[223] [225]Der Kapitän

[225][227]

Das Interregnum
oder

Money is Power

»Bei meiner Seele! ein Meisterstück irischer Schilderung!« brach endlich der oberste Richter aus. »Nicht bald habe ich etwas gehört, das das wild Launige, desperat Humoröse des irischen Nationalcharakters, eine lustige Verzweiflung inmitten des härtesten Druckes, der Todesqual, so springfedrig drollig, tragikomisch gezeichnet hätte. Phelim, wo hast du die Geschichte her? Sie ist köstlich!«

»Die kapitalste Hanfbraut-Trauungsgeschichte, die ich je gehört, Phelim!«

»Kapital! Wirklich kapital!« fiel der General ein.

»Und dann so vollkommen das Gegenstück zu der des Texasers!« meinte Oberst Cracker.

»Cracker! Cracker!« mahnte Oakley, »Ihr springt mit dem Texaser auf eine Weise um, die, besorge ich, Euch ein Naserümpfen zuziehen wird. Was hat er Euch nur getan?«

»Pooh! Getan? Wollte den sehen, der Cracker etwas tun würde! Ist mir verdächtig, sein Gesicht mir fatal.«

»Sein Gesicht fatal?« lachte Bentley kopfschüttelnd. »Es ist das edelste, heiterste, männlichste Gesicht, das Ihr sehen möget, ein wahres Apollogesicht!«

»Der Himmel segne Eure Augen!« lachte Cracker, »Phelims Gesicht ist mir zehnmal lieber.«

»Und seine Geschichte«, fiel Meadow ein, »zwanzigmal.«

»Er hat auf alle Fälle den Sieg davongetragen!« rief ein dritter.

»Er hat, er hat!« fielen mehrere ein.

»Auch im wichtigen Punkte der Moral«, bekräftigte ein kleines Männchen mit gehäbigem Bauche, dicken österreichischen Lippen und [227] salbungsreichen Blicken, »auch im Punkte der Moral«, versicherte er eifrig. »Finde sie sehr exzeptionabel, die Moral des jungen Mannes, unmoralisch diese Texaser Tendenzen!«

»Und was sagt Ihr zu all den Geschichten, Direktor?« fragte, die unmoralischen Tendenzen überhörend, der General seinen Nebenmann, dessen schwimmende Augen kopfschüttelnd das Punschglas betrachteten.

»Hol der Henker Irland und der Teufel Texas! Das sag' ich, General! Wird uns unsern Cottonmarkt ganz verderben, dieses Texas. Sag' Euch, furchtbarer Cotton, dieser Texaser, ominöser Cotton, – wahrer Sea-Islands!«

Und wie der Mann mit dem scharf spekulierenden, aber jetzt etwas schwimmenden Auge blinzelt und den Zeigefinger an die spitze Bostoner Handelsnase legt, werden alle auf einmal so aufmerksam. Offenbar wirkten die Worte.

»Bankdirektor!« riefen sie.

»Furchtbarer Cotton! ominöser!« wiederholte wie schaudernd der Bankdirektor. »Überbietet, sag' ich, den Sea-Islands by a long chalk 1

»Bankdirektor!« riefen sie halb entsetzt.

»Und dann keinen Tarif 2! Denkt nur, keinen Tarif, Allianz mit Frankreich, nächstens mit England. – Schaut euch zu, wo ihr mit eurer Baumwolle bleibt; sag's euch, schaut euch zu!«

»Bankdirektor!« schrien sie nun ganz entsetzt.

»Hol der Henker das ganze Texas!« stöhnte der Bankdirektor.

»Keinen Tarif!« schrien die einen.

»Allianz mit Frankreich!« kreischten die andern.

»Unser Cottonmarkt beim Henker!« stöhnten die dritten.

»Hol der Henker das ganze Texas!« fielen sie im Chorus ein.

Zugleich schaute sich doch wieder einer um den andern nach dem Texaser um. Er war aber seit einer halben Stunde verschwunden.

»Aber wo ist nur unser pretiöser Texaser?« rief, leichter Atem holend, Oberst Cracker.

»Gegangen, um seinem Bob die zweite Leichenpredigt zu halten!« versetzte lachend Meadow.

»Oder für ihn zu beten!« lachte wieder Cracker.

[228] »Querer Bursche auf alle Fälle!« hob wieder der vorige an.

»Sehr quer!« versicherte der kleine Mann, »scheint den Bobs sehr gewogen.«

»Fand das selbst einigermaßen quer!« bemerkte der General, ohne jedoch den kleinen Mann eines Blickes zu würdigen; er war nämlich bloß noch Anfänger mit kaum zwanzig Schwarzen, hatte erst seit kurzem die Kanzel mit der Pflanzers-Cabotte vertauscht. »Fand das auch sehr quer«, bemerkte er, einen Quid nehmend. »Sagt' es ihm auch, – wißt Ihr, sagt' ich ihm, daß ich ganz und gar nichts gegen Eure Geschichte, was den Krieg und so weiter betrifft, einzuwenden habe, aber mit Eurem Bob laßt mich in Ruhe.«

»Nun, was das wieder betrifft«, lachte Oakley, »so habt Ihr, mit Erlaubnis zu sagen, das nicht gerade in so plain English gesagt, General! Auch zweifle ich, daß er es Euch so gutwillig hingenommen hätte, denn versichere Euch, scheint mir nicht der Mann, eine Derbheit geduldig in den Sack zu stecken. Ist auf alle Fälle ein Gentleman!«

»Gentleman! Gentleman!« spottete Cracker. »Weiß nicht, Oakley, was Ihr an dem Burschen so Genteeles findet, ist ein querer Bursche, sage ich Euch.«

»Sehr quer!« versicherte trocken Oberst Bentley, »hat Euch tüchtige Querhiebe versetzt.«

»Dafür will ich ihn bei der Nase zupfen, was gilt die Wette, ich zupfe ihn bei der Nase?« schrie Cracker.

»Kapitaler Bursche, der Cracker!« schrien die einen.

»Hat Spunk! Gibt eine gloriose Frolic!« die anderen.

