Reinhard Johannes Sorge
Der Sieg des Christos
Eine Vision dargestellt in dramatischen Bildern

Franziskus der heilige Bettler

[Widmung]

Allen minderen Brüdern


Warum hört man in euren Schulen nur von dem

einen und nicht auch von dem anderen? O ihr Heuchler!

Die Kräfte der Physik und die Zahlen der Geschichte

geben eurer Jugend das Zeugnis ihrer Reife, aber der

Name des Heiligen von Assisi ist nicht an mein Ohr gedrungen.

Falle auf euch die Schuld, wenn ihr Steine bietet; aber den

Hunger nach Brot legte uns Gott ins Herz.


Widmung

An den Heiligen


Fels und Christus, – liebeglühend

Jeder Müh dich unterziehend,

Stehst du zwischen –, und das Nackte,

Graue felsene Gezackte

Hebt dich reinlich in die Lichte;

Armer, gib, daß arm ich dichte!

[204]
1. Bild
Erstes Bild
Auf einer Anhöhe bei Assisi. Neben einer Eiche liegt Franziskus und sieht in das Land. Helm, Schild und Rüstung ihm zur Seite auf der Erde. Er hat das Schwert im Schoß.

FRANZISKUS.
Dort winkt mir Assis. – Wunderbare Vorsicht!
Wer bin ich, Gott, daß Du so zu mir redest!
Ich bin ein armer Bursch. Was hab ich an mir?
Nicht ein Spur von Heiligkeit, nur bös
Von meiner Jugend an; mich dünkt, ein andrer
– Sei es der Schlechteste – wär dennoch würd'ger
Als ich. – Doch gabst Du mir den Traum. Den Traum!
Franziskus, du! Narr deines Ich! Ich meinte,
Der herrliche Palast,
Geziert mit Schilden, Waffen und Gehängen
Des Kriegs, den Du im Traumwort mir versprachest
Samt meinen Kriegsgenossen, deute also
Auf Ehre hin, eisernen Ruhm. O Tor!
Ich sah das Kreuz nicht, heiliges Gebälke,
Das in dem Traum das Waffenhaus mir schmückte!
Auszog ich; Ritter sein, beißen mit Eisen
Ins feindliche Gedärm,
Des Schwertes Arbeiter, und gute Gasse
Bahnen dem Mordzeug wider alle Feinde,
Schien rühmlich mir, ein ganzes Leben wert. –
Zu einem Ritter wollt ich in die Lehre.

Er springt auf.

Franziskus, doch die Nacht hernach, Franziskus!
Schon auf dem Weg! In fremder Stadt! Da ging
Zu dir die Stimme voll der Majestät:
»Franziskus! Kann dir Besseres erweisen
Der Herr oder der Knecht? Warum verläßt
Den Herrn du um des Knechtes willen? Wisse,
Geistlich gedeutet sein will dein Gesicht!
Und dieses wird vollbracht in dir nicht menschlicher
Anordnung nach, vielmehr aus Gnade Gottes.«
– Da kehrt ich um und bin nun hier. O Herr,
[205] Und auf dem Wege süße Anmutung
Gabst reichlich Du, ist süßer etwas, als
Dir dienen!? Hei! Ich werf das Schwert froh fort!

Er kniet.

Du gibst ein neues mir in die gefalteten
Hände, das führst mir Du, und ich es halte.
Und der Herr Christus soll der Ritter sein,
Bei dem ich geh in Dienst! Liebwerter Ritter!
Dein armer Kriegsmann ich! Verfahr nur gnädig
Und schone mein! Doch will ich Dir die Gasse
Schon bahnen gut, wenn Du nur Gnade schickst.
Was willst Du? Soll ich Mönch sein? Sag mir alles!
O süß vielliebe Rüstung, mit dem Strick!
Gib mir nur alles ein! Ich werde beten
Fern von den Meinen, ungestört. Sankt Damian
Ist eine alte, halb verfallene
Kapelle, sie soll bergen meine Seufzer,
Herbergen meine Tränen; gib mir Aufschluß!

Er stutzt.

Wie – halb verfallen? Halb verfallen? Was?
Bist du ein Kriegsknecht Christi und willst dulden,
Daß der gottselige Herr
Verfallne Stätte schauen muß, wo Ehre
Ihm drin gebührt und inniglicher Lobsang?

Er steht wieder auf.

Ich bau sie wieder neu! Mit meinen Händen!
Das Schwert nicht führen, aber Steine schleppen
Zu meines Herren Tempel! Auf, Franziskus!
Nicht umgeschaut! Sogleich geh, schlechter Leib,
Gerissner Sünder, büße! Denn der Holde,
Um dessenwillen du dich beugst in Buße,
Ist wert dein Bluten und ein ganzes Leben.
Die Rüstung laß ich hier. O armer Schlucker!
Ich habe nichts als meinen Herrn. Herr, hörst Du?
Großmütiger Herr! Ich staune ob der Großmut.
Nimmst Du sie an, die Dienste des Franziskus?

Er geht hin.
2. Bild
[206] Zweites Bild
Im bischöflichen Palast. Bischof, Pietro Bernardoni, Vater der Heiligen, der Heilige.

PIETRO.
– – – Und dieses nicht genug,
Stahl er mir Tücherballen, lud sie auf
Und zog nach Fulgineum,
Verkaufte sie, in Seligkeit noch schwärmend,
Gab noch den Rappen zu für lumpigen Pfennig –
Und hat die Stirn, so wieder umzukehren
Mit Geld ohn Gut;
Worauf er dies dem Priester von Sankt Damian
Aushändigt, der's nicht annahm; 's war Gestohlenes,
Gestohlenes! Halunke von einem Sohn!
DER HEILIGE.
Gesegnet seist du, Kreuz dir über, Vater,
In Vater, Sohn und Geist –

Er macht gegen den Scheltenden das heilige Zeichen.

Du nanntest mich mit meinem rechten Namen.
Halunke ich! Oh gibt es süßeren Wohlklang!?
PIETRO.
Er ist von Sinnen. Widerlich Besessner!
BISCHOF.
Ich bitt euch, mäßigt euch! Sehr gut kann sein,
Daß diesen Gott hat.
PIETRO.
Ha! Gestohlenes
Verkaufen, so entwenden, heißt das christlich?
Euer bischöfliche Gnaden,
Lasset Euch nicht betören von dem Schlingel,
Weißnäsige Gliederpuppe!
BISCHOF.
St.. st.. st..!
Die Würde des Ortes achtet! Sagt mir weiter
Den wahrhaften Verlauf,
Doch seid behutsam, daß ihr mir nicht sündigt
In Zorn, nein, wütet nicht so! Ich befehl euch.
[207]
PIETRO.
Miteins zu sagen: kommt mir dieser Bursche
Nach Assis ruhig unter meine Hände,
Als wär es nichts. Sein Aussehn wie ein Irrer,
Kreidweiß, Staub in den Zügen, das Gesicht
Verwahrlost, so verwahrlost all sein Anzug
Gleich dem geringsten Bettler, –
Kot von der Gasse warf ganz Assis nach ihm
Hohnlachend, er ertrug's, der Feigling, schweigend.
Ein Edeler hätt sich gerächt, o Feigling!
Mit Gassenkot! Mit Gassenkot! Pft – pft –

Gebärde der Verachtung.
DER HEILIGE.
Bin ich des Kotes würdig? Kot ist sündlos.
BISCHOF.
Erstaunlich! Höchst erstaunlich! Welche Antwort!
PIETRO.
Ich aber nahm ihn unter meine Fäuste,
Da setzt' es Hiebe, wie sich das gebührt,
Euer bischöfliche Gnaden!
BISCHOF.
Nun zum Ende!
PIETRO.
Ja! Hört nur! Meine Frau, die ließ ihn laufen,
– Gott strafe sie dafür! – als ich verreiste;
Ich hielt ihn streng in Wahrsam; – ließ ihn laufen!
Und er trieb wieder trügerische Dinge
Rings um die Stadt. Da riß mir die Geduld:
Ich jag ihn aus dem Lande, mach mich auf,
Ich jag ihn aus dem Lande! Doch er legt sich
Ins Gras vor mich und sagt: »Nun schlage, Vater!
Doch bleib ich, wo ich bin und wie ich bin
Um Christi willen!« Nun sah ich es, wer
Besessen, bleibt besessen, bleibe also,
Sohn, der mein Sohn nicht ist, bleib hier zu Lande!
Doch vorerst marsch! zur bischöflichen Gnaden!
Und nun entsage du im Angesicht
Des hochehrwürd'gen Herrn in meinem Beisein
Dem väterlichen Erbe! Jedem Pfennig!
[208] Oder du bleibst nicht heil!

Stille.
BISCHOF.
Willst du entsagen?
DER HEILIGE.
Entsagen, wie? Entsagen? Ist Entsagung,
Mein bischöflicher Herr, Euer bischöfliche Gnaden,
Sich aus dem Kote retten oder waschen
Von Schlamm sich rein; denn Geld ist Pfui und Schlamm,
Denn Geld ist Sünde; ist Entsagen: Sünde fliehn?
Ich gebe, oh ich gebe, oh ich gebe
Aufjauchzend, weinend hin mein ganzes Erbe
Um Christi willen; weinend, daß der gute
Herr Christus mich so überschwänglichen
Gewinnes würdigt, den ich mir verdiene
Durch meinen Unverdienst. O Herr! O Herr!
Ich habe nichts auf dieser Welt als Christus!
Und dieser Mann da, der da steht, will nicht
Mein Vater sein; ich danke, oh, ich danke!

Er sinkt in die Knie.

Willkommene Gelegenheit!
So darf ich sagen: Vater unser, Vater,
Du Einziger im Himmel hoch!
BISCHOF
in Rührung.
O Armer
An Gut, doch reich an Gnade, reich in Gott!
Ehre sei deinen Worten!

Zu Pietro.

Doch ihr habt
Gehört den mutigen Treueeid des Sohnes
Dem Christus zu; so schweigt und geht von dannen!
PIETRO.
Und ein Notar besiegelt's.
DER HEILIGE.
Halt die Kleider!
Die hab ich, Vater, noch von dir. Zurück
Darf nichts ich halten vom elenden Gut!

Er beginnt sich zu entkleiden.

Hier sind sie Stück um Stück.

[209] Er bricht in Tränen aus.

Das Unterkleid,
Ich bitte, seht nicht an; denn es ist hären.
Ich hab es von Erbetteltem. Nicht ansehn!
Jetzt muß ich offen zeigen, was ich heimlich
Wollte verborgen haben, Kleid der Buße.
Um Christi willen sei es! Deine Kleider,
Gestrenger, darf ich nicht behalten.

Er ist ganz bloß bis auf das härene Bußhemd.
BISCHOF
breitet nach langem Schweigen ihm die Arme hin.
O bloßer Christ! Ich möchte dich besitzen!
In meine Arme eile! Wie Johannes
Ein zweiter Rauher nackt! Ich bin dein Bischof.
DER HEILIGE
neigt sich demütig der Brust des Bischofs.
Ich bin Euer Schäfchen. Laßt mir meine Wolle!
3. Bild
Drittes Bild
Papst Innocenz III. Kardinäle. Der armselige Heilige niedergeworfen zu Füßen des päpstlichen Stuhles.

PAPST.
Wer ist der sonderliche Mann?
KARDINAL.
Er nenne seine Regel!
PAPST.
Nenne sie!
DER HEILIGE.
Die nackte Armut. Abgerissenheit.
PAPST.
Der Kirche Kleinod ist die Armut längst
Samt Keuschheit und Gehorsam. Führst du ein,
Was längst Bestand hat? Nenne deine Regel!
DER HEILIGE.
Das Evangelium.
[210]
PAPST.
Wie wäre dies?
DER HEILIGE.
Als Christus, heiliger Vater, unser Meister,
Die Jünger sandte, zu verkündigen
Die frohe Botschaft, sprach Er: »Ohne Geld
Zieht aus, habt nicht zwei Röcke, keinen Stab,
Noch Schuhe an den Füßen, noch auch Vorrat
An Wegzehrung!« Also der Benedeite.
Nun traf dies Wort mich armen Staub und Asche
So wie ein Blitz ins Innre: Süßer Christus,
Zu was befahlst Du dies, wenn nicht zur Folge
Und mutigem Gehorsam? Was der Sohn
Gottes uns vortat oder redete,
Ziemt alsobald uns nachzutun, es sei denn,
Wir wünschen Anteil an dem Göttlichen.
Drum also dies die Regel: Mindre Brüder
Wollen wir sein und unser Meister Christus,
Der minnigliche Herr,
Wir wollen arm wie Seine Jüngerschar
Ins Weite ziehen, bloßer als die Sterne,
Ganz glanzlos, nur mit Gottes Lieb bekleidet,
Gedrehte Hände leer, demütiger Nacken,
Barfüßig, schlechtes Tuch, wandelnde Blöße, –
Daß Gottes Liebe zu bekleiden hat,
Damit dem weißen Fittich Seiner Güte
Wird ganzer Platz zuteil, drum sind wir nackt.
Nur zur Verherrlichung! Nur zur Verherrlichung
Des höchsten Herrn, ganz evangelisch, wahrlich.
PAPST.
Die Regel scheint uns unausführbar. Nein,
Wir geben nicht das Siegel.
DER HEILIGE.
Wie der Papst will.
Mög mir mein armer Herr zum Sieg verhelfen!
Ich bitte meinen Christus.

Er flüstert alsbald, immer auf dem Angesicht liegend, sein Gebet.
PAPST
zu den Kardinälen.
Nun, was dünkt euch?
[211]
EIN KARDINAL.
Gebt ihm zur Antwort: So besteht kein Orden!
Das war zu Christi Zeit. Er würdigte Sich also,
Der eingeborne Sohn,
Die Jünger zu erhalten auf der Reise.
Heut ist Er nicht mehr unter uns auf Erden
Ein Mensch, heut thront Er längst im Tabernakel;
Vermessenheit, zu fordern, was nicht stimmend
Mit wahrer Demut ist; denn wahre Demut
Begibt sich solcher Forderung, demütig
Schafft sie das Ihre, läßt sich nicht ernähren
Von Gott, ohn einen Finger aufzuheben.
PAPST.
Vortrefflich diese Antwort. Mann, vernimm sie!

Stille! Franziskus flüstert weiter.
PAPST
ungeduldig.
Es geht das Hirn des Menschen manchmal schwanger
Mit Spuk phantastischen Gedinges, also
Scheint uns das deine, Mann. Wie? Hörst du nicht?
Nackt, gänzlich arm, in Blöße, sind wir Tiere?
Du geh hinaus und wälz dich mit den Schweinen
Im Kot und fühle, ob sich dies geziemt.

Franziskus küßt ehrfürchtig den Boden und entfernt sich eilig. Stille.
KARDINAL JOHANNES VON PAUL.
Vorsichtig urteilt Eure Heiligkeit,
Und nur mit Recht. Denn allzu leicht schießt auf
Das Unkraut, gibt es sich auch gutes Ansehn.
Doch hier ist Weizen. Eure Heiligkeit
Verzeih den Ausspruch Ihr zuwider! Freilich,
Bedachtsam handeln, ganz mit Vorsicht, klug!
Es gilt die heilige Kirche! Aber dieser
Ist echtes, rechtes Korn und gottgesendet.
Wenn wir die Bitte dieses Armen
Verwerfen werden, hüten wir uns wohl,
Das Evangelium zu kränken! Wer
In Worten Christi liest Unmöglichkeit,
Der, mein ich, läuft Gefahr.

Stille.
[212]
PAPST
bedachtsam.
Wir wollen beten
Um eine Offenbarung, um ein Zeichen.
Es gilt die heilige Kirche. Wir sind Mensch,
Und nur der Heilige Geist aus großen Gnaden
Nach demüt'gem Erflehn
Kann uns vor Irrtum wahren, rein gemäß
Dem Ausspruch Christi. Bitten wir ein Zeichen!

Der heilige Franziskus kommt wieder, über und über mit Kot besudelt und bleibt, aus Furcht, durch die Nähe dem Papst lästig zu fallen oder durch seinen Kniefall die Würde des Ortes zu verunreinigen, an der Schwelle demütig geneigten Hauptes stehn.
DER HEILIGE.
Hier bin ich Ärmster! Eurer Heiligkeit
Gebot befolgend, zitternd, Euch zu kränken,
War ich bei Schweinen in dem Miste. Oh,
Gebt Huld! Gebt Huld! Um Christi Wort das Siegel!

Der Papst hat sich überrascht erhoben. Staunen unter den Kardinälen.
KARDINAL JOHANNES VON PAUL.
Dies ist das Zeichen! Wir bedürfen keines
Zweiten! O, Mann der Demut!
PAPST
langsam, unablässig den Blick auf Franziskus.
Säule der Kirche!
Du hast gesiegt. Die Regel hat das Siegel.
DER HEILIGE
mit demütig erhobenen Händen.
O süßer Heiland, Dir allein die Ehre!
4. Bild
Viertes Bild
Vor der Scala Santa beim Lateran. Der Heilige kniet vor der untersten Stufe tief bis zum Boden und Bruder Leo hinter ihm bis zum Boden.

DER HEILIGE.
Dies also sind die Stufen, Bruder Leo!
Oh, vielfach benedeit! Mein Herz will brechen!
[213] Hier schrittest Du, unschuldig auserkornes
Und gottgeweihtes Lamm,
Gebückt, zwischen zwei eisernen Römern, hin.
Und nun der Abstieg! Oh, du süße, himmels-
Wonnige Liebe! Striemen heiß bedeckten
Den Leib Dir, Deines Vaters Zornesküsse,
Mit welchen Er Dich herzte, nach der Schuld
Der stumpfen, bleiernen, schuldvoller Menschen.
Oh, süße Liebe, süße Liebe! Leis
Beträufelte der blutige Regen weißen
Marmor; und unsre Herzen, unsre Herzen
Bissen Dich wund, wie Mörder-Ungetüme!

Er schluchzt tief auf.

Und ich, der Bruder Franz, dies arme Wenig
Von Menschennot, ich immer noch Zuviel,
Darf Deinen süßen Schritten meine nachtun!
O sel'ge Gnade! Sel'ge Gnade! Nein,
Innig Geliebtester, ich bin nicht würdig!
Ach, nur dies Wissen, daß Dir wohlgefällig
Diese Verdemüt'gung,
Bestimmt mich auf die Stufen, auf die Stufen,
Die, sprachlos, noch vom Hall der Liebe zittern,
Die sie betrat, die immer Liebe schwingen
Hin in den Raum, noch überreich von damals;
Die immer Liebe klingen für das Lauschen
Der Engel. Sel'ge Gnade! Sel'ge Gnade!
O armer Wurm, bekniest die erste Stufe!

Er kniet tief auf der ersten Stufe, sie immerfort küssend – Stille.
DER BRUDER LEO
rückt kniend ihm nach.
Ich tu dir nach, mein Vater, ich bin deine
Fußspur, ich armer Leo!
DER HEILIGE.
Küsse! Küsse!
Ach, gäben meine Lippen Flammen her!
Oh, kaltes Herz! Oh, kaltes Herz! Mein Heiland!
Du Bräutigam der Liebe, Liebe Du,
Von Schmach ganz überhäufter, atemlos
Aus Liebesübermaß, Du wankender Himmel!
[214] Hinwankend unterm Schmerz, mit leeren Händen,
Du übervolle Hand, durch die das All
Rollend Bestand hat! Süßer, Lieber! Ach!

Er kniet auf der zweiten Stufe, Bruder Leo alsbald auf der ersten.

Ach, meine Zunge ist unwürdig –
Und möcht doch immer bilden, immer bilden
Den süßen Namen Jesu! Immerzu
Ein ganzes Leben lang und weit darüber
Nur immer Jesus lallen, Jesus, Jesus!
Du nie erhörtes Wort! Du Himmelssalbe!
Du Born, Du unsre Wiege, Menschen-Freund!
Du reinste Lust, Du Engelhüpfen, Du –
Oh, süßes Rinnen! Süßes Rinnen! Wie
Der Liebliche mir niederkommt, mich tränkt
Mit Milch der Gnaden! Weiße Milch der Himmel,
Einst tränkst Du mich für ewig, immerzu!
Da ist nur immer Tränken, da heißt Dasein
Tränken aus himmlisch süßer Milch. Und meine
Irdische Zunge darf dann Himmelfeuer
Zu Gottes Lobe spein. Darf Regenbogen
Verkünden über Ozean der Güte
Und ewiger Seligkeit. O heiß Geliebter!!

Er ruht sprachlos mit dem Kopf auf der Stufe.
DER BRUDER LEO.
Ach, Jesus!

