[6] Vorrede

Die gütige Aufnahme, die meine poetischen Versuche (Marburg, 1806) fanden, und die schonende Beurtheilung derselben in einigen Zeitschriften, gaben mir Muth, meine Leyer auf's neue zu stimmen, und meine Gefühle in ihre Töne zu mischen; sie rechtfertigen die Hoffnung, mit der ich diese neue Sammlung dem Publikum übergebe. –

Um den theilnehmenden Lesern meiner Gedichte einige Kunde von meinem frühern Leben zu geben, und dem unglücklichern Theile unter meinen Schwestern zu zeigen, dass uns oft verborgen eine Blume erblühe deren Duft auch unter weniger Pflege das Dunkel unseres Kreises zu mindern vermag, und dass schlummernde Talente sich auch unter den ungünstigsten Verhältnissen, selbst unter den rauhsten Stürmen des Schicksals, einigermassen entwickeln, können, erlaube ich mir's hier, so viel es der Ort verträgt, den Schleier zu lüpfen, mit dem die heilende Zeit so wohlthätig die Vergangenheit bedeckte. –

Meine Aeltern und Grossältern vereinigten sich, mir eine gute und sorgfältige Erziehung zu geben;[7] aber nur meine Kindheit durfte sich dieses Vorzugs rühmen. Als ich in die Jahre kam, wo mir ein sicherer Führer am nöthigsten war, wo Lehren und Beispiele selten ihren Zweck auf ein gefühlvolles Herz verfehlen, da stand ich allein, mir selbst überlassen, und weinend an dem Grabe meiner früh vollendeten Mutter. – Da musste ich das Haus meines verehrten Oheims, des D. Reincken zu Stralsund, verlassen, dessen würdige Gattin, meines Vaters einzige Schwester, mütterlich bemüht war, meinem Geiste und Herzen eine Bildung zu geben, die den Vorzügen der ihrigen angemessen war. Aber leider! war dieses Glück von kurzer Dauer; der Tod meiner Mutter rief mich, als die älteste von meinen Geschwistern, in mein väterliches Haus, an das Krankenbett meines guten Vaters, zurück. Ihr Verlust hatte ihn tief gebeugt, und seine natürliche, durch eine schwache Konstitution erzeugte Hypochondrie noch vermehrt. – Ich stand daher, kaum dem Kindesalter entrückt, schon allein. Frühe ward ich verheirathet, und kam in die ungünstigsten, ungleichartigsten Verhältnisse. Mein Körper ward schon in den ersten Jahren meiner Ehe schwächlich; – bald wurde ich Mutter von zehn Kindern, von denen drei Töchter im dritten Jahre starben. Dem Verbote des Arztes zuwider, nöthigten mich die Umstände, alle meine Kinder selbst zu stillen, und mir die Hülfe [8] zu versagen, die ich mir ausserdem durch Fremde hätte verschaffen können. Denn ob ich gleich, ausser meinen häuslichen Geschäften, und der Pflege meiner Kinder, alle Arbeiten der Nadel und des Strickzeugs für meine Haushaltung selbst verrichtete, und nie einen Schneider für mich und meine Töchter brauchte, so hatte ich bei diesem allen doch immer nur ein Dienstmädchen. In diesem rastlossen Gedränge einer immerwährenden Thätigkeit blieb mir natürlich keine Zeit zur Lektüre übrig, welches ich um so mehr zu beklagen Ursache hatte, da die Erziehung meiner Kinder mir allein oblag, und mein Bewustseyn mich so oft an den Mangel gründlicher Einsichten erinnerte. Mein Gatte war theils zu beschäftigt, theils fehlte es ihm, nach seiner eigenen, oft wiederholten Erklärung, an Geduld zu diesem mühevollen Geschäfte. Ich würde dem wenigen Schlaf, den mir die mütterliche Sorge übrig liess, noch einige Stunden entzogen haben, hätte ich nicht ohnehin zu'meinen Geschäften die Nacht in Anspruch nehmen müssen, und wäre nicht das mühseligste unter allen auf die Stille derselben angewiesen gewesen. Es ist mehreren angesehenen Männern, die diese Arbeiten in die Hände bekommen haben, bekannt, dass ich länger als zwölf Jahre meinem Gatten einen Schreiber ersparte, und ihm grosse, mir so oft unverständliche Aktenstöse abschrieb. Diese Arbeit war die mühseligste [9] von allen, welchen ich mich unterziehen musste, theils wegen meiner Unbekanntschaft mit der lateinischen Sprache, theils wegen des Widerspruchs, worin die Gegenstände mit meinem Geschmack standen, und theils darum, weil ich dieses mühselige Geschäft mehrentheils zu einer Zeit verrichten musste, wo mich die Mühen des Tages schon erschöpft hatten. – Hätte mein seliger Gatte, welcher Kabinetsrath bei dem letztverstorbenen Fürsten von Berlenburg war, die Kunst verstanden, eben so sehr zu seinem Vortheil, wie für das allgemeine Beste zu wirken, so wäre unsere Lage weniger beschränkt gewesen; – da er aber seinem gütigen Fürsten nie etwas klagte, so blieb dieser über unsere Lage in Unwissenheit, und als er endlich von selbst darauf verfiel, so bot er ihm eine ansehnliche Vermehrung seiner Einkünfte, unter der Bedingung an, dass er die bald erledigt werdende Stelle eines seiner Diener noch neben seinem damaligen Amte beckleidete. Die Geschäfte derselben waren unbedeutend; mein Gatte aber liess sich von einem seiner Freunde, der sich diese Stelle wünschte, bereden, darauf Verzicht zu leisten. –