»Was gilt's?« schrie Cracker. »Tausend gegen hundert!«

»Angenommen, die Wette!« riefen wieder ein halbes Dutzend Stimmen. »Angenommen!«

»Keine Sottise, Gentlemen!« sprachen die Obersten Oakley und Bentley, »keine Sottise! Vergesset nicht, was ihr euch, was ihr einem fremden Gentleman schuldig seid!«

»Fremden Gentleman! fremden Gentleman!« schrien wieder Cracker und Meadow. »Behaupte, er ist kein Gentleman. Kein Gentleman wird sich mit Leuten wie Bob abgeben.«

»Solche abominable, antisoziale, antimoralische Grundsätze hegen und proklamieren!« fiel die geistliche Kleinigkeit ein.

»Verrät auf alle Fälle eine schlechte Schule!« schrie ein dritter.

[229] »Schlechtere Gesellschaft!«, fiel ein vierter ein. »Wundere nur, wer ihn gebracht hat!«

»Wer hat ihn gebracht?« schrie Meadow.

»Wer?« überschrie ihn Cracker.

Und alle schauten sich an.

»Wer hat ihn auf- und eingeführt?« schrie abermals Meadow.

»Weiß nicht!« war die allgemeine Antwort.

»Das ist doch seltsam!« bemerkte mit einigem Kopfschütteln der General. »Weiß keiner, Gentlemen, wer ihn auf- und eingeführt? Er muß doch eingeführt worden sein?«

»Keiner weiß es!« kicherte Meadow.

»Wirklich seltsam!« bemerkte, den Kopf mehr und mehr schüttelnd, der General. »Fällt da mitten unter uns herein, nimmt das Wort, führt es den ganzen Abend hindurch auf eine Weise!«

»Eine recht impertinente Weise!« versicherte Cracker.

»Aber ihr habt ihn ja aufgefordert, Gentlemen, ihn dringend wiederholt aufgefordert!« rief Oakley dazwischen.

»Gewiß!« fielen mehrere bei.

»Aber keiner weiß, wer ihn gebracht hat?« bemerkte wieder der General.

»Vielleicht ist er bei Käp'tän Murky eingeführt?«

»So frage man Käp'tän Murky!« rief sehr positiv der General. »Konveniert uns ganz und gar nicht, in seinem Dings von Hause da mit Subjekten zusammenzutreffen, von denen man nicht weiß –«

»Woher sie kommen«, fiel wieder Cracker ein.

»Oder wohin sie gehen«, fügte Meadow hinzu.

»Und die solch abominable, antisoziale, antimoralische Grundsätze zutage fördern!« seufzte salbungsvoll der kleine Prediger-Pflanzer.

»Gentlemen!« nahm Oakley das Wort, »ich bin der Meinung, daß ihr zu rasch vorgeht, daß ihr besser einem Komitee das Ganze zur Untersuchung überlaßt. Ich schlage ein Komitee vor. Vergeßt nicht, daß wir im Hause eines unserer geachtetsten, wackersten Nachbarn, Käp'tän Murkys, sind, daß ihr, die ihr seine Gastfreundschaft genießet, nicht das Recht habt –«

»Der Meinung bin ich auch, wir haben nicht das Recht, Gäste, die wir in seinem Hause vorfinden, nach Coventry zu senden«, bemerkte Bentley.

[230] »Selbst dann nicht, Oberst Bentley«, schrie Cracker, »wenn mehr als Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß wir einen sogenannten Sporting-Gentleman unter uns haben?«

»Was meint Ihr damit?« riefen alle.

»Nichts weiter«, versetzte Cracker, »als daß der Mann, der sich hier für den Obersten Morse ausgibt, weder auf- noch eingeführt ist, daß er am St. Catharine zu uns stieß, auf eine Weise zu uns stieß, die wohl Verdacht erregen kann, daß er auf einem Pacer Parkers – in der größten Verwirrung kam, sich auf allen Seiten umschaute, bald vorwärts, bald rückwärts ritt, wie etwas suchend, offenbar in Angst.«

»Sehr verdächtig das!« versicherte der General. »Auf einem Mietpferde!« fügte er kopfschüttelnd hinzu.

»Sehr verdächtig!« fiel Meadow ein. »Der Mann kam mir gleich verdächtig vor und ganz wie einer, mit dem es nicht ganz richtig, denn er schloß sich im Pell Mell uns an; – ich weiß bestimmt, daß er Käp'tän Murky nicht aufgeführt worden.«

»Und ich sage es euch nochmals, er ist ein Gentleman; nur ein Gentleman, ein Mann von hoher Bildung kann sprechen, wie er spricht!« rief wieder Bentley.

»Pooh! ein Mann von Bildung!« spottete Cracker. »Unsere Sporting-Gentlemen sind auch Männer von Bildung. Findet auf jedem unserer Dampfschiffe ein paar Gentlemen solcher Bildung. Gefällt mir der Gentleman nicht, der mit einem Bob sympathisieren kann.«

»Horribel das!« stöhnte der kleine Prediger-Pflanzer.

»Gefällt mir auch nicht«, versicherte mit portenteuser Stimme der General. »Gefällt mir auf alle Fälle nicht. Glaube, wir sind uns sowohl als unserem Freunde Murky schuldig, der Sache auf den Grund zu kommen.«

»Bin derselben Meinung!« fiel Oberst Cracker bei.

»Auch ich stimme bei!« schrie Meadow.

»Und ich gleichfalls!« krächzte der Prediger-Pflanzer. »Kam, wißt ihr, vorgestern von Louisville herab, sag' euch, waren da auf unserm Dampfer vier Bursche, hättet sie vom ersten Buck und Beau Broadways nicht unterscheiden können, so artig, galant, zuvorkommend taten sie, wußten sie euch ihre Worte zu setzen. Wer waren sie? Sporting-Gentlemen!«

[231] »Aber daß nur die Kapitäne der Dampfschiffe diese heillosen Wüstlinge zulassen!«

»Das zu verhüten ist unmöglich, General!« versicherte der Prediger-Pflanzer, »denn nie findet sich dieselbe Sporting-Gentry ein zweites Mal auf demselben Dampfschiffe ein, – wechseln immer, was sie leicht können, da sie der Dampfschiffe drei- bis vierhundert auf dem Mississippi haben. Und viele der Kapitäne sind auch einverstanden mit ihnen.«

»Eine furchtbare Bande!« riefen alle.