Der Heilige kniet auf der dritten Stufe, Bruder Leo folgt nach.
DER HEILIGE.
O Leo! Hier ist Blut! Hier sind zwei Tropfen!
Ach Wunder! Wunder! Übermaß von Wunder!
Noch sind sie sichtbar, Edelsteine, schimmernd
Im Weißen. Heil'ge Treppe! Heil'ge Treppe!
Ich werde küssen, Blut des hoch Erwählten,
Dich, innig Unterpfand zukünftigen Lachens.
Mein Gott, mein Alles! Der Du alles mir
Gegeben: Hauch und Atem, reine Regung,
Gesicht und Hand, mich durch und durch beseelst,
O unschätzbares Gut: gott-einiges Leben!
[215] Ich will Dich küssen und im Kuß umhauchen
Mich lassen von der angestammten Macht
Der Liebe, die Dich sehnend niederzog
Ins Weltenweh, o leidender Beseliger!
Denn diese Stufen durch Dein bitter banges
Weh, wurden sie die Leiter in den Himmel
Durch das geliebte Naß. O Heiland! Heiland!
Dein rot durchstochner
Herzschlag hält stark hier die gesamten Stufen,
Auf denen Dir jetzt ein Beleidiger,
Ein Herzdurchbohrender herzdurchbohrt nachfolgt!
O Gott, ich will hinzusteigen zu Deinem
Altar im Himmel, zum Altar des Lammes –
DER BRUDER LEO.
Zu Gott, der meine Jugend durchzückt –

Franziskus bückt sich im Kusse.
5. Bild
Fünftes Bild
Vollmondnacht. Beschneites, weites Feld. Rechts Dorngestrüpp und unter ihm eine winzig kleine Zelle aus Backsteinen, in welcher der Heilige, nur im Rücken sichtbar, betet.

DER HEILIGE.
Ai! Ai! Ai! Ai! Nie! Nimmer! Satan!
Sagt nicht der süße Herr: »Wer läßt sein Weib
Um meinetwillen –?« Und: »Verlasse alles!«
Nein, nein, ich greif nicht zu! Du bietest da
Mir etwas Blühendes, prangend in Reizen.
Und Jesus sagt: »Es gibt Verschnittene,
Die sich verschneiden um des Himmelreichs willen.«
Und der Apostel singt von den vieltausend
Jungfräulichen in weißen Kleidern, die
In Weihrauch stehn und goldne Harfen schlagen
Auf Zion unablässig und ein Lied,
[216] Vom Weibe unbefleckt, zu singen wissen,
Das weiß nicht der, der je ein Weib umarmt hat.
Ich will dies süße Lied. Nun weiche! Weichst du?
O heilloser Verräter! Immer ärger
Stellst du mir nach? Wohlan!

Er eilt aus seiner Zelle vor und wirft sich in den Schnee.

Wohlan, du Feind, ich will dich überlisten,
Denn wir sind schlangenklug nach dem Gebot
Des Meisters. Also sieh: ich balle Klumpen,

Er formt Schneeballen.

Sieben. Der große, sonderliche deutet
Mein Weib – und hier zwei Söhne und zwei Töchter.
Und Knecht und Magd dazu. Und nun, Franziskus,
Schaff Brot und Kleidung, schaffe dies und das,
Sei hier und dort, nur nicht bei deinem Herrn,
Dem süßgeliebten Christus! Tue dies
Und tue das, nur nicht ununterbrochenes,
Beseligend Gebet in stiller Zelle.

Er steht auf.

Feind, wenn dir dieses nicht genügt, vernimm in Inbrunst:
Ich will die Ewigkeit und nicht die Zeit;
Die Zeit ist tot, die Ewigkeit ist lebend.
Ein Weib ist Zeit, und eine Ewigkeit
Ist ewige Hochzeit ewiglicher Minne.
Ich will die Ewigkeit! Mir gab den Ring
Das Lamm, das alle Zeiten überbrückte
Im blutigen Opfer. Und ich halt den Ring,
Den süßen, feurigen, an meiner Hand.
Ich bin des Geistes und vermählt dem Geist,
Ich zeuge feurige Tage
Der ewiglichen Minne süß in Christus,
Im Vater und im Geist. Sei, heilige Jungfrau,
Du reines, weißes Haus
Des Herrn, mein Beistand! Und du weiche, Satan!

Er wirft sich in die Dornen, und es sind lauter rote Rosen.
6. Bild
[217] Sechstes Bild
Nacht. Sturm. Fliegende Wolken. Ein Zickzackweg erklimmt eine Anhöhe. Der heilige Franziskus von rechts, voran ihm der Bruder Leo. Der Wind ist ihnen entgegen und zerrt ihr armseliges Gewand. Der Regen durchpeitscht sie. Sie ersteigen langsam hin und her den Gipfel, auf dem ein Kreuz seine nackten Balken zeigt.

DER HEILIGE.
O Bruder Leo! Wahres Schäfchen Gottes!
DER BRUDER LEO
steht.
Mein Vater redet –
DER HEILIGE.
Nicht so, Bruder Leo!
Laß uns nur weiterziehn in dunkler Nacht!
Daß wir nicht zögern! Weiter! Redend geh ich.

Bruder Leo geht alsobald.

Schreib auf, schreib auf und zaudere nicht, mein Schäfchen,
Den Spruch des Minderen, den Spruch des Bettlers
Franziskus, des ganz armen, Würmchens Christi:
»Wenn auch ein minderer Bruder Blinde sehend
Machte miteins und Krumme gerade, Teufel
Ausfahren mit Geschrei, Dämonen zittern,
Stummen die Zunge löste, Lahmen Füße,
Viertägige Tote ließe leben, (schreibe,
O Leo, dies bedachtsam mit dem Griffel:)
Ist nicht vollkommene Freude, nein, dies nicht.«
DER BRUDER LEO.
Erstaunlich, Vater, sehr erstaunlich!

Sie schreiten hin.
DER HEILIGE.
Leo!
Und füge dies noch bei, du treues Lasttier:
»Die Sprachen aller Zungen, Wissenschaft
Und Schrift und Prophezeiung und das Schauen
In die Gewissen andrer ganz durchdringend,
So alles das ein mindrer Bruder hätte:
Ist nicht die wahre Freude«, sagt dein Griffel.
[218]
DER BRUDER LEO.
Ich schreibe, Vater, jedes Wort mir ein
In mein Gewissen, zu Portinukula
Trag ich es nach,
DER HEILIGE.
Und nach noch nicht den Schluß!
»Denn falls ein minderer Bruder durch die Gnade
Des süßen Christus redete mit Lippen
Von Engeln überfließendes Geheimnis,
Der Sterne Lauf vernähme, in den Kräften
Die Kräuter alle kennte, aller Tiere
Eigene Art, der Wurzeln und der Steine
Heimliches, alles dies, dazu noch Heilkraft
Von alledem: Es ist nicht wahre Freude,
Ist nicht vollkommen froh, ist nicht der Jubel.«

Sie schweigen wieder eine Weile.
DER HEILIGE.
O Schäfchen, Schäfchen, ich muß weiter sagen:
»Wenn auch ein minderer Bruder Prediger
Gewaltig wäre, alle Heiden finge
Ins Netz, bekehrte und bekehrte: nein,
Dies ist noch nicht der Springquell, der hoch aufspringt
In Freuden hin zu Gott.«
DER BRUDER LEO.
O Vater, Vater!
DER HEILIGE.
Ertrag ich's noch? O süßer Überschwang!
Nein, Bruder Leo, ob die minderen Brüder
Schon auf der ganzen Erde Beispiel sind
Von Heiligkeit und Andacht zur Erbauung,
Wie wär das wahre Freude! Wahre Freude!
DER BRUDER LEO.
Vater, ich halt es kaum! Ich halt es kaum!
Ich bitte dich um Gotteswillen, Vater,
Worin besteht sie nun? Oh, sag es doch!
DER HEILIGE.
O süßer Name Jesus! Aber wenn
Mein Schäfchen Leo, wir anlangen in
Santa Maria degli Angeli,
[219] Von Regen ganz durchweicht, von Kot ganz sudlig
Und mit dem Wurm, dem Hunger, – pochend also
Ans Tor, wenn dann der Pförtner kommt: »Wer seid ihr?
Ihr naseweisen Schlingel!« Wir hingegen
Demütig, Bruder Leo, demütig
Ihm sagen: »Zwei von euren Brüdern, Herr!«
Nun wirft er uns das Tor zu: »Schlechte Wichte!«,
Noch hinterdrein; wir aber stehen draußen
Starr, steif vor Kälte, und er tut nicht auf
In unwirtlicher Nacht; schreib: »Freude! Freude!
O hohe Himmelsfreude! Born der Gottheit!«
DER BRUDER LEO.
Ich schreibe schon: »O hohe Himmelsfreude«
DER HEILIGE.
Wir zittern durch und durch und klopfen an
Von neuem er jedoch fährt böse zu:
»Packt euch von hier, ihr Niederträchtigen!
Ins Wirtshaus! Oder wie? Wer seid ihr denn?
Hier gibt es nichts zu essen!« Dabei schlägt er
Mit Wucht ins Angesicht, daß wir schon taumeln,
Dies ist die höchste Freude dieser Erde!
DER BRUDER LEO.
Ich schreibe fort und fort.
DER HEILIGE.
Noch einmal schlagen
Wir atemlos das Tor: »Tut uns doch auf!«
Und flehen jammernd: »Wir sind mindre Brüder!«
Nun ist zu Ende die Geduld des andern.
Er gibt den Stock zu kosten. Tüchtig! Tüchtig!
Wir liegen da am Boden unter Hieben.
»Ihr unverschämten, meisterlosen Kerle!«
Und Wunden springen auf und platzt die Haut –
Wir aber jubeln ob so vieler Schläge,
Eins mit dem Kot, vor Schmerzen klappernd, preisen
Den gütigen Gott, der uns gewährt, die Leiden
Christi zu schmecken, zu ertragen; schreibe:
»O hohe Freude, ist ein Brautbett froher?«
Ja, schreibe, Leo, schreibe dies!

Sie sind oben.
[220]
DER BRUDER LEO.
Mein Vater!
DER HEILIGE
unter dem Kreuz auf den Boden niedergestreckt.
Und ach! Hier unter diesem süßen Holze
Und benedeitem Lamm
Erkenn ich voll das Übermaß von Hochmut
Der Seele mein. Gleich trittst du, Bruder Leo,
Mir auf die Kehle, hin und wider schreitend,
Und gibst mir unablässig diese Namen:
»Du Schuft, du Lästerer, Ehbrecher, Mörder;
Wie, hörst du noch nicht auf?« Und trittst mich weiter.
Beim heiligen Gehorsam!
DER BRUDER LEO
zögernd den Fuß auf des Heiligen Kehle setzend.
Süßer Vater,
Warum nur dies, warum nur dies? O wehe!
Du bist das nicht!
DER HEILIGE.
Zu, Bruder Leo, zu!
Ich war das alles. Ohne Gottes Gnade
Wäre ich es noch. Und jeder Mörder wäre
Besser als ich bei soviel Überströmen
Von minniglichem Reichtum aus der Höhe.
Zu, Bruder! Hungert mich nach deinen Worten!
Und tritt mir derb!
DER BRUDER LEO.
O süßer Mörder, Vater,
Ehbrecher, Schuft –

Er bricht in Tränen aus.

Ich kann nicht! Ach, ich kann nicht!
DER HEILIGE.
So wenig Wahrheit sagen, Bruder Leo?
Ei sieh!
Doch hast du auch die Schrift bewahrt, mein Sohn?
Wenn wir geschlagen werden von dem Pförtner? –
Dort hängt der Heiland an dem bitteren Balken,
Der Herr der Welt macht beide Arme breit!
O süße Wonne mein! Oh niedrig! niedrig!
O Würmchen Gottes! Süße Liebe! Gott!
7. Bild
[221] Siebentes Bild
Weite Ebene. Im fahlen Mondlicht sitzt der heilige Franziskus mit seinen Elf. Er sitzt auf einem Stein, und sie im Kreis zu beiden Seiten vor ihm. Aus einem Korbe langt der Heilige Stücke Brot und verteilt sie. Sie gehen von Hand zu Hand, sie brechen die Brote und halten Mahl.

DER HEILIGE.
Wir essen nun das letzte Mal mitsamt. –
Dann geht hinaus, zweie und zwei, wie Christi
Jünger hingingen, einer und der andre
Und wieder zweie durch das ganze Land.
Also auch ihr!

Stille.
DER BRUDER LEO.
Wen wählst du aus dir, Vater?
DER HEILIGE.
Ich wähle mir den Leo, Schäfchen Gottes.

Stille.

Seht, welch ein Morgen nah am Tagen ist!
Das Graue ist so keusch und ungetastet,
Wie unseres Heilands Mantel grau vom Staub
Des Wanderns und doch unberührbar.
So auch der Morgen. Alles Gott zur Ehre!
Und Seinem Christus! Wie der Wind nun hinstreicht
Und uns die Mäntel hebt! Viel schöner weht
Der blumige Gottesgeist zu unsren Häupten,
Lüftend die Decke unsrer armen Ohnmacht
Und Nacht von Mensch und Schuld.

Er hebt beide Hände und kehrt das Antlitz gen Himmel.

Ja, Brüder, preiset
Den Süßen, den die Himmel all nicht fassen;
Und der doch klein ist, wie ein weißes Brot
Und runde, weiße Scheibe –, der zu Hause
In einem Zelt, das niemals ganz enthüllt wird
Erschaffenem, und das die Engel heilig
Bestaunen jede Ewigkeit und alle
Die lieben, tapfren Heiligen: das Zelt
[222] Der allerheiligsten Dreifaltigkeit!
Ja, Brüder, kniet mit mir und betet an!

Sie knien alle mit ihm nieder.

O süßer Gott, der Du das Würmlein herzest,
Das in dem Grase kriecht, der Du sogar
Das Würmlein Mensch mit Gegenwart beseligst,
Allgegenwärtiger, so innig nah,
Daß wir nur fassungsloses Staunen haben
Und Tränen, rinnend ob der vielen Güte –:
Sieh hin auf Deine kleine, mindre Herde,
Die in dem Grase weidet, das Du sätest
Durch Wort des Sohnes, die dem treuen Hirten
Durch Ewigkeiten folgsam folget nach;
Sieh an, wie sie nun ziehn, zu zweien also,
Gesegnet nur durch Dein erhabenes Beispiel,
Ziehn in die böse Welt! Und Wolle lassen
Und Blut um den ganz teuren, hohen Christus,
Das ist der Herzwunsch, den Dir jedes Herz schlägt
Der kleinen Herde, der geringen. Daher
Gib Deinen Segen, Vater, Sohn und Geist,
Und Deine Gnade! Deine Salbung salbe
Uns mit dem lauteren Geist der heiligen Armut,
Demut und des Gehorsams; unsre Hände
Mach allzeit leer, daß sie schön bitten lernen,
Wie es sich ziemt für Hände minderer Menschen!
Und segne uns! Und benedeie uns!
Ja, gib uns Segen! Amen.
ALLE.
Amen.
DER HEILIGE.
Amen.

Er steht auf und alle Brüder stehen.
DER HEILIGE
weisend.
Ihr nach Ägypten, ihr nach Spanien, ihr
Nach Palästina, – euch sagt ich es schon –,
Ihr in den Norden, also zieht mir hin,
Geliebte!
Ich bete allzeit um euch, ihr für mich!
Gott gab mir oft die Gnade, die Entfernung
[223] Betend zu überschauen, oft schon sah ich
Den Weitzerstreuten mit dem Blick der fliegenden,
Sorgend wachsamen Liebe allen zu.
Ich weiß dann, wo Gefahr ist, Räuber, Flüsse,
Verleumdung, Kerker, Wolf, Frostnächte, Hitze:
Ich schaue sie und komme heil zu Hilfe,
Betend, um Engel bittend, die da schützen.
So geht nun allesamt und kehrt mir wieder
Hierher an diesen Ort und baut mir Hütten,
Wartend einander ab bis wieder elf sind
Und ich der mindere Vater! Meine Söhne!
Betet ihr schlicht, so betet »Vater unser«,
»Gegrüßt, Maria« und »Herr Jesus Christus,
Wir beten an und benedeien Dich,
Denn durch Dein Kreuz hast Du die Welt erlöst.«
DER BRUDER GINEPRO
jäh einfallend.
Oh, träfe mich der Henker mit dem Eisen!
Oder die heil'ge Flamme fräße mich
Und gäbe endlich, endlich süße Einung
Mit meinem Herrn, die minnigliche Hochzeit!
Franziskus, bitt, daß mich die Flamme frißt!
DER BRUDER LEO.
Auffrißt mich auch, Franziskus, auch den Leo!
ALLE.
Und mich! Und mich!
DER HEILIGE.
O teure Schafe, Herde!
Das steht im Willen unsres Herrn. Dies süße,
Feurige Bett ist eine große Gnade.
Verlangt es nicht so unbescheiden! Wer
Ist solcher liebenden Umarmung würdig?
ALLE.
O niemand, Vater! Niemand!
DER HEILIGE.
Also, Schäfchen,
Zieht hin, und niemand gebe Anstoß von euch!
Die Völker grüßt: »Der Herr verleih dir Frieden!«
Und bietet an die Liebe immerzu,
Die Liebe Gottes laut oder auch leise,
[224] Wo ihr nur Menschen trefft, geheim und offen.

Aufwachsend.

Ihr habt den Schatz, ihr Armen! Salz der Erde
Seid ihr, mit glaubeninnigen Tränen salzend
Das ganze Erdreich und die ganze Erde.
Mit herber, starker Lehre aller Menschen
Glückloses Dasein zwingend, beizend treffend.
Mit Salz vom Ewigem salzend das Schale
Der Zeit in dieser Welt, o mächtige Herren,
Ihr allesamt aus dem, der Opfersalz ward,
Aus ihm, dem Lamm!

Stille.

Und sprecht mir auch die Horas
Gut und pünktlich, wo sie treffen, ob im Gehen,
Im Stehen oder Liegen: Gott die Ehre
Demütiger Anrufung! Im Regen oder
Im Schnee, bei Tag und Nacht, ihr Brüder, allzeit
Ewige Lampen, brennend vor dem Herrn,
Die Herzen! Geht nun! Zwei und zwei ihr tretet
Heran und nehmt von mir den Kuß des Friedens
Und schenkt ihn euch und bringt ihn heil zurück!
Und schafft mir Frucht! Sämänner meine! Kommt!

Sie treten hinzu, immer zwei, sich bei den Händen haltend. Die Stirnen neigen sie, dann küßt sie der heilige Vater, dann küssen sich die beiden, wappnen sich mit dem Kreuzzeichen und gehen wortlos hin nach ihrer Richtung. Zugleich mit dem Kusse haucht ihnen der Heilige das: »Pax tecum«. Man sieht, wie sie über die weite Ebene sich verbreiten. Zuletzt ist Sankt Franziskus allein mit dem Bruder Leo.
DER HEILIGE.
Komm Bruder, in dem Zeichen unsres Herrn!
Doch vorerst deiner Stirn ein Kuß und meiner,
Und leise zeichne uns der fromme Finger
Auf unser Haupt das auserwählte Zeichen,
Das T, wie wir es im Propheten lesen! 1
Hier nimm es hin! Nun gib es mir! Ich gab es
[225] Allen. Da ziehen sie. Zieht hin, ihr Brüder!
Und kehrt zurück, die Kutten weiß vom Reifen
Des Weizens, den euch Gott reichlich beschere!
Voran, mein Leo, wie wir es gewohnt sind!

Er schlägt das Kreuz, so auch der Bruder Leo. Bruder Leo geht vor und Franziskus folgt nach.
8. Bild
Achtes Bild
Mattenkapitel: Die minderen Brüder erfüllen die Ebene. Nur ärmliche Hütten aus Strohmatten unterbrechen die dichtgedrängte Menge der Mönche, die sich weit ringsum dehnt, ein Feld der Geringen. Ihr Vater Franziskus steht mitten unter ihnen auf einer kleinen Anhöhe predigend.

