[167] Baldur

Bruchstücke einer Dichtung

Sonnenaufgänge sing' ich und Sonnenuntergänge:
Aufgang und Untergang ist das Leben –
Aber einmal dämmern Tage,
Da die Nacht in graue Gräber fiel,
Ewig Sonnenleuchten über alle Welten flutet:
Einmal – und ich lausche in die Nacht,
Und mir ist, der fahle Dämmer trägt
Wie ein zitternd Ahnen fernes Pochen,
Abglanz jener tausend Morgenchöre,
Die der Welten hehrstes Fest umbrausen,
Und ich grüße aus dem Zwang der Nacht
Künftiger Zeiten junge Morgenröten.

Baldurs Traum

Durch alle Lande leuchteten die Opferbrände.
Ein Rauschen trug die Luft, ein Lied der Kraft;
Das klang, als rüttelte durch Orgelpfeifen
Ein Nordsturm, der aus Gischt und Brandung sich
Den Atem borgte. Wie ein Schlachtruf sprangs
Aus Grab und Traum aufjauchzend in die Welt.
Und war
Ein Lied des Trotzes und ein Lied der Jugend –
Sonnwendnacht!
Durch alle Lande leuchteten die Opferbrände.
Die Nacht gebar den Streit.
Heiß stob die Schlacht.
Das Blut schlang taumelnd seine Reigen durch die Reihn,
Bis zwei noch standen, ineinander tief
Den glühen Blick getaucht,
Gott und Schwarzalbe.
[168]
Wild griff der Gott zum Bogen, seine Finger
Krampften die Saiten auf:
Die stöhnten, sangen –
Zerklirrten pfeifend ... Schmetternd schlug
In jähem Schwung des Andern Keule nieder.
Und mit dem Siegsgebrüll des Schwarzen fiel
Eisige Nacht aus Wolken in die Welt,
Und auf den Bergen loschen alle Feuer ...

Baldurs Tod

Starr stand er,
Den Todespfeil im Herzen,
Weiße Rosenblüten im blonden Haar,
Stand und wankte nicht.
Jähes Grauen lähmte die Himmel, und ein Schluchzen trug
Zitternd der Abendwind durch dämmernde Welten.
Um seine Füße schlug die Abendsonne,
Die Wolkenwehre niederrauschend, goldne Wogen.
Vom Ost
Trotzig den Blick gesenkt wuchs Loki aus der Nacht.
»Hört ihr das Lied, das Weltenschicksalslied?
Wie Wetterschlag gellt's durch zermorschte Saiten.
Wild rauscht die Esche auf,
Urds Lippen beben.
Auf Flammenrossen peitscht im Sturm die Nacht.
Die letzte Nacht, die Schicksalshochzeitsnacht:
Eckpfeiler bersten, Balken stieben –
In Feuermeeren sinkt die alte Welt ...
[169]
Hört ihr das Lied, das Weltenschicksalslied?
Hell schwillt es auf. Aus seinem Rauschen
Glüht neuer Welten neues Morgenrot.
Und neues Leben quillt aus meinem Blut
In roten Kelchen. Stirbt und blüht –
Und stirbt ... Bis einst
Ein großer Sonntag allen Welten dämmert:
Da braust ein einig Glockenläuten durch die Luft.
Heilige Choräle
Reicht ewiger Morgenglanz von Hain zu Hain,
Und alles Leben ist
Ein einzig hehres Opferfest von Licht und Liebe.«
Aufschauernd brach er auf das Purpurlager.
Krampfend griff
Die Hand zum letzten Male in das Quellgold,
Das um ihn flutete und ließ es breit
Und leuchtend durch die starren Finger rieseln.
Funkensplitter stoben klingend durch den Abend,
Heißes Wundenblut
Troff durch die Wolken nieder – Sonnensamen
Knospen zu zeugen roter Zauberblüten.
Ein greller Windstoß prasselt in die Glut ...
Ein Schrei ... Und Nacht ...
Und Baldur tot.

Totenfahrt

In weichem Wiegen schaukelte die Brandung
Die Königsbarke, die
In Flor getaucht hinaussah auf die See.
Am Ufer standen
[170]
Die Asen all und sahen wortlos, wie
Die Abendglut in Baldurs Locken weinte.
Wie Rosenduften schwamm's durch goldne Lüfte,
Das sonnenuntergangs, wenn alle Blumenkelche
Ihr Sehnen glühender in den Abend gießen,
Der Sommerwind auf Sammetflügeln stahl.
Auflodernd knirscht die Barke in die Flut.
Stumm standen
Die Asen – bleich ... Und sahen
Aufs Meer hinaus, wo fern
Die Glut verleuchtete. Und es war,
Als wiche weit durch goldne Abendthore
Ihr Glück und ihre Jugend in die Nacht ...

