[59] VIII.
Die Wettsänger.

Daphnis, dem lieblichen, als er die Kühe gehütet, verkam einst,
Sagt man, weidend die Schaf' auf bergiger Höhe Menalkas;
Beide sie waren da noch blondlockige, Beide noch Knaben,
Beide des Spiels der Syring' wohlkundig und Beide des Singens.
Und es begann als erster, den Daphnis erblickend, Menalkas:
»Hüter der brüllenden Färsen, o Daphnis, wagst du Gesangstreit?
Dich, so oft ich es will, zu besiegen behaupt' ich im Liede.«
Dem gab wieder das Wort mit solcher Erwiederung Daphnis:
»Hirt wollschüriger Schafe, der Syrinx Bläser, Menalkas,
Nimmer besiegest du mich, und stürb'st du darüber, im Singen.«

Menalkas.
Willst du einmal zuseh'n? willst was du setzen zum Kampfpreis?
Daphnis.
Zuseh'n will ich einmal, will etwas setzen zum Kampfpreis.
Menalkas.
Und was setzen wir denn, das Jedem von Beiden genügte?
Daphnis.
Ich will setzen ein Kalb; wie die Mutter an Größe ein Lamm du.
[60] Menalkas.
Niemals setz' ich ein Lamm, denn gar streng ist mir der Vater,
Wie auch die Mutter; sie zählen die Schaf' mir jeglichen Abend.
Daphnis.
Doch was setzest du dann? was soll da bekommen der Sieger?
Menalkas.
Eine Syring', neunstimmig, gemacht von mir selber, besitz' ich,
Unten so gleich als oben, gekittet mit weißestem Wachse:
Die sei von mir gesetzt, doch setz' ich nichts von dem Vater.
Daphnis.
Eine Syring', neunstimmig, besitze fürwahr auch ich selber,
Unten so gleich als oben, gekittet mit weißestem Wachse.
Jüngst erst fertigt' ich sie, noch thut mir der Finger da wehe,
Weil im Schlitzen das Rohr mich an ihm gar übel geschnitten.
Doch wer richtet den Kampf? Wer wird uns Singende hören?
Menalkas.
Drüben der Geißhirt, wenn wir hieher ihn zu uns beriefen,
Welchem der Hund mit der Blässe die Böcklein eben umbelfert.
Und ihn riefen die Knaben, es kam sie vernehmend der Geißhirt,
Und nun sangen die Knaben, und gern war Richter der Geißhirt.
Aber die erste der Stimmen erhielt im Loosen der Syrinx
Bläser Menalkas, es hatte des Hirtengesanges Erwied'rung
Daphnis nach ihm, und so hob an als Erster Menalkas:
Menalkas.
Thäler und strömende Bäch', von Göttern entstammt, hat Menalkas
Je zum Klang der Syring' liebliche Lieder gesellt,
Weidet mit günstiger Seele die Lämmerchen! aber auch Daphnis,
Bringt er die Stärken hierher, find' er's nicht weniger voll.
[61] Daphnis.
Quellen und Kräuter, Gewächs voll Süßigkeit, wenn die Gesänge
Fließend aus Daphnis' Mund, gleichen der Nachtigall Lied,
Schenket der Heerde der Küh' ein Gedeihen, und treibet Menalkas
Hieher, weid' er erfreut rings in dem üppigsten Gras.
Menalkas.
Ringsum Lenz, rings Weide, und ringsum schwellen die Euter
Hoch von Milch, und es kommt Nahrung den Jungen vollauf
Da, wo das reizende Mädchen herannaht; aber entweicht sie,
Schmachtet der Hirt und mit ihm schmachten die Kräuter verdorrt.
Daphnis.
Dort geh'n Ziegen und Schaf' mit Zwillingen, dort sind der Bienen
Stöcke von Honig gefüllt, höher der Eichen Gewächs,
Wo hin wendet die Schritte der reizende Milon; entweicht er,