»Gentlemen! Es muß ausgemittelt werden!« entschied in letzter Instanz und mit wahrhaft diktatorischer Würde der General.

»Es ist von höchster Wichtigkeit, daß ausgemittelt werde – wir sind es uns, wir sind es Käp'tän Murky schuldig, obwohl der gute Käp'tän Murky –«

»Es mit dem gentlemanischen Kode eben nicht so genau zu nehmen scheint«, fügte er etwas weniger laut und mehr herablassend hinzu, »aber wo ist er?«

»Wo ist er?« riefen alle.

»Wo ist er?« schrien sie, als keine Antwort kam.

»Im Paradiese!« jubelte Phelim vom Ende des Saales herüber, »im Paradiese, hinnies 3

»Was sagt der tolle Irländer?«

»Der tolle Irländer? Der tolle Irländer«, gellte Phelim, »sagt, daß Käp'tän Murky im Paradiese ist.«

»Phelim, bist du toll?«

»Sag' euch, onnurs 4 und hinnies! ist im Paradiese, jedes Bein von seiner Mutter Sohn!«

»Im Paradiese!« rief entrüstet der General, »im Paradiese, und läßt uns hier allein mit dem toll benebelten Irländer, und ist im Paradiese?«

»Wer wird nicht ins Paradies, wenn es bloß fünf Meilen weit ist, hinnie?« grinste wieder der tolle Irländer.

»Gentlemen!« rief entschieden der General, »bin der Meinung, daß unseres Bleibens hier nicht länger, daß Selbstachtung gebiete. Finde es im höchsten Grade geringschätzig, beleidigend.«

»Unverzeihlich!« fielen die einen ein.

[232] »Strafwürdig!« die andern.

»Pshaw!« gähnte der Bankdirektor dazwischen, »was findet ihr unverzeihlich, strafwürdig? Daß er euch ein Diner gab, zu dem ihr euch selbst eingeladen – ein fürstliches Diner, Schildkrötenpasteten, Champagner, Lafitte und einen Madeira!«

»Kapitaler Madeira, 'pon my word!« meinte doch wieder der General, »kapitaler! Governor Kirkbys braun gesiegelter löst ihm nicht die Schuhriemen auf, sicher und gewiß nicht! Wißt Ihr, Bankdirektor, ob er ein fünf oder sechs Dutzende ablassen würde?«

»Keinen Korkstöpsel für Geld, General, aber zwanzig für Freunde. Ist nicht der Mann, abzulassen. Querer Kauz, einsilbig, finster, sparsamer mit seinen Worten als seinem Madeira. Habe noch nicht hundert Worte von ihm gehört, wohl aber hundert Bouteillen bei ihm getrunken. Auch sein Lafitte –«

»Sehr quer!« versicherte der General.

»Seid ein Barbar, General, wenn Ihr den quer findet!« versetzte ärgerlich der Bankdirektor, »ein wahrer Barbar! Der beste Lafitte, den Ihr am Mississippi trinkt, kein besserer in la belle France, reell!« beteuerte er mit der Zunge schnalzend.

»Köstlich!«, bekräftigte unwillkürlich nachschnalzend der General. »Aber sagt mir nur, wie steht es eigentlich mit ihm, ist er auch respektabel? Habe mich da ein vier- oder fünfmal bei ihm dinieren lassen, wollte aber doch nicht, wißt Ihr? Sieht gar so quer in seinem Dings hier aus; wahres Ungeheuer von Balken und Brettern, dieses Haus, wie ein alter Vierundsiebziger zusammengezimmert.«

»Nennt es deshalb auch seine Kajüte, wißt Ihr?« warf, an seinem Punschkelche nippend, der Bankdirektor hin.

»Ja, aber wie steht es mit ihm? Soll, hörte ich immer, ein armer Schlucker von Seekapitän gewesen sein. Auf einmal kommt er, entriert Geschäfte, übernimmt eine Pflanzung, die zweimalhunderttausend –«

»Bezahlt vierzigtausend bar, in den darauffolgenden drei Jahren hundertundsechzigtausend«, fügte der Bankdirektor trocken hinzu.

»Aber warum dies alte Ungeheuer von Brettern und Balken, dem bloß die Kanonen und Segel fehlen, um in die See zu stechen?«

»Warum?« meinte gemütlich der Bankdirektor. »Kann nicht sagen, warum; wahrscheinlich darum, weil er ein queres Seeungetüm [233] ist, vielleicht auch, weil die Affäre nicht viel kostete, er das Holz in seinen Wäldern hatte, Baumeister selbst war. Legte aber dafür sein Geld in soliden New Yorker und Ohioer Sixperzents an. Sehr respektabel das wieder!« versicherte der Bankdirektor.

»Ah!« seufzte der General, »war gescheiter als wir in diesem Punkte, die Paläste bauten.«

»Um die nun statt der Edelhirsche – Schweine und Rinder wandeln«, lachte naiv der Bankdirektor. »Hat seine zwei- bis dreimalhunderttausend Dollar in guten, soliden New Yorker und Ohioer Aktien. Groß das!« beteuerte er.

»Sehr groß«, fiel andächtig der General ein. »Aber glaubt Ihr, daß er so viel?«

»Glaube ich? glaube ich? Ei, glaube ich, weil ich's weiß. Gingen ein paarmal hunderttausend durch meine Hand, ehe der verdammte Duncan. – Fing aber noch zur rechten Zeit an, Anno fünfundzwanzig im November. Weiß es, als ob es heute wäre, hatte dann statt sieben – zehn fette Kühe.«

»Jawohl, fette Kühe! – Sind nun mager geworden!« seufzte der General. »Je nun, ich bleibe.«

»Ich auch!« meinte naiv der Bankdirektor.