Prometheus (2.)

Und in der Nacht, da er am Felsen hing,
Unter Adlerfängen sein Leib sich bäumte,
Blutigen Schaum die Flut aufleckend ihm ins Antlitz spie,
Trat vor ihn aus den Schatten der Versucher.
Und rauher peitschte, höhnender das Meer
Um seine Lenden. Geller fuhr
Sein Brüllen in der Elemente Sturm.
Wild durch sein Blut sprang des Versuchers Lied.
Sirenenlocken warf in süßem Rausch
Wie Blütennektar weich sich über ihn.
Dann wieder
War's wie ein Tanz,
Der über Welten raste, da aus Wolken noch
Götter sich neigten, wilde Lippen
Auf weichen Wangen glühten,
[171]
Und durch den Glanz der schwülen Sommernacht
Des Blutes ehern Lied aus schrillen Saiten scholl.
Sein Atem keuchte,
Seine Adern schwollen –
»Nicht weiter, Zeus! ... Ich will – –«
Da stieg die Sonne leuchtend übers Meer.
Ein Flimmern, Rauschen. Kreischend flieht
Der Adler. Geduckt, in wilder Gier
Lauert der Fremde
Auf jenes Wort, das Sonnen schmettern soll
Aus ihren Bahnen und die Welt in Nacht.
In stummem Träumen stand Prometheus.
Nur tiefer hob und senkte sich die Brust
Und trank in heißen Zügen Morgenlicht.
Um seine Lippen floß ein roter Quell
Von Morgensonne – Siegerseligkeit.
Kein Wort ...
Auf roten Wogen fließt der junge Tag.
Aus Lüften bricht's wie Dank aus tausend Kehlen.
Vom Meere leuchtend steigt die Sonne auf.

Baldur-Christus

Und wieder ward der zeugende Tropfen Bluts
aus Baldurs Wundenmalen
Zu roter Blüte erlöst in der Seele eines Menschen.
Das war, als der südliche Mittag mit glühenden Lippen
Verdurstend an den Steppen sog von Palästina.
Heiß gärte ihr Blut, und von der trocknen Straße stieg
Ein Feueratem auf
Und wirbelte in braunen Flocken
[172]
Um sonnverbrannte, staubstarrende Gesichter,
Als sie ihn zum ersten Male sahen.
Der Sommerwind riß gierig Jubelrufe
Von ihrem Mund und schleifte sie die Gassen lang:
»Hosianna! Hosianna!«
Palmen schwankten und bunte Tücher,
Und ein Leuchten floß
Von ihm in alle Seelen
Und jauchzte durch die Welt ...
Und es sank der Mittag hin, und das Lied verschwamm
In blauem Dämmern, das von den Bergen niederrollte.
Abendgluten rankten sich um Marmorsäulen,
Bluteten auf den weißgebauschten Mantel, zuckten
Um wutverzerrte, bleiche Züge,
Um geballte Fäuste,
Die sich empor warfen zur Terrasse, wo
Er träumend über ihre Häupter weg
Den Tag ins blaue Meer verklingen sah –
»Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!«
Dumpfes Hämmern durch das schwüle Zwielicht.
Glühend starrt die Gier.
Die rostigen Nägel beißen sich ins Fleisch.
Die Sehnen springen.
Dampfend quillt das Blut.
Ein Wimmern stirbt
Im trunknen Reigen, der von Blut und Gier berauscht
Das Kreuz umrast:
»Hilf dir, König der Juden!«
Und der Sturm stöhnt auf.
[173]
Schreiend verstiebt der Schwarm.
Falbe Blitze stechen nieder,
Rasen durch die Straßen der Stadt,
Die wie von schwarzer Asche verschüttet starrt,
Fern verdröhnend ...
Dann weicher Regen ...
Atmende Stille ...
Die Palmen schauern sich
Den Rieseltau von feuchten Blättern.
Ein Windstoß reißt die Wolken auseinander ...
Aus grauen Nebeln weiß
Der Mond.
Ein bleiches Leuchten rieselt
den schwarzen Stamm hinab,
Der jäh sich aufreckt in die Nacht auf Golgatha.
Zittert auf geschlossnen Lidern
Und fahlen Wangen, über die
Vom Dornkranz, der mit Raubtierpranken
Sich tief ins Fleisch gekrallt,
Ein dünnes Rot hinsickert ...
Dann wieder Nacht.
Und wieder stöhnt der Sturm ...
Schwer sinkt ein schlaffes Haupt zur Brust herab.