DER HEILIGE VATER.
Ihr fünfmaltausend Brüder! Süße Herde!
Der Herr gibt Sieg! Der Herr gibt Sieg! Seht, zahlreich
Wie Meeressand, fruchtbar unüberwunden
Ist eure Menge, die Er durch den Ärmsten
Und Mindersten der Mindren
Zeugte, der Allerbarmer! Meine Brüder
Fünftausend! Ihr habt euch der Welt enteignet
Und greift das Himmlische mit beiden Händen,
Ihr selig Reichen,
Sofern ihr Gott erfüllt, was ihr versprochen.
Bringt weiter Frucht! Bringt weiter Frucht! Blüht, Brüder!
Ihr tragt der Welt die Ewigkeit entgegen,
Tragt ihr mit vollen Händen süßes Heil
Und ewigen Bestand, ewige Wonnen
Vom Heiland zu, der Sich für uns enterbte
Der angestammten Herrlichkeit. O Brüder,
Bringt weiter Frucht! Die Welt beseligend!
Krankheiten heilend, die Aussätzigen
Reinend; wo immer Jammer ist und Fehde
Und wankendes Bestehn,
[226] Tragt ihr das Saatkorn zu, das den Gott-Vater,
Den Süßen birgt zu heiler Süße, zu
Süß blühendem Gedeihn. Dies Saatkorn ist
Des Sohnes Wort, des Heiligen Geistes Hauch.
O reiche Ritter, überreiche Ritter!
Heersturm des Herrn, verbrüdert mit den Scharen
Stürmender Engel, die den Satan bannen
Ins unterste Bereich! – Habt kurz die Summe,
Geliebte Brüder, Summe der Liebe, hört:
Armut: Herr Jesus Christ ist arm geboren,
Arm kam Er her vom Stern
Des Jenseits aus dem Schöße Seines Vaters.
Hat arm gelebt, Armut gelehrt, ist arm
Dahin. O Armut, edle Liebe Christi,
Wahrhaft erwählte Braut! Sie blieb am Kreuz
Nackt ausgespannten Arms
Ihm treu; Maria selber mußte drunten
Verbleiben. Liebt deshalb die heilige Armut! –
Keuschheit: Wie innig Jesus Keuschheit liebte,
Sieht das beschauende Aug
In der jungfräulichen Geburt des Herrn.
Er hüllte Sich in reinster Jungfrau Fleisch,
Sich, die wandelnde Liebe. Welch ein Mensch!
Drum, Lämmlein, trügt euch um den Zarten nicht,
Ihr habt Ihn sichrer unbeweibt. Er riet
Die reine Jungfrauschaft, und Er bewahrte
Dies unberührte Gut, und Er schied hin
Erblassend zwischen Jungfraun. Reiner Christus! –
Zuletzt Gehorsam: Er hielt Gott Gehorsam
Rein von der Krippe bis zum Kreuz. Schaut auf Ihn!
Gehorsame der heiligen Kirche seien
Die Minderen, nicht selbstisch, keine Ketzer!
Die heilige Kirche ist die nährende Mutter,
Ihr liegt an ihrer Brust. Ja, Brüder Schäfchen!
Drum irrt nicht in die Dornen! Vieler Abfall,
So sah ich im Gesicht,
Wird kommen in den Zeiten, schreckliche
Verwirrung, die sich für die Wahrheit ausgibt.
Nacht wird Tag heißen, Morgenröte nennen
[227] Die Sänger die Lohe ihres Untergangs.
Ich sah das alles, Brüder! – Zeiten nahen,
Da ist die Liebe lau, und Menschen werden
Gebrandmarkt, die nicht leere Worte reichen,
Und die die Hände tragen voller Flammen
Der Himmelsleidenschaft. O Brüder, Streite
Gibt es noch viel! – Ihr aber habt die Liebe,
Die sich gekreuziget um unseretwillen,
Im Herzen rein in steter Anbetung!
Bewahrt das Band! Seid demütig im Glück!
Im Unglück frohe, in der Trübsal Milch
Und süße Labsal immer noch! Habt Frieden
Mit Gott, mit euch, mit allen Friedenskindern!
Brecht Segen euren Feinden! – Nun laßt beten
Uns zu der unerschaffnen, benedeiten,
Himmlischen Liebe! Kniet!

Der Heilige kniet, und die Fünftausend neigen sich wie Weizen vor dem Wind.
DER HEILIGE
hebt an.
O Vater unser ...!
9. Bild
Neuntes Bild
Der Heilige kniend auf dem Berg Alvernia. Morgenröte. Des Heiligen Antlitz lodert im Feuer. Er hält die Arme gebreitet.

DER HEILIGE.
Auf weißer Haut empfing ich Deine Wunden,
Dein Liebebluten, Meister, übertrug sich:
Aus Deinem Himmel trafst Du mich mit Peinen,
Aus Deinem Glühen stachst Du mich mit Licht!

Er sinkt blutend hin.

Der Liebe Opfer Du, o Christus, Liebe
Küßt mich bis in den Tod fünffach im Kuß!

Er verstummt.
10. Bild
[228] Zehntes Bild
Die Sterbezelle des Heiligen zu Portiuncula. Die elf Brüder stehen um Sankt Franziskus, der auf der nackten Erde stirbt. Durch den niedrigen Eingang in der Rückwand der Zelle sieht man ins leuchtende Rot des Abends. – Eine Weile Stille.

DER BRUDER GINEPRO
aufrufend.
Mein Vater!
DER BRUDER BERNHARD
am Fußende.
Seht der letzte Seufzer hauchte
Ihm hin!

Sie sinken alle in die Knie.
DER BRUDER LEO.
O Vater, bist du hin! Mein Hirte,
Was soll ich Schäfchen ohne dich?
DER BRUDER GINEPRO.
Nicht weinen,
Leo, der gute Vater ist in Freuden!
DER BRUDER MASSEO.
O Vater, bitt für uns!
ALLE BRÜDER.
Bitte für uns!
DER BRUDER EGIDIO.
Bitte für uns den Vater in den Himmeln,
Der unser aller erster, einziger
Herz-Vater ist, oh, bitt Ihn, frommer Vater!
ALLE BRÜDER.
Vater Franziskus, bitte Ihn für uns!
DER BRUDER EGIDIO.
Seht, wie er ruht, wie eine Lilie schlicht
Gelegt!
DER BRUDER GINEPRO.
Wie eine schlichte Armut duftet!
DER BRUDER EGIDIO.
Duft spür auch ich, so wie im Frühling morgens
Frühe die Rosen duften, die der Tau netzt.
DER BRUDER LEO.
Der Tau des ewigen Lebens netzt den Vater –
[229]
DER BRUDER MASSEO.
Und seine blinden Erde-Augen salbt er –
DER BRUDER BERNHARD.
Mit Fernsicht in die Gottheit salbt sie Gott.
DER BRUDER GINEPRO.
Drum laßt uns alle fröhlich sein wie Englein!
DER BRUDER ANTONIO.
Wie jetzt die Engel unablässig Rosen
Hinstreuen dem, der in seraphischer
Rose erglühend hold sich Christo gibt
In Liebeeinigung der Ewigkeit –,
So wollen wir in Psalmen und in Hymnen
Die ganze Nacht mit unablässigem Preise
Hinbringen, Lilien reichend aus dem Herzen
Im Sang dem Vater zu, der selig ist.

Das Abendglühen in der Pforte wird tiefer brennend.
DER BRUDER GINEPRO.
Ja! Ja! – Doch st! Bernhard, oh darf ich einmal
Zur Ehre Gott und Seinem heiligen
Bettler Franziskus, darf ich ganz klein wenig
Das Tuch der Seite öffnen und verehren,
Was Gott gezeichnet süß und tief und rot?
DER BRUDER BERNHARD.
Tu es, Ginepro!
DER BRUDER LEO.
Hört einmal die Lerchen!
DER BRUDER GINEPRO.
Oh, Dank, Bernhard!
DER BRUDER EGIDIO.
Horcht!

Sie knien alle lauschend, nur Ginepro lüftet entzückt die Seite des Vaters.
DER BRUDER LEO.
Wahrlich, lauf ich hin,
Das wundersam Gezwitscher ins Gesicht
Zu fassen –!

Er tritt in das Tor, schaut hinauf und breitet die Arme weit.

Oh! O seht! Schwärzliche Striche
[230] Lerchen streichen den Himmel hin von Nacht her,
Von Westen und von Osten und von Mittag;
In Kreuzesform sie ziehn –
DER BRUDER GINEPRO.
Du heilige Seite!
Pforte der Liebe, Rubinrot in Gott,
Vom Speer durchstochen; fünfmal stach die Flamme
Sengender Liebeslohe dich am Leib,
Fünf Wunden brachen auf, fünf Küsse schmolzen
In einer Woge roten Mitleids eins
Mit Christi Malen, als am Holz Er hing.
DER BRUDER LEO
indes die andern mit betend erhobenen Angesichtern im zart roten Dämmer knien.
Der Himmel steht gekreuzt in Lerchenvögeln:
Die unvernünft'ge Kreatur gedenkt
Des Schöpfers, der für die Erneuerung
Auch ihres armen Leibes-Tier
Sprengte Sein Blut, erfüllend so im Opfer,
Was jene Tiere vorbedeutend taten,
Im alten Bund.
DIE KNIENDEN BRÜDER
gen oben blickend.
O Wunder über Wunder!
Ganz Licht erwarb sich Sankt Franziskus sterbend.
Mit Last des heiligen Leidens sühnte er
Aufs neu die Schuld vor Gott in Seinem Christus.
Zwingend den Tod, zieht er die Lerchen alle
Zum Kreuzesflug in Paradiesesdemut.
Er zwang den Tod, mit seiner Male fünf
Bestrahlend diese ungeheure Weltnacht
Ins Morgenrote einer neuen Schöpfung.
Dort stirbt der Abend zwar, der Heilige sendet
Pfeile des Morgens in die Gottheit hin.
Die Gottheit wirkt durch ihn des Morgens Pfeile
Zu neuer Erde, Pfeile süßer Sehne,
Pfeile der Liebe, die das Weltall baut.
ALLE
hymnisch.
Amen! Amen! Ora pro nobis, pater!

Ende

[231]

Martin Luther der ohne Reichtum

Gesang 1-3: Die Begierde
1. Bild
Erstes Bild
Klosterzelle des Bruder Martin. Brennende Kerze. Nackte Wände. Kruzifix. Lager des Mönches. In der Tür steht der Bruder Johannes und mustert den anderen, der rechts vom an der Wand lehnend sein Antlitz vor dem Mitbruder im Arm verbirgt.

BRUDER JOHANNES.
Da bin ich wieder, störe dich in deiner
Betrachtung. Zeig dein Angesicht! Her, Bruder!
DER BRUDER MARTIN.
Die Ängste, oh! die Ängste! Ganz die Nacht
Hindurch!
BRUDER JOHANNES.
Ich weiß es. Hör ich deine Stimme schon
So ängstlich grau, fahl, ohne Klang der Hoffnung.
O Bruder!
DER BRUDER MARTIN.
Ja, wer hilft von Sünden auf!?
Ich bin so sehr verstrickt! Werd ich bestehen?
BRUDER JOHANNES.
Von Sünden hilft dir Christus durch Sein weh
Vergossenes Blut. Was schließt du deine Augen,
Als ob Der da nicht hinge

Weist auf das Kruzifix.

angenagelt
Um unsre Last, als ob nicht dieser kahle
Kreuzbaum die Urschuld trüge, die erwürgt
Vor Gott ist mit dem Einen, dessen Name
Heißt Ohnschuld?
DER BRUDER MARTIN.
Worte! Worte! Müßig!
Ich quäle mich hinan durch Werke, Werke,
Zerquält bis an die Nieren, quäle mich –;
Wann geht mir auf die Sonne süßen Friedens?
[234] Ich quäle mich der Werke Stufen an,
Der Himmel wird nicht hell.
BRUDER JOHANNES.
O Martin! Martin!
Gott hadert nicht mit dir, doch du mit Ihm!
DER BRUDER MARTIN.
Selbst Haderer! Schweig, Bruder!
BRUDER JOHANNES.
Martin! Martin!
Mein Aug sieht tief! Mein Aug sieht tief! So kommst du
Nicht aus.
DER BRUDER MARTIN.
Ich bitte dich, laß mir die Zelle,
Und stör mir nicht das Tiefe, das aus mir
Sich loszuringen ist bestrebt!
BRUDER JOHANNES.
Ja, du
Gehst einsam, Bruder Martin, gehst beiseite,
Gehst einen eigenen Weg. Ist dir die sichre
Stiege im Silberlicht nicht licht genug,
Die wir alltäglichen
Menschen hingehen in der Gnade Christi,
Kleinwinzig wie wir sind?
DER BRUDER MARTIN.
Kenne sie wohl.
Ihr nehmt zu leicht es, ihr! Ein Ablaß macht
Euch selig, lächelt vor euch hin, vergnügt. –
BRUDER JOHANNES.
Und hat nicht Er die Sündenstrafen gnädig
Macht zu erlassen aus dem kostbaren
Gefunkel Seiner heiligen Sühnetat?
Und ziert nicht unsere Freude
Den bleichen Kreuzeshelden, laut Ihn kündend
Als Licht in tiefster Nacht?
DER BRUDER MARTIN.
Hast du Gesichte?
Wie? Nein! Nun freilich! Hast gut lächeln, lachen
Dir in die Faust! Doch ich, ich habe also
Schreckliche Heimsuchungen,
[235] Daß mir die Haare stehn, die Zähne klappern,
Daß es mich schüttelt irr und wirr, – ja, freilich,
Dann dein Getrost von lichtem Weg und sichrem
Gelangen klingt wie ein gepfiffnes Lied
Hin in die Luft!
BRUDER JOHANNES.
Christus ist Jubel, Martin!
Ist Jubel über Jubel und kein bloßes Lied!
DER BRUDER MARTIN
wendet sich jetzt zu dem Sprechenden um.
Mir aber hat der Herr
Gegeben diese Hoffnung: »fürchterliche
Trübsal ist nur die Morgenröte Meiner
Liebseligen Ankunft.« – So werd ich geprüft!
Gott wohl hat Großes noch im Auge.
BRUDER JOHANNES.
Bruder,
Das steht bei Gott. Doch hast du Trost, was also
Dies Jammern schmerzentstellter Züge?
DER BRUDER MARTIN.
Nimm du
Mein bleiernschweres Herz und sieh dann lächelnd!
BRUDER JOHANNES.
Doch weshalb schwer?
DER BRUDER MARTIN.
Schwer ist der gnädige Gott!
BRUDER JOHANNES.
O leichte, süße Last, o Joch aus Lilien, –
Spricht denn nicht so der Herr –? Und wo ist Schwere?

Eine Uhr schlägt. Alsbald ruft ein Glöcklein singend hin und her sein Lied.
DER BRUDER MARTIN
schlägt um im Ton.
Ich müh mich ab, mein Bruder, sieh, mein Werkeln
Bringt mir den Frieden nicht. Und Frieden such ich,
Laut sehnend meine Arme nach ihm dehnend,
Such meiner Qual ein Grab. – Und woher stammt dies:
Daß mir die lechze Seele lechzender
Zu meinem Bann und Tun
Reißt in der Brust und mir die Augen tief
[236] Einhöhlt?

Das Glöcklein singt fort.
BRUDER JOHANNES.
Das weiß ich nicht zu sagen, Bruder
Doch eines weiß ich: –
DER BRUDER MARTIN
unterbricht.
Nicht zu sagen! Nicht
Zu sagen! Weiß ich nicht zu sagen! Sieh da!
Ein starker Trost! Fürwahr!

Kurze Stille.

Hei! Nicht zu sagen!
BRUDER JOHANNES.
Doch eines weiß ich, Sohn der Unruh, wohl:
Du hast die gnadenvolle Auserwählung
Des Priestertums. So süßer Labe-Trost
Ist dir durch jene heimlich minnigen Worte,
Daß du vom Lichte reif und süß und schwer
Fast brechen müßtest, vor so vieler Gnade!
DER BRUDER MARTIN.
Was Worte? Was für heimlich minnige Worte?
Was weißt du für ein ganz geheimes Mittel,
Mein Bruder Zauberer?
BRUDER JOHANNES.
Die innige
Geschwisterschaft der Fünf, den süßen Reihen,
Der dir erschwingt den liebeglühenden
Christus vom höchsten Himmel, der liebkosend
Auf jene Worte sich verdemütigt
Und wird zur weißen Scheibe. Diese fünf:
Hoc est enim corpus meum.
DER BRUDER MARTIN.
Ich kenne sie! Ich kenne sie! Ich kenne sie!
BRUDER JOHANNES.
Und ziehst ein trüb Gesicht? O du Philister!
DER BRUDER MARTIN.
Wahr deine Zunge! Ich bin nicht gut bei Mut!
BRUDER JOHANNES.
Bist du ein Heide, daß du aus dem Israel
Der hellen, hohen, heilen, jubelnden
[237] Freude dich ausschließt und dich selbst belegst
Mit einem Bann der Trübsal voller Marter?
DER BRUDER MARTIN.
Wie! Pharisäer! Hast du Sünden!? Eitler
Heuchler!
BRUDER JOHANNES.
Ich heuchle meinen Frohmut nicht.
Noch meine liebeselige Gemeinschaft
Mit meinem süßen Christ. Denn meine Sünden
Bring ich in Stille unter Tränen vor
Den Herrn. Doch Seine himmlische Barmherzigkeit
Wischt mir die Tränen ab und macht mich lachend,
Daß ich wie eine kleine Sonne leuchte
Zu Lob und Ehre meinem süßen Christ!
DER BRUDER MARTIN.
Herunter mal die Kappe!
BRUDER JOHANNES
fällt ihm ein.
Doch du, Bruder,
Bist in der Trübsal ohne Wiederkehr
Zur freudigen Losung. Wie? Du weißt doch wohl,
Daß uns die heiligen Väter warnend lehren,
Dem trüben Mut in unsrem Wesen keine
Stätte zu gönnen. Also blicke froh!
Es spricht auch der Apostel von der Freude –
BRUDER JOHANNES.
Herunter mal die Kappe! Ei, es frommt nicht,
Dastehn aufs Maul geschlagen wie ein Schulbub!
Ei, guter Bruder! Guter Bruder Trost!
Du bist ein braver Arzt! Doch deine Pillen
Sind überzuckert, bergen bittre Galle,
Fein sauber überzuckert, Teufels Listen!
BRUDER JOHANNES
weicht zurück.
Was ist das für eine Sprache –!
DER BRUDER MARTIN.
Ja, eine gerade Sprache, gerad heraus!
Oh, über Last der Werke! Eitles Mühen!
»O vanitatum vanitas!« wie richtig
Der Prediger sagt. Wir mühen uns ins Eitle.
Es ruht kein Segen drauf. Und Frieden? Nein!
[238] Wir quälen uns mit Beten und mit Fasten;
Kommt doch nicht Ruh. Wo aber Ruh, wo ist sie –?
– Kein Wunder, wahrlich! Meint ihr den gestrengen
Richter und Herrn durch euer kleinlich Rechten
Und Haschen nach Verdienst,
Wie? zu versöhnen? Nimmer! Nimmer! Nimmer!
BRUDER JOHANNES.
O Bruder Martin, du sprichst keckes Wort,
Den eignen schlimmen Willen, schlimm noch pflegend,
Dich selbst verallgemeinernd in die weite
Anzahl! Oh, hüte dich! Ich seh mit Jammer –
DER BRUDER MARTIN.
Ich kann es nicht! Kann's nicht! Den Frieden nicht
Finden durch reuzerfleischter Lippen Paar,
Noch wunde Knie, noch stöhnende Gehärme.
Kann's nicht! Vermag's nicht!
BRUDER JOHANNES.
Was tut das der Sache?
Was tut dem Frieden (der den wunden Knieen
Und rotgeweinten Augen niederkommt),
Was tut ihm, daß du ihn nicht findest? Vielmehr
Bist du es, Martin, der da Rechten übt
Mit Gott; denn nicht genügt dir allgemeine
Und wahrhaft mitleidsvolle Mild-Verzeihung
Aus Christi Tropfen. Unsere Werke nicht
Versöhnen; unsrer Werke Stammeln aber,
Getan in Christo und vereint mit Christi
Ganz einzig gültigem Werk –:
Dieses versöhnt und macht uns heil und heilfroh.
DER BRUDER MARTIN.
Komm laß uns gehn zur Mette!
BRUDER JOHANNES
bleibt.
Bist du Priester?
Bist du es nicht, der in der heiligen Messe
Das Lamm hält opfernd zwischen beiden Händen,
Darbietend Dem den Eingeborenen,
Den einzig der durchstochene Sohn versöhnt?
Du hebst das Unterpfand unsrer Versöhnung
Täglich zu Gott auf, und du zweifelst noch?
[239]
DER BRUDER MARTIN.
Kennst du die Angst?

