in das seine zu verlocken? Er widme, wäre in diesem Falle mein unmaßgeblicher Rath, nur sechs – sieben Abendstunden der Woche zur Erholung nach gethaner Arbeit ihrem Besuche, lege zur Einleitung seines Kaufgeschäfts ihrer Muße erst eine unbedeutende laue, dann eine wärmere, darauf eine heißere und zuletzt täglich eine immer brennendere Empfindung nach der andern, ohne die entfernteste Hindeutung auf Sie, bloß zum Spielwerk ihrer dichterischen Ausbildung vor, und finde keine hinwelkende Blume, die seine Vorgänger am Tage übrig ließen, am Abend zu theuer, [289] um sie nicht zu ihrem Andenken nach Hause zu tragen. Das gute Kind, das nichts gefährlicheres dahinter versteckt glaubt, als woran es, seitdem sie zwei Worte zusammen reimen kann, gewöhnt ist, wird es, wie eine gereizte Nachtigall, immer schöner zu machen suchen und macht es immer schöner, bis sich ihre Federn sträuben und ihr das Herzchen darüber selbst zu pochen anfängt.

Ach ich müßte mich sehr irren, wenn die sanfte, unmerkliche Verschmelzung stündlich wachsender männlicher Baßnoten mit melodischem weiblichen Diskant, nicht zuletzt auf der Tonleiter des Lebens einen Einklang hervorbrächte, der nur einer mondhellen Nacht bedarf, um in das beredte Flüstern des Verlobungskusses überzugehen. Alsdann? Nun mein Gott, wäre es alsdann wohl so etwas unerhörtes, wenn in der Folge der merkantilische Umtrieb der einzelnen Groschen und Thaler, die sie ohne große Mühe und Kosten ersang, ihre Stroh-Körbchen, irdenen Aesche und Vasen in Tonnen Goldes verwandelte, die freilich einen ganz andern Respekt einflößen, als alles, was sie uns dermalen noch aus dem Gebiete der Natur Schönes und Gutes auftischt. Welche frohe Zukunft kann sich diese holländische Karschin nicht versprechen! wenn sie einst nicht mehr nöthig hat, an der Landstraße auf neugierige Käufer zu lauern – ihnen Rede zu stehen und jeden schalen Gedanken, den sie auskramen, in Verse umzusetzen, die, ihre heutigen ausgenommen, noch nie eine Druckerpresse erreicht haben. Dann erst wird sie sich fühlen und gebieten lernen – ihren eigenen guten Einfällen folgen und, indem sie mit heiterer Laune den glücklichen Erdstrich segnet, der den Keim ihres Talents als eine Wunderpflanze in Nahrung setzte, mit mitleidigem Lächeln auf unsere deutschen Witzkrämer und ihre Ladenhüter herabsehen. Sogar auf der Börse, wo Apoll und seine Anhänger sonst wenig Kredit haben, werden die vielen Nieten, die zum großen Loose ihres Heirathsguts beitrugen, den jungen Anfänger beneiden, dem es zufiel. Und doch, Eduard, würde mir das liebe Kind in der vornehmen Lage, in der ich zur Zeit noch keine der Musen sah, trotz der vollen Beutel, die Merkur ihr in den Schooß schüttet, schwerlich besser gefallen, als jetzt mit fliegendem Haar, ländlichem Mieder unter [290] ihren Blumen und Früchten. Ich wählte mir aus jenen ein freundliches Rosenknöspchen, der Aehnlichkeit ihrer Lippen, und ein Noli me tangere, der Unschuld wegen, die darauf ruhte, aus diesen aber ein paar tetons de Venus, die Linnée unter allen Pfirsichen für die schmackhaftesten hält. Höher sind mir aber auch in meinem lüsternen Leben keine zu stehen gekommen. Die liebe unbefangene Verkäuferin erröthete selbst über meine unmäßige Freigebigkeit und Jerom schüttelte den Kopf dazu. O hätten nur beide gewußt, woher sie entsprang. Sie hatte solche, im Vertrauen gesagt, weder dem Vorüberflug ihrer funkelnden Augen, noch den gleich vergänglichen Tönen ihres Mundes, – sondern den Lorberblättern zu verdanken, die ich in meiner Schreibtafel aus ihrem Glashause mitnahm, um das Monument meiner Jugendreise damit zu krönen. Ja, Eduard, der anspruchlose Waldgesang der liebenswürdigen Emilie beschließe mein Tagebuch. Hört man nicht alle möglichen Epiloge am liebsten aus dem Munde eines schönen unschuldigen Kindes, und kann man ein Koncert wohl artiger endigen, als mit einer unverdorbenen weiblichen Singstimme?