»Gentlemen!« hob wieder der vortretende General in recht begütigendem Tone an, »ist ein Mißverständnis, wie mir der Bankdirektor hier soeben erklärt, keine Beleidigung von Seite Käp'tän Murkys. Ist zu erhaben über Beleidigung, zu groß, ein zu großer Mann Käp'tän Murky!«

»Zu erhaben! zu groß! großer Mann! Mißverständnis!« rief bitter lachend der Oberst Oakley.

»Zu erhaben über Beleidigung, Bentley! Wir halten es aber für eine Beleidigung, Gäste zu verlassen, ihnen den Rücken zu kehren. Dafür soll er zur Rechenschaft gezogen werden. Wir erklären es für ungentlemanisch.«

»Wir nicht!« versicherte ebenso stolz der General.

»Dann erfreut Ihr Euch eines obtusern Ehrgefühls, als wir in Euch vermuteten, General«, entgegnete wieder gereizt Oakley.

»Sir!« rief drohend der General.

»Sir!« riefen noch drohender die Obersten Oakley und Bentley.

Der ganze Saal war jetzt in Aufruhr.

[234] »Sirs! Sirs! Hotheads! Hotspurs!« schrie plötzlich, halb lachend, halb ärgerlich, eine Stimme, die einem Manne angehörte, der soeben und, wie es schien, in großer Aufregung eingerannt. »Was gibt es wieder mit euch, ihr heillosen Beelzebubs? Was treibt ihr nun schon wieder? Ist denn gar keine Ruhe mit euch, immer nur Hagel und Donner, Blitze und zehntausend Erdbeben? Seid ihr denn gerade des Teufels? Einander schon wieder in den Haaren?«

Der Mann wagte viel, aber seine Popularität war offenbar größer als das Wagnis, denn wie er nun schreiend, zankend, zugleich beweglich zwischen die gegeneinander anrückenden militärischen Würdenträger einsprang, mit ungemeiner Bonhomie eine Hand links, die andere rechts erfaßte, hatte sein Wesen bei aller guten Laune wieder etwas so Imponierendes, – der General rechts und die Obersten links nahmen so freundlich herzlich die dargebotene Rechte und Linke! Der Sturm war mit einem Male vorüber.

»Präsidentchen!« rief der erstere.

»Bankpräsident!« die letzteren.

»Hol der Henker euer Präsidentchen, euren Bankpräsidenten, wenn ihr ihm und euch die Gurgeln abschneidet! Was ist's, Burnslow? Was Bentley, Oakley?«

»Pshaw! was ist's?« versetzte spröde Oakley, »Käp'tän Murky läßt sich herab, uns bei sich dinieren zu lassen, und findet es dann genehm, uns den Rücken zu kehren, und General Burnslow –«

»Wohl, und General Burnslow findet es genehm, es als keine Beleidigung anzusehen«, fügte stolz der General hinzu.

»General Burnslow ist für dieses Mal der Gescheitere, und ihr«, lachte der Präsident, »Querköpfe, ihr würdet es, meiner Seele! für genehm finden, unserm Freunde Murky für sein Diner eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Würdet ihr nicht?«

»Er soll auf alle Fälle Rechenschaft geben!« rief Bentley.

»Pshaw! Pshaw! Bentley, spannt die Saite nicht zu hoch, denn, gebe euch mein Wort, Käp'tän Murky ist nicht der Mann, eure Musik geduldig anzuhören, euch dazu zu tanzen.«

»Er soll es nicht! Er soll es nicht!«, riefen Bentley und Oakley zugleich, »wir hielten ihn immer für einen Ehrenmann – er hat Ehre im Leibe, wird als Gentleman handeln.«

»Nennt das Ehre«, rief lachend der Präsident, »einem Ehrenmanne, den ihr hochachtet, eine Kugel durch den Kopf zu schießen, [235] um von ein paar Narren, die ihr verachtet, Lob einzuernten? Geht zum Henker mit eurem Ehrenkode!«

»Aber Bankpräsidentchen«, schrie bereits zum vierten Male der Bankdirektor und mit ihm ein paar Dutzend andere, »was bringt Euch nur so spät herab? Warum kamt Ihr nicht früher?«

»Ah!« jubelte wieder das Bankpräsidentchen, »ah, was mich herabbringt? Bald hätte ich es vergessen. Was mich herabbringt? – Überraschungen, Boys, bringen mich herab, köstliche Überraschungen.«

»Überraschungen?« riefen alle.

»Die gloriosesten Überraschungen, Boys«, jubelte wieder der Bankpräsident. »Grüß' euch alle, Supreme Judge, Ihr auch da? auch Ihr, geistreicher, oder vielmehr geistlicher Sweety?«

Alle lachten wieder laut.

»Aber was bringt Euch?« riefen sie wieder ungeduldig.

»Was mich bringt? Etwas, das ich euch bringe, eine gloriose Neuigkeit, eine herrliche, erquickende. Dachte schon um drei bei euch am St. Catharine zu sein, aber Überraschungen, Boys, gloriose Überraschungen!«

»Überraschungen?« riefen die einen.

»Präsidentchen!« die andern.

»Überraschungen, die mich überraschten«, frohlockte das Präsidentchen, »gerade wie ich meinen Pacer besteigen wollte. Zwei der herrlichsten Magnolias grandifloras, die je auf Mississippiboden gewurzelt.«

»Präsidentchen! Präsidentchen!« riefen jubelnd alle.

»Die mich überraschten«, schaltete der Präsident ein, sich den Schweiß von der Stirn wischend, ein, »gerade als ich herab zum Wettrennen und dann mit euch zu unserm Freunde Murky wollte.«

»Auf Ehre!« versicherte er, »zwei köstliche Blumen, die einem wohl das Herz hüpfen machen können. Freut euch, Jungens, die ihr nämlich noch Jungens seid, freut euch, zwei Helenen statt einer sind im Paradiese eingekehrt.«

»Im Paradiese?«

»Nun ja, im Paradiese, meiner Villa, wißt ihr, Käp'tän Murkys Tochter, Miß Alexandrine, mit ihrer Freundin.«

»Miß Alexandrine!« seufzte eine Stimme aus dem Hintergrunde des Saales hervor.