Das Glöcklein wird still.
BRUDER JOHANNES.
Die Angst –? Wie meinst du?
DER BRUDER MARTIN.
Du kennst sie nicht, und weißt mir nichts zu sagen.
Die Angst vor dem verdammenden Gezürne,
Angst, die das elende Gewürm durchbebt,
Ahnt es den Urteilsspruch.
BRUDER JOHANNES.
Was meinst du, Martin –?
Vertrauen überklimmt noch jede Angst
Mit innigem Aufstieg. Wir sind dessen, der
Zum Abendmahle unsre Füße wusch,
Sich niederbückend in der triefenden
Barmherzigkeit des Worts, das Fleisch geworden.
DER BRUDER MARTIN.
Ich aber kenne sie, du kennst sie nicht!
Hör an ein Stückchen, schaudre! Die Primiz
War da, und ich der Neue, Ungewohnte
Am Altar handelnd. Wie nun nach dem Sanctus
Ich in den Kanon komme und beginne
»Te igitur«, ergreift mich solch ein Beben
Weit aufgerißnen Augs, gesträubten Haares,
(Stand ich doch vor der großen Majestät!)
Daß Fort-sich-reißen, in gehetzten Sprüngen
Die Stufen niederfliehn mir war Ergötzen
Gewesen, selige Beruhigung! Nun aber
Hielt man mich da ...
BRUDER JOHANNES.
O Martin! Martin! Martin!
Das ist nicht gut! Nicht gut! Pax tecum, frater!
Die Angst ist nicht von Christus, Christus tröstet –,
Die Angst ist nicht von Christus –
DER BRUDER MARTIN
schreit auf.
Von wem denn?
BRUDER JOHANNES.
Pax tecum, frater! Laß uns die horas lesen!
Zur Mette! Komm mit mir!
[240]
DER BRUDER MARTIN.
O Martin! Martin!
Gott will noch sonderlich hinaus mit dir.

Bruder Johannes geht voran und Bruder Martin folgt nach.
Durch die offen bleibende Tür sieht man in einen Kreuzgang. Kurze Zeit Stille. Nun kommen der Bruder Peter und der Bruder Thaddäus rechts her den Gang hinab, Bruder Thaddäus hält vor Martins Zelle an, blickt hinein, tritt in die Tür.
BRUDER THADDÄUS.
Er ging schon fort. Der Bruder Martin.
BRUDER PETER
nun auch heran.
Die beiden stehen im Rahmen der Tür.
Sieh!
Dieses die Wohnung seiner ewigen Seufzer!
BRUDER THADDÄUS.
Sehr sonderbar der Bruder Martin, wahrlich!
BRUDER PETER.
Ist er besessen, daß er schrie beim Künden
Des Evangeliums vom Besessenen?
BRUDER THADDÄUS.
Was ist denn dies für eine neue Sache?
BRUDER PETER.
Vorgestern erst geschehn. Du warst verreist,
So will ich's dir erzählen. Wir sind alle
Miteins im Chor beim feierlichen Opfer,
Johannes hielt das Amt. Als jetzt die Zeilen
Gesungen werden, welche vom Besessnen
Aussagen, hören wir ersticktes Stöhnen.
Und mitten in der feierlichen Obacht
Der Bruder Martin hingeworfen zitternd,
Zerrissenen Gemüts und ruft: »Ich bin's nicht!
Ich bin's nicht! Ich bin's nicht!« Und Krämpfe
Betraten grausam den mit Schaum bespienen,
Blaurot ward das Gesicht. Und schrie und schlug.
Wir aber – (komm, daß wir uns nicht versäumen!)

Indem er den Bruder Thaddäus mit sich zieht.

[241] Wir aber, ganz erschreckt ob der so grausen
Verwirklichung des Evangeliums –

Sie sind abgegangen. Stille. Man sieht die Brüder einzeln und zusammen von rechts her den Gang entlang ziehen. Verschwinden. Stille. Der Bruder Martin kommt linksher mehr gestürzt als gelaufen. Er bleibt erschöpft am Türpfosten lehnend.
DER BRUDER MARTIN
nach einer Weile bangen Atems.
– Ich kann jetzt nicht! Jetzt nicht! Kann nicht wie ein
Puppe, die schreit, wenn man die Bänder zieht,
Zur festgewollten Zeit die horas singen,
Gott loben, wo's im Innren tobt und wütet
Von Schreckensübermaß. Bin ich ein Heuchler?
Soll meine Zunge loben, während mir
Das Herz vom Lob weitab ist?

Er schreit hoch, auf.

– Die Versuchung –!
Ai! – Die Versuchung lästernd auszusprechen
Den Namen Gottes! Kann ich widerstehn?

Er fällt und wälzt sich.
CHORUS DER BRÜDER
stimmen froh, fest an, singen.
ERSTE HÄLFTE.
Deus, in adjutorium meum intende!
ZWEITE HÄLFTE.
Domine, ad adjuvandum me festina!
ERSTE HÄLFTE.
Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto,
ZWEITE HÄLFTE.
Sicut erat in pricipio et nunc et semper et in saecula saeculorum! Amen!
CHORUS GESAMT.
Alleluia!
DER MÖNCH LUTHER
springt auf und wirft mit Wutgebärde die Tür ins Schloß.
2. Bild
[242] Zweites Bild
Im Dom zu St. Peter. Rechts hoher, mächtiger Pfeiler, links hoher, mächtiger Pfeiler. Im Hintergrund der Schimmer einer ewigen Lampe. Es ist sehr früh am Morgen, noch finster. Erst zu Ende der Begebenheit wird es hell, dann enthüllt sich auch der Hintergrund, das Grabdenkmal eines Papstes. – Der Mönch Luther beim linken Pfeiler niedergekrümmt am Boden. Tiefe Stille. Nur der stöhnende Atem des Mönches weht hin und wieder.

DER MÖNCH LUTHER.
Ai! Ai! Verfluchte Schmach! Verdammter Hohn!
Zu Rom bist du, will heißen: nah der Hölle!
Sie schrien: passa! passa! hetzten: passa!
Jagten die Messe mich entlang mit passa!
Und toller: passa! passa! Ich wie'n Lamm,
Wie'n Christus unter Hunden mußt es dulden!
O Luther! Luther! kam's so weit mit dir!?
Bist du so tief erniedert, du mit Kot
Beworben und dein Heiland immerzu –!?
Beim heiligen Opfer! Passa! passa! passa!
O Christus! Christus! Martin! Und das andre!!

Der Bruder Johannes taucht von rechts auf, geht dort hinter dem Pfeiler vorüber und tritt nah heran.
Der Mönch Luther, ihn gewahrend, stöhnt und richtet sich halb auf, kniend an den Pfeiler gelehnt starrt er vor sich hin, aber er meidet das Anschauen des anderen.
BRUDER JOHANNES.
Luther! Du quälst und läßt es nicht! Mein Gott!
Hör doch auf mich! Hör doch auf mich! Ich ging
Hin durch die weite, wunderbare Halle,
Und wie ich stille steh am Grab des Petrus,
Bedenkend, was ein Fischer ausgerichtet
Durch dessen Hilfe, der uns fing im Netz
Ewiger Heiligung, – steh und aufrichte
Das Haupt zur Kuppel (die gleich wie ein Siegel
Besiegelt mit erhabenem Gefilde
Des Raums, den sie umwölbt, die Lieb-Gebeine
[243] Des Kirchenfürsten), weht herab ein Schauer
Der goldnen Lettern, die dort oben schlingen
Ihr Band im Kreis, ich fühle es tief tröstlich
Und wahr gewiß und bin so ganz i in Bann
Und flüstere mit ihnen: Tu es Petrus,
Et super hanc petram aedificabo
Ecclesiam meam. Du bist Fels, Ich will
Bauen auf diesen Felsen meine Kirche.
Wie steht sie groß und mächtig und bereitet!
DER MÖNCH LUTHER
lacht grell.
Ja, groß an Unflat, mächtig, – und bereitet
Zur Höll zu fahren!
BRUDER JOHANNES.
Nein du Irrender!
»Der Hölle Pforten werden nicht bewältigen
Meine Gemeinde, aufgebaut auf Petrus!«
So sprach der Herr. So wird der Mächtige
Es machen noch durch die Jahrtausende!
DER MÖNCH LUTHER.
Das ist nun deine Art: so schöne Worte!
Die meine Art ist bitterlicher, doch
Wahrheit.

Er steht und richtet sich hoch auf.

Hast du nicht Mut, du Bruder? G'nügt
Dir eines Tempels schöne, bunte Halle!?
Mir nicht! Mir nicht! Und Christo nicht! Das sag ich!
Und eines weiß ich Du schließt deine Augen
Gewaltsam, haftest dich ans dinglich Schöne,
Was doch nur Tand ist vor der Wucht des Donnerers!
Du schließt die Augen, wie ein Flüchtling schließt
Die Augen vor der Waffe, die ihn will.
Geduckter Bleicher! Du geduckter Bleicher!
Nicht sehn der Kirche Schäden, weil dein Mütchen
Du laben willst an Augenkitzel und
Getändel. Feigling! Feigling! Feigling bist du!
BRUDER JOHANNES
mit unerschütterter Stille.
Die Kirche ist wie eine Jungfrau reine.
Und wer rein werden will, soll Reinheit sehn
Und schauen brünstiger Liebe. Trifft dir dies
[244] Die reine Kirche, wenn ein Priester sündend
Sich kehrt in Wolf und Tier und sich befleckt?
Nur überreiner
Dem irdischen Auge glänzt sie über Makel
Des Einzelnen weiß auf!
DER MÖNCH LUTHER.
Du senkst die Hände
In Schoß, gaffst, sperrt das Maul und grinst
Für dich. Ja grinse, Grinser! Rühre nicht
'nen Finger! Wirst ja gut der Kirche nützen
Durch dein geruhsam Wesen, lieber duldend,
Daß unser Heiland in den Kot gezerrt wird,
Als daß du deine Ruhe ließest stören.
Ja, ruh nur! ruhe fein! da liegst du schon
Und schläfst und schnarchst! So wird die Kirche heil!
BRUDER JOHANNES.
Sie wird ja heil, doch du weißt nicht den Weg!
LUTHER
höhnend.
Heil durch dein Schlafen?
BRUDER JOHANNES.
Nein. Doch durch mein Schrein
LUTHER.
Was für ein Schrein? Hast du auch eine Stimme!?
BRUDER JOHANNES.
Ja, eine Stimme, betend aufzurufen!
LUTHER.
Und so willst du die Kirche heil reformen?
BRUDER JOHANNES.
Durch brünstige Bitten und durch reines Beispiel.
LUTHER.
Bequeme Art, die Hände nicht zu regen!
BRUDER JOHANNES.
Ich rege meine Hände im Gebet.
LUTHER.
Und betend glaubst du, rührest du die Sache?
BRUDER JOHANNES.
Ich rühre Mächte, die die Himmel regen!
LUTHER.
Gott gab uns Arme, tätig anzupacken!
[245]
BRUDER JOHANNES.
Ich packe an, doch erst einmal mich selber.
LUTHER.
Du bleibst bei dir, wagst nicht herauszugehn!
BRUDER JOHANNES.
Ich pack mich an und strecke mich zu Boden,
Verharrend so, bis mich mein süßer Herr
Zur Sühne annimmt für das niedre Treiben
Und einen Engel schickt, der uns herausreißt.
LUTHER.
Du, Mensch, wagst Gott die Sühne zu erstatten?
Ketzer!
BRUDER JOHANNES.
Vereint mit Christus gilt mein Leben viel.
Mit Christi Sühnblut eins versühnt auch meins.
LUTHER.
Wohlauf! Wohlan! Lauf hin und wage Frommheit!
Bald liegst du ausgeweidet auf der Gasse,
Denn Priesterhände kennen kein Erbarmen!
BRUDER JOHANNES
leise erschreckt.
Wie sprichst du, Martin? Bitt dich, lästre nicht!
LUTHER
mehr erregt.
Ist Wahrheit sagen Lästerung!? Wer sagt das?
Eins sag ich dir: Wer fromm ist, wird verbrannt!
JOHANNES
aufschreiend.
Martin!
LUTHER.
Versuch's! Versuch's! (Das soll nicht heißen:
Fromm ist, wer da verbrannt wird. Nimmermehr!
Den Feuertod dem Ketzer! Sagt ich was
Wider das Heil'ge, will ich selbst verbrannt sein!)

Groß auf.

Doch deiner Frommheit Weg ist nicht der meine!
Und deiner Hilfe Hand die meine nicht!
Das käme den Verruchten wohl zupaß:
Fein artig taub sein und das Maul fein halten
Und mit den Augen blinzelnd seitab sehn!
Stillsein zum Laster ist ein halbes Ja!
Und Bluten für das Laster: lasterhaft!
[246] Blutfleck tilgt nicht den Schandfleck, ist zu wert
Für Schandfleck, aber ausgespannter Arm
Und offner Mund und Herz, das klirrend dreinschlägt!

Er steht keuchend.
BRUDER JOHANNES.
Was hetzt du dich ins Ungeheure hoch,
Um, ungeheur dir selbst, dich zu betören!
Die Lichtgefilde flücht'gen Blickes streifend,
Kehrst du dich hin, wo Hölle tobend Nacht fängt,
Und an dem furchtbarn Dunkel dich umdunkelnd,
Wächst du an ihren Rändern furchtbar auf.
Willst du die schwarzen Scharen siegreich treiben
Ins Finstere, so werde siegreich licht!
Ja, werde Licht! Und Lichtmacht! Greife an!
Doch trink dann erst vom Balsam tiefster Milde,
Durchbohre dich mit heiligem Verzicht! –
Du starrst die Hölle an, bis sie dich hat!
An ihrer Wut entflammst du dich mit Wut!
Dann spreizt du deine Flügel und fliegst auf:
Spreizt deine schwarzen (doch du wähnst sie weiß),
Fliegst gegen Himmel (doch du wähnst gen Hölle,
Um zu erdrosseln ihr gemein Gewürm.)
Nein, sag ich dir, du spannst die Schwingen wider
Das Heiligste.
LUTHER.
Duld ich noch die Beschimpfung?
BRUDER JOHANNES.
Luther, unsel'ger Dämon! Sieh rein zu!
Raff ein das Himmlische, raff in dich, innerst!
Oh, ganz verschling kristallrein springend Wasser!
In Buße und Abtötung herz den Tod,
In Untergang eins mit dem ausgespannten
Helden am Kreuz. Eins so mit dem Erstandenen,
(Und nur durch diese Weise, nur durchs Kreuz)
Ein blinkend Licht, ein schneidend Schwert und Licht,
Dann, Luther, greife an! Dann schneide nieder
Vom Himmel her mit einem lichten Schnitt
Entzwei die Hölle, stich sie bis ins Mark!
Dies ist der Weg, dein anderer ist Irrung.
[247]
LUTHER.
Könnt ich so flink und fein die Worte setzen,
So gleißend blank und glatt, so blinzelnd schillernd,
So trüg'risch schwärmend, so gespreizt wie'n Priester,
So hin und her die Zunge, wie ein Aal
Im Wasser winkt und wimmelt, schwippt und gleitet,
Hei! hei! ich schmiegte mich an dir vorbei,
Hitsch! griffest in das Leere! Aber so,
Da ich ein Tölpel, ungelehrter Klotz
Und Polterer zudem, vermag ich's nicht
Mit gleicher Münze. Nur ein Stückchen hör,
– Ein Stücklein wahr aus tölpelhaftem Mund –
Hör es und richte dann: ich lese Messe,
Bedacht, das Kleinste sorgsamst zu versehen,
Bedacht, der inneren Andacht nicht ein Wörtlein,
Nicht sed noch et durchlasse Zung, zu rauben;
So komm ich langsam nur voran. Da hör ich
Hinter mir zischt's und zischelt's: Passa! passa!
Und wächst und schwillt und speit mir seinen Geifer
Ins Ohr (so zischelte die Schlange einst
Der Eva zu: Iß! iß!), – wie mir nun hier
Aus hundert Priestermäulern: Passa! passa!
Und toller: Passa! passa! passa! kommt
Der Ruf zur Sünde. Ich jedoch, wie'n Lamm,
Wie'n Christus unter Hunden mußt es dulden!
Und: Passa! passa! schrie's und wieder: Passa!
Sechs Fette wurden fertig mit der Messe,
Eh ich mit meiner war zu Ende. Was sagst du?

Hastig weiter.

Und ist dir dies zu wenig, weiß ich mehr;
In Rom wird man nicht fertig, nicht in Jahren,
Die Höll zu lernen, hei! hie Hölle, hie Rom!
Das ist ein Losungswort, das laß ich gelten!
BRUDER JOHANNES.
O Martin, brünstig bitt ich, sei nun stille
Zu Lieb dem weißen Leibe des Erstandenen,
Weil heute Ostern ist. Dies Fest will inn'gen
Jubel, will Herzen, die sich berstend öffnen,
Herauszugeben ihren Schein, der bleibt
[248] Allewiglich. Wie damals berstend auftat
Den Mund die Gruft und unsern Herrn herausgab,
Den Ewiglichen mild im Scheinen. Also
Zu Liebe dem so mildiglichen Fürsten
Sieh ab vom Zorn und neige dich still bittend.
LUTHER.
Gewäsch! Mein guter Bruder, willst nicht hören
Ein Weiteres, daß dir die Ohren brummen
Und summen? Glaub es wohl, daß du nicht willst!
Denn dieses Stück ist arg! Selbst Ostern wird
Bleich vor Entsetzen vor ihm, kreischt in Ohnmacht!
Vernimm's, entsetz dich, schlag ein Kreuz und schweige!
Ich ließ mir melden von glaubwürd'gen Zungen
Solch schauderhafte Meldung: Bei der Wandlung,
Wo unser einem fast die Zähne klirren
Vor Angst und Grausen vor so Heiligem ...
BRUDER JOHANNES
fällt rasch ein.
Nicht so, wo uns das Herz in Lieb fast hinsinkt –
LUTHER
in Hast.
So schaudervoller Frevel wird begangen,
Daß Erde schreit zur Sonne: Werde Nacht!
BRUDER JOHANNES
wie oben.
Vielmehr: Erhelle Nacht! Verscheuche Nacht!
LUTHER
wie oben.
Daß Mond und Stern vor Starren sich verfinstern
Und schwarze Leere klafft –
BRUDER JOHANNES.
Komm nun zum Ziel!
LUTHER.
»Brot bleibe Brot!« »Wein bleibe Wein!« So geifern
Die Frechen – Luther! Luther! lebst du noch!?
Oh ungeheurer Frevel, grasse Schande!
Schandhaft: Besudeln, gottverfluchte Unzucht,
Laster und Unflat – muß ich dieses dulden,
Der ich in Liebe glüh zu meinem süßen
Christus? Was stehst du da und starrst mich an?
Hast du noch Worte? Hast noch eine Zunge?
Ward dir zu Eis dein sonst so flink Organ?
Ja, stumm und still und Faust, das ist die Antwort!
[249]
BRUDER JOHANNES.
Bei deiner nächsten Messe, bei der Wandlung
So unter Zähren anflehn den Geliebten,
So innig sich zur Sühne bieten, innig
Vergebung heischen den unseligen Männern,
Dann unter solcher Glut die Worte sprechen,
Die heil'gen fünf, wie du nur glühen kannst
In Lieb, in Inbrunst, in Hingebung, Sehnsucht,
Daß der Geliebte etwa sich herabläßt,
Nachsicht zu üben, – dies sei deine Antwort!

Es wird allgemach heller.
LUTHER
indem er sich bekreuzt.
Du hast den Teufel, Bruder, der dich blind schlägt.
Du willst nicht sehn! Du hast nur weiche Milch,
Die du wie'n Säugling ziehst und glucksend schluckst,
Fein satt und dicklich dich zu trinken. Trinke!
BRUDER JOHANNES.
Der hier nicht sehen will, bist du, Mönch Luther!
Der hier den Abstieg tut, sehenden Blicks
Die Höhe streift und sich verkehrt und wegsieht!
Du siehst zu dir, drum willst du in die Tiefe.
Du blickst vom Glanz fort, darum wirst du glanzlos.

Er geht ruhig rechts hin.
LUTHER
zurückbleibend, sieht ihm nach.
So einer war der Schächer wohl am Kreuze,
Der unsern Herrn gelästert. Armer Christus,
Da Deine Kirche schläft, muß Luther wachen!
Höchst armer Christus, Luther muß Dich kleiden!
O nackter Christus, Luther muß Dich letzen!

Indem er langsam nach rechts abgeht.

Doch heute les ich nicht die heilige Messe!
Zum Trotz den Hunden, die ihr Passa kläfften!
Soll Christi Ehre wieder sein geschändet?
Heut bleib ich fort, ihr mögt nur nach mir ausschaun!
Der Luther kommt nicht und ihr habt das Nachsehn.

Er geht. Man hört noch das milde Schüttern der Osterglocken, die hoch oben zu klingen beginnen.
3. Bild
[250] Drittes Bild
Im Kloster. Raum unter dem Dach. Luther klimmt links die Stiege herauf, er hält einen brennenden Span; es ist Nacht. Die Stiege schreitend steigt er gleichsam aus dem Boden auf, dann betritt er die Dielen, steht und leuchtet um sich. Haufen Bücher liegen geschichtet ringsum, oft bis hoch hinauf. Teils in Ordnung aufgereiht, teils unordentlich gehäuft. Er steht und starrt.