Ich habe mir diese kleine Abschweifung erlauben müssen, da es mein Herz sich nimmermehr, verzeihen könnte, auch nur den Schein einer Ungerechtigkeit über das Andenken eines Fürsten zu verbreiten, der die Hoheit seiner Geburt durch die [10] seltenste Geistesgrösse und Herzensgüte krönte. In jenen Tagen, wo mein Körper unter drückenden Sorgen und Ermüdung erlag, wo ich oft mit vor Schwäche zitternden Händen bis in die späte Nacht mich mit dem Abschreiben widerlicher Rechtshändel beschäftigen, und mit Schlaf und Ermattung kämpfen musste, wozu nicht selten die fürchterlichste Migräne hinzukam – in jenen Tagen war es, wo ich oft mit der Verzweiflung rang, und wo ich – da die Natur meines Kummers keine Mittheilung erlaubte, und ich längst gewohnt war, alles in meine Brust zu verschliessen – meine Gefühle auf dem Papier ausströmte. Unwillkührlich, und ohne im mindesten an Poesie zu denken – denn was hätte mich in meinem prosaischen Leben daran erinnern können? – wurden diese Klagen Reime, Reime, die oft in dem Moment vernichtet wurden, wo sie geschaffen waren. Indessen lernte ich hierdurch die dichterischen Anlagen kennen, die mir die gütige Gottheit verliehen, und die später so vielen süssen Genuss in mein Leben gebracht haben.

Ich wagte es, dem verstorbenen Dichter Schubart, und später dem geheimen Ober-Finanzrath v. Göckingk etwas von diesen ungebildeten Kindern der Natur zu schicken. Beide ermunterten mich, mein Talent auszubilden, und versprachen mir ihre Hülfe dazu. Späterhin schloss sich der [11] Superintendent Justi zu Marburg an diese gütigen, humanen Männer an. Aber leider! konnte ich damals von ihrem Anerbieten wenig Gebrauch machen; meine Zeit gehörte höheren Pflichten an. Das Liedchen an meinen kleinen Karl, und im Mondlicht, dem Andenken meines Bruders geweiht, habe ich allein aus jenen Tagen in dieser Sammlung aufbewahrt, weil sie den Beifall der verehrten Männer hatten, die ich oben nannte. Das erstere gefiel Göckingk; er sagte davon: »Ihr liebes Herz hat dies zarte Liedchen gesungen;« und von dem letztern glaubte Schubart: »es sey mit Tropfen Herzblut tingirt.«