[236] »Da habt ihr bereits einen Liebesseufzer, andere werden wohl nachkommen, bürg' euch dafür!« lachte er wieder.

»Miß Alexandrine«, fuhr er in ernstem, achtungsvollem Tone fort, »mit ihrer Freundin, der Tochter des innigsten Freundes unsers Käp'tän Murkys, Generals – wie heißt er nur? – berühmten Generals und Generalgouverneurs von einhalb Dutzend südamerikanischen Staaten und vormaligen spanischen Vizekönigreichen. Sind beide aus Frankreich, wo sie erzogen wurden, angekommen.«

»Miß Alexandrine angekommen?« riefen alle.

Und alle verstummten sie und schauten sich mit so seltsamen Blicken an. Sie schienen einander in der Seele lesen zu wollen! Es war etwas wie Eifersucht, das sich bereits verriet.

»Schaut euch doch nicht so an, Jungens, als ob ihr einander schon wieder an die Krägen wolltet; brachte sie euch deshalb nicht, die köstliche Botschaft. Nur keine Kämpfe, haben deren ohnedem genug. Take it cooly 5!« rief lachend der Präsident.

»Sind vorgestern zu New Orleans gelandet«, fuhr er frohlockend fort, »gestern von da abgegangen, heute Schlag drei Uhr im Paradiese angekommen. Ist nun ein wahres Paradies.«

»Im Paradiese!« seufzte es wieder aus dem Hintergrunde des Saales hervor.

»Bin nur froh, daß das verdammte gelbe Fieber nicht mehr zu fürchten – hat sie wegen des heillosen Fiebers, das ihm, ihr wißt, Frau und vier Kinder gekostet, in Frankreich erziehen lassen, sie sechs Jahre nicht gesehen. War aber rührend zu schauen, wie sich die beiden in die Arme flogen. Komme jetzt, ihn zu entschuldigen, wenn es da noch einer Entschuldigung bedarf.«

Der gute Präsident war ganz weich geworden.

»Bedarf keiner, ist entschuldigt!« riefen alle.

»Vollkommen entschuldigt!« versicherten zuvorkommend Oakley und Bentley, »und bitten Euch, Präsident, einstweilen statt seiner unsere Apologie anzunehmen.«

»Seid nicht entschuldigt!« gellte es wie rasend aus dem Hintergrunde des Saales hervor.

»Verbieten es euch zu seufzen, wenn der Name einer Dame erwähnt wird, die so unendlich über euch erhaben.«

[237] »Was zum Henker haben wir denn da schon wieder? Ist denn der Teufel abermals los?« schrie das Präsidentchen, den Kreis der Freunde durchbrechend und mit einer Hast unter die Streitenden hineinsprengend, die eine vollkommene Kenntnis unseres Mississippicharakters verriet. Auch standen sie sich bereits gegenüber, gerüstet wie Kampfhähne, Dolche und Kugeln aus den Augen sprühend.

»Ah, Cracker, Meadow, seid Ihr's? Dachte ich's doch! Wo irgendeine Teufelei im Zuge, seid Ihr sicher nicht weit!«

»Keine Eurer Familiaritäten!« sprach Cracker vornehm. »Seid so gut, mischt Euch nicht in Dinge, die Euch nichts angehen.«

»Betrifft gentlemanische Affären, nicht Geldsäcke«, fügte mit ebensoviel Würde als souveräner Verachtung Meadow hinzu.

»Dann sind wir freilich nicht die Person, die da Sitz und Stimme hat«, versetzte lachend der Bankpräsident, »da wir uns jedoch einstweilen als den Herrn des Hauses betrachten, müssen wir schon so unbescheiden sein, uns in Eure gentlemanischen Affären zu mengen.«

»Betrachtet Euch als Herrn von was Ihr wollt, nur nicht als den unserer Affäre, oder es dürfte Euch schlimm gehen!« rief stolz Cracker.

»Auf die Gefahr hin, tapferer Oberst, wollen wir es wagen, uns in Eure Affäre zu mischen. Vorerst erlaubt die Frage, um was sich der Streit handelt?«

Es war aber jetzt etwas in dem Blicke des Mannes, das bei aller scherzhaften Laune doch wieder den tapfern Obersten zu imponieren schien.

»Wollen den Burschen da für seine Vermessenheit züchtigen«, ließ sich Cracker herab zu antworten.

Der Bursche, wie er genannt wurde, unser Texaser, spielte ganz ruhig mit seiner Reitpeitsche, die er von Zeit zu Zeit hob.

»Zweifle, daß der – Bursche Lust dazu hat«, versetzte mit ironischem Lächeln der Präsident, »scheint mir fremd hier, deshalb den hohen Schwung, den unser Mississippi-Ehrenreglement genommen, noch nicht zu kennen. Hat er denn gar so Schlimmes getan?«

»Hat sich in einer Gesellschaft eingedrängt, in die er nicht gehört!« schrie Meadow.

»Bei der Erwähnung einer Dame geseufzt, die unendlich über ihn erhaben ist!« Cracker.

»Was sagt Ihr dazu, Fremdling? Bekennt Ihr Euch schuldig [238] dieser schweren Vergehungen?« fragte mit komischem Schauder der Präsident.

»Schuldig!« versetzte lächelnd der Fremde.

»Da habt Ihr aber entsetzlich gesündigt«, versicherte ihn wieder der Präsident, »furchtbar! Wißt Ihr das nicht? Ja, wie gesagt. Ihr kennt den sublimen Schwung, den unser gentlemanischer Point d'honneur genommen, nun nicht. Leben zwar in einem freien Lande, aber möchte Euch nicht raten zu seufzen, 'pon honour nicht!«

»Sir!« schrien ungeduldig ein Dutzend Stimmen.

»Wollen Euch ersuchen, Eure Hausherrschaft nicht zu weit auszudehnen!« rief Cracker.

»Die Parteien hier, insofern sie auf den Namen und Charakter eines Gentleman Anspruch machen dürfen, ihre Affäre ausgleichen zu lassen!« wieder Bentley.

»Das heißt, sie Kugeln wechseln machen!« meinte ruhig der Bankpräsident. »Habt Ihr Lust?« wandte er sich an den Fremdling.