LUTHER.
Saubere Wirtschaft! Rumpelwerk! Des Satans
Fetzen! Und dies heißt euer Christentum!
Mit dem versaßen Männer all ihr Leben
Und wähnten noch, es sei Verdienst darum!
Verdienst soll sein, die Sprudelquellen stopfen
Mit Sand und Unrat, bis sie sieches, seichtes
Rinnsal geworden, sickernd in den Schlamm?
O Christ, wie sehr ist Deine Lehr verstümmelt,
Verschnitten und zerstückt, verhunzt, verhurt!
Was wollt ich hier? Ja doch die Stelle suchen,
Im Aristoteles,
Mit der die Lausebuben mich zu fangen
Wähnen.

Er klemmt den Span in eine Ritze der Mauer.

Da hafte, Span! Nun, Martin, kneife
Dir mit der Hand die Nase zu, du willst
Im Drecke klauben.

Er tritt an die Bücher heran und beginnt zu suchen.

Aristoteles!
Her, Mist des Satans! Lotterbube! Luther
Will dir die Zehen treten, daß du aufhupst
Wie'n Floh!

Nachschlagend.

Bist du nicht da? Bist du nicht da?
Zum Teufel mit dir!

Er schlägt heftiger um und wirft die Bücher durcheinander.

Wo bist du verkrochen?
[251] Hast Angst vorm Luther? Ja, der Luther schont nicht,
Deckt dein Gesäß auf, nimmt dir deinen Balg!
Wo bist du, feiler Aristoteles?

Er hält auf einmal an, lehnt sich gegen die Wand von Büchern und blickt vor sich.

Hier bin ich, Luther, und wo seid ihr, Feinde?
Zerstoben in den Wind, vom Mund des Herrn
Ins Wirbelnde geblasen, wie Staubwolken!
Ich triumphiere. Gott ist mit mir. Er
Begann in mir, Er packte mich, ich mußte.
Oh, wie begann Er
Zuerst, da ich mich mühte, Werke schwitzte,
Schwitzend die Stufen der Scala Santa,
Schwitzend die Unzahl murmelt der Aves,
Da der Skorpion »Brevier« mich täglich stach
Mit seiner Worte Hunderttausend! Ich
Biß mir die Lippen ein, ballte die Faust,
Warf's weg. Ich machte weit die Augen, sah.
Ich sah – o siehe – wandelnde Skelette,
Heere in ihrer Knochen dürr Geklapper,
Die Knochen schlangen, Knochen schißten, Knochen
Anbeteten und über Knochen turnten
Gen Himmel. Sah die knickernden Gerippe
Hurtig erklimmen 'ne beinerne Leiter,
Die sie den Weg zum Himmel priesen. Himmel
Verschloß sich, gab nicht Tor frei auf ihr knöchern
Anpochen droben, aber eine Rechte
Griff wild herab und knickte um die Leiter,
Sie brach entzwei, sie stürzte hin, sie fiel.
Und die Gebeine schössen in die tiefste
Tiefe der Hölle, fingen Feuer, lohten.
O Luther, reich gesegnet mit Gesichten!
Die Knochen sind die Werke, die sich tot
Vor Gott erweisen. Er steht über Werken,
Wir Menschen werkelnd sind vor Ihm wie Krämer.
Die um den Himmel feilschen mit dem Höchsten.
Sie bieten ihre Kupferpfennige,
Er spottet ihrer und verwirft sie sämtlich.
O Anmaßung, durch Werk gerecht zu werden
[252] Vor dem Gerechten, so sehr der Gerechte,
Daß Ihm des Guten Werk noch ungerecht ist!
Vor Seinem Grimme gehen alle Werke
In Feuer auf, fressend die eignen Herren,
Die Selbstgerechten, die sich werkelnd spreizen.
Wer ist wie Du, o Gott, wer ist wie Du?
– Ich faßte, was sich bot, vor Deinem Zorn.
Ich klammerte mich an, ich grub mich ein.
Ich griff den Glauben Christi, wie ein Ringer
Den andern greift, und rang und siegte ob.
Ich siegte, und ich nahm die Sühnetat
Des Sohnes Gottes und die frommen Werke
Alle von Ihm wie eine Kriegstrophäe,
Ich schmückte mich damit und ward gerecht!
Ja, einzige Weise der Gerechtigkeit!
Nicht durch sein eigenes, nein durch Tun Christi,
Durch Aneignung der einzig gültigen Werke
Des Sohnes Gottes, durch den Schmuck des Blutes
Des Heilands. Luther! Luther! Kühner Finder!
Mit Gottes Hilfe, ja!

Schickt sich an weiter zu suchen.

Her, Aristoteles!
Der Deutsche nimmt's mit dir, dem Griechen, auf!
Wo bist du? Eine gute Klinge führ ich!

Er hält wieder im Suchen inne.

Wohlan! Auch dies steht fest wie Fels, wie Christus!
So wie der Himmel selbst!: Wie unsre Werke
Nicht Gott genügen, ist verrottet gänzlich
Die menschliche Natur. Sie sagen zwar,
Durch Buß und Taufe würde ausgetilgt
Der Erbteil Sünde, den wir wie 'ne Schnur
Des Nabels allesamt aus unsrer Mutter
Bauch blutig schleppen, mit behaftet. Nein,
Sag ich! Sag ich, so sagt es Christus. Freilich,
Ich sag und laß nicht ab: Erbsünde ist
Getilgt nicht: zugedeckt, – nicht ausgemerzt:
Nur schonend übersehn von Gott. So ist's!
Und ist es so, dann sind wir sündiger Stoff
Und Sünde durch und durch. Nichts Gutes an uns,
[253] In uns und um uns, durch uns –: alles böse!
Ich fühl's in mir: bös, Rotte, niederträchtig,
Ohnmacht, Vergehen, Lästerung, Zorn, Hader,
Samt einem ganzen Hofstaat von Gemeinheit,
Von Brunst und Gier; des Satans Sippe! Hei!
Nun sagen sie: was du da fühlst –, dies wilde
Ringen und Glühn ist Sünde nicht, Begehren
Ohne Dreinwilligen ist Sünde nicht.
Hei, sieh die Schleicher, wie sie faule Winde
Hinstreichen lassen, sagen: 's duftet Rosen!
Verfluchte Schleicherbande, heimlich Diebe!

Er greift ein Buch und wirft es weit im Bogen.

Ich klimme weiter, greife meinen Christus
Am Zipfel, laß Ihn nicht, Er kündet mir:
Im Bösen glühst du gänzlich, Mensch nichts Gutes
Blieb hängen, gänzlich ausgeplündert bist du.
Doch bist du ausgeräubert (durch den Satan,
Die gift'ge Schlange), blieb in dir nichts Gutes,
So auch kein Stümpfchen eines guten Willens.
Bös ist dein Wille, unfrei und vertan.
Du kannst nichts tun, tut Gott nicht in dir selber.
Hei, diese Lehre, mein Herr Jesus Christus,
Ist wirklich Dein; denn sie gibt Dir die Ehre!
Nicht Werkelheiligkeit kann nun mehr fristen
Ihr aufgeblähtes, räuberisches Sein,
Dir, Gott, die Ehre raubend. Wir sind Menschen
Ohn guten Willen, Ohnmacht, Knick und Grashalm!
Nun greif ich Floh den Herrn, zieh ihn mir über,
Wie sich 'n fetter Priester auf das Schmier'ge
Zieht weißes Meßgewand, so ich den Christus.
Klatsch in die Hände, jauchze, bin gerecht!
Nein, nicht durch mich, durch Gott!

Stille. Nachsinnen! Dann tut er einen ängstlichen Aufschrei.

Weg, Teufel! Weg! Dreck dir in deine Fratze!
Kommt immer wieder! Will nicht weichen! Nein!
Und doch? Er disputiert, der Böse, fein.
Und doch? Der Wille unfrei, alls wirkt Gott,
Wir nichts durch uns, alles durch Ihn?

[254] Sich in Pein krümmend.

O weh!
So ist es wahr, ist unentrinnbar wahr:
Den Er zur Höll bestimmt, der fährt zur Hölle!
Satan, dein ist der Sieg! 's ist unausbleiblich.
Wir können nichts, Gott tut, was ihm beliebt;
Tut Er, was Ihm beliebt, so nimmt Er den
An sich, verwirft Er den; der fährt in Abgrund,
Der fährt in Himmel hoch – – O Luther! Luther!
Und nun sitzt dir der Feind ins Ohr geklemmt
Und spützt hinein: Du bist zur Hölle, du,
Martinus Luther, du erwählt. Du bist's!

Wilder, sinnloser Schrei.

Ai! Ai! Bin ich's? Ich bin's! Was tun? Ai weh!
Martine, Martine, fliegst hin, weit hin
Ins höllisch schlimme Maul!

Er ist auf den Knien, jetzt breitet er beide Arme weit und bleibt so.

Oh, Martin! Martin!
Jetzt sieht dein Geist, den Gott dir licht gemacht
Bisher (Gott ließ dich finden, dich und niemanden
Sonst, alle irren), sieht dein Geist den sichren,
Ganz herrlichen, erlauchten Weg zum Himmel!
Bist du verdammt, der Hölle Kind, es sei!
Es sei! 's will Christus! Christus will's, da füg dich,
Und neige wie ein Kind dich hin zur Hölle,

Er neigt sich im Rumpf.

Da, Henker, da mein Haupt! Schlag's ab, mein Herr!
Ich will verdammt sein, wie Du willst. Nimm hin!
O grenzenlose Demut, wahrhaft christlich!
Puppenspiel die Demut meiner Feinde,
Demut, die zwinkernd ihren Lohn erwartet!
Ich aber bin gewärtig keines Lohnes
Und stöhne dennoch hin: Gott, brenn mich ewig!

Stille. Darauf schriller Frohschrei.

Doch, Vater, willst Du Deines Kindes schonen?
Was zeigst Du Licht, oh, oh, es läßt sich greifen!
Der sich zur Hölle hingibt, kommt in Himmel!
Denn er gab völlig seinen Willen hin
[255] In Deine Hand. Gab er den Willen hin,
So ist er Dein, ist also auch gerettet;
Denn er ist Dein. Und somit ist gerettet
Meine Seele, ich bin frei, bin für den Himmel
Erlesen, nicht zu rütteln, nicht zu rütteln,
Und alle Satans Macht vermag nichts mehr!
Martine, o Martine, halleluja!

Er glüht in Freuden, wieder die Arme weit gebreitet kniend. – Die schwarze Gestalt eines mittelgroßen Mannes ist im Nu vor Luther, links sich am Ende der Dachkammer zeigend. Die Erscheinung ist ganz schwarz bekleidet, schwarzes, enganliegendes Beinkleid, schwarzes Wams. In schwarzer Scheide steckt ein Degen mit prachtvoll goldenem Griff. Den Geist trägt die Luft, er steht ein paar Handhoch über dem Boden. Ein mattgelber Schimmer umkreist ihn von Kopf zu Fuß, fast wie ein Lichtschein, doch allzu sehr in Farbe für ein Licht.
DER BÖSE
mit feierlich schöner Armbewegung winkend.
Martinus Luther, Doktor!
LUTHER.
Wer bist du?
DER BÖSE.
Ich bin der Geist, ich bin das Licht,
Ich bin das Wesen, bin das Nein,
Ich bin der Kalte, bin das Nicht,
Ich bin das Feuer, bin das Sein,
Ich bin das Tote und der Eifer,
Ich bin das Zeichen, bin der Sinn,
Ich bin der Engel, bin der Geifer,
Ich bin ein End und ein Beginn.
LUTHER.
Du bist der Böse! Kauderwelsche nur!
Heb weg dich! Eilig!
DER BÖSE.
Luther, deine Spur
Ist Lüge.
LUTHER.
Lügner!
[256]
DER BÖSE.
Lügner du dir selbst!
LUTHER.
Mein Wort ist Gottes Wort. Beweise, Teufel,
Der mich der Lüge zeiht, beweise Lüge!
DER BÖSE
indem er ganz langsam und magisch lockend einmal um sich selbst kreist.
Nu nennst mich Teufel und Verräter,
Du sprichst ein Wort aus Menschenmund.
Ich bin der Kämpe, bin der Täter,
Ich bin die Hoffnung, bin der Grund,
Ich bin der Freie, frei im Glanz –

Er leuchtet auf.

Ich bin das Haupt, das sich nicht bog,
Ich bin der Gott, der niemals log,
Ich bin die Jungfrau und der Tanz.

Er leuchtet heftig und steht wieder.
LUTHER.
Ai! Ai! Du Schmeichler-Geist! Du gleißend Wollust!
Du zwingst mich nicht! Mich nicht! Ich fall nicht nieder,
Wie du es willst, und lästre Gott. Ich tu's nicht!
DER BÖSE.
Du bist der Hölle heil entwunden,
Indem du dich zur Hölle schickst,
So meinst du, Mensch. Und wie du nickst
Zum Untergang, und wie du blickst
Auf Gottes Rat, willst du gesunden.
Du meinst in deinem eitlen Gleißen,
Gerettet bist, wenn du dich fügst;
Ich zeige, Luther, wie du lügst,
Und sollst mich nicht mehr Lügner heißen!
LUTHER.
Trotz Hölle, Tod und Teufel! Ja, ich bin
Gerettet vor Verdammnis, wenn ich willig
Gott stelle heim, ob Er mir Himmel oder
Hölle zuteilen will nach der Bestimmung
In Ihm. Denn bin ich willig, bin ich Sein,
Und bin ich Sein, bin ich nicht höllisch, wahrlich!
[257]
DER BÖSE.
Du zuckst und zappelst in der Falle.
Du wehrst dich noch, du zerrst, du stemmst.
Wenn Gott in Seines Lichtes Halle
Dir schließt die Riegel, meinst, du klemmst
Sie auseinander ohn den Alten,
Der Seine Mucken sinnt und seiht?
Er will es! Siedende Gewalten
Umklammern dich in Ewigkeit.

Luther greift mit den Armen auf, die Kiefer klaffen ihm im Schreck, aber kein Ruf tönt.
DER BÖSE
gebieterisch und mit prachtvollen, lebendigen wechselnden Gesten der Hand.
Du meinst, dich rettend zu verkleinern,
Doch was Er plant wird Ihm zur Tat;
Willst du hinweg auf eignem Pfad?
Narr du! Sein Will und Herz ist steinern!
Du lehrtest doch, du griffest Wahrheit:
Dem gibt er gut, dem bösen Stempel,
Der geht zur Hölle, der in Tempel:
Dies war dir deine sichre Klarheit!
Dein Stempel ist nicht zu verwischen,
Durch keine Demut, wie du weißt;
Ja, krümmen magst du, heulen, zischen,
Der Stempel bleibt, der Stempel beißt!
Schon legte Gott seit Ewigkeit,
Luther, den Pfeil, der dich bedeutet,
Auf Seine Sehne flugbereit:
Der Pfeil, der dein, wird ausgereutet,
Er fliegt, er saust, er kam, er schwirrt,
Ich fing ihn auf, Gott schießt ihn mir
In meinen Schoß, du sinkst verwirrt,
Mein bist du, du wirst ausgebeutet!
Er fliegt, er zischt, er schwirrt, er schwingt;
Doch keine Demut bricht den Bogen;
Er haftet mir, er klang, er klingt,
Gott hat die Sehne angezogen!
Luther! Dem Herrn ein Jagd und Spiel,
Mein Diener du, mein Spieß, mein Ziel,
[258] Du hast dich froh umsonst entflammt!
Doktor! in Ewigkeit verdammt!

Er zieht mit einer herrisch-edlen Gebärde die Klinge. Der Mönch stürzt zu Boden. Der Feind schwingt den Stahl mehrmals leicht und flüchtig wie Blitz über den Machtlosen. Er verharrt eine Weile mit ruhig gezückter Klinge, schwindet.
LUTHER
hebt sich stöhnend von der Erde auf, sieht irr um sich, krampft die Hände weit, ruft.
Böser! Böser! Nicht umsonst! Nicht umsonst!
Du bist erschienen – hei! du scheinst mir Schein nicht!
Treffliche Worte! Raufe dir das Haar,
Martine! Speie Geifer! Kreische! Balle
So Fuß wie Faust! Gott der Gerechtigkeit,
Des Zürnens, des Verdammens, des Totschlagens!
Alter Totschläger, Du bist hassenswert!

Er schlägt sich mit Fäusten.

Ai! Ai! Nein! Nein! Was sprach ich? Spie ich? Doch!
O Luther, du bist Kot!

Stöhnen am Boden.

Ja, brenne Span,
Leck hurtig hoch und rot ins Düster-Trübe;
So brenn, Martine, ich. So brenn ich einst,
Die Feuerzunge feurig fletschend wider
Den Peiniger, den Gott. – O süßer Heiland!
Ein wenig Licht, 'ne Unze Licht, 'nen Heller
Wirf mir ins lausige Loch! Ich brenne, ich brenne!
Verfluchter Herr!

Schrei.

Ich meine ja den Teufel!
Nicht Dich, o weh!

Er fällt und bleibt wie ohnmächtig hingestreckt. Wie er dann zu sich kommt:

Ich atme noch? Noch atm ich!
O Furie Leben, die mein Blut versehrt!
Nein! Nein! Ich fasse – faß ich Dich, o Christus, an?
Umklammert Holz, ich laß dich nicht! 'nen Atem,
'nen Atem, der ins sichre Heil sich mündet!

Stöhnende Stille.

Ai! Licht! Licht! Strahl – O böser Dämon Nacht!
's ist alles wieder finster! Licht! ich will dich!
[259] 's ist alles wieder finster! Totes Brüten!
Ist all umsonst vertan! Dort dein Heil, Christe,
Hier meine Schuld. Und wenn ich's griffe, hielte?
Den kühnen Griff, die kühne Hand, das Herz kühn?
Und zöge über mich und hielte Schild
Vor Gott, vor Christi, Christi Leidensschild?
Und wäre so gerecht und deckte mich
Selbst vor dem Höchsten, sicherstes Versteck?

Frohlockend.

Es ist! Es ist! Ich will! Es ist gewiß!

Springt auf und richtet sich hoch.

Ich bin's gewiß, ich bin gerecht, ich siege
Ob dem Verdammer, meinem Christ zum Heil
Und mir zur Freude und Genesung! Lustig!

Er greift den Span und schwingt ihn.

Ich halt dich, Lunte. Gott wie Satan machtlos
Aus meines süßen Christi Rein-Verdiensten!
Nun heidi in die Welt! Ich spreng die Welt hoch,
So himmelhoch, wie höllisch sie gestürzt liegt!

Er stürmt fort.
Gesang 4-6: Die Erfüllung
4. Bild
Viertes Bild
Bei Wittenberg. Der Bruder Johannes und der Bruder Thaddäus sitzen einer grünen Anhöhe zu Füßen auf sternernem Sitz. Goldner Abend. Es ist vor dem Elstertor.

