Sir Walter Scott
Ivanhoe
(Ivanhoe)

Einleitung

[1] Einleitung.

Ueber jene liebliche Gegend des fröhlichen England, die von dem Flusse Don bewässert wird, dehnte sich in alten Zeiten ein weiter Wald aus, der den größeren Theil der schönen Hügel und Thäler zwischen Sheffield und der anmuthigen Stadt Doncaster bedeckte. Die Ueberbleibsel dieses Waldes sind noch in der Nähe der Landspitze Wentworth, Warncliffe-Park und um Rotherdam zu sehen. Hier hauste vor alters der fabelhafte Drache von Wantley; hier wurden mehrere der blutigsten Schlachten während der Bürgerkriege der beiden Rosen gefochten; und hier blühten auch in alten Zeiten jene Banden von tapfern Geächteten, deren Thaten in den englischen Volksliedern so häufig verherrlicht wurden.

Dies ist vornehmlich der Schauplatz unserer Erzählung; der Zeit nach fällt dieselbe gegen das Ende der Regierung Richards des Ersten, als seine Rückkehr aus der langen Gefangenschaft von seinen verzweifelnden Unterthanen, die in der Zwischenzeit jeder Unterdrückung ausgesetzt waren, mehr gewünscht als gehofft wurde. Die Edlen, deren Macht während Stephans Regierung alle Grenzen überschritt, und welche Heinrichs des Zweiten Umsicht kaum zu einiger Unterwürfigkeit zurückgeführt, hatten jetzt ihre alte Freiheit in der äußersten Ausdehnung wieder gewonnen, verachteten das ohnmächtige Einschreiten des englischen Staatsraths, befestigten ihre Schlösser, verstärkten die Anzahl ihrer englischen Dienstleute, machten ihre ganze Umgebung von sich abhängig und wendeten alle ihnen [1] zu Gebote stehenden Mittel an, sich an die Spitze von Streitkräften zu stellen, die sie in den Stand setzten, bei den drohenden bürgerlichen Unruhen eine Rolle zu spielen.

Die Lage des niedern Herrenstandes oder der sogenannten Freisassen, die kraft des Gesetzes und Geistes der englischen Constitution berechtigt waren, sich von der Feudaltyrannei unabhängig zu erhalten, wurde jetzt höchst bedenklich. Wenn sie sich, was gewöhnlich der Fall war, in den Schutz eines der winzigen Könige in der Nachbarschaft begaben, Lehnsdienste in seinem Haushalt übernahmen, oder sich durch gegenseitige Schutz- und Trutzbündnisse verbindlich machten, ihn bei seinen Unternehmungen zu unterstützen, so mochten sie sich freilich für den Augenblick Ruhe erkaufen; doch geschah dies nothwendigerweise mit Aufopferung jener Unabhängigkeit, die jedem englischen Herzen so theuer war, und auf die gewisse Gefahr hin, als Theilnehmer in jede unbesonnene Unternehmung verwickelt zu werden, zu welcher der Ehrgeiz ihres Beschützers denselben nur immer verleiten mochte. Andrerseits waren die Mittel zu Quälerei und Bedrückung, die den großen Baronen zu Gebote standen, so vielfach und derartig, daß ihnen selten ein Vorwand und nie der Wille fehlte, jeden ihrer weniger mächtigen Nachbarn, der es wagte, sich ihrer Autorität zu entziehen und in den gefahrvollen Zeiten von den Landesgesetzen Schutz zu erwarten, in Schrecken zu setzen und bis an den Rand des Verderbens zu verfolgen.

Ein Umstand, der sehr dazu beitrug, die Tyrannei des Adels und die Leiden der niederen Klassen zu erhöhen, rührte von der Eroberung Wilhelms, Herzogs der Normandie, her. Vier Menschenalter hatten nicht hingereicht, das feindselige Blut der Normannen und Angelsachsen zu verschmelzen oder durch gemeinschaftliche Sprache und wechselseitige Interessen zwei feindliche Rassen zu einigen, von denen die eine noch immer den Stolz des Triumphes fühlte, während die andere unter den Folgen der Niederlage seufzte. Die Macht war infolge der Schlacht bei Hastings gänzlich in den Händen des normännischen Adels, und wie die Geschichtsschreiber versichern, wurde dieselbe keineswegs mit Mäßigung geübt. Das ganze Geschlecht der angelsächsischen Fürsten und Edeln war mit [2] wenigen Ausnahmen ausgerottet oder aus seinem Erbe verdrängt; auch war die Zahl derer nicht groß, welche in dem Lande ihrer Väter Besitzungen der zweiten oder einer noch niedrigern Lehnsklasse hatten. Schon längst war die königliche Politik dahin gerichtet gewesen, durch gesetzliche oder ungesetzliche Mittel die Kraft jener Bevölkerung zu schwächen, von der man annehmen konnte, daß sie den unauslöschlichsten Widerwillen gegen ihre Besieger hege. Alle Monarchen vom normännischen Stamm hatten die unverkennbarste Vorliebe für ihre normännischen Unterthanen gezeigt; die Jagdgesetze und viele andere, die nicht weniger dem milderen und freiern Geiste der angelsächsischen Verfassung unbekannt waren, hatte man dem Nacken der unterjochten Einwohner aufgelegt, um gleichsam die Last der Lehnsfesseln noch zu vermehren. Am Hofe und in den Schlössern der Großen, wo man den Pomp und die Pracht nachahmte, bediente man sich ausschließlich des normännischen Französisch, in den Gerichtshöfen wurden die Verhandlungen und Urtheile in derselben Sprache abgefaßt. Kurz, französisch war die Sprache der Ehre, des Ritterthums und selbst der Gerechtigkeitspflege, während das bei weitem männlichere und ausdrucksvollere Angelsächsisch dem Gebrauche der Bauern und Leibeigenen überlassen wurde, die keine andere Sprache kannten. Indeß veranlaßte der nothwendige Verkehr zwischen den Herren des Bodens und jenen untergeordneten Wesen, die diesen Boden bebauten, die allmähliche Bildung eines aus dem Französischen und Angelsächsischen gemischten Dialekts, in welchem sie sich gegenseitig verständlich machen konnten, und aus dieser Nothwendigkeit entstand nach und nach die Structur des Neuenglischen, in welchem die Sprache der Sieger und der Besiegten glücklich verschmolzen ist, und die später durch die Schätze der classischen Sprachen und die der südlichen Nationen Europas so sehr bereichert und vervollständigt wurde.

Dieser große nationale Unterschied blieb bis zu den Zeiten Eduards III. bestehen, wenn auch nicht gerade Kriege oder Empörungen das Dasein der Angelsachsen bekundeten. Aber es erhielt sich eine volksthümliche, sogar in späterer Zeit noch bisweilen alliterirende Literatur neben den französisch geschriebenen Ritterromanzen, die nur dem Adel zugänglich waren.

1. Kapitel

[3] Kapitel I.

So sprachen sie, dieweil die satten Schweine

Heimzogen Abends aus dem Buchenhaine –

Mit Quieken, Grunzen, widerwill'gem Schrei'n

Ging jedes lärmend in den Stall hinein.


Popes Odyssee.


Die Sonne ging über einer der grasreichen Lichtungen jenes Waldes unter, den wir in dem Vorwort erwähnt haben. Hunderte von Eichen mit breitem Wipfel, kurzem Stamm und weit verbreiteten Aesten, die vielleicht noch den Marsch der stattlichen römischen Legionen gesehen hatten, streckten ihre knorrigen Arme über einen dichten Teppich frischen Rasens aus. An einigen Stellen waren sie mit Buchen, Stechpalmen und so dichtem Unterholz vermischt, daß die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne nicht hindurchdrangen; an anderen Stellen standen sie weit auseinander und bildeten jene langen Fernsichten, in deren Irrgängen das Auge sich mit Entzücken verliert, während die Phantasie dieselben als die Pfade zu noch wilderen Scenen der Waldeinsamkeit betrachtet. Hier verbreiteten die rothen Strahlen der Sonne ein gebrochenes Licht, welches zum Theil an den belaubten Aesten und moosbewachsenen Stämmen der Bäume hing, zum Theil einzelne Stellen des Rasens beleuchtete. Ein freier Baum in der Mitte dieser Lichtung schien den Gebräuchen druidischen Aberglaubens geweiht gewesen zu sein, denn auf dem Gipfel eines kleinen regelmäßigen und darum fast künstlich zu nennenden Hügels zeigte sich noch der Rest eines Kreises von rauhen, unbehauenen Steinen, deren ungeheure [4] Größe auffiel. Sieben standen aufrecht, die übrigen waren wahrscheinlich durch den Eifer eines zum Christenthum Bekehrten umgestürzt und lagen theils in der Nähe ihrer früheren Stelle, theils am Abhang des Hügels. Nur ein einziger großer Stein war bis an den Fuß herabgestürzt und hemmte den Lauf eines kleinen Baches, der sich friedlich um die Erhöhung wand, und verlieh durch seinen Widerstand dem ruhigen und sonst stillen Bächlein eine murmelnde Stimme.

Die beiden menschlichen Gestalten, die diese Landschaft belebten, theilten hinsichtlich ihrer Kleidung und ihres Ansehens den wilden und ländlichen Charakter, der dem Gehölze von West Riding (Yorkshire) zu jener Zeit eigen war. Der ältere von diesen Männern hatte ein wildes und finsteres Aussehen. Seine Kleidung war von der einfachsten Art, die man denken kann. Sie bestand in einer eng anschließenden Jacke mit Aermeln, die aus einem gegerbten Thierfelle verfertigt war, an welchem man ursprünglich das Haar gelassen hatte. Doch da es an vielen Stellen abgescheuert war, so konnte man an den wenigen noch übrigen Haarbüscheln nur mit Schwierigkeit unterscheiden, welchem Thiere es angehört hatte. Dieses Kleid reichte dem Manne der Vorzeit vom Halse bis an die Kniee, und war das einzige, welches er trug. Am Halse befand sich eine Oeffnung, die nur groß genug war, um den Kopf durchzulassen, woraus man schließen konnte, daß er es nach Art eines heutigen Hemdes oder einer alterthümlichen Halsberge anlegte, indem er es über Kopf und Schultern zog. Sandalen, mit Riemen von Eberfell festgebunden, schützten seine Füße, und eine Rolle dünnen Leders war künstlich um seine Beine gewickelt, die bis über die Wade ging und wie die eines schottischen Hochländers die Kniee bloß ließ. Um die Jacke fester um den Leib zusammenzuziehen, war sie in der Mitte von einem breiten ledernen Gürtel gehalten und mit einer kupfernen Schnalle versehen. An der einen Seite desselben war eine Tasche befestigt, und an der andern hing ein Bockshorn, mit einem Mundstück, um darauf zu blasen. In demselben Gürtel stak eins von jenen langen, breiten, scharf zugespitzten, zweischneidigen Messern, mit einem Griffe von Bockshorn, wie sie in der Gegend, selbst zu jener frühen Zeit, unter dem Namen Sheffielder Messer fabricirt wurden. Der Mann trug keine [5] Kopfbedeckung. Sein Haupt wurde bloß durch sein eigenes dichtes Haar beschützt, welches verschlungen und zusammengefilzt war. Es hatte von der Sonne eine rostige dunkelrothe Farbe angenommen und bildete einen Gegensatz zu dem mächtigen Barte an seinen Wangen, der von gelblicher Farbe war. Nur ein Theil seiner Kleidung blieb bis jetzt unerwähnt, der zu merkwürdig ist, um übergangen zu werden. Es war dies ein kupferner Ring, einem Hundehalsband nicht unähnlich, doch ohne Oeffnung und um seinen Hals so lose festgelöthet, daß er ihn nicht am Athmen hinderte, aber doch so dicht anliegend, daß er ohne Anwendung einer Feile nicht abgenommen werden konnte. Auf diesem seltsamen Halsschmucke war in angelsächsischen Runen eine Inschrift folgenden Inhalts eingegraben: »Gurth, der Sohn Beowulfs, ist der geborne Leibeigene Cedrics von Rotherwood.«

Neben dem Schweinehirten, denn ein solcher war Gurth, saß auf einem der umgestürzten druidischen Denkmäler ein Mann, dem Ansehen nach etwa zehn Jahre jünger, dessen Kleider, obgleich denen seines Gefährten ähnlich, von etwas besserem Material, jedoch phantastischer, waren. Seine Jacke war von heller Purpurfarbe, auf die man versucht hatte, groteske Zieraten in verschiedenen Farben zu malen. Außer der Jacke trug er noch einen kurzen Mantel, der kaum bis zur Hälfte über seine Schenkel reichte. Er war von hochrothem Tuch, ziemlich beschmutzt, und mit einem hellgelben Besatze versehen; da er ihn von einer Schulter auf die andere legen oder nach Gefallen ganz um sich zuziehen konnte, weil die Weite mit der Kürze in keinem Verhältniß stand, so bildete derselbe ein seltsames Stück Draperie. Er trug dünne silberne Armbänder und ein Band von demselben Metall um den Hals, auf welchem die Inschrift stand: »Wamba, der Sohn des Witleß, ist der Leibeigene Cedrics von Rotherwood.« Dieser Mensch trug dieselben Sandalen wie sein Gefährte, aber anstatt der ledernen Umhüllung steckten seine Beine in einer Art von Gamaschen, von denen die eine roth, die andere gelb war. Auch war er mit einer Kappe versehen, an welcher mehrere Schellen von der Größe derjenigen, die man den Falken anhängt, rings herum angebracht waren; dieselben klingelten, sobald er den Kopf von einer Seite zur andern bewegte, und da er selten eine Minute in der nämlichen Stellung blieb, so schien das Geklingel fast unaufhörlich. Um den Rand [6] seiner Kappe befand sich eine steife lederne Binde, die aber ausgeschnitten war und einer Grafenkrone glich, während sich aus dem Innern derselben ein langer Beutel erhob und auf die eine Schulter niederfiel, ähnlich einer altmodischen Nachtmütze, einem Filtrirsack oder dem Kolpak eines deutschen Husaren. An diesem Theile der Kappe waren die Schellen befestigt, was ihn zusammen mit der Form seiner Kopfbedeckung und dem halb verrückten halb pfiffigen Ausdruck seines Gesichts hinlänglich als einen jener Hansnarren oder Spaßmacher bezeichnete, die in den Familien der Reichen gehalten wurden, um die Langeweile jener lästigen Stunden zu verkürzen, die sie im Hause zuzubringen genöthigt waren. Auch er trug, wie sein Gefährte, eine Tasche am Gürtel, hatte aber weder Horn noch Messer. Man rechnete ihn wahrscheinlich zu der Klasse von Menschen, denen man scharfe Werkzeuge nicht gern anvertraut. Anstatt derselben führte er ein hölzernes Schwert, ähnlich demjenigen, mit welchem Harlekin auf der modernen Volksbühne heute noch seine Wunder ausführt.

Das äußere Aussehen dieser beiden Männer bildete kaum einen stärkeren Contrast als ihr Ausdruck und ihr Benehmen. Der Knecht war finster und traurig. Sein Blick war mit dem Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit auf den Boden geheftet, und man hätte diese für Gefühllosigkeit halten können, wenn nicht das Feuer, welches hin und wieder in seinem rothen Auge funkelte, bezeugt hätte, daß dort unter dem Anschein düstrer Trostlosigkeit ein Gefühl des Druckes und die Neigung zum Widerstand schlummre. Wambas Blicke dagegen zeigten, wie das bei dieser Klasse gewöhnlich, eine Art leerer Neugier nebst der äußersten Selbstzufriedenheit hinsichtlich seiner Lage und der Figur, die er spielte. Ihr Gespräch wurde in angelsächsischer, d.h. der deutschen Sprache geführt, welche, wie wir bereits gesagt haben, von den untern Klassen damals allgemein gesprochen wurde. Wollten wir ihre Unterhaltung im Original mittheilen, so würde der jetzige Leser wohl nur wenig davon verstehen, und darum liefern wir ihm die folgende Uebersetzung.

»Sanct Witholds Fluch über dieses verdammte Schweinevieh!« sagte der Hirt, nachdem er heftig auf seinem Horn geblasen hatte, um die zerstreute Schweineheerde zu versammeln, die zwar seinen Ruf mit gleich melodischen Tönen beantwortete, aber keineswegs [7] eilte, sich von dem üppigen Mahle der Buchmast und Eicheln zu entfernen, an denen sie sich erlabte, oder die sumpfigen Ufer des Baches zu verlassen, wo einige Borstenthiere, halb im Schlamm versenkt, gemächlich ausgestreckt lagen, und den Ruf des Hüters nicht hörten. »Sanct Witholds Fluch über sie und mich!« sagte Gurth; »wenn der zweibeinige Wolf nicht vor Anbruch der Nacht einige von ihnen aufschnappt, so bin ich kein Mann! Hier, Packan, Packan!« rief er mit lauter Stimme einem zottigen, wolfähnlichen Hunde zu, welcher umherhinkte, als wolle er seinem Herrn die widerspenstigen Grunzer zusammentreiben helfen. »Der Teufel reiße ihm die Zähne aus.« sagte Gurth, »und die Mutter des Unheils komme über den Wildmeister, der unsern Hunden die Vorderzehen abschneidet und sie zu [8] ihrem Geschäft untauglich macht! Wamba, mach Dich auf und hilf mir, wenn Du ein Mann bist; lauf um den Hügel, um ihnen den Wind abzuschneiden; hast Du sie vor Dir, so kannst du sie treiben wie unschuldige Lämmer.«

»Wahrlich,« sagte Wamba, ohne sich von der Stelle zu rühren, »ich habe meine Beine über die Sache befragt, und die sind durchaus der Meinung, daß meine bunten Kleider durch diese Pfützen zu schleppen eine unfreundschaftliche Handlung gegen meine hohe Person und meine königliche Garderobe sein würde; deshalb rathe ich Dir, Gurth, Deinen Packan zurückzurufen und die Herde ihrem Schicksal zu überlassen. Mögen nun Banden reisiger Kriegsleute sie treffen, oder Geächtete, oder wandernde Pilger, die werden doch vor morgen früh zu Deiner nicht geringen Ruhe und Behaglichkeit in Normänner verwandelt werden.«

»Die Schweine sollen zu meiner Behaglichkeit in Normänner verwandelt werden?« sagte Gurth, »erkläre mir das, Wamba, denn mein Hirn ist zu schwerfällig und mein Gemüth zu aufgeregt, um Räthsel zu lösen.«

»Nun, wie nennst Du die grunzenden Bestien, die hier auf ihren vier Beinen umherlaufen?« fragte Wamba.

»Schweine, Narr, Schweine,« sagte der Hirte, »jeder Narr weiß das.«

»Und Schwein ist gut deutsch oder vielmehr angelsächsisch,« sagte der Spaßmacher; »aber wie nennst Du die Sau, wenn sie abgebrüht, gevierttheilt und gleich einem Verräther an den Fersen aufgehängt ist?«

»Porc,« antwortete der Schweinehirt.

»Es ist mir lieb, daß auch das jeder Narr weiß,« sagte Wamba, »und Porc, meine ich, ist gut normännisch. Wenn also das Thier lebt und unter der Obhut eines sächsischen Knechtes steht, so führt es auch seinen sächsischen Namen, wird aber ein Normann und[9] Porc genannt, sobald es ins Schloß gebracht wird, um von adeligen Franz- oder Normännern verspeist zu werden. Was denkst Du dazu, Freund Gurth, he?«

»Die Lehre ist leider zu wahr, Freund Wamba, wie sie auch immer in Deinen Narrenschädel mag gerathen sein.«

»Ja, ich kann Dir noch mehr sagen,« fuhr Wamba in demselben Tone fort; »da ist der Ochs, der alte Alderman, der behält seine deutsche Benennung, so lange er noch unter der Obhut von Leibeigenen steht wie Du, wird aber Monsieur Boeuf und ein feuriger französischer Ritter, wenn er vor den verehrungswürdigen Kiefern ankommt, die ihn verzehren sollen. Auch Mynheer Kalb wird auf gleiche Weise Seigneur de Veau; der Hammel ist angelsächsisch, so lange er der Wartung bedarf, und nimmt den normännischen Namen Mouton an, sobald er Gegenstand des Genusses wird.«

»Bei Sanct Dunstan,« antwortete Gurth, »Du sprichst nur zu traurige Wahrheiten aus; es ist uns wenig mehr übrig gelassen als die Luft, die wir einathmen, und die scheint man uns erst nach langem Bedenken zugestanden zu haben, vielleicht nur, um uns in den Stand zu setzen, die Last zu tragen, welche sie auf unsere Schultern legen. Das Schönste und Fetteste ist für ihren Tisch; das Liebenswürdigste für ihr Lager; die Besten und Tapfersten versehen ihre fremden Herren mit Kriegern, deren Gebeine in fernen Ländern bleichen, und lassen nur wenige zurück, welche den Willen und die Macht haben, uns unglückliche Sachsen zu beschützen. Gottes Segen über Cedric, er hat das Werk eines Mannes gethan, der sich in die Bresche stellt, aber Reginald Front de Boeuf will in Person auf seine Besitzungen kommen, und wir werden bald sehen, wie wenig Cedrics Mühe ihm helfen wird. – Hier, hier!« rief er wieder mit erhobener Stimme, »ho ho! ho ho! Gut! Packan! gut! Du hast sie jetzt alle vor Dir und treibst sie wacker heran.«

»Gurth,« sagte der Possenreißer, »ich weiß, daß Du mich für einen Narren hältst, sonst würdest Du nicht so unbesonnen sein Deinen Kopf in meinen Rachen zu stecken. Ein Wort zu Reginald Front de Boeuf oder Philipp Malvoisin, daß Du verrätherisch gegen Normannen geredet hast, würde machen, daß Du an einem dieser Bäume zappeltest, zum Schrecken aller, welche von Würdenträgern Uebles reden; Du bist ja doch nur ein verworfner Sauhirt!«

[10] »Hund, Du wirst mich doch nicht verrathen,« sagte Gurth, »nachdem Du mich verleitet hast, Mißgünstiges zu sagen?«

»Dich verrathen?« anwortete der Possenreißer; »nein, das wäre der Streich eines weisen Mannes; ein Narr kann sich nicht halb so gut helfen – aber still, wer kommt hier?« sagte er, indem er auf den Hufschlag mehrerer Pferde horchte, welcher eben hörbar wurde.

»Kümmere Dich nicht um die da,« antwortete Gurth, der jetzt seine Herde vor sich hatte und sie mit Packans Hilfe einen der langen schattigen Baumgänge hinuntertrieb, die wir soeben zu beschreiben versucht haben.

»Nicht doch! Ich muß die Reiter sehen,« antwortete Wamba; »vielleicht kommen sie aus dem Feenlande mit einer Botschaft vom König Oberon.«

»Die Pest hole Dich!« versetzte der Schweinehirt, »willst Du von solcherlei Dingen reden, während ein furchtbares Wetter mit Donner und Blitz nur wenige Meilen von uns wüthet? Horch, wie der Donner rollt! und als Sommerregen sah ich noch nie so große grade Tropfen aus den Wolken niederfallen; auch die Eichen seufzen und krachen, trotz der ruhigen Luft, in ihren großen Aesten, als kündigten sie ein heftiges Ungewitter an. Du kannst vernünftig sein, wenn Du willst; folge mir nur diesmal und laß uns nach Hause, ehe das Ungewitter zu toben beginnt, denn es wird eine furchtbare Nacht werden.«

Wamba schien die Gewalt dieser Anrede zu empfinden und begleitete seinen Gefährten, der seine Wanderung begann und den langen Knotenstock aufnahm, der neben ihm im Grase lag. Dieser Eumäus der Zweite schritt hastig die Lichtung des Waldes hinunter und trieb mit Packans Hilfe die ganze Herde seiner unharmonischen Pfleglinge vor sich her.

2. Kapitel

[11] Kapitel II.

Auch war ein Mönch da, wie zum Herrn gemacht

Der jagend oft zu Roß den Tag vollbracht.

Gar stattlich wie ein Abt zu sein begehrt,

Im Stalle hielt er manch ein muntres Pferd.

Und wenn er ritt, so klingelten die Zügel

Wie das Kapellenglöcklein an dem Hügel,

Allwo der Lord in einer Zelle wohnte.


Chaucer (Canterbury-Erzählungen.)


Trotz des gelegentlichen Mahnens und Scheltens von Seiten seines Gefährten konnte Wamba, da der Hufschlag der Pferde sich immer mehr näherte, nicht verhindert werden, mehrmals, unter welchem Vorwande es auch sein mochte, auf dem Wege stillzustehen. Bald riß er eine Traube halbreifer Haselnüsse ab, bald wandte er sich um, einem Dorfmädchen nachzuglotzen, das über ihren Weg ging. Die Reiter holten sie deshalb schnell auf der Straße ein.

Es waren zehn Mann, von denen die beiden voran reitenden Männer von bedeutender Wichtigkeit, und die andern ihre Gefolgsleute zu sein schienen. Den Stand und Charakter des einen von ihnen zu errathen war nicht schwer. Er war offenbar ein Geistlicher von hohem Range; seine Kleidung war die eines Cisterciensermönchs, bestand jedoch aus viel feineren Stoffen, als die Regel jenes Ordens sie gestattete. Mantel und Kapuze waren von dem besten flandrischen Tuch und sie legten sich in weiten, aber nicht ungraziösen Falten um eine schöne, obgleich etwas corpulente Figur. Sein Gesicht trug ebensowenig die Zeichen der Selbstvernichtung, als sein Kleid Verachtung weltlichen Glanzes andeutete. Seine Züge waren schön zu nennen, wenn nicht unter seinem Augenlide [12] jenes schlaue epikureische Blinzeln gelauscht hätte, das den vorsichtigen Wollüstling andeutet. In anderer Hinsicht hatten Stand und Verhältnisse ihn eine schnelle Herrschaft über seine Gesichtszüge gelehrt, die er nach seinem Belieben zu einem feierlichen Ausdruck zusammenziehen konnte, obgleich sie gewöhnlich nur gutgelaunte, gesellige Nachsicht andeuteten. Den klösterlichen Regeln und den Edicten der Päpste und Concilien zum Trotz waren die Aermel am Kleid dieses Würdenträgers gefüttert und hatten Aufschläge von kostbarem Pelzwerk. Sein Mantel ward am Halse von einem goldenen Haken zusammengehalten, und die ganze zu seinem Orden gehörige Kleidung war so sehr verfeinert und verziert, wie die einer schönen Quäkerin des heutigen Tages, die, während sie das Costüm ihrer Secte beibehält, der Einfachheit desselben durch die Wahl des Stoffes und die Art, wie sie denselben anwendet, eine gewisse kokette Anziehungskraft zu geben weiß, die nur zu sehr an die Eitelkeit der Welt erinnert.

Dieser würdige Geistliche ritt ein wohlgenährtes, rasches Maulthier, dessen Reitzeug schön geschmückt und dessen Zaum, nach der Mode jener Zeit, mit silbernen Glöckchen verziert war. In seiner Haltung zeigte er nicht das linkische Wesen der Klosterleute, sondern die leichte und gewohnte Grazie eines geübten Reiters. In der That schien der ritterliche Mönch sich des Maulthiers auch nur auf Reisen zu bedienen, so gut und bequem das Thier auch zugeritten sein mochte. Zum Gebrauche bei anderen Gelegenheiten leitete ein Laienbruder seines Gefolges einen der schönsten spanischen Zelter, die je in Andalusien gezogen worden, und welche damals von Kaufleuten mit großer Mühe und Gefahr zum Gebrauche reicher und vornehmer Personen eingeführt wurden. Der Sattel und Rücken dieses prächtigen Zelters waren mit einem langen Fußteppich bedeckt, der beinahe auf den Boden reichte, und auf welchem Bischofsmützen, Kreuze und andere kirchliche Embleme in reicher Stickerei angebracht waren. Ein anderer Laienbruder führte ein Saumthier, das wahrscheinlich mit dem Gepäck seines Vorgesetzten beladen war, und zwei Mönche desselben Ordens, aber Brüder von niederem Range, ritten zusammen im Nachtrabe und lachten und schwatzten mit einander, ohne viel auf die andern Mitglieder der Gesellschaft zu achten.

[13] Der Begleiter des geistlichen Würdenträgers war ein Mann von mehr als vierzig Jahren, schlank, stark, groß und muskulös, eine athletische Figur, der lange Anstrengungen und beständige körperliche Uebungen nichts von den zarten Theilen der menschlichen Gestalt gelassen und alles in Muskeln, Knochen und Sehnen verwandelt zu haben schienen, die bereits tausend Mühseligkeiten ausgestanden hatten und bereit waren, noch tausenden Trotz zu bieten. Sein Kopf war von einer scharlachnen, mit Pelz besetzten Mütze bedeckt, von der Art, welche die Franzosen mortier nennen, weil sie Aehnlichkeit mit der Gestalt eines umgekehrten Mörsers hat. Sein Gesicht war daher vollständig zu sehen, und der Ausdruck desselben schien darauf angelegt, den Fremden Ehrfurcht, wenn nicht gar Furcht einzuflößen. Von den kräftigen Gesichtszügen dieses Mannes, die von der tropischen Sonne fast zu der Schwärze eines Negers verbrannt waren, konnte man in ihrem gewöhnlichen Zustande sagen, daß sie schlummerten, nachdem der Sturm der Leidenschaften vorübergezogen; doch zeigten die vorspringenden Adern der Stirn, die Leichtigkeit, womit die Oberlippe und der dichte schwarze Schnurrbart bei der geringsten Bewegung zitterten, deutlich, daß dieser Sturm leicht wieder erregt werden könne. Seine scharfen, durchdringenden und dunklen Augen erzählten in jedem Blicke eine Geschichte von überwundenen Strapazen und bestandenen Gefahren, und schienen den Widerstand schon um der Lust willen herauszufordern, ihn durch entschlossenen Muth und Willen aus dem Wege zu räumen. Eine tiefe Narbe auf seiner Stirn vermehrte noch die Strenge seiner Züge und verlieh dem einen seiner Augen einen unheimlichen Ausdruck.

Die obere Kleidung dieses Mannes glich der seines Gefährten, denn sie bestand in einem langen klösterlichen Mantel, aber die scharlachrothe Farbe desselben zeigte, daß er zu keinem der vier regelmäßigen Mönchsorden gehörte. Auf seinem Mantel befand sich an der Stelle, wo er die rechte Schulter deckte, ein Kreuz aus weißem Tuch von eigenthümlicher Form. Unter dem Obergewand trug er ein eisernes Panzerhemd mit Aermeln und Handschuhen, das dem Aeußern seiner Kleidung sehr wenig entsprach, von äußerst künstlichem Gewebe, und sich dem Körper so leicht anschließend, wie die Tricotanzüge unserer Tage. Der vordere Theil seiner Schenkel [14] war, so weit die Falten seines Mantels sie sehen ließen, gleichfalls mit einem Maschenpanzer bedeckt. Die Kniee und Füße wurden von Schienen oder dünnen Stahlplatten geschützt, die künstlich auf einander genietet waren. Strümpfe, die vom Knöchel bis ans Knie reichten und von Stahlringen gefertigt waren, vollendeten die Schutzwaffen des Reiters. Im Gürtel führte er einen langen zweischneidigen Dolch, die einzige Trutzwaffe, die er trug.

Er ritt kein Maulthier wie sein Begleiter, sondern einen starken Paßgänger, um sein edles Schlachtroß zu schonen, welches, vollkommen zum Streit gerüstet, von einem Knappen hinter ihm hergeführt wurde und ein stählernes Stirnband trug, aus welchem vorn eine lange Spitze hervorragte. An der einen Seite des Sattels hing eine kurze Streitaxt, reich mit damascirtem Schmuck belegt, an der andern des Reiters befiederter Helm und die Stahlhaube nebst einem langen, mit beiden Händen zu führenden Schwerte, dessen sich die Ritter jener Zeiten bedienten. Ein zweiter Knappe hielt die emporgerichtete Lanze seines Herrn, an deren äußerstem Ende ein Fähnchen flatterte, auf welchem ein Kreuz von derselben Form gestickt war, wie er es auf dem Mantel trug. Er führte auch des Ritters kleinen dreieckigen Schild, der oben breit genug war, um die Brust zu decken, von dort an aber spitz zulief. Er war mit einem scharlachnen Tuche bedeckt, weshalb man die Devise nicht sehen konnte.

Diesen beiden Knappen folgten zwei Diener, deren dunkle Gesichter, weiße Turbane und orientalische Kleidung sie als Eingeborne eines fernen Landes im Orient bezeichneten. Die ganze Erscheinung dieses Kriegers und seines Gefolges war phantastisch und fremdländisch, der Anzug seiner Knappen war prächtig und seine orientalischen Diener trugen silberne Bänder um ihren Hals und um ihre schwarzen Arme und Beine. Die Arme waren vom Ellenbogen an bloß, ebenso die Beine von der Mitte des Schenkels bis zum Knöchel. Seide und Stickerei zeichnete ihre Kleidung aus und ließ auf den Reichthum und hohen Rang ihres Herrn schließen, bildete aber zugleich einen auffallenden Contrast zu der kriegerischen [15] Einfachheit seines eigenen Anzuges. Sie waren mit krummen Säbeln, deren Griff und Gehenk mit Gold ausgelegt war, und mit türkischen Dolchen von noch kostbarerer Arbeit bewaffnet. Jeder von ihnen trug an seinem Sattelknopfe ein Bündel Wurfspieße, etwa vier Fuß lang, mit scharfen stählernen Spitzen, eine unter den Saracenen sehr gebräuchliche Waffe, deren Andenken in dem kriegerischen Spiel el jerrid aufbewahrt ist, welches noch heutiges Tages im Orient geübt wird.

Die Pferde dieser Diener waren dem Ansehen nach ebenso fremdartig wie ihre Reiter. Sie waren von arabischer Rasse. Ihre schönen schlanken Glieder, kleinen Füße, dünnen Mähnen, sowie ihre leichte hüpfende Bewegung bildeten einen scharfen Gegensatz zu den stark gebauten schweren Pferden, die in Flandern und der Normandie gezüchtet wurden, weil nur sie einen Reiter in voller Rüstung zu tragen vermochten, und die neben jenen orientalischen Rennern für eine Personification der Substanz hätten gelten können.

Das seltsame Ansehen dieser Cavalcade zog nicht nur die Neugierde Wambas auf sich, sondern erregte selbst die seines weniger flatterhaften Gefährten. Den Mönch erkannte er sogleich als den Prior der Abtei Jorvaulx, viele Meilen umher wohlbekannt als ein Liebhaber der Jagd, der fröhlichen Gelage und, wenn das Gerücht ihm nicht Unrecht that, auch anderer weltlicher Vergnügungen, die sich noch weniger mit seinen klösterlichen Gelübden vertrugen. Doch so locker waren die Ansichten jener Zeit in Rücksicht auf die Aufführung der weltlichen sowohl als der Klostergeistlichkeit, daß der Prior Aymer in der Umgegend seiner Abtei im besten Rufe stand. Sein heiteres und joviales Temperament, und die Bereitwilligkeit, mit der er von allen gewöhnlichen Vergehungen absolvirte, machten ihn zum Günstling des hohen und niedern Adels, dem er durch Geburt angehörte. Die Damen besonders mochten die Sittlichkeit eines Mannes nicht zu strenge prüfen, der ein anerkannter Bewunderer ihres Geschlechts war, und dem manche Mittel zu Gebote standen, die Langeweile zu vertreiben, die sich nur zu leicht in die Hallen und Frauengemächer eines alten Feudalschlosses einschlich. Der Prior nahm mit mehr als schicklichem Eifer an den Jagdbelustigungen theil, und man gestand zu, daß er die besten Falken und die schnellsten Jagdhunde in North Tiding besaß, [16] was ihn besonders den jungen Adligen empfahl. Bei den alten hatte er eine andere Rolle zu spielen, die er, wenn es nöthig war, mit großem Anstande durchzuführen verstand. Seine Belesenheit, so oberflächlich sie auch sein mochte, war hinreichend, den Unwissenden Respekt vor seinem vermeintlichen Wissen einzuflößen, und der Ernst seines Benehmens und seiner Sprache, nebst dem hochtrabenden Ton, den er anwendete, um die Autorität der Kirche und der Priesterschaft hervorzuheben, flößten ihnen die Ueberzeugung von seiner Heiligkeit ein. Selbst dem gemeinen Volke, das sonst höher Stehende sehr streng richtet, thaten die Thorheiten des Priors Aymer nur leid. Er war großmüthig, und Liebe, wie man weiß, verdeckt eine große Menge von Sünden und zwar in einem anderen Sinne, als die Schrift es meint. Die Einkünfte des Klosters, von denen ein großer Theil zu seiner Verfügung stand, reichten, obgleich sie ihm die Mittel lieferten, seine eigenen sehr beträchtlichen Ausgaben zu bestreiten, dennoch zu jenen milden Gaben aus, die er unter dem Landvolke vertheilte und durch die er nicht selten die Noth der Unterdrückten linderte. Wenn Prior Aymer häufig auf die Jagd ritt oder lange bei einem fröhlichen Gelage blieb, wenn man Prior Aymer bei der ersten Morgendämmerung in das Hinterpförtchen der Abtei schleichen sah, da er von einem nächtlichen Rendezvous zurückkehrte, das ihn die Stunden der Dunkelheit über beschäftigt hatte, so zuckten die Leute nur mit den Schultern und söhnten sich mit seinem unregelmäßigen Leben aus, indem sie daran dachten, daß viele seiner Brüder eben so lebten, ohne die versöhnenden Eigenschaften zu besitzen, durch die er sein Leben wieder gut zu machen verstand. Prior Aymer und sein Ruf waren unsern angelsächsischen Leibeigenen daher sehr wohl bekannt, die ihm ihre plumpe Reverenz machten und dagegen sein »Benedicite, mes fils« empfingen. Aber die seltsame Erscheinung seines Begleiters nebst dessen Gefolge fesselte ihre Aufmerksamkeit und erregte ihre Verwunderung dermaßen, daß sie kaum auf die Frage des Priors von Jorvaulx achten konnten: ob sie nicht in der Nähe ein Unterkommen wüßten? So sehr erstaunten sie über das halb klösterliche, halb militärische Ansehen des sonnverbrannten Fremdlings und über die ungewohnte Kleidung und die Waffen seiner orientalischen Begleiter. Es ist auch wahrscheinlich, daß die Sprache, in welcher der Segen [17] ertheilt und die Frage gestellt wurde, den Ohren der angelsächsischen Leibeigenen unangenehm, wenn auch nicht unverständlich klang.

»Ich fragte euch, meine Kinder,« sagte der Prior mit lauterer Stimme in der lingua Franca oder gemischten Sprache, in welcher sich die Normanen mit den Angelsachsen unterredeten, »ob hier in der Gegend irgend ein guter Mann wohnt, der um Gotteswillen, oder aus Verehrung vor unserer Mutter Kirche, zweien von ihren demüthigsten Dienern nebst ihrem Gefolge ein Nachtlager und Erfrischung gewähren wird?«

Dies sprach er mit dem Tone einer ihrer selbst bewußten Wichtigkeit, der einen starken Contrast zu den gemäßigten Ausdrücken bildete, die er anzuwenden für gut fand.

»Zweien von den demüthigsten Dienern der Mutter Kirche!« wiederholte Wamba bei sich selber. Doch so sehr er auch Narr war, trug er Sorge, seine Bemerkung nicht hörbar zu machen: »Da möchte ich ihre Seneschals, ihre Mundschenken und ihre übrige Hauptdienerschaft sehen!«

Nach diesem innerlichen Commentar zu des Priors Rede erhob er seine Augen und antwortete auf die an ihn gerichtete Frage:

»Wenn die ehrwürdigen Väter gute Bewirthung und weiches Lager liebten,« sagte er, »so werde ein Ritt von einigen Meilen sie zu der Priorei Brinxworth bringen, wo ihr Rang ihnen die ehrenvollste Aufnahme sichern werde; oder wenn sie eine Nacht in Bußübungen vorzögen, so brauchten sie nur jene wilde Lichtung hinunter zu reiten, die sie zu der Einsiedelei von Copmanhurst führen würde, wo ein frommer Eremit das Obdach seiner Hütte und den Segen seines Gebets mit ihnen theilen werde.«

Der Prior schüttelte zu beiden Vorschlägen den Kopf.

»Mein ehrlicher Freund,« sagte er, »wenn das Klingeln Deiner Glöcklein Dein Hirn nicht verwirrt hätte, so müßtest Du das Sprichwort wissen: ›Clericus clericum non decimat,‹ das heißt, wir Geistlichen beuten unsere gegenseitige Gastfreundschaft nicht aus, sondern fordern sie lieber von den Laien, da wir ihnen so Gelegenheit geben, Gott zu dienen, indem sie seine berufenen Diener ehren und unterstützen.«

»Es ist wahr,« versetzte Wamba, »obgleich ich nur ein Esel bin, habe ich dennoch die Ehre, gleich Euer Hochwürden Maulthier [18] die Schellen zu tragen; dennoch hörte ich, daß die Liebe der heiligen Kirche und ihrer Diener wie jede andere wohlverstandene Liebe bei sich selber beginne. Ihr kennt ja das schöne Sprüchlein: Charité bien entendue commence par soi-même.«

»Zum Henker mit Deiner Unverschämtheit, Bursche,« sagte der bewaffnete Reiter, indem er mit stolzer und strenger Stimme sein Geschwätz unterbrach, »und sage uns, wenn Du kannst, den Weg zu – wie heißt doch Euer Freisasse, Prior Aymer?«

»Cedric,« antwortete der Prior, »Cedric der Sachse. – Sage uns, guter Bursche, sind wir in der Nähe seiner Wohnung, und kannst Du uns den Weg zeigen?«

»Der Weg wird nicht leicht zu finden sein,« antwortete Gurth, der zum ersten Male das Schweigen brach, »und Cedrics Familie geht früh zu Bett.«

»Still, sage mir das nicht, Bursche!« rief der kriegerische Reiter. »Es ist leicht für sie aufzustehen und die Bedürfnisse von Reisenden, wie wir sind, zu befriedigen; wir werden uns nicht herablassen, um Gastfreundschaft zu bitten, wo wir ein Recht haben zu befehlen.«

»Ich weiß nicht,« sagte Gurth finster, »ob ich denen den Weg zu dem Hause meines Herrn zeigen darf, die die Herberge als ein Recht fordern, welche andere gern als eine Gunst erbitten.«

»Streitest Du mit mir, Sklave?« rief der Krieger, setzte seinem Pferde die Sporen in die Seite und ließ es eine halbe Volte über den Weg machen, indem er zugleich die Reitgerte erhob, die er in der Hand hielt, um das zu bestrafen, was von einem Bauern zu erfahren er für eine Beleidigung hielt.

Gurth warf ihm einen wilden und rachsüchtigen Seitenblick zu und legte mit zorniger aber zögernder Bewegung die Hand an den Griff seines Messers. Doch die Dazwischenkunft des Prior Aymer, welcher sein Maulthier zwischen seinen Gefährten und den Schweinehirten lenkte, verhinderte die beabsichtigte Gewaltthat.

»Nein, bei der heiligen Maria, Bruder Brian, Ihr müßt nicht glauben, daß Ihr noch in Palästina seid und über heidnische Türken und ungläubige Saracenen herrscht; wir auf der Insel lieben keine andern Schläge als die der heiligen Kirche, welche den züchtigt, den sie liebt. Zeige mir, guter Bursche,« fuhr er zu Wauma [19] gewendet fort, indem er seine Rede durch eine kleine Silbermünze eindringlicher zu machen suchte, »zeige mir den Weg zur Wohnung Cedrics, des Sachsen; sie kann Dir nicht unbekannt sein, und es ist Deine Pflicht, Wanderer zurecht zu weisen, selbst wenn sie nicht so hoch an Rang und Würden sind wie wir!«

»In Wahrheit, ehrwürdiger Vater,« sagte der Possenreißer, »der Saracenenkopf Eures hochehrwürdigen Begleiters hat den meinigen so verwirrt, daß ihm der Heimweg entfallen ist und – ich bin nicht gewiß, ob ich ihn wiederfinde.«

»Still,« sagte der Abt, »Du kannst es wohl, wenn Du nur willst. Dieser ehrwürdige Bruder hat sein Leben lang gegen die Saracenen gefochten, um das heilige Grab wieder zu gewinnen; er ist vom Orden der Tempelritter, von denen ihr wohl gehört habt er ist halb Mönch, halb Krieger.«

»Wenn er nur ein halber Mönch ist,« sagte der Possenreißer »so sollte er sich auch nicht ganz unvernünftig gegen die benehmen [20] die ihm auf der Straße begegnen, auch wenn sie sich nicht beeilen, Fragen zu beantworten, die sie durchaus nichts angehen.«

»Ich verzeihe Dir Deinen Witz,« versetzte der Abt, »unter der Bedingung, daß Du uns den Weg zu Cedrics Wohnung zeigst.«

»Gut denn,« antwortete Wamba, »Euer Ehrwürden müssen auf diesem Wege bleiben, bis Ihr an ein versunkenes Kreuz kommt, welches kaum noch eine Elle lang aus dem Boden hervorschaut; dann schlagt den Weg zur Linken ein, denn es sind vier Wege, die bei dem versunkenen Kreuz zusammenlaufen, und ich bin gewiß, Euer Ehrwürden werden ein Obdach erhalten, ehe das Gewitter heraufkommt.«

Der Abt dankte seinem weisen Rathgeber und die Reiter gaben ihren Pferden die Sporen und ritten wie Leute, die ihr Gasthaus erreichen wollen, bevor ein nächtliches Ungewitter ausbricht, davon. Als der Hufschlag ihrer Pferde kaum mehr zu hören war, sagte Gurth zu seinem Gefährten: »Wenn sie Deinem weisen Rathe folgen, werden die ehrwürdigen Väter diese Nacht schwerlich Rotherwood erreichen.«

»Nein,« sagte der Possenreißer grinsend, »aber sie können Sheffield erreichen, wenn das Glück ihnen günstig ist, und das ist ein eben so passender Ort für sie. Ich bin kein so schlechter Waidmann, daß ich dem Hunde zeigen sollte, wo das Reh liegt, wenn ich nicht will, daß er es jagen soll.«

»Du hast Recht,« sagte Gurth, »es wäre schlimm, wenn Aymer unsre Herrin Rowena sähe, und es wäre vielleicht noch schlimmer, wenn Cedric mit diesem kriegerischen Mönche zanken sollte, was höchst wahrscheinlich der Fall sein würde. Aber wie es guten Dienern ziemt, laß uns hören und sehen, aber den Mund halten.«

Wir kehren zu den Reitern zurück, die bald die Leibeigenen weit hinter sich gelassen hatten und nun folgende Unterhaltung in normännisch-französischer Sprache führten:

»Was wollen diese Kerle nur mit ihrer eigensinnigen Unverschämtheit sagen?« bemerkte der Templer zu dem Cistercienser, »und warum verhindert Ihr mich, sie dafür zu züchtigen?«

»Wahrlich, Bruder Brian,« versetzte der Prior, »was den einen anlangt, so wäre es schwer für mich, einen Grund anzugeben, warum ein Narr nach seiner Narrheit redet, und der andere Kerl ist [21] von jener wilden, zornigen und halsstarrigen Rasse, von der, wie ich Euch schon oft gesagt habe, noch einige unter den Abkömmlingen der besiegten Sachsen zu finden sind, und deren höchstes Vergnügen es ist, durch alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel ihre Abneigung gegen ihre Sieger zu erkennen zu geben.«

»Ich würde ihn bald durch Schläge mürbe und höflich gemacht haben,« sagte Brian, »ich bin gewohnt mit solchen Geistern umzugehen. Unsere türkischen Gefangenen sind eben so trotzig und unbeugsam, wie Odin selber gewesen sein würde, doch zwei Monate Aufenthalt in meiner Dienerschaft, unter Behandlung meines Sklavenaufsehers, haben sie demüthig, dienstwillig und gehorsam gemacht. Freilich, Herr, müßt Ihr Euch vor Gift und Dolch hüten, denn sie brauchen beides sehr gern, wenn Ihr ihnen die geringste Gelegenheit dazu gebt.«

»Ja, aber jedes Land hat seine eignen Sitten und Gewohnheiten,« antwortete Prior Aymer, »und abgesehen davon, daß, wenn Ihr den Kerl schlugt, wir keine Nachricht über den Weg zu Cedrics Hause erhalten hätten, konnten wir auch gewiß sein, daß es Händel zwischen ihm und Euch gegeben hätte, wenn wir selbst uns dorthin gefunden. Bedenkt, was ich Euch sagte: dieser reiche Freisasse ist stolz, heftig, mißtrauisch und reizbar, ein Gegner des Adels und selbst seiner Nachbarn Reginald Front-de-Boeuf und Philipp Malvoisin, die doch keine Kinder sind, was Kämpfen betrifft. Er besteht so fest auf den Vorrechten seines Stammes und ist so stolz auf seine ununterbrochene Abkunft von Hereward, einem berühmten Krieger der Heptarchie, daß er allgemein Cedric der Sachse genannt wird, ja, er prahlt damit, jenem Volke anzugehören, während andere versuchen, ihre Abkunft von demselben zu verheimlichen, um nicht dasvae victis der Besiegten zu erfahren.«

»Prior Aymer,« sagte der Templer, »Ihr seid ein Mann der Galanterie, erfahren in dem Studium der Schönheit und so bewandert wie ein Troubadour in allen Liebesverhandlungen; doch ich muß sehr große Schönheit von dieser berühmten Rowena für die Selbstverleugnung und Zurückhaltung, die ich brauche, erwarten, wenn ich mich um die Gunst eines so widerhaarigen Kerls bewerben soll, wie Ihr mir ihren Vater Cedric geschildert habt.«

[22] »Cedric ist nicht ihr Vater,« versetzte der Prior; »er ist nur ihr entfernter Verwandter. Sie stammt von vornehmerem Blute ab, als er selber in Anspruch nimmt. Indessen ist er ihr Vormund, wozu er sich selber eingesetzt hat, wie ich glaube. Doch seine Mündel ist ihm so theuer, als wäre sie sein eigenes Kind. Ueber ihre Schönheit sollt Ihr bald urtheilen können, und wenn die Reinheit ihrer Gesichtsfarbe und der majestätische aber sanfte Ausdruck ihres milden blauen Auges die schwarzgelockten Mädchen von Palästina nicht aus Eurem Gedächtniß verdrängt oder selbst die Houris in des alten Mahmuds Paradiese, so will ich ein Ungläubiger sein und kein echter Sohn der Kirche.«

»Sollte Eure gerühmte Schönheit,« sagte der Templer, »auf der Wagschale als zu leicht erfunden werden, so wißt Ihr unsere Wette –«

»Mein goldenes Halsband gegen zehn Fässer Chierwein,« antwortete der Prior. »Sie sind so gewiß mein, als wären sie schon im Klosterkeller unter Verschluß meines Kellermeisters Dennis.«

»Und ich selber sollte Richter sein,« sagte der Templer, »und ich allein sollte nach meinem eigenen Zugeständniß erklären, daß ich seit vorigen Pfingsten kein so schönes Mädchen gesehen habe – war es nicht so? – Prior, Euer Halsband ist in Gefahr; ich trage es über meinem Halskragen in den Schranken von Ashby de la Zouche.«

»Gewinnt es ehrlich,« sagte der Prior, »und tragt es, wie Ihr wollt; ich bin überzeugt, daß Ihr auf Euer Wort als Ritter und Geistlicher keine unwahre Antwort geben werdet. Aber, Bruder, nehmt meinen Rath an und feilt Eure Zunge zu etwas mehr Höflichkeit, als Ihr gegen ungläubige Gefangene und orientalische Sklaven anzuwenden pflegt. Ist Cedric der Sachse beleidigt – und er ist sehr empfindlich –, so ist er der Mann, der, ohne Eure Ritterwürde und meinen geistlichen Rang, noch die Heiligkeit von uns beiden zu achten, sein Haus von uns säubern und uns hinausschicken würde, um bei den Lerchen zu übernachten, und wäre es um Mitternacht. Und seid vorsichtig, wenn Ihr Rowena erblickt, denn er liebt und bewacht sie mit der eifersüchtigsten Sorgfalt; und falls er in der Hinsicht auch nur im geringsten beunruhigt wird, sind wir verloren. Er soll seinen einzigen Sohn aus seiner Familie [23] verbannt haben, weil er seine Augen zärtlich zu dieser Schönen erhob, die, wie es scheint, nur aus der Ferne verehrt werden darf, und der man sich mit keinem andern Gedanken zu nahen hat, als der ist, mit dem man zu dem Altar der gebenedeiten Jungfrau tritt.«

»Gut, Ihr habt genug gesagt,« antwortete der Templer, »ich will mir auf einen Abend den nothwendigen Zwang auferlegen und mich so sanft betragen wie ein Mädchen; doch was Eure Furcht betrifft, er könnte uns mit Gewalt hinaustreiben, so wollen ich und meine Knappen, nebst Hamet und Abdalla Euch vor dieser Schmach schon schützen. Zweifelt nicht, daß wir stark genug sind, um unser Quartier behaupten zu können.«

»Wir dürfen es nicht so weit kommen lassen,« antwortete der Prior. »Aber hier ist des Narren versunkenes Kreuz, und die Nacht ist so finster, daß wir schwerlich werden sehen können, welchem Wege wir folgen müssen. Mich dünkt, er sagte uns, wir sollten uns links wenden.«

»Rechts,« sagte Brian, »so viel ich mich erinnere.«

»Links, gewiß links, ich sah deutlich, daß er mit seinem hölzernen Schwerte dorthin zeigte.«

»Ja, aber er hielt sein Schwert in der linken Hand und zeigte nach der andern Seite,« sagte der Tempelritter.

Jeder behauptete seine Meinung mit Hartnäckigkeit, wie gewöhnlich in solchen Fällen. Man wendete sich jetzt an die Diener, doch sie waren nicht nahe genug gewesen, um Wambas Weisung zu hören. Endlich bemerkte Brian, was ihm anfangs im Zwielicht entgangen war: »Hier liegt jemand entweder schlafend oder todt am Fuße dieses Kreuzes, – Hugo, gib ihm eins mit dem Schaft Deiner Lanze.«

Dies war nicht so bald geschehen, als die Gestalt aufstand und auf gut französisch rief: »Wer Du auch bist, es ist unhöflich von Dir, mich in meinen Gedanken zu stören.«

»Wir wollen Euch nur bitten, uns den Weg nach Rotherwood zur Wohnung Cedrics des Sachsen zu zeigen,« sagte der Prior.

»Ich selber gehe dorthin,« versetzte der Fremde, »und wenn ich ein Pferd hätte, so wollte ich Euer Führer sein, denn der Weg ist schwierig zu finden, obgleich ich ihn genau kenne.«

[24] »Dir soll Dank und Belohnung zu Theil werden, mein Freund,« sagte der Prior, »wenn Du uns sicher zu Cedrics Wohnung bringen willst.«

Dann ließ er einen seiner Begleiter sein eigenes Handpferd besteigen, und gab das, worauf derselbe gesessen, dem Fremden, der ihr Führer sein wollte.

Dieser schlug einen entgegengesetzten Weg von dem ein, welchen Wamba ihnen in der Absicht angegeben hatte, sie irre zu leiten. Der Pfad führte sie tiefer in das Gehölz und über mehr als einen Bach, wo der Uebergang wegen des Moors, durch den diese Bäche flossen, gefährlich wurde, doch der Fremde schien wie aus Instinct den festesten Boden und den sichersten Uebergangspunkt zu kennen und führte die Gesellschaft mit Vorsicht und Aufmerksamkeit in eine wildere Allee als sie bisher gesehen hatten, zeigte auf ein großes, niedriges, unregelmäßiges Gebäude am äußersten Ende derselben und sagte zu dem Prior: »Dort ist Rotherwood, die Wohnung Cedrics des Sachsen.«

Dies war eine freudige Nachricht für Aymer, dessen Nerven nicht die stärksten waren, und der während des Ueberganges über die gefahrvollen Moräste so viel Furcht und Besorgniß empfunden hatte, daß er noch nicht so neugierig gewesen war, an seinen Führer eine einzige Frage zu thun. Da er jetzt beruhigt und in der Nähe eines Obdachs war, erwachte seine Neugierde und er fragte den Führer, wer und was er sei.

»Ein Pilger, der eben aus dem gelobten Lande zurückkehrt,« war die Antwort.

»Ihr hättet lieber dort bleiben sollen, um für die Eroberung des heiligen Grabes zu fechten,« sagte der Templer.

»Es ist wahr, ehrwürdiger Herr Ritter,« sagte der Mensch, der mit dem Aeußern des Templers vollkommen bekannt zu sein schien, »doch wenn die, welche ein Eid bindet, die heilige Stadt wieder zu erobern, in solcher Entfernung von dem Schauplatze ihrer Pflicht reisen, könnt Ihr Euch da wundern, wenn ein friedlicher Landmann, wie ich, die Aufgabe ablehnt, welche jene verlassen haben?«

Der Templer wollte ihm eine zornige Antwort geben, wurde aber von Aymer unterbrochen, der sein Erstaunen aussprach, daß [25] ihr Führer nach so langer Abwesenheit so genau mit den Waldwegen bekannt sei.

»Ich bin in dieser Gegend geboren,« sagte der Führer, und als er diese Antwort gab, standen sie vor Cedrics Wohnung. Es war ein niedriges, unregelmäßiges Gebäude, welches mehrere Höfe oder Einfriedungen enthielt und einen beträchtlichen Raum einnahm. Obgleich, nach der Größe zu schließen, der Bewohner ein wohlhabender Mann sein mußte, so unterschied es sich doch gänzlich von den hohen, mit Thürmchen und Zinnen versehenen Gebäuden, in denen der normännische Adel residirte, und die in ganz England bereits den allgemeinen Baustil angaben.

Gleichwohl war Rotherwood nicht ohne Vertheidigungswerke, da jede Wohnung in jener unruhigen Zeit solche haben mußte, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, vor dem nächsten Morgen geplündert und niedergebrannt zu werden. Ein tiefer Graben war um das ganze Gebäude gezogen und wurde von dem benachbarten Bache mit Wasser versehen. Eine doppelte Reihe von Palissaden, die aus zugespitzten Balken bestand, welche der nahe Wald lieferte, vertheidigte das äußere und innere Ufer des Grabens. An der westlichen Seite befand sich eine Oeffnung in den äußern Palissaden, welche vermöge einer Zugbrücke mit einer ähnlichen Oeffnung im Innern in Verbindung stand. Einige Vorsichtsmaßregeln waren getroffen, um diese Eingänge unter den Schutz vorspringender Winkel zu stellen, welche im Nothfall mit Bogenschützen oder Schleuderern besetzt werden konnten.

Vor diesem Eingange stieß der Templer laut in sein Horn, denn der Regen, welcher lange gedroht hatte, fiel bereits mit großer Heftigkeit.

3. Kapitel

[26] Kapitel III.

Sodann zog von der rauhen Küste her,

Die das Gebrüll des deutschen Meers vernimmt

Das kräftig blühende, gebräunte, blonde

Blauäug'ge Volk der edlen Angelsachsen.


Thomson (Freiheit).


In einer Halle, zwischen deren geringer Höhe und deren außerordentlicher Länge und Breite ein großes Mißverhältniß stattfand, stand auf einem langen eichenen Tische, welcher aus roh behauenen Brettern, die kaum einige Glättung erhalten hatten, zusammengeschlagen war, die Abendmahlzeit Cedrics des Sachsen. Die Bedachung des Zimmers bestand aus Balken und Sparren, und sie waren das einzige, was den Raum vom freien Himmel trennte. An jedem Ende dieser Halle befand sich ein ungeheurer Kamin, dessen Schornstein freilich so schlecht construirt war, daß wenigstens eben so viel Rauch ins Gemach eindrang als zur Schornsteinöffnung hinausging. Der beständige Rauch, welcher dadurch verursacht wurde, hatte den Balken und Sparren der niedrigen Halle eine Art Firniß verliehen, d.h. er hatte sie mit einer Kruste von Ruß überzogen. An den beiden Seiten hingen Kriegs- und Jagdgeräthe und in jeder Ecke befanden sich Flügelthüren, die zu andern Theilen des weitläufigen Gebäudes führten.

Die übrigen Einrichtungen des Hauses trugen dieselbe rohe Einfachheit der angelsächsischen Periode an sich, die Cedric mit Stolz beibehielt. Der Fußboden bestand aus Erde und Lehm, die zu einer harten Masse geformt waren, wie heutigen Tages bei [27] unsern Dreschtennen. Etwa ein Viertel des ganzen Fußbodens war um eine Stufe über den übrigen Theil erhöht, und diesen Theil, den man Heahsetl, oder Hochsitz, nannte, durften nur die vornehmsten Mitglieder der Familie und hervorragende Gäste einnehmen. Zu diesem Zweck war ein reich mit Scharlachtuch bedeckter Tisch der Quere nach auf der Erhöhung aufgestellt, von dessen Mitte ein längerer und niedrigerer Tisch auslief, an dem die Diener und untergeordneten Personen speisten, und der bis zum untern Ende der Halle reichte. Das Ganze glich an Gestalt einem lateinischen T, oder jenen eigenthümlichen Speisetischen, die, nach derselben Weise eingerichtet, noch in den alten Universitätsconvicten von Oxford und Cambridge zu sehen sind. Massive Stühle und Sessel von geschnitztem Eichenholz standen auf der Erhöhung, und über diesen Sitzen und dem noch höheren Tische war ein Baldachin angebracht, welcher dazu diente, die ausgezeichneten Personen, welche diesen Ehrenplatz einnahmen, einigermaßen vor dem Wetter und besonders vor dem Regenwasser zu schützen, das sich an verschiedenen Stellen durch das schlecht gebaute Dach Bahn brach.

Die Wände dieses obern Endes der Halle waren, so weit sich die Erhöhung erstreckte, mit rohen Teppichen behangen, über den ganzen Fußboden waren frische Binsen gestreut.

In der Mitte des obern Tisches standen zwei Stühle, höher als die übrigen, für den Hausherrn und die Hausfrau, die bei gastlichen Gelegenheiten den Vorsitz führten und davon ihren angelsächsischen Ehrentitel hlaef-veard und hlaef-dige, Brodwart und Brodvertheilerin, erhielten, Namen, die später zu Lord und Lady wurden.

Bei jedem dieser Stühle stand ein künstlich geschnitzter und mit Ebenholz ausgelegter Fußschemel. Einen dieser Sitze nahm gegenwärtig Cedric der Sachse ein, der, obgleich seinem Range nach nurfreoman, oder, wie die Normannen ihn nannten, einfrankelin, wegen der Verzögerung seiner Abendmahlzeit eine ebenso ärgerliche Ungeduld zeigte, wie sie heute etwa ein Alderman äußert.

[28] Cedric schien nach seinen Gesichtszügen einen biedern, aber hastigen und cholerischen Charakter zu besitzen. Er war von mittlerer Größe, aber breitschulterig, hatte lange Arme und war kräftig gebaut, wie ein Mann, der an die Anstrengungen des Krieges und der Jagd gewöhnt ist. Sein Gesicht, von frohlaunigem Ausdruck, war breit, mit großen blauen Augen, sein Mund mit schönen Zähnen versehen. Stolz und Mißtrauen drückten sich in seinem Auge aus, denn er hatte sein Leben damit zugebracht, Rechte zu behaupten, welche beständigen Eingriffen ausgesetzt waren; und der entschlossene, feurige und entschiedene Charakter dieses Mannes war durch die Eigenthümlichkeit seiner Lage in fortwährender Spannung erhalten worden. Sein langes gelbes Haar war auf dem Kopfe und an der Stirn gleich gescheitelt, und auf jeder Seite bis auf die Schulter niedergekämmt, es hatte nur einen geringen grauen Schein, obgleich Cedric sich seinem sechszigsten Jahre näherte.

Seine Kleidung bestand in einer waldgrünen Tunica, am Halse und an den Aufschlägen mit dem sogenannten meniver besetzt, einer Art Pelzwerk von geringerer Qualität als der Hermelin, das, wie man glaubt, aus dem Fell des grauen Eichhörnchens bestand. Dieses Wamms hing unzugeknöpft über einem dicht anschließenden scharlachnen Kleide. Beinkleider von derselben Farbe bedeckten den obern Theil des Schenkels, die Knie waren bloß. An den Füßen trug Cedric Sandalen von derselben Form wie die Leibeigenen, nur waren sie von feinerem Material und vorn mit goldenen Schnallen befestigt. Einen Schmuck bildeten goldene Armbänder und ein Hals band von demselben Metall. Um die Mitte des Leibes schloß sich ein reichbesetzter Gürtel, in welchem ein kurzes, gerades, zweischneidiges Schwert mit scharfer Spitze steckte, das fast senkrecht an der Seite herabstrebte. Hinter seinem Sitze hing ein mit Pelzwerk besetzter scharlachrother Tuchmantel und eine reich gestickte Mütze von denselben Materialien, wodurch der Anzug des reichen Landbesitzers vervollständigt wurde, wenn er ausging. Ein kurzer Eberspieß, mit breiter und glänzender Spitze, war an den Rücken seines Stuhls angelehnt; er diente ihm, wenn er ausging, als Stab oder Waffe, je nachdem es der Zufall mit sich brachte.

Mehrere Diener, deren Kleidung den Uebergang von dem Anzuge ihres Herrn zu der einfachen Hülle Gurths des Schweinhirten [29] bildete, beobachteten die Blicke und warteten der Befehle des angelsächsischen Gebieters. Zwei oder drei Diener der höheren Classe standen hinter ihrem Herrn auf der Erhöhung; die übrigen nahmen den niedrigeren Theil der Halle ein. Außer den verschiedenen Dienern waren zwei oder drei große zottige Jagdhunde, wie man sie damals auf der Hirsch- oder Wolfsjagd gebrauchte, zugegen; ebenso viele Saupacker von starker und schöner Zucht, mit dicken Hälsen, großen Köpfen und langen Ohren, und ein paar von jenen kleineren Hunden, welche jetzt Teckel genannt werden, die alle mit Ungeduld das Abendessen erwarteten. Doch hüteten sie sich, bei der klugen Kenntniß der Physiognomie, welche ihrer Rasse eigenthümlich ist, wohl, das mürrische Schweigen ihres Herrn zu unterbrechen, indem sie sich wahrscheinlich vor einer kleinen weißen Gerte fürchteten, die neben Cedrics Teller lag, mit der er die Annäherungen seiner vierbeinigen Leibeigenen abzuweisen pflegte. Ein alter grauer Wolfshund allein hatte sich mit der Freiheit eines mit Nachsicht behandelten Günstlings neben den Staatsstuhl gepflanzt und wagte es, von Zeit zu Zeit die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem er seinen großen haarigen Kopf auf das Knie seines Herrn legte oder seine Schnauze in seine Hand steckte. Aber auch er wurde durch den strengen Befehl zurückgewiesen: »Kusch Dich, Balder! Ich bin zu Albernheiten nicht aufgelegt.«

In der That war Cedric durchaus nicht rosenfarbiger Laune. Die Hlaefdige Rowena, welche abwesend gewesen war, um der Abendmesse in einer benachbarten Kirche beizuwohnen, war eben erst zurückgekehrt und beschäftigt, ihre Kleider zu wechseln, welche vom Regen naß geworden waren. Noch war keine Nachricht von Gurth und seinen Schützlingen da, die schon längst aus dem Walde heim sein sollten. So groß war die Unsicherheit jener Zeit, daß man die Verzögerung leicht einer Beraubung durch Geächtete, von denen der nahe Wald voll war, zu schreiben konnte, oder der Gewaltthätigkeit eines benachbarten Barons, dessen Machtbewußtsein ihn zugleich nachlässig gegen die Gesetze des Eigenthums machte. Die Sache war von Wichtigkeit, denn ein großer Theil des häuslichen Wohlstandes der angelsächsischen Grundbesitzer bestand in zahlreichen Schweineheerden, besonders in Waldgegenden, wo diese Thiere leicht zu ernähren waren.

[30] Außer diesen Gegenständen der Besorgniß war der angelsächsische Freoman ungeduldig wegen der Abwesenheit seines Lieblingsnarren Wamba, dessen Scherze, gleichviel von welcher Art sie waren, gewissermaßen dazu dienten, seine Abendmahlzeit und die tiefen Züge Bier und Wein, womit er dieselbe zu begleiten pflegte, zu würzen. Hiezu kam noch, daß Cedric seit Mittag gefastet hatte, und die gewohnte Stunde zu seinem Abendessen längst vorbei war – eine gewöhnliche Veranlassung zum Aerger für Landsassen, sowohl in alten als neuen Zeiten. Seine Unzufriedenheit drückte sich in abgebrochenen Sätzen aus, die er zum Theil vor sich hinmurmelte, zum Theil an die Diener richtete, die um ihn her standen, und besonders an seinen Mundschenk, der ihm von Zeit zu Zeit als Beschäftigungsmittel einen silbernen Becher mit Wein reichte.

»Wo bleibt die Hlaefdige Rowena?« fragte er endlich.

»Sie verändert nur ihren Kopfputz,« versetzte eine Dienerin so zuversichtlich, wie die Zofe einer begünstigten Dame gewöhnlich dem Herrn einer heutigen Familie antwortet. »Ihr würdet doch nicht wünschen, daß sie sich in Kapuze und Mantel zur Abendmahlzeit niedersetzte? Und keine Dame in der Grafschaft kann schneller bei ihrem Anzuge sein als meine Gebieterin.«

Dieses unwiderlegliche Argument rief eine Art von beistimmendem Hm! von Seiten des Sachsen hervor: »Ich wünschte,« fügte er hinzu, »ihre Andacht möchte zu ihrem nächsten Besuch in der St. Johanniskirche besseres Wetter wählen, – aber was, in zehn Teufels Namen!« fuhr er fort, indem er sich an den Mundschenk wandte und seine Stimme erhob, als sei er froh, einen Kanal gefunden zu haben, in den er seinen Unwillen ohne Furcht vor Tadel ableiten konnte – »was, in zehn Teufels Namen hält Gurth so lange auf dem Felde zurück? Ich vermuthe, wir werden schlimme Nachrichten von der Heerde erhalten. Er pflegte ein treuer und vorsichtiger Knecht zu sein, und ich hatte ihn zu etwas Besserem bestimmt; vielleicht hätte ich ihn zum Aufseher gemacht.«

Oswald, der Mundschenk, entgegnete bescheiden, daß kaum eine Stunde nach der Abendglocke vorbei sei; eine unglücklich gewählte Entschuldigung, da sie einen Gegenstand berührte, der für angelsächsische Ohren einen üblen Klang hatte.

[31] »Hol doch der leidige Satan die Abendglocke!« rief Cedric, »und den tyrannischen Bastard, von dem sie erfunden wurde, und den herzlosen Sklaven dazu, der sie mit sächsischer Zunge vor sächsischen Ohren nennt! Die Abendglocke!« setzte er nach einer Pause hinzu, »ja die Abendglocke, welche rechtschaffene Leute zwingt, ihre Lichter auszulöschen, damit Diebe und Räuber ihre Streiche im Dunkeln ausführen können! – Ja, die Abendglocke, – Reginald Front-de-Boeuf und Philipp Malvoisin kennen den Gebrauch der Abendglocke so gut wie Wilhelm der Bastard selber, oder irgend ein normännischer Abenteurer, der bei Hastings focht. Vermuthlich werde ich hören müssen, daß mein Eigenthum fortgeführt worden ist, um die hungrigen Banditen zu füttern, die sich nur durch Diebstahl und Räuberei ernähren können. Mein getreuer Sklave ist gemordet und mein Besitzthum als Beute weggeführt – und Wamba – wo ist Wamba? Sagte nicht jemand, er sei mit Gurth fortgegangen?«

Oswald bejahte es.

»Ja? Ei, das wird immer besser! – Auch er ist fortgeführt, der sächsische Narr, um dem normännischen Herrn zu dienen. Narren sind wir in der That alle, die wir ihnen dienen, und passendere Gegenstände für ihren Spott und Hohn, als wenn wir nur mit halbem Verstande geboren wären. Aber ich will Rache neh men,« setzte er hinzu, indem er vor Ungeduld und Zorn über die vermeintliche Beleidigung vom Stuhle aufsprang und seinen Eberspieß ergriff. »Ich will mit meiner Klage bis vor den Staatsrath gehen. Ich habe Freunde, ich habe Anhänger – Mann gegen Mann will ich die Normannen vor die Schranken fordern; laß ihn kommen in seinem Panzer und Ringelhemd, und angethan mit allem, was die Feigheit kühn machen kann; ich habe einen Wurfspieß wie diesen durch eine stärkere Schutzwehr geschleudert als drei von ihren Schlachtschilden zusammen! – Vielleicht halten sie mich für alt; doch sie sollen finden, allein und kinderlos, wie ich bin, daß das Blut Herewards in Cedrics Adern fließt. – Ach, Wilfred, Wilfred!« rief er in leiserem Tone, »hättest Du Deine unvernünftige [32] Leidenschaft mäßigen können, so wäre Dein Vater im Alter nicht allein geblieben, gleich der einsamen Eiche, die ihre vertrockneten und unbeschützten Aeste der vollen Gewalt des Sturmes entgegenstreckt!« Dieser Gedanke schien seine aufgeregten Gefühle in Traurigkeit zu verwandeln. Er stellte den Wurfspieß hin, nahm seinen Platz wieder ein, schlug die Augen nieder, und schien in schwermüthiges Nachdenken verloren.

Aus seinem Brüten wurde Cedric plötzlich durch den Ton des Hornes geweckt, der von dem lauten Geheul und Bellen aller Hunde beantwortet wurde, die sich in der Halle befanden, und noch einigen zwanzig bis dreißig, die in anderen Theilen des Gebäudes untergebracht waren. Es bedurfte einiger Anwendung der weißen Gerte und des thätigen Beistands der Diener, um diesen Hundelärm zum Schweigen zu bringen.

»Zum Thor, Burschen!« rief der Sachse hastig, sobald der Tumult so weit beruhigt war, daß die Diener seine Stimme vernehmen konnten. »Seht zu, welche Nachricht jenes Horn uns verkündet; mir schwant irgend ein heregang; eine Räuberei, die an meinem Eigenthum verübt worden, ah wala wa! thät ic naer vaere!«

In weniger als drei Minuten zurückkehrend meldete ein Wächter, daß der Prior von Jorvaulx und der gute Ritter Brian de Bois-Guilbert, Mitglied des tapfern und ehrwürdigen Ordens der Tempelherren, nebst einem kleinen Gefolge um gastliche Aufnahme und um ein Nachtlager bäten, da sie auf dem Wege zu einem Tournier wären, welches in der Nähe von Ashby de la Zouche zwei Tage später gehalten werden solle.

»Aymer, der Prior Aymer? Brian de Bois-Guilbert?« murmelte Cedric, »beide Normannen;« aber Normann oder Sachse, gleichviel, die Gastfreundschaft von Rotherwood darf nicht verweigert werden; sie sind willkommen, da es ihnen gefallen hat, hier anzuhalten – willkommener würden sie gewesen sein, wären sie ihres Weges geritten. Doch es wäre unwürdig, wegen eines Nachtlagers und eines Abendessens zu murren; als Gäste wenigstens müssen selbst Normänner ihre Frechheit unterdrücken. »Geh, Hundebert,« fügte er, zu einem Haushofmeister gewendet, der mit einem weißen Stab in der Hand hinter ihm stand, hinzu, »nimm sechs von den Dienern und führe die Angekommenen in die Fremdenzimmer. [33] Sieh nach ihren Pferden und Maulthieren, und gib Acht, daß es ihrem Gefolge an nichts fehlt. Gib ihnen frische Kleider, wenn sie deren bedürfen, mache Feuer und gib ihnen Wasser zum Waschen, und Wein und Bier, und sage den Köchinnen, sie sollen, was sie in der Eile herbeischaffen können, zur Mahlzeit hinzufügen, und sie auftragen, wenn die Fremden bereit sind, daran Theil zu nehmen. Sage ihnen, Hundebert, daß Cedric sie selber willkommen heißen würde, doch halte ihn ein Gelübde, keinem mehr als zwei Schritte vom Heahsetl entgegenzugehen, der nicht an dem angelsächsischen Königsblute Antheil hat. Geh, sieh, daß ihnen sorgfältig aufgewartet werde; macht nicht, daß sie in ihrem Stolze sagen, der angelsächsische Bauer habe zugleich seine Armuth und seinen Geiz gezeigt.Eála, ic eom betra man thanne hic!«

Der Haushofmeister ging mit mehreren Dienern hinaus, um die Befehle seines Herrn auszuführen. »Der Prior Aymer!« wiederholte Cedric, indem er Oswald ansah, »wenn ich nicht irre, der Bruder von Giles de Mauleverer, jetzt Herr von Middleham?«

Oswald machte ein respektvolles Zeichen der Bejahung. »Sein Bruder sitzt auf dem Staatssessel und maßt sich das Erbe eines bessern Geschlechts an, des Geschlechts von Ulfgar von Middleham; aber welcher normännische Herr thut nicht das nämliche? Dieser Prior ist, sagt man, ein freier und jovialer Priester, der den Weinbecher und das Jagdhorn mehr liebt als das Glöcklein und das Gebetbuch. Gut, laßt ihn kommen, er soll willkommen sein. Wie nanntet Ihr den Templer?«

»Brian de Bois-Guilbert.«

»Bois-Guilbert?« sagte Cedric, noch immer in dem nachdenklichen Tone redend, an den ihn die Lebensweise unter seinen Dienern gewöhnt hatte, und der dem eines Mannes glich, der mehr mit sich selber als mit seiner Umgebung redet. – »Bois-Guilbert? dieser Name ist im guten und bösen Sinne weit und breit bekannt. Man sagt, er ist einer der Tapfersten seines Ordens, aber mit deren gewöhnlichen Lastern, Stolz, Anmaßung, Grausamkeit und Wollust befleckt; ein hartherziger Mann, der weder Furcht auf Erden, noch Scheu vor dem Himmel kennt. So sagen die wenigen[34] Krieger, die aus Palästina zurückgekehrt sind. – Gut, es ist nur auf eine Nacht; auch er soll willkommen sein. – Oswald, stich das älteste Weinfaß an; setze den besten Meth, das stärkste Bier, den klarsten Most auf; fülle die größten Trinkhörner – Templer und Aebte lieben gute Weine und gutes Maß. – Elgitha, laß Deine Herrin Rowena wissen, daß wir sie diesen Abend nicht in der Halle erwarten, es sei denn ihr besonderer Wunsch.«

»Aber es wird ihr besonderer Wunsch sein,« antwortete Elgitha vorlaut, »denn sie ist stets begierig, die neuesten Nachrichten aus Palästina zu hören.«

Cedric warf dem Mädchen einen zornigen Blick zu, aber Rowena und Alles, was ihr angehörte, war vor seinem Zorne sicher. Er antwortete nur: »Still, Mädchen, Deine Zunge eilt Deiner Ueberlegung voraus. Sage Deiner Herrin meinen Auftrag und laß sie thun, was sie will. Hier wenigstens herrscht die Enkelin Alfreds noch als Fürstin.« Elgitha verließ das Zimmer.

»Palästina!« wiederholte Cedric, »Palästina! wie viele Ohren wenden sich den Erzählungen zu, die ausgelassene Kreuzfahrer oder heuchlerische Pilger aus jenem unheilvollen Lande mitbringen! Auch ich möchte fragen – auch ich möchte nachforschen – auch ich möchte mit klopfendem Herzen den Fabeln horchen, welche ränkevolle Landstreicher erfinden, um unsere Gastfreundschaft damit zu ergaunern, aber nein – der Sohn, der mir ungehorsam gewesen, ist nicht mehr der meinige; auch will ich mich um sein Schicksal nicht anders kümmern, als um das des unwürdigsten unter den Millionen, die je das Kreuz auf ihre Schulter hefteten, sich in Ausschweifungen und Blutschuld stürzten, und das Erfüllung des göttlichen Willens nannten.«

Er zog seine Brauen zusammen und heftete seine Augen eine Sekunde auf den Boden; als er sie wieder erhob, wurden die Flügelthüren am untern Ende der Halle geöffnet, und unter Vortritt des Haushofmeisters mit seinem Amtsstabe und von vier Dienern mit brennenden Fackeln begleitet, traten die Gäste in den Saal.

4. Kapitel

[35] Kapitel IV.

Geschlachtet wurden Schafe, Schweine, Ziegen,

Der stolze Stier selbst muß der Axt erliegen;

Am Feu'r geröstet, ward das Fleisch genossen,

Und nie war Wein jemals so reich geflossen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ulyss nimmt nur abseiten Theil am Fest

Da man am Nebentisch ihn sitzen läßt.

Er ist damit zufrieden.


Popes Odyssee.


Der Prior Aymer hatte die ihm gebotene Gelegenheit benutzt, sein kostbares Reitkleid gegen eins von noch kostbarerem Stoff zu vertauschen. Er trug jetzt einen kunstvoll gestickten Chorrock. Außer dem massiven goldenen Siegelringe, der als Zeichen seiner geistlichen Würde seinen Daumen zierte, waren seine Finger, der Ordensregel zuwider, mit köstlichen Edelsteinen beladen; seine Sandalen bestanden aus dem feinsten Leder, welches aus Spanien eingeführt wurde; sein Bart war so kurz geschnitten, als es die Ordensregel nur irgend erlaubte, und seine Tonsur unter einer reich gestickten, scharlachnen Mütze verborgen.

Das Aeußere des Tempelritters war ebenfalls verändert, und wenn auch weniger mit Schmuck beladen, war seine Kleidung doch eben so reich und sein Aeußeres um vieles gebieterischer als das seines Begleiters. Er hatte sein Panzerhemd gegen eine seidene mit Pelz besetzte Untertunica von dunkler Purpurfarbe vertauscht, über welche ein langes Gewand von fleckenlosem Weiß in weiten Falten niederfloß. Das achteckige Kreuz seines Ordens, aus schwarzem Sammet geschnitten, war auf der Schulter an seinen Mantel geheftet. Die hohe Mörsermütze bedeckte nicht mehr seine Stirn, [36] die nur von kurzem und dichtgelocktem rabenschwarzen Haar, das seiner ungewöhnlich dunklen Gesichtsfarbe entsprach, beschattet wurde. Nichts hätte graziöser und majestätischer zugleich sein können, als sein Schritt und seine Haltung, hätten sie nicht zu deutlich ein hochfahrendes Wesen gezeigt, wie man es sich so leicht bei Ausübung eines unbestrittenen Ansehens anzueignen pflegt.

Diesen beiden hohen Personen folgten ihre beiderseitigen Diener und in demüthiger Entfernung ihr Führer, dessen Aeußeres nichts bemerkenswerthes an sich hatte, außer dem, was zur gewöhnlichen Kleidung eines Pilgers gehörte. Ein grober Mantel von schwarzem Wollenzeug, der in seiner Form fast einem Husarenmantel glich, zumal er auch ähnlich geschlitzte Aermel hatte (man nannte diese Mäntel Slavonier) hüllte seinen ganzen Körper ein. Grobe Sandalen, die mit Riemen an die bloßen Füße gebunden waren, ein Muschelhut mit breitem Rande und ein langer eisenbeschlagener Stab, an dessen oberem Ende ein Palmenzweig befestigt war, vollendeten des Pilgers Anzug. Er folgte bescheiden dem letzten, der in die Halle trat, und da er bemerkte, daß der untere Tisch nicht Raum genug für die Dienerschaft Cedrics und seiner Gäste hatte, so ging er zu einem Sessel, der neben einem der großen Kamine stand, schien beschäftigt seine Kleider zu trocknen und wartete, bis ihm irgend jemand an dem Tische Platz machen, oder bis die Gastlichkeit des Haushofmeisters ihn an dem von ihm gewählten Orte mit Erfrischungen versehen werde.

Cedric erhob sich und empfing seine Gäste mit einer Miene würdevoller Gastfreiheit; er stieg von der Erhöhung hinunter, ging drei Schritte auf sie zu und erwartete dann ihre Annäherung.

»Es thut mir leid, ehrwürdiger Prior,« sagte er, »daß ein Gelübde mich bindet, nicht weiter als drei Schritte über diesen Fußboden meiner Väter zu gehen, selbst wenn ich solche Gäste wie Euch und diesen tapfern Ritter des heiligen Tempels empfange. Aber mein Haushofmeister hat Euch bereits die Ursache meiner anscheinenden Unhöflichkeit auseinander gesetzt. Ich bitte Euch auch, mich zu entschuldigen, wenn ich in meiner Muttersprache zu Euch rede; auch darum, daß Ihr mir in derselben antwortet, wenn Eure Kenntniß derselben es gestattet. Sonst verstehe ich aber auch das Normännische, um Euch in der Unterhaltung zu folgen.«

[37] »Gelübde,« sagte der Abt, »müssen gelöst werden, würdiger Frankelin, oder erlaubt mir vielmehr zu sagen, würdiger Freisasse, obgleich der Titel veraltet ist. Gelübde sind die Bande, die uns an den Himmel binden, sie sind die Stricke, welche das Opfer an die Hörner des Altars befestigen, und müssen daher, wie ich schon vorher sagte, gelöst und erfüllt werden, wenn nicht unsere heilige Kirche das Gegentheil ausspricht. Und was die Sprache betrifft, so unterhalte ich mich gerne in derjenigen, welche meine verehrte Großmutter, Hilda von Middleham, redete, die im Geruch einer Heiligen starb, und, wenn ich es zu sagen wagen darf, ihrer ruhm- vollen Namensschwester, der gesegneten heiligen Hilda von Whitby, deren Seele Gott gnädig sein wolle, wenig nachstand.«

Als der Prior diese nach seiner Meinung begütigende Anrede geendet hatte, sagte sein Begleiter kurz und mit Nachdruck: »Ich rede stets französisch, die Sprache König Richards und seiner Edlen; doch verstehe ich sächsisch genug, um mich mit den Eingebornen des Landes verständigen zu können.«

Cedric warf dem Redenden einen jener hastigen und ungeduldigen Blicke zu, welche der Vergleich zwischen den beiden feindlichen Nationen fast immer bei ihm erregte; doch erinnerte er sich der Pflichten der Gastfreundschaft, unterdrückte alle weiteren Zeichen des Zornes, nöthigte mit einer Handbewegung seine Gäste zwei Sitze einzunehmen, ein wenig niedriger als sein eigener, aber dicht neben ihm, und gab ein Zeichen, daß das Abendessen aufgetragen werde.

Während die Diener eilten, Cedrics Befehl zu erfüllen, bemerkte er Gurth, den Schweinehirten, der mit seinem Begleiter Wamba eben in die Halle eintrat. »Schickt jene trödelnden Kerle höher herauf,« sagte der Sachse ungeduldig. Und als die Delinquenten vor dem Heahsetl ankamen, fuhr er fort: »Wie kommt es, Schurken, daß Ihr so spät ausgeblieben seid? Hast Du Deine Herde heimgebracht, Gurth, oder hast Du sie Räubern und Landstreichern überlassen?«

»Die Herde ist in Sicherheit, wenn Ihr erlaubt,« sagte Gurth.

»Ich erlaube aber nicht, Schurke,« sagte Cedric, »daß man mich zwei Stunden in der Meinung läßt, daß es anders sein könnte, und daß ich hier sitzen und Rache sinnen muß gegen meine [38] Nachbarn, die mir gar kein Unrecht zugefügt haben. Ich sage Dir, Kerl, das nächste Vergehen dieser Art werde ich mit Ketten und Gefängniß bestrafen.«

Gurth, der seines Herrn Temperament kannte, versuchte keine Entschuldigung, doch der Narr, der vermöge seines Vorrechts auf Cedrics Toleranz rechnen konnte, antwortete für sie beide: »Meiner Treu, Onkel Cedric, Du bist heute Abend weder weise noch vernünftig.«

»Wie, Bursche?« sagte sein Herr, »Du sollst in die Pförtnerwohnung und dort die Peitsche schmecken, wenn Du Deiner Narrheit so freien Spielraum lässest.«

»Vorher laß Deine Weisheit mir sagen,« fiel Wamba ein, »ist es recht und vernünftig, eine Person für den Fehler einer andern zu bestrafen?«

»Gewiß nicht, Narr,« antwortete Cedric.

»Warum willst Du denn Gurth in Ketten legen, Onkel, wegen des Fehlers seines Hundes Packan? denn ich will schwören, wir verloren keine Minute unterwegs, als wir unsere Herde beisammen hatten, was Packan nicht eher gelang, als bis wir die Vesper schlagen hörten.«

»Dann hänge Packan,« sagte Cedric, indem er sich hastig zu dem Schweinehirten wendete, »wenn er die Schuld hat, und schaffe Dir einen andern Hund an.«

»Mit Vergunst, Onkel,« sagte der Possenreißer, »das wäre auch noch etwas weiter abgeglitscht von der Gerechtigkeit, denn es war nicht Packans Schuld, daß er lahm ist, und die Herde nicht zusammentreiben konnte, sondern die Schuld derjenigen, die ihm zwei von seinen Vorderzehen abschnitten, eine Operation, zu welcher der arme Kerl, wenn man ihn befragt hätte, gewiß nicht ja gesagt haben würde.«

»Und wer wagte, ein Thier zu lähmen, welches meinem Leibeigenen gehört?« sagte der Sachse mit aufflammender Wuth.

»Ei, das that der alte Hubert,« sagte Wamba, »Sir Philipp de Malvoisins Wildmeister. Er fing Packan auf, als er im Walde umherlief, und behauptete, er jage Wild, wodurch er das Jagdrecht seines Herrn verletze.«

»Der böse Feind hole Malvoisin,« antwortete der Sachse, »und [39] seinen Wildmeister dazu. Wâ tham men, the vrôhte thurh hyne and flît cymth! Ich will ihnen beweisen, daß mir das Jagdrecht so gut zusteht, wie ihnen. – Aber genug davon. Geh, Bursche, geh an Deinen Platz, und Du, Gurth, schaffe Dir einen andern Hund an, und sollte der Wildmeister ihn anzurühren wagen, so will ich ihm dagegen das Bogenschießen verleiden. Den Fluch eines Feiglings über mein Haupt, wenn ich ihm nicht den Vorderfinger seiner rechten Hand abschlage! Er soll keine Bogensehne mehr spannen. Ich bitte um Verzeihung, meine würdigen Gäste. Ich bin hier von Nachbarn umlagert, die es Euren Ungläubigen im gelobten Lande gleich thun, Herr Ritter. Aber Eure frugale Speise steht vor Euch; eßt, und laßt den freundlichen Willkommen die kärgliche Bewirthung entschuldigen.«

»Das Mahl, welches auf dem Tische stand, bedurfte indeß keiner Entschuldigung von Seiten des Hausherrn. Schweinefleisch, auf verschiedene Art zubereitet, zeigte sich auf dem niedrigen Theile der Tafel, sowie auch Geflügel, Wildpret, Ziegen und Hasen, verschiedene Arten von Fischen, nebst ungeheuren Broden, Kuchen und verschiedenem Eingemachten von Früchten und Honig. Die kleineren Arten von wildem Geflügel, welche im Ueberfluß da waren, wurden nicht auf Tellern servirt, sondern auf kleinen hölzernen Spießen hereingebracht und von den Pagen und Bedienten, welche sie trugen, jedem Gaste der Reihe nach angeboten, der so viel davon abschnitt, als ihm gefiel. Neben jeder Person von Rang und Würde stand ein silberner Becher, und die untere Tafel war mit großen Trinkhörnern versehen.«

Als das Mahl beginnen sollte, erhob plötzlich der Haushofmeister seinen Stab und sagte laut: »Habt Acht! Platz für die Hlaefdige Rowena!« Eine Seitenthür am obern Ende der Halle hinter der Tafel that sich auf, und Rowena, von vier Dienerinnen begleitet, trat ins Gemach. Cedric, obgleich nicht ganz angenehm überrascht, weil seine Mündel sich bei dieser Gelegenheit öffentlich zeigte, eilte ihr entgegen und führte sie mit respektvollem Ceremoniel zu dem erhöhten Sitze zu seiner Rechten, der für die Dame des Hauses bestimmt war. Alle standen auf, um sie zu begrüßen, [40] und diese Höflichkeit mit einer stummen Verbeugung erwidernd, ging sie anmuthsvoll vorwärts, um ihren Platz an der Tafel einzunehmen. Ehe sie noch Zeit hatte, dies zu thun, flüsterte der Templer dem Prior zu: »Ich werde kein goldenes Halsband von Euch beim Turnier tragen. Der Chierwein ist Euer.«

»Sagte ich es nicht?« antwortete der Prior; »aber mäßigt Euer Entzücken, der Frankelin beobachtet Euch.«

Ohne auf diese Vorstellung zu achten und gewohnt, allein nach dem unmittelbaren Antriebe seiner Wünsche zu handeln, heftete Brian de Bois-Guilbert seine Augen beständig auf die angelsächsische Schöne, die seiner Phantasie vielleicht darum desto auffallender war, weil sie sich so sehr von den orientalischen Sultaninnen unterschied.

Nach den edelsten Körperverhältnissen ihres Geschlechts gebildet, war Rowena groß von Statur, doch nicht so groß, daß sie gerade deshalb die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Ihre Gesichtsfarbe war außerordentlich zart und weiß, doch schlossen die edle Bildung ihres Hauptes und ihrer Züge den nichtssagenden Ausdruck aus, der zuweilen Schönheiten dieser Art eigen ist. Ihr klares blaues Auge, welches von anmuthig geschweiften Brauen von dunkler Farbe überschattet war, stark genug hervortretend, um der Stirn Ausdruck zu verleihen, schien gleich fähig zu zünden wie zu schmelzen, zu gebieten wie zu flehen. Wenn Milde der natürlichere Ausdruck einer Vereinigung von solchen Gesichtszügen war, so konnte man doch auch erkennen, daß die Ausübung gewohnter Hoheit und die allgemeine Huldigung der angelsächsischen Schönen einen majestätischen Charakter verliehen hatten, der sich in ihre natürlichen Züge mischte und sie bestimmend hervortrat. Ihr üppiges, dunkelblondes Haar war auf phantastische aber anmuthige Weise in zahlreiche Ringellocken vertheilt, die zu bilden Kunst die Natur unterstützt haben mußte. Diese Locken waren mit Edelsteinen durchwebt und wallten in ihrer vollen Länge hernieder, so daß dadurch die edelfreie Geburt und die unabhängige Lage des Mädchens angedeutet wurde. Eine goldene Kette, an der eine kleine ebenfalls goldene Reliquie befestigt war, hing an ihrem Halse, um die bloßen Arme trug sie Armspangen. Die Kleidung bestand aus Unterkleid und Mieder von blasser meergrüner Seide, darüber breitete sich ein langes, weites Gewand, das bis auf den Boden herabhing [41] und sehr weite Aermel hatte. Dieses Gewand war carmoisinroth und aus der feinsten Wolle verfertigt. Ein seidener, mit Gold durchwebter Schleier war an dem obern Theile desselben befestigt, der nach spanischer Sitte über Gesicht und Busen gezogen oder wie eine Art Draperie um die Schultern gelegt werden konnte.

Als Rowena bemerkte, daß des Tempelritters Augen mit einer Gluth auf sie gerichtet waren, die, mit den dunklen Höhlen, in denen sie sich bewegten, verglichen, ihnen das Aussehen brennender Steinkohlen verliehen, zog sie mit Würde den Schleier um ihr Gesicht, um anzudeuten, daß die Freiheit solcher Blicke ihr unangenehm sei. Cedric bemerkte die Bewegung und die Veranlassung derselben. »Herr Templer,« sagte er, »die Wangen unserer sächsischen Mädchen haben zu wenig von der Sonne gesehen, als daß sie fähig wären, den festen Blick eines Kreuzfahrers auszuhalten.«

»Wenn ich gefehlt habe,« versetzte Sir Brian, »so bitte ich um Verzeihung, das heißt, ich bitte um Lady Rowenas Verzeihung, denn tiefer läßt meine Demuth mich nicht herabsteigen.«

»Die Lady Rowena hat uns alle bestraft,« sagte der Prior, »da sie die Kühnheit meines Freundes zurückwies. Laßt mich hoffen, daß sie weniger grausam gegen die glänzende Ritterschaar sein wird, die sich beim Tournier versammelt.«

»Es ist ungewiß, ob wir dorthin gehen,« sagte Cedric. »Ich liebe diese Eitelkeiten nicht, die meinen Vätern unbekannt waren, als England noch frei war.«

»Laßt uns dennoch hoffen, daß unsere Gesellschaft Euch bestimmen wird, dorthin zu reisen,« sagte der Prior; »da die Wege so unsicher sind, ist die Begleitung des Ritters Brian de Bois-Guilbert nicht zu verachten.«

»Herr Prior,« antwortete der Sachse, »wohin ich auch immer in diesem Lande gereist bin, habe ich bis dahin außer der Hilfe meines guten Schwertes und meiner getreuen Diener keines andern Beistandes bedurft. Gegenwärtig, wenn wir wirklich nach Ashby de la Zouche gehen, reisen wir in Begleitung meines edlen Nachbars und Landsmanns Athelstane von Coningsburgh, und mit einem solchen Gefolge, daß wir Geächteten und Familienfeinden zu trotzen vermögen. – Ich trinke Euch diesen Becher Weines zu, der, wie ich hoffe, nach Eurem Geschmack sein wird, Herr Prior, [42] und danke Euch für Eure Höflichkeit. Solltet Ihr streng an Eurer Mönchsregel halten,« setzte er hinzu, »so daß Ihr Euer Getränk, die saure Milch, vorzieht, so werdet Ihr mir doch hoffentlich aus Gefälligkeit Bescheid thun.«

»Nein,« sagte der Priester lachend, »wir beschränken uns nur in unserer Abtei auf lac dulce oder lac acidum. Im Umgange mit der Welt fügen wir uns der Weltsitte, und daher thue ich Euch in diesem rechtschaffenen Weine Bescheid und überlasse meinem Laienbruder das schwächere Getränk.«

»Und ich,« sagte der Templer, indem er seinen Becher füllte, »trinke ›waes hael‹ der schönen Rowena; denn seit ihre Namensschwester dieses Wort in England einführte, ist keine eines solchen Tributes würdiger gewesen. Meiner Treu, ich könnte es dem unglücklichen Vortigern verzeihen, hätte er nur halb so viel Ursache gehabt, wie wir jetzt, Schiffbruch an seiner Ehre und seinem Königreich zu leiden.«

»Ich will Euch Eure Höflichkeit ersparen, Herr Ritter,« sagte Rowena mit Würde und ohne sich zu entschleiern; »oder vielmehr ich will sie in so weit in Anspruch nehmen, als ich Euch um die neuesten Nachrichten aus Palästina bitte; diese Dinge sind unsern sächsischen Ohren angenehmer als die Complimente, welche die französische Erziehung Euch gelehrt hat.«

»Ich habe wenig Wichtiges zu sagen, Fräulein,« antwortete Brian de Bois-Guilbert, »außer daß der Waffenstillstand mit Saladin bestätigt ist.«

Er wurde von Wamba unterbrochen, der seinen gewöhnlichen Sitz auf einem Stuhle eingenommen hatte, dessen Rücklehne mit zwei Eselsohren verziert war, und der etwa zwei Schritte hinter dem seines Herrn stand, welcher ihm von Zeit zu Zeit Speisen von seiner eigenen Schüssel reichte – eine Gunst, die der Possenreißer [43] mit den Lieblingshunden theilte. Hier saß Wamba, einen kleinen Tisch vor sich, die Fersen auf die Querstange des Stuhls gestellt, und die Backen so sehr gefüllt, daß seine Kiefern einem Nußknacker glichen. Seine Augen waren halb verschlossen, beobachteten aber mit Lebhaftigkeit jede Gelegenheit, seine privilegirte Narrheit auszuüben.

»Diese Waffenstillstände mit den Ungläubigen,« rief er, ohne sich darum zu kümmern, wie plötzlich er den stattlichen Templer unterbrach, »machen mich zum alten Manne!«

»Nun, Schurke, wie so?« sagte Cedric, dessen Gesichtszüge darauf vorbereitet waren, den erwarteten Scherz günstig aufzunehmen.

»Weil ich mich in meiner Zeit dreier Waffenstillstände erinnere,« antwortete Wamba, »von denen jeder fünfzig Jahre dauern sollte, sodaß ich wenigstens hundert und fünfzig Jahre alt sein müßte, wenn man alles zusammennimmt.«

»Ich stehe Dir indeß dafür, daß Du an hohem Alter nicht stirbst,« sagte der Templer, der jetzt seinen Freund aus dem Walde erkannte; »ich kann Dir von den Todesarten nur eine gewaltsame versprechen, wenn Du allen Reisenden solche Weisungen ertheilst, wie Du diesen Abend dem Prior und mir sie gabst.«

»Wie Bursche,« sagte Cedric, »Du hast Reisende irre geführt? Ich werde Dich peitschen lassen; Du bist eben so sehr Schurke als Narr.«

»Ich bitte Dich, Onkel,« antwortete der Possenreißer, »laß diesmal meine Narrheit meine Schurkerei in Schutz nehmen. Ich irrte mich nur zwischen meiner rechten und meiner linken Hand; und wer einen Narren zum Rathgeber und Führer nahm, sollte noch einen größern Irrthum verzeihen.«

Hier wurde die Unterhaltung durch den Eintritt des Pagen unterbrochen, der das Amt des Thürstehers versah. Er meldete, daß ein Fremder am Thor sei und um Einlaß und Aufnahme bitte.

»Laßt ihn ein,« sagte Cedric, »er sei, wer er wolle. Eine Nacht, wie sie draußen stürmt, nöthigt selbst wilde Thiere, sich zu den zahmen zu gesellen, und den Schutz des Menschen, ihres tödtlichsten Feindes, lieber zu suchen, als daß sie durch die Elemente umkommen. Sieh zu, Oswald, daß seine Bedürfnisse mit aller Sorgfalt befriedigt werden!«

Und der Haushofmeister verließ den Speisesaal, um den Befehl seines Herrn auszuführen.

5. Kapitel

[44] Kapitel V.

Hat nicht ein Jude Augen? hat nicht ein Jude Hände Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ?


Der Kaufmann von Venedig.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe Bd. IV, S. 305.)


Oswald kehrte zurück und flüsterte seinem Herrn ins Ohr: »Es ist ein Jude, der sich Isaak von York nennt; ist es passend, daß ich ihn in die Halle führe?«

»Laß Gurth Dein Amt versehen, Oswald,« sagte Wamba mit seinem gewöhnlichen Vorwitz; »der Schweinehirt wird den Juden passend einführen.«

»Heilige Maria!« sagte der Abt, sich bekreuzigend, »ein ungläubiger Jude in diese Gesellschaft!«

»Soll ein Hund von einem Juden,« wiederholte der Templer, »sich einem Vertheidiger des heiligen Grabes nähern?«

»Meiner Treu,« sagte Wamba, »es scheint, die Templer lieben die Erbschaft der Juden mehr als ihre Gesellschaft.«

»Still, meine würdigen Gäste,« sagte Cedric, »meine Gastfreundschaft darf nicht nach Eurem Mißfallen beschränkt werden. Wenn der Himmel mit der ganzen Nation der hartnäckigen Ungläubigen mehr Jahre, als ein Laie zählen kann, Langmuth übte, so können wir wohl die Gegenwart eines Juden auf wenige Stunden ertragen. Aber ich zwinge niemand, mit ihm zu reden oder zu [45] speisen. – Laßt ihn Tisch und Speise abgesondert haben, wenn nicht vielleicht,« sagte er lächelnd, »die mit den Turbanen ihn in ihre Gesellschaft aufnehmen wollen.«

»Herr Frankelin,« antwortete der Templer, »meine Saracenensklaven sind wahre Moslemim und verschmähen den Umgang mit einem Juden eben so sehr wie nur ein Christ.«

»Nun in Wahrheit,« sagte Wamba, »ich sehe nicht ein, warum ein Verehrer Mahrunds und Termagants einen so großen Vorzug vor dem einst auserwählten Volke Gottes haben sollte.«

»Er soll bei Dir sitzen, Wamba,« sagte Cedric; »der Narr und der Spitzbube passen gut zusammen.«

»Der Narr,« antwortete Wamba, indem er die Reste eines Schweineschinkens emporhielt, »wird dafür sorgen, ein Bollwerk gegen den Spitzbuben zu errichten.«

»Still, da kommt er,« sagte Cedric.

Mit wenig Ceremoniell eingeführt, furchtsam und zögernd und mit mancher demüthigen Verbeugung vorwärts schreitend, näherte sich ein großer, hagerer, alter Mann, der durch die Gewohnheit, gebückt zu gehen, viel von seiner wirklichen Höhe verloren hatte, dem untern Ende des Tisches. Seine Züge, scharf und regelmäßig, mit einer Adlernase und durchdringenden dunklen Augen, seine hohe und gefurchte Stirn, sowie sein langes graues Haupt- und Barthaar hätten für schön gelten können, wären sie nicht die Zeichen einer seinem Stamme eigenthümlichen Physiognomie gewesen, der in jenen finstern Zeiten von dem leichtgläubigen und vorurtheilsvollen Pöbel ebenso verabscheut, als von dem habsüchtigen Adel verfolgt wurde, und der, vielleicht infolge eben jenes Hasses und jener Verfolgung, einen Nationalcharakter angenommen hatte, in welchem wenigstens viel Abstoßendes lag.

Des Juden Kleidung, die sehr von dem Wetter gelitten hatte, bestand aus einem einfachen röthlichen Mantel mit vielen Falten, unter dem er eine Tunica von dunkler Purpurfarbe trug. An den Füßen hatte er große, mit Pelz besetzte Stiefel und um den Leib einen Gürtel, in dem ein kleines Messer neben einer Kapsel mit Schreibmaterialien, aber keine sonstige Waffe steckte. Eine hohe viereckige, gelbe Mütze von eigenthümlicher Form, die seine Nation tragen mußte, damit man sie von den Christen unterscheiden konnte, [46] bedeckte sein Haupt. Er nahm dieselbe mit tiefer Demuth an der Thüre der Halle ab.

Der Empfang dieses Mannes in der Halle Cedrics des Sachsen war von der Art, daß sie auch den ärgsten Feind des Stammes Israel hätte befriedigen müssen. Cedric selbst beantwortete die wiederholten tiefen Verbeugungen des Juden mit einem kalten Nicken und deutete ihm an, sich an das untere Ende des Tisches zu setzen, wo sich jedoch niemand erbot, ihm Platz zu machen. Im Gegentheil, als er an der Reihe vorüberging und jedem der dort Sitzenden einen furchtsam bittenden Blick zuwarf, machten die sächsischen Diener ihre Schultern so breit als möglich und fuhren fort, ihr Abendessen mit großer Beharrlichkeit zu verschlingen, indem sie den Bedürfnissen des neuen Gastes nicht die geringste Aufmerksamkeit zollten. Die Begleiter des Abtes bekreuzten sich unter Blicken frommen Abscheus, und selbst die heidnischen Saracenen drehten, als Isaak sich ihnen näherte, unwillig ihre Schnurrbärte in die Höhe und legten die Hände an die Dolche, als wären sie bereit, sich durch das verzweifeltste Mittel von der befürchteten Verunreinigung zu befreien.

Wahrscheinlich würde derselbe Grund, welcher Cedric veranlaßte, diesem Sohne eines verstoßenen Volkes seine Halle zu öffnen, ihn auch bestimmt haben, seinen Dienern zu befehlen, Isaak mehr Höflichkeit zu erweisen; doch der Abt verwickelte ihn in diesem Augenblicke in eine höchst interessante Unterredung über die Zucht und den Charakter seiner Lieblingshunde, die er auch bei Gegenständen von größerer Wichtigkeit, als der war, daß ein Jude ohne Abendessen zu Bette gehen sollte, nicht würde unterbrochen haben. Während Isaak so von den Anwesenden ausgestoßen dastand wie sein Volk unter den Nationen und sich vergebens nach einem Willkommen oder Ruheplatz umsah, empfand der Pilger, der am Kamin saß, Mitleid mit ihm, überließ ihm seinen Sitz und sagte kurz: »Alter Mann, meine Kleider sind getrocknet, mein Hunger ist gestillt, Du aber bist naß und hungrig.« Mit diesen Worten schürte er die verglimmenden Feuerbrände an, die auf dem ungeheuren Herde zerstreut lagen, nahm von dem größern Tisch ein Gericht Suppe und gesottenes Ziegenfleisch, stellte es auf den kleinern Tisch, an dem er selber gespeist hatte, und schritt, ohne den Dank des Juden abzuwarten, [47] auf die andere Seite der Halle; es blieb ungewiß, ob er dies that, um den nähern Umgang mit dem Gegenstande seines Wohlwollens zu vermeiden, oder in der Absicht, sich dem obern Ende des Tisches zu nähern.

Hätte es in jenen Tagen Maler gegeben, die fähig waren einen solchen Gegenstand auszuführen, so würde der Jude, als er seine abgemagerte Gestalt niederbeugte und seine erstarrten und zitternden Hände über das Feuer ausbreitete, ihnen kein übles Sinnbild des Winters geliefert haben. Als die Kälte aus ihm gewichen war, wandte er sich begierig zu der dampfenden Schüssel, die vor ihm stand, und aß hastig und mit einem Behagen, das offenbar auf langes Fasten schließen ließ.

Inzwischen setzten der Abt und Cedric ihre Unterhaltung über die Jagd fort, Lady Rowena schien sich mit einer ihrer Dienerinnen zu unterhalten, und der stolze Templer, dessen Augen von dem Juden zu der sächsischen Schönen wanderten, war mit Gedanken beschäftigt, die ihn sehr zu interessiren schienen.

»Es wundert mich, würdiger Cedric,« sagte der Abt im Verlaufe ihrer Unterredung, »daß Ihr, so groß auch Eure Vorliebe für Eure männliche Sprache ist, wenigstens hinsichtlich der Jagdausdrücke der normännischen nicht Eure Gunst schenkt. Gewiß ist keine Sprache so reich an verschiedenen Benennungen, wie sie die Jagdfreuden fordern, gewiß liefert keine dem erfahrnen Waidmann so treffliche Mittel, sich über seine joviale Kunst auszudrücken.«

»Guter Pater Aymer,« sagte der Sachse, »wißt, ich kümmere mich nicht um jene überseeischen Verfeinerungen, ohne die ich mich ebenso gut im Walde belustigen kann. Ich kann mein Horn blasen, ohne es recheate oder morte zu nennen, ich kann meine Hunde zur Jagd hetzen, das Thier abbälgen und zerlegen, ohne das neumodische Kauderwelsch curée, arbor, nombles und all das Geschwätz des fabelhaften Ritters Tristan anzuwenden.«

»Die französische Sprache,« sagte der Templer, indem er seine Stimme zu dem absprechenden und gebieterischen Tone erhob, den er bei allen Gelegenheiten anwendete, »ist nicht nur die einzig [48] natürliche Sprache der Jagd, sondern auch die der Liebe und des Krieges, in welcher die Damen gewonnen und die Feinde herausgefordert werden sollten.«

»Thut mir in einem Becher Wein Bescheid, Herr Templer,« sagte Cedric, »und füllet noch einen für den Abt, während ich einige dreißig Jahre zurückblicke, um Euch eine andere Geschichte zu erzählen. In der Jugend Cedrics des Sachsen bedurfte eine angelsächsische Rede keiner Verzierung eines französischen Troubadours, wenn man sie einer Schönen ins Ohr flüsterte, und das Schlachtfeld von Northallerton konnte sagen, ob der sächsische Schlachtruf nicht ebensoweit innerhalb des schottischen Heeres gehört wurde, als das cri de guerre des kühnsten normännischen Barons. Dem Andenken der Tapfern, die dort fochten! Thut mir Bescheid, meine Gäste!« Er that einen tiefen Zug und fuhr mit noch größerer Wärme fort: »Eála! Das war ein Tag des Schildespaltens, als hundert Banner vorwärts geneigt wurden über die Köpfe der Tapfern, und das Blut umherfloß wie Wasser, und man den Tod für besser achtete als die Flucht. Ein sächsischer Barde nannte diese Schlacht:sveorda blaeddaeg, ein Fest der Schwerter – eine Versammlung der Adler zur Beute. Unter der Streitaxt erdröhnte Schild und Helm, der Schlachtruf war freudiger als das Jauchzen bei einer Hochzeit. Aber unsere Barden sind nicht mehr,« sagte er, »unsere Thaten sind von denen eines andern Geschlechts verdunkelt, unsere Sprache, unser Name selbst eilen dem Untergange entgegen, und niemand trauert um sie als ein alter einsamer Mann. Mundschenk! Kerl, fülle die Becher. Den Starken in den Waffen, Herr Templer, möge ihr Name und ihre Sprache sein, welche sie wolle, die jetzt hervorragen in Palästina unter den Streitern des Kreuzes!«

»Es ziemt sich nicht für einen, der dieses Zeichen trägt, darauf zu antworten,« sagte Brian de Bois-Guilbert, »doch wem, außer den geschwornen Paladinen des heiligen Grabes, kann die Palme unter den Streitern zuerkannt werden?«

»Den Hospitalitern,« sagte der Abt, »ich habe einen Bruder in jenem Orden.«

»Ich will ihren Ruhm nicht schmälern,« sagte der Templer, »dennoch aber –«

»Ich denke, Freund Cedric,« fiel Wamba ein, »wäre Richard [49] Löwenherz weise genug gewesen, von einem Narren Rath anzunehmen, er wäre mit seinen fröhlichen Engländern zu Hause geblieben und hätte die Wiedereroberung des heiligen Grabes denselben Rittern überlassen, die am meisten dazu beigetragen haben, daß es verloren ging.«

»Waren denn unter dem englischen Heere gar keine,« sagte Lady Rowena, »deren Namen würdig gewesen wären, neben den Rittern des Tempels oder des heiligen Johannes genannt zu werden?«

»Bitte um Verzeihung, Fräulein,« entgegnete de Bois-Guilbert, »der englische Monarch brachte allerdings ein Heer tapferer Krieger nach Palästina, doch standen sie immer noch denen nach, deren Brust unaufhörlich das feste Bollwerk des heiligen Landes gewesen ist.«

»Keinem standen sie nach,« sagte der Pilger, der nahe genug gestanden, um alles zu hören, und schon lange aufmerksam auf die Unterredung gehorcht hatte. Alle wendeten sich nach der Stelle, woher diese unerwartete Behauptung kam. »Ich sage,« wiederholte der Pilger in festem und ernstem Tone, »die englische Ritterschaft stand keiner nach, welche je das Schwert zur Vertheidigung des heiligen Landes gezogen! Ich sage weiter, denn ich weiß es, daß König Richard selbst und fünf seiner Ritter nach Eroberung von St. Jean d'Acre ein Turnier gehalten gegen jeden, der sich mit ihnen messen wollte. Ich sage, daß an diesem Tage jeder Ritter drei Gänge machte und drei niederwarf, und füge hinzu, sieben dieser Besiegten waren Tempelritter, und Sir Brian de Bois-Guilbert weiß sehr wohl, daß ich die Wahrheit rede.«

Es ist unmöglich, die Wuth und den Ingrimm zu beschreiben, der das dunkelbraune Gesicht des Templers in diesem Augenblick noch dunkler machte. Schon faßten die Finger seiner rechten Hand zitternd nach dem Griff des Schwertes, doch bedachte er wohl, daß in dieser Umgebung eine Gewaltthat nicht gestattet sei. Cedric, der gerade und aufrichtig und fast immer nur von einem Gegenstande in Anspruch genommen war, bemerkte in der freudigen Aufwallung, in die ihn die Verkündigung des Ruhms seiner Landsleute versetzte, die Verwirrung und den Zorn seines Gastes nicht. »Ich wollte Dir dieses goldene Armband schenken, Pilger,« sagte [50] er, »wenn Du im Stande wärest, mir die Namen der Ritter zu nennen, die den Ruhm des fröhlichen England so tapfer aufrecht erhalten haben.«

»Das thue ich mit Vergnügen,« entgegnete der Pilger, »und zwar ohne Belohnung, denn für den Augenblick verbietet mir ein Gelübde, Gold anzurühren.«

»Ich will,« sagte Wamba, »das Armband statt Deiner tragen, wenn es Dir recht ist, Freund Pilger.«

»Der erste an Ehre wie in den Waffen, an Ruhm wie an Rang,« sagte der Pilger, »war der tapfere Richard, König von England.«

»Dafür verzeihe ich ihm seine Abkunft von dem tyrannischen Herzog Wilhelm,« sagte Cedric.

»Der Graf von Leicester war der zweite,« fuhr der Pilger fort, »Sir Thomas Multon von Gisland der dritte.«

»Der wenigstens ist ein Sachse!« sagte Cedric frohlockend.

»Sir Fulke Doilly der vierte,« fuhr der Pilger fort.

»Auch ein Sachse, wenigstens von mütterlicher Seite,« sagte Cedric wieder, der mit großer Theilnahme zugehört hatte und seinen Haß gegen die Normannen bei dem allgemeinen Triumph des Königs von England und seiner Insulaner vergaß. »Und wer war der fünfte?« sagte er.

»Der fünfte war Sir Edwin Turneham.«

»Ein echter Sachse, bei der Seele des Hengist!« rief Cedric frohlockend. – »Und der sechste?« fuhr er mit Lebhaftigkeit fort, »wie nennt Ihr den sechsten?«

»Der sechste?« sagte der Pilger nach einer Pause, während welcher er sich zu besinnen schien, »war ein junger Ritter von geringerem Ruhm und niedrigerem Rang, der in diese ehrenvolle Gesellschaft aufgenommen wurde, weniger um sie bei ihrem Unternehmen zu unterstützen, als um ihre Zahl vollständig zu machen, seines Namens entsinne ich mich nicht.«

»Herr Pilger,« sagte Sir Brian de Bois-Guilbert verächtlich, »diese angenommene Vergeßlichkeit kommt, nachdem Ihr Euch an so vieles erinnert habt, zu spät, um Eurem Zwecke zu entsprechen. [51] Ich selber will den Namen des Ritters nennen, dessen Lanze durch Zufall und den Fehler meines Pferdes mich zu Fall brachte, es war der Ritter Ivanhoe, auch war keiner unter den Sachsen, der im Vergleich mit seinen Jahren größeren Waffenruhm besaß. Doch dies verkünde ich laut: wäre er in England und wagte er, bei dem in dieser Woche stattfindenden Turnier die Forderung von St. Jean d'Acre zu wiederholen, so würde ich, beritten und bewaffnet, wie ich jetzt bin, ihm jeden Vortheil der Waffen zugestehen und den Ausgang dennoch ruhig abwarten.«

»Eure Forderung wäre leicht zu beantworten,« versetzte der Pilger, »wenn Euer Gegner nur nicht fern wäre. Wie die Sache jetzt steht, so erfüllt diese friedliche Halle nicht mit Prahlereien wegen des Ausganges eines Kampfes, der, wie Ihr wohl wißt, nicht stattfinden kann. Wenn Ivanhoe je aus Palästina zurückkehrt, so will ich Bürge sein, daß er sich stellt.«

»Ein trefflicher Bürge!« sagte der Tempelritter, »und welches Pfand bietet Ihr?«

»Diese Reliquie,« sagte der Pilger, indem er eine kleine elfenbeinerne Schachtel aus dem Busen zog und sich bekreuzte, »es ist ein Theil des wahren Kreuzes, vom Kloster des Berges Carmel mitgebracht.«

Der Prior von Jorvaulx bekreuzte sich und sprach ein Vaterunser, in welches alle bis auf den Juden, die Muhamedaner und den Templer andächtig einstimmten. Der letztere, ohne an sein Barett zu rühren oder die geringste Ehrfurcht vor der Heiligkeit der Reliquie zu bezeigen, nahm eine goldene Kette vom Halse, warf sie auf den Tisch und sagte: »Laßt Prior Aymer mein Pfand und das dieses namenlosen Landstreichers in Empfang nehmen, zum Zeichen, daß wenn der Ritter Ivanhoe ins Bereich der vier Seen von Britannien kommt, er der Forderung Brian de Bois-Guilberts unterliegt, und wenn er derselben nicht entspricht, so will ich ihn an jedem Hofe von Europa für einen Feigling erklären.«

»Es wird nicht nöthig sein,« sagte Lady Rowena, das Schweigen brechend, »meine Stimme soll gehört werden, wenn sich in dieser Halle keine andere für den abwesenden Ivanhoe erhebt. Ich versichere, daß er sich jeder ehrenvollen Forderung bereitwillig stellen wird. Könnte meine schwache Bürgschaft dem unschätzbaren [52] Pfande dieses frommen Pilgers noch größeres Gewicht verschaffen, so würde ich Namen und Ruf verpfänden, daß Ivanhoe diesem stolzen Ritter sich stellen wird, wie er es wünscht.«

Eine Menge streitender Gefühle schien Cedrics Brust zu erfüllen und ihn während dieser Verhandlung verstummen zu machen. Befriedigter Stolz, Zorn, Verlegenheit jagten abwechselnd über seine breite und offene Stirn, gleich den Schatten der Wolken, die über ein Erntefeld dahinziehn, während seine Diener, auf die der Name des sechsten Ritters eine fast elektrische Wirkung hervorzubringen schien, erwartungsvoll an den Blicken ihres Herrn hingen. Der Ton von Rowenas Stimme schien ihn aus seinem Schweigen zu wecken.

»Lady,« sagte Cedric, »das ziemt sich nicht; wäre noch ein weiteres Pfand nöthig, so würde ich selber meine Ehre für Ivanhoes Ehre verpfänden. Aber die Bürgschaft ist vollständig, selbst nach den phantastischen Bräuchen der normännischen Ritterschaft. Ist es nicht so, Pater Aymer?«

»Es ist so,« versetzte der Prior, »und die geheiligte Reliquie und die kostbare Kette will ich in der Schatzkammer unseres Klosters niederlegen bis zur Entscheidung dieser kriegerischen Forderung.«

Nach diesen Worten bekreuzte er sich wiederholt, machte viele Kniebeugungen, murmelte Gebete und übergab dann die Reliquie dem Bruder Ambrosius, seinem dienenden Mönche, während er selber die goldene Kette mit weniger Ceremonie, aber vielleicht mit nicht geringerer innerer Zufriedenheit aufnahm und in eine mit parfümirtem Leder gefütterte Tasche steckte, die sich unter seinem Arm öffnete. »Und nun, Sir Cedric,« sagte er, »meine Ohren läuten die Vesper in folge der Stärke Eures guten Weines; erlaubt uns, noch einen Becher auf das Wohlsein der Lady Rowena zu leeren, und gestattet uns dann, zur Ruhe zu gehen.«

»Bei dem Kreuze von Bromholme,« sagte der Sachse, »Ihr thut Eurem Rufe wenig Ehre, Herr Prior! Das Gerücht sagt, Ihr seid ein munterer Mönch, der die Mette läuten hört, ehe er den Humpen verläßt, und ich, alt wie ich bin, fürchtete, mich von Euch beschämt zu sehen. Aber, meiner Treu, ein Sachsenknabe von zwölf Jahren zu meiner Zeit würde nicht so früh seinen Becher verlassen haben.«

[53] Der Prior hatte jedoch seine eigenen Gründe, bei dem Princip der Mäßigkeit, welches er sich gesetzt, zu bleiben. Er war nicht nur ein Friedensstifter von Profession, sondern haßte auch alle Fehden und Zänkereien. Dies geschah nicht ausschließlich aus Liebe zu seinem Nächsten oder zu sich selber, sondern aus einer Mischung von beidem. Augenblicklich hatte er eine instinktmäßige Furcht vor dem heftigen Charakter des Sachsen und davor, daß der anmaßende und rücksichtslose Geist, von dem sein Gefährte schon so manche Proben gegeben, endlich eine unangenehme Explosion hervorbringen möchte. Er gab daher bescheiden zu, daß kein anderes Volk sich mit den abgehärteten Sachsen in den edlen Becherkampf einlassen könne, erwähnte auch flüchtig seinen heiligen Charakter und beharrte schließlich auf seinem Vorsatz, sich zur Ruhe zu begeben.

Demgemäß wurde der Schlaftrunk herumgereicht, und die Gäste standen, mit tiefen Verbeugungen gegen ihren Wirth und Lady Rowena, auf und zerstreuten sich in der Halle, während die Häupter der Familie sich durch besondere Thüren mit ihren Dienern entfernten.

»Ungläubiger Hund,« sagte der Templer zu dem Juden Isaak, als er in dem Gedränge an ihm vorbeikam, »ist es Deine Absicht, nach dem Turnier zu gehen?«

»Es ist meine Absicht,« erwiderte Isaak mit demüthiger Verbeugung, »mit Eurer Ehrwürden Erlaubniß, gestrenger Herr.«

»Ja,« sagte der Ritter, »um an den Eingeweiden unserer Edlen mit Wucher zu nagen und Weiber und Kinder mit Tand und Spielwerk zu betrügen; ich stehe dafür, Du hast einen reichen Vorrath von Geld in Deiner jüdischen Tasche.«

»Nicht einen Seckel, nicht einen Silberpfennig, nicht einen halben, so wahr mir der Gott Abrahams helfe!« sagte der Jude und schlug die Hände zusammen; »ich gehe nur, um den Beistand einiger Brüder meines Stammes zu suchen, daß sie mir helfen, die Steuer zu zahlen, die das Taxationsgericht mir aufgelegt hat. Vater Jakob stehe mir bei! Ich bin ein verarmter unglücklicher Mann. Selbst den Rockolor, den ich trage, habe ich mir geborgt, von Ruben von Tadcaster.«

[54] Der Tempelherr lächelte mürrisch und erwiderte: »Falschherziger Lügner!« Dann ging er verächtlich weiter und sprach mit seinen muhamedanischen Sklaven in einer Sprache, welche die Umstehenden nicht verstanden. Der arme Israelit schien von der Anrede des kriegerischen Mönchs so erschüttert, daß der Templer bereits bis ans Ende der Halle gegangen war, ehe er den Kopf aus der demüthigen Stellung erhob, die er angenommen hatte. Und als er endlich aufsah, geschah es mit der Miene eines Menschen, zu dessen Füßen der Blitz eingeschlagen und in dessen Ohren der Donner noch nachtönt.

Der Templer und der Prior wurden bald darauf von dem Haushofmeister und dem Mundschenk, jeder von zwei Fackelträgern und zwei Dienern, die Erfrischungen trugen, begleitet, in ihre Schlafgemächer geführt, während Diener niedrigeren Ranges ihrem Gefolge und den anderen Gästen ihre verschiedenen Ruhebetten anwiesen.

6. Kapitel

[55] Kapitel VI.

Ihm zu Gefallen biet ich diesen Dienst;

Wenn er ihn annimmt, gut, wo nicht, lebt wohl

Und, bitt euch, kränkt mich nicht für meine Liebe


Der Kaufmann von Venedig.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe Bd. IV, S. 274.)


Als der Pilger, dem ein Diener mit einer Fackel leuchtete, durch die verwickelten Gemächer dieses großen unregelmäßigen Hauses schritt, kam ihm der Mundschenk nach und flüsterte ihm ins Ohr, daß, wenn er nichts dagegen hätte, einen Becher guten Meth auf seinem Zimmer zu trinken, dort viele von den Dienern der Familie versammelt und begierig wären, die Nachrichten zu hören, die er aus dem gelobten Lande bringe, und vorzüglich das, was den Ritter Ivanhoe betreffe. Wamba zeigte sich ebenfalls sogleich, um ihm dieselbe Bitte vorzutragen, indem er die Bemerkung hinzufügte, ein Becher nach Mitternacht sei eben so gut, als drei nach der Abendglocke. Ohne eine Maxime zu bestreiten, die mit so ernster Wichtigkeit vorgetragen wurde, dankte ihnen der Pilger für ihre Höflichkeit, setzte aber hinzu, es gehöre mit zu seinem religiösen Gelübde, niemals in der Küche von Gegenständen zu reden, die in der Halle verboten wären.

»Dieses Gelübde,« sagte Wamba zu dem Mundschenk, »würde für einen Diener kaum passen.«

Der Mundschenk zuckte unwillig mit den Schultern. »Ich hatte die Absicht, ihm ein hübsches Zimmer anzuweisen,« sagte er, »doch da er so ungefällig gegen Christen ist, so mag er in dem nächsten Loch neben dem Juden Isaak schlafen. Anwold,« setzte er, zu dem [56] Fackelträger gewendet, hinzu, »führe den Pilger in die südliche Zelle. Ich wünsche Euch gute Nacht, Herr Pilger,« fügte er bei, »und wenig Dank für Eure kurze Höflichkeit!«

»Gute Nacht, und den Segen unserer heiligen Jungfrau!« sagte der Pilger mit Fassung, und sein Führer ging weiter.

In einem kleinen Vorzimmer, in das mehrere Thüren führten, und welches von einer kleinen eisernen Lampe erleuchtet war, wurden sie zum zweiten Male unterbrochen, und zwar durch die erste Zofe der Lady Rowena, die in gebietendem Tone sagte, daß ihre Herrin mit dem Pilger zu sprechen wünsche, worauf sie Anwold die Fackel aus der Hand nahm und dem Pilger ein Zeichen gab, ihr zu folgen. Anscheinend hielt dieser es nicht für passend, diese Einladung abzulehnen wie die frühere; denn wenn auch seine Geberde einiges Erstaunen darüber ausdrückte, so gehorchte er doch ohne Antwort oder Einwendung.

Ein kurzer Gang und eine Treppe von sieben Stufen, aus festem Eichenholz gearbeitet, führte zu dem Zimmer der Lady Rowena, dessen rohe Pracht der Achtung angemessen war, die der Herr des Hauses der Bewohnerin zollte. Die Wände waren mit gestickten Teppichen behängt, auf denen in verschiedenfarbiger Seide mit Gold- und Silberfäden durchwebt und mit aller Kunst, deren jenes Zeitalter fähig war, Scenen der Jagd und der Falkenbeize dargestellt waren. Das Bett war mit denselben reichen Teppichen geschmückt und mit purpurnen Vorhängen umgeben. Auch die Sessel hatten gestickte Ueberzüge, von denen einer, höher als die übrigen, mit einem Fußschemel von künstlich ausgeschnitztem Elfenbein versehen war. Nicht weniger als vier silberne Candelaber, auf denen große Wachskerzen brannten, dienten zur Beleuchtung dieses Zimmers. Doch möge keine heutige Schöne die angelsächsische Prinzessin um ihre Pracht beneiden. Die Wände des Zimmers waren so unvollkommen und so voll Spalten, daß die reichen Behänge von dem Nachtwinde bewegt wurden, und trotz einer Art von Schirm, der sie vor dem Winde schützen sollte, bewegten sich die Flammen der Kerzen seitwärts, gleich dem Fähnchen eines Häuptlings. Pracht herrschte hier zwar, mit rohem Geschmack verbunden, aber für die Bequemlichkeit war nicht gesorgt, und da diese unbekannt war, vermißte man sie auch nicht.

[57] Die Lady Rowena saß auf dem erhöhten Sitze, den wir bereits erwähnten, drei Dienerinnen standen hinter ihr, um ihr Haar zu ordnen, ehe sie sich zur Ruhe legte, und sie sah aus, als sei sie geboren, um allgemeine Huldigung zu fordern. Der Pilger erkannte ihren Anspruch auf dieselbe durch eine tiefe Kniebeugung an.

»Steht auf, Pilger,« sagte sie mit Anmuth. »Der Vertheidiger der Abwesenden hat ein Anrecht an günstige Aufnahme von allen, welche Wahrheit ehren und Mannheit schätzen.« Dann sagte sie zu ihrem Gefolge: »Zieht euch alle zurück außer Elgitha; ich habe mit diesem heiligen Pilger zu reden.«

Ohne das Zimmer zu verlassen, zogen sich die Mädchen in den äußersten Winkel desselben zurück und setzten sich auf eine kleine Bank an der Wand nieder, wo sie stumm wie Statuen sitzen blieben.

»Pilgrim,« sagte die Dame nach einer kurzen Pause, während welcher sie ungewiß schien, wie sie ihn anreden solle, »Ihr erwähntet heute Abend einen Namen, ich meine,« sie sprach diese Worte mit einer gewissen Anstrengung, »den Namen Ivanhoe in der Halle, in der er in Folge der Natur und Verwandtschaft am willkommensten hätte klingen sollen, und doch ist der Gang des Schicksals so wunderlich, daß von vielen, deren Herzen bei diesem Tone höher ge schlagen haben müssen, ich allein es wage, Euch zu fragen, wo und in welcher Lage Ihr den Erwähnten verlassen habt? Wir hörten, daß er wegen seiner geschwächten Gesundheit nach dem Abzuge der englischen Armee in Palästina geblieben sei und die Verfolgung der französischen Partei erfahren habe, welcher bekanntlich die Tempelherren zugethan sind.«

»Ich weiß wenig von Ritter Ivanhoe,« antwortete der Pilger mit bewegter Stimme. »Ich wollte, ich kennte ihn besser, da Ihr, Fräulein, Antheil an seinem Schicksal nehmt. Ich glaube, er hat die Verfolgung seiner Feinde in Palästina überwunden und ist im Begriff, nach England zurückzukehren, wo Ihr, mein Fräulein, besser wissen müßt als ich, wie sein Schicksal ausfallen wird.«

Lady Rowena seufzte tief und fragte genauer, wann man den Ritter Ivanhoe in seinem Vaterlande zurückerwarten könne, und ob er unterwegs nicht vielleicht großen Gefahren ausgesetzt sei. Ueber den ersten Punkt, sagte der Pilger, sei er in Unkenntniß, hinsichtlich des zweiten meinte er, daß die Reise über Venedig und [58] Genua und von dort über Frankreich nach England mit Sicherheit gemacht werden könne. »Ivanhoe,« fuhr er fort, »war so wohl bekannt mit der Sprache und den Sitten der Franzosen, daß man nicht zu fürchten hat, es werde ihm auf diesem Theil seiner Reise ein Unheil widerfahren.«

»Wollte Gott,« sagte Rowena, »er wäre erst wohlbehalten hier angekommen, und im Stande, im bevorstehenden Turnier die Waffen zu führen, wo die Ritterschaft dieses Landes ihre Geschicklichkeit und Tapferkeit zeigen will. Sollte Athelstane von Coningsburgh den Preis erhalten, so möchte Ivanhoe schlimme Nachrichten hören, wenn er nach England gelangt. Wie sah er aus, Fremdling, als Ihr ihn zuletzt sahet? Hatte die Krankheit seiner Kraft und Schönheit sehr geschadet?«

»Er war schwärzer und hagerer, als da er im Gefolge Richard des Löwenherzigen von Cypern kam,« sagte der Pilger, »und die Sorge schien schwer auf seine Stirn zu drücken, doch ich kam ihm nicht nahe, weil er mir unbekannt ist.«

»Er wird wenig in seinem Vaterlande finden,« sagte die Dame »was diese Wolken von seiner Stirn zu verscheuchen vermag. Dank, guter Pilger, für Eure Nachricht über den Gefährten meiner Kindheit. [59] Mädchen,« sagte sie, »kommt näher, reicht diesem heiligen Manne den Schlaftrunk; ich will ihn nicht länger seiner Ruhe berauben.«

Das eine der Mädchen reichte ihr einen silbernen Becher, der eine köstliche Mischung von Wein und Gewürz enthielt, den Rowena nur an ihre Lippen setzte. Hierauf wurde er dem Pilger angeboten, der nach einer tiefen Verbeugung einige Tropfen kostete.

»Nimm dieses Almosen, Freund,« fuhr die Dame fort, indem sie ihm ein Goldstück reichte, »als Anerkennung für Deine mühevolle Reise und den Besuch der Heiligthümer, die Du gesehen.«

Der Pilger empfing die Gabe mit einer zweiten tiefen Verbeugung und folgte Edwina aus dem Zimmer.

In dem Vorzimmer fand er seinen Begleiter Anwold, der der Zofe die Fackel aus der Hand nahm und ihn mit mehr Hast als Ceremonie in den äußern und rohen Theil des Gebäudes führte, wo eine Anzahl kleiner Gemächer oder vielmehr Zellen dem untergeordneten Gesinde und Fremden niedern Ranges als Schlafgemächer dienten.

»In welcher Zelle schläft der Jude?« fragte der Pilger.

»Der ungläubige Hund,« antwortete Anwold, »herbergt in der Eurer Heiligkeit zunächst liegenden. – Heiliger Dunstan, wie wird sie gescheuert und gereinigt werden müssen, ehe sie wieder für einen Christen taugt!«

»Und wo schläft Gurth, der Schweinehirt?« fragte der Fremde weiter.

»Gurth,« versetzte der Diener, »schläft zu Eurer Rechten, der Jude zu Eurer Linken, Ihr dient dazu, ihn vor der Verunreinigung durch dieses Kind der Beschneidung zu schützen. Ihr würdet ein ehrenvolleres Quartier erhalten haben, hättet Ihr Oswalds Einladung angenommen.«

»Es ist gut so,« sagte der Pilger, »die Gesellschaft selbst eines Juden kann ihre Ansteckung doch schwerlich durch eine eichene Wand verbreiten.«

Mit diesen Worten trat er in das für ihn bestimmte Gemach, nahm dem Diener die Fackel ab, dankte ihm und wünschte ihm gute Nacht.

Nachdem er die Thür seiner Zelle verriegelt hatte, steckte er die Fackel in den hölzernen Leuchter und sah sich in seinem Schlafgemach um, dessen Mobiliar von der einfachsten Art war. Es [60] enthielt einen rohen hölzernen Stuhl und ein noch roheres Bettgestell, mit reinem Stroh gefüllt und mit zwei oder drei Schaffellen statt der Bettdecke versehen.

Nachdem der Pilger seine Fackel ausgelöscht hatte, warf er sich, ohne eines seiner Kleidungsstücke abzulegen, auf sein rohes Lager und schlief oder blieb wenigstens in liegender Stellung, bis der erste Sonnenstrahl den Weg durch das kleine vergitterte Fenster fand, welches der Luft ebensowohl wie dem Licht zum Eingang diente. Dann sprang er auf, verrichtete sein Morgengebet, und nachdem er seine Kleidung in Ordnung gebracht, verließ er sein Gemach und trat in das des Juden Isaak, den Riegel so leise als möglich aufhebend.