Wohl wahr! und doch ist es dem menschlichen Herzen eigen, daß keins, je behaglicher es auf dem Musikstrom fortschwimmt, ohne Unruhe an den letzten Bogenstrich, der ihn dämmt – ohne Verdruß an die sterbende Note denken kann, unter der sich ein sanftes Andante auflöset. Der wahre Virtuose fürchtet, wie seine lauschenden Zuhörer, im voraus die Todenstille des Saals, die nachfolgt, und so sah auch ich im Vorgefühl meines baldigen Verstummens dem lieben epilogirenden Kinde mit traurigem Nachdenken in das niedliche Gesicht; Jerom mußte mich mehr als einmal an das Fortgehen erinnern, und doch zögerte ich, bis das Glöckchen-Geläute der letzten abgehenden Treckschüte mir durch alle Glieder fuhr, und als ich nun in überströmender Zärtlichkeit dem guten Mädchen noch einmal meine Hand bot, ward mir so weinerlich zu Muthe, als ob ich von ihrem ganzen lieblichen Geschlecht, sammt den neun Musen ewigen Abschied nähme. So lange ich auf der Rückfahrt das schmucke Tempelchen noch in der Abendsonne blinken sah, war es mir nicht möglich, meine Augen nach einer andern [291] Seite, – meine Fantasie auf einen geringern Gegenstand, als auf die Nymphe zu richten, die es bewohnte. Ich schrieb ihrer Jugend, Schönheit, Unschuld und ihrem poetischen Talente so viele Festtage zu Gute, daß ich bis ans Leydener Thor nichts zu thun hatte, als sie, wie ein Mönch das Bild seiner Heiligen, aus- und anzukleiden, und mich vor ihrer Nische auf die Knie zu werfen. Ich erbat ihr allen Segen des Himmels zu ihrem jungfräulichen Gewerbe, das doch gewiß, man sage auch, was man will, ohne Vergleich edler, erlaubter und schmeichelhafter für ihre Kunden ist, als jenes, das ehemals die Harlemer Wirthin zum schwarzen Bock, und was sie etwa sonst noch, um Gäste beizulocken, im Schilde führte, auf eine Art trieb, die der lieben kleinen und, auf allen Seiten betrachtet, gewiß zehnmal reizendern Emilie nicht im Schlaf einfallen würde. Das soll aber auch das letzte Wort für Dich und meine zukünftigen Leser seyn. Morgen mit dem frühesten verlasse ich meinen Jugend- und Schulfreund, den würdigen Jerom. Er begleitete mich gern eine Strecke Weges, aber seine Kranken halten ihn bei dem Aermel. In einigen Tagen hoffe ich – ach welcher freudenvolle Gedanke, Eduard! Dich an mein Herz zu drücken. Denn da mich die himmlischen Gestirne während meiner Seereise um den Tag, auf dem ich zur Hochzeit des Märkischen Barons geladen war, eben so richtig gebracht haben, als sich durch ihren Einfluß der Weltumsegler Anson bei seiner Landung an der vaterländischen Küste, zu seiner großen Verwunderung, um einen in der laufenden Woche verkürzt sah; so kann mich nichts mehr, weder das Kalenderfest jenes schätzbaren Mannes, noch sonst ein Abweg auf meinem geraden Fluge in Deine Arme aufhalten.

Mein Glückwunsch zu der schlau verzögertern Besitznahme seiner Karoline soll das erste Geschäft an meinem Schreibtisch zu Berlin seyn; übrigens mögen immer noch Jahr und Tage hingehen, ehe ich meinen versprochenen Besuch bei ihm nachhole, da sich indeß auch wohl sein System vom ehelichen Glück mehr aufgeklärt haben wird, um es ruhiger und richtiger beurtheilen zu können, als in den ersten Probetagen Es soll mir lieb seyn, wenn sein schönes Weib, ein saugendes Kind an der Brust, das [292] durch den Aufschub seines Daseyns während des Herumstreifens des Vaters nichts verloren hat – wenn sein mit den kostbarsten Bruchstücken des Alterthums und der neuern Erfindungen der Bequemlichkeit zusammengesetzter ländlicher Pallast, glänzende Säle, die den Geist aller Nationen vereinigen – Wände mit den Meisterwerken der Titiane und Raphaele verziert – wenn täglich erneuerte Wunder der Kochkunst, fröhliche Gärten und im Ganzen genommen die Benutzung der freigebigen Natur zur Veredlung menschlicher Bedürfnisse – wenn, sage ich, diese Bedingungen schwesterlich vereint in einander greifen, um die sonderbare Propheten-Epistel des wirthschaftlichen Landjunkers auf das kräftigste zu widerlegen. Warf dieser Eiferer gegen die Wohlthaten des guten Geschmacks seinem reisenden Feldnachbar wohl aus einer wichtigern Ursache jene Spitzfindigkeiten in den Weg, als weil solcher nach einer andern Rechnung ein Drittheil seines Lebens verwendete, um dessen Ueberrest mit den möglichsten Annehmlichkeiten zu verschönern, die unser Planet darbietet? Darf aber auch die fleißigste Ameise den Adler, der über ihr in die Wolken steigt, tadeln, daß nicht auch er auf dem Erdhaufen, der ihrer Zufriedenheit genügt, die seinige sucht? Du findest irgendwo in meinem Tagebuche den Eingang seines Pamphlets und die Fortsetzung bringe ich Dir auch mit. O ich werde mich gern, ohne mich an sein Geschwätz zu kehren, dem Versuche hingeben, ob man nicht auf dem geschmackvollen Landsitze eines unter so verständigen Rücksichten gereisten Freundes den Lauf der Stunden besser als im Auslande erheitern, das Glück des Schlafs geschwinder als mit Postpferden erreichen, und sein kaltes Blut, so viel als zuträglich ist, in dem Strale der dunstfreien Sonne oder vor einem Kamine erwärmen kann, dem nichts belebteres gegen über lauscht, als das Ideal einer Hebe oder Klärchens Bildniß mit seinen ach! so mannigfaltigen Erinnerungen.