Mein Gatte starb, nachdem ihm unsere drei jüngste Töchter voran gegangen waren. Er starb unbeerbt – sein Vater lebt noch jetzt – ich stand an seinem Grabe mit sieben unerzogenen Kindern, und blickte in die Zukunft, wie in eine dunkle Nacht. – Da reichte mir der edle Fürst, der damals schon seine schönsten Länder verloren hatte, hülfreich die Hand! da unterstützte mich grossmüthig meine Familie in Stralsund, und der Landrath Dinies (sein Name ruht in dankbarem Andenken in dem Lande, um welches er sich so grosse Verdienste erwarb) bewog die übrigen Patronen der Stiftungen, die zum Theil von meinen Vorfahren gegründet worden waren, mich und meine Kinder zu unterstützen, und so wurden wir allein [12] durch diese edle Seelen vom Untergang' errettet.- Damals war es, wo mich die frommen Tröstungen des ehrwürdigenOtterbeins, die unermüdete Güte des Hofraths Weil, meines Arztes und Freundes, und die rege Theilnahme des edlen Geheimenraths Boden dem Grabe entrissen, dem ich schon mit starken Schritten zu wankte. Mein trefflicher Arzt glaubte schon, mit mehrern Aerzten, dass die Auszehrung, an der ich erkrankte, unheilbar sey; doch seiner Sorgfalt und dem Troste der Freundschaft verdankte ich meine Rettung. –

Meine guten Söhne spornte ihr Wille und ihre Lage zu rastlossem Fleiss an; frühe konnten sie die Akademie beziehen. Mein alter Freund, der sel. VizekanzlerErxleben, bereitete meinen Söhnen unter den ehrwürdigen Lehrern der Universität zu Marburg eine gütige Aufnahme. – Mehrere Umstände bewogen mich, Berlenburg zu verlassen, und bei meinen Söhnen in Marburg mit meiner Familie zu leben. Ob ich gleich jetzt noch immer mit Sorgen kämpfte, und drückende Verhältnisse mich beunruhigten, so brachte doch auch der Fleiss meiner Söhne und ihre ausgezeichnete sittliche Aufführung viele Freude in mein Leben. In dieser Periode war es, wo ich meine poetischen Versuche (Marburg 1806) herausgab. Auch konnte ich jetzt, da meine Töchter herangewachsen waren, mehr Zeit der Lektüre widmen, und meinem Geiste [13] in dem Umgang mit manchen trefflichen Familien, die mich in ihre Zirkel so freundlich aufnahmen, mehr Nahrung und Ausbildung geben. – Als meine Söhne von ihren Lehrern, deren Liebe und Achtung sie sich in einem hohen Grade erworben hatten, entlassen wurden, verliess ich Marburg. Jetzt gefiel es der Vorsehung noch einmal, mich zu prüfen; doch auch dieser Sturm gieng vorüber. – Um meine jetzt wieder gänzlich zerstörte Gesundheit zu retten (die sich vormals in Marburg so sehr erholt hatte) eilte ich wieder dahin zurück. Mein dritter Sohn hatte indessen einen Wirkungskreis für seine Thätigkeit in dem Lande meiner Väter gefunden, und winkte bald auch seinem älteren Bruder dorthin. Jetzt bereitete mir ihre seltene Kindesliebe mit eigener Aufopferung ruhige Tage; meine Gesundheit wurde stärker, sobald meine Verhültnisse freier wurden. – Mehr, als hier der Ort zu sagen erlaubt, verdanke ich diesen einzigen Söhnen, und darum werden fühlende Herzen mir auch die Sehnsucht nach ihnen, die Klagen um unsere Trennung, die sich so oft in meine Lieder mischen, verzeihen! –