Der Bewohner desselben lag in unruhigem Schlummer auf einem Lager, ähnlich dem, auf welchem der Pilger die Nacht zugebracht hatte. Die Kleidungsstücke, welche der Jude am vergangenen Abend von sich gethan, hatte er sorgfältig um sich herum gelegt, als wollte er verhindern, daß man sie ihm während des Schlafes stehle. Auf seinem Gesichte zeigte sich eine Unruhe, die beinahe Todesangst ausdrückte, Arme und Hände regten sich gewaltsam, als kämpfe er gegen den Alp, und außer einigen hebräischen Ausrufungen konnte man sehr deutlich die Worte vernehmen: »Um des Gottes Abrahams willen verschont einen armen, unglücklichen, alten Mann! Ich habe keinen Pfennig, und wenn Ihr mir mit Eurem Eisen alle Glieder verrenkt, ich kann Euch doch nichts geben!«

Der Pilger wartete nicht das Ende der Vision ab, sondern weckte den Juden mit seinem Stabe. Diese Berührung verknüpfte sich, wie es zu geschehen pflegt, mit den Befürchtungen, die der vorhergehende Traum erzeugt hatte, denn der Alte sprang auf, sein graues Haar sträubte sich empor, und indem er einige Kleidungsstücke um sich herumschlug und die abgelegten Stücke mit dem gierigen Griffe eines Falken faßte, heftete er seine stieren schwarzen Augen mit dem Ausdruck wahnsinnigen Schreckens und tödtlicher Furcht auf den Pilger.

»Ihr habt nichts von mir zu fürchten, Isaak,« sagte dieser, »ich komme als Euer Freund.«

[61] »Der Gott Israels lohn es Euch,« entgegnete der Jude, sehr beruhigt, »ich träumte – aber Vater Abraham sei gelobt, es war nur ein Traum.« Dann faßte er sich und fügte in seinem gewöhnlichen Tone hinzu: »Was beliebt Euch denn, zu einer so frühen Stunde von dem armen Juden zu verlangen?«

»Ich wollte Euch bloß melden,« sagte der Pilger, »daß, wenn Ihr nicht augenblicklich dieses Haus verlaßt und schnell von dannen zieht, die Reise Euch gefährlich werden kann.«

»Heiliger Vater,« erwiderte der Jude, »wer kann denn einen armen Juden in Gefahr bringen wollen?«

»Das mögt Ihr selbst errathen,« antwortete der Pilger, »aber so viel ist gewiß, daß, als gestern der Templer aus der Halle schritt, er zu seinen Türkensklaven in saracenischer Sprache, die ich sehr gut verstehe, sagte, sie sollten dem Juden morgen unterwegs in einiger Entfernung von diesem Hause aufpassen, ihn ergreifen und ihn auf das Schloß des Philipp de Malvoisin oder des Reginald Front de Boeuf bringen!«

Der Schreck, der sich jetzt des Juden bemächtigte und alle seine Glieder zu lähmen schien, war nicht zu beschreiben. Die Arme fielen ihm kraftlos herab, der Kopf sank auf die Brust, die Kniee bogen sich unter der Last des Körpers, jeder Nerv und Muskel seiner Gestalt schien ihm den Dienst zu versagen, so sank er dem Pilger zu Füßen, gleich einem, der von unsichtbarer Gewalt niedergeworfen wird und keines Widerstandes fähig ist.

»Heiliger Gott Abrahams!« rief er endlich aus, indem er seine runzeligen Hände gefaltet emporhielt, ohne jedoch das graue Haupt vom Boden zu erheben. »O heiliger Moses! O gesegneter Aaron! ich habe doch nicht ohne Grund geträumt! Schon fühle ich ihre Eisen meine Sehnen zerreißen, ihre Folterzangen über meinen Körper gehen, wie die Sägen, Eggen und Schneiden über die Männer von Rabbach und die Städte der Ammoniter.«

»Steh auf, Isaak!« sagte der Pilger, der die Angst des Juden mit einer Mischung von Mitleid und Verachtung betrachtete, »steh auf und höre mich an! Du hast freilich alle Ursache zu erschrecken, wenn Du bedenkst, wie Fürsten und Edle Deine Brüder behandelt haben, um von ihnen Schätze zu erpressen, aber stehe auf, ich will Dir das Mittel zeigen, zu entkommen. Verlaß das Haus augenblicklich, [62] während die Bewohner desselben noch im festen Schlafe liegen. Ich führe Dich auf geheimen Pfaden, die mir so bekannt sind, wie dem Jäger dieser Forste, durch den Wald, und werde Dich nicht eher verlassen, als bis ich Dich unter dem Schutze eines Ritters oder Barons weiß, der zum Turniere zieht, und dessen guten Willen zu gewinnen Du wahrscheinlich die Mittel besitzest.«

Als Isaak von der Hoffnung zu entkommen hörte, fing er an, sich allmählich vom Boden zu erheben, bis er endlich gerade auf seinen Füßen stand. Er strich das lange, graue Haar und den grauen Bart zurück und heftete seine stieren schwarzen Augen fest auf den Pilger, mit einem Blicke, in welchem sich Hoffnung und Furcht mit einer Mischung von Argwohn zeigten. Als er aber den Schluß der obigen Rede vernahm, schien sein ursprünglicher Schreck mit aller Gewalt zurückzukehren, er fiel noch einmal auf sein Antlitz und rief aus: »Ich die Mittel besitzen, den guten Willen zu gewinnen! Es gibt ja nur einen Weg zur Gunst eines Christen, und wie kann den ein armer Jude finden, den die Erpressungen schon oft zum Elende eines Lazarus gebracht haben?« Dann rief er plötzlich aus, als hätte der Argwohn alle anderen Empfindungen in ihm unterdrückt: »Um Gottes willen, junger Mann, täuscht mich nicht! Um des großen Vaters willen, der uns alle geschaffen hat, Heiden und Israeliten und Ismaeliten, sinnet Ihr keinen Verrath? Ich habe durchaus keine Mittel, den guten Willen auch nur eines christlichen Bettlers zu belohnen, und schlüge er den Werth desselben bloß zu einem Pfennig an.« Bei diesen Worten stand er auf und faßte des Pilgers Mantel mit dem Ausdruck der dringendsten Bitte an. Der Pilger aber machte sich los, als läge Verunreinigung in dieser Berührung.

»Und wärest Du mit allen Schätzen Deines Stammes beladen,« sagte er, »was hülfe es mir, Dich zu plündern? In diesem Gewande bin ich der Armuth geweiht, und ich vertausche es um nichts als um ein Roß und einen Panzer. Glaube nicht, daß mir an Deiner Gesellschaft liegt, oder daß ich mir Vortheil davon verspreche, bleib meinetwegen hier und laß Dich von Cedric dem Sachsen beschützen.«

»Ach!« sagte der Jude, »er wird mir nicht erlauben, in seiner Begleitung zu reisen, Sachse und Normann schämen sich gleich sehr [63] eines armen Israeliten! Und allein durch das Gebiet Philipp de Malvoisins und Reginald Front de Boeufs zu wandern! Ach, guter Jüngling, ich will mit Euch ziehen! Laßt uns eilen, laßt uns unsere Lenden gürten, laßt uns fliehen! – Hier ist Dein Stab, warum zögerst Du?«

»Ich zögere nicht,« sagt der Pilger, der den dringenden Bitten seines Gefährten nachgab; »doch muß ich mir die Mittel sichern, diesen Ort zu verlassen, folge mir!«

Er begab sich nun sogleich zur anstoßenden Zelle, in welcher, wie der Leser schon weiß, Gurth, der Schweinehirt, schlief. »Steh auf, Gurth!« sagte der Pilger zu ihm, »öffne die Hinterpforte und laß mich und den Juden hinaus!«

Gurth, dem seine Beschäftigung, die heut zu Tage sehr gering geachtet wird, im sächsischen England ebenso große Bedeutung verlieh, wie dem Eumäus in Ithaka, fühlte sich durch den vertraulichen und befehlenden Ton, den der Pilger annahm, beleidigt. »Den Juden aus Rotherwood lassen,« sagte er, indem er sich auf den Ellbogen stützte und ihn mit hochmüthigem Blick ansah, ohne sein Lager zu verlassen, »und noch außerdem, um mit dem Pilger zu reisen?«

»Ich wäre ebenso leicht auf den Gedanken gekommen,« sagte Wamba, der in diesem Augenblick in das Gemach trat, »daß er sich mit einem Schweineschinken fortschleichen würde.«

»Gleichwohl,« sagte Gurth, indem er seinen Kopf wieder auf den Holzblock niederlegte, der ihm als Kopfkissen diente, »müssen sich Jude und Christ so lange gedulden, bis das große Thor geöffnet wird, wir geben nicht zu, daß Gäste zu so ungewöhnlicher Stunde insgeheim abreisen.«

»Gleichwohl,« sagte der Pilger in gebietendem Tone, »werdet Ihr mir, denke ich, diese Gefälligkeit nicht abschlagen.«

Bei diesen Worten beugte er sich über das Bett des ruhenden Schweinehirten und flüsterte ihm einige sächsische Worte ins Ohr. Gurth sprang auf, wie elektrisirt. Der Pilger erhob seinen Finger mit einem Ausdruck, der dem anderen Vorsicht anbefahl, und setzte hinzu: »Gurth, beó vär! nimm Dich in Acht, Du pflegtest klug zu sein. Ich sage, öffne die Hinterpforte – Eála! Du sollst sogleich mehr hören.«

[64] Mit hastiger Lebhaftigkeit gehorchte Gurth, während Wamba und der Jude folgten, beide verwundert über die plötzliche Veränderung in dem Benehmen des Schweinehirten.

»Mein Maulthier, mein Maulthier!« rief der Jude, als sie sich schon außerhalb des Hinterpförtchens befanden.

»Hole ihm sein Maulthier,« sagte der Pilger, »und höre, bringe auch mir eins, damit ich ihn begleiten kann, bis er aus dieser Gegend fort ist; ich werde es wohlbehalten zu Ashby einem von Cedrics Knechten übergeben. Und Du beó hŷre, horch auf!« Das Uebrige flüsterte er Gurth ins Ohr.

»Gern, sehr gern soll es geschehen,« sagte Gurth und entfernte sich sogleich, um den Auftrag auszurichten.

»Ich wollte, ich wüßte, was Ihr Pilger im gelobten Lande lernt,« sagte Wamba, als sein Kamerad den Rücken gewendet hatte.

»Unsere Gebete hersagen, Narr,« antwortete der Pilger, »unsere Sünden bereuen und uns mit Fasten, Nachtwachen und langen Gebeten kasteien.«

»Wohl noch etwas Kräftigeres als das,« antwortete der Possenreißer, »denn wie würde Reue und Gebet unsern Gurth bewegen, jemand eine Gefälligkeit zu erweisen, oder Fasten und Wachen ihn überreden, Euch ein Maulthier zu leihen? Wahrhaftig, Ihr hättet ebenso gut seiner schwarzen Lieblingssau von Wachen und Buße vorsprechen können und würdet eine ebenso höfliche Antwort erhalten haben.«

»Geh,« sagte der Pilger, »Du bist nur ein sächsischer Narr.«

»Richtig gesprochen,« sagte der Possenreißer, »wäre ich ein geborner Normann, wie Du zu sein scheinst, so wäre das Glück auf meiner Seite, und ich nahe daran gewesen, ein weiser Mann zu werden.«

In diesem Augenblick erschien Gurth auf der andern Seite des Schloßgrabens mit den Maulthieren. Die Reisenden gingen über eine Zugbrücke, die nur zwei Planken breit war und dem engen Hinterthor, sowie dem kleinen Pförtchen in den äußern Pallisaden gegenüber lag, das sich nach dem Walde zu öffnete. Sobald sie die Maulthiere erreicht hatten, band der Jude mit hastigen und zitternden Händen hinten am Sattel einen kleinen Sack von blauer Leinwand fest, den er unter seinem Mantel hervorzog, und [65] der, wie er murmelnd sagte, »weiße Wäsche – nur weiße Wäsche« enthalte. Dann schwang er sich mit mehr Geschicklichkeit und Hast auf sein Thier, als man von seinen Jahren hätte erwarten sollen, und verlor keine Zeit, sein Obergewand so zu ordnen, daß sein Packet, welches sich hinter ihm besand, von demselben ganz bedeckt wurde.

Der Pilger stieg mit größerer Ueberlegung auf und reichte Gurth beim Scheiden die Hand, die derselbe mit der größten Verehrung küßte. Er blieb stehen und blickte den Fremden nach, bis sie sich unter den Büschen des Waldweges verloren, und er durch Wambas Stimme aus seiner Träumerei geweckt wurde.

»Weißt Du,« sagte der Possenreißer, »Freund Gurth, daß Du auffallend höflich und ganz ungewöhnlich fromm an diesem Sommermorgen bist? Ich wollte, ich wäre ein schwarzer Prior oder ein barfüßiger Pilger, um mich Deines ungewohnten Eifers und Deiner Höflichkeit erfreuen zu können, gewiß, es käme für mich mehr dabei heraus als ein Handkuß.«

»Du bist insofern kein Narr, Wamba,« antwortete Gurth, »obgleich Du nach dem Augenschein urtheilst, und der weiseste von uns kann nicht mehr thun. Aber es ist Zeit, nach meinen Schweinen zu sehen.«

Mit diesen Worten wandte er sich um und schritt, von dem Narren begleitet, nach dem Hause zurück.

Mittlerweile setzten die Reisenden ihren Weg mit einer Eile fort, die die große Furcht des Juden erkennen ließ, da Leute seines Alters selten die rasche Bewegung lieben. Der Pilger, dem jeder Pfad und Ausgang des Waldes bekannt zu sein schien, wählte die unwegsamsten Gegenden und erregte mehr als einmal von neuem den Verdacht des Israeliten, daß er die Absicht habe, ihn zu irgend einem Hinterhalt seiner Feinde zu führen.

Man konnte ihm in der That seinen Zweifel verzeihen; denn etwa mit Ausnahme des fliegenden Fisches gab es kein Geschlecht auf Erden, in der Luft oder im Wasser, welches der Gegenstand so unausgesetzter, allgemeiner und unversöhnlicher Verfolgung war als die Juden zu jener Zeit. Unter den nichtigsten und unvernünftigsten Vorwänden, auf die unsinnigsten und grundlosesten Anklagen hin war ihre Person und ihr Eigenthum der Wuth des Volkes ausgesetzt; Normannen, Angelsachsen, Dänen und Britten, so feindlich gesinnt [66] auch diese Völkerstämme gegen einander waren, wetteiferten, wer von ihnen ein Volk mit größerer Verachtung behandeln könne, das zu hassen, zu schmähen, zu erniedrigen, zu plündern und zu verfolgen man als eine Forderung der Religion ansah. Die Könige des normännischen Stammes und die unabhängigen Edlen, welche ihrem Beispiel in allen Handlungen der Tyrannei folgten, wendeten gegen dieses fromme Volk eine regelmäßigere, eigennützigere und berechnetere Art der Verfolgung an. Die Geschichte erzählt von König Johann, daß er einen reichen Juden in einem seiner königlichen Schlösser gefangen hielt und ihm täglich einen Zahn ausziehen ließ, bis der unglückliche Israelit endlich, als seine Kinnbacken halb zahnlos waren, einwilligte, eine große Summe zu zahlen, die der Tyrann von ihm erpressen wollte. Das wenige baare Geld, welches sich im Lande befand, war größtentheils im Besitz dieses verfolgten Volkes, und der Adel trug kein Bedenken, dem Beispiel seines Oberherrn zu folgen und es ihnen durch jede Art des Druckes, ja selbst durch Anwendung der Tortur zu entreißen. Doch der passive Muth, den die Gewinnsucht den Juden einflößte, setzte sie in den Stand, die verschiedenen Leiden, denen sie unterworfen waren, aus Rücksicht auf die großen Schätze zu trotzen, die sie in einem von Natur so reichen Lande wie England zu sammeln vermochten. Ungeachtet jede Art der Entmuthigung und das bereits erwähnte Taxationsgericht, welches den Zweck hatte, sie zu plündern und zu ruiniren, sammelten die Juden ungeheure Summen, die sie durch Wechsel unter sich in Umlauf zu setzen wußten. Diese Erfindung, die der Handel, wie man sagt, ihnen verdankt, setzte sie in den Stand, ihren Reichthum von einem Orte zum andern zu übertragen, damit, wenn sie in dem einen Lande mit Verfolgung bedroht würden, ihre Schätze in einem andern sicher wären.

Als die Reisenden manchen unwegsamen Pfad durcheilt hatten, brach endlich der Pilger das Schweigen.

»Jene alte Eiche,« sagte er, »bezeichnet die Grenze des Gebiets, das Front de Boeuf sich anmaßt, wir haben das des Malvoisin längst überschritten. Jetzt ist keine Verfolgung mehr zu fürchten.«

[67] »Mögen die Räder von ihren Wagen abfallen,« sagte der Jude, »gleich denen im Heere Pharaos, damit sie schwer von der Stelle kommen! – Aber verlaßt mich nicht, guter Pilger, denkt nur an den wilden und zornigen Templer mit seinen Saracenensklaven, sie werden weder Gebiet noch Herrenhaus noch Oberhoheit achten.«

»Unser Weg sollte sich hier trennen,« sagte der Pilger, »denn es ziemt sich nicht für Männer meines und Deines Charakters, länger als nöthig ist zusammen zu reisen. Ueberdies, welchen Beistand könntest Du von mir, einem friedlichen Pilger, gegen zwei bewaffnete Heiden erwarten?«

»O guter Jüngling,« antwortete der Jude, »Du kannst mich vertheidigen, und ich weiß, Du würdest es thun. So arm ich bin, will ich Dir lohnen, nicht mit Geld, denn Geld, so wahr mir mein Vater Abraham helfe, besitze ich nicht, aber –«

»Ich habe Dir bereits gesagt, ich verlange weder Geld noch Belohnung,« sagte der Pilger, ihn unterbrechend. »Führen kann ich Dich und vielleicht auch einigermaßen vertheidigen, da es wohl nicht eines Christen unwürdig erachtet werden kann, einen Juden gegen einen Saracenen zu schützen. Daher, Jude, will ich Dich sicher unter passendem Geleit lassen. Wir sind jetzt nicht weit von der Stadt Sheffield entfernt, wo Du leicht Leute Deines Stammes finden wirst, bei denen Du Zuflucht suchen kannst.«

»Der Segen Jakobs über Dich, guter Jüngling!« sagte der Jude, »in Sheffield kann ich bei meinem Vetter Zareth Unterkommen und Mittel finden, in Sicherheit weiter zu reisen.«

»Sei es so,« sagte der Pilger, »zu Sheffield trennen wir uns also, und in einer halben Stunde werden wir die Stadt zu Gesicht bekommen.«

Diese halbe Stunde wurde von beiden Seiten in vollkommenem Schweigen hingebracht, da der Pilger den Juden aus Verachtung nicht anders als im äußersten Nothfalle anredete, und der Jude keine Unterredung mit einem Manne erzwingen wollte, dessen Reise nach dem gelobten Lande seinem Charakter eine gewisse Heiligkeit verlieh. Auf einer kleinen Erhöhung hielten sie an. Der Pilger zeigte ihm die Stadt Sheffield, die zu ihren Füßen lag, und wiederholte die Worte: »Hier trennen wir uns also.«

[68] »Nicht eher, als bis Ihr des armen Juden Dank empfangen habt,« sagte Isaak, »denn ich nehme mir nicht heraus, Euch zu bitten, mit mir in das Haus meines Vetters Zareth zu treten, der mich mit einigen Mitteln versehen könnte, Eure guten Dienste zu vergelten.«

»Ich habe bereits gesagt,« antwortete der Pilger, »daß ich keine Vergeltung wünsche. Wenn Du unter der großen Liste Deiner Schuldner um meinetwillen einen unglücklichen Christen, der in Deiner Gewalt ist, mit Fesseln und Gefängniß verschonen willst, so werde ich den Dienst, den ich Dir diesen Morgen erwiesen, für reich belohnt halten.«

»Halt, halt,« sagte der Jude, indem er sein Gewand ergriff, »etwas mehr noch möchte ich thun als das, etwas für Dich selbst. Gott weiß, der Jude ist arm, ja, Isaak ist der Bettler seines Stammes, aber vergib mir, wenn ich errathe, was Du in diesem Augenblick am meisten bedarfst.«

»Solltest Du auch richtig rathen,« sagte der Pilger, »so ist es doch etwas, was Du mir nicht verschaffen kannst, und wärest Du eben so reich, als Du arm zu sein behauptest.«

»Als ich behaupte?« wiederholte der Jude. »O, glaube mir, ich sage nur die Wahrheit, ich bin ein geplünderter, verschuldeter, unglücklicher Mann. Harte Hände haben mir meine Güter entrissen, mein Geld, meine Schiffe und alles was ich besaß, aber ich kann Dir sagen, was Du bedarfst, und es Dir vielleicht auch beschaffen. Dein Wunsch geht jetzt auf ein Pferd und eine Rüstung.«

Der Pilger stutzte und wandte sich plötzlich zu dem Juden. »Welcher Teufel gab Dir diese Vermuthung ein?« sagte er hastig.

»Darauf kommt es nicht an, wenn sie nur zutrifft,« sagte der Jude lächelnd, »und so wie ich Dein Bedürfniß errathen habe, kann ich es auch befriedigen.«

»Aber bedenke meinen heiligen Charakter, meine Kleidung, mein Gelübde,« sagte der Pilger.

»Ich kenne euch Christen,« versetzte der Jude, »und weiß daß die Edelsten von euch aus abergläubischer Bußübung Stab und Sandalen nehmen und zu Fuße gehen, um die Gräber todter Menschen zu besuchen.«

»Lästere nicht, Jude!« sagte der Pilger streng.

[69] »Vergebt mir,« sagte der Jude, »ich sprach unüberlegt. Aber gestern Abend und diesen Morgen kamen Worte von Euren Lippen, die wie Funken vom Stein das echte Metall drinnen zeigten und im Busen jenes Pilgergewandes sind eine Ritterkette und die goldenen Sporen verborgen. Sie blinkten hervor, als Ihr Euch diesen Morgen über mein Bett neigtet.«

Der Pilger konnte sich des Lächelns nicht erwehren. »Würden Deine Kleider mit ebenso neugierigen Blicken durchsucht, Isaak« sagte er, »welche Entdeckungen würde man da wohl machen?«

»Nichts mehr davon,« sagte der Jude, die Farbe verändernd; darauf zog er hastig sein Schreibzeug hervor, als wollte er die Unterredung unterbrechen, und begann auf einem Stück Pergament zu schreiben, welches er auf seine gelbe Mütze gelegt hatte, ohne daß er zuvor von seinem Maulthiere herabgestiegen wäre. Als er damit zu Ende war, übergab er dem Pilger das Blatt, auf das er einige hebräische Schriftzüge gezeichnet, und sagte: »In der Stadt Leicester kennt jedermann den reichen Juden Kirjath Jairam aus der Lombardei; gib ihm dieses Blatt, er hat sechs mailändische [70] Rüstungen zu verkaufen, von denen die schlechteste für ein gekröntes Haupt passen würde, zehn herrliche Rosse, von denen das schlechteste ein König besteigen könnte, sollte er auch um seinen Thron kämpfen. Unter diesen wird er Dir die Wahl lassen und Dir alles gewähren, was Du zu dem Turniere brauchst. Wenn es vorbei ist, gibst Du alles unbeschädigt zurück, wenn Du nicht vielleicht dem Besitzer den Werth dafür zahlst.«

»Aber Isaak,« sagte der Pilger lächelnd, »weißt Du auch, daß bei solchen Waffenspielen die Rüstung und das Roß des Ritters, der aus dem Sattel gehoben wird, dem Sieger gehören? Nun kann ich ja unglücklich sein und so verlieren, was ich nicht ersetzen oder bezahlen kann.«

Der Jude wurde etwas bestürzt bei dieser Möglichkeit, faßte aber Muth und erwiderte hastig: »Nein, nein, nein, es ist unmöglich, ich will es nicht denken. Der Segen unseres Vaters wird auf Dir ruhen. Deine Lanze wird so mächtig sein wie der Stab des Moses.«

Mit diesen Worten wendete er sein Maulthier herum, während der Pilger seinerseits sein Gewand ergriff. »Nein, aber Isaak, Du kennst nicht die ganze Gefahr. Das Roß kann getödtet, die Rüstung beschädigt werden, denn ich werde weder Roß noch Reiter schonen. Ueberdies geben die Leute Deines Stammes nichts für nichts, es muß doch etwas für den Gebrauch gezahlt werden.«

Der Jude drehte sich ungeduldig im Sattel wie einer, der einen Anfall von Kolik hat, doch die besseren Gefühle gewannen die Oberhand über die, welche ihm am eigensten waren. »Es liegt mir nichts daran,« sagte er, »laß mich gehen. Wenn etwas beschädigt wird, so soll es Dir nichts kosten, wenn etwas für den Gebrauch zu zahlen ist, so wird Kirjath Jairam es Dir um seines Vetters Isaak willen erlassen. Lebe wohl! Aber höre, guter Jüngling,« sagte er sich umwendend, »wage Dich nicht zu weit in diesen eitlen Kampf, ich meine nicht, daß Du das Roß und die Rüstung schonen sollst, aber um Deines eigenen Leibes und Lebens willen.«

»Viel Dank für Deinen Rath,« sagte der Pilger von neuem lächelnd, »ich nehme ohne weiteres Dein Anerbieten an, und es müßte mir schlimm ergehen, wenn ich Dir nichts dafür zahlen sollte.«

Sie trennten sich und schlugen verschiedene Wege nach der Stadt Sheffield ein.

7. Kapitel

[71] Kapitel VII.

Mit langem Zug von Knappen kommen Ritter,

In bunter Tracht und zierlich ausstaffirt.

Der eine schnürt den Helm, der trägt die Lanze,

Ein dritter bringt den blanken Schild herbei.

Es stampft das Roß mit ungeduldgem Huf,

Und schnaubt und schäumt aufs goldene Gebiß.

Auf Zeltern reiten Huf- und Waffenschmiede,

Mit Feilen und mit Hämmern wohl versehn,

Mit Nägeln für den lockern Speer und Riemen

Für den verletzten Schild, Trabanten sperren

In schmucken Reihn die Seitenstraßen ab,

Denn Bauernhaufen drängen vor mit Knütteln.


Palamon und Arcite.


Die Lage des englischen Volkes war zu jener Zeit elend genug. König Richard war als Gefangener abwesend und in der Macht des treulosen und grausamen Herzogs von Oesterreich. Selbst über den Ort seiner Gefangenschaft war man in Ungewißheit, und sein Schicksal war den meisten seiner Unterthanen, die inzwischen jedem Drucke von Seiten der Vasallen ausgesetzt waren, beinahe unbekannt.

Prinz Johann, im Bündniß mit Philipp von Frankreich, Löwenherzens tödtlichem Feinde, wandte allen seinen Einfluß bei dem Herzog von Oesterreich an, um die Gefangenschaft seines Bruders zu verlängern, von dem er so viel Gunst erfahren hatte. Dabei verstärkte er seinen Anhang im Königreich und bereitete sich vor, für den Fall, daß der König stürbe, dem rechtmäßigen Erben, Arthur, Herzog der Bretagne, dem Sohne Gottfrieds von Plantagenet, seines älteren Bruders, die Thronfolge streitig zu [72] machen. Es ist bekannt, daß er diese Usurpation später in Ausführung brachte. Da Johanns Charakter leichtsinnig, ausschweifend und treulos war, so zog er nicht nur alle diejenigen leicht an sich, welche Ursache hatten, die Strafe Richards wegen verbrecherischer Handlungen, die sie während seiner Abwesenheit begangen, zu fürchten, sondern auch die zahllosen Classen gesetzloser Raufbolde, welche aus den Kreuzzügen in ihr Vaterland zurückgekehrt waren, erfahren in den Lastern des Orients, ohne Erwerbsquellen und, infolge der Verwilderung ihres Charakters gern bereit, die innern Unruhen zu ihrem Vortheil auszubeuten.

Zu diesen allgemeinen Ursachen der Noth und Bedrängniß kam noch hinzu, daß eine Menge von Geächteten, welche durch den Druck des Adels und die strenge Anwendung der Forstgesetze zur Verzweiflung getrieben waren, sich in großen Banden zusammenrotteten, Wälder und unbewohnte Strecken Landes in Besitz nahmen und den Obrigkeiten des Landes trotzten. Die Edelleute selbst, jeder durch seine befestigte Burg geschützt, von der aus er den Tyrannen seiner Besitzung spielte, waren die Anführer von Banden, die kaum weniger ruchlos und gefährlich waren als anerkannte Räuber. Um diese Anhänger zu ernähren und die Mittel zu Ausschweifung und Luxus, zu denen sein Uebermuth ihn veranlaßte, zu beschaffen, erborgte der Adel große Summen von den Juden gegen sehr hohe Zinsen, die an den Besitzungen gleich dem verzehrenden Krebs nagten, und von denen sie sich nicht anders zu befreien wußten, als daß sie irgend eine Gelegenheit wahrnahmen, um ihre Gläubiger durch Gewaltthat los zu werden.

Unter den Leiden, welche diese unglückliche Lage der Dinge mit sich brachte, litt das englische Volk für den Augenblick schwer genug, und es hatte dazu noch Ursache, in Zukunft schwereres Unheil zu fürchten. Dem Elend die Krone aufzusetzen, verbreitete sich eine ansteckende Krankheit über das Land und raffte viele hinweg, deren Schicksal die Ueberlebenden versucht waren zu beneiden, da sie von den drohenden Uebeln befreit wurden.

Trotz dieser vielfachen Noth nahmen Arme so wie Reiche, Gemeine so wie Adlige an dem Ereigniß eines Turniers, dem großartigsten Ereigniß jenes Zeitalters, eben so viel Antheil, als ihn der halbverhungerte Bürger von Madrid, der keinen Real übrig [73] hat, um Lebensmittel für seine Familie zu kaufen, an dem Ausgange eines Stiergefechtes nimmt. Nichts, weder häusliche Pflichten noch Krankheit, konnte das Publikum jener Tage von solchen Schaustellungen fern halten. Das Waffenspiel, wie man es nannte, welches zu Ashby in der Grafschaft Leicester abgehalten werden sollte, hatte daher die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, denn es sollten hier Kämpfer von höchster Berühmtheit, dazu in Gegenwart des Prinzen Johann, auftreten, und eine ungewöhnlich große Menschenmenge aus allen Ständen eilte an dem bestimmten Morgen zum Kampfplatze.

Die Scene war eigenthümlich romantisch. Am Rande eines Waldes, der etwa eine Meile von Ashby entfernt lag, befand sich eine ausgedehnte Au, mit dem schönsten grünen Rasen bedeckt, auf der einen Seite vom Walde, auf der andern von einzeln stehenden Eichen eingefaßt, von denen einige eine ungewöhnliche Höhe erreicht hatten. Der Boden, als wäre er für dieses kriegerische Schauspiel hergerichtet, senkte sich auf allen Seiten allmählich zu einem ebenen Grunde hinab, der, von starken Pallisaden umschlossen, welche die Schranken bildeten, tausend Schritte lang und etwa halb so breit war. Die Form dieser Umfriedigung war ein längliches Viereck, nur daß die Ecken aus Rücksicht auf die Bequemlichkeit der Zuschauer beträchtlich abgerundet waren. Die Pforten für den Eintritt der Kämpfer befanden sich am Nord- und Südende, mit zwei starken hölzernen Thorflügeln, die breit genug waren, um zwei Reiter neben einander einzulassen. An jedem dieser beiden Eingänge standen zwei Herolde, bei ihnen sechs Trompeter und ebenso viele Gefolgsmänner, und eine starke Abtheilung von Geharnischten zur Aufrechthaltung der Ordnung und zur Prüfung der Ritterbürtigkeit aller derer, welche an dem kriegerischen Kampfspiele Theil zu nehmen gedachten.

Jenseit der südlichen Eintrittspforte standen auf einer durch die natürliche Erhebung des Bodens gebildeten Platform fünf prächtige Zelte, mit roth und schwarzen Fähnchen verziert, den Farben, die die fünf herausfordernden Ritter sich gewählt. Vor jedem Zelte hing der Schild des Ritters, der darin wohnte, und neben demselben stand sein Knappe als Wilder oder Waldmensch oder sonst wie phantastisch gekleidet, je nach dem Geschmack seines [74] Herren, oder der Rolle, die er während des Waffenfestes zu spielen gedachte.

Das mittlere Zelt war als Ehrenplatz dem Ritter Brian de Bois-Guilbert zugewiesen worden, dessen Berühmtheit in jeder Art von Ritterspielen ebenso sehr wie seine Verbindungen mit den Rittern, die dieses Waffenfest unternommen hatten, der Grund war, warum man ihn mit Begeisterung in die Reihe der Herausforderer, ja sogar als Haupt und Anführer derselben aufgenommen hatte. An der einen Seite sei nes Zeltes standen die Zelte des Reginald Front de Boeuf und Philipp de Malvoisin, auf der andern das des Ritters Hugo von Grant-Meslin, einem benachbarten Baron, dessen Ahnherr einst Groß-Truchseß von England gewesen war. Ralph de Vipont, ein Johanniterritter, der einige alte Güter in Heather bei Ashby de la Zouche besaß, nahm das fünfte Zelt ein. Von dem Eingange in die Schranken stieg ein Weg sanft an, der in der Breite von zwanzig Fuß zu der Platform führte, auf welcher die Zelte standen. Dieser Pfad war auf beiden Seiten mit starkem Pfahlwerk versehen, wie dies auch bei der Esplanade vor den Zelten der Fall war, und das Ganze wurde von Geharnischten bewacht.

Am nördlichen Ende befanden sich die Zelte derjenigen Ritter, die sich den Herausfordernden zum Kampfe stellen wollten, und hinter diesen waren solche für Waffen- und Hufschmiede, so wie für Verkäufer von Erfrischungen aufgeschlagen.

Rings um die Schranken zogen sich mit Teppichen und Kissen versehene Gallerien für die ritterbürtige Zuschauerschaft. Die große Menge lagerte sich auf Rasenbänken auf den Anhöhen, die den Blick über die Gallerien hinweg gestatteten. Für den Prinzen Johann war eine besondere Gallerie eingerichtet, die mit dem königlichen Wappen geziert war, und ihr gegenüber eine andere, geschmückt mit vielen Wimpeln, Flaggen und brennenden, blutenden sowie mit Pfeilen durchbohrten Herzen. Eine Inschrift darauf meldete, daß dieser Ehrenplatz bestimmt sei für die Königin der Schönheit und Liebe! Wer aber diese Königin der Schönheit und Liebe vorstellen werde, das vermochte niemand zu errathen.

Inzwischen drängten sich Zuschauer aller Art vor und nahmen ihre Sitze ein, wobei es natürlich vielfach Streitigkeiten über Rangordnung [75] etc. gab. Die Geharnischten legten einige derselben ohne Umstände bei, indem sie ihre Lanzenschäfte und Schwertknöpfe wirkungsvoll als Gründe gegen die Widerspenstigeren geltend machten. Andere, an die sich die rivalisirenden Ansprüche höher gestellter Personen knüpften, wurden von den Herolden und den beiden Marschällen William de Wyvil und Stephan von Martival geschlichtet, die in voller Rüstung an den Schranken auf- und niederritten, um die gute Ordnung unter den Zuschauern auf jede Weise aufrecht zu erhalten.

Allmählig füllten sich die Gallerien mit Rittern und Edlen in ihren Staatsgewändern, deren lange dunkelfarbige Mäntel einen Gegensatz zu der bunteren und glänzenderen Kleidung der Damen bildeten, die sich in noch größerer Zahl als die Männer zu einem Schauspiel drängten, das man für zu blutig und gefahrvoll hätte halten sollen, als daß es geeignet wäre, dem zarten Geschlechte Vergnügen zu gewähren.

Unter den Bürgern, Landleuten und armen Personen aus dem niederen Adelstande, die es schon damals gab, und die die untern Räume der Gallerien bis an die Schranken einnahmen, gab es natürlich die meisten Rangstreitigkeiten.

»Hund von einem Ungläubigen!« rief ein alter Mann, dessen schäbiger Mantel ebenso von seiner Armuth wie sein Schwert und sein Dolch nebst goldner Kette von seinem Anspruch auf Rang und Ahnen zeugten, – »infamer Hund! wagst Du einen Christen zu drängen, einen normännischen Edling vom Blute der Montdidier?«

Diese rauhe Aeußerung war an niemand anders als an den Juden Isaak, unsern Bekannten, gerichtet, welcher reich, ja prächtig gekleidet, in einem mit Spitzen besetzten und mit Pelzwerk gefütterten Mantel in der vordersten Reihe für die schöne Rebekka, seine Tochter, einen Platz zu erhalten trachtete. Die Tochter war zu Ashby mit ihm zusammengetroffen und hing jetzt am Arme ihres Vaters, nicht wenig erschrocken über das allgemeine Mißfallen, welches ihres Vaters kühnes Auftreten erregte. Aber Isaak, obschon wir ihn bei andern Gelegenheiten furchtsam genug gesehen haben, wußte nur zu gut, daß er gegenwärtig nichts zu fürchten habe. An öffentlichen Versammlungsorten, in der Gemeinschaft mit Ebenbürtigen, wagte keiner der habsüchtigen oder boshaften [76] Edlinge ihm etwas zu Leide zu thun. Bei dergleichen Versammlungen standen auch die Juden unter dem Schutze des gemeingültigen Gesetzes; und war dies auch immerhin eine schwache Bürgschaft, so fanden sich doch unter den versammelten Baronen einige, die aus selbstsüchtigen Motiven bereit waren, als ihre Beschützer aufzutreten.

Dazu kam, daß Isaak augenblicklich mehr als gewöhnliche Zuversicht hegte, denn er wußte, daß Prinz Johann eben im Begriff war, bei den Juden von York eine bedeutende Anleihe zu machen, und ihnen dafür gewisse Juwelen und Ländereien zu verpfänden. Isaaks Antheil an diesem Geschäft war nicht gering, und so wußte er gar wohl, daß des Prinzen lebhafter Wunsch, die Anleihe zu Stande zu bringen, ihn bewegen werde, ihm in der schwierigen Situation seinen Schutz nicht zu versagen.

Durch diese Erwägungen kühn gemacht, beharrte der Jude bei seinem Vorhaben und drängte den normännischen Christen ohne Rücksicht auf seinen Rang, seine Abkunft und seinen Glauben. Die Klagen des alten Mannes erregten jedoch den Unwillen der Umstehenden. Einer derselben, ein rüstiger untersetzter Landsasse, der zwölf Pfeile im Gurt, ein Schwertgehenk mit silbernem Schilde und einen sechs Fuß langen Bogen in der Hand trug, wandte sich rasch um, und während sein Gesicht, das vom Wetter wie eine Nuß gebräunt war, vor Aerger noch dunkler wurde, rieth er dem Juden, doch zu bedenken, daß aller Reichthum, den er durch das ausgesogene Blut seiner Schlachtopfer erlangt, ihn doch nur angeschwellt habe wie eine Spinne, die sich vollgesogen, und die man zwar übersehen könne, so lange sie sich in der dunklen Ecke halte, die man aber zertreten werde, sobald sie sich ans Licht wage.

Diese mit fester Stimme und finstrem Ausdruck in anglonormännischer Sprache gemachte Andeutung bewirkte, daß der Jude zurückbebte, und wahrscheinlich würde er sich ganz aus einer so gefährlichen Nähe entfernt haben, wäre nicht plötzlich die Aufmerksamkeit aller auf den Eintritt des Prinzen Johann, der in diesem Augenblicke in die Schranken trat, gerichtet worden. Ein zahlreiches und bunt geschmücktes Gefolge, das theils aus Laien, theils aus Geistlichen bestand, die eben so leichtfertig in ihrer Kleidung [77] und eben so munter in ihrem Benehmen waren wie die übrige Gesellschaft, umgab den Prinzen.

Unter ihnen befand sich der Prior von Jorvaulx in dem ritterlichsten Aufzuge, in welchem ein Würdenträger der Kirche sich nur immer herausnehmen durfte zu erscheinen. Pelzwerk und Gold waren an seiner Kleidung nicht gespart, und die Spitzen seiner Stiefeln, welche die abgeschmackte Mode jener Zeit noch überboten, waren so weit in die Höhe geschlagen, daß sie nicht, wie bei anderen an den Knieen, sondern an seinem Gürtel befestigt waren, und ihn im eigentlichsten Sinne verhinderten, seinen Fuß in den Steigbügel zu setzen.

Dies war indeß eine geringe Unbequemlichkeit für den ritterlichen Abt, der sich vielleicht über die Gelegenheit freute, seine vollendete Reitergewandtheit vor so vielen Zuschauern, besonders aber vor dem schönen Geschlecht zu zeigen, und der sich dieser Hilfsmittel eines furchtsamen Reiters daher gern begab.

Das übrige Gefolge des Prinzen bestand aus den begünstigten Anführern seiner Miethstruppen, einigen raubsüchtigen Baronen und ausschweifenden Höflingen nebst einigen Templern und Johannitern.

Es mag hier erwähnt werden, daß die Ritter dieser beiden Orden dem König Richard feindlich waren, und bei den langwierigen Streitigkeiten, die in Palästina zwischen Philipp II., August von Frankreich und dem löwenherzigen Könige Englands stattfanden, die Partei des ersteren ergriffen hatten. Die Folge dieser Uneinigkeit war gewesen, daß Richards wiederholte Siege fruchtlos gemacht und seine romantischen Versuche, Jerusalem zu erobern, vereitelt wurden, ja, daß die Frucht alles Ruhms, den er erlangt, ein ungewisser Waffenstillstand mit Sultan Saladin gewesen war.

Mit derselben Politik, die ihren Brüdern in Palästina ihr Verhalten vorgeschrieben hatte, schlossen sich die Templer und Hospitaliter in England und der Normandie der Partei des Prinzen Johann an, da sie wenig Ursache hatten, Richards Rückkehr nach England oder die Nachfolge Arthurs, seines rechtmäßigen Erben, zu wünschen.

In ihnen sah Prinz Johann seine wichtigsten Verbündeten, [78] und darum verachtete er die wenigen bedeutenden angelsächsischen Familien, die noch in England existirten, und versäumte keine Gelegenheit, sie zu kränken und übermüthig zu behandeln, denn er wußte gar wohl, daß ihnen wie dem größern Theil der englischen Gemeinden seine Person und Anmaßung mißfielen, von denen sie bei Johanns ausschweifendem und despotischem Charakter noch fernere Eingriffe in ihre Rechte und Freiheiten befürchteten.

Begleitet von diesem ritterlichen Gefolge, sehr gut beritten, in Carmoisin und Gold gekleidet, auf dem Haupte ein mit reichem Pelzwerk besetztes und mit einem Ringe köstlicher Steine geschmücktes Barett, unter dem sein langes lockiges Haar hervorquoll, das sich über die Schultern breitete, sprengte Prinz Johann, einen Falken auf der Hand tragend, auf einem muthigen Schimmel an der Spitze seiner jovialen Begleitung in den Schranken umher, lachte laut mit seinem Gefolge und beäugelte mit königlichem Kennerblick die Schönheiten, die die hohen Gallerien schmückten.

Da lenkte sich seine Aufmerksamkeit auf die noch nicht beruhigte Bewegung, die dem Vordrängen des Juden zu den höheren Plätzen der Versammlung gefolgt war. Sein scharfes Auge erkannte Isaak sofort und wurde nicht wenig von der schönen Tochter Zions angezogen, die, durch den Tumult erschreckt, sich fest an den Arm ihres bejahrten Vaters schmiegte.

Die Formen und der Wuchs Rebekkas konnten in der That mit denen der stolzesten Schönheiten Englands verglichen werden, selbst wenn sie von einem strengeren Richter als dem Prinzen Johann beurtheilt wurden. Ihre Gestalt war höchst symmetrisch gebaut und wurde vortheilhaft hervorgehoben durch eine Art orientalischer Kleidung, die sie nach der Frauensitte ihres Volkes trug. Ein Turban von gelber Seide paßte vorzüglich zu ihrer dunklen Gesichtsfarbe. Der Glanz ihrer Augen, die stolze Wölbung ihrer Brauen, ihr wohlgeformtes Adlernäschen, ihre weißen Zähne, ihr üppiges schwarzes Haar, das in einzelnen reizenden Ringellöckchen herab auf ihren lieblichen Hals und Busen fiel und beides bedeckte, so weit ein reiches Kleid von persischer Seide es sichtbar werden ließ – all dieses bildete ein so liebenswürdiges Ensemble, daß sie den schönsten Jungfrauen, die sie umgaben, in nichts nachstand.

»Nun, bei der Glatze Abrahams,« sagte Prinz Johann, »die [79] Jüdin dort muß das Muster all der Vollkommenheit sein, dessen Reize dem weisesten Könige, der je lebte, den Kopf verdrehten! Was sagst Du, Prior Aymer? – Beim Tempel jenes weisen Königs, den unser noch weiserer Bruder nicht zurückzuerobern im Stande war, sie ist die leibhaftige Braut des Hohen Liedes.«

»Die Rose von Savon und die Lilie des Thales,« antwortete der Prior in schmunzelndem Tone; »aber Eure Hoheit muß bedenken, daß sie nur eine Jüdin ist.«

»Ei,« fügte Prinz Johann hinzu, ohne auf ihn zu achten, »und da ist auch mein Mammon der Ungerechtigkeit, der Marquis der Marken und Baron der Byzantiner, der sich mit verlumpten Schuften, deren schäbige Mäntel keinen Heller in den Taschen bergen, um den Platz streitet. Beim Leibe des heiligen Markus, mein Subventionsfürst soll mit seinem liebenswürdigen Judenmädchen einen Platz auf dem Balkon haben! – Wer ist sie, Isaak, Deine Frau oder Deine Tochter, jene orientalische Houri, die Du so fest unter Deinem Arme verwahrst, als wäre sie Dein Schatzkästlein.«

»Meine Tochter Rebekka, Eurer Hoheit zu dienen,« antwortete der Jude mit einer tiefen Verbeugung, ohne bei dem Gruß des Prinzen, der wenigstens eben so viel Spott als Artigkeit enthielt, in Verlegenheit zu gerathen.

»Um so weiser bist Du,« sagte Johann mit schallendem Lachen, in welches seine munteren Begleiter folgsam einstimmten. »Aber Tochter oder Weib, sie sollte nach Maßgabe ihrer Schönheit und Deiner Verdienste um uns vorgezogen werden. Wer sitzt dort oben?« fuhr er fort, indem er seine Augen zu der Gallerie erhob. »Sächsische Bauernkerle, die sich ihrer ganzen Länge nach ausstrecken! Hol sie der Teufel! Laßt sie zusammenrücken und meinem Wucherprinzen mit seiner liebenswürdigen Tochter Platz machen. Diese Lümmel sollen wissen, daß sie die hohen Plätze in der Synagoge mit denen theilen müssen, die das Geld dazu hergegeben haben.«

Die Personen, denen diese beleidigende und grobe Rede galt, waren die Angehörigen Cedrics des Sachsen und sein Verbündeter und Anverwandter, Athelstane von Coningsburgh, ein Mann, der wegen seiner Abkunft von den letzten angelsächsischen Herrschern bei den sämmtlichen sächsischen Eingeborenen des nördlichen England in der höchsten Achtung stand.

[80] Mit dem Blute des alten Königsgeschlechts hatten sich auch viele Schwächen desselben auf Athelstane vererbt. Er besaß allerdings ein wohlgeformtes Gesicht, war fleischig und stark von Person und dazu in der Blüthe seines Alters, aber ohne jede Lebhaftigkeit im Gesichtsausdruck, matten Auges, mit gesenkten Brauen, schlaff und schwerfällig in allen seinen Bewegungen, und so unschlüssig, daß der Beiname eines seiner Vorfahren auf ihn überging, und man ihn allgemein Athelstane den Zagen nannte. Seine Freunde, und er besaß deren viele, die wie Cedric ihm leidenschaftlich zugethan waren, behaupteten zwar, daß sein schlaffes Wesen nicht aus einem Mangel an Muth hervorginge, sondern aus bloßem Mangel an Entschlossenheit; andere führten dagegen an, daß der angeerbte Fehler der Trunksucht seine Geisteskräfte, die überhaupt nie scharf und bedeutend waren, beeinträchtigt habe, und daß sein passiver Muth und die sanfte Gemüthsart, die zurückblieb, der bloße Bodensatz eines Charakters wären, der vielleicht Lob verdient hätte, wenn sich nicht von ihm alle werthvollen Theile in Folge der langen Gewohnheit der Unmäßigkeit losgelöst hätten.

An den soeben beschriebenen Mann richtete nun der Prinz den herrischen Befehl, für Isaak und Rebekka Platz zu machen. Athelstane, höchst bestürzt über einen Befehl, der nach den Sitten und Gefühlen jener Zeit eine große Beleidigung enthielt, war nicht Willens zu gehorchen; da er jedoch nicht wußte, auf welche Weise er sich widersetzen solle, stellte er dem Willen Johanns nur die vis inertiae entgegen. Ohne sich zu regen oder Miene zum Gehorsam zu machen, öffnete er seine großen grauen Augen und starrte den Prinzen mit einem Staunen an, das etwas außerordentlich Komisches hatte. Doch der ungeduldige Johann sah die Sache nicht in diesem Lichte.

»Das Schwein von einem Sachsen liegt entweder im Dusel oder versteht mich nicht,« sagte er. »Weckt ihn mit Eurer Lanze, de Bracy,« fuhr er zu einem Ritter gewendet fort, der in seiner Nähe an der Spitze einer Schaar von Condottieri ritt. Es erhob [81] sich ein Murren selbst unter den Begleitern des Prinzen Johann; aber de Bracy, dessen Beruf alle Bedenken in ihm beseitigte, streckte seine lange Lanze über den Raum aus, der die Gallerie von den Schranken trennte, und würde den Befehl des Prinzen ausgeführt haben, bevor Athelstane der Zage nur so viel Geistesgegenwart gewonnen hätte, um sich vor der Waffe zurückzuziehn, hätte nicht Cedric, der eben so entschlossen als sein Gefährte langsam war, mit Blitzesschnelle sein kurzes Schwert gezogen und mit einem einzigen Hiebe das Lanzeneisen vom Schafte getrennt. Das Blut schoß Johann ins Antlitz. Er stieß einen der schwersten Flüche aus und war im Begriff, eine ebenso heftige Drohung hinzuzufügen, als er zum Theil durch seine Umgebung die ihn dringend bat, ruhig zu sein, zum Theil auch durch den lauten Beifall des Volkes über Cedrics entschlossenes Benehmen von seinem Vorhaben abgebracht wurde. Zornig rollte Johann die Augen, als suchte er irgend ein sicheres und leichtes Schlachtopfer, und da er zufällig dem festen Auge des oben erwähnten Bogenschützen begegnete, der dem drohenden Blicke zum Trotze, den der Prinz auf ihn richtete, fortfuhr seinen Beifall zu bekunden, fragte er ihn, warum er so schreie?

»Ich rufe allemal Halloh mit,« sagte der Landsasse, »wenn ich einen wackern Schuß oder tapfern Streich gethan sehe.«

»Was Du sagst?« antwortete der Prinz grimmig, »da kannst Du wohl das Weiße selbst treffen, ich wette drauf.«

»Eines Waidmanns Ziel und auf Waidmanns Entfernung kann ich treffen,« antwortete der Landsasse.

»And Wate Tyrreles marcan at hundteontig stapas,« rief eine angelsächsische Brummstimme aus dem Hintergrunde, ohne daß man unterscheiden konnte, wer es war. – »Wat Tyrrels Ziel auf hundert Schritt,« übersetzte ein andrer Unbekannter dem Prinzen in reines Französisch. Diese Anspielung auf das Schicksal seines Großvaters Wilhelm Rufus erbitterte und beunruhigte den [82] Prinzen zu gleicher Zeit. Er begnügte sich indeß, den Geharnischten, die die Schranken bewachten, zu befehlen, ein wachsames Auge auf den Prahlhans zu haben, indem er auf den Landsassen zeigte.

»Bei der heiligen Griseldis,« fügte er hinzu, »wir wollen seine eigne Kunst auf die Probe stellen, da er so bereitwillig die Heldenthaten andrer preist.«

»Ich werde mich vor der Probe nicht drücken,« sagte der Landsasse mit der ganzen Entschlossenheit, die sein Wesen kennzeichnete.

»Inzwischen rafft euch auf, ihr sächsischen Bauernkerle!« sagte der erhitzte Prinz; »denn beim Lichte des Himmels, da ich es einmal gesagt habe, so soll der Jude unter euch sitzen.«

»Keineswegs, wenn Ew. Gnaden verzeihn! Es paßt sich nicht für unser einen, bei den Herrschern des Landes zu sitzen,« sagte der Jude. In der That war des Juden Ehrgeiz wegen des Vortritts, wenn er ihn auch bestimmt hatte, mit dem verarmten Montdidier um den Platz zu streiten, nicht groß genug, um ihn anzustacheln, sich unter die reichen Angelsachsen einzudrängen.

»Hinauf, ungläubiger Hund, wenn ich es Dir befehle,« schrie der Prinz, »oder ich lasse Dir Dein gelbes Fell abziehn und zu Reitzeug gerben!« So gedrängt begann der Jude die steilen und schmalen Stufen zu ersteigen, die auf die Gallerie führten.

»Ich will doch sehn, wer es wagen wird, ihn aufzuhalten,« sagte der Prinz und richtete sein Auge auf Cedric, dessen Stellung die Absicht kundgab, den Juden kopfüber hinunterzuwerfen.

Die Katastrophe wurde durch den Narren Wamba verhindert, der schnell zwischen seinen Herrn und Isaak sprang, und als Antwort auf die Worte des Prinzen ausrief: »Wahrhaftig, das will ich!« In demselben Augenblick zog er einen geräucherten Schweineschinken unter seinem Mantel hervor und hielt ihn dem Juden [83] unter die Nase. Offenbar hatte er sich mit diesem Leckerbissen versehen, um während der langen Zeit des Turniers seinen Appetit zu stillen. Zugleich schwang der Possenreißer sein hölzernes Schwert um seinen Kopf, und der Jude, von Abscheu und Schreck zugleich ergriffen, purzelte die Stufen hinab, – ein trefflicher Spaß für die Zuschauer, die ein schallendes Gelächter erhoben, in das der Prinz und seine Begleiter einstimmten.

»Erkenne mir den Siegespreis zu, Vetter Prinz,« sagte Wamba; »ich habe meinen Feind in ehrlichem Kampfe mit Schild und Schwert besiegt.« Dabei schwang er den Schinken in der einen und das Schwert in der andern Hand.

»Wer und was bist Du, edler Kämpfer?« sagte immer noch lachend der Prinz.

»Ein Narr nach dem Rechte der Descendenz,« antwortete der Spaßvogel. »Ich bin nämlich Wamba, der Sohn des Witzlos, [84] der ein Sohn war des Hammelhirn, der da war der Sohn eines Rathsherrn.«

»Macht Platz für den Juden vorn im untern Kreise,« sagte Prinz Johann, vielleicht nicht gerade erzürnt, daß er eine Entschuldigung gefunden, um von seinem ersten Vorhaben abzustehn; »den Besiegten neben den Sieger zu stellen, hieße die Heraldik verkehren.«

»Den Schelm über den Narren setzen, wäre noch schlimmer; am ärgsten aber, den Juden über den Schweineschinken placiren.«

»Gramercy, guter Bursch,« rief Prinz Johann; »Du gefällst mir – hier, Isaak, leihe mir eine Hand voll Byzantiner.«

Der Jude war über diese Forderung bestürzt, aber zu furchtsam sie zu verweigern, und sie doch ungern erfüllend, suchte er lange in der pelzbesetzten Tasche, überlegend, wie viel wohl eine Hand voll ausmachen könnte. Doch der Prinz beugte sich vom Pferde, und machte Isaaks Unentschlossenheit ein Ende, indem er selbst ihm die Tasche von der Seite riß, Wamba einige Goldstücke daraus zuwarf und dann seinen Weg um die Schranken fortsetzte. So überließ er den Juden dem Hohn seiner Umgebung und erntete dazu so viel Beifall von den Zuschauern, als wenn er die ehrenhafteste und ritterlichste That vollbracht hätte.

8. Kapitel

[85] Kapitel VIII.

Dann stößt der Forderer mit grimmem Trotze

In die Trommete; der Geforderte

Antwortet ihm; es dröhnen die Gefilde,

Des hohen Himmels Wölbung hallt es wieder.

Visiere zu, die Lanzen eingelegt,

Gerichtet auf des Feindes Helm und Helmbusch,

So sprengen von den Schranken beide fort

Und mindern rasch den Raum, der sie geschieden.


Palamon und Arcite.


In der Mitte seines Weges hielt Prinz Johann plötzlich an, wandte sich an den Prior von Jorvaulx und erklärte, das vorzüglichste Geschäft des Tages sei vergessen worden.

»Bei meiner Seligkeit, Herr Prior,« sagte er, »wir haben vergessen, die Herrin der Liebe und Schönheit zu ernennen, durch deren weiße Hand die Palme ertheilt werden soll. Ich meines Theils bin in meinen Ansichten freisinnig, und es soll mir gar nicht darauf ankommen, meine Stimme der schwarzäugigen Rebekka zu geben.«

»Heilige Jungfrau,« antwortete der Prior, indem er mit Entsetzen die Augen aufschlug, »einer Jüdin! Wir verdienten mit Steinen aus den Schranken gejagt zu werden, und ich bin noch nicht alt genug zum Märtyrer. Uebrigens schwöre ich bei meinem Schutzpatron, daß sie der liebenswürdigen Sächsin Rowena bei weitem nachsteht.«

»Sachse oder Jude,« antwortete der Prinz, »Sachse oder Jude, Hund oder Schwein, was ist da für ein Unterschied? Ich [86] sage, ernennt Rebekka, und wäre es auch nur, um die Sachsenlümmel zu kränken.«

Ein Murren erhob sich jetzt sogar unter seinen nächsten Gefolgsleuten.

»Das geht über den Spaß, Mylord,« sagte de Bracy; »kein Ritter wird seine Lanze einlegen, wenn man einen solchen Schimpf beabsichtigt.«

»Es wäre das reine Uebermaß der Beleidigung,« sagte einer der ältesten und einflußreichsten Begleiter des Prinzen Johann, Waldemar von Fitzurse, »und wenn Ew. Hoheit dennoch den Versuch dazu machen, kann derselbe für Eure Pläne nur verderblich werden.«

»Ich geb Euch Unterhalt, Herr,« sagte Johann und zog den Zügel seines Rosses an, »als meinem Gefolgsmann, nicht als meinem Rathgeber.«

»Diejenigen, welche Ew. Hoheit auf den Wegen folgen, die Ihr wandelt,« sagte Waldemar mit gedämpfter Stimme, »erwerben sich das Recht von Rathgebern. Ihre eigne Sicherheit und ihr Interesse ist dabei eben so sehr im Spiele wie das Eure.«

Aus dem Tone, mit welchem der Mann sprach, ersah Johann die Nothwendigkeit, nachzugeben. »Ich habe ja nur gescherzt,« meinte er, »und ihr fahret gleich auf mich los wie Nattern. Ins Teufels Namen, ernennt wen ihr Lust habt, und handelt wie ihr wollt.«

»Nein, nein,« sagte de Bracy, »lasset den Thron der schönen Herrscherin unbesetzt bleiben, bis der Sieger bestimmt ist, und dann mag dieser die Dame wählen, die ihn einnehmen soll. Es wird seinem Triumph einen zweiten hinzufügen, und die schönen Damen lehren, die Liebe tapfrer Ritter zu schätzen, die sie zu solcher Auszeichnung zu erheben vermögen.«

»Wenn Brian de Bois-Guilbert den Preis gewinnt,« sagte der Prior, »so will ich meinen Rosenkranz verwetten, daß ich die Königin der Liebe und Schönheit zu nennen weiß.«

»Bois-Guilbert,« antwortete de Bracy, »führt eine gute Lanze; doch es sind andere beim Turnier, Herr Prior, die nicht fürchten, ihm zu begegnen.«

»Still, ihr Herren,« sagte Waldemar, »und lasset den Prinzen [87] seinen Sitz einnehmen. Die Ritter und Zuschauer sind beide ungeduldig; die Zeit verrinnt, und es ist in der Ordnung, daß das Waffenfest jetzt beginne.«

Obgleich Prinz Johann noch kein Monarch war, so hatte er doch an der Person des Fitzurse all Unbequemlichkeiten eines begünstigten Ministers, der, indem er seinem Souverän dient, es stets in seiner eignen Weise thun muß. Der Prinz willigte ein, obgleich seine Stimmung genau der Art war, daß er sich über Kleinigkeiten ärgerte; er nahm seinen Thron ein, und gab, umringt von seinen Begleitern, den Herolden das Signal, die Gesetze des Turniers zu verlesen, die in Kürze folgendermaßen lauteten:

Erstens: die fünf Herausforderer sollten es mit allen aufnehmen, die sich ihnen stellten.

Zweitens: jeder Ritter, welcher kämpfen wollte, könnte einen von den Herausforderern als seinen Gegner dadurch erwählen, daß er dessen Schild mit seiner Lanze berührte. Thue er das mit der umgekehrten Lanze, so solle der Kampf mit den sogenannten Höflichkeitswaffen geschehen, das heißt, mit Lanzen, an deren Spitzen ein Brettchen mit der flachen Seite befestigt war, so daß keine andere Gefahr entstand, als die, welche der Stoß für Pferd und Reiter mit sich brachte. Würde jedoch der Schild mit dem scharfen Ende der Lanze berührt, so sollte der Kampf auf Leben und Tod geführt werden, das heißt, die Ritter sollten dann mit scharfen Waffen wie in der wirklichen Schlacht fechten.

Drittens: wenn die gegenwärtigen Ritter ihr Gelübde dadurch erfüllt hätten, daß jeder fünf Lanzen gebrochen, so sollte der Prinz den Sieger im Turnier des ersten Tages proclamiren, der als Preis ein Schlachtroß von ausgesuchter Schönheit und unvergleichlicher Stärke erhalten solle; und außer dieser Belohnung der Tapferkeit, wurde jetzt erklärt, solle er die besondere Ehre haben, die Königin der Liebe und Schönheit zu ernennen, die am folgenden Tage den Preis auszutheilen hätte.

Viertens wurde verkündigt, daß am zweiten Tage ein allgemeines Turnier stattfinden solle, woran alle gegenwärtigen Ritter, die begierig wären Ruhm zu erwerben, Theil nehmen könnten. Die erwählte Königin der Liebe und Schönheit sollte dann den Ritter, den der Prinz am folgenden Tage für den tapfersten erklären [88] werde, mit einer Krone, die aus dünnen Goldplatten in Gestalt eines Lorbeerkranzes gefertigt war, krönen. An diesem zweiten Tage sollten die ritterlichen Spiele enden. Am dritten Tage sollte noch ein Bogenschießen, Stierhetzen und andere Volksbelustigungen stattfinden.

Auf diese Weise suchte Prinz Johann den Grund zur Volksgunst zu legen, die er aber immer wieder durch unüberlegte herausfordernde Handlungen verscherzte, mit denen er die Gefühle und Vorurtheile des Volks verletzte.

Die Herolde schlossen ihre Proklamation mit dem gewöhnlichen Ruf: »Largesse, Largesse, tapfere Ritter!« und Gold- und Silberstücke regneten von den Gallerien auf sie nieder, da es ein Ehrenpunkt der Ritterschaft war, Freigebigkeit gegen diejenigen an den Tag zu legen, welche jenes Zeitalter zugleich als die Secretäre und die Archivare des Ruhms ansah. Die Freigebigkeit der Zuschauer wurde durch den gewöhnlichen Zuruf anerkannt: »Liebe den Damen – Ehre den Großmüthigen – Ruhm den Tapfern!« wozu die geringeren Zuschauer ihren Ruf und ein zahlreiches Musikchor einen Tusch kriegerischer Instrumente hinzufügten. Als Schweigen eingetreten war, zogen sich die Herolde in bunter und schimmernder Procession aus den Schranken zurück, in denen niemand zurückblieb, außer den Marschällen, welche vom Kopf bis zum Fuß geharnischt, zu Pferde, bewegungslos wie Statuen an dem entgegengesetzten Ende der Schranken standen. Unterdessen füllte sich der umfriedigte Raum am nördlichen Ende der Schranken, so groß er war, ganz mit Rittern an, welche ihre Geschicklichkeit gegen die Herausforderer beweisen wollten. Von den Gallerien betrachtet, gewährten sie den Anblick eines wogenden Meeres von Federbüschen, untermischt mit blitzenden Helmen und langen Lanzen, an deren äußersten Spitzen zuweilen ein schmales Fähnlein flatterte, das die Lebendigkeit des Gemäldes sehr erhöhte.

Endlich öffneten sich die Barrieren, und fünf durchs Loos gewählte Ritter zogen langsam auf den Kampfplatz; einer an der Spitze, die andern paarweise folgend. Alle waren glänzend bewaffnet. Wie umständlich auch die sächsischen Quellen alle Sinnsprüche, Farben und Stickereien selbst an den Schabracken der Pferde beschreiben, ist es doch unnöthig, hier auf alle Einzelnheiten einzugehen.


[89]

Der Ritter ward zu Staube,

Sein Schwert dem Rost zum Raube,

Und selig er, das ist mein Glaube.


Längst sind ihre Wappenschilde von den Mauern ihrer Schlösser herabgefallen, ihre Schlösser selbst nur noch Ruinen, oft kaum die Stelle noch bekannt, wo sie einst gestanden, und manche Generation ist seitdem ausgestorben und vergessen in demselben Lande, wo sie einst als mächtige Lehensträger und Besitzer herrschten. Was könnte es dem Leser helfen, jetzt ihre Namen oder die schwindenden Symbole ihres kriegerischen Ranges kennen zu lernen?

Unbeeinflußt durch den Gedanken an die Vergessenheit, die sie und ihre Thaten erwartete, ritten die Kämpfer durch die Schranken, ihre muthigen Rosse anhaltend und sie zu langsamer Gangart nöthigend, indeß sie zugleich alle Geschicklichkeit und den Anstand guter Reiter zeigten. Als der Zug in die Schranken trat, ließ sich eine wilde barbarische Musik hinter den Zelten der Herausforderer, wo die Musiker verborgen waren, vernehmen. Sie war morgenländischen Ursprungs, aus dem gelobten Lande mit zurückgebracht, und schien in der Vermischung mit Cymbeln und Glöckchen den Eintretenden ein Willkommen und die Herausforderung zugleich entgegenzurufen. Unter den auf sie gerichteten Blicken einer unermeßlichen Menge von Zuschauern ritten die fünf Ritter der erhöhten Stelle zu, wo die Zelte der Herausforderer standen. Hier sich trennend, berührte jeder einzelne mit der umgekehrten Lanze leicht den Schild desjenigen Gegners, den er sich erlesen hatte. Die niedere Klasse der Zuschauer im allgemeinen, ja sogar manche von höherem Stande, und man sagt, selbst einige Damen wären unzufrieden gewesen, daß die Kämpfer nur die Waffen der Höflichkeit gewählt hatten. Denn dieselbe Art Leute, die gegenwärtig dem grausigsten Trauerspiele den meisten Beifall schenkt, interessirte sich zu jener Zeit für ein Turnier meistens nach dem Grade der Gefahr, dem sich die Kämpfenden dabei aussetzten.

Als die Kämpfer einander ihre friedliche Absicht zu erkennen gegeben hatten, zogen sie sich an das Ende der Schranken zurück, wo sie in einer Linie aufgestellt blieben. Die Herausforderer aber, jeder aus seinem Zelte hervortretend, bestiegen ihre Rosse und ritten, angeführt von Brian de Bois-Guilbert, die erhöhte Ebene [90] hinab, indem sie sich jeder einzeln den Rittern entgegenstellten, die ihre Schilde soeben berührt hatten.

Beim Schalle der Hörner und Trompeten sprengten sie jetzt auf einander los, und die Geschicklichkeit oder das Glück der Herausforderer war so groß, daß diejenigen, welche auf Bois-Guilbert, Malvoisin und Front de Boeuf stießen, sogleich zu Boden geworfen wurden. Der Gegner Grantmesnils, statt seine Lanze an dem Helm oder dem Schild seines Gegners zu zerbrechen, irrte dergestalt von der geraden Linie ab, daß er dieselbe quer an der Person des Feindes zerbrach, ein Umstand, der für noch schimpflicher gehalten wurde, als aus dem Sattel geworfen zu werden. Der fünfte Ritter allein rettete die Ehre der Partei, und im Zusammentreffen mit dem Johanniterritter zersplitterten beide Lanzen, ohne daß einer einen Vortheil davon hatte.

Das Freudengeschrei der Menge, nebst den Ausrufungen der Herolde und dem Klange der Trompeten verkündigten den Triumph der Sieger, sowie die Niederlage der Besiegten. Die erstern zogen sich in ihre Zelte zurück, und die letztern, so gut es gehen wollte, sich zusammenraffend, entfernten sich beschämt und verhöhnt aus den Schranken, um sich mit den Siegern wegen des Lösegeldes für ihre Rüstungen und Rosse zu besprechen, die nach den Turniergesetzen verwirkt waren; der fünfte allein weilte lange genug in den Schranken, um den Beifall der Zuschauer einzuernten, und zog sich zum Verdruß seiner Gefährten langsam von dem Kampfplatze zurück.

Es rückte nun eine zweite und dritte Partei von Rittern ins Feld; und ob sie gleich manchen Vortheil errangen, so blieb doch im ganzen der Vorzug auf der Seite der Herausforderer, da nicht einer aus dem Sattel gehoben wurde oder fehlgestoßen hatte, ein Unglück, das dem einen oder dem andern ihrer Gegner bei jedem Zusammentreffen begegnet war. Der Kampfesmuth war daher auch sehr gesunken. Beim vierten Gange erschienen nur drei Ritter, und diese begnügten sich, die Schilde von Bois-Guilbert und Front de Boeuf vermeidend, die der drei andern Ritter zu berühren, welche lange nicht so viel Kraft und Geschicklichkeit bewiesen hatten. Diese listige Auswahl störte indessen das Schicksal des Kampfes nicht, die Herausforderer blieben immer im Vortheil. Die Gegner [91] wurden alle drei besiegt, indem der eine aus dem Sattel gehoben wurde und die andern fehlstießen, d.h. Helm und Schild der Gegner nicht fest und sicher trafen.

Nach diesem vierten Gange erfolgte eine beträchtliche Pause. Es schien, als wolle niemand weiter den Kampf erneuern. Die Zuschauer murrten unter einander, denn unter den Herausforderern waren Malvoisin und Front de Boeuf wegen ihres Charakters beim Volke nicht beliebt, und die andern waren es als Fremde und Ausländer eben so wenig.

Keiner aber empfand das Gefühl des allgemeinen Mißvergnügens tiefer als Cedric der Sachse, der in jedem erneuerten Triumphe der Normänner einen wiederholten Sieg über Englands Ehre sah. Seine eigene Erziehung hatte ihm keine Geschicklichkeit in den Ritterspielen verliehen, ob er gleich mit den Waffen seiner sächsischen Vorfahren sich bei manchen Gelegenheiten als ein tapferer und entschlossener Krieger bewiesen hatte. Aengstlich blickte er auf Athelstane, der die Vorzüge seiner Zeit sich zu eigen gemacht hatte, als wünsche er, dieser möchte doch einen Versuch machen, den Sieg wieder zu erringen, der jetzt in die Hände des Tempelherrn und seiner Gefährten gekommen war; allein obgleich wacker an Muth und kräftig von Person, hatte Athelstane doch eine zu große Neigung zu Unthätigkeit, und war zu wenig ehrgeizig, um Versuche zu machen, wie sie Cedric von ihm zu erwarten schien.

»Der Tag ist gegen England, Mylord,« sagte Cedric mit ausdrucksvollem Tone, »fühlt Ihr keine Neigung, die Lanze zu ergreifen?«

»Morgen,« versetzte Athelstane, »morgen will ich einen Gang im Mêlée thun, heute ists nicht der Mühe werth, mich zu waffnen.«

Zweierlei mißfiel Cedric an der Rede. Sie enthielt das normännische Wort Mêlée, um den allgemeinen Kampf auszudrücken, und dann verrieth sich darin eine gewisse Gleichgültigkeit gegen die Ehre des Vaterlandes. Doch sie kam von Athelstanew, und den hielt er so hoch, daß er auch seine Schwächen nicht zu tadeln wagte. Auch hatte er nicht Zeit, eine Bemerkung zu machen, denn Wamba fiel mit der Aeußerung dazwischen, daß es besser, aber schwerlich leichter sei, der beste unter hunderten als der beste von zweien zu sein.

Athelstane nahm dies für ein ernsthaftes Compliment, aber [92] Cedric, der seines Narren Meinung besser verstand, warf diesem einen strengen und drohenden Blick zu. Es war ein Glück für Wamba, daß Zeit und Ort seinen Herrn verhinderten, ihm fühlbarere Zeichen seines Zornes zu geben.

Die Pause in dem Turnier war noch nicht unterbrochen, außer von den Stimmen der Herolde, welche riefen: »Liebe der Damen! zersplitterte Lanzen! Tretet vor, tapfere Ritter, schöne Augen sehen auf eure Thaten!«

Auch die Musik der Herausforderer schmetterte von Zeit zu Zeit kräftige Töne des Triumphes oder Hohns in die Lüfte, während das Volk murrte, daß dieser Feiertag in Unthätigkeit vergehe, und alte Ritter und Edle flüsternd über den Verfall des kriegerischen Geistes klagten, von den Triumphen ihrer jüngern Tage sprachen, aber eingestanden, daß das Land jetzt keine Damen von so glänzender Schönheit liefere, wie sie früher die Turniere belebt und verherrlicht hätten. Prinz Johann sprach schon zu seinen Begleitern davon, Anstalten zu dem Bankett zu treffen, und von der Nothwendigkeit, Brian de Bois-Guilbert den Preis zuzuerkennen, der mit einer einzigen Lanze zwei Ritter zu Boden geworfen und einen dritten entwaffnet hatte.

Als endlich die saracenische Musik ein Stück schloß, mit dem sie das Schweigen in den Schranken unterbrochen hatte, wurde dasselbe von einer einzigen Trompete beantwortet, die vom nördlichen Ende her einen Herausforderungstusch blies. Aller Augen richteten sich dorthin, um den neuen Kämpfer zu sehen, den diese Töne ankündigten. Dieser ritt, sobald die Schranken geöffnet waren, in den Kampfplatz. So weit man einen Mann in Rüstung beurtheilen kann, war der neue Abenteurer nicht viel über mittlerer Größe und schien eher schlank als stark gebaut zu sein. Sein Harnisch war von Stahl, reich mit Gold ausgelegt, und die Devise auf dem Schilde war ein junger Eichbaum, der mit der Wurzel ausgerissen war, mit dem spanischen Worte Desdichado, der Enterbte. Er ritt ein muthiges schwarzes Roß, und auf dem Wege durch die Schranken begrüßte er anmuthig die Damen, indem er seine Lanze senkte. Die Gewandtheit, mit der er sein Roß tummelte und ein [93] Grad von jugendlicher Grazie, den er in seinem Benehmen zeigte, gewannen ihm die Gunst der Menge, welche einige von den niedern Klassen in Worten ausdrückten, indem sie ihm zuriefen: »Berührt Ralph de Viponts Schild, berührt des Hospitaliters Schild; er sitzt am wenigsten sicher im Sattel, den habt Ihr am billigsten.«

Indessen sprengte der Reiter weiter die Platform hinauf, ritt zum Erstaunen aller gerade auf das mittlere Zelt zu und schlug mit dem scharfen Ende seiner Lanze an den Schild des Brian de Bois-Guilbert, daß er laut ertönte. Alle waren erstaunt ob dieser Kühnheit, keiner aber mehr, als der Gefürchtete selber, der so zum tödtlichen Kampfe herausgefordert war, und der, eine so rauhe Forderung nicht erwartend, sorglos an der Thüre seines Zeltes stand.

»Habt Ihr gebeichtet, Kamerad?« fragte der Tempelherr, »und habt Ihr diesen Morgen die Messe gehört, daß Ihr so kühn Euer Leben wagt?«

»Ich bin besser auf den Tod vorbereitet als Du,« antwortete der enterbte Ritter, denn unter diesem Namen hatte der Fremde sich in das Turnierbuch eintragen lassen.

»Dann nehmt Euren Platz in den Schranken,« sagte Bois-Guilbert, »und seht Euch noch zum letztenmal die Sonne an, denn diese Nacht werdet Ihr im Paradiese schlafen.«

»Großen Dank für die Höflichkeit,« versetzte der enterbte Ritter, »und um sie zu vergelten, rathe ich Dir, ein frisches Pferd und eine neue Lanze zu nehmen, denn bei meiner Ehre, Du wirst beides nöthig haben.«

Nachdem er sich so zuversichtlich ausgesprochen hatte, lenkte er sein Pferd wieder die Anhöhe hinunter, und dann durch die Schranken zurück bis ans nördliche Ende derselben, wo er in Erwartung seines Gegners halten blieb. Seine Geschicklichkeit im Reiten verschaffte ihm von neuem den Beifall der Menge.

So aufgebracht auch Brian de Bois-Guilbert gegen seinen Gegner wegen der Vorsichtsmaßregeln war, die er ihm anempfohlen hatte, er vernachlässigte dennoch seinen Rath nicht, denn seine Ehre stand zu sehr auf dem Spiele, als daß er irgend ein Mittel hätte versäumen sollen, welches ihm den Sieg über seinen kühnen Gegner verschaffen könnte. Er vertauschte sein Pferd gegen ein anderes von erprobter Kraft und Kühnheit, er wählte eine neue Lanze von [94] zähem Holze, aus Furcht, der Schaft der vorher gebrauchten möchte bei den früheren Kämpfen gelitten haben. Endlich legte er seinen Schild weg, der ein wenig beschädigt war, und ließ sich einen andern von seinem Knappen geben. Der erste Schild hatte nur eine allgemeine Devise getragen. Sie stellte zwei Ritter vor, die auf einem Pferde saßen, womit die ursprüngliche Demuth und Armuth der Templer dargestellt werden sollte, Eigenschaften, die sie längst gegen Anmaßung und Luxus vertauscht hatten, und welche ihren endlichen Untergang herbeiführten. Bois-Guilberts neuer Schild hatte als Devise einen Raben in vollem Fluge, der einen Schädel in den Klauen trug, mit der Unterschrift: Gare le Corbeau, Nimm dich vor dem Raben in Acht!

Als die beiden Kämpfer an den äußersten Enden der Schranken einander gegenüberstanden, war die allgemeine Erwartung aufs höchste gespannt. Wenige dachten an die Möglichkeit, daß der Kampf für den enterbten Ritter glücklich enden könne, doch sein Muth und seine Tapferkeit gaben den allgemeinen guten Wünschen der Zuschauer eine gewisse Garantie.

Die Trompeten hatten nicht sobald das Signal verkündet, als die Kämpfer auch mit Blitzesschnelle von ihren Posten verschwanden und in der Mitte des Platzes mit Donnergewalt zusammenstießen. Die Lanzen zersplitterten bis an den Handgriff, und im ersten Augenblick schien es, als wären beide Ritter gestürzt, denn beide Rosse wichen zurück und setzten sich auf die Hacken. Die Reiter brachten sie durch Anwendung des Zügels und der Sporen sogleich wieder zum Stehen, und nachdem sie einander mit Augen angesehen hatten, die Feuer durch die Oeffnungen ihrer Visiere zu sprühen schienen, machten beide eine halbe Volte, zogen sich an das Ende der Schranken zurück, und empfingen eine neue Lanze von den Dienern.

Ein lauter Zuruf der Zuschauer, sowie das Wehen der Schärpen und Tücher bewies den allgemeinen Antheil, den man an diesem Kampfe nahm, es war der gleichste und am besten ausgeführte, der an diesem Tage vorgekommen war. Aber sobald die Ritter wieder ihre Stellung eingenommen hatten, entstand eine so tiefe Stille, als ob die Menge zu athmen fürchtete.

Nachdem man den Kämpfern und ihren Rossen eine Pause [95] von wenigen Minuten gestattet hatte, um Athem zu schöpfen, gab Prinz Johann den Trompetern mit seinem Commandostabe das Zeichen, zum Angriff zu blasen. Die Kämpfer eilten wieder von ihren Plätzen fort und trafen mit derselben Schnelligkeit, mit derselben Geschicklichkeit und derselben Gewalt, aber nicht mit demselben Glück wie vorher, in der Mitte des Platzes zusammen.

Bei diesem zweiten Zusammentreffen zielte der Templer nach dem Mittelpunkte des Schildes seines Gegners und traf ihn so genau und gewaltsam, daß die Lanze zersplitterte, und der enterbte Ritter im Sattel schwankte. Dieser hatte beim Beginn des Anrennens die Spitze seiner Lanze auf Bois-Guilberts Schild gerichtet, im Augenblicke des Zusammentreffens aber veränderte er sein Ziel, und richtete sie auf den Helm seines Gegners, ein schwerer zu treffendes Ziel, das aber, einmal getroffen, den Stoß um so gefährlicher machte. Sicher traf er das Visier des Normannen und die Lanzenspitze faßte die Stangen desselben. Doch selbst bei diesem Nachtheil behauptete der Templer seinen hohen Ruf, und wären nicht die Gurten seines Sattels zerrissen, er wäre vielleicht nicht heruntergeworfen worden. So aber rollten Sattel, Pferd und Mann in einer Staubwolke auf den Boden.

Sich von den Steigbügeln und dem gestürzten Rosse frei zu machen, war für den Templer das Werk kaum eines Augenblicks, und theils durch seine Schande, theils durch den lauten Zuruf der Menge fast zum Wahnsinn gebracht, zog er sein Schwert und bot damit seinem Sieger Trotz. Der enterbte Ritter sprang vom Pferde und zog ebenfalls sein Schwert. Doch die Marschälle sprengten dazwischen und erinnerten sie, daß die Gesetze des Turniers gegenwärtig eine solche Art des Kampfes nicht gestatteten.

»Wir werden uns wieder treffen, hoffe ich,« sagte der Templer, indem er einen rachevollen Blick auf seinen Gegner warf, »und zwar wo niemand uns trennt.«

»Wenn es nicht geschieht,« sagte der enterbte Ritter, »so wird es wenigstens nicht meine Schuld sein. Zu Fuß oder zu Pferd, mit Lanze, Streitaxt oder Schwert bin ich gleich bereit, mit Dir zu kämpfen.«

Sie würden noch mehr und zornigere Worte gewechselt haben, doch die Marschälle kreuzten ihre Lanzen zwischen ihnen und nöthigten [96] sie, sich zu trennen. Der enterbte Ritter kehrte zu seiner ersten Stellung zurück und Bois-Guilbert in sein Zelt, woselbst er den übrigen Theil des Tages in qualvoller Verzweiflung verbrachte.

Ohne von seinem Pferde abzusteigen, befahl der Sieger mit lautem Ruf, ihm einen Becher Wein zu bringen, öffnete den untern Theil seines Visiers, und fügte, als er ihn leerte, hinzu: »Allen treuen englischen Herzen vaes hael, Untergang den fremden Tyrannen!« Dann ließ er wieder seine Trompete schmettern und bat einen Herold, den Herausforderern anzukündigen, daß er keine Wahl treffen werde, sondern bereit sei, in der Ordnung mit ihnen zu kämpfen, wie sie sich ihm stellen würden.

Der riesenhafte Front de Boeuf, in eine schwarze Rüstung gekleidet, war der erste, der auf den Kampfplatz trat. Auf weißem Schilde trug er einen schwarzen Stierkopf, halb verwischt von den zahlreichen Kämpfen, die er bestanden hatte, und mit der anmaßenden Unterschrift versehen: Cave, adsum. Ueber diesen Kämpfer erlangte der enterbte Ritter einen geringen aber entscheidenden Vortheil. Beide Ritter brachen ihre Lanzen trefflich, doch Front de Boeuf, der bei dem Zusammenstoßen einen Steigbügel verlor, wurde für besiegt erklärt.

Bei dem dritten Kampfe des Fremden mit Sir Philipp Malvoisin war er ebenso erfolgreich. Er traf diesen Baron so gewaltsam an den Helm, daß die Bänder brachen, und Malvoisin nur dadurch vom Fall gerettet wurde, daß sein Helm herunterfiel, worauf er, gleich seinen Gefährten, für besiegt erklärt wurde.

Der vierte Kampf mit de Grantmesnil gab dem enterbten Ritter Gelegenheit, eben so viel Höflichkeit als bisher Muth und Geschicklichkeit an den Tag zu legen. De Grantmesnils Pferd war jung und scheu, und bewegte sich beim Anrennen so heftig hin und her, daß das Ziel des Ritters dadurch verrückt wurde; der Fremde aber, ohne diesen Vortheil zu benutzen, erhob seine Lanze, ritt an seinem Gegner vorbei, ohne ihn zu berühren, schwenkte sein Pferd herum und ritt wieder zu seiner Stellung am Ende der Schranken zurück, worauf er ihm durch einen Herold ein zweites Zusammentreffen anbieten ließ. De Grantmesnil lehnte [97] ab, indem er sich eben so sehr durch die Höflichkeit, als durch die Geschicklichkeit seines Gegners für besiegt erklärte.

Ralph de Vipont machte die Reihe der Triumphe des Fremden vollständig; er wurde mit solcher Gewalt zu Boden geschleudert, daß ihm das Blut aus Nase und Mund stürzte, und er bewußtlos aus den Schranken getragen werden mußte.

Der Beifall von Tausenden begleitete die einstimmige Entscheidung des Prinzen und der Marschälle, nach welcher die Ehre des Tages dem enterbten Ritter zuerkannt wurde.

9. Kapitel

[98] Kapitel IX.

– – Und in der Mitte sah man

Mit einer majestät'schen Miene

Ein Fräulein, wie zur Königin bestimmt

Durch Wuchs und Schönheit – –

Und wie ein Reiz sie alle übertraf,

So war ihr Anzug edler auch als aller –

Ein Diadem von rothem Gold umschloß

Die Stirn – zwar einfach – aber dennoch reich

Als Zeichen ihrer Herrschaft führte sie

Den Agnus-Castuszweig in ihrer Hand


Die Blume und das Blatt.

(Chaucer.)


Die Marschälle William de Wyvil und Stephan de Martival waren die ersten, welche dem Sieger ihre Glückwünsche darbrachten, und ihn zugleich baten, sich den Helm abnehmen zu lassen, oder wenigstens sein Visier aufzuschlagen, ehe sie ihn zu dem Prinzen führten, damit er den Preis des Turniers erhalte. Der enterbte Ritter schlug diese Bitte mit aller Höflichkeit ab, indem er angab, er dürfe für jetzt sein Gesicht nicht sehen lassen, aus Gründen, die er beim Eintritt in die Schranken den Herolden bereits angegeben habe. Die Marschälle waren vollkommen mit dieser Antwort zufrieden, denn unter den häufigen und seltsamen Gelübden, wodurch sich die Ritter in jenen Tagen zu binden pflegten, war keines häufiger als das, daß sie sich verbindlich machten, auf eine gewisse Zeit unerkannt zu bleiben, bis ein bestimmtes Abenteuer vollbracht sei. Die Marschälle drängten sich daher nicht weiter in das Geheimniß des enterbten Ritters, sondern kündigten dem Prinzen [99] Johann den Wunsch des Siegers an, unerkannt zu bleiben, und baten um die Erlaubniß, ihn vor Seine Hoheit führen zu dürfen.

Johanns Neugierde war erregt durch das Geheimniß, welches der Fremde beobachtete, und da er schon unzufrieden über den Ausgang des Turniers war, so antwortete er den Marschällen hochfahrend: »Bei unserer Dame, dieser Ritter hat seine Höflichkeit ebenso gut wie seine Besitzungen durch die Enterbung verloren, da er vor uns mit bedecktem Gesicht zu erscheinen wünscht. – Wißt ihr, Mylords,« sagte er zu seiner Begleitung gewendet, »wer dieser Tapfere sein mag, der sich so stolz beträgt?«

»Ich kann es nicht errathen,« antwortete de Bracy, »auch habe ich nicht gedacht, daß es innerhalb der vier Seen, welche Britannien einschließen, einen Kämpfer geben könne, der diese fünf Ritter an einem Tage zu besiegen vermöchte. Meiner Treu, ich vergesse in meinem Leben nicht, mit welcher Gewalt er de Vipont niederwarf. Der arme Hospitaliter wurde aus dem Sattel geworfen, wie ein Stein aus der Schleuder.«

»Prahlt nur nicht damit,« sagte ein Johanniterritter, »Euer Templer hatte kein besseres Glück! Ich sah es wohl, wie sich Bois-Guilbert dreimal überschlug und jedesmal mit den Händen in den Sand griff.«

Bracy, der es mit den Templern hielt, wollte erwidern, wurde aber von Prinz Johann verhindert, welcher sagte: »Still, ihr Herren! Wir streiten uns hier nutzlos!«

»Der Sieger,« begann de Wyvil, »wartet noch immer, ob es Eurer Hoheit gefällig wäre –«

»Es ist uns gefällig,« versetzte Johann, »daß er so lange warten soll, bis einer hier seinen Namen und Rang errathen hat. Sollte er bis zur Nacht hier bleiben, so wird er genug zu thun haben, sich warm zu halten.«

»Eure Hoheit,« sagte Waldemar Fitzurse, »erweist dem Sieger weniger als die schuldige Ehre, wenn Ihr ihn zu warten nöthigt, bis wir Euch sagen, was wir nicht errathen können. Ich wenigstens wüßte nicht, auf wen ich rathen sollte – es müßte denn einer von den wackern Kämpen sein, die König Richard begleiteten, und die jetzt im Begriffe sein sollen, aus dem gelobten Lande heimzukehren.«

»Es könnte der Graf von Salisbury sein,« sagte Bracy, »der hat ungefähr dieselbe Größe.«

[100] »Eher wohl Sir Thomas de Multon, der Ritter von Gilsland,« sagte Fitzurse, »Salisbury hat stärkere Knochen.«

Ein Geflüster erhob sich jetzt unter dem Gefolge, es könne ja der König Richard selber sein, doch erfuhr man nicht, von wem es herrühre.

»Bewahr uns Gott!« sagte Prinz Johann, und wandte sich todtenbleich und wie vom Blitz getroffen plötzlich um, indem er sagte, »Waldemar, Bracy, tapfere Ritter und Edle, denkt an Euer Versprechen und steht mir treulich bei.«

»Die Gefahr ist noch nicht so nahe,« sagte Waldemar Fitzurse, »seid Ihr denn so wenig mit der riesenhaften Gestalt von Eures Vaters Sohn bekannt, daß Ihr glaubt, er lasse sich in den Umfang einer solchen Rüstung wie die des Fremden einschließen? – Ihr, de Wyvil und Martival, würdet dem Prinzen einen Dienst leisten, wenn Ihr den Sieger sogleich zum Throne führtet, und so einen Irrthum endetet, der alles Blut aus den Wangen des Prinzen getrieben hat. Seht ihn nur genauer an,« fuhr er zu dem letzteren gewendet fort, »Eure Hoheit wird dann finden, daß ihm noch drei Zoll an Richards Höhe und zweimal so viel an der Breite der Schultern fehlen. Das Roß, welches er reitet, hätte auch den König Richard nicht in einem einzigen Gange zu tragen vermocht.«

Die Marschälle führten unterdeß den enterbten Ritter zu dem Fuße einer hölzernen Treppe, die aus den Schranken zu Johanns Throne hinaufführte. Immer noch durch den Gedanken beunruhigt, daß sein Bruder, der so beleidigte Bruder, dem er so sehr verpflichtet war, plötzlich in sein Vaterland zurückgekehrt sein möchte, konnte er selbst trotz der von Fitzurse angegebenen Unterscheidungszeichen seine Befürchtungen nicht ganz unterdrücken; und indem er, nach einer kurzen und befangenen Lobrede auf des Ritters Tapferkeit, befahl, ihm das als Preis ausgesetzte Schlachtroß zu überliefern, fürchtete er, aus dem noch immer geschlossenen Visiere des geharnischten Mannes eine Antwort der tiefen und achtunggebietenden Stimme des löwenherzigen Richard zu vernehmen.

Doch der enterbte Ritter erwiderte kein Wort auf des Prinzen Compliment, er dankte nur durch eine tiefe Verbeugung.

Dann wurde das Roß von zwei reich gekleideten Dienern in die Schranken eingeführt. Es war mit dem reichsten Geschirr versehen, [101] wodurch es indeß in den Augen der Kenner nichts an Werth gewinnen konnte. Der enterbte Ritter legte sogleich die eine Hand auf den Sattelknopf, schwang sich mit der andern, ohne den Steigbügel zu berühren, auf den Rücken des Thieres, und ritt mit geschwungener Lanze und der Geschicklichkeit eines vollendeten Reiters zweimal um die Schranken.

Der Schein von Eitelkeit, den dies sonst wohl hätte erwecken können, wurde dadurch aufgehoben, daß er sich das Ansehn gab, als wolle er den Preis, den er soeben von dem Prinzen empfangen hatte, im vortheilhaftesten Lichte zeigen, und so gewann der Ritter auch dadurch den Beifall der ganzen Versammlung.

Indeß hatte der unruhige Prior von Jorvaulx den Prinzen leise erinnert, daß der Sieger nun auch, nachdem er seine Tapferkeit an den Tag gelegt, seinen Geschmack darin zeigen müsse, daß er unter den Schönheiten, welche die Gallerien zierten, eine Dame wählte, die den Thron der Königin der Liebe und Schönheit einnehmen und den Preis des Turniers am folgenden Tage ertheilen könnte. Als der Ritter daher im zweiten Umgang um die Schranken an ihm vorüberkam, machte er ein Zeichen mit dem Stabe, worauf sich jener sogleich nach dem Thron wandte, und während er die Lanze bis auf einen Fuß vom Boden senkte, das feurige Roß aus der vollen Belegung zur Ruhe einer Bildsäule zu bringen wußte.

»Herr enterbter Ritter,« sagte Prinz Johann, »denn nur mit diesem Titel können wir Euch anreden, es ist jetzt Eure Pflicht, sowie Euer Vorrecht, die schöne Dame zu ernennen, welche als Königin der Ehre und Schönheit bei der Festlichkeit des nächsten Tages den Vorsitz führen soll. Wenn Ihr, als Fremder in unserm Lande, des Urtheils anderer bedürfen solltet, um das Eurige zu leiten, so können wir Euch nur sagen, daß Alicia, die Tochter unsers tapfern Ritters Waldemar Fitzurse, an unserm Hofe längst als die erste Schönheit anerkannt ist. Dennoch ist es Euer unbezweifeltes Vorrecht, diese Krone zu verleihen, wem Ihr wollt; durch die Ueberreichung derselben an die Dame Eurer Wahl ist die Königin auf morgen in aller Form bestimmt. – Erhebt Eure Lanze!«

Der Ritter gehorchte, und Prinz Johann steckte an die Spitze derselben einen mit einem Goldreif umfaßten Kranz von grünem Seidenzeug, dessen oberer Rand mit Pfeilspitzen und Herzen besetzt [102] war, die so wechselten wie die Blätter und Kugeln auf einer Herzogskrone.

Zu dem handgreiflichen Winke hinsichtlich Waldemar Fitzurses Tochter hatte Johann mehr als einen Beweggrund, die alle aus einem Gemüthe entsprangen, das eine seltsame Mischung von Sorglosigkeit, Anmaßung, niedrigen Kunstgriffen und Verschlagenheit darstellte. Er wünschte aus der Erinnerung der Ritter, die ihn umgaben, den unpassenden und unschicklichen Scherz hinsichtlich der Jüdin Rebekka zu verbannen, er wünschte ferner Alicias Vater sich zu verbinden, vor dem er eine gewisse Furcht empfand, und der sich im Verlaufe des Tages mehr als einmal unzufrieden gezeigt hatte. Auch hegte er den Wunsch, sich bei der Dame in Gunst zu setzen, denn Johann war wenigstens ebenso ausschweifend in seinen Vergnügungen als ungebändigt in seinem Ehrgeiz. Aber außer all diesen Gründen war er begierig, dem enterbten Ritter, gegen den er bereits einen heftigen Widerwillen hegte, einen mächtigen Feind in der Person des Waldemar Fitzurse entgegenzustellen, der, wie er dachte, die seiner Tochter zugefügte Beleidigung ohne Zweifel nicht ungerächt lassen werde, im Fall der Sieger, was nicht unwahrscheinlich war, eine andere Wahl treffen sollte.

Und so geschah es. Der enterbte Ritter sprengte an der Gallerie vorüber, die sich dicht neben der des Prinzen befand, und in welcher Lady Alicia in dem vollen Stolze triumphirender Schönheit saß. Indem er jetzt so langsam wie vorhin rasch um die Schranken ritt, schien er sich des Rechtes bedienen zu wollen, die zahlreichen schönen Gesichter zu prüfen, die jenen glänzenden Kreis schmückten.

Endlich hielt der Ritter unter dem Balcon still, auf welchem Lady Rowena saß, und die Erwartung der Zuschauer war aufs äußerste erregt.

Man muß gestehen, daß, wenn Theilnahme an dem Erfolge den enterbten Ritter hätte bestechen können, der Theil der Schranken, bei dem er jetzt hielt, diese Auszeichnung verdient haben würde. Cedric, der Sachse, überglücklich wegen der Niederlage des Templers, und noch mehr über die Niederlage seiner beiden übelwollenden Nachbarn, Front de Boeuf und Malvoisin, hatte sich mit halbem Leibe über die Schranken gelehnt, und war dem Sieger auf jedem Gange nicht bloß mit den Augen, sondern auch mit ganzem Herzen und ganzer Seele gefolgt. Lady Rowena hatte auf das Geschick [103] des Tages zwar mit gleicher Aufmerksamkeit geachtet, doch ohne denselben lebhaften Antheil merken zu lassen. Selbst der unbewegliche Athelstane schien seine gewöhnliche Apathie vergessen zu wollen, denn er hatte sich einen vollen Becher reichen lassen und ihn auf das Wohl des enterbten Ritters geleert.

Eine andere Gruppe unter der von den Sachsen besetzten Gallerie hatte einen nicht geringeren Antheil an dem Schicksal des Tages genommen.

»Vater Abraham!« sagte der Jude Isaak, als der erste Gang zwischen dem Templer und dem enterbten Ritter vorüber war, »wie stolz der Heide reitet! Das schöne Roß aus der Barbarei, wahrhaftig, er geht damit um, als wenns ein Waldesel wäre – und die edle Rüstung, die dem Joseph Pareira, dem mailändischen Waffenschmiede, so manche Zechine werth war, siebzig Procent Gewinn abgerechnet, um die kümmert er sich so wenig, als wenn er sie auf der Straße gefunden hätte!«

»Wenn er seine eigene Person und Glieder bei einem so furchtbaren Gefechte in Gefahr setzt, Vater,« sagte Rebekka, »da kann man wohl nicht erwarten, daß er an Roß und Rüstung denken werde.«

»Kind,« versetzte Isaak etwas erhitzt, »Du weißt nicht, was Du sprichst. Sein Hals und seine Glieder sind sein eigen, aber das Pferd und die Rüstung gehören – heiliger Jakob, was wollte ich sagen! – Nun, er ist doch ein guter Junge, sieh' Rebekka, sieh', er ist wahrlich willens, noch einmal den Gang mit dem Philister zu versuchen! Bete Kind, bete für die Rettung des guten Jünglings und um Schonung des Rosses und der reichen Rüstung. – Gott meiner Väter!« rief er abermals aus, »er hat gesiegt, und der unbeschnittene Philister ist vor seiner Lanze gefallen, wie Og, der König von Baschan, und Sihon, der König der Ammoniter vor dem Schwerte unserer Väter fielen! Gewiß wird er nun ihr Gold und ihr Silber, und ihre Streitrosse, und ihre Rüstungen von Erz und Stahl als Beute und Lohn bekommen!«

Die nämliche ängstliche Theilnahme zeigte der würdige Jude während jedes Ganges, welcher stattfand, und selten verfehlte er zu berechnen, wie viel das Pferd und die Rüstung werth sein könne, welche dem Sieger nach dem Gesetze zufielen. Man sieht daraus, daß diejenigen, welche den Theil der Schranken einnahmen, [104] vor welchem der enterbte Ritter jetzt eben verweilte, keinen geringen Antheil an seinem Glücke genommen hatten.

Aus Unentschlossenheit oder irgend einem andern Grunde blieb der Sieger des Tages länger als eine Minute unbeweglich, während die Augen der schweigenden Versammlung fest auf ihn geheftet waren; endlich senkte er langsam und mit Grazie die Spitze seiner Lanze und legte die Krone, die daran hing, zu den Füßen der schönen Rowena nieder. Augenblicklich ertönten die Trompeten und die Herolde riefen Lady Rowena als Königin der Schönheit und Liebe für den folgenden Tag aus und drohten denen mit angemessenen Strafen, welche ihrer Herrschaft nicht den gebührenden Gehorsam leisten würden. Hierauf wiederholten sie ihre Bitte um Largesse und Cedric beantwortete diese in der Freude seines Herzens durch eine reichliche Gabe, welcher Athelstane, obgleich minder schnell, ein gleich großes Geschenk beifügte.

Unter den Damen von normännischer Abkunft ließ sich zwar einiges Gemurmel vernehmen, denn sie waren ebenso wenig gewohnt, einer sächsischen Schönheit den Vorzug zu Theil werden, als ihre Edelherren in den Spielen, die sie selber eingeführt hatten, eine Niederlage erleiden zu sehen. Indessen wurden die Aeußerungen des Mißfallens durch den lauten Ruf des Volkes unterdrückt: »Es lebe die Lady Rowena, die erwählte, gesetzmäßige Königin der Liebe und Schönheit!« Manche fügten sogar noch hinzu: »Lange lebe die sächsische Prinzessin! Lange lebe der Stamm des unsterblichen Alfred!«

Wie unangenehm diese Töne auch dem Prinzen Johann und seiner Umgebung sein mochten, so sah er sich doch genöthigt, die Wahl des Siegers zu bestätigen; er stieg sogleich zu Pferde und ritt in Begleitung seines Gefolges wieder in die Schranken. Der Prinz verweilte einen Augenblick unter der Gallerie der Lady Alicia, der er sein Compliment machte, indem er zugleich zu seiner Umgebung sagte: »Wahrlich, ihr Herren, wenn des Ritters Thaten heute auch bewiesen, daß er Glieder und Muskeln hat, so zeigt doch seine gegenwärtige Wahl, daß seine Augen eben nicht die klarsten sind.«

Bei dieser Gelegenheit, sowie in seinem ganzen Leben, hatte Prinz Johann das Unglück, den Charakter derer zu verkennen, die er für sich zu gewinnen wünschte. Waldemar Fitzurse fühlte sich [105] mehr beleidigt als geschmeichelt dadurch, daß der Prinz so laut äußerte, seine Tochter sei verschmäht worden.

»Ich kenne kein Recht der Ritterschaft,« sagte er, »so köstlich und unveräußerlich als das jedes freien Edlings, die Dame seiner Liebe durch eigenes Urtheil zu wählen. Meine Tochter strebte nach keiner solchen Auszeichnung und wird in ihrem eigenen Charakter und in ihrer eigenen Sphäre hinreichend finden, was man ihr schuldig ist.«

Prinz Johann erwiderte nichts, sondern spornte sein Roß an und sprengte auf die Gallerie zu, wo Lady Rowena noch immer mit der Krone zu ihren Füßen saß.

»Empfangt, schöne Dame,« sagte er, »das Zeichen Eurer Herrschaft, welcher niemand aufrichtiger huldigen kann als ich selbst, Johann von Anjou; und gefällt es Euch, heute nebst Eurem edlen Vormund und Euren Freunden unser Bankett im Schlosse Ashby zu beehren, so werden wir die Herrscherin kennen lernen, der wir morgen unsere Dienste weihen sollen.«

Rowena schwieg, und Cedric antwortete an ihrer statt in seiner sächsischen Muttersprache: »Eála, hlaf-veard mîn, die Lady Rowena versteht die Sprache nicht, in der sie auf Eure Artigkeiten antworten sollte, auch weiß sie ihre Rolle bei Eurem Feste nicht zu spielen. Ich und der edle Athelstane von Coningsburgh sprechen auch nur die Sprache unserer Väter, so wie wir auch nur ihre Sitten kennen. Wir müssen daher mit Dank Eure höfliche Einladung zu dem Bankette ablehnen. Morgen aber wird Lady Rowena die Stelle übernehmen, zu der sie durch die freie Wahl des siegenden Ritters, die der Zuruf des Volks bestätigt hat, berufen ist. God beó vith eóv.«

Mit diesen Worten hob er die Krone auf, und setzte sie Rowena zum Zeichen der Annahme der ihr ertheilten zeitlichen Würde auf das Haupt.

»Was sagt er?« fragte Prinz Johann, sich stellend, als verstehe er die angelsächsische Sprache nicht, in der er doch recht wohl erfahren war. Man übersetzte ihm daher Cedrics Rede ins Französische. »Gut,« sagte er, »so wollen wir morgen selbst diese stumme Herrscherin zum Sitz ihrer Würde führen! Ihr aber, Herr Ritter,« setzte er zu dem Fremden gewendet hinzu, der noch immer [106] dicht bei der Gallerie geblieben war, »Ihr werdet doch wenigstens heute unser Gastmahl theilen?«

Der Ritter sprach jetzt zum ersten Male in leisem und flüchtigem Tone und entschuldigte sich, indem er Ermüdung und die nöthigen Vorbereitungen zu dem morgenden Kampfe vorschützte.

»Es ist gut,« sagte Prinz Johann mit Stolz, »wenn auch an abschlägige Antworten nicht gewöhnt, wollen wir versuchen, unser Mahl zu verdauen, so gut es gehen will; selbst wenn der glücklichste Kämpfer und seine erwählte Königin der Schönheit uns nicht beehren.«

Mit diesen Worten verließ er nebst seinem glänzenden Gefolge die Schranken, und das war das Zeichen zum Aufbruch und zur Zerstreuung für sämmtliche Zuschauer.

Indeß hatte Prinz Johann mit dem rachsüchtigen Gedächtnisse, das verletztem Stolze eigen ist, besonders wenn es sich mit dem Bewußtsein verbindet, daß es ihm an eignem Verdienst fehlt, kaum einige Schritte gethan, als er, sich umsehend, das Auge voll düsteren Zornes auf dem Landsassen ruhen ließ, der ihm den ersten Theil des Tages so sehr mißfallen hatte, und den Bewaffneten, die bei ihm waren, den Befehl zurief: »Bei eurem Leben, laßt mir den Kerl nicht entschlüpfen!«

Der Landsasse stand, den glühenden Blick auf den Prinzen geheftet, mit derselben unveränderlichen Festigkeit da, die sein früheres Benehmen bezeichnet hatte, und sagte mit Lächeln: »Ich gedenke überdies Ashby nicht vor übermorgen zu verlassen; ich muß doch sehen, wie Staffordshire und Leicestershire ihre Bogen spannen, Needwood und Charnwood müssen auch gute Schützen liefern.«

»Und ich,« sagte Prinz Johann zu seinem Gefolge, ohne geradezu auf jene Rede zu antworten, »ich will sehen, wie er seinen eigenen Bogen spannt; und wehe ihm, wenn seine Geschicklichkeit nicht einigermaßen seine Ungeschliffenheit entschuldigt.«

»Es ist hohe Zeit,« sagte Bracy, »daß die outre-cuidance dieses Landvolks durch eine exemplarische Strafe gebändigt wird.«

Waldemar Fitzurse, der vermuthlich meinte, daß sein Herr nicht den geradesten Weg zur Volksgunst einschlüge, zuckte die Schultern und schwieg. Prinz Johann zog sich aus den Schranken zurück, und nun wurde das Auseinandergehen der Menge allgemein.

10. Kapitel

[107] Kapitel X.

Dem Raben gleich, dem grausen Unheilsboten,

Deß Schnabel ist des Kranken Sterbeglöcklein,

Der in dem Schatten stiller Nächte

Ansteckung von dem schwarzen Fittich schüttelt,

So eilt verwirrt, gemartert Barrabas

Mit Todesflüchen zu den Christen hin.


Der Jude von Malta.


Man hörte noch lange fernes Summen der scheidenden und lebhaft plaudernden Volkshaufen, die auf verschiedenen Straßen hinzogen.

Durch die Dunkelheit, die nun hereinbrach, glühte das Feuer vieler Oefen und kündigte die Arbeit der Waffenschmiede an, die die ganze Nacht hindurch thätig sein mußten, um bis zum Morgen die beschädigten Rüstungen herzustellen, die von neuem gebraucht werden sollten.

Eine starke Wache von Geharnischten, die alle zwei Stunden abgelöst wurde, umgab die Schranken und hielt sie während der Nacht unter strenger Obhut.

Der enterbte Ritter fand ein Unterkommen für die Nacht in einem der Zelte, das die Marschälle ihm höflich zur Benutzung überließen. Kaum war er in dies Zelt getreten, als Knappen und Pagen in Menge ihm ihre Dienste anboten, um ihn der Rüstung zu entledigen, ihm einen andern Anzug zu reichen und die Erfrischung des Bades anzubieten. Ihr Eifer wurde vielleicht durch die Neugierde erhöht; denn jeder war begierig zu erfahren, wer denn eigentlich der Ritter sei, der so viele Lorbeeren geerntet und sich doch geweigert hatte, das Visier zu öffnen oder seinen Namen [108] zu nennen. Allein diese dienstfertige Neugier wurde diesmal nicht befriedigt. Der enterbte Ritter lehnte alle Unterstützung ab, außer der seines eigenen Knappen, eines finster aussehenden Mannes, der, in ein dunkelfarbiges, schlechtes Gewand gehüllt, und Kopf und Gesicht zur Hälfte in eine normännische Mütze von dunklem Pelzwerk begraben, seine Verkleidung eben so streng behaupten zu wollen schien als sein Herr selbst. Nachdem sich alle übrigen aus dem Zelte entfernt hatten, nahm ihm sein Diener die lästigsten Theile seiner Rüstung ab, und setzte ihm Wein und Speise vor, die ihm die Anstrengungen des Tages höchst schmackhaft machten.

Kaum hatte er sein hastiges Mahl geendet, als man ihm meldete, daß fünf Männer, von denen jeder ein Schlachtroß am Zügel führe, ihn zu sprechen wünschten. Der enterbte Ritter hatte seine Rüstung jetzt mit einem langen Gewande vertauscht, welches Leute seines Standes gewöhnlich zu tragen pflegten, und das mit einer Art Kappe versehen war, durch die man das Gesicht nach Gefallen eben so verbergen konnte, wie durch das Visier des Helmes; indessen hätte die Dunkelheit eine solche Verhüllung unnöthig gemacht, es müßte denn jemand die Züge des andern sehr genau gekannt haben.

Der enterbte Ritter begab sich demnach sogleich vor das Zelt und fand hier die Knappen der Herausforderer, die er sogleich an ihrer röthlichen und schwarzen Kleidung erkannte, und von denen jeder das Schlachtroß seines Gebieters führte, beladen mit der Rüstung, in der jeder an diesem Tage gefochten hatte.

»Gemäß den Gesetzen der Ritterschaft,« sagte der erste von ihnen, »biete ich, Balduin de Oyley, Knappe des gefürchteten Ritters Brian de Bois-Guilbert, Euch, der Ihr Euch selbst den enterbten Ritter nennt, das Roß und die Rüstung an, welche besagter Brian de Bois-Guilbert an diesem Tage des Turniers benutzt hat, entweder um selbige zu behalten oder ein Lösegeld zu bestimmen, nach Euer Gnaden Gefallen, denn solches ist das Gesetz der Waffen.«

Die andern Knappen wiederholten fast dieselbe Formel und erwarteten hierauf die Entscheidung des Ritters.

»Für euch, ihr vier Knappen,« versetzte der Ritter, indem er sich an die wendete, welche zuletzt gesprochen hatten, »und für eure [109] ehrenwerthen und tapferen Herren habe ich nur eine gemeinsame Antwort. Empfehlt mich den edlen Rittern, euren Herren, und sagt ihnen, ich würde übel thun, wenn ich sie ihrer Rosse und Rüstungen berauben wollte, welche nie von tapferern Männern besessen werden können. Ich wünschte, ich könnte hier meinen Auftrag an diese tapferen Ritter endigen, allein, da ich, wie ich mich selbst nenne, in Wahrheit der Enterbte bin, so muß ich eurer Herren Anerbieten insofern annehmen, daß es ihnen gefallen möge, wenigstens ihre Rüstungen auszulösen, denn die, welche ich trage, kann ich in der That kaum mein eigen nennen.«

»Wir sind beauftragt,« erwiderte der Knappe Reginald Front de Boeufs, »jeder hundert Zechinen zur Auslösung dieser Rosse und Rüstungen anzubieten.«

»Es ist hinreichend,« sagte der enterbte Ritter. »Die Hälfte der Summe nöthigt mich mein gegenwärtiges Bedürfniß anzunehmen; die andere Hälfte mögt ihr theils unter euch selbst, theils unter die Herolde und andere Dienstleistende bei dem Feste vertheilen.«

Das Barett in der Hand und mit tiefen Verbeugungen drückten die Knappen ihren Dank für eine Artigkeit aus, welche selten, am wenigstens in solchem Maße, vorzukommen pflegte. Der enterbte Ritter wandte sich hierauf eigens an Balduin, den Knappen Brian de Bois-Guilberts, und sagte zu ihm: »Von Eurem Herrn nehme ich weder Waffen noch Lösegeld an. Sagt ihm in meinem Namen, unser Kampf sei noch nicht beendigt, nicht eher, als bis wir noch mit Schwert und Lanze gefochten haben, sowohl zu Fuß als zu Roß. Zu solchem Kampfe auf Leben und Tod hat er mich selbst herausgefordert, und ich werde diese Herausforderung nicht vergessen. Daher meldet ihm, daß ich mich gegen ihn nicht so benehmen kann, wie gegen einen seiner Gefährten, sondern nur wie gegen jemanden, der mich auf Tod und Leben gefordert.«

»Mein Herr,« entgegnete Balduin, »versteht sich darauf, Verachtung mit Verachtung, Streich mit Streich, sowie Höflichkeit mit Höflichkeit zu erwidern. Da Ihr es verschmäht, von ihm eine Lösung anzunehmen, die Ihr für die Waffen der andern Ritter angenommen habt, so muß ich Euch seine Rüstung und sein Roß hier lassen, denn ich bin überzeugt, daß er sich beider nie wieder bedienen wird.«

[110] »Wohl gesprochen, treuer Knappe,« sagte der enterbte Ritter, »wohl und kühn, wie es sich ziemt, für seinen abwesenden Herrn zu sprechen. Allein Pferd und Rüstung laßt doch nicht hier! Stellt sie Eurem Herrn wieder zu, und verschmäht er dennoch, sie anzunehmen, so behaltet sie, mein Freund, zu Eurem eignen Gebrauch. Insofern sie mir gehören, sind sie Euch geschenkt.«

Balduin machte eine tiefe Verbeugung und entfernte sich mit seinen Gefährten. Der enterbte Ritter kehrte in sein Zelt zurück.

»So weit, Gurth,« sagte er, indem er sich zu seinem Diener wandte, »hat der Ruhm der sächsischen Ritterschaft durch mich nicht gelitten.«

»Und ich,« sagte Gurth, »ich dächte, für einen westsächsischen Schweinehirten hätte ich die Rolle eines normännischen Knappen nicht übel gespielt.«

»Ja, aber,« entgegnete der enterbte Ritter, »Du hast mich in fortwährender Angst erhalten, daß Dein tölpelhaftes Benehmen Dich verrathen möchte –«

»Still doch!« sagte Gurth, »ich fürchte von niemand entdeckt zu werden, als von meinem Kameraden Wamba, dem Narren; denn ich weiß noch immer nicht, ob er mehr Schelm als Narr ist. Indeß konnte ich mich doch kaum des Lachens enthalten, als mein alter Herr so nahe an mir vorüberging und sichs gar nicht anders träumen ließ, als daß Gurth noch seine Schweine einige Meilen davon in den Wäldern und Sümpfen von Rotherwood hütet. Wenn ich entdeckt werde –«

»Genug,« erwiderte der enterbte Ritter, »Du kennst ja mein Versprechen.«

»Nun, daran liegt mir nichts,« sagte Gurth, »ich werde aus Furcht, daß mir das Fell gegerbt werden könnte, meine Freunde wahrlich nicht verlassen. Ich habe eine ziemlich dicke Haut, die verträgt die Peitsche so gut, wie die eines Ebers in meiner Heerde.«

»Ich lohne Dir jede Gefahr, der Du Dich mir zu Liebe aussetzest,« erwiderte der enterbte Ritter, »doch nimm einstweilen diese zehn Goldstücke.«

»Nun bin ich reicher,« sagte Gurth, sie in die Tasche steckend, »als je ein Schweinehirt oder Leibeigner im ganzen Lande gewesen.«

»Trage diesen Beutel mit Geld nun nach Ashby,« fuhr sein [111] Herr fort, »suche Isaak, den Juden von York, auf, und laß ihn sich selbst bezahlt machen für das Roß und die Rüstung, die er mir geliehen.«

»Nein, beim heiligen Dunstan,« versetzte Gurth, »das thue ich nimmermehr.«

»Was, Kerl,« sagte sein Herr, »Du willst meinen Befehlen nicht gehorchen?«

»Ja, aber sie müssen vernünftig und christlich sein,« entgegnete Gurth; »aber dieser ist es nicht! Dulden, daß ein Jude sich selbst bezahlt mache, wäre nicht redlich, denn das hieße meinen Herrn berauben, es wäre unvernünftig, und nur ein Narr oder Nichtchrist könnte so handeln; es hieße ja einen Gläubigen plündern, um einen Ungläubigen zu bereichern.«

»Nun so sieh, wie Du ihn befriedigst, Du Dickkopf!« sagte der enterbte Ritter.

»Gut,« sagte Gurth, den Beutel unter den Arm nehmend und das Zelt verlassend. »Ich will gehen,« murmelte er für sich; »ich werde ihn schon mit einem Viertel seiner Forderung befriedigen.«

Der enterbte Ritter versank in düstere Gedanken; warum? dürfen wir unsern Lesern vorläufig noch nicht entdecken.

Wir müssen jetzt die Scene nach dem Dorfe Ashby, oder vielmehr nach dem Landhause in der Nähe desselben verlegen, welches einem reichen Juden gehörte, bei dem sich Isaak mit seiner Tochter und seinen Dienern einquartiert hatte.

In einem kleinen aber mit Verzierungen im morgenländischen Geschmack reichlich ausgestatteten Zimmer saß Rebekka auf mehreren über einander gelegten Kissen, welche längs einer Erhöhung, die rings um das Zimmer lief, angebracht waren, und die gleich der Estrada der Spanier statt der Stühle und Sessel dienten. Sie beobachtete die Bewegungen ihres Vaters, der mit niedergeschlagener Miene und unregelmäßigen Schritten im Zimmer umherging, mit kindlicher und ängstlicher Aufmerksamkeit. Zuweilen schlug er die Hände zusammen, zuweilen erhob er die Augen zur Decke, wie jemand, der sich in großer Unruhe befindet.

»O Jakob!« rief er aus, »und all ihr zwölf Erzväter unseres Stammes, was ist das für ein Unglück für einen armen Mann, [112] der doch jeden Buchstaben im Gesetz Mosis treulich beobachtet hat! Fünfzig Zechinen mit einem Griffe mir entwendet zu sehen, und durch die Finger eines Tyrannen?«

»Aber, Vater,« sagte Rebekka, »es schien doch, als gäbet Ihr dem Prinzen das Geld willig und gern« –

»Willig, sagst Du, willig? Ja, eben so willig, als da ich in dem Meerbusen von Marseille meine Waaren über Bord warf, um das Schiff leichter zu machen bei dem heftigen Sturme; und war denn das nicht eine Stunde voll unaussprechlichen Elends, obgleich ich selbst das Opfer brachte?«

»Es geschah aber doch, um unser Leben zu retten, Vater,« versetzte Rebekka, »und der Gott unserer Väter hat seitdem Euer Waarenlager und Euern Handel gesegnet.«

»Ja,« entgegnete Isaak, »aber wenn der Tyrann nun Beschlag darauf legt, wie heute, und mich zwingt zu lächeln, indem er mich plündert! O, Tochter! enterbt und unstät wie wir sind, ist doch das größte Uebel, das unsern Stamm trifft, daß alle Welt uns auslacht, wenn wir gemißhandelt und geplündert werden; wir müssen unser erlittenes Unrecht verbeißen und geduldig lächeln, wo wir wünschten, uns muthig zu rächen.«

Während dieser Unterredung war es dunkel geworden, als ein jüdischer Diener ins Zimmer trat und zwei silberne Lampen mit wohlriechendem Oel auf den Tisch setzte. Die köstlichsten Weine und ausgesuchtesten Erfrischungen wurden zugleich von einem anderen Diener auf einen kleinen elfenbeinernen, mit Silber ausgelegten Tisch niedergesetzt, denn in ihren Häusern versagten sich die Juden keinen Aufwand. Der Diener meldete Isaak zugleich, daß ein Nazarener, so nannten die Juden die Christen unter sich, ihn zu sprechen wünsche. Wer vom Handel lebt, muß immer und für jeden zu sprechen sein, der Geschäfte mit ihm machen will. Isaak setzte daher den schon erhobenen Becher mit griechischem Weine wieder auf den Tisch, rief seiner Tochter zu: »Verschleiere Dich, Rebekka!« und ließ den Fremden eintreten.

Gerade als Rebekka einen Schleier von Silbergaze, der ihr bis zu den Füßen reichte, über ihr schönes Gesicht hatte fallen lassen, öffnete sich die Thüre, und Gurth trat herein, in seinen weiten normännischen Mantel gehüllt. Sein Aeußeres hatte eher [113] etwas Verdächtiges als Einnehmendes, zumal da er die Mütze, statt sie abzunehmen, noch weiter ins Gesicht zog.

»Bist Du Isaak, der Jude von York?« fragte Gurth in sächsischer Sprache.

»Der bin ich,« erwiderte der Jude in derselben Sprache, denn sein Verkehr hatte ihm die damals in England geredeten Sprachen geläufig gemacht, »und wer bist Du?«

»Das geht Dich nichts an,« antwortete Gurth.

»Eben so viel als mein Name Dich angeht,« erwiderte Isaak, »denn wenn ich den Deinen nicht weiß, wie kann ich mit Dir Geschäfte machen?«

»Sehr leicht,« versetzte Gurth, »denn wenn ich Geld bezahlen will, muß ich die rechte Person kennen, der ichs ausliefere; Dir, der Du es empfängst, kann es ziemlich gleichgültig sein, wer Dir es zahlt.«

»Ei sieh doch!« sagte der Jude. »Du willst mir Geld bezahlen? Heiliger Vater Abraham! Das ändert die Sache. Und von wem bringst Du es denn?«

»Von dem enterbten Ritter,« sagte Gurth, »dem Sieger im heutigen Turniere. Es ist der Preis für die Rüstung, die ihm Kirjath Jairam von Leicester auf Deine Empfehlung geliehen. Der Zelter ist wieder in Deinem Stalle. Ich wünschte nun zu wissen, wie viel ich für die Rüstung zu zahlen habe?«

»Sagt ichs nicht, er sei ein guter Junge?« rief Isaak voller Freude. »Ein Becher Wein wird Dir nicht schaden,« setzte er hinzu und schenkte dem Schweinehirten einen volleren Becher ein als er selbst ihn vorher hatte trinken wollen. »Und wie viel hast Du denn mitgebracht?«

»Heilige Jungfrau!« sagte Gurth und setzte den Becher nieder, »welchen Nektar trinken die ungläubigen Hunde, indeß redliche Christenleute Gott danken, wenn sie so dickes und trübes Bier haben, wie das Spülicht, das die Schweine bekommen. Wie viel ich mitgebracht habe? Nun, es ist eben nicht viel; aber Du sollst doch etwas erhalten! Wie, Isaak, Du mußt doch auch ein Gewissen im Leibe haben, wenn es auch nur ein jüdisches ist?«

[114] »Ja,« sagte der Jude, »aber Dein Herr hat ja treffliche Pferde und reiche Rüstungen mit der Stärke seiner Lanze und seiner Hand gewonnen; und er ist ein guter Mensch! Der Jude will diese an Zahlungs statt annehmen, und ihm den Ueberschuß herausgeben.«

»Mein Herr hat schon darüber verfügt,« sagte Gurth.

»Ach, das war Unrecht,« sagte der Jude, »das war ein thörichter Streich! Kein Christ kann doch so viel Rosse und Rüstungen bezahlen, auch kein Jude außer mir wird ihm die Hälfte des Werthes geben. Doch, Du hast gewiß hundert Zechinen da unten,« sagte der Jude und that einen Griff unter Gurths Mantel, »der Beutel ist schwer.«

»Ich habe Bolzenspitzen darin,« erwiderte Gurth sofort.

»Wenn ich sagte, ich wollte achtzig Zechinen für das gute Pferd und die reiche Rüstung annehmen, so hätte ich nicht einen Pfennig Profit. Habt Ihr wirklich Geld zu zahlen?«

»Zur Nothdurft,« sagte Gurth, obwohl die verlangte Summe billiger war, als er erwartet hatte, »aber dann wird mein Herr ganz und gar bloß. Ist es indeß Eure letzte Forderung, so muß ich zufrieden sein.«

»Schenke Dir noch ein Glas Wein ein,« sagte der Jude, »aber achtzig Zechinen sind doch zu wenig; da büße ich noch die Zinsen von dem Gelde ein; und überdies kann ja auch das Roß Schaden genommen haben. Es war ein gar zu hartes Zusammentreffen. Mann und Roß rannten ja wie wilde Stiere aufeinander los. Das Pferd muß Schaden genommen haben.«

»Und ich sage,« versetzte Gurth, »es ist gesund an Lunge und Gliedern, Du kannst es besehen im Stall. Auch sage ich noch, daß siebzig Zechinen genug sind für die Rüstung. Wollt Ihr siebzig nehmen? Wo nicht, so nehme ich den Beutel wieder mit zu meinem Herrn.« Bei diesen Worten schüttelte er denselben, daß der Inhalt klang.

»Nein, nein,« sagte der Jude, »lege nieder die Talente, die Seckel, die achtzig Zechinen, und Du sollst sehen, ich werde Dich freigebig bedenken.«

Gurth ließ sichs endlich gefallen, und indem er die achtzig Zechinen auf den Tisch zählte, stellte ihm der Jude eine Quittung [115] über den Empfang der Zahlung aus. Seine Hand zitterte vor Freude, als er die ersten siebzig Goldstücke einstrich. Die letzten zehn überzählte er mit mehr Ueberlegung, er pausirte dabei und sprach etwas, sowie er jedes einzelne Stück vom Tische nahm und in seinen Beutel fallen ließ. Es schien, als ob sein Geiz mit seiner bessern Natur kämpfte und ihn antriebe, Zechine nach Zechine einzustreichen, während seine Großmuth ihn nöthigte, wenigstens etwas seinem Wohlthäter zurückzugeben.

Seine Worte lauteten ungefähr wie folgt: »Einundsiebzig – zweiundsiebzig – Dein Herr ist ein guter Junge – dreiundsiebzig – ein vortrefflicher Junge – vierundsiebzig – das Stück ist ein wenig beschnitten – fünfundsiebzig – und das scheint etwas zu leicht zu sein – sechsundsiebzig – wenn Dein Herr Geld bedarf, so mag er nur zum Isaak von York kommen – siebenundsiebzig – so viel muß ich selber dafür zahlen.« Hier machte er eine beträchtliche Pause, und Gurth hoffte, die drei letzten Stücke möchten dem Schicksal ihrer Kameraden entgehen, aber die Zählung wurde fortgesetzt. – »Achtundsiebzig – Du bist ein guter Kerl – neunundsiebzig – Du verdienst etwas für Deine Mühe.«

Hier machte der Jude wieder eine Pause und betrachtete die letzte Zechine, ohne Zweifel in der Absicht, sie Gurth zu schenken. Er wog sie auf der Spitze des Fingers und ließ sie auf dem Tische klingen. Hätte sie matt geklungen, oder wäre sie nur um ein Haar zu leicht ausgefallen, so hätte wahrscheinlich der Edelmuth gesiegt, aber unglücklicherweise für Gurth war der Klang voll und rein, die Zechine stark, von schönem Gepräge und hielt noch einen Gran übers Gewicht. Isaak vermochte sich daher nicht von ihr zu trennen und ließ sie in den Beutel fallen, wie in einer Art von Geistesabwesenheit, indem er sagte: »Achtzig macht die Zahl voll! Ich denke, Dein Herr wird Dich schon ansehnlich belohnen! Gewiß,« setzte er mit einem forschenden Blick auf den Beutel hinzu, »hast Du noch mehr Geld in diesem Beutel.«

Mit grinsendem Lächeln erwiderte Gurth: »Fast eben so viel, als Du jetzt so sorgfältig gezählt hast.« Dann legte er die Quittung zusammen, steckte sie unter seine Mütze, schenkte sich ungebeten noch einen dritten Becher Wein ein und verließ ohne Complimente das Zimmer.

[116] »Rebekka,« sagte der Jude, »dieser Ismaelite hat mich doch überholt! Indeß, sein Herr ist dennoch ein guter Junge, und es ist mir lieb, daß er hat Seckel voll Gold und Seckel voll Silber gewonnen durch die Schnelligkeit seines Rosses und durch die Stärke seiner Lanze, die, wie Goliaths des Philisters, mit einem Weberbaum wetteifern könnte.«

Als er sich umwandte, Rebekkas Antwort zu vernehmen, bemerkte er, daß sie unterdeß das Zimmer verlassen hatte.

Inzwischen war Gurth die Treppe hinabgestiegen, und als er die dunkle Vorhalle erreicht hatte, tappte er umher, den Eingang zu suchen; da erblickte er beim Schein einer silbernen Lampe eine weiße Gestalt, die ihm nach einem Seitengemache winkte. Gurth trug Bedenken, der Einladung zu folgen. Ungestüm und rauh, wie ein wilder Eber, wenn er nur menschliche Kräfte zu fürchten hatte, war er doch, wie alle Sachsen, voll Furcht vor Gespenstern, Kobolden und weißen Frauen. Es fiel ihm ein, daß er im Hause eines Juden sei, und diese wurden zu jener Zeit für Schwarzkünstler und Zauberer gehalten. Trotzdem besann er sich doch nur einige Augenblicke und folgte der Gestalt wirklich in das Gemach.

[117] »Mein Vater scherzte nur mit Dir, guter Mann,« sagte Rebekka, »er verdankt Deinem Herrn viel mehr, als diese Waffen und das Roß werth sind. Welche Summe hast Du jetzt meinem Vater gezahlt?«

»Achtzig Zechinen,« antwortete Gurth, erstaunt über diese Frage.

»In diesem Beutel wirst Du hundert finden,« sagte Rebekka. »Gib Deinem Herrn zurück, was sein ist, und behalte das übrige für Dich. Schnell fort! Keinen Dank! Und nimm Dich in Acht, daß Du glücklich durch die überfüllte Stadt kommst, wo Du leicht Deine Beutel und Dein Leben verlieren könntest. – Ruben,« setzte sie hinzu, indem sie in die Hände schlug, »leuchte dem Fremden und dann vergiß nicht, Schloß und Riegel hinter ihm zuzumachen.«

Ruben, ein schwarzäugiger und schwarzbärtiger Israelit, folgte dem Befehl mit einer Fackel in der Hand. Er öffnete die Hausthür, führte Gurth über einen gepflasterten Hofraum und wies ihn durch ein kleines Pförtchen im Thorwege, das er dann wieder hinter sich mit so starken Riegeln und Ketten verschloß, daß man den Ort für ein Gefängniß hätte halten können.

»Beim heiligen Dunstan!« sagte Gurth, als er in der dunklen Allee weiterstolperte, »das ist keine Jüdin, sondern ein Engel vom Himmel! Zehn Zechinen von meinem braven jungen Herrn, und zwanzig von dieser Perle Zions! O, häppig daeg! Glücklicher Tag! Noch ein solcher, Gurth, und Du kannst Dich frei machen von Deiner Hörigkeit so gut wie ein anderer. Dann aber lege ich das Horn und den Stab des Schweinehirten nieder, nehme wie ein freier Mann Schwert und Schild und folge meinem jungen Herrn bis in den Tod, ohne meinen Namen oder mein Gesicht zu verbergen.«

11. Kapitel

[118] Kapitel XI.

Erster Räuber. Steht, Herr, werft hin das, was Ihr bei Euch tragt,

Sonst setzen wir Euch hin, Euch auszuplündern.

Flink. Wir sind verloren, Herr! das sind die Schufte,

Vor denen alle Reisenden sich fürchten.

Valentin. Ihr, Freunde –

Erster Räuber. Das sind wir nicht, Herr; wir sind Eure Feinde.

Zweiter Räuber. Still, hört ihn an.

Dritter Räuber. Bei meinem Bart, das wollen wir;

Er ist ein feiner Mann.


Die beiden Veroneser.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe Bd. V, S. 253.)


Die nächtlichen Abenteuer Gurths waren noch nicht zu Ende; und er selbst fing dies zu fühlen an, als er, nachdem er an einigen einsam stehenden Häusern außerhalb des Dorfes vorübergegangen war, sich in einem tiefen Hohlwege sah, der auf beiden Seiten mit niedrigem Gesträuch bewachsen war, während hier und da eine Zwergeiche ihre Aeste über den Weg streckte.

Von den vielen Wagen, die vor kurzem so mancherlei Gegenstände zum Turnier befördert hatten, war der Hohlweg ausgefahren, und es war dunkel, denn die Ränder und Büsche wehrten das Licht des Mondes ab.

Vom Dorfe her hörte man Getön von allerlei Lustbarkeiten, in das sich gelegentliches Gelächter mischte, oder das ab und zu von schrillem Jauchzen und wilden musikalischen Klängen unterbrochen war. All diese Töne, die den außergewöhnlichen Zustand des Ortes, der mit Edlingen und ihrem ausschweifenden Gefolge angefüllt war, bekundeten, verursachten unserm Gurth ein gewisses [119] unbehagliches Gefühl. »Die Jüdin hatte Recht,« sagte er zu sich. »Beim Himmel und dem heiligen Dunstan! ich wollte, ich wäre glücklich mit meinem Reichthum am Ende meiner Reise. Da ist ein Haufe, ich will nicht sagen von Hauptspitzbuben, aber von Hauptleuten, Hauptcavalieren, Hauptmönchen, Hauptsängern, Hauptgauklern, Hauptnarren, daß ein einzelner Mann mit auch nur einer Mark in der Tasche in Angst sein könnte, geschweige denn ein armer Schweinehirt mit einem ganzen Beutel voll Zechinen.«

Demgemäß beschleunigte Gurth seine Schritte, so viel er konnte, um wenigstens in die offene Gegend hinauszukommen, zu welcher der Hohlweg führte. Doch er war nicht so glücklich, sein Ziel ungefährdet zu erreichen. Grade am obern Ende des Hohlwegs, wo das Gesträuch am dichtesten war, sprangen vier Männer auf ihn los und es packten ihn zwei von jeder Seite so gewaltsam, daß aller Widerstand vergeblich war. – »Gib her, was Du trägst,« sagte einer von ihnen, »wir sind Befreier zum allgemeinen Besten und entledigen jeden seiner Bürde.«

»Von meiner doch nicht so leicht,« murmelte Gurth, dessen knorrige Ehrlichkeit sich auch unter dem Drucke unmittelbarer Gewaltthat nicht beugte, »hätte ich nur die Möglichkeit, drei Streiche zu ihrer Vertheidigung zu führen.«

»Das werden wir gleich sehen,« sagte einer der Räuber, und zu seinen Gefährten gewendet, fügte er hinzu: »Nehmt den Schurken mit; ich sehe, er zieht es vor, sich den Hirnkasten einschlagen und seinen Beutel aufschneiden zu lassen, so daß er aus zwei Adern zugleich Blut hergibt.«

Dem Befehl gemäß wurde Gurth eiligst hinweggeschleppt, und nachdem man ihn unsanft über den Rand des Hohlwegs gezerrt, sah er sich plötzlich in einem einsamen Gebüsch, das zwischen dem Hohlwege und dem freien Felde lag. Dort ward er gezwungen, seinen rohen Führern bis zur Tiefe des Schlupfwinkels zu folgen, wo sie plötzlich an einem offenen unregelmäßigen Platze hielten, der ganz frei von Bäumen war, und auf welchen das volle Mondlicht herabfiel. Hier vereinigten sich mit der Bande noch zwei andre Spießgesellen. Sie trugen kurze Schwerter an der Seite, große Knüttel in den Händen, und Gurth konnte bemerken, daß sie alle sechs Visiere vorhatten, was ihn über ihr Gewerbe vollkommen [120] aufklären konnte, wenn ihm dies ihr vorhergehendes Verfahren nicht schon sattsam erläutert hätte.

»Wie viel Geld hast Du?« fragte einer der Strauchdiebe.

»Dreißig Zechinen sind mein eigen,« antwortete Gurth mürrisch.

»Verwirkt, verwirkt!« schrieen die Räuber; »ein Sachse hat dreißig Zechinen und kommt nüchtern aus der Stadt! Ein unleugbarer Grund, warum alles an uns verwirkt ist, was er bei sich trägt.«

»Ich habe sie nur gespart, um mir die Freiheit zu kaufen,« sagte Gurth.