DER BRUDER JOHANNES.
Martinus häufte schon Irrung um Irrung
Aufs Haupt sich, heute aber – weh der Stunde! –
Vertut er ganz sein Heil. Und dieses alles,
Weil sein Ich nicht geneigt ist, lebestark
Lebendig-inniges Heil zu wirken mit
[260] Dem Christus durch den Christus in dem Christus.
Jammer und Not.
DER BRUDER THADDÄUS.
Gar schrecklich seine Pein!
O Irre um und um!
BRUDER JOHANNES.
Du weißt doch, Bruder,
Woran es mangelt?
BRUDER THADDÄUS.
Ich weiß es nur zu gut!
BRUDER JOHANNES.
Held oder Lasser ist der Mensch geboren.
Der Held heilt auch im Bauer all sein Gutes
Reiflich im Einen aus, der Christus heißt.
Es reißt der Pflug den Boden, Held will Heil.
Die Tat ist gleich, den Willen, den sieht Gott an.
Es fährt der Held den Mist auf einem Karren
Zu seinem Heil, weil Held die Dinge ihrer
Fäulnis beraubt, entkernt; denn Held will Heil.
Ist Held Heil, Unheil hängt dem Lassen an. –
So teil ich es; und nun sieh an den Luther!
Der Held will seinen Heiland so umfangen
Ins innerste Gebein,
Daß Held nicht lose läßt von Kreuz und Blut.
Er ficht um Ihn, er dringt mit Hieb voran
Wider den Feind. So wie ein Ritter zahllos
Die Griffe lernen muß um Schwert und Knauf,
Womit die silbern lichte Waffe siegt,
So muß der Mönch und der geistlich gebaut ist
Mit Griff und Stich und Hieb den Feind besiegen,
Mit Griff und Stich steigt er zu Christus auf,
Mit Griff und Stich und Hieb gerecht vor Gott,
Gefochten und gestochen in dem Christus,
Der uns gerecht erlöst.
BRUDER THADDÄUS.
Der Luther aber –
BRUDER JOHANNES.
Luther, mein Bruder, ließ die Inbrunst aus,
Die Inbrunst, die uns geistlich Ritter sein läßt,
[261] Luther die Inbrunst, die den Schild des Heils
Samt Schwert des Glaubens siegreich tätig führt.
Dies nennt er nun die eitlen, blinden Werke.
Tor, ohne Hände-Regen nicht zu Gott!
Und weißt du, wie er's tut?
BRÜDER THADDÄUS.
Er nimmt den Herrn
Wie räuberisch – und ohne Übertragung
Durch gliedlebendiges Mühn.
BRUDER JOHANNES.
Denn gliedlebendig
Schuf uns der Höchste, Heil in Ihm zu wirken.
Luther, ein Lasser, ließ die Inbrunst aus,
Die unsre Glieder zieht, sie einverleibend
Mystischerweise in die Gliedschaft Christi
Zum Leib des Herrn. Wir aber sind Sein eigen
Durch wirkend Spruch, durch wirkend Tat, durch Wirken
Gebrochnes Knie, reumütig rauher Leib,
Buße und Abtötung, durch Untergang
Das Kleinen in uns werden wir der Allmacht
Höchst zulebendige Tat. So sind wir sicher
Ganz licht im Herrn und stehen wie die Ritter
In Rüstung ganz, und niemand darf uns fällen.
BRUDER THADDÄUS.
Wir sind des Herrn. Zwar lehrt Martinus Luther, –
– Ein Bruder einst, jetzt Wolf in dichter Herde –
Die Zutat unsres Willens sei ein Nichts
Vorm Herrn. Wir alle seien nichtig, ohne
Den Willen frei, wir seien wie die Rosse:
Gott oder Teufel reitet – wir sind nichts.
BRUDER JOHANNES.
Ja, wie ein Roß rennt dieses Luthers Lehre
Ins Ungestüm der Tat; – hier kommt er selbst.
Der Ritter Michael bändigt einst dieses Roß,
Das anstürzt – wie ein Stier mehr – mit Gebrüll;
Ritter, nicht Roß schuf Gott den freien Sohn.
(Wir wollen hinter dem Geäst der Buche
Zuwarten grausem Zufall. Komm!)

Sie treten hinter eine Buche, ganz rechts, zublickend. Der Haufe der Menge erstürmt den grünen Hügel, sie tragen [262] Äste, die sie auf dem Hange zerbrechen und zu einem Holzstoß türmen. Schon züngeln Flammen, als das Volk vor einem Schwarzgekleideten auseinanderschlägt, der nun vor das Brennende tritt, eine Pergamentenrolle in seiner Rechten.
LUTHER.
Die Bücher her; – sie sollen vorerst brennen!

Der Haufe reicht Bücher.

Es spreizt das mörderische Ungestüm
Der Werke sich durch die Jahrtausende
Schon längst zum Überdruß der rechten Christen.

Der Bruder Johannes sinkt rechts am Stamme im Gebet nieder.

Hier, Gratian, sollst brennen, weil du kecklich
Das fleischgewordne Wort
Mit falscher Rede Hufen niedertrittst
In Staub und Mist und Kot! Desgleichen du,
Clavasio, Eck auch Emser, wie sie alle
Sich nennen, reichet her, nur her damit!

Die Bücher fliegen ins Feuer.

Du lohe lustig, meine Flamme, zu!
Des Luthers Lehr schmilzt alles ein in Glut,
Was, glutentstammt, höllischen Irrtum schmiedet.

Der Bruder Johannes glüht im Gebete.

Die falsche Zeit sei hiemit überwunden,
Wo man papieren unsern Heiland ehrt;
Denn Pappgeschnitzel gleicht der Werke Treiben.

Sie streuen von allen Seiten Bücher ins Feuer.
RUFE.
Hei! Luther!
LUTHER
wirft die Bücher.
Hier, lustig näher eurem Feuer, Bände!
Und aus dem Brande steige hell der Genius
Vergnügter Lehre eilends gegen Rom!
In seiner Rechten schimmere der Morgen,
In seiner Linken sei zornige Wage,
Mit der er wägt des Papsttums bunte Reihe
Von Unfug; donnernd stürze in die Tiefe
Die Schale deiner Unzucht, Antichrist!

Der Bruder Johannes betet auf dem Antlitze liegend.
[263]
RUFE.
Hei! Nieder!

Die Bücher stürmen flatternd.
LUTHER
indem er die Pergamentrolle der Bulle in seiner Rechten hoch aufschwingt.
Nun aber hier! Des Papsttums freche Miene,
Wütend Gesicht und kreidweiß stierer Bannblick!
Wenn meiner Schriften eine Silbe fehl ist,
Wenn nicht das lauter Evangelium
Reinlich verkündet ich vom Herrn besitze,
Die Schrift kraft ihrer hohen Offenbarung,
So will verdammt ich sein in tiefste Hölle!
Weil aber dieses alles lauter ist,
Was ich verkündet, weil dies alles wahrsagt
Von Christi Güte und der Sühnetat
Für uns, weil dieses alles rein gemäß ist
Der heil'gen Zeugenreihe der Apostel,
Weil wir aus Glauben denn allein gerecht sind,
Du aber lehrst der Werke Prangetun,
Greift Er dich heut in diesem Feuer an,
Als Signum, daß ein Feuer deiner wartet.

Er wirft die Bulle in die Flammen.
DER BRUDER JOHANNES
während das Volk noch schreit erhebt sich, prüft Strick und Rosenkranz und schreitet gefaßt und ruhig voran, bis er am Hang unten Luther gegenüber steht.
Der Mönch hebt die Hand, ruft.
Martinus Luther, Doktor der Verdammten!

Todesstille.
DER MÖNCH.
Martinus Luther, im Namen des Herrn!

Er schlägt das Kreuz gegen ihn.
LUTHER
einigermaßen unsicher.
So harte Worte sollen nicht betäuben,
Was ich ersann und lehre, Augustiner!
DAS VOLK
im Gemurmel.
Der Mönch! Ein Augustiner! Luther kennt ihn!
DER MÖNCH.
Ich stehe hier, dich anzuklagen, Luther!
Es gab die Zeit, wo du in deiner Zelle
[264] Bußübung treibend, mönchische Inbrunst wachriefst,
Zu trösten deine friedelosen Nächte.
Mönchische Inbrunst, Luther, stand dir bei
In meinen armen Worten, doch viel Weisheit,
Weil sie der Väter Worte, doch voll Inbrunst,
Weil sie des Heiles Inbrunst wach dir riefen
Ins innerste Gebein. Doch da war Ehrgeiz,
Mönchischer Tugend ehrgeizig beflissen,
Da war nicht jenes milde Feuer innen,
Das fließt, wie Licht und das Gebein verherrlicht
Und einst am Jüngsten Tag Gebein bekleidet.
Nun stand der auf in dir, der unsre Knochen
Wie Brand frißt, aushöhlt wie ein feuriger Heizer,
Der schürt und schürt und ewiglich nicht abläßt.
Nun stand der auf in dir, und bis zur Zunge
Fuhr er dir auf, die Worte mit zu heizen,
Der Glut und Kohlen bläst ins allzeit Hohe.
Nun bist du selber Glut und Kohlen blasend
Vor mir, und wie ein Element das gleiche
Als anverwandtes Angebinde sucht,
Suchst du die Flamme, selber schon in Flammen,
Suchst du Vernichtung, selber schon zunicht.
LUTHER.
Mönch, Feuer spützend wie der Teufel selbst,
Mit Worten kriegend, wo sind deine Werke?
In Geist und Kraft, bezeige deinen Scharfsinn!
DER MÖNCH.
Mein Wort ist Werk und Kraft und Wucht und Richter,
Bestätigt durch die Kirche, die Bestät'gung
Durch Christus hat in vielen Wunderwerken
Der Kinder, die der Mutter Lehre folgten.
Wer aber immer wider diese Kirche
Den Arm aufhebt, der weise seine Wunder,
Mit denen Gott bekräftigt, nie bekräftigt
Er Kirchenfeinde durch gewirktes Heil!
LUTHER.
Mein Heil und Wunderzeichen ist dies Volk,
Das dicht gedrängt den Rücken deckt. So viele
In solcher kurzen Zeit zeugt für die Sache
[265] Der reinen Wahrheit, »Christi Abbild«, so
Schreibt der Apostel im Galaterbrief –
DER MÖNCH.
Verdrehe Epheser und auch Kolosser: –
Worte wie Spreu schwätzt der betörte Redner,
Dein Volk ist nur wie Häcksel flatterhaft –
RUFE.
Höhnt uns die Kutte! Mault der Freche! Heißa!
LUTHER.
Unflätig Mönchsbild, Satans Abgesandter!
RUFE.
Werft Steine!
LUTHER.
Haltet!

Sie beginnen ihn zu steinigen. Der Bruder Thaddäus tritt näher.
LUTHER.
O Gericht des Herrn!
DER MÖNCH
indem er unbewegt aufgerichtet steht.
O Luther, netzt dein Werk in Blut die Hände,
Mein Blut schenk ich der Kirche Gottes hin:
Im Tod verzeih mir, der aus Tod mich löste,
Im Sterben küß mich, der mein Sterben starb!

Er sinkt hin.
DER BRUDER THADDÄUS
an der Leiche kniend.
Laß mich die Wunden küssen, heil'ger Martyr,
Die du um Gott empfingst: Gott siehst du nun.

Bleibt kniend.
LUTHER.
Ungern wird mir der Fall an meine Fahne
Geheftet; Rotten werden wir fortan gescholten.
Das Evangelium will Lieb und Vorsicht.
Bewahrt den stürmischen Sinn! Es gibt auch Messer
Die stechen ohne Stich; doch liegt nun dieser
Hier tot. Weh! weh der grausen Tat! Ich wollte,
Den Odem blies ich diesem ein, er schadet
Doch unsrer Sache mehr, als daß er nützt. –
– Kommt, härmen wir uns nimmer! Gott hilft fort.

Geht.
5. Bild
[266] Fünftes Bild
Im ehemaligen Augustinerkloster zu Wittenberg, jetzt des Abgefallenen Wohnung. Ein Vorraum mit Pfeilern zeigt weiter hinten eine Tür in anschließendes Gemach. Fahles Licht schräg links, es nimmt ab während des Vorganges; denn der Abend bricht ein. Luther rasch von rechts im Pompe. Wie er die Tür öffnen will, richtet sich hinter einem Pfeiler eine vermummte Gestalt ihm in den Weg.

LUTHER.
Mein Gott!

Er taumelt.
GESTALT.
Mein Herr und Kaiser Luther, fürchte nichts!
Ich halt dich –

Er fängt ihn auf.

Eine Schwäche. Eine Schwäche.
O edler Herr, man kennt mich also nicht?
LUTHER
in seinem Arm zu ihm.
– Dich kennen? Fürchterlicher Schwarzer!? Schwarze
Maske? Die Augen rot. Die Augen rot.
GESTALT.
Du bist der Mann, der durch die Maske schaut.
Römische Larven und Kapuzen
Bewältigen dich nicht, du starkes Auge –
Schau deinen alten Jonas!
LUTHER
entreißt sich ihm.
Wie? Wer bist du?
Jonas, mein Freund, Gehilfe und Kumpan?
GESTALT.
Der eben.
LUTHER.
Die Vermummung?
GESTALT.
Bleibt, mein Herr!
LUTHER.
Zu welchem Zwecke, Freund?
[267]
GESTALT.
Hm – hm – mein Luther –
LUTHER
beiseite.
Die Stimm ist Jonas' Stimme.

Laut.

Sprich, weshalb?
GESTALT.
Mein Herr, zum Hochzeitstag ziemt sich ein Aufzug!
LUTHER.
Trotz Himmel, Tod und Hölle! Schweig Gewürm!
Noch ist's nicht ausgemacht.
GESTALT.
Sollt Luther zagen?

Eine zweite gleich vermummte Gestalt hinter einem zweiten Pfeiler hervortretend.
ZWEITE GESTALT.
Wie, Luther, kennst du deinesgleichen nicht?
LUTHER.
Mein Gott, was ist das?
ZWEITE GESTALT.
Bin dein braver Apel.
Urkunde her! Die Hochzeit wird beschlossen!
LUTHER
in krankhaftem Lachen.
Mein Gott, noch mehr von diesem Mummenschanze?
EINE DRITTE, VIERTE UND FÜNFTE GESTALT
miteins vortretend.
Hier sind die Freunde all. Voll ist die Zahl –
LUTHER.
Welch Schrecken faßt mich an?
ALLE JENE.
Hier, Luther, hier!
LUTHER.
Die Namen –?

Aufschreiend.

Eitel Höllenblendwerk ist's!
FÜNFTE GESTALT.
Die Hölle ist im Bund mit deinen Feinden.
VIERTE GESTALT.
Der Himmel, Freundchen, ist im Bund mit dir.
LUTHER
zur vierten Gestalt.
Du, scheint es, bist ein Weib.
VIERTE GESTALT.
Weib wie die Bore.
[268]
LUTHER.
Ha!
VIERTE GESTALT.
Mein Nam ist Kranachs Frau. Kennst nicht die Stimme?
LUTHER.
Frau Kranach!? Sieh! Wer sind die andern denn?
FÜNFTE GESTALT.
Die Stimm verkündet –
LUTHER.
Lukas, bist es du?
FÜNFTE GESTALT.
Lukas, der Maler-Kranach, Luthers Freund.
LUTHER.
Oh, oh, nimmt denn des Staunens gar kein Ende?
DRITTE GESTALT.
Nun fehlt nur einer noch –
LUTHER.
Wie Bugenhagen?
DRITTE GESTALT.
Vortrefflich rätst du, Freund.
LUTHER
laut lachend.
Vortrefflich, wahrlich!

Zunehmende Dämmerung. Sie treten dichter zu ihm.
LUTHER
wieder ernster.
Erklärt euch, Lieben, dieser Mummen-Aufzug –
VIERTE GESTALT.
Bist, Luther, ganz versessen? Kennst dich nicht?
Wir fünfe kennen dich. Du sagtest gestern
– Zur Abendstunde just um diese Zeit –:
»Ich wollt die Bora nehmen, Katharina,
Ich wollt, ich nähme sie; nahm ich sie, was dann?
Ich wollt, ich zeigte, – nützte meiner Sache,
Indem ich Mut bezeigte und den Schritt
Zum Weib vollbrächte, – tat ich's? – wagte ich's?«
Und so mit manchem halben Hin und Wider,
Mit dunklem Munkeln und halbfestem Willen
Schienst du ermuntert uns noch nicht genug;
Wir sprachen: »Sind wir Freunde, helfen wir!
Den ehrenwerten Mann
[269] Nagt allzu großer Skrupel, helfen wir
Und öffnen ihm die Augen!«
DRITTE GESTALT.
Luther, du
So reichbegabt, so vielvermögend, so
Vom Himmel überschüttet mit Gewinn, –
Willst du den Teufel triumphieren lassen?
Siehst du die Falle nicht? Ei, er ist schlau!
Doch mächtiger ist Gott!
ERSTE GESTALT.
Sehr mächtig wahrlich!
Wie läßt Gott zu, daß Luther eine Tat läßt,
Die, eine Siegesfanfare, schmettern wird
Die Christenheit entlang, daß Luther läßt,
Sein Volk durch großes Beispiel zu erlösen?
Denn Worte ohne Beispiel sind ja taub!
LUTHER.
Nur allzu wahr! Nur allzu wahr!
ZWEITE GESTALT.
Wie, Luther?
Ich dächte doch, du bliebest hier nicht feig.
»Mein Luther zaudert, zaudert mein erwählt
Gefäß!« So jammert Christus durch den Himmel.
Ich hör's!
LUTHER
wilder Aufschrei.
Ihr seid die Hölle!!

Sie weichen rücklings.
LUTHER
wie vorhin.
Fort mit euch!!

Sie weichen bis hinter die Pfeiler zurück, sind wieder unsichtbar. – Stille. – Luther keucht und stöhnt.
LUTHER.
Kathrin, Kathrin, entgehst du meinen Armen!?
Wohl so! Wohl so! Ich bleibe, wie ich bin.
Denn so spricht Paulus: »Jeder bleibe – –« Wie?
Der Christenheit Hilfe –? (Ruh! verstörtes Fleisch!)
Der Luther ist ein Mann! Ich halte Part.
Es knirscht des Satans Rachen unter mir,
Gischt, Dampf und Feuer spützt er mir herauf;
[270] Umnebelt, steh ich dennoch klaren Auges!

Er will nach rechts fortgehen. Aber dicht vor dem Ausgang hält er inne, und während er das folgende spricht, kehrt er wieder auf seinen früheren Platz zurück.

Und dennoch: – heilig Zeichen, seh ich dich?
Wer hält das Kreuz, – und drüber steht in großen,
Blutigen Buchstaben: Martinus Luther?
Ha! fürchterlich Symbol! Der Luther? – Ich?
Gekreuzigt? Furchtbar! Wenn ich dieses täte –?
(Wie stürmt mein Fleisch gewaltsam auf mich ein!)
Ruh! Ruh! Halt klares Auge! – Wenn ich's täte?
Wie? Luther! Was heißt Kreuz! Wer tat dies je?
Wenn ich jetzt meine Tugend kreuzigte
Aus Lieb zum Tugendhaften? – Herrlich Bild!
Was heißt denn Kreuz? Sich selbst verleugnen, wahrlich!
Ist Selbstverleugnung Selbst-sich-suchen? Nein!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Der Heiligen Kreuz, ein kleines Kreuz fürwahr!
Ein Puppenkreuz, Kreuz für 'ne Puppe, wahrlich!
Hier aber dies Gehärm –
Dies Quälen, diese Schreie, alles geb ich,
Mein Heiland, hin, damit du herrschend seist,

Die Rede beginnt zu jagen.

Selbst meine Tugend hin, mein gut Gewissen,
Den Bürgeschein für meine Ewigkeit, –
Da –! geb ich alles hin! Riß in euch, Fetzen!
Sollt all nicht sein! Ganz nackt, ganz bloß, ganz Kreuz!
Dann aller Tugend bar häng ich und schreie
Mich wund nach Dir, o Gott – – oh, höchst fürtrefflich!
Los über aller Lose! Wer ist so
Wie du? Wer starb so? Wer ging also hin
In Tod und Untergang? Gleichwie Sich Christus
Verworfen machte vor dem höchsten Herrn,
Mit Sünd beladen, die Er nicht gesündigt,
Gleichwie Sich Christus vor Gott stinkend machte,
Gleichwie Er Gottes Zornblitz auf Sich zog
Um unsres Heiles willen, also ich
Ans Weib mich heftend, (Weib heißt hier das Kreuz.)
Am Weibe hangend, suche Untergang
[271] Vor Gott um meines Volkes Rettung willen,
Um ihnen Bild zu werden, (so ward Christus
Der Sünde Bild, um sündlos uns zu lösen.)
Um ihnen Bild zu werden reiner Ehe
Des Priesters auch, von Gott also gewollt. –

Er stürzt in die Knie.

O Luther! Luther! Siehst du deine Größe?
Gelübde spreng ich –

Er hält ein.

Doch dies war der Teufel,
Der wieder rückwärts will, am Kreuz mich hindern,
Das ich mir selbst erkor; ihn acht ich nicht!
Ja, sprich nur: »Willst du dein Gelübde brechen,
Luther, das heilig gilt für ewige Zeiten?«
Ja, sprich nur Satan: »Willst du wirklich brechen,
Was alle keuschen Priester fromm bewahrt,
Die Heiligen gerühmt und hochgehalten,
Die Väter unverbrüchlich ernst besiegelt
Mit frommem Leben, das der Wunder Duft
Gezeitigt, wie Baum Blüte, wie Blust Frucht?«
Trotz Väter insgesamt! Es schmeckte süß
Den falschen Heil'gen überzuckert Kreuz!
Und Wunder wirken –? Wunden wirken, das
Ist fromm! Wer sich mit Wundern nicht betrügt!
Wer sich nicht täuscht in Wundern, seht nur zu!

Erschöpft.

Ich nehm es auf mich, muß mein Leib auch dran,
Die Seele fährt einst in ihr Paradies.

Stille; er flüstert.

Kathrin! Kathrin! Wird es denn wirklich wahr?
Das heiß Ersehnte! – Doch um Christi willen
Verschmäht, doch dann ersehnt um Christi willen.
Erst Held in Christus, so Asket wie Jungfrau,
Dann Schächer in dem Herrn, entblößt des Schmucks,
Wie Christus Sich der Gottheit ganz entblößte
Und Schächer wurde unserthalb. Ganz stimmend
Ist alles.

Er stutzt.