Die Freude, die mich seit meiner glücklichen Kindheit verlassen hatte, nahte mir nun wieder, und die Musen winkten zu ihrem süssen Genusse. Meine gütigen Freunde, v. Wildungen und Justi, verbesserten die Fehler meiner Lieder, leiteten [14] meine ungeregelte Phantasie, machten, mich bekannt mit den Gesetzen des Wohllauts und Sylbenmaasses, und suchten meiner Sprache mehr Poesie zu geben. Es thut meinem Herzen wohl, hier öffentlich meine dichterischen Lehrer dankbar nennen zu können!

Wenn ich, nach der Ankündigung dieser Sammlung, mehrere Lieder aus den früher erschienenen Versuchen darin aufnahm, so geschah dies theils auf das Verlangen einiger Personen, die jene nicht besitzen, theils darum, weil ich fühle, dass mehrere Gedichte in den Versuchen besser ungedruckt geblieben wären, und ich jetzt meinem Blick einen reineren Genuss zu geben wünschte, als jene frühere Sammlung mir zu geben vermag.

Ich habe daher diejenigen Gedichte, die sich des öffentlichen Beifalls erfreuen dürfen, und einige andere, die mit meiner Empfindung in zarter Berührung stehen, hier angefügt. Alle habe ich nach meinen Kräften verbessert und zum Theil umgearbeitet. Einer damals von den Rezensenten gerügten Sünde habe ich mich indessen auch jetzt wieder schuldig gemacht; es ist dies die Aufnahme von Gelegenheitsgedichten, die mehrere Bogen anfüllen: doch dürfte der Name: Gelegenheitsgedicht, auf viele Lieder nur uneigentlich angewendet werden, weil sie rein aus dem Herzen gesungen wurden, wie denn die Wahrheit dieser Versicherung schon durch die Wahl der Gegenstände bekräftigt wird. – Die kleinen Blumen auf Freundes-Gräber gestreut, wurden mit meinen heissesten Thränen bethaut; – aber sie flossen nicht allein [15] um meinetwillen, der Verlust jener Edlen schlug der Menschheit Wunden; und die besten Seelen an den Orten, wo sie durch ihre Tugenden vorgeleuchtet hatten, vereinigten ihre Thränen mit den meinigen. – Die Aufnahme der beiden von Freundhand verfassten Sonette wird man mir, um der geschätzten Nahmen ihrer Verfasser willen, gern verzeihen. Die Wenigen, die vertrauter mit meinem Leben sind, werden mir vielleicht einst theilnehmend nachrufen:


Ihres Lebens Keime starben,
Eines bessern Lenzes werth!

Möchten meine anspruchlosen Lieder eben so warm die Herzen meiner gütigen Leser ansprechen, als sie warm und rein dem meinigen entquollen! Möchte ich mehrere so gütige Beurtheiler derselben finden, als sich einige meiner Gedichte in Wieland's neuem T. Merkur erfreuen durften, und möchten billige Rezensenten in das Urtheil des trefflichen Hofr. Böttigers zu Dresden (im Sept. Heft vom J. 1810 einstimmen. Möchten einige fühlende Herzen mit mir, ergriffen von den Ahnungen eines höheren Lebens, sich zu ihm erheben, und in dem Bewustseyn erfüllter Pflicht, in dem Gefühl einigen Werths, den Trost finden, den die Welt nicht zu geben vermag. Erreiche ich diesen Zweck, so habe ich die schönste Genugthuung für mein Herz gefunden!

Darmstadt, im Junius 1812.


Elise Sommer. [16]

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TextGrid Repository (2012). Sommer, Elise. Gedichte. Gedichte. Vorrede. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0EED-D