Gethsemane

Um die Stunde war's,
Da die heilige Stille der Mitternacht
Auftaucht vom Meer und segnend über Welten fährt.
Jäh durch die Palmen schritt das Todesgrauen,
Urweltenweh
[174]
Rang auf zum Firmament.
Schwer hing der Himmel –
Nacht ... Tod ... In tiefem Schlaf die Jünger ...
Und wilde, brennendwilde Einsamkeit ...
Aufschluchzend schlägt er auf die Wurzelknorren,
Weint in die Nacht,
Die lächelnd über's Haupt die Schleier hebt.
Ein sengend Leuchten durch die Dämmernebel:
Die Sonne.
Von Glockenstühlen sprang sie rot in graue Türme,
Fiel stäubend in die Kuppeln, flutete
In wildem Quellen durch die schlanken Stämme,
Wegspuren zeichnend roten Flammengoldes.
Vom Boden weg
Sah Christus – blickte
Mit fremden Augen in die schäumende Morgenglut,
Und wie ein Wecken klang's ihm durch die Brust,
Das uralt junge Schöpferlied des Lichts:
Posaunen trugen ehern es empor
Und alle Geigen fielen flimmernd ein
In brausenden Bogenstrichen,
Vögel jauchzten,
Und Morgenglocken wehten von den Türmen
Jerusalems herauf, einrauschend in
Die breiten Takte, die
Im Werdelied des Tags die Welt durchfurchten.
Nieder fiel Christus, starrte
Hinunter auf die rote Stadt, die
In tausend Türmen tausend Fackeln fachte,
Und zur Sonne auf,
[175]
Zur ewig göttlichen jauchzte sein Mund:
»O sterben, sterben, Gott! ... In Meere will
Ich tauchen purpurüberrauscht,
In Licht zerfließen, ganz in Duft mich lösen,
Als Welle wehen in des Weltalls Strom.
Denn nun
Ward mir der Welten letzter, tiefster Sinn.
Aus deiner Sonne Morgenaugen las ich ihn. –
O sterben, sterben, Gott! ... Doch wie
Der Schiffer, dem
Die Brandung in des Nachens Rippen brach,
Flutenumdröhnt
Der Zukunft goldverbrämtes Eiland grüßt:
So grüß ich euch, Schlummernde, Ungeborne –
Aus harter Nacht ein junges Sonnenvolk.
Denn also lehrte mich dein Schöpfertag:
Glut quillt aus Asche, Leben sprüht aus Tod,
Aus tiefsten Nächten dämmern neue Morgenröten.«
Und gehobnen Blicks
Schritt seinen Häschern er durchs Licht entgegen.

Finale

»Aus tiefsten Nächten dämmern neue Morgenröten«


Wie Siegesjauchzen ist es, das
Jahrtausende verrauschend weiterwerfen.
Die Berge donnern.
An den Eisenklammern
Rüttelt Prometheus,
[176]
Rüttelt, rüttelt,
Sie rucken – springen –
Ein Erlösungsschrei
Gellt über die Welten hin.
Doch er
Schüttelt die Glieder, die lang entwöhnten,
Reckt die Arme, die lang gelähmten,
Schreitet hinab,
Ein Sturzbach, den der Tauwind losgeküßt –
Vom Kaukasus hinab zu seinen Menschen.
Festglocken dröhnen,
Sonnentrunkne Reigen
Flattern um ihn, dionysisch verschlungen,
Weinlaubumkränzt:
»Prometheus!
Gott des Lichts!
Heil dem Erlösten, der die Welt erlöst!«
An seinen Armen glühn die Eisenstriemen
In roten Flammen auf.
Und dann –
Plötzlich ist er's nicht mehr:
An den Händen klaffen
Braune Wundenmale wie von Kreuzesnägeln,
Blutige Schmerzensmale. –
Doch aus den Augen bricht ein goldner Strom
Von Morgenlicht,
Aus tiefen Balduraugen ...
Baldur-Prometheus-Christus –
Heiliges Leben
[177]
In Licht, in Schönheit,
Nie sterbender Götterrausch
Glühendster Trunkenheit! ...
Nur fühlen, atmen, schwelgen. Seligstes
Nirwana und
Aus tausend Himmeln tausend Morgensonnen.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Stadler, Ernst. Baldur. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1492-2