»Ein Esel bist Du,« erwiderte einer von den Räubern; »drei Quart Doppelbier hätten Dich so frei gemacht wie Deinen Herrn, und noch freier, wenn er ein Sachse ist wie Du.«

»Eine traurige Wahrheit,« versetzte Gurth; »doch wenn die dreißig Zechinen mir die Freiheit von euch erkaufen können, so laßt meine Hände los, ich will sie euch auszahlen.«

»Halt,« sagte der eine, der eine Art von Autorität über die andern auszuüben schien, »der Beutel, den Du trägst, enthält, wie ich durch Deinen Mantel fühle, mehr Geld, als Du uns gesagt hast.«

»Das gehört dem guten Ritter, meinem Herrn,« erwiderte Gurth, »und ich würde, seid versichert, kein Wort davon erwähnt haben, wäret ihr mit dem zufrieden gewesen, was ihr mir von meinem Eignen abnehmt.«

»Du bist ein ehrlicher Bursche,« versetzte der Räuber, »das ist ausgemacht, und wir verehren St. Nikolaus nicht so inbrünstig, daß wir Deine dreißig Zechinen nicht unangetastet ließen, wenn Du offen gegen uns bist. Einstweilen aber gib uns Dein anvertrautes Gut in Verwahrung.« Mit diesen Worten nahm er Gurth die große Ledertasche ab, in welcher sich der Beutel befand, den ihm Rebekka geschenkt hatte, sowie die übrigen Zechinen; dann fuhr er fort zu fragen: »Wer ist Dein Herr?«

»Der enterbte Ritter,« sagte Gurth.

»Dessen gute Lanze,« erwiderte der Räuber, »den Preis in dem heutigen Turniere gewann? – Welches ist sein Name und seine Herkunft?«

[121] »Er wünscht, daß dies Geheimniß bleibe,« versetzte Gurth, »und von mir werdet Ihr nichts darüber erfahren.«

»Und welches ist Dein Name und Deine Abkunft.«

»Wenn ich das sagte, so könnte auch leicht mein Herr errathen werden,« gab Gurth zur Antwort.

»Du bist ein frecher Bursche,« sagte der Räuber; »aber davon nachher! Wie kommt Dein Herr zu dem Gelde? Ist es sein Erbtheil oder wie ist es ihm zugefallen?«

»Durch seine gute Lanze ist es erworben,« antwortete Gurth. »Diese Beutel enthalten das Lösegeld für vier gute Rosse und vier gute Rüstungen.«

»Wieviel ist darin?« fragte der Räuber.

»Zweihundert Zechinen.«

»Nur zweihundert Zechinen!« sagte der Bandit. »Dein Herr ist großmüthig mit den Besiegten verfahren und hat ihnen ein leichtes Lösegeld auferlegt. Nenne uns die, welche das Gold bezahlt haben.«

Gurth that es.

»Die Rüstung und das Roß des Templers Brian de Bois-Guilbert, wie hoch wurden die ausgelöst? – Du siehst, Du kannst mich nicht betrügen.«

»Mein Herr,« versetzte Gurth, »will von dem Templer nichts nehmen als sein Herzblut. Sie haben sich auf Leben und Tod gefordert und können unter sich keine Höflichkeiten wechseln.«

»Recht,« sagte der Räuber, und schwieg einen Augenblick. »Und was wolltest Du zu Ashby thun, mit diesem Schatze in Deinem Gewahrsam?«

»Ich wollte Isaak, dem Juden von York, den Preis für eine Rüstung überbringen, mit der er meinen Herrn für das Turnier versehen hat.«

»Und wie viel hast Du Isaak bezahlen müssen? Es dünkt mich, nach dem Gewicht zu urtheilen, da müßten immer noch zweihundert Zechinen im Beutel sein.«

»Ich zahlte an Isaak achtzig Zechinen,« sagte der Sachse; »und er hat mir statt dessen hundert zurückgegeben.«

»Wie? Was?« riefen alle Räuber aus einem Munde; »Du willst uns solche Lügen aufbinden?«

[122] »Was ich euch sage, ist so wahr als der Mond am Himmel steht,« erwiderte Gurth. »Ihr werdet genau diese Summe in einem seidnen Geldbeutel und vom übrigen Golde abgesondert vorfinden.«

»Ueberleg Dir's, Mensch,« sagte der Häuptling. »Du sprichst von einem Juden, einem Hebräer, der eben so wenig Gold zurückzugeben im Stande ist, wie der trockne Wüstensand den Becher Wasser, den der Pilger darüber ausgießt.«

»Sie haben ja so wenig Mitleid,« sagte ein andrer von den Banditen, »als eines Landrichters Büttel, wenn er nicht bestochen ist.«

»Gleichwohl ist es, wie ich sage,« erwiderte Gurth fest.

»Schlag doch einer Licht an!« rief der Hauptmann; »ich will den besagten Beutel selbst untersuchen. Ist es, wie der Bursche sagt, so ist des Juden Freigebigkeit kein geringeres Wunder als der Wasserquell, der einst seine Väter in der Wüste tränkte.«

Es ward Licht gemacht, und der Räuber schickte sich an, den Beutel zu untersuchen. Die andern gruppirten sich um ihn her, und selbst die beiden, welche Gurth hielten, steckten ihre Köpfe vor, um der Untersuchung zu folgen.

Gurth benutzte diesen Augenblick der Unachtsamkeit, machte sich durch einen schnellen Ruck los und hätte entkommen können, wenn er seines Herrn Eigenthum hätte im Stiche lassen wollen.

Daran dachte er aber durchaus nicht. Er entriß vielmehr einem der Räuber seinen Knittel, schlug den Hauptmann nieder, der darauf nicht gefaßt war, und hätte sich beinahe der Tasche und seiner Schätze wieder bemächtigt. Allein die Räuber waren ihm doch zu behend, und so wurde denn der Beutel nebst dem treuen Gurth wieder fest gemacht.

»Schurke!« sagte der Häuptling, als er aufstand, »Du hast mir fast den Schädel zerschmettert, und dieser Frechheit wegen würdest Du bei andern Leuten unseres Schlages schlecht wegkommen. Aber Du sollst Dein Schicksal sogleich hören. Erst laß uns von Deinem Herrn sprechen. Die Gesetze des Ritterthums verlangen, daß des Ritters Sache der des Knappen vorausgehe. – Verhalte Dich inzwischen ruhig. Rührst Du Dich noch einmal, so wirst Du augenblicklich zur ewigen Ruhe gebracht. – Kameraden,« sagte er dann, sich zur Bande wendend »dieser Beutel ist mit hebräischen [123] Buchstaben gestickt, und ich glaube, der Bursch hat uns doch die Wahrheit gesagt. Sein Herr, der irrende Ritter muß bei uns tax- und zollfrei ausgehn. Er hat zu viel Aehnlichkeit mit uns, als daß wir von ihm Beute machen sollten; Hunde sollten Hunde nicht zausen, so lange noch an Wölfen Ueberfluß ist.«

»Aehnlickeit mit uns?« fragte einer aus der Bande; »ich möchte doch hören, wie das zu erweisen ist.«

»Nun, Du Narr,« antwortete der Hauptmann, »ist er nicht arm und enterbt wie wir? Verdient er nicht, wie wir, seinen Unterhalt mit der Schärfe des Schwertes? Hat er nicht den Front de Boeuf geschlagen, wie wir ihn geschlagen haben würden, hätten wir gekonnt? Ist er nicht der Todfeind des Brian de Guilbert, den wir so viel Ursache zu fürchten und zu hassen haben? Und wäre das auch alles nicht, wolltest Du denn ein schlechterer Kerl sein als ein Ungläubiger, ein Hebräer und beschnittner Jude? Höre, Gesell,« fuhr er zu Gurth gewendet fort, »kannst Du denn einen Knittel führen, daß Du so rasch darauf losfuhrst?«

»Ich dächte,« sagte Gurth, »das müßtest Du am besten wissen.«

»Ja, wahrhaftig, Du gabst mir einen herzhaften Schlag,« sagte der Hauptmann, »versuch es mit dem hier auch, und Du sollst ungerupft loskommen; thust Du es nicht, so muß ich mich schon, da Du ein so strammer Kerl bist, dazu entschließen, Dein Lösegeld selbst zu bezahlen. Nimm Deinen Knittel, Müller,« fügte er zu einem vierschrötigen Kerl gewendet hinzu, »nimm aber Deinen Schädel in Acht. Ihr andern laßt mir den Burschen gehen, und gebt ihm einen Knittel, es ist hier hell genug, um gehörig aufzuschütten.«

Die beiden Kämpfer schritten, mit Kampfstöcken gleichmäßig bewaffnet, in die Mitte des offnen Platzes, um das volle Mondlicht zu benutzen. Die Räuber lachten unterdessen und riefen ihrem Kameraden zu: »Du, Müller, nimm Deine Mahlmetze in Acht!« Der Müller aber faßte seinen Knittel in der Mitte an, schwang ihn wirbelnd um seinen Kopf, in der Manier, die die Franzosen faire le moulinet nennen, und rief stolz: »Komm her, Du Flegel, wenn Du Dirs getraust, Du sollst die Kraft von einem Müllerdaumen verspüren.«

[124] »Bist Du ein Müller,« antwortete Gurth unerschrocken, und ließ seine Waffe mit derselben Geschicklichkeit um seinen Kopf kreisen, »so bist Du ja ein zwiefacher Spitzbube, und als ehrlicher Mann biete ich Dir darum Trotz.«

Somit rückten die beiden Gegner dicht auf einander los und entwickelten einige Minuten lang ganz gleiche Stärke, gleichen Muth und gleiche Gewandtheit, indem jeder die Schläge seines Gegners mit äußerster Schnelligkeit zurückgab oder auffing. Wenn jemand von ferne gestanden und zugehört hätte, so würde er aus dem ununterbrochenen Klappern ihrer Waffen haben schließen müssen, daß wenigstens sechs Personen auf jeder Seite im Gefecht wären. Freilich ist der Stockkampf heut zu Tage gänzlich aus der Mode gekommen, dennoch mag der Hergang vielleicht manchen unserer Leser interessiren.

Die Kämpfer fochten lange mit ganz gleichem Erfolge, bis der Müller, da er sich mit einem so kräftigen Gegner engagirt sah, die Fassung zu verlieren begann, zumal da er hörte, wie seine Gefährten sich, wie bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich, seiner [125] Bedrängniß freuten. Dieser Gemüthszustand war aber dem edlen Stockkampfe durchaus nicht günstig, da derselbe die größte Kaltblütigkeit erfordert. Gurths von Natur ruhiges Wesen verlieh ihm daher bald ein entschiedenes Uebergewicht, das er sich mit großer Schlauheit zu Nutzen machte.

Der Müller drang nun wüthend auf Gurth ein, theilte mit beiden Enden des Stockes Schläge aus und versuchte sich auf halbe Entfernung zu nähern. Gurth dagegen schützte Kopf und Leib auf das geschickteste, indem er seinen Stock abwechselnd mit der einen und der andern Hand schwang. Endlich bemerkte er, daß seinem Gegner der Athem ausging; sofort schwang er den Stock mit der linken Hand nach des Müllers Gesicht, und als dieser den Schlag zu pariren suchte, hatte er die Waffe schon wieder in der Rechten und traf ihn dergestalt an den Schädel, daß er der Länge nach den grünen Boden maß.

»Gut, und wie ein Hauptkerl gefochten!« schrieen nun die Räuber einstimmig; »ehrlich Gefecht – und Alt-England auf ewig! Der Sachse hat Beutel und Haut gerettet, der Müller hat seinen Mann gefunden.«

»Du kannst nun Deiner Wege gehn, Freund,« sagte der Hauptmann zu Gurth mit Einstimmung aller; »zwei von meinen Leuten sollen Dich den besten Weg zu Deines Herrn Zelte führen, und Dich vor Nachtwandlern schützen, die nicht so gewissenhaft sein möchten wie wir. Aber hüte Dich,« fügte er streng hinzu, »danach zu forschen, wer oder was wir sind, und bedenke, daß Du uns Deinen Namen auch nicht gesagt hast. Machst Du einen solchen Versuch, so wird er Dir sicher schlecht bekommen.«

Gurth dankte dem Hauptmann für seine Höflichkeit und versprach seinen Rath zu beherzigen. Zwei von den Geächteten ergriffen nun ihre Stöcke und hießen Gurth ihnen in nächster Nähe folgen. Sie führten ihn durch das Dickicht, bis sie zu einer Stelle kamen, wo sie von zwei Männern angehalten wurden. Diesen flüsterte einer von Gurths Führern ein paar Worte zu, worauf sie sich ins Gehölz wandten und die andern unbeanstandet ziehen ließen. Aus diesem Umstande schloß Gurth, daß die Bande zahlreich sein müsse, da sie so reguläre Wachtposten rings um ihr Versteck aufgestellt hatte.

[126] Als sie endlich an eine offne Stelle gelangten, und Gurth trotzdem den rechten Weg selbst zu finden Mühe hatte, führten ihn die Begleiter vorwärts auf einen Hügel, von wo aus er im Mondlichte deutlich die Schranken des Turnierplatzes und die schimmernden Zelte am Ende desselben unterscheiden konnte, deren Fähnlein im Mondlichte flatterten. In der Ferne vernahm er deutlich das Gesumm der Lieder, mit denen die Nachtwachen sich die Langeweile vertrieben.

Hier hielten die Räuber an.

»Weitergehn wir nicht,« sagten sie; »es ist nicht sicher für uns. Denke an die erhaltene Warnung, halte reinen Mund über das, was Dir die Nacht begegnet ist, es soll Dich nicht gereuen. Wenn nicht, so wird Dich auch der Tower in London nicht vor unsrer Rache schützen.«

»Gute Nacht, euch Herren!« sagte Gurth; »ich will eurer Befehle eingedenk sein, und glaubt mir nur, ich meins gut, wenn ich euch ein sichereres und ehrlicheres Gewerbe wünsche.«

Somit schieden sie, und Gurth schritt auf das Zelt seines Herrn zu, dem er trotz der empfangenen Warnung sein nächtliches Abenteuer vollständig mittheilte.

Der enterbte Ritter staunte nicht minder über Rebekkas Geschenk, das er nicht anzunehmen beschloß, als über den Edelmuth der Räuber, von deren Denkart und Gewerbe ein solches Benehmen weit ab zu liegen schien. Doch wurden seine Gedanken über diese wunderlichen Vorgänge bald gebannt, da sich das Bedürfniß, der Ruhe zu pflegen, das die Anstrengungen des vorhergehenden Tages und die Vorbereitungen auf den folgenden unabweislich machten, bei ihm einstellte.

Er ließ sich daher auf eins der weichen Polster nieder, mit denen das Zelt versehen war, und der treue Gurth streckte seine müden Glieder auf eine der Bärenhäute, die im Zelt eine Art Fußteppich bildeten, und lagerte sich quer vor dem Eingang, so daß niemand herein konnte, ohne ihn aufzuwecken.

12. Kapitel

[127] Kapitel XII.

Nun sprengt kein Herold mehr die Kreuz und Quer,

Trompeten schallen laut und helle Zinken –

Mehr sag ich nicht, als daß von Ost und Westen

Die Lanzen furchtbar sich zum Angriff senken,

Die Sporen scharf der Rosse Seiten ritzen,

Und Männer drauf als Reiter sich bewähren.

Jetzt splittern Lanzenschäft' an starken Schilden

Und bis ins Mark fühlt man den harten Stoß.

Auf zucken Speere, zwanzig Fuß an Länge,

Heraus die Schwerter glänzend gleich dem Silber

Um Helme zu zerhaun und zu zerschroten:

Und Ströme fließen von dem Blut, dem rothen.


Chaucer.


In unbewölktem Glanze brach der Morgen an, und nicht sobald stand die Sonne über dem Horizonte, als sich der trägste wie der eifrigste Zuschauer auf den Weg zu den Schranken machte, um sich einen möglichst vortheilhaften Platz für die neu zu erwartenden Schauspiele zu sichern.

Die Marschälle und ihr Gefolge erschienen zuerst auf dem Plane, mit ihnen die Herolde, um die Namen der Ritter in Empfang zu nehmen, die sich zum Kampfe stellen wollten, und die Angabe der Partei, auf welcher jeder zu kämpfen gedachte. Diese Maßregel war nothwendig, um einige Gleichheit zwischen den Abtheilungen, die einander gegenüber treten sollten, zu bewirken.

Schon der schuldigen Höflichkeit wegen sollte der »enterbte Ritter« als der Anführer der einen Partei angesehen werden, indeß Brian de Bois-Guilbert, der nach aller Ansicht am vorigen Tage [128] unbedingt die zweite Stelle behauptet hatte, zum Vorkämpfer der andern Partei ernannt wurde. Die, welche an der Herausforderung Theil genommen, traten auf seine Seite, ausgenommen Ralph de Vipont, den sein Sturz unfähig gemacht hatte, heute wieder eine Rüstung zu tragen. Es fehlte indeß nicht an edlen und ausgezeichneten Bewerbern, um die beiderseitigen Reihen zu füllen.

Bereits fünfzig Ritter hatten sich auf jeder Seite einschreiben lassen, so daß schließlich die Marschälle erklären mußten, daß keine Kämpfer mehr aufgenommen werden könnten.

Gegen zehn Uhr war die ganze Ebene mit berittenen Männern und Frauen und mit Fußgängern bedeckt, die alle dem Turniere zueilten; kurz darauf kündete eine laute Fanfare den Prinzen Johann und sein Gefolge an, in dem sich auch einige Ritter, die heute am Kampfe theilzunehmen dachten, befanden.

Um dieselbe Stunde fand sich auch Cedric der Sachse mit der »hlaefdige« Rowena ein, aber nicht von Athelstane begleitet. Dieser Sachsen-Edling hatte seine gewaltige Gestalt in eine Rüstung gezwängt, um seinen Platz unter den Kämpfern einzunehmen, und zwar zum großen Erstaunen Cedrics auf des Tempelritters Seite. Der Sachse hatte seinem Freunde wegen dieser unüberlegten Wahl zwar harte und ernste Vorstellungen gemacht, aber die gewöhnliche Antwort erhalten, die man von eigensinnigen Leuten hört, die mehr ihrem Kopfe als der Vernunft folgen.

Den besten, ja, den einzigen Grund seiner Anhänglichkeit an die Partei des Brian de Bois-Guilbert hatte Athelstane kluger Weise für sich behalten. Obschon sein natürliches Phlegma ihm nicht erlaubte, sich selbst um Rowenas Gunst zu bewerben, so war er doch keineswegs unempfindlich gegen ihre Reize, und betrachtete seine spätere Verbindung mit ihr, wenn Cedric und die andern Freunde zustimmten, als etwas bereits Ausgemachtes. Mit Mißvergnügen betrachtete daher der stolze Edling von Coningsburgh die Freiheit, mit welcher der Sieger des vorangehenden Tages Rowena als den Gegenstand seiner Huldigung auserwählt hatte, die zu erweisen nur er das Recht zu haben glaubte. Um jenen nun wegen dieser Bevorzugung, die seine eigene Bewerbung zu kreuzen schien, zu bestrafen, hatte Athelstane im Vertrauen auf seine Stärke, so wie seine Geschicklichkeit, die Schmeichler an ihm [129] rühmten, beschlossen, nicht nur dem »enterbten Ritter« seine mächtige Unterstützung zu entziehn, sondern ihn vielmehr, wenn sich eine Gelegenheit böte, die Schwere seiner Streitaxt fühlen zu lassen.

De Bracy und andere dem Prinzen zugethane Ritter hatten den Winken Johanns gehorsam sich gleichfalls der Partei der Herausforderer angeschlossen, weil er, wenn nur irgend möglich, dieser den Sieg sichern wollte. Auf der andern Seite aber hatten viele sächsische und normännische Ritter, Eingeborne und Fremde, sich gegen die Herausforderer erklärt, und zwar um so lieber, als die Gegenpartei von einem so ausgezeichneten Kämpfer geführt wurde wie der »Enterbte« offenbar war.

Sobald Prinz Johann wahrnahm, daß die designirte Königin des Tages auf dem Plane angekommen sei, nahm er ganz das feine und artige Wesen an, das ihm so wohl stand, ritt ihr entgegen, zog sein Barett ab, stieg vom Pferde und half der Lady Rowena von dem ihrigen, während einer aus seinem Gefolge gleichfalls abstieg, um der Dame den Zelter zu halten.

»Auf diese Weise,« sagte Prinz Johann, »beweisen wir in eigner Person der Königin der Liebe und Schönheit unsere Unterthänigkeit, und führen sie zu dem Throne, den sie heute einnehmen soll! Ihr Damen, folget eurer Fürstin, wenn ihr wünscht, eurerseits einst durch gleiche Ehren ausgezeichnet zu werden!«

Mit diesen Worten führte der Prinz Rowena zu dem Ehrensitze, welcher dem seinigen gegenüberlag, während die schönsten und vornehmsten Damen sich drängten, um möglichst in der Nähe ihrer zeitweiligen Königin einen Platz zu erhalten.

Kaum hatte sich Rowena niedergelassen, als eine schmetternde Fanfare von Trompeten und Pauken, in die sich der Beifallsruf der Menge mischte, sie in ihrer neuen Würde begrüßte. Inzwischen schien die Sonne hell und heiß auf die Rüstungen der Ritter nieder, die an beiden Enden der Schranken einander gegenüberstanden, und sich über die beste Einrichtung der Schlachtlinie und die Führung des Kampfes eifrig besprachen. Hierauf geboten die Herolde Stillschweigen, bis man die Turniergesetze verlesen hätte. Dieselben waren zum Theil darauf berechnet, die Gefahren des Tages zu vermindern, eine Vorsicht, die um so nothwendiger erschien, als der Kampf mit spitzen Lanzen und scharfen Schwertern geführt werden sollte.

[130] Es war daher den Kämpfern verboten, die Schwerter zum Stoß zu gebrauchen; sie mußten sich auf den Hieb beschränken. Nach Belieben konnte sich auch ein Ritter der Streitaxt oder des Kolbens bedienen, der Dolch war verboten. Ein seines Pferdes beraubter Ritter durfte zu Fuß mit einem andern fechten, doch durfte kein berittner ihn zuerst angreifen. Sobald ein Ritter den andern bis an die äußersten Enden der Schranken drängen konnte, so daß er mit seinem Körper oder seinen Waffen die Pallisade berührte, mußte sich dieser als besiegt ergeben; sein Pferd und seine Rüstung standen zur Verfügung des Siegers. Ein so besiegter Ritter durfte nicht ferner an dem Kampfe des Tages theilnehmen. Wurde ein Combattant so heftig niedergeworfen, daß er selbst sich nicht mehr erheben konnte, so durfte sein Knappe oder Page in die Schranken eintreten, um ihn aus dem Gedränge zu schaffen. In diesem Falle wurde er als besiegt erachtet und Pferd und Rüstung waren verfallen. Der Kampf sollte ein Ende nehmen, sobald Prinz Johann mit seinem Stabe das Zeichen geben werde, damit durch zu lange Fortsetzung eines so gefährlichen Waffenspiels nicht allzuviel Blut vergossen würde. Jeder Ritter, der die Turniergesetze brechen oder sonst die Regeln des ehrenhaften Ritterthums übertreten würde, sollte seiner Rüstung und Bewaffnung entkleidet, sein Schild umgekehrt, und er selbst rittlings auf die Schranken der Einfassung gesetzt werden, um zur Strafe für sein unritterliches Betragen zum allgemeinen Gelächter zu dienen.

Nach Verkündigung dieser Vorsichtsmaßregeln schlossen die Herolde mit einer Ermahnung an jeden guten Ritter, seine Schuldigkeit zu thun, und sich die Gunst der Königin der Liebe und Schönheit zu verdienen.

Darauf zogen die Herolde sich auf ihre bestimmten Posten zurück. Die Ritter, die an jedem Ende der Schranken in langem Zuge einrückten, ordneten sich in je zwei Reihen, und standen einander gerade gegenüber. Im Mittelpunkte einer jeden Vorderreihe befand sich der Führer der Partei, doch nahm er diese Stelle[131] nicht eher ein, als bis er die Glieder geordnet und einem jeden in seiner Partei seine Stelle angewiesen hatte.

Es war ein prächtiger, zugleich aber auch beängstigender Anblick, so manchen tapfern Kämpfer wohl beritten und glänzend bewaffnet zu sehen, vorbereitet zu einem so furchtbaren Zusammenstoß, fest im Sattel sitzend wie eine eiserne Säule, und das Zeichen zum Kampfe mit derselben Ungeduld erwartend, wie sein edles Roß, das wiehernd und schnaubend den Boden stampfte.

Die Ritter hielten ihre Lanzen senkrecht empor, und die Spitzen derselben erglänzten in der Sonne, während die daran befestigten Fähnlein über ihren Helmbüschen flatterten. So hielten sie still, während die Marschälle durch ihre Reihen ritten, und aufs genaueste dieselben musterten, damit nicht die eine Partei mehr oder weniger als die bestimmte Anzahl enthielte. Die Anzahl wurde auf beiden Seiten richtig befunden. Die Marschälle zogen sich nunmehr aus den Schranken zurück, und William de Wyvil verkündete mit Donnerstimme die Worte des Signals: »Laissez aller!« Im Nu ertönten die Trompeten; die Lanzen der Kämpfer senkten sich, die Sporen drückten sich den Rossen in die Flanke, und im vollen Galopp stürmten die ersten Reihen auf einander los, und trafen in der Mitte der Schranken mit einem Stoße zusammen, den man eine halbe Stunde weit noch hören mußte. Die Folgen des Zusammenstoßes ließen sich nicht sofort übersehen; denn der von so vielen Rosseshufen emporgewirbelte Staub verdunkelte die Luft, und es dauerte wohl eine Minute, ehe die ängstlichen Zuschauer die Entscheidung des furchtbaren Stoßes erkennen konnten. Als der Blick auf das Kampffeld frei war, fand man die Hälfte der Ritter auf jeder Seite aus den Sätteln geworfen, die einen durch die Gewandtheit der gegnerischen Lanzen, die andern durch das überlegene Gewicht und die Kraft der Gegner, die Roß und Mann zugleich zu Boden gebracht hatten. Einige lagen noch an der Erde, als sollten sie nie wieder aufstehn, andere standen schon wieder aufrecht da, und waren im Handgemenge mit denen ihrer Gegner, die sich in gleicher Lage befanden. Nur zwei oder drei suchten sich mit ihren Schärpen die Wunden, die sie erhalten hatten, zu verbinden und entzogen sich zugleich dem Kampfe. Wer von den Kämpfern, deren Lanzen fast alle bei dem wüthenden Zusammenstoß[132] zersplittert waren, noch beritten war, hatte jetzt schon das Schwert gezogen, und hieb auf die Gegner ein, indem er unter Kriegsgeschrei so gewaltige Schläge austheilte, als ob Ehre und Leben vom Ausgange des Kampfes abhingen.

Das Gedränge wurde noch vermehrt durch das Anrücken der zweiten Glieder, die beiderseits als Reserve betrachtet, jetzt ihren Kampfgenossen zu Hilfe eilten. Die Anhänger Brian de Bois-Guilberts riefen: Hie, Beauséant! Beauséant! Für den Tempel! Für den Tempel! Die Gegner riefen: Desdichado! Desdichado! ein Wort, das sie der Schilddevise ihres Führers entnommen hatten.

Als so die Kämpfenden mit der äußersten Wuth aufeinander geprallt waren, schwankte die Fluth des Gefechts bald nach dem südlichen bald nach dem nördlichen Ende der Schranken, je nachdem für den Augenblick die eine oder die andere Partei die Oberhand hatte. Inzwischen mischte sich das Gedröhne der Schläge und das Geschrei der Kämpfer schrecklich in den Klang der Trompeten und Hörner, und übertönte das Stöhnen der Fallenden und derer, die sich schutzlos unter den Hufen der Rosse wälzten. Blut und Staub tilgte den Glanz der Rüstungen, die den Streichen des Schwertes und der Streitaxt nachgaben. Die bunten Helmbüsche flogen, losgehauen von der Helmzier, wie Schneeflocken in der Luft umher. Alles was schön und anmuthig in dem kriegerischen Aufzug war, verschwand immer mehr, und was man schaute, flößte Schauder oder Mitleid ein.

Aber so groß ist die Macht der Gewohnheit, daß nicht nur die Zuschauer gemeinen Schlages, die naturgemäß durch den Anblick des Gräßlichen angezogen werden, sondern selbst die Damen auf den Gallerien dem Kampfe mit fieberhaftem Interesse zusahen, ohne nur einmal die Augen von einem so schrecklichen Schauspiel zu wenden. Hier und da mochte freilich eine schöne Wange bleich werden, und ein Schrei der Angst einem wallenden Busen entschlüpfen, wenn ein Liebhaber, ein Bruder, ein Gemahl vom Rosse gehauen wurde; aber im Allgemeinen feuerten die Damen ringsum die Kämpfenden an, und gaben durch Händeklatschen, wehende [133] Schleier und Tücher so wie durch den wiederholten Zuruf: »Wackere Lanze! Tüchtiges Schwert!« jeder außerordentlichen Leistung ihren Beifall.

Wenn schon das schwächere Geschlecht solchen Antheil nahm, wie viel mehr mußten die Männer von dem blutigen Kampfspiele erregt sein. Laute Ausrufe wurden bei jedem Wechsel des Kampfgeschicks vernommen, und die Augen der Männer waren unverwandt auf die Kämpfenden gerichtet. In jeder Pause vernahm man die Stimme der Herolde: »Kämpfet weiter, tapfere Ritter! – Der Mann stirbt, aber sein Ruhm lebt ewig! – Kämpfet weiter! – Besser Tod als Schande! Kämpfet weiter, Ritter! kämpfet weiter! Holde Augen schauen euch zu!«

Mitten aber im wechselvollen Geschick des Kampfes suchten aller Augen die Führer der Parteien, die im dichtesten Gedränge ihre Gefährten durch Ruf und Beispiel anzufeuern suchten. Beide verrichteten heute Großthaten der Tapferkeit.

Weder der eine noch der andere fand in den feindlichen Reihen einen Kämpfer, der ihm gewachsen gewesen wäre. Sie versuchten unaufhörlich, im Einzelkampfe an einander zu kommen, überzeugt, daß der Fall des einen als entschiedener Sieg für die entgegengesetzte Partei angesehen werden würde; aber bei dem fürchterlichen Gewühl gelang ihnen dies im ersten Theile des Kampfes so wenig, daß sie wiederholt durch den Eifer ihrer Begleiter von einander getrennt wurden, indem diese eine ausgezeichnete Ehre darin suchten, sich mit dem Führer der feindlichen Partei zu messen.

Als aber das Feld freier wurde, stießen der Templer und der enterbte Ritter mit all der Wuth auf einander, welche tödtlicher Haß, eifersüchtiger Ehrgeiz einzuflößen vermochten. Ihre Geschicklichkeit im Angriff und in der Vertheidigung war so groß, daß die Zuschauer fortwährend durch lauten Zuruf ihre Freude und Bewunderung laut werden ließen.

In diesem Moment befand sich die Partei des enterbten Ritters im Nachtheil. Der riesige Arm Front de Boeufs und die gewichtige Stärke Athelstanes zerstreuten leicht alles, was sich ihnen entgegenstellte, und da sie sich nun von allen Gegnern befreit sahen, so kamen beide Ritter auf den Gedanken, dem Templer im Kampfe mit seinem Nebenbuhler zu Hilfe zu kommen. Sie wandten daher [134] im Nu ihre Rosse, jeder von einer andern Seite nach demselben Ziele, und es wäre dem Angegriffenen gewiß unmöglich gewesen, diesem unerwarteten und ungleichen Andrängen zu widerstehen, wäre er nicht durch ein allgemeines Geschrei der Zuschauer gewarnt worden, denen es nicht gleichgültig sein konnte, daß ein Ritter mit so großem Nachtheil kämpfte.

»Achtung! Achtung! enterbter Ritter!« erscholl es rings, und der Ritter, die Gefahr bemerkend, führte sogleich einen heftigen Streich gegen den Templer, riß sein Roß schnell zurück, und entging so dem Zusammentreffen mit Athelstane und Front de Boeuf. Diese aber rannten nun, da ihnen ihr Ziel entging, mit der heftigsten Gewalt zusammen, ehe sie im Stande waren, ihre Rosse aufzuhalten. Indessen wurden sie bald Meister derselben, und nun verfolgten alle drei die gemeinsame Absicht, den enterbten Ritter zu Boden zu strecken.

Nichts hätte diesen retten können, wenn nicht die merkwürdige Stärke und Gewandtheit seines Rosses, das er Tags zuvor erst gewonnen hatte. Dazu kam, daß das Pferd von Bois-Guilbert verwundet war, und die Rosse von Front de Boeuf und Athelstane unter der Last der ungeheuren Rüstungen ihrer Reiter und ermüdet durch die Anstrengungen des vorhergehenden Tages fast erlagen. So setzten die vollendete Reitkunst des enterbten Ritters und die Gewandtheit seines edlen Thieres ihn in den Stand, es auf einige Minuten mit den drei Gegnern aufzunehmen, indem er flink wie ein Falke im Fluge jeden einzelnen angriff, dann wieder einen andern anfiel, so daß er die beiden andern so viel wie möglich trennte, alle ermüdete und verwundete, ohne daß er selbst einen Hieb erhielt.

Dennoch war es offenbar, wenn auch die Schranken fortwährend von Beifallsrufen ertönten, daß seine Geschicklichkeit unterliegen müsse, und diejenigen, welche den Prinzen Johann umgaben, baten ihn einstimmig, das Zeichen zur Beendigung des Kampfes zu geben und den Ritter so vor unverdienter Beschimpfung zu retten.

»Nein!« sagte der Prinz, »der Aufschößling, der seinen Namen so verhehlt und unsere Gastfreundschaft frech verschmäht, der schon einmal den Preis erhalten hat, mag nun die Reihe an einen andern kommen lassen.«

[135] Während Johann so sprach, änderte ein unvermuthetes Ereigniß auf einmal das Schicksal des Tages.

Unter den Reihen des enterbten Ritters befand sich nämlich ein Ritter in schwarzer Rüstung, auf einem schwarzen großen und kräftig gebauten Rosse, das allem Anscheine nach so mächtig und stark war, wie der Reiter, den es trug. Dieser Kämpfer, der keine Devise auf seinem Schilde führte, hatte bisher nur wenig Antheil an dem Ausgange des Gefechts an den Tag gelegt, indem er nur, ohne jede weitere Anstrengung, wie es den Anschein hatte, diejenigen bekämpfte, die ihn bedrängten, selbst aber weder seinen Vortheil verfolgte, noch einen Angriff machte. Kurz, er spielte mehr die Rolle eines Zuschauers als eines Theilnehmers am Turnier, so daß ihm die Zuschauer den Beinamen le noir Fainéant, der schwarze Faullenzer, gegeben hatten.

Jetzt aber trat er urplötzlich aus seiner unthätigen Rolle heraus; er setzte dem Rosse die Sporen ein und kam mit Blitzesschnelle dem Bedrängten zu Hilfe, indem er mit Donnerstimme rief: »Desdichado! ich komme!« Es war die höchste Zeit, denn eben schwang Front de Boeuf, während der enterbte Ritter auf den Templer eindrang, sein Schwert über dessen Haupt, um den Todesstreich zu führen. Doch der Schwarze kam ihm zuvor und Front de Boeuf wurde sammt seinem Rosse zu Boden geworfen. Hierauf [136] wandte der sogenannte Faullenzer sein Pferd gegen Athelstane von Coningsburgh, und da sein eigenes Schwert bei dem Zusammentreffen mit Front de Boeuf zerbrochen war, so nahm er einem handfesten Sachsen die Streitaxt aus der Hand und führte damit einen solchen Streich auf des Gegners Helm, daß auch Athelstane sogleich bewußtlos zu Boden fiel. Nachdem er dies vollbracht, wofür ihn der allgemeine Beifall um so lauter belohnte, je unerwarteter seine Hilfe kam, zog er sich wieder, in die frühere Gleichgültigkeit verfallend, an das nördliche Ende der Schranken zurück, indem er es seinem Anführer überließ, mit Brian de Bois-Guilbert allein fertig zu werden. Es war dies nicht mehr schwierig, denn des Templers Roß blutete aus mehreren Wunden und wankte bei jedem Stoß des enterbten Ritters. Endlich stürzte Brian de Bois-Guilbert zu Boden und verwickelte sich im Falle derart in den Steigbügel, daß er den Fuß nicht herauszuziehen vermochte. Sogleich sprang sein Gegner vom Pferde, schwang über ihm sein verderbliches Schwert und forderte ihn auf, sich zu ergeben. Aber Prinz Johann, mehr durch seine Lage als durch die vorherige des enterbten Ritters gerührt, machte durch ein Zeichen dem Kampfe ein Ende.

Die Knappen, welche während des Gefechtes nur mit Mühe und Gefahr ihre Ritter hatten begleiten können, drängten nun in [137] die Schranken, um den Verwundeten ihre Dienste zu leisten. Sie wurden mit der möglichsten Sorgfalt in die nahen Zelte gebracht, oder in Wohnungen, die man für sie in den umliegenden Dörfern eingerichtet hatte.

So endigte das merkwürdige Turnier zu Ashby de la Zouche, eines der glänzendsten Waffenfeste jener Zeit. Denn obgleich nur vier Ritter, außer dem einen, der durch die Schwere seiner Rüstung erdrückt worden war, auf dem Platze selbst blieben, so wurden doch an dreißig höchst gefährlich verwundet, und fünf von ihnen genasen nicht wieder, mehrere andere waren für ihr ganzes Leben kampfesuntüchtig und trugen die Spuren ihrer Verwundungen bis zum Grabe. Daher heißt es denn auch in den alten Urkunden: »Der edle und lustige Waffengang zu Ashby«.

Da es Pflicht des Prinzen war, jetzt den Ritter zu nennen, der sich vor allen an diesem Tage ausgezeichnet hatte, so beschloß er, diese Ehre demjenigen zu ertheilen, den die Stimme des Volkes mit dem Namen des schwarzen Faullenzers belegt hatte, und bei dieser Meinung beharrte der Prinz trotz der Gegenvorstellung, daß der Sieg doch eigentlich vom enterbten Ritter gewonnen worden sei, der sechs Kämpfer mit eigener Hand besiegt und schließlich den Führer der Gegenpartei niedergeschlagen habe, und zwar weil, wie er sagte, der enterbte Ritter und seine Partei ohne den Beistand des Ritters in der schwarzen Rüstung den Tag verloren haben würden.

Zum nicht geringen Erstaunen der Anwesenden war aber der schwarze Ritter selbst nirgends mehr zu finden. Er hatte unmittelbar nach Beendigung des Kampfes die Schranken verlassen, und einige Zuschauer hatten gesehen, wie er eine der dunkeln Waldalleen hinunter geritten war, und zwar mit derselben Gemächlichkeit, die er im Anfange des Kampfes an den Tag gelegt. Nachdem daher zweimal durch Trompetensignal und Heroldsruf die Aufforderung zu erscheinen an ihn ergangen war, ohne daß er sich zeigte, so mußte ein anderer aufgefordert werden, die Ehrenzeichen zu empfangen, welche jenem bestimmt gewesen waren. Prinz Johann konnte sich nun nicht länger weigern, den Anspruch des enterbten Ritters anzuerkennen, und erklärte ihn für den Sieger an diesem Tage.

[138] Ueber den mit Blut befleckten, mit den Leichen der Erschlagenen und mit verwundeten Rossen bedeckten Kampfplatz führten die Marschälle den Sieger zu den Füßen des Prinzen Johann.

»Enterbter Ritter!« sagte der Prinz zu ihm, »denn nur unter diesem Namen wollt Ihr uns bekannt sein, wir verleihen Euch zum zweiten Male die Ehre dieses Turniers und thun Euch kund, daß Ihr das Recht habt, aus den Händen der Königin der Schönheit und der Liebe die Ehrenkrone zu empfangen, welche Eure Tapferkeit mit so gutem Rechte verdient hat.«

Der Ritter machte eine tiefe respektvolle Verbeugung, gab aber keine Antwort.

Unter lautem Trompetengeschmetter, unter den hellen Rufen der Herolde, die den Ruhm des Tapfern, den Triumph des Siegers verkündigten, unter dem lebhaften Wehen seidener Tücher und gestickter Schleier vom Damenbalkon, unter dem Jubel und Jauchzen aller führten jetzt die Marschälle den enterbten Ritter quer über den Platz zum Fuße des Thrones der Königin der Liebe und Schönheit, der Lady Rowena.

Auf der untersten Stufe des Thrones mußte der Ritter niederknieen. Sein Benehmen, seitdem das Gefecht aufgehört, war dem Anscheine nach mehr von denen, die ihn umgaben, bestimmt worden, als aus seinem eigenen freien Willen hervorgegangen, und man bemerkte, daß er wankte, als er zum zweiten Male durch die Schranken geführt wurde. Auch jetzt, als Rowena, von ihrem Sitze mit Würde und anmuthsvoller Haltung herabsteigend, eben im Begriffe stand, den Kranz, den sie in der Hand hielt, um seinen Helm zu befestigen, mußten die Marschälle für den Ritter handeln. »So darf es nicht geschehen! das Haupt muß entblößt sein!« riefen sie einstimmig, und als der Ritter einige unverständliche Worte, welche in der Höhlung des Helmes verklangen, dagegen einzuwenden schien, achteten sie, sei es der Sitte zu Liebe, sei es aus Neugier, nicht auf diese Aeußerungen des Widerstrebens, sondern enthelmten ihn, indem sie die Helmriemen abschnitten und den Halskragen lösten. Das wohlgebildete Gesicht eines jungen Mannes von ungefähr fünfundzwanzig Jahren, von kurzem, dunklem, dichtem Haar umflossen, zeigte sich, doch sah es bleich aus wie der Tod und war hie und da mit einigen Blutstreifen gezeichnet.

[139] Rowena hatte kaum einen Blick auf dies Gesicht gethan, als sie einen leisen Schrei ausstieß, aber sie sammelte sich schnell und gewann ihre Fassung wieder, dann schritt sie vorwärts, während ihre ganze Gestalt vor heftiger Gemüthsbewegung erbebte, setzte auf das gesenkte Haupt des Siegers den glänzenden Kranz, der zur Belohnung des Tages bestimmt war, und sagte mit deutlicher Stimme die Worte: »Ich reiche Euch diesen Kranz, Herr Ritter, als den Preis der Tapferkeit, bestimmt für den Sieg dieses Tages!« Hier schwieg sie einen Augenblick, dann setzte sie gefaßt hinzu: »Und nie konnte ein Ritterkranz eine würdigere Stirne zieren.«

Der Ritter neigte das Haupt und küßte die Hand der liebenswürdigen Monarchin, durch welche seine Tapferkeit belohnt wurde, dann senkte er das Knie noch tiefer und lag endlich wie leblos zu ihren Füßen.

Eine allgemeine Bestürzung verbreitete sich. Cedric, der bei der plötzlichen Erscheinung seines verbannten Sohnes vor Schreck verstummt war, trat jetzt vor, als wollte er ihn von Rowena trennen. Allein dies war schon durch die Marschälle geschehen, die, die Ursache von Ivanhoes Ohnmacht errathend, ihm die Rüstung abzunehmen eilten. Jetzt entdeckte man, daß die Spitze einer Lanze durch eine Fuge des Panzers gedrungen war und ihm in der Seite eine Wunde beigebracht hatte.

13. Kapitel

[140] Kapitel XIII.

Ihr Helden, tretet her! ruft der Atride,

Und trennt euch von dem Kreis der großen Menge.

Ihr habt durch eure Manneskraft ein Recht

Zum Sieg und zum Erreichen ew'gen Ruhms. –

Hier dieser Stier, er sei für den bestimmt,

Der den beschwingten Schaft am weit'sten sendet.


Popes Ilias.


Der Name Ivanhoes war nicht so bald genannt worden, als ihn Neugier und Interesse auch schon mit rastloser Schnelligkeit von Mund zu Mund trugen. Nicht lange währte es, so gelangte dieser Name auch zu den Ohren des Prinzen, dessen Antlitz sich darob nicht wenig verfinsterte. Trotzdem schaute er mit verächtlichem Blicke umher und sagte: »Mylords, und besonders Ihr, Herr Prior, was haltet Ihr von den Meinungen der Gelehrten, die von angeborener Zuneigung und Antipathie reden? Mich dünkt, ich ahnte die Gegenwart von meines Bruders Liebling, obwohl ich ihn am wenigsten hinter jener Rüstung vermuthen konnte.«

»Front de Boeuf muß sich nun wohl bereit halten, sein Lehen Ivanhoe zurückzugeben,« sagte Bracy, der, nachdem er seine Aufgabe in dem Turnier mit Ehren durchgeführt, Helm und Schild abgelegt und sich wieder zu des Prinzen Gefolge gesellt hatte.

»Ja,« versetzte Waldemar Fitzurse, »der Tapfere wird wahrscheinlich das Schloß nebst Zubehör zurückfordern, welches ihm Richard anwies und das seitdem von Eurer Hoheit dem Front de Boeuf verliehen worden ist.«

»Front de Boeuf,« entgegnete Prinz Johann, »ist ein Mann, [141] der eher drei Herrschaften wie die des Ivanhoe verschlingt, als eine wieder herausgibt. Uebrigens, meine Herren, hoffe ich, es wird mir niemand das Recht bestreiten, die Lehen meiner Krone denen zu ertheilen, welche treu zu mir halten und stets bereit sind zu den üblichen kriegerischen Diensten, und sie an die Stelle derer treten zu lassen, welche in fremde Länder gewandert sind und keine Huldigung zu leisten vermögen, wenn sie dazu aufgefordert werden.«

Die Zuhörer waren zu sehr bei der Frage interessirt, als daß sie nicht das angemaßte Recht des Prinzen für unbezweifelt hätten erklären sollen.

»Ein edelmüthiger Fürst, ein trefflicher Herr, der seine treuen Anhänger also zu belohnen sich zur Aufgabe macht,« so erscholl es im Gefolge des Prinzen aus dem Mund aller derer, die gleiche Verleihungen auf Kosten der Anhänger und Freunde König Richards erwarteten, wenn sie sie nicht bereits erhalten hatten. Auch Prior Aymer stimmte dieser allgemeinen Ansicht bei, doch bemerkte er, daß das gebenedeite Jerusalem eigentlich kein fremdes Land genannt werden könnte. Es sei, sagte er, die communis mater, die gemeinschaftliche Mutter aller Christen! Freilich wisse er nicht, wie der Ritter Ivanhoe daraus einen Vortheil für sich werde ableiten können, denn er, der Prior, sei überzeugt, daß die Kreuzfahrer unter Richard nie weiter als bis Ascalon gekommen seien, und dies sei, wie weltbekannt, eine Stadt der Philister und habe keinen Anspruch auf die Vorrechte der heiligen Stadt zu machen.

Waldemar, dessen Neugier ihn zu der Stelle getrieben hatte, wo Ivanhoe zu Boden gesunken war, kehrte eben zurück. Gleichsam zur Antwort auf die Rede des Priors sagte er: »Der tapfere Ritter wird wahrscheinlich Eurer Hoheit wenig Sorge mehr machen, und Front de Boeuf im ruhigen Besitze seines Gewinnes lassen, denn er ist schwer verwundet.«

»Es ist gleich, was aus ihm wird,« antwortete Prinz Johann, »doch für heute ist er Sieger geblieben, und wäre er zehnmal unser Feind oder der entschiedene Freund unseres Bruders, was vielleicht das nämliche ist, seine Wunden müssen untersucht werden, unser eigener Wundarzt soll ihn pflegen!«

Ein grimmiges Lächeln schwebte bei diesen Worten um des [142] Prinzen Mund. Waldemar Fitzurse erwiderte eiligst, Ivanhoe sei bereits aus den Schranken gebracht worden und befinde sich in der Pflege seiner Freunde.

»Ich war ein wenig erschüttert,« fügte er hinzu, »als ich den Kummer der Königin der Schönheit und Liebe sah, deren Herrschaft ein trauriges Ende genommen. Ich bin nicht der Mann, den eines Weibes Klage um ihren Liebhaber rührt, allein diese Lady Rowena unterdrückte ihren Kummer mit so viel Würde, daß man ihn bloß aus ihren gefalteten Händen und ihrem thränenlosen Auge, das zitternd auf der leblosen Gestalt vor ihr haftete, abnehmen konnte.«

»Wer ist denn diese Lady Rowena,« sagte Prinz Johann, »von der wir so viel gehört haben?«

»Eine sächsische Erbin ansehnlicher Besitzungen,« erwiderte Prior Aymer, »eine Rose von Liebenswürdigkeit, ein reiches Juwel, die schönste unter Tausenden, ein Myrthenstrauß, eine Kamphortraube.«

»Wir wollen ihren Kummer lindern,« sagte Prinz Johann, »und ihr Blut durch die Verheirathung an einen Normannen verbessern. Sie scheint noch unmündig und ist daher in Ansehung der Verehelichung zu unserer königlichen Verfügung. Was meinst Du, de Bracy? Wie wärs, wenn Du schöne Ländereien und Einkünfte durch Heirath einer Sachsin, nach Sitte der Anhänger des Eroberers, gewinnen könntest?«

»Da die Ländereien ganz nach meinem Geschmacke sind,« versetzte Bracy, »so werde ich mich auch leicht mit einer Braut befreunden, und höchlich werde ich mich Eurer Hoheit verpflichtet fühlen für ein Werk, durch das die Versprechungen erfüllt werden, die zu Gunsten Eures Dieners und Vasallen längst gegeben sind.«

»Wir werden es nicht vergessen,« sagte Prinz Johann, »und um sogleich Hand ans Werk zu legen, so sage unserm Seneschal, daß er unverzüglich die Lady Rowena und ihre Gesellschaft, d.h. ihren rauhen Wächter und den sächsischen Ochsen, den der schwarze Ritter in diesem Turniere niederwarf, zum Bankett für diesen Abend befehle. De Bigot,« setzte er zu seinem Seneschal hinzu, »Du wirst diese unsere zweite Einladung so artig ausrichten, daß dem Stolze dieser Sachsen dadurch geschmeichelt werde und sie dieselbe gar nicht ausschlagen können, obgleich, bei den Gebeinen [143] Beckets! artig mit ihnen umgehen die Perlen vor die Schweine werfen heißt.«

Eben war Prinz Johann im Begriff, das Zeichen zum Verlassen der Schranken zu geben, als ihm ein kleines Billet eingehändigt wurde.

»Woher das?« fragte der Prinz, indem er sich nach der Person umsah, die es überbracht hatte.

»Aus fremden Landen, Mylord, aus welchen, weiß ich nicht,« erwiderte einer seiner Begleiter. »Ein Franzose brachte es hieher, der da sagte, er sei Tag und Nacht geritten, um es Eurer Hoheit Händen zu überbringen.«

Der Prinz sah die Aufschrift und dann das Siegel genauer an, das so angebracht war, daß es den Seidenfaden zusammenhielt, mit dem das Billet umwunden war; drei Lilien waren darauf gedrückt. Johann öffnete das Billet mit sichtbarer Erregung, die sich vermehrte, als er den Inhalt las, der folgendermaßen lautete: »Nehmt Euch in Acht, denn der Teufel ist los!«

Der Prinz wandte sich um, bleich wie der Tod, blickte erst auf den Boden, dann zum Himmel, wie jemand, der soeben das über ihn ausgesprochene Todesurtheil erhalten hat. Als er sich dann von dem ersten Schrecken erholt hatte, nahm er Waldemar Fitzurse und de Bracy bei Seite und gab jedem das Billet besonders zu lesen.

»Das ist entweder falscher Lärm oder ein untergeschobener Brief,« sagte Bracy.

»Es ist Frankreichs eigne Hand und Siegel,« versetzte der Prinz.

»So ist es denn auch Zeit,« sagte Fitzurse, »unsere Partei, sei's zu York oder in einem andern Mittelpunkte, zu sammeln. Wenige Tage später kann es leicht zu spät sein. Eure Hoheit muß der gegenwärtigen Mummerei schnell ein Ende machen.«

»Die Hintersassen und Gemeinen,« sagte Bracy, »dürfen nicht unzufrieden entlassen werden, weil sie an den Festlichkeiten selbst nicht Antheil nehmen können.«

»Der Tag,« sagte Waldemar, »ist ja noch nicht weit vorgerückt, laßt doch die Bogenschützen einigemal nach der Scheibe [144] schießen und einen Preis dabei vertheilen. Das ist eine hinreichende Erfüllung des prinzlichen Versprechens, insofern es die Herde sächsischer Sklaven angeht.«

»Ich danke Dir, Waldemar,« sagte der Prinz, »Du erinnerst mich daran, daß ich dem unartigen Bauern noch eine Schuld abzutragen habe, der gestern unsere Person beleidigte. Unser Bankett findet übrigens diese Nacht noch statt. Wäre diese Stunde auch die letzte meiner Macht, so müßte sie dem Vergnügen und der Rache gewidmet sein, der neue Morgen mag dann immerhin neue Sorgen bringen.«

Der Schall der Trompeten rief nun bald die Zuschauer zurück, welche bereits angefangen hatten das Feld zu verlassen; es wurde im Namen des Prinzen Johann kund gemacht, daß, obgleich wichtige öffentliche Geschäfte ihn nöthigten, die Fortsetzung der Festlichkeiten für den morgenden Tag zu unterbrechen, er doch nicht wolle, daß so viele seiner guten Lehnsbauern, ohne ihre Geschicklichkeit erprobt zu haben, von hinnen scheiden sollten; sie möchten daher heute, bevor sie sich entfernten, das für morgen festgesetzte Bogenschießen halten. Dem besten Bogenschützen ward als Preis ein in Silber gefaßtes Jagdhorn und eine seidene, reich verzierte Jagdtasche mit einem Medaillon des heiligen Hubertus, des Schutzpatrons der Jagd, ausgesetzt.

Mehr als dreißig Landleute stellten sich zuerst als Preisbewerber dar, von denen manche Unteraufseher und Beamte in den königlichen Forsten zu Needwood und Charnwood waren. Als jedoch diese Schützen hörten, mit wem sie es aufnehmen sollten, zogen sich etwa zwanzig freiwillig zurück, weil sie sich nicht der Schande einer ziemlich gewissen Niederlage aussetzen wollten. In jener Zeit kannte man die Geschicklichkeit eines berühmten Schützen ebenso viele Meilen umher, wie heute die Tüchtigkeit eines Rennpferdes.

Die Liste der Bewerber für den Schützenpreis belief sich endlich nur auf acht Personen. Prinz Johann stand von seinem königlichen Sitze auf, um diese Lehnsbauern, von denen mehrere die königliche Livree trugen, in der Nähe zu betrachten. Nachdem er seine Neugier befriedigt hatte, schaute er sich nach dem Gegenstande seiner Rache um, der an demselben Orte stand und in derselben gefaßten Stellung und Haltung, welche er an dem vorhergehenden Tage gezeigt hatte.

[145] »Bursche!« sagte Prinz Johann, »ich vermuthete schon aus Deinem ungeziemenden Geschwätz, Du wärest kein rechter Liebhaber vom Langbogen, und ich sehe jetzt, Du wagst es nicht, mit diesen wackern Männern, welche dort stehen, Deine Geschicklichkeit zu versuchen.«

»Mit Gunst, Herr,« versetzte der Landmann, »ich habe eine andere Ursache, welche mich vom Schießen abhält, außer der Furcht vor Unglück und Mißlingen des Schusses.«

»Und welches ist denn diese andere Ursache?« fragte der Prinz, der aus einem Grunde, welchen er vielleicht selbst nicht zu erklären wußte, eine peinliche Neugier hinsichtlich dieses Menschen empfand.

»Weil ich nicht weiß,« erwiderte der Mann, »ob diese Landleute und ich gewohnt sind, nach demselben Ziele zu schießen, und weil ich außerdem auch nicht weiß, ob es Eure Gnaden gern sehen möchte, wenn den dritten Preis auch jemand gewönne, der sich Euer Mißfallen unbewußt zugezogen hat.«

Prinz Johann entfärbte sich bei diesen Worten, doch fragte er: »Wie ist Dein Name, Landmann?«

»Locksley!« versetzte dieser.

»Wohl, Locksley!« sagte der Prinz, »Du sollst schießen, wenn die Reihe an Dich kommt, und sobald diese braven Landleute ihre Geschicklichkeit bewährt haben. Gewinnst Du den Preis, so füge ich noch zwanzig Nobles hinzu, fehlst Du aber, so wird Dir Dein grünes Wamms ausgezogen, und Du mit Bogensehnen aus den Schranken gepeitscht als ein frecher Prahler.«

»Und wenn ich nun unter solchen Bedingungen nicht schießen will?« sagte der Landmann. »Euer Gnaden kann mich wohl, da Ihr so viele Bewaffnete zur Unterstützung Eurer Macht habt, ausziehen und peitschen lassen, aber mich nicht zwingen, auch nur einmal meinen Bogen zu spannen.«

»Nimmst Du mein ehrliches Anerbieten nicht an,« sagte der Prinz, »so soll Dir der Profoß den Bogenstrang zerschneiden und Bogen und Pfeile zerbrechen; auch Dich selbst als einen Feigherzigen davonjagen.«

»Es ist nicht schön von Euch, stolzer Prinz, daß Ihr mich zwingt, mich gegen die besten Schützen von Leicester und Staffordshire zu wagen, unter der Strafe, entehrt zu werden, wenn sie mich übertreffen. Indessen will ich gehorchen.«

[146] »Gebt genau auf ihn Acht, Panzerleute!« sagte Prinz Johann, »sein Muth ist gesunken; ich fürchte, er sucht der Probe zu entschlüpfen. Und Ihr, brave Leute, schießt muthig nach der Reihe! Ist der Preis gewonnen, so erwarten Euch Fleisch und Wein zur Erquickung dort im Zelte.«

Es wurde nun am obern Ende der südlichen Allee, welche zu den Schranken führte, eine Scheibe aufgestellt. Die Bogenschützen nahmen ihren Stand nach der Reihe in der Tiefe des südlichen Zugangs ein, und diese Stellung gewährte vom Ziele eine hinreichende Entfernung für das, was man einen Schuß aufs Ungewisse zu nennen pflegte. Es wurde das Loos gezogen, um die Ordnung der Schüsse zu bestimmen, deren jeder drei nach einander hatte. Ein Profoß der Spiele ordnete das Ganze, denn die Marschälle würden sich entehrt gefunden haben, wenn sie die Spiele der Landleute hätten leiten sollen.

Einer nach dem andern trat nun vor und schoß. Von vierundzwanzig Schüssen trafen zehn das Ziel, und die andern kamen demselben so nahe, daß man, mit Rücksicht auf die beträchtliche Entfernung, wohl sagen konnte, es sei brav geschossen worden. Von den zehn Pfeilen, die das Ziel trafen, schoß Hubert, ein Förster in Malvoisins Diensten, zwei innerhalb des innern Ringes, er wurde daher als Sieger ausgerufen.

»Nun, Locksley,« sagte der Prinz mit bitterem Lächeln zu dem kühnen Landmann, »willst Dus nun noch mit Hubert aufnehmen, oder willst Du Bogen, Jagdtasche und Köcher dem Profoß überliefern?«

»Weils denn nicht anders sein kann,« sagte Locksley, »so will ich mein Glück versuchen, doch mit der Bedingung, daß, wenn ich zwei Pfeile noch über Huberts Ziel geschossen habe, er verbunden sei, einen nach dem Ziele zu schießen, welches ich stecken werde.«

»Nun, das läßt sich hören,« sagte der Prinz, »und es soll Dir gewährt sein! Besiegst Du den Prahlhans, Hubert, so fülle ich Dir das Jagdhorn mit Silberpfennigen!«

»Ein Mann thut, so viel er kann,« versetzte Hubert, »mein Großvater führte bei Hastings einen guten Bogen, und ich denke seinem Andenken keine Schande zu machen.«

Das vorige Ziel wurde nun weggenommen und eine andere [147] Scheibe von derselben Größe an seine Stelle gesetzt. Hubert, der als Sieger in dem ersten Schießen das Recht des ersten Schusses hatte, nahm sein Ziel mit großer Ueberlegung, maß die Entfernung lange mit den Augen und hielt den gespannten Bogen fest in der Hand, den Pfeil auf der Sehne. Endlich trat er vorwärts, zog die Sehne an und der Pfeil schwirrte durch die Luft; er traf in den innern Kreis der Scheibe, doch nicht gerade in den Mittelpunkt.

»Ihr habt nicht auf den Wind gerechnet, Hubert,« sagte sein Gegner, indem er seinen Bogen spannte, »sonst hätte der Schuß ein besserer werden müssen.«

Ohne die mindeste Aengstlichkeit zu verrathen, trat Locksley an die bestimmte Stelle, und schoß den Pfeil mit einer Schnelligkeit ab, welche kaum vermuthen ließ, daß er ordentlich gezielt habe. Er sprach noch, während er schon die Bogensehne anzog, und doch traf er zwei Zoll näher an den weißen Fleck, der den Mittelpunkt des Zieles machte, als Hubert getroffen hatte.

»Beim Licht des Himmels!« sagte der Prinz zu Hubert, »Du wärst werth, auf die Galeeren zu kommen, wenn Du Dich von dem Strolch übertreffen lassen wolltest!«

Hubert hatte überall nur die eine Antwort: »Und wenn Eure Hoheit mich hängen ließen,« sagte er, »ein Mann thut, so viel er kann! Indessen mein Großvater führte einen guten Bogen.«

»Zum Teufel mit Deinem Großvater und der ganzen Sippschaft,« sagte der Prinz, »schieß, Schurke, schieß gut, oder es geht [148] Dir wahrlich schlecht!« So ermuntert nahm Hubert seine Stelle wieder ein, und die Warnung seines Gegners nicht verachtend, nahm er auf den Zug des Windes Bedacht und schoß nun so glücklich, daß sein Pfeil gerade im eigentlichen Mittelpunkte der Scheibe saß.

Der laute Freudenruf: »Hubert hoch! Hubert brav! brav!« belohnte den Schützen, für den das Volk sich mehr interessirte als für den Unbekannten.

»Den Schuß kannst Du doch nicht übertreffen, Locksley!« sagte der Prinz mit höhnischem Lächeln.

»So will ich ihm doch in seinen Pfeil eine Kerbe machen,« versetzte Locksley.

Mit diesen Worten ergriff er seinen Bogen, schoß mit etwas mehr Behutsamkeit als sonst, und sieh, der im Ziele steckende Pfeil seines Nebenbuhlers wurde mitten entzwei gespalten. Das umstehende Volk war über solche Geschicklichkeit so erstaunt, daß es seiner Ueberraschung nicht einmal durch den gewöhnlichen Freudenruf Luft machen konnte.

»Das muß der Teufel sein und kein Mensch von Fleisch und Blut,« flüsterte ein Landmann dem andern zu, »so ein Bogenschießen ist nicht erhört worden in Britannien, seit ein Bogen gespannt wird.«

»Und nun,« sagte Locksley, »bitte ich um Erlaubniß, ein Ziel aufzustecken, wie es bei uns im Norden gewöhnlich ist; und willkommen jeder brave Landmann, der einen Schuß versucht, der ihm ein freundliches Lächeln von seinem Schätzchen verdienen muß!« Und die Schranken verlassend, fügte er hinzu: »Eure Wachen mögen mir folgen, ich gehe nur, um einen Zweig von dem Weidenbusche zu holen.«

Prinz Johann gab der Wache bereits ein Zeichen zu folgen, allein der allgemeine Ruf: »Wie schändlich! wie schändlich!« machte, daß der unedle Vorsatz nicht ausgeführt wurde.

Locksley kehrte sogleich mit einem Weidenzweig, der ungefähr sechs Fuß lang, ganz gerade und ein wenig dicker als ein Mannsdaumen war, zurück. Er fing nun an, denselben mit vieler Ruhe abzuschälen, und bemerkte, daß es eigentlich eine Beleidigung für einen rechten Jägersmann sei, wenn er nach einem so breiten Ziele [149] schießen sollte, als man es bisher aufgestellt habe. Er, und die Leute in dem Lande, wo er geboren sei, sagte er, würden eben so gern nach König Arthurs runder Tafel schießen, woran sechszig Ritter Platz gefunden; ein Kind von sieben Jahren müsse die Scheibe dort mit einem stumpfen Pfeile erreichen können. »Aber,« setzte er hinzu, indem er langsam nach dem andern Ende der Schranken zuging und den Weidenzweig aufrecht in den Boden steckte, »wer diesen Zweig auf hundert Ellen trifft, den nenne ich einen Schützen, der gar wohl Köcher und Bogen vor Königen führen darf, und wäre es der gewaltige König Richard selbst.«

»Mein Großvater,« sagte Hubert, »führte wohl einen guten Bogen bei Hastings, und dennoch schoß er sein Lebtag nicht nach solch einem Ziele – und ich werde das eben so wenig! Trifft dieser Landsasse aber das Ziel, so geb ich ihm das Spiel gewonnen, oder vielmehr, ich weiche dem Teufel, der in seinem Wammse steckt, nicht menschlicher Kunst. Ein Mann thut, so viel er kann; ich aber schieße nicht, wo ich sicher bin zu fehlen. Ich möchte eben so leicht auf die Schneide eines Taschenmessers, einen Strohhalm oder Sonnenstrahl schießen, als auf solch einen weißen Strich, den man kaum mit Augen sieht.«

»Feiger Hund!« sagte Prinz Johann; »schieße, Locksley, Bursch, und triffst Du das Ziel, so erkläre ich Dich für den ersten Schützen, den ich je gesehn.«

»Ich thue, so viel ich kann, wie Hubert sagt,« versetzte Locksley, »kein Mensch kann mehr thun!«

Mit diesen Worten spannte er seinen Bogen von neuem. Allein jetzt besah er mit mehr Aufmerksamkeit die Waffe und zog eine andere Sehne ein, weil er nach den vorigen Schüssen die alte nicht mehr für straff genug hielt. Nun nahm er sein Ziel mit Bedacht. Mit athemlosem Schweigen erwartete die Menge den Schuß. Aber der Schütze rechtfertigte die kühnste Meinung von seiner Geschicklichkeit, der Pfeil spaltete die Weidenruthe mitten von einander. Allgemeiner Beifallsjubel ertönte, und selbst in Prinz Johann wich das Mißfallen an der Person des Schützen auf einen Augenblick der Bewunderung.

»Diese zwanzig Nobles,« sagte er zu ihm, »die Du nebst dem Jagdhorne gewonnen hast, sind Dein; aber Du sollst sogleich [150] fünfzig erhalten, wenn Du in unsre Leibgarde treten und künftig näher um unsre Person sein willst. Denn niemals wohl hat eine so feste Hand die Sehne gespannt, oder ein Auge so sicher das Ziel genommen.«

»Verzeiht mir, edler Prinz,« sagte Locksley hierauf, »allein ich habe gelobt, daß, wenn ich je Dienste nehme, ich dies nur bei Eurem königlichen Bruder Richard thue. Die zwanzig Nobles überlasse ich Hubert, der heut einen eben so tüchtigen Bogen gespannt hat wie sein Großvater bei Hastings. Hätte seine Bescheidenheit nicht den Versuch verweigert, so würde er den Weidenzweig eben so gut getroffen haben wie ich.«

Hubert schüttelte den Kopf, als er, wiewohl mit Widerstreben, das Geschenk des Fremden empfing, und Locksley, um jeder ferneren Beobachtung auszuweichen, mischte sich unter den Haufen und ward nicht mehr gesehen.

Der siegreiche Bogenschütze würde indessen Johanns spähenden Blicken nicht so leicht entgangen sein, hätten nicht andere und wichtigere Sorgen in diesem Augenblicke des Prinzen Gemüth beschäftigt. Er rief nach seinem Kämmerling, als er das Signal zum Verlassen der Schranken gegeben, und hieß ihn eiligst nach Ashby reiten, um dort den Juden Isaak aufzusuchen. »Sage dem Hunde,« sprach er, »er solle mir vor Sonnenuntergang zweitausend Kronen schicken. Er kennt die Sicherheit schon, aber Du kannst ihm außerdem noch diesen Ring als Pfand geben. Der Rest der Summe muß binnen sechs Tagen zu York ausgezahlt werden. Ist er schwierig, so soll mir der ungläubige Schuft mit seinem Kopfe zahlen. Sieh Dich vor, daß Du ihn nicht unterwegs verfehlst, denn der beschnittne Sklave war hier und entfaltete unter uns all seinen zusammengestohlenen Putz.«

Mit diesen Worten stieg der Prinz wieder zu Pferde und kehrte nach Ashby zurück, während die Menge aufbrach und sich nach verschiedenen Richtungen verlief.

14. Kapitel

[151] Kapitel XIV.

Wenn einst, gehüllt in rohe Pracht,

Das alte Ritterthum den hehren Pomp

Des edlen Waffenspiels entfaltete,

Versammelten sich beim Trompetenruf

Des Landes Häupter und geschmückte Damen

In eines stolzen Schlosses Bogenhalle.


Warton.


In dem Schlosse zu Ashby hielt Prinz Johann sein Festbankett. Dieses und das Städtchen Ashby gehörten damals Roger de Quincy, Grafen von Winchester, der zur Zeit, wo unsere Geschichte spielt, im heiligen Lande abwesend war. Prinz Johann hatte sich unterdessen seines Schlosses bemächtigt und ohne Weiteres über seine Besitzungen verfügt; und da er jetzt die Augen der Welt durch Gastlichkeit und Pracht zu blenden suchte, hatte er den Befehl ertheilt, die Vorbereitungen zum Bankett so glänzend als möglich zu machen.

Was nur das Land Köstliches lieferte, zierte die Tafel; auch war die Zahl der Gäste außerordentlich groß; und da der Prinz jetzt um die Volksgunst buhlen mußte, so hatte er seine Einladungen sogar auf ein paar sächsische und dänische Familien ausgedehnt.

Wie sehr verachtet und herabgedrückt sie auch bei gewöhnlichen Gelegenheiten sein mochten, so mußte doch die große Zahl angelsächsischer Familien bei drohenden bürgerlichen Unruhen dieselben furchtbar machen, und es war darum eine von selbst gebotene Politik, sich mit ihren Häuptern in gutes Einvernehmen zu setzen.

Es war demgemäß eine Zeit lang des Prinzen Absicht, diese [152] seltenen Gäste mit einer Artigkeit zu behandeln, an die sie in der That wenig gewöhnt waren. Aber obschon er darin alle andern übertraf, daß er stets seine Gewohnheiten und Gefühle dem augenblicklichen Interesse unterzuordnen vermochte, so war es doch ein Unglück für den Prinzen, daß sein Leichtsinn und Muthwille immer wieder vorbrach und das, was er durch Verstellung gewonnen, wieder zu nichte machte. So war er einst von seinem Vater Heinrich II. nach Irland geschickt worden, um die Gemüther des Volkes für die englischen Pläne zu gewinnen. Der Prinz aber mußte, als man ihm huldigte, die wilden Kerns und Galloglassen an ihren langen Bärten zupfen, was einen Aufruhr im ganzen Lande hervorrief.

So empfing er denn, gemäß seinem in kühleren Augenblicken gefaßten Entschlusse, Cedric und Athelstane mit ausgezeichneter Höflichkeit und war durchaus nicht empfindlich, als Unpäßlichkeit für das Nichterscheinen Rowenas vorgeschützt wurde.

Cedric und Athelstane waren beide in altsächsische Tracht gekleidet, die, wenn auch an sich nicht häßlich und für diesen Fall aus kostbarem Stoff gefertigt, dennoch in Schnitt und Ansehn von der der übrigen Gäste so sehr abstach, daß sich Prinz Johann und Waldemar Fitzurse große Gewalt anthun mußten, um das Lachen zu unterdrücken.

In den Augen jedes Verständigen mußte die kurze, eng anschließende Tunica und der lange Mantel der Sachsen weit gefälliger erscheinen als die Tracht der Normänner, deren Untergewand ein langes Wamms von solcher Weite war, daß es einem Hemde oder Fuhrmannskittel glich, und über diesem trug man einen knapp geschnittenen Mantel, der weder vor Kälte noch vor Regen schützte, und nur getragen wurde, um die Stickerei und den Juwelenbesatz zu zeigen, der darauf angebracht war.

Die Gäste hatten sich zur Tafel gesetzt, die unter der Menge kostbarer Gerichte zu brechen drohte. Außer den einheimischen Gerichten, welche die zahlreichen Köche des Prinzen unter den verschiedensten Gestalten zuzubereiten wußten, gab es auch eine Menge aus dem Auslande stammender Leckereien, als da sind zahlreiche Pasteten, Rosinenkuchen, Weißbrödchen, Streußelkuchen, die damals nur auf den Tafeln der hohen Aristokratie zu finden waren. Zu [153] gleicher Zeit wurden die köstlichsten Weine aus allen Gegenden der Erde herumgereicht.

Doch, wenn auch dem Luxus geneigt, waren die normännischen Edlinge im Allgemeinen nichts weniger als unmäßig. Wenn sie sich wirklich den Tafelfreuden ergaben, so strebten sie mehr nach Delikatessen und mieden das Uebermaß, wogegen sie Völlerei und Trunkenheit den besiegten Sachsen als Laster vorwarfen, die aus ihrer untergeordneten Stellung entsprängen. Prinz Johann und die Schmeichler, welche seine Schwächen nachahmten, waren freilich nur zu geneigt, auch in den Tafelfreuden auszuschweifen; man weiß ja, daß der Tod des Prinzen nach dem übermäßigen Genuß von Pfirsichen und jungem Biere erfolgte; doch wurde seine Lebensweise immer als eine Ausnahme von den Sitten seiner Landsleute angesehn.

Mit listiger Ernsthaftigkeit, die nur durch Zeichen, die sie einander gaben, unterbrochen wurde, betrachteten die normännischen Ritter und Edelleute das rohere Benehmen Athelstanes und Cedrics bei einem Bankett, an dessen Form und Sitte diese gar nicht gewöhnt waren. Während ihr Verhalten so der Gegenstand beobachtenden Spottes wurde, überschritten die unkundigen Sachsen unbewußt manche der Regeln, die für die Zwecke der seinen Geselligkeit aufgestellt waren. Nun weiß man ja, daß jemand weit eher und strafloser ein wirkliches Moralgesetz übertreten, als unbekannt mit der geringfügigsten Bestimmung der Etikette und des guten Tons scheinen darf. So machte sich Cedric, der seine feuchten Hände an einer Serviette trocknete, statt deren Feuchtigkeit durch anmuthiges Schwenken in der Luft verdunsten zu lassen, noch lächerlicher als sein Gefährte Athelstane, der eine ganze Carum-Pastete, die aus den köstlichsten fremden Leckereien bestand, allein und auf einem Niedersitzen hinunteraß. Als man indessen nach ernsthafter Untersuchung die Entdeckung machte, daß der Edling von Coningsburgh keinen Begriff von dem hatte, was er verzehrte, sondern den Inhalt der Pastete für Lerchen- und Taubenfleisch hielt, während es doch Becassinen und junge Nachtigallen waren, setzte ihn seine Unwissenheit einem weit größeren Gelächter aus, als sein gesunder Appetit eigentlich verdient hatte.

Das lange Mahl ging nun zu Ende, und während der Becher [154] ungehindert kreiste, sprach man von den Thaten des vorhergegangenen Turniers, von dem unbekannten Sieger im Bogenschießen, von dem schwarzen Ritter, dessen Selbstverleugnung ihn der ihm gebührenden Ehre entzogen, und von dem tapfern Ivanhoe, der den Lorbeer des Tages so theuer erkauft hatte. Man äußerte sich mit kriegsmännischer Freimüthigkeit, und Scherz und Lachen erfüllten die weite Halle.

Nur auf des Prinzen Gesicht ruhten während dieses Gesprächs düstere Wolken; irgend eine überwältigende Sorge lastete auf seinem Gemüth, und er nahm, wie es schien, nur dann an dem, was um ihn vorging, Theil, wenn ihm von seiner Umgebung gelegentlich ein bedeutungsvoller Wink gegeben wurde. In solchem Falle aber pflegte er plötzlich aufzuspringen, einen Humpen Wein hinunterzustürzen und sich dann mit abgebrochenen Bemerkungen in die Unterhaltung zu mischen.

»Wir trinken diesen Becher,« sagte er, »auf das Wohl Wilfreds von Ivanhoe, des Siegers in diesem Waffengang, und bedauern, daß seine Wunde ihn gehindert hat, an unserm Mahle Theil zu nehmen. Schenkt alle Becher voll zu diesem Toast, vornehmlich aber thut Ihr es, Cedric von Rotherwood, der würdige Vater eines so hoffnungsreichen Sohnes.«

»Nein, Mylord,« versetzte Cedric, indem er aufstand und den Becher umgekehrt auf den Tisch stellte, »ich kann dem ungehorsamen Jünglinge, der meine Befehle mißachtete und Sitte und Brauch seiner Väter verließ, den Namen eines Sohnes nicht geben.«

»Das ist unmöglich!« rief der Prinz mit gut geheucheltem Erstaunen, »kann ein so tapferer Ritter ein unwürdiger oder ungehorsamer Sohn sein?«

»Und dennoch, Mylord,« entgegnete Cedric, »ist es so mit Wilfred. Er verließ seinen väterlichen Herd, um sich zu dem lustigen Adel am Hofe Eures Bruders zu gesellen, wo er jene Reiterkünste erlernte, die Ihr so hoch erhebt. Er verließ ihn gegen meinen ausdrücklichen Willen und Befehl, und zu Alfreds Zeit hätte das Ungehorsam geheißen – ja, es wäre ein schwer zu ahndendes Verbrechen gewesen.«

»Ach,« entgegnete der Prinz mit einem tiefen Seufzer verstellter [155] Theilnahme, »da Euer Sohn ein Anhänger meines unglücklichen Bruders war, so brauchen wir nicht zu untersuchen, von wem er diese Grundsätze des kindlichen Ungehorsams annahm.«

So redete derselbe Prinz Johann, der sich bewußt war, daß unter allen Söhnen Heinrichs II., wiewohl keiner ganz frei von Schuld war, er sich am meisten durch den Geist der Empörung und des Ungehorsams ausgezeichnet hatte.

»Ich dachte,« sagte er nach einer kurzen Pause, »mein Bruder wäre Willens gewesen, seinen Günstling mit den reichen Besitzungen von Ivanhoe zu belehnen.«

»Er belehnte ihn in der That mit denselben,« entgegnete Cedric, »auch ist dies grade ein Hauptgrund der Klage gegen meinen Sohn, daß er sich soweit erniedrigte, die Besitzungen als Lehnsgüter anzunehmen, die seine Väter als freies und unabhängiges Eigenthum besessen hatten.«

»So werden wir also wohl unschwer Eure Einwilligung erhalten, guter Cedric,« sagte Prinz Johann, »wenn wir dieses Lehn einem Manne übertragen, dessen Würde es nicht widerstrebt, Besitzungen von der Krone als Lehn zu erhalten. – Sir Reginald Front de Boeuf,« sagte er, zu diesem Baron gewendet, »ich hoffe, Ihr werdet die Baronie Ivanhoe so vertheidigen, daß Sir Wilfred sich das Mißfallen seines Vaters nicht weiter zuziehen kann.«

»Beim heiligen Antonius!« antwortete der finstre Hüne, »Eure Hoheit mag mich einen Sachsen nennen, wenn entweder Cedric oder Wilfred, oder der beste vom sächsischen Blute mir das Geschenk wieder entreißen sollte, mit dem Eure Hoheit mich beehrt hat.«

»Wer Dich einen Sachsen nennen würde, Baron,« antwortete Cedric, beleidigt durch die Art, mit der die Normannen ihre Verachtung gegen die Eingebornen ausdrückten, »thäte Dir eine eben so große als unverdiente Ehre an.«

Front de Boeuf wollte antworten, doch Prinz Johanns Muthwille kam ihm zuvor.

»Gewiß, Mylords,« sagte er, »der edle Cedric redet die Wahrheit, denn sein Geschlecht übertrifft das unsrige sowohl hinsichtlich der Länge ihrer Stammbäume, als auch ihrer Mäntel.«

»Im Felde gehen sie uns auch wirklich voran, wie das Wild den Hunden,« meinte Malvoisin.

[156] »Und mit gutem Recht gehen sie uns voran,« sagte der Prior Aymer, »wenn man ihre anständigeren und feineren Sitten bedenkt.«

»Ihre ausgezeichnete Enthaltsamkeit und Mäßigkeit,« sagte de Bracy, wobei er das Project vergaß, das ihm eine sächsische Braut verschaffen sollte.

»Dazu ihr Muth und ihre Tapferkeit,« sagte Brian de Bois-Guilbert, »durch die sie sich bei Hastings und anderwärts ausgezeichnet haben.«

Während die Höflinge mit glatten und lächelnden Wangen in dieser Weise dem Beispiele ihres Prinzen folgten, und die Pfeile des Spottes der Reihe nach gegen Cedric sandten, flammte das Gesicht desselben von innerem Zorn; er schoß grimmige Blicke bald auf den einen bald auf den andern, da die schnelle Aufeinanderfolge der Beschimpfungen ihm nicht gestattete zu antworten. Er glich einem gereizten Stiere, der, umringt von seinen Peinigern, nicht weiß, wen er zum unmittelbaren Gegenstand seiner Rache wählen soll. Endlich sprach er mit einer Stimme, die der Ingrimm zur Hälfte erstickte: »Welches auch die Thorheiten und Fehler unseres Volksstammes sein mögen, ein Sachse würde nîdhing oder, wenn Ihr das besser versteht, Hundsfott genannt worden sein, der einen friedlichen und stillen Gast in seinem Hause, während er ihm den gastlichen Becher reicht, auf die Art behandelt hätte, wie ich vor Eurer Hoheit Augen behandelt worden bin; und wie groß auch das Unglück unserer Väter auf dem Schlachtfelde von Hastings gewesen sein mag, die wenigstens sollten nicht prahlen,« – hier sah er Front de Boeuf und den Templer an, – »die in wenigen Stunden mehrmals vor der sächsischen Lanze Bügel und Sattel verloren haben.«

»Meiner Treu, ein beißender Scherz!« sagte Prinz Johann. »Wie gefällt euch das, meine Herren? Unsere sächsischen Unterthanen werden scharf an Witz, und kühn im Benehmen in diesen unruhigen Zeitläuften. Was sagt ihr dazu, meine Herren? Beim Himmel, es wäre am besten, wir bestiegen unsre Schiffe wieder und segelten bei Zeiten nach der Normandie zurück.«

»Aus Furcht vor den Sachsen?« sagte de Bracy und lachte. »Wir brauchen für die nicht einmal Kriegswaffen – mit Sauspießen treiben wir sie zu Paaren.«

[157] »Still mit eurem Gespött, ritterliche Herren!« sagte Fitzurse; »es wäre gut,« fügte er zum Prinzen gewendet hinzu, »wenn Eure Hoheit dem wackern Cedric versichern wollte, daß eine Beleidigung mit den Scherzen nicht beabsichtigt gewesen sei, die im Ohre eines Fremden allerdings unangenehm klingen mußten.«

»Beleidigung!« versetzte der Prinz, und nahm die höfliche Miene von vorhin wieder an, »ich glaube nicht, daß hier jemand von mir glaubt, ich könnte irgend wen in meiner Gegenwart beleidigen lassen. Hier fülle ich meinen Becher selbst auf Cedrics Wohl, da er sich weigert, auf die Gesundheit des eignen Sohnes zu trinken.«

Der Becher kreiste nun unter den erheuchelten Beifallsbezeugungen der Hofleute, doch machte dies keineswegs den erwarteten Eindruck auf das Gemüth des Sachsen. Wenn auch von Natur nicht eben scharfsinnig, wurde sein Verstand doch von denen unterschätzt, die da glaubten, das schmeichelhafte Compliment sollte das Gefühl der erfahrenen Kränkung in ihm aufheben. Er war jedoch ganz still, als der Becher auf das Wohl »des Edlings von Coningsburgh« herumging.

Der Edling that Bescheid und bewies sein Ehrgefühl dadurch, daß er einen mächtigen Humpen auf einen Zug leerte.

»Und nun, ihr Herren,« sagte Prinz Johann, den allgemach der genossene Wein etwas zu erhitzen anfing, »da wir unsern sächsischen Gästen Satisfaction gegeben haben, so bitten wir sie auch um eine Erwiderung unsrer Höflichkeit. – Würdiger Herr von Rotherwood, dürfen wir Euch ersuchen, uns einen Normannen zu nennen, dessen Namensnennung Euren Mund am wenigsten verunreinigt, und mit einem Becher Weins alle Bitterkeit hinabzuspülen, die der Klang etwa noch auf den Lippen zurückgelassen haben könnte?«

Fitzurse stand auf, während der Prinz redete, und schlich sich hinter den Sessel des Sachsen, dem er zuflüsterte, er möge diese Gelegenheit nicht entschlüpfen lassen, dem Unfrieden zwischen den beiden Nationen ein Ende zu machen. Der Sachse antwortete nicht auf diese politische Insinuation, sondern stand auf, füllte seinen Becher bis zum Rande, und wandte sich an den Prinzen Johann mit den Worten:

»Eure Hoheit hat verlangt, ich sollte einen Normannen nennen, [158] der bei diesem Bankett besonders erwähnt zu werden verdiene. Das ist vielleicht keine geringe Aufgabe, da sie den Sklaven auffordert, das Lob des Unterdrückers zu verkünden – da sie dem Besiegten zumuthet, in der bedrängten Lage der Botmäßigkeit den Ruhm seines Siegers zu verkünden. Indeß will ich doch einen Normannen nennen – den Ersten an Rang und Waffenruhm – den Besten und Edelsten seines Geschlechts. Und die Lippen, die nicht mit mir auf seine wohlverdienten Ehren trinken wollen, nenne ich verrätherisch und ehrlos, und werde das mit meinem Leben behaupten und verantworten. – Ich leere diesen vollen Becher auf das Wohl Richards – Richards des Löwenherzigen.«

Prinz Johann, der nichts gewisser erwartet hatte, als am Schluß der Rede seinen eignen Namen genannt zu hören, fuhr auf, als er den seines gekränkten Bruders vernahm. Er erhob mechanisch seinen Becher und führte ihn zu den Lippen, doch trank er nicht, sondern setzte ihn vielmehr unberührt nieder, um zu beobachten, wie sich die Gesellschaft bei dem unerwarteten Vorschlage verhielte. Viele unter den Anwesenden hielten es für eben so unrathsam sich zu widersetzen als einzustimmen. Unter den Hofleuten hielten sich die ältesten und erfahrensten genau an das Beispiel des Prinzen selbst, führten ihren Becher zum Munde und setzten ihn, ohne daraus getrunken zu haben, wieder vor sich hin. Einige von ihnen, die von edleren Gefühlen geleitet waren, riefen jedoch: »Lange lebe König Richard! und möge er uns recht bald zurückgegeben werden!«

Wenige, und unter diesen Front de Boef und der Templer, ließen in finstrem Unmuthe die Becher unberührt vor sich stehen. Niemand jedoch wagte geradezu und bestimmt den Toast auf das Wohl des regierenden Monarchen zurückzuweisen.

Nachdem Cedric etwa eine Minute lang seinen Triumph genossen hatte, sagte er zu seinem Gefährten: »Komm, edler Athelstane; wir sind lange genug hier gewesen, nachdem wir die gastliche Höflichkeit des Prinzen Johann bei seinem Bankett erwidert haben. Die, welche mehr von unsern groben sächsischen Sitten kennen zu lernen wünschen, mögen uns in Zukunft selbst in den Hallen unserer Väter aufsuchen; wir haben von den fürstlichen Banketten und der normännischen Höflichkeit gerade genug gesehn.«

Mit diesen Worten erhob er sich und verließ den Bankettsaal, [159] begleitet von Athelstane und einigen andern Gästen, die als Verwandte sächsischer Familien sich durch den Spott des Prinzen und seiner Hofleute ebenfalls beleidigt fühlten.

»Bei den Gebeinen des heiligen Thomas Becket«, sagte Prinz Johann, als sie sich entfernten, »die sächsischen Tölpel haben den Ruhm des Tages davon getragen und sich im Triumph zurückgezogen!«

»Conclamatum et poculatum est,« sagte Prior Aymer, »wir haben gezecht und geschrieen, es scheint nun Zeit, die Weinkrüge bei Seite zu stellen.«

»Der Mönch muß heute Nacht noch die Beichte einer schönen Büßerin hören wollen, da er es so eilig hat,« sagte de Bracy.

»Nicht so, Herr Ritter,« erwiderte der Abt; »aber ich muß heute noch einige Meilen meiner Heimreise zurücklegen.«

»Sie brechen auf,« sagte der Prinz leise zu Fitzurse; »ihre Furcht geht den Ereignissen voraus, und dieser feige Prior ist der Erste, der von mir abfällt.«

»Seid ohne Furcht,« sagte Waldemar, »ich will schon solche Gründe bei ihm vorbringen, daß sie ihn veranlassen sollen, bei unserer Zusammenkunft in York zu erscheinen.« »Herr Prior,« rief er dem Scheidenden zu, »ich muß noch, ehe Ihr Euern Zelter besteigt, ein Wörtlein mit Euch allein reden.«

Die Gäste hatten sich jetzt sämmtlich zerstreut, bis auf die, welche unmittelbar zur Partei oder zum Gefolge des Prinzen gehörten.

»Dies also ist die Frucht Eure Rathes,« sagte der Prinz und wandte sich verdrießlich an Fitzurse, »daß ich an meinem eignen Tische von einem angetrunkenen sächsischen Flegel verhöhnt werde, und daß beim bloßen Klange des Namens Richard die Leute sich von mir zurückziehn, als ob ich den Aussatz hätte.«

»Nur Geduld, Herr,« versetzte der Rathgeber, – »ich könnte Euch Eure Beschuldigung zurückgeben, und die Unüberlegtheit, ja den Leichtsinn tadeln, der meinen Plan vernichtete, und Euer eignes besseres Urtheil mißleitete. Aber es ist jetzt keine Zeit zu gegenseitiger Anklage. de Bracy und ich wollen uns sofort zu den feigen Abtrünnigen gesellen, und sie überzeugen, daß sie sich bereits zu weit eingelassen haben, um wieder zurückzutreten.«

[160] »Das wird wohl vergebens sein,« sagte Prinz Johann, und maß mit unruhigen Schritten das Zimmer, wobei der genossene Wein seine Aufregung vermehrte, – »es wird wohl vergebens sein, – sie haben des Löwen Tatze im Sande gesehen, – sie haben gehört, wie die Nähe seines Brüllens den Wald beben macht, – nichts vermag ihren Muth wieder zu beleben.«

»Wollte Gott, daß irgend etwas den seinigen wieder beleben könnte,« sagte Fitzurse leise zu de Bracy. »Schon seines Bruders Name macht ihm Fieberangst. Unglücklich sind die Berather eines Prinzen, dem es an Entschlossenheit und Ausdauer fehlt, sei es zum Guten oder zum Bösen.«

15. Kapitel

[161] Kapitel XV.

Und dennoch denkt er, – ha, ha, ha – er denkt,

Ich sei sein Werkzeug, seines Willens Diener.

Gut so! – Durch dieses Labyrinth der Wirren,

Das seine Ränk und niedre Herrschsucht schaffen,

Bahn ich mir selbst den Weg zu höhern Dingen,

Und wer behauptet, daß dies Unrecht sei?


Basil, ein Trauerspiel.


Nie gab sich eine Spinne mehr Mühe, die zerrissenen Maschen ihres Gewebes auszubessern, als Waldemar Fitzurse, der es versuchte, die zerstreuten Theilnehmer an den Ränken des Prinzen Johann wieder zu sammeln und zu verbinden. Wenige von ihnen waren diesem Fürsten aus Neigung, keiner aus persönlicher Achtung ergeben. Fitzurse mußte ihnen daher Aussichten auf neue Vortheile eröffnen und sie an die erinnern, die sie im Augenblick genossen. Den jungen und wilden Edlingen stellte er straflose Ausgelassenheit, unbeschränkte Wüstheit in Aussicht, den Ehrgeizigen Macht, den Habsüchtigen vermehrten Reichthum, ausgedehnte Besitzungen.

Die Anführer der Miethstruppen erhielten ein Geschenk in Gold, ein Argument, welches für ihren Verstand das überzeugendste war, und ohne das alle anderen wirkungslos gewesen wären. Versprechungen wurden von diesem rührigen Unterhändler noch freigebiger ausgetheilt als Geld; kurzum, es blieb nichts ungethan, was die Schwankenden zum festen Entschluß bringen, die Muthlosen neu beleben konnte.

Von der Rückkehr König Richards sprach er wie von einem Ereigniß, das gänzlich außer dem Bereich der Möglichkeit liege; [162] als er jedoch an den zweifelhaften Blicken und unbestimmten Antworten, die man ihm gab, bemerkte, daß grade dies die Befürchtung sei, die sich am tiefsten in den schuldbewußten Gemüthern festgesetzt hatte, so behandelte er diese Eventualität mit aller Frechheit als eine solche, die ihre politischen Berechnungen durchaus nicht stören dürfe.

»Wenn Richard zurückkehrt,« sagte Fitzurse, »so wird er seine heruntergekommenen und verarmten Kreuzfahrer auf Kosten derer reich machen, die ihm nicht ins gelobte Land gefolgt sind. Er kehrt zurück, um diejenigen zu furchtbarer Verantwortung zu ziehn, die während seiner Abwesenheit irgend etwas gethan haben, was man als Verletzung der Landesgesetze oder der Kronrechte auslegen kann. Er kehrt zurück, um sich an den Orden der Templer und Hospitaliter zu rächen, weil sie Philipp von Frankreich während der Kriege im gelobten Lande den Vorzug gegeben haben. Kurzum, er kehrt zurück, um jedweden Anhänger seines Bruders als Empörer zu bestrafen.«

»Fürchtet ihr seine Macht?« fuhr der listige Vertraute des Prinzen fort; »wir erkennen ihn an als tapferen und starken Ritter, aber diese Zeit ist nicht mehr die eines Königs Arthur, wo ein einziger Kämpe es mit einem ganzen Heere aufnehmen konnte. Kommt Richard in der That zurück, so wird dies ohne Freunde und Gefolgsleute geschehn – er wird allein ankommen. Die Gebeine seiner tapfern Armee bleichen auf dem Sande von Syrien und Palästina. Die wenigen von seinem Gefolge, die wirklich zurückgekehrt sind, treiben sich wie dieser Ivanhoe arm und bettelhaft umher. – Und was schwatzt ihr von Richards Geburtsrechten?« fuhr er auf die ihm gemachten Einwürfe fort. »Ist Richards Anspruch auf die Erstgeburt entschiedener ausgemacht, als der des Herzogs Robert von der Normandie, der des Eroberers ältester Sohn war? Und dennoch wurden ihm Wilhelm Rufus, sein zweiter, und Heinrich, sein dritter Bruder, nach einander durch die Stimme der Nation vorgezogen. Robert besaß jedes Verdienst, das man nur immer für Richard anführen kann; er war ein kühner Ritter, tüchtiger Feldherr, großmüthig gegen seine Freunde und gegen die Kirche, und um das Ganze zu krönen, Kreuzfahrer und Eroberer des heiligen Grabes, und dennoch starb er als blinder und elender Gefangener im Schlosse Cardiff, weil er sich dem Willen des Volkes widersetzte, das ihn nicht über sich wollte herrschen lassen.«

[163] »Es ist unser Recht,« sprach er weiter, »aus dem königlichen Geschlecht denjenigen Prinzen auszuwählen, der am geeignetsten ist, die königliche Gewalt auszuüben – das heißt,« setzte er verbessernd hinzu, »denjenigen, dessen Wahl den Interessen der Edlinge am meisten entspricht. An persönlichen Eigenschaften,« fuhr er fort, »möchte Prinz Johann seinem Bruder Richard vielleicht nachstehen; bedenkt man indessen, daß der letztere mit dem Racheschwert in der Hand zurückkehrt, während der erstere Belohnungen, Vortheile, Privilegien, Reichthum und Ehren darreicht, so ist nicht länger zu zweifeln, welcher von beiden der König sei, den in weiser Erwägung der Adel zu unterstützen berufen ist.«

Diese und manche andere Argumente, von denen einige der besonderen Lage derer angepaßt waren, die er anredete, übten die erwartete Wirkung auf die Parteigänger des Prinzen Johann. Die meisten von ihnen willigten ein, der in Vorschlag gebrachten Versammlung zu York beizuwohnen, um dort allgemeine Anordnungen für die Krönung des Prinzen zu treffen.

Es war schon spät in der Nacht, als Fitzurse erschöpft und ermüdet von seinen verschiedentlichen Anstrengungen, aber zufrieden mit dem Resultat, in das Schloß Ashby zurückkehrte. Hier begegnete er dem Ritter de Bracy, der seine Festkleider mit einem kurzen grünen Wamms vertauscht hatte. Er trug Beinkleider von derselben Farbe, eine lederne Mütze, ein kurzes Schwert, ein Horn, das um seine Schulter hing, einen langen Bogen in der Hand und ein Bündel Pfeile im Gurt. Hätte Fitzurse diese Figur in einem äußern Zimmer getroffen, so wäre er, ohne auf sie zu achten, an ihr vorübergegangen, in der Meinung, daß es ein Mann von der Leibwache wäre; da er sie jedoch in der innern Halle fand, betrachtete er sie mit größerer Aufmerksamkeit und erkannte den normännischen Ritter in der Tracht eines sächsischen Kriegsmanns.

»Was ist das für eine Mummerei, de Bracy?« fragte Fitzurse ärgerlich; »ist dies eine Zeit zu Weihnachtspossen und wunderlichen Maskeraden, wo das Schicksal unsres Herrn, des Prinzen Johann, auf dem Punkte der Entscheidung steht? Warum bist Du nicht gleich mir unter diesen herzlosen Wichten gewesen, die, wie die kleinen Kinder der Saracenen, der bloße Name des Königs Richard erschreckt?«

[164] »Ich habe mein eignes Geschäft im Kopfe gehabt,« entgegnete de Bracy ruhig, »wie Ihr das Eure.«

»Ich, mein eignes Geschäft?« wiederholte Fitzurse, »mich haben die Angelegenheiten des Prinzen Johann, unsres beiderseitigen Patrons, in Anspruch genommen!«

»Als ob Du dazu einen andern Grund hättest, Waldemar,« sagte de Bracy, »als die Förderung Deines eignen Vortheils! Wir kennen einander, Fitzurse, Ehrsucht ist Dein Streben, Vergnügen das meine, wie sichs für unser verschiedenes Alter ziemt. Ueber den Prinzen Johann denkst Du gewiß wie ich: er ist zu schwach, um ein entschiedener Monarch, zu tyrannisch, um ein erträglicher Monarch, zu stolz und anmaßend, um ein populärer Monarch, zu wankelmüthig und furchtsam, um überhaupt lange Monarch zu sein. Doch, er ist ein Monarch, durch den Fitzurse und Bracy hoffen empor und vorwärts zu kommen, und deshalb helft Ihr ihm mit Eurer Klugheit aus, sowie ich mit den Lanzen meiner Freicompagnien.«

»Ein hoffnungsvoller Hilfsmann,« sagte Fitzurse ungeduldig, »der im Augenblicke dringender Gefahr den Narren spielt. Was in der Welt beabsichtigst Du mit der abgeschmackten Verkleidung in einem so bedenklichen Augenblick?«

»Mir ein Weib zu verschaffen,« antwortete de Bracy kalt.

»Und wie soll das geschehen, wenn man fragen darf.«

»Nun, kurz und gut,« versetzte de Bracy, »ich will in meiner Verkleidung über die Herde sächsischer Ochsen, die diese Nacht das Schloß verlassen haben, herfallen und mir von ihnen die liebenswürdige Rowena erbeuten.«

»Bist Du toll, Bracy?« sagte Fitzurse, »bedenke, daß diese Leute, wenn auch Sachsen, doch reich und mächtig, und um so mehr von ihren Landsleuten geachtet sind, als Reichthum und Ehre nur wenigen Sachsen geblieben.«

»Und sie sollten keinem geblieben sein,« sagte de Bracy; »das Werk der Eroberung sollte vollständig sein.«

»Jetzt ist wenigstens keine Zeit dazu,« entgegnete Fitzurse; »die bevorstehende Krisis macht die Gunst der Menge unerläßlich, und der Prinz muß Gerechtigkeit üben gegen jeden, der ihre Günstlinge beleidigt.«

[165] »Er mag sie üben, wenn er es wagt,« sagte de Bracy, »er wird bald finden, welcher Unterschied zwischen einer lustigen Schaar von Lanzen, wie die meinigen, und einer muthlosen Bande von sächsischen Flegeln stattfindet. Doch ich denke, man wird mich nicht so leicht erkennen. Sehe ich nicht in dieser Kleidung einem so kühnen Waidmann gleich, wie nur je einer das Horn blies? Die Schuld der Gewaltthat soll auf die Geächteten in den Wäldern von Yorkshire fallen. Ich habe zuverlässige Spione, welche alle Bewegungen der Sachsen genau beobachten. Diese Nacht schlafen sie in dem Kloster des heiligen Wittol oder Withold, oder wie sie jenen Kerl von sächsischem Heiligen nennen, zu Burton on Trent. Die folgende Tagereise bringt sie in unsern Bereich, und gleich Falken schießen wir auf sie los. Gleich darauf erscheine ich in meiner eigenen Gestalt, spiele den galanten Ritter, befreie die unglückliche und betäubte Schöne aus den Händen der rohen Entführer, geleite sie auf Front de Boeufs Schloß oder nach der Normandie, wenn es nöthig sein sollte, und bringe sie nicht eher wieder zu ihrer Verwandtschaft, als bis sie Moritz de Bracys Gemahlin ist.«

»Ein wunderbar kluger Plan,« sagte Fitzurse, »und, wie mir scheint, nicht ganz von Deiner Erfindung. – Sei aufrichtig, de Bracy, wer half Dir ihn schmieden? Und wer wird Dir bei der Ausführung beistehn? Denn Deine Leute sind ja in York, wenn ich nicht irre.«

»Nun, wenn Du es denn nothwendig wissen mußt,« antwortete de Bracy, »es war der Templer Brian de Bois-Gilbert, der den Plan erdachte. Er wird mir bei der Ausführung helfen, und er und seine Begleiter werden die Geächteten vorstellen, von welchen mein tapferer Arm, nachdem ich meine Kleidung verändert habe, die Dame befreien wird.«

»Bei meiner Seligkeit,« sagte Fitzurse, »der Plan ist eurer vereinten Weisheit würdig! Und Deine Klugheit, de Bracy, zeigte sich ganz besonders in dem Vorsatze, die Dame den Händen Deines würdigen Verbündeten zu überlassen. Es mag Dir wohl gelingen, sie ihren sächsischen Freunden zu entführen; wie Du sie aber später aus den Klauen des Bois-Gilbert befreien willst, scheint mir viel bedenklicher. Er ist ein Falke, und daran gewöhnt, ein Rebhuhn zu erhaschen, aber auch die Beute festzuhalten.«

[166] »Er ist ein Templer,« sagte de Bracy, »und kann daher nicht mein Nebenbuhler sein bei meinem Plan, diese Erbin zu heirathen. Und etwas Entehrendes gegen die Erwählte de Bracys zu unternehmen, – beim Himmel! und wäre er ein ganzes Kapitel seines Ordens in einer einzigen Person, er würde nicht wagen, mir eine solche Beleidigung anzuthun!«

»Da ich nicht hoffen kann, Dich von dieser Thorheit abzubringen,« sagte Fitzurse, »so bitte ich Dich nur, so wenig Zeit als möglich dabei zu verschwenden. Mache die unzeitige Tollheit wenigstens kurz.«

»Ich sage Dir,« antworte de Bracy, »daß es das Werk weniger Stunden sein wird, und ich werde zu York an der Spitze meiner kühnen und tapfern Lanzen in Bereitschaft stehn, ein so verwegenes Unternehmen zu unterstützen, wie Deine Politik nur immer eins auszudenken vermag. Doch ich höre meine Kameraden sich sammeln und die Pferde im äußern Hofe stampfen und wiehern. Lebe wohl! Ich gehe gleich einem treuen Ritter, mir das Lächeln der Schönheit zu gewinnen.«

»Gleich einem treuen Ritter?« wiederholte Fitzurse, ihm nachsehend, »gleich einem Narren sollte ich sagen, der gleich einem Kinde, welches die ernsthafteste und nothwendigste Beschäftigung verläßt, um dem Flaum der Distel nachzujagen, der an ihm vorübertreibt. Aber mit solchen Werkzeugen muß ich arbeiten und zu wessen Vortheil? Zum Vortheil eines Fürsten, der so unweise wie ausschweifend ist, und wahrscheinlich ein eben so undankbarer Herr sein wird, als er bereits ein rebellischer Sohn und unnatürlicher Bruder war. Aber er, auch er ist nur eins von den Werkzeugen, mit denen ich arbeite; und sollte er, stolz wie er ist, wagen, sein Interesse von dem meinigen zu trennen, so wird er dies Geheimniß bald erfahren.«

Das Nachdenken des Staatsmannes wurde hier durch die Stimme des Prinzen unterbrochen, welcher aus dem innern Zimmer rief: »Edler Waldemar Fitzurse!« Hierauf nahm der künftige Kanzler, denn nach diesem hohen Posten strebte der ränkevolle Normann, sein Baret ab und eilte die Befehle seines künftigen Monarchen zu empfangen.

16. Kapitel

[167] Kapitel XVI.

Fern in der Wildniß, unbekannt den Menschen,

Verbracht ein Eremit sein ganzes Dasein.

Moos war sein Bett, die Höhle seine Zelle,

Von Früchten nährt er sich und trank den Quell,

Fern von den Menschen lebt' er nur mit Gott;

Sein Thun war Beten, seine Lust Lobpreisen.


Pavnell.


Der Leser kann nicht vergessen haben, daß die Entscheidung des Turniers hauptsächlich durch die Anstrengungen des unbekannten Ritters herbeigeführt wurde, den die Zuschauer wegen seines gleichgültigen Verhaltens im ersten Theile des Tages den schwarzen Faullenzer genannt hatten. Der Ritter hatte sogleich nach entschiedenem Siege den Kampfplatz verlassen, und während er von den Herolden und Trompetern aufgefordert wurde, den Lohn seiner Thaten in Empfang zu nehmen, hatte er bereits seinen Weg nach Norden fortgesetzt, alle besuchten Pfade vermeidend und den kürzesten durch die Wälder einschlagend. Er brachte die Nacht in einer kleinen Herberge zu, welche von dem gewöhnlichen Wege abseits lag, wo er aber von einem wandernden Minstrel Nachrichten über den Ausgang des Turniers erhielt.

Am folgenden Morgen brach der Ritter früh auf, in der Absicht einen langen Weg zurückzulegen. Sein Pferd, welches er den Tag vorher sehr geschont hatte, würde ihn dies Vorhaben auch, ohne sich viel Ruhe zu gönnen, haben ausführen lassen, allein er fand die Wege, welche er eingeschlagen hatte, sehr schlecht, so daß [168] er, als schon der Abend hereinbrach, sich erst auf der Grenze des westlichen Theiles von Yorkshire befand. Mann und Pferd bedurften der Erquickung, und der Ritter mußte sich durchaus nach irgend einer Stelle umsehen, wo er die Nacht, deren Anbruch nicht mehr fern war, zubringen konnte.

Der Platz, wo sich der Ritter befand, schien durchaus weder Unterkommen noch Erquickung zu versprechen, er also auf die gewöhnliche Aushilfe irrender Ritter beschränkt zu sein, die bei solchen Gelegenheiten ihre Rosse grasen ließen, und sich daneben hinstreckten, um sich den Gedanken an die Dame ihres Herzens unter dem Baldachin eines Eichbaumes zu überlassen. Allein der schwarze Ritter hatte entweder kein Liebchen, oder er war in der Liebe so gleichgültig wie im Kampfe; genug, er fühlte sich nicht aufgelegt zu so einsamer Unterhaltung und war sehr mißvergnügt, als er um sich schaute und sich tief im Walde sah, durch den wohl einige offene Gänge führten, die jedoch lediglich von den zahlreichen Herden getreten zu sein schienen, die in dem Walde grasen, oder vielleicht auch von dem Wilde und den Jägern, die dort auf dasselbe Jagd machten.

Die Sonne, die dem Ritter vornehmlich zum Wegweiser gedient hatte, war nun hinter die Hügel von Derbyshire zur Linken hinabgesunken, und jeder Versuch, den er machte, seinen Weg fortzusetzen, konnte ihn ebensowohl von dem rechten Pfade ableiten, als seine Reise fördern. Nachdem er umsonst versucht hatte, den betretensten Pfad zu wählen, in der Hoffnung, daß er zur Hütte eines Hirten oder der Wohnung eines Forsthüters leiten möchte, und nachdem er die Unmöglichkeit eingesehen, sich zu irgend einer Wahl zu bestimmen, beschloß er, der Scharfsichtigkeit seines Rosses zu vertrauen, denn die Erfahrung hatte ihn bei frühern Gelegenheiten gelehrt, daß diese Thiere ein bewundernswerthes Talent besitzen, sich und ihre Reiter aus dergleichen Verlegenheiten zu ziehen.

Das gute Thier, durch die lange Tagereise unter einem geharnischten Reiter ganz ermüdet, fand sich durch die schlaffen Zügel nicht so bald seiner eigenen Willkür überlassen, als es auch neue Kraft und neuen Muth zu bekommen schien. Es spitzte wieder die Ohren und setzte sich in schnellere Bewegung. Der Weg aber, den [169] das Pferd einschlug, wandte sich immer mehr von dem ab, den der Ritter den Tag über eingeschlagen hatte; allein da sein Roß so zuversichtlich schien, überließ er sich ganz und gar seinem Willen.

Der Erfolg rechtfertigte dieses Vertrauen, denn der Fußpfad wurde immer weniger wild und verworren, und der Ton eines kleinen Glöckchens ließ den Ritter vermuthen, daß er sich nun in der Nachbarschaft einer Kapelle oder Einsiedelei befinde.

Wirklich erreichte er bald einen offenen Rasenplatz, an dessen entgegengesetztem Ende ein von einem sanften Abhange sich steil erhebender Felsen seine graue, vom Wetter zerrissene Stirn dem Wanderer darbot. Epheu bekleidete seine Seiten an manchen Stellen, an andern standen kleine Eichen und sonstiges Gebüsch, dessen Wurzeln in den Spalten des Felsens Nahrung fanden, und dieses schwankte über dem darunter befindlichen Abgrunde, wie der Federbusch des Kriegers über dem stählernen Helme dem Schrecklichen Anmuth verleiht. Am Fuße des Felsens war eine Hütte erbaut, zumeist aus Baumstämmen gefertigt, die in dem nahen Forste gefällt waren, und gegen das Wetter geschützt durch Moos und Lehm, die die Ritzen und Spalten ausfüllten. Der Stamm einer jungen, aller Zweige entblößten Tanne, an welchem nahe dem Ende ein Querholz befestigt war, stand aufgerichtet dicht an der Thür, als ein rohes Zeichen des heiligen Kreuzes. In geringer Entfernung zur Rechten sickerte ein Quell klaren Wassers aus dem Felsen, und wurde in einem hohlen Steine aufgefangen, der einem Bassin glich. Aus demselben wieder herausfließend, rieselte das Wasser in einem schmalen Kanale durch die kleine Ebene hin, bis es sich endlich in dem benachbarten Walde verlor.

An der Seite dieser Quelle befanden sich die Ruinen einer ganz kleinen Kapelle, deren Dach zum Theil eingefallen war. Das Gebäude hatte, selbst als es noch unversehrt war, niemals über sechzehn Fuß in der Länge und zwölf in der Breite gehabt, und das im Verhältniß sehr niedrige Dach ruhte auf vier Bogen, welche von den vier Ecken ausgingen und deren jeder sich auf einen kurzen dicken Pfeiler stützte. Die Rippen von zweien dieser Bogen waren geblieben, obgleich das Dach zwischen sie herein gestürzt war; über den andern sah man es noch vollständig. Der Eingang dieses alten Bethauses war unter einem niedrigen runden Bogen angebracht, [170] verziert mit mehreren Reihen jener Zickzackspitzen, welche den Haifischzähnen gleichen, wie man sie so oft in den ältern sächsischen Kirchen findet. Ein Glockenstuhl erhob sich über dem Vorhof auf vier kleinen Pfeilern, und in demselben hing die vom Wetter grünlich gefärbte Glocke, deren schwache Töne eben zu des Ritters Ohren gedrungen waren.

Die ganze stille und friedliche Scene lag schimmernd im Zwielichte vor den Augen des Wanderers und gab ihm die Hoffnung eines Unterkommens für die Nacht, denn es war die besondere Pflicht solcher in den Wäldern hausender Einsiedler, gegen verspätete oder verirrte Wanderer Gastfreundschaft auszuüben.

Demzufolge verlor der Ritter keine Zeit mit genauerer Betrachtung der von uns beschriebenen Einzelnheiten, sondern dem heiligen Julian, dem Schutzpatron der Reisenden, dankend, daß er ihm endlich eine gute Herberge gezeigt habe, stieg er vom Rosse und klopfte mit dem Schafte der Lanze an die Thür des Eremiten, um sich Einlaß zu verschaffen.

Es währte ziemlich lange, ehe er eine Antwort erhielt, und diese war nicht sehr einladend.

»Nur vorüber, wer Du auch bist!« rief eine tiefe rauhe Stimme aus der Hütte, »störe nicht den Diener Gottes und des heiligen Dunstan in seiner Abendandacht.«

»Würdiger Vater,« versetzte der Ritter, »es ist ein armer Wanderer, der sich in diesen Wäldern verirrt hat, und der Euch Gelegenheit gibt, Eure Milde und Gastfreundschaft zu zeigen.«

»Guter Bruder,« entgegnete der Bewohner der Einsiedelei, »es hat unserer Frau und dem heiligen Dunstan gefallen, mich eher zum Gegenstande solcher Tugenden zu machen, als zum Ausüben derselben. Ich habe keine Lebensmittel hier, die auch nur ein Hund mit mir würde theilen wollen, und selbst ein nur etwas zärtlich gewöhntes Pferd würde mein Lager verschmähn – so gehe denn Deines Weges und Gott geleite Dich!«

»Aber wie ist es denn möglich,« erwiderte der Ritter, »den Weg durch einen solchen Wald zu finden, da schon die Dunkelheit hereinbricht? Ich bitte Euch, ehrwürdiger Vater, öffnet Eure Thür und bringt mich wenigstens auf den rechten Weg!«

»Und ich bitte Euch,« versetzte der Anachoret, »stört mich nicht [171] länger. Ihr habt heute ein Paternoster, zwei Aves und ein Credo unterbrochen, welche ich elender Sünder meinem Gelübde zufolge vor Aufgang des Mondes schon gebetet haben sollte.«

»Den Weg! den Weg wenigstens!« rief der Ritter, »wenn ich nicht mehr von Dir zu erwarten habe.«

»Der Weg,« versetzte der Eremit »ist leicht zu finden. Der Weg führt vom Walde zu einem Sumpfe, und von diesem zu einer Furth, die jetzt, da der Regen nachgelassen hat, wohl gangbar sein wird. Wenn Du durch die Furth bist, so halte Dich links am Ufer, aber nimm Dich in Acht, denn es ist ziemlich steil, und der Pfad ist, wie ich höre, (denn ich verlasse selten die Pflichten meiner Kapelle), an mancher Stelle ein wenig weggespült. Dann geh nur gerade fort.«

»Ein zerrissener Pfad, ein Abgrund, eine Furth und ein Morast,« unterbrach ihn der Ritter; »nein, Herr Eremit, und wäret Ihr der [172] Heiligste, der je einen Rosenkranz betete, auf einen solchen Weg würdet Ihr mich des Nachts nicht bringen. Ich sage Dir, daß Du, der selbst von der Milde der Menschen umher lebt, die Du, wie es scheint, schlecht verdienst, kein Recht hast, dem armen Wanderer in seinen Nöthen eine Zuflucht zu versagen. Entweder öffne gleich die Thür selbst, oder so wahr ich lebe, ich schlage sie ein, und bahne mir den Eintritt mit Gewalt.«

»Freund Wanderer,« versetzte der Eremit, »sei nicht zudringlich! Wenn Du mich zwingst, fleischliche Waffen gegen Dich zu meiner Vertheidigung zu gebrauchen, so möchtest Du wohl am schlimmsten wegkommen.«

In diesem Augenblicke wurde ein entferntes Geräusch von Bellen und Knurren, welches unser Wanderer schon seit einiger Zeit gehört hatte, außerordentlich laut und heftig, und ließ den Ritter vermuthen, der Einsiedler möchte, durch seine Drohung des Einbruchs erschreckt, die Hunde herbeigerufen haben, von denen jene Töne offenbar herrührten. Erzürnt über diese Anstalten des Einsiedlers, seinen unfreundlichen Vorsatz auszuführen, stampfte der Ritter so wüthend mit dem Fuße gegen die Thür, daß Pfosten und Angeln erbebten.

Der Einsiedler rief nun mit lauter Stimme: »Geduld! Geduld! spare Deine Kräfte, guter Freund, ich werde sofort aufmachen, ob es Dir gleich eben nicht zum großen Vergnügen gereichen möchte.«

Jetzt öffnete sich die Thür, und der Einsiedler, ein großer Mann von starkem Gliederbau, in seinem groben Kleide nebst Kappe, mit einem Stricke von Binsen umgürtet, stand vor dem Ritter. In der einen Hand trug er eine brennende Fackel und in der andern einen Stock von wildem Apfelbaum, so dick und schwer, daß man ihn wohl eine Keule nennen konnte. Zwei große zottige Bastardhunde waren bereit, auf den Wanderer loszustürzen, sobald die Thür geöffnet sein würde. Als aber die Fackel auf der Rüstung des Ritters widerstrahlte, änderte der Eremit offenbar seinen Plan und hielt die Wuth seiner Bundestruppen zurück; zugleich lud er den Ritter im Tone kirchlicher Höflichkeit ein, in seine Zelle einzutreten, indem er sein früheres Betragen damit entschuldigte, daß oft nach Sonnenuntergang Räuber und Geächtete umherstreiften, [173] welche unsere Frau und den heiligen Dunstan und diejenigen, die ihr Leben dem Dienste derselben gewidmet hätten, gar wenig in Ehren hielten.

»Die Armuth Eurer Zelle, guter Vater,« sagte der Ritter sich umschauend und nichts erblickend als ein Blätterlager, ein grob aus Eichenholz gearbeitetes Crucifix, ein Meßbuch, nebst einem rauh behauenen Tische und zwei Stühlen, und einem oder ein paar andern Geräthschaften, »die Armuth Eurer Zelle sollte schon eine hinreichende Schutzwehr gegen Diebe scheinen, nicht zu gedenken der beiden tüchtigen Hunde, die stark genug sind, sollte ich meinen, einen Hirsch niederzuwerfen und es mit mehreren Menschen zugleich aufzunehmen.«

»Der Aufseher des Forstes,« sagte der Einsiedler, »hat mir erlaubt, in meiner Einsamkeit und bis die Zeiten besser werden, diese Thiere zu meinem Schutze zu halten.«

Nach diesen Worten befestigte er seine Fackel auf einem eisernen gedrehten Stiel, der ihm statt eines Leuchters diente; dann setzte er den eichenen Tisch an den Feuerherd, auf dem er trockenes Holz zulegte, stellte einen Stuhl an die eine Seite, und bat den Ritter ein Gleiches zu thun.

Sie setzten sich, und jeder sah den andern mit großem Ernst an, indem er im Herzen denken mochte, daß er selten eine kräftigere, athletische Figur gesehen habe als die, welche ihm jetzt gegenübersaß.

»Ehrwürdiger Einsiedler,« sagte der Ritter, nachdem er seinen Wirth lange und fest angesehen hatte, »wenn ich Euch nicht in Euern frommen Betrachtungen störe, so möchte ich drei Dinge von Eurer Heiligkeit erfahren: Erstens, wo ich mein Pferd hinstellen soll? Zweitens, was ich zum Abendessen bekommen kann? und drittens, wo ich selbst diese Nacht mein Lager aufschlagen werde?«

»Darauf will ich durch meine Finger antworten,« versetzte der Einsiedler, »denn es ist gegen meine Grundsätze, durch Worte zu reden, wo ich mich der Zeichen bedienen kann.« Hiermit zeigte er ihm nach einander zwei Ecken der Hütte. »Hier Euer Stall,« setzte er hinzu, »und dort Euer Bett. Und das,« indem er eine Schüssel mit einer Hand voll gerösteter Erbsen von einem nahen Gesimse herunternahm und auf den Tisch stellte, »das Euer Abendessen!«

[174] Der Ritter zuckte die Achseln, verließ die Hütte, brachte sein Pferd herein, das er vorher an einen Baum gebunden hatte, sattelte es mit vieler Aufmerksamkeit ab und breitete seinen eigenen Mantel auf den breiten Rücken des Thieres.

Der Eremit schien durch diese Sorgsamkeit zur Theilnahme angeregt, denn indem er etwas von Futter murmelte, welches für das Pferd des Forstaufsehers hier zurückgeblieben sei, brachte er ein Bündel Heu aus einem Schlupfwinkel hervor und legte es dem Streitroß des Ritters vor; dann schüttete er in der Ecke die er dem Ritter zur Schlafstelle angewiesen hatte, einen Haufen gedörrtes Farrenkraut aus. Der Ritter dankte ihm für diese Höflichkeit; und nachdem so jeder seine Schuldigkeit gethan, nahmen sie ihre Sitze an dem Tische wieder ein, auf dem die Schüssel mit Erbsen stand. Nachdem der Eremit ein langes Gebet gesprochen hatte, das wohl ursprünglich lateinisch gewesen sein mochte, von dem jedoch nur noch wenig Spuren übrig waren, gab er seinem Gaste das Beispiel und steckte zwei bis drei getrocknete Erbsen mit Anstand in den ziemlich großen Mund, der mit Zähnen besetzt war, die an Weiße und Schärfe es mit denen eines Ebers aufnehmen konnten, freilich eine ziemlich kleine Aufschütte für eine so große und starke Mahlmühle.

Der Ritter, um einem so löblichen Beispiele zu folgen, legte seinen Helm und den größten Theil seiner Rüstung ab und zeigte dem Eremiten ein von gelbem Haar umlocktes Haupt, edle Züge, blaue Augen, die ausgezeichnet groß und feurig waren, einen wohlgebildeten Mund, dessen Oberlippe von einem Barte bedeckt war, dunkler als das Haupthaar, im Ganzen aber das Ansehen eines kühnen und unternehmenden Mannes, womit seine Gestalt ganz im Einklang stand.

Der Eremit, gleichsam um das Vertrauen seines Gastes zu erwidern, zog seine Kappe ab und zeigte dem Fremden das Haupt eines Mannes in der vollen Blüthe des Lebens. Sein kurz geschorner Wirbel, umgeben von einem Kreise lockiger, schwarzer Haare, hatte Aehnlichkeit mit einer Gemeindeweide, die von etwas hohen Einfriedungen umschlossen ist. Das Gesicht zeigte nichts von mönchischer Strenge noch ascetischer Entsagung; im Gegentheil bemerkte man einen etwas kühnen und trotzigen Blick, breite und[175] dunkle Augenbrauen, eine wohlgebildete Stirn, und Wangen rund und glänzend wie die eines Trompeters, von denen ein langer, krauser, schwarzer Bart herabfloß. Ein solches Gesicht in Verbindung mit der kraftvollen Gestalt des heiligen Mannes, zeugte mehr von dem Genuß von Rehkeulen, Schinken, Braten und dergleichen, als von Erbsen und trockenen Gemüsen. Dieser Widerspruch entging auch dem Gaste nicht. Nachdem er nicht ohne Beschwerde den Mund voll getrockneter Erbsen zermalmt hatte, fand er es durchaus nothwendig, seinen frommen Wirth auch um einige Feuchtigkeit zu ersuchen. Dieser setzte ihm sogleich einen Krug mit dem reinsten Quellwasser vor.

»Es ist aus der Quelle des heiligen Dunstan«, sagte er, »worin er von einem Sonnenaufgang bis zum andern fünfhundert heidnische Dänen und Britten getauft hat, gesegnet sei sein Name.« Damit setzte er seine schwarzbehaarten Lippen an den Krug und nahm einen der Quantität nach viel mäßigern Trunk, als man nach seiner Lobrede hätte erwarten sollen.

»Es scheint mir, ehrwürdiger Vater,« sagte der Ritter, »daß die schmalen Bissen, die Ihr genießt, so wie das heilige, jedoch etwas dünne Getränk bewundernswürdig bei Euch angeschlagen haben. Ihr kommt mir eher vor wie ein Mann, der geschickter ist, den Preis in einem Ringspiele oder in einem Schwertkampfe zu erwerben, als seine Zeit in dieser einsamen Wildniß mit Messelesen zu vergeuden, und von getrockneten Erbsen und kaltem Wasser zu leben.«

»Herr Ritter,« sagte der Einsiedler, »Eure Gedanken sind, wie die eines unwissenden Laien, fleischlich. Es hat unsrer lieben Frau und meinem Schutzheiligen gefallen, meine dürftige Kost zu segnen, ebenso wie die Hülsenfrüchte und das Wasser den Kindern Sadrach, Mesach und Abednegos gesegnet wurden, weil sie sie dem Wein und den köstlichen Gerichten vorzogen, die ihnen von dem Könige der Saracenen angeboten wurden.«

»Heiliger Vater, an dessen Körper der Himmel solche Wunder gewirkt hat,« sagte der Ritter, »erlaubt einem sündhaften Laien, Euch um Euren Namen zu bitten.«

»Du magst mich,« versetzte der Eremit, »den Geistlichen von Copmanhurst nennen, denn so heiße ich in dieser Gegend. Sie [176] setzen freilich noch das Wort heilig hinzu, allein ich bestehe nicht darauf, da ich dieses Zusatzes unwürdig bin. Und nun, tapferer Ritter, darf ich um den Namen meines verehrlichen Gastes bitten?«

»Wohl,« sagte der Ritter, »die Leute nennen mich in dieser Gegend den schwarzen Ritter, manche setzen noch das Wort ›Faullenzer‹ hinzu, allein ich lege darauf auch keinen großen Werth.«

Der Eremit konnte bei der Antwort seines Gastes sich kaum des Lachens enthalten.

»Ich sehe,« sagte er, »Herr fauler Ritter, daß Du ein Mann von Verstand und Klugheit bist; ferner sehe ich auch, daß Dir meine geringe Mönchskost nicht behagt, da Du vielleicht gewohnt bist, an Höfen und Lagern, sowie in Städten, in Ueppigkeit und Ueberfluß zu leben; jetzt nun fällt mir ein, daß, als der mildgesinnte Aufseher des Forstes mir diese Hunde zum Schutze und diese wenigen Bündel Heu zurückließ, er mir auch noch etwas weniges Speise hinterlassen hat, an die ich, da ich sie selbst nicht brauchen konnte, mitten unter meinen tiefen und wichtigen Betrachtungen nicht mehr gedacht habe.«

»Das dachte ich mir gleich,« sagte der Ritter, »ich hätte, sowie Ihr Eure Kappe abnahmt, heiliger Vater, darauf schwören wollen, es müßte sich bessere Kost in der Hütte finden. Euer Aufseher ist doch ein lustiger Schalk, und wahrhaftig, wer könnte dulden, wenn er Deine Mühlsteine sich mit solchen Erbsen abquälen und Deinen Hals mit so ungeistigem Elemente bespült sieht, daß Du solche Pferdenahrung und solchen Pferdetrank verdauen solltest? Laß uns doch des Aufsehers Güte unverzüglich benutzen.«

Der Eremit warf einen ernsten Blick auf den Ritter, in dem eine Art komischen Zauderns lag, als wäre er noch ungewiß, in wie weit es klug und gerathen sei, dem Gaste zu trauen. Indessen zeigte sich in des Ritters ganzem Wesen so viel Offenheit, als nur durch das Aeußere ausgedrückt werden konnte. Sein Lächeln besonders hatte etwas unwiderstehlich Komisches, und zeugte zugleich von Ehrlichkeit und Redlichkeit, so daß sein Wirth sich nicht enthalten konnte, damit zu sympathisiren.

Nachdem der Eremit einen oder zwei Blicke mit ihm gewechselt hatte, ging er nach einer entfernten Seite der Hütte zu und öffnete hier eine Thür, die sehr künstlich und sorgfältig versteckt war. [177] Aus einer dunklen Zelle, zu der jene Oeffnung führte, brachte er nun eine große Pastete in einer zinnernen Schüssel von außerordentlicher Größe hervor. Dieses mächtige Gericht setzte er seinem Gaste vor, der sich sogleich seines Dolches bediente, um es zu öffnen, und keine Zeit verlor, mit dem Inhalte genauere Bekanntschaft zu machen.

»Wie lange ist es denn her, daß der gute Aufseher hier gewesen ist?« fragte der Ritter seinen Wirth, nachdem er eiligst einige Stücke dieser wohlschmeckenden Erquickung verschlungen hatte.

»Ungefähr zwei Monate,« antwortete der Einsiedler schnell.

»Beim Himmel,« versetzte der Ritter, »alles in Eurer Einsiedelei ist wunderbar, heiliger Vater, denn ich möchte schwören, der fette Rehbock, der den Inhalt dieser Pastete geliefert hat, sei noch in dieser Woche auf seinen Füßen herumgelaufen.«

Der Eremit schien durch diese Bemerkung ein wenig betroffen, und überdies machte er ein trübseliges Gesicht, da er die Abnahme der Pastete gewahr wurde, in welche sein Gast verzweifelte Einfälle machte, eine Kriegskunst, an der ihm seine vorhergegangene Enthaltsamkeitserklärung leider in keiner Weise Antheil zu nehmen gestattete.

»Ich bin in Palästina gewesen, heiliger Vater,« sagte der Ritter, indem er plötzlich mit Essen innehielt, »und ich erinnere mich der daselbst herrschenden Sitte, daß jeder Wirth, der seinen Gast speiset, ihn dadurch von der Gesundheit der Nahrung überzeugen muß, daß er sie mit ihm theilt. Fern sei es von mir, einen Verdacht auf einen so heiligen Mann, wie Ihr seid, zu werfen; indessen würde es mir doch sehr angenehm sein, wenn Ihr Euch dieser morgenländischen Sitte unterwerfen wolltet.«

»Um Euch Eure unnöthigen Bedenklichkeiten zu nehmen, Herr Ritter, will ich einmal von meiner Regel abweichen,« versetzte der Einsiedler. Und da es zu jener Zeit noch keine Gabeln gab, so waren seine gierigen Fänge alsobald in den Eingeweiden der Pastete.

Da nun das Eis der Ceremonie einmal gebrochen war, so schienen Gast und Wirth zu wetteifern, wer den besten Appetit zeigen würde; und obgleich der erste ziemlich lange gefastet hatte, übertraf ihn der letztere bei weitem.

»Heiliger Vater,« sagte der Ritter, nachdem er seinen Hunger [178] gestillt hatte, »ich wollte wetten, der gute Aufseher, der so schön für Eure Nahrung gesorgt hat, wird Euch auch einen Schluck Wein oder Sect oder dergleichen zur Begleitung des trefflichen Gerichts hinterlassen haben. Das wird Euch vermuthlich auch wieder aus dem Gedächtnisse gekommen sein, indeß sucht nur einmal recht nach, und Ihr werdet gewiß finden, daß ich nicht Unrecht habe.«

Der Eremit antwortete darauf bloß mit einem freundlichen Grinsen, und kehrte zu der Zelle zurück, aus welcher er eine lederne Flasche hervorlangte, die ungefähr vier Maaß halten mochte. Er brachte auch zwei große Trinkgefäße herbei, die aus Auerochsenhörnern gefertigt und mit Silber beschlagen waren. Nachdem er auf diese Weise wacker dafür gesorgt hatte, daß die Abendmahlzeit säuberlich hinabgespült wurde, schien er alle weiteren Ceremonien für rein überflüssig zu halten; er füllte daher beide Becher und rief in sächsischer Mundart: »Vaes hael, sleácmôd cniht, Deine Gesundheit, Herr fauler Ritter!« wobei er seinen eigenen auf einen Zug leerte.

»Drinc hael, hâleg cleric of Copmanhurst!« erwiderte der Kriegsmann sofort in reinem Sächsisch und that seinem Wirthe mit einer gleichen Quantität Bescheid. »Ich muß mich wundern, daß ein Mann mit solchen Muskeln und Sehnen wie die Deinen,« fuhr er fort, »und der überdies ein so treffliches Talent für Rehkeulen und Schinken aufweist, daran denken konnte, sein Licht unter einen Scheffel zu stellen und sich in dieser Wildniß zu vergraben. Nach meinem Urtheil taugt Ihr besser ein Schloß oder ein Fort zu behaupten, gut zu essen und kräftig zu trinken, als hier bei Erbsenbrei und Wasser zu leben, oder gar von der Milde des Forsthüters. Ich wenigstens würde, wäre ich an Deiner Stelle, mir Kurzweil und Lebensunterhalt unter des Königs Hirschen und Rehen zu verschaffen wissen. Es gibt hier mächtige Rudel in den Wäldern, und einen Rehbock, den der fromme Caplan des heiligen Dunstan schmaust, sollte man doch wohl kaum merken.«

»Herr fauler Ritter,« versetzte der Mann der Kirche, »das sind gefährliche Worte, und ich bitte Euch demüthiglich, redet so nicht weiter. Ich bin ein dem König und den Gesetzen treuer Eremit, und vergriffe ich mich an dem Wilde meines Landesherrn, so wäre mir ein Kerker gewiß, ja, der Galgen sogar, wenn mein frommes Gewand mich nicht schützte.«

[179] »Mag sein; aber, wenn ich wie Du wäre,« sagte der Ritter, »so wanderte ich beim Mondschein, wenn Förster und Wildhüter in den warmen Betten liegen, und schickte ab und zu, während ich natürlich meine Gebete hersagte, einen Bolzen in die Rudel feister Hirsche, die in den Lichtungen weiden. – Gestehe mir, Mann der Kirche, hast Du nie solch einen Zeitvertreib versucht?«

»Freund Faullenzer,« erwiderte der Eremit, »Du hast alles gesehen, was Dich in meinem Haushalt interessiren kann, und vielleicht noch mehr, als jemand verdient, der sich mit Gewalt eindrängt; glaube mir, es ist besser, des Guten, das der Herr uns sendet, zu genießen, als zudringlich zu forschen, woher es stammt. Schenk ein und leere Deinen Becher, und sei mir willkommen; ich bitte Dich aber, versetze mich durch weitere Fragen nicht in die Nothwendigkeit, Dir den Beweis zu liefern, daß ich mich Deiner Gesellschaft für die Nacht recht gut hätte erwehren können, wenn ich ernstlich gewollt hätte.«

»Meiner Treu,« sagte der Ritter, »Du machst mich neugieriger, als ich vorher war; Du bist der geheimnißvollste Eremit, den ich je getroffen; ich muß Dich näher kennen lernen, ehe wir scheiden. Was Deine Drohung betrifft, so bedenke, heiliger Mann, daß Du mit einem sprichst, der die Gefahr zu seinem Beruf macht.«

»Herr fauler Ritter,« versetzte der Einsiedler, »ich komme Dir einen Schluck; aber wie sehr ich Deine Tapferkeit hoch schätze, so dünkt mich doch Deine Klugheit wunderbar klein. Willst Du gleiche Waffen mit mir führen, so will ich Dir in aller Freundschaft und brüderlichen Liebe so hinreichende Buße und vollständige Absolution ertheilen, daß Du in den nächsten zwölf Monaten sicher nicht der Sünde des Uebermuths und der Neugier verfallen sollst.«

Der Ritter kam dem Eremiten nach, und bat ihn dann, die Waffen zu nennen. »Es ist keineswegs etwa die Scheere der Delila, oder der Zehnpfennig-Nagel Joels, noch auch der Sarras des Riesen Goliath – worin ich Dir nicht gewachsen wäre. Aber wenn ich die Wahl haben soll, was meinst du wohl zu diesen Sächelchen, guter Freund?«

Bei diesen Worten öffnete er eine zweite Zelle und holte daraus ein paar breite Schwerter und Tartschen hervor, wie sie die königlichen Gefolgsleute jener Zeit zu tragen pflegten. Der [180] Ritter, der allen seinen Bewegungen mit Aufmerksamkeit folgte, bemerkte, daß dieses zweite Versteck mit zwei oder drei tüchtigen Langbogen, einer Armbrust, einem Bündel Bolzen für letztere und einem halben Dutzend Pfeilbündel für erstere versehen war. Eine Harfe und manche andere Dinge von nicht eben heiligem Ansehen wurden gleichfalls sichtbar, als die Thür aufging.

»Ich verspreche Dir, Bruder Clericus,« sagte er, »ich will Dir keine beleidigenden Fragen mehr vorlegen. Der Inhalt jenes Schreins hat mir Antwort auf alle meine Fragen gegeben; doch sehe ich hier auch ein Gewaffen (hierbei ergriff er die Harfe), auf dem ich lieber meine Geschicklichkeit gegen Dich zeigen möchte, als mit Schwert und Schild.«

»Ich glaube, Ritter, Du führst den Beinamen ›Faullenzer‹ sehr mit Unrecht. Du bist mir ebenfalls in hohem Grade verdächtig. Indessen, da Du mein Gast bist, so will ich Deine Mannhaftigkeit nicht ohne Deinen freien Willen auf die Probe stellen. Setze Dich also, und schenk ein! Eála, cniht! Laet unc gedrincan, singan and beón glade and blîtheheorte, ja, laß uns lustig und guter Dinge sein! Wenn Du Dich auf guten Gesang verstehst, so sollst Du immer auf einen Bissen guter Pastete zu Copmanhurst willkommen sein, so lange ich die Capelle des heiligen Dunstan bediene, was, so Gott will, eben so lange der Fall sein wird, als bis ich mein graues Dach mit einem grünen von frischem Rasen vertausche. Cume, cniht and brother mîn, gefyll thîne cupp, ja, fülle Deinen Becher, denn es wird einige Zeit beanspruchen, bis die Harfe gestimmt ist; und nichts schärft so das Ohr und erhöht die Stimme wie ein Becher Weins. Ich für mein Theil fühle gern die Trauben in den Fingerspitzen, ehe sie die Saiten erklingen machen.«

17. Kapitel

[181] Kapitel XVII.