Und das andere, das andre!
[272] Mein Gott, wie bist du wirksam in den Schwachen!
Die Nonne flieht zum Mönch. Erst Mönch, erst Nonne.
Die Nonne seufzend in des Klosters Kerker,
Vernimmt den Ruf der Freiheit durch die Gräber,
Den ruft der Mönch, der seinen Christus fand.
Nun aufersteht sie, sprengt das Grabgewölbe
Und feiert Ostern. Nun dieselbe Nonne
Bestimmt der gütige Schöpfer zur Bestimmung
Des Weibes, die gebiert, wie er den Mönch
Zum Mann, der zeugt, aus vielen Sich erlesen.

Er sinnt.

Vergleich ich den dem Christus, der sein alles,
Die himmelblaue Tugend des Gelübdes,
Hingibt um Gottes Zorn, das heißt: auf Erden
Ein Feuer zu entflammen, welches loht
Und loht und nicht erlischt, wie Christus Seines
Durch Gottes Zorn entflammt hat, das Er wurde, –
Vergleich ich mich dem Christus (aufersteh ich
Doch aus der dumpfen Nacht!), so sie, Kathrina,
Verwandelt ihren Namen in Marie
Durch wunderbare Ähnlichkeit. Traun! traun!
Kathrina – sag ich also – du sollst Heil sein
Und in Vereinigung mit Luther Heil
Bringen der ganzen Christenheit! Ganz seltsam
Paßt alles ineinander, wie ich's wende.
Dies wird zu sicherem Zeichen Seines Willens.
Drum nichts mehr, Satan, deine Macht ist aus,
Verloren und vertan, verwüst, vernicht.
Ich triumphiere;

Er stampft auf den Boden.

will nicht, daß die blöden
Einflüsterungen noch gehässig treiben
Ihr jämmerliches Spiel: »Wie? Die Gelübde?
Verletzen, was das Heiligste der Kirche,
Den bräutlich Bund mit Gott? Was frei gelobt,
Erkoren frei, in freier Liebe frei ist,
Erhaben über jede Ausdeutung,
Die du, o Mensch, die Sünde zu beschwichten,
Dir deutest?«

[273] Er stampft heftig.

Nein! und wieder Nein! Ich will nicht!
– Wo sind die Freunde? Satan, läßt mich einsam
Geruhig nicht, so kann ich dich vertreiben
Durch fröhlich frische Tat! He, Freunde, he!
Verschwunden wie der Wind, ihr Lächerlichen,
Nun wie der Wind mir vor das Angesicht!

Sie treten mit heftigem Schritt hinter den Pfeilern hervor. Stille.

– Mich schaudert's – Apel, Bugenhagen, Jonas?
Ja, ihre Stimm ist recht. Doch das dahinter,
Das feuerglühnde Aug, – schrecklicher Aufzug!

Gepreßt.

So fürchterlich, ihr Lieben!? Warum also?
ERSTE GESTALT.
Der großen Tat ziemt auch ein großer Aufputz.
LUTHER
zu sich.
Groß ist die Tat und furchtbar zugerichtet.
ZWEITE GESTALT.
O Tat, die Untergang gebiert, dir ziemt
Des Untergangs Gemumme: schwarz und feurig!
LUTHER.
Schrecklicher Künder! – Untergang dem Papst!
DRITTE GESTALT.
Der Tat, die Feuer facht, gebührt das Feuer.
LUTHER.
Wie eine Fackel bin ich meinem Land.
DRITTE GESTALT.
Drum Fackeln fachen, Fackeln fachen, Lohe!

Er nähert einen Stab, der im Gürtel stak, seinen Augen; die Flamme zuckt, die Fackel brennt. Alle anderen tun im Nu ihm nach.
LUTHER
zwischen den brennenden Fackeln; immer geängstigt.
Ein künstlich Feuerwerk und seltsam, wahrlich!
Doch fein ersonnen, schöner Plan!
ALLE FÜNF
einen Schritt näher auf Luther zu, enger um ihn.
Die Hochzeit!
[274]
LUTHER
zuckt.
Schwälende Glut weckt ihr in meinem Innern;
Der Fackeln Qualm hüllt alles ein. Wie heiß!

Er keucht.

Ich will die Hochzeit mit Kathrina Bora,

Sie treten wieder einen Schritt zu.

– Bleibt mir vom Leib! Was soll's! – Ich will die Hochzeit,
Mönch mit der Nonne! Will!
VIERTE GESTALT
kreischt.
Kathrin! Kathrin!
LUTHER.
O Luther, willst du zagen!? – Ruft sie her!

Die Tür des Hintergrundes öffnet sich, Katharina von Bora, im Gewände der gottgeweihten Jungfraun, betritt die Schwelle. Erste Gestalt und vierte flankieren sie fackelhaltend. Es blitzt. Sturm steht auf.
FÜNFTE GESTALT
wie nebensächlich.
Schwül war der Tag. Der Abend bringt Gewitter.

Luther wendet sich zur Tür, schreit halb auf, taumelt, erblaßt. Fünfte Gestalt hält den Mönch im Arm, ihm ins Antlitz leuchtend. Die Gruppe bleibt. Stille. Dumpfer Donner.
LUTHER
wieder zu Kräften kommend, in den Armen des Unholds.
Kathrin – o Weib, ich hab dich nicht gerufen;
Vielmehr, mich dünkt, Brautführer ist der Herr;
Denn Christus bringt dich selbst in meine Arme!
DIE NONNE.
Luther, mein hoher Herr –
LUTHER
immer dem Teufel anlehnend.
Oh, süße Stimme, Taube!
DIE NONNE.
Mein Herr, dich kürt ich über alle Liebe,
Gott hat mir aufgemacht des Klosters Tür.
Gar mächtig ist Sein Arm; Er gibt mich dir!
FÜNFTER TEUFEL
zu Luther.
Nimm hin den hohen Preis all deiner Mühn!
ERSTER UND VIERTER TEUFEL
zur Bora.
Nimm hin den Mann, dem du zu eigen bist!
[275]
LUTHER
reißt sich heftig atmend empor, geht einen Schritt auf Bora zu.
Sie macht die Arme weit.
Trotz Tod und Hölle!
DRITTER TEUFEL
tritt dicht hinter Luther.
Und ich trau den Bund.
LUTHER
sich zu ihm umwendend.
Ja, Bugenhagen, teurer Bruder, wahrlich,
Nimm du die Trauung vor! Es ziemt sich so.
Heut ist's im Juni dreizehn. Gegen Abend.

Es blitzt und donnert.

Mein Gott, der Tag war heiß, es gibt Gewitter, –
Und schwül die Luft. 's ist nicht verwunderlich.
Nimm, Jonas, alles sauber zu Papier.
Auch seid ihr Zeugen, Kranach, du und deine
Gattin. Mein Gott, so wird es wirklich wahr!
Wird wirklich –
VIERTE GESTALT.
Komm doch, Luther, Käthe wartet –
LUTHER.
Ja wahrlich –

Er geht wieder näher dem Weibe zu, das die Arme nicht sinken ließ. – – Furchtbarer Aufschrei. Er hält dicht vorm Weib.
DIE NONNE
erschreckt, läßt die Arme sinken.
Martin, was ist es –?
LUTHER
die Fäuste ohnmächtig bis zur Stirn hebend.
Die Gelübde, Weib –!!
DIE NONNE
zuckt zusammen, erblaßt.
Mein Gott –
LUTHER.
Gefangen –
ALLE TEUFEL
im Chore furchtbar rufend.
Spricht ein Luther so?

Sie werfen ihre Fackeln nieder, treten sie zu Boden und verschwinden im Nu. Dunkelheit. Der Mönch und die Nonne sichtbar nur in den zuckenden Blitzen. Die Donner rollen durchs Gewölbe.
[276]
DER MÖNCH
keuchend.
Kathrin, ich will dich über alle Welt!
DIE NONNE
ebenso.
Dem Papst zum Trotz; er machte die Gelübde!
DER MÖNCH
ganz leise.
's ist alles Menschenwerk –
DIE NONNE.
– 's ist alles Mache!
DER MÖNCH.
's ist Gaukelspiel und Trug –
DIE NONNE.
's ist Tod und Hölle!
DER MÖNCH.
Doch dich hat Gott geschaffen –
DIE NONNE.
Dich will Gott –
DER MÖNCH.
Komm, Weib, sei froh mit mir!
DIE NONNE.
Ich bin's mit dir.

Sie sinken zusammen. – Unwetter. Unterirdisches Getöse. Nacht.
6. Bild
Sechstes Bild
Zeigt das Portal der Wittenberger Schloßkirche. Freier Platz vor Stufen. Viel Volk auf den Stufen in Gruppen lagernd, auf dem Platze dicht gedrängt in Masse. Ihre Tracht ist nicht die Tracht des sechzehnten Jahrhunderts, sondern bunt geflickte, zerstückte und durchsetzte Mäntel und Langgewänder, Lumpen mehr als Kleid. Die auf dem Platz Stehenden bilden gleichsam zwei Chöre, der eine rechts, links der andere. Der Mittelraum läßt den Blick offen. Gewirr der Stimmen, schwatzend und lachend, in grellster Mittagssonne, roh und laut.
Nun hinkt aus der Reihe rechts ein Krüppel in die Mitte vor, hält, steht, pfeift gellend auf den Fingern. Es wird still.

[277]
KRÜPPEL
mit seiner Krücke zum Kirchenportal weisend.
Dort geht es vor. Oh, ungeheuerlich!
Ein Held, ein Schuft, ein Räuber, ein Halunke –?
Wer ist der Luther? Nein, zum Teufel, sag ich!
Ein Engel Gottes selbst. Bei meinen Krücken!
Drum geht er hin, und nicht die Ziegel auf
Den Dächern können sagen: Luther halt!
So ist der Luther. – Er hat's gut befunden,
Und also ist es gut. – Den Heiland selber!

Er hinkt einen Schritt vorwärts.

»Mein Herr und Heiland«, so spricht dieser Luther,
»Man hebt Dich in den Kirchen auf, in Häusern,
Man sperrt Dich ein in einen finstren Stall
Und nennt dies Tabernakel – Ih, wo steht dies!?
Vielmehr besagt die Schrift so klar und sichtlich,
Daß selbst ein Narr es greift, besagt die Schrift: –
So sagt sie: ›Himmel ist mein Haus und Erde,
Ich wohne nicht in Häusern, die mit Händen
Gemacht sind.‹ – Da dies also klar erhellt,
Wie kann man da seit tausend Jahren und
Noch länger! nein! seit fünfzehnhundert Jahren
Ihn sperren in das Dunkle? Wie? Wo steht dies?«
Drum jetzt der Luther aus dem Tabernakel
Mit Macht und Kraft und großem Arm Ihn holt –
Hei lustig!

Er fällt hin.
RECHTER CHOR VOLK.
Er fällt!
LINKER CHOR VOLK
blickende Bewegung.
Er beißt die Erde!
KRÜPPEL.
Ai! Ai! Ai!
EIN RUF RECHTS.
Er hat den Krampf!
STIMMEN LINKS.
Ein Gottesurteil!
RUFE RECHTS.
Betet!

Viele sinken nieder, weniger bleiben aufrecht.
[278]
DIE STIMME MARTIN LUTHERS
innen aus dem Dom.
Mein Gott! Mein Gott! Mein Gott! Mein Gott!

Der Ruf kommt näher.
VON DEN STEHENDEN RECHTS.
Luther!
VON DEN STEHENDEN LINKS.
Er kommt – st –
WEIB
links in Nonnentracht voreilend bis zu den Stufen.
Will ihn sehn ganz nah –
LUTHERS STIMME
innen.
Hei!

Das Portal rasselt auf; der Mönch Luther läuft hindurch, vor bis zu den Stufen, wo er jäh einhält. Unweit vor ihm zuckt der Krüppel. Luther ist angetan mit langwallendem, schwefelgelben Gewand und bedeckt mit schwefelgelber Kappe. Er steht keuchenden Atems.
LUTHER.
O Graus, die Hand zuckt noch von Pest und Frevel;
Und dennoch ist es wahr. Und dennoch gut.
Jahrtausend Jahre willst du überrennen
In zügellosem Mut? Und dennoch renn ich.
Schweigt still!
DER KRÜPPEL
ruft.
O Luther, was hast du getan!

Erschrecktes Volk.
EIN RUF LINKS.
Das Gottesurteil!
EINE DRINGENDE STIMME.
Zeugte dieser nicht?
Ihr hörtet alle, was er sprach.
RUF RECHTS.
Er rast.
LUTHER.
Was kläffst du, Köter, beißt und geiferst? He?
KRÜPPEL.
Ich sagte nicht die Wahrheit! Luther lügt!
LUTHER.
Unsinniger Patron! Den Fußtritt! Da!

Er tritt nieder und stößt ihn.
[279]
KRÜPPEL.
Ich schwör auf Gott! O weh! Er nimmt mich hin!

Er stirbt.
LUTHER.
Unselig bist du, fahr zur Hölle, pack dich!

Zum Volk.

Und hier seht ihr ja sichtbar Gottes Finger!
Was murrt ihr noch? Ist's nicht dem Pofel wohl?
Ich kam und jener schied, ich aber bleibe,
Mit meiner Tat ist Gott!
DAS WEIB IN NONNENTRACHT.
Heil, Luther, heil!
Und Heil der Brust, die dich gesäugt hat, Luther!

Vereinzelte Zurufe.
LUTHER.
Mit meiner Tat ist Gott. Wer steht dawider?
Ich ging hinein, da war das Tor. Das Tor,
Davor sich alle beugen knieknicksend,
Weil Gott darinnen haust. So sagt ihr. – Gott?
Wo steht denn das geschrieben? He? Wer weiß?
's steht: »Nehmt hin und esset!« 's steht und wankt nicht.
Nicht aber steht: »Nehmt hin und sperret ein!«
Ha, römisch räuberische Kniffe, wahrlich!
Nun also schloß ich auf –
Da überfuhr mich Grausen, und ich wankte.

Stille.

– Da nahm ich Es, da gab mir Gott den Mut,
Da nahm ich Es und aß, – leer war das Tor.
Ich ließ es auf, es gähnte mich geplündert
Und gramvoll an, so wie ein räuberischer
Stempel bedrückt' es mich, – doch das war Satan,
Drauf ich entfernte noch die Kanontafeln
Am Altar, die dem Messepriester dienen
Zum plappernden Gebet. Ich trat sie nieder,
Weil nichts von Messegreueln in der Schrift
Geschrieben steht; – sie opfern Den dort auf,
Der Sich für sie geopfert, – o der Schande!
»Einmal am Kreuz«, so heißt es im Sankt Paul,
»Einmal am Kreuz hat Er Sich dargebracht
[280] Zur Sühne aller Sünde.« Rom jedoch,
(Verhülle, Herr, Dein Haupt vor diesem Babel!)
Rom peitscht den Schwanz wie ein verhungert Raubtier
Und schleicht heran. Und springt und beißt vom Kreuz
Den Herrn in Staub und opfert Ihn für sich,
Blutdürstig fauchend, und wird nie ersättigt!

Unterirdisches Rollen. Sie hängen an Luthers Lippen und hören es nicht.

Ich aber habe Vollmacht überkommen
Von meinem Christ, der Schlang das Haupt zu treten
In Kot und modrig Schlamm. Mein Heiland selbst
Hat müssen an das Kreuz geheftet hangen
Drei Stunden, doch dann stand Er auf. Auch ich
Bin ja ein Kreuz und Abschaum aller Welt,
Wie Jener stürzend, was der Väter Lehre
Bewährte fest und gut. – Trutz allen Vätern
Und ihren Mären all!

Es bebt und rollt heftiger. Das Volk bestürzt.
MEHRERE RUFE LINKS
zugleich.
Die Erde bebt!
LUTHER
übertönt.
Laßt bersten alle Welt, Christ muß bestehn!

Sturm. Es wird dunkel.
DAS VOLK
laut rufend.
Die Sonn verliert den Schein! Helft, rettet! Gott!

Es blitzt. Das Volk zerflieht schreiend nach den Seiten. Die Erde wirft unter heftigem Getöse Wellen und ein ganz schwacher, rötlicher Schimmer lagert über ihr. Doch Kirche wie Stufen bleiben bestehn, nur der Boden des Platzes wogt, Luther bleibt in der Finsternis unsichtbar.
Nun wird es ganz still. Lautlos öffnet sich das Erdreich inmitten des Platzes und in einem Strahl
glühenden Lichtes, den die Erde gleichsam auf den abtrünnigen Priester speit, erscheint ein Menschenhaupt, das über trostlosem Scheitel sein Weh gehäuft und in kalkweißem Erstrahlen sein Nichts und Ich birgt und trägt. Dies grasse Dasein spricht dann mit erstickter Stimme heiße Worte. Sein Licht, ganz kalkweiß, zuckt wie Qual: Mönch und Erscheinung mustern sich in einer starren Stille und einem bösen Blick.
[281]
LUTHER.
Wer bist du?
GESCHÖPF.
Dein.
LUTHER.
Was soll dies?
GESCHÖPF.
Bin du selbst.
LUTHER.

Gellendes Gelächter – Stille –

Du bist nicht mein, du bist nicht ich, – wer bist du?
GESCHÖPF.
Bin deine Tat, vervielfacht mit dir selbst.
Bin deine Tat, verdoppelt und verdreifacht;
Dein Schatten bin ich, dein gigant'scher Leib!
LUTHER.
O Mann, mir rätselhaft und doch vertraut,
Vertraut durch Auge wie durch Wort und Schein:
Vertrau dich ganz mir an, brich grausige Stille!
GESCHÖPF.
Verkappt, verhüllt, vertan und dein vergessen,
So schlichest du in die geweihte Halle.
Der Schlüssel scholl im Schloß, das goldne Tor,
Drein sich der Schöpfer sperrte, der Verruchte,
Es wich vor deiner Hand; – und ohne Schelle,
Ganz lautlos, ohne einen Ministranten

Auflachend.

– Der Satan war dein Ministrant, fürwahr! –
Entferntest du die weiße Scheibe Unflat
Und schlangest sie hinab und grinstest groß.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Auch ich,
Beinah vierhundert Jahre nach dir kommend,
Haupthebend auf der Erde, Mensch und mächtig,
Schleich mich in eine Halle, die blieb über
Von deiner Tat.
LUTHER
ganz leise.
Erklär dich besser, besser!
[282]
GESCHÖPF
zischt.
Du bist der Kirchenfürst, der Fürst der Kirche,
Genie der Hölle, lautlos tauchst du auf;
Und nun vom Stuhle,
Der feurig dein ist, leitest du Vernichtung,
Zwinger des Christus, dessen Kirchen leer
Durch deinen Um trieb sind, beraubt des Gottes.

Stille.

Jahrhundert geht, Jahrhundert und noch eines;
Da tritt ein andrer auf und fördert dich.
Mit hohen Worten,
Durch Dichtung blinkend und durch Geist gefällig
Vor Mensch und Welt, tut er den zweiten Schritt:
Er raubt den Christus aus dreieiniger Gottheit,
(Verfluchtes Wort, das meine Lippen brennt!)
Er raubt, wie du Ihn aus den Kirchen raubtest,
Ihn hoch vom Himmel, da wird Gott entleert
Des Sohnes, Jesus bleibt ein edeler Meister
Und Mensch!

Er lacht.

Höllischer Kniff! Ein feines Stückchen!
Nun ist die Menschheit des Erlösers bar:
Gott oder Allah: alles einerlei:
Mohammed oder Christus oder Goethe
Ist gleich. Da wird Geheimnis hohnverlacht,
Gott wird ein ferner Geist, Er wird gefällig,
Das Huren zu ertragen und das Lästern,
Gott wird ein schöner Vers, Natur wird Weisheit,
Sternkraft wird Himmel, Unsinn wird geschätzt.

Er lacht und zischt.

Kreuz, Blut und bangestes Mysterium
Wird Götzendienst gescholten, Jammerbild
Am Holze; Isis' Horn, Anubis' Rachen
Sei ähnlich oder besser. – Und in Erz
Gegossen und gehüllt macht sich sein Volk
Ein Standbild dieses hohen Weltallfürsten
Allüberall auf jedem Markt, verehrend,
Was Ehre heischt von Menschen! Großer Dichter
[283] Und großer Mörder! Großer Mörder Christi!
Lorbeer um deine Stirn!
LUTHER.
Es zischt dein geiles,
Grell furchtbar Licht auf mich der Worte Unzahl.
Wir beide sind allein. Und Nacht ist rings.
Ich träume – träum ich? Hinter mir der Kirche
Portal gähnt öde, und es wankt im Abgrund.
Und dennoch ist es wahr. Ich will es also.
Was jener spricht, kommt nicht auf meine Rechnung.
Und dennoch ist es schön, im Zwielicht stehn,
Allein beleuchtet, Welt rings ausgelöscht,
Erzene Kirche wie auf meinen Schultern,
Die ich reforme, ich reforme sie –

Er flüstert unverständlich.
GESCHÖPF.
Vorwärts im Text! Das Weihrauchfaß geschwungen!
Die heilige Lesung ist noch nicht zu End!
Apokalypse, Buch der Offenbarung:
Dann kommt ein Tier mit Hörnern, das bin ich!

