[609] So war's einmal

Der Vesuv

Der Vesuv, indem er speit, mit nichten
Darf man gegen ihn die Klagen richten,
Insofern ja die Besonderheit
Darin liegt, daß er mitunter speit.
Halten Sie den Vorwurf für ersprießlich?
Wenn man schon Vulkan ist, muß man schließlich;
Und man regnet Asche oder speit,
Ob die Menschheit auch betroffen schreit.
Aber dieses scheint gesagt zu werden
Doch am Platze: wenn sich auf der Erden
So was zubegibt, wie der Vesuv,
Trifft der Tadel den, der ihn erschuf.
Und man fragt mit Recht den Himmelsvater,
Ob es schön ist, wenn sich aus dem Krater
So viel Unglück auf die Täler stürzt,
Manchem auch die Lebenszeit verkürzt.
Weiter frägt der sonst im Glauben Schwache:
Fällt noch überhaupt kein Spatz vom Dache?
Oder hatte dieser Bibelsatz
Geltung nur für einen frühern Spatz?
Diese – sagen wir – Unstimmigkeiten
Können böse Zweifel uns bereiten.
War es zu verhindern, dächte man,
Warum speit dann der Vesuvvulkan?
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Mir natürlich scheint noch viel verdächtig;
Der Vesuv ist lang schon niederträchtig.
Damals schien es eine Götterschar
Bei Pompeji, die so freundlich war.
Damals bat der Mensch in Aschenregen
Jupiter um den besondern Segen.
Heute bittet man Gott Zebaoth
Um die Rettung aus der bittern Not.
Also sieht man, daß die Glauben wechseln,
An die Götter, die das Unheil drechseln.
Der Vesuv jedoch bleibt auf dem Platz,
Und vom Dache fällt noch mancher Spatz.

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TextGrid Repository (2012). Thoma, Ludwig. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. So war's einmal. Der Vesuv. Der Vesuv. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-51BF-B