Und Abends in dem stillen Studienwinkel

Schlag ich das erzbeschlagne Buch auf, das

Geziert mit Bildern ist von frommen Thaten

Der heil'gen Märtyrer, die Himmelslohn

Im Jenseits krönt. Und brennt die Kerze dunkel,

Sing ich den Psalter vor dem Schlafengehn.

Wer würfe wohl die Pracht der Welt hinweg,

Um meinen Stab, mein grau Gewand zu nehmen

Und dieses stille Eremitenleben

Dem Lärm der Welt dort draußen vorzuziehn?


Warton.


Trotz der Vorschrift des genialen Einsiedlers fand der willige Gast es doch nicht so leicht, die Harfe richtig zu stimmen.

»Mich dünkt, heiliger Vater, dem Instrument fehlt eine Saite, und die übrigen sind falsch behandelt worden.«

»Aha, merkst Du das?« versetzte der Eremit, »das zeigt, daß Du ein Meister in der Kunst bist. – Wein und Schmaus!« setzte er ernst hinzu, wobei er die Augen nach oben kehrte, »alles die Folge von Wein und Schmaus! Ich sagte es Allan vom Thal, dem Minstrel aus Norden, gleich, daß er die Harfe ruiniren würde, wenn er sie nach dem siebenten Humpen spielte, aber er ließ sich nicht zureden. – Freund, ich komme Dir hier eins auf das glückliche Gelingen!«

Dabei ergriff er mit Feierlichkeit den Becher und schüttelte zugleich das Haupt über die Unmäßigkeit des Minstrels aus Norden.

Inzwischen hatte der Ritter die Saiten in Ordnung gebracht [182] und fragte nach einem kleinen Vorspiel seinen Wirth, ob er ein sirviente in der langue d'oc, d.h. ein südfranzösisches, oder ein lai (einen Laich) in derlangue d'oui, ob er ein virelai oder eine Ballade in sächsischer Mundart hören wolle.

»Eine Ballade, eine Ballade, ân treóvlîc seaxna lioth, ein echtes Sachsenlied! Zum Teufel mit den fränkischen ocs und ouis! Dûnriht seaxan ic eom, ich bin ein gerader, schlichter Sachse, Herr Ritter; ein schlichter Sachse war mein Schutzpatron, der heilige Dunstan, und haßte die ocs und ouis wie des Teufels Hufspäne – Dûnrihte seaxan lióth âne sculon beón sungen in thisum hâlgum hûse, nur schlichte Sachsenlieder sollen in dieser Zelle gesungen werden.«

»So will ich,« sagte der Ritter, »eine Ballade versuchen, die von einem gleóman, einem echten sächsischen Sänger, gedichtet wurde, den ich im heiligen Lande kennen lernte.«

Es zeigte sich sofort, daß, wenn der Ritter nicht ein vollendeter Meister in der Sangeskunst war, er doch seinen Geschmack unter den besten Lehrern veredelt hatte. Sein Lied lautete folgendermaßen:

Des Kreuzfahrers Rückkehr.

Nach mancher ritterlichen That

Vom heil'gen Land der Kämpfer naht,

Das Kreuz, das seine Schulter trägt,

Hat mancher rauhe Sturm gefegt.

Sein Schild, von manchem Hieb zerhaun,

Läßt eben so viel Schlachten schaun,

Und unterm Fenster seiner Maid

Singt leise er zur Dämmerzeit:


»Heil sei Dir, Maid! Dein Rittersmann

Langt heut vom goldnen Lande an;

Er bringt nicht Gold, er bringt nicht Pracht.

Nur Roß und Waffen aus der Schlacht.

Die Sporen, in den Feind zu jagen,

Und Lanz und Schwert, ihn todt zu schlagen.

Dies sind die Früchte seiner Mühn,

Und – seiner Thekla Wangenglühn.«


Heil sei der Maid – denn ihre Lieb

Zur Heldenthat den Ritter trieb;

Auch sie bleibt dann nicht ungenannt

Beim Volke wie beim Ritterstand.

[183]

Der Minstrel singt, der Herold spricht:

»Schaut ihr die holde Maid dort nicht?

Sie ists, für die ihr Rittersmann

Die Schlacht bei Ascalon gewann!«


Ihr Lächeln schaut – es hat gemacht,

Daß heut manch Türkenweib nicht lacht,

Daß Mahoms Macht und Zauber wich,

Der Sultan unterm Streich erblich.

Seht, wie ihr Haar – hell wie die Sonne

Zeigt und versteckt des Busens Wonne.

Jedwedes Löcklein, das so strahlt,

Ein Paynim hats mit Blut bezahlt.


Heil sei der Maid! – ihr sei die Ehr!

Ich gebe Ruhm und Namen her.

Doch ach, du Traute, laß mich ein,

Schon fällt der Thau, beim Sternenschein,

Gewöhnt an Syriens Sonnengluth,

Raubt mir der Nord des Lebens Muth,

Besieg die Liebe Deine Scham –

Um den, der Dich zu freien kam.


Während des Vortrags gebarte sich der Eremit ganz wie ein heutiger Kritiker ersten Ranges beim Anhören einer guten neuen Oper. Er lehnte sich mit halb geschlossenen Augen auf seinem Sitze zurück; dann schien er mit verschlungenen Daumen und gefalteten Händen in Aufmerksamkeit versunken, und bald darauf bewegte er wieder gleichmäßig seine ausgebreiteten Hände und schwang sie im Tact zur Musik. Als das Lied zu Ende war, erklärte der Eremit es für eine treffliche Leistung und schön vorgetragen. Die damaligen Kritiker, wenn sie auch selbst Künstler waren, kannten den Neid und die kleinliche Eifersucht noch nicht, und selbst mancher gefürchtete Criticus unserer Tage hätte von ihnen in diesem Punkte lernen können.

»Und dennoch, dünkt mich, haben sich meine angelsächsischen Landsleute lange genug mit den Normannen gemein gemacht, um in den Ton ihrer melancholischen Liedlein zu verfallen. Was führte denn unsern biedern Rittersmann aus der Heimath hinweg? Oder was konnte er bei seiner Heimkehr denn anders erwarten, als seine Braut mit einem begünstigten Nebenbuhler verlobt oder gar verheirathet zu finden? Nichtsdestoweniger, Herr Ritter, bringe ich Euch [184] diesen Ganzen und trinke ihn auf das Glück aller treuen Liebhaber! – Ich hoffe, Ihr seid da nicht mit inbegriffen,« fügte er hinzu, als er sah, daß der Ritter seinen Wein mit Wasser mischte.

»Nun,« versetzte der Ritter, »sagtet Ihr mir nicht, dies Wasser käme aus dem Born Eures geheiligten Schutzpatrons Dunstan?«

»Ei freilich! und manch hundert Heiden hat er damit getauft, aber ich hörte nie, daß er auch davon getrunken habe. Ein jeglich Ding sollte immer in der Welt seine eigene und bestimmte Verwendung finden. St. Dunstan kannte so gut wie einer die Vorrechte eines heiteren Klosterbruders.«

Mit diesen Worten griff er nach der Harfe und unterhielt seinen Gast mit folgendem charakteristischen Liede, bei dem nur der Chorus, der den nach uralter Form gedichteten Refrain zu singen hat, hinzugedacht werden muß.

Das ehrwürdige Barfüßerlein.

Ein Jahr, guter Bursch, oder zwei geb ich Dir,

Such mir in Europa, im ganzen Revier

Von Byzanz bis nach Spanien – Wer glücklich mag sein?

Du findest doch stets nur das Barfüßerlein.


Der Ritter sprengt fort für die Dame zum Strauß,

Am Abend bringt man ihn erstochen nach Haus,

Er beichtet in Eile – Die Dame in Pein,

Sie findet den Trost nur beim Barfüßerlein.


Der König? – Ja prosit! man weiß ja recht gut,

Es stak in der Kutte manch fürstliches Blut,

Doch statt eines Mönches ein König zu sein,

Das wünschte noch niemals ein Barfüßerlein.


Das Mönchlein spazieret, und wo es zu schaun,

Da sind ihm zu eigen die Felder und Aun;

Er schweift, wo er will, kehrt, wo er will, ein,

Es gehört jedes Haus ja dem Barfüßerlein.


Am Mittag erwartet ihn Jung und auch Alt,

Der Hochsitz bleibt leer und die Suppe wird kalt,

Denn das beste Stück Fleisch und der Lehnstuhl allein

Gebühren mit Recht doch dem Barfüßerlein.


Am Abend gar warten Pasteten und Bier,

Gefüllt ist der Krug, und er trinkt wie ein Stier.

Der Ehmann muß Nachts in den Kuhstall hinein,

Denn weich muß es liegen, das Barfüßerlein.


Lang lebe Kapuze, Sandale und Strick,

Und der Glaub an den Teufel, bei dir, Katholik!

Denn Rosen pflückt, ohne gestochen zu sein,

Von allen doch stets nur das Barfüßerlein.


[185] »Meiner Treu,« sagte der Ritter, »Du hast wacker und gar fröhlich gesungen, und Deinem Orden zu hohem Preis. Und, da Ihr doch auch vom Teufel redet, frommer Mann der Kirche, fürchtet Ihr nicht, er könnte Euch einen Besuch machen während Eures ungeistlichen Zeitvertreibs?«

»Ich und ungeistlich!« antwortete der Eremit. »Pfui! über die Beschuldigung. – Dreimal pfui – ich besorge den Dienst meiner Kapelle treu und ehrlich. – Täglich zwei Messen – Morgens und Abends – Früh-, Mittag- und Abendgebet: aves, credos, pater noster.«

»Ausgenommen an Mondscheinabenden, wenn die Jagdzeit angegangen ist,« sagte sein Gast kaltblütig.

»Exceptis excipiendis« erwiderte der Eremit, »wie unser alter Abt mich's sagen gelehrt hat, wenn ein unverschämter Laie mich etwa fragen sollte, ob ich die Ordensregel pünktlich halte.«

»Ganz richtig,« heiliger Vater; »aber der Teufel ist auf solche excepta erpicht; Du weißt ja, er geht umher wie ein brüllender Löwe und –«

»Laß ihn brüllen, laß ihn brüllen, ein Streich von meinem Stricke wird ihn so laut brüllen machen, wie es kaum die Folter des heiligen Dunstan vermocht hätte. Ich habe mich nie vor Menschen gefürchtet, geschweige denn vor dem Teufel und seiner Großmutter. St. Dunstan, St. Dubric, St. Winibald, St. Winfrid, St. Swibert, St. Willich und St. Thomas von Kent nicht zu vergessen, und mein eignes geringes Verdienst dazu – ich trotze jedem Teufel, mag er mit kurzem oder langem Schwanz ankommen. – Aber, um Euch ein Geheimniß anzuvertrauen, ich spreche nie von solchen Dingen, außer nach der Frühmesse.«

Er änderte plötzlich die Unterhaltung. Immer rascher und toller wurde ihre Lustigkeit, und mancher ausgelassne Gesang wechselte zwischen ihnen, – da, auf einmal wurde ihr Zechgelage durch ein lautes unheimliches Pochen an der Thür der Eremitage unterbrochen. Der Wirth und sein Gast fuhren auf. Der Ankömmling und unsere freundlichen Leser müssen eine Weile warten, bis geöffnet wird, indeß wir letztern mit den Schicksalen einer andern Gruppe von Charakteren unseres Dramas bekannt machen.

18. Kapitel

[186] Kapitel XVIII.

Fort! unsre Reise geht durch Thal und Schlucht,

Wo um die zage Mutter her das Rehkalb

In muntern Sätzen hüpft; die breite Eiche

Mit dunklem Ast den sonngen Rasen täfelt;

Auf und hinweg! – denn lieblich sind die Pfade

Zu schreiten, wenn die Sonn' am Himmel thront,

Doch nicht sicher und so schön, wenn Luna

Den düstren Wald mit mattem Schein beleuchtet.


Der Ettrick-Wald.


Als Cedric der Sachse seinen Sohn bewußtlos in den Schranken zu Ashby zu Boden sinken sah, war sein Erstes, daß er ihn der Obhut und Fürsorge seines Dienstpersonals anbefahl, dabei aber erstickte ihm das Wort in der Brust. Angesichts einer solchen Versammlung war es ihm durchaus unmöglich, den von ihm verstoßenen und enterbten Sohn anzuerkennen. Er gebot jedoch Oswald, sorgfältig auf ihn zu achten und Ivanhoe mit ein paar Knechten nach Ashby zu schaffen, sobald sich die Menge verlaufen hätte.

Irgend jemand war aber dem Oswald bei diesem Liebeswerk schon zuvorgekommen und als niemand mehr auf dem Platze war, war auch der Ritter nirgends mehr zu sehn.

Vergebens schaute sich Cedrics Mundschenk nach seinem jungen Herrn um; wohl bemerkte er die blutige Stelle, wo er niedergesunken war, doch ihn selbst sah er nicht mehr; es schien, als ob er durch Zauberei entrückt worden sei. Es wäre für Oswald, als einen Sachsen, natürlich genug gewesen, einer solchen Hypothese zu folgen, wenn ihm nicht plötzlich ein Mann aufgefallen [187] wäre, an dem er die Züge Gurths zu erkennen glaubte, wenn dieser auch als Knappe gekleidet war.

Aengstlich besorgt um seines Herren Schicksal und geradzu in Verzweiflung wegen seines Verschwindens, suchte auch dieser umgemodelte Schweinehirt nach Ivanhoe, ohne daran zu denken, daß er seiner eignen Sicherheit wegen sich um keinen Preis verrathen dürfe. Oswald dagegen hielt es für seine Schuldigkeit, sich Gurths, als eines flüchtigen Leibeignen, zu versichern, über dessen Loos sein Herr entscheiden solle.

Als der Mundschenk seine Nachforschungen über Ivanhoes Schicksal erneuerte, konnte er von den Umstehenden nur erfahren, daß der Ritter von einigen wohlgekleideten Dienern aufgehoben und in eine Sänfte gelegt worden sei, die einer Dame unter den Zuschauern zugehört habe, worauf man ihn aus dem dichten Gewühl geschafft hätte. Oswald beschloß, dies seinem Herrn zu melden und um weitere Instruktionen zu bitten, indem er zugleich den davongelaufenen Gurth mit sich zu gehen zwang.

Der Sachse war in heftiger Angst und tödtlicher Besorgniß um das Schicksal seines Sohnes gewesen; denn trotz seines stoischen Patriotismus, der ihn verstieß, hatte die Natur dennoch ihr Recht behauptet. Aber nicht sobald hatte er vernommen, daß Ivanhoe sich in liebreichen und wahrscheinlich befreundeten Händen befand, als sein Vatergefühl wiederum dem beleidigten Stolze wich. »Mag er doch seines Weges ziehn,« sagte er, »mögen die ihm die Wunden curiren, für die er sie empfangen hat. Wâlawâ! Er ist geschickter für die Gaukelei der Normannen, als für die Ehre und den Ruhm seiner anglischen Vorfahren, die mit der Gläve und Hellebarde, dem guten alten Gewaffen unseres Landes, beides aufrecht hielten.«

»Wenn es genügt, um die Ehre seiner Vorfahren aufrecht zu erhalten,« versetzte Rowena, die gegenwärtig war, »weise im Rath und tapfer mit dem Arme zu sein, unter den Kühnen am kühnsten, unter den Milden am mildesten, so ist mir keine Stimme bekannt, außer der seines eignen Vaters, die –«

»Gesvîgath, hlaefdige Rowena!« unterbrach Cedric nachdrucksvoll – »schweigt, Rowena, über diesen einen Gegenstand verschließ ich Euch mein Ohr. Bereitet Euch nur für das Bankett [188] des Prinzen vor, wir sind dazu mit ungewohntem Aufwand von Ehrerbietung und Artigkeit geladen worden, wie die Normannen sie gegen uns selten zu üben pflegten seit dem Unglückstage von Hastings. Ich will hin, wärs auch nur, um den Uebermüthigen zu zeigen, wie wenig Eindruck das Schicksal eines Sohnes, der ihre Tapfersten bezwang, auf einen echten Sachsen macht.«

»Ich will nicht hin,« sagte Rowena fest; »ich bitt Euch, vorsichtig zu sein, daß Euch das nicht als Hartherzigkeit ausgelegt werde, was Ihr für Muth und Festigkeit ausgeben möchtet.«

»So bleibe denn zu Hause, undankbares Dämchen,« erwiderte Cedric gekränkt, »Du, Du bist hartherzig, da Du das Heil eines unterdrückten Volksstamms einer müßigen und ungesetzlichen Neigung opfern kannst. Ich geh und hole den edlen Athelstane; mit ihm will ich dem Bankette Johanns von Anjou beiwohnen.«

Er begab sich richtig zu dem Bankett, über dessen Verlauf wir bereits berichtet haben.

Unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus dem Schloß setzten sich die sächsischen Edlinge mit ihren Gefolgsleuten zu Roß, und während der allgemeinen Unruhe und Bewegung warf Cedric zum ersten Male seine Augen auf den entlaufenen Gurth. Der edle Sachse war, wie wir bereits wissen, nicht eben in der sanftesten Stimmung von dem Gastmahl zurückgekehrt und brauchte nur einen Vorwand, um seinen Aerger an irgend jemand auszulassen. »Die Fesseln!« schrie er, »die Fesseln! Oswald! Hundebert! – Hunde und Schurken! – Warum laßt ihr den Schuft ungefesselt?«

Ohne eine Gegenvorstellung zu wagen, fesselten Gurths eigne Kameraden ihn mit einer Halfter, die ihnen grade in die Hände fiel. Dieser unterwarf sich der Operation ohne Widerspruch; nur daß er mit einem vorwurfsvollen Blick auf seinen Herrn sagte: »Das kommt davon, daß ich Euer Fleisch und Blut lieber hatte als mein eignes!«

»Zu Roß und fort!« sagte Cedric.

»Es ist wirklich hohe Zeit,« setzte der edle Athelstane hinzu; »denn wenn wir nicht drauf los reiten, so sind des würdigen Abt Waltheoffs Anstalten zum Nachtessen umsonst gemacht worden.«

Die Reisenden beeilten sich indessen dergestalt, daß sie das Kloster St. Witholds noch erreichten, ehe das befürchtete Unheil [189] eintreten konnte. Der Abt war selbst von alter sächsischer Herkunft und empfing die edlen Stammgenossen mit der verschwenderischen Gastfreundschaft dieses wackeren Volkes; auch verließen ihn die Gäste nach heimischer Gewohnheit nicht eher, als bis sie am andern Morgen »die Fasten mit ihm weidlich gebrochen«, d.h. tüchtig gefrühstückt hatten.

Als der Zug den Klosterhof verließ, ereignete sich ein Vorfall, der die Sachsen, die bekanntlich sehr an alten Volksvorstellungen hingen, die zum Theil noch jetzt den untern Klassen der Engländer geläufig sind, nicht wenig beunruhigte.

Freilich rührte im gegenwärtigen Falle die Befürchtung eines bevorstehenden Unglücks von keinem wichtigeren Propheten als einem großen schwarzen Hunde her, der aufrecht sitzend furchtbar heulte und winselte, als die ersten Reiter durchs Thor zogen, und der dann mit wildem Gebell hin und her und zuletzt ihnen nachsprang, als wolle er sich dem Trupp anschließen.

»Mir gefällt diese Musik ganz und gar nicht, Vater Cedric,« sagte Athelstane, der Cedric mit diesem Respektstitel anzureden pflegte.

»Mir auch nicht, Onkel,« sagte Wamba; »ich fürchte sehr, wir werden für das Aufspielen bezahlen müssen.«

»Nach meiner Meinung,« sagte Athelstane, der sich mit Wohlgefallen an des Abtes gutes Bier erinnerte, »thun wir besser umzukehren und bis zum Nachmittag beim Abte zu verweilen; es ist nicht gut reisen, wenn einem ein Mönch, ein Hase oder ein heulender Hund über den Weg läuft.«

»Nicht doch!« sagte Cedric ungeduldig, »der Tag ist ohnehin schon zu kurz zu unsrer Reise. Den Hund kenne ich aber; es ist Gurths, des entlaufenen Schuftes, Köter, der sich eben so umhertreibt wie der Taugenichts, sein Herr.«

Mit diesen Worten erhob er sich ein wenig im Steigbügel und warf, unwillig über die Unterbrechung des Zuges, seinen Wurfspieß nach dem armen Packan; denn unser Packan mit den [190] lahmen Füßen war es wirklich, der sich nach langem Suchen übermäßig freute, seinen Herrn endlich gefunden zu haben. Der Wurfspieß verwundete das treue Thier am Schulterblatt und hätte es beinahe gänzlich durchbohrt und an die Erde gespießt. Es entfloh heulend aus dem Angesicht des erzürnten Edlings. Gurth schnürte der Schmerz das Herz zusammen. Er fühlte die seinem treuen Anhänger zugedachte Strafe noch tiefer als die harte Behandlung, die er selbst erfahren hatte. Umsonst aber versuchte er seine gefesselte Hand zu den Augen zu bringen und sagte daher zu Wamba, der in seiner Nähe ritt: »Thu mir die Liebe, Freund, und wische mir mit dem Zipfel Deines Mantels die Augen aus – der Staub ist mir ins Auge gekommen, und diese Fesseln erlauben mir nicht, mir selbst zu helfen.«

Wamba leistete ihm diesen Dienst gern, und nun ritten sie neben einander hin, während Gurth in dumpfem Schweigen verharrte. Endlich konnte er seine Gefühle nicht länger bezwingen.

»Freund Wamba,« sagte er, »von allen denen, welche Cedric dienen, hast Du allein Geschick genug, Dich mit Deiner Narrheit bei ihm beliebt zu machen. Geh also und sag ihm, daß Gurth weder aus Liebe noch aus Furcht länger in seinem Dienste bleiben mag. Mag er mir den Kopf herunterhauen, mag er mich schinden oder mit Ketten beladen lassen, er soll mich fortan nicht mehr zu Lieb und Gehorsam bringen. Geh und sag ihm, daß Gurth, der Sohn des Beowulf, seinem Dienste entsagt.«

»J, ja doch! Bin ich gleich ein Narr, so bin ich doch nicht Dein Narr! Cedric führt noch einen zweiten Wurfspieß, und den möcht ich nicht gern zwischen den Rippen spüren; Du weißt, er zielt gut.«

»Mir ist es einerlei, wenn er mich selbst zum Ziel nähme,« versetzte Gurth. »Gestern hat er Wilfred, meinen jungen Herrn, in seinem Blute liegen lassen, und heute hat er vor meinen Augen das einzige Wesen tödten wollen, das mir noch Liebe bewies. Beim heiligen Edmund, beim heiligen Dunstan, beim heiligen Withold, ja, bei Edward dem Bekenner und bei allen andern sächsischen Heiligen im Kalender, das vergebe ich ihm nicht!« Wir müssen zu dieser Expectoration bemerken, daß Cedric selbst nie bei einem Heiligen schwur, der nicht sächsischer Abkunft war, und daß [191] sein ganzer Hausstand ebenfalls seine Betheuerungen innerhalb der nationalen Grenze hielt.

»Nach meinem Dafürhalten,« sagte der Spaßmacher, der oft den Friedensstifter spielen mußte, »woll te unser Herr Deinen Packan nicht verletzen, sondern nur fortscheuchen. Denn er hob sich, wenn Du's bemerkt hast, im Steigbügel, als wolle er übers Ziel hinauswerfen; das wäre auch geschehen, aber Packan sprang in demselben Augenblick in die Höhe und kriegte die Schramme weg, die ich übrigens mit einem Pfennigwerth Theer heilen will.«

»Wenn ich das dächte, – wenn ich das nur denken könnte,« – sagte Gurth. »Aber nein, nein! – Ich sah ja, wie gut er mit dem Spieß zielte; – ich hörte ihn ja durch die Luft sausen, so giftig, so boshaft, und wie er noch zitterte, als er schon in der Erde stak, als gereue es ihn, das Ziel verfehlt zu haben. Nein, beim Eber des heiligen Anton, ich gehe fort von ihm.«

Der gekränkte Schweinehirt verfiel wiederum in sein düsteres Schweigen, das zu brechen ihn auch der Narr nicht mehr vermochte.

Inzwischen unterhielten sich Cedric und Athelstane, die Führer des Trupps, von dem Zustande des Landes, den Mißverhältnissen in der königlichen Familie, den Fehden und Zwisten im normännischen Adel, und von der Möglichkeit, daß die unterdrückten Sachsen sich doch noch einmal von der normännischen Herrschaft frei machen könnten. Dieser Gegenstand flößte Cedric Feuer und Flammen ein. Die Wiederherstellung der sächsischen Unabhängigkeit war das Idol seines Herzens, dem er mit Freuden sein häusliches Glück und das Wohl seines eignen Sohnes geopfert hatte. Um jedoch diese große Umwälzung durchzuführen, hätten die Eingebornen selbst erst einig sein und sich unter ein allgemein anerkanntes Oberhaupt stellen müssen. Die Nothwendigkeit, ein solches aus dem alten Königsgeschlecht zu wählen, lag auf der Hand, und es war dies sogar von den Vertrauten Cedrics, die um alle seine Pläne und Hoffnungen wußten, zur ausdrücklichen Bedingung gemacht worden. Diese Eigenschaft wenigstens hatte Athelstane; und wenngleich ihm wenig Talente oder geistige Vorzüge eigen waren, die ihn hätten zum Anführer empfehlen können, so hatte er doch ein einnehmendes Aeußere, war kein Feigling und an kriegerische Uebungen gewöhnt, und war zudem fügsam gegen den [192] Rath weiserer Männer. Vor allem aber war er bekannt als freigebig, gastfrei und außerordentlich gutmüthig. Welchen Anspruch indessen Athelstane auch auf die Führerschaft des Sachsenvolkes haben mochte, es gab doch manche unter den Sachsen, die geneigt waren, in dieser Hinsicht der »hlaefdige« Rowena den Vorzug zu geben; denn sie leitete ihre Abstammung direct von Alfred ab; auch war ihr Vater Häuptling gewesen und wegen seiner Weisheit, edlen Gesinnung und Tapferkeit berühmt, so daß sein Name bei seinen Landsleuten noch immer im höchsten Ansehn stand.

Es würde Cedric nicht schwer geworden sein, sich selbst an die Spitze einer dritten Partei zu stellen, die wenigstens eben so furchtbar wie die andern gewesen wäre. Um den Mangel der königlichen Abkunft zu ersetzen, besaß er Muth, Thätigkeit, Kraft und vor allem jene unerschütterliche Anhänglichkeit an die allgemeine Sache, die ihm bereits den Zunamen des Sachsen erworben hatte; auch stand seine Herkunft der keines andern nach, Athelstane und Rowena allein ausgenommen. Diese Eigenschaften waren zudem auch nicht von einem Schatten von Eigennutz befleckt. Allein anstatt durch die Bildung einer dritten Partei die Nationalkraft noch mehr zu zersplittern, war es im Gegentheil Cedrics Lieblingsplan, die schon bestehende Theilung durch eine Vermählung zwischen Athelstane und Rowena vollends zu beseitigen. Diesem Lieblingsplane aber stellte sich ein Hinderniß entgegen in der Liebe seines Mündels zu seinem eignen Sohne Wilfred, und dies Hinderniß war die eigentliche Ursache zur Verbannung des Sohnes aus dem väterlichen Hause.

Cedric hatte diese harte Maßregel in der Hoffnung ergriffen, daß Rowena während Wilfreds Abwesenheit ihn aufgeben würde, doch hatte er sich in dieser Hoffnung getäuscht. Er selbst, oder vielmehr die Art, wie er sein Mündel erzog, war daran schuld. Cedric, der den Namen Alfred vergötterte, behandelte den einzigen Sprößling dieses großen Königs mit einer Verehrung, wie sie damals kaum einer anerkannten Prinzessin zu Theil wurde. Rowenas Wille war stets Gesetz für den ganzen Hausstand. Cedric selbst, als hätte er ihre Herrschaft wenigstens in diesem kleinen Kreise anerkannt wissen wollen, schien einen Stolz darein zu setzen, sich wie ihr erster Unterthan zu benehmen.

[193] So ward Rowena nicht nur an die Ausübung ihres freien Willens gewöhnt, sondern übte sogar eine Art despotischer Autorität, die sie geneigt machte, jedem Versuche, ihre Neigungen zu leiten, zu widerstreben und ihre Unabhängigkeit in einem Falle zu behaupten, in welchem selbst an Nachgeben gewöhnte Frauencharaktere nicht selten der Autorität ihrer Eltern und Vormünder Trotz bieten. Was sie meinte und tief empfand, äußerte sie auch freimüthig. Cedric, der sich von dem gewohnten Respect gegen ihre Ansichten durchaus nicht frei machen konnte, sah schließlich kein Mittel mehr, sein Ansehn als Vormund ihr gegenüber zu behaupten.

Umsonst suchte er sie durch die Aussicht auf einen eingebildeten Thron zu reizen. Rowena, die sehr einsichtsvoll war, betrachtete diesen Plan weder als ausführbar noch auch als wünschenswerth für sie, wenn er auszuführen wäre. Sie verhehlte nicht im geringsten ihre Zuneigung zu Wilfred von Ivanhoe, und erklärte, daß, wäre der Ritter ihrer Wahl und Gunst ihr für immer entrückt, sie lieber ihre Zuflucht im Kloster suchen als einen Thron mit Athelstane theilen würde, den sie längst verachtete und nun gradezu haßte, da er ihr im besagten Punkte Unruhe und Herzeleid verursachte.

Trotzdem beharrte Cedric, der keine sehr hohe Meinung von weiblicher Beständigkeit hegte, fortwährend dabei, alles anzuwenden, um die beabsichtigte Verbindung zu Stande zu bringen, weil er dadurch der Nationalsache einen bedeutenden Dienst zu leisten glaubte. Die plötzliche und romanhafte Erscheinung seines Sohnes in den Schranken von Ashby hatte er daher als einen tödtlichen Schlag für alle seine Hoffnungen aufgefaßt. Seine Vaterliebe hatte zwar auf einen Augenblick den Sieg über Stolz und Patriotismus davon getragen, doch waren beide verstärkt zurückgekehrt, und hiedurch angestachelt, war er entschlossen, einen entscheidenden Versuch zur Verbindung Athelstanes und Rowenas zu machen, und zugleich alle Maßregeln zu treffen, die ihm zur Wiederherstellung der sächsischen Unabhängigkeit erforderlich schienen.

Zu diesem Zwecke gab er sich mit Athelstane die größte Mühe, doch sah er sich wie der junge Heißsporn Harry Percy ab und zu veranlaßt, zu klagen, »daß er eine solche Milchsuppe zu einer so ehrenvollen That bewegen solle.« Athelstane war freilich eitel[194] genug und hörte gern von seiner hohen Abkunft reden, sowie auch von seinem Recht auf den Thron und die Königswürde. Allein es genügte ihm schon, wenn seine nächste Umgebung ihm diese Huldigung darbrachte. Er hatte den Muth, es mit Gefahren aufzunehmen, und doch scheute er die Unbequemlichkeit, sie aufzusuchen. Er machte die von Cedric aufgestellten Principien zu den seinigen, und hätte gern über die Sachsen geherrscht, wenn sie vorher ihre Freiheit errungen hätten; aber sobald es Anstrengung kostete, dieses Ziel zu erreichen, blieb er stets Athelstane der Unentschlossene, verschob alles auf morgen und begann kein Unternehmen sofort. Die warmen und rührenden Ermahnungen Cedrics hatten nur geringen Einfluß auf ihn; sie glichen glühenden Kugeln, die ins Wasser geworfen ein wenig Dampf, flüchtiges Aufbrausen und Zischen erregen, dann aber sogleich wieder todt daliegen.

Gab es Cedric auf, kaltes Eisen zu schmieden, so wandte er sich gewöhnlich wieder zu Rowena, ohne eben glücklicher zu sein. Plauderte sie mit ihrer Zofe über Wilfreds Tapferkeit und Schicksal, und unterbrach sie Cedric, so rächte Editha sich gewöhnlich dadurch, daß sie auf Athelstanes Unglück in den Schranken von Ashby zu sprechen kam, was der unangenehmste Gegenstand für Cedrics Ohren war. So wurde denn dem trotzköpfigen Sachsen die Reise durch jede Art von Mißvergnügen und Verdrießlichkeit vergällt. Mehr als einmal verwünschte er im Stillen das Turnier und die Thorheit, es besucht zu haben.

Zu Mittag machten die Reisenden auf Athelstanes Wunsch in einer schattigen Waldgegend unweit einer Quelle Halt, um ihre Pferde ausruhen zu lassen und selbst einige Erfrischungen einzunehmen, mit denen der gastfreie Abt einen Maulesel beladen hatte. Das Mahl dauerte ziemlich lange; und es wurde ihnen unmöglich, Rotherwood zu erreichen, ohne die ganze Nacht unterwegs zu sein, was sie denn auch veranlaßte ihren Weg mit schnelleren Schritten als bisher zu verfolgen.

19. Kapitel

[195] Kapitel XIX.

Ein Zug Bewaffneter, die eine Dame

Von edlem Haus geleiten (ihre Worte

Verriethens mir, als ich dem Nachtrab folgte),

Ist in der Näh' und in dem Schloß gedenkt man

Zu übernachten.


Orra, ein Trauerspiel.


Die Reisenden hatten jetzt eben den Rand eines Waldes erreicht und waren im Begriff, sich in die Tiefe desselben zu begeben, was allerdings unter Umständen gefährlich war, weil zu jener Zeit sich eine Menge Geächteter, die Armuth und Tyrannei zur Verzweiflung gebracht hatten, in den Wäldern aufhielten. Cedric und Athelstane hatten jedoch keine große Furcht vor diesen Räubern, da sie außer Gurth und Wamba noch zehn Diener im Gefolge hatten. Außerdem verließen sie sich auf ihren eignen Muth, sowie auf ihre Nationalität und ihren Charakter. Die Geächteten waren nämlich meistens Landleute von sächsischer Abkunft und respectirten Person und Eigenthum ihrer eignen Landsleute.

Während sie so gutes Muthes ihres Weges zogen, wurden sie plötzlich durch ein wiederholtes Rufen um Hülfe aufgeschreckt, und als sie an den Ort kamen, woher es erschallte, erstaunten sie nicht wenig, eine Sänfte zu finden, die auf dem Boden stand, und neben der ein auf jüdische Art, aber reich gekleidetes Mädchen saß, während ein alter Mann, dessen gelbe Kappe ihn gleichfalls als Juden kenntlich machte, mit dem Ausdrucke tiefster Verzweiflung auf und nieder ging und unaufhörlich die Hände rang, wie einer, der ein schreckliches Unglück beklagt.

[196] Auf Athelstanes und Cedrics Fragen nach der Ursache seines Zustands konnte er eine Zeit lang bloß durch Verwünschungen der Kinder Israels antworten, die gekommen wären, sie mit der Schärfe des Schwertes an Rücken und Lenden zu schlagen, wobei er alle Erzväter des alten Testaments anrief. Als er sich endlich ein wenig von seinem Schrecken erholt hatte, begann Isaak von York, denn in der That war es unser alter Freund, zu erzählen, daß er zu Ashby eine Wache von sechs Mann gedungen habe, nebst Mauleseln, um die Sänfte eines kranken Mannes zu tragen. Diese Leute nun hätten unternommen, ihn bis Doncastle zu geleiten. Bis hieher wären sie glücklich gekommen; als aber jene von einem Holzschläger erfahren, daß eine große Bande Geächteter in der Waldung vor ihnen im Hinterhalt läge, hätten diese Miethlinge nicht nur die Flucht ergriffen, sondern auch die Thiere mit sich genommen, welche die Sänfte getragen, und so den Juden und seine Tochter ohne Mittel zur Vertheidigung oder zum Entkommen gelassen; denn sie müßten nun erwarten, daß jeden Augenblick die Räuber auf sie losbrechen würden. »Wolltet ihr es nicht erlauben, tapfere Herren,« setzte Isaak in dem Tone der tiefsten Unterwerfung hinzu, »daß ein armer Jude unter eurem Schutze reisen darf; ich schwöre es bei unsern Gesetzestafeln, nie soll eine Gunst mit mehr Dankbarkeit von einem Kinde Israels anerkannt worden sein.«

»Hund von einem Juden,« sagte Athelstane, dessen Gedächtniß von der Art war, daß es kleinliche Dinge, besonders Beleidigungen, lange behielt, »denkst Du denn nicht mehr daran, wie Du uns auf der Gallerie im Turnierplatz behandelt hast? Von uns hast Du keine Hilfe zu erwarten, und wenn die Geächteten Dich berauben, der Du alle Welt beraubst, so halte ich sie für die rechtlichsten, bravsten Leute von der Welt.«

Cedric war nicht dieser Meinung. »Wir werden besser thun,« sagte er, »zwei Leute von unserem Gefolge und zwei Pferde hier zu lassen, um sie zum nächsten Dorfe zu bringen. Unsere Stärke wird dadurch nicht vermindert, und mit Eurem guten Schwerte, Athelstane, und der Hilfe derer, die uns bleiben, wird es uns ein Leichtes sein, zwanzig von diesen Landläufern die Spitze zu bieten.«

Rowena, durch die Erwähnung bewaffneter Geächteter in ihrer [197] Nähe beunruhigt, unterstützte den Vorschlag ihres Vormundes. Da verließ Rebekka auf einmal ihre gebückte Stellung, ging durch das Gefolge auf den Zelter der sächsischen Dame zu, kniete nieder und küßte nach Art der Morgenländer, wenn sie sich an Vornehmere wenden, den Saum von Rowenas Gewande. Dann stand sie auf, schlug den Schleier zurück und bat sie im Namen des Gottes, den sie beide verehrten, und bei der Offenbarung des Gesetzes, woran sie beide glaubten, sie möchte sich ihrer erbarmen und erlauben, daß sie unter ihrem Schutze weiter reisen dürften. »Nicht für mich selbst,« sagte Rebekka, »flehe ich Euch um diese Gunst, auch nicht für diesen alten Mann, ich weiß, die Christen halten es nicht für eine große Sünde, unser Volk zu mißhandeln und zu berauben, ob dies nun in Städten, Wüsten oder im Felde geschieht, ist einerlei. Allein es ist jemand hier, der vielen und auch Euch theuer ist, und in dessen Namen flehe ich Euch an, laßt den armen Kranken sorgsam unter Eurem Schutze fortgebracht werden; denn sollte ihm ein Unfall begegnen, so würden Eure letzten Lebensstunden noch mit Reue darüber erfüllt werden, daß Ihr versagtet, worum ich flehte.«

Die edle und feierliche Art, mit der Rebekka ihre Bitte vortrug, gaben ihr bei der sächsischen Schönen doppeltes Gewicht.

»Der Mann ist alt und schwach,« sagte sie zu ihrem Vormund, »das Mädchen jung und schön, ihr Freund krank und in Lebensgefahr. Sind es gleich Juden, so können wir Christen sie doch nicht in dieser Noth lassen. Möge man doch,« fügte sie hinzu, »zwei von den Lastthieren abladen und das Gepäck auf zwei andere hinter den Dienern packen; die Maulthiere können dann die Sänfte tragen, und wir haben noch ledige Pferde für den alten Mann und seine Tochter.«

Cedric ließ es sich gern gefallen, und Athelstane fügte bloß die Bedingung hinzu, daß sie beim Nachtrabe bleiben sollten, wo Wamba, wie er meinte, sie mit seinem Schilde von geräuchertem Schweinefleisch schützen könnte.

»Ich habe meinen Schild auf dem Turnierplatz gelassen,« versetzte der Narr, »wie es auch wohl bessern Rittern ergangen ist, als ich bin.«

Athelstane wurde roth vor Zorn, denn das war eben auch sein [198] Schicksal bei dem Turniere gewesen. Rowena aber freute sich über den Scherz des Narren, und gleich, als wollte sie ihres Begleiters unziemliche Aeußerung wieder gut machen, bat sie Rebekka, neben ihr zu reiten.

»Nein,« sagte diese mit stolzer Demuth, »das möchte sich doch nicht schicken; meine Gesellschaft würde nicht ehrenvoll für meine Beschützerin gehalten werden.«

Das Gepäck wurde schnell aufgelegt, denn das bloße Wort Geächtete machte jeden thätig und flink, zumal da die Dämmerung die Bedeutung jenes Wortes noch verstärkte. Unter dem Gewühl gerieth Gurth vom Pferde. Sogleich bat er den Narren, ihn etwas lockerer zu binden, was Wamba auch that, so daß es Gurth nicht schwer ward, sich der Fesseln gänzlich zu entledigen. Hierauf schlüpfte er ins Dickicht und entkam glücklich von der Truppe.

Gurths Entfernung wurde erst bemerkt, als die Furcht vor einem Angriffe der Geächteten immer größer wurde, weshalb denn auch nicht viel darauf geachtet werden konnte.

Der Pfad, auf dem sich der Zug fortbewegte, war so schmal, daß zwei Personen nicht bequem neben einander reiten konnten, auch fing er an, sich in ein enges Thal zu verlieren, durch welches sich ein Bach hinzog, dessen Ufer zerrissen, sumpfig und mit kurzen Weidenbüschen bewachsen waren. Cedric und Athelstane, die sich an der Spitze des Zuges befanden, erkannten sehr wohl die Gefahr, hier angegriffen zu werden; da aber beide nicht viel von der Kriegskunst verstanden, so kannten sie keine bessere Art, dieser Gefahr zu entgehen, denn so viel als möglich zu eilen. Sie rückten daher ohne große Ordnung vor, und hatten mit einem Theile ihres Gefolges kaum den Bach überschritten, als sie auf einmal von vorn, in den Seiten und im Rücken mit einer Heftigkeit angegriffen wurden, der sie, unvorbereitet wie sie waren, keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen konnten.

Beide sächsische Anführer wurden in demselben Augenblicke gefangen genommen, und jeder unter Umständen, welche seinen Charakter bezeichneten. Cedric schleuderte in dem Augenblicke, wo einer der Feinde sich ihm näherte, den noch übrigen Wurfspieß auf ihn, und nagelte den Mann gerade an einen Eichbaum, der hinter ihm stand. Nun sprengte er gegen einen zweiten, und indem er [199] das gezogene Schwert mit so unbedachtsamer Wuth schwang, daß er auf einen dicken Ast traf, der oben über ihm hing, wurde er durch die Heftigkeit seines eigenen Streichs entwaffnet. Zwei bis drei der Räuber zogen ihn vom Pferde. Athelstane hatte sich ergeben müssen, ehe er sich noch in eine vertheidigende Stellung hatte setzen können.

Das Gefolge, in dem Gepäck verwickelt und erschrocken über den Fall der Anführer, wurde eine leichte Beute der Angreifenden, und Lady Rowena nebst dem Juden und seiner Tochter hatten dasselbe Schicksal.

Von dem ganzen Zuge entkam niemand außer Wamba, der bei dieser Gelegenheit mehr Muth bewies als die andern, die sich für gescheidter hielten. Nachdem er sich eines Schwertes bemächtigt hatte, versuchte er sogar, seinem Herrn zu Hilfe zu kom men, da dies aber unmöglich war, sprang er vom Pferde und entschlüpfte in das Dickicht der Waldung.

Der tapfere Narr war kaum gerettet, als ihm der Zweifel kam, ob er nicht lieber wieder umkehren und die Gefangenschaft mit seiner Herrschaft theilen solle.

[200] »Ich habe,« sagte er zu sich selbst, »die Leute so viel von den Glück der Freiheit reden hören, nun habe ich sie und wünschte, es lehrte mich auch jemand, wie ich sie benutzen könnte.«

Kaum hatte er diese Worte laut vor sich gesprochen, als eine Stimme leise und vorsichtig rief: »Wamba!« und in diesem Augenblicke sprang ein Hund, den er sogleich für Packan erkannte, liebkosend auf ihn zu. »Gurth!« erwiderte Wamba eben so leise und vorsichtig, und der Schweinehirt stand vor ihm.

»Was ist denn das?« fragte er ängstlich, »was bedeutete das Schwertergeklirr?«

»Alle gefangen,« sagte Wamba.

»Wer denn gefangen?« fragte jener.

»Mein Herr, meine Lady, Athelstane und Hundebert und Oswald!«

»Um Gotteswillen, wie und von wem?«

»Mein Herr,« sagte der Narr, »war zu schnell zum Fechten, Athelstane zu langsam, und die andern fochten ganz und gar nicht. So sind sie von den grünen Langröcken mit den schwarzen Larven gefangen wor den. Alle liegen nun wie die Holzäpfel auf dem Boden, wie Du sie für Deine Schweine schüttelst. Ich würde dazu lachen, wenn ich es vor Weinen könnte,« setzte der ehrliche Narr hinzu, und Thränen rollten unfreiwillig über seine Wangen.

Gurth bekam plötzlich Muth. »Wamba,« sagte er, »Du hast eine Waffe, und Dein Herz ist stets stärker gewesen als Dein Kopf; wir sind zwar nur unser zwei, allein ein schneller Angriff von entschlossenen Männern kann viel bewirken – komm! folge mir?«

»Wohin? und wozu?« fragte der Narr.

»Cedric zu befreien!«

»Aber Du hast Dich ja seinem Dienste entzogen?« sagte Wamba.

»Das war nur, so lange er glücklich war! Folge mir!«

Als sich der Narr eben anschickte zu gehorchen, erschien plötzlich noch eine dritte Person, und befahl beiden Halt zu machen. Aus der Kleidung und den Waffen derselben schloß Wamba fast, er möchte zu den Geächteten gehören, welche seinen Herrn eben angegriffen hatten, allein außerdem, daß er keine Maske trug, machte die glänzende Koppel über seiner Schulter, woran das [201] reiche Jagdhorn hing, so wie der ruhige und gebietende Anstand ihn trotz der Dämmerung als den Landsassen Locksley kenntlich, der den Preis in dem Bogenschießen beim Turnier erhalten hatte.

»Was bedeutet das?« fragte er, »wer raubt und plündert hier und macht Gefangene?«

»Du kannst sie gleich an ihren grünen langen Röcken erkennen,« sagte Wamba; »sieh, ob es nicht Deiner Kinder Kleider sind, Deines und ihre sehen sich ähnlich, wie eine Erbsenschote der andern.«

»Das will ich gleich erfahren,« sagte Locksley, »aber ihr rührt euch nicht vom Platze, bis ich wieder komme; bei Gefahr eures Lebens. Gehorcht mir! Es soll euch und eure Herren nicht gereuen! Ich muß mich aber selbst ihnen so ähnlich machen als möglich.«

Während er so sprach, nahm er das Gehänge mit dem Horn ab, und die Feder von dem Hute herunter, und gab beides Wamba; dann zog er eine Larve aus der Tasche, befahl ihnen nochmals, still zu bleiben, und ging seine Nachforschung auszuführen.

»Sollen wir stehen bleiben, Gurth,« sagte Wamba, »oder sollen wir ihn hinters Licht führen? Er hat ja die ganze Diebskleidung so in Bereitschaft, daß er unmöglich ein ehrlicher Mann sein kann.«

»Wäre er auch der Teufel,« sagte Gurth, »wir können durch unser Warten nichts schlimmer machen. Gehört er wirklich zur Bande, so kann uns weder Fechten noch Flucht etwas helfen. Er hat ihnen gewiß schon ein Zeichen gegeben. Ueberdies habe ich die Erfahrung gemacht, daß solche Spitzbuben gerade nicht die schlimmsten Leute sind, mit denen man zu thun haben kann.«

Der Schütze kehrte in wenig Minuten zurück.

»Freund Gurth,« sagte er, »ich habe mich unter die Kerls gemischt, und weiß, wem sie angehören. Gegen die Gefangenen werden sie sich keine wirkliche Gewaltthat erlauben. Für drei wäre es nicht mehr als Wahnsinn, sie angreifen zu wollen, denn es sind keine schlechten Kriegsknechte und sie haben überall Schildwachen ausgestellt. Allein ich denke schon eine solche Macht zusammen zu bringen, daß ihnen alle ihre Vorsicht nichts helfen soll. Ihr seid beide Diener, aber wie ich glaube, treue Diener von Cedric, dem Sachsen, dem Freunde der Angelsachsen und ihrer Rechte. Nun es soll ihm an sächsischen Händen nicht fehlen, ihn aus dieser Noth zu retten. Folgt mir also, bis ich mehr Hilfe zusammenbringen kann.«

[202] Mit großen Schritten ging er nun durch den Wald hin, und der Narr und der Schweinehirt folgten ihm getrost nach. Es lag aber nicht in Wambas Natur, lange schweigend fortzuwandeln.

»Ich glaube,« sagte er, indem er das Gehänge und das Jagdhorn ansah, das er noch immer in der Hand trug, »daß ich den Pfeil abschießen sah, der dieses als Preis gewonnen hat, und das ist nicht so lange her als Weihnacht.«

»Und ich,« sagte Gurth, »ich wollte wetten, ich hätte die Stimme des wackern Pfeilschützen gehört, ders gewonnen hat, bei Nacht sowohl als beim Tage, und der Mond ist seitdem nicht drei Tage älter geworden.«

»Meine ehrlichen Freunde,« sagte der Landsasse, »wer oder was ich bin, thut hier nichts zur Sache; kann ich euren Herrn befreien, so habt ihr Ursache mich für den besten Freund zu halten, den ihr in eurem Leben gehabt habt; übrigens braucht ihr euch um meine sonstigen Verhältnisse nicht im geringsten zu bekümmern.«

»Unsere Köpfe stecken in des Löwen Rachen,« sagte Wamba ganz leise zu Gurth, »ziehen wir sie heraus, wie es gehen will.«

»Still,« sagte Gurth, »beleidige ihn nicht durch Deine Späße, ich denke es soll schon alles gut gehen.«

20. Kapitel

[203] Kapitel XX.

Und wenn die Herbstnacht trüb und lang

Das Aug den Waldpfad nimmer sieht,

Wie hold ertönt dem Pilger dann

Aus frommer Klausnerzell ein Lied.

Den Ton leiht Andacht von der Kunst

Die Kunst von dieser ihren Flug,

Dem Vogel gleich, der lichtwärts eilt,

Steigt singend auf der Herzen Brunst.


Der Klausner von St.

Clementsborn.


Nach einer Wanderung von drei guten Stunden gelangten Cedrics Diener mit ihrem geheimnißvollen Führer zu einer kleinen Oeffnung im Walde, in deren Mittelpunkte ein Eichbaum von ungeheurer Größe sich erhob, der seine Zweige nach allen Richtungen ausstreckte. Unter diesem Baume lagen vier bis fünf Schützen ausgestreckt, indeß ein anderer als Schildwache in dem vom Mondlicht gebildeten Schatten auf- und niederging.

So wie die Wache das Geräusch nahender Fußtritte hörte, machte sie Lärm; die Schläfer standen schnell auf und spannten ihre Bogen. Sechs auf den Strang gelegte Pfeile waren dem Orte zugekehrt, woher sich die Wanderer nahten. Da erkannten sie ihren Führer und bewillkommneten ihn mit allen Zeichen von Achtung und Zuneigung.

»Wo ist der Müller?« war seine erste Frage.

»Auf dem Wege nach Rotherham.«

[204] »Mit wie vielen?« fragte der Führer, denn das schien er zu sein.

»Mit sechs Mann und bester Hoffnung auf Beute, wenns dem heiligen Nikolaus gefällt.«

»Mit Ehrfurcht gesprochen,« sagte Locksley; »und wo ist Allan vom Thal?«

»Nach Watling-Street zu, um dem Prior von Jorvaulx aufzupassen.«

»Gut ausgedacht!« versetzte der Hauptmann, »und wo ist der Mönch?«

»In seiner Zelle.«

»Dahin will ich,« sagte Locksley. »Zerstreut euch und sucht eure Gefährten auf! Sammelt, so viel ihr könnt, es gibt eine Jagd auf ein Wild, das nicht so leicht zu fällen sein wird. Mit Tagesanbruch trefft mich wieder hier! Und, wart doch! – Bald hätte ich das Nöthigste vergessen. Zwei von euch schlagen schnell den Weg nach Torquilstone ein, dem Schlosse Front de Boeufs. Ein Trupp von Zierbengeln, die sich wie unser eins maskirt haben, führt eine Anzahl Gefangene heran. Setzt ihnen zu, denn unsere Ehre steht auf dem Spiele, wenn wir nicht unsere Macht sammeln und sie strafen, ehe sie das Schloß erreichen. Schickt einen von euren Kameraden, den schnellsten Läufer fort, um den Landsassen ringsherum Nachricht zu geben.«

Die so Angeredeten versprachen unbedingten Gehorsam und entfernten sich mit der größten Schnelligkeit auf verschiedenen Wegen. Unterdeß setzte ihr Führer mit seinen zwei Gefährten, die ihn jetzt mit großer Achtung, in die sich etwas Furcht mischte, betrachteten, den Weg zur Kapelle von Copmanhurst fort.

Als sie die vom Monde beschienene Lichtung erreicht hatten und die ehrwürdige, wenngleich ziemlich verfallene Kapelle mit der rohen Wohnung des Einsiedlers, die recht geeignet zu ascetischer Frömmigkeit schien, zu Gesichte bekamen, lispelte Wamba Gurth ins Ohr: »Wenn das die Wohnung eines Diebes ist, so trifft das alte Sprichwort ein: Je näher der Kirche, desto ferner von unserm Herrgott! Höre nur das tolle Sanctus, das sie in der Einsiedelei singen.«

In der That sangen auch der Einsiedler und sein Gast mit [205] aller Anstrengung ihrer kräftigen Lungen ein altes Trinklied, das zum Refrain hatte:


Troll Dich und bring mir den Biernapf her!

Zeterbub! Zeterbub!

Troll Dich und bring mir den Biernapf her!

Lustiger Hans, holla, sei Du kein Schuft,

Nein, troll Dich und bring mir den Biernapf her!


»Ei,« sagte er endlich, »wer hätte einen solchen Gesang um Mitternacht in eines Eremiten Zelle zu hören erwarten sollen.«

»Ja,« sagte Gurth, »den Geistlichen von Copmanhurst kennt man wohl, die Hälfte des gestohlenen Wildes hier im Forste hat er zu vertreten. Man sagt auch, der Wildhüter hat sich schon darüber beschwert, und er wird Rock und Kaputze ablegen müssen, wenn er nicht besser Ordnung halten will.«

Während sie so sprachen, hatte Locksleys wiederholtes Pochen den Einsiedler und seinen Gast aufgestört. »Wahrlich,« sagte der erstere, »da kommen noch mehr verspätete Gäste, sie dürfen uns in unsern frommen Uebungen nicht überraschen. Jedermann hat seine Feinde, Herr Faullenzer, und vielleicht könnte ein gastfreundliche, einem armen Wanderer gereichte Erquickung mir als Schwelgerei und Trunksucht ausgelegt werden. Und das sind doch Fehler, die meinem Stande und meiner Neigung ganz fremd sind.«

»Schnöde Verleumder!« versetzte der Ritter, »ich wollte, ich dürfte sie züchtigen. Indeß, heiliger Bruder, wahr ists, jeder hat seine Feinde; es gibt auch welche in diesem Lande, mit denen ich lieber durch das Visier des Helms als baarhaupt sprechen möchte.«

»Nun, so setze Deinen eisernen Topf auf, Freund Faullenzer, so schnell als es Deine Natur erlaubt,« sagte der Einsiedler, »ich will indessen die Flaschen wegräumen, und damit man das Geräusch nicht hört, stimme mit in das ein, was Du mich singen hörst, auf die Worte kommts nicht an, die weiß ich selber kaum.«

Und er hub ein donnerndes De profundis an, indem er das Trinkgeschirr abräumte; der Ritter, innerlich lachend und sich indessen waffnend, fiel mit seiner Stimme von Zeit zu Zeit ein, wenn es ihm seine Lustigkeit erlaubte.

»Welcher Teufelssabbath wird denn hier gefeiert?« rief eine Stimme von außen.

[206] »Der Himmel vergebe Euch, Herr Reisender,« sagte der Einsiedler, dessen eigenes Geräusch ihn die Stimme nicht hatte erkennen lassen, obwohl sie ihm sonst ziemlich bekannt war. »Geht Eures Weges in Gottes und des heiligen Dunstan Namen und stört mich und meinen heiligen Bruder nicht in unsrer Andacht.«

»Toller Pfaff,« antwortete die Stimme von außen, »Locksley ist da!«

»Es ist alles sicher,« sagte der Eremit zu seinem Gefährten.

»Aber wer ists denn,« versetzte der schwarze Ritter, »es liegt mir viel daran, das zu wissen.«

»Wers ist? Ein Freund, sag ich Dir.«

»Aber was für ein Freund; es kann ein Freund von Dir sein und nicht von mir.«

»Nun, ich besinne mich, es ist der ehrliche Waldaufseher, von dem ich Dir schon gesagt habe.«

»Ein ehrlicher Aufseher, wie Du ein frommer Einsiedler bist. Aber öffne nur, ehe er die Thür einschlägt.«

Die Hunde, welche in der Zwischenzeit ein furchtbares Geheul erhoben hatten, schienen nun die Stimme des Außenstehenden zu erkennen, denn sie drängten sich winselnd nach der Thür, gleich als wollten sie um Einlaß für den Fremden bitten. Der Eremit öffnete, und Locksley mit seinen Gefährten trat ein.

»Wie?« war des Schützen erste Frage, als er den Ritter erblickte. »Was hast Du denn hier für saubere Gesellschaft?«

»Einen Bruder unsres Ordens,« antwortete der Einsiedler; »wir haben eben unsre Nachtandacht gehalten.«

»Er ist, glaube ich, ein Mönch von der streitbaren Kirche,« versetzte Locksley, »und es sind ihrer noch mehrere auswärts. Ich sage Dir, Bruder, Du mußt jetzt Deinen Rosenkranz bei Seite legen und Deinen Kampfstock ergreifen; wir brauchen jeden von unsern Gefährten, er mag Geistlicher oder Weltlicher sein. Aber,« setzte er hinzu, indem er ihn ein wenig auf die Seite zog, »bist Du denn toll? Einen Ritter, den Du nicht kennst, einzulassen! Hast Du unsre Gesetze vergessen?«

»Ihn nicht kennen?« erwiderte kühn der Bruder, »ich kenne ihn so gut, als der Bettler seine Schüssel kennt.«

»Wie heißt er denn?« fragte Locksley.

[207] »Sein Name – sein Name ist Sir Anthony von Scrabelstone, als wenn ich mit jemand trinken würde, dessen Namen ich nicht wüßte!«

»Du hast, denk ich, genug getrunken, Bruder,« sagte der Landsasse, »und auch genug geplaudert.«

»Guter Freund!« sagte der Ritter hervortretend, »zanke nicht mit meinem lustigen Wirth! Er hat mir eine Gastfreundschaft erwiesen, die ich erzwungen haben würde, wenn er sie mir versagt hätte.«

»Du zwingen!« sagte der Bruder Einsiedler, »warte nur, bis ich diesen grauen Kittel mit einem grünen Kamisol vertauscht habe, und wenn ich Dir nicht zwölfmal den Kampfstock auf den Kopf knallen lasse, will ich kein wahrer Geistlicher und kein wahrer Waldmann sein.«

Mit diesen Worten streifte er sein Gewand ab, und stand in einem engen schwarzen Wamms und Unterhosen da, über welche er schnell einen grünen Rock und Beinkleider von gleicher Farbe zog. »Hilf mir den Rock zunesteln,« sagte er zu Wamba, »und Du sollst einen Becher Sect für Deine Mühe haben.«

[208] »Großen Dank für Deinen Sect; denkst Du denn, es wäre mir gestattet, Dir zu helfen, wenn Du Dich aus einem heiligen Klausner zum sündigen Waldläufer machen willst?«

»Nur keine Furcht!« sagte der Eremit; »ich will die Sünden meines grünen Rocks der grauen Kutte beichten, dann gleicht sich alles wieder aus.«

»Amen,« antwortete der Schalk; und während er dem Eremiten beim Ankleiden behülflich war, führte Locksley den Ritter bei Seite und sagte zu ihm: »Leugnet es nicht, Herr Ritter, Ihr seid es, der am zweiten Tage des Turniers von Ashby den Sieg zum Vortheil der Angelsachsen gegen die Fremden entschieden hat.«

»Und was folgt daraus, wenn Ihr recht gerathen habt, guter Yeoman?«

»Ich halte Euch in diesem Falle für einen Freund der schwächeren Partei.«

»Das ist die Pflicht eines echten Ritters,« versetzte der schwarze Kämpe, »ich sähe es ungern, wenn man etwas anderes von mir vermuthete.«

»Für meinen Zweck,« sagte der Schütze, »mußt Du ein ebenso guter Angelsachse als Ritter sein.«

»England und das Leben jedes Angeln und Sachsen kann niemandem theurer sein als mir.«

»Ich glaube es gern,« sagte der Waldmann; »höre, ich will Dir ein Unternehmen mittheilen, woran Du, wenn Du wirklich bist, was Du mir scheinst, theilnehmen kannst. Eine Bande Elender, die sich in bessere Leute verkleidet haben, als sie selbst sind, haben sich der Person eines edlen Mannes, Cedric der Sachse genannt, nebst seiner Tochter und seines Freundes Athelstane von Coningsburgh bemächtigt, und schleppen sie nun nach einem Schlosse in dieser Waldgegend, mit Namen Torquilstone. Ich frage Dich als einen braven Ritter und guten Angeln, willst Du theilnehmen an ihrer Befreiung?«

»Das befiehlt mir meine Pflicht,« versetzte der Ritter, »aber nun möchte ich auch wissen, wer Ihr seid, der Ihr mich dazu auffordert?«

»Ich bin,« erwiderte der Waldbewohner, »ein namenloser Mann, allein ein Freund meines Vaterlandes und seiner Freunde. [209] Damit müßt Ihr Euch vor der Hand begnügen, zumal da auch Ihr noch unerkannt zu bleiben wünscht. Glaubt mir aber, mein gegebenes Wort ist mir ebenso heilig als einem, der goldene Sporen trägt.«

»Ich glaube es gern,« sagte der Ritter, »ich verstehe mich auf Gesichter und lese in dem Deinen Ehrlichkeit und Entschlossenheit. Wohlan, ich helfe! Ists vorbei, werden wir uns schon genauer kennen lernen.«

»Nun,« sagte Wamba zu Gurth, dem diese letzten Worte nicht entgangen waren, »so hätten wir ja einen neuen Verbündeten, und auf die Tapferkeit des Ritters vertraue ich mehr, als auf die Religion des Eremiten und die Ehrlichkeit des Yeoman; denn der Locksley sieht mir aus wie ein geborener Wilddieb, und der Priester wie ein lüsterner Heuchler.«

»Still, still,« sagte Gurth, »da es die Befreiung Cedrics und der Lady Rowena gilt, nehme ich den gehörnten Teufel selbst zu Hilfe, ohne die Sünde zu scheuen.«

Der Einsiedler war jetzt völlig als Schütze gekleidet, mit Schwert und Schild, Bogen und Köcher, und einem tüchtigen Knotenstock auf der Schulter. Er verließ nun an der Spitze des Haufens die Zelle, verschloß sie sorgfältig und legte den Schlüssel unter die Thürschwelle.

»Nun,« sagte Locksley, »bist Du in der Verfassung, gute Dienste zu leisten, oder spukt Dir der Biernapf und Zeterbub noch im Kopfe?«

»Ein Schluck Dunstanquell wird das legen,« antwortete der Priester. »Es ist in meinem Hirn etwas wie Dusel und einiger Wankelmuth in meinen Beinen, Ihr werdet aber gleich sehen, wie beides schwindet.«

Mit diesen Worten ging er zu dem steinernen Bassin, in welchem das Quellwasser beim Niederfallen Blasen und Wellen machte, die im Mondlicht tanzten, und that einen so mächtigen Zug, als wollte er den ganzen Born austrinken.

»Wann nahmst Du jemals so viel Wasser zu Dir, heiliger Mann von Copmanhurst?«

»Niemals wieder, seitdem einmal mein Weinfaß geleckt hatte und mir nichts übrig blieb als diese Wohlthat meines Schutzpatrons.«

Darauf ging er zur Quelle hinab, wusch sich das Gesicht und [210] sagte: »Nun ist alles vorbei.« Alsdann schwang er seinen gewichtigen Kampfstock mit drei Fingern ums Haupt und rief: »Wo sind die elenden Räuber, welche Menschen wider ihren Willen wegführen? Und stände ihnen der böse Feind bei, ich nehme es allein mit einem Dutzend von ihnen auf.«

»Was?« sagte der schwarze Ritter, »heiliger Mann, Du fluchst?«

»Ach beheilige mich nicht mit heilig! Ich bins nur, so lange ich meine Kutte am Leibe trage; habe ich aber meinen grünen Rock angezogen, dann trink ich, schwör ich und fluch ich mit einem Jägersmann um die Wette.«

»Komm nur und schweig,« sagte Locksley, »Du machst einen Lärm, wie ein ganzes Kloster, wenn der Abt zu Bett gegangen ist. – Ihr andern folgt mir alle, denn wir müssen unsere Macht zusammennehmen, und wir sind unser immer noch wenig genug, wenn wir das Schloß von Reginald Front de Boeuf mit Sturm nehmen wollen.«

»Wie?« fragte der schwarze Ritter, »ist es Front de Boeuf, der auf des Königs offener Straße des Königs getreue Lehnsleute anfällt? Ist er denn zum Diebe und Unmenschen geworden?«

»Unmensch war er immer!« sagte Locksley.

»Und mit der Ehrlichkeit,« setzte der Eremit hinzu, »ists auch nicht weit her. Mancher Dieb von meiner Bekanntschaft ist viel rechtschaffener als er.«

»Mach fort, Priester,« sagte der Schütz, »und schweig! Du thust besser, wenn Du uns den Weg zu unserm Sammelplatze zeigst, als wenn Du über etwas, das aus Klugheit und Anstand besser unbesprochen bliebe, noch lange schwatzest.«

21. Kapitel

[211] Kapitel XXI.

Wie viele Jahre sind dahin geschwunden,

Seit Menschen hier um diese Tafel saßen,

Und Lamp' und Kerze darauf brannten!

Mich dünkt, ich hör den Ton vergangner Zeit

Noch murmeln über uns in dem Gewölbe,

Dem dunklen, gleich den Stimmen jener Menschen,

Die in des Grabes Tiefe längst geschlummert.


Orra, ein Trauerspiel.


Während diese Maßregeln zur Befreiung Cedrics und seiner Gefährten getroffen wurden, führten die Bewaffneten ihre Gefangenen nach dem Orte, wo sie festgehalten werden sollten. Es wurde bald dunkel, und die Waldpfade schienen den Räubern doch nur wenig bekannt zu sein. Sie mußten daher oft Halt machen und mehr als einmal umkehren, um sich auf ihrem Wege wieder zurecht zu finden. Der Sommermorgen brach an, ehe sie mit voller Sicherheit wußten, ob sie auf dem rechten Wege wären. Mit dem Tageslichte kehrte ihr Vertrauen zurück, und der Zug rückte mit schnellen Schritten vorwärts. Unterdessen entspann sich zwischen den beiden Anführern der Raubgesellen folgendes Gespräch:

»Nun, Moritz,« sagte der Templer zu de Bracy, »ist es wohl Zeit, daß Du uns verläßt, um den zweiten Theil Deines Schauspiels anzuordnen. Du mußt nun bald den befreienden Ritter spielen.«

»Das hab ich mir besser überlegt,« sagte de Bracy, »ich verlasse Dich nicht, bis der Preis glücklich in Front de Boeufs Schloß in Verwahrung gebracht ist. Dort will ich vor Rowena in meiner eignen Gestalt erscheinen, und ich denke, sie wird die Gewaltthat, [212] der ich mich schuldig gemacht habe, mit der Heftigkeit meiner Leidenschaft entschuldigen.«

»Und warum änderst Du Deinen Plan, de Bracy?« fragte der Templer.

»Das geht Dich nichts an,« war die Antwort.

»Ich will doch hoffen, Ritter,« sagte der Templer, »daß diese Aenderung in Deinen Maßregeln nicht von einem Verdachte gegen meine Ehrlichkeit herrührt, den Dir Fitzurse einzuflößen versucht hat?«

»Meine Gedanken gehören mir,« versetzte de Bracy, »der böse Feind lacht, sagt man, wenn ein Dieb den andern bestiehlt; und man weiß schon, daß, wenn er auch Feuer und Schwefel spiee, ein Templer sich nicht von seiner Neigung abbringen läßt.«

»Noch der Führer einer Freischaar,« entgegnete der Templer, »von der Furcht vor einer Ungerechtigkeit von Seiten seines Kameraden und Freundes, die er selbst gegen jedermann ausübt.«

»Ich kenne schon die Moral des Tempelordens,« sagte de Bracy, »und ich will Dir gerade keine Gelegenheit geben, mich um die schöne Beute zu betrügen, um derentwillen ich so viel aufs Spiel gesetzt habe.«

»Pah!« versetzte der Templer, »was hast Du denn zu fürchten? Du kennst die Gelübde meines Ordens.«

»Gut genug; ich weiß aber auch, wie sie gehalten werden. Die Gesetze der Galanterie lassen in Palästina eine liberale Auslegung zu, und in diesem Falle mag ich mich Deinem Gewissen nicht gerade anvertrauen.«

»Nun, so höre denn,« sagte der Templer, »die blauäugige Schönheit bekümmert mich nicht. Es ist eine in dem Zuge, die mir weit besser behagt.«

»Wie? Zu einer Magd wolltest Du Dich herablassen?«

»Nein,« sagte der Templer stolz, »gewiß nicht! Ich habe unter den Gefangenen einen Preis gefunden, der dem Deinen nichts nachgibt.«

»Bei der heiligen Messe! Du meinst doch nicht etwa die schöne Jüdin?«

»Und wenn ich sie meinte wer will mir entgegen sein?«

»Niemand, so viel ich weiß, es müßte denn Dein Gelübde [213] sein, oder eine Anwandlung von Gewissen ob der Intrigue mit einer Jüdin.«

»Des Gelübdes hat mich unser Großmeister entbunden,« sagte der Templer; »und das Gewissen anlangend, so braucht ein Mann, der dreihundert Saracenen getödtet hat, nicht jeden kleinen Fehltritt zu beichten, wie ein Landmädchen am Charfreitag.«

»Du mußt Deine Vorrechte am besten kennen,« sagt de Bracy; »indeß hätte ich schwören wollen, Dein Augenmerk wäre mehr auf des Wucherers Geldbeutel gerichtet gewesen, als auf die schwarzen Augen seiner Tochter.«

»Ich bewundere beides,« erwiderte der Templer; »der alte Jude aber ist nur eine halbe Beute für mich, denn seinen Geldsack muß ich mit Front de Boeuf theilen, der uns den Gebrauch seines Schlosses nicht umsonst überlassen wird. Ich muß auch etwas für mich allein haben bei unserm Scharmützel, und dazu habe ich mir die schöne Jüdin ausersehen. Nunmehr kannst Du ruhig Deinen ersten Plan ausführen, da Du meine Absicht kennst, Du hast, wie Du siehst, nichts von meiner Dazwischenkunft zu fürchten.«

»Nein! nein!« versetzte de Bracy, »ich bleibe meiner Beute zur Seite. Was Du sagst, ist ja vollkommen wahr, – aber mir gefallen die Privilegien nicht, die der Großmeister ertheilt, und das Verdienst wegen der dreihundert erschlagenen Türken ebensowenig. Bei so großen Ansprüchen auf Vergebung wirst Du Dich wegen einiger kleiner Sünden nicht sehr bedenken.«

Während dieses Gesprächs versuchte Cedric aus denen, die ihn bewachten, ein Geständniß über ihr Vorhaben und ihre Gesinnungen herauszulocken. »Ihr wollt Engländer sein,« sagte er zu ihnen, »und doch stürzt ihr als Räuber auf eure Landsleute, gleich als wenn ihr wahrhafte Normänner wäret. Als meine Nachbarn solltet ihr auch meine Freunde sein, denn welche von meinen englischen Nachbarn hätten Ursache es nicht zu sein? Ich sage euch, Leute, auch die, welche das Loos der Achtserklärung getroffen hat, konnten sich meines Schutzes erfreuen. Ich habe Mitleid mit ihrem Elende gehabt und die Unterdrückung der tyrannischen Edelleute verflucht. Was habt ihr also gegen mich? Oder wozu kann euch eure Gewaltthätigkeit helfen? Ihr seid schlimmer als rohes Vieh in euren Handlungen, wollt ihr auch so stumm sein wie dieses?«

[214] Vergebens setzte Cedric seinen Wachen mit solchen und ähnlichen Worten zu; sie hatten zu gute Gründe, bei ihrem Stillschweigen zu beharren, als daß sie sich auf diese Art dahin hätten bringen lassen, es zu brechen.

Sie eilten daher nur schneller mit ihm fort, bis sich endlich am Ende einer Allee hoher Bäume Torquilstone, das altersgraue Schloß Reginald Front de Boeufs, erhob. Es war eine Feste von nicht großem Umfange und bestand aus einem hohen viereckigen Thurme, den wieder hohe Gebäude umgaben, die den innern Hofraum umschlossen. Um den äußern Wall zog sich ein tiefer Graben, der von dem nahen Flüßchen Wasser erhielt. Front de Boeuf, der infolge seines Charakters mit seinen Feinden immer in Fehde lag, hatte das Schloß noch fester gemacht, indem er auf den äußern Wall hatte Thürme bauen lassen, um ihn von jeder Ecke aus bestreichen zu können. Der Eingang war wie gewöhnlich bei den Burgen jener Zeit in einer Wölbung der Außenwerke angebracht, die auf jeder Ecke in einem Thürmchen endigten, von dem aus sie vertheidigt wurden.

Kaum hatte Cedric die Thürme von Front de Boeufs Schloß erblickt, die im Morgenlichte durch die Dunkelheit des Waldes schimmerten, als ihm auch eine ziemlich genau zutreffende Ahnung von der Ursache seines Mißgeschicks aufzudämmern begann.

»Ich that den Räubern und Geächteten dieses Waldes Unrecht,« sagte er, »wenn ich glaubte, solche Banditen gehörten zu ihren Genossen; ich hätte ebenso gut die Füchse in diesen Löchern mit den hungrigen Wölfen Frankreichs verwechseln können. Sagt mir, ihr Hunde, ist es mein Leben oder mein Vermögen, worauf euer Herr zielt? Ists schon zu viel, daß zwei Sachsen, ich und der edle Athelstane, Grundeigenthum besitzen in einer Gegend, die einst unserm Geschlechte ganz und gar zugehörte? Schleppt uns zum Tod und nehmt uns das Leben, wie ihr es unsern Freiheiten genommen habt, damit eure Tyrannei voll ständig werde. Wenn der Sachse Cedric England nicht befreien kann, so stirbt er gern für dasselbe. Sagt eurem tyrannischen Herrn, ich ließe ihn nur bitten, Lady Rowena unverletzt und in Ehren zu entlassen. Sie ist ein Weib, von ihr hat er nichts zu fürchten, und mit uns werden auch alle die sterben, welche es wagen, für ihre Sache zu fechten.«

[215] Die Begleiter blieben gegen diese Anrede ebenso stumm wie gegen die vorige. Jetzt stand man vor dem Schloßthore. De Bracy stieß dreimal ins Horn, und die Bogen- und Armbrustschützen, welche auf dem Walle erschienen waren, um ihre Ankunft zu beobachten, ließen nun eiligst die Zugbrücke herunter, um sie einzulassen. Die Gefangenen wurden von der Wache genöthigt abzusteigen, und in ein Gemach geführt, wo ihnen in Eile ein Mahl angeboten ward, das jedoch außer Athelstane keiner berührte. Aber auch der Sprößling Eduards des Bekenners hatte nicht eben viel Zeit, der guten Mahlzeit vor ihm ihr Recht widerfahren zu lassen, denn die Wache gab ihm und Cedric zu verstehen, daß sie von Rowena getrennt in einem andern Zimmer in Gewahrsam gehalten werden sollten. Widerstand war vergeblich; sie mußten daher in ein großes Gemach folgen, das, auf rohen sächsischen Pfeilern sich erhebend, den Refectorien und Kapitelhäusern glich, die sich noch jetzt in den ältesten Partien ehemaliger Klöster finden.

Lady Rowena wurde von ihrem Gefolge getrennt und mit Artigkeit zwar, doch ohne jede Berücksichtigung ihrer etwaigen Wünsche in ein entferntes Zimmer geführt. Eine ebenso beunruhigende Auszeichnung wurde auch Rebekka zu Theil, trotz der dringenden Bitten ihres Vaters, der sogar Geld bot, um sie bei sich behalten zu können. »Ungläubiger Schuft,« versetzte einer von der Wache, »wenn Du Dein Loch gesehen hättest, würdest Du Deiner Tochter nicht zumuthen, es zu theilen.« Und ohne alle weitere Erörterung wurde der alte Jude fortgeschleppt. Die Dienerschaft kam, nachdem sie durchsucht und entwaffnet worden, in einen andern Theil des Schlosses, und Rowena mußte sogar des Trostes entbehren, ihre treue Kammerzofe Elgitha bei sich zu haben.

Das Gemach, in welches die sächsischen Oberhäupter gebracht wurden, war ehedem die große Halle des Schlosses gewesen, jetzt war es eine Art von Wachtstube. Der jeweilige Besitzer hatte unter andern Verbesserungen und Verschönerungen auch eine neue Halle in edlem Stil erbaut, deren Decke auf leichten und eleganten Pfeilern ruhte, und in jener reichen Manier verziert war, wie sie die Normänner damals bereits in die Baukunst eingeführt hatten.

Cedric schritt in dem Gemache hin und her, erfüllt von Unwillen und Zorn über das Vergangene und Gegenwärtige, indeß [216] sein Gefährte durch seine Apathie sich über alles, außer über die Unbequemlichkeit des gegenwärtigen Augenblicks zu trösten wußte. Ja er fühlte selbst diese so wenig, daß er nur von Zeit zu Zeit durch Cedrics leidenschaftliche Aeußerungen zu einer Antwort bewogen wurde.

»Ja,« sagte Cedric, halb mit sich selbst sprechend, halb zu Athelstane gewendet, »in der nämlichen Halle saß mein Vater beim festlichen Mahle mit Torquil Wolfganger, als er den tapfern und unglücklichen Harald bewirthete, der damals gegen die Norweger zog, welche sich mit dem Rebellen Tosti vereinigt hatten. In dieser Halle gab Harald dem Abgesandten seines rebellischen Bruders die großmüthige Antwort. Oft habe ich meinen Vater bei der Erzählung dieser Geschichte aufflammen sehen. Tostis Gesandter ward eingelassen, als dieser Raum kaum die Menge edler Sachsenführer fassen konnte, die rund um ihren Monarchen blutrothen Wein zechten.«

»Ich hoffe doch,« sagte Athelstane, durch diesen Theil der Rede seines Freundes etwas bewegt, »sie werden nicht vergessen, uns zu Mittag Wein und Erfrischungen zu senden; wir hatten ja kaum eine Minute zum Frühstück, und mir bekommt das Essen nun einmal nicht, wenn ichs unmittelbar nach dem Absteigen vom Pferde genieße, ob es gleich manche empfehlen.«

Cedric fuhr in seiner Geschichte fort, ohne auf die Bemerkungen seines Freundes zu achten.

»Tostis Gesandter ging die Halle entlang,« sagte er, »ungerührt ob des drohenden Ansehens aller um ihn her, bis er vor dem Throne des Königs Harald seine Ehrfurcht bezeigte. – Welche Bedingungen, sagte er, Herr König, hat Dein Bruder Tosti zu erwarten, wenn er die Waffen niederlegt und um Frieden fleht? – Eines Bruders Liebe, rief der edelmüthige Harald, und die schöne Grafschaft von Northumberland. – Und nimmt Tosti diese Bedingungen an, fuhr der Gesandte fort, welches Land soll sein treuer Verbündeter Hardrada, König von Norwegen, erhalten? – Seofon feet of Engla eorthan, sieben Fuß englischen Bodens, versetzte Harald mit Stolz, oder, da Hardrada ein Riese sein soll, so bewilligen wir ihm vielleicht zwölf Zoll mehr. – Die Halle ertönte vom Beifallsruf, und Becher und Trinkhorn wurden geleert, auf daß der Norweger bald in den Besitz seines englischen Bodens komme.«

[217] »Mit Freuden hätte ich ihnen Bescheid gethan,« sagte Athelstane, »denn mir klebt die Zunge am Gaumen.«

»Der verhöhnte Gesandte,« fuhr Cedric fort, ob sich gleich sein Zuhörer nicht sehr für die Erzählung interessirte, »entfernte sich, die bedeutungsvolle Antwort seines beleidigten Bruders dem Tosti zu hinterbringen. Nun sahen die fernen Thürme von York und der blutige Fluß Derwent jenen schrecklichen Kampf, in welchem nach den unglaublichsten Thaten bewährter Tapferkeit der König von Norwegen und Tosti mit zehntausend ihrer beherztesten Begleiter fielen. Wer hätte denken sollen, daß an dem großen Tage, wo diese Schlacht gewonnen ward, derselbe Wind, der die siegenden Banner der Sachsen blähte, auch die normännischen Segel schwellen und sie an die unselige Küste von Sussex treiben würde? Wer hätte denken sollen, daß Harald binnen wenigen Tagen selbst nicht mehr von seinem Reiche besitzen würde als die paar Schritte, die er in seinem Zorne dem norwegischen Eindringling bewilligen wollte? Wer hätte denken sollen, daß Ihr, edler Athelstane, Ihr, ein Abkömmling von Haralds Blut und ich, dessen Vater wahrlich nicht der schlechteste Vertheidiger der sächsischen Krone war, eines elenden Normanns Gefangene sein würden, in derselben Halle, wo unsere Vorfahren ein solches Festmahl hielten?«

»Es ist freilich traurig,« versetzte Athelstane, »allein ich denke, wir werden mit einem mäßigen Lösegelde davon kommen. Auf alle Fälle aber können sie uns doch nicht geradezu Hungers sterben lassen, wiewohl ich, da es doch schon hoch am Tage ist, immer noch keine Zubereitungen zum Mittagsmahle erblicke. Schau doch einmal durchs Fenster, edler Cedric, und sieh nach der Sonne, obs noch nicht ganz Mittag ist.«

»Es ist möglich,« erwiderte Cedric; »allein ich kann das gefärbte Gitter nicht ansehen, ohne daß andere Betrachtungen in mir erwachen, die sich eben nicht auf den Augenblick und unsern gegenwärtigen Mangel beziehen. Als das Fenster angebracht wurde, mein edler Freund, da kannten unsere rauhen Väter die Kunst, Glas zu machen oder es zu färben, ganz und gar nicht. Wolfgangs stolzer Vater brachte einen Künstler aus der Normandie mit, um diese Halle auf die neue Art zu verzieren, welche das goldene Licht des Tages in so mancherlei phantastische Farben[218] bricht. Der Fremde kam arm, bettelhaft und kriechend hieher und kehrte reich und stolz zurück, seinen Landsleuten von dem Reichthume und der Einfalt der edlen Sachsen erzählend. Wir machten diese Fremdlinge zu unsern Busenfreunden, zu unsern Vertrauten, wir nahmen ihre Künstler und Künste auf und verachteten die edle Einfalt und Rauhheit unserer Vorfahren, so wurden wir durch normännische Künste längst entnervt, ehe wir unter den Waffen der Normänner fielen. O, wie viel besser war doch unsere vaterländische Kost, in Frieden und Freiheit verzehrt, als die üppige Schwelgerei, der zu Liebe wir nun Leibeigene und Sklaven des fremden Eroberers geworden sind!«

»Mir,« versetzte Athelstane, »würde jetzt die schlechteste Kost zu essen Schwelgerei scheinen, und ich wundere mich, edler Cedric, daß Ihr Euch so genau vergangener Geschichten erinnern könnt, daß Ihr die Essenszeit darüber ganz zu vergessen scheint.«

»Vergebene Mühe,« sagte Cedric für sich voller Unwillen, »mit dem von etwas anderem zu reden, als was seinen Magen betrifft. Hardicanuts Seele muß in ihn gefahren sein, denn er kennt kein Vergnügen als schlingen und schlucken, und immer nach mehr rufen. Ach!« setzte er mit einem mitleidigen Blicke auf Athelstane hinzu, »daß eine so dumpfe Seele in einer so gefälligen Gestalt wohnen muß, daß ein solches Unternehmen wie Englands Neugestaltung in einer so schwachen Angel sich drehen soll! Zwar dürfte Rowenas edlere Seele, wenn er sich ihr vermählt hat, die bessere, nur schlummernde Natur in ihm erwecken, aber wie soll dies geschehen, da Athelstane, Rowena und ich selber Gefangene des rohen Räubers sind, und vielleicht deshalb, weil unsere Freiheit ihm für die angemaßte Herrschaft seiner Nation gefährlich scheint?«

Während der Sachse sich in diese quälenden Gedanken versenkte, ging die Thür des Gefängnisses auf, und es trat ein Vorschneider mit seinem weißen Amtsstabe ein. Die wichtige, gravitätisch eintretende Person hatte vier Begleiter, welche einen mit allerlei Speisen besetzten Tisch trugen, deren Anblick und Geruch Athelstane ein hinreichender Ersatz für das erduldete Ungemach zu sein schienen. Alle Personen, welche bei Tische aufwarteten, waren maskirt und verhüllt.

[219] »Was soll dies Mummerei?« sagte Cedric. »Denkt ihr, wir wissen nicht, wessen Gefangene wir sind, wenn wir uns in diesem Schlosse befinden? Sagt Reginald Front de Boeuf, eurem Herrn, er mag seine Raubsucht befriedigen wie ein Räuber! Sagt ihm, er soll das Lösegeld für uns bestimmen, und er soll bezahlt werden, wenn es unsere Kräfte nicht übersteigt.«

Der Vorschneider gab keine Antwort und verbeugte sich nur.

»Und meldet Reginald Front de Boeuf,« sagte Athelstane, »daß ich ihn auf Tod und Leben fordere, zu Fuß oder zu Pferde, an einem sichern Orte, binnen acht Tagen nach unserer Befreiung, die er unter solchen Umständen uns nicht wagen wird zu verweigern.«

»Ich werde dem Ritter Eure Herausforderung überbringen,« erwiderte der Vorschneider, »unterdessen überlasse ich Euch Eurer Mahlzeit.«

Athelstanes Herausforderung kam nicht eben sonderlich glücklich zu Tage, denn er hatte den Mund voll Speise und brauchte beide Kinnbacken äußerst nöthig zum Zermalmen derselben, indessen machte sie doch auf Cedric einen guten Eindruck, so daß er, dem vorher schon die Geduld zu reißen begann, sich über den neu erwachten Muth des Edlings freute.

Die Gefangenen hatten ihre Erfrischungen nicht lange genossen, als ihre Aufmerksamkeit von dieser ernsten Beschäftigung durch die Töne eines Hornes abgelenkt wurde, welche sich vor dem Thore hören ließen. Es wurde dreimal mit solcher Gewalt geblasen, als rührten die Klänge von dem Ritter her, der vor dem bezauberten Schlosse hielt und Hallen, Thürme, Schanzen und Zinnen mit einem Stoße umblies.

22. Kapitel

[220] Kapitel XXII.

Mein' Tochter – mein' Dukaten – o mein' Tochter

Fort mit 'nem Christen – o mein' christliche Dukaten!

Recht und Gericht! mein' Tochter! mein' Dukaten!


Der Kaufmann von Venedig.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe. Bd. IV, S. 297.)


Ueberlassen wir die Sachsen sich selbst und werfen nun einen Blick auf die strengere Gefangenschaft des Isaak von York. Der arme Jude war eilig in ein Gewölbe geworfen worden, dessen Boden sich tief unter der Oberfläche der Erde befand, und das daher sehr dumpf und feucht war; sein Licht empfing es nur durch ein Paar Luftlöcher, die so hoch waren, daß sie die Hand des Gefangenen nicht erreichen konnte. Diese Oeffnungen ließen selbst um Mittag nur einen matten und ungewissen Lichtstrahl durch, so daß das Gemach längst in tiefster Dunkelheit lag, wenn sich das übrige Schloß noch des heitern Tages erfreute. Ketten und Fesseln, die Hinterlassenschaft früherer Gefangenen, von denen man kräftigen Widerstand oder Versuche zur Flucht erwartet hatte, hingen leer und verrostet an den Wänden des Gefängnisses, und in den Ringen einiger derselben befanden sich zwei modernde Gerippe, die einst Menschen zugehört haben mochten, die man hier nicht bloß hatte umkommen, sondern selbst verwesen lassen.

An dem einen Ende dieses unheimlichen Aufenthaltsortes war ein großer Feuerrost angebracht, auf dem querüber einige eiserne halbverrostete Stangen lagen.

Der Anblick dieses Gefängnisses hätte auch ein muthigeres [221] Herz, als das Isaaks, erschüttern können, der übrigens jetzt gefaßter erschien, als damals, wo die Gefahr noch bevorstand. Es war auch nicht das erste Mal, daß sich Isaak in so gefahrvoller Lage befand. Mußten doch die Juden jener Zeit auf derartige Ereignisse stets gefaßt sein. So hatte er die Erfahrung zur Führerin und die Hoffnung zur Trösterin, daß er auch diesmal wie früher dem Gewaltthätigen entkommen würde. Vorzüglich aber stand ihm die unerschütterliche Hartnäckigkeit seiner Nation und jene unbeugsame Entschlossenheit zur Seite, mit der die Israeliten sich oft eher den äußersten Mißhandlungen von Seiten der Macht und Gewalt hingaben, als daß sie die Wünsche oder Befehle ihrer Unterdrücker zu erfüllen sich entschlossen.

In dieser Stimmung des passiven Widerstandes und sein Gewand unter sich zusammenhaltend, um sich vor dem feuchten Boden zu schützen, saß Isaak in einer Ecke des Gemaches, mit seinen gefalteten Händen, den herumhängenden Haaren und dem verworrenen Bart, mit Pelzmantel und hoher Mütze im Scheine des matten, gebrochenen Lichtes ein würdiger Gegenstand für den Pinsel eines Rembrandt. In dieser Stellung verharrte der Jude wohl drei Stunden. Da hörte man endlich Tritte auf der Treppe, die zum Gefängnisse führte. Die Riegel rasselten, die Angeln der Thür knarrten und Reginald Front de Boeuf, begleitet von den beiden Saracenensklaven des Templers, trat ins Gefängniß.

Front de Boeuf, ein großer kräftiger Mann, der sein Leben im Kriege oder in Privatfehden zugebracht und kein Mittel gescheut hatte, um seine Lehnsgewalt zu erweitern, hatte Gesichtszüge, die den Stolz und die Bösartigkeit seines leidenschaftlichen Gemüths deutlich offenbarten. Die Narben, mit denen sein Antlitz wie besäet war, hätten andern Gesichtern etwas Anziehendes und Ehrwürdiges verliehen, bei Reginald vermehrten sie nur den Ausdruck von Wildheit und Schrecken, den seine Gegenwart einzuflößen pflegte. Er trug ein ledernes, eng anschließendes Wamms, das noch Flecken und Beschädigungen von der Rüstung, die er zum Turnier darüber getragen, zeigte. Er war waffenlos, bis auf einen Dolch im Gürtel, der das Gegengewicht zu einem Bunde rostiger Schlüssel, das auf der andern Seite hing, zu bilden schien.

Die schwarzen Sklaven, welche Front de Boeuf folgten, waren [222] ihres seltsamen Anzugs entledigt und trugen jetzt Jacken und weite Hosen von grober Leinwand; die Aermel waren bis zum Ellbogen aufgestreift, wie bei Schlächtern, wenn sie ihr Handwerk verrichten wollen. Jeder hatte einen kleinen Korb in der Hand und beide blieben an der Thüre stehen, bis Front de Boeuf selbst sie doppelt verschlossen hatte. Nachdem dies geschehen, näherte er sich langsam dem Juden, auf den er einen so scharfen Blick heftete, als hätte er ihn dadurch wie die Klapperschlange aller Kraft berauben wollen. Und wirklich schien dieser Blick eine solche Wirkung auf den amen Gefangenen hervorzubringen. Der Jude sperrte den Mund auf, richtete das Auge starr auf den Baron und war so erschrocken, daß seine Gestalt in dessen Nähe ordentlich zusammenzuschrumpfen schien. Infolge dessen konnte er weder eine Verbeugung machen, noch seine Mütze abnehmen, oder sonst ein Zeichen der Unterwürfigkeit blicken lassen. So mächtig wirkte auf ihn die Ueberzeugung, daß Folter und Tod seiner harrten.

Auf der andern Seite aber schien sich die riesige Gestalt Front de Boeufs fortwährend zu vergrößern, gleich der des Adlers, der sein Gefieder aufbläht, wenn er im Begriff ist, auf seine Beute herabzustürzen. Drei Schritte von der Ecke, wo der Jude zusammengedrückt saß, blieb der Baron stehen, und gab den Sklaven ein Zeichen näher zu treten. Einer derselben trat herzu und holte aus seinem Packet eine Wagschale und verschiedene Gewichte hervor, legte sie zu Front de Boeufs Füßen nieder und trat wieder in die achtungsvolle Entfernung zurück, in der sein Gefährte verblieben war.

Die Bewegungen dieser Menschen waren langsam und feierlich, als ob sich selbst in ihren Seelen eine Art von Vorgefühl der Grausamkeit und des Schauders regte. Nun eröffnete Front de Boeuf die Scene mit folgender Rede an den unglücklichen Gefangenen.

»Höchst verwünschter Hund einer verwünschten Rasse,« sagte er, indeß der Ton seiner tiefen, gewaltigen Stimme das düstere Echo des Gewölbes weckte, »siehst Du diese Wagschale?«

Der unglückliche Jude bejahte ganz leise.

»In dieser Schale,« fuhr Front de Boeuf fort, »sollst Du mir tausend Pfund Silber abwägen, genau nach dem Maße und Gewicht des Towers zu London.«

[223] »Heiliger Abraham!« versetzte der Jude, der in dieser äußersten Gefahr seine Stimme wieder bekam, »hat man je von einer solchen Forderung gehört? Tausend Pfund Silber, ach, wer hörte selbst in den Märchen eines Minstrels davon? Welches Menschenangesicht wurde je durch den Anblick eines solchen Schatzes beglückt? Durchsuche mein ganzes Haus und das aller meiner Brüder zu York, und Du wirst die ungeheure Masse Silbers nicht finden, von der Du sprichst.«

»Ich bin billig,« versetzte Front de Boeuf, »wenns an Silber fehlt, nehme ich Gold, die Mark Goldes zu sechs Pfund Silber gerechnet. Zahlst Du das, so kommt Dein ungläubiger Leichnam von einer Strafe los, wie sie sich Deine Seele nimmer hat träumen lassen.«

»Habt Erbarmen, edler Ritter!« rief der Jude, »ich bin ein armer alter, hilfloser Mann. Es macht Euch ja nimmer Ehre, einen Wurm zu zertreten.«

»Alt magst Du sein,« erwiderte der Ritter, »um so mehr Schande für die, welche Dich in Wucherei und Schurkerei haben alt werden lassen; schwach magst Du sein, denn wann hätte ein Jude Herz oder Hand gehabt? – Aber reich bist Du auch, das ist weltbekannt.«

»Ich schwöre Euch,« sagte der Jude, »bei allem, woran ich glaube, bei allem, woran wir gemeinschaftlich glauben« –

»Verschwöre Dich nicht,« sagte der Normann, ihn unterbrechend, »laß Deine Hartnäckigkeit Dir nicht das Urtheil sprechen, bis Du gesehen und wohl erwogen hast, welches Schicksal Dich erwartet. Denke nicht, ich spräche nur so, um Dich zu schrecken, und spekulirte auf die Feigheit Deines Stammes. Ich schwöre Dir bei dem, woran Du nicht glaubst, beim heiligen Evangelium, das unsere allein selig machende Kirche lehrt, und bei den Schlüsseln, die dagege ben sind zu binden und zu lösen, daß mein Wille unerschütterlich fest steht. Dies Gefängniß ist kein Platz zu Späßen. Tausendmal vornehmere Personen als Du haben ihr Leben innerhalb dieser Mauern ausgehaucht und ihr Geschick ist nie bekannt geworden. Allein für Dich ist ein langsamer Martertod bereitet, gegen den der ihrige nur eine Lust war.«

Hier winkte er den Sklaven abermals näher zu treten und [224] sprach mit ihnen in ihrer Landessprache, denn er war ebenfalls in Palästina gewesen und hatte dort vielleicht seine Grausamkeit gelernt. Alsbald holten sie aus ihren Packeten eine Menge Kohlen, zwei Blasebälge und eine Flasche mit Oel hervor. Indeß der eine Feuer anschlug, legte der andere die Kohlen auf den alten Rost und blies sie an, bis sie völlig glühten.

»Siehst Du, Jude,« sagte Front de Boeuf, »den Rost über der Gluth? Auf dieses warme Bett sollst Du zu liegen kommen, ganz nackend, indeß der eine Sklave das Feuer unter Dir erhält und der andere Deine Glieder recht hübsch mit Oel tränkt, damit der Braten nicht verbrennt. Nun wähle zwischen diesem Bette und der Zahlung von tausend Pfund Silber, denn, bei dem Haupte meines Vaters, eine andere Wahl bleibt Dir nicht.«

»Es ist unmöglich,« rief der unglückliche Jude, »es ist unmöglich, daß Du diesen Vorsatz ausführst! Der Gott, der die Natur schuf, hat keines Menschen Herz zu solcher Grausamkeit fähig erschaffen.«

»Baue nicht darauf, Isaak,« sagte Front de Boeuf, »Du könntest Dich irren. Denkst Du, daß ich, der eine Stadt plündern sah, wo tausend meiner christlichen Mitbrüder durch Feuer und [225] Schwert umkamen, durch das Geschrei eines elenden Juden mich werde von meinem Vorhaben abbringen lassen? Oder denkst Du, daß diese schwarzen Sklaven, welche kein Gesetz kennen, als ihres Herrn Willen, Mitleid mit Dir haben werden, da sie nicht einmal Dein Flehen verstehen können? Sei klug, alter Mann, entledige Dich eines Theiles Deines überflüssigen Reichthums, gib einen Theil davon in die Hände der Christen zurück, von denen Du ihn doch durch Wucher errungen hast. Deine List kann den leeren Beutel leicht wieder aufschwellen, aber kein Pflaster, kein Heilkraut Deine gebratene Haut und Dein versengtes Fleisch wieder herstellen, wenn Du einmal auf diesen Stangen gelegen hast. Zähle Dein Lösegeld auf, sag ich, und freue Dich, daß Du Dich um solchen Preis aus einem Gefängnisse befreien kannst, von dessen Geheimnissen nur wenig Lebende zu erzählen wissen. Ich verliere kein Wort mehr, wähle; wie Du wählst, mag es geschehen.«

»So mögen mir Abraham, Jakob und alle Erzväter unsres Volks beistehen,« sagte Isaak, »ich kann nicht wählen, denn ich bin nicht im Stande, Eure ungeheure Forderung zu erfüllen.«

»Ergreift ihn denn, Sklaven, zieht ihn aus,« rief der Ritter, »und laßt ihm seine Väter helfen, wenn sie's vermögen.«

Die Sklaven, die mehr durch des Barons Augen und Winke, als durch seine Worte geleitet wurden, traten vor, legten Hand an den unglücklichen Juden, rissen ihn auf vom Boden und hielten ihn zwischen sich, des hartherzigen Herrn ferneren Befehl erwartend. Isaak blickte auf ihre und Front de Boeufs Gesichter, in der Hoffnung, einige Spuren von Mitleid zu entdecken, allein das Gesicht des Barons zeigte jenes kalte, halbspöttische Lächeln, welches immer der Vorläufer seiner Grausamkeiten war, und das wilde Auge der Saracenen, das unter den dunklen Brauen rollte und einen noch düsterern Ausdruck durch den großen, weißen Kreis erhielt, der ihre Pupillen umgibt, bewies mehr das geheime Vergnügen, das sie sich von der bevorstehenden Scene versprachen, als ein mögliches Widerstreben gegen den Willen des Anordners. Jetzt blickte der Jude auf die glühenden Kohlen, auf die er gelegt werden sollte, und da er sah, daß seine Peiniger durchaus nicht zu erweichen waren, verließ ihn seine frühere Entschlossenheit.

»Ich will sie bezahlen, die tausend Pfund Silber,« sagte er, [226] »das heißt,« setzte er nach einer augenblicklichen Pause hinzu, »mit Hilfe meiner Brüder, denn ich muß gehen als ein Bettler von Thür zu Thür, ehe ich eine so unerhörte Summe zusammenbringe. Wann und wo soll sie abgeliefert werden?«

»Hier, hier!« versetzte Front de Boeuf, »hier muß sie gewogen werden, gewogen und bezahlt, oder denkst Du, ich werde Dich frei lassen, ehe das Lösegeld gesichert ist.«

»Und was ist denn meine Sicherheit,« sagte der Jude, »daß ich wirklich frei kommen werde, wenn ich das Lösegeld bezahlt habe?«

»Das Wort eines edlen Normanns,« sagte Front de Boeuf, »die Treue eines normännischen Edelmanns, reiner als Dein Gold und Silber und das Deines ganzen Stammes« –

»Ich bitte demüthig um Verzeihung, edler Lord,« versetzte Isaak furchtsam, »allein warum soll ich mich denn ganz allein auf das bloße Wort eines Mannes verlassen, der dem meinen nicht trauen will?«

»Weil Du Dir nicht anders helfen kannst, Jude,« sagte der Ritter finster. »Wärst Du in Deiner Schatzkammer zu York, und ich käme zu Dir, Dich um ein Darlehn zu bitten, dann könntest Du die Zeit der Zahlung und das Sicherheitspfand bestimmen. Aber das hier ist meine Schatzkammer, hier bin ich im Vortheil über Dich, und so wiederhole ich die Bedingungen nicht noch einmal, unter denen ich Dir die Freiheit bewillige.«

Der Jude weinte bitterlich. »Versprich mir wenigstens,« sagte er, »mit meiner eigenen Freiheit auch die meiner Reisegefährten. Sie verachteten mich zwar als einen Juden, allein sie hatten doch Mitleid mit meiner Verzweiflung, und weil sie sich unterwegs verweilten, mir zu helfen, ist ein Theil meines Unglücks auch über sie gekommen; überdies mögen sie auch wohl etwas zu meinem Lösegeld beitragen.«

»Wenn Du die Sachsen meinst,« wiederholte Front de Boeuf, »so sage ich Dir, daß ihre Befreiung an ganz andere Bedingungen geknüpft ist als die Deine. Bekümmere Dich doch nur um Dich, Jude, und nicht um die andern.«

»Also ich allein soll die Freiheit erhalten, aber doch mit meinem verwundeten Freunde?«

[227] »Bekümmere Dich nur um Dich, Jude,« versetzte Front de Boeuf, »Du hast gewählt, zahle Dein Lösegeld, und zwar bald.«

»Aber höre mich nur,« sagte der Jude, »um des nämlichen Reichthums willen, den Du von mir erzwingen willst auf Kosten Deines« – hier hielt er inne, denn er fürchtete den wilden Normann zu beleidigen; aber Front de Boeuf lachte und füllte die Lücke aus, welche der Jude in seiner Rede gelassen hatte, – »auf Kosten meines Gewissens wolltest Du sagen, sprichs nur aus, Isaak, ich sage Dir, ich bin billig; ich kann Vorwürfe ertragen von einem, der im Verlust ist, und wenns auch ein Jude wäre. Aber kurz und gut, Jude, wann soll ich mein Geld bekommen?«

»Laßt meine Tochter nach York gehen, unter sicherem Geleite, und sobald als Mann und Pferd zurückkehren, sollst Du Deine« – hier weinte er wieder bitterlich, setzte aber nach einer Pause von einigen Sekunden hinzu, »Deine Zahlung in diesem Raume empfangen.«

»Deine Tochter,« sagte Front de Boeuf wie verwundert, »beim Himmel, Isaak, das hätt' ich eher wissen sollen! Ich dachte mir, daß das schwarzlockige Mädchen Deine Concubine wäre, und gab sie dem Ritter Brian de Bois-Guilbert zur Kammerjungfer, nach der Sitte der Patriarchen und Helden alter Zeit, die uns ja in dieser Art ein recht heilsames Beispiel gegeben haben.«

Der entsetzliche Schrei, den Isaak bei dieser so gefühllos vorgebrachten Nachricht ausstieß, machte das Gewölbe erschallen und betäubte selbst die beiden Saracenen dergestalt, daß sie den Juden los ließen. Dieser benutzte seine Freiheit und warf sich Front de Boeuf zu Füßen, dessen Knie er umschlang.

»Nehmt alles, was Ihr gefordert habt,« sagte er, »nehmt das Zehnfache, macht mich bettelarm, ja, durchbohre mich mit Deinem Dolche, brate mich lebendig dort auf dem Roste, nur schone meines Kindes, laß meine Tochter unentehrt von dannen! So wahr Du selbst vom Weibe geboren bist, schone die Ehre eines hilflosen unschuldigen Mädchens. Sie ist das Ebenbild meiner verstorbenen Rahel, das letzte von sechs Pfändern ihrer Liebe! Willst Du mich meines letzten Trostes, einen alten verlaßnen Vater seiner einzigen Stütze berauben? Willst Du, daß er wünschen soll, sie läge lieber im Grabe bei ihrer Mutter?«

[228] Der Normann gab sich den Schein, als werde er etwas nachgiebiger. »Ich wünschte,« sagte er, »ich hätte das etwas früher erfahren. Ich dachte mir, Euer Stamm liebte nichts weiter als seine Geldsäcke.«

»Denke nicht so schnöde von uns,« schrie der Jude, der den Augenblick, wo anscheinend Mitgefühl in des Ritters Busen herrschte, benutzen wollte, »der gehetzte Fuchs, die gequälte Wildkatze liebt ihre Jungen, der verachtete und verfolgte Stamm Abrahams liebt auch seine Kinder.«

»Mag sein,« sagte Front de Boeuf, »künftig will ichs glauben, um Deinetwillen, Isaak – aber das hilft uns jetzt nichts mehr; ich habe meinem Waffenbruder mein Wort verpfändet und das breche ich um zehn Juden und Jüdinnen nicht. Uebrigens, was denkst Du denn, daß dem Mädchen groß Uebles widerfahren wird, wenn sie Bois-Guilbert als Beuteantheil erhält?«

»Das wird, das muß geschehen,« schrie Isaak und rang die Hände in Verzweiflung, »dann ist sie verloren; wann athmeten die Templer etwas anderes als Grausamkeit gegen die Männer und Entehrung gegen die Frauen?«

»Hund von einem Ungläubigen!« schrie Front de Boeuf mit blitzenden Augen, und erfreut, einen Vorwand seiner Leidenschaft zu haben, »lästere nicht den heiligen Boden des Tempels von Zion, denke vielmehr daran, wie Du mich bezahlen willst, sonst wehe Dir!«

»Räuber und nichtswürdiger Schurke!« schrie der Jude außer sich, denn er konnte die kochende Leidenschaft und sein gerechtes Rachegefühl nicht mehr unterdrücken, »nichts, nichts werde ich Dir zahlen, nicht einen rothen Pfennig, ehe mir meine Tochter nicht ausgeliefert ist.«

»Bist Du von Sinnen, Jude?« sagte der Normann finster. »Ist Dein Fleisch und Blut gefeit gegen glühend Eisen und siedend Oel?«

»Ich fürchte es jetzt nicht mehr,« versetzte Isaak, dem Vaterliebe den edelsten Heroismus einflößte, »thue Dein Aergstes! Mein Kind ist eben so mein Fleisch und Blut, mir aber tausendmal theurer als diese Glieder, die Deine Grausamkeit bedroht. Nicht einen Silberheller sollst Du erhalten von mir, es sei denn geschmolzen [229] und in Deinen gierigen Schlund gegossen, Du Nazarener, und könnte ich Dich damit von der ewigen Verdammniß retten, die jeder Augen blick schon verdient, den Du in diesem Leben geathmet. Ja, nimm mir, nimm mir das Leben, aber erzähle dann auch, wie ein Jude mitten in den Todesqualen sich gefreut hat, eines Christen Habgier nicht befriedigt zu haben.«

»Das wollen wir doch gleich sehen,« sagte Front de Boeuf, »denn beim heiligen Kreuz, das Dein Stamm verabscheut, Du sollst Feuer und Stahl bis tief ins Lebendige fühlen. – Zieht ihn aus, Sklaven, und bindet ihn auf diese Eisenstangen.«

Bei dem nur schwachen Widerstande des alten Mannes hatten ihm die Blutknechte bald das Oberkleid abgezogen und waren dabei, ihn gänzlich zu entkleiden, als man vor dem Schlosse zweimal gewaltig ins Horn stoßen hörte. Dieser Klang rief Front de Boeuf sofort ab. Voll Unwillen über diese Störung gab der Baron den Sklaven ein Zeichen, dem Juden das Gewand zurückzugeben, und verließ mit ihnen den Kerker. Isaak sank erschöpft auf die Knie und dankte dem Gotte seiner Väter für die augenblickliche Rettung aus der entsetzlichen Noth.

23. Kapitel

[230] [232]Kapitel XXIII.

Nun, wenn der milde Geist beredter Worte

Auf keine Art zu sanfter Weis' euch stimmt,

So werb' ich, wie Soldaten, mit Gewalt,

Und Liebe wird, sich selbst entartet, Zwang.


Die beiden Veroneser.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe Bd. V, S. 278.)


Das Gemach, in welches Rowena gebracht worden war, zeigte Spuren von roher Pracht und Zierath, und es konnte den andern Gefangnen gegenüber als ein besondrer Beweis von Achtung angesehen werden, daß man sie hier untergebracht. Front de Boeufs Gemahlin, für welche diese Einrichtung ursprünglich gemacht worden, war längst todt, und Zeit und Vernachlässigung hatten die wenigen Dekorationen, die ihr Geschmack einst in dem Zimmer angebracht, verdorben. Die gestickte Wandbekleidung hing an manchen Stellen zerrissen herab, an andern war sie von der Sonne geblichen und farblos geworden, oder durch den Zahn der Zeit morsch und unscheinbar gemacht. Immerhin blieb dieses Zimmer noch das beste und passendste zur Aufnahme der sächsischen Dame. Hier durfte sie einige Zeit über ihr Schicksal nachdenken.

Es war ungefähr um die Mittagsstunde, als de Bracy, zu dessen Vortheil eigentlich das ganze Unternehmen vollbracht worden war, bei der Dame erschien, um seine Absichten auf ihren Besitz weiter zu verfolgen. De Bracy hatte sich nach der stutzerhaften Mode jener Zeit geputzt. Den grünen Rock und die Larve hatte er abgelegt. Sein langes, üppiges Haar wallte in zierlichen Locken [232] auf seinen reich mit Pelz verbrämten Ueberrock herab. Den Bart hatte er sich sorgfältig scheeren lassen; sein Wamms reichte bis zur Hälfte der Schenkel, und der Gürtel, der es umschloß, und an dem zugleich das wuchtige Schwert hing, war mit goldner Stickerei geziert. Der wunderlichen Form des damaligen Schuhwerks ist oben bereits gedacht worden; die Spitzen an der Fußbekleidung de Bracys konnten sich mit denen der galantesten Herren messen, da sie nach oben zurückbogen und gewunden waren wie die Hörner eines Widders. Dies war die Tracht eines Stutzers jener Periode; und bei de Bracy wurde dieser Putz noch gehoben durch die hübsche Figur und das feine Benehmen des Eingetretenen, der in seinem Wesen die Grazie eines Höflings und das Zwanglose eines Kriegsmanns vereinigte.

Er grüßte Rowena, indem er sein Sammtbarett abnahm, das mit einer goldnen Brosche, die den Erzengel Michael in siegreichem Kampf mit dem Satan darstellte, geschmückt war. Zugleich lud er die Dame artig ein, auf einem Sessel Platz zu nehmen, und da sie immer noch stehen blieb, zog er seinen Handschuh aus, um sie auf den Sitz zu führen. Rowena lehnte das Compliment mit einer kurzen, aber sehr verständlichen Handbewegung ab, worauf sie hinzufügte:

»Wenn ich mich in Gegenwart meines Kerkermeisters befinde, wie mich alle Umstände vermuthen lassen, so ziemt es der Gefangenen am besten ihr Urtheil stehend zu erwarten.«

»Ach, schöne Rowena!« erwiderte de Bracy, »Ihr befindet Euch in Gegenwart Eures Gefangenen, nicht Eures Kerkermeisters, und aus Euren schönen Augen muß de Bracy das Urtheil empfangen, das Ihr von ihm erwartet.«

»Herr, ich kenne Euch nicht,« sagte Rowena mit dem vollen Stolze beleidigter Schönheit und Würde, »ich kenne Euch nicht; und die aufdringliche Vertraulichkeit, mit der Ihr das alberne Geschwätz eines Gecken an mich richtet, entschuldigt schlecht die Gewaltthat eines Räubers.«

»Dir selbst, schönes Mädchen,« antwortete de Bracy in dem vorigen Tone, »Dir selbst und Deinen Reizen mußt Du es zuschreiben, was ich gegen den Respekt gethan habe, den ich der schulde, die ich zu meiner Herzenskönigin, zum Leitstern meiner Augen erwählt habe.«

[233] »Ich wiederhole Euch, Ritter, Ihr seid mir unbekannt, und kein Mann, der Kette und Sporen trägt, sollte sich in dieser Weise zu einer schutzlosen Dame drängen.«

»Daß ich Euch unbekannt bin,« sagte de Bracy, »ist freilich ein Unglück für mich; aber lasset mich hoffen, daß de Bracys Name nicht immer ungenannt geblieben ist, wenn Minstrels und Herolde die Thaten des Ritterthums gepriesen haben, seien es die auf dem Schlachtfelde oder in den Turnierschranken.«

»Den Minstrels und Herolden überlaß es denn auch, Deinen Ruhm zu verherrlichen, Ritter,« versetzte Rowena kalt, »denn für ihren Mund paßt das besser als für den Deinen. Indessen sage mir, wer von ihnen wird denn im Gesange oder in einem Turnierbuche den denkwürdigen Sieg über einen alten Mann preisen, den ein paar furchtsame Knechte begleiteten? – Wer wird die Trophäe besingen, die erbeutet ward, ein unglückliches Mädchen, die man wider ihren Willen in die Burg eines Räubers schleppte?«

»Ihr seid ungerecht, Lady Rowena,« sagte der Ritter, und biß sich vor Verwirrung in die Lippen. Er nahm darauf einen Ton an, der ihm natürlicher war als der affektirter Galanterie. »Da Ihr frei von Leidenschaft seid, habt Ihr keine Entschuldigung für die Raserei eines andern, selbst wenn diese durch Eure eigne Schönheit hervorgerufen wäre.«

»Ich ersuche Euch, Ritter,« sagte Rowena, »gebt eine Sprache auf, die längst im Munde herumziehender Minstrels entwürdigt worden ist. Wirklich, Ihr zwingt mich zum Sitzen, wenn Ihr Euch solcher Gemeinplätze bedient, von denen jeder gewöhnliche Fiedler einen so großen Vorrath besitzt, daß er von jetzt bis Weihnacht damit ausreicht.«

»Stolzes Dämchen,« sagte de Bracy zornig, da er sah, daß seine artige Stilistik ihm nur Verachtung eintrug, »stolzes Dämchen, Dir soll ebenso stolz begegnet werden. So wisse denn, daß ich meine Ansprüche auf Deine Hand in einer Weise unterstütze, die besser für Deinen Charakter paßt. Du willst lieber mit Schwert und Bogen geworben werden als in gewählten Ausdrücken und höflicher Rede.«

[234] »Wenn man sich einer höflichen Zunge bedient,« sagte Rowena, »um gemeine Handlungen zu verdecken, so gleicht sie dem Wehrgehänge eines Ritters über der Brust eines Knechtes. Ich wundere mich nicht, daß meine Zurückhaltung Euch in Harnisch bringt, wäre es doch überhaupt besser für Eure Ehre gewesen, Ihr hättet Gewand und Reden eines Geächteten beibehalten, als daß Ihr Handlungen eines solchen mit erheuchelten Artigkeiten und guten Manieren bemänteln wollt.«

»Ihr rathet mir gut,« sagte der Normann, »und darum sage ich Euch in der kühnen Sprache, die am besten kühne Handlungen rechtfertigt, Ihr werdet dieses Schloß nie verlassen, oder Ihr verlaßt es als das Weib Maurice de Bracys. Ich bin nicht gewöhnt, mir meine Unternehmungen durchkreuzen zu lassen; auch braucht ein normännischer Edling sein Benehmen gegen eine Sächsin, die er durch das Anerbieten seiner Hand auszeichnet, nicht gar so ängstlich zu rechtfertigen. Du bist stolz, Rowena, um so besser passest Du zu meinem Weibe. Durch welches andere Mittel könntest Du denn zu hohen Ehren und wahrhaft fürstlicher Stellung erhoben werden, als durch eine Vermählung mit mir? Wie anders könntest Du Dich befreien aus dem engen Umkreis eines Meierhofs, wo die Sachsen mit den Schweinen hausen, die ihren Reichthum bilden, um, wie Du es verdienst, Deinen Platz unter allem einzunehmen, was England Ausgezeichnetes an Schönheit und Machtstellung besitzt?«

»Herr Ritter,« erwiderte Rowena, »der Meierhof, den Ihr so verächtlich macht, ist der schützende Aufenthalt meiner Kindheit gewesen; und glaubt mir, wenn ich ihn verlasse, sollte dieser Tag überhaupt jemals anbrechen, so wird es nur an der Hand eines Mannes sein, der nie gelernt hat, die Wohnung und Lebensweise gering zu schätzen, in der ich auferzogen bin.«

»Ich errathe Eure Meinung,« sagte de Bracy, »obgleich Ihr zu glauben scheint, sie sei zu dunkel und tief für mein Begriffsvermögen. Aber träumt doch nicht, daß Richard Löwenherz je seinen Thron wieder einnehmen werde; noch viel weniger aber denke, daß Wilfred von Ivanhoe, sein Liebling, Dich zu seinem Fußschemel führen werde, damit er Dich als die Braut seines Günstlings begrüße. Ein andrer Bewerber als ich möchte bei Berührung dieser Saite vielleicht eine kleine Eifersucht verspüren, [235] allein mein fester Entschluß läßt sich durch eine so kindische und hoffnungslose Leidenschaft nicht ändern. Wisset also, Dame, daß auch dieser Nebenbuhler in meiner Gewalt ist, und es nur auf mich ankommt, ihn an Front de Boeuf zu verrathen, dessen Eifersucht ihm noch verderblicher werden könnte als die meine.«

»Wilfred hier?« sagte Rowena mit Verachtung. »Das ist ebenso wahr, als daß Front de Boeuf sein Nebenbuhler ist.«

De Bracy blickte sie einen Augenblick fest an; dann sagte er: »Weißt Du das wirklich nicht? Wußtest Du auch nicht, daß er in der Sänfte des Juden gereist ist? Eine recht passende Begleitung für einen Kreuzfahrer, dessen gewaltiger Arm das heilige Grab erobern wollte!« Dabei brach er in ein verächtliches Lachen aus.

»Und wenn er wirklich hier wäre,« versetzte Rowena, ihre innere Angst bezwingend, »worin sollte er Front de Boeufs Nebenbuhler sein? Oder was hätte er weiter zu fürchten, als eine kurze Gefangenschaft und ehrenvolle Auslösung nach Rittersitte?«

»Rowena,« sagte de Bracy, »bist denn auch Du in dem allgemeinen Irrthum Deines Geschlechts befangen, daß Nebenbuhlerschaft nur wegen weiblicher Reize entstehen könne? Weißt Du nicht, daß es auch eine Eifersucht der Ehre und des Ansehns gibt? Daß unser Wirth Front de Boeuf ihn, der ihm bei seinen Ansprüchen auf die schöne Baronie von Ivanhoe im Wege steht, ebenso schnell, unbedenklich und geräuschlos bei Seite schaffen würde, als wenn denselben irgend ein blauäugiges Mädchen vorzöge, um das er selbst wirbt. Sei freundlich gegen meinen Vorschlag, und der wunde Kämpfer soll von Front de Boeuf nichts zu fürchten haben; Du würdest ihn wahrhaftig sonst zu betrauern haben, da er sich in Händen befindet, die kein Mitleid kennen.«

»Um Gotteswillen, rette ihn!« rief Rowena, denn ihre Festigkeit erlag einen Augenblick unter dem schrecklichen Gedanken an das bevorstehende Schicksal des Geliebten.

»Ich kann, ich will es, – es ist meine Absicht,« versetzte de Bracy, »denn wenn Rowena die Braut de Bracys sein will, wer dürfte es dann wagen, Gewalt gegen ihren Verwandten, den Sohn ihres Vormunds, den Gespielen ihrer Jugend auszuüben? Aber mit Deiner Liebe mußt Du seine Rettung erkaufen. Ich bin nicht romantisch und thöricht genug, das Glück eines Menschen zu befördern [236] oder seinen Untergang zu verhindern, der zwischen mir und der Erfüllung meiner Wünsche als begünstigtes Hinderniß steht. Brauche Deinen Einfluß, suche bei mir um seine Rettung nach und – gerettet ist er; thue das Gegentheil und Wilfred stirbt, Du aber bist Deiner eignen Freiheit darum um nichts näher.«

Rowena versetzte: »Deine Rede hat in ihrer gleichgültigen Herzlosigkeit etwas, das sich nicht mit dem Schauder vereinigt, den sie zu enthalten scheint. Ich glaube nicht, daß Deine Absicht so abscheulich, noch daß Deine Macht so groß ist.«

»So schmeichle Dir denn mit diesem Glauben, bis Dich die Zeit eines andern belehren wird. Dein Geliebter liegt verwundet im Schlosse. Er ist ein Hinderniß zwischen Front de Boeuf und dem, was Front de Boeuf mehr liebt als Ruhm oder Schönheit. Was wird es mehr kosten als einen Dolchstoß, oder einen Speerschwung, um auf ewig den Gegner schweigen zu machen? Und scheute sich Front de Boeuf eine so offne That zu vertreten, laß seinen Arzt dem Kranken eine falsche Arznei reichen – laß den Diener oder seine Wärterin ihm nur das Kopfkissen fortnehmen – und Wilfred ist in seinem jetzigen Zustande ein Mann des Todes. Cedric ebenfalls –«

»Cedric ebenfalls,« wiederholte Rowena, »mein edelmüthiger Vormund und Beschützer! Ich verdiente das erlittene Leid, denn ich vergaß ihn und sein Schicksal über dem seines Sohnes.«

»Cedrics Schicksal hängt von Deiner Entscheidung ab,« sagte de Bracy; »ich lasse Dich allein, um darüber nachzudenken.«

Bisher hatte sich Rowena bei der Versuchung mit ungebeugtem Muthe benommen, aber dies geschah nur, weil sie die Gefahr nicht für ernsthaft und nahe hielt. Ihr natürlicher Charakter war sanft, furchtsam und zart, nur durch die Erziehung hatte er eine gewisse Kraft und Härte erhalten. Da sie gewöhnt war, alle, selbst Cedric ihren Wünschen sich fügen zu sehen, so besaß sie einen Muth und ein Selbstvertrauen, das immer entsteht, wenn unsere Umgebung uns fortwährend und unausgesetzt entgegenkommt. Sie begriff kaum, wie man ihrem Willen widerstreben, noch viel weniger, wie man ihn gänzlich unbeachtet lassen könnte. So war denn ihr Stolz und ihre Gewöhnung zu herrschen im eigentlichsten Sinne ein ihrem Charakter erst hinzugefügter Zug, der sie sofort verließ, sobald sich ihre Augen für die Gefahr ihres Geliebten, ihres Beschützers, [237] sowie für die eigne öffneten. Sie fühlte zum ersten Male in ihrem Leben, daß sich ihr Wille im Gegensatz zu einer überlegenen, des Schlimmsten fähigen Entschlossenheit befand. Nachdem sie sich im Kreise umgesehen, als suche sie eine Hilfe, die nirgends zu finden war, und nach einigen abgebrochenen Ausrufungen erhob sie ihre Hände zum Himmel und brach in jammervolle Klagen aus. Es war unmöglich, ein so schönes Wesen in solcher Angst ohne Mitgefühl zu sehen; auch de Bracy verspürte davon eine gewisse Wirkung auf sich, doch war er mehr verlegen als gerührt. Er war schon zu weit gegangen, um zurückzutreten, und dennoch ließ sich in Rowenas gegenwärtigem Zustande weder durch Gründe noch durch Drohungen irgend etwas ausrichten. Daher schritt er im Zimmer auf und nieder, und ermahnte das geängstigte Mädchen, sich zu fassen, war aber selbst zweifelhaft, wie er sein ferneres Betragen einrichten sollte.

Laß ich mich durch die Klagen und Thränen des Mädchens weich stimmen, dachte er, so verliere ich all die schönen Hoffnungen, um derentwillen ich so viel gewagt habe und habe den Spott des Prinzen Johann und seiner muntern Kameraden obendrein zu ertragen. Und dennoch passe ich schlecht zu der Rolle, die ich spiele. Ich kann in ein so schönes Gesicht nicht schauen, wenn es von Schmerz entstellt wird, noch in diese Augen, wenn sie von Thränen schwimmen. Ich wollte, sie hätte ihren früheren Stolz beibehalten, oder ich besäße einen größeren Antheil von Front de Boeufs dreifach gehärtetem Herzen.

Von solchen Gedanken bewegt, konnte er Rowena nur bitten, ruhig zu sein, und sie versichern, daß sie bis jetzt noch keinen Grund zu der Verzweiflung habe, der sie sich hingab. Aber grade als de Bracy diesen Trost anzubringen versuchte, wurde er durch die schmetternden langgedehnten Töne des Schlachthorns unterbrochen, die zugleich mit ihm alle andern Bewohner des Schlosses erschreckten.

Von sämmtlichen Bewohnern bedauerte wohl de Bracy die Unterbrechung des augenblicklichen Vorhabens am wenigsten, denn seine Verhandlung mit Rowena war bis zu einem Punkte gediehen, wo er es ebenso schwer fand, sein Unternehmen weiter zu verfolgen als ihm gänzlich zu entsagen.

24. Kapitel

[238] Kapitel XXIV.

Ich werb' um sie wie um sein Weib der Leu.


Douglas.


Während die eben geschilderten Scenen in andern Theilen des Schlosses vor sich gingen, erwartete die Jüdin Rebekka ihr Geschick in einem entfernten und abgesonderten Thurme. Zwei von den verkleideten Räubern hatten sie hierher gebracht und in eine kleine Zelle gestoßen, wo sie sich in Gesellschaft einer alten Frau befand, die ein sächsisches Lied vor sich hin murmelte, als wollte sie damit den Takt der Spindel angeben, die in ihren Fingern schnurrte. Sie erhob bei Rebekkas Eintritt das Haupt, und schielte das schöne Judenkind mit einem so feindseligen Blicke an, wie Alter und Häßlichkeit, wenn sie mit boshafter Gesinnung gepaart sind, ihn gewöhnlich auf Jugend und Schönheit zu werfen pflegen.

»Du mußt jetzt fort, alte Heuschrecke,« sagte einer von den Männern, »unser Herr befiehlt es. Du mußt dies Gemach einem schönern Gaste räumen.«

»Ei!« kreischte die Alte. »So also belohnt man Dienste? Es gab eine Zeit, wo mein bloßes Wort den besten Panzerreiter unter euch aus Sattel und Dienst geworfen hätte, und jetzt soll ich dem Befehl eines jeden Reiterknechts weichen.«

»Gute Frau Urfried, erhebt statt aller Bedenken lieber Euch selbst und macht Euch fort!« »Herren Gebot verlangt schnell Gehör,« sagte der andere Mann. »Du hast Deine guten Tage gehabt, alte Dame, aber Deine Sonne ist nun längst unter. Du bist jetzt das wahre Ebenbild einer alten abgedankten Schlachtmähre, die zu ihrer [239] Zeit in stolzem Schritt einherging und nun steif dahin humpelt. Komm, komm! humple nur hinweg!«

»Mög euch doch beiden Unheil auf den Fersen folgen und ihr im Hundestall verenden! Möge Niccus, der böse Wasserriese mich Glied um Glied zerreißen, wenn ich meine Zelle eher verlasse, als bis ich den Hanf von meinem Rocken vollends abgesponnen.«

»Das will ich unserem Herrn sogleich melden, alter Drache!« sagte der Knecht und entfernte sich. Rebekka aber blieb bei dem alten Weibe zurück, in deren Gesellschaft sie mit Gewalt gedrängt worden war.

»Welche Teufelei haben sie nur wieder vor,« murmelte die Alte vor sich hin, und warf dabei einen stechenden feindseligen Blick auf Rebekka. »Leicht zu errathen! Funkelnde Augen, schwarzes Haar, Haut wie Papier, ehe der Pfaffe es mit seiner schwarzen Salbe besudelt. Es ist klar, warum man sie hieher in den einsamen Thurm schickt, wo man einen Schrei ebenso wenig hören kann, wie fünfhundert Klaftern tief in der Erde. Ei, ei, Schönchen, Eulen wirst Du hier zur Gesellschaft haben; und ihr Geschrei wird ebenso weit gehört und beachtet werden wie das Deine. Ausländerin noch dazu!« fuhr sie fort, und beschaute Rebekkas Kleidung und Kopfputz. »Aus welchem Lande denn? Aus welchem Lande? Saracenin? Oder aus Egypten? Nun, Deine Antwort, Püppchen, Deine Antwort! Kannst nur weinen? kannst nicht sprechen?«

»Sei nicht böse, gute Mutter,« wimmerte Rebekka.

»Brauchst mir nicht mehr zu sagen,« versetzte Urfried, »man kennt den Fuchs, der den Schwanz schleppt, an der Schneespur, das Judenkind an der Sprache.«

»Um Gottes Barmherzigkeit willen,« sagte Rebekka, »sprich, was habe ich als Ende der Gewaltthat, die mich hieher führte, zu erwarten? Ist es mein Leben, das sie verlangen? Soll ich büßen für meinen Glauben? O, gern, gern bringe ich es als Opfer dar!«

»Dein Leben, Püppchen? Was für Vergnügen würde es ihnen machen, Dir bloß das Leben zu nehmen? Nicht doch! Dein Leben ist ungefährdet. O, man wird Dich sogar behandeln, wie man einst eine sächsische Edle zu behandeln für gut fand. Soll eine Jüdin klagen, daß sie kein besseres Loos erwartet? Schau mich [240] an! Auch ich war jung und zweimal schöner als Du bist, da stürmte Front de Boeuf, Reginalds Vater, dieses Schloß. Mein Vater und seine sieben Söhne vertheidigten ihr Erbe von Treppe zu Treppe, von Thür zu Thür. Da war kein Gemach, keine Stufe, die nicht von ihrem Blute getrieft hätte. Sie fielen, sie fielen alle, einer nach dem andern; und ehe ihre Leichen kalt waren, ehe ihr Blut trocknete, war ich schon die Beute und der Spott des Siegers geworden.«

»Ist denn hier keine Hilfe? Kein Mittel zu entrinnen?« sagte Rebekka. »Reichlich, reichlich kann und will ich Deinen Beistand vergelten!«

»Ach,« sagte die Alte, »von hier ist kein andres Entkommen als durch die Pforten des Todes; und es wird spät, spät,« setzte sie hinzu, ihr graues Haupt schüttelnd, »ehe die sich uns öffnen! Aber es ist ein Trost dabei, daß wir auf Erden die zurücklassen, die ebenso elend sein werden wie wir. Leb wohl, Jüdin! Jüdin oder Heidin, Dein Loos würde das nämliche sein. Du hast mit Leuten zu thun, die kein Gewissen, kein Erbarmen kennen. Leb wohl, sage ich; mein Tagewerk ist abgesponnen, Deins geht erst an.«

»Bleib! um Gottes Willen, bleib!« schrie Rebekka außer sich, »wäre es auch nur, um mir zu fluchen, mich zu verwünschen; aber Deine Gegenwart schützt mich doch.«

»Und wäre die Mutter Gottes selbst zugegen, so würde Dirs kein Schutz sein,« versetzte die Alte. »Dort steht sie,« fuhr sie fort, auf ein roh gemeißeltes Bild der Madonna zeigend, »sieh zu, ob sie das Loos abwenden wird, das Dich erwartet. Mich hat sie nicht geschützt.«

Mit diesen Worten verließ sie das Gemach, ihre Züge zu einer Art höhnischen Lachens verzerrend, das ihr Gesicht noch widriger machte, als es an sich war. Sie schloß die Thür hinter sich und Rebekka konnte ihre Flüche auf jeder Stufe hören, als sie die steile Thurmtreppe hinabkeuchte.

Rebekka mußte ein noch weit schrecklicheres Loos erwarten, als Rowena. Denn wie war daran zu denken, daß man Milde und Anstand gegen ein Mädchen des unterdrückten Judenvolkes beobachten würde, wenn man auch einen Schein von Rücksicht gegen eine sächsische Erbin annehmen mochte? Indessen hatte die Jüdin [241] vor Rowena den Vorzug, daß sie durch Gewöhnung zum Nachdenken und durch die natürliche Stärke des Gemüths besser vorbereitet war, persönlichen Gefahren zu begegnen. Schon von zarter Jugend an von ernstem sinnendem Charakter, hatte sie sich durch den Reichthum und die Pracht, die ihr Vater innerhalb seiner vier Wände entfaltete, und die sie in den Häusern andrer reicher Juden fand, durchaus nicht über die Gefahren täuschen lassen, unter denen man sie genoß. Wie Damokles bei dem berühmten Mahle erblickte Rebekka unaufhörlich mitten in Glanz und Luxus das Schwert, welches an einem Pferdehaare über den Häuptern der Ihrigen hing. Diese Betrachtungen hatten einen Charakter, der unter andern Umständen leicht hochfahrend, stolz und hartnäckig hätte werden können, gezähmt und einsichtsvoll macht.

Durch ihres Vaters Beispiel und Anleitung hatte Rebekka gelernt, sich gegen alle ihre Untergebenen artig zu benehmen. Sie war freilich nicht im Stande, seine übertriebene Unterwürfigkeit nachzuahmen, weil ihr die Niedrigkeit der Gesinnung und der immerwährende Zustand von Furcht und Angst fremd war, der jene Gesinnung erzeugte; allein sie benahm sich mit einer Art stolzer Demuth, als unterwerfe sie sich gewissermaßen den unglücklichen Verhältnissen, indeß sie das Selbstbewußtsein in sich trug, durch ihren Werth zu einer höheren Stufe berechtigt zu sein, als religiöser Fanatismus und willkürliche Tyrannei ihr anzuweisen für gut fanden. So war sie stets auf Widerwärtigkeiten gefaßt, und hatte damit die Festigkeit erworben, in den Kampf gegen dieselben einzutreten.

Ihre erste Sorge war, das Gemach zu untersuchen; es gewährte ihr wenig Hoffnung auf Schutz oder Flucht. Außer der Thür, durch die sie hereingeschoben war, hatte der Raum zwar weder geheime Eingänge noch Fallthüren, sondern schien nur von der run den Thurmmauer umschlossen, aber inwendig hatte die Thür weder Riegel noch Schloß. Das einzige Fenster ging auf eine Thurmzinne, die Rebekka anfangs einige Hoffnung auf Flucht zu versprechen schien. Aber sie fand bald, daß dieser Raum mit keinem andern Theile der Mauer zusammenhing und einen Balkon bildete, der wie gewöhnlich durch eine Brustwehr mit Schießscharten geschützt war. Es blieb ihr also nichts übrig als duldende Festigkeit [242] und jenes muthige Gottvertrauen, das edlen und großen Seelen jederzeit eigen ist.

Trotzdem bebte die Gefangene und wurde bleich, als sie den Tritt eines Menschen auf der Treppe hörte, die Thür des Gemachs sich langsam öffnete, und ein großer Mann, wie einer jener Banditen gekleidet, denen sie ihr Unglück zuschreiben mußte, langsam hereintrat und die Thür hinter sich schloß. Seine Mütze, die er tief herabgezogen hatte, verdeckte den obern Theil des Gesichts, und den Mantel hielt er so, daß die übrige Gestalt verhüllt war. So verkleidet, als schäme er sich seines Vorhabens, trat er vor die erschrockene Gefangene. Gleichwohl schien er in Verlegenheit zu sein, Rebekka den eigentlichen Vorsatz anzukündigen, der ihn hergeführt. So fand sie Zeit seiner Erklärung zuvorzukommen. Sie nahm zwei Armbänder und ein Halsband ab und reichte den Schmuck dem vermeintlichen Räuber dar.

