Prinzenexamen

Auch Prinzen haben die Weisheit vonnöten,
Darum schickt man sie auf die Universitäten,
Damit hierorts ihr Verstand gedeiht.
So geschah es einem vor einiger Zeit.
Aber nach Ablauf von nur zwei Jahren,
Von denen er das meiste auf der Eisenbahn gefahren,
War des Prinzen Hoheit so klug,
Daß man fand, es sei nunmehr genug.
Um jedoch den Schein zu vermeiden,
Als sei es anders bei den Königlichen Hoheiten,
Wie es bei den übrigen Studiosis sei,
Ließ er sich zu einem Examen herbei.
Die Professores, welches dieses sollten wagen,
Kamen herbei mit großem Zittern und Zagen,
Sie scharrten demütig mit dem Fuß
Und entboten dem Prinzen ihren Gruß.
Der Herr Rektor machte den Anfang
Und gab seiner Stimme einen sanften Klang,
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Indem er fragte mit ergebenem Ton:
»Hoheit, was ist eine Konstitution?«
Hier antwortete des Prinzen erlauchte
Person, wozu er längere Zeit gebrauchte:
»Konstitution ist, wenn das Volk stets tut,
Was uns höchstselbst zu belieben geruht.«
Über diese Antwort des hohen Kandidaten
Konnten sich die Professores der Freude nicht entraten,
Und es herrschte große Verwundernis
Über den filium principis.
Nun begann ein Professor zu fragen:
»Belieben Hoheit mir geneigtest zu sagen,
Welche Befugnisse man kennt
Als eigentümlich dem Parlament?«
Hier antwortete der Prinz: »Herr Professer,
Je weniger es solche gibt, desto besser,
Weil der Untertan dadurch beirrt
Im Betreffe seines Gehorsames wird.«
Auch dieses Mal konnten nicht unterdrücken
Die Herren Professores ihr helles Entzücken,
Und sie haben sodann unverweilt
Dem Prinzen das Reifezeugnis erteilt.
Hieraus ist es als bewiesen erschienen:
Wenn einer als Doktor will sein Brot verdienen,
Braucht er zehn Semester allhier.
Für einen König reichen schon vier.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Thoma, Ludwig. Prinzenexamen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-50CE-2