Welkt mit den Kühen zugleich auch der sie weidet dahin.
Menalkas.
Weißlicher Ziegen Gesell', komm', Bock, wo die Tiefe des Waldes
Endlos! stumpfiges Volk, Zicklein, zum Wasser herbei!
Dort weilt Jener; enteil', Hornloser, und sag' zu ihm: Milon,
Ob auch Proteus ein Gott, weidete Robben er doch.
Daphnis.
Nicht das Gelände des Pelops, nicht Krösos' Talente zur Habe
Möcht' ich, nicht Schnelle des Laufs, welche besieget den Wind,
Sondern, dieweil ich säng' hier unter dem Fels, dich im Arme,
Ueber der Weide Gewühl schau'n auf's sikelische Meer.
[Menalkas.
Bäumen ist Winterorgan das Gefährlichste, Bächen die Dürre,
Vögelchen ist es die Schling', wilder'm Gethiere das Netz,
Aber dem Manne der Zug zur fräulichen Zärte: o Vater
Zeus, nicht lieb' ich allein, Weiber bezwangen dich selbst.]
[62] Also wechselnden Ganges ertönten die Lieder der Knaben,
Aber den letzten Gesang hob an nun wieder Menalkas.
Menalkas.
Schone der Böcklein, schon', o Wolf, mir trächtiger Ziegen,
Schäd'ge mich nicht, weil klein ich zieh' mit großem Geleite.
Hält, Lampuros, mein Hund, umfangen so tief dich der Schlummer?
Nicht muß schlummern so tief wer wandelt zur Weid' mit dem Kinde.
Doch ihr Schafe, nicht zaudert, am Gras euch, am zarten, zu sätt'gen!
Werdet nicht müde, und wenn auch immer von Neuem es nachwächst!
Sirrah! geweidet, geweidet, und füllet euch alle die Euter,
Daß für die Lämmer was da, und was in die Körb' ich bekomme!
D'rauf als Zweiter sein Lied sang Daphnis nach tönendem Vorspiel.
Daphnis.
Als ich gestern der Grotte des Mägdleins mit bündigen Brauen
Führte die Stärken vorbei, rief mich sie erblickend: wie schön doch!
Doch kein einziges Wort, kein bitteres, gab ich zurück ihr,
Sondern die Augen gesenkt strich unseres Weges ich weiter.
Mir ist lieblich die Stimme des Kalbs und lieblich sein Anhauch,
Lieblich, im Sommer zu ruhen am Bachlauf unter dem Himmel.
Eicheln sind Eichen zum Schmucke, dem Obstbaum sind es die Früchte,
So ist's der Kuh ihr Kalb, und dem Hüter der Kühe sie selber.
Also sangen die Knaben, und also sprach nun der Geißhirt.
Geißhirt.
Süß ist dein Mund und lieblich ertönt dir, Daphnis, die Stimme,
Deinem Gesange zu horchen, ist mehr als Honig zu kosten.
Nimm die Syringen; du hast im Liede gewonnen den Kampfpreis.
Willst du was lehren mich selbst, der mit dir weidet die Geißen,
Geb' die gestutzete Ziege dagegen ich dir als das Lehrgeld,
Die bis über den Rand dir stets anfüllet den Eimer.
[63] Wie sich der Knab' drob freute und aufsprang und mit den Händen
Klatschte dem Siege des Lieds, so spräng' zur Mutter das Rehkalb,
Und wieder Andre sich grämt' und das Herz ihm wandte die Trauer,
Also härmt sich das Mädchen, das abverlangte in's Ehjoch.
Und seitdem ward Daphnis der Erste geachtet der Hirten,
Und, kaum Jüngling, gewann zur Gattin er sich die Najade.

N.

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TextGrid Repository (2012). Theokrit. Lyrik. Idyllen. 8. Die Wettsänger. 8. Die Wettsänger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4F92-B