»Nehmt dies, guter Freund,« sagte sie, »und seid um Gottes Willen barmherzig gegen mich und meinen alten Vater. Dieser Schmuck ist werthvoll, und doch ist es nur eine Kleinigkeit gegen das, was er hergeben wird, damit wir frei und ungekränkt dieses Schloß verlassen dürfen.«

»Schöne Blume Palästinas,« versetzte der Pseudo-Landflüchtige, »diese Perlen sind zwar orientalische, aber sie stehen an Weiße Deinen Zähnen nach. Diese Diamanten sind feurig, doch kommen sie an Glanz Deinen Augen nicht gleich. Lange, ehe ich mich diesem wilden Gewerbe widmete, habe ich geschworen, die Schönheit stets dem Reichthum vorzuziehn.«

»Thue Dir nicht selbst Unrecht,« sagte Rebekka, »nimm dieses Lösegeld, und sei mitleidig! Gold wird Dir Vergnügen erkaufen – uns mißhandeln kann Dir ja nur Gewissensbisse einbringen. Mein Vater wird bereitwillig Deine kühnsten Wünsche befriedigen; und wenn Du weise handeln willst, kannst Du Dir mit unserer Beute die Wiederaufnahme in die bürgerliche Gesellschaft erkaufen, kannst Verzeihung Deiner Vergehungen erhalten, und der Nothwendigkeit enthoben sein, ferner dergleichen zu begehen.«

»Wohl gesprochen,« versetzte der Geächtete in französischer Sprache, denn er schien es schwer zu finden, die Unterhaltung mit Rebekka sächsisch, wie er sie angefangen, fortzusetzen, »aber wisse, [243] schöne Lilie des Thales Baca, daß Dein Vater sich bereits in den Händen eines mächtigen Alchymisten befindet, der es wohl versteht, auch die verrosteten Stäbe eines Kerkers in Gold und Silber zu verwandeln. Der ehrwürdige Isaak befindet sich schon in einer Retorte, um alles aus ihm herauszudestilliren, was er werth hält, ohne daß es dazu meiner Bitte oder Hilfe bedarf. Dein Lösegeld mußt Du durch Liebe und Schönheit zahlen, andere Münze nehme ich nicht an.«

»Du bist kein Geächteter,« sagte Rebekka in derselben Sprache, in der sie angeredet worden, »ein Geächteter hätte ein solches Anerbieten nicht ausgeschlagen. Kein Geächteter in diesem Lande spricht die Sprache, in der Du mich jetzt anredest. Du bist kein Geächteter, sondern ein Normann, ein Normann vielleicht von edler Geburt; o, sei es auch durch Thaten, und wirf diese scheußliche Larve der Gewaltthätigkeit und Zügellosigkeit von Dir.«

»Und Du, die Du so gut zu rathen verstehst,« sagte Brian de Bois-Guilbert, indem er den Mantel zurückwarf, »Du bist keine wahre Tochter Israels, Du bist in allem, Schönheit und Jugend ausgenommen, eine wahre Hexe von Endor. Du hast Recht, schöne Rose von Saron, ich bin kein Geächteter, ich bin ein Mann, der eher Deine Arme und Deinen Hals mit Perlen und Diamanten zieren wird, die Dir so schön stehen, als Dich dieses Schmuckes berauben.«

»Was willst Du denn von mir, außer meinem Reichthum?« sagte Rebekka. »Unter uns kann nichts gemein sein, Du bist ein Christ und ich eine Jüdin. Unsere Verbindung würde den Gesetzen der Kirche und der Synagoge gleich sehr zuwider sein.«

»In der That,« versetzte der Templer lachend, »eine Jüdin heirathen? Des par Dieu! Nein, nicht wenn sie die Königin von Saba wäre. Wisse überdieß, holde Tochter Zions, und wenn der allerchristlichste König mir seine allerchristlichste Tochter und Languedoc zur Mitgift geben wollte, so könnte ich sie doch nicht heirathen. Es ist gegen mein Gelübde, ein Mädchen anders als par amour zu lieben, und so will ich Dich lieben. Ich bin ein Templer. Sieh hier das Kreuz meines heiligen Ordens.«

»Wagst Du es, Dich jetzt darauf zu berufen?« sagte Rebekka.

»Und wenn ich es wage,« versetzte der Templer, »Dich gehts [244] nichts an, denn Du glaubst nicht an das gesegnete Zeichen unserer Erlösung.«

»Ich glaube, was meine Väter mich lehrten,« sagte Rebekka, »und Gott mag mir vergeben, wenn mein Glaube irrig ist. Aber, Herr Ritter, welches ist der Eurige, wenn Ihr unbedenklich das anruft, was Euch das Heiligste ist, selbst in dem Augenblicke, wo Ihr im Begriffe seid, das feierlichste Eurer Gelübde, das eines Ritters und Priesters zu brechen?«

»Recht schön und würdig gepredigt, Tochter Sirachs,« versetzte der Templer; »aber, liebenswürdige Ecclesiastica, Deine beschränkten jüdischen Vorurtheile machen Dich blind gegen unsere hohen Vorrechte. Die Ehe freilich würde ein unverzeihliches Verbrechen für einen Tempelherrn sein. Aber was ich an geringeren Thorheiten begehe, davon werde ich schnell bei dem nächsten Präceptorium unsers Ordens absolvirt. Der weiseste der Monarchen, sowie sein Vater, dessen Beispiel Du doch für wichtig anerkennen mußt, beanspruchten Vorrechte, wie wir armen Soldaten des Tempels Zions durch unsern Eifer in seiner Vertheidigung sie uns erworben haben. Die Beschützer von Salomons Tempel dürfen doch auf Salomons Freiheiten Anspruch machen.«

»Wenn Du die Schrift nur liesest,« versetzte die Jüdin, »um Deine Schlechtigkeit und Deine Leidenschaft zu rechtfertigen, so ist Dein Verbrechen dem eines Menschen gleich, der aus den gesundesten und nothwendigsten Kräutern Gift zieht.«

Die Augen des Templers sprühten Feuer und Flammen bei dieser Antwort. »Höre, Rebekka,« sagte er, »bisher habe ich sanft mit Dir gesprochen, aber nun soll meine Sprache die eines Eroberers sein. Du bist die Gefangene meines Bogens und Speers, meinem Willen unterworfen durch die Gesetze aller Völker, daher werde ich auch nicht einen Zoll breit von mei nem Rechte abgehn, oder mich hindern lassen, mit Gewalt zu nehmen, was Du den Bitten versagst.«

»Nahe Dich nicht,« sagte Rebekka, »und höre mich, ehe Du eine solche Todsünde zu begehen Dich anschickest. Meine Kraft magst Du leicht überwältigen, denn Gott hat mich als ein schwaches Weib erschaffen und meine Vertheidigung dem Edelmuthe des Mannes anvertraut. Aber, Templer, ich werde Deine Schändlichkeit [245] von einem Ende Europas bis zum andern verbreiten. Dem Aberglauben Deiner Brüder werde ich verdanken, was ihr Mitleiden mir verweigern mag. Jedes Präceptorium, jedes Kapitel Deines Ordens soll es erfahren, daß Du, wie ein Ketzer, mit einer Jüdin gesündigt hast. Diejenigen, welche bei Deinem Verbrechen nicht erzittern, werden Dich für verflucht halten, daß Du das Kreuz, welches Du trägst, so entehrt hast, einer Tochter meines Volkes nachzugehn.«

»Dein Witz ist scharf,« entgegnete der Templer, der wohl wußte, daß ihre Rede keine Lüge war, und daß die Regeln seines Ordens auf das bestimmteste und unter den härtesten Strafen Liebeshändel, wie den seinen, verdammten, und daß zuweilen schon Degradation darauf gefolgt war. »Dein Witz ist scharf, allein laut muß Deine Klage sein, wenn man sie außerhalb der Mauern dieses Schlosses hören soll; innerhalb desselben verklingen sie ohne alle Wirkung. Eins nur, eins allein kann Dich retten, Rebekka! Unterwirf Dich Deinem Schicksal, nimm unsere Religion an, und Du sollst sogleich in einem Zustande von dannen gehen, daß manche normännische Dame ebenso an Pracht wie an Schönheit der Favoritin derbesten Lanze unter den Vertheidigern des Tempels nachstehen soll.«

»Meinem Schicksale mich unterwerfen,« sagte Rebekka, »heiliger Gott, welchem Schicksale! Deine Religion annehmen! Und was kann das für eine Religion sein, die in solch einem Scheusal wohnt? Du die beste Lanze der Templer? Elender Ritter, meineidiger Priester, ich verachte Dich! Ich trotze Dir! Der Gott Abrahams hat seiner Tochter einen Weg der Rettung eröffnet, selbst aus diesem Abgrunde der Schande!«

Mit diesen Worten öffnete sie schnell das Gitterfenster, welches zu dem Balkon führte, und in einem Augenblick stand sie am äußersten Rande desselben, so daß nichts sie von der grausenden Tiefe zu ihren Füßen trennte. Unvorbereitet auf solch einen verzweifelten Entschluß, denn sie hatte bisher ganz bewegungslos dagestanden, hatte Bois-Guilbert nicht Zeit gehabt, sie zu hindern oder sie aufzuhalten. Als er sich ihr jetzt nähern wollte, rief sie: »Bleib, wo Du bist, stolzer Templer! Einen Schritt näher, und ich stürze mich in den Abgrund; eher soll mein Körper an diesen Steinen zerschmettern als ein Opfer Deiner Rohheit werden!«

[246] Sie faltete die Hände und streckte sie zum Himmel empor, gleich als wollte sie um Erbarmung für ihre Seele flehen, ehe sie den furchtbaren Sprung thäte. Der Templer zögerte, und seine Entschlossenheit, die nie Mitleid empfunden oder dem Unglück nachgegeben hatte, wich der Bewunderung ihrer Seelenstärke.

»Komm herab, unbesonnenes Mädchen,« sagte er, »ich schwöre bei der Erde, dem Meer und dem Himmel, ich werde Dir kein Leid anthun.«

»Ich traue Dir nicht, Templer,« versetzte Rebekka, »Du hast mich die Tugenden Deines Ordens besser würdigen gelehrt. Das nächste Präceptorium würde Dich ja von einem Eide entbinden, der nichts weiter betrifft als die Ehre oder die Entehrung eines elenden jüdischen Mädchens.«

»Du thust mir Unrecht,« sagte der Templer, »ich schwöre Dir bei dem Namen, den ich führe, bei dem Kreuze auf meiner Brust, ja bei dem Schwerte an meiner Seite und dem alten Waffenschmucke meiner Väter schwöre ich, Du hast von mir keine Kränkung zu befürchten. Schone Dich, wenn auch nicht um Deiner selbst, doch um Deines Vaters willen! Ich will sein Freund sein, und in diesem Schlosse bedarf er eines mächtigen Freundes.«

»Ach,« sagte Rebekka, »leider weiß ich das nur zu gut! Darf ichs wagen, Dir zu trauen?«

»Möge mein Schild umgekehrt, mein Name entehrt werden,« sagte Brian de Bois-Guilbert, »wenn Du Dich über mich zu beklagen haben wirst. Manches Gesetz, manchen Befehl habe ich gebrochen, aber nie ein gegebenes Wort.«

»Nun, ich will Dir trauen,« sagte Rebekka, »aber nur so weit,« und sie stieg von der Spitze der Zinne herab und stellte sich an einen der Einschnitte. »Hier,« sagte sie, »nehme ich meinen Stand. Bleib wo Du bist, denn wenn Du Dich nur einen Schritt zu nähern wagst, so sollst Du sehen, wie ein jüdisches Mädchen seine Seele lieber Gott befiehlt, als ihre Ehre einem Templer.«

Während Rebekka so sprach, gab die erhabene und feste Entschlossenheit, die so herrlich mit der ausdrucksvollen Schönheit ihres ganzen Wesens übereinstimmte, ihren Blicken, Mienen und Bewegungen eine fast übermenschliche Würde. Ihr Blick war nicht ängstlich, ihre Wange nicht bleich, im Gegentheil, der Gedanke, daß ihr [247] Schicksal in ihren Willen gestellt sei, indem sie der Schande durch den Tod entgehen könnte, lieh ihrer weißen Haut eine röthere Farbe und ihrem Auge einen höheren Glanz.

Der stolze und muthvolle Bois-Guilbert gestand sich, daß er nie eine so lebensvolle und imponirende Schönheit gesehen habe.

»Laß Friede zwischen uns sein, Rebekka,« sagte er.

»Wenn Du willst, ja,« versetzte sie, »doch nur in dieser Entfernung.«

»Du brauchst mich nicht mehr zu fürchten,« sagte Bois-Guilbert.

»Ich fürchte Dich nicht. Dank dem Himmel, daß dieser Thurm so hoch ist, daß nichts, was herunterstürzt, am Leben bleiben kann; Dank dem Gott Israels! Ich fürchte Dich nicht!«

»Du thust mir Unrecht, wahrlich, Du thust mir Unrecht,« fuhr der Templer fort, »ich bin von Natur nicht, wofür Du mich halten mußt, hart, selbstsüchtig, unbarmherzig Ein Weib war es, das mich Grausamkeit lehrte, und an Weibern habe ich sie geübt, aber nicht an solchen, wie Du bist. Höre mich, Rebekka! – Nie ergriff ein Ritter seine Lanze mit mehr Liebe für seine Dame, als Brian de Bois-Guilbert. Sie, die Tochter eines kleinen Barons, dessen ganzes Erbe auf einen verfallenen Thurm und einen unfruchtbaren Weinberg, sowie auf wenige Morgen dürren Haidelandes in der Gegend von Bordeaux beschränkt war, o! ihr Name ward durch mich bekannt, wo nur glänzende Waffenthaten geschahen, er ward weiter verbreitet als der einer Dame, die eine Grafschaft zur Morgengabe besaß. – Ja,« fuhr er fort, indem er auf der kleinen Platform in einer Bewegung umherging, in der er Rebekkas Gegenwart ganz zu vergessen schien, »ja, meine Thaten, meine Gefahr, mein Blut machten den Namen Adelheid von Montemare von dem Hofe Castiliens bis zu dem von Byzanz bekannt. Doch – wie ward mir gelohnt? Als ich zurückkehrte mit dem theuer erkauften Ehrenzeichen, erkauft mit Blut und Mühen, fand ich sie vermählt – vermählt an einen gascognischen Landjunker, dessen Name nie gehört worden war außer dem Umkreise seines eigenen erbärmlichen Gutes! Treu liebte ich sie, und schwer habe ich mich gerächt wegen ihrer Untreue. Allein meine Rache ist auf mich selbst zurückgefallen. Seit dem Tage habe ich mich vom Leben und seinen Banden losgesagt. Kein zärtliches Weib soll mein Mannesalter beglücken, kein häusliches Glück mir blühen! [248] Mein Grab soll einsam und verlassen bleiben, und kein Sprößling den alten Namen Bois-Guilbert zu fernen Geschlechtern tragen. Zu den Füßen meiner Obern habe ich das Recht der Selbstbestimmung, der Unabhängigkeit niedergelegt. Der Templer, ein Sklav in jeder Beziehung, kann weder Land noch Gut besitzen, darf weder leben, lieben, noch für sich athmen, alles, alles nur nach dem Willen seiner Obern.«

»Aber,« sagte Rebekka, »welche Vortheile entschädigen denn für ein solches Opfer?«

»Die Macht zu rächen,« erwiderte der Templer, »und die Aussichten der Ehre.«

»Eine schlechte Entschädigung,« sagte Rebekka, »für die Hingabe von Rechten, welche der Menschheit Theuerstes bleiben.«

»Sage das nicht, Mädchen,« versetzte der Templer, »Rache ist ein Fest für Götter! Und wenn die Götter sich, wie uns die Priester lehren, diese selbst vorbehalten haben, so ist es geschehen, weil sie sie für einen Genuß halten, der zu köstlich ist für bloße Sterbliche. Und Ehre? Das ist eine Versuchung, die den Genuß des Glückes im Himmel selbst stören könnte.« – Hier hielt er einen Augenblick inne, dann setzte er hinzu: »Rebekka, Rebekka, wer den Tod der Entehrung vorziehen konnte, muß eine stolze und hohe Seele haben. Mein mußt Du werden! Doch starre mich nicht so an, nicht ohne Deinen Willen, nur auf Deine Bedingungen. Du mußt mit mir Hoffnungen theilen, größer, als man sie von dem Throne eines Monarchen erblickt. Höre mich, ehe Du antwortest, und urtheile, ehe Du mich verwirfst. Der Templer verliert, wie gesagt, seine gesellschaftlichen Rechte, seine Unabhängigkeit, er wird Glied eines mächtigen Körpers, vor welchem heut schon Throne erbeben, er gleicht dem einzelnen Regentropfen, der, sich mit dem Meere vermischend, ein Theil wird des ewig bewegten Oceans, welcher Felsen untergräbt und königliche Flotten verschlingt. Solch eine schwellende Fluth ist dieser mächtige Bund. Von ihm bin ich keines der kleinsten Glieder, bereits einer der Hauptbefehlshaber, und ich darf wohl einst auf den Stab des Großmeisters Anspruch machen. Die armen Streiter des Tempels werden nicht allein ihren Fuß auf den Nacken von Königen setzen, nein, unser gewappneter Tritt schreitet selbst den Thron hinan, unsere Eisenhand nimmt ihnen das Scepter aus der [249] Faust. Das Reich Eures umsonst erwarteten Messias bietet Euren zerstreuten Stämmen keine solche Macht dar, als die ist, auf die ich ziele. Nur einen feurigen Geist habe ich gesucht, sie mit mir zu theilen, und den habe ich in Dir gefunden.«

»Sagst Du das zu einer von meinem Volke?« erwiderte Rebekka. »Bedenke doch« –

»Berufe Dich nicht auf den Unterschied unseres Glaubens. In unsern geheimen Versammlungen verlachen wir solche Ammenmärchen Denke nicht, daß wir lange blind geblieben sind für den thörichten Götzendienst unserer Stifter, welche jedes Lebensglück verschworen, um den Genuß, als Märtyrer durch Hunger, Durst, Pestilenz und das Schwert der Wilden umzukommen, indeß sie sich vergebens bestrebten, eine öde Wüste zu vertheidigen, die nur in den Augen des blinden Aberglaubens einigen Werth haben konnte. Unser Orden hegte bald kühnere und weitere Absichten und fand eine bessere Entschädigung für die von ihm dargebrachten Opfer. Unsere unermeßlichen Besitzungen in allen Reichen Europas, unser hoher kriegerischer Ruf, der die Blüthe der Ritterschaft aus jedem Lande der Christenheit in unsern Kreis führt, dies alles ist Endzwecken gewidmet, von welchen sich unsere frommen Stifter nichts träumen ließen, und die auch den schwachen Seelen, die dem Orden noch nach den alten Grundsätzen sich zuwenden, und deren Aberglaube sie nur zu unsern folgsamen Werkzeugen macht, streng verborgen bleiben. Doch ich will Dir den Schleier unserer Geheimnisse nicht weiter lüften. Der Ton des Horns da draußen deutet auf etwas, was meine Gegenwart erfordert. Denke nach über das, was ich Dir gesagt habe. Lebe wohl! Ich sage nicht, vergib mir meine Gewaltthätigkeit, denn sie war nothwendig, mir Deinen Charakter zu enthüllen. Gold kann nur auf dem Prüfsteine erkannt werden. Bald kehre ich zurück, und dann sprechen wir weiter.«

Er trat zurück in das Thurmgemach, stieg die Treppe hinab und ließ Rebekka allein, weniger erschrocken über die Aussicht des Todes, dem sie so nahe gewesen war, als über die wilde Ehrfurcht des kühnen Mannes, in dessen Gewalt sie sich unglücklicherweise gegeben sah. Als sie selbst wieder in das Gemach zurückkehrte, war ihr erstes Geschäft, dem Gotte Jakobs für den Schutz zu danken, den er ihr bewiesen hatte, und um ferneren Schutz für sich und [250] ihren Vater zu flehen. Ein anderer Name noch mischte sich in ihr Gebet; es war der des verwundeten Christen, den das Schicksal gleichfalls in die Hand blutdürstiger Menschen, seiner erklärten Feinde, gegeben hatte. Das Herz bebte ihr freilich im Busen, als sich in ihre frommen Ergießungen das Andenken eines Mannes mischte, dessen Loos nie mit dem ihrigen sich vereinen konnte, eines Nazareners, eines Feindes ihres Glaubens, allein das Gebet war schon gesprochen, und kein enges Vorurtheil konnte Rebekka den Wunsch entlocken, das Geschehene ungeschehen zu wissen.

25. Kapitel

[251] Kapitel XXV.

's ist ein verdammtes Stück Schreiberei, wie ich nur je eins gesehen habe.


Sie gibt nach, um zu siegen.


Als der Templer in die Halle des Schlosses eintrat, fand er de Bracy bereits daselbst. »Eure Bewerbung,« sagte de Bracy, »ist vermuthlich, sowie meine, durch die geräuschvolle Herausforderung gestört worden. Doch Ihr kommt später und mit mehr Widerstreben, daher denke ich, Eure Unterredung ist angenehmer gewesen als die meinige.«

»Eure Huldigungen, die Ihr der sächsischen Erbin dargebracht, sind also unglücklich gewesen?« fragte der Templer.

»Bei den Gebeinen des Thomas Becket,« versetzte de Bracy, »die Lady Rowena muß gehört haben, daß ich den Anblick weiblicher Thränen nicht ertragen kann.«

»Ei,« sagte der Templer, »Du der Führer einer Freikompagnie und eines Weibes Thränen achten. Ein paar Tropfen, die auf die Fackel der Liebe spritzen, machen die Flamme nur noch leuchtender.«

»Wenns einige Tropfen gewesen wären,« erwiderte de Bracy, »aber das Mädchen hat ja geweint, um ein Wachtfeuer auszulöschen. Solch ein Händeringen und eine solche Augenflut hat es seit den Tagen der heiligen Niobe nicht gegeben, von der uns einst der Prior Aymer erzählte. Es muß ein Wassergeist in der schönen Sächsin stecken.«

»Und eine Legion böser Geister haust in dem Busen der schönen Jüdin,« entgegnete der Templer, »einer konnte ihr unmöglich diesen [252] unbezähmbaren Stolz und Trotz einflößen. Aber wo ist denn Front de Boeuf? Das Horn läßt sich immer gewaltiger hören.«

»Er unterhandelt mit dem Juden,« versetzte de Bracy kalt, »und Isaaks Geschrei hat wahrscheinlich die Horntöne übertäubt, denn wenn sich ein Jude von seinen Schätzen trennen soll, so überschreit er wohl zwanzig Hörner und Trompeten.«

Bald darauf erschien Front de Boeuf, der sich nur noch bei einigen Anordnungen verweilt hatte.

»Laßt uns doch nach der Ursache dieses verdammten Lärms sehen,« sagte Front de Boeuf, »hier ist ein Brief, und wenn ich recht sehe, ist er in sächsischer Sprache.«

Er wandte ihn in den Händen hin und her, gleichsam als glaube er endlich etwas davon zu verstehen, wenn er die Schrift umkehrte, und dann übergab er ihn de Bracy.

»Das mögen wohl Zauberrunen sein,« sagte de Bracy, der seine gute Portion Unwissenheit besaß, wie die gesammte Ritterschaft seiner Zeit – »unser Kaplan wollte mich einmal schreiben lehren, allein alle meine Buchstaben wurden Spieße und Schwerter, da gab der Kahlkopf den Versuch auf.«

»Gebt her!« sagte der Templer, »wir haben das von dem priesterlichen Charakter, daß wir einige Kenntnisse zur Erleuchtung unserer Tapferkeit besitzen.«

»Das wollen wir benutzen,« sagte de Bracy, »nun was enthält denn die Schrift?«

»Es ist eine förmliche Ausforderung,« entgegnete der Templer; »aber, bei unsren Frauen von Bethlehem, wenn es nicht ein närrischer Spaß ist, so ist es das seltsamste Cartel, das jemals über die Zugbrücke eines freiherrlichen Schlosses gesandt worden ist.«

»Spaß?« sagte Front de Boeuf, »ich möchte doch wissen, wer es wagen sollte, auf eine solche Art mit mir zu spaßen? – Lest, Sir Brian.«

Der Templer las sogleich Folgendes:

»Ich, Wamba, der Sohn des Witleß, Hofnarr eines edlen, freigebornen Mannes, Cedrics von Rotherwood, genannt der Sachse, und ich Gurth, der Sohn Beowulphs, Schweinehirt –«

»Du bist wohl toll?« sagte Front de Boeuf, den Lesenden unterbrechend.

[253] »Beim heiligen Lukas! es steht so da,« erwiderte der Templer und las weiter: »Ich Gurth, der Sohn Beowulphs, Schweinehirt bei besagtem Cedric, unter Beistand unserer Alliirten und Verbündeten, welche mit uns in dieser unserer Fehde gemeinschaftliche Sache machen, nämlich: des guten Ritters, für jetzt der schwarze Faullenzer genannt, thun Euch, Reginald Front de Boeuf, und Euren Alliirten und Mitschuldigen, wer sie auch sein mögen, zu wissen, daß, weil Ihr ohne angegebene Ursache und erklärte Fehde, auf unrechtmäßige, gewaltthätige Weise Euch der Person unsers Herrn und Gebieters, des besagten Cedric, bemächtigt habt; desgleichen der Person einer edlen, freigebornen Jungfrau, der Lady Rowena von Hargottstandstede, desgleichen der Person eines edlen und freigebornen Mannes, Athelstane von Coningsburgh; desgleichen der Personen einiger freigebornen Männer, ihrer Knechte, nicht minder einiger ihrer gebornen Leibeigenen; desgleichen eines gewissen Juden, Namens Isaak von York, und dessen Tochter, einer Jüdin, und einiger Esel und Pferde – welche edle Personen mit ihren Knechten und Sklaven, auch mit Pferden und Eseln, Juden und Jüdin, wie vorbesagt, sämmtlich in Frieden mit Seiner Majestät leben und als treue Unterthanen auf der Heerstraße gereist sind, – deshalb begehren wir und verlangen, daß besagte edle Personen, namentlich Cedric von Rotherwood, Rowena von Hargottstandstede, Athelstane von Coningsburgh, mit ihren Dienern, Knechten und Gefolge, desgleichen mit Pferden und Eseln, mit Jude und Jüdin, nebst allen ihren zugehörigen Gütern und Mobilien, binnen einer Stunde nach Ueberbringung dieses Briefes, uns oder denen, welche wir zur Empfangnahme ernennen, ausgeliefert werden, und zwar alles unberührt und ungekränkt an Leib und Gütern. Unterbleibt dies, so erklären wir Euch für Räuber und Verräther, und werden unsere Personen gegen Euch wagen in Schlacht und Belagerung, oder sonst wie; überhaupt aber unser Möglichstes zu Eurer Vernichtung und Vertilgung thun. Möge Euch Gott in seinen Schutz nehmen. Unterzeichnet von uns am Abende von St. Witholds Tage unter der Mahlstatteiche in Hart-Hill-Walk. Obiges geschrieben von einem heiligen Manne, Diener Gottes, unserer Frau und des heiligen Dunstan in der Kapelle von Copmanhorst.«

Unter dem Schreiben befand sich zuerst eine roh gekritzelte [254] Zeichnung von einem Hahnenkopfe und Kamme, mit einer Umschrift, die es für Wambas, des Sohnes von Witleß, Zeichen erklärte; darunter stand ein Kreuz, als Zeichen Gurths, des Sohnes Beowulphs; ferner waren zu sehen in rohen, kühnen Schriftzügen die Worte: Le Noir Fainéant, und zum Beschlusse ein ziemlich gut gezeichneter Bogen, als die Chiffre des Landsassen Locksley.

Die Ritter vernahmen die Vorlesung dieses Dokuments von Anfang bis zu Ende und sahen einander mit Erstaunen an, nicht wissend, was dies bedeuten sollte. De Bracy brach zuerst das Schweigen durch ein unmäßiges Gelächter, worin der Templer mit einiger Mäßigung einstimmte. Front de Boeuf aber schien über ihre unzeitige Lustigkeit unwillig zu werden.

»Ihr thätet wohl besser, meine Herren, wenn ihr, anstatt euch so unpassender Lustigkeit zu überlassen, darauf dächtet, wie ihr euch unter diesen Umständen benehmen solltet.«

»Front de Boeuf hat seine gute Laune nicht wieder bekommen [255] seit dem letzten Sturz« – sagte de Bracy zu dem Templer, »er fürchtet sich vor dem bloßen Gedanken einer Ausforderung, ob sie gleich von einem Narren und einem Schweinehirten herrührt.«

»Beim heiligen Michael,« erwiderte Front de Boeuf, »ich wollte, Du könntest das Abenteuer ganz allein bestehen, de Bracy! Die Burschen würden eine solche Unverschämtheit gewiß nicht gewagt haben, wenn sie nicht von einigen starken Banden unterstützt würden. Es sind Geächtete genug in diesem Walde, die über meinen Wildschutz wüthend sind. Ich ließ zwar nur einen auf der That Ertappten an das Geweihe eines Hirsches binden, der ihm in fünf Minuten den Garaus machte, und doch sind schon so viele Pfeile auf mich geflogen, als zu Ashby neben das Ziel geschossen wurden. Hast Du ausspähen lassen,« sagte er zu einem Diener, »durch was für eine Macht diese hochtrabende Ausforderung unterstützt wird?«

»Es sind wenigstens zweihundert Mann in dem Walde versammelt,« erwiderte der aufwartende Knappe.

»Das kommt davon,« sagte Front de Boeuf, »daß ich euch mein Schloß geliehen habe. Nun habt ihr mir auch noch dieses Hornissennest über den Hals gezogen.«

»Hornissen?« sagte de Bracy, »stachellose Drohnen sind es! Eine Bande von Schurken, welche sich lieber in Wälder flüchten und wilddieben, als um ihren Unterhalt arbeiten.«

»Stachellos?« versetzte Front de Boeuf, »ellenlange, gabelförmig gespitzte Pfeile, womit sie einen französischen Kronenthaler treffen, sind stachlig genug.«

»Schämt Euch, Ritter,« sagte der Templer, »laßt uns unser Volk auffordern und einen Ausfall machen! Ein Ritter, ja ein Bewaffneter ist genug für zwanzig solcher Bauern.«

»Genug und übergenug,« sagte de Bracy, »ich würde mich schämen, eine Lanze gegen sie einzulegen.«

»Ja freilich,« erwiderte Front de Boeuf, »wären es Türken oder Mauren, Herr Templer, oder elende französische Bauern, tapferer de Bracy; aber es sind englische Landsassen, über die wir keinen Vortheil haben, außer den, welchen wir aus unsern Pferden und Waffen ziehen, die uns jedoch in dem Dickicht des Waldes nicht viel helfen werden. Ausfall, sagst Du? Wir haben ja kaum Leute [256] genug, das Schloß zu vertheidigen. Meine besten Kerle sind zu York, und so ist es auch mit Eurem Haufen, de Bracy; wir haben kaum zwanzig, außer der Handvoll, die jenen tollen Streich ausführen mußten.«

»Du fürchtest doch nicht,« sagte der Templer, »daß sie Mannschaft genug zusammenbringen werden, um das Schloß zu stürmen?«

»O nein, Sir Brian,« entgegnete Front de Boeuf, »die Geächteten haben freilich einen unternehmenden Führer; allein da sie keine Maschinen, Sturmleitern und so weiter haben, kann mein Schloß ihnen recht wohl Trotz bieten.«

»Sende zu Deinen Nachbarn,« sagte der Templer, »laß diese ihr Volk sammeln und zur Befreiung dreier Ritter anrücken, welche von einem Narren und einem Schweinehirten in dem freiherrlichen Schlosse Reginald Front de Boeufs belagert werden.«

Diese Maßregel wurde nicht ausführbar befunden, und zwar weil die Belagerer gewiß alle Wege und Flüsse besetzt halten würden. Endlich vereinigte man sich, daß den Ausforderern eine vom Templer verfaßte schriftliche Antwort zugeschickt werden sollte. Dieser Brief lautete folgendermaßen:

»Sir Reginald Front de Boeuf nebst seinen edlen und ritterlichen Alliirten und Bundesgenossen nehmen keine Ausforderung aus den Händen von Sklaven, Leibeigenen oder Flüchtlingen an. Wenn der Krieger, der sich den schwarzen Ritter nennt, wirklich einen Anspruch auf die Ehre der Ritterschaft machen kann, so sollte er wissen, daß er sich durch seine gegenwärtige Verbindung entehrt und kein Recht hat, von Leuten edler Herkunft Rechenschaft zu fordern. Unsere Gefangenen betreffend, ersuchen wir Euch in christlicher Milde, einen Diener der Religion abzusenden, um ihre Beichte zu empfangen und sie mit Gott zu versöhnen; denn es ist unser fester Entschluß, sie diesen Vormittag noch hinzurichten und ihre Köpfe auf die Mauern des Schlosses zu stecken, um jedermann zu zeigen, wie gering wir diejenigen achten, welche sich um ihre Befreiung bemüht haben. Wir ersuchen euch daher nochmals, einen Priester zu senden, um sie mit Gott zu versöhnen, wodurch ihr ihnen den letzten irdischen Trost erweisen werdet.«

Der Brief wurde zusammengefaltet dem Knappen übergeben, und dieser stellte ihn dem außerhalb wartenden Boten zu, als die Antwort auf die von ihm überbrachte Botschaft.

[257] Der Landsasse, der nun seinen Auftrag gebührend ausgerichtet hatte, kehrte ins Hauptquartier der Verbündeten zurück, welches unter einer ehrwürdigen Eiche, ungefähr drei Bogenschüsse weit von dem Schlosse, aufgeschlagen war. Hier erwarteten Wamba und Gurth mit ihren Verbündeten, dem schwarzen Ritter, Locksley und dem jovialen Einsiedler, voll Ungeduld die Antwort auf ihre Herausforderung. Ringsum und in einiger Entfernung erblickte man manchen kühnen Landsassen, dessen Waldestracht und jedem Wetter trotzendes Aussehen ihre gewöhnliche Beschäftigung deutlich verrieth. Es hatten sich ihrer bereits an zweihundert versammelt, und mehrere andere wurden noch erwartet. Diejenigen, denen die Uebrigen gehorchten, zeichneten sich durch nichts aus, als durch eine Feder auf dem Hute; denn Kleidung, Waffen und anderes Geräth war bei allen gleich.

Außer dieser Truppe war bereits eine weniger geregelte und schwächere, bestehend aus den sächsischen Einwohnern des benachbarten Fleckens, desgleichen einigen Leibeigenen und Dienstknechten aus Cedrics weitläufiger Besitzung, als Beistand bei dem Befreiungswerke eingetroffen. Wenige von ihnen besaßen andere Waffen als solche, wie sie der Landmann bisweilen im Nothfall anwendet, zugespitzte Stöcke, Dreschflegel u.s.w. Denn die Normänner ließen aus Argwohn, wie gewöhnlich Eroberer zu thun pflegen, den besiegten Sachsen den Gebrauch der Waffen nicht. Diese Umstände machten denn auch den Beistand der Sachsen den Belagerten nicht so furchtbar, als ihre Zahl und ihre Begeisterung für eine gerechte Sache sie sonst gemacht haben würde. Den Anführern des bunten Haufens wurde das Schreiben des Templers jetzt überbracht.

Man wandte sich sogleich an den Kaplan, um den Inhalt zu erfahren.

»Bei dem Krummstabe des heiligen Dunstan! der mehr Schafe in den Schafstall gebracht hat, als sonst ein Heiliger des Paradieses,« sagte der würdige Geistliche, »ich kann euch das Geschreibsel nicht auslegen; ob's französisch oder arabisch ist, kann ich nicht herausbringen.«

Nachdem das Schreiben den Kreis durchlaufen hatte, ohne daß Einer es lesen konnte, sagte der schwarze Ritter: »So muß ich den Gelehrten machen.« Er überlas es erst für sich, dann dolmetschte er es seinen Verbündeten in sächsischer Sprache.

[258] »Hinrichten, den edlen Cedric!« rief Wamba, »beim Kreuz, Du irrst Dich, Herr Ritter.«

»Nein! mein werther Freund,« versetzte dieser, »ich habe euch die Worte genau wiedergegeben, wie sie hier stehen.«

»Nun, beim heiligen Thomas von Canterbury,« versetzte Gurth, »so müssen wir das Schloß haben, und sollten wir es mit unsern eigenen Händen niederreißen.«

»Wir haben auch nichts Anderes zum Niederreißen,« sagte Wamba; »doch die meinigen möchten kaum dazu passen, Mörtel und Kalk zu zerbröckeln.«

»Es ist nur ein Versuch, Zeit zu gewinnen,« äußerte Locksley; »sie wagen keine Handlung, wofür ich eine furchtbare Rache fordern könnte.«

»Ich wünschte,« sagte der schwarze Ritter, »es wäre jemand unter uns, der Zutritt ins Schloß gewänne, um zu sehen, wie es mit den Belagerten steht. Mich dünkt, da sie einen Beichtvater verlangen, der heilige Einsiedler könnte dabei seinen frommen Beruf erfüllen und zugleich den Spion spielen.«

»Zum Henker mit Deinem Rathe!« versetzte der Eremit; »ich sage Dir, Fainéant, wenn ich meine Mönchskutte ablege, so habe ich auch meine Priesterschaft, meine Heiligkeit und mein bischen Latein zugleich mitausgezogen, und bin ich in meiner grünen Jacke, dann kann ich besser zwanzig Stück Wild erlegen, als einer Christenseele Beichte hören.«

Man sah einander an und schwieg; da trat endlich Wamba hervor und sprach:

»Ich sehe, der Narr muß stets Narr bleiben und seinen Hals in eine Schlinge stecken, vor der weise Männer zurückschrecken. Ihr müßt wissen, meine theuern Vettern und Landsleute, daß ich erst Dunkelbraun trug, ehe ich bunt ging; daß ich nach einem heißen Fieber grade noch Witz genug behielt, ein Narr werden zu können. Ich hoffe, ich werde mit der Einsiedlerkutte und meinem bischen Latein unserem würdigen Cedric und seinen Leidensgefährten weltliche und geistliche Hilfe zu leisten schon im Stande sein.«

»Den Rock an! rasch, und pack Dich!« versetzte der schwarze Ritter; »die Zeit drängt, fort! fort!«

»Unterdessen,« sagte Locksley, »wollen wir den Platz so eng [259] einschließen, daß auch nicht eine Fliege Nachrichten daraus bringen soll. – Und Du guter Freund,« fuhr er zu Wamba fort, »Du sagst diesen Tyrannen, daß jede Gewaltthätigkeit, die sie sich gegen die Personen ihrer Gefangenen etwa erlauben möchten, an ihren eigenen aufs Strengste geahndet werden soll.«

»Pax vobiscum,« sagte Wamba, der sich nun in seine Verkleidung gehüllt hatte.

So redend, ahmte er den feierlichen Gang eines Mönches nach und ging, seinen Auftrag auszurichten.

26. Kapitel

[260] Kapitel XXVI.

Das wildste Roß ward öfters zahm,

Das trägste zeigte Muth.

Der Mönch die Narrenkappe nahm,

Der Narr spielt's Pfäfflein gut.


Ballade.


Als der Narr in der Kutte und Kapuze des Eremiten vor dem Schloßthore Front de Boeufs stand, fragte ihn der Wächter nach seinem Namen und Begehr.

»Pax vobiscum!« antwortete der Narr, »ich bin ein Mönch des Ordens vom heiligen Franciscus und komme in der Absicht, mein Amt bei den unglücklichen Gefangenen auszuüben, die in diesem Schlosse festgehalten werden.«

»Du bist sehr kühn,« versetzte der Pförtner, »Dich hieher zu wagen, wo außer unserm eigenen angezechten Beichtvater ein Hahn von Deiner Farbe gewiß seit zwanzig Jahren nicht gekräht hat.«

»Bitte, melde nur meine Ankunft dem Herrn des Schlosses,« versetzte Wamba; »ich werde schon gute Aufnahme finden, und der Hahn wird krähen, daß man ihn im ganzen Schlosse hören soll.«

Der Pförtner ging scheltend ab und brachte sogleich die Nachricht von der Ankunft des Mönchs den in der großen Halle Versammelten, worauf er Befehl erhielt, den heiligen Mann sogleich einzulassen, was ihn nicht wenig in Verwunderung setzte.

Wambas tollkühne Vermessenheit sank doch ein wenig, als er sich Front de Boeuf gegenüber sah; er brachte sein: »Pax vobiscum!« auf das er sich so sehr verließ, ziemlich ängstlich und zögernd heraus; indessen war Front de Boeuf gewohnt, ganz andere Leute[261] vor sich zittern zu sehen, so daß ihm Wambas Furchtsamkeit nicht gerade auffiel.

»Wer bist Du, und woher, Priester?« fragte er ihn.

»Pax vobiscum!« wiederholte der Narr, »ich bin ein armer Knecht des heiligen Franciscus, der, durch diese Wälder ziehend, unter Räuber gefallen ist, quidam viator incidit in latrones, wie es in der Schrift heißt. Diese Räuber nun haben mich in Euer Schloß gesendet, um zwei durch Eure hochachtbare Justiz verurtheilte Personen mit meinem geistlichen Zuspruche zu erquicken.«

»Recht, heiliger Vater,« erwiderte Front de Boeuf, »und kannst Du uns die Anzahl dieser Räuber nicht angeben?«

»Tapferer Herr, nomen illis legio, ihre Zahl ist Legion.«

»Faß Dich kurz! Wie viel? will ich wissen! oder, Priester, Dein Rock und Strick werden Dich schlecht beschützen.«

»Ach, Herr, cor meum eructavit, ich verging vor Furcht! So viel ich schließen kann, Landsassen, Bauern und Alles zusammen wohl an fünfhundert Mann.«

»Was!« sagte der Templer, der in diesem Augenblicke in die Halle trat, »sitzt der Wespenschwarm so dick? Nun so ists Zeit, die ganze Brut zu ersticken.« – Er nahm hierauf Front de Boeuf bei Seite und fragte ihn, ob er den Priester kenne?

»Nein!« sagte Front de Boeuf, »er ist aus einem entfernten Kloster.«

»Nun, so vertraue ihm Deinen Plan nicht in Worten an,« entgegnete der Templer, »laß ihn einen schriftlichen Befehl an de Bracys Freicompagnie überbringen, daß sie augenblicklich ihrem Anführer zu Hilfe eilen sollen. Unterdessen, und damit der heilige Mann keinen Verdacht schöpft, gestatte ihm frei umherzugehen, um die sächsischen Eber zur Schlachtbank vorzubereiten.«

»So sei es!« sagte Front de Boeuf und rief einen Diener, der Wamba zu dem Gefängnisse Cedrics und Athelstanes führen mußte.

Cedrics Ungeduld war durch die Einkerkerung aufs Höchste gestiegen. Er schritt von einem Ende der Halle zum andern mit dem Ansehen eines Kriegers, der zum Angriff eines Feindes oder in die Bresche eines belagerten Platzes stürmt; bisweilen mit sich selbst redend, bisweilen an Athelstane sich wendend, der mit stoischer Festigkeit den Ausgang des Abenteuers erwartete und indessen mit [262] großer Fassung die reichliche Mahlzeit verdaute, die er zu Mittag genossen hatte, unbekümmert, wie lange der Zustand der Gefangenschaft für ihn dauern möchte; ein Zustand, der doch schließlich, wie jedes irdische Leiden, seine Endschaft im Himmel finden müßte.

»Pax vobiscum!« sagte der Narr hereintretend; »der Segen des heiligen Dunstan, des heiligen Dionys, des heiligen Duthoc und aller andern Heiligen über euch!«

»Tritt nur ein,« antwortete Cedric dem vermeintlichen Geistlichen; »in welcher Absicht kommst Du hieher?«

»Um Euch aufzufordern, Euch zum Tode zu bereiten.«

»Unmöglich,« versetzte Cedric, »so frech und nichtswürdig sie auch sind, so wagen sie doch wohl solche offene und nutzlose Grausamkeit nicht.«

»Ach,« sagte der Narr, »lenkt man wilde Rosse mit seidenen Fädchen? – Bedenke, Cedric, und auch Du, tapferer Athelstane, was ihr im Fleische gesündigt habt, denn ihr werdet noch heute vor einem höhern Richter Rechenschaft ablegen müssen.«

»Hörst Du's, Athelstane?« sagte Cedric, »wir müssen unsere Herzen zu dieser letzten Handlung stärken; denn es ist doch besser, wir sterben wie Männer, als wir leben wie Sklaven.«

»Ich bin bereit,« sagte Athelstane, »der äußersten Bosheit Trotz zu bieten, und ich werde zum Tode mit derselben Fassung wie zu meinem Mittagsmahl gehen.«

»So beginn denn, Vater, mit Deinem heiligen Amte,« sagte Cedric.

»Wart einen Augenblick, guter Onkel,« versetzte der Narr in seinem natürlichen Tone; »sieh besser hin, ehe Du ins dunkle Kämmerlein hinabspringst.«

»Die Stimme kenn ich, so wahr ich lebe!« sagte Cedric.

»Es ist die Eures getreuen Leibeigenen und Spaßmachers,« versetzte Wamba, seine Kapuze zurückwerfend. »Hättet Ihr früher eines Narren Rath gehört, so würdet Ihr nicht hier sein. Hört ihn jetzt, und Euer Hiersein soll nicht mehr lange dauern.«

»Wie meinst Du das,« fragte der Sachse.

»Nimm dieses Kleid,« sagte Wamba, »und diesen Strick und gehe ruhig aus dem Schlosse; laß mir Deinen Mantel und Gürtel, um an Deiner Stelle den großen Sprung zu thun.«

[263] »Was?« sagte Cedric voll Erstaunen; »sie werden Dich hängen, armer Kerl!«

»Laßt sie thun, was sie für erlaubt halten,« sagte Wamba; »ich denke – ohne Eurer Herkunft nahe zu treten, – der Sohn des Witleß wird mit eben so viel Anstand an einer Kette hängen, als die Kette an seinem Ahnherrn, dem Alderman, hing.«

»Schön, Wamba,« erwiderte Cedric, »ich will Dein Begehr erfüllen; aber Du mußt Deinen Kleidertausch statt mit mir, mit dem edlen Athelstane vornehmen.«

»Nein, beim heiligen Dunstan!« versetzte Wamba, »darin läge wenig Vernunft. Altes Sachsenrecht ist, daß der Sohn des Witleß sterben muß, um den Sohn Herewards zu retten; aber es wäre nicht sonderlich weise von ihm, für einen zu bluten, dessen Väter ihm fremd waren.«

»Schurke,« sagte Cedric, »Athelstanes Väter waren Monarchen von England.«

»Mögen sie gewesen sein, wer sie wollen,« versetzte Wamba, »aber mein Hals steht zu gerade auf meinen Schultern, um sich leicht wenden zu lassen. Laßt mich für Euch sterben, oder laßt mich wieder gehn!«

»O, laßt doch den alten Baum fallen,« fuhr Cedric fort, »wenn nur die Hoffnung des edlen Waldes gerettet wird. Athelstane zu retten, ist die Pflicht eines jeden, in dessen Adern sächsisches Blut fließt. Ich und Du trotzen zusammen der Wuth unserer Tyrannen, indeß er, frei und gesund, den Muth unserer Landsleute belebt, uns zu rächen.«

Athelstane ergriff Cedrics Hand. »Nicht doch, Vater,« sagte er, wobei ein Gefühl ihn ergriff, wie es seinem Hause geziemte. »Ich bliebe lieber eine ganze Woche hier bei schnöder Gefängnißkost – bei Schwarzbrod und Wasser, als daß ich die Gelegenheit benützte, die der gutmüthige Leibeigene nur für seinen Herrn bestimmt hat.«

»Ihr nennt euch weise Männer, und mich einen Hansnarren; der Narr wird den Streit entscheiden und euch weitere Complimente ersparen. Ich bin wie Entenmichels Klepper, der nur von Entenmichel geritten sein will. Ich lasse mich durchaus für niemand hängen, außer für meinen angebornen Herrn.«

[264] »Geht also, edler Cedric,« sagte Athelstane, »versäumt die Gelegenheit nicht. Eure Gegenwart draußen kann unsere Freunde zu unserer Befreiung ermuthigen, Euer Zurückbleiben würde uns Alle verderben.«

»Und ist denn eine Aussicht auf Befreiung von außen?« sagte Cedric mit einem Blicke auf den Narren.

»Aussicht? Allerdings,« versetzte Wamba; »laßt Euch sagen, wenn Ihr Euch in meine Kleidung werft, so tragt Ihr den Rock eines Feldherrn. Fünfhundert Mann stehen draußen, und ich war diesen Morgen einer ihrer Hauptanführer. Meine Narrenkappe diente mir statt des Helms und mein Knittel statt des Commandostabs. Nun, wir werden bald sehen, was sie beim Tausche gewinnen. Ich fürchte, sie werden an Tapferkeit verlieren, was sie an Bedachtsamkeit hinzubringen. So leb denn wohl, Herr, und sei künftig freundlich gegen den armen Gurth und seinen Hund Packan; laß auch meine Narrenkappe in der Halle von Rotherwood aufhängen, zum Gedächtniß, daß ich mein Leben hingegeben habe für meinen Herrn, wie ein treuer – Narr.«

Die letzten Worte waren in einem Tone gesprochen, der zwischen Scherz und Ernst die Mitte hielt. Dem Sachsen standen die Thränen in den Augen.

»Dein Andenken soll erhalten werden,« sagte er, »so lange als Treue und Liebe auf Erden geachtet sind. Doch ich hege das Vertrauen, daß ich Mittel finden werde, Rowena und Athelstane und Dich ebenfalls, mein armer Wamba, zu retten, so daß Du mich in diesem Punkte nicht überbieten sollst.«

Die Kleidung war nun umgetauscht; aber ein Bedenken tauchte plötzlich in Cedric auf.

»Ich verstehe keine Sprache als meine eigene,« sagte er, »und wenig Worte von ihrem läppischen Normännisch. Wie soll ich mich denn als ein ehrwürdiger Bruder benehmen?«

»Der Zauber liegt in zwei Worten,« versetzte Wamba, ›Pax vobiscum,‹ das genügt auf alle Fragen. Ihr mögt gehen oder kommen, essen oder trinken, segnen oder fluchen, das Pax vobiscum hilft Euch überall durch. Es ist für den Mönch, was der Besen für die Hexe. Sprecht's nur in einem recht tiefen, dumpfen Tone, und es ist unwiderstehlich. Auf Ritter und Knappen, auf Wachen [265] und Wächter, auf Mann und Roß wirkt es wie eine Zauberformel. Ich glaube, wenn sie mich morgen sollten hängen wollen, was ich jedoch noch bezweifle, ich versuche das Gewicht dieser Worte selbst an den Vollstreckern des Urtheils.

»Nun denn,« sagte sein Herr, »ich bin schnell eingeweiht in den Orden. Pax vobiscum, ich werde mir das schon merken. Edler Athelstane, lebt wohl, und auch Du, mein armer Junge. Dein Herz ersetzt reichlich, was Dir am Verstande fehlt! Ich rette Euch, oder ich kehre zurück und sterbe mit Euch! Das Blut unserer sächsischen Könige soll nicht vergossen werden, während noch das meine in den Adern rinnt; auch soll kein Haar dem guten Burschen vom Haupte fallen, der sein Leben für das seines Herrn wagte, wenn Cedrics letzter Blutstropfen es hindern kann. Lebt wohl!«

»Lebe wohl, edler Cedric,« sagte Athelstane, »und bedenke, daß es zum Ordensbruder gehört, Erfrischungen anzunehmen, wenn sie ihm geboten werden.«

»Adjes, Onkel! und vergiß nicht Pax vobiscum!« fügte Wamba hinzu.

Mit solchen Ermahnungen zog Cedric zu seinem Unternehmen aus. Es dauerte auch gar nicht lange, so fand er Gelegenheit die Gewalt der Worte zu erproben, die ihm Wamba als allmächtig empfohlen hatte. In einem niedern und dunkeln Bogengange, durch den er zu der Halle des Schlosses zu gelangen suchte, wurde er von einer weiblichen Gestalt aufgehalten.

»Pax vobiscum!« tönte es von den Lippen des vermeintlichen Bruders; und als er schnell vorüberschlüpfen wollte, entgegnete eine sanfte Stimme: »Et vobis – quaeso, domine reverendissime, pro misericordia vestra!«

»Ich bin ein wenig taub,« versetzte Cedric auf gut sächsisch, indem er vor sich hinmurmelte: »Verdammt, der Narr mit seinem Pax vobiscum! – Ich habe meinen Spieß bei dem ersten Wurfe ins Blaue geschickt.«

»Ic bidde eóv for ealre lufan, veorthlic fäder min! Ich bitte Euch um aller Liebe willen, ehrwürdiger Vater,« fuhr die [266] Fremde in seiner eigenen Sprache fort – »habt die Güte, Eure geistliche Hilfe einem Verwundeten in diesem Schlosse zu gewähren und die Pflichten Eures heiligen Amtes zu seinem und unserm Troste auszuüben. Nie soll eine gute That Eurem Kloster so vortheilhaft gewesen sein.«

»Tochter,« versetzte Cedric in großer Verlegenheit, »meine Zeit erlaubt mir nicht, hier im Schlosse die Pflichten meines heiligen Amtes zu erfüllen. Ich muß fort – fort – Leben und Tod hängt an meiner Eile.«

»Und doch, Vater, kann ich nicht ablassen von meiner Bitte,« versetzte die Unbekannte; »versagt dem Kranken, dem Gefährdeten nicht Euren Rath, Eure Hilfe!«

»Daß mich doch der böse Feind holte und mich in Nebelheim ließe bei den Seelen Odins und Thors!« erwiderte Cedric höchst ungeduldig; ja, er würde wahrscheinlich gänzlich aus seiner geistlichen Rolle gefallen sein, wäre das Gespräch nicht durch die rauhe Stimme der alten Thurmeule Urfried unterbrochen worden.

»Wie, Herzchen,« sagte sie zu der Sprecherin, »belohnst Du so die Güte, welche Dir erlaubt hat, Deine Gefangenenzelle zu verlassen? [267] Treibst Du den ehrwürdigen Mann so weit, sich gottloser Reden zu bedienen, um sich von den Zudringlichkeiten einer Jüdin zu befreien?«

»Einer Jüdin?« sagte Cedric und benutzte schnell diese Nachricht, um sich den Aufenthalt zu kürzen. »Laß mich, Weib! halte mich nicht auf, ich komme frisch von meinem heiligen Amte und muß alle Verunreinigung vermeiden.«

»Kommt hieher, Vater!« sagte die Alte. »Du bist fremd in diesem Schlosse und kannst Dich ohne Führer nicht hinausfinden. Hieher, ich habe mit Dir zu sprechen! – Und Du, Tochter eines verfluchten Stammes, fort ins Gemach des Kranken; pflege ihn, bis ich zurückkomme. Wehe Dir, wenn Du es ohne meine Erlaubniß wieder verlässest.«

Rebekka entfernte sich. Ihre Bitten hatten Urfried endlich bewogen, ihr zu erlauben, aus dem Thurme zu gehen, und Urfried hatte indessen ihre Stellung da eingenommen, wo jene so gern immer Dienst leistend geblieben wäre, am Bette des verwundeten Ivanhoe. Mit verständiger Beachtung ihrer gefährlichen Lage und bereit, jedes Rettungsmittel zu benutzen, das sich ihr darbieten würde, hatte Rebekka einige Hoffnung auf die Gegenwart eines Dieners der Religion gesetzt, der, wie sie von der Urfried erfuhr, in dieses verruchte Schloß gekommen war. Sie wartete nun auf die Rückkehr des Geistlichen in der Absicht, ihn für die Gefangenen zu gewinnen; allein mit welch schlechtem Erfolge, hat der Leser soeben erfahren.

27. Kapitel

[268] Kapitel XXVII.

Und, Thörin, was kannst Du berichten,

Als Schändlichkeiten, Sünd' und Leid?

Du kannst nicht, was Du thatst, vernichten;

Erzähle denn – ich bin bereit.

Mein Schmerz, er trägt ein ander Kleid,

Von Sorgen und von Kummer schwer;

Gib mir, was mich vom Leid befreit,

Leih ein geduldig Ohr mir her.

Sei – bist Du nicht als Freund bereit,

Mein Hörer bloß – ich will nicht mehr.


Crabbes Gerichtshalle.


Als Urfried mit Geschrei und Drohungen Rebekka wieder nach dem Gemache zurückgetrieben, aus dem diese sich hervorgewagt hatte, eilte sie, den widerstrebenden Cedric in ein kleines Zimmer zu führen, dessen Thür sie sorgfältig verschloß. Dann nahm sie von einem Credenztische einen Weinkrug und zwei Becher, stellte sie auf den Tisch und sagte in einem mehr versichernden als fragenden Tone:

»Seaxan thu eart, ne lygje thu, fäder, Du bist ein Sachse, Vater, läugne es nur nicht.« Und als sie bemerkte, daß Cedric nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Die Töne meiner Muttersprache sind meinem Ohre sehr süß, ob ich sie gleich selten höre, außer von den elenden und entwürdigten Sklaven, denen der stolze Normann die niedrigste Arbeit in diesem Schlosse überlassen hat. Du bist ein Sachse, Vater, ein Sachse, und bist ein freier Mann, wenn schon ein Knecht Gottes. Deine Worte klingen meinem Ohre höchst angenehm.«

»Besuchen denn nicht sächsische Priester dieses Schloß?« versetzte [269] Cedric; »es wäre doch, dünkt mich, ihre Schuldigkeit, die verstoßenen und unterdrückten Kinder des Landes zu trösten.«

»Sie kommen nicht,« entgegnete Urfried, »und wenn sie kommen, schwelgen sie lieber an den Tafeln ihrer Eroberer, als daß sie die Seufzer ihrer Mitbrüder hören sollten; so wenigstens berichtet man; denn ich selbst weiß wenig davon. Seit zehn Jahren ist dies Schloß keinem Priester geöffnet worden, außer dem schwelgerischen normännischen Kaplan, der sich bei den nächtlichen Banketten Front de Boeufs einfand und längst abgetreten ist, um von seinem Amte Rechenschaft zu geben. Aber Du bist ein Sachse, ein sächsischer Priester, und ich muß Dir eine Frage vorlegen.«

»Ich bin ein Sachse,« versetzte Cedric, »allein unwürdig des Namens eines Priesters. Laß mich meines Weges gehen; ich schwöre Dir, zurückzukehren, oder einen unserer Väter zu senden, der würdiger ist, Deine Beichte zu hören.«

»O, verweile nur noch ein wenig,« sagte Urfried, »die Stimme, die Du jetzt vernimmst, wird wohl bald unter der kalten Erde erstickt sein, und ich möchte doch nicht so sündhaft hinabsteigen, wie ich auf ihr gelebt habe. Aber Wein, Wein muß mir die Kraft geben, die Schauder meiner Erzählung zu vollenden.« – Mit hastiger Gier trank sie nun den Becher aus und schien keinen Tropfen davon verlieren zu wollen. »Er betäubt,« sagte sie aufblickend, »aber er heitert nicht auf! Trink mit mir, Vater, wenn Du meine Erzählung anhören willst, ohne zu Boden zu sinken.« – Gern wäre Cedric diesem Ansinnen ausgewichen; allein die Alte drang mit allen Zeichen der Ungeduld und Verzweiflung in ihn, und so that er ihr Bescheid, indem er einen vollen Becher leerte; hierauf fuhr sie, zufrieden mit seiner Gefälligkeit, in ihrer Erzählung also fort:

»Ich bin nicht als die Elende geboren, wie Du mich jetzt siehst, Vater. Ich war frei, glücklich, geehrt, und liebte und wurde geliebt. Jetzt bin ich eine Sklavin, eine elende, verachtete Sklavin – als ich noch schön war, war ich das Spielwerk der Leidenschaften meines Herrn; ich wurde aber der Gegenstand seiner Verachtung, seines Schimpfes und seines Hasses, als ich es nicht mehr war. Darfst Du Dich noch wundern, daß ich die Menschen hasse, vor allen aber die Abscheulichen, welche mich so weit gebracht [270] haben? Kann die verkrüppelte, jammervolle Alte, die Du hier vor Dir siehst und deren Wuth in wirkungslosen Flüchen sich Luft machen muß, vergessen, daß sie einst die Tochter des Edlings von Torquilstone war, vor dessen Zorn tausend Vasallen zitterten?«

»Du die Tochter von Torquil Wolfganger?« sagte Cedric und wich einen Schritt zurück. »Du – du die Tochter des edlen Sachsen, des Freundes und Waffengefährten meines Vaters?«

»Deines Vaters Freund!« erwiderte Urfried, »dann steht Cedric der Sachse vor mir; denn der edle Hereward von Rotherwood hatte nur einen Sohn, dessen Name unter seinen Landsleuten wohl bekannt ist. Aber wenn Du wirklich Cedric von Rotherwood bist, wozu diese heilige Kleidung? Hast Du an der Rettung Deines Vaterlandes verzweifelt und in dem Schatten des Klosters Zuflucht gesucht vor der Tyrannei?«

»Was ich bin, darauf kommt's jetzt nicht an,« versetzte Cedric, »fahre fort, unglückliches Weib, in Deiner Erzählung des Schreckens und der Schuld; denn Schuld muß dabei sein, ja, es ist selbst Schuld, daß Du noch lebst, um es zu erzählen.«

»Ja, ja,« sagte die Arme, »es ist Schuld, tiefe, schwarze, verdammende Schuld; Schuld, die centnerschwer auf meiner Seele lastet, Schuld, die alle Fegefeuer nicht wieder von mir nehmen können. Ja, in diesen Hallen, befleckt mit dem edlen und reinen Blute meines Vaters und meiner Brüder – in den nämlichen Hallen als Buhlerin seines Mörders, als Sklavin und Theilnehmerin seiner Lüste gelebt zu haben, das mußte mir jeden Athemzug im Leben zum Verbrechen und Fluch machen!«

»Armes, armes Weib!« rief Cedric, »indeß die Freunde Deines Vaters, indeß jedes treue Sachsenherz, wenn es für seine Seele und die Seelen seiner tapferen Söhne betete, in seinem Gebete auch der gemordeten Ulrica nicht vergaß – indeß alle die Todte bedauerten und ehrten, hast Du gelebt, um unsern Haß und unsere Verabscheuung zu verdienen; gelebt, um Dich selbst mit dem elenden Tyrannen zu verbinden, der Dir das Nächste und Theuerste auf Erden mordete, der lieber das Blut der Kinder vergoß, als daß ein männlicher Sprößling des edlen Hauses von Torquil Wolfganger hätte übrig bleiben sollen; mit dem, mit dem hast Du gelebt, in den Banden einer gesetzlosen Liebe?«

[271] »In gesetzlosen Banden allerdings,« versetzte die Alte, »doch nicht in den Banden der Liebe! Liebe wird eher die Gegenden der ewigen Verdammniß, als diese verfluchten Hallen besuchen. Nein! Diese darf ich mir wenigstens nicht vorwerfen. Haß gegen Front de Boeuf und sein ganzes Geschlecht hat meine Seele in der tiefsten Tiefe erfüllt, selbst in den Stunden seiner verbrecherischen Genüsse.«

»Du haßtest ihn, und doch lebtest Du?« erwiderte Cedric, »Elende, gab es denn keinen Dolch, kein Messer, keinen Stahl? Gut war es für Dich, da Dir doch ein solches Leben lieb war, daß die Geheimnisse eines normännischen Schlosses unbekannt wie die des Grabes sind. Hätte ich geahnt, daß die Tochter Torquils in schändlicher Gemeinschaft mit dem Mörder ihres Vaters lebte, wahrlich, das Schwert eines treuen Sachsen würde Dich selbst in den Armen Deines Buhlen gefunden haben.«

»Würdest Du Torquils Namen wirklich diese Gerechtigkeit erwiesen haben?« sagte Ulrica; denn wir lassen sie nun ihren angenommenen Namen Urfried ablegen. – »So bist Du wirklich der treue Sachse, von dem sie berichten? denn selbst innerhalb dieser verfluchten Mauern, wo, wie Du richtig sagst, die Schuld sich in undurchdringliches Geheimniß hüllt, hier selbst ist Dein Name erschollen, und ich, elend und entehrt, habe mich gefreut, daß noch ein Rächer unsers unglücklichen Volkes lebte. O, auch ich habe meine Stunden der Rache gehabt; ich habe die Zwistigkeiten unserer Feinde genährt und trunkene Schwelger zu wüthenden Mördern erhitzt; ich habe ihr Blut fließen sehen, habe ihr Sterberöcheln gehört! Sieh mich an, Cedric! Sind denn in diesem häßlichen und verblichenen Gesichte nicht noch Spuren von Torquils Zügen übrig geblieben?«

»Frage mich nicht darnach, Ulrica,« versetzte Cedric in einem Tone des Kummers, in den sich Abscheu mischte; »diese Züge bilden eine Aehnlichkeit, wie die eines aus dem Grabe erstandenen Todten, wenn ein böser Geist den leblosen Körper wieder beseelt hat!«

»Mag sein,« sagte Ulrica, »dennoch trugen diese satanischen Züge die Maske eines Lichtgeistes, als sie im Stande waren, den ältern Front de Boeuf und seinen Reginald in Zwist und Streit zu verwickeln – o, die Dunkelheit der Hölle sollte eigentlich das [272] nun Folgende verbergen, aber die Rache muß den Schleier erheben und schrecklich zeigen, was auch Todte zu lauter Rede erwecken könnte. Lange hatte das Feuer der Zwietracht zwischen dem tyrannischen Vater und dem wilden Sohne unter der Asche geglommen; lange hatte ich selbst insgeheim den unnatürlichen Haß genährt; – in einer Stunde trunkener Schwelgerei brach er aus, und an seinem eigenen Tische fiel mein Unterdrücker durch die Hand seines eigenen Sohnes – so sind die Geheimnisse beschaffen, welche dieses Schloß verschließt. Brecht zusammen, ihr verfluchten Gewölbe,« setzte sie hinzu, indem sie zum Dache aufblickte, »brecht zusammen und begrabt in eurem Falle die Mitwissenden dieses scheußlichen Geheimnisses.«

»Und Du, Geschöpf der Schuld und des Elends,« sagte Cedric, »was wurde denn Dein Loos beim Tode Deines Räubers?«

»Errathe es, aber frage nicht! – Hier, hier wohnte ich, bis Alter, frühzeitiges Alter, seine gespenstigen Züge meinem Gesichte aufdrückte, verachtet und beschimpft, wo man mir sonst gehorchte, und gezwungen, die Rache, die einst so freies Feld hatte, auf kleine Bosheiten einer mißvergnügten Hausgenossin oder auf leere Flüche und Verwünschungen einer ohnmächtigen Hexe zu beschränken – verurtheilt, von meinem einsamen Gemache aus die Töne der Schwelgerei zu vernehmen, woran ich sonst selbst Antheil genommen hatte, oder das Schreien und die Seufzer neuer Schlachtopfer der Tyrannei und des frechsten Uebermuthes.«

»Ulrica,« sagte Cedric, »wie kannst Du es wagen, mit einem Herzen, das, wie ich fürchte, sich noch immer nach dem verlorenen Lohne seiner Verbrechen, sowie nach den Thaten sehnt, wodurch Du diesen Sündensold gewannst, Dich an jemand zu wenden, der ein solches Kleid trägt? Bedenke, unglückliches Weib, was könnte der heilige Eduard selbst für Dich thun, gesetzt auch, er stände leibhaftig vor Dir? Der königliche Bekenner wurde zwar vom Himmel mit der Macht begnadigt, körperliche Geschwüre zu heilen, allein den Aussatz der Seele kann nur Gott von Dir nehmen.«

»Wende Dich nicht von mir, finstrer Prophet des Zorns,« rief sie aus, »sondern sage mir, wenn Du kannst, womit werden diese neuen und schrecklichen Gefühle endigen, die in meiner Einsamkeit hervorbrechen? Warum erheben sich längst begangene Sünden[273] aufs neue vor mir in unwiderstehlichem Entsetzen? Welches Schicksal ist jenseits des Grabes derjenigen bestimmt, der Gott auf Erden ein so unaussprechlich jammervolles Loos anwies? O, hätte ich mich doch lieber an Wodan, Hertha, Thor, Freya, die Götter unserer wenn auch ungetauften Vorfahren gewendet, als solche marternde Vorgefühle zu dulden, welche mir schon längst wie Gespenster im Wachen und Schlafe erscheinen.«

»Ich bin kein Priester,« sagte Cedric, sich unwillig von diesem quälenden Gemälde der Schuld, des Unglückes und der Verzweiflung abwendend, »ich bin kein Priester, ob ich gleich das Gewand eines Priesters trage.«

»Priester oder Laie,« entgegnete Ulrica, »Du bist der erste, den ich seit zwanzig Jahren sehe, der Gott fürchtet und Menschen achtet; und Du überlässest mich der Verzweiflung?«

»Nein, der Reue,« sagte Cedric, »büße und bete, und mögest Du Erhörung finden! Aber ich kann, ich will nicht länger bei Dir verweilen.«

»Bleib noch einen Augenblick,« versetzte Ulrica, »verlaß mich jetzt nicht, Sohn von meines Vaters Freund! Damit der Dämon, der mein Leben beherrscht hat, mich nicht versuche, Rache an Dir selbst zu nehmen wegen Deiner hartherzigen Verachtung. Glaubst Du denn, daß, wenn Front de Boeuf Cedric den Sachsen in solcher Verkleidung in seinem Schlosse fände, Dein Leben noch lange dauern würde? Schon ist sein Auge auf Dich gerichtet, wie das eines Falken auf seine Beute.«

»Und wenn auch,« sagte Cedric, »aber er soll mich eher mit den Fängen zerreißen, als daß meine Zunge ein Wort spricht, das mein Herz nicht verbürgt. Als ein Sachse will ich sterben, redlich in Worten und offen in Thaten! – Berühre mich nicht, halte mich nicht auf! Front de Boeufs Anblick selbst würde mir nicht so verhaßt sein, als Du so entwürdigt, ausgeartet, mir bist.«

»Gut,« sagte Ulrica, »geh Deines Weges und vergiß im Uebermuthe Deines Stolzes, daß die Unglückliche, die vor Dir steht, die Tochter von Deines Vaters Freunde ist. – Geh Deines Weges! Bin ich auch durch meine Leiden von der Menschheit getrennt, getrennt von denen, auf deren Hilfe ich mit Recht hoffen durfte, so werde ich darum doch nicht von ihnen getrennt sein in [274] meiner Rache! Kein Mensch soll mir helfen, aber die Ohren aller Menschen sollen gellen, wenn sie von den Thaten hören, welche ich mir getraue auszuführen. – Leb wohl! Deine Verachtung hat das letzte Band zerrissen, welches mich an mein Geschlecht knüpfte, hat den Gedanken getilgt, daß mein Leiden Anspruch auf das Mitleid meines Volkes hatte.«

»Ulrica,« sagte Cedric, durch diese Reden mild gestimmt, »hast Du das Leben ertragen unter so viel Schuld und Elend, und willst Du Dich nun der Verzweiflung überlassen, da Deine Augen sich für Deine Schuld öffnen und Reue Deine eigentliche Aufgabe sein sollte?«

»Cedric,« sagte Ulrica, »Du kennst das Herz des Menschen wenig. Zu handeln, wie ich gehandelt, zu denken, wie ich gedacht habe, erfordert die wahnsinnige Liebe zum Vergnügen, vermischt mit dem heißen Durst nach Rache, dem stolzen Bewußtsein der Macht: Tränke, die zu bezaubernd für das menschliche Herz sind, um sie zu genießen und doch die Kraft zu behalten, sie unschädlich zu machen. Ihre Einwirkungen sind längst vorüber. Das Alter hat keine Freuden; Runzeln machen keinen Eindruck, die Rache selbst stirbt in ohnmächtigen Verwünschungen dahin. Dann kommen die Gewissensbisse, gleich den Nattern, vermischt mit vergeblichem Bedauern des Vergangenen, und Verzweiflung vor der Zukunft! Dann, wenn alle andern mächtigen Antriebe aufgehört haben, werden wir den höllischen Feinden gleich, die wohl Gewissensqual, aber nimmer Reue fühlen mögen. Doch Deine Worte haben eine neue Seele in mir geweckt. Wohl hast Du gesprochen; alles ist möglich für die, welche zu sterben wissen. Du hast mir die Mittel zur Rache gezeigt, und sei versichert, ich werde sie ergreifen. Bis jetzt hat sie diesen Busen mit andern Leidenschaften getheilt; von nun an soll sie ihn allein besitzen, und Du selbst sollst sagen, wie auch Ulricas Leben war, ihr Tod ziemte der Tochter des edlen Torquil! Draußen liegt eine Streitmacht, die das Schloß belagert; eile, sie zum Angriff zu führen; und wenn Du eine rothe Fahne wehen siehst von dem Thurme am westlichen Ende des Kerkerthurms, dann dränge die Normänner hart! sie werden dann genug innerhalb zu thun haben, und ihr mögt den Wall erstürmen, trotz Bogen und Wurfgeschütz. Eile, ich bitte Dich! Folge Deinem Schicksale, und mich überlaß dem meinen.«

[275] Cedric hätte sie gern weiter über den Anschlag ausgeforscht, den sie so dunkel andeutete, allein man vernahm die donnernde Stimme Front de Boeufs, welcher rief: »Wo schleicht denn der Priester umher? Beim heiligen Jakob von Compostella, ich will einen Märtyrer aus ihm machen, wenn er länger hier umherkriecht, um Verrath unter meinem Gesinde auszubrüten.«

»Welch wahrer Prophet ist doch ein böses Gewissen,« sagte Ulrica. »Doch achte nicht auf ihn! Fort zu Deinem Volke! Laßt den sächsischen Schlachtruf ertönen, und laß sie ihren Kriegsgesang von Ossa erheben, die Rache soll euch den Schlußvers dazu singen.«

Mit diesen Worten verschwand sie durch eine verborgene Thür, und Reginald Front de Boeuf trat ins Zimmer. Cedric zwang sich, dem stolzen Baron seine Unterwürfigkeit zu bezeugen, und dieser beantwortete dies mit einem leichten Kopfneigen.

»Die Beichte hat lange gedauert, Vater,« sagte er, »desto besser für sie, denn es ist ihre letzte. Hast Du sie zum Tode bereitet?«

»Ich fand sie,« sagte Cedric in so gutem Französisch, als ers konnte, »aufs Aeußerste gefaßt von dem Augenblicke an, wo sie erfuhren, in wessen Hände sie gefallen.«

»Hört, Bruder,« versetzte Front de Boeuf, »Eure Sprache, dünkt mich, schmeckt ein wenig nach Sächsischem.«

»Ich ward in dem Kloster des heiligen Withold zu Burton erzogen,« entgegnete Cedric.

»So?« sagte der Baron, »doch es wäre besser für Dich gewesen, wärst Du ein Normann, auch besser für meinen Zweck – doch Noth läßt unter den Boten keine Wahl! St. Witholds Kloster zu Burton ist ein Eulennest, das muß ausgestört werden. Es wird bald eine Zeit kommen, wo die Kutte den Sachsen ebenso wenig schützen wird, als der Panzer.«

»Gottes Wille geschehe,« sagte Cedric mit vor Wuth zitternder Stimme, was jedoch Front de Boeuf für Furcht hielt.

»Ich sehe,« sagte er, »Du träumst schon, daß unsere Bewaffneten in Deinem Refektorium und Bierkeller sind. Aber lege mir zu Gefallen einmal Dein heiliges Amt ab und übernimm ein anderes Geschäft, und Du sollst ruhig in Deiner Zelle schlafen, wie die Schnecke in ihrem Hause.«

[276] »Sprecht, was befehlt Ihr,« sagte Cedric mit unterdrückter Bewegung.

»Folge mir durch diese Thür, dann laß ich Dich durch ein heimliches Pförtchen hinaus.«

Indeß so beide zusammen fortgingen, unterrichtete Front de Boeuf den vermeintlichen Mönch in der Rolle, die er spielen sollte.

»Du siehst,« sagte er zu ihm, »jene Heerde sächsischer Schweine, die es gewagt haben, das Schloß von Torquilstone zu belagern. Rede ihnen etwas vor von der Unbesonnenheit dieses Unterfangens, oder was Du sonst willst, das sie nur vierundzwanzig Stunden aufhält! Unterdessen trage dieses Papier – doch, kannst Du lesen, Priester?«

»Nicht ein Jota, außer in meinem Brevier,« erwiderte Cedric, »und das kann ich auch bald auswendig.«

»Desto besser für meinen Zweck. Also bringe das Papier auf das Schloß von Philipp de Malvoisin; sage, es käme von mir, es sei geschrieben von dem Templer Brian de Bois-Guilbert, und ich lasse ihn bitten, es aufs Allereiligste nach York zu senden. Unterdessen melde ihm, daß er zuversichtlich sein könne und uns alle gesund und wohlbehalten hinter unsern Verschanzungen finden werde. Schande, daß wir uns vor Landstreichern so verbergen müssen, die sonst gewohnt sind, vor dem Hufschall unserer Rosse zu fliehen. Ich sage Dir, Priester, wende alle Deine Kunst an, die Schurken da festzuhalten, wo sie stehen, so lange, bis unsere Freunde ihre Lanzen zusammen bringen. Meine Rache ist wach und gleicht einem Falken, der nicht schlummert, bis er sich vollgefressen hat.«

»Bei meinem Schutzpatron,« sagte Cedric mit einer tiefern Energie, als seinem Charakter ziemte, »und bei jedem Heiligen, der je in England gelebt hat und gestorben ist, Euer Befehl soll vollzogen werden. Kein Sachse soll sich von der Stelle vor diesen Wällen wegbegeben, wenn ich darauf einen Einfluß haben kann.«

»Ha,« sagte Front de Boeuf, »Du änderst Deinen Ton, Priester, Du sprichst kurz und kühn, gleich als wäre Dein Herz bei der Niederlage der sächsischen Heerde interessirt, und doch bist Du selbst mit den Schweinen verwandt.«

Cedric war in der Kunst der Verstellung nicht sehr geübt und hätte jetzt wohl eine Unterstützung durch einen Einfall aus Wambas [277] fruchtbarem Gehirn brauchen können, indessen schärft, nach einem alten Sprichworte, Noth die Erfindungskraft, und so murmelte er unter seiner Kutte etwas davon, daß die Menschen da draußen von Kirche und Staat excommunicirte Geächtete wären.

»Des par Dieux!« versetzte Front de Boeuf, »Du hast ganz die Wahrheit gesprochen. Ich vergaß, daß die Buben einen feisten Abt eben so gut rupfen können, als wenn sie südlich von jenem salzigen Kanale geboren wären. War es nicht der von St. Ives, den sie an eine alte Eiche banden und zwangen, eine Messe zu singen, indeß sie seine Mantelsäcke durchwühlten. Doch nein; der Streich wurde von Walter von Middleton ausgeführt, einem unserer eigenen Waffengefährten. Aber Sachsen waren es doch, die die Kapelle zu St. Bees des Kelches, der Schaale und der Leuchter beraubten, nicht wahr?«

»Gottlose Menschen waren's,« versetzte Cedric.

»Und allen Wein tranken sie euch aus, und alles Bier, das ihr zu manchem geheimen Feste aufspart, indeß ihr vorgebt, nur mit Vespern und Vigilien beschäftigt zu sein. Du bist verbunden, solch einen Kirchenraub zu rächen, Priester.«

»Ja, zur Rache bin ich verbunden,« murmelte Cedric, »der heilige Withold kennt mein Herz.«

Front de Boeuf führte indessen den Bruder zum Pförtchen und durch dasselbe auf einem bloßen Brette über den Schloßgraben nach einem äußern Vertheidigungswerke, das durch eine Ausfallpforte mit dem offenen Felde zusammenhing.

»Nun,« sagte er, »so richte Dein Geschäft aus, und wenn Du wiederkommst, sollst Du sächsisches Fleisch so wohlfeil finden, als jemals das Wildpret auf den Fleischbänken zu Sheffield war. Und, höre! Du scheinst ein lustiger Beichtiger; nach dem Gemetzel komm wieder, und Du sollst so viel Malvasier trinken, um damit ein ganzes Kloster zu ersäufen.«

»Wir sehen uns wieder,« versetzte Cedric.

»Hier etwas darauf,« fuhr der Normann fort, als sie sich an dem letzten Ausgange trennten, und drückte dabei dem widerstrebenden Cedric einen goldenen Byzantiner in die Hand; »bedenke,« setzte er hinzu, »daß ich Dir Kutte und Haut zugleich abziehen lasse, wenn Dir Dein Vorhaben mißlingt.«

[278] »Das magst Du beides thun,« versetzte Cedric, mit freudigen Schritten über das freie Feld hineilend, »wenn ich bei unserm Zusammentreffen mein Handgeld nicht besser verdiene.« – Kurz darauf aber wandte er sich nach dem Schlosse um, warf die Goldmünze dem Geber nach und rief: »Falscher Normann, Dein Geld komme mit Dir um!«

Front de Boeuf konnte diese Worte nicht recht verstehen, allein die Handlung schien ihm verdächtig. »Bogenschützen!« rief er den Wächtern auf dem äußersten Werke zu, »schießt doch dem Mönche einen Pfeil durch seine Kutte! – Doch halt! das hilft nichts! wir müssen ihm trauen wohl oder übel; er wirds indeß nicht wagen, mich zu betrügen; kann ich mit den sächsischen Hunden schlimmsten Falls unterhandeln, die ich noch im Loche habe. Gefangenwärter, laß Cedric von Rotherwood und seinen Gefährten Athelstane von Coningsburgh, oder wie er heißt, vor mich kommen. Setzt mir auch einen Schoppen Wein in den Waffensaal und führt dann die Gefangenen dorthin. Die Kerls riechen nach Schweineschmalz, und [279] ich muß Wein trinken, wie der lustige Prinz Johann sagt, um den Geruch hinabzuspülen.«

Seine Befehle wurden vollzogen, und als er in das alte gothische Gemach trat, das mit mancher Waffenbeute, die er seiner und seines Vaters Tapferkeit verdankte, ausgestattet war, fand er eine Kanne Wein auf dem alten eichenen Tische und die zwei sächsischen Gefangenen unter einer Bewachung von vieren seiner Leute. Nach einem langen Zuge aus der Kanne wandte sich Front de Boeuf zu den Gefangenen. Die Art, wie Wamba die Kappe übers Gesicht zog, der Wechsel der Kleidung, das düstere gebrochene Licht und des Barons geringe Bekanntschaft mit Cedrics Gesichtszügen (denn dieser vermied seine normännischen Nachbarn auf alle Weise und kam selten über sein Eigenthum hinaus) hinderten ihn zu entdecken, daß der Bedeutendste seiner Gefangenen entkommen sei.

»Nun, tapfere Engländer,« sagte Front de Boeuf, »wie gefällt euch eure Unterhaltung zu Torquilstone? Merkt ihr, was euch eure Grobheit und Anmaßung durch Verachtung zugezogen, indem ihr die Unterhaltung und Gesellschaft eines Prinzen aus dem Hause Anjou verachtet habt? Habt ihr vergessen, wie ihr die unverdiente Gastfreundschaft des königlichen Johann vergolten habt? Bei Gott und dem heiligen Dionys, zahlt ihr mir nicht die reichste Lösung, so laß ich euch an den eisernen Stäben dieser Fenster bei den Beinen aufhängen, bis die Geier und Raben euch zu Skeletten gemacht haben. Sprecht, ihr sächsischen Hunde, was bietet ihr für euer elendes Leben? Was sagt Ihr, Ihr von Rotherwood?«

»Nicht einen Deut gebe ich,« sagte Wamba, »denn man hat mir gesagt, daß in meinem Gehirn schon das Unterste zu oberst gekommen ist, seitdem man mir die Kindermütze aufgesetzt hat; hängt Ihr mich nun an den Beinen auf, so kommt alles wieder in die gehörige Ordnung.«

»Heilige Genoveva!« versetzte Front de Boeuf, »was ist das?« und mit einem Zuge riß er Wamba die Kappe vom Gesicht, und indem er dabei dessen Hals entblößte, entdeckte er zugleich das Zeichen der Knechtschaft, den eisernen Ring um denselben.

»Giles! Clemens!« rief der wüthende Normann, »wen habt ihr mir denn hergebracht, ihr Schurken?«

»Das kann ich Euch sagen,« fiel de Bracy ein, der so eben [280] ins Zimmer trat, »es ist Cedrics Narr, der sich mit Isaak von York so tapfer um den Vorrang stritt.«

»Ich will den Streit entscheiden,« versetzte Front de Boeuf, »sie sollen beide an demselben Galgen hängen, wenn nicht sein Herr und der Eber von Coningsburgh ihr Leben gehörig bezahlen. Ihr Reichthum ist das Geringste, was sie uns ausliefern können; sie müssen erst den Schwarm, der unser Schloß umstellt hat, fortschaffen, dann eine schriftliche Verzichtleistung auf ihre vermeintlichen Freiheiten ausstellen und wie eigene Leute und Vasallen unter uns leben; glücklich genug, wenn wir ihnen nur die Luft zum Athemholen gestatten. Geht,« fuhr er zu den beiden Dienern fort, »und bringt mir den wahren Cedric zur Stelle, dann soll euch der Irrthum verziehen sein, zumal da ihr einen Narren für einen sächsischen Freisassen angesehen habt.«

»O,« sagte Wamba, »Eure ritterliche Excellenz werden finden, daß mehr Narren als Freisassen unter uns sind.«

»Was meint denn der Schurke,« sagte Front de Boeuf, indem er sich nach seinen Begleitern umsah, welche zögernd die Meinung hervorstotterten, daß, wenn dieser nicht Cedric wäre, sie nicht wüßten, was aus demselben geworden sei.

»Heilige des Himmels!« rief de Bracy, »so muß er unter der Verkleidung des Mönchs entkommen sein.«

»Alle Höllenteufel!« versetzte Front de Boeuf, »es war der Eber von Rotherwood selber, den ich zur Pforte brachte und habe davon kommen lassen! Aber Du,« fuhr er Wamba an, »Du, dessen Narrheit noch größere Narren überlistet, sollst mir's büßen! Ich will für Deine Tonsur sorgen. Zieht ihm die Kopfhaut vom Schädel und stürzt ihn dann häuptlings von den Mauern herunter! Nun, Spaßmacher, spaße doch!«

»Ihr meint es doch immer besser mit mir, als Eure Reden,« versetzte Wamba, dessen Gewohnheit zu scherzen selbst durch die nahe Aussicht auf seinen Tod nicht unterdrückt werden konnte; »denn wenn Ihr mir eine rothe Kappe geben wollt, so macht Ihr ja aus einem bloßen Mönch einen Cardinal.«

»Der arme Mensch,« sagte de Bracy, »ist entschlossen, in seinem Berufe zu sterben. Front de Boeuf, laß ihn leben, schenke mir ihn zur Belustigung meiner Freikompagnie! was meinst Du dazu, [281] Schelm, willst Du Pardon annehmen und mit mir in den Krieg ziehen?«

»O ja, mit meines Herrn Erlaubniß,« sagte Wamba; »denn seht, ich kann ja ohne seine Erlaubniß nicht aus diesem Halsbande kriechen.« Dabei faßte er an seinen Halsring.

»O, eine normännische Säge wird bald ein sächsisches Halsband zerschneiden,« sagte de Bracy.

»Ja, edler Herr,« sagte Wamba, »und denkt Ihr nicht auch an das Sprichwort:


Normanns Säg' an Sachseneichen,

Sachsenäcker unter Normanns Streichen –

Normanns Löffel in sächsischer Speise

Das Land regiert in normännischer Weise

Freude wird England nie mehr erlangen

Als bis die Normannen zum Teufel gegangen.«


»Ei,« sagte Front de Boeuf, »das gefällt mir; Du belustigst Dich hier mit dem Gefasel des Narren, während uns das Verderben umgarnt. Siehst Du denn nicht, daß der Plan, mit unsern Freunden in Verbindung zu treten, mißlungen ist, und zwar durch denselben buntgekleideten Biedermann, mit dem Du ein so vertraulich Gespräch führst? Was haben wir anders zu erwarten, als den augenblicklichen Sturm?«

»Auf die Mauern also!« sagte de Bracy, »wann hast Du mich je den Kopf hängen sehen beim Gedanken an eine Schlacht? Laß den Templer nur halb so für sein Leben fechten, als er für seinen Orden gefochten hat! Du selbst begib Dich mit Deiner Hauptmacht auf die Wälle, und mich laß meine schwachen Versuche auf meine Hand machen; und ich sage Dir, die Sachsenstrolche sollen eher den Himmel erklettern, als das Schloß Torquilstone. Willst Du aber mit den Räubern unterhandeln, warum brauchst Du nicht die Vermittlung dieses würdigen Freisassen, der in tiefe Betrachtung der Weinflasche versunken scheint? Höre, Sachse,« fuhr er fort, sich an Athelstane wendend und ihm die Schale mit Wein hinreichend, »spüle Deinen Hals mit dieser edlen Feuchtigkeit aus und sage dann, was willst Du thun für Deine Freiheit?«

»Was ein sterblicher Mensch kann,« erwiderte Athelstane, »vorausgesetzt, daß es etwas ist, was einem Manne ziemt. Laßt [282] mich frei mit meinem Gefährten, und ich zahle Euch tausend Mark Lösegeld.«

»Und willst Du uns überdies den Rückzug jenes Abschaums der Menschheit versichern, der um unser Schloß schwärmt, gegen Gottes und des Königs Frieden?« sagte Front de Boeuf.

»In soweit ichs vermag, will ich sie zurückziehen,« versetzte Athelstane; »ich hoffe auch, daß Vater Cedric alles, was er kann, zu meiner Unterstützung versuchen wird.«

»Nun, so sind wir einig,« sagte Front de Boeuf, »Ihr sollt in Freiheit gesetzt werden, und Friede soll auf beiden Seiten sein gegen Bezahlung von tausend Mark! Es ist eine unbedeutende Summe, Sachse, und Du wirst uns Dank wissen für die Mäßigung, die sie statt eurer Personen annimmt. Aber merke Dir's, sie erstreckt sich nicht auf den Juden Isaak.«

»Auch nicht auf des Juden Tochter,« sagte der Templer, der jetzt hinzugekommen war.

»Auch gehören sie ja nicht zu dieses Sachsen Gefährten,« sagte Front de Boeuf.

»Ich wäre ja nicht werth, ein Christ zu heißen, wenn das wäre,« versetzte Athelstane; »verfahrt mit den Ungläubigen, wie Ihr wollt.«

»Auch schließt das Lösegeld die Lady Rowena nicht mit ein,« sagte de Bracy, »man soll nicht sagen, daß ich einen schönen Preis fahren ließ, ohne einen Schlag darum zu thun.«

»Auch bezieht sich,« sagte Front de Boeuf, »unser Vertrag nicht auf den unglücklichen Narren, denn den behalte ich zum abschreckenden Beispiele für jeden Schelm, der aus Scherz Ernst machen möchte.«

»Lady Rowena,« versetzte Athelstane mit fester Stimme, »ist meine verlobte Braut. Ich lasse mich eher von wilden Thieren zerreißen, als daß ich sie aufgebe. Der Sklave Wamba hat heute das Leben meines Vaters Cedric gerettet, und eher will ich das meine verlieren, ehe ich ihm ein Haar krümmen lasse.«

»Deine verlobte Braut? Lady Rowena, die Braut eines Lehensmannes, wie Du?« sagte de Bracy; »Sachse, Du träumst wohl, die Zeiten der sieben Königreiche wären zurückgekehrt? Ich sage Dir, die Prinzen aus dem Hause Anjou geben ihre Pflegebefohlenen nicht an Männer von solcher Herkunft, wie Du bist.«

[283] »Meine Herkunft, stolzer Normann,« sagte Athelstane, »leitet sich aus einer reinern und ältern Quelle ab, als die eines bettelhaften Franzosen, der seinen Unterhalt dadurch sucht, daß er das Blut von Räubern verkauft, die er unter seiner armseligen Fahne sammelt. Könige waren meine Ahnherren, tapfer im Kriege und weise im Rathe, Könige, die jeden Tag in ihren Hallen mehr Hunderte speisten, als Du einzelne Leute aufzählen kannst; Könige, deren Namen Minstrels sangen, deren Gesetze durch Wittenagemote aufbewahrt wurden; Könige, deren Gebeine unter den Gebeten von Heiligen eingesenkt und über deren Gräbern Münster erbaut wurden.«

»Da hast Du's,« sagte Front de Boeuf, recht zufrieden mit der derben Entgegnung, die sein Gefährte eben erfahren hatte, »ja der Sachse hat Dich derb getroffen.«

»So derb ein Gefangener treffen kann,« sagte de Bracy mit anscheinender Sorglosigkeit; »der, dessen Hände gebunden sind, muß wenigstens die Zunge frei haben. Aber Deine spitzige Antwort,« fuhr er zu Athelstane fort, »wird Dir die Freiheit der Lady Rowena nicht gewinnen.«

Athelstane antwortete darauf gar nicht, denn er hatte schon viel länger gesprochen, als er sonst über den wichtigsten Gegenstand zu sprechen pflegte. Unterdessen wurde die Unterredung durch einen Diener unterbrochen, welcher meldete, daß ein Mönch Einlaß am verborgenen Pförtchen begehre.

»Wie?« sagte Front de Boeuf, »sollte dies ein wirklicher Mönch sein, oder wär' es auch ein Betrüger? Holt ihn! Sklaven, aber wenn ihr euch wieder einen Betrüger aufhängen laßt, so laß ich euch die Augen ausreißen und glühende Kohlen in die Höhlen stecken.«

»Ich will Euren ganzen Zorn auf mich laden,« sagte Giles, »wenn dies nicht wirklich ein Geschorener ist. Euer Knappe Ivenlyn kennt ihn recht gut, es ist der Bruder Ambrosius, ein Mönch aus dem Gefolge des Abtes von Jorvaulx.«

»Laßt ihn ein!« sagte Front de Boeuf, »wahrscheinlich bringt er uns Nachrichten von seinem lustigen Herrn. Gewiß hält der Teufel Feiertag; und die Priester sind von ihrem Dienste abgelöst, daß sie so wild durchs Land ziehen. Fort mit den Gefangenen, und bedenke, was Du gehört hast, Sachse!«

»Ich verlange,« sagte Athelstane, »ein anständiges Gefängniß [284] mit ordentlichem Tisch und Lager, wie sich's ziemt für meinen Rang und jemand fordern kann, der wegen Lösegeldes in Unterhandlung steht! Ueberdies halte ich den, der sich selbst für den Besten unter euch hält, für verbunden, mir mit seiner Person für diesen Angriff auf meine Freiheit zu antworten. Diese Ausforderung ist Dir bereits durch Deinen Vorschneider überbracht worden, Du bist das Haupt! Du bist verbunden, mir Rede zu stehen! Hier liegt mein Handschuh.«

»Auf die Ausforderung meines Gefangenen antworte ich nicht,« sagte Front de Boeuf, »auch Du sollst es nicht, Moritz de Bracy! – Giles,« fuhr er fort, »hänge des Freisassen Handschuh dort an den Zacken jenes Hirschgeweihes! Hier bleibe er so lange, bis dieser freigelassen ist. Verlangt er ihn hernach wieder, oder behauptet er, daß er unrechtlich zum Gefangenen gemacht worden, dann, beim Wehrgehänge des heiligen Christoph, dann soll er mit einem Manne sprechen, der es nie verschmäht hat, einem Feinde zu Fuß oder zu Roß zu begegnen, allein oder mit seinen Vasallen zur Seite.«

Die sächsischen Gefangenen wurden eben hinweggebracht, als man den Mönch Ambrosius hereinführte, der in großer Gemüthsunruhe zu sein schien.

»Das ist das wahre Deus vobiscum,« sagte Wamba, als er an dem heiligen Bruder vorüberging, »die andern waren nur nachgemacht.«

»Heilige Mutter!« sagte der Mönch, die versammelten Ritter anredend, »endlich bin ich also glück lich in christlicher Obhut.«

»In Obhut bist Du,« versetzte de Bracy, »und das Christliche anlangend, so steht hier der tapfere Freiherr Reginald Front de Boeuf, dessen höchster Abscheu ein Jude ist, und dort der gute Tempelritter Brian de Bois-Gilbert, dessen Geschäft es ist, Saracenen todt zu schlagen – wenn dies keine guten Zeichen von Christenthum sind, so kenne ich keine andern, die sie an sich trügen.«

»Ihr seid Freunde und Bundesgenossen unsers ehrwürdigen Vaters in Gott, des Abts von Jorvaulx,« sagte der Mönch, ohne auf den Ton von de Bracys Antwort zu achten; »Ihr seid ihm Hülfe schuldig aus ritterlicher Treue und christlicher Liebe, denn was sagt der heilige Augustin in seinem Werke: De civitate Dei« –

[285] »Was redest Du da, Priester?« unterbrach ihn Front de Boeuf; »wir haben jetzt nicht Zeit, auf die Texte aus den heiligen Vätern zu hören.«

»Sancta Maria!« rief Vater Ambrosius, »wie geneigt dieses Laienvolk zum Zorn ist! – Ihr müßt wissen, tapfere Ritter, daß einige mörderische Schurken, alle Gottesfurcht verläugnend und alle Achtung gegen die heilige Kirche, nicht bedenkend die Bulle des heiligen Stuhls: Si quis, suadente Diabolo« –

»Das wissen wir alles, Bruder Priester,« sagte der Templer; »nur rund heraus, ist Dein Herr, der Prior gefangen, und von wem?«

»Ach! er ist in den Händen von Belials Kindern, den Waldräubern hier herum, Verächtern der heiligen Worte: Tastet meine Gesalbten nicht an, und thut meinen Propheten kein Unrecht!«

»Also wir sollen dem Abte helfen, statt Hilfe von ihm zu erwarten?« sagte Front de Boeuf. »Nun was wünscht und hofft denn Dein Herr von uns?«

»Ach, mit Eurer Erlaubniß! Die Belialskinder haben den guten Herrn ganz ausgezogen, ihm alles Geräth abgenommen und noch zweihundert Mark feinen Goldes dazu; jetzt wollen sie noch eine ungeheure Summe von ihm, ehe sie ihn aus ihren unreinen Händen entlassen wollen. Also läßt Euch der ehrwürdige Vater in Gott bitten, Ihr möchtet entweder die Geldsumme für ihn bezahlen, oder ihn mit dem Schwerte in der Hand befreien.«

»Hol' doch ein höllischer Satan den Abt,« sagte Front de Boeuf; »er muß bezecht sein; ein normännischer Baron soll einen Mann der Kirche auslösen, deren Beutel zehnmal schwerer sind, als unsere, und was vermag jetzt unsere Tapferkeit, da wir von einer zehnmal größeren Anzahl jeden Augenblick einen Sturm zu erwarten haben?«

»Das wollte ich eben melden,« sagte der Mönch, »hätte mich Eure Hastigkeit nur zum Worte kommen lassen. – Ach Gott, der Kriegslärm macht einen alten Kopf ganz wirr; es ist aber wahr, sie bilden ein ordentliches Lager und werfen einen Wall gegen die Mauern dieses Schlosses auf.«

»Auf die Mauern denn!« rief de Bracy, »wir müssen sehen, was die Schurken beginnen.« – Er öffnete eine Gitterthür, die auf einen Balkon führte, und rief sogleich von draußen herein [286] ins Zimmer: »Heiliger Dionys, der Mönch hat Recht! Sie bringen wirklich Schanzgeräth und Sturmschilde herbei, und die Bogenschützen stehen am Saume des Waldes, gleich den dunklen Wolken bei einem Ungewitter.«

Reginald Front de Boeuf schaute gleichfalls hinaus und stieß sogleich in sein Horn, worauf er allen seinen Leuten befahl, sich an ihre Posten auf die Mauern zu begeben.

»De Bracy, schau nach der Ostseite, wo die Mauern am niedrigsten sind – edler Bois-Guilbert – Du verstehst anzugreifen und zu vertheidigen – übernimm Du die Westseite. Ich selbst will den Posten auf der Geschützzinne behaupten, edle Freunde!«

»Aber, edle Ritter,« rief Pater Ambrosius, »will denn keiner auf die Botschaft des ehrwürdigen Vaters in Gott – Aymers, des Priors von Jorvaulx, hören?«

»Plappere Deine Bitten zum Himmel,« schrie Reginald Front de Boeuf – »wir haben auf Erden keine Zeit, darauf zu hören.«

»Aber, edler Herr, bedenkt doch!«

»Fort mit dem Schwätzer! sperrt ihn in eine Kapelle,« schrie Reginald, »die Heiligen in Torquilstone werden sich über den seltenen Besuch wundern. Sie sind, so lange sie dastehen, nicht so geehrt worden.«

»Spotte der Heiligen nicht,« sagte de Bracy, »meine Meinung ist, daß man ihres Beistandes in diesem Strauße wohl bedürfen werde.« Unterdessen hatte sich der Templer mit mehr Ruhe von den Anstalten der Belagerer zu unterrichten gesucht, als der kopflose Front de Boeuf.

»Wahrlich,« sagte er, »diese Menschen nähern sich mit einer Ordnung und Kriegserfahrung, die man nicht von ihnen hätte erwarten sollen. Seht nur, wie sie jeden Baum, jeden Busch benutzen! Ich sehe keine Banner, keinen Helmbusch unter ihnen, und dennoch wette ich meine goldene Kette, daß ein kriegserfahrner Ritter sie anführt.«

»Einen Helmbusch sehe ich,« sagte de Bracy, »auch das Schimmern einer Rüstung. Seht Ihr nicht den schwarzen Harnisch, der den vordersten Trupp der Schurken führt? Beim heiligen Dionys, der ist sicherlich der schwarze Faullenzer, der Dich, Front de Boeuf, in Ashby aus dem Sattel warf.«

[287] »Desto besser,« sagte dieser, »daß er hierher kommt, mir Revanche zu geben. Es muß ein ziemlich gemeiner Bursche sein, daß er's nicht gewagt hat, den Preis, den ihm das Glück im Turniere zuwandte, öffentlich in Anspruch zu nehmen. Umsonst habe ich überall nach ihm gespäht, wo Ritter und Edle ihre Feinde zu suchen pflegen, ich bin recht zufrieden, daß er sich nun unter dem gemeinen Volke dort zeigt.«

Die Bewegungen der Feinde brachen jedoch alle weitere Unterredung ab. Jeder Ritter begab sich auf seinen Posten und an die Spitze der wenigen Leute, welche man zusammenbringen konnte und deren Anzahl freilich nichts weniger als hinreichend war, den ganzen Umfang der Mauern zu vertheidigen; aber mit ruhiger Entschlossenheit erwartete man so den drohenden Sturm.

28. Kapitel

[288] Kapitel XXVIII.

Dies Wandervolk, getrennt von andern Menschen,

Rühmt dennoch sich der Kenntniß hoher Künste;

Die Seen, Wälder, Wüsten, wo sie hausen,

Gewähren ihrer Kenntniß reiche Schätze.

Auch sammeln sie bescheid'ne Kräuter, Blumen

Und zeigen ihre nie geahnten Kräfte.


Der Jude.


Unsere Geschichte muß jetzt einige Blätter weiter zurückkehren, um dem Leser den Rest dieser wichtigen Erzählung verständlich zu machen. Seine eigenen Muthmaßungen werden ihn schon darauf geführt haben, daß, als Ivanhoe zu Boden sank und von aller Welt verlassen schien, Rebekka es war, deren Bitten den Vater vermochten, den jungen, tapferen Kämpfer aus den Schranken in das Haus bringen zu lassen, welches damals die Juden in der Vorstadt von Ashby inne hatten.

Unter andern Umständen würde es nicht schwer gewesen sein, Isaak zu diesem Schritte zu überreden; denn er war eigentlich mild und dankbar von Natur, allein er nährte doch auch die Vorurtheile und furchtsamen Bedenklichkeiten seiner Nation, und diese mußten erst besiegt werden.

»Heiliger Abraham!« rief er, »er ist ein guter Junge, und das Herz blutet mir, das Blut durch seinen reichgestickten Koller dringen zu sehen – aber ihn in unser Haus nehmen! Mädchen, hast Du das wohl bedacht? Er ist ja ein Christ, und nach unsern Gesetzen dürfen wir mit den Fremden und Heiden nichts zu thun haben, außer zum Vortheil unsers Handels.«

[289] »Redet nicht so, theurer Vater,« versetzte Rebekka, »freilich dürfen wir uns nicht mit ihnen vermischen bei Fest und Fröhlichkeit, doch in Wunden und Elend wird der Heide des Juden Bruder.«

»Ich wollte, ich wüßte, was der Rabbi Jakob Ben Tudela davon denken würde, – indeß der gute Jüngling darf sich nicht zu Tode bluten; laß Seth und Ruben ihn nach Ashby tragen.«

»Laßt sie ihn lieber hier in meine Sänfte legen,« sagte Rebekka; »ich besteige einen von den Zeltern.«

»Das hieße Dich ja den Blicken dieser Hunde von Ismael und Edom aussetzen,« lispelte Isaak mit bedenklichem Blicke auf die Menge von Rittern und Knappen umher. Allein Rebekka war bereits beschäftigt, ihren edlen Vorsatz ins Werk zu setzen, und hörte nicht auf das, was Isaak sagte, bis er sie am Aermel faßte und mit hastiger Stimme rief: »Bei Aarons Bart! wenn nun der Jüngling nicht aufkommt, wenn er bei uns stirbt? wird man uns nicht schuldig finden an seinem Blute, und wird uns nicht der Haufen in Stücke zerreißen?«

»Er wird nicht sterben,« sagte Rebekka, sich sanft von Isaak losmachend, »er wird nicht sterben, wenn wir ihn nicht verlassen; thun wir aber das, dann sind wir Gott und Menschen für seinen Tod verantwortlich.«

»Ach!« sagte Isaak, »mich schmerzten die Tropfen seines jungen Blutes, als wenn es goldene Byzantiner wären, die ich aus meinem eigenen Beutel fallen sehe. Auch weiß ich, daß Dich der Unterricht der Miriam, Tochter des Rabbi Manasse von Byzanz, dessen Seele im Paradiese ist, sehr geschickt gemacht hat in der Heilkunst, und daß Du dich auf die Kräuterkunst verstehst und kennst die Kraft der Elixire. Thue also, was Dein Herz Dir sagt, Du bist ein gutes Mädchen; ein Segen, eine Krone, ein hohes Lied für für mich und mein Haus und für das Volk unserer Väter!«

Isaaks Befürchtungen waren indeß nicht ganz ungegründet, und der edelmüthige Eifer seiner Tochter setzte sie bei ihrer Rückkehr den gottlosen Blicken Brian de Bois-Guilberts aus. Der Templer ritt unterwegs zweimal an ihnen hin und her, wobei er seine kühnen brennenden Blicke auf die reizende Jüdin heftete; auch haben wir bereits die Folgen der Bewunderung gesehen, zu der [290] ihn ihre Reize entflammten, als der Zufall sie in die Gewalt dieses Wollüstlings fallen ließ.

Rebekka verlor keine Zeit, den Kranken in ihre einstweilige Wohnung bringen zu lassen, und untersuchte sogleich mit eigenen Händen seine Wunden, welche sie hierauf verband. Selbst der jüngste Leser von Romanen und romantischen Balladen muß sich erinnern, daß oftmals Frauen in jenen finstern Zeiten, wie man sie zu nennen pflegt, in die Geheimnisse der Wundarzneikunst eingeweiht waren und daß ein tapferer Ritter nicht selten seine Wunden der Pflege einer Dame unterwarf, deren Augen dann noch tiefer in sein Herz drangen.

Die Juden aber verstanden und übten Heilkunde in allen ihren Zweigen, und Monarchen und mächtige Herren jener Zeit vertrauten sich, sobald sie krank oder verwundet waren, einem erfahrenen Weisen aus diesem verachteten Volke an. Die Hilfe jüdischer Aerzte wurde um so lieber aufgesucht, weil man allgemein glaubte, die Rabbiner wären tief in verborgene Wissenschaften eingeweiht, besonders aber in die cabalistische Kunst, welche ihren Namen und ihren Ursprung den Studien der Weisen Israels zu danken hat. Auch widerlegten die Rabbiner diese Meinung keineswegs; denn der Haß, mit dem man ihre Nation betrachtete, konnte sich unmöglich vergrößern, während die Verachtung, mit welcher er vermischt war, dadurch geringer wurde. Ein jüdischer Zauberer wurde zwar eben so verabscheut, wie ein jüdischer Wucherer, allein er konnte nicht in gleichem Grade verachtet werden. Es ist überdies nicht unwahrscheinlich, daß, wenn man die wunderbaren Kuren, welche die Juden vollbracht haben sollen, bedenkt, sie wohl im Besitze gewisser Geheimnisse der Heilkunst gewesen sein mögen, die sie mit dem aus ihrer Lage selbst entspringenden, ausschließenden Geiste auf alle Weise vor den Christen geheim hielten.

Die schöne Rebekka war mit aller Sorgfalt in allen Kenntnissen unterrichtet worden, die ihrer Nation eigen waren, und ihr hochbegabter Geist hatte sich dieselben derartig angeeignet und erweitert, daß sie ihr Geschlecht und selbst ihr Zeitalter darin übertraf. Ihre medizinischen Kenntnisse hatte sie unter der Anleitung [291] einer alten Jüdin, der Tochter eines sehr berühmten jüdischen Gelehrten, erworben; Miriam liebte Rebekka wie eine Tochter, und man glaubte, sie habe derselben die Geheimnisse mitgetheilt, die ihr von ihrem Vater hinterlassen worden waren. Sie selbst war zwar als ein Opfer des Fanatismus gefallen, allein ihre Geheimnisse lebten in ihrem geschickten Zögling fort.

Rebekka wurde von ihrem eigenen Stamme mit allgemeiner Bewunderung und Verehrung betrachtet. Ihr Vater selbst gestattete dem Mädchen eine größere Freiheit, als es Frauen gegenüber unter den Juden damals Sitte war; auch ließ er sich, wie wir gesehen haben, durch ihre Meinung so leiten, daß er sie oft über die eigene stellte.

Als Ivanhoe die Wohnung Isaaks erreicht hatte, befand er sich immer noch in einem Zustande von Bewußtlosigkeit. Rebekka untersuchte seine Wunden, und nachdem sie die zweckmäßigsten Mittel angewendet hatte, meldete sie ihrem Vater, daß, wenn das Fieber entfernt werden könnte und Miriams Heilbalsam seine Kraft bewähre, für ihres Gastes Leben nichts zu fürchten sei; er werde sogar mit ihnen den folgenden Tag ohne Schaden nach York reisen können. Isaak wurde bei dieser Gelegenheit ein wenig blaß. Seine Milde hätte ihn vielleicht veranlaßt, in Ashby zu bleiben; oder er hätte den verwundeten Christen in dem Hause gelassen, wo er sich jetzt befand, und die Versicherung gegeben, daß der Jude, dem es gehörte, alle aufzuwendenden Kosten redlich vergütet erhalten werde; allein Rebekka hatte dagegen einige Gründe geltend zu machen, von denen zwei bei Isaak von vorzüglichem Gewichte waren. Zum ersten meinte Rebekka, daß sie sich auf keine Weise entschließen könne, die Schale mit dem köstlichen Balsam in den Händen eines andern Wundarztes, auch von ihrem Volke, zu lassen, weil sonst das wichtige Geheimniß leicht verrathen werden könnte; zum andern, daß der verwundete Ritter, Wilfred von Ivanhoe, ein großer Günstling von Richard Löwenherz sei und daß, im Falle der Rückkehr des Monarchen, Isaak, der den Bruder desselben, Johann, mit seinen Schätzen unterstützt habe, um seine rebellischen Pläne auszuführen, eines mächtigen Beschützers, der Richards Gunst genieße, gar sehr von Nöthen habe.

Diese Gründe überzeugten Isaak vollständig.

[292] Erst gegen Einbruch der Nacht erhielt Ivanhoe das Bewußtsein wieder. Er erwachte wie aus einem tiefen Schlafe, und alles, was er den Tag zuvor erlebt und gethan hatte, ehe er in den Schranken zu Boden sank, kam ihm wie ein Traum vor. Nur seine Wunden und seine Schwäche überzeugten ihn von der Wirklichkeit.

Mit Mühe versuchte er es, die Vorhänge seines Lagers zurückzuziehen. Es gelang, und zu seiner großen Verwunderung fand er sich in einem kostbar möblirten Gemache, mit so viel morgenländischen Geräthen, daß er fast glaubte, während seines Schlummers nach Palästina entrückt worden zu sein. Dieser Eindruck wurde dadurch noch verstärkt, daß auf einmal durch eine Tapetenthür eine weibliche Gestalt eintrat, die zwar reich, aber mehr im morgenländischen als europäischen Geschmacke gekleidet war und welcher zwei schwarzbraune Diener folgten.

Als der Ritter die schöne Erscheinung sofort anreden wollte, legte sie einen ihrer niedlichen Finger auf die Rosenlippen und deutete ihm Schweigen an, während einer der Diener sich Ivanhoe näherte und seine Seite entblößte, worauf die reizende Jüdin selbst sich überzeugte, daß der Verband in Ordnung und die Wunde in gutem Zustande sei. Sie vollzog ihr Geschäft mit so anmuthiger und würdevoller Einfalt und Bescheidenheit, daß auch in unsern feiner gebildeten Zeiten nichts Anstößiges in ihrem Thun hätte gefunden werden können. Rebekka gab ihre wenigen und kurzen Anweisungen dem alten Diener in hebräischer Sprache, und dieser, der ihr oft schon in ähnlichen Fällen zur Hand gewesen war, befolgte sie ohne Widerrede.

Die Töne einer unbekannten Sprache, so rauh sie aus einem andern Munde würden geklungen haben, hatten, da sie von der schönen Rebekka kamen, ganz das Romantische und Einschmeichelnde, was die Phantasie den Zauberformeln zuschreibt, welche irgend eine wohlthätige Fee ausspricht und die zwar dem Ohre unverständlich sind, doch wegen der Milde des Klanges und des sie begleitenden wohlthuenden Anblicks rührend und besänftigend auf das Herz wirkten. Ohne den Versuch einer ferneren Frage zu wagen, duldete Ivanhoe nun schweigend alle Maßregeln, die man zu seiner Herstellung nöthig finden möchte; und erst als man damit zu Ende [293] war und der reizende Wundarzt sich wieder entfernen wollte, wie er gekommen, vermochte der Ritter seine Neugier nicht länger zu bezähmen.

»Reizendes Mädchen,« sagte er in arabischer Sprache, – denn diese hatte er während seines Aufenthaltes im Morgenlande erlernt, und er glaubte, daß sie von der Fremden mit dem Turban und Kaftan, welche vor ihm stand, am ersten verstanden werden würde, »ich bitte Dich, reizendes Mädchen, Deine Höflichkeit« –

Hier aber wurde er von seinem schönen Wundarzte unterbrochen, auf dessen Gesichte, das im Allgemeinen eine sinnende Schwermuth an den Tag legte, jetzt auf einen Augenblick ein sanftes Lächeln dämmerte: »Ich bin aus England, Herr Ritter, und spreche englisch, obgleich meine Kleidung und meine Gesichtszüge einem andern Himmelsstriche angehören.«

»Edles Mädchen,« begann Ivanhoe von neuem, wurde aber schnell wieder von Rebekka unterbrochen.

»Ertheilt mir nicht das Beiwort edel, Herr Ritter,« sagte sie; »Ihr müßt schnell erfahren, daß Eure Dienerin eine Jüdin ist, die Tochter Isaaks von York, gegen den Ihr Euch vor Kurzem als einen so guten und freundlichen Herrn bewiesen habt. Es ziemt ihm und den Gliedern seines Hauses wohl, Euch allen Beistand zu leisten, den Eure jetzige Lage erfordert.«

Wir wissen nicht, ob die schöne Rowena ganz zufrieden gewesen wäre mit der Art von Rührung, mit der ihr Ritter das schöne Gesicht, die reizende Gestalt und die glänzenden Augen der liebenswürdigen Rebekka betrachtete. Diese Augen, deren Glanz, als bedürfe er einiger Milderung, durch lange, seidene Wimpern beschattet wurden, würde ein Minstrel vielleicht mit dem Abendstern verglichen haben, dessen Strahlen durch eine Jasminlaube brechen. Allein Ivanhoe war ein zu guter Christ, um ähnliche Gefühle auch gegen eine Jüdin zu nähren. Das hatte Rebekka vorausgesehen, und darum beeilte sie sich, dem Ritter ihres Vaters Namen und Abstammung bekannt zu machen. Indessen war die weise und schöne Tochter Isaaks nicht ohne einige Züge weiblicher Schwäche; denn sie mußte doch innerlich seufzen, da der Blick achtungsvoller Bewunderung, nicht ohne einige Beimischung von Zärtlichkeit, mit dem Ivanhoe noch kurz vorher seine unbekannte Wohlthäterin betrachtet[294] hatte, auf einmal durch ein kaltes, abgemessenes, theilnahmloses Benehmen ersetzt ward. Nicht, daß Ivanhoes früheres Betragen mehr als jene ehrerbietige Huldigung ausgedrückt hätte, welche die Jugend immer so gern der Schönheit zollt, – es war nur kränkend, daß ein einziges Wort gleich einer Zauberformel wirken konnte, um die arme Rebekka, der doch ihr Recht auf solche Huldigung bewußt sein mußte, auf einmal in eine so entwürdigte Klasse zu setzen, der diese Huldigung ehrenhalber versagt werden mußte.

Allein Rebekkas edles und zartes Gemüth rechnete es Ivanhoe nicht zur Schuld an, daß er das allgemeine Vorurtheil seines Zeitalters und seiner Religion theilte. Im Gegentheil hörte die schöne Jüdin nicht auf, seiner Genesung und Herstellung dieselbe ergebene und duldende Sorge zu widmen, wie sehr sie auch wahrnahm, daß ihr Patient sie nunmehr als eine Person betrachtete, mit der er, ohne sich zu entehren, nur den allernothwendigsten Verkehr haben dürfe. Sie meldete ihm, daß sie sich nothwendig nach York begeben müßten; daß ihr Vater entschlossen sei, ihn dorthin bringen zu lassen und in seinem Hause zu behalten, so lange, bis seine Gesundheit vollkommen wieder hergestellt sei. Ivanhoe zeigte großen Widerwillen gegen diesen Plan, weil er seinen Wohlthätern doch nicht gern so lange beschwerlich fallen wollte.

»Wäre denn nicht,« sagte er, »zu Ashby oder in dessen Nähe ein sächsischer Freisasse, oder irgend ein wohlhabender Bauer, der sich mit einem verwundeten Landsmanne so lange belasten wollte, bis er wieder im Stande wäre, die Rüstung zu tragen? Wäre denn kein Kloster sächsischer Stiftung hier, wo er aufgenommen werden könnte? Oder könnte man ihn nicht nach Burton bringen, wo er sicher sein würde, bei Waltheoff, dem Abte von St. Withold, seinem Verwandten, gastfreundliche Aufnahme zu finden?«

»Allerdings,« sagte Rebekka mit melancholischem Lächeln, »würde die schlechteste dieser Herbergen zu Eurer Aufnahme geschickter sein, als das Haus eines verachteten Juden; indessen, Herr Ritter, wenn Ihr nicht Euren Wundarzt von Euch entfernen wollt, so könnet Ihr Eure Wohnung nicht verändern. Unsere Nation, das wißt Ihr sehr wohl, vermag Wunden zu heilen, ohne daß sie dergleichen schlägt; und in unserer Familie besonders befinden sich seit Salomos Zeiten Geheimnisse, deren wohlthätige [295] Wirkung Ihr bereits erfahren habt. Kein Nazarener – Ihr müßt mir dieses verzeihen – kein Christ innerhalb der vier Meere Britanniens würde im Stande sein, Euch binnen Monatsfrist zur Tragung der Rüstung geschickt zu machen.«

»Und binnen welcher Zeit getraust Du Dir dieses zu bewirken?« fragte Ivanhoe ungeduldig.

»Binnen acht Tagen, wenn Du Dich geduldig meinen Anordnungen überlassen willst,« versetzte Rebekka.

»Bei der heiligen Jungfrau!« sagte Wilfred, »wenn es nicht Sünde ist, hier ihren Namen zu nennen, es ist jetzt keine Zeit für mich oder sonst einen treuen Ritter, bettlägerig zu sein, und wenn Du Dein Versprechen erfüllst, so bezahle ich Dich mit einem ganzen Helm voll Kronen, mag ich dazu kommen, wie ich will.«

»Ich werde mein Versprechen erfüllen,« sagte Rebekka, »und Du sollst Deine Rüstung am achten Tage von heute an tragen können, indessen mußt Du mir statt Deines Silbers eine andere Gefälligkeit versprechen.«

»Wenn es in meiner Macht steht und sie ein christlicher Ritter jemanden von Deinem Volke erweisen darf, so verspreche ich's Dir mit dankerfülltem Herzen.«

»Nun,« versetzte Rebekka, »so bitte ich Dich, von nun an zu glauben, daß ein Jude einem Christen wohl einen Dienst zu leisten vermag, ohne einen andern Lohn zu erwarten, als das Wohlgefallen des großen Vaters, der beide, Juden und Nichtjuden, erschuf.«

»Es wäre Sünde, Mädchen, daran zu zweifeln,« erwiderte Ivanhoe, »und ich überlasse mich ganz Deiner Geschicklichkeit ohne fernere Fragen und Zweifel. Und nun, mein freundlicher Arzt, laß mich nach andern Nachrichten fragen. Was hört man von dem edlen Sachsen Cedric und seinen Hausgenossen? Was von der liebenswürdigen Lady« – hier hielt er inne, gleich als wollte er nicht gern Rowenas Namen in dem Hause eines Juden aussprechen: »Ich meine die,« fuhr er fort, »welche im Turniere zur Königin ernannt wurde.«

»Und die Ihr zu dieser Würde, Herr Ritter, mit so richtigem Urtheil erwähltet, daß es eben so bewundert wurde, wie Eure Tapferkeit,« versetzte Rebekka.

Der bedeutende Blutverlust hatte Ivanhoe doch nicht verhindert, [296] ein wenig zu erröthen, da er fühlte, daß er unbedachter Weise sein Interesse an Rowena, gerade durch die Anstrengung, es zu verhehlen, am deutlichsten verrathen hatte.

»Ich wollte nicht sowohl von ihr sprechen,« sagte er, »als von dem Prinzen Johann; auch möchte ich gern etwas wissen von meinem treuen Knappen, und warum ich ihn nicht bei mir sehe?«

»Laßt mich mein Ansehn als Arzt geltend machen,« entgegnete Rebekka, »und Euch jetzt Schweigen und Ruhe gebieten; ich will Euch sagen, was Ihr zu wissen begehrt. Prinz Johann ist vom Turnier aufgebrochen und in aller Eile nach York gezogen; Edle, Ritter, und Geistliche seiner Partei begleiteten ihn, nachdem er von denen, die man für die Reichsten im Lande hielt, so viel Geld, als sich nur erpressen ließ, zusammengebracht hatte. Man sagt, er habe den Plan, sich seines Bruders Krone aufs Haupt zu setzen.«

»Doch nicht ohne einen Versuch zur Vertheidigung derselben,« sagte Ivanhoe, sich von seinem Lager gewaltsam erhebend, »und wenn es auch nur Einen getreuen Unterthan in England geben sollte. Ich will für Richards Rechte fechten mit den Besten von ihnen – sei es auch Einer gegen Zwei in diesem gerechten Streite.«

»Allein damit Ihr dies vermögt,« sagte Rebekka, indem sie seine Schulter mit ihrer Hand berührte, »müßt Ihr meine Anweisungen treulich befolgen und jetzt ruhig bleiben.«

»Du hast Recht, Mädchen,« sagte Ivanhoe, »so ruhig, als diese unruhigen Zeiten es nur erlauben. Aber Cedric und seine Hausgenossen?«

»Sein Vogt kam vor Kurzem mit vieler Eile hieher,« sagte die Jüdin, »um von meinem Vater Geld zu holen, den Preis der Wolle, die noch auf Cedrics Schafen wächst, und von ihm erfuhr ich, daß Cedric und Athelstane von Coningsburgh des Prinzen Hoflager sehr mißvergnügt verlassen haben und im Begriff waren, nach Hause zurückzukehren.«

»Kam denn eine Dame mit ihnen zum Bankette?« fragte Wilfred.

»Lady Rowena,« sagte Rebekka, die Frage bestimmter beantwortend, als man sie gethan hatte, »Lady Rowena kam nicht mit zu des Prinzen Feste, und wie uns der Vogt gesagt hat, ist sie jetzt nach Rotherwood unterwegs mit ihrem Vormunde Cedric. Euren treuen Knappen Gurth anlangend –«

[297] »Wie?« rief der Ritter, »kennst Du diesen Namen? – Ja, ja!« setzte er sogleich hinzu, »Du kennst ihn; denn aus Deiner Hand und von Deiner Großmuth empfing er ja gestern, wie ich glaube, die hundert Zechinen.«

»O!« versetzte Rebekka erröthend, »erwähne doch das nicht; ich sehe, wie leicht unsre Zunge das verräth, was das Herz so gern verbergen möchte.«

»Aber,« sagte Ivanhoe ernst, »meine Ehre ist dabei interessirt, Deinem Vater diese Geldsumme wieder zu erstatten.«

»Halte es, wie Du willst, wenn acht Tage vorüber sind,« entgegnete Rebekka, »aber denke jetzt an nichts, was Deine Herstellung verzögern könnte.«

»Es sei, edles Mädchen,« sagte Ivanhoe, »es würde undankbar sein, Deinen Befehlen widerstreben zu wollen. Allein nur noch ein Wort wegen Gurth, und ich frage Dich nichts mehr.«

»Ich sage Euch ungern, Herr Ritter, daß er sich in Cedrics Gewahrsam befindet –« und indem Rebekka den Kummer bemerkte, den dies Wilfred machte, setzte sie augenblicklich hinzu: »Aber Oswald der Vogt sagt, wenn seines Herrn Unzufriedenheit durch nichts Neues erregt werde, so würde er ihm leicht verzeihen als einem treuen Diener, den er sehr hoch halte und der doch seinen Fehler nur aus Liebe zu Cedrics Sohne begangen habe. Auch sagte er noch, er und seine Kameraden, vornehmlich Wamba der Narr, wären entschlossen, Gurth zur Flucht behilflich zu sein, im Fall Cedrics Zorn durch nichts besänftigt werden könnte.«

»Möchten sie doch ihren Vorsatz ausführen,« sagte Ivanhoe, »allein es scheint, als ob ich alle unglücklich machen müßte, welche mir auf irgend eine Art sich wohlthätig bewiesen haben. Mein König, der mich ehrte und auszeichnete, ist, wie Du siehst, in Gefahr, von dem eigenen Bruder, der ihm so viel Dank schuldet, um seine Krone gebracht zu werden; mein Blick hat der Schönsten ihres Geschlechts Zwang und Verlegenheit gebracht, und jetzt will mein Vater seinen treuen Leibeigenen, weil er mich liebt, voll Unwillen mißhandeln. Du siehst also, Mädchen, welch ein vom Schicksal verfolgter Unglücklicher ich bin; sei also weise, laß mich; ziehe Deine Hand von mir ab, ehe auch Dich das Unheil, das wie ein Schweißhund meiner Spur folgt, ins Verderben zieht.«

[298] »O!« versetzte Rebekka, »Deine Schwäche und Dein Kummer lassen Dich die Absichten des Himmels mißverstehen. Du bist Deinem Vaterlande wieder gegeben worden zu einer Zeit, wo es des Beistandes eines starken Armes und treuen Herzens am meisten bedurfte, und Du hast den Stolz Deiner Feinde und der Feinde Deines Königs gedemüthigt, als er sich gerade am drohendsten erhob, und siehst Du nicht, daß für das Uebel, welches Dich betroffen, der Himmel Dir, selbst aus den Verachtetsten des Landes, einen Arzt und Helfer gesandt hat? Sei also gutes Muthes und glaube, Du seiest zu einem großen Werke bestimmt, das Dein Arm im Angesichte Deines Volkes ausführen soll. Lebe wohl, und wenn Du die Arznei genommen hast, die ich Dir durch Ruben senden werde, so suche Dich zu beruhigen, damit Du die Reise des morgenden Tages desto leichter zu überstehen vermagst.«

Ivanhoe wurde durch diese Rede überzeugt und fügte sich Rebekkas Verordnungen. Der Trank, den ihm Ruben brachte, war beruhigend und stärkend zugleich und verschaffte dem Kranken einen gesunden und ungestörten Schlaf. Am andern Morgen fand ihn sein milder Arzt frei von allen Symptomen des Fiebers und im Stande, den Beschwerden der Reise sich zu unterziehen.

Er wurde in die Sänfte getragen, in welcher er auch aus den Schranken gebracht worden war, und man wandte jede mögliche Vorsicht an, um ihm die Reise leicht und bequem zu machen. In einer einzigen Hinsicht waren Rebekkas Bemühungen nicht im Stande, für die Pflege des verwundeten Reisenden hinlänglich zu sorgen. Isaak trug nämlich, gleich dem Reisenden in Juvenals zehnter Satyre, immer die Furcht vor Beraubung mit sich herum; denn er wußte wohl, daß er von den herumstreifenden und plündernden Normannen, sowie von den sächsischen Geächteten für ein recht schönes Wildpret gehalten wurde. Er reiste daher mit großer Eile und machte kurze Ruhepunkte und noch kürzere Mahlzeiten; so kam es, daß er Cedric und Athelstane zuvorkam, die einige Stunden hinter ihm zurückgeblieben, zumal da sie sich auch im Kloster des heiligen Withold beim Mahle länger auf gehalten hatten. Miriams Balsam hatte entweder solche Kraft oder Ivanhoes Constitution solche Stärke, daß er von den Unbequemlichkeiten der Reise, welche sein freundlicher Arzt für ihn gefürchtet hatte, nicht das Geringste empfand.

[299] In einer andern Hinsicht zeigte sich indessen des Juden Eilfertigkeit nicht von so guten Folgen. Sie erzeugte nämlich zwischen ihm und den Leuten, welche er als Bedeckung gemiethet hatte, mehrere Uneinigkeiten. Diese Leute waren Sachsen und keineswegs frei von der Neigung zur Bequemlichkeit und gutem Leben, welche die Normänner mit dem Namen Faulheit und Freßgier bezeichneten. Im umgekehrten Verhältnisse Shylocks hatten sie ihr Geschäft blos in der Hoffnung übernommen, sich an dem reichen Juden zu mästen, und waren höchst unzufrieden, als sie sich getäuscht sahen, indem er so unablässig auf die höchste Eile drang. Sie stellten ihm auch die Gefahr vor, in die ihre Pferde durch diese Eilmärsche gerathen müßten, und endlich erhob sich ein höchst ernsthafter Streit zwischen Isaak und seiner Wache in Hinsicht auf die Quantität von Wein und Bier, die bei jeder Mahlzeit gereicht werden sollte. Daher kam es denn, daß er im Augenblicke der Entscheidung, den er gefürchtet hatte, von den unzufriedenen Miethlingen verlassen wurde.

In dieser hilflosen Lage wurde, wie schon berichtet, der Jude mit seiner Tochter und dem verwundeten Kranken von Cedric gefunden, und späterhin fiel er in die Hände de Bracys und seiner Gefährten. Anfangs bekümmerte man sich nicht viel um die Sänfte, und vielleicht hätte man sie gänzlich stehen lassen, hätte nicht de Bracy hineingeschaut, in der Meinung, der Gegenstand seiner Wünsche befinde sich darin. Wie groß war aber de Bracys Erstaunen, als er den verwundeten Mann erblickte, der, da er meinte in die Hände sächsischer Geächteter gefallen zu sein, bei denen sein Name ihm und seinen Freunden zum Schutze gereichen konnte, sich offen und frei als Wilfred von Ivanhoe zu erkennen gab.

Die Ideen von ritterlicher Ehre, welche trotz allen Leichtsinns und aller Verwilderung de Bracy nicht ganz aufgegeben hatte, hielten ihn ab, dem Ritter eine Beschimpfung zuzufügen, oder ihn an Front de Boeuf zu verrathen, der in keiner Hinsicht Bedenken getragen haben würde, seinen Mitprätendenten auf das Lehen von Ivanhoe dem Tode zu weihen. Allein einen von Lady Rowena begünstigten Nebenbuhler in Freiheit zu setzen, ging, nachdem die Begebenheiten auf dem Turniere und Wilfreds frühere Verbannung aus dem väterlichen Hause allgemein bekannt geworden waren, doch [300] über de Bracys Großmuth. Er vermochte daher weiter nichts als einen Mittelweg einzuschlagen, und so befahl er zweien von seinen Knappen, sich dicht neben der Sänfte zu halten und niemanden sich derselben nähern zu lassen. Auf alle Fragen waren sie angewiesen, zu sagen, die leere Sänfte der Lady Rowena habe man zur Fortbringung eines ihrer im Kampf verwundeten Kameraden benutzt. Bei der Ankunft zu Torquilstone wurde Ivanhoe von de Bracys Knappen in ein entferntes Gemach gebracht, indeß der Templer und der Herr des Schlosses ihre Pläne verfolgten. Front de Boeuf erfuhr auf seine Frage, warum de Bracys Knappen nicht auf der Mauer erschienen wären, als der Lärm sich gezeigt, auch nichts weiter, als daß sie einen verwundeten Kameraden weggebracht hätten.

»Einen verwundeten Kameraden!« rief er voll Erstaunen und Zorn. »Kein Wunder, daß Bauern und Landsassen sich vor die Schlösser legen und daß Schweinehirten und Narren Ausforderungen schicken, wenn sich Krieger zu Krankenwärtern hergeben und Freitruppen sich als Hüter an Sterbebetten stellen lassen, indeß das Schloß in Gefahr ist, erstürmt zu werden. – Auf die Mauern, ihr faulen Schurken!« schrie er, bis von seiner Stentorstimme die Gewölbe erbebten. »Auf die Mauern, auf die Mauern, oder ich zerschlage euch die Gebeine mit diesem Commandostocke!«

Die Leute erwiderten mürrisch, sie wünschten auch nichts mehr, als auf die Mauern zu kommen; nur sollte Front de Boeuf sie bei ihrem Herrn vertreten, der ihnen ausdrücklich befohlen habe, des sterbenden Mannes sich anzunehmen.

»Des sterbenden Mannes?« entgegnete der Baron, »ich sage euch, wir werden alle sterbende Männer, wenn wir uns nicht recht fest dagegen stemmen. Aber euer Kamerad soll sogleich eine andere Wartung erhalten.« Er rief Urfried und befahl ihr, sich zum Lager des Sterbenden zu begeben. Den Knappen aber reichte er Armbrüste und Bolzen. Diese eilten gern zum Kampfe, und Urfried oder Ulrica, deren Kopf mit Erinnerung erlittener Beschimpfung und Hoffnung auf Rache erfüllt war, ließ sich leicht bereden, die Pflege ihres Kranken auf Rebekka zu übertragen.

29. Kapitel

[301] Kapitel XXIX.

Ersteig den Wartthurm dort und sieh hinaus

Aufs Feld, wie's mit der Schlacht steht.


Jungfrau von Orleans.


Ein Augenblick der Gefahr ist oft auch ein Augenblick offenherziger Liebe und Zuneigung. Wir werden der strengen Selbstbewachung durch den allgemeinen Aufruhr unserer Empfindungen entzogen und verrathen die Tiefe und Stärke derjenigen, die unsere Klugheit in ruhigern Augenblicken wenn auch nicht unterdrückt, doch verbirgt. Als sich Rebekka jetzt wieder an Ivanhoes Seite befand, als sie seinen Puls fühlte und sich nach seinem Befinden erkundigte, lag in ihrer Berührung und in dem Tone ihrer Stimme eine Sanftheit, welche einen zärtlichern Antheil verrieth, als sie sich wohl selbst hätte gestehen mögen. Ihre Stimme bebte, ihre Hand zitterte, und bloß die kalte Frage Ivanhoes: »Bist Du es, freundliches Mädchen?« brachte sie ganz zu sich selbst und erinnerte sie, daß die Gefühle, die sie hegte, nicht wechselseitig waren und es nicht sein konnten. Ein Seufzer entschlüpfte ihr; aber er war kaum hörbar, und die Fragen, die sie an den Ritter über seinen Gesundheitszustand richtete, wurden mit dem Tone ruhiger Freundschaft ausgesprochen. Ivanhoe antwortete darauf, daß er sich recht gut und besser befinde, als er erwartet hätte. »Dank, theure Rebekka,« setzte er hinzu, »Dank für Deine hilfreiche Geschicklichkeit!«

»Er nennt mich theure Rebekka,« sagte das Mädchen zu sich selbst, »aber in dem kalten, liebeleeren Tone, der so übel zu dem [302] Worte paßt. Sein Streitroß, sein Jagdhund sind ihm theurer als die verachtete Jüdin!«

»Ach!« fuhr Ivanhoe fort, »meine Seele, freundliches Mädchen, ist mehr von Angst gequält, als mein Körper von Schmerz. Aus den Reden der Leute, welche so eben noch meine Wärter waren, hörte ich, daß ich gefangen bin, und wenn ich der rauhen Stimme trauen darf, die sie zu einem militärischen Geschäfte abrief, so bin ich in dem Schlosse Front de Boeufs. Ist dem so, wie wird das enden, oder wie kann ich Rowena und ihren Vater beschützen?«

»Er nennt den Juden und die Jüdin nicht,« sagte Rebekka zu sich selbst, »doch was können wir ihm auch sein? Und wie gerecht straft mich der Himmel, daß ich meine Gedanken bei ihm verweilen ließ!« Sie beeilte sich, nach dieser kurzen Selbstanklage, Ivanhoe die Auskunft zu geben, die sie geben konnte; allein sie beschränkte sich doch nur darauf, daß der Templer Bois-Guilbert und Front de Boeuf die Befehlshaber innerhalb des Schlosses wären, und daß es von außen belagert werde, doch wisse sie nicht von wem. Sie setzte hinzu, es befinde sich auch ein christlicher Priester im Schlosse, von dem sich vielleicht mehr erfahren lasse.

»Ein christlicher Priester!« sagte der Ritter erfreut, »hol ihn hierher, Rebekka, wenn Du kannst; sprich, ein kranker Mann bedarf seines geistlichen Beistandes – sprich, was Du willst, aber bring ihn nur – etwas muß ich versuchen oder unternehmen – aber wie kann ich das, ehe ich weiß, wie die Dinge draußen stehn!«

Rebekka willigte ein, aber wir haben gesehen, wie sie an Cedric gerieth und wie ihr Bemühen durch Urfrieds Dazwischenkunft mißlang, die ebenfalls auf den Mönch wartete.