Er keucht und ächzt.

Der Gott, der lebt, ist mir noch nicht gestorben!
Die Kirche fiel. Brav! Christus ist gestürzt!
Halloh! halloh! Messer an Seine Gurgel!
Doch bleibt noch Gott. Wer packt am Schöpf den Alten?
Wer reißt Ihn an der Gurgel jäh hinab?

Fauchend.

Ich tu's. Ich tat's. Der ganz verruchte Wohnsitz,
Der licht im Himmel uns Gesetze gibt,
Den freien Herrenmensch zum Sklaven niedert,
Fällt unter meiner Faust in Trümmerschutt!
Ehrwürdiger Bart ist nimmer vor mir sicher,
Ich spei hinein, ich trete ihn ins Kotige,

Qualvoll.

Ich lasse meinen Hunger an ihm aus,
Und was dann übrig bleibt, ist Gottes Balg!

Aufschrei.

Drei Kreuze seh ich stürmend auf mich kommen,
[284] Drei Kreuze laufen Reihe auf mich zu, –
Versink, mein Ich, das sich der Welt gekreuzigt,
Damit sie frei vom Joch des Kreuzes sei!

Er versinkt und die Erde schließt sich. Der abtrünnige Mönch steht allein in einem rötlichen Leuchten. Schwere Stille.
LUTHER.
Schön ist es, Leuchte sein für tausend Jahre;
Und dies doch prophezeite das Gesicht?
Wenn ich es recht verstand. Ich leuchte also
Dem Papst zum Trotz mystisch in Dunkelheit.
In Dunkelheit der Kirche mystisch Christ.
Gesang 7-8: Das Ende
7. Bild
Siebentes Bild
Unterirdisches Felsengewölbe. Langer, erdentwachsener, steinerner Tisch quer von rechts nach links, hinter ihm läuft der Sitz, in den Fels gehauen. Fackeln schwälen in Spalten des Gesteins. Kein Taglicht. – Luther schwarz und lose gewandet in der Mitte am Tisch, neben ihm Katharina in Nonnentracht. Dann folgen die vier Freunde: Apel, Jonas , Kranach, Bugenhagen schwarz vermummt wie im fünften Bild; Kranachs Frau sitzt rechts neben Luther. Zechgelage. Wein und Becher auf dem Tisch. Schwarzgekleidete räumen soeben die Schüsseln weg, hin und her eilend.

LUTHER.
Ist's Nacht? Ist's Tag? Ist's Finsternis? Ist's Helle?
Erlosch die Sonne? Fackelt uns der Mond?
Zeitlos ward Luther längst,
Ein großer Mann, den das Gestirn nicht kümmert
Der Erdenzeit, hocherhaben – hocherhaben –

Er lacht.
[285]
FREUND APEL.
Zeitloser Luther, Mensch kaum, viel mehr Geist,
Ins Riesige gereckt, – leer deinen Becher!

Luther trinkt.
KATHARINA.
Ein Geist bist du, doch Käthe liebst du noch
Als dein getreues Weib.

Sie und die Kranach lachen im Einverständnis.
LUTHER
steht auf und richtet sich mit Stolz hoch.
Ich bin ein Geist, das sagst du wahrhaft, Bore!
Ich bin nicht menschlich mehr, ich bin gestorben
Der allzu kleinen Welt. Längst das Getümmel
Und keifend ärgerliche Hin und Her
Mit Papst und Priester hab ich satt! Dahin!
Laßt sein! 's ist Kot! Ich bin ein Geist und mächtig.

Er setzt sich wieder.
FREUND JONAS.
Wenn du ein Geist bist, lohend Feuer wider
Die Kirche und das Rudel Christenheit,
So raff dich auf und wag es! Alter Schwätzer!
Ein Geist schwatzt nicht, er tut.
LUTHER
blickt ihm stier ins Angesicht.
Was soll ich tun?
FREUND JONAS.
Hm – hm –
DIE FRAU DES KRANACH.
Schläft Luther, ist der Alte tot?
Wo sind wir?
LUTHER.
Dünkt mir doch in meinem Keller
Zu Wittenberg. Haha!
FREUND KRANACH.
Bist du ein Geist?
Und haust zu Wittenberg?
LUTHER.
Potztausend, nein!
Ich hause nicht zu Wittenberg, ich hause
Im Weltall.
[286]
DIE FRAU DES KRANACH.
Brav!
LUTHER.
Wo also bin ich, Freunde?
FREUND BUGENHAGEN.
Du bist zu Wittenberg in deiner Klause.
LUTHER.
So mein ich auch. Doch bin ich nicht ein Geist?
FREUND BUGENHAGEN.
Wenn anders Weltall Wittenberg benannt wird,
Und deine Klause Grund der Erde heißt.
LUTHER.
Fürtrefflich! Sonnenklar wird's mir im Hirn!

Er trinkt.
FREUND APEL
erhebt sich und pocht auf den Tisch.
Du bist der Herr der Erde und des Alls!
KATHARINA
kreischt.
Weil du den Papst wie einen Ochs gestochen!
FREUND KRANACH.
Der sich der Herr des Himmels und der Erden
Anmaßt zu sein.
FREUND BUGENHAGEN.
Doch du hast ihn gestürzt
Und nimmst nun seinen Thron. Und seinen Sessel
Besitzt du.
LUTHER
trinkend.
Wahr!
FREUND BUGENHAGEN.
Drum wage auch die Tat!
LUTHER
wendet sich dem Sprecher zu, mitten aus dem Trinken auf.
Was speit ihr mir von Tat und Tat ins Ohr?
Das hört nicht auf, das hetzt den ganzen Abend,
Das drängt, das wispert, das vereint sich wider
Den armen Luther –

Er springt auf und schleudert dem Bugenhagen den Becher ins Angesicht, der ihn aber geschickt mit dem Arm abwehrt. Luther schreit.

Hab ich nicht den Papst
[287] Ersoffen und erstochen und erwürgt?
Potz Teufel! Um und um ist er gewendet
Von meiner Feder, armer Madensack;
Die Maden hab ich einsam ihm geklaubt
Aus Wanst und Hintern, alle insgesamt!
Ist das nicht eine Tat? Wer tat je so?
Was soll es noch? Ich bin erschöpft, ich schwitze,
Ich liege lang und stinke vom Geschäft –
Was nun?
KATHARINA.
Just, Luther, zeugen einen starken Sohn!
LUTHER
fällt auf den Sitz zurück, keucht.
Wie? Zeugen? Ja, wie heißt der Sprosse mein?
FREUND APEL.
Nenn ihn Rauchsäule, Feuerkopf und Schwefler!
LUTHER
eingezogen, stier vor sich.
Und also sein Geschick?
FREUND JONAS
mit Gebärde zu denen um Luther.
St – st – Kniet nieder! Betet an den Starken,
Der einen Starken zeugt, den starken Zeuger;
Huldigt dem Feldherrn!

Auf einen Wink des Jonas versinkt der steinerne Tisch, und die Erde schließt sich über ihm. Jonas, Apel, Bugenhagen, Kranach werfen sich vor Luther mit dem Angesicht zur Erde nieder, Rechts und links fassen Luther die gleichfalls knien huldigenden trauen ein. Die Gruppe bleibt eine Zeit still.
LUTHER
leise zischend.
Kenne euch Gewürm!
Die Hölle über euch! Sprecht! Sperrt das Maul!
FREUND JONAS
indem er Schwert und Degen von der Erde auflangt und die blanken Waffen gekreuzt und gezückt dem Mönch überreicht.
Nimm Schwert und Degen, huldreich Angebinde,
Wiegengeschenk für deinen starken Sprossen,
Patengeschenke deines armen Jonas!

Luther nimmt sie, lehnt das Schwert neben sich und legt den Degen vor sich auf seine Knie.
[288]
FREUND APEL
reicht ein Feuerzeug.
Nimm Stein, der Funken wirft auf steinern Anschlag,
Nimm Zunder, der die Flamme rasch säugt groß,
Nimm Stein und Zunder für den starken Säugling,
Der sich aus Brust des Feuers Feuer sauge!
DIE FRAU DES KRANACH
die sich niederbeugt, die Füße des Priesters umklammert und sie küßt.
Ich, Luther, biete dir als Unterpfand
Treuer Nachfolge und Gevatterschaft
Den Kuß und meine Liebe!

Der Mönch stöhnt.
KATHARINA
indem sie Luther heftig umschlingt und ihn lange auf die Brust küßt.
O mein Luther,
In diesem Kuß nimm heiß und heftig meine
Glühende Mutterschaft; ich sauge aus
Von deiner Brust, die wild in Schweißen schlägt,
Den feurigen Atem, daß dein Kind das meine
In Fleisch und Blut sei, meiner Lenden Frucht!

Stille. Dann stürzt der Unselige, erstickt aufatmend, auf die Knie und neigt sich vornüber, so daß er, mit den Armen auf die Erde gestützt, wie ein Tier keuchend sich dartut. Katharina, gleichfalls in die Knie brechend, preßt sich schräg über seinen Rücken, mit ihrer Faust seinen Nacken niederzwingend. Gruppe bleibt bis zum Ende.
FREUND BUGENHAGEN
springt aus anbetender Stellung empor, während die übrigen Freunde bleiben.
Bugenhagen entreißt dem Gestein eine Fackel, pflanzt sich vor Luther hin und beginnt.
Jetzt wird das Kind gezeugt, das mehr als Mensch ist,
O Luther; denn als Mensch zeugtest du schon
In deiner Hochzeitsnacht. Jetzt wird das Kind,
Frucht einer geistigen Vereinigung,
Gezeugt, empfangen und sogleich geboren
Ins obere Gefild. Denn über uns
Dehnt sich der Erde Rücken lachend hin,
Wiese an Wiese, Wald reiht sich an Wald.
[289] Doch hier und dort durch Busch und Stämme funkelt
– Frei in der Landschaft, wie mit aufgewachsen –
Ein Bild, ein Haus, ein Klotz und eine Säule.
Ein Kreuz, ein Muttergottestempelchen,
'ne Martersäule oder 'ne Kapelle.
Götzenanbetung freundlich blinkend tut sich
Groß in Natur, schielt zwischen Baum und Weiher. –
Du, Luther, der sich reiflich überdachte,
Frei aus dir selbst, dein Weib und uns die Freunde
Beherbergend im Busen wie im Hause
Mit Atzung labend, oder auch im Bett
Mit Lust genießend jungfräuliche Glieder,
Hast abgeschworen jener feilen Mache
Und zu dem Gott der Wälder dich bekehrt.
Willst du dem Gott der Welt zum Sieg verhelfen?
LUTHER
stöhnt zwischen Weib und Erde.
Ich will dem Papst und seinem bösen Reiche
Wie allen Päpsten, die gewesen sind,
Und die noch kommen werden, wie den Priestern,
Die je das Rund der Erde überwandeln,
Ich will den Bildern allen, die sie bauen,
Ich will dem Brote, daß sie gleißnerisch
Beräuchern schon durch die Jahrhunderte –:
Pest, Tod und Untergang in ewige Zeiten!
FREUND BUGENHAGEN.
So willst du auch das Kind, den starken Sprossen.

Er winkt der Kranach, die sich erhebt und neben Luther tritt.

Wollust durchzücke dich, o Mensch, o mächtiger
Mönch-Vater, Priester-Feldherr, Bein und Gott
Zukünftiger Zeiten! Nacht sink tief herein!

Die Fackeln löschen alle aus, bis auf die Fackel des Redenden.

In Strahl des Samens taufe ich dich, Sproß,
In Lust der Mutter nenne ich dich, Sproß,
In Bein der Eltern zünde ich dich, Sproß!

Er tritt herzu und schüttelt die Fackel über den Gebückten. Feurige Flocken gleiten auf sein Haupt. Dann reicht er der Frau des Kranach die Fackel.

[290] Und du, Gevatterin, reck auf die Fackel;
Du bist ein Weib und Zünderin der Sünde
Demnach von Anbeginn, entzünde sie,
Heb aus der Taufe dieses Menschen Kind!

Die Kranach stößt dreimal mit dem Feuer an die Decke des Gewölbes. Ein donnerndes Getöse erhebt sich über der Gruft.
FREUND BUGENHAGEN
der beide Arme mit geballten Fäusten gen oben reckt.
Es sinkt der Christ, es stürzt das Bild des Gesalbten,
Es facht zu Asche Wind die Unbefleckte,
Es herzen die Kapellen taub den Boden
In Schutt und Unrat ihres armen Nichts.
Es donnern die Kanonen in die Reihen
Pilgernder Priester, in den Prozessionen
Durchschießt die Kugel das geweihte Brot!
Es öffnen sich die Schlünde, Feuer speiend,
Wider des Petri felsenharten Thron.
Es springt vom Fels des Petri Fels um Felsen
In dynamitnem Sprunge, Untergang.
Das Kind des Christuspriester, rast und wütet
Mit feurigem Schilde um der Kirche Boll.
Es stürzen Breschen in ohnmächtigem Sturze;
Die Hölle zieht auf Sion siegend ein!
Die Engel fliehen all, die Harfen springen,
Musik zerreißt, Dämonen steigen auf.
Es ändert sich das Bild der ewigen Sphären:
Und ewiges Feuer herrscht auf ewigem Thron.
8. Bild
Achtes Bild
Ein Hain hoher Buchen in schimmernder Sonne. Eine Anhöhe hebt sich in der Mitte auf, Säule um Säule besteht auch sie der Wald. Hinter den Stämmen dehnt sich sonnenerfüllter Himmel blau. Die jubelnd klare Stimme des heiligen Erzengels Michael ertönt von den Lüften.

[291]
DIE STIMME DES HEILIGEN ENGEL.
Heiliger Schild ist gesalbt, heiliges Schwert ist gefacht,
Heilige Erze
Hüllen in schimmernden Turm, hüllen in blitzenden Sturm
Himmlische Heerschar.
Sonnhoher Himmel greift an, heimliche Sonne greift ein
In die Geschicke.
Düsterter Spruch wird gebannt, sündhafter Bruch wird bekannt
Durch die Äonen.
Singendes Heil bleibt gegrüßt, heilendes Glück leicht begrüßt
Brünstige Burg uns.
Über Verwüstung der Christ, schimmernder Gütiger ist
Jahwe-Messias.

Der Sang wird still. Sogleich darauf betritt der heilige Michael zwischen den Stämmen die Anhöhe. Da der Hain Buchen nur schmal ist, erblickt man die Erscheinung deutlich in der herrlichen Silberrüstung mit dem Schilde, mit dem entblößten Schwerte, mit dem goldenen Haupthaar, das unter dem Helm dicht hervor quillt. Der heilige Engel, das Schwert griffbereit in seiner Rechten, hält und sieht in das All.
DER HEILIGE ENGEL.
O Vater, Sohn und Geist der heiligen Liebe,
Gericht zu üben habt Ihr mich gesandt.
Ich sehe tief in Tiefen die Verwüstung,
Auf heiliger Erde Blut und Rauch und Schwert.
Zersplissen dürsten einstige Altäre
Noch nach dem heiligen Blute, das sie netzte:
Dem Blut des Sohns, der Sich der Macht entblößte
Und Sich am Holze Welt zum Opfer gab.
Ich faß mein himmlisch Schwert, ich greif zum Schilde.
Der Untat Einhalt zu gebieten, wenden
Soll ich das Übel düsterster Gewalt.
Wie füg ich es zur Ehre Gottes wohl
Am leuchtesten? Soll ich den Kampf beginnen,
Erscheinend blinkend über Tempels Zinne?
In die Posaune schmetternd zum Gericht?
[292] Doch Gottes Sproß selbst zog es vor, verhüllt
Die Erde zu befreien, ohne Schwertstreich,
In eines Menschen Armut blaß und bloß.
Noch ist des Kampfes Stunde nicht. Der Heertag
Schlug noch nicht in den Himmeln. Also wie
Entledige ich meines Auftrags mich?

Stille.

In der Dreifaltigkeit seh ich die Güte,
Die sich verherrlicht durch des Niedrigsten
Beruf und Wahl. Je gänzlich einer Staub ist,
Hilflose Ohnmacht, weinendes Geschöpf,
Nur um so inniger, inbrünstiger
Neigt Christus Sich ihn gänzlich zu erfüllen.
Und weil denn Jesus selbst zum Staub vor Jahwe
Sich niederte, weil Er entblößt Sich gab
In Seiner Feinde Hand, so will auch ich
Durch Unscheinbarkeit mir den Sieg erringen
Zu größerem Triumph. Denn Christus siegt
Nur um so herrlicher, je ärmer Er
Sich ließ besiegen aus der Güte Gut.
Die Güte, die Ihn kreuzigte, hebt auf
Den Auferstandenen in ewigen Himmel,
Weil Güte nur mit Güte sich bezahlt,
Weil Güte Gott ist. – Daher neig ich mich,

Er senkt sich in das Knie.

Und eines Knaben innigen Scheitel küß ich
Durch gütigen Anhauch. So arm wie dieser ist
Nicht leicht ein andrer arm. Aus Samen Luthers,
Aus seines Abfalls blutiger Umnachtung
Steigt auf dies Kind. Er weiß nicht aus, noch ein.
Von Elternlippe kam ihm nie die reine,
Die unverfälschte Lehre ewigen Heils.
Sein Herz schlägt in der Brust sehnsüchtig wund.
Er dürstet. Hungert. Sucht. Kein Freund, kein Helfer,
Der mit Verständnis ihn zur Krippe führte,
Wo Jesus Brot ist. Er steigt zu den Menschen,
Sucht hilfeheischend wissender Augen Paar.
Abtrünnige bereden ihn mit Abfall,
Wollüstige mit Wollust, alle Welt
[293] Reicht ihm den Stein, und er wird nicht zum Brot.
Brot hofft sein Herz. Er fliegt zu allen Sternen,
Späht in der Krater Glut nach einem Bissen
Und in der Meere Tief nach einem Trunk.
Krater bleibt Stein, und Meer bleibt Wogenschwall.
Er spricht: »So sterbe ich den hungrigen Tod.«
In leerer Wüste leer dehnt er die Arme:
»O Sehnsucht meines Herzens, trogst du mich?
Was ich gesucht, wird es denn niemals Fund?
Find meinem Herzen ich nicht eine Stätte?«
Und so mit Auge, das in Inbrunst schwimmt,
Nur Herz, nur Hunger, sehnt er sich empor,
Bereit zu sterben. Wer war ärmer arm?
Drum, Jahwe, Du verstattest die Berührung.
Mit meinem heiligen Schwert

Mit einer leisen Bewegung des Schwertes in die Tiefe hin.

berühr ich dich,
O Mensch, in Christi Kreuzes heimlichem Zeichen,
Lehre selige Auffahrt, lehr himmlische Glut!
Bitt für dein Volk, das sich dem Tod verschrieben,
Bitt für das Volk, das sich dem Abfall bot!
Besiege selbst den Abfall; aus der Tiefe
Aufklimmend, leide alle Leiden mit,
Die Christus litt in Luthers grausiger Tat!
So wirst du einst ein Fürsprech gut im Himmel,
Denn Armut rühret den gewaltigen Sohn.

Er erhebt sich und schwindet.
DIE STIMME DES HEILIGEN ERZENGELS MICHAEL
hoch aus der Höhe.
Ewiger Sang haftet fest, seliger Klang haftet fest
In düstrem Erdreich.
Neigt sich der früchtige Stamm tief in die süchtige Klamm,
O Jesu Wunder!

Zu der süß und mächtig anwachsenden Helle dringt.
DAS LIED VEREINIGTER HEERSCHAREN.
Heiliger Krieg ward erweckt, schmetternder Sieg bleibt gereckt,
Himmlische Inbrunst
[294] Wird über düsterster Nacht, wird über finsterster Macht
Helle Posaune.

Tönender Jubel hebt an, strömender Trubel weht an,
Hoch durch den Himmel
Hallt zu des Heilands Gericht, hallt zu des Sehers Gesicht
Heilige Stimme.

Chöre von glänzendem Gold, Chöre von blendendem Hold,
Chöre der Geister
Wirbeln im blinkenden Reihn, feiern in duftigen Weihn
Christus den Meister.

Höllischer Drache zerbirst, höllische Mache erstirb,
Höllische Gifte
Heiliger Engel erstickt, heilige Jungfrau zertritt,
Ave Maria!
Fußnoten

1 Ezechiel IX.

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Lizenzvertrag

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Sorge, Reinhard Johannes. Dramen. Der Sieg des Christos. Der Sieg des Christos. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-11A1-7