»Wenn es sein muß, warum nicht; obwohl, aufrichtig gesagt, ich eben keinen Grund sehe, mich mit jedem Tollkopfe da herumzuschlagen.«

»Sir!« schrie wütend Cracker.

»So Ihr ein Gentleman seid, werdet Ihr wissen!« Meadow.

»Stille, Cracker! Meadow! Verbitte mir diese Sprache hier, lege mein Veto ein.«

»Ihr legt Euer Veto ein?« schrien entrüstet Cracker und Meadow und Bentley und Oakley.

»Lege es ein!« versetzte der Bankpräsident, ruhig die Goldbüchse aus der Tasche ziehend und den beliebten Dulcissimus twisted 6 herausnehmend.

»Wer gibt Euch das Recht?« schrien nun alle.

»My money, Gentlemen!« versetzte der Bankpräsident trocken, »my money – money is power 7

»Euer Geld?« schrien sie verächtlich.

»Ei, mein Geld, Cracker und Meadow!« wiederholte der Präsident, ruhig ein Stück vom Dulcissimus lösend. »Bin so frei, Euch ins Gedächtnis zurückzurufen, daß Euch, Oberst Cracker, unser Kassier vor sechs Monaten, gerade drei Tage nach Eurem letzten Duelle [239] – eine sehr häßliche Geschichte, wißt Ihr – zehntausend Dollar, und Euch, Oberst Meadow, fünfzehntausend unter der Bedingung ausbezahlt, daß Ihr Euch in kein Duell, was immer der Grund, Veranlassung, Vorwand – einlasset oder darin assistiert, sekundiert, bis die ganze Summe auf Cent und Dollar abbezahlt.«

»Präsident!« schrie Oakley, »finde das ungenerös, ungentlemanisch, einen Vertrag, zwischen vier oder sechs Augen abgeschlossen, hier zu veröffentlichen.«

»Sehr ungenerös!« versicherte Bentley.

»Auf alle Fälle nicht schön!« ein Dutzend Obersten mehr.

»Nehmt Euch zu viel mit Eurem Gelde heraus, Präsident, will mich bedünken«, meinte der General, »Mississippi-Gentlemen in einer Ehrensache durch schnöde Geldrücksichten behindern zu wollen«, fügte er sehr mißbilligend hinzu.

»Unverzeihlich das, General!« meinte der Bankpräsident selbst.

»Wollen dem aber ein Ende machen; bürge für Cracker!« rief Oakley.

»Und ich für Meadow!« schrie Bentley.

»Bravo, Bentley! Oakley!« riefen hochherzig die einen.

»Gloriose Bursche!« beteuerten die andern.

»Gloriose!« apostrophierte sie der Bankpräsident. »Splendide«, versicherte er, den Quid in den Mund schiebend, »herrliche Bursche! Hätte meiner Seele den Glauben nicht in Israel erwartet! Superbe Bursche, wahre Virginier!«

Und so rufend, reichte er den beiden entzückt die Hand.

»Nehmt Ihr unsere Bürgschaft an?« fragten sie zaudernd.

»Stop, my men! – Sachte, sachte!« meinte wieder kühl der Bankpräsident, »seid edle Bursche, wahrhaft gloriose Bursche, echtes Virginier Kavalierblut, auch gute Bürgen, der eine dreimalhundert, der andere dreimalhundert und etwa fünfzigtausend wert – Dollars natürlich.«

»Wozu diese Klassifikation?« riefen wieder ungeduldig die beiden.

»Will euch gleich sagen, warum«, versetzte trocken der Präsident. »Seid Ehrenmänner, vollkommen respektable Bürgen, kann aber – eure Bürgschaft nicht annehmen.«

»Ihr könnt nicht? Ihr könnt nicht?« schrien sie nun wieder alle so entrüstet!

»Und warum könnt Ihr nicht?« überschrie sie zornig der General.

[240] »Das ist reiner Despotismus!« hoben wieder die einen an.

»Furchtbare Tyrannei!« die andern.

»Entsetzliche Tyrannei! Unerträglich!« fielen sie alle im Chorus ein.

»Aber«, rief Oakley, »er muß – wir bezahlen ihm seine fünfundzwanzigtausend Dollars.«

»Und senden ihn dann nach Coventry«, lachte Bentley.

»Könnt nicht, könnt nicht«, versetzte der Bankpräsident, ganz gemütlich die tobenden Aufrührer überschauend, »könnt nicht«, meinte er sehr zufrieden, »ist sehr rar jetzt, bar Geld; haben bar Geld gegeben – Dollars. Seid nicht imstande sie aufzubringen, wenn wir unser Veto einlegen.«

»Ihr seid ein Despot!« schrie wieder Oakley.

»Ein Tyrann!« Bentley und der General.

»Ganz richtig«, versetzte lächelnd der Bankpräsident, »ein furchtbarer Tyrann! Wußtet ihr das nicht? Bin ein Tyrann, ein Unmensch, und ihr seid so human, liebenswürdig, glaubt gar nicht, wie liebenswürdig!«

»Unausstehlich!« riefen sie wieder, »glauben, er treibt Scherz mit uns.«

»Behüte es! Ohne Komplimente!« lachte wieder der Bankpräsident, »will euch nur sagen, kommt mir just die Laune.«

»Wollen nichts von Euren Launen hören!« rief wieder stolz Bentley.

»Kann nicht helfen, hab' sie nun, diese Laune, weiß wohl, daß es eine üble Laune ist; aber laßt mich, nun nicht anders, meine Laune. Wißt ihr aber, daß das vorletzte Jahr über hundert Duelle, das letzte beinahe gleichviel vorgefallen?«

»Wohl, und was weiter? Was geht das Euch an?«

»Nichts weiter, als daß durch diese zweihundert Duelle – zweihundert Hoffnungen, Erwartungen, Existenzen, Freuden – von gerade zweihundert Vätern und Müttern, Geliebten geknickt, zweihundert Verzweiflungen, Trostlosigkeiten dafür eingekehrt.«

Er hielt inne. Alle schwiegen.