Sie hatte nicht viel Muße darüber weiter nachzudenken, denn der Lärm der Zurüstungen zum Kampfe im Schlosse wurde jetzt zehnfach stärker und betäubender. Der schwere hastige Tritt der Gewaffneten dröhnte über die Zimmer hinweg, oder hallte wider von den engen und gewundenen Gängen und Treppen. Man vernahm den Ruf der Ritter, die ihre Gefolgschaft anfeuerten oder die Vertheidigung leiteten, wobei ihre Stimmen oft im Waffenlärm erstickt oder im Geschrei der Angeredeten übertönt wurden. So schrecklich dies im Ganzen, und so furchtbar die Begebenheit war, die zu erwarten stand, so mischte sich doch in diesem Moment in [303] Rebekkas Angst ein Gefühl der Erhabenheit; ihr Auge glühte – obgleich das Blut aus ihren Wangen gewichen war; ein mächtiges Gefühl der Furcht, das sich mit dem Eindrucke des Erhabenen mischte, überkam sie, als sie halb flüsternd, halb für sich, halb ihrem Gefährten vernehmbar das Wort der Schrift recitirte: »Und siehe, der Köcher rasselt, – der Speer und der Schild blitzen, den Lärm der Hauptleute und ihr Schreien hört man in der Nähe.« Aber Ivanhoe glich bei diesen Reden dem Schlachtrosse jener Bibelstelle, welches vor Ungeduld glüht, sich ebenfalls in den Kampf zu stürzen. »Könnte ich mich nur zu jenem Fenster schleppen,« sagte er, »daß ich dem Verlauf des Kampfes zusehen könnte! Oder hätte ich einen Bogen, um einen Pfeil abzuschießen, oder nur eine Streitaxt, um einen Streich zu unserer Befreiung zu thun. Aber umsonst! Ich bin kraft- und waffenlos!«

»Quäle Dich nicht selbst, edler Ritter,« versetzte Rebekka, »die Töne sind plötzlich verstummt; es ist wohl möglich, daß sie nicht handgemein wurden.«

»Du kennst das nicht,« sagte Wilfred voll Ungeduld, »diese Todtenstille beweist bloß, daß die Männer auf ihren Posten auf den Wällen sind und jeden Augenblick den Angriff erwarten; was wir gehört haben, war nur das entfernte Murmeln des Sturmes, jetzt wird er in seiner ganzen Wuth ausbrechen. O, könnte ich nur jenes Fenster erreichen!«

»Du wirst Dir durch diesen Versuch selber schaden, edler Ritter,« versetzte seine Pflegerin. Als sie seine große Unruhe bemerkte, setzte sie endlich hinzu: »Ich will mich selbst ans Gitter stellen und Dir beschreiben, so viel ich kann, was draußen vorgeht.«

»Du darfst – Du sollst es nicht!« rief Ivanhoe, »jedes Gitter, jede Oeffnung wird den Bogenschützen zum Ziele dienen; irgend ein aufs Ungewisse abgeschossener Pfeil« –

»Er soll mir willkommen sein,« sagte Rebekka leise für sich, indem sie mit festem Schritte die zwei oder drei Stufen hinaufstieg, die zu dem erwähnten Fenster führten.

»Rebekka, theure Rebekka!« rief Ivanhoe, »das ist kein Zeitvertreib für Mädchen – setze Dich nicht selbst der Verwundung und dem Tode aus und mache mich nicht für immer unglücklich durch das Bewußtsein, die Veranlassung dazu gegeben zu haben; [304] decke Dich wenigstens mit einem alten Schilde und zeige Deine Person so wenig als möglich am Gitter.«

Mit bewundernswürdiger Schnelligkeit folgte sie Ivanhoes Anweisungen und benutzte den Schutz eines breiten Schildes, indem sie ihn gegen den untern Theil des Fensters stellte, so daß sie mit ziemlicher Sicherheit das, was außerhalb des Schlosses vorging, beobachten konnte.

»Der Saum des Waldes scheint ganz mit Bogenschützen eingefaßt zu sein,« begann sie, »obgleich bis jetzt nur wenige aus dem dunklen Schatten vorgerückt sind.«

»Unter welchem Banner?« fragte Ivanhoe.

»Ich kann kein Feldzeichen entdecken,« versetzte Rebekka.

»Seltsam,« murmelte der Ritter für sich, »zum Sturm auf ein solches Schloß anzurücken, ohne eine Fahne oder ein Banner zu entfalten. Siehst Du, wer diejenigen sind, welche als Anführer auftreten?«

»Ein Ritter in schwarzer Rüstung zeichnet sich besonders aus, doch ist er vom Kopf bis zu den Füßen gewaffnet, und alle um ihn her scheinen nur seiner Weisung zu folgen.«

»Welche Devise führt er auf seinem Schilde?«

»Etwas, was wie eine eiserne Stange aussieht, und ein blaues Vorlegeschloß auf schwarzem Felde.«

»Fesseln und ein Fesselschloß,« sagte Ivanhoe; »ich kenne niemand, der dies als Schildzeichen führt, aber es könnte jetzt wohl mein eigenes sein. Kannst Du nicht die Schilddevise erkennen?«

»Die Devise selbst erkenne ich nicht in dieser weiten Entfernung; aber wenn die Sonne auf den Schild scheint, so zeigt sich das, was ich Euch gesagt habe.«

»Siehst Du keinen andern Führer?«

»Von hier kann ich keinen von Auszeichnung unterscheiden,« sagte Rebekka; »aber gewiß wird die andere Seite des Schlosses ebenfalls bestürmt. So eben scheinen sie vorrücken zu wollen. Gott Zions, schütze uns! Welch ein furchtbarer Anblick! Die ersten tragen große, große Schilde und aus Brettern geformte Schutzwehren; die andern folgen und spannen den Bogen, so wie sie heran kommen. Jetzt erheben sie die Bogen! Gott Mosis! vergib den Wesen, die du geschaffen hast!«

[305] Hier wurde ihre Beschreibung plötzlich durch das Zeichen zum Sturme unterbrochen, welches auf der einen Seite durch das Blasen eines lautschallenden Hornes gegeben und auf der andern durch die Fanfaren der normännischen Trompeten von den Wällen beantwortet wurde. Die Angreifenden riefen: »Hâlig Georg for mirig Englalond!« »Der heilige Georg für das lustige England!« und die Normänner erwiderten:»En avant, de Bracy! Beauseant! Beau-seant! – Front de Boeuf, à la recousse!« Dabei sausten die Pfeile hageldicht herüber und hinüber.

»Und ich muß indeß hier verweilen, wie ein bettlägeriger Mönch!« rief Ivanhoe, »während andere Hände das Spiel zu Ende führen, das mir Freiheit oder Tod gibt! Sieh noch einmal durchs Fenster, liebes Mädchen; doch nimm Dich in Acht, daß Dich kein Geschoß trifft; sieh noch einmal hinaus und sage mir, ob sie wirklich [306] zum Sturme schreiten. – Was siehst Du jetzt?« fragte der verwundete Ritter, als Rebekka ihre Stelle am Fenster wieder eingenommen hatte.

»Nichts als eine Wolke von Pfeilen, so dicht, daß mein Blick sie kaum durchdringen und die Schützen bemerken kann.«

»Das kann nicht lange anhalten; wenn sie nicht das Schloß direkt mit Sturm nehmen, können Bogen und Pfeile gegen steinerne Wälle nichts ausrichten!« sagte Ivanhoe. »Doch was macht der Ritter mit dem Fesselschloß auf dem Schilde, liebe Rebekka! wie zeigt er sich? – wie er, werden auch die Leute sein.«

»Ich sehe ihn nicht,« erwiderte Rebekka.

»Schnöder Feigling! weicht er vom Steuer, wenn der Sturm am stärksten rast?« sagte Ivanhoe.

»Doch jetzt sehe ich ihn wieder! Er führt einen Trupp dicht unter die äußerste Umpfählung des Außenwerks. Sie reißen die Pfähle nieder, zerhauen die Barrieren mit ihren Aexten. Sein hoher, schwarzer Federbusch wallt über dem Haufen, gleich Raben über dem Schlachtfelde. Sie haben eine Bresche in die Barrieren gemacht, sie dringen ein! Jetzt werden sie zurückgeworfen! Front de Boeuf führt die Vertheidiger – ich erkenne seine riesenhafte Gestalt in dem Gedränge. Sie stürmen auf die Oeffnung an! Sie fechten Mann gegen Mann! Gott Jakobs! es ist der Zusammenstoß zweier Fluten – zweier Meere, von entgegengesetzten Winden bewegt!«

Sie wandte ihr Gesicht vom Fenster ab, als vermöchte sie den Anblick eines so schrecklichen Schauspiels nicht länger zu ertragen.

»Sieh noch einmal hin, Rebekka,« sagte Ivanhoe, der die Ursache ihres Zurücktretens verkannte; »jetzt müssen die Bogenschützen aufgehört haben zu schießen; sie kämpfen Mann gegen Mann, es ist jetzt weit weniger Gefahr.«

Rebekka blickte wieder hinaus, doch sofort rief sie: »Heilige Propheten des Gesetzes! Front de Boeuf und der schwarze Ritter fechten Faust gegen Faust in der Bresche, unter dem lauten Zuruf ihrer Begleiter! O Himmel, nimm Dich der Sache der Unterdrückten und Gefangenen an!« Dann stieß sie einen lauten Schrei aus und rief: »Er fällt, er fällt!«

»Wer fällt?« fragte Ivanhoe, »bei der heiligen Jungfrau! Wer ist gefallen?«

[307] »Der schwarze Ritter,« antwortete Rebekka mit matter Stimme; doch sogleich setzte sie mit freudigem Tone hinzu: »Nein, nein, – der Name des Herrn der Heerschaaren sei gepriesen; – er steht wieder aufrecht und ficht, als wäre die Kraft von zwanzig Männern in seinem Arme. Sein Schwert ist gebrochen – er entreißt einem Bewaffneten seine Streitaxt – er setzt Front de Boeuf mit gewaltigen Schlägen zu! – Der Riese bebt, wankt wie die Eiche unter dem Stahle des Holzhauers – er fällt – er fällt!«

»Front de Boeuf?« fragte Ivanhoe.

»Ja, Front de Boeuf,« entgegnete Rebekka, »seine Leute eilen zu seiner Rettung herbei, von dem stolzen Templer angeführt. Ihre vereinte Macht nöthigt die Streiter zur Ruhe – sie bringen Front de Boeuf in Sicherheit.«

»Haben die Stürmenden die Barriere genommen?« fragte Ivanhoe.

»Das haben sie, das haben sie, und sie drängen nun die Belagerten hart auf dem äußern Walle. Einige legen Leitern an, einige schwärmen wie Bienen umher und versuchen auf den Schultern der andern hinaufzuklimmen. Von oben rollen Steine, Baumstämme auf die Häupter der Stürmenden, aber so wie ein Verwundeter aus dem Gedränge getragen wird, stellen sich frische Leute an die Stelle der Fehlenden. Großer Gott! hast Du denn darum den Menschen nach deinem Bilde geschaffen, daß er von den Händen seiner Brüder so grausam verstümmelt werden soll?«

»Jetzt ist es nicht Zeit, an so etwas zu denken,« sagte Ivanhoe, »Wer weicht? Wer dringt vor?«

»Die Leitern sind umgeworfen,« versetzte Rebekka schaudernd, »die Krieger liegen darunter wie zertretenes Gewürme. Die Belagerten sind im Vortheil.«

»Heiliger Georg, kämpfe für uns!« sagte der Ritter. »Wie, weichen denn die falschen Bogenschützen?«

»Nein,« rief Rebekka, »sie kämpfen, wie es ihnen geziemt. Der schwarze Ritter nähert sich der Pforte mit einer ungeheuren Streitaxt. Ihre donnernden Schläge übertönen das Getöse der Schlacht. Steine und Balken werden auf den kühnen Kämpfer herabgestürzt; er achtet ihrer nicht mehr, als wenn es Distelköpfe oder Federn wären.«

»Beim heiligen Johann von Acre!« sagte Ivanhoe, indem er [308] sich freudig auf seinem Lager emporrichtete, »ich dachte immer, nur ein Mann in England sei im Stande, solche Thaten auszuführen.«

»Die Pforte erbebt,« fuhr Rebekka fort; »sie bricht, sie wird zersplittert von seinen Schlägen. Sie dringen ein, das Außenwerk ist genommen! Gott, sie drängen die Vertheidiger von den Wällen! O ihr Männer, wenn ihr Menschen seid, so schont doch derer, die nicht mehr widerstehen können.«

»Die Brücke – die Brücke, welche mit dem Schlosse zusammenhängt, haben sie genommen?« rief Ivanhoe.

»Nein, der Templer hat die Planken zerstört, über die sie zurückgegangen waren – wenige der Vertheidiger entkamen mit ihm ins Schloß – das Gewimmer und Geschrei, welches Ihr hört, verkündet Euch das Schicksal der andern. Ach! ich sehe, daß es viel schrecklicher ist, einem Siege, als einer Schlacht zuzuschauen!«

»Was thun sie jetzt?« fragte Ivanhoe – »o, schau weiter hin, jetzt ist keine Zeit, über Blutvergießen ohnmächtig zu werden.«

»Für jetzt ist's vorüber,« sagte Rebekka. »Unsere Freunde verstärken sich innerhalb des Außenwerks, dessen sie sich bemächtigt haben, und es gewährt ihnen so guten Schutz gegen die Schüsse der Feinde, daß die Besatzung nur von Zeit zu Zeit einige Bolzen abschießt, mehr, wie es scheint, um sie zu beunruhigen, als ihnen zu schaden.«

»Unsere Freunde werden ein Unternehmen nicht aufgeben, das sie so glorreich begonnen haben,« sagte Wilfred. »Nein, nein, ich vertraue dem edlen Ritter, dessen Streitaxt Steineichen und Eisenstäbe zerhauen hat. – Seltsam,« murmelte er dann vor sich hin, »sollte es zwei geben, die eines solchen Muthes fähig sind? Ein Fesselschloß und eine eiserne Stange im schwarzen Felde! was soll das bedeuten? – Siehst Du sonst nichts, Rebekka, woran man den schwarzen Ritter erkennen könnte?«

»Nichts,« entgegnete die Jüdin, »alles um ihn und an ihm ist schwarz wie das Gefieder eines Raben. Aber wer ihn einmal hat fechten sehen in der Schlacht, erkennt ihn leicht unter tausend Kriegern. Er eilt zum Handgemenge, als ginge es zu einem Feste. Es scheint als legte er den ganzen Geist, die ganze Seele in jeden Streich, den er dem Feinde beibringt. Gott vergebe ihm die Sünde des Blutvergießens! Aber es ist herrlich, wenn auch schrecklich zu sehen, wie der Arm und der Muth eines Einzigen über Hunderte triumphiren kann.«

[309] »Rebekka,« sagte Ivanhoe, »Du hast einen Helden geschildert! Sicherlich ruhen sie nur aus, oder denken auf Mittel, über den Graben zu kommen. Unter solchem Führer gibt man kein kühnes Unternehmen aus Furcht oder Ueberlegung auf. O, ich schwöre es bei der Ehre meines Hauses, bei dem Namen der Helden, die ich verehre, ich wollte gern zehn Jahre gefangen sein, wenn ich nur einen Tag in einem solchen Kampf an des edlen Ritters Seite fechten könnte.«

»O,« rief Rebekka, indem sie ihren Platz am Fenster verließ und sich dem Lager des Verwundeten näherte – »diese unendliche Sehnsucht nach Gefechten, diese Unruhe, diese Anstrengung bei Eurer jetzigen Schwäche, muß Eurer Genesung schaden. Wie mögt Ihr hoffen, andern Wunden beizubringen, ehe Ihr von Euren eigenen genesen seid?«

»Rebekka,« entgegnete er, »Du weißt nicht, wie unmöglich es Einem ist, der zu Thaten der Ritterschaft erzogen ward, unthätig zu bleiben, wie ein Priester oder ein Weib, während man Thaten der Ehre um ihn vollbringt. Wir leben nicht, wir wünschen nicht länger zu leben, als wir siegreich und ruhmgekrönt sind. Dies, Mädchen, sind die Gesetze der Ritterschaft, die wir beschworen haben und denen wir alles opfern, was uns theuer ist.«

»Ach!« sagte die schöne Jüdin, »was ist das anders, tapferer Ritter, als ein Opfer, dem Dämon eitler Ehre gebracht, ein Hindurchgehen durchs Feuer des Moloch? Was bleibt Euch denn als Preis für all das Blut, das Ihr vergossen, für alle Mühe und Arbeit, die Ihr übernommen, für alle Thränen, die Ihr durch Eure Thaten erpreßt habt, wenn nun der Tod des starken Mannes Lanze zerbrochen und sein Schlachtroß in vollem Laufe eingeholt hat?«

»Was uns bleibt?« rief Ivanhoe, »Ehre, Mädchen, Ehre, die unser Grabmal vergoldet und unsere Namen verewigt.«

»Ehre?« fuhr Rebekka fort – »ist der verrostete Panzer, der als Sargschild über dem düstern, modererfüllten Grabe des Kämpfers hängt – ist die halb erloschene Inschrift darauf, die der unwissende Mönch dem forschenden Fremdling kaum vorzulesen vermag – sind diese ein hinreichender Ersatz für das Opfer jedes zärtlichen, milden Gefühls, für ein Leben elend hingebracht, um andere elend zu machen? Oder liegt in dem rohen Gesange eines wandernden [310] Sängers so viel Zauber, daß man häusliches Glück, Zärtlichkeit, Ruhe und Frieden thöricht verschleudert, um nur der Held einer Ballade zu werden, die herumziehende Minstrels trunkenen Burschen beim Bier vorsingen?«

»Bei Herewards Seele!« versetzte der Ritter unwillig, »Du sprichst über etwas, Mädchen, was Du nicht verstehst. Du würdest das reine Licht des Ritterthums auslöschen, das den Edlen von dem Gemeinen, den freien Ritter von dem Sklaven und dem Wilden unterscheidet; welches uns das Leben unendlich viel geringer achten läßt, als die Ehre; welches uns siegreich erhebt über Mühen, Qualen und Leiden, und uns lehrt, kein anderes Uebel zu fürchten, als Beschimpfung. Du bist keine Christin, Rebekka; Dir sind die erhabenen Gefühle unbekannt, welche die Brust eines edlen Mädchens erfüllen, wenn ihr Geliebter eine kühne Waffenthat vollbracht hat, die seine reine Liebe bestätigt. Das Ritterthum, Mädchen, ist die Nährerin der reinsten, schönsten Liebe; die Stütze des Unterdrückten, der Trost des Bekümmerten, die Macht, unter der sich die Gewalt der Tyrannen beugt. Ohne dieses ist der Adel ein leerer Name, und an seiner Lanze und seinem Schwerte findet die Freiheit ihren wirksamsten Schutz.«

»Auch ich,« sagte Rebekka, »bin aus einem Geschlechte entsprossen, dessen Muth sich in der Vertheidigung des Vaterlandes auszeichnete, aber das, als wir noch ein Volk waren, nur auf Befehl seines Gottes Krieg führte, oder zur Abwehr fremder Unterjochung. Der Klang der Trompeten erweckt Juda nicht mehr, und seine verachteten Kinder sind jetzt die Opfer friedlicher und kriegerischer Unterdrückung. Wohl hast Du gesprochen, Ritter; bis der Gott Jakobs nicht einen zweiten Gideon oder einen neuen Makkabäus seinem erwählten Volke erwecken wird, ziemt es einem jüdischen Mädchen nicht, von Schlacht und Kampf zu reden.«

Das hochgesinnte Mädchen beschloß ihre Rede in einem Tone des Kummers, der das Gefühl der Entwürdigung ihres Volkes bezeichnete, verbittert vielleicht noch durch den Gedanken, daß Ivanhoe sie als eine Person betrachtete, die nicht berechtigt sei, sich in eine Ehrensache zu mischen, und unfähig, Empfindungen der Ehre und Großmuth Raum zu geben.

»Wie wenig kennt er dieses Herz,« sagte sie zu sich selbst, [311] »wenn er meint, Feigheit und Niedrigkeit der Seele müßten hier wohnen, weil ich das phantastische Ritterthum der Nazarener getadelt habe. Wollte doch der Himmel, daß mein Blut, Tropfen für Tropfen vergossen, Judas Gefangenschaft lösen könnte! Ja, möchte es auch nur dazu dienen, meinen Vater und diesen seinen Wohlthäter aus den Händen des Unterdrückers zu befreien. O, der stolze Christ sollte dann sehen, ob eine Tochter aus Gottes erwähltem Volke es nicht wagen würde, eben so muthvoll zu sterben, als das stolzeste Mädchen der Nazarener, das seine Abkunft von irgend einem kleinen Oberhaupte des rauhen und eisigen Nordens ableitet.«

Dann blickte sie nach dem Lager des verwundeten Ritters hin.

»Er schläft,« sagte sie; »die Natur ist erschöpft durch Leiden und Aufregung, und der gedrückte Körper ergreift den ersten Augenblick einer Unterbrechung, um in Schlummer zu sinken. Ach! ist es ein Verbrechen, ihn anzuschauen, wenn es das letzte, letzte Mal ist? O Gott! nur ein kurzer Zwischenraum, und die so schönen Züge werden nicht mehr belebt von dem kühnen, auflodernden Geiste, der sie selbst im Schlafe nicht verläßt. Wo der Mund weit geöffnet, das Auge blutgeröthet und starr und der stolze Ritter niedergetreten sein wird vom schnödesten Knechte dieses verruchten Schlosses, und sich nicht mehr rühren wird, wenn ein Fuß sich gegen ihn erhebt.« – Sie schauderte bei diesem Gedanken. – »Aber mein Vater, mein Vater! O schlechte Tochter, wenn du seines grauen Haares nicht gedenkst bei den goldenen Locken des Jünglings! Was sind meine Leiden anderes als die Vorboten von Jehovas Zorn über das unnatürliche Kind, dem die Gefangenschaft eines Fremdlings mehr zu Herzen geht, als die des eigenen Vaters? Das Judas Kummer vergißt, und auf die Anmuth eines Heiden, eines Fremdlings schaut? – Aber ich will diese thörichte Neigung aus meinem Herzen reißen, und sollte jede Fiber darüber bluten.«

Sie hüllte sich dicht in ihren Schleier und setzte sich in einiger Entfernung von dem Lager des verwundeten Ritters nieder, mit dem Rücken gegen ihn gewendet, indem sie ihr Gemüth stärkte oder zu stärken suchte, nicht allein gegen die drohende Gefahr von außen, sondern auch gegen die verrätherischen Gefühle, die es von innen bestürmten.

30. Kapitel

[312] Kapitel XXX.

Tritt in die Kammer, schau nach seinem Bett.

Kein Geist des Friedens scheidet so von hinnen,

Der, wie die Lerche auf zum Himmel steigt,

Bei lindem Morgenwind und reinstem Thau,

Auf Thränen, Seufzern, sich zum Himmel aufschwingt,

So scheidet Anselm nicht.


Altes Schauspiel.


Während der Ruhe, welche nach dem ersten glücklichen Erfolge der Belagerer eintrat, indem die eine Partei sich rüstete, ihren Vortheil weiter zu verfolgen, und die andere, ihre Vertheidigungsmittel zu verstärken, hielten der Templer und de Bracy eine kurze Berathung in der Halle des Schlosses.

»Wo ist Front de Boeuf?« fragte der letztere, der das Schloß auf der andern Seite vertheidigt hatte; »man sagt ja, er sei gefallen.«

»Er lebt,« entgegnete der Templer kalt, »wenigstens jetzt noch, aber hätte er auch wirklich den Schädel eines Stiers gehabt, von dem er den Namen führt, und wäre dieser mit zehnfachen Eisenplatten belegt gewesen, er hätte doch unter den Streichen jener furchtbaren Axt erliegen müssen. Noch wenig Stunden, und Front de Boeuf befindet sich bei seinen Vätern – ein mächtiges Glied abgelöst von Prinz Johanns Unternehmen.«

»Und ein trefflicher Zuwachs zu dem Reiche des Satans,« sagte de Bracy; »das kommt davon, daß man Engel und Heilige verachtet und Bilder von heiligen Dingen auf die Köpfe dieser schurkischen Bogenschützen hinunterwerfen läßt.«

[313] »Geh, Du bist ein Narr,« sagte der Templer. »Dein Aberglaube ist um nichts besser, als Front de Boeufs Unglaube; es kann ja keiner von euch einen Grund dafür angeben.«

»Benedicite! Haltet Eure Zunge besser im Zaum, Herr Templer,« versetzte de Bracy, »wenn Ihr von mir redet. Bei der Mutter Gottes, ich bin ein besserer Christ als Ihr und Eure Genossen; denn es geht unverblümt das Gerücht, der heilige Orden des Tempels von Zion nähre manchen Ketzer in seinem Schoße, zu denen Ihr auch gehört, Sir Brian.«

»Bekümmere Dich doch nicht um solche Gerüchte,« sagte der Templer, »sondern laß uns jetzt auf den Schutz des Schlosses bedacht sein. – Wie fechten denn diese Schurken von Landsassen auf Deiner Seite?«

»Wie eingefleischte Teufel,« sagte de Bracy, »sie schwärmten bis dicht an die Wälle, angeführt, wie es schien, von dem Schurken, der den Preis im Bogenschießen erhielt, denn ich erkannte ihn an Horn und Wehrgehänge. Das ist des alten Fitzurse gepriesene Klugheit, daß er diese Kerle zur Empörung gegen uns aufmuntert. Wäre meine Rüstung nicht so gut gestählt, der Schelm hätte mich schon zehnmal mit derselben Kaltblütigkeit niedergeschossen, wie einen Rehbock. Er hat mir jede Fuge der Rüstung mit einem Pfeile gezeichnet, und trüge ich nicht ein spanisches Panzerhemd unter der Rüstung, so wäre es längst aus mit mir.«

»Aber Ihr behauptetet Euren Posten!« sagte der Templer; »wir verloren das Außenwerk auf unserer Seite.«

»Das ist ein sehr schlimmer Verlust,« sagte de Bracy, »nun decken sich die Schurken dadurch beim Angriffe. Front de Boeuf kann uns durch seinen Ochsenkopf und seine Stärke nicht mehr schützen. Was meinst Du, Sir Brian, wäre es nicht besser, aus der Noth eine Tugend zu machen und uns durch Auslieferung der Gefangenen mit den Schurken zu vertragen?«

»Was?« rief der Templer, »die Gefangenen ausliefern? uns lächerlich und verhaßt zugleich machen? Unbeschützte Reisende des Nachts überfallen konnten wir wohl, würd' es heißen, aber kein Schloß gegen Landstreicher und Rechtlose vertheidigen, die unter der Anführung von Schweinehirten, Gauklern und ähnlichem Auswurf stehn. Nimmermehr! Eher sollen mich die Trümmer des [314] Schlosses begraben, als ich zu einem solchen Vertrage meine Einwilligung gebe.«

»Auf die Mauern denn!« rief de Bracy. »Niemand, weder Türke noch Templer kann sein Leben geringer achten, als ich; aber ich halte es doch nicht für ehrlos, jetzt ein paar Dutzend von meiner Freicompagnie herbei zu wünschen. Wie würde das Gesindel vor ihnen auseinander stieben!«

»Wünsche, was Du willst,« versetzte der Templer, »aber laß uns dabei alles zur Vertheidigung thun, was wir mit den noch übrigen Truppen können. Vorzüglich werden Front de Boeufs Gefährten von den Engländern gehaßt wegen so vieler Thaten des Uebermuths und der Unterdrückung.«

»Desto besser werden sich die Schufte bis auf den letzten Blutstropfen wehren, um der Rache der Bauernflegel draußen zu entrinnen,« sagte de Bracy; »ich werde mich heute zeigen, wie es einem Manne von edler Abkunft ziemt. Vorwärts, Brian, auf Leben und Tod!«

»Auf die Mauern!« rief der Templer, und beide stiegen nun auf die Festungswerke, um alles, was ihre Kunst vermochte, zur Gegenwehr zu thun. Ein großer Nachtheil für sie war es indessen, daß sie alle Punkte des Schlosses besetzt halten mußten, da sie nicht wußten, wo und wann der Hauptsturm erfolgen werde.

Unterdeß befand sich der Herr des belagerten Schlosses auf seinem Lager im Zustande körperlicher Schmerzen und geistiger Qual. Die gewöhnliche Hilfsquelle bigotter Individuen stand ihm nicht zu Gebote; er vermochte nicht wie jene die begangenen Verbrechen durch freigebige Schenkungen an die Kirche gut zu machen und so die Angst vor dem künftigen Strafgericht zu sühnen. Geiz war sein vorherrschendes Laster. Die Pfaffen, wie er sagte, waren ihm immer zu theuer gewesen.

Im gegenwärtigen Augenblicke aber schwanden die Erde und all ihre Schätze vor seinen Augen dahin. Das Herz des wilden Barons, wenn auch bis jetzt so hart wie ein Mühlstein, entsetzte sich vor dem Blick in die Ewigkeit. Die Fieber seines Körpers steigerten die Qualen seiner Seele. Die Schauder vor dem Jenseits und sein eingewurzelter Trotz kämpften in ihm und zerfleischten sein Inneres.

[315] »Wo sind jetzt die Hundepfaffen?« raste er; »die ihren geistlichen Mummenschanz so hoch im Preise halten? – Wo sind nun die barfüßigen Karmeliter, für die der alte Front de Boeuf das Kloster zur heiligen Anna stiftete und damit seinen Sohn um manch schönen Quadratfuß Wiese und Weizenacker brachte? Wo sind die gierigen Hunde jetzt? Beim Biersaufen oder am Bett eines armseligen Bauernkerls! Mich, für den sie verbunden sind zu beten, lassen die undankbaren Schufte hier verenden wie einen Hund, ohne Oelung, ohne Absolution – holt mir den Templer! er kann vielleicht – nein laßt ihn! Der Satan selber könnte eher meine Beichte anhören – beten – beten? Ich kann nicht – ich darf nicht« –

»Lebt Reginald Front de Boeuf,« sagte eine gebrochene und widrig schnarrende Stimme dicht neben ihm, »um zu sagen, es gibt etwas, das er nicht darf?«

Der Mann schauderte. Ihm kam die Stimme vor wie die jener Dämonen, die sich am Bett sterbender Menschen niederlassen sollen, um ihre Gedanken vom Himmel abzulenken.

Aber er schauderte nur einen Moment, dann raffte er sich zusammen und schrie: »Wer ist da? – Wer bist Du, der es wagt, meine Worte zu wiederholen wie der Nachtrabe? Tritt vor mein Bett, daß ich Dich sehe!«

»Ich bin Dein böser Engel, Reginald Front de Boeuf,« erwiderte die Stimme.

»Komm, laß Dich sehen in leiblicher Gestalt,« fuhr der Ritter fort; »bist Du ein Teufel, denke nicht, daß ich vor Dir erbleichen werde. Beim ewigen Höllenpfuhl! Könnte ich nur dieser Schauder so gut Herr werden, wie leiblicher Gefahren. Himmel und Hölle sollten nicht sagen, daß ich den Kampf mit ihnen scheue.«

»Gedenke Deiner Sünden, Front de Boeuf!« sagte die infernalische Stimme. »Denke an Aufruhr, Raub, Mord! – Wer reizte den ausschweifenden Johann zum Kriege gegen seinen greisen Vater – gegen seinen edeln Bruder?«

»Sei Du ein Höllenfeind, ein Priester oder Teufel,« versetzte Front de Boeuf, »Du lügst in Deinen Hals hinein! – Ich reizte Johann nicht zur Empörung – ich nicht allein; – fünfzig Ritter und Barone mit mir, die Blüte der mittlern Grafschaften – und [316] bessere Männer haben nie die Lanze eingelegt! Und ich allein soll die Schuld büßen? Falscher Teufel, ich biete Dir Trotz! Geh, laß mich ruhig sterben, wenn Du ein Sterblicher bist! Und bist Du ein Dämon, so ist Deine Stunde noch nicht da.«

»Ruhig sollst Du nicht sterben,« versetzte die Stimme; »im Tode noch sollst Du das Gewimmer hören, womit Deine Grausamkeit diese Hallen erfüllte, sollst das Blut sehen, das von diesem Boden aufgesogen wurde.«

»Deine alberne Bosheit soll mich nicht erschüttern,« antwortete Front de Boeuf mit gräßlichem, erzwungenem Lachen. »Wie ich mit dem ungläubigen Juden verfuhr, das war ein Verdienst im Himmel; warum werden sonst Menschen heilig gesprochen, die ihre Hände in das Blut der Saracenen tauchen? – Die sächsischen Schweine, die ich erschlug, waren die Feinde meines Vaterlandes, meiner Familie, meines Lehnsherrn. – Ha, ha! Siehst Du, es ist keine Spalte in meinem Harnisch! – Bist Du fort oder bist Du zum Schweigen gebracht?«

»Nein, nein, schändlicher Vatermörder!« versetzte die Stimme, »Denke an diesen Bankettsaal, wo sein Blut floß, das von der Hand seines eigenen Sohnes vergossen wurde!«

»Ha!« antwortete der Baron nach einer langen Pause, »wenn Du das weißt, so bist Du in der That der Urheber des Bösen und allwissend, wie die Priester von Dir sagen! Nur in einer Brust, außer der meinen, ruht noch dieses Geheimniß – in der der Theilnehmerin meiner Schuld. – Geh von mir zu der sächsischen Hexe Ulrica; die kann Dir sagen, was nur sie weiß und ich. – Geh zu ihr, die die Wunden des Erschlagenen wusch und dem Todten das Ansehen gab, als sei er auf natürliche Art gestorben. – Sie war mein Versucher! Sie reizte mich zur That; laß auch sie das Vorgefühl der Höllenqualen empfinden, das mich martert!«

»Sie empfindet sie schon,« sagte Ulrica, indem sie jetzt vor Front de Boeufs Lager trat, »sie hat diesen Kelch längst getrunken, und seine Bitterkeit wird nur dadurch versüßt, daß sie Dich ihn theilen sieht. Knirsche nicht mit den Zähnen, Front de Boeuf – rolle Deine Augen nicht – drohe mir nicht mit der Faust! – Die Hand, welche gleich der Deines berühmten Ahnherrn, der [317] Deinem Geschlecht den Namen erwarb, mit einem Schlage den Schädel des wilden Stiers hätte zerschmettern können, ist jetzt entnervt und kraftlos gleich der meinen!«

»Elende mörderische Hexe!« entgegnete Front de Boeuf; »abscheuliche Nachteule! Willst Du noch jauchzen bei den Trümmern, zu deren Umsturz Du geholfen?«

»Ja, Reginald Front de Boeuf,« antwortete sie, »es ist Ulrica! – Es ist die Tochter des ermordeten Torquil Wolfganger! – Es ist die Schwester seiner erschlagenen Söhne! Sie ist es, die von Dir und Deines Vaters Haus Vater, Brüder, Ehre und Namen fordert, alles, was sie durch den Namen Front de Boeuf verlor! – Denke an Deine Schandthaten, Front de Boeuf, und antworte mir, ob ich nicht die Wahrheit rede. – Du warst mein böser Engel, und ich will der Deine sein! Ich will Dich verfolgen bis zum Augenblick der Auflösung!«

»Abscheuliche Furie!« rief Front de Boeuf, »den Augenblick sollst Du nie sehen! – He! Giles! Clemens! Eustace! Saint Maur! Stephan! Ergreift die Hexe und stürzt sie kopfüber von [318] der Mauer! Sie hat uns den Sachsen verrathen! – Holla! Saint Maur, Clemens! – Wo bleibt ihr, falsche Schurken?«

»Rufe nur Deine Sklaven, tapferer Baron,« sagte die Alte mit höhnischem Lächeln: »Rufe Deine Vasallen um Dich! Laß die Zögernden lebendig schinden und ins Gefängniß werfen! Aber, mächtiger Häuptling, Du wirst keine Antwort erhalten und auch keine Hilfe! Hörst Du diese schrecklichen Töne?« – In der That begann das Getöse des Sturms von neuem. »Bei diesem Kampfgeschrei geht Dein Haus zu Grunde! Front de Boeufs mit Blut befestigte Macht wankt bis zum Grunde und vor seinen verachtetsten Feinden! – Die Sachsen, Reginald, die verachteten Sachsen stürmen Deine Mauern! Was liegst Du denn hier wie eine abgehetzte Hündin, wenn der Sachse Deine Feste stürmt?«

»Gott und Teufel!« rief der verwundete Ritter, »nur noch einen Augenblick Stärke, daß ich auf die Mauern stürme und sterbe, wie es meinem Namen ziemt!«

»Denk nicht daran, tapferer Krieger!« versetzte sie, »Du sollst nicht wie ein Ritter sterben – nein, wie der Fuchs in seinem Bau, wenn die Landleute ringsum Feuer angezündet haben. Erinnerst Du Dich des Strohmagazins unter diesem Zimmer?«

»Weib!« rief er mit Wuth, »Du hast doch nicht Feuer dort angelegt? Bei Gott, Du hast's gethan, das Schloß steht in Flammen!«

»Wenigstens nehmen die Flammen überhand,« sagte Ulrica. »Ein Signal soll bald den Siegern andeuten, diejenigen hart zu bedrängen, die es löschen wollen. Leb wohl, Front de Boeuf! Mögen Thor, Wodan und die Schicksalsschwestern, die Götter der alten Sachsen – Teufel, wie die Priester sie nennen – die Stelle der Tröster an Deinem Lager vertreten! Ulrica sieht Dich nicht wieder. – Doch wenn das Dich trösten kann, so wisse, daß Ulrica eben so dem finstern Ufer entgegeneilt, wie Du! – Jetzt, Vatermörder, lebe wohl auf ewig! – Möge jeder Stein dieser gewölbten Decke eine Zunge erhalten und Dir diesen Namen ins Ohr schreien!«

Mit diesen Worten verließ sie das Gemach. Front de Boeuf vernahm das Geräusch des Schlüssels, als sie die Thür hinter ihm abschloß und ihm so die letzte Hoffnung zum Entkommen nahm. [319] Die wüthendste Verzweiflung bemächtigte sich seiner. Umsonst rief er mit der größten Anstrengung seiner noch übrigen Kräfte nach seinen Leuten und Freunden.

»Sie hören mich nicht – sie können mich nicht hören – meine Stimme dringt nicht durch das Getöse des Kampfes. – Die rothen Flammen schlagen schon prasselnd hervor! – Der böse Feind zieht gegen mich unter dem Banner seines eigenen Elements. Fliehe, böser Geist! Ich gehe nicht mit dir ohne meine Gefährten! Alle, alle sind sie dein, die in diesen Mauern hausen; der ungläubige Templer, der ausschweifende de Bracy, Ulrica, die mörderische Vettel! – Die sächsischen Hunde, der verfluchte Jude! Die ich sing, – alle, alle sollen mir folgen! – Die stattlichste Gesellschaft, die je zur Hölle zog! Ha! ha! ha!« – Hier lachte er im wilden Wahnsinn, daß das Gewölbe wiederhallte. – »Wer lacht hier? – Wer lacht hier? Bist Du es Ulrica? Sprich, Hexe, ich verzeihe Dir, – denn nur Du, oder der höllische Feind konnte selbst in diesem Augenblick lachen. Fort, hebe Dich hinweg von mir! – Stephan und St. Maur! – Clemens und Giles! – Ich verbrenne hier ohne Rettung! – Zu Hilfe! zu Hilfe! wackrer Bois-Guilbert! tapfrer de Bracy! – Front de Boeuf ruft! – Der Rauch wirbelt dicker und dicker herauf!«

Die Verzweiflung machte ihn wahnwitzig. Bald stimmte er in die Schlachtrufe der Kämpfer ein – bald murmelte er Flüche gegen sich, gegen die Menschheit, ja selbst gegen die Allmacht vor sich hin.

31. Kapitel

[320] Kapitel XXXI.

Noch einmal in die Bresche, lieben Freunde!

Sonst füllt mit todten Englischen die Mauer!

– Ihr auch, wackres Landvolk,

In England groß gewachsen, zeigt uns hier

Die Kraft genoss'ner Nahrung; laßt uns schwören,

Ihr seid der Pflege werth. –


König Heinrich V.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe Bd. I, S. 520.)


Obschon Cedric kein großes Vertrauen in Ulricas Worte setzte, so unterließ er doch nicht, den schwarzen Ritter und Locksley mit ihrem Versprechen bekannt zu machen. Es war ihnen lieb, jemand im Schlosse sich geneigt zu wissen, der im Nothfall im Stande sei, ihnen das Eindringen zu erleichtern, und bald kamen sie mit dem Sachsen dahin überein, daß man auf jeden Fall einen Sturm versuchen müsse, als das einzige Mittel, die Gefangenen zu befreien, die der grausame Front de Boeuf in seiner Gewalt hatte.

»Alfreds königlicher Nachkomme ist in Gefahr,« sagte Cedric.

»Die Ehre einer edlen Jungfrau ist in Gefahr,« sagte der schwarze Ritter.

»Und beim heiligen Christophorus, den ich hier am Gurt trage,« sagte der Landsasse, »gäb es auch keinen andern Grund als die Rettung Wambas, dieser guten, treuen Haut, ich wollte ein ganzes Bein aufs Spiel setzen, eh' ihm ein Haar gekrümmt würde.«

»Und ich auch,« sagte der Mönch. »Nämlich, Herren, ich habe [321] die Ueberzeugung, seht ihr, daß ein Narr – versteht mich recht – ich meine ein Narr, der freigesprochen ist von seiner Zunft und Meister in seinem Gewerbe – daß ein solcher Narr gar viel dazu beitragen kann, einen Schluck Wein und ein Stück Schinken schmackhaft zu machen. – Darum sag ich, liebe Brüder und Andächtige, daß solch einem Narren es niemals an einem Pfaffen fehlen müßte, um für ihn zu beten, oder ihn heraus zu hauen, wenn er in der Klemme sitzt – wenigstens nicht, so lange ich noch eine Messe lesen und eine Streitaxt schwingen kann.« –

»Und wäre es nicht gut, Locksley,« sagte der schwarze Ritter, »daß der edle Cedric die Sturmcolonne befehligte?«

»Ich nicht!« versetzte dieser, »ich bin auf Normannenschlösser nicht einstudirt, die man erst in diesem unglücklichen Lande errichtet hat, aber fechten will ich unter den ersten. Alle meine Nachbarn wissen, daß ich nicht im Kriegsdienst oder im Angriff von festen Burgen geübt bin.«

»Da es denn so mit dem edlen Cedric steht,« sagte Locksley, »so bin ich bereit, die Anführung der Bogenschützen zu übernehmen, und man soll mich an meinem eigenen Gerichtsbaum aufknüpfen, wenn ich es dulde, daß sich die Vertheidiger auf den Mauern zeigen, ohne daß sie von unsern Pfeilen gespickt werden, wie die Braten um Weihnachten mit Gewürznelken.«

»Wohl gesprochen, braver Landmann,« sagte der schwarze Ritter, »und wenn ich bei dieser Gelegenheit eine Rolle übernehmen soll, so bin ich gern bereit, das zu thun. Sobald ich unter diesen tapfern Männern einige finde, die freiwillig einem treuen Ritter folgen wollen, will ich sie mit so viel Geschicklichkeit, als ich durch Uebung erworben habe, zum Angriff auf diese Mauern führen.«

Nachdem so die Rollen unter den Anführern vertheilt worden waren, begann der erste Sturm, dessen Ausgang die Leser bereits vernommen haben.

Als der Wachtthurm genommen war, schickte der schwarze Ritter dem wackern Locksley Nachricht zu und bat ihn zugleich, er möge nun das Schloß so genau beobachten, daß die Belagerten nicht im Stande seien, ihre Streitkräfte zu einem plötzlichen Ausfalle zu vereinigen und das Außenwerk wieder zu nehmen. Dies wollte der Ritter besonders deshalb vermeiden, weil er wußte, daß [322] die Mannschaft, die er führte, nicht gehörig bewaffnet und disciplinirt war und daher bei einem plötzlichen Angriffe von geübten und alten Kriegern, die trefflich gerüstet waren, sehr im Nachtheil sein müßte. Der Ritter benutzte die Zwischenzeit zum Bau einer schwimmenden Brücke oder langen Fähre, auf der er über den Graben setzen konnte. Dies währte freilich einige Zeit, indeß bedauerten die Anführer dies um so weniger, als Ulrica dadurch Zeit gewann, ihren Plan, welcher es auch sein mochte, zu ihrem Vortheil in Ausführung zu bringen.

Als aber die Floßbaute fertig war, rief der schwarze Ritter: »Nun, Freunde, nicht länger gewartet! Schon neigt sich die Sonne dem Untergange zu, und ich kann wegen eines wichtigen Unternehmens nicht noch einen Tag warten. Außerdem wäre es ein Wunder, wenn die Reiter von York nicht über uns herfielen, dafern wir unser Vorhaben nicht schleunig ausführen. Geh also Einer zu Locksley und heiße ihn auf der andern Seite des Schlosses eine tüchtige Salve abzugeben und zugleich wie zum Sturme vorzurücken. Ihr aber, treue englische Seelen, haltet euch zu mir und werft das Floß in den Graben, sobald die Pforte sich öffnet. Folgt mir nur kühn! wir sprengen auf das Ausfallsthor, das zum Hauptwall führt. Wer nicht Lust dazu hat, der stelle sich auf den Außenwall und schieße nieder, was sich oben Lebendiges zeigt. Edler Cedric, willst Du diese Leute befehligen?«

»Ich nicht, bei der Seele Herewards!« sagte der Sachse. »Mich treffe der Fluch meiner Nachkommen im Grabe, wenn ich Dir nicht unter den ersten folge. Der Kampf ist der meine,« sagte er, »und es geziemt mir wohl, stets im Vordertreffen zu stehen.«

»Aber, edler Sachse,« entgegnete der Ritter, »bedenke, Du hast weder Sturmhaube noch Panzer, nur einen leichten Helm, Schild und Schwert.«

»Desto besser,« erwiderte Cedric, »um so leichter klimme ich die Mauern hinan. Ihr sollt heute sehen – verzeiht mir die Prahlerei – wie die nackte Brust eines Sachsen eben so kühn den Gefahren der Schlacht Trotz bietet, als der Stahlpanzer eines Normannen.«

»In Gottes Namen denn,« sagte der Ritter, »öffnet das Thor und laßt die schwimmende Brücke hinunter!«

[323] Sogleich wurde die Pforte geöffnet, die von dem Außenwerke zum Graben führte und dem Ausfallsthore in der Hauptmauer des Schlosses gegenüberstand, und in demselben Augenblick auch das Floß in den Graben gelassen, auf welches sich sogleich der schwarze Ritter und Cedric warfen, die glücklich die andere Seite erreichten. Der erstere fing nun sogleich an, mit der Streitaxt gegen das Thor zu donnern. Er und Cedric fanden einigen Schutz an den Ueberresten der ersten Zugbrücke, welche die Belagerten beim Rückzuge aus dem Außenwerke zerstört hatten; doch die, welche ihnen folgten, standen unbeschützt, und so wurden zwei davon sogleich mit Bolzen erschossen, und zwei andere stürzten in den Graben, die Uebrigen zogen sich in den Thurm des Außenwerks zurück.

Die Lage des Ritters und Cedrics war jetzt sehr gefährlich und würde es noch mehr gewesen sein, wenn nicht die Schützen in dem Außenwerke mit Ausdauer auf die Vertheidiger der Schloßmauern geschossen und so ihre Aufmerksamkeit von den beiden Stürmenden abgelenkt hätten. Dennoch stieg ihre Gefahr mit jedem Augenblicke.

»Schämt euch!« rief de Bracy endlich seinen Kriegsleuten zu, »wollt ihr Bogenschützen sein und laßt die beiden Hunde ihre Stellung unter den Mauern des Schlosses behaupten? Hebt die Steinkappen von der Zinne – oder besser, hinunter mit einem ganzen Mauerstück auf die Unbesonnenen! Holt Spitzhacken und Hebebäume!«

In diesem Augenblicke aber erblickten die Belagerer die rothe Fahne auf der Ecke des Thurmes, die Ulrica dem Cedric angedeutet hatte. Locksley war der erste, der sie bemerkte, indem er zu dem Außenwerk eilte, um den Fortgang des Sturmes zu beobachten.

»Heiliger Georg!« rief er, »zum Angriff, kühne Landsassen! – Warum überlaßt ihr es dem wackern Ritter und dem edlen Cedric, den Zugang allein zu stürmen? Gott und sein England! Drauf, toller Pfaff! Zeige, daß Du für Deinen Rosenkranz fechten kannst! – Drauf, drauf, wackere Landsassen! – Das Schloß ist unser – wir haben Freunde drinnen! – Seht dort die Flagge – das verabredete Zeichen! – Torquilstone ist unser! Denkt an die Ehre, an die Kriegsbeute! – Nur noch ein Vorstoß, und der Platz ist unser!«

[324] Dabei spannte er seinen gewaltigen Bogen und jagte einem der Bewaffneten, die unter de Bracys Anleitung ein Stück von der Mauer losbrechen wollten, einen Pfeil durch die Brust. Ein anderer Soldat, der dem Gefallenen das Brecheisen aus der Hand nahm, womit er das Mauerwerk losbrechen wollte, erhielt einen Pfeil durch die Sturmhaube und stürzte todt in den Schloßgraben. Die andern Soldaten entsetzten sich, denn keine Rüstung schien diesem furchtbaren Schützen widerstehen zu können.

»Weicht ihr, feige Buben?« rief de Bracy. »Gebt mir die Brechstange!« Und nun versuchte er den schon wankenden Mauerblock hinabzustürzen. Wäre es ihm gelungen, so würde er sowohl den Rest der Zugbrücke, die die beiden ersten Stürme deckte, wie auch das Floß zertrümmert haben. Alle bemerkten die Gefahr, und selbst die Herzhaftesten, ja, der Eremit selbst, wollte den Fuß nicht auf dasselbe setzen. Drei Pfeile schoß Locksley auf de Bracy, und alle drei prallten unwirksam von seiner gutgestählten Rüstung ab.

»Verfluchter spanischer Panzer!« rief Locksley, »hätte ihn ein englischer Waffenschmied gemacht, diese Pfeile müßten ihn durchbohrt haben, als wäre er von Seide oder Leinwand gewesen.« Dann rief er: »Kameraden, zieht euch zurück! Laßt das Mauerstück stürzen!«

Doch die Warnungsstimme blieb ungehört. Das Getöse, welches der schwarze Ritter durch seine Schläge an die Thüre verursachte, hätte zwanzig Schlachttrompeten übertönt. Der treue Gurth sprang indeß vorwärts auf das Floß, um Cedric entweder zu retten, oder dessen Schicksal zu theilen. Allein seine Hilfe würde doch zu spät gekommen sein; schon wankte das furchtbare Mauerstück auf seinem Grunde, und schon war de Bracy nahe daran, seinen Zweck zu erreichen, wenn nicht des Templers Stimme ihm plötzlich ins Ohr gedonnert hätte:

»Alles ist verloren! de Bracy, das Schloß brennt!«

»Bist Du toll?« versetzte der Ritter.

»Alles steht in Flammen auf der westlichen Seite; umsonst habe ich jedes Mittel zum Löschen versucht.«

Mit der finstern Kaltblütigkeit, welche den Grundzug seines Charakters ausmachte, theilte Brian de Bois-Guilbert diese schreckliche Nachricht mit, die von seinem erstaunten Gefährten nicht so ruhig angehört wurde.

[325] »Heilige des Paradieses,« rief de Bracy, »was ist zu thun? Ich gelobe dem heiligen Nikolas von Limoges einen Leuchter vom reinsten Golde – wenn – –«

»Spare Deine Gelübde und höre mich an,« sprach der Templer. »Führe Deine Leute hinab, als wolltest Du einen Ausfall machen. Oeffne die geheime Pforte; es stehen nur zwei Mann auf dem Floß, wirf diese in den Graben und dringe dann nach dem Außenwerke vor. Ich will durch das Hauptthor hervorbrechen und das Werk von der Außenseite angreifen! Wenn wir diesen Posten wieder erobern können, so sei versichert, wir halten uns dort, bis wir Hilfe bekommen, oder wir erhalten von ihnen gute Bedingungen.«

»Ein guter Gedanke!« sagte de Bracy; »ich spiele meine Rolle, aber Du mußt mich nicht verlassen, Templer!«

»Hand und Handschuh! Ich werde es nicht,« versetzte de Bois-Guilbert, »aber, eile, eile um des Himmels willen!«

De Bracy zog schnell seine Leute zusammen und stürzte hinab nach dem Pförtchen, das er sogleich öffnen ließ. Allein kaum war dies geschehen, so bahnte sich auch die ungeheure Stärke des Ritters einen Weg in das Innere, trotz allem Widerstande von Seiten de Bracys und seiner Begleiter. »Hunde!« rief er seinen Leuten zu, »wollt ihr die beiden den einzig sichern Ausgang gewinnen lassen?«

»Er ficht wie ein Teufel!« sagte ein alter Gewappneter und wich vor den grimmigen Schlägen des schwarzen Gegners.

»Und ist es der leidige Satan selbst,« erwiderte de Bracy, »müßt ihr darum vor ihm in den Höllenrachen fliehn? Das Schloß brennt hinter uns, ihr Schufte, laßt mich an ihn!«

De Bracy behauptete seinen gewaltigen Kriegsruhm, den er in den Bürgerkriegen jener Zeit erworben.

Die gewölbte Halle, in der sie nun Mann gegen Mann fochten, ertönte von den gewichtigen Streichen des Schwertes, welches de Bracy, und der Streitaxt, welche der schwarze Ritter führte. Endlich empfing der Normann einen Hieb, daß er der Länge nach zu Boden stürzte. Ein Glück für ihn, daß er einen Theil des Streichs noch mit dem Schild auffangen konnte, sonst hätte er nicht mehr geathmet.

[326] »Ergib Dich, de Bracy!« rief der schwarze Ritter, indem er sich über ihn beugte und ihm den Dolch vor das Visir hielt (mit dem die Ritter ihre Feinde vollends zu tödten pflegten und den man daher den Gnadendolch nannte), »ergib Dich, Moritz de Bracy, auf Gnade oder Ungnade, oder Du bist ein Mann des Todes.«

»Ich ergebe mich keinem unbekannten Sieger,« sagte de Bracy mit matter Stimme, »nenne mir Deinen Namen oder tödte mich! Man soll nicht sagen, daß sich de Bracy einem namenlosen Wichte ergab.«

Der schwarze Ritter flüsterte dem Besiegten etwas ins Ohr.

»Ich bin Dein Gefangener auf Gnade oder Ungnade,« sagte der Normann, indem er den Ton entschlossener Hartnäckigkeit in den der tiefsten Unterwürfigkeit verwandelte.

»Geh in das Außenwerk,« sagte der Sieger in gebieterischem Tone, »und erwarte dort meine Befehle!«

»Aber erst laß mich Dir sagen, was Dir wichtig ist zu wissen,« sagte de Bracy. »Wilfred von Ivanhoe liegt verwundet und gefangen hier und muß ohne schleunige Hilfe in den Flammen umkommen.«

»Wilfred von Ivanhoe?« rief der schwarze Ritter, »jedes Mannes Leben im Schlosse soll mir für das seinige haften, wenn ihm ein Haar versengt wird! Zeige mir sein Gemach!«

[327] »Steige jene Wendeltreppe hinauf, sie führt zu dem Zimmer! Willst Du mich nicht zum Führer nehmen?«

»Nein, ins Außenwerk, und erwarte dort meine Befehle! Ich traue Dir nicht, de Bracy.«

Während des Kampfes und des kurzen Gesprächs, welches darauf folgte, drang Cedric an der Spitze eines Haufens, unter dem sich der Mönch auszeichnete, über die Brücke nach dem geöffneten Pförtchen und trieb die entmuthigten Begleiter de Bracys zurück, von denen manche um Gnade baten, manche einen vergeblichen Widerstand versuchten und der größte Theil nach dem Schloßhofe floh. De Bracy erhob sich vom Boden, und indem er einen schmerzlichen Blick auf den Sieger richtete, sagte er: »Er traut mir nicht! Habe ich denn auch etwas Besseres verdient?« Dann nahm er sein Schwert von der Erde und den Helm ab, zum Zeichen der Unterwerfung, und begab sich in das Außenwerk, wo er das Schwert dem Locksley übergab, dem er zufällig begegnete.

Als das Feuer um sich griff, wurden die Spuren desselben auch bald in dem Gemache sichtbar, wo Ivanhoe von der Jüdin bewacht und gepflegt wurde. Er war durch den Lärm der Schlacht aus seinem kurzen Schlummer erweckt worden, und seine Wärterin, die sich auf sein dringendes Begehren wieder an das Fenster gestellt hatte, um ihm von dem Gange des Angriffs Nachricht zu geben, wurde daran auf einige Zeit gehindert durch die sich immer vermehrenden und erstickenden Dünste. Endlich machte sie die große Masse des eindringenden Rauches und das Geschrei nach Wasser, welches das Getöse durchdrang, auf die wachsende Gefahr aufmerksam.

»Das Schloß brennt!« rief Rebekka. »Was können wir thun, uns zu retten?«

»Fliehe, Rebekka, und rette Dein eigenes Leben,« sagte Ivanhoe, »denn menschliche Hilfe kann mich nicht retten.«

»Ich fliehe nicht,« versetzte Rebekka, »wir retten uns, oder gehen zusammen zu Grunde. Aber, Gott im Himmel! mein Vater! mein Vater! Was wird dessen Schicksal sein?«

In diesem Augenblicke wurde die Thür des Gemaches geöffnet, und der Templer trat herein – ein furchtbarer Anblick, denn seine vergoldete Rüstung war zerbrochen und blutig, und der Federbusch [328] auf seinem Helm theils zerhauen, theils verbrannt. »Ich habe Dich!« sagte er zu Rebekka, »Du sollst nun sehen, daß ich mein Wort halten werde, Wohl und Wehe mit Dir zu theilen. Es gibt nur noch einen Weg zur Rettung, ich habe ihn mir durch fünfzig Dolche bis zu Dir gebahnt! – Auf, und folge mir augenblicklich!«

»Allein folge ich Dir nicht,« entgegnete Rebekka. »Wenn Du vom Weibe geboren bist, wenn noch ein menschliches Gefühl in Dir lebt, wenn Dein Herz nicht, wie Dein Panzer, von Stahl ist, so rette meinen alten Vater, rette den verwundeten Ritter!«

»Ein Ritter, Rebekka,« entgegnete der Templer mit seiner gewöhnlichen Kälte, »ein Ritter muß seinem Schicksale zu begegnen wissen, sei es in Gestalt des Schwertes oder der Flamme, und wen kümmert es, wann und wo den Juden das seinige ereilt?«

»Wilder Krieger,« sagte Rebekka, »eher will ich in den Flammen umkommen, als Rettung von Dir annehmen.«

»Du hast keine Wahl, Rebekka; einmal hast Du mich getäuscht, aber keinem Sterblichen gelingt dergleichen zum zweiten Mal.« Mit diesen Worten ergriff er das erschrockene Mädchen, welches die Luft mit ihrem Geschrei erfüllte, und trug sie aus dem Zimmer, ohne auf die Drohungen zu achten, welche Ivanhoe gegen ihn ausstieß.

»Hund von einem Templer! Schandflecken Deines Ordens! laß das Mädchen frei! Verrätherischer Bois-Guilbert! Ivanhoe befiehlt es Dir, der sich nach Deinem Herzblut sehnt!«

In demselben Augenblick trat der schwarze Ritter ins Gemach und sagte: »Ich hätte Dich nicht gefunden, Wilfred, wenn ich Deine Stimme nicht gehört hätte.«

»Bist Du ein echter Ritter,« sagte dieser, »so denke nicht an mich; verfolge den Räuber, rette die Lady Rowena, siehe nach dem edlen Cedric!«

»Wenn die Reihe an sie kommt,« entgegnete der schwarze Ritter; »Du bist zuerst dran.«

Hierauf ergriff er Ivanhoe und trug ihn ebenso leicht davon, als der Templer Rebekka fortgetragen hatte; eilte mit ihm nach der Pforte, und nachdem er seine Bürde hier an zwei Bogenschützen abgegeben hatte, kehrte er ins Schloß zurück, um die übrigen Gefangenen zu befreien.

[329] Ein Thurm brannte schon hell, und die lichten Flammen brachen schon aus den Fenstern und Schießscharten hervor. Allein an andern Stellen widerstanden die starken Mauern und gewölbten Gemächer dem Fortschritt der Flammen, und hier triumphirte noch die Wuth der Menschen, als das schrecklichste aller Elemente; denn die Belagerer verfolgten die Vertheidiger von Gemach zu Gemach und stillten ihren Blutdurst, der sie lange gegen die Söldlinge des tyrannischen Front de Boeuf gestachelt hatte. Die meisten von der Besatzung baten um Gnade, aber keiner erhielt sie; die Luft erschallte vom Geheul, vom Gewimmer und vom Klirren der Waffen – die Fußböden waren schlüpfrig vom Blut der verzweifelnden, sterbenden Unglücklichen.

Mitten durch diese Scenen eilte Cedric, Rowena aufzusuchen, begleitet von dem treuen Gurth, der durchaus nicht von ihm ließ und sein eigenes Leben nicht achtete, um die Streiche, die auf seinen Herrn geführt wurden, abzuwenden. Der edle Sachse war so glücklich, das Gemach seiner Mündel zu erreichen, eben als diese schon alle Hoffnung zur Rettung aufgegeben hatte und, das Bild des Erlösers ans Herz gedrückt, jeden Augenblick den Tod erwartete. Er übergab sie Gurths Obhut und ließ sie in das Außenwerk bringen, wohin der Weg von Feinden frei und von den Flammen noch nicht erreicht war. Hierauf suchte der redliche Cedric seinen Freund Athelstane auf, entschlossen, alles zu wagen, um in ihm den letzten Sprößling des sächsischen Königsstammes zu retten. Allein ehe noch Cedric bis zu der alten Halle gelangte, worin er selbst gefangen gesessen, hatte Wambas erfinderisches Genie bereits ein Mittel zu seiner und seines Unglücksgefährten Rettung gefunden.

Als das Getöse des Kampfes am stärksten war, fing der Narr aus Leibeskräften an zu schreien: »Heiliger Georg mit dem Drachen! Heiliger Georg für das lustige England! Das Schloß ist genommen!« diese Worte verstärkte er dadurch, daß er einige alte Waffenstücke zusammenschlug, welche in der Halle umherlagen.

Ein Wächter im Vorgemache, dessen Furcht schon ziemlich groß war, wurde durch Wambas Geschrei vollends alles Muthes beraubt; er stürzte fort, um dem Templer zu melden, daß Feinde in die alte Halle gedrungen wären, und ließ die Thür offen. Unterdessen fanden die Gefangenen keine Schwierigkeit, zu entkommen [330] und sich in den Schloßhof zu retten, der der Schauplatz des letzten Gefechtes war. Hier befand sich nämlich der Templer zu Pferde, umgeben von einigen der Besatzung zu Fuß und zu Roß, die sich dem berühmten Führer angeschlossen hatten, um den letzten Versuch zum Entkommen und zur Rettung zu machen. Auf seinen Befehl war zwar die Zugbrücke niedergelassen worden, allein der Ausgang war besetzt; denn die Bogenschützen, die bisher dem Schlosse auf dieser Seite bloß durch ihre Geschosse zugesetzt hatten, sahen nicht sobald die Flammen hervorbrechen und die Zugbrücke sich senken, als sie sich auch in den Ausgang drängten, theils um die Garnison nicht entkommen zu lassen, theils um auch Theil an der Beute zu haben, ehe das Schloß gänzlich niederbrennen möchte. Auf der andern Seite eilten die, welche durch die geheime Pforte eingedrungen waren, in den Schloßhof und griffen mit Wuth den Rest der Vertheidiger an, die sich auf beiden Seiten zugleich angegriffen sahen.

Von Verzweiflung ergriffen und durch das Beispiel ihres unbezwinglichen Führers ermuntert, focht die noch übrige Besatzung des Schlosses mit der größten Tapferkeit, und da sie wohl bewaffnet war, gelang es ihr mehrmals, die an Zahl überlegenen Stürmenden zurückzutreiben. Rebekka, vor einen der Saracenensklaven aufs Pferd gesetzt, befand sich in der Mitte dieses kleinen Haufens, und Bois-Guilbert war ungeachtet des Getümmels mit aller Aufmerksamkeit für ihre Sicherheit besorgt. Beständig war er ihr zur Seite, und seiner eigenen Vertheidigung nicht achtend, hielt er ihr seinen dreieckigen, stahlbelegten Schild vor; dessenungeachtet ließ er seinen Schlachtruf fortwährend ertönen und streckte den nächsten Vordringenden zu Boden, indem er zugleich den Zügel des Rosses hielt.

Athelstane, der, wie der Leser weiß, träg aber nicht feig war erblickte die weibliche Gestalt, die der Templer so sorgsam beschützte, und zweifelte nicht, daß es Rowena sei, die der Ritter alles Widerstandes ungeachtet fortführen wolle.

»Bei der Seele des heiligen Eduard,« sagte er, »ich will sie aus der Gewalt des stolzen Ritters befreien, und er soll von meiner Hand sterben.«

»Bedenke, was Du thust!« rief ihm Wamba zu, »eine vorschnelle [331] Hand denkt, sie fischt, aber krebst bloß. Bei meiner Schellenkappe! das ist nicht Lady Rowena – sieh nur ihre langen dunkeln Locken! – Wenn Du nicht schwarz von weiß unterscheiden kannst, magst Du immerhin Anführer sein, ich aber folge Dir nicht – ich lasse mir die Gebeine nicht anders zerschlagen, als wenn ich weiß für wen. – Und noch dazu ohne Rüstung! – Bedenkt, Euer seidenes Barett hält keine stählerne Klinge aus. – Nun denn, wer absichtlich zum Wasser geht, mag ertrinken. –Deus vobiscum! tapferer Athelstane!« – Mit diesen Worten ließ er das Gewand des Sachsen fahren, welches er bis dahin festgehalten hatte.

Einen Streitkolben vom Boden heben, wo er eben einer sterbenden Hand entfallen war, auf des Templers Haufen losstürzen, rechts und links um sich schlagen und mit jedem Hiebe einen Krieger zu Boden strecken, war jetzt für Athelstanes durch ungewöhnliche Wuth erhöhte Stärke das Werk eines Augenblicks. Bald war er dem Bois-Guilbert bis auf zwei Schritte nahe und forderte ihn im lautesten Tone heraus.

»Zurück, falscher Templer! Laß sie los, die Du zu berühren nicht würdig bist! Hieher gewendet. Du Glied einer mörderischen und heuchlerischen Räuberbande!«

»Hund!« sagte der Templer, mit den Zähnen knirschend, »ich will Dich lehren den heiligen Orden des Tempels von Zion schmähen!« Mit diesen Worten hob er sich in den Steigbügeln, wandte sein Roß gegen den Sachsen und führte einen furchtbaren Schlag auf Athelstanes Haupt.

Richtig war Wambas Bemerkung gewesen, daß ein seidenes Barett keine stählerne Klinge aushält. Des Templers Schwert war so scharf, daß es den zähen, mit Eisen beschlagenen Handgriff des Streitkolbens wie einen Weidenzweig durchschnitt und noch so heftig den Kopf des Sachsen traf, daß er zu Boden stürzte.

»Ha, Beau-seant!« rief Bois-Guilbert, »so möge es allen ergehen, welche die Tempelritter schmähen! – Wer sich retten will, folge mir!« rief er dann laut, benutzte den Schrecken, welchen Athelstanes Fall verbreitet hatte, drang über die Zugbrücke vor und zerstreute die Bogenschützen, die ihn aufhalten wollten. Seine Saracenen und fünf bis sechs Bewaffnete, die ihre Pferde bestiegen [332] hatten, folgten ihm. Der Rückzug wurde durch die Menge der auf ihn abgeschossenen Pfeile äußerst gefährlich; doch dies hinderte ihn nicht, rund um das Außenwerk zu reiten, in dessen Besitz de Bracy möglicher Weise noch sein konnte.

»De Bracy! De Bracy!« rief er, »bist Du da?«

»Ich bin hier,« versetzte de Bracy, »aber ich bin gefangen.«

»Kann ich Dich befreien?« rief Bois-Guilbert.

»Nein,« versetzte de Bracy. »Ich habe mich auf Gnade oder Ungnade ergeben. Ich bleibe meinem Worte treu. Rette Dich – die Falken sind los – mache, daß die See zwischen Dir und England liegt – mehr darf ich nicht sagen.«

»Gut,« antwortete der Templer, »wenn Du hier bleiben willst, so erinnere Dich, daß ich mein Wort und meinen Handschuh ausgelöst habe. Mögen die Falken sein, wo sie wollen, so werden doch die Mauern des Präceptoriums zu Templestowe mir sichern Schutz gewähren, und dorthin will ich eilen.«

Hierauf galoppirte er mit seinen Begleitern davon.

Nach der Entfernung des Templers fochten die noch im Schlosse Zurückgebliebenen mehr, um Pardon zu erhalten, als zu entkommen; dazu war keine Aussicht. Das Feuer verbreitete sich mit großer Schnelligkeit durch alle Theile des Schlosses, als Ulrica, die es zuerst angezündet, auf einem Thurme erschien, ganz in der Gestalt einer Furie, und einen Schlachtgesang ertönen ließ, der denen der sächsischen Skalden auf den Gefilden des Todes glich. Ihr langes graues Haar flatterte, zerstreut im Winde um ihren Nacken; die Freude gesättigter Rache vermischte sich in ihren Augen mit dem Feuer des Wahnsinns, und in der Hand schwang sie den Rocken, als wäre sie eine der Schicksalsschwestern, die den Lebensfaden spinnen. Einige dieser wilden Strophen lauteten:


1.
Wetzt euern Blankstahl,
Ihr Drachensöhne!
Zünde die Fackel,
Tochter des Hengest!
Nicht blitzet der Stahl wie zum Schnitt beim Festmahl,
Hart ist er und breit und scharf gespitzt.
Nicht leuchtet die Fackel der Braut zur Kammer,
Sie lodert bläulich von Schwefel und dampft.
[333]
Wetzet den Blankstahl! es krächzet der Rabe;
Zündet die Fackel! der Kriegsgott ruft.
Wetzt euren Blankstahl,
Ihr Drachensöhne!
Zünde die Fackel,
Tochter des Hengest!
2.
Auf des Edlings Hofburg sinkt schwarz die Wolke,
Auf ihr hin fährt der Adler und kreischt.
Kreische nicht, – grauer Reiter der Wolke!
Schweig und warte, – Dein Mahl ist bereitet!
Aus schaun alle Jungfraun Walhallas,
Gäste ja sendet Hengests Geschlecht.
Schüttelt, Valkyren, die schwarzen Locken!
Greift in die Harfe und singet das Schlachtlied!
Nach euren Hallen schreitet der Stolze,
Nach euren Hallen neigt sich sein Haupt.
3.
Nacht sinkt grausig aufs Schloß des Edlings,
Dunkle Wolken sammeln sich rings.
Roth sind bald sie wie Blut des Tapfern,
Der Holzvertilger hebt bald seinen Kamm
Den rothen Kamm entgegen den Wolken.
Der helle Verzehrer der hohen Paläste
Hebt bald sein Banner und breiter Lohe,
So roth, so breit, so qualmig
Ueber dem Kampfe der Männer;
Freut sich am Schwertklang, am Bersten der Schilder
Lecket mit Gier dann das zischende Blut,
Wenn es der Wunde so warm entquillt.
4.
Alle gehn unter!
Es spaltet das Schwert die glänzenden Helme
Es sauset die Lanze durch starke Panzer;
Feuer verschlinget der Fürsten Gemächer,
Donnernd sprengen die Widder das Haus.
Alle gehn unter!
Hengests Geschlecht – es ging von hinnen,
Horsas Name wird nimmer gehört.
Laßt nicht ab von dem Rachegerichte,
Söhne des Schwertes – Sachsensöhne,
Trinke wie Wein eure Klinge das Blut!
[334]
Labet euch all' an dem Mahle des Mordens,
Labt euch beim Lichte der lodernden Halle!
Sei euer Schwert stark, während das Blut heiß,
Schont aus Erbarmen nicht, schont nicht aus Furcht.
Nur einer Stunde Genuß hat die Rache,
Im Rachengenießen erschöpft sich der Haß –
Auch mich ruft der Tod!

Die Flammen schlugen in wilder Lohe zum Himmel empor und erleuchteten weit umher die Gegend. Ein Thurm nach dem andern stürzte zusammen, und die Streitenden wurden endlich von dem Schloßhofe vertrieben. Die Besiegten, von denen indeß wenige das Leben behielten und entkamen, zerstreuten sich in dem nahen Walde. Furchtlos, aber mit Staunen betrachteten die Sieger die schauderhaften Flammen, von denen ihre eigenen Rüstungen in dunkelrothem Lichte glänzten. Ulricas, der Sächsin, schreckliche Gestalt war noch lange auf der höchsten Spitze der Gebäude sichtbar, und sie schien mit wildem Jauchzen der Zerstörung zuzusehen, die sie als Gebieterin beherrschte. Endlich brach auch dieser Thurm mit donnerndem Getöse zusammen; sie selber versank in der Gluth und verschwand. Mit stummem Erstaunen starrte jeder noch lange nach dem Orte hin, und jede Hand bewegte sich, um das Zeichen des Kreuzes zu schlagen. Jetzt erhob Locksley seine Stimme: »Frohlockt, meine Leute! – Die Höhle des Tyrannen ist zerstört! Laßt jeder seine Beute zu dem bestimmten Platze bei dem Gerichtsbaume im Harthill-Walk bringen; denn morgen mit Tagesanbruch soll sie dort unter uns und den würdigen Verbündeten unserer Rache zur Theilung gelangen.«

32. Kapitel

[335] Kapitel XXXII.

Glaubt mir, ein jeder Staat braucht auch Gesetz,

Das Reich Erlasse, Städte, Recht und Ordnung;

Selbst der Geächtete im wilden Tann

Behielt etwas zurück vom Bürgersinn.

Seit seine grüne Schürze Adam trug

Und Menschen lebten in Vereinigung,

Gab's auch Gesetze, die sie fester knüpften.


Altes Schauspiel.


Das Tageslicht begann zu dämmern in des Eichenwaldes Lichtungen. Die grünen Büsche schimmerten von tausend Perlen. Die Hirschkuh führte ihr Junges aus dem Dickicht in die freieren Gänge des grünen Waldes, und kein Jäger war da, der dem stattlichen Leithirsch auflauerte, sowie er stolz an der Spitze der gehörnten Heerde einherschritt.

Die Geächteten waren alle um den Gerichtsbaum im Harthill-Walk versammelt, wo sie die Nacht damit zugebracht hatten, sich nach den Mühseligkeiten der Belagerung zu erholen, einige durch Schlummer, einige durch Wein, und viele andere durch Anhören und Erzählen der Begebenheiten des Tages, sowie durch Berechnen der Beute, welche ihr glücklicher Erfolg zur Verfügung ihres Anführers gestellt hatte.

Die Beute war in der That sehr beträchtlich; denn ungeachtet vieles verbrannt war, so hatten die unerschrockenen Geächteten doch eine große Menge Silberzeug, reiche Rüstungen und glänzende Kleidungsstücke gerettet; denn diese Leute ließen sich durch keine Gefahr schrecken, wenn sie solche Belohnungen in Aussicht hatten. Doch die Gesetze ihrer Verbindung waren so strenge, daß keiner [336] wagte, sich den kleinsten Theil der Beute anzueignen; sie wurde vielmehr in eine Masse zusammengebracht, um von ihrem Anführer vertheilt zu werden.

Der Versammlungsplatz war ein alter Eichbaum, nicht derselbe, zu dem Locksley den Gurth und Wamba in dem frühern Theile der Geschichte geführt hatte, sondern einer, der im Mittelpunkte eines Waldamphitheaters, ungefähr eine halbe Meile von dem zerstörten Schlosse Torquilstone, stand. Hier nahm Locksley seinen Sitz auf einer Art von Rasenthron ein, und seine Gefährten standen rings um ihn her. Dem schwarzen Ritter wies er einen Platz zur Rechten, und dem Cedric einen zur Linken an.

»Verzeiht meine Freiheit, edle Herren,« sagte er, »aber in diesen Wäldern bin ich Monarch. Sie sind mein Königreich; und diese meine wilden Unterthanen würden mir bald den Gehorsam aufkünden, wenn ich meine Macht einem andern Sterblichen übertragen wollte. – Nun aber, Herren, wer hat unsern Kaplan gesehen? wo ist unser munterer Ordensbruder? Unter Christen beginnt ein geschäftiger Tag am besten mit einer Messe.« – Niemand hatte den Eremiten von Copmanhurst gesehen. – »Ja, ja,« fuhr der Anführer der Geächteten fort, »der lustige Priester wird sich wohl irgendwo bei der Weinflasche verspätet haben. Wer sah ihn denn seit der Einnahme des Schlosses?«

»Ich,« sagte der Müller, »ich sah ihn um eine Kellerthür sehr beschäftigt, indem er bei allen Heiligen im Kalender schwur, er müsse Front de Boeufs Gascognerwein kosten.«

»Nun mögen alle Heiligen verhüten, daß er nicht zu tief in die Fässer geschaut hat und in den Kellern verschüttet ist,« sagte der Hauptmann. »Geh, Müller, nimm einige Leute mit und suche den wackern Mönch auf, wo Du ihn zuletzt gesehen. Ich muß ihn wieder haben, und müßten wir ihn unter jedem Stein suchen.«

Die große Anzahl, die sich ungeachtet der bevorstehenden Theilung der Beute zur Erfüllung dieser Pflicht bereit finden ließ, bewies, wie sehr die Rettung ihres geistlichen Freundes allen am Herzen lag.

»Laßt uns indeß unser Geschäft beenden,« sagte Locksley, »denn wenn sich das Gerücht von unserer kühnen That verbreitet, so werden sich die Schaaren de Bracys, Malvoisins und andere Verbündete [337] Front de Boeufs gegen uns in Bewegung setzen, und es ist wohl gerathen, unserer Sicherheit wegen aus dieser Gegend abzuziehen. – Edler Cedric,« fuhr er zu dem Sachsen gewendet fort, »die Beute ist in zwei Theile getheilt; wähle, und belohne damit Deine Leute, die an unserm Unternehmen Theil gehabt.«

»Guter Freund,« versetzte Cedric, »mein Herz ist voll Kummer! Der edle Athelstane von Coningsburgh, der letzte Sprößling des heiligen Bekenners, ist nicht mehr! Hoffnungen sind mit ihm dahin, die nie mehr aufleben werden! Meine Leute erwarten nur meine Gegenwart, um seine ehrwürdigen Ueberreste zu ihrer letzten Ruhestatt zu geleiten. Lady Rowena wünscht nach Rotherwood zurückzukehren und muß von einem hinlänglichen Gefolge begleitet werden. Ich sollte daher schon eigentlich diesen Ort verlassen haben, allein ich verweilte – nicht um die Beute zu theilen, davor bewahre mich Gott und St. Withold! – nein, bloß um Dir und Deinen kühnen Gefährten meinen Dank zu sagen für die Menschenleben und die Unschuld, die ihr gerettet habt.«

»Nicht doch! Nehmt nur etwas von der Beute für Eure Nachbarn und Begleiter an,« sagte der Anführer der Geächteten, »sonst haben wir unser Werk ja nur halb gethan.«

»Ich bin reich genug, um sie von meinem eigenen Vermögen zu belohnen,« versetzte Cedric.

»Und manche,« sagte Wamba, »sind klug genug gewesen, sich selbst zu belohnen. Sie ziehen nicht mit bloßen Händen ab. Wir stecken nicht alle in der Narrenhaut.«

»Das ist uns lieb. Unsere Gesetze binden nur uns selbst,« erwiderte Locksley.

»Aber Du armer Schelm,« fuhr Cedric zum Narren gewendet fort, indem er ihn umarmte, »wie soll ich Dich belohnen? Dich, der Du kein Bedenken trugst, Leib und Leben für mich hinzugeben? Alles verließ mich, während der arme Narr mir treu blieb.«

Bei diesen Worten stand eine Thräne im Auge des stolzen Edlings, ein Zeichen von Gefühl, welches selbst Athelstanes Tod ihm nicht entlockt hatte; doch es lag etwas in der halb instinktmäßigen Anhänglichkeit des Leibeigenen, das selbst tiefer als der Kummer auf ihn wirkte.

»Nein,« sagte Wamba, indem er sich aus seiner Umarmung [338] losmachte, »wenn Du meine Dienste mit dem Wasser Deiner Augen bezahlst, Onkel Cedric, so muß der Narr zur Gesellschaft mitweinen, und was sollte dann aus meinem Amte werden! Aber wenn Du mir wirklich einen Gefallen thun willst, Onkel, so verzeihe meinem Spielkameraden Gurth, daß er eine Woche Deinem Dienste stahl, um sie Deinem Sohne zu widmen.«

»Ihm bloß verzeihn?« rief Cedric, »ich will ihm verzeihn und ihn belohnen obendrein. Knie nieder, Gurth!« – Sogleich lag der Schweinehirt zu den Füßen seines Herrn.

»Thu ne eart lengre theov and esne, Du bist fürder nicht mehr Knecht und Leibeigener; folcfrî and sacleás eart thu nu in tûne and from tûne, in vudum and feldum; frei und sicher bist Du jetzt in der Stadt und zur Stadt, in Wald und Feld! Ich gebe Dir ein Stück Land in meinem Gebiete von Walburgham für Dich und Deine Nachkommen – Und Gottes Fluch über dessen Haupt, der dem widerspricht!«

Jetzt nicht mehr Sklav, sondern ein freier Mann und Landbesitzer, erhob sich Gurth fast zweimal so hoch empor, wie er selbst war.

»Einen Schmied und eine Feile her!« rief er, »mit dem Halsring hinweg, von dem Nacken eines freien Mannes! Edler Herr, verdoppelt ist meine Kraft durch Euer Geschenk, und doppelt will ich für Euch kämpfen! Ein freier Geist lebt in meiner Brust, und ich bin verwandelt für mich und andere. – He! Packan,« fuhr er zu seinem Hunde fort, der, als er seinen Herrn so außer sich vor Freuden sah, an ihm hinaufsprang und ihm seine Theilnahme bezeigte – »kennst Du Deinen Herrn noch?«

»O ja! Packan und ich kennen Dich noch,« sagte Wamba, »obgleich wir beide noch das Halsband tragen müssen; Du aber wirst wahrscheinlich uns und Dich selber vergessen.«

»Eher mich selbst, als Dich, treuer Kamerad,« entgegnete Gurth, »und wäre die Freiheit etwas für Dich, so würde Dein Herr sie Dir gewiß nicht vorenthalten.«

»O denke nicht, daß ich Dich beneide, Bruder Gurth,« sagte Wamba; »der Leibeigene sitzt beim Feuer der Halle, wenn der Freie ins Feld muß. Und was sagt Oldhelm von Malmsbury – besser ein Narr beim Feste, als ein weiser Mann beim Kampfe.«

[339] Jetzt hörte man den Hufschlag der Rosse, und Lady Rowena erschien, von einigen Reitern und einer noch stärkern Abtheilung von Fußvolk umgeben, die ihre Waffen schwenkten und freudig zusammenschlugen. Sie selber saß reich geschmückt auf einem nußbraunen Zelter in würdevoller Haltung, und nur ein leichter Ueberrest von Blässe zeugte noch von dem, was sie erlitten hatte. Das Gefühl des Dankes für die unerwartete Befreiung und erneute Hoffnung lag auf ihrem Antlitz. Sie wußte, daß Ivanhoe gerettet und daß Athelstane todt sei. Die Ueberzeugung von ersterem erfüllte sie mit der reinsten Wonne, und wenn sie sich über das Letztere freute, so konnte man es ihr wohl verzeihn. Sie war sich nunmehr des Vortheils bewußt, in dem einzigen Punkte, in welchem ihr Vormund Cedric ihr stets entgegen gewesen war, völlig frei zu sein.

Als Rowena sich Locksleys Sitze näherte, erhob sich der kühne Landsaß nebst seinem ganzen Gefolge, um sie höflich zu empfangen. Das Blut stieg ihr in die Wangen, als sie, freundlich mit der Hand winkend und sich so tief verbeugend, daß ihr schönes, in reichen Locken herabhängendes Haar die Mähne ihres Zelters berührte, in wenigen aber passenden Worten dem Locksley und ihren übrigen Befreiern ihren Dank ausdrückte. – »Gott segne euch, tapfere Männer,« so schloß sie ihre Anrede, »daß ihr euch so großmüthig der Gefahr aussetztet für die Rettung der Unterdrückten! Hungert einen von euch, so denke er, daß Rowena Speise hat; dürstet ihn, so hat sie manches Faß Wein und braunes Bier für ihn – und treiben euch die Normänner aus diesem Aufenthalte, so besitzt Rowena Wälder, wo ihre muthigen Vertheidiger sich in voller Freiheit aufhalten können und nie gefragt werden, wessen Pfeil den Hirsch erlegt.«

»Dank, edle Lady,« sagte Locksley, »Dank für mich und im Namen meiner Gefährten! Euch gerettet zu haben, belohnt sich schon von selbst. Wir, die wir im grünen Walde hausen, thun manche wilde That, und die Befreiung der Lady Rowena mag als Buße dafür angenommen werden.«

Rowena neigte sich wieder von ihrem Zelter nieder und wendete sich, um hinweg zu reiten; doch als sie einen Augenblick anhielt, während Cedric, der sie begleiten wollte, ebenfalls Abschied nahm, [340] sah sie sich unerwartet dicht neben dem gefangenen de Bracy. Er stand unter einem Baume im tiefen Nachdenken, seine Arme über die Brust gekreuzt, und Rowena hegte die Hoffnung, unbemerkt vorüberzukommen. Doch er blickte auf, und als er sie bemerkte, ergoß sich eine dunkle Schamröthe über sein schönes Gesicht. Er stand einen Augenblick unentschlossen da; dann trat er vor, faßte ihren Zelter am Zügel und beugte sein Knie vor ihr.

»Will Lady Rowena sich herablassen, einen Blick auf einen gefangenen Ritter – auf einen entehrten Krieger zu werfen?«

»Herr Ritter,« antwortete Rowena, »bei Unternehmungen, wie die Eure, liegt die wahre Unehre nicht im Fehlschlagen, sondern im Gelingen.«

»Der Sieg sollte das Herz besänftigen,« antwortete de Bracy; »laßt mich nur wissen, ob Lady Rowena die Gewaltthat verzeiht, die durch eine unglückliche Leidenschaft veranlaßt wurde, und sie soll bald erfahren, daß de Bracy ihr auch auf edlere Weise zu dienen versteht.«

»Ich verzeihe Euch als Christin, Herr Ritter,« sagte Rowena.

»Das heißt,« sagte Wamba, »sie verzeiht ihm ganz und gar nicht.«

»Doch ich kann nie das Elend und den Jammer verzeihen, den Euer Wahnsinn angerichtet hat,« fuhr Lady Rowena fort.

»Laß den Zügel der Dame los!« sagte Cedric, näher kommend. »Bei der hellen Sonne über uns! wäre es nicht eine Schande, so nagelte ich Dich mit meinem Wurfspieß an den Boden – aber sei überzeugt, Moritz de Bracy, Deinen Antheil an dieser schmachvollen That sollst Du empfindlich büßen.«

»Wer einem Gefangenen droht, droht ohne Gefahr,« sagte de Bracy; »doch wann besaß ein Sachse auch nur eine Spur von Höflichkeit?«

Dann trat er zwei Schritte zurück und ließ die Dame vorüber.

Ehe sie sich entfernten, sprach Cedric dem schwarzen Ritter seinen besondern Dank aus und bat ihn dringend, ihn nach Rotherwood zu begleiten.

»Ich weiß,« sagte er, »daß ihr irrenden Ritter euer Vermögen auf eurer Lanzenspitze tragt und euch nicht viel um Land und Güter bekümmert; doch die Kriegsgöttin ist eine veränderliche [341] Schöne, und eine Heimat ist zuweilen selbst für den Ritter wünschenswerth, dessen Beruf das Wandern ist. Du hast eine Heimat in den Hallen von Rotherwood erworben, edler Ritter. Cedric besitzt Reichthum genug, die Unbilden des Glücks wieder gut zu machen, und alles, was er hat, gehört seinem Befreier. – Komm daher nach Rotherwood, nicht als Gast, sondern als Sohn oder Bruder.«

»Cedric hat mich schon reich gemacht,« sagte der Ritter – »er hat mich den Werth der sächsischen Tugend kennen gelehrt. Nach Rotherwood will ich kommen, braver Sachse, und das bald; doch jetzt halten mich dringende Geschäfte Euren Hallen fern. Wenn ich dorthin komme, werde ich vielleicht ein Geschenk von Euch erbitten, welches selbst Eure Großmuth auf die Probe setzen wird.«

»Es ist gewährt, ehe Ihr es noch ausgesprochen,« sagte Cedric und schlug seine Hand in die behandschuhte Rechte des schwarzen Ritters – »es ist schon gewährt, und solltet Ihr mein halbes Vermögen fordern.«

»Verpfände Dein Wort nicht so leicht,« sagte der Ritter mit dem Fesselschloß; »doch wohl hoffe ich das Geschenk zu verdienen, welches ich fordern werde. Inzwischen lebe wohl!«

»Ich habe nur noch zu sagen,« fügte Cedric hinzu, »daß ich während der Bestattung des edlen Athelstane ein Bewohner der Hallen von Coningsburgh sein werde. – Sie werden allen geöffnet sein, welche an dem Leichenmahle Antheil nehmen wollen; und ich sage im Namen der edlen Editha, der Mutter des gefallenen Prinzen, sie werden nie für den geschlossen sein, der sich so thätig, wenn auch erfolglos, bemüht hat, Athelstane von normännischen Ketten und normännischen Schwertern zu befreien.«

»Ja, ja,« sagte Wamba, der seinen Dienst bei seinem Herrn wieder angetreten hatte, »ein köstliches Mahl wird bereitet sein – Schade, daß der edle Athelstane nicht bei seinem Leichenbegängnisse mitspeisen kann. – Aber er,« fuhr der Possenreißer fort, indem er mit komischem Ernst die Augen erhob, »er speist im Paradiese und wird ohne Zweifel seiner Bewirthung Ehre anthun.«

»Still, und vorwärts!« sagte Cedric, dessen Aerger über diesen unpassenden Scherz durch die Erinnerung an die Dienste gehemmt wurde, die ihm Wamba erst kürzlich geleistet. Rowena nickte dem mit dem Fesselschloß ein anmuthiges Lebewohl zu – der Sachse[342] empfahl ihn der Obhut Gottes, und dann zogen durch eine weite Lichtung fort.

Kaum hatten sie sich entfernt, als eine Prozession unter den grünen Laubbäumen hervorkam, langsam um das Waldamphitheater bog und der Richtung folgte, welche Rowena und ihre Begleiter genommen. Die Mönche eines benachbarten Klosters, in Erwartung einer reichen Schenkung, welche Cedric versprochen hatte, folgten der Bahre, auf welcher der Körper Athelstanes ruhte, und sangen geistliche Lieder, indeß die Vasallen des Schlosses Coningsburgh ihn traurig und langsam auf ihren Schultern forttrugen, um ihn dort in der Gruft des Hengist, von dem der Verstorbene seine Abkunft herleitete, beizusetzen. Viele Vasallen hatten sich bei der Nachricht seines Todes versammelt und folgten der Bahre wenigstens mit allen äußern Zeichen der Niedergeschlagenheit und des Kummers. Wieder erhoben sich die Geächteten und zollten dem Tode dieselbe rauhe und freiwillige Huldigung, die sie kürzlich der Schönheit geweiht hatten, indem der Klaggesang und der trauernde Schritt der Mönche sie an ihre vielen Kameraden erinnerte, welche in dem gestrigen Kampfe gefallen waren. Aber solche Erinnerungen sind von kurzer Dauer bei Leuten, die ein Leben der Gefahr und kühner Unternehmungen führen, und ehe noch der Ton der Todtenhymne im Morgenwinde erstorben war, beschäftigten sich die Geächteten wieder mit der Vertheilung der Beute.

»Tapferer Ritter,« sagte Locksley zu dem schwarzen Kämpen, »ohne dessen wackern Muth und mächtigen Arm unser Unternehmen gänzlich müßte fehlgeschlagen sein, ist es Euch gefällig, von jener Masse von Beute dasjenige auszuwählen, was Euch am besten behagt, um Euch an diesen meinen Gerichtsbaum zu erinnern?«

»Ich nehme Euer Anerbieten an, so unbeschränkt, wie es gegeben wird,« sagte der Ritter, »und bitte um die Erlaubniß, mit Sir Moritz de Bracy nach meinem Gefallen verfahren zu dürfen.«

»Er ist schon Dein,« sagte Locksley, »und ein Glück für ihn! sonst würde der Tyrann den höchsten Zweig dieser Eiche geziert haben, mit eben so vielen von seiner Freicompagnie, als wir hätten aufbringen können, so dicht wie Eicheln um ihn her. – Doch er ist Dein Gefangener, und er bleibt unverletzt von uns, auch wenn er meinen Vater erschlagen hätte.«

[343] »De Bracy,« sagte der Ritter, »Du bist frei – geh wohin Du willst. Er, dessen Gefangener Du bist, verachtet es, niedrige Rache für das Vergangene zu nehmen. Aber hüte Dich vor der Zukunft, damit es Dir nicht schlimmer ergehe. Moritz de Bracy, ich sage,hüte Dich!«

De Bracy verneigte sich tief und schweigend und war im Begriff, sich zu entfernen, als die Geächteten plötzlich in ein Geschrei der Verwünschung und Verspottung ausbrachen. Der stolze Ritter stand augenblicklich still, drehte sich um, schlug die Arme unter, richtete sich in seiner vollen Größe auf und rief: »Still! ihr kläffenden Hunde, die ihr ein Geschrei beginnt, das ihr nicht ausstießet, als der umstellte Hirsch sich zur Wehr setzte – de Bracy verachtet euren Tadel, wie er euren Beifall verachten würde. Fort in eure Höhlen und Löcher, ihr geächteten Diebe, und schweigt, wenn innerhalb einer Meile von eurem Fuchsbau etwas Ritterliches oder Edles gesprochen wird.«

Dieser unzeitige Trotz hätte de Bracy einen Schauer von Pfeilen zuziehen können, hätte sich der Anführer der Geächteten nicht schnell ins Mittel gelegt. In zwischen faßte der Ritter ein Pferd beim Zügel; denn mehrere, die man aus den Ställen Front de Boeufs weggeführt, standen gesattelt umher und machten einen schätzbaren Theil der Beute aus. Er schwang sich in den Sattel und galoppirte durch den Wald davon.

Als sich der durch diesen Vorfall veranlaßte Lärm etwas gelegt hatte, nahm der Häuptling das schöne Horn und Wehrgehänge vom Halse, welches er kürzlich bei dem Bogenschießen zu Ashby gewonnen hatte.

»Edler Ritter,« sagte er zu dem mit dem Fesselschloß, »wenn Ihr es nicht verschmäht, ein Horn anzunehmen, welches ein englischer Landmann getragen, so möchte ich Euch bitten, dies zum Andenken an Eure gestrigen tapfern Thaten zu behalten – und wenn Ihr, wie es oft einem tapfern Ritter geht, in irgend einem Walde zwischen Trent und Tees hart ins Gedränge gerathet, so blast das Signal: Wasa-hoa auf diesem Horn, und es kann sich wohl ereignen, daß Ihr Helfer und Beistand finden werdet.«

[344] Dann setzte er das Horn an die Lippen und blies wiederholt den erwähnten Ruf, bis der Ritter ihn begriffen hatte.

»Vielen Dank für Dein Geschenk, kühner Landsasse,« sagte der Ritter, »und besseren Beistand als den Deinen und den Deiner wackern Gesellen würde ich niemals suchen, wäre ich auch in der größten Noth.« Und dann blies er ins Horn, daß der Ruf durch den grünen Wald erschallte.

»Gut und rein geblasen,« sagte der Landsasse, »ich will verdammt sein, wenn Du nicht eben so viel vom Waidmannshandwerk verstehst, wie vom Kriege! Gewiß hast Du zu Deiner Zeit manch edlen Leithirsch erlegt. – Kameraden, merkt euch dieses Signal, es ist der Ruf des Ritters vom Fesselschloß; und wer ihn hört und nicht eilt, ihm in der Noth beizustehen, den will ich mit seiner eigenen Bogensehne aus unserer Bande peitschen lassen.«

»Lange lebe unser Anführer!« riefen die Landsassen, »und lange lebe der schwarze Ritter vom Fesselschloß! – Möge er bald unseres Dienstes bedürfen, damit wir zeigen können, wie bereitwillig wir ihn leisten.«

Nun schritt Locksley zur Vertheilung der Beute, die er mit der löblichsten Unparteilichkeit ausführte. Der zehnte Theil des Ganzen wurde für die Kirche und zu frommen Zwecken reservirt, ein Theil kam dann in den allgemeinen Schatz; ein Theil wurde den Wittwen und Waisen der Gefallenen angewiesen, oder zu Seelenmessen für die bestimmt, welche keine Familie hinterlassen hatten. Das Uebrige fiel nach ihrem Range und Verdienst den Geächteten zu, und das Urtheil des Anführers wurde bei allen zweifelhaften Fällen mit dem größten Scharfsinn abgegeben und unbedingt angenommen. Der schwarze Ritter war nicht wenig erstaunt, zu finden, daß Männer in gesetzlosem Zustande dennoch unter sich so regelmäßig und gerecht regiert wurden, und alles, was er bemerkte, erhöhte seine Meinung von der Gerechtigkeit und dem richtigen Urtheil ihres Anführers.

Als jeder seinen Antheil an der Beute genommen und während der Schatzmeister, von vier kräftigen Landsassen begleitet, das, was allen gemeinsam gehörte, an einen sichern Ort gebracht hatte, war der Theil, welcher der Kirche geweiht war, noch von niemand in Anspruch genommen worden.

[345] »Ich wollte, wir könnten etwas von unserm lustigen Kaplan erfahren,« sagte der Hauptmann, – »er pflegt sonst nie abwesend zu sein, wenn der Segen beim Mahl zu sprechen oder Beute zu vertheilen ist; und es ist auch seine Pflicht, die Zehnten von unserem glücklichen Unternehmen in Empfang zu nehmen. Auch habe ich in nicht weiter Entfernung einen heiligen Bruder von ihm als Gefangenen und möchte gerne, daß mir der Mönch hülfe, auf gerechte Weise mit ihm zu verfahren. – Ich zweifle sehr, daß unser rauhes Pfäfflein wohlbehalten davon gekommen ist.«

»Es sollte mir sehr leid thun,« sagte der Ritter vom Fesselschloß, »denn ich bin noch in seiner Schuld wegen einer lustigen Nacht in seiner Zelle. Laßt uns zu du Ruinen des Schlosses zurückkehren, vielleicht erfahren wir dort etwas von ihm.«

Während sie so sprachen, verkündete ein lautes Rufen unter den Landsassen die Ankunft dessen, um den man besorgt war; denn man hörte schon lange die Stentorstimme des Mönchs, ehe man noch seine derbe Figur sehen konnte.

»Platz, meine muntern Jungens!« rief er, »Platz für euren geistlichen Vater und seinen Gefangenen. Ruft noch einmal willkommen! – Ich komme, edler Hauptmann, gleich einem Adler mit seiner Beute in den Klauen.« – Und indem er sich einen Weg durch den Kreis bahnte, erschien er beim Gelächter aller Anwesenden in majestätischem Triumph, seine ungeheure Partisane in der einen und eine Halfter in der andern Hand, deren anderes Ende um den Hals des unglücklichen Isaak von York befestigt war, der, von Kummer und Schrecken niedergebeugt, von dem siegreichen Priester fortgeschleppt wurde. »Wo ist Allan a Dale,« rief dieser laut, »um mich in einer Ballade zu besingen? – Bei Sanct Hermangild, der Reimklimpler ist beständig nicht da, wo sich ein Beispiel erhabener Tapferkeit zeigt!«

»Munterer Pfaff,« sagte der Hauptmann, »Du bist diesen Morgen bei einer nassen Messe gewesen, so frühe es auch noch ist. Beim heiligen Nikolas, wen hast Du denn da mitgebracht?«

»Einen Gefangenen meines Schwertes und meiner Lanze,« versetzte der Geistliche von Copmanhurst; »meines Bogens und [346] meiner Hellebarde, sollte ich lieber sagen; und doch habe ich ihn durch meine Gottesgelahrtheit aus einer schlimmern Gefangenschaft befreit. – Sprich, Jude, habe ich Dich nicht vom Satan losgekauft? Habe ich Dir nicht Dein Credo und Dein Pater noster und Dein Ave Maria gelehrt? Brachte ich nicht die ganze Nacht damit hin, Dir zuzutrinken und Dir die Geheimnisse des Christenthums zu erklären?«

»Um Gotteswillen!« rief der arme Jude, »will mich denn niemand aus den Händen dieses tollen – dieses heiligen Mannes befreien?«

»Wie ist das, Jude?« sagte der Mönch mit drohendem Blick; »Du widerrufst, Jude? – Bedenke Dich, wenn Du in Deinen Unglauben zurückfällst, obgleich Du nicht so zart bist, wie ein Saugferkel, – ich wollte, ich hätte eins, zum Frühstück, – so bist Du doch nicht zu zähe zum Braten! Füge Dich, und sprich mir die Worte nach: Ave Maria!«

»Nein, wir wollen hier keine Gotteslästerung, toller Priester,« [347] sagte Locksley; »laß uns lieber hören, wie Du diesen Deinen Gefangenen fandest.«

»Beim heiligen Dunstan,« sagte der Mönch, »ich fand ihn, wo ich etwas Besseres suchte! Ich stieg in den Keller hinab, um zu sehen, was sich dort noch retten ließe; denn wenn auch ein Becher geglühten Weines mit Gewürz ein Abendtrank für einen Kaiser ist, so wäre es doch Verschwendung, dachte ich, so viel gut Getränk auf einmal zu glühen. Ich hatte schon ein Fäßchen Sekt aufgeladen und wollte einige von den trägen Burschen, die immer bei guten Werken fehlen, zu Hilfe rufen, als ich an eine starke Thür kam. Aha! dachte ich, hier liegt die Auslese verborgen, und der Schurke von Kellermeister, in seinem Beruf gestört, hat den Schlüssel stecken lassen. Ich ging also hinein, fand aber nichts weiter als verrostete Ketten und diesen Hund von Juden, der sich mir sogleich auf Gnade und Ungnade ergab. Ich erfrischte mich und den Ungläubigen eben mit einem Becher Sekt und wollte dann meinen Gefangenen hinausführen, als Holterde-Polterde das Mauerwerk eines äußern Thurmes niederstürzte und den Ausgang verschüttete. Das Krachen eines fallenden Thurmes folgte dem andern – ich gab schon mein Leben verloren, und da es mir eine Schande für einen Mann meines Berufes schien, in Gesellschaft eines Juden aus der Welt zu gehen, so hob ich schon meine Hellebarde auf, um ihm den Kopf entzwei zu schlagen; doch ich hatte Mitleid mit seinen grauen Haaren und hielt es für besser, meine Partisane niederzulegen und meine geistliche Waffe zu seiner Bekehrung zu ergreifen. Und, beim Segen des heiligen Dunstan, die Saat ist auf guten Boden gefallen. Doch da ich ihm die ganze Nacht von Geheimnissen vorredete und auf solche Weise fastete – denn die wenigen Züge Sekt, die ich that, sind nicht der Rede werth – ist mir der Kopf ganz schwindlig, meiner Treu! – Gilbert und Wibbald wissen, in welchem Zustande sie mich fanden – ganz und gar schwindlig und nicht im Stande, auf zwei Beinen zu stehn.«

»Das können wir bezeugen,« sagte Gilbert; »denn als wir die Trümmer weggeräumt hatten und mit Sanct Dunstans Hilfe auf die Gefängnißtreppe stießen, fanden wir das Fäßchen mit Sekt halb leer, den Juden halb todt und den Mönch mehr als halb schwindlig, wie er es nennt.«

[348] »Ihr Schurken lügt!« rief der beleidigte Geistliche; »ihr wart es und eure durstigen Kameraden, die den Sekt austranken und es ihren Morgentrank nannten; ich will ein Heide sein, wenn ich ihn nicht für des Hauptmanns Kehle aufbewahrte. Aber was thut's, der Jude ist bekehrt und versteht alles, was ich ihm gesagt, beinahe oder völlig so gut, wie ich selber.«

»Jude,« sagte der Hauptmann, »ist es wahr? Hast Du Deinem Unglauben entsagt?«

»So wahr ich Gnade zu finden wünsche vor Euren Augen,« sagte der Jude, »ich weiß nicht ein Wort von alledem, was dieser ehrwürdige Prälat in dieser furchtbaren Nacht zu mir geredet. Ach! ich war so verwirrt von Qual, Furcht und Kummer, daß, wenn unser Vater Abraham gekommen wäre, mir zu predigen, er nur einen tauben Zuhörer an mir gefunden hätte.«

»Du lügst, Jude, und Du weißt, daß Du es thust,« sagte der Mönch; »ich will Dich nur an ein Wort unserer Unterredung erinnern: Du versprachst, alles, was Du besitzest, unserm heiligen Orden zu geben.«

»So wahr mir die Verheißung helfe, edle Herren,« sagte Isaak noch unruhiger als zuvor, »ein solches Wort kam nie über meine Lippen! Ach! ich bin ein bettelarmer Mann und – und wie ich fürchte, ein kinderloser – habt Mitleid mit mir und laßt mich in Frieden ziehen!«

»Nein,« sagte der Mönch, »wenn Du Gelübde zurücknimmst, die Du zu Gunsten der Kirche gethan hast, so mußt Du Buße thun.«

Hierauf erhob er seine Hellebarde und würde den Schaft derselben auf des Juden Rücken haben fallen lassen, hätte nicht der schwarze Ritter den Schlag aufgefangen und dadurch den Zorn des heiligen Eremiten auf sich gezogen.

»Beim heiligen Thomas von Kent,« sagte er, »ich will Dich lehren, Herr Faullenzer, Dich nur um Deine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, ungeachtet Deiner eisernen Kapsel, in der Du steckst!«

»Nein, sei nicht böse auf mich,« sagte der Ritter, »Du weißt, ich bin Dein geschworner Freund und Kamerad.«

»Ich weiß nichts davon,« antwortete der Mönch, »ich trotze Dir, als einem Narren, der sich in alles mischt!«

[349] »Aber!« sagte der Ritter, welcher Vergnügen daran zu finden schien, seinen ehemaligen Wirth zu reizen, »hast Du vergessen, daß Du um meinetwillen – ich sage nichts von der Versuchung der Flasche und der Pastete – das Gelübde des Fastens und Wachens gebrochen hast?«

»Wahrlich, Freund,« sagte der Mönch, seine ungeheure Faust ballend, »ich werde Dir einen Puff versetzen.«

»Ich nehme keine solchen Geschenke an,« sagte der Ritter; »ich bin zufrieden, Deinen Puff als Darlehen zu empfangen, doch ich will Dir mit solchen Prozenten vergelten, wie nur je Dein Gefangener da im Handel nahm.«

»Ich will sogleich die Probe machen,« sagte der Mönch.

»Holla!« rief der Hauptmann, »was hast Du vor, toller Pfaff? Gezänk unter dem Gerichtsbaum?«

»Es ist kein Gezänk,« sagte der Ritter, »es ist nur ein freundschaftlicher Austausch von Höflichkeiten. – Mönch, schlage zu, wenn Du es wagst – ich will Deinem Schlage stehen, wenn Du dem meinen stehen willst.«

»Du bist im Vortheil mit dem eisernen Topf auf dem Kopfe,« sagte der Geistliche; »aber sieh Dich vor – nieder mußt Du, und wärest Du Goliath von Gath in seinem ehernen Helm.«

Der Mönch entblößte seinen gebräunten Arm bis zum Ellbogen und versetzte dem Ritter mit voller Kraft einen Schlag, der einen Ochsen hätte stürzen können. Doch sein Gegner stand fest wie ein Felsen. Die Geächteten stießen einen lauten Ruf des Beifalls aus; denn die Püffe des Mönchs waren zum Sprichwort geworden, und es waren wenige unter ihnen, die nicht, entweder im Scherz oder im Ernst, die Gewalt derselben erfahren hatten.

»Nun, Priester,« sagte der Ritter, indem er seinen Panzerhandschuh auszog, »wenn ich auch mit meinem Kopfe im Vortheil war, so will ich es doch nicht mit der Hand sein – stehe fest wie ein Mann!«

»Genam meam dedi vapulatori – ich habe meinen Backen dargeboten dem, der mich schlägt,« sagte der Priester; »wenn Du mich von der Stelle bewegen kannst, Kerl, so will ich Dir gern des Juden Lösegeld abtreten.«

So sprach der rüstige Priester und nahm eine trotzige Haltung [350] an. Doch wer kann seinem Schicksal entgehen? Der Schlag des Ritters wurde mit solcher Kraft und gutem Willen ausgetheilt, daß der Mönch, zum großen Erstaunen der Zuschauer, kopfüber auf den Rasen hinrollte. Doch stand er weder zornig noch entmuthigt auf.

»Bruder,« sagte er zu dem Ritter, »Du hättest Deine Kraft mit mehr Vorsicht anwenden sollen. Dennoch ist hier meine Hand zum freundschaftlichen Zeugniß, daß ich keine Püffe mehr mit Dir wechseln will, da ich die Wette verloren habe. Es ende jetzt alle Unfreundlichkeit. Laßt uns den Juden ranzioniren, da der Leopard seine Flecken nicht verändert und er fortfahren wird, ein Jude zu bleiben.«

»Der Pfaff,« sagte Clemens, »traut der Bekehrung des Juden nicht halb so sehr, seit er den Puff an den Schädel erhalten hat.«

»Geh, Kerl, was schwatzest Du von Bekehrungen? – Ist hier kein Respekt? – Alles Herren und keine Diener? – Ich sage Dir, Kerl, ich wackelte etwas, als ich des guten Ritters Schlag erhielt, sonst wäre ich wohl auf den Beinen geblieben. Doch wenn Du noch mehr darauf stichelst, so sollst Du erfahren, daß ich eben so wohl geben als empfangen kann.«

»Still! Alle still!« sagte der Hauptmann. »Und Du, Jude, denk an Dein Lösegeld; wir brauchen Dir nicht erst zu sagen, daß Dein Geschlecht in allen christlichen Gemeinden für verflucht gehalten wird, und daß wir daher auch Deine Gegenwart unter uns nicht dulden können. Denke daher auf ein Angebot, während ich einen Gefangenen andern Schlages verhöre.«

»Sind viele von Front de Boeufs Leuten gefangen genommen?« fragte der schwarze Ritter.

»Keine von solchem Range, daß man sie auf Lösegeld festhalten könnte,« antwortete der Hauptmann. »Der Gefangene, von dem ich rede, ist eine bessere Beute – ein lustig Mönchlein, welcher ausgeritten war, um sein Liebchen zu besuchen, wenn man nach seinem Pferdegeschirr und seiner Kleidung urtheilen kann. – Hier kommt der würdige Prälat, geputzt wie ein Pfauhahn.«

Und zwischen zwei Landsassen wurde unser alter Freund, der Prior Aymer von Jorvaulx, vor den Richterstuhl des Häuptlings geführt.

33. Kapitel

[351] Kapitel XXXIII.

O Kriegerblume, wie gehts Titus Lartius?

Marcius. Wie einem, der geschäftig Urtheil spricht,

Zum Tode den verdammt, den zur Verbannung,

Den freiläßt, den beklagt, dem andern droht.


Coriolan.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe Bd. V, S. 312.)


Das Gesicht und Benehmen des gefangenen Abtes zeigte eine seltsame Mischung von beleidigtem Stolz, erzwungenem Spott und natürlicher Angst.

»Ei, ihr Herren,« sagte er in einem Tone, in dem alle drei Affekte sich vereinten, »was ist das für eine Ordnung unter euch? Seid ihr Türken oder Christen, die ihr einen Mann der Kirche so behandelt? Wißt ihr, was das heißt, manus imponere in servos Domini? Ihr habt meine Koffer geplündert – meinen kostbaren Spitzenkragen zerrissen, der einen Cardinal geziert hätte! Ein andrer an meiner Stelle wäre gleich mit seinem excommunicabo vos bei der Hand gewesen; doch ich bin milde, und wenn ihr meine Zelter wieder vorführt und meine Brüder frei laßt, meine Koffer herausgebt, in aller Eile hundert Kronen auszahlt, um sie zu Messen am Hochaltare der Abtei zu Jorvaulx zu verwenden, und wenn ihr das Gelübde ablegt, bis nächste Pfingsten kein Wildpret zu essen, so mögt ihr vielleicht wenig mehr von dieser tollen Posse hören.«

»Heiliger Vater,« sagte das Oberhaupt der Geächteten, »es thut mir leid, daß Ihr von irgend einem meiner Leute eine solche Behandlung erfahren habt, die Euren väterlichen Tadel veranlaßt.«

[352] »Behandlung!« wiederholte der Priester, durch den milden Ton des Anführers ermuthigt, »es war eine Behandlung, die für keinen Hund von guter Rasse paßte, viel weniger für einen Christen, noch viel weniger für einen Priester – und am allerwenigsten für den Prior der heiligen Klostergemeinschaft von Jorvaulx. Hier ist ein profaner und betrunkener Minstrel, genannt Allan a Dale, nebulo quidam, der mir mit körperlicher Strafe gedroht hat, ja selbst mit dem Tode, wenn ich nicht fünfhundert Kronen Lösegeld zahle, außer allen den Schätzen, die er mir bereits geraubt hat, goldene Ketten und Ringe von unschätzbarem Werthe, dazu das was zerbrochen und verdorben ist unter ihren rohen Händen, wie z.B. mein Riechfläschlein und mein Kräuseleisen.«

»Es ist unmöglich, daß Allan a Dale einen Mann von Eurem ehrwürdigen Charakter so sollte behandelt haben,« versetzte der Hauptmann.

»Es ist wahr, wie das Evangelium des heiligen Nikodemus,« sagte der Prior; »er schwur mit vielen furchtbaren Flüchen auf nordhumbrisch, daß er mich an dem höchsten Baume im Walde aufhängen wollte.«

»That er das wirklich? Ja, dann glaube ich, ehrwürdiger Vater, würde es besser sein, seine Forderung zu befriedigen, denn Allan a Dale ist wahrlich der Mann, der sein Wort hält, wenn er es einmal gegeben.«

»Ihr scherzt wohl nur mit mir,« sagte der erstaunte Prior mit erzwungenem Lachen; »und ich liebe einen guten Scherz von ganzem Herzen. Aber, ha! ha! ha! wenn der Spaß die ganze lange Nacht gewährt hat, so ist es wohl Zeit am Morgen ernsthaft zu sein.«

»Ich bin auch so ernsthaft wie ein Beichtvater,« versetzte der Anführer, »Ihr müßt ein rundes Lösegeld zahlen, Herr Prior, oder Euer Kloster wird bald zu einer neuen Priorwahl zusammen berufen werden.«

»Ihr nennt euch Christen und führt eine solche Sprache gegen einen Geistlichen?« sagte der Prior.

»Christen,« antwortete der Geächtete, »gewiß sind wir das, und haben überdies noch Geistlichkeit unter uns. Laßt unsern wackern Kaplan vortreten und diesem ehrwürdigen Vater den Text auslegen, der sich auf diese Sache bezieht.«

[353] Der Eremit, halb betrunken, halb nüchtern, zog rasch sein Mönchsgewand über seinen grünen Rock, stoppelte so viel Latein zusammen, als er noch von frühern Zeiten her im Gedächtniß hatte, und sagte: »Heiliger Vater, Deus faciat salvam benignitatem vestram – Ihr seid willkommen in diesem grünen Walde.«

»Was ist dies für eine profane Mummerei?« sagte der Prior. »Freund, wenn Du in der That der Kirche angehörst, so wäre es eine bessere Handlung, mir zu zeigen, wie ich aus den Händen dieser Leute entkommen kann, als daß Du Dich bückst und grinsest gleich einem Morristänzer beim Maifest.«

»Wahrhaftig, Vater,« sagte der Mönch, »ich weiß nur eine Art, wie Du entkommen kannst. Heute ist St. Andreastag, da nehmen wir unsere Zehnten ein.«

»Doch nicht von der Kirche, hoffentlich, mein guter Bruder?« sagte der Prior.

»Von der Kirche und von Laien,« sagte der Mönch; »und darum, Herr Prior, facite Vobis amicos de Mammone iniquitatis – machet Euch Freunde mit dem ungerechten Mammon; denn keine andere Freundschaft wird Euch etwas nützen.«

»Ich liebe einen lustigen Waidmann von Herzen,« sagte der Prior, seinen Ton sanfter stimmend; »ei, Ihr müßt nicht zu hart mit mir verfahren, ich verstehe mich aufs Waidwerk, kann das Horn klar und lustig blasen, und Hallo rufen, daß jede Eiche widerhallt. – Geht doch! Ihr müßt nicht zu hart mit mir verfahren.«

»Gebt ihm ein Horn,« sagte der Geächtete; »wir wollen seine Geschicklichkeit auf die Probe stellen, deren er sich rühmt.«

Der Prior Aymer blies demnach ein Stück auf dem Horn.

Der Hauptmann schüttelte den Kopf.

»Herr Prior,« sagte er, »Du bläsest ein munteres Stück, aber das macht Dich noch nicht frei. – Unsere Mittel erlauben uns nicht, Dich um ein lustig Stücklein auf dem Horn loszugeben, wie den Ritter in der Legende. Ueberdies finde ich, daß Du einer von denen bist, der die altenglischen Hornnoten durch französisches Geschnörkel und Getriller verdirbt. – Prior, wegen des letzten Stücks [354] mußt Du noch fünfzig Kronen Lösegeld mehr zahlen, weil Du die guten alten Jagdstücke verhunzest.«

»Ei, mein Freund,« sagte der Abt kleinlaut, »Du bist schwer zufrieden zu stellen. Ich bitte Dich, laß Dich billig finden hinsichtlich meines Lösegeldes. Mit einem Wort, da ich denn doch durchaus einmal dem Teufel das Licht halten muß, wie viel habe ich zu zahlen, um auf der Wätlingstraße fortzugehen, ohne fünfzig Mann im Rücken zu haben?«

»Wäre es nicht gut,« sagte der Lieutenant der Bande dem Hauptmann ins Ohr, »wenn der Prior das Lösegeld des Juden, und der Jude das Lösegeld des Priors bestimmte?«

»Du bist ein toller Kerl,« sagte der Hauptmann, »aber Dein Plan gefällt mir! Hier, Jude, tritt vor, sieh jenen heiligen Vater Aymer an, Prior der reichen Abtei Jorvaulx, und sage uns, auf welches Lösegeld wir ihn setzen müssen? – Du kennst gewiß die Einkünfte des Klosters.«

»O gewiß,« sagte Isaak, »ich habe gehandelt mit den guten Vätern, und Weizen und Gerste und viel Wolle von ihnen gekauft. O, es ist eine reiche Abtei, und sie leben in Fett und trinken süße Weine, diese guten Väter von Jorvaulx. Ach, wenn ein Ausgestoßener wie ich, einen solchen Aufenthaltsort hätte, wohin er gehen könnte, und solche Einkünfte im Jahr wie jene im Monat, er würde viel Gold und Silber zahlen, um sich frei zu machen aus seiner Gefangenschaft.«

»Hund von einem Juden!« rief der Prior, »niemand weiß besser als Du, daß unser heiliges Gotteshaus wegen des Baues unserer Kanzel verschuldet ist.«

»Und um im letzten Herbste eure Keller mit dem nöthigen Vorrath an Gascogner zu füllen,« fiel der Jude ein; »doch das ist eine Kleinigkeit.«

»Hört den ungläubigen Hund!« sagte der Geistliche; »er schwatzt, als sei unsere heilige Brüderschaft wegen der Weine verschuldet, die wir zu trinken die Erlaubniß haben, propter necessitatem et ad frigus depellendum. Der beschnittene Schuft lästert die [355] heilige Kirche, und Christen hören ihm zu, ohne ihm das Maul zu stopfen.«

»Alles das hilft nichts,« sagte der Anführer. »Isaak, sprich, was er zahlen kann, ohne ihn zu schinden mit Haut und Haar.«

»Ein sechshundert Kronen,« sagte Isaak, »könnte der gute Prior wohl Euer Gnaden zahlen, ohne deshalb weniger gemächlich in seinem Kirchenstuhl zu sitzen.«

»Sechshundert Kronen,« sagte der Anführer ernst; »ich bin zufrieden, Du hast wohl gesprochen, Isaak, sechshundert Kronen. – Dies ist Euer Urtheil, Herr Prior.«

»Ein Urtheil! – Ein Urtheil!« rief die Bande. »Salomo selber hätte kein besseres fällen können.«

»Du hörst den Urtheilsspruch, Prior,« sagte der Anführer.

»Ihr seid toll, meine Herren,« sagte der Prior, »wo sollte ich solch eine Summe hernehmen! Und wenn ich die Altarleuchter zu Jorvaulx verkaufte, so würde ich kaum die Hälfte der Summe daraus lösen; und zu dem Zweck wird es nöthig sein, daß ich selber nach Jorvaulx gehe; ihr könnt meine beiden Priester als Geißeln zurückbehalten.«

»Das würde nur eine schwache Sicherheit sein,« sagte der Geächtete; »wir wollen Dich zurückbehalten, Prior, und sie ausschicken, um Dein Lösegeld zu holen. Es soll Dir inzwischen nicht an einem Becher Wein und einem Stück Wildpret fehlen; und wenn Du die Jägerkunst liebst, so sollst Du Proben sehen, wie sie Dir in Deiner nördlichen Gegend nicht leicht vor kommen.«

»Oder, wenn es Euch gefällig ist,« sagte Isaak, der sich bei den Geächteten in Gunst zu setzen wünschte, »so kann ich auch nach York schicken und die sechshundert Kronen von gewissen Geldern holen lassen, die ich in Händen habe, wenn mir der ehrwürdige Herr Prior einen Schein darüber ausstellt.«

»Er soll ihn Dir ausstellen, wie Du ihn haben willst, Isaak,« sagte der Hauptmann; »und Du sollst das Lösegeld für Prior Aymer und zugleich für Dich selber auszahlen.«

»Für mich selber! Ach, tapfere Herren,« sagte der Jude, »ich bin ein armer Mann; ich würde mein Leben lang am Bettelstab gehen müssen, müßte ich euch fünfzig Kronen zahlen.«

»Der Prior soll darüber urtheilen,« versetzte der Hauptmann.[356] – »Was sagt Ihr, Pater Aymer? Kann der Jude ein gutes Lösegeld geben?«

»Ob er Lösegeld geben kann?« antwortete der Prior. »Ist er nicht Isaak von York, reich genug, die zehn Stämme Israels auszulösen, die in die assyrische Gefangenschaft geführt wurden? Ich selber habe ihn nur wenig gesehen, doch unser Kellermeister und Schatzmeister haben viele Geschäfte mit ihm gemacht, und das Gerücht sagt, sein Haus in York sei so voll Gold und Silber, daß es eine Schande sei für jedes christliche Land. Es ist eine Schmach für alle lebenden christlichen Herzen, daß man von solchen nagenden Nattern die Eingeweide des Staats, selbst der heiligen Kirche, durch Wucher und Erpressungen zerfressen läßt.«

»Halt, Vater,« sagte der Jude, »besänftigt Euren Zorn. Ich bitte Euer Ehrwürden zu bedenken, daß ich meine Gelder niemandem aufdränge. Doch wenn Geistliche und Laien, Prinz und Prior, Ritter und Priester an Isaaks Thür klopfen, so borgen sie seine Dukaten nicht mit so unhöflichen Ausdrücken. Dann heißt es: ›Freund Isaak, wollt Ihr uns nicht in dieser Sache gefällig sein? Wir wollen auch auf Tag und Stunde zahlen, so wahr uns Gott helfe!‹ – Und ›lieber Isaak, wenn Ihr je andern dientet, zeigt Euch als einen Freund in dieser Noth!‹ Und wenn der Tag kommt und ich das Meinige fordere, da hört man nichts weiter als ›Verdammter Jude‹, und ›der Fluch Aegyptens über euren Stamm‹ und alles, was das rohe und unhöfliche Volk gegen arme Fremdlinge aufbringen kann!«

»Prior,« sagte der Hauptmann, »obgleich er Jude ist, so hat er darin doch wahr gesprochen. Bestimme Du daher ohne weitere harte Ausdrücke sein Lösegeld, sowie er das Deine bestimmt hat.«

»Niemand als ein latro famosus – die Erklärung davon spare ich mir bis zu einer andern Zeit auf – würde einen christlichen Prälaten und einen ungetauften Juden auf eine Bank setzen,« sagte der Prior. »Doch da Ihr von mir fordert, das Lösegeld dieses Elenden zu bestimmen, so sage ich Euch offen heraus, daß Ihr Euch selber zu nahe treten würdet, wolltet Ihr einen Pfennig unter tausend Kronen von ihm nehmen.«

»Ein Urtheil! – Ein Urtheil!« rief das Oberhaupt der Geächteten.

[357] »Ein Urtheil! – Ein Urtheil!« riefen seine Beisitzer. »Der Christ hat seine bessere Erziehung gezeigt, und verfährt großmüthiger mit uns als der Jude.«

»Der Gott meiner Väter helfe mir!« sagte der Jude; »wollt Ihr ein verarmtes Geschöpf ganz zu Boden drücken? – Schon bin ich kinderlos, und Ihr wollt mich auch noch der Mittel zum Leben berauben?«

»Du hast desto wenige zu versorgen, Jude, wenn Du kinderlos bist,« sagte Aymer.

»Ach, Herr,« sagte Isaak, »Euer Gesetz erlaubt Euch nicht zu wissen, wie das Kind unseres Busens mit den Fibern unseres Herzens verwachsen ist. – O Rebekka! Tochter meiner geliebten Rachel Wäre jedes Blatt an jenem Baume eine Zechine und jede Zechine mein, die ganze Masse des Reichthums würde ich darum geben, zu erfahren, ob Du am Leben und aus den Händen des Nazareners entkommen bist!«

»Hatte Deine Tochter nicht dunkles Haar?« fragte einer von den Geächteten, »und trug sie nicht einen Schleier von Taffet mit Silber gestickt?«

»Ja, ja,« sagte der alte Mann, jetzt vor Erregung wie früher vor Furcht zitternd. »Der Segen Jakobs ruhe auf Dir! Kannst Du sagen, ob sie gerettet ist?«

»Dann war sie es, die der stolze Templer entführte, als er gestern Abend unsere Reihen durchbrach,« sagte der Geächtete. »Ich hatte schon meinen Bogen gespannt, um ihm einen Pfeil nachzuschicken, verschonte ihn aber des Mädchens wegen, das ich mit dem Pfeil zu verletzen fürchtete.«

»O wollte Gott, Du hättest geschossen,« entgegnete Isaak, »und wenn auch der Pfeil ihre Brust durchbohrt hätte! – Besser das Grab ihrer Väter, als das entehrende Lager des ausschweifenden und wilden Templers. Ichabod! Ichabod! Der Ruhm meines Hauses ist dahin!«

»Freunde,« sagte der Anführer um sich blickend, »der alte Mann ist nur ein Jude, aber dennoch rührt mich sein Kummer. – Sprich aufrichtig mit uns, Isaak, bist Du ganz von Geld entblößt, wenn Du die tausend Kronen Lösegeld zahlst?«

Isaak wurde wieder an seine irdischen Güter erinnert, und [358] die Liebe zu diesen stritt aus eingewurzelter Gewohnheit selbst mit seiner väterlichen Zärtlichkeit. Er wurde blaß, stammelte und konnte nicht leugnen, daß ihm vielleicht noch ein kleiner Ueberschuß bliebe.

»Nun, wir wollen so genau nicht mit Dir rechnen,« sagte der Anführer. »Ohne Geld kannst Du eben so gut hoffen, Dein Kind aus den Klauen Sir Brian de Bois-Guilberts zu befreien, als einen königlichen Hirsch mit einem Pfeil ohne Spitze zu schießen. – Wir wollen Dich auf dasselbe Lösegeld setzen wie den Prior Aymer, oder lieber noch um hundert Kronen geringer, welche hundert Kronen nicht die Gesellschaft treffen, sondern mein eigner Verlust sein werden. Wir werden dadurch dem schrecklichen Verbrechen entgehen, einen jüdischen Kaufmann eben so hoch zu taxiren wie einen christlichen Prälaten, und Du hast noch fünfhundert Kronen übrig, um damit das Lösegeld Deiner Tochter zu zahlen. Templer lieben den Schimmer silberner Thaler sowie den Glanz dunkler Augen. – Eile, und laß Deine Kronen vor Bois-Guilberts Ohren klingen, ehe es zu spät ist. Wie unsere Spione uns berichtet haben, wirst Du ihn im nächsten Präceptorium seines Ordens finden. – Habe ich recht gesprochen, meine munteren Kameraden?«

Die Landsassen drückten wie gewöhnlich ihre Uebereinstimmung mit der Ansicht ihres Führers aus. Isaak, von der Hälfte seiner Furcht befreit, da er hörte, daß seine Tochter lebe und wahrscheinlich ausgelöst werden könne, warf sich zu den Füßen des edlen Geächteten, berührte mit seinem Bart die Stiefel desselben, und suchte den Saum seines grünen Rockes zu küssen. Der Hauptmann trat zurück und machte sich nicht ohne Zeichen der Verachtung von der Berührung des Juden los.

»Nein, zum Henker, steh auf, Mann! Ich bin ein geborner Sachse und liebe solche orientalischen Sitten nicht, kniee vor Gott, und nicht vor einem armen Sünder, wie ich bin.«

»Ja, Jude,« sagte der Prior Aymer, »kniee vor Gott, wie er durch den Diener seines Altars repräsentirt wird, und wer weiß, welche Gunst Du für Dich und Deine Tochter Rebekka erlangen kannst, wenn Du aufrichtige Reue zeigst und den Altar des heiligen Robert reichlich bedenkst? Es thut mir leid um das Mädchen, denn sie hat ein schönes und liebliches Antlitz, ich sah sie in den [359] Schranken von Ashby. Brian de Bois-Guilbert ist auch in Mann, bei dem ich viel vermag, bedenke Dich, wie Du verdienen willst, daß ich ein gutes Wort bei ihm einlege.«

»Ach, ach!« sagte der Jude, »von allen Seiten will man mich berauben – ich bin als Beute hingegeben dem Assyrier, und als Beute dem Egypter!«

»Und was sollte sonst das Loos Deines verfluchten Geschlechtes sein?« antwortete der Prior; »denn was sagt die heilige Schrift: verbum Domini projecerunt, et sapientia est nulla in eis – sie haben das Wort des Herrn verworfen und keine Weisheit ist in ihnen;propterea dabo mulieres eorum exteris – darum will ich ihre Weiber den Fremdlingen geben, das heißt im gegenwärtigen Falle dem Templer; et thesauros eorum heredibus alienis, und ihre Schätze fremden Erben – im gegenwärtigen Falle diesen rechtschaffenen Herren.«

Isaak seufzte tief, begann die Hände zu ringen und wieder in seinen Zustand der Trostlosigkeit und Verzweiflung zu verfallen. Doch das Oberhaupt der Geächteten führte ihn auf die Seite.

»Bedenke Dich wohl, Isaak,« sagte Locksley, »was Du in dieser Sache thun willst; mein Rath ist, Du machst Dir diesen Geistlichen zum Freunde. Er ist eitel und habsüchtig; wenigstens braucht er viel Geld zu seiner Verschwendung. Du kannst sein Bedürfniß leicht befriedigen, denn glaube nicht, daß ich mich durch Deine Betheurungen der Armuth blenden lasse. Ich bin genauer mit dem eisernen Kasten bekannt, worin Du Deine Geldsäcke aufbewahrst. – Was! kenne ich nicht den großen Stein unter dem Apfelbaum, der zu dem gewölbten Gemache unter Deinem Garten zu York führt?« – Der Jude wurde todtenblaß. – »Aber fürchte nichts von mir,« fuhr der Geächtete fort, »denn wir kennen einander schon länger. Erinnerst Du Dich nicht des kranken Landsassen, den Deine schöne Tochter Rebekka aus dem Kerker zu York befreite und ihn so lange in Deinem Hause behielt, bis seine Gesundheit wieder hergestellt war, wo Du ihn mit einem Stück Geld entließest? – Ein Wucherer wie Du bist, hast Du doch nie Geld auf bessere Zinsen geliehen, als jene Silbermünze, denn sie hat Dir heute fünfhundert Kronen gerettet.«

»Und Du bist der, den wir Diccon Spannbogen nannten?« [360] sagte Isaak; »es war mir immer, als müßte ich den Ton Deiner Stimme kennen.«

»Ich bin Diccon Spannbogen,« sagte der Hauptmann, »und Locksley, und habe sonst noch einen guten Namen.«

»Aber Du irrst Dich hinsichtlich des gewölbten Gemaches, guter Diccon. So wahr mir der Himmel helfe, es ist nichts darin, als einige Waare, die ich Dir gern überlassen will, hundert Ellen lincolngrünes Tuch, um Deinen Leuten Röcke daraus machen zu lassen, und hundert Stäbe von spanischem Eichenbaumholz zu Bogen, und hundert seidene Bogensehnen, zäh, rund und fest, diese will ich Dir schicken für Deinen guten Willen, ehrlicher Diccon, wenn Du von dem Gewölbe schweigen willst, mein guter Diccon.«

»Ich will schweigen wie ein Fisch im Wasser,« sagte der Geächtete, »und glaube mir niemals wieder, wenn ich nicht um Deine Tochter aufrichtig bekümmert bin. Doch kann ich nicht helfen, des Templers Lanzen sind zu stark auf freiem Felde für meine Bogenschützen, sie würden wie Staub auseinander geblasen werden. Hätte ich nur gewußt, daß es Rebekka sei, die er entführte, da hätte sich vielleicht noch etwas thun lassen; doch jetzt mußt Du List anwenden. Komm, soll ich für Dich mit dem Prior unterhandeln?«

»Um Gottes willen, Diccon, wenn Du kannst, hilf mir das Kind meines Busens retten!«

»Unterbrich mich nur nicht mit Deinem unzeitigen Geize,« sagte der Anführer, »da will ich schon mit ihm zu Deinen Gunsten unterhandeln.«

Dann wendete er sich von dem Juden hinweg, der ihm wie sein Schatten folgte.

»Prior Aymer,« sagte der Hauptmann, »komm mit mir unter diesen Baum. Die Leute sagen, Du liebst den Wein und eines Weibes Lächeln mehr, als Deinem Orden ziemt, Herr Priester; doch das geht mich nichts an. Ich habe auch gehört, Du liebst gute Koppelhunde und ein schnelles Pferd, und da diese Dinge kostbar sind, so hassest Du vielleicht auch eine Börse voll Geld nicht. Doch habe ich nie gehört, daß Du Unterdrückung und Grausamkeit liebst. – Nun sieh, hier ist Isaak, bereit, Dir die Mittel zum Vergnügen und Zeitvertreib in einem Beutel mit hundert Mark Silber zu geben, wenn Du durch Deinen Einfluß bei dem Templer ihm die Freiheit seiner Tochter verschaffen kannst.«

[361] »In Sicherheit und Ehren, wie sie mir geraubt worden ist,« sagte der Jude, »sonst gilt der Handel nicht.«

»Still, Isaak,« sagte der Geächtete, »oder ich gebe Dein Interesse auf. – Was sagst Du zu diesem Vorschlage, Prior Aymer?«

»Es ist eine fatale Bedingung bei der Sache,« sagte der Prior, »denn wenn ich auf der einen Seit eine gute That thue, so geschieht es auf der andern Seite zum Vortheil eines Juden, und das ist in so weit gegen mein Gewissen. Doch wenn der Israelit die Kirche bedenken und so viel hergeben will, als der Bau unseres Dormitoriums kostet, so will ich es vor meinem Gewissen verantworten, ihm in dieser Angelegenheit mit seiner Tochter beizustehen.«

»Auf zwanzig Mark zu dem Dormitorium,« sagte der Geächtete – »schweig Isaak, sage ich! – oder auf ein Paar silberne Leuchter für den Altar soll es nicht ankommen.«

»Aber guter Diccon,« sagte Isaak, ihn zu unterbrechen versuchend.

»Guter Jude – guter Esel – guter Erdenwurm!« sagte der Anführer, indem er die Geduld verlor, »wenn Du fortfährst Deine filzige Habsucht mit Deiner Tochter Leben und Ehre in die Wagschale zu legen, beim Himmel, so nehme ich Dir alles, was Du in der Welt besitzest, selbst den letzten Maravedi ab, ehe noch drei Tage um sind!«

Der Jude schauderte zusammen und schwieg.

»Und welches Unterpfand soll ich dafür haben?« sagte der Prior.

»Wenn Isaak durch Deine Mitwirkung seine Tochter wieder erhält,« sagte der Anführer, »so schwöre ich Dir beim heiligen Hubert, ich will dafür sorgen, daß er Dir das Geld in gutem Silber bezahlt, oder ich will auf solche Weise Abrechnung mit ihm halten, daß es besser für ihn wäre, er hätte die Summe zwanzigmal bezahlt.«

»Wohlan denn, Jude,« sagte Aymer, »da ich mich denn nothwendig in die Sache mischen muß, so leihe mir Deine Schreibtafel. Doch halt – lieber als daß ich mich Deiner Feder bediene, möchte ich vierundzwanzig Stunden fasten, aber wo soll ich hier eine finden?«

»Wenn Eure heiligen Scrupel gestatten, Euch der Schreibtafel [362] des Juden zu bedienen, so will ich Euch die Feder verschaffen,« sagte der Anführer. Hierauf spannte er seinen Bogen und zielte nach einer wilden Gans, die hoch über ihren Köpfen flog, als die vorderste einer Phalanx, welche ihren Weg nach den fernen und einsamen Sümpfen von Holderneß richtete. Der Vogel fiel, von dem Pfeil durchbohrt, flatternd herunter.

