[79] Unermüdete Beharrlichkeit.

Unermüdete Beharrlichkeit. (Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder)

Gottlieb war von Jugend auf ein fleißiger, gutmüthiger Knabe. Sein Vater war ein Landpfarrer, der bei einer höchst geringen Einnahme, mit vielen Kindern, und einem kränklichen Körper, ein kummervolles Leben führte, und seine Kinder waren bei seinem frühzeitigen Tode noch nicht im Stande sich selbst fortzuhelfen. Die Wittwe bezog eine kleine Wohnung im Dorfe und lebte in großer Dürftigkeit. Gottlieb, der erst das zehnte Lebensjahr zurückgelegt hatte, liebte das Landleben, und wünschte nichts so sehnlich, als nur einst ein kleines Häuschen und einen Garten daran, sein Eigenthum heißen zu können, und als er älter und verständiger ward, fing er an über die Mittel nachzusinnen, die ihn zu seinem Zwecke führen könnten. Er mußte zuweilen in die Stadt gehen, um seiner Mutter etwas einzukaufen, da fand er denn, daß die Eyer und Hühner sehr gut bezahlt wurden. Geschwind kam ihm ein Einfall in den Sinn, der ihn zwar an Gellerts bekannte Fabel vom Gretchen und ihren Eyern erinnerte, doch ließ er sich nicht irre machen, im Gegentheil, er strebte sein [80] Vorhaben desto vorsichtiger zu beginnen und auszuführen. Seine kleine Baarschaft erlaubte ihm nur ein kleines Hühnchen zu kaufen, das fütterte und zog er dann mit Sorgfalt zum Huhn auf. Das erste Ey, das er bekam, entzückte ihn so, daß er es im Triumphe herum zeigte. Er sammelte einen kleinen Schatz von Eyern, erkundigte sich genau, um welche Jahreszeit die Eyer am theuersten gekauft würden, und hub sie, bis dahin, an einem trocknen, kühlen Orte, auf. Von dem dafür eingenommenen Gelde kaufte er Gerste zum Futter, und noch einige Hühner; so gewann er auch mehr Eyer, für diese mehr Geld, und für dieses, freilich erst nach beinahe zwei Jaheen, eine Ziege. Er bot seiner Mutter die Milch derselben zum Gebrauche an, doch die gute Frau, die ihre Freude an seinem Fleiße und seiner Bedachtsamkeit hatte, nahm sein Anerbieten nicht an, und überließ ihm den Nutzen den er von der Milch ziehen konnte. Der Eyerhandel ging darneben trefflich von statten, und Gottliebs Kasse füllte sich immer mehr. Dabei vernachläßigte er die Schule aber nicht, und nach derselben arbeitete er fleißig im Gärtchen der Mutter, wo es immer zu pflanzen oder zu graben, zu jäten und zu gießen gab. So konnten die Schwestern ungehindert spinnen, und er selbst half ihnen in den [81] Winterabenden bei diesem Geschäfte, spaltete das Holz, trug ihnen das Wasser, und heizte ein. Die Einigkeit, die unter dieser Familie herrschte, und der unermüdete Fleiß aller Glieder derselben, half ihnen Allen in den größten Mangeljahren durch, und setzte sie endlich, als die Kinder herangewachsen waren, in den Stand, befreit von den drückenden Sorgen der Nahrung leben zu können. Gottlieb konnte in seinem achtzehnten Jahre ein Stück Land von seinem Ersparten und Erworbenen kaufen, das er zum Garten umschuf. Das war freilich kein kleines Unternehmen, allein er hatte früher schon sich eine kleine Baumschule, in einer Ecke des mütterlichen Gärtchens, angelegt; so wurden nun die Bäumchen verpflanzt. Die zum Zaun nöthigen Materialien hatte er nach und nach schon gesammelt, es waren Pfähle, die in einer kleinen Entfernung von einander, in die Erde geschlagen wurden; den Raum zwischen diesen, füllte ein Geflechte von Zweigen, die an die Pfähle befestigt waren. Die Thüre war von Brettern, und auch von Gottliebs unermüdeten Händen verfertigt. Jedes Plätzchen ward wohl angebaut und unterhalten. Die Raupen und anderes Ungeziefer durften nicht aufkommen, und das Gemüse gab er der Mutter für seine Beköstigung; so wie er nun auch das vom Eyer und Milchhandel [82] eingenommene Geld, zu seiner Kleidung und andern Bedürfnissen anwendete, um der Mutter nicht zur Last zu fallen. Die Bäume wurden immer größer und trugen endlich Obst, das Gottlieb sorgfältig sammelte. Das abgefallene ward gedürrt, das andere frisch verkauft. Nach einigen Jahren ward noch ein Stück Land dazu genommen, und endlich war er so glücklich, auch ein Haus dazu erbauen zu können. Er heirathete die Tochter eines benachbarten Landpredigers, ein fleißiges, haushältrisches Mädchen, und hatte die Freude seiner guten Mutter und seinen Geschwistern das Leben zu erheitern. Sein Beispiel beweißt, wie ein Plan, der auch ungeheuer groß und weitläuftig scheint, glücklich ausgeführt werden kann, wenn er von der Beschaffenheit ist, daß unsre Vernunft ihn billigt, und wenn wir mit unermüdetem Fleiße und Anstrengung ihn auszuführen streben. Sind unsere Wünsche nur mäßig, und erfüllen wir unsere Pflichten, so können wir, es müßten denn ganz besondere Unglücksfälle unsre Zufriedenheit stören, nie ein elendes, mangelvolles Leben führen.

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TextGrid Repository (2012). Stahl, Karoline. Märchen. Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Unermüdete Beharrlichkeit. Unermüdete Beharrlichkeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-15A9-A