»Unsere ganze bürgerliche Gesellschaft aber vierhundert Jahre – in die Zeiten des einstmaligen Faustrechtes zurückgerückt worden.«

Wieder schwiegen sie.

»Gesetze halfen nichts, Prediger halfen nichts, die Tränen der Geliebten, der Mütter – halfen nichts. Nichts half.

Da taten wir uns, einige Tyrannen, Despoten, zusammen«, fuhr [241] der Bankpräsident im Stakkatotone fort, »beschlossen, dem hochritterlichen Mississippitreiben Einhalt zu tun.

Sehr tyrannisch fingen wir unser Komplott an, bildeten nämlich einen despotischen Verein, der sich verbindlich machte, keinem mehr Geld zu kreditieren, der nicht sein Ehrenwort gäbe, der ritterlichen Unterhaltung, Duellieren genannt, für die Zeit hindurch zu entsagen, wo er uns schuldete.

War freilich sehr tyrannisch von uns«, fuhr im spielenden Tone der Präsident fort, »sehr tyrannisch, einen so edlen Zeitvertreib behindern zu wollen, aber ließen uns leider nicht in unserer Tyrannei beirren. Und hatte diese Tyrannei die entsetzliche Folge, daß dieses Jahr nicht mehr als fünfzig Duelle gefochten wurden, und zwar vierzig in den ersten sechs Monaten, zehn in den letzten.

Brauchten aber in diesen letzten sechs Monaten mehrere unserer chevalereskesten, hochherzigsten Gentlemen wie zum Beispiel unsere tapferen Obersten Cracker und Meadow – Geld und wieder Geld.

Kreditierten ihnen, aber unter der Bedingung und nach mündlich und schriftlich gegebenem Ehrenworte, binnen der Zeit, wo sie uns schuldeten, kein Duell, was immer die Veranlassung, anzunehmen oder zu befördern.

Bin nun leider Präsident dieses despotischen, hartherzigen, tyrannischen Vereines, Gentlemen!« schloß mit einem recht fatalen Lächeln der Mann, »und kann daher, so leid es mir tut, eurem generösen Drange nicht nachgeben.

Seid sehr brave, generöse Bursche!« hob er wieder an.

»Und Ihr ein sehr querer Kauz!« fiel ihm lachend der General ein, seine Hand erfassend. »Hol Euch der Teufel, Präsidentchen!«

»Verdammt quer!« riefen die Lippen beißend Oakley und Bentley. »Hol Euch der Teufel, Präsidentchen!«

»Hol ihn der Henker!« riefen lachend alle, »er macht durch sein Geld mit uns, was er will.«

»Money is power, – wißt ihr das nicht? Jefferson meinte: Knowledge is power – heutzutage ist'smoney!« meinte lachend das Präsidentchen.

»Aber jetzt laßt uns doch auch den sogenannten Burschen näher besichtigen«, raunte kopfschüttelnd das Präsidentchen dem General zu, »hätte uns da beinahe in eine Quandary mit unsern besten Freunden gebracht. Wollen ihm denn doch auch auf den Zahn fühlen. [242] Auf alle Fälle ein querer Bursche. Steht euch da, beschaut uns vierundzwanzig Mississippi-Gentlemen, die« – er blickte scharf und flüchtig über sie hin – »ihre sieben Millionen Dollarchen wiegen, – gerade als ob wir neu geworbene Rekruten wären. Queres Chevalierchen!«

»Sehr quer!« versicherte der General.

Und sehr quer war er zu schauen, unser Texaser Chevalierchen, bald mit der Reitgerte spielend, dann so verzückt lächelnd, seufzend, wieder mit weit aufgerissenen Augen dem kaustischen Geldmanne horchend.

»Dürfen wir so frei sein zu fragen, wen die sogenannte Kajüte unseres Freundes Murky zu besitzen das Glück hat?« fragte mit zweideutigem Lächeln das Präsidentchen.

»Glaube, habe es doch schon gesagt, mehr als einmal gesagt«, versetzte wie aus einem Traume erwachend das Chevalierchen, »nenne mich Oberst Morse von Texas.«

»Oberst Morse von Texas?« lächelte das Präsidentchen, »vermute, dann kennt Ihr einen gewissen Edward Morse, der auch so etwas in Texas sein soll?«

»Vermute«, versetzte wieder der Texaser, »da ich das Glück oder Unglück habe, es selbst zu sein.«

»Habt Ihr?« lachte der Geldmann, »dann habt Ihr ja auch ein Onkelchen – und was sagte das Onkelchen«, fragte er weiter, »als Ihr es zuletzt sahet?«

Der junge Mann schaute den Fragenden einen Augenblick erstaunt an. Die Frage war so quer!

»Sir!« stotterte er.

»Was sagte er, als Ihr ihn zuletzt sahet? Wo saht Ihr ihn zuletzt, das Unclechen?«

»Das Unclechen?« rief der junge Mann, den Alten anstarrend.

Dieser veränderte keine Miene.

»Was sagte er, als er Euch eine Note, glaube, es war eine Hundertdollarnote –«

»Eine Hundertdollarnote!« rief der junge Mann. – »Meiner Seele! Ihr –«

»Nun, ich?«

»Ihr seid Uncle Duncan, oder der –«

[243] »Stop, Sir!« rief abwehrend Uncle Duncan, »was sagte er?«

»Er sagte, er sagte: Ned, take care of thy money; money is power 8! sagte er.«

»Ah, Ned!« rief jetzt der Uncle, »bist Ned, bist Ned. Gentlemen! ist Ned. Was meine Judith – wie die sich freuen wird! Willkommen, Ned!«

»Uncle Dan!« rief überrascht Ned.

»Uncle Dan! Uncle Daniel in der Löwengrube!« lachte dieser, »und du wußtest nicht, daß ich da bin?«

»Kein Wort, Unclechen!«

»Und kamst doch her?« fragte kopfschüttelnd das Unclechen.