Jetzt lacht mir nun von weitem die königliche Hauptstadt und Dein Assembleesaal unter den anlockendsten Versprechungen in die Augen. Sie werden eine Weile Wort halten, aber auf die Länge traue ich ihnen doch nicht. Was soll ich nun, in dem gesetzten Fall, mit mir anfangen, wenn Ueberdruß an dem ewigen Zirkelschlag [293] Eurer Gesellschaften und Schmäuse, Langeweile an den Spieltischen und Mißmuth über den unnützen Vergang meiner bessern Kräfte sich aufs neue meiner Seele bemeistern? Zur Wiederholung der Thorheit, die mir vier Bände böser Erfahrungen eintrug, ist mir auf immer die Lust vergangen, und auf meine Studierstube darf ich vollends nicht rechnen, denn das unbelohnte Bebrüten fremder Gukgukseier ist mir zum Ekel geworden, viele andere Irrthümer ungerechnet, die mich gar sehr gewitzigt haben.

Der Freuden der Welt, sagt man zwar, gäbe es viele, aber wo ist denn eine, die nicht durch den täglichen Gebrauch uns unter den Händen verwelkte? und wo findet man immer einen Freund, wie Saint-Sauveur, der uns damit auf eine so systematische Art zu überraschen versteht, daß sie uns neuen Genuß gewähren? Was bleibt nun, da zu selten zwei gleichgestimmte Menschen auf ihrem Gange zusammentreffen, die hierin einander die Hände zu bieten Willen und Kraft haben, noch übrig, als daß jeder selbst die Mühe übernehme, auf Abwechselung seiner Kinderspiele zu denken, so gewiß auch dabei die Hälfte jenes bemächtigenden Reizes verloren geht. Wohlan! So zeichne denn sie mir den Plan meiner künftigen Lebens-Ordnung vor, zu dem ich mir nur noch Agathens Unterschrift wünsche.

Weder an einen Ort, an ein Amt, noch an Pflichten gebunden, die ich mir nicht selbst als Weltbürger auflege, soll mir der Spielraum des Vaterlandes, wo nicht zum Schauplatz meiner merkwürdigen Thaten – doch zu einem Spaziergang dienen, auf dem ich bald hier bald da eine Handvoll Saamenkörner edler wohlthätiger Gefühlpflanzen ausstreue, sollten sie auch dann erst keimen und gedeihen, wenn ich schon längst in seiner heiligen Erde, unter dunkeln Ahndungen und unaufhörlichem Rufen nach Licht, die letzte Leitersprosse zum Austritt in jene Warte seliger Zukunft gewonnen – an ihrer hellen Pforte meinen Staubmantel abgeworfen und nicht, wie hier, zu befürchten habe, ein Brandopfer der Langenweile zu werden. Denn dort –


Wenn aufgeschwungen aus dem Schlamme Des Irdischen, mein freier Geist, [294] Ein Lichttheil in der Schöpfungsflamme, Das Unermeßliche bereist, Mit Schwanenlust im Aetherstrome Reingeistigen Bewußtseyns schwimmt, Von einem zu dem andern Dome Der Sterngebäude weiter glimmt, Im Drang, die Feder zu entdecken, Die dieß geheime Uhrwerk dreht, Mit immer freudigerm Erschrecken Zu neuen Wundern übergeht – Dort sei mein Tagebuch der Lehre Abwechselnder Zufriedenheit, Mein Wandelgang zu jeder Sphäre Der Ueberraschung nur geweiht; Denn ohne sie wie schmucklos wäre, Bei stetem Kreislauf, mir die Ehre Einförmiger Unsterblichkeit!

Fußnoten

1 Roef – ein von den übrigen Passagiers abgesonderter Raum auf einer holländischen Treckschüte.


Notes
Erstdruck: Leipzig (Göschen) 1791–1805. 10 Bände.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Thümmel, Moritz August von. Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich im Jahre 1785-1786. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-52DD-0