»Hier, Prior,« sagte der Hauptmann, »sind Federspulen genug, um alle Mönche von Jorvaulx auf die nächsten hundert Jahre zu versehen, wenn sie sich nicht aufs Chroniken Schreiben legen.«

Der Prior setzte sich nieder und schrieb in gehöriger Muße einen Brief an Brian de Bois-Guilbert, den er sorgfältig versiegelte und dem Juden mit den Worten übergab: »Dies wird Dein Geleitsbrief sein zu dem Präceptorium zu Templestowe, und, wie ich glaube, höchst wahrscheinlich die Befreiung Deiner Tochter bewirken, wenn er mit Anerbietungen von Deiner Seite begleitet wird, denn glaube mir, der gute Ritter Bois-Guilbert gehört einer Brüderschaft an, die für nichts auch nichts thut.«

»Nun gut, Prior,« sagte der Geächtete, »ich will Dich nicht länger aufhalten, als bis Du dem Juden eine Quittung über die sechshundert Kronen gegeben hast, worauf Dein Lösegeld festgesetzt ist; ich nehme ihn als meinen Zahlmeister an, und wenn ich höre, daß Ihr Euch weigert, ihm die Summe wieder zu erstatten, die er für Euch gezahlt, so wahr mir die heilige Jungfrau gnädig sein wolle, ich zünde Euch die Abtei über dem Kopfe an, und sollte ich auch deshalb zehn Jahre früher hängen müssen!«

Mit viel geringerer Kalligraphie als mit der er den Brief an Bois-Guilbert niedergeschrieben, setzte der Prior die Quittung für Isaak von York auf.

»Und nun,« sagte er dann, »bitte ich Euch um Wiedererstattung meiner Maulthiere und Zelter, um die Freilassung der mich begleitenden ehrwürdigen Brüder, sowie um Herausgabe der Ringe, Juwelen und kostbaren Kleider, deren man mich beraubt hat, da ich Euch jetzt durch mein Lösegeld zufrieden gestellt habe.«

»Was Eure Brüder betrifft, Herr Prior,« sagte Locksley, »so sollen sie sogleich frei sein, es wäre ungerecht, sie zurückzuhalten; auch Eure Pferde und Maulthiere sollen Euch wieder erstattet werden, nebst so viel Reisegeld, daß Ihr York erreichen könnt, [363] denn es wäre grausam, Euch der Mittel zur Reise zu berauben. – Was aber die Ringe, Juwelen, Ketten und dergleichen betrifft, da müßt Ihr wissen, daß wir Männer von zartem Gewissen sind, und einen ehrwürdigen Mann wie Euch, der den Eitelkeiten der Welt abgestorben sein sollte, nicht der starken Versuchung aussetzen wollen, die Regel seines Ordens zu brechen, indem er Ringe, Ketten und andern eiteln Tand an sich trägt.«

»Bedenkt, was ihr thut, ihr Herren,« sagte der Prior, »ehe ihr das Eigenthum der Kirche antastet. Diese Sachen gehören inter res sacras, und ich weiß nicht, welche Strafe daraus folgen würde, wenn sie von Laien berührt werden sollten.«

»Dafür will ich Sorge tragen, ehrwürdiger Prior,« sagte der Eremit von Copmanhurst, »denn ich will sie selber tragen.«

»Freund oder Bruder,« sagte der Prior als Antwort auf diese Lösung seiner Zweifel, »wenn Du wirklich die Priesterweihe empfangen hast, so bitte ich Dich zuzusehen, wie Du den Antheil, den Du am Werk dieses Tages genommen, vor Deinem Vorgesetzten verantworten willst.«

»Freund Prior,« entgegnete der Eremit, »Ihr müßt wissen, daß ich zu einer kleinen Diöcese gehöre, wo ich mein eigener Vorgesetzter bin, und mich eben so wenig um den Bischof von York kümmere, als um den Abt von Jorvaulx und die gesammte Geistlichkeit.«

»Du bist ein Ungeweihter,« sagte der Prior, »einer von denen, die ohne innern Trieb die Weihen genommen, und die Seelen der Unglücklichen ins Verderben führen, die ihnen Rath ertheilen, lapides pro pane donantes iis, indem sie ihnen Steine statt Brod reichen. Ein Heckenpriester bist Du, und darum: excommunicabo Vos!«

»Du bist selber einem Dieb und Ketzer ähnlicher,« sagte der Eremit gleichfalls erzürnt; »ich will keine solche Beleidigungen vor meinen Pfarrkindern einstecken, die Du mir zuzufügen Dich nicht schämst, obgleich ich ein ehrwürdiger Bruder von Dir bin.Ossa eius perfringam, ich werde ihm die Knochen zerschlagen, wie die Vulgata sagt.«

»Holla!« rief der Hauptmann, »kommen die ehrwürdigen Brüder zu solchen Ausdrücken? Brich den Frieden nicht, Eremit. [364] Prior, wenn Du nicht vollkommen Deine Rechnung mit der Welt abgeschlossen hast, so reize den Eremiten nicht weiter. Eremit, laß den ehrwürdigen Vater in Frieden ziehen, da er sich ausgelöst hat.«

Die Geächteten trennten die erzürnten Priester, welche fortwährend ihre Stimmen erhoben und in schlechtem Latein auf einander schimpften, welches der Prior geläufiger und der Eremit mit größerer Heftigkeit sprach. Endlich faßte sich der Prior so weit, daß er einsah, er beeinträchtige seine Würde, wenn er mit einem solchen Heckenpriester und Kaplan von Geächteten zanke. Er ritt mit seinen Begleitern fort, mit viel geringerem Pomp und in viel mehr apostolischer Weise hinsichtlich des weltlichen Schmuckes, als er gekommen war.

Zum Schluß mußte der Jude für das Lösegeld Sicherheit leisten, welches er für den Prior zahlen wollte, sowie für sein eigenes. Er stellte daher einen mit seinem Siegelring untersiegelten Wechsel auf einen Bruder seines Stammes zu York aus, worin er diesen aufforderte, dem Ueberbringer die Summe von elfhundert Kronen auszuzahlen und gewisse näher bezeichnete Waaren auszuliefern.

»Mein Bruder Schewa,« sagte er mit einem tiefen Seufzer, »hat den Schlüssel zu meinem Waarenlager.«

»Und zu dem gewölbten Gemache,« flüsterte Locksley.

»Nein, nein – das möge der Himmel verhüten!« sagte Isaak; »verflucht sei die Stunde, wo ein anderer mit diesem Geheimniß bekannt wurde!«

»Bei mir ist es sicher,« sagte der Geächtete, »wenn auf dieses Blatt die darin benannte Summe ausgezahlt wird. – Aber was hast Du vor, Isaak? Bist Du todt? Bist Du von Sinnen? Hast Du wegen der Bezahlung von elfhundert Kronen Deiner Tochter Gefahr vergessen?«

Der Jude sprang wieder auf. »Nein, Diccon, nein, nein – ich will sogleich abreisen. Lebe wohl, Du, den ich nicht gut nennen kann und nicht böse nennen will und darf.«

Ehe der Jude sich entfernte, gab ihm der Anführer der Geächteten den Rath auf den Weg: »Sei freigebig in Deinen Anerbietungen, Isaak, und schone Deine Börse nicht zur Rettung Deiner Tochter. Glaube mir, das Geld, welches Du in ihrer Sache sparst, [365] wird Dir später so viel Qual verursachen, als würde es geschmolzen in Deinen Hals gegossen.«

Isaak stimmte mit einem Seufzer ein und trat seine Reise an, begleitet von zwei rüstigen Waidmännern, die seine Führer und zugleich seine Beschützer sein sollten.

Der schwarze Ritter, welcher mit nicht geringem Interesse den verschiedenen Vorgängen zugesehen hatte, nahm jetzt ebenfalls von dem Geächteten Abschied; er konnte nicht umhin, sein Erstaunen auszusprechen, daß er so viel bürgerliche Ordnung unter Leuten gefunden habe, die von dem gewöhnlichen Schutze und Einfluß der Gesetze ausgeschlossen wären.

»Gute Früchte, Herr Ritter, wachsen auch zuweilen auf verkümmerten Bäumen,« sagte der Geächtete, »und schlimme Zeiten bringen nicht immer ausschließlich Schlimmes hervor. Unter denen, die in diesen gesetzlosen Zustand versetzt sind, gibt es gewiß viele, welche die Freiheit desselben mit einiger Mäßigung zu gebrauchen wünschen, und einige, welche bedauern, daß sie überhaupt zu diesem Handwerk genöthigt sind.«

»Und mit einem von diesen rede ich vermuthlich?« sagte der Ritter.

»Herr Ritter,« sagte der Landflüchtige, »ein jeder hat sein Geheimniß. Ihr mögt Euch Euer Urtheil über mich bilden, und ich kann meine Vermuthungen über Euch hegen, ohne daß unsere Pfeile das Ziel treffen, auf das sie abgeschossen sind. Doch da ich nicht bitte, in Euer Geheimniß eingeweiht zu werden, so seid nicht ungehalten, wenn ich auch das meinige für mich behalte.«

»Ich bitte um Verzeihung, wackeres Wolfshaupt,« sagte der Ritter, »Euer Tadel ist gerecht. Aber vielleicht sehen wir uns später mit weniger Heimlichkeit von beiden Seiten wieder. – Inzwischen scheiden wir als Freunde, nicht wahr?«

»Hier ist meine Hand darauf,« sagte Locksley, »und ich nenne sie die Hand eines echten Engländers, wenn er auch für jetzt ein Wolfshaupt ist.«

»Hier ist die meine dagegen,« sagte der Ritter, »und ich halte sie geehrt durch den Druck der Eurigen. Denn wer Gutes thut, da er doch die unbeschränkte Macht hat, Böses zu thun, verdient Lob, nicht bloß für das Gute, das er thut, sondern auch für das [366] Böse, das er unterläßt. God be vith eóv, dyrstig (tapferes) vearges heáfod!«

So trennten sich die beiden wackern Kameraden. Der Ritter vom Fesselschloß bestieg sein starkes Schlachtroß und sprengte durch den Wald davon.

34. Kapitel

[367] Kapitel XXXIV.

König Johann. – – – Hör, mein Freund,

Er ist 'ne rechte Schlang' in meinem Weg,

Und wo mein Fuß nur irgend niedertritt,

Da liegt er vor mir: Du verstehst mich doch?


König Johann.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe. Bd. I, S. 55.)


Glänzende Festlichkeiten fanden im Schlosse zu York statt, wohin der Prinz Johann alle jene Edlen, Prälaten und Anführer eingeladen hatte, durch deren Beistand er seine ehrgeizigen Pläne auf seines Bruders Thron auszuführen hoffte. Waldemar Fitzurse, ein geschickter und kluger Agent, war insgeheim unter ihnen beschäftigt und versuchte es, ihnen allen den Muth einzuflößen, der nöthig war, um mit einer offenen Erklärung seiner Absicht herauszurücken. Das Unternehmen wurde jedoch durch die Abwesenheit mehr als eines wichtigen Mitgliedes der Verbindung verzögert. Der unbeugsame und kühne, obgleich rohe Muth Front de Boeufs, der lebhafte und verwegene Unternehmungsgeist de Bracys, die Scharfsicht, kriegerische Erfahrung und berühmte Tapferkeit Brian de Bois-Guilberts waren für den Erfolg der Verschwörung von Wichtigkeit. Johann und sein Rathgeber verfluchten insgeheim ihre unnöthige Abwesenheit, wagten aber nicht, etwas ohne sie vorzunehmen. Der Jude Isaak schien auch verschwunden zu sein, und mit ihm die Hoffnung auf gewisse Geldsummen, welche die Hilfsgelder ausmachten, über die Prinz Johann mit jenem Israeliten und seinen Brüdern einig geworden war. Dieser Ausfall ließ bei so kritischen Verhältnissen gefährliche Folgen erwarten.

[368] Am Morgen nach dem Fall von Torquilstone begann sich ein unbestimmtes Gerücht in der Stadt York zu verbreiten, daß de Bracy und Bois-Guilbert nebst ihrem Verbündeten Front de Boeuf gefangen genommen oder erschlagen wären. Waldemar überbrachte dem Prinzen Johann dieses Gerücht und setzte hinzu, er fürchte um so mehr, daß sich dasselbe bestätigen werde, als sie mit geringem Gefolge ausgezogen seien, um den Sachsen Cedric und seine Begleitung zu überfallen. Zu einer andern Zeit würde der Prinz diese Gewaltthat als einen guten Scherz betrachtet haben, jetzt, da die Ausführung seiner Pläne dadurch gehindert und vereitelt wurde, ließ er sich heftig gegen die Thäter aus, und sprach von gebrochenen Gesetzen und von Eingriffen in die öffentliche Ordnung und das Privateigenthum in einem Tone, der für den König Alfred gepaßt hätte.

»Diese gesetzlosen Räuber!« sagte er, »bin ich erst König von England, dann lasse ich solche Uebelthäter über den Zugbrücken ihrer eigenen Schlösser aufhängen.«

»Aber um König und Herr von England zu werden,« sagte der Rathgeber kalt, »ist es nicht nur nöthig, daß Eure Hoheit die Uebelthaten solcher gesetzlosen Räuber duldet, sondern daß Ihr ihnen auch, trotz Eures löblichen Eifers für die Aufrechthaltung der Gesetze, welche jene zu verletzen gewöhnt sind, vollen Schutz angedeihen lasset. Es würde uns eine hübsche Hilfe sein, wenn die ungeschliffenen Sachsen wirklich die Zugbrücken ihrer Lehnsgüter in Galgen verwandelt hätten. Der kühne Cedric schien ganz darnach angethan, als könnte ihm solch ein Gedanke in den Sinn kommen. Eure Hoheit wird gewiß auch einsehen, daß es gefährlich ist, ohne Front de Boeuf, de Bracy und den Templer etwas zu unternehmen, und doch sind wir schon zu weit gegangen, um mit Sicherheit wieder umkehren zu können.«

Der Prinz schlug sich aus Ungeduld vor die Stirn und schritt dann im Zimmer auf und ab.

»Die Schurken,« sagte er, »die elenden Verräther! Mich zu verlassen in dieser Bedrängniß.«

»Sagt lieber, die unbesonnenen Querköpfe, die mit Kinderspielen sich ergötzen wollten, wo ein solches Geschäft zu vollbringen war.«

[369] »Aber was ist jetzt zu thun?« fragte der Prinz, und blieb vor Waldemar stehen.

»Ich weiß nicht, was gethan werden könnte,« versetzte der Rath, »außer wozu ich bereits Befehl gegeben habe. Ich kam nicht hieher, diesen unangenehmen Vorfall mit Eurer Hoheit zu beklagen, bis ich nicht vorher mein Möglichstes versucht hatte, ihn unschädlich zu machen.«

»Du bist doch immer mein guter Engel, Waldemar, Du wirst als mein Rathgeber meine Regierung berühmt machen,« sagte der Prinz. »Welche Vorkehrungen hast Du also getroffen?«

»Ich habe dem Ludwig Winkelbrand, de Bracys Lieutenant, befohlen, zu Pferde blasen zu lassen, das Banner zu entfalten und schnell nach Front de Boeufs Schlosse zu eilen, um womöglich noch etwas zur Rettung unserer Freunde zu thun.«

Prinz Johanns Gesicht wurde roth wie das eines verzogenen Kindes, welches eine vermeinte Beleidigung erfahren hat.

»Bei Gottes Antlitz!« sagte er, »Du hast viel auf Dich genommen, Waldemar Fitzurse, und es war sehr anmaßend, daß Du ohne unsern ausdrücklichen Befehl die Trompete blasen oder das Banner entfalten ließest in einer Stadt, wo wir selber gegenwärtig waren.«

»Ich bitte Eure Hoheit um Verzeihung,« sagte Fitzurse, innerlich die thörichte Eitelkeit seines Patrons verwünschend, »doch da die Zeit drängte und selbst die einer Minute unheilbringend sein konnte, hielt ich es für das Beste, in einer für Eurer Hoheit Interesse so wichtigen Sache die Verantwortlichkeit auf mich zu nehmen.«

»Es sei Dir verziehen, Fitzurse,« sagte der Prinz ernst; »Deine Absicht macht Deine voreilige Raschheit wieder gut. Doch, wer ist da? Beim Kreuz, de Bracy selber! – Und in seltsamem Aufzuge erscheint er vor uns.«

Es war in der That de Bracy, blutig vom Spornen des Pferdes und feuerroth vom schnellen Ritt. Seine Rüstung trug noch alle Zeichen des kürzlich bestandenen Kampfes, sie war an manchen Stehen zerbrochen und mit Blut befleckt, und er selber von unten bis oben mit Koth und Staub bedeckt. Er nahm seinen Helm ab, setzte ihn auf den Tisch und stand einen Augenblick da, als müsse er sich erst fassen, ehe er seine Nachricht mittheilte.

[370] »De Bracy,« sagte Prinz Johann, »was bedeutet dies? Rede, ich beschwöre Dich! Haben sich die Sachsen empört?«

»Rede, de Bracy,« sagte Fitzurse fast in demselben Augenblick wie sein Herr, »Du pflegtest ein Mann zu sein. Wo ist der Templer? Wo ist Front de Boeuf?«

»Der Templer hat sich geflüchtet,« sagte de Bracy, »und Front de Boeuf werdet Ihr nimmer wiedersehen. Er hat ein heißes Grab gefunden unter den brennenden Balken seines Schlosses, und ich allein bin entkommen, um es Euch mitzutheilen.«

»Eine erkältende Nachricht für uns,« sagte Waldemar, »obgleich Du von Feuer und Flammen redest.«

»Das Schlimmste ist noch nicht gesagt,« antwortete de Bracy, indem er sich dem Prinzen näherte und in leisem, aber nachdrücklichem Tone sagte: »Richard ist in England, ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen.«

Prinz Johann wurde blaß, schwankte und hielt sich an der Lehne seines Stuhles, gleich einem Manne, dessen Brust soeben von einem Pfeile durchbohrt wird.

»Du rasest, de Bracy,« sagte Fitzurse, »es kann nicht sein.«

»Es ist so wahr, wie die Wahrheit selber,« sagte de Bracy; »ich war sein Gefangener und habe mit ihm geredet.«

»Mit Richard Plantagenet, sagst Du?« fuhr Fitzurse fort.

»Mit Richard Plantagenet,« versetzte de Bracy, »mit Richard Löwenherz, mit Richard von England.«

»Und Du warst sein Gefangener?« sagte Fitzurse, »er steht also an der Spitze einer Macht?«

»Nein, nur wenige Geächtete waren um ihn, und diesen ist seine Person unbekannt. Ich hörte ihn sagen, er wolle sie verlassen. Er vereinigte sich nur mit ihnen, um beim Sturm auf Torquilstone zu helfen.«

»Ja,« sagte Fitzurse, »das ist in der That Richards Weise; ein wahrer irrender Ritter ist er, geht auf wilde Abenteuer aus, verläßt sich auf die Stärke seines Armes, gleich einem Sir Guy oder Sir Bevis, während die wichtigen Angelegenheiten des Reiches schlummern und seine eigene Sicherheit gefährdet ist. – Was beabsichtigst Du zu thun, de Bracy?«

»Ich? – Ich bot Richard den Dienst meiner Freicompagnie [371] an, doch nahm er mein Anerbieten nicht an; ich will sie nach Hull führen, an Bord gehen und mich nach Flandern einschiffen; bei diesen unruhigen Zeiten findet ein thätiger Mann immer Beschäftigung. Und Du, Waldemar, willst Du Lanze und Schild ergreifen, Deine Politik an den Nagel hängen, mit mir ziehen und das Schicksal theilen, welches Gott uns sendet?«

»Ich bin zu alt, Moritz, und habe eine Tochter,« antwortete Waldemar.

»Gib sie mir, Fitzurse, ich werde sie erhalten, wie ihrem Stande geziemt, mit Hilfe meiner Lanze und meiner Steigbügel,« sagte de Bracy.

»Nein, nein!« antwortete Fitzurse; »ich will meine Zuflucht zum Heiligthume zu St. Peter nehmen. – Der Erzbischof ist mein geschworner Bruder.«

Während dieser Unterredung war Prinz Johann nach und nach aus der Betäubung erwacht, in die er durch diese unerwartete Nachricht versetzt worden war, und hatte aufmerksam angehört, was die beiden gesagt hatten. »Sie fallen von mir ab,« sagte er zu sich selber, »sie halten nicht fester an mir, als ein verwelktes Blatt am Ast, wenn der Wind weht! – Hölle und Teufel! kann ich denn nicht selber einen Ausweg ersinnen, wenn diese Elenden mich verlassen?« Er schwieg, und es lag ein Ausdruck teuflischer Leidenschaft in dem erzwungenen Lachen, mit dem er endlich ihr Gespräch unterbrach.

»Ha, ha, ha! meine guten Herren, bei der lichten Stirn der heiligen Jungfrau, ich halte euch für weise Männer, für kühne gewitzte Männer; doch ihr werft Reichthum, Ehre, Vergnügen und alles, was unser edles Spiel euch verhieß, in dem Augenblick von euch, wo es durch einen kühnen Wurf hätte gewonnen werden können!«

»Ich verstehe Euch nicht,« sagte de Bracy. »Sobald Richards Rückkehr bekannt wird, steht er auch an der Spitze einer Armee, und alles ist dann mit uns vorüber. Ich rathe Euch, Mylord, [372] entweder nach Frankreich zu entfliehen, oder bei der Königin Mutter Schutz zu suchen.«

»Ich suche keine Sicherheit für mich,« sagte Prinz Johann, »die ich durch ein Wort an meinen Bruder erlangen könnte. Doch obgleich Ihr, de Bracy, und Ihr, Waldemar Fitzurse, so bereit seid, mich zu verlassen, so sollte es mich nicht gerade freuen, eure Köpfe drüben überm Clifford-Thor aufgesteckt zu sehen. Glaubst Du, Waldemar, daß der ränkevolle Erzbischof Dich nicht von den Stufen des Altars selbst würde fortschleppen lassen, könnte er dadurch von König Richard Verzeihung erhalten? Und vergissest Du, de Bracy, daß Robert Estoteville zwischen Dir und Hull liegt, mit all seinen Truppen, und daß der Graf von Essex sein Gefolge zusammenzieht? Wenn wir Grund hatten, diese Aushebungen selbst vor Richards Rückkehr zu fürchten, glaubst Du denn, daß jetzt noch ein Zweifel sein kann, welche Partei ihre Anführer ergreifen werden? Glaube mir, Estoteville allein ist stark genug, Deine ganze Freicompagnie in den Humber zu treiben.« – Waldemar Fitzurse und de Bracy sahen einander betroffen an. – »Es gibt nur einen Weg zur Sicherheit,« fuhr der Prinz fort, indem seine Stirn so finster wurde wie die Nacht, »dieser Gegenstand unseres Schreckens reist allein – man muß ihm auflauern.«

»Nur ich nicht,« sagte de Bracy hastig; »ich war sein Gefangener, und er hat mich freigelassen. Keine Feder an seinem Helmbusch will ich verletzen.«

»Wer sprach davon, ihn zu verletzen?« sagte Prinz Johann mit boshaftem Lachen; »der Schurke wird nächstens noch sagen, ich habe gemeint, er solle ihn erschlagen! – Nein – ein Gefängniß wäre besser; und ob es in Britannien oder in Oesterreich ist, was thut das? – Die Sachen werden stehen wie sie waren, als wir unser Unternehmen begannen; es war auf die Hoffnung gegründet, daß Richard in Deutschland gefangen bleiben werde, unser Oheim Robert lebte und starb in dem Schlosse Cardiffe.«

»Ja, aber Euer Vater Heinrich,« sagte Waldemar, »saß viel fester auf seinem Throne, als Eure Hoheit es je kann. Ich sage, das beste Gefängniß ist das, welches der Todtengräber macht – kein Gefängniß kommt einem Kirchengewölbe gleich! Ich habe das Meinige gesagt.«

[373] »Gefängniß oder Grab,« sagte de Bracy, »ich habe mit der ganzen Sache nichts zu thun.«

»Schurke!« sagte Prinz Johann, »Du willst doch nicht unser Geheimniß verrathen?«

»Ich verrieth noch nie ein Geheimniß,« sagte de Bracy stolz, »auch muß der Name Schurke nicht mit dem meinigen vereint werden!«

»Still, Herr Ritter!« sagte Waldemar; »und Ihr, mein guter Herr, verzeiht die Bedenklichkeiten des tapferen de Bracy; ich hoffe, ich werde sie bald entfernen.«

»Das geht über Eure Beredtsamkeit, Fitzurse,« versetzte der Ritter.

»Ei, guter Sir Moritz,« versetzte der ränkevolle Politiker, »fahre nicht zurück gleich einem erschreckten Pferde, ohne den Gegenstand Deines Schreckens anzusehen. – Dieser Richard, vor einem Tage noch wäre es Dein lebhaftester Wunsch gewesen, ihm Mann gegen Mann in den Reihen der Schlacht zu begegnen, hundertmal habe ich Dich diesen Wunsch aussprechen hören.«

»Ja,« sagte de Bracy, »doch das war, wie Du sagst, Mann gegen Mann in den Reihen der Schlacht! Du hörtest aber nie, daß ich den Gedanken andeutete, ihn allein in einem Walde angreifen zu wollen.«

»Du bist kein guter Ritter, wenn Du Dich davor scheust,« sagte Waldemar. »War es in der Schlacht, wo Lancelot de Lac und Tristan Ruhm erworben? Oder geschah es nicht vielmehr dadurch, daß sie riesenhafte Ritter im Schatten tiefer und unbekannter Wälder bekämpften?«

»Ja, aber ich versichere Euch,« sagte de Bracy, »daß weder Tristan noch Lancelot es mit Richard Plantagenet Mann gegen Mann hätten aufnehmen können, und mich dünkt, es war nicht ihre Gewohnheit, daß mehrere einen einzelnen anfielen.«

»Du bist toll, de Bracy, welchen Vorschlag machen wir Dir denn, Dir, dem gedungenen Hauptmann einer Freicompagnie, deren Schwerter zum Dienste des Prinzen Johann bestimmt sind? Wir deuten Dir unsern Feind an, und dann besinnst Du Dich noch, obgleich das Glück Deines Patrons, das Deiner Kameraden, Dein eigenes, und Leben und Ehre von uns allen auf dem Spiele steht!«

[374] »Ich sage Dir,« versetzte de Bracy finster, »daß er mir das Leben schenkte. Freilich schickte er mich von sich und verweigerte meine Huldigung – dennoch will ich meine Hand nicht gegen ihn erheben.«

»Das braucht es nicht. – Schicke Ludwig Winkelbrand und einige zwanzig von Deinen Leuten her.«

»Ihr habt selber Schurken genug,« sagte de Bracy, »keiner von meinen Leuten soll sich rühren zu solch einem Auftrag.«

»Bist Du so widersetzlich, de Bracy?« sagte Prinz Johann, »und willst Du mich verlassen nach so vielen Betheuerungen des Eifers in meinem Dienste?«

»Das meine ich nicht,« sagte de Bracy; »ich will in allem bei Euch aushalten, was einem Ritter ziemt, sei es im Felde, oder im Lager; doch dergleichen mörderische Anfälle gehören nicht zu meinem Dienst.«

»Komm hierher, Waldemar,« sagte Prinz Johann, »ich bin ein unglücklicher Fürst. Mein Vater, der König Heinrich, hatte treue Diener, er durfte nur sagen, daß er von einem aufrührerischen Priester geplagt werde, und das Blut des Thomas a Becket, so heilig er war, befleckte die Stufen seines eigenen Altars. – Tracy, Morville, Brito waren getreue und kühne Unterthanen, deren Geist und Namen erloschen sind, und obgleich Reginald Fitzurse einen Sohn hinterlassen hat, so ist er doch von seines Vaters Treue und Muth abgefallen.«

»Er ist von keinem von beiden abgefallen,« sagte Waldemar Fitzurse, »und da es nicht anders sein kann, so will ich dieses gefährliche Unternehmen leiten. Theuer erkaufte mein Vater das Lob eines eifrigen Freundes; und doch war der Beweis seiner Treue, den er Heinrich gab, viel geringer als der, den ich zu geben im Begriff bin; denn lieber möchte ich einen ganzen Kalender voll von Heiligen angreifen, als meine Lanze gegen Richard Löwenherz einlegen. – De Bracy, Dir muß ich es überlassen, die Unentschlossenen bei gutem Muth zu erhalten, und die Person des Prinzen Johann zu schützen. Wenn Du solche Nachricht erhältst, wie ich [375] nicht zweifle Dir senden zu können, so kann unser Unternehmen kein ungewisses Ansehen mehr haben. – Page,« sagte er, »eile in meine Wohnung und sage meinem Waffenwart, er solle dort in Bereitschaft sein; und laß Stephan Wetheral, Broad Thoresby und die drei Lanzen von Spyinghow augenblicklich zu mir kommen, sowie auch den Spion Hugo Bardon. – Lebt wohl, mein Prinz, bis auf bessere Zeiten.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

»Er geht, meinen Bruder gefangen zu nehmen, mit einer Gleichgültigkeit, als handelte es sich nur um die Freiheit eines sächsischen Freisassen,« sagte Prinz Johann zu de Bracy. »Ich hoffe, er wird unsere Befehle beobachten und die Person unseres theuern Richard mit allem schuldigen Respect behandeln.«

De Bracy antwortete nur mit einem Lächeln.

»Bei der heiligen Jungfrau,« sagte Johann, »unsere Befehle waren sehr bestimmt – vielleicht hast Du sie nicht gehört, da wir in der Fenstervertiefung standen. Sehr klar und bestimmt war unser Befehl, daß für Richards Sicherheit gesorgt werden solle, und Waldemar mag seinen Kopf in Acht nehmen, wenn er ihn überschreitet!«

»Es wäre wohl besser, ich ginge in seine Wohnung und machte ihn vollkommen mit Eurer Hoheit Willen bekannt,« sagte de Bracy; »denn da mir dies gänzlich entging, mag Waldemar es auch nicht gehört haben.«

»Nein, nein,« sagte Prinz Johann ungeduldig, »ich versichere Dir, er hörte alles, und überdies habe ich andere Beschäftigung für Dich. Moritz, komm hieher, ich will mich auf Deine Schulter stützen.«

In dieser vertrauten Haltung gingen sie durch die Halle, und Prinz Johann sprach mit der größten Vertraulichkeit weiter: »Was denkst Du von diesem Waldemar Fitzurse, mein lieber de Bracy? – Er hofft unser Kanzler zu werden. Gewiß werden wir uns bedenken, ehe wir ein so hohes Amt einem Manne geben, welcher deutlich zeigt, wie wenig er unsere Familie ver ehrt, indem er so bereitwillig auf dieses Unternehmen gegen Richard eingeht. Du glaubst gewiß, daß Du etwas von unserer Achtung eingebüßt hast, weil Du so kühn diese unangenehme Aufgabe ablehntest. – Nein, Moritz, ich ehre Dich vielmehr wegen Deiner tugendhaften Standhaftigkeit. [376] Es gibt Dinge, welche nothwendig geschehen müssen, ohne daß wir den Thäter derselben lieben oder ehren; und es gibt Verweigerungen unseres Dienstes, die vielmehr die, welche unsere Forderung nicht erfüllen, in unserer Achtung steigen machen. Die Gefangennahme meines Bruders verleiht keinen so großen Anspruch auf das hohe Amt des Kanzlers, als Deine ritterliche und muthige Weigerung auf den Stab des Großmarschalls. Bedenke dies, de Bracy, und geh an Dein Geschäft.«

»Elender Tyrann!« murmelte de Bracy, als er den Prinzen verließ; »wer sich auf Dich verläßt, ist übel berathen. Wer Dein Gewissen in Verwahrung hat, kommt wahrhaftig mit leichter Mühe davon. Aber Großmarschall von England!« sagte er, indem er seinen Arm ausstreckte, als wollte er den Amtsstab ergreifen, und mit stolzerem Schritt durch das Vorzimmer ging, »das ist in der That ein Preis, um den zu spielen es sich schon der Mühe verlohnt!«

Sobald de Bracy das Zimmer verlassen hatte, rief Prinz Johann einen von seinem Gefolge zu sich.

»Sagt Hugo Bardon, er soll zu uns kommen, sobald er mit Waldemar Fitzurse gesprochen hat.«

Der Spion trat nach kurzer Zeit ein, während welcher Johann mit unsicheren Schritten durch das Zimmer ging.

»Bardon,« sagte er, »was verlangte Waldemar von Dir?«

»Zwei entschlossene Männer, wohlbekannt mit den nördlichen Wildnissen, und geschickt, die Spuren von Mann und Roß aufzufinden.«

»Und hast Du ihm damit ausgeholfen?«

»Wenn nicht, möge Eure Hoheit mir nimmer wieder trauen,« antwortete der Spion. »Der eine ist von Hexamshire; er ist gewöhnt, die Räuber von Tynedale und Teviotdale aufzuspüren wie ein Schweißhund ein angeschossenes Wild. Der andere stammt aus Yorkshire – und hat manch liebes Mal den Bogen im lustigen Sherwood gespannt. Er kennt jeden Weg und Steg zwischen hier und Richmond.«

»Es ist gut,« sagte der Prinz. – »Geht Waldemar mit ihnen fort?«

»Augenblicklich,« sagte Bardon.

[377] »In welcher Begleitung?« fragte Johann nachlässig.

»Broad Thoresby geht mit ihm und Wetheral, den sie wegen seiner Grausamkeit Stephan Stahlherz nennen, nebst drei Gewappneten aus dem Norden, die zu Ralph Middletons Bande gehören – man nennt sie die Lanzen von Spyinghow.«

»Es ist gut,« sagte Prinz Johann; dann setzte er nach einer augenblicklichen Pause hinzu: »Bardon, es ist mir wichtig, daß Du Moritz de Bracy genau beobachtest; doch so, daß er es nicht bemerkt. Gib uns von Zeit zu Zeit Nachricht von seinem Thun – mit wem er verkehrt, was er vorhat. Versäume dies nicht, Du bist mir dafür verantwortlich.«

Hugo Bardon verbeugte sich und ging.

»Wenn Moritz mich verräth,« sagte Prinz Johann, – »wenn er mich verräth, wie sein Betragen mich fürchten läßt, so will ich seinen Kopf haben, und wenn Richard schon an die Thore von York donnerte.«

35. Kapitel

[378] Kapitel XXXV.

Erweck' den Tiger der hyrcan'schen Wüßte

Mit gier'gen Löwen kämpf' um ihre Beute;

Du wagst so viel nicht, als wenn Du erweckst

Des wilden Fanatismus schlummernd Feuer.


Anonymus.


Unsere Erzählung kehrt jetzt zu Isaak von York zurück. – Auf einem Maulthier, welches das Oberhaupt der Landflüchtigen ihm geliehen, und von zwei rüstigen Landsassen begleitet, die ihm als Schutzwache und Führer dienten, hatte sich der Jude nach dem Präceptorium zu Tempelstowe auf den Weg gemacht, um wegen der Auslösung seiner Tochter zu unterhandeln. Das Präceptorium war nur eine Tagereise von dem zerstörten Schlosse Torquilstone entfernt, und der Jude hatte gehofft, es noch vor Anbruch der Nacht zu erreichen. Als er aus dem Walde kam, entließ er seine Führer, nachdem er sie mit einem Silberstück belohnt hatte, und setzte seinen Weg so rasch fort, als es seine Ermattung gestattete. Aber seine Kraft verließ ihn gänzlich, da er noch vier Meilen von Tempelstowe entfernt war. Auch empfand er heftige körperliche Schmerzen, so daß er sich genöthigt sah, in einem kleinen Marktflecken zu bleiben, wo ein jüdischer Rabbiner wohnte, der in der Arzneikunst sehr erfahren, und mit dem Isaak sehr wohl bekannt war. Nathan Ben Israel empfing seinen leidenden Landsmann mit der Freundlichkeit, welche das Gesetz vorschreibt, und welche die Juden gegen einander üben. Er bestand darauf, daß er sich zur Ruhe begeben solle, und wandte alle damals gewöhnlichen Mittel an, um den Fortgang des Fiebers zu hemmen, das Schreck, [379] Ermüdung, schlechte Behandlung und Kummer dem armen, alten Juden zugezogen hatten.

Am nächsten Morgen, als Isaak sagte, er wolle aufstehen und nach Tempelstowe seine Reise fortsetzen, machte Nathan als Wirth und Arzt dagegen Vorstellungen. »Weißt Du auch,« sagte Nathan, »daß Lukas de Beaumanoir, das Haupt der Ordensritter, den sie Großmeister nennen, in Tempelstowe angekommen ist?«

»Ich weiß es nicht,« sagte Isaak, »unsere Brüder schrieben mir, er sei noch zu Paris.«

»Er ist inzwischen eingetroffen und ist unter sie gefahren mit starkem und ausgestrecktem Arme, um zu bessern und zu strafen. Groß ist die Furcht der Söhne Belials, denn sein Antlitz ist geröthet vor Zorn gegen die, so abgefallen sind von ihrem Gesetz.«

»Ich kenne ihn. Er ist ein grimmiger Feind der Saracenen und ein grausamer Tyrann gegen die Kinder der Verheißung,« sagte Isaak seufzend.

»Nichts rührt ihn,« fuhr Nathan fort. »Andre Templer lassen sich durch Sinnenlust bewegen und durch Gold und Silber bestechen; er haßt die Sinnlichkeit, verschmäht das Gold und strebt nur nach der Krone der Märtyrer. Möge der Gott Jakobs sie ihm eiligst senden!«

»Trotzdem muß ich selbst nach Tempelstowe, und wenn sein Antlitz der siebenmal geheizte Ofen Baals wäre,« sagte Isaak, und theilte dem Freunde den Grund seiner Reise mit, der nun nicht länger widersprach, sondern vielmehr zur Eile trieb. In einer Stunde hatte der Jude Tempelstowe erreicht.

Der Großmeister war ein Mann von vorgerückten Jahren, wie sein langer greiser Bart und die langen grauen Augenbrauen bezeugten, welche ein Paar Augen beschatteten, deren Feuer keineswegs die Jahre im Stande gewesen waren auszulöschen. Seine finstern Züge ließen in ihm einen gefürchteten Krieger erkennen, seine ascetische Magerkeit sowie sein geistlicher Hochmuth einen bigotten eingebildeten Priester. Er war von hohem Wuchse, sein Gang, von Jahren und Anstrengungen nicht niedergedrückt, stattlich und gerade. Dies verlieh seiner Haltung etwas Edles. Sein weißer Mantel war streng nach der Form des heiligen Bernhard geschnitten; er war genau für seine Statur gemacht, und zeigte [380] auf der linken Schulter das dem Orden eigenthümliche achteckige Kreuz aus rothem Tuche. Kein Hermelin oder Zobel zierte seine Kleidung, nur wegen seines Alters und seiner Würde als Großmeister war sein Gewand mit dem zartesten Lammesfelle gefüttert und besetzt, wobei die Wolle nach außen gekehrt war. In der Hand trug er den eigenthümlichen abacus oder Amtsstab, womit die Templer oft abgebildet werden, und der am oberen Ende eine runde Platte zeigte, auf die das Ordenskreuz eingegraben war, umgeben von einem Zirkel oder Wappensaume, wie es die Heraldiker nennen. Der Begleiter, der dieser hohen Persönlichkeit aufwartete, trug fast genau dieselbe Kleidung, nur zeigte er durch die Rücksichten gegen seinen Obern, daß keine andere Gleichheit zwischen ihnen bestehe. Der Präceptor, denn das war er, ging nicht in einer Linie mit dem Großmeister, sondern gerade so weit hinter ihm, daß Beaumanoir mit ihm reden konnte, ohne sich umzuwenden.

»Conrad,« sagte der Großmeister, »theurer Gefährte meiner Schlachten und Mühen, Deiner treuen Brust allein kann ich meinen Gram und Kummer vertrauen. Dir allein kann ich sagen, wie ich bei meinem Eintritte in dieses Reich gewünscht habe zu sterben und bei den Gerechten zu schlummern, unter den Gewölben der Tempelkirche in jener stolzen Hauptstadt. Ach, Bruder, wie streng habe ich stets gelebt, wie genau die Vorschriften unseres heiligen Ordens befolgt! Wie hat diese Strenge das Mark meiner Gebeine verzehrt! Denke Dir, was ich empfinden muß bei dem Anblick all der Ausschweifungen, in die ich die Brüder unseres Bundes hier versunken sehe! Es ist eine Schande, es auszusprechen, eine Schmach, daran zu denken, wie die Verderbniß gleich einer Fluth über uns hereingebrochen ist. Aber ich will den Tempel wieder reinigen und alle verunreinigten Steine des großen Baues ausstoßen, damit nirgends Ansteckung hafte!«

»Aber bedenkt, ehrwürdiger Vater,« sagte sein Begleiter, »die Ansteckung ist durch Zeit und Gewohnheit schon tief eingewurzelt. Seid daher behutsam in Eurer gerechten und weisen Reform.«

»Nein, Conrad, sie muß durchgreifend und plötzlich sein. Der Orden steht auf dem Punkte der Entscheidung seines Schicksals; die Mäßigung, Selbstbeherrschung und Frömmigkeit unserer Vorfahren schaffte uns mächtige Freunde; unsere Anmaßung, unser [381] Reichthum, unsere Schwelgerei hat uns mächtige Feinde erweckt. Wir müssen diese Reichthümer von uns werfen, welche eine Versuchung für die Fürsten sind, wir müssen die Anmaßung ablegen, die sie beleidigt, wir müssen die ausschweifenden Sitten verbessern, welche der ganzen Christenheit zum Aergerniß dienen! Oder – gedenke meiner Worte – der Orden des Tempels wird von Grund aus zerstört werden, und seine Stätte selbst wird nicht mehr bekannt sein unter den Völkern.«

»Möge Gott ein solches Unheil abwenden!« sagte der Präceptor.

»Amen!« versetzte der Großmeister feierlich, »aber wir müssen auch seine Hilfe verdienen. Wir müssen umkehren und wiederum würdige Kämpfer des Kreuzes sein.«

In diesem Augenblick trat ein Knappe in einem abgetragenen Kleide, denn die Aspiranten des Ordens trugen während ihres Noviziats die abgelegten Kleider der Ritter, in den Garten, und indem er sich demuthsvoll vor dem Großmeister neigte, blieb er schweigend stehen und erwartete die Erlaubniß, seinen Auftrag mitzutheilen.

»Ist es nicht schicklicher,« sagte der Großmeister, »diesen Damian in das Gewand christlicher Demuth gekleidet zu sehen, und schweigend, ehrerbietig vor seinem Obern, als so, wie er vor ein paar Tagen erschien, in einem gestickten Wamse, so bunt und hoffärtig wie ein Papagei? Sprich, Damian, wir erlauben es Dir, was hast Du vorzubringen?«

»Ein Jude steht vor dem Thor, edler und ehrwürdiger Vater,« sagte der Knappe, »der mit dem Bruder Brian de Bois-Guilbert zu reden wünscht.«

»Du hast Recht gethan, mir Kenntniß davon zu geben,« sagte der Großmeister; »in unserer Anwesenheit ist ein Präceptor nur ein gewöhnliches Mitglied unseres Ordens, das nicht nach eigenem Belieben gehen kann, wohin es will, sondern nach dem des Meisters.« – Und zu seinem Gefährten gewendet, setzte er hinzu: »Es liegt mir viel daran, das Benehmen dieses Bois-Guilbert kennen zu lernen.«

»Der Ruf nennt ihn brav und tapfer,« sagte Conrad.

»Und nennt ihn mit Recht so,« sagte der Großmeister; »in unserer Tapferkeit allein sind wir von unsern Vorfahren, den Helden des Kreuzes, nicht ausgeartet. Allein Bruder Brian trat [382] in den Orden als ein unzufriedener, eigenwilliger Mensch, angetrieben, wie ich glaube, unsere Gelübde anzunehmen und der Welt zu entsagen nicht von aufrichtig reuigem Herzen, sondern als einer, den ein bloßes Mißvergnügen zur Reue gewandt hat. Seitdem ist er ein thätiger Aufrührer, Unruhestifter und Anführer derer geworden, die unser Ansehen bestreiten und anfechten, nicht bedenkend, daß die Regierung dem Meister verliehen ist durch das Symbol des Stabes und der Ruthe: des Stabes, um den Schwachen zu stützen, der Ruthe, um die Fehler der Irrenden zu strafen. – Damian,« fuhr er fort, »führe den Juden vor uns.«

Der Knappe entfernte sich mit tiefer Ehrfurcht und kehrte nach einigen Minuten mit dem Juden von York zurück. Kein nackter Sklave, wenn er vor einen mächtigen Fürsten geführt wird, kann sich seinem Throne mit tieferer Ehrerbietung und größerer Angst nähern, als der Jude in Gegenwart des Großmeisters empfand. Als er ihm bis auf drei Schritte nahe gekommen war, machte Beaumanoir ein Zeichen mit dem Stabe, daß er nicht weiter gehen solle. Der Jude knieete nun nieder und küßte die Erde zum Zeichen der Verehrung, dann erhob er sich und trat vor die Templer, die Hände über die Brust gefaltet, den Kopf gesenkt, mit der vollen Unterwürfigkeit orientalischer Knechtschaft.

»Damian,« sagte der Großmeister, »entferne Dich, sei aber bereit, auf unsern Ruf sogleich wieder zu erscheinen. Laß niemand in den Garten, bis wir es erlauben.« – Der Knappe verbeugte sich und ging. »Jude,« fuhr nun der hohe Greis fort, »sieh mich an! Es schickt sich nicht für unsern Stand, eine lange Unterredung mit Dir zu halten, auch pflegen wir Worte und Zeit an niemand zu verschwenden. Sei daher kurz in Deinen Antworten auf die Fragen, die wir an Dich richten werden, und rede zugleich die Wahrheit; denn wenn Deine Zunge falsch gegen mich ist, so lasse ich sie Dir aus dem ungläubigen Halse reißen.«

Der Jude wollte antworten, doch der Großmeister fuhr fort:

»Still, Ungläubiger! Nicht ein Wort in unserer Gegenwart, außer den Antworten auf unsere Fragen. Was hast Du für ein Geschäft mit unserm Bruder Brian de Bois-Guilbert?«

Isaak konnte kaum athmen vor Schreck und Verlegenheit. Trug er seine Angelegenheit vor, so konnte dies so ausgelegt [383] werden, als wollte er den Orden beschimpfen, und doch, wenn er dies nicht that, welche Hoffnung konnte er haben, seiner Tochter Befreiung zu bewirken? Beaumanoir bemerkte seine tödtliche Angst und ließ sich herab, ihm einige Beruhigung zu gewähren.

»Du hast nichts zu fürchten für Deine elende Person, Jude,« sagte er, »wenn Du nur in dieser Sache aufrichtig bist. Ich frage Dich nochmals nach Deinem Geschäft mit Brian de Bois-Guilbert.«

»Ich bin der Ueberbringer eines Briefes an diesen edlen Ritter,« stammelte der Jude, »von dem Prior Aymer aus der Abtei Jorvaulx.«

»Sagt ichs nicht, es sind schlechte Zeiten, Conrad,« bemerkte der Großmeister; »ein Cisterzienserabt sendet einen Brief an einen Krieger des Tempels und kann keinen besseren Boten finden als einen ungläubigen Juden! – Gib mir den Brief!«

Mit zitternden Händen legte der Jude die Falten seiner armenischen Mütze auseinander, wo er der größeren Sicherheit wegen die Schreibtafel verborgen, auf die der Prior den Brief geschrieben hatte, und eben war er im Begriff, mit ausgestreckter Hand und gekrümmtem Leibe sich zu nähern, und den Brief in den Bereich des grimmigen Fragers zu bringen, als der Großmeister rief: »Zurück, Du Hund! ich berühre nie Ungläubige, außer mit dem Schwerte. Conrad, nimm Du den Brief von dem Juden und gib ihn mir!«

Als Beaumanoir die Schreibtafel erhalten hatte, besah er das Aeußere aufs genaueste, und wollte dann den Faden ablösen, womit sie zusammen gebunden war. »Ehrwürdiger Vater,« sagte Conrad mit vieler Ehrfurcht dazwischen redend, »willst Du das Siegel erbrechen?«

»Warum nicht?« versetzte Beaumanoir mit gerunzelter Stirn; »steht denn nicht im zweiundzwanzigsten Kapitel de lectione litterarum, daß ein Templer keinen Brief empfangen soll, selbst nicht von seinem Vater, ohne ihn dem Großmeister mitzutheilen und in seiner Gegenwart zu lesen?«

Er durchlief nun den Brief mit dem Ausdruck des Erstaunens und Entsetzens; er las ihn nochmals langsamer, dann hielt er ihn mit der einen Hand Conradin hin, während er ihn mit der andern leicht berührte, und rief: »Das ist ein schöner Stoff zu einem [384] Schreiben eines Christen an den andern, und beide sind Mitglieder, und zwar nicht unansehnliche Mitglieder geistlicher Orden. Wann,« setzte er feierlich hinzu, indem er zum Himmel aufblickte, »wann wirst Du kommen, mit Deiner Schwinge die Tenne zu fegen?«

Conrad Mont-Fichet nahm den Brief aus den Händen seines Obern und war im Begriff ihn zu lesen. »Lies ihn laut, Conrad,« sagte der Großmeister, »und Du, Jude, gib genau Achtung, denn wir werden Dich darüber befragen.«

Conrad las nun den Brief, welcher folgendermaßen lautete:


»Aymer, durch Gottes Gnade Prior des Cisterzienserklosters der heiligen Maria von Jorvaulx, wünscht Sir Brian de Bois-Guilbert, Ritter des heiligen Tempelordens, Gesundheit nebst den Gaben des Königs Bacchus und der Frau Venus in Fülle! Unsere gegenwärtige Lage betreffend, theurer Bruder, so sind wir als Gefangener in den Händen einiger gesetz- und gottloser Menschen, welche sich nicht entblödet haben, sich unserer Person zu bemächtigen und Lösung dafür zu fordern, wobei wir auch Front de Boeufs [385] trauriges Schicksal erfuhren, und daß Du mit der schönen jüdischen Zauberin, deren schwarze Augen Dich in Fesseln gelegt haben, entkommen bist. Wir freuen uns zwar herzlich über Deine Rettung, dessenungeachtet aber bitten wir Dich auf Deiner Hut zu sein in Ansehung dieser zweiten Hexe von Endor; denn wir haben privatim erfahren, daß Euer Großmeister, der sich nicht im geringsten um rothe Wangen und schwarze Augen kümmert, von der Normandie herüberkommen wird, Eurer Lust ein Ziel zu setzen, und Eure Missethaten zu züchtigen. Daher bitten wir Euch herzlich, auf der Hut zu sein, wie die heilige Schrift sagt: Invenientur vigilantes. Da mich nun der reiche Jude, ihr Vater, ersucht hat, ihm einen Brief mitzugeben, so thue ich es hiemit, und ermahne Dich ernstlich, das Mädchen auf Lösegeld zu setzen, denn er wird Dir von seinem Reichthum so viel zahlen, daß Du Dir dafür fünfzig Mädchen viel sicherer verschaffen kannst. Ich hoffe, Du wirst mir schon auch meinen Antheil davon zukommen lassen, wenn wir lustig zusammen sind, als treue Brüder, auch des Weines nicht zu vergessen; denn was sagt die Schrift? Vinum laetificat cor hominis. – Lebe denn wohl bis zu froher Zusammenkunft. – Gegeben in dieser Diebeshöhle in der Morgenstunde.

Aymer, Prior von Jorvaulx.


Postscriptum. Deine goldene Kette hat nicht lange bei mir ausgehalten; ein landflüchtiger Wilddieb trägt sie am Halse, und hängt seine kleine Pfeife daran, mit welcher er die Hunde ruft.«


»Was sagst Du dazu, Conrad?« begann jetzt der Großmeister. – »Diebshöhle? Für einen solchen Abt ist eine Diebshöhle ein passender Aufenthalt. Kein Wunder, daß die Hand Gottes schwer auf uns liegt, und daß im heiligen Lande ein Ort nach dem andern verloren geht. – Und was meint er denn mit der Hexe von Endor?« fragte er ein wenig abseits seinen Vertrauten.

Conrad war vielleicht aus Erfahrung etwas besser mit der Sprache der Galanterie bekannt als sein Vorgesetzter, und erklärte die Stelle, die der Großmeister nicht verstand, für eine Redensart, deren sich weltlich gesinnte Leute gegen ihre Geliebten bedienten; doch diese Erklärung genügte dem bigotten Beaumanoir nicht.

»Dahinter steckt mehr, als Du vermuthest, Conrad; Deine Einfalt durchdringt diesen Abgrund der Verworfenheit nicht. Diese [386] Rebekka von York wurde von jener Miriam erzogen, von der Du wohl gehört hast. Der Jude wird es Dir sogleich selber bekennen.«

Nun wendete er sich zu Isaak und sagte laut: »Deine Tochter ist also in Gefangenschaft des Brian de Bois-Guilbert?«

»Ja, ehrwürdiger, tapferer Herr,« stammelte der arme Isaak, »und welches Lösegeld auch immer von einem armen Manne gefordert werden mag« –

»Schweig!« sagte der Großmeister. »Diese Deine Tochter übt die Heilkunst aus, nicht wahr?«

»Ja, gnädiger Herr,« antwortete der Jude mit mehr Zuversicht, »und Ritter und Landmann, Knappe und Vasall werden das Geschenk segnen, welches ihr der Himmel mit dieser Kunst gemacht hat. O wie mancher muß es bezeugen, daß er nur durch ihre Kunst wieder hergestellt worden ist, nachdem alle andere menschliche Hilfe vergebens gewesen. Der Segen des Gottes Jakobs ruht sichtbar auf ihr.«

Beaumanoir wandte sich mit grimmigem Lächeln an Mont-Fichet. »Siehst Du, Bruder,« sagte er, »die Lockungen des alles verschlingenden Feindes? Siehst Du die Netze, womit er die Seelen umgarnt, indem er ihnen einen kurzen Zeitraum irdischen Lebens für ihre ewige Seligkeit anbietet? Sehr richtig sagt unsere geheiligte Ordensregel: Semper percutiatur leo vorans. – Drauf auf den Löwen! Nieder mit dem Zerstörer!« rief er, und schwang dabei seinen geheimnißvollen Stab, gleichsam als wolle er sich damit gegen die Macht der Finsterniß schützen. Dann fuhr er zum Juden gewendet fort: »Gewiß bewirkt Deine Tochter ihre Kuren durch Worte und Siegel und allerlei cabbalistische Geheimnisse?«

»Nein, verehrter und tapferer Ritter,« entgegnete Isaak, »sondern durch einen Balsam von bewunderungswürdiger Kraft.«

»Woher hat sie das Geheimniß seiner Bereitung?« fragte Beaumanoir.

»Von Miriam,« entgegnete der Jude widerstrebend, »einer weisen Matrone unseres Stammes.«

»Ha, falscher Jude!« sagte der Großmeister, »also von der Hexe Miriam, deren Zaubereien in allen Christenlanden mit Abscheu und Verwünschungen genannt werden?« – Bei diesen Worten bekreuzte sich der Großmeister. – »Ihr Körper wurde auf dem [387] Scheiterhaufen verbrannt und ihre Asche in alle vier Winde zerstreut! Und so geschehe mit mir und meinem Orden, wenn ich nicht ebenso an ihrem Zögling thue, und noch mehr! Ich will sie lehren Zauberformeln aussprechen über die Streiter des heiligen Tempels! Sogleich jage den Juden aus dem Thore, Damian, und schieß ihn nieder, wenn er sich widersetzt oder umkehrt. Mit seiner Tochter werden wir verfahren, wie es das christliche Gesetz und unser heiliges Amt befiehlt.«

Der arme Isaak wurde fortgetrieben, und alle seine Bitten und Anerbietungen blieben ungehört und unbeachtet. Er konnte nichts Besseres thun, als nach der Wohnung des Rabbiners zurückkehren und versuchen, ob er durch seine Vermittlung erfahren könne, was mit seiner Tochter vorgenommen werden solle. Bis dahin hatte er für ihre Ehre gefürchtet, jetzt zitterte er auch für ihr Leben. Inzwischen ließ der Großmeister dem Präceptor von Tempelstowe befehlen, vor ihm zu erscheinen.

36. Kapitel

[388] Kapitel XXXVI.

Nennt meine Gunst mir nicht Betrug: – vom Scheine

Lebt alles – Bettler betteln nur mit ihm,

Und der geschmückte Höfling schafft durch Schein

Sich Land und Titel, Rang und hohes Ansehn.

Der Priester selbst verschmäht ihn nicht, der Krieger

Schmückt mit dem Scheine seine kühnste That.

Ein jeder billigt ihn – denn wer zufrieden

Damit, sich so zu geben wie er ist,

Der bringts nicht weit im Krieg, im Feld, im Staat, –

So eben geht die Welt.


Altes Schauspiel.


Albert Malvoisin, Präsident, oder in der Sprache des Ordens Präceptor der Stiftung Tempelstowe, war der Bruder jenes Philipp Malvoisin, der in dieser Geschichte bereits gelegentlich erwähnt worden ist; er stand ebenso wie dieser Baron in engem Bunde mit Brian de Bois-Guilbert.

Da der Großmeister erfahren hatte, daß Albert die jüdische Gefangene in das Ordenshaus aufgenommen habe, ließ er ihn vor sich kommen und empfing ihn mit bedeutungsvollem Ernst.

»In diesem, dem heiligen Orden des Tempels geweihten Hause,« sagte der Großmeister in sehr strengem Tone, »befindet sich ein jüdisches Weib, hierher gebracht durch einen Bruder, und zwar mit Eurer Erlaubniß, Präceptor.«

Albert Malvoisin schwieg erschrocken.

»Warum denn so stumm?« fuhr der Großmeister fort.

[389] »Ist es mir erlaubt zu antworten?« fragte der Präceptor im Tone der tiefsten Demuth, obgleich er sich durch diese Frage nur einen Augenblick Zeit verschaffen wollte, seine Gedanken zu sammeln.

»Sprich, es ist Dir erlaubt,« sagte der Großmeister, »sprich, kennst Du das Grundgesetz unserer heiligen Regel: De commilitonibus templi in sancta civitate, qui cum miserrimis mulieribus versantur, propter oblectationem carnis!«

»Gewiß, ehrwürdigster Vater,« antwortete der Präceptor, »ich bin nicht zu diesem Amte im Orden gelangt, ohne mit den wichtigsten Verboten desselben bekannt zu sein.«

»Wie kommt es denn, frage ich Dich nochmals, daß Du einem Bruder erlaubt hast, sein Liebchen, welches noch dazu eine jüdische Zauberin ist, an diesen heiligen Ort zu bringen, und ihn dadurch zu entweihen?«

»Eine jüdische Zauberin?« wiederholte Albert Malvoisin, »alle guten Engel schützen uns!«

»Ja, Bruder, eine jüdische Zauberin,« sagte der Großmeister ernst. »Ich habe es gesagt. Wagst Du zu leugnen, daß diese Rebekka, die Tochter jenes elenden Wucherers Isaak von York, und der Zögling der schändlichen Hexe Miriam, sich gegenwärtig – eine Schande zu denken oder auszusprechen! – in diesem Deinem Präceptorium befindet?«

»Eure Weisheit, ehrwürdiger Vater,« antwortete der Präceptor, »hat die Dunkelheit von meinem Verständniß hinweggeräumt. Es wunderte mich auch gar sehr, daß in so guter Ritter wie Brian de Bois-Guilbert so in die Reize dieses Weibes vernarrt schien, welche ich nur in dieses Haus aufnahm, um ihre zunehmende Vertraulichkeit zu hemmen, wodurch sonst der Fall unsers tapfern und religiösen Bruders hätte herbeigeführt werden können.«

»Ist denn bis dahin zwischen ihnen nichts geschehen, wodurch er sein Gelübde gebrochen hat?« fragte der Großmeister.

»Was! Unter diesem Dache?« fragte der Präceptor sich bekreuzigend; »die heilige Magdalena und die zehntausend Jungfrauen mögen es verhindern! – Nein! wenn ich darin gefehlt habe, sie hier aufzunehmen, so geschah es in der irrthümlichen Ansicht, daß ich auf diese Weise die thörichte Anhänglichkeit unsers Bruders an die Jüdin vernichten könne, welche mir so phantastisch [390] und unnatürlich erschien, daß ich dieselbe nur einem Anfall von Wahnsinn zuschreiben konnte, der eher durch Mitleid als Tadel zu heilen ist. Doch da Eure erhabene Weisheit entdeckt hat, daß diese Jüdin eine Zauberin ist, so läßt sich dieser Liebeswahnsinn des Ritters sehr wohl erklären.«

»Allerdings,« sagte Beaumanoir, »sieh, Bruder Conrad, die Gefahr, sich den ersten Eingebungen des Satans zu überlassen! Wir schauen die Weiber anfangs nur an, um unsere Augenlust zu befriedigen und uns an ihrer Schönheit zu ergötzen; doch der alte Feind erhält leicht Macht über uns, durch Zauberei und böse Künste ein Werk zu vollenden, welches aus Thorheit und Müssiggang begonnen wurde. Mag sein, daß unser Bruder Bois-Guilbert in dieser Sache mehr Mitleid als Züchtigung verdient, und daß unsere Ermahnungen und Bitten ihn von seiner Thorheit heilen und ihn den Brüdern wieder zuwenden werden.«

»Es wäre sehr zu beklagen,« sagte Conrad Mont-Fichet, »wenn der Orden einen seiner besten Streiter zu einer Zeit verlieren sollte, wo die heilige Brüderschaft die Hilfe ihrer Söhne gerade am meisten bedarf. Dreihundert Saracenen hat dieser Bois-Guilbert mit eigner Hand getödtet.«

»Das Blut dieser verdammten Hunde,« sagte der Großmeister, »wird den Engeln und Heiligen, die von ihnen verachtet worden, ein süßer Geruch sein, und mit ihrer Hilfe wollen wir dem Zauber und der Verführung entgegenwirken, in die sich unser Bruder verstrickt hat. Er soll die Banden dieser Delila zerreißen, wie Simson die neuen Stricke zerriß, womit ihn die Philister gebunden hatten; aber die schändliche Zauberin, welche ihre Bezauberungen bei einem Mitgliede des heiligen Tempels angewendet hat, soll sicherlich des Todes sterben.«

»Aber die englischen Gesetze,« sagte der Präceptor, der sich zwar freute, daß der Zorn des Großmeisters sich so glücklich von ihm und Bois-Guilbert abgewendet habe, aber besorgt war, er möge ihn zu weit führen.

»Die englischen Gesetze,« erwiderte Beaumanoir, »erlauben und ermächtigen jeden Richter, innerhalb seiner Jurisdiktion Gerechtigkeit zu üben. Der geringste Edelmann kann eine auf seinem Gebiete gefundene Hexe verhaften und nach der Untersuchung verurtheilen. [391] Wie sollte man dem Großmeister des Tempels innerhalb des Präceptoriums seines Ordens dieses Recht verweigern? Nein! Wir wollen urtheilen und verdammen. Die Hexe soll auf immer beseitigt werden. Bereite die Schloßhalle zu dem Processe der Zauberin vor.«

Albert Malvoisin verbeugte sich und ging, nicht um Befehl zu geben, die Halle in Bereitschaft zu halten, sondern um Bois-Guilbert aufzusuchen und ihm mitzutheilen, wie die Sachen wahrscheinlich enden würden. Er fand ihn bald, schäumend vor Unwillen wegen einer Zurückweisung, die er wieder von der schönen Jüdin erfahren hatte. »Die Undankbare,« sagte er, »den zurückzuweisen, der unter Blut und Flammen ihr Leben mit Gefahr seines eigenen würde gerettet haben! Beim Himmel, Malvoisin! ich blieb da, bis Balken und Sparren um mich her krachten. Ich war das Ziel von hundert Pfeilen; sie rasselten an meiner Rüstung gleich Schlossen an verschlossenen Fensterladen, und ich bediente mich meines Schildes nur, um sie zu schützen. So viel that ich für sie, und jetzt zankt das eigensinnige Mädchen mit mir, daß ich sie nicht in den Flammen habe umkommen lassen, und verweigert mir nicht nur den geringsten Beweis der Dankbarkeit, sondern selbst die entfernteste Hoffnung, daß sie mir ihn je gewähren wird. Der Teufel, welcher ihrem ganzen Stamm solche Hartnäckigkeit einflößte, hat dieselbe in ihrer einzigen Person concentrirt!«

»Vom Teufel seid ihr beide besessen, glaube ich,« sagte der Präceptor. »Wie oft habe ich Euch Vorsicht, wenn auch nicht Enthaltsamkeit gepredigt? Sagte ich Euch nicht, daß es genug christliche Mädchen gebe, die es für Sünde halten würden, einem so tapferen Ritter den Minnesold zu verweigern, und Ihr müßt Eure Zuneigung gerade auf eine eigensinnige, hartnäckige Jüdin richten! Beim Kreuz, ich glaube, der alte Lukas Beaumanoir hat Recht, wenn er behauptet, sie habe Euch bezaubert.«

»Lukas Beaumanoir?« fragte Bois-Guilbert vorwurfsvoll. »Sind das Eure Vorsichtsmaßregeln, Malvoisin? Hat der alte Schwärmer erfahren müssen, daß Rebekka im Präceptorium ist?«

»Wie konnte ichs hindern?« sagte der Präceptor. »Ich vernachlässigte nichts, was Euer Geheimniß bewahren konnte; doch es ist verrathen, und ob vom Teufel oder nicht, kann der Teufel allein [392] sagen. Doch ich habe die Sache gewendet, wie nur möglich; Ihr seid gerettet, wenn Ihr der Jüdin entsagt. Ihr werdet bemitleidet als das Opfer zauberischer Künste. Sie ist eine Zauberin und muß als solche leiden.«

»Das soll sie nicht, beim Himmel!« sagte Bois-Guilbert.

»Sie wird und muß es dennoch!« sagte Malvoisin. »Weder Ihr, noch irgend jemand kann sie retten. Lukas Beaumanoir hat ausgemacht, daß der Tod einer Jüdin ein hinreichendes Sühnopfer sei für alle Ausschweifungen in der Liebe, welche die Templer begangen; und Du weißt, er hat die Macht und den Willen, einen so vernünftigen und frommen Vorsatz auszuführen.«

»Werden künftige Jahrhunderte glauben, daß solch ein unsinniger Fanatismus je existirte?« sagte Bois-Guilbert, im Zimmer auf- und abschreitend.

»Was sie glauben werden, weiß ich nicht,« sagte der Präceptor; »das aber weiß ich, daß heutzutage neunundneunzig von hundert, Laien oder Priester, Amen zu dem Urtheil des Großmeisters sprechen. Eile zum Großmeister, wirf Dich ihm zu Füßen und sage ihm –«

»Nicht zu seinen Füßen, beim Himmel! Sondern dem Narren ins Gesicht will ich sagen –«

»So sage ihm denn ins Gesicht,« fuhr Malvoisin kaltblütig fort, »daß Du diese gefangene Jüdin bis zum Wahnsinn liebst; und je mehr Du bei Deiner Leidenschaft verweilst, desto größer wird seine Hast sein, dieselbe durch den Tod der schönen Zauberin zu enden. Für jetzt müssen wir uns trennen, auch darf man nicht sehen, daß wir uns mit einander unterhalten, ich muß gehen und die Halle zur Gerichtssitzung in Stand setzen lassen.«

»Was? Schon so bald?« fragte Bois-Guilbert.

»Ja,« versetzte der Präceptor, »das Verhör geht rasch vor sich, wenn der Richter das Urtheil schon vorher bestimmt hat.«

»Rebekka,« sagte Bois-Guilbert, als er allein war, »Du wirst mir wahrscheinlich theuer zu stehen kommen. Warum kann ich Dich nicht Deinem Schicksal überlassen, wie dieser ruhige Heuchler mir anempfiehlt? – Eine Anstrengung soll geschehen, um Dich zu retten, aber hüte Dich vor Undankbarkeit! Denn wenn Du mich wieder zurückweisest, so soll meine Rache meiner Liebe gleichkommen. [393] Das Leben und die Ehre Bois-Guilberts dürfen nicht aufs Spiel gesetzt werden, wo Verachtung und Vorwurf seine einzige Belohnung sind.«

Kaum hatte der Präceptor die nöthigen Befehle ertheilt, als Conrad Mont-Fichet zu ihm kam, und ihn mit dem Entschluß des Großmeisters bekannt machte, die Jüdin sogleich wegen Zauberei zu verhören. Malvoisin, der den tapfern Bois-Guilbert dem Orden zu erhalten wünschte, erbot sich, zwei Zeugen zu stellen, an denen die Jüdin ihre Zauberei ausgeübt habe.

Eben hatte die mächtige Schloßglocke die Mittagsstunde angekündigt, als Rebekka auf der geheimen Treppe Fußtritte hörte, die zu ihrem Zimmer führten. Das Geräusch verkündete die Ankunft mehrerer Personen, und dies verursachte ihr Freude; denn sie fürchtete mehr die einsamen Besuche des wilden und leidenschaftlichen Bois-Guilbert als irgend ein Uebel, welches ihr sonst begegnen konnte. Die Thür des Zimmers wurde aufgeschlossen, und Conrad und der Präceptor traten, von vier schwarz gekleideten Trabanten begleitet, herein.

»Tochter eines verfluchten Geschlechts!« sagte der Präceptor, »stehe auf und folge uns.«

»Wohin,« sagte Rebekka, »und zu welchem Zweck?«

»Mädchen,« antwortete Conrad, »es ist nicht an Dir zu fragen, sondern zu gehorchen. Dennoch magst Du erfahren, daß Du vor das Gericht des Großmeisters unsres heiligen Ordens geführt werden sollst, um Dich wegen Deiner Vergehungen zu verantworten.«

»Der Gott Abrahams sei gepriesen!« sagte Rebekka, indem sie andächtig ihre Hände faltete; »der Name eines Richters, obgleich ein Feind meines Volkes, ist für mich gleich dem Namen eines Beschützers. Sehr gern folge ich Dir, erlaube mir nur, meinen Schleier um meinen Kopf zu hüllen.«

Sie schritten die Treppe mit langsamen und feierlichen Schritten hinab, gingen über eine lange Gallerie, und traten dann durch eine Flügelthür am Ende derselben in die große Halle, wo der Großmeister seinen Gerichtshof versammelt hatte. Der untere Theil dieses großen Gemaches war mit Knappen und Trabanten angefüllt, welche mit einiger Schwierigkeit für Rebekka Platz machten, [394] als sie mit der begleitenden Wachtmannschaft zu dem für sie bestimmten Sitze ging. Während sie mit über einander geschlagenen Armen und gesenktem Kopfe durch das Gedränge schritt, wurde ihr ein Stück Papier in die Hand gesteckt, welches sie fast unbewußt empfing und behielt, ohne den Inhalt desselben anzusehen. Die Versicherung, daß sie einen Freund in dieser furchtbaren Versammlung besitze, gab ihr den Muth um sich zu blicken und zu sehen, in wessen Gegenwart sie sich befinde. Sie schaute demnach die Scene an, die wir im nächsten Kapitel zu beschreiben versuchen wollen.

37. Kapitel

[395] Kapitel XXXVII.

Streng war die Vorschrift, die gebot zu meiden

Das fromme Mitleid bei des Nächsten Leiden;

Streng war die Vorschrift, die beim Lustgesange

Zu hemmen hieß das Lächeln auf der Wange,

Doch strenger lieh sie schnöder Tyrannei

Die Ruth' und sagte, daß von Gott sie sei.


Das Mittelalter.


Der Richtersitz, welcher zum Verhör der unschuldigen und unglücklichen Rebekka errichtet war, nahm den erhöhten aus dem Anfang dieser Erzählung bekannten Theil am obern Ende der großen Halle ein.

Auf einem hohen Sitze, der Angeklagten gerade gegenüber, saß der Großmeister des Tempelordens in blendend weißen Gewändern, den mystischen Stab mit dem Symbol des Ordens in der Hand haltend. Zu seinen Füßen stand ein Tisch, woran zwei Schreiber, Kaplane des Ordens, saßen, deren Geschäft es war, über die Vorgänge des Tages Protokoll zu führen. Die schwarzen Kleider, kahlen Köpfe und demüthigen Blicke dieser Geistlichen bildeten einen seltsamen Gegensatz zu dem kriegerischen Ansehen der anwesenden Ritter. Die Präceptoren, von denen vier gegenwärtig waren, nahmen niedrigere Sitze ein, die etwas hinter dem ihres Obern zurückstanden, während die Ritter, die keinen solchen Rang in dem Orden bekleideten, auf noch niedrigeren Bänken saßen und eben so weit von den Präceptoren entfernt waren, wie diese von dem Großmeister. Hinter diesen, aber noch auf der Erhöhung, standen die Ordensknappen in weißen Anzügen von gröberem Stoffe.

[396] Die ganze Versammlung zeigte einen feierlichen Ernst, und auf den Gesichtern der Ritter konnte man Spuren von militärischer Kühnheit bemerken, vereint mit dem feierlichen Benehmen, welches Personen geistlichen Standes ziemte, und das in Gegenwart ihres Großmeisters zu zeigen sie nicht verfehlten.

Der übrige niedrigere Theil der Halle war von Trabanten und andern Dienstleuten besetzt, welche die Neugierde dorthin geführt hatte, um zugleich einen Großmeister und eine jüdische Zauberin zu sehen. Die meisten dieser untergeordneten Personen waren in ihrem verschiedenen Range mit dem Orden verbunden, und daher durch ihre schwarze Kleidung ausgezeichnet. Auch den Landleuten aus der Umgegend war der Zutritt nicht verweigert; denn es war Beaumanoirs Stolz, das erbauliche Schauspiel der Gerechtigkeit, die er ausübte, so öffentlich als möglich zu machen. Seine großen blauen Augen schienen sich zu vergrößern, als er sich in der Versammlung umsah, und sein Antlitz schien durch das Bewußtsein der Würde und des eingebildeten Verdienstes der Hand lung, die er auszuführen im Begriffe war, wie verklärt. Der Gesang eines Psalms, den er selber mit tiefer, voller Stimme begleitete, die das Alter nicht ihrer Kraft beraubt hatte, begann die Unterhandlungen des Tages, und die feierlichen Worte: Venite, exultemus Domino, welche die Templer so oft gesungen hatten, ehe sie den Kampf mit irdischen Gegnern begannen, waren von Lukas Beaumanoir höchst passend als Einleitung zu dem bevorstehenden Triumph über die Mächte der Finsterniß erachtet worden. Die tiefen, langgehaltenen Töne, von hundert männlichen Stimmen erhoben, welche gewohnt waren, sich zum Choralgesang zu vereinigen, stiegen zu der gewölbten Decke der Halle empor, und hallten unter ihren Bogen fort mit dem angenehmen aber feierlichen Schalle des Rauschens mächtiger Gewässer.

Als die Töne schwiegen, sah sich der Großmeister langsam im Kreise um und bemerkte, daß der Sitz eines der Präceptoren leer war. Brian de Bois-Guilbert, welcher ihn vorher eingenommen, hatte seinen Platz verlassen und stand jetzt am äußersten Ende einer von den Bänken, welche die Tempelritter einnahmen, die eine Hand erhob seinen Mantel, so daß er damit zum Theil sein Gesicht bedeckte, während die andere sein Schwert mit dem Kreuzgriff [397] hielt und langsam mit der Spitze desselben, ohne es aus der Scheide zu ziehen, Linien auf dem eichenen Fußboden beschrieb.

»Unglücklicher Mann!« sagte der Großmeister, nachdem er ihn mit einem Blick des Mitleids betrachtet hatte. »Du siehst, Conrad, wie dieses heilige Werk ihm zuwider ist. Dahin kann der leichtfertige Blick eines Weibes, von dem Fürsten dieser Welt unterstützt, einen tapfern und würdigen Ritter bringen! Siehst Du wohl, er kann uns nicht anschauen, er kann sie nicht anblicken; und wer weiß, durch welchen Einfluß, von seinem Quäler bestimmt, er jene cabbalistischen Linien auf den Boden zeichnet? – Vielleicht wird auf diese Weise auf unser Leben und unsere Sicherheit abgezielt, doch wir speien ihn an und trotzen dem bösen Feinde. Semper leo percutiatur!«

Dies sprach er insgeheim mit seinem Vertrauten Conrad Mont-Fichet. Dann erhob der Großmeister seine Stimme und redete die Versammlung an.

»Ehrwürdige und tapfere Männer, Ritter und Präceptoren des heiligen Ordens, meine Brüder und meine Kinder! – Auch ihr frei geborne und fromme Knappen, die ihr nach der Ehre strebt, dieses heilige Kreuz zu tragen! – Und auch ihr, christliche Brüder jeden Standes und Ranges! – Es sei euch kundgethan, daß es keineswegs Mangel an eigner Macht ist, was uns veranlaßt hat, diese Versammlung zu berufen. Denn wie unwürdig auch unsere Person sein mag, so ist uns mit diesem Stabe dennoch übertragen worden die volle Gewalt zu urtheilen und zu richten alles, was unseres heiligen Ordens Wohl angeht.

Wir haben demnach ein jüdisches Weib vor unsern Stuhl fordern lassen, mit Namen Rebekka, die Tochter des Isaak von York – ein Weib, berüchtigt wegen Zaubereien und Teufelswerk, wodurch sie das Blut in Aufruhr gebracht und das Hirn verwirrt nicht eines Bauern, sondern eines Ritters – nicht eines weltlichen Ritters, sondern eines Templers – nicht eines einfachen Ordensgliedes, sondern eines Präceptors, also eines der ersten an Rang und Würde.

Unser Bruder Brian de Bois-Guilbert ist uns selbst und allen, die unsre Worte jetzt vernehmen, bekannt als ein treuer und eifriger Streiter des Kreuzes, dessen Arm viel tapfere Thaten im [398] heiligen Lande vollbracht, und die heiligen Orte durch den Tod vieler Ungläubigen von der Verunreinigung durch sie gesäubert hat. Wie seine Tapferkeit und Disciplin, ist auch unseres Bruders Klugheit sowie sein Scharfsinn allen seinen Brüdern sehr wohl bekannt. Nun aber, wenn uns gemeldet wird, daß ein so geehrter und ehrenwerther Mann seines Charakters und seines Gelübdes so plötzlich vergessen konnte, um sich mit einem Judenmädchen zu verbinden, und in dieser schlechten Gesellschaft einsame Orte zu durchwandern, ihre Person mit Gefahr seiner eignen zu vertheidigen; wenn uns erzählt wird, daß er so weit verblendet und verführt wurde, dieses Mädchen sogar in eins unserer Präceptorien zu bringen, – was können wir dann anders behaupten, als daß der edle Ritter von einem bösen Geiste besessen war, oder von irgend einem schrecklichen Zauber beherrscht wurde. Wäre es anders, so müßte Bois-Guilbert gänzlich ausgestoßen werden aus unserer Verbindung, und wäre er die rechte Hand oder das rechte Auge derselben. Auferte malum ex vobis, sagt der heilige Text, und darnach müssen wir handeln.«

Er schwieg. Ein leises Murmeln ging durch die Versammlung.

Hatten einige, die den wahren Hergang kannten, bei der Stelle vom »schrecklichen Zauber« zu lächeln angefangen, so horchte man jetzt gespannt auf, als der Großmeister fortfuhr:

»Wenn der Satan durch Zaubermittel und Sprüche über den Ritter Gewalt erlangt hat, so sind wir mehr geneigt seine Schwäche zu beklagen als zu bestrafen; und indem wir ihm eine Buße auferlegen, durch die er sich von seiner Sünde reinigen kann, wenden wir die ganze Schärfe unseres Unwillens auf das verfluchte Werkzeug, das solch einen Abfall bewirkt hat. Ihr also, die ihr von diesen unseligen Vergehungen Kenntniß habt, tretet vor, daß wir nach der Menge und Schwere derselben urtheilen, ob unsere Gerechtigkeit sich durch Bestrafung dieses ungläubigen Geschöpfes befriedigen lasse.«

Es wurden nun verschiedene Zeugen aufgerufen, um zu bestätigen, welchen Gefahren Bois-Guilbert sich ausgesetzt habe, um Rebekka aus dem brennenden Schlosse zu retten, wie er seine eigne Person ausgesetzt und ungeschützt gelassen, um nur sie zu sichern.

Die Leute erzählten alles mit der Uebertreibung, die dem [399] gemeinen Manne eigen ist, wenn er durch etwas Ungewöhnliches aufgeregt wird. Es kam dazu, daß die Neigung dieser Leute zum Wunderbaren neue Nahrung erhielt, als sie bemerkten, daß ihr Zeugniß dem hochgestellten Manne sehr zu behagen schien, weil es seine eignen Voraussetzungen in so eminenter Weise bestätigte.

Die Aufopferung des Ritters bei Rebekkas Vertheidigung wurde nicht nur als alle Grenzen der Klugheit überschreitend dargestellt, sondern man behauptete, sie sei selbst über das höchste Maß ritterlicher Galanterie hinausgegangen.

Nun wurde der Präceptor von Tempelstowe aufgefordert, zu beschreiben, unter welchen Umständen Bois-Guilbert und die Jüdin im Präceptorio angekommen seien. Malvoisins Zeugenaussage war geschickt und behutsam. Allem Anscheine nach bemühte er sich, Bois-Guilberts Gefühle zu schonen; dennoch ließ er während seiner Rede bisweilen Winke fallen, die direkt andeuteten, daß jener nicht selten an Geistesabwesenheit laborire, weshalb er auch so über die Maßen in das mitgebrachte Mädchen verliebt gewesen sei. Mit schweren Seufzern der Reue und Zerknirschung gestand der Präceptor sodann, daß er Rebekka und ihrem Liebhaber im Präceptorio eine Zufluchtsstätte eingeräumt habe.

»Aber meine Vertheidigung,« fuhr er fort, »habe ich bereits in dem Bekenntnisse geführt, das ich dem ehrwürdigen Vater, unserm Großmeister, vorher abgelegt; er weiß, daß meine Beweggründe nicht schlecht waren, wenn mein Benehmen auch nicht der Ordensregel entsprach. Ich unterwerfe mich bereitwillig der Buße, die über mich verhängt wird.«

»Wohl gesprochen, Bruder Albert,« sagte Beaumanoir. »Dreizehn Paternoster sind von unserm frommen Stifter für die Morgenandacht und neun für die Vespern bestimmt; diese Andachten magst Du verdoppeln. Dreimal wöchentlich ist den Templern der Genuß des Fleisches gestattet; doch Du sollst Dich desselben die ganze Woche hindurch enthalten. Thust Du dies sechs Wochen lang, so ist Deine Buße vollendet.«

Mit einem heuchlerischen Blicke tiefster Unterwürfigkeit verbeugte sich der Präceptor von Tempelstowe vor seinem Obern und nahm seinen Sitz wieder ein.

Der Großmeister schlug jetzt vor, die schöne Zauberin selbst [400] zu inquiriren, aber Hermann von Goodalricke, der vierte Präceptor, erhob sich. Er war ein altgedienter Kriegsmann, dessen Antlitz mit mancher viel erzählenden Narbe von türkischen Säbeln gezeichnet war. Nachdem er sich vor dem Großmeister verbeugt, hub er an:

»Ich möchte wohl, verehrter Vater, vorher von unserm tapfern Bruder Bois-Guilbert selbst vernehmen, was er zu diesen wunderbaren Anklagen sagt, und mit welchen Augen er jetzt seinen unseligen Umgang mit dem Judenmädchen ansieht.«

»Brian de Bois-Guilbert,« sagte der Großmeister, »Du hörst die Frage, die unser Bruder von Goodalricke von Dir beantwortet wünscht. Ich befehle Dir, ihm zu antworten.«

Bei dieser Anrede wandte Brian sein Antlitz fest dem Großmeister zu und – schwieg.

»Er ist von einem stummen Teufel besessen,« sagte der Großmeister. »Hebe dich hinweg, Satanas! Sprich Du, Brian de Bois-Guilbert, ich beschwöre Dich bei diesem Symbole unseres heiligen Ordens!«

Mit Mühe unterdrückte Bois-Guilbert seine Verachtung und seinen Unwillen, aber er sprach fest und allen vernehmlich:

»Brian de Bois-Guilbert antwortet nicht auf so unbestimmte und rohe Beschuldigungen. Ist jedoch seine Ehre gefährdet, so wird er sie mit seinem Leben und seinem Schwerte zu behaupten wissen, welches so oft für das Christenthum gekämpft hat.«

»Daß Du Deine Tapferkeit vor uns gerühmt hast, Bruder Brian,« sagte der Großmeister, »und daß Du Deine eignen Verdienste preisend hervorhebst, rührt vom Teufel her, der uns stets versucht; darum verzeihen wir Dir.«

Aus Bois-Guilberts dunklen, stolzen Augen flammte von neuem ein Blick voll Verachtung und Unwillen – aber er erwiderte kein Wort.

»Und nun,« fuhr der Großmeister fort, »da die Frage unseres Bruders von Goodalricke so unvollkommen beantwortet wurde, setzen wir unsere Untersuchung fort, liebe Brüder, und suchen mit unseres Schutzpatrons Hilfe dem boshaften Treiben auf den Grund zu kommen. Lasset nun diejenigen vor uns erscheinen, die noch etwas über das Leben und die Gespräche dieser Jüdin auszusagen haben.«

[401] Es entstand eine unruhige Bewegung im untern Theile der Halle, und als der Großmeister nach der Ursache fragte, erfuhr er, daß sich im Haufen ein Mann befinde, der jüngst noch bettlägrig gewesen sei, und von der Gefangenen durch einen wunderthätigen Balsam wiederum in den vollkommenen Gebrauch seiner Gliedmaßen gesetzt worden sei.

Der arme Mann, natürlich ein Sachse von Geburt, wurde vor die Schranken geschleppt, und war in großer Furcht vor den Strafen, die er sich zugezogen, weil er die Befreiung von seiner Lähmung den Mitteln einer Jüdin verdankte. Er war indeß keineswegs vollständig geheilt, sondern mußte sich immer noch auf Krücken fortbewegen. Er legte sein Zeugniß offenbar ungern ab; denn es war mit vielen Thränen begleitet. Er sagte aus, daß er zu York gewohnt und für den Juden Isaak als Tischler gearbeitet habe; daß ihn eine plötzliche lähmende Krankheit genöthigt, das Bett zu hüten, und er durch die unter Rebekkas Anleitung gebrauchten Mittel, namentlich aber durch einen wärmenden und stärkenden Balsam, wieder zum Gebrauch seiner Kräfte und Gliedmaßen gelangt sei. Sie habe ihm außerdem ein Gefäß mit jener köstlichen Salbe geschenkt und dazu ein Stück Geld, um ihm die Rückkehr in sein väterliches Haus bei Tempelstowe zu erleichtern. »Und,« setzte der arme Mann hinzu, »mit Euer Ehrwürden Erlaubniß, ich kann nicht glauben, daß das Mädchen damit etwas Böses gegen mich im Sinne gehabt hat, obwohl sie so unglücklich ist, eine Jüdin zu sein; denn selbst wenn ich ihre Mittel brauchte, so betete ich mein Paternoster und Credo, und trotzdem wirkte es trefflich.«

»Schweig, Sklave!« sagte der Großmeister, »und entferne Dich! So rohen Seelen wie Dir mag es wohl anstehen, sich höllischen Kuren zu unterwerfen und Söhnen des Unglaubens ihre Arbeiten zu widmen. Ich aber sage Dir, der böse Feind kann Krankheiten er zeugen, bloß in der Absicht sie zu heilen, und dadurch den Glauben an die Heilkunst der Hölle zu begründen. Hast Du die Salbe noch, von der Du gesprochen?«

Mit bebender Hand suchte der Mann in seinem Bußen und zog eine kleine Büchse hervor, deren Deckel mit hebräischen Buchstaben gezeichnet war, was für die Versammelten ein sicherer Beweis war, daß sie der höllischen Apotheke entstammte. Beaumanoir[402] nahm, nachdem er sich bekreuzt, die Büchse in die Hand, und übersetzte mit leichter Mühe das Motto:»Er hat überwunden, der Löwe aus dem Stamme Juda«. »Wunderbare Macht des Satans,« rief er aus, »der die heilige Schrift selbst zur Gotteslästerung macht, indem er Gift mit gesunder Nahrung vermischt! Ist denn kein Heilkundiger hier, der uns sagen könnte, woran diese Salbe eigentlich besteht?«

Zwei Aerzte, wie sie sich selbst nannten, und von denen der eine ein Mönch, der andre ein Barbier war, erschienen, und bekannten, daß sie zwar keine von den Ingredienzien kennten, daß die Mischung aber nach Myrrhen und Camphor röche, die sie für morgenländische Kräuter hielten.

Aber mit dem richtigen Brodneide gegen einen glücklichen Praktikanten ihres eignen Gewerbs gaben sie geflissentlich zu verstehn, daß die Arznei noth wendig aus unerlaubten und magischen Mitteln bestehen müsse, da sie ihre eigne Kenntniß übersteige.

Als die medicinische Untersuchung beendigt war, begehrte der Sachse demüthigst seine Arznei zurück; der Großmeister aber machte zu diesem Gesuche ein sehr saures Gesicht.

»Wie heißest Du, Kerl?« fragte er den Gelähmten.

»Higg, der Sohn Snells,« antwortete dieser.

»Nun, Sohn Snells,« sagte der Großmeister, »so wisse denn, daß es besser ist, bettlägerig zu sein, als die Wohlthaten von Ungläubigen anzunehmen, durch ihre Medicin aufstehn und gehen zu können. Es ist besser, die Ungläubigen ihrer Schätze zu berauben, als Wohlthaten von ihnen zu empfangen, oder ihnen um Lohn zu dienen. Geh und thue, wie ich Dir gesagt habe.«

Higg, der Sohn Snells, zog sich in den Haufen zurück; da er aber an dem Geschick seiner Wohlthäterin innigen Antheil nahm, so verweilte er, bis er ihre Verurtheilung vernähme, selbst auf die Gefahr hin, dem Blicke des gestrengen Richters nochmals zu begegnen.

Nunmehr befahl der Großmeister Rebekka, sich zu entschleiern. Zum ersten Male öffnete sie ihre Lippen, und sagte ruhig aber mit Würde, es sei nicht Sitte der Töchter ihres Volkes ihr Antlitz zu entschleiern in einer Versammlung von fremden Männern. Der sanfte Ton ihrer Stimme und die Milde ihrer Antwort erweckten in der Versammlung entschieden Mitleid und Theilnahme. Allein [403] Beaumanoir, dem die Unterdrückung jedes Gefühls von Menschlichkeit ein Verdienst schien, sobald es seiner vermeintlichen Pflicht widersprach, wiederholte den Befehl, daß sein Opfer entschleiert werden sollte.

Die Wachen waren eben im Begriff, ihr den Schleier vom Gesicht zu reißen, als sie vor den Großmeister trat, und sagte: »Um der Liebe willen, die ihr selbst für eure Töchter hegt, – doch,« fuhr sie, sich besinnend, fort – »ihr habt ja keine Kinder – nun, bei dem Andenken an eure Mütter, bei der Liebe zu euren Schwestern und aller weiblichen Schicklichkeit beschwöre ich euch, laßt mich nicht also in eurer Gegenwart behandeln. Ich will euch gehorchen,« fügte sie mit dem Ausdruck duldenden Kummers hinzu, der selbst Beaumanoirs Herz beinahe weich gestimmt hätte, »ihr seid die Aeltesten unter eurem Volke, und auf euren Befehl will ich das Gesicht eines unglücklichen Mädchens den Blicken preisgeben.«

Sie schlug den Schleier zurück, und blickte sie mit einem Ausdruck an, in dem sich Verschämtheit mit Würde vereinigte. Ihre ungemeine Schönheit veranlaßte ein Gemurmel des Erstaunens, und die jüngeren Ritter sagten es sich durch wohlverstandene Blicke, daß Brians beste Vertheidigung in der natürlichen Macht ihrer Schönheit und nicht in eingebildeter Hexerei liege. Am tiefsten fühlte Higg, der Sohn Snells, die Wirkung, welche ihr Anblick auf ihn hervorbrachte. »Laßt mich hinweg!« rief er den Trabanten zu, die an der Thür der Halle standen, »laßt mich hinweg, – es tödtet mich, sie wieder anzusehen, denn ich habe einen Theil an ihrer Ermordung.«

»Sei ruhig, armer Mann,« sagte Rebekka, als sie seinen Ausruf vernahm, »Du hast mir durch Deine Entdeckung der Wahrheit kein Leid zugefügt, Du vermagst mir mit Wehklagen und Jammern nicht zu helfen. Ich bitte Dich ruhig zu sein und Dich selbst in Sicherheit zu bringen.« Die Trabanten wollten Higg aus Mitleid hinausstoßen; denn sie fürchteten, sein Jammern möchte ihnen Vorwürfe und ihm Strafe zuziehn. Er versprach indessen stille zu sein, und so durfte er bleiben.

Nunmehr wurden die beiden Panzerreiter vorgerufen, mit denen Albert Malvoisin nicht verfehlt hatte, sich über die Wichtigkeit ihrer Aussagen zu verständigen.

Nach einer längeren Reihe unwesentlicher Belastungen behauptete [404] einer der beiden gesehen zu haben, daß sie eine Kur an einem Verwundeten, der von ihnen nach Torquilstone gebracht worden sei, verrichtet habe. »Sie machte,« sagte er, »verschiedene Zeichen über die Wunde und sprach gewisse geheimnißvolle Worte aus, die ich, Gott sei Dank, nicht verstand. Auf einmal löste sich die Eisenspitze eines Armbrustbolzens von selbst aus der Wunde, das Blut hörte auf, die Wunde schloß sich, und der Sterbende vermochte in einer Viertelstunde auf den Wall zu gehen und mich bei Bedienung einer Maschine zu unterstützen, mit welcher Steine hinabgerollt wurden.«

Wahrscheinlich gründete diese Angabe sich auf die Thatsache, daß Rebekka den verwundeten Ivanhoe zu Torquilstone gepflegt hatte. Die Aussage des Zeugen zu bezweifeln wurde um so schwerer, da er eine Bolzenspitze als Beglaubigungszeichen aus seinem Busen nahm, von der er behauptete, daß es dieselbe sei, die sich aus der Wunde gelöst hätte. Da das Eisen eine volle Unze wog, so bestätigte es vollkommen die Wahrheit der wunderbaren Erzählung.

Der andere Soldat war auf einer nahen Bastion Zeuge gewesen von der Scene zwischen Rebekka und Bois-Guilbert, als sie auf dem Punkte stand, sich von der Thurmzinne hinabzustürzen. Um in Anbetracht des Wunderbaren nicht hinter seinem Kameraden zurückzubleiben, sondern ihn wo möglich noch zu übertreffen, erzählte dieser Bursche, er habe gesehen, wie sich Rebekka auf den Rand der Zinne gestellt, hier die Gestalt eines milchweißen Schwanes angenommen und in dieser Verwandlung dreimal das Schloß Torquilstone umkreist habe. Dann habe sie sich wieder auf dem Thurme niedergelassen, und ihre weibliche Gestalt wieder angenommen.

Für ein armes und häßliches Weib, auch wenn sie keine Jüdin gewesen wäre, hätte die Hälfte dieser Beweise schon zur Verdammung hingereicht. Rebekkas Jugend und Schönheit vermochte sie darum vor der Gesammtheit der Belastungsbeweise nicht zu schützen.

Der Großmeister hatte schnell die Stimmen gesammelt, und fragte Rebekka in feierlichem Tone, was sie gegen das Verdammungsurtheil, das er auszusprechen habe, etwa noch einwenden könne?

Das holdselige Mädchen sagte mit bebender Stimme: »Euer Mitleid anzuflehen, würde eben so nutzlos sein, als es mir zu niedrig ist, es zu thun. Wenn ich anführte, daß Kranke und Verwundete eines andern Religionsbekenntnisses zu heilen, dem beiderseitigen Stifter [405] unseres Glaubens unmöglich mißfällig sein könnte, so würde mir das auch nicht helfen; führte ich an, daß das, was diese Männer, denen der Himmel verzeihen mag, gegen mich gesprochen haben, zum Theil ganz unmöglich und wider die Naturgesetze ist, so würde mir das gleichfalls wenig nützen, da ihr alle an den Glauben von Wundern gewöhnt seid, eure Religion von euch sogar den Glauben an Wunder ausdrücklich verlangt. Eben so wenig mag ich mich auf Kosten meines Verfolgers vertheidigen, der dort steht und den Erfindungen und Behauptungen lauscht, die ihn freisprechen und den Tyrannen zum unschuldigen Opfer umwandeln. Der Allmächtige richte zwischen ihm und mir! Lieber wollte ich mich zehn solchen Todesmartern unterwerfen, wie ihr sie für mich aussinnen werdet, als einem Gericht, einem Urtheil zuhören, wie dieser Mann, dieser Ritter – es über mich die Freund- und Vertheidigungslose und – seine Gefangene gebracht hat. Aber er ist ja eures Glaubens, und die geringste Versicherung seinerseits würde meine heiligsten Betheuerungen aufwiegen, da ich eine Jüdin bin. Was gegen mich vorgebracht wird, will ich nicht auf ihn zurückwälzen; aber an ihn selbst will ich mich wenden. – Ja, Brian de Bois-Guilbert, an Dich appellire ich und frage, ob diese Anklagen nicht falsch sind? Ob sie nicht eben so ungeheuerlich und verleumderisch sind, als meinem Leben bedrohlich?«

Es entstand eine Pause. Aller Augen richteten sich auf Bois-Guilbert. – – – – Er schwieg.

»Sprich,« sagte sie, »wenn Du ein Mann bist! Wenn Du ein Christ bist, sprich! – Ich beschwöre Dich bei dem Kleide, das Du trägst, bei dem Namen, den Du geerbt hast, bei dem Ritterthum, auf das Du stolz bist – bei der Ehre Deiner Mutter, bei dem Grabe und den Gebeinen Deines Vaters! Sag, ich beschwöre Dich – sind diese Dinge der Wahrheit gemäß?«

»Antworte ihr, Bruder,« sagte der Großmeister, »wenn der böse Feind, mit dem Du ringst, Dir so viel Kraft läßt!«

In der That schien Bois-Guilbert von streitenden Leidenschaften bewegt. Mit verzerrten Zügen und von innerem Kampfe halb erstickter Stimme rief er endlich: »Das Blatt – das Blatt!« wobei er Rebekka anblickte.

»Ei, dies ist in der That ein Zeugniß,« sagte Beaumanoir. [406] »Das Opfer ihrer Zauberkunst vermag nur den Namen des verruchten Blattes auszusprechen; die darauf geschriebenen Zaubersprüche sind sicherlich die Ursache seiner Stummheit.«

Rebekka jedoch deutete die dem Templer gewissermaßen abgenöthigten Worte anders. Sie heftete jetzt zum ersten Male ihr Auge auf das ihr beim Eintritt zugesteckte Pergamentstreifchen, und überzeugte sich, daß in arabischer Schrift die Worte darauf standen:»Fordere einen Kämpfer!« Nachdem sie gelesen, vernichtete sie den Zettel, ohne daß einer der Anwesenden es bemerkte. Als sich die Aufregung im Saale gelegt hatte, begann der Großmeister von neuem:

»Rebekka, Du kannst aus dem Zeugnisse des unglücklichen Ritters, über den, wie wir gar wohl bemerken, der böse Feind noch zu viel Macht hat, keinen Vortheil ziehn. Hast Du also noch etwas vorzubringen?«

»Ich habe nur noch ein Mittel, mein Leben zu retten, selbst nach Euren barbarischen Gesetzen,« sagte Rebekka. »Mein Dasein war elend – elend wenigstens in dieser letzten Zeit –, aber es ist ein Geschenk des Allmächtigen, das ich nicht von mir stoßen will, so lange er mir noch ein Mittel der Rettung zeigt. Ich bestreite die Anklage und behaupte meine Unschuld! Ich appellire an das Gottesurtheil und nehme das Recht in Anspruch, die Wahrheit durch Zweikampf zu entscheiden –, es wird ein Kämpfer sie für mich ans Licht bringen.«

»Wer aber, Rebekka,« sagte der Großmeister, »wird denn für eine Zauberin eine Lanze brechen? Wer wird der Ritter einer Jüdin sein wollen?«

»Gott selbst wird mir einen Kämpfer erwecken,« erwiderte Rebekka. »Es ist unmöglich, daß in dem frohsinnigen England, dem gastlichen, hochherzigen, freien Lande, wo so viele bereit sind, ihr Leben für die Ehre aufs Spiel zu setzen, nicht einer sein sollte, der für die Gerechtigkeit kämpft. Es genügt, daß ich den Rechtsspruch durch Zweikampf fordere. – Hier liegt mein Pfand.«

Mit diesen Worten hatte sie den gestickten Handschuh abgezogen und warf ihn vor dem Großmeister nieder, wobei Einfalt und Würde so schön auf ihren Zügen gepaart waren, daß alle in Erstaunen und Bewunderung versetzt wurden.

38. Kapitel

[407] Kapitel XXXVIII.

Percy. – – Hier liegt mein Pfand!

Ich wills bis zu des Lebens letztem Hauch

An dir beweisen.


König Richard II.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe. Bd. I, S. 192.)


Selbst Lukas Beaumanoir wurde durch Rebekkas Züge und Benehmen gerührt. Von Natur war er weder grausam noch hart, aber sein Blut war kalt, und infolge seiner eben so übertriebenen wie mißverstandenen Begriffe von Pflicht hatte sein Gemüth eine gewisse Härte angenommen, die durch sein ascetisches Leben noch erhöht wurde. Dazu kam, daß das hohe Amt, welches er bekleidete, ihm nach seiner Meinung die Nothwendigkeit auferlegte, den Unglauben und die Ketzerei auszurotten, und daß er dies als seine heiligste Pflicht betrachtete. Seine Gesichtszüge verloren viel von ihrer gewohnheitsmäßigen Strenge, als er das holde Wesen anblickte, das so ganz allein, ohne andre Freunde und Beschützer als ihre Tugend und Unschuld, sich mit so viel Geist und Muth vertheidigte. Er bekreuzte sich zweimal, da er sich nicht Rechenschaft geben konnte über die ungewohnte Besänftigung eines Herzens, das bei solchen Gelegenheiten dem Stahl an Härte zu gleichen schien.

»Mädchen,« sprach er endlich, »wenn das Mitleid, das ich für Dich empfinde, dem Einflusse Deiner bösen Künste entspringt, so ist Deine Schuld sehr groß. Doch ich schreibe es lieber den sanfteren Gefühlen der Natur zu, die sich schmerzlich ergriffen fühlt, daß eine so schöne Gestalt das Gefäß der Verworfenheit sein soll. [408] Bereue, mein Kind! Bekenne Deine Zaubereien, wende Dich ab vom Bösen, umfasse dieses heilige Zeichen, und alles soll gut werden mit Dir, jetzt und später. In irgend einer Schwesterschaft des strengsten Ordens sollst Du Zeit haben zu Gebet und Buße, und zu jener Reue, die Dich nie gereuen wird. Thue dies und behalte Dein Leben! Was hat denn das Gesetz Mosis für Dich gethan, daß Du dafür sterben solltest?«

»Es ist das Gesetz meiner Väter,« entgegnete Rebekka feierlich. »Es wurde gegeben unter Donner und Gewittersturm in einer Wolke und im heiligen Feuer auf dem Berge Sinai. Das, wenn ihr Christen seid, glaubt auch ihr; es wurde, so sagt ihr, widerrufen, das aber haben meine Lehrer mich nicht gelehrt.«

»Lasset unseren Kapellan vortreten,« sagte Beaumanoir, »und die hartnäckige Ungläubige belehren« –

»Verzeiht die Unterbrechung,« entgegnete Rebekka sanft; »ich bin ein Weib, und nicht geschickt, für meine Religion mit Worten zu streiten; aber ich kann für sie sterben, wenn es Gottes Wille ist. Erlaubet mir, um Eure Antwort auf meine Forderung eines Kämpfers zu bitten.«

»Gebt mir ihren Handschuh,« sagte Beaumanoir. »Ein sehr schwaches und hinfälliges Pfand für einen so tödtlichen Zweck,« fuhr er fort, nachdem er das feine Gewebe und die zarten Fingerchen einen Augenblick betrachtet. »Siehst Du, Rebekka, wie sich Dein kleiner leichter Handschuh zu unseren schweren Stahlhandschuhen verhält, so verhält sich Deine Sache zu der des Tempels; denn es ist unser ganzer Orden, den Du herausforderst.«

»Werft meine Unschuld in die Wagschale,« antwortete Rebekka, »und der seidne Handschuh wird den stählernen aufwiegen.«

»Du bleibst also bei der Weigerung, Deine Schuld zu bekennen, sowie bei Deiner kühnen Herausforderung?«

»Ich bleibe dabei, edler Herr,« sagte Rebekka.

»Sei es denn so, im Namen des Himmels,« entgegnete der Großmeister, »und möge Gott das Recht ans Licht bringen!«

»Amen,« riefen die Präceptoren dazu, und dieses Wort hallte dumpf in der ganzen Versammlung wider.

»Brüder,« sagte Beaumanoir, »ihr wißt recht gut, daß wir diesem Weibe die Wohlthat der Entscheidung durch den Zweikampf [409] hätten versagen können; doch wenn auch Jüdin und Ungläubige, ist sie doch auch eine Fremde und Schutzlose, und Gott verbietet, ihr die Wohlthat unsrer milden Gesetze zu versagen, wenn sie dieselben in Anspruch nimmt. Außerdem sind wir eben so gut Ritter und Krieger wie Diener des Glaubens, und es wäre eine Schande für uns, unter irgend einem Vorwande einen Zweikampf auszuschlagen. So also steht die Sache. Rebekka, die Tochter Isaaks von York, ist durch viele und verdächtige Umstände der Zauberei angeklagt, die sie an der Person eines edlen Ritters unsers heiligen Ordens verübt haben soll, und sie hat zum Beweise ihrer Unschuld auf einen Zweikampf angetragen. Wem, ehrwürdige Brüder, sollen wir nach eurer Meinung wohl das Pfand dieses Kampfes überliefern, indem wir ihn zugleich zu unserem Kämpfer auf dem Platze ernennen?«

»Dem Brian de Bois-Guilbert, den es hauptsächlich betrifft,« sagte der Präceptor von Goodalricke, »und der überdies auch am besten weiß, wie sich die Wahrheit dieser Sache verhält.«

»Wenn nun aber,« sagte der Großmeister, »unser Bruder Brian unter dem Einfluß eines Zaubers steht? – Wir sprechen bloß der Vorsicht wegen, denn keinem Arm unseres heiligen Ordens würden wir diese, oder selbst eine noch wichtigere Angelegenheit mit mehr Vertrauen und Vorliebe übertragen.«

»Ehrwürdiger Vater,« versetzte der Präceptor von Goodalricke, »kein Zauber kann einem Kämpfer etwas anhaben, der sich zum Gottesurtheil stellt.«

»Du hast Recht, Bruder,« sagte der Großmeister. »Albert Malvoisin, gib dies Pfand dem Bois-Guilbert! Wir geben Dir den Auftrag, Bruder,« fuhr er, zu letzterem gewendet, fort, »Deinen Kampf männlich zu bestehn, und zweifeln durchaus nicht, daß die gute Sache siegen werde. Und Dir, Rebekka, bestimmen wir von heute an den dritten Tag, um einen Kämpfer zu finden.«

»Ein kurzer Zeitraum,« erwiderte Rebekka, »für eine Landesfremde und Andersgläubige, um jemand, der Leib und Leben für sie wagen will, zu suchen.«

»Wir können ihn nicht verlängern,« sagte der Großmeister, »denn der Kampf muß vor unsern Augen gefochten werden, und wichtige Geschäfte rufen uns am vierten Tage von hier ab.«

[410] »So mag Gottes Wille geschehen!« sagte Rebekka, »ich vertraue auf ihn, für den ein Augenblick zu meiner Rettung so gut genügt wie ein Jahrtausend.«

»Wohl gesprochen, Mädchen,« sagte Beaumanoir; »doch wir kennen den sehr wohl, der sich in einen Engel des Lichts zu verkleiden weiß, um uns ins Verderben zu locken. Es erübrigt noch, den Platz zum Kampfe – und wenn es dazu kommt – zur Hinrichtung zu bestimmen. Wo ist der Präceptor dieses Hauses?«

Albert Malvoisin hielt noch immer Rebekkas Handschuh in der Hand, und sprach sehr ernst mit Bois-Guilbert, doch mit leiser Stimme.

»Wie?« sagte der Großmeister, »will er das Pfand nicht nehmen?«

»Er will, er hat es angenommen, ehrwürdigster Vater,« sagte Malvoisin, indem er den Handschuh unter seinen eignen Mantel gleiten ließ. »Für den passendsten Kampfplatz halte ich die Schranken von St. Georg, die dem Präceptorium angehören, und als Exercierplatz dienen.«

»So sei es denn,« sagte der Großmeister. »Rebekka, in diese Schranken mußt Du Deinen Kämpfer bestellen. Thust Du es nicht, oder unterliegt er, so mußt Du, dem Urtheil entsprechend, den Tod der Zauberin sterben. Lasset diesen Urtheilsspruch bekannt machen, und öffentlich verlesen, damit niemand sich mit Unwissenheit entschuldige.«

Einer von den Kapellänen trug sogleich den Befehl in ein großes Buch ein, während der andere das Urtheil des Großmeisters mit lauter Stimme vorlas.

Nach Beendigung dieses Aktes sprach der Großmeister »Amen«, und das Wort hallte von allen Seiten des Saales wider.

Rebekka sprach nicht, sondern blickte zum Himmel und blieb mit gefalteten Händen eine Minute lang in dieser Stellung. Hierauf bat sie den Großmeister bescheiden, daß er ihr eine Gelegenheit verschaffen möge, sich mit ihren Freunden in Verbindung zu setzen, um ihnen ihre Lage kund zu thun, und damit sie wo möglich einen Kämpfer für sie gewännen.

»Das ist gerecht und gesetzmäßig,« sagte der Großmeister; »wähle Dir einen Boten, dem Du vertrauen magst, und er soll frei in Deinem Gefängniß aus- und eingehen.«

[411] »Ist denn niemand hier,« sagte Rebekka, »der aus Liebe zu einer guten Sache oder um reichen Lohn der Bote einer Unglücklichen sein will?«

Alles schwieg, denn niemand hielt es für sicher, in des Großmeisters Gegenwart irgend ein Interesse für die verleumdete Gefangene zu verrathen, damit er nicht der Hinneigung zum Judenthum verdächtig werden möchte.

Rebekka stand ein paar Augenblicke in unbeschreiblicher Angst da, dann rief sie aus: »Ist es wirklich so? Soll ich in diesem Lande der edlen Angeln rettungslos des einzigen Mittels beraubt sein, aus Mangel an Menschlichkeit, die man dem niedrigsten Verbrecher nicht verweigern würde?«

Endlich erwiderte Higg, der Sohn Snells: »Zwar bin ich nur ein verstümmelter Mann; allein daß ich mich doch einigermaßen wieder rühren und bewegen kann, verdanke ich ihrer milden Hilfe. Ich will Deine Botschaft ausrichten,« sagte er zu Rebekka, »so gut es ein Krüppel vermag. Wären doch meine Füße im Stande gut zu machen, was meine Zunge Dir Schlimmes zugefügt!«

»Gott regiert alles,« sagte Rebekka; »er kann Judas Gefangenschaft durch das schlechteste Werkzeug enden. Um seine Botschaft auszurichten, ist die Schnecke ein so schneller Bote als der Falke. Suche Isaak von York auf, hier ist, wovon Mann und Roß bezahlt werden können, und übergib ihm dies Blatt – gewiß wird ein Kämpfer für mich sich erheben! Lebe wohl! Von Deiner Eile hängt Leben und Tod ab.«

Der Mann nahm das Blatt, welches nur einige hebräische Zeichen enthielt. Manche aus der Menge widerriethen ihm, sich mit einem so verdächtigen Papier zu befassen. Doch Higg war entschlossen. »Sie hat meinen Leib gerettet,« sagte er, »sie wird, das glaube ich gewiß, meine Seele nicht in Gefahr bringen wollen. Ich werde mir meines Nachbars Buthan Klepper borgen, und dann bin ich in York, so schnell es Mann und Pferd vermögen.«

Allein es fügte sich, daß es nicht einmal so weit zu reiten brauchte, denn ungefähr eine Viertelstunde vor dem Thor des Präceptoriums kamen ihm zwei Reiter, die er an ihren großen gelben Mützen und ihrer Kleidung sogleich für Juden erkannte, [412] entgegen. Als er näher kam, erkannte er in dem einen den Isaak von York. Der andere war der Rabbiner Ben Samuel, und beide hatten sich so nahe an das Präceptorium gewagt, weil sie gehört hatten, daß der Großmeister ein Kapitel wegen des Processes gegen eine Zauberin zusammenberufen habe.

»Ich bin,« sagte Isaak, »unruhig in meinem Herzen, diese Anklagen wegen Zauber müssen so oft ihre bösen Praktiken gegen unser Volk bemänteln.«

Der Rabbiner suchte Isaak zu trösten und ihm seine schlimmen Ahnungen auszureden, als Higg dem Isaak das Blatt überreichte. Sobald Isaak dasselbe anblickte, sank er stöhnend von seinem Maulthier und lag da gleich einem Sterbenden.

Der Rabbiner stieg sogleich von seinem Thiere und wollte schleunigst Isaak zu Ader lassen, als dieser sich von selbst wieder zu erholen begann. Alsbald riß er sich die Mütze vom Haupte und streute Staub auf sein graues Haar.

»Kind meines Kummers!« rief er, »wohl solltest du Benoni heißen, statt Rebekka. Warum muß Dein Tod meine grauen Haare in die Grube bringen, bis ich in der Bitterkeit meines Herzens Gott fluche und sterbe?«

»Bruder,« sagte der Rabbiner, mit großem Entsetzen, »Du bist ein Vater in Israel und stößest solche Worte aus? Ich glaube gewiß, das Kind Deines Hauses lebt noch.«

»Ja, ja, sie lebt,« versetze Isaak, »allein wie Daniel in der Löwengrube. Sie ist gefangen bei jenen Belialskindern, und sie werden ihre Bosheit an ihr ausüben, und weder mit ihrer Jugend noch mit ihrer Anmuth Mitleid haben. Ach, sie war ein Kranz von grünen Palmen um mein graues Haupt! Und sie muß nun verwelken in einer Nacht, gleich dem Kürbis des Jonas! Kind meiner Liebe! Kind meines Alters! O Rebekka, Rachels Tochter! Der dunkle Schatten des Todes hat Dich umhüllt!«

»Aber lies doch das Blatt,« sagte der Rabbiner, »vielleicht finden wir noch einen Weg der Rettung auf!«

»Lies Du, Bruder,« sagte Isaak, »denn meine Augen sind Wasserquellen.« Der Arzt las Folgendes in der Zunge seines Volkes:

»An Isaak, den Sohn Adonicams, den die Heiden nennen Isaak von York!

[413] Fried und Segen der Verheißung komme hundertfach über Dich! Mein Vater! ich bin verurtheilt zu sterben für ein Vergehen, von dem meine Seele nichts weiß – nämlich Zauberei.

Mein Vater! könnte ein starker Mann gefunden werden, der um meinetwillen Schwert und Speer führen wollte, nach der Sitte der Nazarener, so könnte Deine Tochter mit der Hilfe Gottes wohl noch gerettet werden. Es gibt nur einen Nazarener, in den ich dieses Vertrauen setze, das ist Wilfred, der Sohn Cedrics, den die Heiden Ivanhoe nennen. Sag ihm, daß, wenn Rebekka lebt oder stirbt, sie lebt oder stirbt, frei von der Schuld, deren man sie zeiht.

Wenn aber die Töchter unsres Stammes und Du um mich trauern müssen, dann, alter Vater, bleibe nicht in diesem Lande der Grausamkeit und des Blutvergießens, sondern ziehe nach Cordova, wo Dir ein Bruder lebt unter dem milden Schatten Boabdils, des Saracenen. Grausamer und roher sind die Nazarener Englands gegen die Kinder Jakobs als die Gläubigen des Khorans.«

Isaak war außer sich vor Schmerz; er zerriß sein Gewand und bedeckte sein greises Haupt wiederholt mit Staub, wobei er ausrief: »Mein Kind! meine Tochter! Fleisch von meinem Fleisch – und Bein von meinem Bein.«

Der Rabbiner aber sprach ihm Muth ein; er schlug vor, Isaak solle gehn und Ivanhoe aufsuchen, während er in York, durch Versprechungen großer Summen einen Kämpfer zu erkaufen hoffe. Isaak willigte ein, und sie trennten sich.

Als sie nach beiden Richtungen hinzogen, blieb Higg, der lahme Sohn Snells, noch ein paar Augenblicke stehen, um bald dem einen, bald dem andern nachzuschauen.

»Diese filzigen Hunde von Juden!« sagte er endlich. »Muß ich mich bei der nächsten Osterbeichte vom Pfarrer auszanken und mein ganzes Leben lang von den Buben auf den Straßen: ›Judenbote‹ schimpfen lassen – und nicht eine Zechine geben sie einem dafür!«

»Hätte mirs das Mädchen nicht angethan, die ich beinahe auch für eine Hexe halte, nicht einen Schritt hätte ich für die beiden Knicker gemacht. Aber wenn ich an sie denke, so könnte ich Hobel und Säge für sie hergeben, um sie zu retten, und die Bindaxt noch obendrein.«

39. Kapitel

[414] Kapitel XXXIX.

O Maid, so kalt und mitleidslos,

Ich bin so stolz wie Du!


Seward.


In der Abenddämmerung des Tages, wo das Verhör stattgefunden hatte, wurde an Rebekkas Gefängnißthür ein leises Pochen gehört. Die Eingesperrte ließ sich in ihrer Abendandacht nicht stören, welche sie eben mit einer andächtigen Hymne auf den Gott Isaaks schloß. Als aber die Töne ihres Gesanges verklungen waren, ließ sich das Pochen an der Thür nochmals vernehmen.

»Tritt ein!« rief sie, »wenn Du ein Freund bist, und bist Du ein Feind, so habe ich nicht die Macht, Dir den Eintritt zu verwehren.«

»Ich bin Freund oder Feind, je nachdem unsere Unterredung ausfallen wird,« sagte Bois-Guilbert, der ins Zimmer trat.

Erschreckt durch den Anblick dieses Mannes, dessen ausschweifende Leidenschaft die Veranlassung zu ihrem Unglück war, zog sich Rebekka mehr vorsichtig als furchtsam in die äußerste Ecke des Gemaches zurück.

»Ihr habt keine Ursache mich zu fürchten, Rebekka,« sagte der Templer, »oder, wenn ich meine Worte genauer abwägen soll, Ihr habt wenigstens jetzt keine Ursache mich zu fürchten.«

»Ich fürchte Euch nicht, Herr Ritter,« versetzte Rebekka, obgleich ihr kurzer Athemzug den Heroismus ihrer Rede Lügen zu strafen schien; »mein Vertrauen ist stark, ich fürchte Dich nicht.«

»Ihr habt nicht Ursache dazu,« versetzte Bois-Guilbert ernst, meine früheren wahnsinnigen Versuche habt Ihr jetzt nicht zu [415] fürchten! Ihr könnt mit Eurem Ruf die Wächter erreichen, über die ich keine Gewalt habe, und die zwar bestimmt sind, Euch zum Tode zu führen, aber doch nicht dulden würden, daß Euch jemand beleidigte, selbst ich nicht, auch wenn mein Wahnsinn mich dazu treiben sollte.

»Gott sei gelobt!« sagte die Jüdin, »der Tod ist die geringste meiner Befürchtungen in dieser Höhle des Unheils!«

»Ja,« sagte der Templer, »der Gedanke des Todes bemächtigt sich leicht eines muthigen Herzens, wenn der Tod schnell erreichbar ist. Wir verstehen beide für unsere Begriffe von Ehre zu sterben.«

»Unglücklicher Mann,« sagte Rebekka mit Würde, »Du schlägst Dein Leben in die Schanze für Grundsätze, deren Werth Dein eigenes Urtheil verwirft; die meinigen sind fest gegründet auf den Fels der Jahrtausende.«

»Still, Mädchen,« antwortete der Templer, »diese Reden führen zu nichts. Du sollst nicht eines raschen und leichten Todes sterben, wie das Elend ihn wählt und die Verzweiflung bewillkommt, sondern an langsamen, jammervollen, in die Länge gedehnten Qualen, wie die satanische Frömmelei sie passend hielt für das, was man Dein Verbrechen nennt.«

»Und soll dies mein Schicksal sein, wem verdanke ich es? Wer hat mich aus Selbstsucht und thierischer Begier hieher geschleppt?«

»Die unglückliche Wendung,« sagte der Templer, »ist nicht meine Schuld. Gern hätte ich Dich gegen jede Gefahr mit meiner eignen Brust geschützt, sowie ich sie einst mit Freuden den Pfeilen darbot, die Dein Leben bedrohten.«

»Wäre Deine Absicht gewesen, die Unschuld edelmüthig zu beschützen,« sagte Rebekka, »so würde ich Dir dafür gedankt haben; aber ich sage Dir, das Leben ist mir nichts werth um den Preis, den Du dafür fordern möchtest.«

»Halt ein mit Deinen Vorwürfen, Rebekka,« sagte der Templer; »ich habe meine eigene Ursache zum Kummer, und vertrage Deine Vorwürfe nicht.«

»Aber ist mein Tod nicht die Folge Eurer ungezähmten Leidenschaft?«

»Du irrst – Du irrst! Ich konnte die Ankunft des Großmeisters [416] nicht ahnen, dieses rasenden und dummen Zeloten,« sagte Brian.

»Aber Ihr selbst habt über mich zu Gericht gesessen,« fuhr Rebekka fort; »Ihr selbst wollt mit Eurem Arm, Eurem Schwert meine Schuld beweisen.«

»Nur um Aufschub zu gewinnen, Rebekka. Kein Stamm begreift besser als der Deine, was es heißt, sich in die Zeit fügen.«

»Unselige Stunde,« rief Rebekka, »die meinem Volk diese Kunst lehrte! Doch Unglück beugt das Herz, wie das Feuer Stahl biegsam macht, und Völker, welche sich nicht mehr selbst regieren können und aufhören Bürger eines eigenen freien Staates zu sein, müssen sich freilich vor Fremden beugen; aber um wie viel größer ist euer Unrecht, wenn ihr Freien und Mächtigen euch bequemt, fremden Vorurtheilen zu schmeicheln, und zwar gegen eure eigene Ueberzeugung.«

»Deine Worte sind bitter, Rebekka,« sagte der Templer, indem er mit hastigen Schritten durchs Zimmer ging; »aber ich kam nicht hierher, um Vorwürfe mit Dir zu wechseln. Wisse, daß Bois-Guilbert keinem erschaffenen Manne nachgibt, wenn ihn nicht die Umstände zuweilen bestimmen, von seinem Plane abzuweichen. Sein Wille gleicht dem Gebirgsstrome, der zwar dem Felsen ausweicht, aber seinen Weg zum Ocean nicht verfehlt. Das Blatt, welches Dir den Wink gab, einen Kämpfer zu verlangen, von wem konntest Du glauben, daß es kommen könne, als von Bois-Guilbert? Bei wem sonst könntest Du eine solche Theilnahme erregt haben?«

»Ein kurzer Aufschub des drohenden Todes,« sagte Rebekka, »der mir wenig helfen kann; war dies alles, was Du für ein Mädchen thun konntest, auf deren Haupt Du Gram und Elend gehäuft, und die Du an den Rand des Grabes gebracht hast?«

»Nein, Mädchen,« erwiderte Bois-Guilbert, »das war nicht alles, was ich beabsichtigte. Wäre nicht der alte fanatische Geck und der Narr Goodalricke dazwischen gekommen, so wäre die Aufgabe des vertheidigenden Kämpfers nicht auf einen Präceptor, sondern auf ein simples Mitglied des Ordens gefallen. Dann wäre ich selbst – dies war mein Plan – beim Schalle der Trompeten als Dein Kämpfer in den Schranken erschienen, verkleidet als irrender Ritter, der Abenteuer aufsucht, um seine Lanze [417] und sein Schwert zu bewähren. Hätte dann auch Lukas Beaumanoir nicht einen, sondern zwei oder drei der hier versammelten Brüder ausgewählt, ich hätte sie gewiß mit meiner einzigen Lanze aus dem Sattel geworfen. So, Rebekka, sollte Deine Unschuld erwiesen werden und von Deiner Dankbarkeit allein würde ich den Lohn des Sieges erwartet haben.«

»Eine leere Prahlerei, Herr Ritter,« sagte Rebekka. »Ihr nahmt meinen Handschuh an, und mein Kämpfer, wenn ein so verlassenes Geschöpf wie ich einen finden mag, muß sich Eurer Lanze in den Schranken stellen; und doch – doch wollt Ihr noch die Miene meines Freundes und Beschützers annehmen?«

»Ja, Deines Freundes und Beschützers,« versetzte der Templer sehr ernst; »ich will es noch jetzt sein! Doch vergiß nicht, mit welcher Gefahr oder vielmehr Gewißheit der Entehrung, und dann schilt mich nicht, wenn ich meine Bedingungen mache, ehe ich alles, was ich im Leben für theuer und werth geachtet habe, aufopfere, um das Leben eines Judenmädchens zu retten.«

»Sprich, ich verstehe Dich nicht,« sagte Rebekka.

»Nun denn,« sagte Bois-Guilbert, »so will ich so frei heraus reden, als je ein reuiger Sünder im Beichtstuhl zu seinem geistlichen Vater sprach. Rebekka, wenn ich nicht in den Schranken erscheine, verliere ich Ehre und Rang, und was das Element meines Lebens ist, die Achtung, in der ich bei meinen Brüdern stehe, und die Aussicht, einst an die hohe Stelle zu gelangen, die jetzt der bigotte und fanatische Lukas Beaumanoir einnimmt. Das ist mein Loos, wenn ichnicht gegen Dich in Waffen erscheine. Verwünscht sei Goodalricke, der mir diese Falle stellte, und doppelt verwünscht Albert von Malvoisin, der mich von dem Entschlusse abhielt, Deinen Handschuh dem abergläubischen alten Narren ins Gesicht zu werfen, der auf eine so alberne Klage gegen ein so hochgesinntes und reizendes Geschöpf, wie Du bist, hören konnte.«

»Wozu jetzt solche Schmeicheleien?« entgegnete Rebekka. »Du hast ja die Wahl getroffen, und willst lieber, daß ein unschuldiges Weib sein junges Leben aushauche, als Deinen eigenen irdischen Hoffnungen entsagen. Was hilfts, darüber noch weiter zu reden? Deine Wahl ist ja getroffen.«

»Nein, Rebekka,« sagte der Ritter in sanftem Tone, indem er [418] ihr näher rückte, »meine Wahl ist keineswegs getroffen! Merke dirs, bei mir steht die Wahl. – Wenn ich in den Schranken erscheine, muß ich meinen Ruhm in den Waffen behaupten, und thue ich das, so stirbst Du, mit oder ohne Kämpfer, am Pfahl oder auf dem Holzstoß; denn es gibt keinen lebenden Ritter, der es mit mir aufnehmen könnte, als Richard Löwenherz und seinen Liebling Ivanhoe. Ivanhoe aber ist, wie Du wohl weißt, nicht im Stande, seine Rüstung zu tragen, und Richard im Ausland gefangen. Erscheine ich, so stirbst Du, gesetzt auch, Deine Reize entzündeten einen jungen Hitzkopf, zu Deiner Vertheidigung in den Schranken zu erscheinen.«

»Und wozu dient es, dies so oft zu erwähnen?« sagte Rebekka.

»Du sollst Dein Schicksal von jeder Seite kennen lernen,« versetzte der Templer.

»Nun, so wende denn das Blatt und zeige mir die andere Seite.«

»Ich habe Dir den ganzen Umfang meiner Aussichten, meiner Hoffnungen gezeigt,« fuhr Bois-Guilbert fort. »Aber ich zerstöre die Planke, die ich so hoch baute, daß sie den Bergen glich, auf denen die Giganten einst den Himmel zu ersteigen versuchten, und will diese Größe aufopfern, will diesem Ruhme entsagen, diese Macht vergessen, selbst jetzt, wo sie schon halb in meinen Händen liegt, sobald Du sagst: Bois-Guilbert, ich nehme Dich zu meinem Geliebten an!« Bei diesen Worten sank er zu ihren Füßen.

»Denkt doch nicht an solche Thorheit, Herr Ritter,« entgegnete Rebekka, »eilt lieber zu der Königin Mutter und zum Prinzen Johann; sie können um der Ehre ihrer Kronen willen das Verfahren Eures Großmeisters nicht billigen. So gewährt Ihr mir Schutz und es kostet Euch kein Opfer.«

»Mit jenen habe ich nichts zu schaffen,« fuhr er fort, indem er die Schleppe ihres Kleides faßte, »an Dich, an Dich allein wende ich mich. Was kann Deine Wahl noch aufhalten? Besinne Dich, wäre ich selbst Dein Feind, der Tod ist ein noch schlimmerer, und der Tod nur ist mein Nebenbuhler!«

»Ich mag diese Uebel nicht gegen einander abwägen,« sagte Rebekka, fürchtend, den Ritter zu erzürnen, und doch entschlossen, seine Leidenschaften auch nur scheinbar nicht zu dulden, »sei ein [419] Mann! Sei ein Christ! Wenn Dein Glaube Dir wirklich Mitleid anempfiehlt, dann rette mich von diesem schrecklichen Tode, ohne eine Vergeltung zu suchen.«

»Nein, Mädchen,« sagte der Templer auffahrend, »so sollst Du mich nicht täuschen! Wenn ich dem jetzigen Ruhme und der künftigen Hoheit entsage, so geschieht es Deinetwegen, und wir entfliehen gemeinschaftlich! Höre mich, Rebekka,« sagte er wieder in sanfterem Tone, »England, Europa ist nicht die Welt! Es gibt Gegenden, wo wir leben und wirken können, groß genug für meinen Ehrgeiz! Wir gehen nach Palästina, wo Conrad, Marquis von Monserrat, mein Freund ist, frei wie ich selber von allen Bedenklichkeiten, welche eine freigeborne Vernunft in Fesseln legen; wir wollen uns lieber mit Saladin verbünden, als die Verachtung der Frömmler ertragen, die wir gering schätzen. Ich werde mir neue Bahnen zur Größe eröffnen,« fuhr er fort, indem er rasch durchs [420] Zimmer ging, »Europa soll den lauten Schritt dessen vernehmen, den es aus seinen Grenzen vertrieben hat. Du sollst eine Königin werden, Rebekka! Auf dem Berge Karmel wollen wir Dir den Thron errichten, den meine Tapferkeit erringen wird, und ich will den lang ersehnten Stab mit dem Scepter vertauschen.«

»Ein Traum,« sagte Rebekka, »ein leeres Trugbild der Nacht, das, wenn es auch Wirklichkeit wäre, mich doch nicht reizen würde. Setzt keinen Preis auf meine Rettung, Herr Ritter, verkauft nicht eine Handlung der Großmuth, beschützt den Unterdrückten aus Menschenliebe und nicht um Eures Eigennutzes willen! Geht vor Englands Thron! Derselbe wird meine Berufung auf ihn nicht verwerfen und mich vor diesen grausamen Menschen schützen.«

»Nie, Rebekka,« sagte der Templer stolz; »wenn ich dem Orden entsage, thue ich es nur allein um Dich! Verschmähst Du meine Liebe, dann bleibt mir nichts als der Ehrgeiz.«

»Nun, so sei Gott mir gnädig!« sagte Rebekka; »denn auf menschliche Hilfe darf ich nicht mehr hoffen!«

»Du hast ganz Recht,« sagte der Templer, »denn Dein Stolz hat in mir seinen Mann gefunden. Wenn ich mit meiner Lanze in die Schranken trete, dann denke nicht, daß irgend eine menschlische Rücksicht mich hindern soll, meine ganze Kraft zu äußern; denke dann nur an Dein eigenes Schicksal – zu sterben den furchtbarsten Tod der niedrigsten Verbrecher, verzehrt zu werden auf einem brennenden Holzstoße, zerstreut zu werden in alle Elemente, woraus unsere Gestalt so geheimnißvoll zusammengesetzt ist, so daß nicht ein Stäubchen übrig bleibt von der anmuthsvollen Form, wovon wir sagen könnten, es lebte, es bewegte sich. Rebekka, solch eine Aussicht zu ertragen, ist dem Weibe nicht verliehen – Du wirst meinem Antrage nachgeben.«

»Bois-Guilbert,« versetzte Rebekka, »Du kennst entweder das weibliche Herz gar nicht, oder hast nur mit solchen Weibern Umgang gehabt, die ihre schönsten Gefühle verloren haben. Ich sage Dir, stolzer Templer, Du hast in Deinen gepriesensten Schlachten nicht mehr Muth entfaltet, als Weiber gezeigt haben, wenn sie aufgefordert wurden, aus Liebe oder Pflicht zu dulden. Ich selbst bin ein Weib, zart erzogen, von Natur Gefahren scheuend und Schmerzen fürchtend, und doch, wenn wir in die entscheidenden [421] Schranken treten werden, Du um zu kämpfen, ich um zu leiden, dann wird, das fühle ich mit stolzer Zuversicht, mein Muth noch höher steigen als der Deine. Lebe wohl! Ich verschwende keine Worte mehr mit Dir! Die Zeit, welche der Tochter Jakobs auf Erden noch übrig bleibt, muß anders angewendet werden; sie muß den Tröster suchen, der sein Antlitz zwar vor seinem Volke verbergen mag, doch sein Ohr immer dem Rufe derer öffnet, welche ihn mit aufrichtigem Herzen suchen.«

»So müssen wir denn scheiden,« sagte der Templer nach einer kurzen Pause. »O, wollte doch der Himmel, wir hätten uns nie gesehen, oder Du wärest mir gleich an Geburt und Glauben! Ja, beim Himmel, wenn ich Dich so betrachte und bedenke, wie und wo wir uns wieder treffen sollen, dann könnte ich sogar wünschen, einer von Deiner entwürdigten Nation zu sein, wünschen, daß meine Hand sich mit Metallklumpen und Geldsäcken befaßte, statt mit Lanze und Schild, daß sich mein Haupt vor jedem kleinen Edelmanne beugte und mein Blick nur dem bankerotten Schuldner furchtbar wäre; dies könnte ich wünschen, Rebekka, um Dir im Leben nahe zu sein und den furchtbaren Antheil abzuwälzen, den ich an Deinem Tode nehmen soll.«

»Du sprichst von den Juden,« sagte Rebekka, »so wie sie die Verfolgung derer, die Dir gleichen, gemacht hat; der Himmel hat sie im Zorn aus ihrem Vaterlande vertrieben, allein ihr Fleiß hat ihnen den einzigen Weg zu Macht und Einfluß geöffnet, den ihnen die Unterdrückung noch frei gelassen. Lies die Geschichte des Volkes Gottes, und sage mir, ob diejenigen, durch welche Jehova solche Wunder unter den Heiden bewirkte, ein Volk von elenden Wucherern waren? Und wisse, stolzer Ritter, wir zählen Namen unter uns, gegen die euer gepriesener Adel wie Gras gegen die Ceder sich ausnimmt, Namen, welche zurückgehen bis auf jene großen Zeiten, wo die Allgegenwart Gottes den Gnadenstuhl zwischen den Cherubim beben machte, und welche ihren Glanz nicht ableiten von irdischen Fürsten, sondern von jener ehrfurchtgebietenden Stimme, welche ihre Väter in die Nähe des Lichtes rief – dies waren die Fürsten des Hauses Jakob.«

Rebekkas Wange färbte sich höher, als sie des alten Ruhmes ihres Stammes gedachte, erblaßte aber wieder, als sie seufzend hinzufügte: »Das waren die Fürsten Judas, jetzt sind sie es [422] nicht mehr! – Niedergetreten sind sie worden, wie das abgemähte Gras, und vermischt mit dem Staube des Weges! Indessen finden sich noch welche unter ihnen, die ihrer hohen Abkunft keine Schande machen, und zu ihnen will die Tochter Isaaks, des Sohnes Adonicams, gehören! – Lebe wohl! Ich beneide Dich nicht um Deine mit Blut errungene Ehre, nicht um Deine barbarische Abkunft von den Heiden des Nordens, auch nicht um Deinen Glauben, der Dir zwar stets auf der Zunge, aber nicht im Herzen, noch weniger aber in Deinen Werken lebt.«

»Beim Himmel!« sagte Bois-Guilbert, »ich bin bezaubert. Ich glaube, Du redest die Wahrheit, und das Widerstreben, womit ich von Dir scheide, hat etwas Uebernatürliches. Schönes Wesen,« fuhr er fort, indem er sich ihr mit Verehrung näherte, »so jung, so reizend, so ohne Furcht vor dem Tode, und doch verdammt zu sterben, schimpflich und ohne Trost! – Wer sollte nicht um Dich weinen? Thränen, die zwanzig Jahre diesen Augen fremd waren, feuchten sie jetzt an. Doch es muß sein, nichts kann Dein Leben retten. – Du und ich, wir sind beide blinde Werkzeuge eines unwiderstehlichen Schicksals, welches uns treibt, wie der Sturm zwei Schiffe, die an einander stoßen und zu Grunde gehen. Vergib mir! Laß uns wenigstens als Freunde scheiden. – Umsonst habe ich Deine Entschlossenheit bestürmt, und die meinige ist fest wie die ehernen Tafeln des Schicksals!«

»In dieser Weise,« sagte Rebekka, »wälzen die Menschen die Folgen ihrer eigenen wilden Leidenschaften auf das Schicksal; doch ich verzeihe Dir, Bois-Guilbert, bist Du gleich die Ursache meines frühen Todes. Dein starkes Gemüth hat für etwas Höheres Sinn, aber es gleicht dem Garten des Trägen, wo das Unkraut überhand nimmt und die edleren Gewächse erstickt.«

»Ja, Rebekka,« sagte der Templer, »ich bin, wie Du gesagt hast, ungezähmt, roh und stolz; so habe ich unter dem Haufen eitler Thoren und bigotter Schwärmer jene hervorragende Kraft erhalten, die mich so weit über sie stellt. Ich bin ein Kind der Schlacht gewesen von Jugend an, hochstrebend in meinen Plänen, und fest und unerschütterlich bei Verfolgung derselben. So muß ich auch bleiben, stolz, unbeugsam und unwandelbar; die Welt soll Beweise davon haben. Aber Du vergibst mir, Rebekka?«

[423] »Wie je ein Schlachtopfer seinem Henker vergab!«

»So lebe denn wohl.« – Mit diesen Worten verließ der Templer das Gemach. Der Präceptor Albert Malvoisin wartete ungeduldig im anstoßenden Zimmer auf ihn.