Ned stockte verwirrt einen Augenblick, dann fiel er wie außer sich dem Onkel in die Arme. »Unclechen!«

»Stop, man!« schrie das Unclechen, »halt, Mann! da steckt etwas dahinter, bringst mir meine Tour in Unordnung. Bist unter den Texaser Freibeutern gewesen, sehe es wohl, hast da das Ungestüme gelernt.«

»Gentlemen!« wandte er sich an die zweifelhaft den Kopf schüttelnden, »Gentlemen! habe das Vergnügen, euch meines Schwagers – Supreme Judge Morses zu Washington Sohn – Oberst Morse aufzuführen.«

»Euren Neffen?« riefen sie verwundert.

Die Ankündigung schien den Sturm weniger stillen, als eine neue Richtung geben zu wollen; denn es erhob sich ein zweifelhaftes Gemurmel, dem wieder ein stürmischer Wortwechsel folgte.

Oakleys Stimme ließ sich über alle hören.

»Ihr seid es Euch, uns, dem Gentleman schuldig, Abbitte zu tun, Cracker!«

»Die wir nicht zu leisten gedenken«, rief wieder Cracker, »der Zweifel in bezug auf Oberst Morse ist nicht gehoben.«

»Er ist's, Ihr habt es mit mir zu tun, wenn Ihr nicht Genugtuung gebt!« schrie wieder Oakley.

»Und mit mir!« Bentley.

»Hang ye!« schrie der Bankpräsident ärgerlich, »ist denn der Satan gar nicht zu bändigen? Geht er noch immer umher, brüllend wie ein Löwe, suchend zu verschlingen? Sage euch, wer noch ein [244] Wort von Genugtuung hören läßt, muß es mit mir aufnehmen auf Lanze oder Pistolen, Kanonen oder Kartätschen.«

»Mit Euch auf Lanze oder Pistolen, Kanonen oder Kartätschen?« riefen lachend alle.

»By Jove! mit mir«, lachte der Bankpräsident, »oder glaubt ihr's nicht? Fürchtet euch nicht einmal vor mir? Sag' euch, habe auch Pulver gerochen.«

»Ihr, Bankpräsidentchen?«

»Ei, habe, auf Ehre! Habe, kein Scherz, Irrtum oder Zweifel. Habe Pulver, ganze Tonnen Pulver gerochen, Kartaunen-, Kartätschen- und Kanonen-, Bomben-und Haubitzenhagel ausgehalten, selbst gefeuert.«

»Aber nicht scharf geladen?«

»Scharf geladen, Boys!« jubelte der Bankpräsident, »scharf geladen, so scharf, daß die Leute links und rechts wie Kornähren sanken.«

»Das müßt Ihr erzählen!«

»Muß ich? Muß ich? Wohl, wenn ich muß, so will ich; zuvor muß aber Friede und Eintracht sein. Cracker und Meadow! Die Hand zur Versöhnung gereicht!«

»Oberst Cracker! Oberst Meadow!« rief es von allen Seiten.

»Wir können unsere Zweifel nicht zurücknehmen«, versetzte Meadow, »dieser Gentleman kann nicht Oberst Morse aus Texas sein.«

»Was zum Teufel soll er denn sein?« rief der Bankpräsident.

»Er kann General, aber nicht Oberst sein. Es gibt keinen Oberst Morse.«

»Das ist wahr«, versetzte lächelnd der Texaser, »denn der Oberst Morse ist General geworden.«

»Seid Ihr's wirklich?« rief überrascht der General.

»Bah! seit einem halben Jahre, hoffe jedoch, es wird in meinem halben Inkognito keine Beleidigung liegen.«

»Aber Oberst Cracker und Meadow hatten recht, wenn sie dich für verdächtig hielten, Ned!« schrie der Präsident, »du warst verdächtig, bist es, der Abbitte zu leisten hat.«

»Die ich auch zu leisten willig bin«, versetzte lächelnd der General, die Hand den beiden entgegenstreckend.

»Kuriose Leute ihr, punctiliose Leute, meiner Seele!« rief wieder der Präsident, »seid ärger als die –«

[245] »Nicht ärger als unser Bankpräsident!« riefen Cracker und Meadow.

»Meiner Seele nicht!« lachten alle.

»Ja, aber Eure Bomben und Kartätschen!« riefen wieder die einen.

»Und Kanonen und Kartaunen!« die andern.

»Die erlassen wir Euch nicht!« lachten alle.

»Wohl, so müssen wir uns denn fügen«, versetzte mitlachend der Präsident. »Phelim!« wandte er sich an diesen, »bist wieder einmal so benebelt, daß du gar nicht siehst, wie wir im Trockenen sitzen; vermute auch, hast den Auftrag deines Herrn ganz vergessen, ihn bei den Gentlemen zu entschuldigen.«

»Bei Jasus! nicht vergessen«, platzte der Irländer heraus, »nicht vergessen, bei St. Patrick! Ihnen gesagt, hinny, daß Käpt'n Murky im Paradiese.«

»Wohl, jetzt geh und sei ein guter Bursche und lasse die Punschbowle füllen. Wollen sie bis an den Rand voll haben und dann sagen, wie es kam, daß wir Pulver gerochen. Schickt sich gerade recht, die schönste Gelegenheit –«

»Bravo!« riefen alle.

»Ja, wollen euch sagen, wie es kam, daß der Käpt'n oder vielmehr ein Kapitän und ich, Pulver gerochen, sobald Phelim das Nasse gebracht.«

Phelim und einige seiner schwarzen Helfershelfer brachten nun das Nasse; die Gläser wurden gefüllt, angestoßen.

Alle setzten sich in gespannt fröhlicher Erwartung.

Fußnoten

1 In hohem Grade; Sea-Islands-Cotton, die Baumwolle der Küsteninseln von Georgien und Südkarolina gilt als die beste.

2 Eingangszoll.

3 Hinnies – statt honnies: Zuckersüße! Honige!

4 Your honour: Eure Ehre! Wohlehren!

5 Nehmt es kaltblütig auf!

6 Fein gesponnener, eigens präparierter Kautabak.

7 Geld ist Macht.

8 Ned, gib acht auf dein Geld; Geld ist Macht!


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TextGrid Repository (2012). Sealsfield, Charles. Das Interregnum. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A27-7