»Du bist lange geblieben,« sagte er. »Wenn nun der Großmeister oder Conrad, sein Spion, gekommen wäre? Ich hätte meine Nachsicht theuer bezahlen müssen. Aber was ist Dir, Bruder? Deine Tritte wanken, Deine Stirn ist finster wie die Nacht! Ist Dir nicht wohl?«

»O ja! so wohl, wie dem Unglücklichen, der in einer Stunde sterben soll. Beim Himmel, Malvoisin, das Mädchen hat mich fast bekehrt. Ich bin halb entschlossen, dem Großmeister den Orden ins Gesicht abzuschwören, und dann in ein fremdes Land zu fliehen, wohin Thorheit und Fanatismus noch nicht den Weg gefunden haben. Kein Blutstropfen dieses herrlichen Geschöpfes soll mit meiner Zustimmung vergossen werden.«

»Du kannst nicht fliehen,« sagte der Präceptor, »Du kannst Deinem Gelübde nicht entsagen. Entehrung ist in beiden Fällen Dein Loos. Und bedenke, wo sollten Deine alten Waffenbrüder ihr Antlitz bergen, wenn Bois-Guilbert, die beste Lanze des Tempels, als abgefallen erklärt würde? Welche Trauer am Hofe von Frankreich? Welche Freude würde der stolze Richard haben, dessen Ruhm Du in Palästina beinahe verdunkeltest?«

»Malvoisin,« sagte der Ritter, »ich danke Dir! Du hast eine Seite berührt, die schnell bei mir anspricht. Es komme, was da wolle, abtrünnig soll man mich nimmer heißen. Möchte doch Richard oder einer seiner gepriesenen Lieblinge in den Schranken erscheinen! Aber sie werden wohl leer bleiben; niemand wird es wagen, eine Lanze für die Unschuldige, die Verlorne zu brechen!«

»Desto besser für Dich; dann stirbt das Mädchen nicht durch Dich, und alle Schande fällt auf den Großmeister, der diese Schande ja für ein großes Lob hält.«

»Wohlan denn, ich kehre zu meinem ersten Entschlusse zurück. Sie hat mich verachtet, zurückgestoßen, erniedrigt. Malvoisin, ich erscheine in den Schranken!«

Er verließ eiligst das Zimmer nach diesen Worten, und der Präceptor folgte ihm, um ihn in seinem Entschlusse zu bestärken.

40. Kapitel

[424] Kapitel XL.

Ihr Schatten fort! – Richard ist wieder Richard.


Richard der Dritte.


Als der schwarze Ritter den Gerichtsbaum des edelmüthigen Geächteten verlassen hatte, nahm er seine Richtung geraden Weges zu einem benachbarten Kloster, die Abtei von Sanct Botolph genannt, wohin der verwundete Ivanhoe nach der Erstürmung des Schlosses unter Leitung des treuen Gurth und des großmüthigen Wamba gebracht worden war.

Es ist jetzt nicht nöthig, zu erwähnen, was unterdeß zwischen Wilfred und seinem Befreier vorging; genug, nach einer langen und ernsten Unterredung wurden von dem Abte nach allen Richtungen Boten ausgesandt, und der schwarze Ritter schickte sich an, den folgenden Morgen weiter zu reisen, und zwar in Begleitung von Wamba, der ihm als Führer dienen sollte.

»Wir treffen uns wieder zu Coningsburgh,« sagte er zu Ivanhoe, »denn Dein Vater Cedric hält daselbst das Leichenfest für seinen edlen Anverwandten. Ich möchte gern eure sächsischen Verwandten zusammensehen, Wilfred, und besser mit ihnen bekannt werden, als ichs bisher geworden bin. Du triffst mich also dort, und es soll meine Sorge sein, Dich mit Deinem Vater zu versöhnen.«

Mit diesen Worten nahm er von Ivanhoe zärtlich Abschied, und dieser bezeugte sein Verlangen, seinen Befreier sogleich begleiten zu dürfen. Allein der schwarze Ritter hatte für diesen Wunsch keine Ohren.

[425] »Bleib heute immer hier; Du wirst kaum Kraft genug haben, den nächsten Tag zu reisen. Ich nehme niemand als den ehrlichen Wamba mit, der kann den Priester und Narren spielen, wie ichs eben wünsche.«

»Und ich,« sagte Wamba, »begleite Euch von Herzen gern. Ich möchte um alles Athelstanes Leichenfest beiwohnen, denn ist das nicht recht reichlich ausgestattet und besucht, so steht er von den Todten auf, und prügelt den Koch, den Tafeldecker und den Mundschenken, und das ließe sich schon mit ansehen. Ueberdies, Herr Ritter, vertraue ich auch Eurer Tapferkeit, daß sie mich bei Cedric, meinem Herrn, entschuldigen wird, im Fall mein eigner Witz es nicht vermöchte.«

»Und warum sollte denn meiner geringen Tapferkeit etwas gelingen, Herr Lustigmacher, was Deinem glänzenden Witze unmöglich wäre?«

»Witz, Herr Ritter,« versetzte der Lustigmacher, »ist ein gewandter aufmerksamer Bursche, der seines Nächsten schwache Seite ausfindet und ihm unter den Wind zu kommen weiß, wenn seine Leidenschaften gerade hoch gehen. Tapferkeit aber ist ein kecker Patron, der alles zersplittert; er steuert gegen Wind und Wellen und macht sich trotzdem Bahn. Deswegen, Herr Ritter, nehme ich den Vortheil des schönen Wetters in unsers edlen Herrn Gemüthe wahr, und ich erwarte von Euch, daß Ihr ihn bearbeiten werdet, wenns etwas stürmisch zu werden anfängt.«

»Herr Ritter vom Fesselschloß, denn so wollt Ihr ja nur genannt sein,« sagte Ivanhoe, »ich fürchte, Ihr habt Euch einen schwatzhaften und unbequemen Narren zum Führer gewählt. Allein er kennt jeden Weg und Steg in diesen Wäldern so gut als der Jäger, und ist dabei treu wie Stahl.«

»Nun,« sagte der Ritter, »wenn er mir nur den Weg ordentlich zeigt, so nehme ichs ihm nicht übel, wenn er mir ihn auch angenehm zu machen wünscht. Leb wohl denn, lieber Wilfred, unternimm ja die Reise nicht eher, als bis morgen früh, das befehle ich Dir.« Mit diesen Worten reichte er Ivanhoe die Hand, welche dieser an seine Lippen preßte, nahm Abschied von dem Abte, bestieg sein Pferd und zog mit Wamba von dannen. Ivanhoe folgte ihm mit den Augen, bis er sich in dem Schatten des ihn umgebenden Waldes verlor, und kehrte dann ins Kloster zurück.

[426] Allein kurz nach der Morgenandacht verlangte er den Prior zu sprechen. Der alte Mann erschien eiligst und erkundigte sich nach seinem Befinden.

»Es steht besser damit,« sagte er, »als es meine kühnste Hoffnung wünschen könnte. Entweder meine Wunde ist nicht so bedeutend gewesen, als mich der Blutverlust ahnen ließ, oder dieser Balsam hat Wunder gewirkt. Ich fühle mich schon so wohl, daß ich glaube meine Rüstung tragen zu können. Und das ist recht gut, denn es steigen Gedanken in meiner Seele auf, welche mir nicht gestatten, hier länger unthätig zu bleiben.«

»Nein,« sagte der Prior, »verhüten es die Heiligen, daß der Sohn Cedrics, des Sachsen, unser Kloster eher verlassen sollte, als bis seine Wunden völlig geheilt sind. Es wäre ja eine Schande für unsern Stand, wenn wir es zuließen.«

»Ich würde auch Euer gastfreundliches Dach nicht verlassen, ehrwürdiger Vater,« sagte Ivanhoe, »fühlte ich mich nicht stark genug, die Reise auszuhalten, und gedrungen, sie zu unternehmen.«

»Und was kann Euch denn zu einem so plötzlichen Aufbruche bestimmen?«

»Habt Ihr nie, heiliger Vater,« versetzte der Ritter, »eine Ahnung drohenden Unglücks empfunden, für die Ihr umsonst eine Ursache aufgesucht habt? Habt Ihr Euer Gemüth nie verdüstert gefunden, wie eine sonnenhelle Gegend durch einen plötzlichen Wolkenschatten, der einen kommenden Sturm ankündigt, verdüstert wird? Und glaubt Ihr nicht, daß solche Anlässe unsere Aufmerksamkeit verdienen, gleichsam als Winke unseres Schutzgeistes, daß Gefahr drohe?«

»Ich will nicht leugnen,« sagte der Abt, sich bekreuzigend, »daß dies geschehen sein kann, und zwar durch des Himmels Veranlassung, allein dann hatten solche Mahnungen einen sichtbar nützlichen Zweck. Aber Du, der Du verwundet bist, was kannst Du dem nützen, den Du nicht unterstützen kannst, wenn er angefallen wird?«

»Du mißverstehst mich, Abt,« sagte Ivanhoe, »ich bin stark genug, mit jedem, der mich herausfordert, Streiche zu wechseln. Aber wenn dem auch nicht so wäre, könnte ich ihm denn in Gefahren nicht auf andere Art beistehen als durch die Kraft meines Armes? Es ist nur zu bekannt, daß die Sachsen die Normänner [427] nicht lieben, und wer weiß, was der Erfolg sein mag, wenn er uneins mit ihnen wird, da ihre Herzen noch durch Athelstanes Tod aufgeregt und ihre Köpfe erhitzt sind durch das Zechgelage, dem sie sich überlassen. Ich halte seinen Eintritt bei ihnen in diesem Augenblicke für höchst gefährlich, und ich bin entschlossen, die Gefahren zu theilen oder abzuwenden. Ich würde Dich daher auch um einen Zelter bitten, der leichter geht als mein Schlachtroß.«

»Du sollst meinen eignen Paßgänger haben,« versetzte der Geistliche, »Du kannst kein sanfteres, angenehmer gehendes Thier finden als meine Malkie, denn so nenne ich sie; ich habe schon manche Predigt von ihrem Rücken herab gehalten zur Erbauung meiner Klosterbrüder und vieler Christenseelen.«

»Nun denn, ehrwürdiger Vater, so laß mir die Malkie sogleich satteln, und sage Gurth, daß er mir mit meinen Waffen folgen soll.«

»Aber, bester Herr, ich bitte zu bedenken, daß Malkie in dem Waffentragen ebenso wenig erfahren ist als ihr Herr, und will nicht dafür stehen, daß sie den Anblick oder das Gewicht Eurer vollen Rüstung aushalten wird. O, Malkie ist ein verständig, kluges Thier, es sträubt sich gegen eine unpassende Last; ich borgte mir neulich den Fructus temporum von dem Priester von Sanct Bees, und ich sage Euch, ich konnte das Thier nicht aus dem Thore bringen, bis ich das dicke Buch wieder mit meinem kleinen Brevier vertauscht hatte.«

»Seid ruhig, heiliger Vater, ich werde ihr nicht zu viel Gewicht aufnöthigen, aber wenn sie mit mir anbinden möchte, so zieht sie gewiß den kürzern.«

Diese Erwiderung erfolgte, als Gurth eben dem Ritter ein paar große goldene Sporen anschnallte, welche jedes widerspenstige Roß lehren konnten, daß es am besten thue, sich seines Reiters Willen geduldig zu unterwerfen.

Ivanhoe stieg die Treppe schneller hinab, als er selbst erwartete, und schwang sich auf den Klepper; er befahl Gurth, seinem Knappen, wie dieser sich selbst nannte, dicht neben ihm zu bleiben, und so folgte er der Spur des schwarzen Ritters in den Wald.

Der schwarze Ritter vom Fesselschloß zog inzwischen mit Wamba fröhlich weiter.

Man denke sich den Ritter, wie wir ihn schon beschrieben [428] haben, groß, stark und breitschulterig, sitzend auf seinem mächtigen, schwarzen Rosse, das so recht für seine Größe und Last gemacht zu sein schien, so daß es ohne alle Mühe unter ihm fortschritt; er hatte das Visir des Helmes aufgeschlagen, um frei Athem zu schöpfen, bloß der untere Theil war geschlossen, so daß man sein Gesicht nur zum Theil erkennen konnte. Indessen waren seine gebräunten Wangen und die großen blauen Augen deutlich genug zu sehen, welche unter dem dunkeln Schatten des erhobenen Visirs in ungewöhnlicher Kühnheit flammten; der Blick und die ganze Haltung des Ritters drückten sorglose Heiterkeit und furchtloses Vertrauen einer Seele aus, welche die Gefahr nicht fürchtete, und sie, wenn sie sich nahte, muthig bekämpfte.

Der Narr trug seine gewöhnliche phantastische Kleidung, allein die letzten Vorfälle hatten ihn doch bestimmt, sich einen guten krummen Säbel, statt des hölzernen, nebst einem ordentlichen Schilde anzuschaffen. Von beiden Waffen hatte er, seiner Profession ungeachtet, während der Erstürmung von Torquilstone einen recht guten Gebrauch zu machen gewußt. Wambas Geistesschwäche bestand eigentlich nur in einer Art ungeduldiger Reizbarkeit, die ihn nicht lange in einer Stellung bleiben oder einen gewissen, festen Gedankengang verfolgen ließ, obgleich er einige Minuten aufmerksam genug war, um ein augenblickliches Geschäft auszuführen oder ein Gespräch rasch aufzufassen. Beim Reiten schwang er sich daher immerwährend von vorn nach hinten und umgekehrt, und beunruhigte sein Pferd dergestalt, daß es ihn endlich ins Gras warf, ein Vorfall, der den Ritter sehr belustigte und den Abgeworfenen nöthigte, künftig ruhiger zu sitzen.

Beim Beginn der Reise finden wir das lustige Paar, ein Virelai oder Ringellied, wie man es nannte, singend, worin es freilich der Narr dem geübteren Ritter vom Fesselschloß nicht gleichthun konnte.


Lieb Anna-Marie, der Morgen graut.

Lieb Anna-Marie, die Sonne schaut

Durchs Fensterlein – und die Lerche schwingt

Zum Himmel sich, der den Tag uns bringt.

Lieb Anna-Marie, wach auf vom Schlaf,

Schon stößt ins Horn der Jäger brav,

Und widerhallts vom Fels, vom Baum:

Lieb Anna-Marie, wach auf vom Traum.


[429] Wamba.

O Tybalt mein, o weck mich nicht,

Mein Bett umschwebt ein Traumgesicht.

Wen solch Gesicht erfreuen mag,

Den freut nicht mehr der lichte Tag.

Laß die Lerche singen, die Hirten schalmeien,

Des Jägers Horn laß schmettern drein,

Mich freut der Schlummer, mich freut die Nacht,

Ich habe, mein Tybalt, Dein gedacht.


»Ein feines Liedlein, und, bei meiner Schellenkappe, sehr moralisch,« sagte Wamba. »Wir kriegten einmal eine Tracht Prügel dafür, Gurth und ich, als wir bei einander im Bett lagen und es zwischen Wachen und Träumen sangen, ohne zu merken, daß die Sonne schon seit zwei Stunden aufgegangen war. Aber Euch zu Liebe habe ich die Rolle der Anna-Marie übernommen.«


Drei lustge Leute von Süd, West und Nord –

Nun fallt mir frisch in den Rundgesang ein!

Die frein um die Wittwe mit minnendem Wort,

Und wo wäre das Weib, das gesagt hätte: Nein!


Der erste ein Ritter vom Tynedale her,

Nun fallet mir hübsch in den Rundgesang ein,

Mit mächtigen Ahnen, gewaltig und hehr!

Und wo wäre das Weib, das gesagt hätte: Nein!


Von dem Vater dem Lord und dem Oheim Baron –

Fiel er selber gar frisch in den Rundgesang ein –

Sie sagte, Herr Ritter, wir kennen Euch schon,

Denn sie war das Weib, die gesagt hat: Nein –


Der Zweite der kam, schwor bei Nägeln und Blut,

Nun fallet mir frisch in den Rundgesang ein,

Und war von Wales ein Edelmann gut,

Und wo wäre das Weib, das gesagt hätte: Nein!


Herr David von Morgan von Griffith von Hugh –

Die fügte er frisch in den Rundgesang ein –

Doch sagte die Wittwe nicht viel dazu –

Sie sagte ihm: Packt Euch, Herr Ritter fein!


Der Dritte ein Freisaß, ein Freisaß von Kent,

Der fiel gar frisch in den Rundgesang ein,

Er sprach von der Herde, dem Acker behend

Und wo wäre das Weib, die gesagt hätte: Nein!


Und die beiden Ritter sie zogen ab

Und fielen betrübt in den Rundgesang ein,

Dem freien Kentner die Hand sie gab,

Kein braves Weib sagt einem Freisassen: Nein!


[430] »Ich möchte,« sagte der Ritter, »daß unser Wirth vom Gerichtsbaum oder der lustige Bruder, sein Kaplan, diesen Sang zum Lobe des biderben Freisassen gehört hätte.«

»Das wünschte ich nun eben nicht,« sagte Wamba, »wohl aber das Horn, das hier an Eurem Gürtel hängt.«

»Ei,« versetzte jener, »das ist ein Pfand vom guten Locksley, obgleich ich es wahrscheinlich nicht nöthig habe. Drei Töne auf diesem Horn geblasen, bringen, wenn wirs bedürfen, eine ganz artige Bande von den guten Wolfshäuptern um uns zusammen.«

»Ich möchte sagen, davor bewahre uns der Himmel,« versetzte der Narr, »doch des kameradschaftlichen Pfandes wegen könnten sie uns wohl friedlich ziehen lassen.«

»Wie? Was meinst Du?« sagte der Ritter; »glaubst Du, sie würden uns sonst anfallen?«

»Ich sage gar nichts,« versetzte Wamba, »denn die grünen Bäume haben Ohren wie die steinernen Wände. Aber kannst Du mir das erklären, Ritter, wann ist Deine Weinflasche und Dein Beutel besser, leer oder voll?«

»Niemals, denk ich,« versetzte der Ritter.

»Wegen einer so einfältigen Antwort solltest Du eigentlich nie einen vollen in Händen haben. Besser ists, Deine Flasche ist leer, ehe Du sie einem Sachsen gibst, und besser liegt Dein Geld zu Hause, als daß Du es bei Dir hast im grünen Walde.«

»Hältst Du denn unsere Freunde für Räuber?« fragte der Ritter vom Fesselschloß.

»Das habt Ihr mich doch nicht sagen hören, bester Herr; es kann aber wohl dem Pferde des Reiters Erleichterung verschaffen, wenn der Mantelsack ihm abgenommen wird, vorzüglich wenn es einen langen Weg zu machen hat; und der Seele des Mannes mag es auch frommen, wenn sie von dem befreit wird, was doch die Wurzel alles Uebels ist. Ich mag daher denen, die solchen Dienst leisten, keinen harten Namen geben. Ich wünsche bloß meinen Mantelsack zu Hause und meinen Beutel im Zimmer, sobald ich mit den guten Leuten zusammentreffe; es erspart ihnen doch immer einige Mühe.«

»Wir sind verpflichtet, für sie zu beten, mein Freund, trotz des hübschen Charakters, den Du ihnen beilegst.«

[431] »Beten für sie von ganzem Herzen,« sagte Wamba, »aber nur in der Stadt, nicht im Walde, sowie etwa der Abt von Sanct Bees, der ihnen in einem alten hohlen Eichbaume Messe lesen mußte.«

»Sag, was Du willst, Wamba,« sagte der Ritter, »diese Landsassen leisteten Deinem Herrn, dem Cedric, recht brave Dienste zu Torquilstone.«

»Ja, das war aber, weil sie mit dem Himmel schacherten.«

»Schacherten? Wie meinst Du das, Wamba?«

»Nun, sie rechneten ordentlich mit dem Himmel ab, ungefähr wie's der Jude Isaak mit seinen Schuldnern hält; er streckt ihnen wenig vor, und läßt sie reichliche Zinsen dafür geben.«

»Das verstehe ich nicht,« versetzte der Ritter, »Du mußt Dich deutlicher erklären.«

»Wenn denn Eure Tapferkeit so gar einfältig ist, so hört: diese edlen guten Leute wiegen ein gute That immer mit einer auf, die gerade nicht so löblich ist; sie geben z.B. einem Bettler eine Krone und nehmen einem feisten Abte dafür hundert Byzantiner; sie küssen eine hübsche Dirne im Walde ab, und lassen eine arme alte Wittwe dafür in Ruhe.«

»Welches war denn die gute That, welches die schlechte?« unterbrach ihn der Ritter.

»Gut gefragt! Sehr gut gefragt!« sagte Wamba, »witzige Gesellschaft macht klug. Ich wette, Ihr habt nichts so Gutes gesagt, als Ihr beim Trinken Eure Vesper mit dem kühnen Einsiedler hieltet. Laßt nur gut sein; die drolligen Waldleute lassen Euch eine Hütte aufbauen, und brennen dafür ein Schloß nieder; sie setzen einen armen Gefangenen in Freiheit und ermorden einen stolzen Sheriff, oder um der Sache näher zu kommen, sie befreien einen sächsischen Freisassen, und verbrennen einen normännischen Baron bei lebendigem Leibe. Mit einem Worte, es sind recht artige Spitzbuben und recht höfliche Räuber; doch ist es immer das Beste, mit ihnen zusammenzutreffen, wenn sie eben schlecht in ihrer Rechnung stehen.«

»Wie so denn, Wamba?« sagte der Ritter.

»Nun, dann müssen sie sie mit dem Himmel wieder gut machen. Steht aber ihre Rechnung gerade gleich, dann wehe dem, mit dem [432] sie zunächst anfangen. Die Reisenden, die sie zuerst nach ihren guten Diensten zu Torquilstone trafen, mögen ein gutes Loos gezogen haben. Und doch,« sagte Wamba, indem er sich dicht an des Ritters Seite drängte, »doch gibt es Gesellen, die für die Reisenden noch gefährlicher sind als jene Geächteten.«

»Wer sind denn diese? Bären und Wölfe habt ihr doch nicht, denk ich?«

»Nein, dafür aber Malvoisins Panzerreiter; ich sage Euch, in den Zeiten bürgerlicher Kriege ist ein halbes Schock von ihnen so viel werth als ein Trupp Wölfe. Sie erwarten jetzt ihre Ernte, und sind verstärkt worden durch die aus Torquilstone entkommenen Soldaten. Treffen wir auf eine Bande solcher Gesellen, so müssen wir wahrscheinlich unsere Waffenthaten bezahlen. Was würdet Ihr thun, Herr Ritter, wenn Ihr nur zwei von ihnen träft?«

»Die Schurken mit meiner Lanze an den Boden spießen, sobald sie uns ein Hinderniß in den Weg legen wollten.«

»Wenn es nun aber viere wären?«

»Dasselbe.«

»Und wenn es sechs wären?« fuhr Wamba fort, »und wir wie jetzt nur unserer zwei, würdet Ihr dann nicht an Locksleys Horn denken?«

»Was?« rief der Ritter, »um Hilfe rufen gegen einen Trupp solches Gesindel, den ein guter Ritter vor sich hertreiben sollte, wie der Wind das abgefallene Laub?«

»Nun,« sagte Wamba, »so laßt mich doch Euer Horn, das so einen gewaltigen Ton hat, etwas genauer betrachten.«

Der Ritter nahm das Horn von dem Gehänge, und befriedigte den Wunsch seines Gefährten, der es sich sogleich um den eigenen Nacken hing.

»Tra-lira-la,« sagte er, und brummte die Noten, »ich kanns schon so gut als ein anderer.«

»Wie denn? Bursche,« versetzte der Ritter, »gib das Horn zurück.«

»Es ist bei mir in recht guter Verwahrung, Herr Ritter. Wenn Tapferkeit und Narrheit zusammen reisen, so muß die Narrheit das Horn tragen, denn sie kann am besten blasen.«

»Bube!« sagte der schwarze Ritter, »spaße nicht mit meiner Geduld. Du überschreitest Deine Rechte.«

[433] »Drängt mich nicht mit Gewalt, Herr Ritter,« sagte der Narr, indem er sich in einige Entfernung von dem ungeduldigen Kriegsmann stellte, – »oder die Narrheit wird Euch ein paar nette Fersen zeigen, und es der Tapferkeit überlassen, ihren Weg allein, so gut es gehen will, durch den Wald zu finden.«

»Ich habe jetzt nicht Zeit mit Dir zu scherzen,« sagte der Ritter, »behalte das Horn und laß uns weiter ziehen.«

»Ihr thut mir also wirklich nichts?« fragte Wamba.

»Nein, gewiß nicht.«

»Und gebt Ihr mir Euer Ritterwort darauf?« fuhr Wamba fort und näherte sich mit vieler Vorsicht.

»Mein Ritterwort! Komm nur näher, närrischer Kerl!«

»Nun, so sind denn Tapferkeit und Narrheit abermals gute Gefährten,« sagte der Narr, und ritt frei dem Ritter zur Seite. »Aber in Wahrheit, ich liebe solche Püffe nicht, wie Ihr sie dem wunderlichen Bruder gabt, als seine Heiligkeit wie eine Haselnuß auf den Boden hinrollte. Und nun, da die Narrheit das Horn führt, laßt die Tapferkeit sich erheben und ihre Mähne schütteln. Denn, wenn ich mich nicht irre, so stecken dort in dem Dickicht einige Gesellen, welche uns aufzupassen scheinen.«

»Woraus schließest Du das?« fragte der Ritter.

»Ich habe sie ein paar Mal etwas wie eine Sturmhaube aus dem grünen Laube hervorschimmern sehen. Wären es ganz ehrliche Leute, so hätten sie den gewöhnlichen Weg inne gehalten; jenes Dickicht aber ist eine ausgesuchte Kapelle für die Jünger des heiligen Nikolaus.«

Der Ritter schloß sein Visir. »Ich glaube, Du hast Recht.«

In dem Augenblick flogen auch drei Pfeile aus dem verdächtigen Orte gegen sein Haupt und seine Brust; der eine hätte ihm gewiß das Gehirn durchbohrt, wäre er nicht durch das starke stählerne Visir aufgehalten worden, der andere prallte an dem Brustharnisch ab.

»Dank, wackerer Panzerschmied!« sagte der Ritter. »Wamba, laß uns ihnen zu Leibe gehen!« Und kühn sprengte er in das Dickicht hinein. Sogleich jagten sechs bis sieben Mann mit ihren Lanzen in vollem Galopp auf ihn los. Drei trafen ihn, allein die Waffen zersplitterten an seinem Harnische wie an einem Thurme von Stahl. Die Augen des schwarzen Ritters schienen Flammen [434] zu sprühen, selbst durch die Oeffnung des Visirs. Er erhob sich in den Bügeln mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke von Würde und rief: »Was soll denn das bedeuten, meine Herren?« – Es wurde ihm aber keine andere Antwort, als daß die Männer die Schwerter zogen und ihn auf allen Seiten angriffen, mit dem Rufe: »Stirb, Tyrann!«

»Ha! heiliger Eduard und heiliger Georg!« sagte der schwarze Ritter, indem er bei jedem Rufe einen Mann zu Boden streckte, »haben wir Verräther hier?«

So verzweifelt auch die Angreifenden waren, so wichen sie doch vor einem Arm zurück, der mit jedem Streiche den Tod gab, und es schien, als wenn der Schrecken dieses einzelnen Armes gegen alle die Buben das Feld behaupten würde, als ein Ritter in blauer Rüstung, der sich bisher hinter den Angreifenden versteckt gehalten hatte, mit der Lanze vorwärts rannte, und nicht auf den Reiter, sondern auf das Roß zielend, das edle Thier tödtlich verwundete.

»Das war ein Bubenstreich!« rief der Ritter, als sein Roß zu Boden sank und den Reiter mit sich riß.

In diesem Augenblicke stieß Wamba ins Horn; denn alles war so schnell vor sich gegangen, daß er es nicht früher hatte thun können. Der plötzlich erschallende Ton machte, daß die Mörder noch mehr zurückwichen, und Wamba, obgleich unvollkommen bewaffnet, nahm keinen Anstand, dem schwarzen Ritter schnell zu Hilfe zu eilen.

»Schande über euch, Feiglinge!« rief der Ritter, der die Angreifenden anzuführen schien, »flieht ihr schon bei dem leeren Schalle eines Hornes, das ein Narr bläst?«

Aufgeregt durch diese Worte, griffen sie den schwarzen Ritter von neuem an, der sich nun mit dem Rücken gegen eine Eiche stellte und mit seinem Schwerte vertheidigte. Der schurkische Ritter, der eine andere Lanze ergriffen hatte, wartete auf den Augenblick, wo sein furchtbarer Gegner am heftigsten gedrängt sein würde, und sprengte dann gegen ihn in der Hoffnung, ihn an den Baum zu nageln; allein Wamba vereitelte diese Absicht. Der Narr, welcher den Mangel an Kraft durch Beweglichkeit zu ersetzen suchte, und auf den die Gewappneten, mit dem wichtigeren Gegenstande beschäftigt, nicht sehr achteten, nahm zwar nur mäßig am Gefechte [435] theil, allein jetzt machte er doch den Anlauf des blauen Ritters zunichte, indem er dem Pferde desselben durch einen Hieb seines krummen Säbels die Kniebänder zerschnitt. Roß und Reiter stürzten zu Boden; indeß blieb die Lage des Ritters vom Fesselschloß immer noch sehr bedenklich, da er, hart gedrängt von mehreren vollkommen Bewaffneten, infolge der außerordentlichen Anstrengung zu ermüden anfing. Da streckte auf einmal ein Pfeil den Furchtbarsten der Feinde zu Boden, und aus dem Walde brach ein Trupp von Waldleuten hervor, an ihrer Spitze Locksley mit dem jovialen Mönche, die nun bald mit den Angreifenden fertig wurden. Der schwarze Ritter dankte seinen Befreiern mit einer Würde, die man an seinem früheren Benehmen gar nicht bemerkt hatte, da er sich immer nur als ein kühner Krieger, und nicht als Mann von hohem Stande gezeigt hatte.

»Es liegt mir viel daran,« sagte er, »selbst ehe ich meine volle Dankbarkeit meinen treuen Freunden ausdrücke, zu entdecken, wer denn eigentlich meine durch nichts von mir gereizten Feinde sind. Oeffne das Visir des blauen Ritters, Wamba, denn er scheint der Anführer dieser Elenden zu sein.«

Der Narr machte sich sogleich an den Anführer der Meuchelmörder, der verletzt unter seinem verwundeten Pferde lag und nicht im Stande war, zu fliehen oder Widerstand zu leisten.

»Nun, tapferer Herr!« sagte Wamba, »ich muß schon Euer Wappner sein, sowie Euer Stallmeister, ich habe Euch vom Pferde geholfen, nun will ich Euch auch enthelmen.«

Mit diesen Worten löste er auf eine nicht eben sanfte Art dem blauen Ritter den Helm. Der Ritter vom Fesselschloß aber entdeckte nun ein Gesicht, welches er unter solchen Umständen nicht zu erblicken erwartet hatte.

»Waldemar Fitzurse!« rief er voll Erstaunen, »was konnte einen Mann von Deinem Stande zu einem so nichtswürdigen Unternehmen veranlassen?«

»Richard,« versetzte der gefangene Ritter, zu ihm aufblickend, »Du kennst die Menschen wenig, wenn Du nicht weißt, wozu Ehrsucht und Rache jedes Adamskind zu verleiten vermögen.«

»Rache?« antwortete der schwarze Ritter, »ich that Dir ja kein Unrecht. An mir hast Du doch nichts zu rächen.«

[436] »Meine Tochter, Richard, deren Hand Du verschmäht hast. War das nicht eine Beleidigung für einen Normannen, dessen Blut so edel ist als Dein eigenes?«

»Deine Tochter! Wenn alle Väter mich umbringen wollten, deren Töchter ich nicht heirathe!« versetzte der schwarze Ritter. »Eine schöne Ursache zur Feindschaft! Tretet zurück, ihr Herren, ich muß mit ihm allein sprechen! – Nun, Waldemar Fitzurse, sei aufrichtig, bekenne, wer verleitete Dich zu dieser hinterlistigen That?«

»Deines Vaters Sohn,« antwortete Waldemar, »der dadurch Deinen eignen Ungehorsam gegen Euren Vater rächen wollte.«

Richards Augen glühten vor Unwillen, allein seine bessere Natur siegte. Er drückte die Hand gegen die Stirn und schaute einen Augenblick dem gedemüthigten Baron ins Gesicht, wo Stolz mit Scham kämpfte.

»Du bittest nicht um Dein Leben, Waldemar?« sagte der König.

»Wer in des Löwen Klauen ist, weiß, daß er dies fruchtlos thut.«

»So nimm es denn ungebeten,« sagte Richard, »der Löwe nährt sich nicht von vorgeworfenen Leichnamen! Nimm Dein Leben, doch mit der Bedingung, daß Du in drei Tagen England verlässest, und Deine Schande auf Deinem Schlosse in der Normandie verbirgst, auch nie den Namen Johanns von Anjou als mit Deiner schändlichen That verbunden erwähnst. Wirst Du nach dieser Zeit noch auf englischem Boden gefunden, so stirbst Du. Oder äußerst Du das Geringste gegen die Ehre meines Hauses, beim heiligen Georg! so ist der Altar selbst kein Schutz für Dich. Ich lasse Dich auf den Zinnen Deines eigenen Schlosses den Raben zur Speise aufhängen! – Gebt dem Ritter hier ein Pferd, Locksley, denn ich sehe, Eure Leute haben die ledig laufenden eingefangen.«

»Ei,« versetzte Locksley, »ich möchte gern dem Elenden einen eisernen Boten nachsenden, der ihm die lange Reise für immer ersparte.«

»Du trägst ein englisch Herz im Busen, Locksley,« sagte der schwarze Ritter, »und damit Du weißt, wessen Befehlen Du gehorchst, wenn Du mir gehorchst, so sage ich Dir: Ich bin Richard von England!«

[437] Bei diesen Worten, welche Löwenherz mit einem Tone aussprach, der seinem hohen Range und erhabenen Charakter angemessen war, knieeten die Waldleute alle mit einem Male vor ihm nieder, flehten um Vergebung ihres Unrechts und boten ihm ihre Freundschaft und ihren Bund an.

»Steht auf, meine Freunde,« sagte Richard in sanftem Tone, indem er sie mit einem Blicke ansah, worin seine gewöhnliche Milde schon wieder an die Stelle des Zorns getreten war, »steht auf, meine Freunde,« sagte er, »euer Unrecht ist gesühnt worden durch die treuen Dienste, die ihr meinen unglücklichen Unterthanen vor den Mauern von Torquilstone geleistet habt, und dadurch, daß ihr heute euren Monarchen befreitet. Steht auf, meine Lehnsleute, und seid in Zukunft gute Unterthanen! Und Du, tapferer Locksley –«

»Nennt mich nicht länger so, mein Lehnsherr, sondern lernt mich unter dem Namen kennen, den der Ruf, wie ich fürchte, nur zu weit verbreitet hat, als daß er nicht auch Euer königliches Ohr erreicht haben sollte. Ich bin Robin Hood von Sherwood.«

»König der Geächteten und Fürst guter Gesellen!« sagte der Monarch. »Wer hätte nicht einen Namen gehört, der selbst nach Palästina gedrungen? Aber sei versichert, braves Wolfshaupt, keiner in unserer Abwesenheit und in den unruhigen Zeiten von Dir verübten That soll zu Deinem Nachtheil gedacht werden.«

»Das Sprichwort hat doch Recht,« sagte Wamba:


»Gut Spiel hat die Maus,

Ist die Katz außerm Haus!«


»Bist denn Du auch da, Wamba?« fragte Richard, »ich habe Deine Stimme ja recht lange nicht gehört; ich dachte, Du hättest die Flucht ergriffen!«

»Ich die Flucht? Wann fandet Ihr je die Narrheit von der Tapferkeit getrennt? Dort liegt die Trophäe meines Schwertes, der gute Schimmel, den ich von Herzen wieder auf den Beinen wünschte, wenn ich seinen Herrn an seine Stelle legen könnte. Freilich zog ich mich anfangs ein wenig zurück, denn bekanntlich hält ein Narrenwamms die Lanzenspitze nicht so gut auf wie doppelter Stahl. Und wenn ich auch nicht mit der Schärfe des Schwertes focht, so müßt Ihr doch sagen, daß ich tapfer geblasen habe.«

[438] »Ja, ja, ehrlicher Wamba,« versetzte der König, »und Dein Dienst soll Dir nicht vergessen werden.«

»Confiteor, Confiteor!« rief in einem demüthigen Tone eine Stimme dicht an des Königs Seite; »mein Latein geht nicht weiter, aber ich bekenne meine Verrätherei, und bitte nur um Absolution, ehe ich zur Hinrichtung geführt werde.«

Richard schaute sich um und erblickte den jovialen Mönch zu seinen Füßen, den Rosenkranz drehend, indeß sein Kampfstock, der während des Gefechts nicht müßig gewesen war, neben ihm auf dem Boden lag; seine Haltung zeugte von der größten Zerknirschung, die Augen waren aufwärts gekehrt, indeß die Mundwinkel herabhingen, gleich den Quasten an der Oeffnung eines Beutels, wie Wamba sagte. Allein diese Affektation einer grenzenlosen Reue wurde auf drollige Art verhöhnt durch einen Zug von Spott, der sich in dem rothen Gesichte ausdrückte und Furcht und Reue als erheuchelt darstellte.

»Warum bist Du denn so niedergeschlagen, toller Priester?« sagte Richard, »fürchtest Du, Dein Diöcesan möchte erfahren, wie treu Du unserer lieben Frau und dem heiligen Dunstan dienst? Sei ruhig! Richard von England verräth kein Geheimniß, das ihm bei der Flasche anvertraut ward.«

»Ach! mein gnädigster Monarch,« versetzte der Eremit, »es ist nicht der Bischofsstab, den ich fürchte, sondern das Scepter! Ach, daß meine entweihende Faust das Ohr des Gesalbten des Herrn berühren mußte!«

»Aha!« sagte Richard, »kommt der Wind daher? Den Schlag hatte ich wahrlich vergessen, obgleich mir das Ohr den ganzen Tag brummte. Doch ich denke, der tüchtige Puff wurde auch tüchtig von mir erwidert, oder meinst Du etwa, daß ich Dir noch etwas schuldig bin, so steht Dir gleich noch ein zweiter zu Diensten.«

»Nein, nein, es ist alles mit Wucher bezahlt,« versetzte Bruder Tuck; denn so nennt ihn die Sage von Robin Hood, »möge Eure Majestät alle Schulden so voll bezahlen.«

»Wenn ichs mit Schlägen könnte,« versetzte Richard, »dann sollten meine Gläubiger sich nicht über Zögerung zu beklagen haben.«

»Und doch,« sagte der Mönch, seine demüthige Stellung wieder [439] einnehmend, »ich weiß wahrlich nicht, wie ich den entweihenden Schlag je wieder gut machen soll.«

»Ein Schlag von so heiliger Hand,« versetzte der König, »ist doch besser, als einer von Ungläubigen; aber ich dächte, mein edler Bruder, es wäre besser für die Kirche und für Dich, wenn ich Dir die Erlaubniß auswirkte, die Kutte auszuziehen und Dich in meiner Leibwache behielte; dann dientest Du bloß unserer Person, wie Du sonst dem heiligen Dunstan gedient hast.«

»Herr,« erwiderte der Mönch, »ich bitte demüthigst um Verzeihung, und Ihr würdet mir sie sogleich gewähren, wenn Ihr wüßtet, wie sehr ich mit der Sünde der Faulheit behaftet bin. Der heilige Dunstan steht ruhig in seiner Nische, wenn ich gleich zuweilen mein Gebet über dem Schießen eines feisten Rehbocks vergesse; ich bin wohl auch manchmal des Nachts aus meiner Zelle abwesend, der heilige Dunstan wird nie verdrießlich darüber; er ist ein so ruhiger friedlicher Herr, als je einer aus Holz gemacht wurde; befinde ich mich aber um die Person meines Königs, so ist die Ehre freilich doppelt groß; aber wollte ich mich auf die Seite schleichen, um dort in einer Ecke eine Wittwe zu trösten, oder in einer andern ein Wildpret zu schießen, da würde es gleich heißen: ›Wo ist denn der Hund von Pfaffen? Hat niemand den Malefiz Tuck gesehen?‹ Nein, gnädigster Herr, ich bitte, laßt mich, wie Ihr mich gefunden! Wollt Ihr mir aber Euer Wohlwollen zu erkennen geben, als dem armen Geistlichen des heiligen Dunstan zu Copmanhurst, so wißt, eine kleine Schenkung wird er mit vielem Danke annehmen.«

»Ich verstehe Dich,« sagte der König, »der Diener des Heiligen soll in meinen Wäldern von Marecliffe eine Vergünstigung an Wild und Gehege erhalten. Merke wohl, drei Rehböcke in jeder Schießzeit sind Dir gestattet; allein wenn das nicht eine Entschuldigung wird für dreißig, so will ich kein christlicher Ritter, noch wahrer König sein!«

»Euer Gnaden können versichert sein,« sagte der Mönch, »daß ich mit Hilfe des heiligen Dunstan Mittel finden werde, Eure so höchst gütige Gabe zu vermehren.«

»Ich zweifle gar nicht daran, guter Bruder,« sagte der König, »und da das Wildpret eigentlich eine trockene Nahrung ist, so soll [440] unser Kellermeister Befehl erhalten, Dir jährlich einen Eimer Sekt, ein Fäßchen Malvasier und drei Tonnen Bier von der besten Sorte zuzustellen. Stillt Dir das den Durst nicht, so mußt Du nach Hofe kommen und mit meinem Kellermeister selbst Bekanntschaft machen.«

»Aber was denn für den heiligen Dunstan?« fragte der Mönch.

»Nun, eine Kappe, eine Stola und eine Altarbekleidung sollst Du auch haben,« sagte der König sich bekreuzend; »doch wir wollen unser Spiel nicht in Ernst verwandeln, damit uns Gott nicht dafür strafe, daß wir mehr an unsere Thorheiten, als an seine Ehre und an seinen Dienst gedacht haben.«

»Für meinen Patron will ich stehen,« sagte scherzend der Priester.

»Stehe nur für Dich selbst, Mönch,« versetzte Richard sehr ernst. Doch reichte er sogleich dem Eremiten seine Hand hin, welche dieser ein wenig beschämt, das Knie beugend, küßte. »Du erweisest ja meiner ausgestreckten Hand weniger Ehre als meiner geballten Faust,« sagte der Monarch, »denn vor jener knieest Du nur, und vor dieser warfst Du Dich ganz und gar zu Boden.«

Allein der Mönch, vielleicht fürchtend, durch Fortsetzung der Unterhaltung in einem zu lustigen Tone einen ungünstigen Eindruck hervorzubringen, verbeugte sich demüthigst und zog sich zurück.

Eben zu der Zeit erschienen zwei andere Personen auf dem Schauplatze.

41. Kapitel

[441] Kapitel XLI.

»Heil all den hohen Herren hier,

Die reich, doch nicht so froh wie wir!

Mein Waldrevier,

Das lob ich mir –

Kommt, freut euch in dem Walde hier!«


Macdonald.


Die Neuankommenden waren Wilfred von Ivanhoe, auf des Abts von Botolph Klepper, und Gurth, der ihm auf dem Schlachtroß des Ritters folgte. Ivanhoes Erstaunen läßt sich nicht beschreiben, als er seinen Herrn mit Blut besprengt sah, und sechs bis sieben Leichname um ihn her. Nicht weniger wunderte er sich, Richard von den Geächteten umgeben zu sehen, die doch für einen Fürsten eine gefährliche Gesellschaft zu sein schienen. Er wußte nicht, ob er den König als den schwarzen irrenden Ritter begrüßen, oder wie er sich sonst gegen ihn benehmen sollte. Richard bemerkte seine Verlegenheit.

»Fürchte nicht, Wilfred,« sagte er zu ihm, »Richard Plantagenet anzureden, weil Du ihn in Gesellschaft treuer englischer Herzen findest, die sich freilich durch ihr warmes englisches Blut einige Schritte vom rechten Wege haben wegführen lassen.«

»Sir Wilfred von Ivanhoe,« sagte der tapfere Landflüchtige, indem er vortrat, »meine Versicherungen vermögen die unseres Monarchen nicht zu verstärken. Doch laßt mich stolz hinzufügen, er hat keine treueren Unterthanen, als die, welche jetzt um ihn stehen.«

»Ich kann nicht daran zweifeln, tapferer Mann,« sagte Wilfred, »da Du darunter bist. Aber was bedeuten denn diese Zeichen von [442] Tod und Gefahr? Diese Erschlagenen? Das Blut auf der Rüstung meines Fürsten?«

»Verrath hat uns bedroht, Ivanhoe,« versetzte der König; »doch Dank diesen braven Männern hat der Verrath seinen Lohn gefunden. Aber wie mir scheint, bist auch Du ein Verräther,« sagte Richard lächelnd, »ein sehr ungehorsamer Verräther; denn es war ja unser ausdrücklicher Befehl, daß Du in St. Botolphs Abtei ruhig verweilen solltest, bis Deine Wunde ganz geheilt wäre.«

»Sie ist geheilt,« sagte Ivanhoe, »aber warum, edler Fürst, setzt Ihr die Herzen Eurer treuen Diener so in Angst und Sorge und bringt durch beschwerliche Reisen und kühne Abenteuer Euer Leben so in Gefahr, als ob es nicht mehr werth wäre als das jedes andern irrenden Ritters, der kein anderes Interesse auf Erden hat, als was sein Schwert und seine Lanze ihm erringen.«

»Richard Plantagenet,« sagte der König, »begehrt nicht mehr Ruhm, als seine gute Lanze und sein Schwert ihm erwerben mag; Richard Plantagenet ist stolzer auf das Bestehen eines Abenteuers bloß durch sein gutes Schwert und seinen Arm, als wenn er ein Heer von Hunderttausenden zur Schlacht führen könnte.«

»Aber Euer Reich, gnädigster Herr,« sagte Ivanhoe, »ist mit Auflösung und Bürgerkrieg bedroht, Euren Unterthanen stehen Schrecken aller Art bevor, wenn sie ihres Beherrschers in einer jener Gefahren beraubt werden sollten, denen Ihr Euch so gern aussetzet, und aus denen Ihr soeben mit Mühe entkommen seid.«

»Mein Reich und meine Unterthanen?« versetzte Richard ungeduldig, »ich sage Dir, Wilfred, die Besten von ihnen sind bereit, meine Thorheiten durch ähnliche gut zu machen. So z.B. mein getreuer Diener, Wilfred von Ivanhoe, gehorcht meinen ausdrücklichen Befehlen nicht, und hält doch seinem Könige eine Predigt, weil er nicht genau nach seiner Meinung handelt. Wer von uns beiden hat denn am meisten Ursache, den andern zu schelten? Doch vergib mir, treuer Wilfred; die Zeit, die ich im Verborgenen zugebracht habe und noch zubringen werde, ist, wie ich Dir schon zu St. Botolph erklärt habe, nothwendig, um meinen Freunden und treuen Edlen Zeit zu lassen, ihre Kräfte zu sammeln. Wenn Richards Rückkehr angekündigt wird, erblickt er sich an der Spitze einer[443] solchen Macht, daß die Feinde ihr nicht zu begegnen wagen, und so wird der beabsichtigte Verrath vereitelt, ohne daß man ein Schwert zu ziehen braucht. Estoteville und Bohun werden nicht stark genug sein, um binnen vierundzwanzig Stunden nach York vorzurücken. Auch muß ich Nachrichten aus dem Süden von Salisbury, von Beauchamp in Warwikshire, und von Multon und Percy im Norden haben. Der Kanzler muß sich Londons versichern. Ein zu schnelles Hervortreten würde mich Gefahren aussetzen, woraus mich meine Lanze und mein Schwert schwerlich retten würden, wenn mich auch der Bogen des kühnen Robin, der Kampfstock des Bruder Tuck, oder das Horn des klugen Wamba dabei noch so heldenmüthig unterstützten.«

Wilfred verbeugte sich unterwürfig, wohl wissend, wie vergeblich es sei, den wilden ritterlichen Geist zu bekämpfen, der seinen Herrn so oft in Gefahren trieb, die er leicht hätte vermeiden können.

Wilfred seufzte und schwieg, indeß Richard sich freute, daß er den Rathgeber zum Schweigen gebracht habe, obgleich er im Herzen die Wahrheit seiner Vorwürfe zugeben mußte. Zu Robin Hood sich wendend, sagte er darauf: »König der Wolfshäupter, habt Ihr denn Eurem Bruder König keine Erfrischung anzubieten? Die todten Kerle hier haben mir Appetit ge macht.«

»Ich wage es nicht,« versetzte der Geächtete, »Eurer Majestät von dem Vorrathe, der sich noch bei uns befindet« – hier stockte er verlegen.

»Wildpret, denk ich doch?« sagte Richard heiter; »bessere Kost kann der Hunger nicht wünschen, und wenn ein König nicht zu Hause bleiben und sein Wild selbst schießen will, so darf er auch nicht zu laut darüber werden, wenn es von andern für ihn erlegt wird.«

»Wenn also Eure Majestät,« sagte Robin, »abermals einen von Robin Hoods Sammelplätzen mit Ihrer Gegenwart beehren will, so soll's an Wildpret nicht fehlen, auch ein Trunk Bier oder ein Becher erträglichen Weins soll das Mahl würzen.«

Der Geächtete zeigte sogleich den Weg; ihm folgte der lustige Monarch, glücklicher wahrscheinlich bei diesem zufälligen Zusammentreffen mit Robin Hood und seinen Waldgesellen, als wenn er sich im königlichen Staate, als der erste im Kreise seiner Pairs und[444] Edlen, befunden hätte. Neuheit der Gesellschaft und Abenteuerlichkeit waren die Würze des Lebens für den löwenherzigen Richard; sie waren ihm um so lieber, je mehr dabei Gefahren zu bestehen waren. Der glänzende Charakter eines romantischen Ritters war in Richard ganz verwirklicht, und seiner aufgeregten Einbildungskraft galt der persönliche Ruhm, den er sich durch eigene Waffenthaten erworben hatte, weit mehr als der einer steten Klugheit und Weisheit in seiner Regierung. Seine ritterlichen Thaten gaben zwar den Barden und Minstrels hinreichenden Stoff, allein sie gewährten keinen jener bleibenden Vortheile für sein Land, bei denen die Geschichte gern verweilt und die sie der Nachwelt zum Muster aufstellt.

Unter einem alten großen Eichenbaume wurde das ländliche Mahl eiligst für den König von England zubereitet, der sich hier von Menschen umgeben sah, welche, noch vor kurzem von seiner Regierung für vogelfrei erklärt, jetzt seinen Hof und seine Wache bildeten. Als die Flasche umherging, verloren die rauhen Waldbewohner allmählich die Scheu vor seiner majestätischen Gegenwart. Man sang und scherzte, frühere Thaten wurden erzählt, und indeß man sich so der glücklichen Uebertretung der Gesetze rühmte, dachte man nicht daran, daß es in Gegenwart des rechtmäßigen Beschützers derselben geschehe. Der lustige König, seine Würde gänzlich vergessend, lachte und scherzte mit der fröhlichen Gesellschaft aus Herzens Grunde Robin Hoods natürlicher, wenn auch ungebildeter Verstand ließ ihn wünschen, daß diese Scene enden möchte, ehe irgend etwas die Fröhlichkeit und Harmonie trübte, zumal da er bemerkte, daß Ivanhoes Stirn ängstliche Falten zeigte. »Wir fühlen uns zwar,« sagte er zu diesem abseits, »durch unseres Monarchen Gegenwart außerordentlich geehrt, indessen wünschte ich doch, daß er die Zeit, welche ihm die Verhältnisse seines Reiches so kostbar machen, nicht hier unnütz verschwendete.«

»Weise und wohl gesprochen, tapferer Robin Hood,« sagte der Ritter, »übrigens weißt Du, daß die, welche mit der Majestät spielen, auch wenn diese in der heitersten Stimmung ist, doch nur mit der Mähne des Löwen scherzen, der bei der leisesten Anreizung leicht die Klauen zeigt.«

»Das ist eben die Ursache meiner Furcht,« sagte der Geächtete, [445] »meine Leute sind roh von Natur und durch ihr Gewerbe; der König ist ebenso jähzornig als gutmüthig; wer weiß, wie bald sich eine Veranlassung zu Beleidigungen zeigen kann, – es scheint mir Zeit, dies Gelage zu enden.«

»Leitet Ihr es ein, tapferer Landsasse,« sagte Ivanhoe, »denn jeder Wink, den ich gegeben habe, scheint bloß die Verlängerung desselben zu bewirken.«

»Da muß ich schon die Gunst und Gnade meines Herrn aufs Spiel setzen,« entgegnete Robin, indem er sich einen Augenblick besann, »aber beim heiligen Christoph, es muß geschehen. Ich verdiente wahrlich seine Gnade nicht, wenn ich sie nicht zu seinem Besten wagen wollte. – Scathlock, geh hinter das Dickicht und blase mir ein normännisches Schlachtsignal, aber sogleich, bei Gefahr Deines Lebens.«

Scathlock gehorchte seinem Hauptmann auf der Stelle; in weniger als fünf Minuten waren die Schmausenden auf die Beine gebracht.

»Das ist Malvoisins Horn,« sagte der Müller, indem er aufsprang und seinen Bogen ergriff. Der Mönch ließ die Flasche fallen und griff nach seinem Kampfstocke. Wamba blieb ein Spaß im Munde stecken, und er griff schnell nach seinem Schwerte und seinem Schilde. Alle andern eilten sogleich zu ihren Waffen.

Menschen, deren ganzes Leben so vom Zufalle abhängig ist, eilen schnell bereit von dem Schmause zur Schlacht, und Richard fand in dieser Veränderung selbst ein Vergnügen. Er ließ sich den Helm reichen und die schwersten Theile der Rüstung, welche er abgelegt hatte, und indeß Gurth beschäftigt war, sie ihm anzulegen, gab er Wilfred die gemessensten Befehle, sich bei Vermeidung seiner höchsten Ungnade nicht in den Kampf zu mischen, »Du hast hundertmal für mich gefochten, Wilfred, und ich habe zugesehen. Heute sollst Du zusehen, wie Richard für seinen Freund und Lehnsmann fechten wird.«

Unterdessen hatte Robin Hood mehrere seiner Leute in verschiedenen Richtungen ausgesandt, gleichsam um den Feind zu beobachten; aber als er bemerkte, daß die Gesellschaft wirklich aufgebrochen war, trat er zu Richard, den er vollständig gewappnet fand, beugte das Knie vor ihm und bat um Verzeihung.

[446] »Wofür denn, guter Landsasse,« versetzte Richard, »haben wir Dir nicht schon vollkommene Verzeihung aller Uebertretungen bewilligt? Denkst Du denn, unser Wort sei eine Feder, welche zwischen uns vor-und rückwärts geweht werden kann? Du kannst ja seitdem gar nicht Zeit gehabt haben, ein neues Unrecht zu begehen.«

»Doch, doch,« versetzte der Landsasse, »wenn es eins ist, meinen Fürsten zu seinem Besten getäuscht zu haben. Das Horn, das Ihr blasen gehört habt, war nicht Malvoisins, sondern ich selbst ließ es blasen, um den Schmaus zu beendigen, damit dabei nicht Stunden verloren gehen sollten, welche besser verwandt werden können.«

Dann stand er auf, faltete die Arme über der Brust und erwartete in einer mehr achtungsvollen als unterwürfigen Stellung die Antwort des Königs, wie jemand, der sich zwar einer Beleidigung, doch auch des löblichen Grundes dazu bewußt ist. Ein leichter Ausdruck von Zorn flog über Richards Gesicht, allein sein Gerechtigkeitsgefühl unterdrückte ihn sogleich.

»Der König von Sherwood,« sagte er, »gönnt sein Wildpret und seine Weinflasche dem Könige von England wohl nicht? Es ist schon recht, guter Robin; aber wenn Du mich einmal in dem lustigen London besuchst, so wirst Du gewiß an mir keinen so knickerigen Wirth finden. Doch – Du hast Recht. Zu Pferde also und fort. Wilfred ist ganz ungeduldig gewesen während dieser Stunde. Sage mir, kühner Robin, hast Du keinen Freund in Deinem Trupp, der Dir nicht bloß rathen, sondern auch Deine Handlungen meistern will, und ganz betrübt aussieht, wenn Du Dir herausnimmst, für Dich selbst zu handeln?«

»Ein solcher,« sagte Robin, »ist mein Lieutenant Little John, der sich eben jetzt auf einer Expedition an den Küsten von Schottland befindet. Ich gestehe Eurer Majestät, daß mir die Freiheit seiner Rathschläge bisweilen mißfällt, allein wenn ich bedenke, daß er zu seiner Aengstlichkeit doch keinen andern Grund haben kann, als seines Herrn Dienst, so kann ich nicht lange böse sein.«

»Du hast Recht,« entgegnete Richard, »und wenn ich Ivanhoe auf einer Seite stehen habe mit seinem ernsten Rathe, den er noch mehr empfiehlt durch die finster gerunzelte Stirn, und Dich auf der andern, der mich zu meinem Besten, wie er sagt, täuscht, so [447] habe ich meinen freien Willen ebenso wenig, als ein andrer christlicher oder heidnischer König. Aber kommt, ihr Herren, kommt nach Coningsburgh; denken wir nicht mehr daran!«

Robin Hood versicherte, er habe bereits eine Abtheilung seiner Leute in der Richtung des Wegs, den sie nehmen müßten, voraus gesandt, und diese wür den sicherlich jeden geheimen Hinterhalt auszuspähen wissen; er glaube, sie würden die Straße finden; wo nicht, so erhielten sie zuversichtlich bei Zeiten Kunde davon, um den Trupp von Bogenschützen an sich ziehen zu können, mit dem er selbst auf demselben Wege folgen wolle.

Die weisen und aufmerksamen Vorsichtsmaßregeln, welche zu seiner Sicherheit getroffen waren, rührten Richards Herz und entfernten vollends jeden Groll, der wegen der Täuschung, die sich der Anführer der Geächteten gegen ihn erlaubt hatte, in ihm noch zurückgeblieben sein konnte. Er reichte Robin Hood mehr als einmal die Hand, versicherte ihn seiner vollen Verzeihung und seiner künftigen Gunst, sowie er die feste Entschließung aussprach, die tyrannische Ausübung der Forstrechte und anderer drückender Gesetze, wodurch so mancher englische Landmann zum Aufstande gebracht wurde, beschränken zu wollen. Allein Richards gute Absichten gegen den kühnen Geächteten wurden durch des Königs frühzeitigen Tod vereitelt, und der Forstbrief wurde den widerstrebenden Händen des Königs Johann entrissen, als er seinem heldenmüthigen Bruder in der Regierung folgte.

Die Erwartung des Geächteten bewährte sich; der König kam, in Begleitung von Ivanhoe, Gurth und Wamba, ohne alle Störung vor dem Schlosse Coningsburgh an, als noch die Sonne am Horizonte stand.

Es gibt wenig schönere und ergreifendere Landschaften in England, als dieses alte sächsische Schloß mit seiner Umgebung. Der sanfte und anmuthige Fluß Don strömt durch ein Amphitheater, in dem sich Flur und Waldung vereinigt, und auf einem von dem Flusse aufsteigenden, durch Wälle und Gräben wohlvertheidigten Berge erhebt sich das alte Gebäude, das, wie schon der sächsische Name vermuthen läßt, vor den Zeiten der Eroberung ein Residenzschloß der sächsischen Herrscher war. Die äußeren Mauern sind wahrscheinlich von den Normannen ausgeführt worden; allein das [448] ganze Innere trägt offenbare Spuren des höchsten Alterthums. Der innere Hof liegt auf einer Höhe und bildet einen vollkommenen Zirkel von ungefähr fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser. Die Mauer ist von außerordentlicher Dicke, und wird durch sechs ungeheure Strebepfeiler äußerlich unterstützt, welche von dem Zirkel heraustreten und gegen die Seiten des Thurmes aufstreben, gleich als sollten sie ihm größere Festigkeit geben. Diese Strebepfeiler sind unten massiv, aber nach oben zu ausgehöhlt, und enden in einer Art von Thürmchen. Der Anblick dieses ungeheuren Gebäudes, nebst seinen seltsamen Nebengebäuden, ist für den Liebhaber des Malerischen ebenso interessant, als es das Innere des Schlosses für den Alterthumsforscher ist, dessen Phantasie bis zu den Zeiten der Heptarchie zurückgeführt wird. Ein Schuppen in der Nähe des Schlosses wird für das Grab des berühmten Hengist ausgegeben; auch zeigt man auf dem benachbarten Kirchhofe verschiedene Denkmäler von hohem Alterthum und großer Seltenheit.

Als Richard Löwenherz und sein Gefolge sich diesem rauhen aber stattlichen Gebäude näherte, war es noch nicht wie jetzt mit äußern Festungswerken umgeben. Der sächsische Baumeister hatte seine Kunst darin erschöpft, das Hauptgebäude vertheidigungsfähig zu machen; es gab daher keine weitere Umwallung, als eine rohe Barriere von Pallisaden.

Eine ungeheure schwarze Fahne, welche von dem Gipfel des Thurmes wehte, kündigte an, daß man eben mit der Feier der Bestattung des letzten Eigenthümers beschäftigt sei; sie trug jedoch kein Zeichen von des Verstorbenen Rang und Herkunft, denn das Wappenwesen war damals unter dem normännischen Adel selbst etwas neues und den Sachsen völlig unbekannt. Allein über dem Thore sah man noch eine andere Fahne mit der rohen Figur eines weißen Pferdes, welches, als das bekannte Symbol Hengists und seiner Krieger, die Nation und den Rang des Verstorbenen andeutete.

Um das Schloß herum war alles in geschäftiger, lebhafter Bewegung; denn solche Leichenbankette, Yrf-ealu, Erbbiere waren eine Zeit allgemeiner und verschwenderischer Gastfreundschaft, an der nicht nur jeder, der mit dem Verstorbenen wenn auch in der entferntesten Verbindung gestanden hatte, sondern jeder Fremde [449] überhaupt Antheil nehmen durfte. Der Reichthum und die Bedeutung des verstorbenen Athelstane machten, daß diese Sitte in der vollsten Ausdehnung Anwendung fand.

Man sah daher sehr zahlreiche Menschenhaufen den Hügel, auf dem das Schloß lag, auf- und absteigen, und als der König nebst seinem Gefolge durch das offene und unbewachte Thor der äußern Barriere einritt, zeigte der Raum innerhalb eine Scene, die sich nicht leicht mit der Veranlassung dieser Versammlung zusammenreimen ließ. Hier waren Köche beschäftigt, ungeheure Ochsen und feiste Hammel zu braten, dort zapfte man große Fässer mit Bier an, um den Durst der Ankommenden zu stillen. Man sah Gruppen aller Art und Gestalt, welche Speisen verschlangen, oder die ihnen preisgegebenen Getränke begierig schlürften. Der halb nackte sächsische Sklave stillte den Drang seines halbjährigen Hungers und Durstes durch die Schwelgerei eines Tages; der feinere Bürgersmann aß sein Stück Fleisch mit mehr Wohlgefallen oder kritisirte bei dem Trunke den Brauer oder die Güte des Malzes. Einige wenige von dem armen normännischen Adel, die sich durch den geschornen Bart und die kurzen Mäntel auszeichneten, sowie dadurch, daß sie sich stets zusammenhielten und mit großer Verachtung auf die ganze Festlichkeit blickten, thaten sich doch gütlich bei der guten Kost, welche ihnen hier so freigebig gespendet wurde.

Auch an Bettlern fehlte es nicht, und an Kriegern, die, wenigstens ihrer eigenen Aussage nach, aus Palästina zurückkehrten. Krämer legten ihre Waaren aus; reisende Handwerker suchten Arbeit; wandernde Pilger, fahrende Priester, sächsische Minstrels und walisische Barden murmelten Gebete und entlockten ihren Harfen, Fideln, Zithern allerlei Töne. An Gauklern und Spaßmachern war auch kein Mangel, denn die Veranlassung wurde zu dergleichen Dingen gar nicht unpassend gehalten. Die Begriffe der Sachsen waren bei solchen Gelegenheiten ebenso natürlich als ungebildet. War der Leidtragende durstig, so trank er, war er hungrig, so aß er, und wurde das Herz von Gram und Schmerz niedergedrückt, so gab es hier Mittel der Erheiterung oder wenigstens der Zerstreuung. Man machte sich durchaus kein Gewissen daraus, sich der dargebotenen Trostmittel zu bedienen, wenngleich plötzlich hier und da jemand, der Ursache des Beisammenseins sich [450] erinnernd, mit andern in lautes Weinen ausbrach, worein dann die Weiber mit hellen Stimmen einfielen.

Dies war die Scene in dem Schloßhofe zu Coningsburgh, als Richard in Begleitung seiner Gefährten einzog. Die Aufmerksamkeit des Seneschal oder Steward, der von den Gruppen der Gäste niedern Ranges, welche immerfort ab- und zuströmten, keine Notiz nahm, wurde durch den edlen Anstand Richards und Ivanhoes rege gemacht, da ihm zumal die Züge des letzteren bekannt zu sein schienen. Auch war die Ankunft zweier Ritter bei einer sächsischen Feierlichkeit etwas seltenes, und konnte nur als eine dem Verstorbenen und dessen Familie bewiesene Ehre betrachtet werden. In der schwarzen Tracht und mit dem weißen Stabe seines Amtes machte der Steward den Fremden daher sogleich Platz unter dem Haufen der Gäste, und führte sie zu dem Eingange des Thurmes. Gurth und Wamba fanden gar bald Bekannte auf dem Schloßhofe und drängten sich nicht weiter vor, da sie warteten, bis man ihre Gegenwart verlangen werde.

42. Kapitel

[451] Kapitel XLII.

Ich sah, wie sie Marcellus' Leib begruben,

Und hörte feierliche Melodien

Von Klageliedern, Elegien und Thränen,

Wo alte Frauen, bei den Todten wachend,

Die langen Nächte sich vertreiben.


Altes Schauspiel.


Eigenthümlich ist der Eingang des großen Thurmes zu Schloß Coningsburgh; er erinnert lebhaft an die rohe Einfachheit der frühern Zeiten, in denen er erbaut ward. Eine Reihe von Stufen, so eng und schmal, daß es gefährlich ist, sie zu beschreiten, führt aufwärts zu einem niedern Portale auf der Südseite des Thurmes, durch das der Alterthumsforscher, wenigstens noch vor wenigen Jahren, den Zugang gewinnen konnte zu einer kleinen Treppe innerhalb der Stärke der Hauptmauer des Thurmes, welche zu dem dritten Stockwerke des Gebäudes führt; denn die beiden untern sind Gefängnisse oder Gewölbe, wohin weder Luft noch Licht dringt, außer durch eine viereckige Oeffnung in dem dritten Stocke, mit dem sie durch eine Leiter in Verbindung gewesen zu sein scheinen. Der Zugang zu den obern Gemächern des Thurmes, der aus vier Stockwerken besteht, wird durch Treppen bewirkt, welche durch die äußern Mauerbogen aufwärts geführt sind.

Durch diesen schwierigen und verwickelten Eingang gelangte der gute König Richard in Begleitung seines treuen Ivanhoe in das runde Gemach, welches den ganzen dritten Stock einnimmt. Der letztere hatte indessen Zeit, sein Gesicht in den Mantel zu hüllen, damit er nicht eher von seinem Vater erkannt werden möchte, als bis der König das Zeichen dazu gegeben haben würde.

[452] In diesem Gemache saßen um einen großen eichenen Tisch ungefähr ein Dutzend der ausgezeichnetsten Repräsentanten der sächsischen Familien aus der Nachbarschaft. Sie waren alle alt oder dem Alter nahe; denn das jüngere Geschlecht hatte, wie Ivanhoe, manche von den Schranken niedergerissen, durch die seit einem halben Jahrhunderte die normännischen Sieger von den besiegten Sachsen geschieden gewesen waren. Die niedergeschlagenen und kummervollen Blicke dieser ehrwürdigen Männer, ihr Schweigen und ihre trauernde Stellung bildeten einen starken Gegensatz zu dem Leichtsinne der Schmausenden in den äußeren Theilen des Schlosses. Ihre grauen Haare und ihre langen, starken Bärte nebst ihren alterthümlichen Gewändern und weiten, schwarzen Mänteln stimmten gut zu dem sonderbaren, kunstlosen Gemache, in welchem sie saßen, und gaben ihnen das Ansehen einer Gesellschaft alter Verehrer des Wodan, die den Fall des Volkes betrauerten.

Cedric, wenn auch von gleichem Range mit seinen Landsleuten, schien doch jetzt durch gemeinsames Einverständniß als Haupt der Versammlung zu handeln. Bei Richards Eintritte, den er bloß als den tapfern Ritter vom Fesselschlosse kannte, stand er würdevoll auf und bewillkommnete ihn mit dem gewöhnlichen Gruße: »Waes hael,« indem er zugleich einen Becher bis zu seinem Haupte erhob. Der König, nicht unbekannt mit den Sitten seiner englischen Unterthanen, erwiderte den Gruß mit den passenden Worten:»Drinc hael,« und nahm den Becher, welcher ihm von dem Ceremonienmeister überreicht wurde. Dieselbe Höflichkeit wurde auch Ivanhoe bewiesen, der sie schweigend seinem Vater zurückgab, damit er nicht durch die Stimme zu früh verrathen werde.

Als diese einleitende Ceremonie vorüber war, stand Cedric auf und führte Richard in eine kleine, ganz kunstlose Kapelle, welche in einem der äußern Mauerbogen angebracht war. Da sich in derselben keine andere Oeffnung als ein kleines Luftloch befand, so würde der Ort ohne das Licht zweier Fackeln sehr dunkel gewesen sein. Sie beleuchteten mit ihrem düstern, röthlichen Schein das gewölbte Dach, die leeren Wände, einen rohen Altar von Stein und ein Crucifix von demselben Material.

Vor diesem Altar stand eine Bahre, und auf jeder Seite derselben knieeten drei Priester, welche ihre Rosenkränze drehten und ihre [453] Gebete hersagten, und zwar mit allen äußern Zeichen der tiefsten Frömmigkeit. Für diesen Dienst hatte die Mutter des Verstorbenen dem Kloster des heiligen Edmund ein ansehnliches Vermächtniß ausgesetzt; und damit er treu verrichtet würde, hatten sich die sämmtlichen Klosterbrüder nach Coningsburgh begeben, woselbst die eine Hälfte immerwährend den geistlichen Dienst an Athelstanes Bahre versah, indeß die andern sechs ihren Theil an den Erfrischungen und Unterhaltungen empfingen.

Richard und Wilfred folgten Cedric dem Sachsen in das Todtengemach, und als ihr Führer mit feierlicher Bewegung auf die frühe Bahre Athelstanes hindeutete, folgten sie seinem Beispiele, sich fromm bekreuzend und ein kurzes Gebet für die Seele des Verstorbenen verrichtend.

Nachdem diese Handlungen frommer Liebe vorüber waren, ermahnte sie Cedric abermals, ihm zu folgen, indem er mit unhörbarem Schritte über die steinerne Flur vor ihnen hinschritt. Sie stiegen einige Stufen aufwärts, dann öffnete er ihnen mit großer Vorsicht die Thür zu einem kleinen Oratorium, welches an die Kapelle anstieß. Es war ungefähr acht Fuß im Viereck, und wie jene in die Dicke der Mauer eingearbeitet. Da das Luftloch nach Westen zu ging und nach außen sich erweiterte, so fanden die Sonnenstrahlen durch dasselbe den Weg in die innere Finsterniß und enthüllten hier eine weibliche Gestalt von würdigem Aussehen, in deren ganzem Wesen noch Spuren einer wahrhaft majestätischen Schönheit sichtbar waren. Ihr langes Trauergewand hob die Weiße ihrer Haut, sowie die Schönheit ihres lichten, lang herabfließenden Haares, welches durch die Zeit weder dünn, noch mit Silber untermischt worden war. Ihr ganzes Aeußere drückte den tiefsten mit Ergebung vereinten Kummer aus. Auf dem steinernen Tische vor ihr stand ein elfenbeinernes Crucifix; daneben lag ein Meßbuch, auf seinen Blättern reich bemalt und mit goldenen Spangen und Beschlägen geziert.

»Edle Editha,« sagte Cedric, »diese würdigen Fremdlinge kommen, um an Deinem Kummer Theil zu nehmen. Dieses besonders ist der tapfere Ritter, der so muthig für die Befreiung dessen focht, um den wir heute trauern.«

»Seine Tapferkeit verdient meinen Dank,« versetzte die Dame, [454] »obgleich der Himmel wollte, daß sie vergebens war. Ich danke ihm und seinem treuen Gefährten überdies für die Artigkeit, daß sie gekommen sind, die Wittwe Athelings und die Mutter Athelstanes in der Stunde ihres tiefen Schmerzes und Jammers zu besuchen. Ich vertraue sie Eurer Sorge an, theurer Vetter, laßt es ihnen an nichts fehlen, was die Gastfreundschaft in diesem Trauerhaus ihnen gewähren kann.«

Die Gäste verbeugten sich tief gegen die Trauernde und zogen sich mit ihrem gastfreundlichen Führer zurück, der sie über eine Wendeltreppe in ein anderes Gemach führte. Noch ehe sich dessen Thür öffnete, vernahm man einen leisen und melancholischen Gesang. Beim Eintritt erblickten sie ungefähr zwanzig edle Frauen und [455] Jungfrauen von rein sächsischer Abkunft. Vier derselben stimmten ein angelsächsischesdirge oder Todtenlied zum Seelenheil des Verstorbenen an, das hochdeutsch etwa so lautete:


Staub zu Staub

Des Todes Raub:

Es floh die Seel

Des Leibes Höhl,

Die aufgespart

Den Würmern ward.


Die Seele Dein

Flog auf zur Pein,

In Flammengluth

Sie Buße thut,

Daß lauter sie

Zum Himmel zieh.


Mag kurz Dir sein

Die Feuerpein,

Mariens Huld

Erlaß die Schuld,

Gebet und Spend'

Dir Freiheit send!


Während dieses Todtenliedes bedeckten sie die Leiche Athelstanes mit einer reichen seidenen Decke und zahlreichen Guirlanden von duftenden Blumen. Ehrfurchtsvoll entfernten sich die Männer und traten in ein kleines Nebenzimmer. Hier wollte Cedric sich entfernen, aber der schwarze Ritter ergriff seine Hand und sagte: »Edler Freund, ich bitte, erinnert Euch daran, daß Ihr mir eine Gefälligkeit versprochen.«

»Sie ist Euch bewilligt, edler Ritter, ehe Ihr sie ausgesprochen,« versetzte Cedric, »doch in diesem traurigen Zeitpunkte –«

»Ich habe dies erwogen,« sagte der König; »aber meine Zeit ist kurz; auch scheint es mir nicht unpassend, daß wir, wenn das Grab des edlen Athelstane geschlossen wird, gewisse Vorurtheile und vorgefaßte Meinungen mit in dasselbe versenken.«

»Herr Ritter vom Fesselschloß,« sagte Cedric, indem er den König unterbrach, »ich dachte, die Gefälligkeit, die Ihr wünscht, beträfe Euch selbst und niemand anders; denn was die Ehre meines [456] Hauses betrifft, so paßt es doch kaum, denke ich, daß ein Fremder sich einmischt.«

»Auch will ich das nichts,« sagte der König sanft, »außer wenn Ihr es mir erlaubt. Doch da Ihr mich bisher nur als den schwarzen Ritter vom Fesselschloß kennt, so wißt, ich bin Richard Plantagenet.«

»Richard von Anjou!« rief Cedric, voll Erstaunen einen Schritt zurücktretend.

»Nein, edler Cedric, Richard von England! dessen heißester Wunsch es ist, Englands Söhne alle unter sich vereinigt zu sehen. Wie, würdiger Edling, willst Du nicht Dein Knie vor Deinem Fürsten beugen?«

»Vor normännischem Blute hat es sich nie gebeugt,« sagte Cedric.

»Nun so spare Deine Huldigung,« erwiderte der Monarch, »bis ich mein Recht darauf durch Beschützung der Normannen und Engländer bewiesen habe.«

»Prinz,« versetzte Cedric, »ich habe Deiner Tapferkeit und Deinem Werthe stets Gerechtigkeit widerfahren lassen. Auch sind mir Deine Ansprüche auf die Krone durch Deine Abkunft von Mathilden, der Nichte Edgar Athelings und der Tochter Malcolms von Schottland, nicht unbekannt. Allein Mathilde, obgleich aus sächsischem Blute, war doch nicht Erbin der Monarchie.«

»Ich will um mein Recht darauf mit Dir nicht streiten, edler Degen, sondern Dich bloß bitten, um Dich zu schauen, und zu forschen, wo Du einen andern finden magst, der mein Recht aufwiegt.«

»Und bist Du bloß hieher gekommen, Fürst, mir das zu sagen?« fuhr Cedric fort, »mir den Verfall meines Geschlechts vorzurücken, ehe das Grab sich noch geschlossen hat über dem letzten Sprößling des sächsischen Königstammes?« – Seine Mienen verdüsterten sich bei diesen Worten. – »Es war kühn! es war unbedacht!«

»Nein,« versetzte der König, »beim heiligen Kreuze, nein! Mich trieb das offene Vertrauen, das ein braver Mann leicht zu dem andern faßt, ohne daß ein Gedanke an Gefahr in mir aufkam.«

»Wohl gesprochen, Herr König; denn König bist Du, das gestehe [457] ich, und wirst es sein, trotz meines schwachen Widerstandes. Ich wage es nicht, das einzige Mittel zu ergreifen, um es zu verhindern, ob Du gleich die Versuchung dazu mir nahe gelegt hast.«

»Jetzt zu der Gefälligkeit,« sagte der König, »um die ich Dich mit nicht minderm Vertrauen bitte, obgleich Du Dich geweigert, meine rechtmäßige Oberherrschaft anzuerkennen. Ich verlange von Dir auf Dein Manneswort, und bei Strafe für einen Niding gehalten zu werden, dem guten Ritter Wilfred von Ivanhoe zu verzeihen und ihn in Deine Vaterliebe wieder einzusetzen. An dieser Aussöhnung, wirst Du gestehen, muß mir viel gelegen sein, denn sie gründet die Glückseligkeit meines Freundes und erstickt die Spaltung unter meinem treuen Volke.«

»Und dies ist Wilfred?« sagte Cedric, auf seinen Sohn deutend.

»Mein Vater!« rief Ivanhoe, indem er sich ihm zu Füßen warf, »Eure Vergebung! Eure Vergebung!«

»Gewährt!« sagte Cedric, und hob ihn auf, »Herewards Sohn weiß sein Wort zu halten, auch wenn er es einem Normannen gegeben hat. Aber laß mich Dich nun auch in der Tracht und Kleidung Deiner englischen Vorfahren sehen, keine kurzen Mäntel, keine luftigen Mützen, keinen phantastischen Federputz in meinem einfachen Hause. Wer der Sohn Cedrics sein will, muß sich als ein Sachse zeigen. Du willst reden,« setzte er ernst hinzu, »und ich errathe auch, was es ist. Rowena muß zwei Trauerjahre halten um den ihr verlobten Gemahl. Alle unsere sächsischen Vorfahren würden uns verleugnen, wenn wir auf eine neue Verbindung für sie denken wollten, ehe noch das Grab dessen, dem sie sich vermählen sollte, geschlossen ist. Athelstanes Geist selbst würde seine blutigen Bande sprengen und vor uns treten, um solche Entweihung seines Andenkens zu verhindern.«

Es schien, als hätten Cedrics Worte wirklich einen abgeschiedenen Geist hervorgerufen, denn kaum hatte er sie ausgesprochen, als sich die Thüren öffneten, und Athelstane im Todtenkleide vor ihnen stand, bleich, abgefallen und ganz einem aus dem Grabe Erstandenen ähnlich.

Die Wirkung dieser Erscheinung auf alle Anwesenden war außerordentlich. Cedric bebte zurück, so weit es nur die Wand des Zimmers erlaubte, dann lehnte er sich an dieselbe an wie jemand, [458] der sich nicht aufrecht halten kann, und starrte die Gestalt seines Freundes an mit Blicken, welche gefesselt zu sein schienen, und einem Munde, den er nicht wieder zu schließen vermochte. Ivanhoe bekreuzte sich, und sprach bald sächsisch, bald lateinisch, bald normännisch-französisch allerlei Gebete, wie sie ihm eben ins Gedächtniß kamen, Richard aber ließ bald ein »Benedicite« hören, bald fluchte er: »Mort de ma vie!« Cedric aber sprach entsetzt: »Deathgod eart thu, hlâfoeard Athelstane, other lifjande und coic? Bist Du ein Geist, Herr Athelstane oder ein Lebender?«

Unterdessen hörte man unten an der Treppe ein fürchterliches Getöse. Mehrere Stimmen riefen: »Haltet die verrätherischen Mönche! Nehmt sie fest! Fort mit ihnen ins Gefängniß!« Andere riefen: »Stürzt sie von der obersten Zinne hinab!«

»In Dryhtenes naman. Im Namen Gottes!« sagte Cedric, indem er sich an die Erscheinung wandte, »bist Du sterblich, so sprich! Bist Du ein abgeschiedener Geist, so sage, weshalb kehrst Du zu uns zurück? Lebend oder todt, edler Athelstane, rede, sprich zu Cedric!«

[459] »Das will ich,« versetzte das Gespenst sehr gefaßt, »wenn ich Athem geschöpft habe, und wenn Ihr mir Zeit lasset. Lebend, sagst Du? Ja, ich lebe, sowie einer leben kann, der sich drei Tage lang von nichts als Wasser und Brod genährt hat. – Ja, von Wasser und Brod, Vater Cedric, beim Himmel und allen Heiligen! Bessere Nahrung ist mir in drei Tagen nicht über die Lippen gekommen, und nur durch Gottes besondere Fügung bin ich hier, das zu erzählen.«

»Aber, edler Athelstane,« sagte der schwarze Ritter, »ich sah es ja selbst, wie Euch der grimmige Templer gegen Ende des Sturms auf Torquilstone niederstreckte, und wie ich dachte und Wamba erzählte, war ja Euer Hirnschädel bis auf die Zähne gespalten.«

»Ihr irrt Euch, Herr Ritter,« sagte Athelstane, »und Wamba log. Meine Zähne sind in gutem Stande, und das soll mein Abendessen sogleich zeigen. Keinen Dank deshalb dem Templer, dessen Schwert sich in der Hand drehte, so daß der Streich nur flach fiel; hätte ich nur mein stählernes Kopfzeug gehabt, ich hätte mir nicht das Geringste daraus gemacht, und ihm einen Gegenstreich versetzt, der ihm den Rückzug erspart hätte. Da mir jenes aber fehlte, stürzte ich freilich zu Boden, jedoch unverwundet. Auf beiden Seiten wurden andere niedergehauen, und diese stürzten auf mich, so daß ich meine Besinnung nicht eher wieder bekam, als bis ich mich in einem Sarge sah, einem offenen zum Glück, der vor dem Altare in der Kirche des heiligen Edmund stand. Ich mußte wieder holt niesen, denn ich hatte mich erkältet; ich stöhnte, lärmte und würde vielleicht selbst aufgestanden sein, wenn nicht der Sakristan und Abt, voll Schrecken über den Lärm, selbst herbeigekommen wären, keineswegs erfreut, wie es schien, einen Mann noch am Leben zu finden, zu dessen Erben sie sich wahrscheinlich gern machen wollten. Ich bat um Wein. Sie gaben mir zu trinken, allein das Getränk mußte mit einem Schlaftrunke versetzt sein, denn ich schlief darauf nur noch fester als zuvor, und erwachte nach einigen Stunden abermals. Jetzt fand ich meine Arme eingewickelt, meine Füße zusammengebunden, und zwar so fest, daß mich die Gelenke bei der bloßen Erinnerung noch schmerzen; der Ort war sehr dunkel, und aus der dumpfen Luft schloß ich, daß es das Verließ oder gar die [460] Gruft sei. Ich hegte seltsame Gedanken über das, was sich mit mir zugetragen, als die Thür meines Gefängnisses knarrte und zwei spitzbübische Mönche hereintraten. Sie wollten mich überreden, ich befände mich im Fegefeuer, allein ich kannte die kurzathmige, keuchende Stimme des Vater Abts nur zu gut. Heiliger Jeremias, wie verschieden war jetzt sein Ton von dem, mit welchem er mich sonst um noch ein Stück Braten zu bitten pflegte! Der Hund! Er hat oft mit mir vom Weihnachts- bis zum heiligen Dreikönigstage geschwelgt.«

»Nehmt Euch nur Zeit, edler Athelstane,« sagte der König, »schöpft erst Athem, erzählt Eure Geschichte mit Muße; man hört ihr meiner Treu mit eben so viel Vergnügen zu, als einem Romane.«

»Ei, beim Kreuze von Bromehalm, es war nichts romantisches dabei! Ein Gerstenbrod und ein Krug Wasser, das gaben mir die knickerigen Schufte, die mein Vater und ich selbst bereichert hatten, als ihre besten Einkünfte die Speckseiten und Schinken waren, die sie armen Dienstleuten und Leibeigenen abschwindelten für ihre Gebete, die hundsvöttische Schlangenbrut! Gerstenbrot und Wasser, einem Herrn, wie ich gewesen bin! Ich will sie schon aus ihrem Neste herausräuchern, und wenn ich excommunicirt werde!«

»Aber im Namen unserer lieben Frau, edler Athelstane,« sagte Cedric, die Hand seines Freundes ergreifend, »wie entkamst Du denn dieser drohenden Gefahr? Erweichten sich ihre Herzen?«

»Schmelzen Felsen etwa an der Sonne?« erwiderte Athelstane; »ich würde wohl noch dort sein, wäre man im Kloster nicht aufgebrochen; sie wollten in Procession hieher zu meinem Leichenmahle, da sie recht gut wußten, wie und wo ich lebendig begraben sei. Aber das trieb eben den Schwarm aus dem Stocke. Ich hörte sie ihre Todtenlieder brummen, und machte mir wenig daraus, daß sie aus Achtung gegen meine Seele gesungen wurden, da sie doch meinen Leib so aushungerten. Ich wartete lange auf Speise; kein Wunder, da der gierige Sakristan eben mit Versorgung seiner eigenen Person zu beschäftigt war, um an mich zu denken. Endlich erschien er mit wankendem Tritte, einen starken Weingeruch um sich verbreitend. Das gute Mahl hatte sein Herz der Milde geöffnet, denn er brachte mir ein Stück Pastete und eine Flasche Weins. Ich aß, trank, und fühlte mich gestärkt; zu meinem [461] guten Glücke war der gute Sakristan zu benebelt, um sein Amt als Thürschließer gehörig versehen zu können; er schloß daher so zu, daß die Thüre halb offen blieb. Das Licht, die Nahrung, der Wein machten mir Muth. Der Ring, an dem meine Ketten befestigt waren, war verrosteter, als ich und der Abt vermuthet hatten. Das Eisen sogar konnte den verzehrenden Dünsten in diesem höllischen Loche nicht widerstehen!«

»Schöpfe nur Athem, edler Athelstane,« sagte Richard, »und nimm Antheil an den Erfrischungen, ehe Du weiter gehst in der schauerlichen Geschichte.«

»Antheil nehmen?« versetzte Athelstane, »Antheil habe ich genug genommen, und wahrlich ein Stück von dem saftigen Schinken paßt in die Stimmung, mit der ein Schluck Wein ebenfalls in keinem Mißklang stehen würde. – Ein Becher Wein, edler Herr, kann nicht schaden. Ihr thut mir doch Bescheid?«

Die Gäste, obgleich vor Erstaunen außer sich, thaten doch ihrem wiedererstandenen Wirthe gern Bescheid, und dieser fuhr sodann in seiner Erzählung fort. Er hatte freilich jetzt bei weitem mehr Zuhörer als anfangs, denn Editha, welche einige nothwendige Befehle im Schlosse ertheilt hatte, war dem Erstandenen nach dem Fremdenzimmer gefolgt, begleitet von so viel weiblichen und männlichen Gästen, als sich in dem kleinen Gemache zusammendrängen konnten. Andere, die auf der Treppe standen und die eine Ausgabe der Erzählung irrthümlich auffaßten, theilten dieselbe noch mehr entstellt denen unten mit, welche sie nun wieder den außen Befindlichen so überlieferten, daß sie gar keine Aehnlichkeit mehr mit der Wahrheit hatte. Athelstane aber begann mit der Fortsetzung seiner Erzählung folgendermaßen:

»Da ich mich nun von dem Ringe frei sah, schleppte ich mich die Treppe hinauf, so gut es ein mit Fesseln belasteter und vom Fasten ausgemergelter Mensch vermag; und nachdem ich lange um mich herum gefühlt hatte, wurde ich endlich durch den Ton eines lustigen Rundgesangs zu dem Gemache geleitet, wo der würdige Sakristan eine Teufelsmesse hielt, mit einem großen breitschulterigen Mönche in grauer Kutte, der eher einem Räuber als einem Geistlichen glich. Ich stürzte zu ihnen hinein, und meine Grabeskleidung, sowie der Klang meiner Ketten mochten mich einem Bewohner [462] der andern Welt ähnlicher ma chen als dieser irdischen. Beide standen da wie entseelt. Allein als ich den Sakristan mit meiner Faust zu Boden schlug, so versetzte mir sein Trinkgefährte einen Schlag mit einem großen Kampfstocke.«

»Das muß der Bruder Tuck gewesen sein,« sagte Richard Ivanhoe ansehend.

»Mags der Teufel gewesen sein,« sagte Athelstane, »glücklicherweise verfehlte er sein Ziel, und als ich mich anschickte, handgemein mit ihm zu werden, machte er sich auf die Socken und entfloh. Ich machte mich gleichfalls auf die meinigen, und setzte mich ganz in Freiheit vermittelst des Schlüssels, der mit andern an des Sakristans Gürtel hing; und schon wollte ich dem Schurken mit dem Schlüsselbunde das Gehirn einschlagen, als mir die Pastete und der Wein einfiel, den mir der Kerl in meiner Gefangenschaft hatte zukommen lassen; so ließ ich ihn mit einem tüchtigen Puffe auf dem Boden liegen, steckte etwas von dem Gebackenen und eine Flasche Wein, an der sich die beiden ehrwürdigen Brüder eben gelabt hatten, zu mir, ging in den Stall, und fand da meinen eigenen Zelter, der, vermuthlich für den Gebrauch des heiligen Vater Abts bestimmt, allein stand. Auf ihm eilte ich denn hieher, so schnell das Thier laufen konnte; alle Menschenkinder flohen vor mir, denn sie hielten mich gewiß für ein Gespenst, zumal da ich, um nicht erkannt zu werden, das Leichentuch mir übers Gesicht gezogen hatte. Ich würde vermuthlich in meinem eigenen Schlosse nicht zugelassen worden sein, hätte man mich nicht als einen Menschen angesehen, der zu dem Gaukler gehörte, welcher im Schloßhofe eben das Volk belustigte, das sich zur Leichenfeier seines Herrn versammelt hatte. Ich entdeckte mich bloß meiner Mutter und nahm schnell einen Bissen zu mir, ehe ich Euch, mein edler Freund, aufsuchen konnte.«

»Und Ihr habt mich gefunden,« sagte Cedric, »bereit unsere edlen Pläne für Ehre und Freiheit wieder aufzunehmen. Ich sage Dir, es tagt kein Morgen wieder so günstig, als der nächste für die Befreiung des edlen Stammes der Sachsen!«

»Rede mir nicht von jemandes Befreiung,« sagte Athelstane; »ich bin eher gesonnen, den schändlichen Abt zu züchtigen. Er soll hängen auf der obersten Spitze dieses Schlosses von Coningsburgh [463] in seiner Kutte und Stola; und sind die Treppen zu enge für seinen fetten Leichnam, so lasse ich ihn mir einem Krahn von außen hinaufziehen.«

»Aber mein Sohn,« sagte Editha, »bedenke doch sein heiliges Amt.«

»Bedenkt doch mein dreitägiges Fasten, liebe Mutter,« versetzte Athelstane; »sie sollen mir alle bluten, Front de Boeuf wurde wegen weit geringerer Vergehen lebendig verbrannt, denn er hielt für seine Gefangenen einen guten Tisch, nur zu viel Knoblauch war zuletzt in der Suppe. Aber diese undankbaren heuchlerischen Schurken, die so oft als eingeladene Schmeichler an meinem Tische saßen und die mir nicht einmal eine Suppe, wenn auch mit Knoblauch, geben wollten! – Nein, die müssen hängen, bei Hengits Seele!«

»Aber der Papst, mein edler Freund,« sagte Cedric.

»Aber der Teufel, mein edler Freund,« versetzte Athelstane, »sie müssen sterben, und nun nichts mehr von ihnen. Wären sie auch die besten Mönche auf Erden, die Welt würde doch auch ohne sie bestehen.«

»Schämt Euch, edler Athelstane,« sagte Cedric, »vergesset solche Elende bei der ehrenvollen Laufbahn, die sich Euch aufschließt. Saget diesem normännischen Fürsten, Richard von Anjou, daß, so löwenherzig er auch ist, er den Thron Alfreds nicht ohne Widerspruch behaupten wird, so lange noch ein Abkömmling des heiligen Bekenners lebe, der ihn ihm streitig machen könne.«

»Wie?« sagte Athelstane, »ist dies der edle König Richard?«

»Es ist Richard Plantagenet selbst,« erwiderte Cedric. »Doch ich brauche Dich nicht zu erinnern, daß, da er als Gast freiwillig hieher gekommen ist, er weder beleidigt noch als Gefangener behandelt werden darf, Du kennst Deine Pflicht gegen ihn als Deinen Gast.«

»Ja, bei meiner Ehre,« sagte Athelstane, »und meine Pflicht als Unterthan obendrein; denn hier biete ich mit Herz und Hand ihm meine Treue!«

»Mein Sohn!« sagte Editha, »bedenke Deine königlichen Rechte!«

»Bedenkt die Freiheit Englands, ausgearteter Fürst!« sagte Cedric.

»Mutter und Freunde,« versetzte Athelstane, »seid ruhig mit [464] euren Vorwürfen! Brod und Wasser und ein Gefängniß dämpfen die Ehrsucht auf bewundernswürdige Weise; ich komme aus dem Grabe viel klüger, als ich hinabgestiegen bin. Die eine Hälfte dieser elenden Thorheiten wurde mir von dem treulosen Abt Wolfram ins Ohr gesetzt, und Ihr könnt nun urtheilen, ob einem solchen Rathgeber zu trauen ist. Seitdem nun diese Pläne im Gange sind, habe ich nichts gehabt als Unruhe auf Reisen, Unverdaulichkeiten, Schläge und Püffe, Gefangenschaft und Hunger, und außerdem können leicht noch einige Tausend friedlicher Menschen dabei umkommen. Ich sage Euch, ich will König sein, aber auf meinen eigenen Gütern, und sonst nirgends; und die erste Ausübung meiner Herrschaft soll sein, daß ich den Abt hängen lasse.«

»Und meine Mündel Rowena?« sagte Cedric, »ich hoffe doch, die werdet Ihr nicht aufgeben wollen?«

»Vater Cedric,« entgegnete Athelstane, »sei vernünftig; Lady Rowena kümmert sich nicht um mich; der kleine Finger an meines Vetters Wilfred Handschuh ist ihr lieber als meine ganze Person. Hier steht sie, sie mags selbst sagen. Nun, brauchst nicht roth zu werden, holde Base, es ist nichts Böses, einen feinen Ritter zu lieben und ihn einem rauhen Freisassen vorzuziehen. Lache auch nicht, Rowena; denn Grabeskleider und ein mageres Gesicht sind wahrlich keine Veranlassung zum Lachen; willst Du aber durchaus lachen, so will ich ein besser Spiel dafür ausfindig machen. Gib mir Deine Hand oder leihe mir sie vielmehr, denn ich bitte nur als Freund darum. Hier, Vetter Wilfred von Ivanhoe, Dir zu Gunsten entsage ich ihr und schwöre sie ab. – Ei! Beim heiligen Dunstan, unser Vetter Ivanhoe ist ja verschwunden. Und doch, wenn meine Augen von dem Fasten nicht ganz schwach geworden sind, so habe ich ihn eben noch hier gesehen.«

Alle sahen sich nach Ivanhoe um, allein er war wirklich verschwunden. Endlich erfuhr man, daß ein Jude nach ihm gefragt habe, und daß er, nach einer kurzen Unterredung mit demselben, Gurth und seine Rüstung verlangt und darauf das Schloß verlassen habe.

»Schöne Base,« sagte Athelstane zu Rowena, »könnte ich glauben, daß dieses plötzliche Verschwinden Ivanhoes durch andere als die wichtigsten Ursachen veranlaßt worden sei, so dürfte ich wohl mein Wort zurücknehmen.«

[465] Allein er hatte nicht so bald ihr Hand losgelassen, als Rowena, die sehr verlegen war, die erste Gelegenheit wahrnahm, aus dem Zimmer zu entkommen.

»In der That,« sagte Athelstane, »die Weiber sind doch die unzuverlässigsten unter allen Geschöpfen, Mönche und Aebte ausgenommen. Ich will ein Ungläubiger sein, wenn ich nicht Dank erwartete und vielleicht einen Kuß noch obendrein. Diese verdammten Todtenkleider sind ganz gewiß bezaubert, denn ein jeder flieht vor mir. Ich wende mich nun an Euch, edler Richard, mit dem Gelübde meiner Treue, die ich als ein Lehnsmann –«

König Richard hatte sich inzwischen auch entfernt, und niemand wußte wohin. Endlich erfuhr man, daß er eiligst nach dem Schloßhofe hinuntergegangen sei, den Juden vor sich habe kommen lassen, der mit Ivanhoe gesprochen, und daß er, nach einer sehr kurzen Unterredung mit demselben, eiligst sein Roß verlangt und dem Juden befohlen habe, ein anderes zu besteigen, worauf er sich so schnell fortgemacht, daß man, wie Wamba gesagt, nicht einen Pfennig für des Juden Hals hätte geben mögen.

»Nun, so wahr ich lebe,« sagte Athelstane, »der Böse muß in Person von meinem Schlosse in meiner Abwesenheit Besitz genommen haben. Ich kehre in meinen Todtenkleidern als ein aus dem Grabe Erstandener zurück, und jeder, mit dem ich spreche, verschwindet, sobald er nur meine Stimme hört. Doch laßt das jetzt, Freunde! Kommt, kommt alle, die ihr noch übrig seid, folgt mir zu dem Speisezimmer, damit keiner mehr verschwindet, ich denke, es wird doch erträglich angerichtet sein, wie sichs für einen altsächsischen Edelmann geziemt; verweilen wir länger hier, wer weiß, ob sich nicht der Teufel gar noch mit dem Abendessen davon macht.«

43. Kapitel

[466] Kapitel XLIII.

So schwer sei Mowbrays Sünd' in seinem Busen,

Daß sie des schäum'gen Rosses Rücken bricht,

Und häuptlings in die Schranken wirft den Reiter!


Richard der Zweite.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe. Bd. I, S. 120.)


Der Schauplatz unserer Geschichte wird nun wieder die Umgebung des Schlosses oder Präceptoriums von Templestowe, zur Zeit, wo die blutige Entscheidung um Rebekkas Leben und Tod fallen sollte. Es war ein Anblick des regsten Lebens, gleich als hätte die ganze Nachbarschaft ihre Einwohner zu einem ländlichen Feste ausgeströmt.

Die Augen eines großen Theils der Zuschauer waren auf das Thor des Präceptoriums gerichtet, um die Procession anzusehen, indeß ein noch größerer bereits den Turnierplatz umringt hatte. Dieser war auf einem Stück Land eingerichtet, das zu dem Präceptorium gehörte, und zu den kriegerischen und ritterlichen Uebungen, die hier vorgenommen werden sollten, sorgfältig geebnet worden. Er bildete die obere Fläche einer sanften Anhöhe, war rings mit einem Pfahlwerke umgeben, und da die Templer bei ihren ritterlichen Festen Zuschauer gern sahen, auch mit Gallerien und Bänken zur Bequemlichkeit der letzteren versehen.

Bei der gegenwärtigen Gelegenheit war am östlichen Ende ein Thron für den Großmeister errichtet und mit Ehrensitzen für die Präceptoren und Ritter des Ordens umgeben worden. Ueber denselben wehte die heilige Fahne, die den Namen Le beau séant, das Feldgeschrei der Templer, trug.

[467] An dem entgegengesetzten Ende der Schranken war ein Haufen Reisholz um einen großen Pfahl gelegt, der fest im Boden steckte, so zwar, daß nur noch Platz übrig blieb für das Schlachtopfer, das an ihn gebunden, vom Feuer verzehrt werden sollte. An dem Pfahle selbst hingen Ketten, in denen es festgeschlossen wurde. Neben diesem Apparat des Todes standen vier schwarze Sklaven, deren afrikanische Farbe und Gesichter, damals in England nur wenig bekannt, die staunende Menge mit Schrecken erfüllten, indem sie auf dieselben wie auf böse Geister blickte, welche bei dem höllischen Werke gebraucht werden sollten. Diese Menschen regten sich nicht, außer zuweilen auf den Wink ihres scheinbaren Oberhaupts, um die herbeigeschafften Brennstoffe zu ordnen und zurecht zu legen. Sie schauten gar nicht auf die Menge hin, ja sie schienen überhaupt für nichts weiter Sinn zu haben, als für die Vollziehung dessen, was ihnen befohlen war. Und wenn sie, mit einander sprechend, ihre dicken Lippen öffneten und ihre weißen Zähne zeigten, konnten sich die Umstehenden kaum enthalten, dienstbare Geister in ihnen zu sehen, deren Umgang die Zauberin wirklich gepflegt habe, und die nun bereit wären, bei ihrer schrecklichen Strafe hilfreiche Hand zu leisten. Man flüsterte sich gegenseitig zu und erzählte sich alle die Thaten, welche der Satan während dieser kriegerischen und unglücklichen Periode vollbracht habe, wobei denn natürlich auf Rechnung des Teufels weit mehr gesetzt wurde, als ihm von Rechts wegen zukam.

»Habt Ihr nicht gehört, Vater Dennet,« sagte ein Bauer zu einem andern, der schon ziemlich bejahrt war, »daß der Teufel den großen sächsischen Than, den Athelstane von Coningsburgh, leibhaftig geholt hat?«

»Ja wohl, er hat ihn aber wiedergebracht, durch Gottes und des heiligen Dunstan Hilfe.«

»Wie ist das?« sagte ein junger munterer Bursch in einem grünen Rock, mit Gold gestickt, der einen anderen eben so rüstigen Gesellen mit einer Harfe auf dem Rücken hinter sich stehen hatte, wodurch sich der Beruf des ersten deutlich genug aussprach. Der Minstrel schien von nicht gemeinem Stande, denn außer dem Glanze seines reich gestickten Kleides trug er noch um seinen Hals eine silberne Kette, an welcher der Schlüssel hing, mit dem [468] er seine Harfe zu stimmen pflegte. An seinem rechten Arme erblickte man ein silbernes Schild, das, statt wie gewöhnlich das Unterscheidungszeichen des Barons zu zeigen, zu dessen Familie er gehörte, bloß mit dem eingegrabenen Worte Sherwood bezeichnet war. »Was meint Ihr denn damit?« sagte der Minstrel, indem er sich in die Unterhaltung der Landleute mischte; »ich kam hieher, um einen Stoff für meine Balladen zu suchen, und bei unserer Frau, es sollte mich freuen, zwei zu finden.«

»Es ist ganz erwiesen,« sagte der ältere Landmann, »daß, nachdem Athelstane von Coningsburgh vier Wochen todt gewesen –«

»Das ist unmöglich,« versetzte der Minstrel, »ich sah ihn ja lebend bei dem Turnier zu Ashby de la Zouche –«

»Und doch war er todt, als todt weggetragen,« sagte der jüngere Landmann, »denn ich hörte ja die Mönche von St. Edmunds ihm die Todtenlieder singen; überdies gab es auch ein ansehnliches Fest und Trauermahl auf dem Schlosse Coningsburgh, und dahin bin ich auch gegangen, doch nur Mabel Parkins wegen« –

»Ja, ja, er war todt,« sagte der Alte, den Kopf schüttelnd, »und das war um so betrübender, als das alte sächsische Blut« –

»Eure Geschichte, eure Geschichte, ihr Herren,« sagte der Minstrel ungeduldig.

»Ja, ja, gebt uns doch die Geschichte,« sagte ein wohlbeleibter Mönch, der ihnen zur Seite stand und sich auf einen Knüttel stützte, der die Mitte hielt zwischen einem Pilgerstabe und einem Kampfstocke, und wahrscheinlich bei Gelegenheit auch zu beidem diente. »Eure Geschichte,« sagte der Mönch, »macht schnell, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Wenn Ihr erlaubt,« begann der Landmann die Erzählung, »ein betrunkener Pfaff –«

»Ich erlaub Euch nicht, von einem betrunkenen Pfaffen zu reden,« antwortete der Mönch, »so etwas kommt nicht vor!«

»Ein heiliger Bruder also,« sagte Dennet, »besuchte den Sakristan in St. Edmunds – dieser Besuch war so eine Art Heckenpfaff, der wenigstens die Hälfte von dem gestohlenen Wilde jährlich erlegt –, und diese beiden frommen Pfaffen saßen zusammen beim Doppelbier, als der todte Athelstane plötzlich eintrat,« und hierauf erzählte er Athelstanes Auferstehung, wie sie die [469] Leser schon kennen, die dem Minstrel Allan a Dale so gefiel, daß er sie in Reime zu bringen willens war, dem Mönch aber keineswegs behagte, denn er kam selbst darin vor, da er es gewesen, der sich mit dem Sakristan gütlich gethan, als Athelstane, mit den Ketten belastet, bei ihnen eingetreten war. Die in dem Leser früher vielleicht erwachte Vermuthung, daß dieser Mönch der Bruder Tuck gewesen oder der Eremit von Copmanhurst, bestätigte sich auch; denn er gab sich eben dem Minstrel zu erkennen, als die große Glocke auf der Kirche des heiligen Michael zu Templestowe ihre Unterhaltung unterbrach. Die Töne folgten so schnell auf einander, daß kaum einer verklungen war, als der andere schon erscholl, und das Echo keinen bestimmt wiederholen konnte. Alle Herzen wurden davon als dem Zeichen der bevorstehenden ernsten Feierlichkeit aufs tiefste ergriffen, und jedes Auge wandte sich nach dem Präceptorium, den Großmeister, den Kämpfer und die Angeklagte erwartend.

Endlich fiel die Zugbrücke; die Pforten öffneten sich, und es erschien ein Ritter mit der großen Ordensfahne; ihm voraus ritten sechs Trompeter, und sein Gefolge bildeten die Ritter, Präceptoren, zwei und zwei, der Großmeister zuletzt auf einem stattlichen Rosse, dessen Geschirr höchst einfach war. Ihm folgte unmittelbar Brian de Bois-Guilbert in glänzender Rüstung von Kopf bis zu Fuß, doch ohne Lanze, Schild und Schwert, die von seinen zwei Knappen nachgetragen wurden. Auf seinem Gesichte, das freilich zum Theil durch eine lange Feder beschattet war, las man einen Ausdruck von mancherlei heftigen Leidenschaften, unter denen Stolz und Unentschlossenheit besonders zu kämpfen schienen. Er sah gespenstisch bleich aus, als habe er mehrere Nächte nicht geschlafen; indeß lenkte er sein muthiges Roß mit der gewohnten Zierlichkeit und Geschicklichkeit. Sein Ansehen zeigte im Ganzen Größe und erweckte Ehrfurcht; nur wenn man genauer zusah, entdeckte man in seinen finstern Zügen etwas, von dem der Mensch gern den Blick abwendet.

Auf der einen Seite ritt Conrad von Mont-Fichet, auf der andern Albert von Malvoisin, die als Pathen des Kämpfers auftraten. Sie trugen ihre Friedenskleider, die weiße Ordenstracht. Hinter ihnen kamen andere Ritter des Tempels von niederem [470] Range, mit einem langen Gefolge von Knappen und Pagen, in schwarzer Kleidung, sämmtlich Aspiranten an die Ehre, einst auch Ritter des Ordens zu werden. Auf diese Neophyten folgte eine Wache von Fußvolk, und unter ihnen erblickte man die bleiche Gestalt der Angeklagten, welche mit langsamen aber festen Schritten dem Schauplatze ihres Schicksals entgegenging. Sie war all ihres Schmuckes beraubt, damit nicht vielleicht ein Amulet darunter sein möchte, das, wie man glaubte, Satanas solchen Schlachtopfern zu geben pflegte, um ihnen auch unter der Tortur die Kraft zu verleihen, sich der Beichte zu erwehren. Statt ihres morgenländischen Gewandes trug sie ein weißes Kleid von der einfachsten Form; allein in ihrem Blicke lag eine solche Mischung von Muth und Ergebung, daß sie auch in diesem Anzuge, ohne jeden andern Schmuck als ihr langes, schwarzes Haar, allen Augen Thränen entlockte, und daß selbst die Bigottesten das Schicksal eines so herrlichen Geschöpfes bedauerten: in ein Gefäß des Zorns, in eine Sklavin des Teufels verwandelt worden zu sein.

Ein Haufe niederer Personen, welche zum Präceptorium gehörten, folgte dem Schlachtopfer, mit gefalteten Händen, den Blick zu Boden gerichtet, aber alle in der größten Ordnung.

Dieser Zug bewegte sich langsam nach der kleinen Erhöhung, auf der die Schranken sich befanden, und beim Eintritt in dieselben schritt man einmal in ihnen von der Rechten zur Linken herum, und hielt an, als der Kreis geschlossen war. Es entstand ein augenblickliches Geräusch, als der Großmeister und alle seine Begleiter, den Kämpfer und seine Pathen ausgenommen, von ihren Pferden stiegen, die dann sogleich durch die dazu bestellten Knappen aus den Schranken geführt wurden.

Die unglückliche Rebekka wurde zu dem schwarzen Stuhle geleitet, der dicht am Scheiterhaufen stand. Beim ersten Blicke auf diese furchtbare Stelle schauderte sie zusammen und schloß die Augen, indem sie wahrscheinlich innerlich betete, da ihre Lippen sich bewegten, ohne daß man ein Wort vernahm. Nach einer Minute öffnete sie jedoch die Augen wieder und blickte entschlossen auf den Holzstoß, gleich als wollte sie ihren Geist mit diesem Gegenstande vertraut machen; dann aber wandte sie langsam ihr Haupt abwärts.

[471] Indessen hatte der Großmeister seinen Sitz eingenommen, und als die Ritterschaft seines Ordens hinter ihm sich niedergelassen hatte, jedes Glied nach seinem Range, verkündete eine lange und laute Fanfare, daß der Gerichtshof zum Spruche sitze. Malvoisin trat nun als des Kämpfers Pathe vor und legte den Handschuh der Jüdin als Pfand des Kampfes zu den Füßen des Großmeisters.

»Tapferer Herr und ehrwürdiger Vater,« sagte er, »hier steht der gute Ritter Brian de Bois-Guilbert, Präceptor des Templerordens, der sich durch Annahme des Pfandes, welches ich hier zu Eurer Hochwürden Füßen lege, verbunden hat, am heutigen Tage seine Pflicht als Kämpfer zu thun, und zu bewähren, daß dieses Judenmädchen, Namens Rebekka, das Urtheil von Rechts wegen verdient, welches in dem Kapitel des heiligen Ordens des Tempels von Jerusalem über sie gesprochen worden, und das sie zum Tode als Zauberin verdammt. – Hier steht er, sage ich, ritterlich und ehrenvoll den Kampf zu beginnen, wenn es so Euer heiliger Wille ist.«

»Hat er den Eid geleistet,« sagte der Großmeister, »daß sein Streit gerecht und ehrenvoll ist? Man bringe das Crucifix und das Allerheiligste her!«

»Hochwürdiger Herr und Vater!« versetzte Malvoisin schnell, »unser Bruder hat bereits die Wahrheit seiner Anklage in die Hand des guten Ritters Conrad von Mont-Fichet beschworen; anders darf er nicht vereidet werden, da seine Gegnerin eine Ungläubige ist und keinen Eid leisten kann.«

Dies Erklärung wurde zu Alberts großer Freude befriedigend gefunden; denn der schlaue Ritter hatte die Schwierigkeit oder vielmehr Unmöglichkeit vorausgesehen, Brian de Bois-Guilbert zu vermögen, einen solchen Eid im Angesichte der Versammlung zu leisten.

Nachdem der Großmeister Albert de Malvoisins Entschuldigung angenommen hatte, befahl er dem Herolde vorzutreten und seine Pflicht zu thun. Die Trompeten ertönten abermals, und ein vortretender Herold machte Folgendes bekannt: »Hört, hört, hört! Hier steht der gute Ritter Sir Brian de Bois-Guilbert, bereit, zu kämpfen mit jedem freigebornen Ritter, welcher den der Jüdin [472] Rebekka zugestandenen und von ihr angenommenen Kampf bestehen will. Einem solchen Kämpfer bewilligt der tapfere und ehrwürdige, hier anwesende Großmeister freies Feld, gleiche Theilung von Sonne und Wind und was sonst zu einem rechtlichen Kampfe erforderlich.«

Die Trompeten erschollen von neuem, dann folgte eine Todtenstille von mehreren Minuten.

»Es erscheint kein Kämpfer für die Angeklagte,« sagte der Großmeister. »Geh, Herold, und frage sie, ob sie noch auf jemand wartet, der für sie in ihrer Sache fechten wird?« Der Herold begab sich zu dem Stuhle, auf welchem Rebekka saß, und Bois-Guilbert war eben so schnell als der Herold an Rebekkas Stuhle.

»Ist dies der Regel gemäß und dem Gesetze des Zweikampfes?« fragte Malvoisin, den Großmeister anblickend.

»Es ist es,« versetzte Beaumanoir; »denn in dieser Berufung auf das Urtheil Gottes können wir den Parteien nicht verbieten, diejenige Gemeinschaft mit einander zu haben, welche am geschicktesten ist, die Wahrheit ans Licht zu bringen.«

Unterdessen sprach der Herold zu Rebekka folgendermaßen: »Mädchen, der ehrwürdige und verehrte Großmeister fragt Dich, ob Du einen Kämpfer für Deine Sache hast, heute den Kampf zu beginnen, oder ob Du Dich als gerecht verurtheilt bekennst?«

»Sage dem Großmeister,« erwiderte Rebekka, »daß ich meine Unschuld behaupte und mich nicht für gerecht verurtheilt halten kann, wenn ich nicht an meinem eigenen Blute schuldig sein will. Sage ihm, daß ich einen solchen Aufschub fordere, wie ihn die Gesetze zu ertheilen erlauben, um zu sehen, ob nicht Gott, der seine Hilfe oft in der äußersten Gefahr kund gibt, auch mir einen Retter erwecken wird; ist dieser äußerste Zeitraum verflossen, dann geschehe sein heiligster Wille!«

Der Herold entfernte sich, um dem Großmeister diese Antwort zu überbringen.

»Gott verhüte,« sagte Lukas Beaumanoir, »daß Jude oder Heide uns der Ungerechtigkeit anklagen sollte! Bis die Schatten von Westen nach Osten reichen, wollen wir warten, ob ein Kämpfer erscheint für dieses unglückliche Weib. Ist der Tag so weit vorüber, dann laßt sie sich zum Tode bereiten.«

[473] Der Herold verkündete diesen Ausspruch des Großmeisters der Unglücklichen, welche demuthsvoll ihr Haupt neigte, ihre Arme faltete und auf zum Himmel blickte, indem sie die Hilfe von oben zu erwarten schien, die sie sich von Menschen nicht mehr versprechen durfte. Während dieser schrecklichen Pause schlug die Stimme Bois-Guilberts an ihr Ohr – er lispelte zwar nur, allein dies Lispeln regte sie stärker auf, als die Worte des Herolds.

»Rebekka,« sagte der Templer, »hörst Du mich?«

»Ich habe keinen Theil an Dir, grausamer hartherziger Mann,« sagte das unglückliche Mädchen.

»Aber verstehst Du meine Worte?« sagte der Templer »denn der Klang meiner Stimme ist meinen eigenen Ohren furchtbar. Kaum weiß ich, auf welchem Boden wir stehen, und warum sie uns hieher gebracht haben. – Diese Schranken – dieser Stuhl – dieser Holzstoß – ich kenne wohl ihren Vorsatz und doch, scheint es mir Wirklichkeit? – Nein, nur das schreckliche Bild eines Traumes, der meine Sinne mit entsetzlichen Erscheinungen ängstigt, aber meinen Verstand nicht überzeugt.«

»Mein Geist und meine Sinne täuschen mich nicht,« versetzte Rebekka, »sie sagen mir, daß dieser Holzstoß bestimmt ist, meinen irdischen Körper zu verzehren, und mir einen schmerzlichen aber kurzen Uebergang zu einer bessern Welt zu bereiten.«

»Träume, Rebekka, Träume!« erwiderte der Templer, »eitle Trugbilder, verworfen von der Weisheit Eurer weiseren Sadducäer! Höre mich, Rebekka,« fuhr er mit Heftigkeit fort, »eine bessere Zuflucht für Leben und Freiheit bietet sich dar, als jene Buben sich träumen lassen. Steige hinter mir auf mein Roß, das beste, das je einen Reiter trug. Ich gewann es im Zweikampf mit dem Sultan von Trebizond; besteige es hinter mir, sage ich, und in einer kleinen Stunde sind wir aller Verfolgung und Nachsetzung entkommen! Eine neue Welt der Freude öffnet sich Dir; mir eine neue Laufbahn des Ruhms! Laß sie dann ein Urtheil sprechen, das ich verachte, und meinen heiligen Namen vertilgen aus dem Verzeichniß mönchischer Sklaven! Jeden Schandfleck, den sie auf mein Wappenschild zu werfen wagen, will ich mit Blut abwaschen.«

»Versucher,« sagte Rebekka, »entferne Dich! Auch nicht in dieser äußersten Gefahr sollst Du mich nur ein Haar breit von der Stelle [474] bringen. Von Feinden umgeben, halte ich Dich doch für meinen schrecklichsten und verderblichsten – entferne Dich, im Namen Gottes!«

Albert Malvoisin, beunruhigt durch die lange Dauer der Uterredung, trat jetzt hinzu, um sie zu unterbrechen.

»Hat das Mädchen ihre Schuld anerkannt?« fragte er Bois-Guilbert, »oder beharrt sie entschlossen bei ihrem Leugnen?«

»Entschlossen ist sie,« sagte Bois-Guilbert.

»Dann,« sagte Malvoisin, »mußt Du, edler Bruder, Deinen Platz wieder einnehmen, um den Ausgang zu erwarten. Die Schatten wechseln auf der Scheibe des Sonnenzeigers! Komm, tapferer Guilbert, komm, unseres heiligen Ordens einzige Hoffnung und bald dessen Oberhaupt!«

Indem er dies mit besänftigendem Tone sprach, legte er die Hand an den Zügel des Rosses, gleich als wolle er den Ritter selbst zurückführen.

»Falscher Bube! Was willst Du mit der Hand an dem Zügel meines Rosses?« sagte Sir Brian sehr aufgebracht, und indem er des Gefährten Hand fortschleuderte, ritt er selbst an das unterste Ende der Schranken zurück.

»Es ist noch Kühnheit in ihm,« sagte Malvoisin leise zu Mont-Fichet, »wäre sie nur recht geleitet, aber gleich dem griechischen Feuer verbrennt sie alles, was ihr nahe kommt.«

Zwei Stunden waren die Richter nun schon in den Schranken und hatten umsonst auf das Erscheinen eines Kämpfers gewartet.

»Kein Wunder,« sagte Bruder Tuck, »da sie eine Jüdin ist; und doch, bei meinem Orden, es ist hart, daß ein so junges schönes Geschöpf umkommen soll, ohne daß ein Streich zu ihrer Rettung geführt wird, wäre sie auch zehnmal eine Hexe; wenn sie nur wenigstens eine Christin wäre, so sollte mein Kampfstock selbst auf der Stahlhaube des stolzen Templers tanzen, ehe die Sache zum Ende käme.«

Man glaubte nunmehr allgemein, daß niemand für eine der Zauberei beschuldigte Jüdin in die Schranken treten wolle, und die Ritter flüsterten bereits einander zu, daß es Zeit sei, Rebekka ihres Pfandes für verlustig zu erklären. In diesem Augenblicke erschien ein Ritter, der mit fliegender Eile dem Orte sich nahte, wo die Schranken standen. Hunderte von Stimmen riefen zugleich: [475] »Ein Kämpfer! Ein Kämpfer!« und aller Vorurtheile spottend, begrüßte man ihn laut und freudig, als er in die Schranken einritt. Ein zweiter Blick auf ihn war jedoch hinreichend, die Hoffnung zu zerstören, welche sein Erscheinen erregt hatte. Denn sein Roß, das mehrere Meilen in höchster Eile zurückgelegt haben mochte, war ganz erschöpft, und der Reiter schien sich kaum im Sattel halten zu können.

Den Aufforderungen des Herolds, der ihn um Rang, Namen und Absicht fragte, antwortete der Fremde schnell und kühn: »Ich bin ein guter und edler Ritter, und hieher gekommen, um mit Schwert und Lanze den gerechten und gesetzmäßigen Streit dieses Mädchens Rebekka, Tochter Isaaks von York, auszufechten; zu behaupten, daß das gegen sie ausgesprochene Urtheil falsch und unwahr sei, und den Sir Brian de Bois-Guilbert als einen Verräther, Mörder und Lügner herauszufordern; das will ich auf diesem Platze mit meinem Körper gegen ihn beweisen, durch Hilfe Gottes, unserer Frau und des heiligen Georg.«

»Der Fremde,« sagte Malvoisin, »muß erst beweisen, daß er ein guter Ritter ist und von edler Abkunft; der Tempel sendet keinen Streiter gegen namenlose Männer.«

»Mein Name,« versetzte der Ritter und schlug das Visir auf, »ist vielleicht bekannter und meine Abkunft reiner als Deine eigene, Malvoisin! Ich bin Wilfred von Ivanhoe!«

»Mit Dir fechte ich nicht,« sagte der Templer mit ganz veränderter hohler Stimme. »Laß Deine Wunden erst heilen, suche Dir ein besseres Roß, dann werde ich es vielleicht meiner würdig finden, Deinen knabenhaften Muth zu züchtigen.«

»Ha, stolzer Templer,« sagte Ivanhoe, »hast Du vergessen, daß Du zweimal vor dieser Lanze am Boden lagst? Denke an die Schranken von Acre, denke an den Waffengang zu Ashby! Denke an Deine stolze Prahlerei in den Hallen von Rotherwood und die Verpfändung Deiner goldenen Kette gegen meine Reliquie, daß Du mit Ivanhoe kämpfen wolltest, um Deine verlorene Ehre zu retten! Bei dieser Reliquie schwöre ich, ich werde Dich, Templer, öffentlich und an jedem Hofe Europas, in jedem Präceptorium Deines Ordens als einen Feigling bezeichnen, wenn Du Dich nicht unverzüglich zum Kampfe stellst.«

[476] Bois-Guilbert wandte sich unentschlossen nach Rebekka um, dann rief er mit einem stolzen Blick auf Ivanhoe: »Hund von einem Sachsen, ergreife Deine Lanze und bereite Dich zum Tode, den Du Dir selbst zugezogen hast!«

»Gestattet mir der Großmeister den Kampf?« fragte Ivanhoe.

»Ich kann Dein Begehren nicht weigern,« sagte dieser, »vorausgesetzt, daß das Mädchen Dich als ihren Kämpfer annimmt. Indeß wünschte ich, Du hättest eine bessere Veranlassung zum Kampfe. Ein Feind unseres Ordens bist Du zwar stets gewesen, dennoch möchte ich lieber auf eine andere Weise mit Dir zusammengekommen sein.«

»Es ist ein Gottesurtheil!« sagte Ivanhoe. »Gottes Schutze empfehle ich mich! Rebekka,« rief er, nun nach dem Stuhle hinreitend, »nimmst Du mich zu Deinem Kämpfer an?«

»Ja,« versetzte sie mit einer Bewegung, die selbst die Todesfurcht in ihr nicht hatte hervorbringen können, »ja, ich nehme Dich an als den Kämpfer, den der Himmel mir gesendet. Aber nein, – nein! Deine Wunden sind ja noch nicht geheilt! Kämpfe nicht mit dem stolzen Manne, warum solltest Du so untergehen?«

[477] Ivanhoe stand jedoch schon auf dem Platze, hatte sein Visir geschlossen und seine Lanze ergriffen. Bois-Guilbert that dasselbe. Sein Knappe bemerkte, als er ihm das Visir schloß, daß sein Gesicht, das, aller Bewegungen ungeachtet, die sein Gemüth erschüttert hatten, den ganzen Morgen äußerst blaß gewesen war, jetzt plötzlich von einer dunkeln unheimlichen Röthe bedeckt wurde. Seine Augen rollten wie die eines Wahnsinnigen.

Als der Herold sah, daß sich jeder Kämpfer auf seinem Platze befand, ließ er seine Stimme erschallen und rief dreimal in normännisch-französischer Sprache: »Faites vos devoires, preux chevaliers!« Thut eure Pflicht, tapfre Ritter! Hierauf begab er sich auf eine Seite der Schranken und verkündete, daß niemand, bei Strafe augenblicklichen Todes, weder durch Wort und Ruf, noch durch Handlung sich in das Gefecht mischen oder dasselbe stören solle. Der Großmeister, der das Pfand des Kampfes, Rebekkas Handschuh, in der Hand hielt, warf es nun in die Schranken und ließ das bedeutende Wort als Zeichen erschallen:»Laissez aller!«

Die Trompeten schmetterten und die Ritter sprengten in vollem Lauf gegen einander. Ivanhoes erschöpftes Roß und sein nicht minder erschöpfter Reiter sanken, wie jedermann nicht anders erwartet hatte, vor der Lanze und dem kraftvollen Rosse des Templers zu Boden. Allein, obgleich Ivanhoes Lanze den Schild Bois-Guilberts kaum berührte, so wankte doch dieser Kämpfer, zum Entsetzen aller, die es sahen, im Sattel, verlor die Bügel und stürzte nieder. Todtenstille herrschte unter den Zuschauern.

Ivanhoe, der sich schnell unter dem gefallenen Rosse wieder emporgerafft, stand bereits aufrecht und hatte zum ferneren Kampfe das Schwert gezogen; aber sein furchtbarer Gegner stand nicht wieder auf. Wilfred setzte ihm den Fuß auf die Brust und die Spitze seines Schwertes an die Kehle, und befahl ihm, sich zu ergeben oder auf der Stelle zu sterben. Bois-Guilbert schwieg.

»Tödtet ihn nicht, Herr Ritter,« rief der Großmeister, »ohne Beichte und Absolution, tödtet nicht Seele und Leib zugleich. Wir erklären ihn für besiegt.«

Der Großmeister stieg in die Schranken hinab und befahl, dem besiegten Kämpfer den Helm abzunehmen. Seine Augen [478] waren geschlossen, und die dunkle Röthe lag noch auf seinem Gesichte. Als nun alle mit Erstaunen ihn betrachteten, öffneten sich die Augen wieder, allein ihr Blick war stier und ausdruckslos. Die Röthe verschwand und Todesblässe trat an ihre Stelle. Unbeschädigt von der Lanze des Feindes war er gefallen, ein Opfer seiner eigenen unbezähmbaren Leidenschaften.

»Das ist ein wahrhaftes Gottesurtheil,« sagte der Großmeister, aufwärts blickend: »Fiat voluntas tua!«

»Ein Gottesurtheil, ein Gottesurtheil,« schrieen tausende von Kehlen auf einmal, und eben so viele Hände erhoben sich zum Zeichen des Kreuzes. Ein Herzschlag hatte dem Leben des Elenden ein Ende gemacht.

44. Kapitel

[479] Kapitel XLIV.

So ists zu Ende wie ein Weibermärchen.


Webster.


Als die ersten Eindrücke der Ueberraschung geschwunden waren, fragte Wilfred den Großmeister, ob er männlich und rechtlich seine Pflicht in dem Kampfe gethan habe?

»Männlich und rechtlich ist sie gethan worden,« erwiderte der Großmeister; »ich erkläre daher das Mädchen für frei und schuldlos. – Die Waffen und der Leichnam des entseelten Ritters stehen zur Verfügung des Siegers.«

»Ich mag ihn seiner Waffen nicht berauben,« sagte der Ritter von Ivanhoe, »auch wünschte ich seinen Leichnam nicht beschimpft zu sehen. Er hat für das Christenthum gefochten; Gottes Hand, nicht menschliche Gewalt hat ihn zu Boden gestreckt. Aber laßt ihn im Stillen beerdigen, wie einen, der in einem ungerechten Streite gefallen ist. – In Ansehung des Mädchens –«

Hier wurde er durch den Hufschlag von Rossen unterbrochen, die so schnell und in solcher Anzahl herbeieilten, daß der Boden unter ihnen zu beben schien. Der schwarze Ritter sprengte in die Schranken. Ihn begleitete eine zahlreiche Menge Bewaffneter und mehrere Ritter in voller Rüstung.

»Ich komme zu spät!« sagte er, um sich schauend. »Ich hatte Bois-Guilbert für mich ausersehen. Ivanhoe, war es recht, solch ein Abenteuer zu übernehmen, da Du Dich kaum selbst im Sattel halten konntest?«

»Der Himmel,« versetzte Ivanhoe, »hat sich diesen stolzen [480] Mann zum Opfer erkoren. Er sollte die Ehre nicht haben, so zu sterben, wie Ihr es gewollt.«

»Friede mit ihm,« sagte Richard, indem er ernst auf den Leichnam schaute, »sei es, wie es wolle, er war tapfer, und ist in seiner Rüstung echt ritterlich gestorben. Allein wir dürfen keine Zeit verlieren. – Bohun, thue Deine Pflicht!«

Aus des Königs Gefolge trat sogleich ein Ritter hervor, und indem er seine Hand auf Albert Malvoisins Schulter legte, sagte er: »Ich verhafte Dich wegen Hochverraths!«

Der Großmeister hatte bisher verwundert dagestanden, jetzt sprach er:

»Wer ist es, der es wagt, einen Ritter des Tempels von Zion innerhalb des Umkreises seines eigenen Präceptoriums und in Gegenwart des Großmeisters selbst zu verhaften? Und auf wessen Befehl geschieht diese kühne Beleidigung?«

»Ich bewirke die Verhaftung,« versetzte der Ritter, »ich, Heinrich Bohun, Graf von Essex, Lord Großconnetable von England.«

»Und er verhaftet Malvoisin,« sagte der König, indem er sein Visir aufhob, »auf Befehl Richard Plantagenets, der hier gegenwärtig ist. Conrad Mont-Fichet, es ist gut für Dich, daß Du nicht mein geborner Unterthan bist. Aber Du, Malvoisin, Du stirbst nebst Deinem Bruder Philipp, ehe die Welt um acht Tage älter ist.«

»Ich widersetze mich dem Urtheile!« sagte der Großmeister.

»Stolzer Templer!« versetzte der König, »das kannst Du nicht. Blicke auf und sieh die königliche Fahne Englands auf Deinen Thürmen, an Stelle der des Tempels! Sei klug, Beaumanoir, und versuche keinen vergeblichen Widerstand! Deine Hand liegt in des Löwen Rachen!«

»Ich werde nach Rom gegen Dich appelliren,« erwiderte der Großmeister, »wegen Kränkung der Freiheiten und Vorrechte unsers Ordens.«

»Meinetwegen!« sagte der König, »aber um Deiner selbst willen mahne mich jetzt nicht daran. Löse Dein Kapitel auf und ziehe mit Deinen Gefährten nach dem nächsten Präceptorium, wenn Du eins finden kannst, das sich noch keiner hochverrätherischen Verschwörung [481] gegen den König von England schuldig gemacht hat. Oder willst Du bleiben, so theile unsere Gastfreundschaft und bezeuge unsere Gerechtigkeit.«

»Soll ich ein Gast sein in dem Hause, wo ich befehlen müßte?« sagte der Templer; »nie, niemals! Kaplan, stimme an den Psalm: Quare fremuerunt gentes? Ritter, Knappen und Anhänger des heiligen Tempels, bereitet euch, dem Banner Beau séant zu folgen!«

Der Großmeister sprach mit einer Würde, die Englands König selbst in Verlegenheit setzte, und seinen erstaunten und erschrockenen Anhängern Muth einflößte. Sie drängten sich um ihn her, wie die Schafe um den Wächterhund, wenn sie den Wolf heulen hören. Allein sie bewiesen keineswegs die Furchtsamkeit der Schafe, sondern man bemerkte finstere Stirnen und Blicke, welche mit Feindseligkeiten drohten, die sie nicht wagten in Worten zu äußern. Sie zogen sich in eine dunkle Reihe von Speeren zusammen, aus welcher die weißen Mäntel der Ritter unter den schwarzen Kleidern ihrer Diener wie die hellen Säume dunkler Wolken hervorschimmerten. Die Menge, welche ein lautes Geschrei des Mißfallens ausgestoßen, schwieg und betrachtete stumm die furchtbare und erfahrene Kriegsschaar, die der König so unvorsichtig herausgefordert hatte, und scheu wich sie zurück.

Der Graf von Essex, als er die versammelte Macht vor sich sah, drückte seinem Rosse die Sporen in die Seiten, und sprengte vor- und rückwärts, um seine Gefährten zum Widerstand gegen eine so furchtbare Schaar zu sammeln; Richard allein, gleich als liebe die Gefahr, die seine Gegenwart erzeugt hatte, ritt langsam an der Front der Templer hinunter und rief: »Wie, ihr Herren? Unter so tapfern Rittern will nicht einer eine Lanze mit Richard brechen? Ihr Herren des Tempels, eure Damen müssen sehr von der Sonne verbrannt sein, wenn ihr sie nicht des Splitters einer Lanze werth haltet!«

Der Großmeister der Templer ritt auf diese Worte vor und sprach:

»Die Brüder des Tempels fechten nicht um so eitler und profaner Zwecke willen, auch nicht mit Dir, Richard von England, soll in meiner Gegenwart ein Ritter eine Lanze brechen. Der Papst und die Fürsten Europas mögen entscheiden, ob ein christlicher [482] Fürst wohlgethan hat, eine Sache so zu verfechten, wie Du es heute gethan hast. Unangegriffen entfernen wir uns, niemanden angreifend. Deiner Ehre vertrauen wir die Waffen und Effekten des Ordens, die wir nicht mitnehmen können, und auf Dein Gewissen wälzen wir das Aergerniß und die Kränkung, die Du heute dem Christenthum zugefügt hast.«

Mit diesen Worten und ohne eine Antwort zu erwarten, gab der Großmeister das Zeichen zum Aufbruch. Die Trompeter bliesen einen wilden Tusch nach orientalischer Art als das gewöhnliche Signal der Templer zum Abmarsch. Sie bildeten ihren Nachtrab zu einer Kolonne und ritten langsamen Schrittes fort, gleich als wollten sie zeigen, daß es nur der Wille ihres Großmeisters, keineswegs aber Furcht vor der ihnen gegenüberstehenden Macht sei, was sie zum Abzug bewege.

»Bei der heiligen Jungfrau!« sagte König Richard, »es ist Schade, daß die Templer nicht so zuverlässig, als tapfer und disciplinirt sind.«

Die Menge, gleich einem furchtsamen Hunde, der erst bellt, wenn der Gegenstand, der ihn beleidigte, den Rücken gewandt hat, ließ ein Geschrei vernehmen, als die Schaar den Platz verließ.

Während des Lärms, den der Rückzug der Templer verursachte, sah und hörte Rebekka nichts von alle dem, was sie umgab. Sie lag bewußtlos in den Armen ihres alten Vaters, der sie endlich durch sein Zureden aus ihrer Betäubung erweckte.

»Laß uns von hinnen, mein theures Kind,« sagte er, »mein wiedergefundener Schatz, laß uns gehen und uns dem edlen Jüngling zu Füßen werfen!«

»Nein, nein,« sagte Rebekka, »ich darf es jetzt nicht wagen, mit ihm zu reden. O, ich möchte noch mehr sagen, als – nein, mein Vater, laß uns augenblicklich diesen bösen Ort verlassen.«

»Aber, liebste Tochter,« entgegnete Isaak, »ihn zu verlassen, der so weit hergekommen ist, als ein tapferer Mann mit Speer und Schild, sein eigenes Leben nicht achtend, wenn er Deine Gefangenschaft nur löste, und Du, Du, die Tochter eines verachteten Volkes, ihm ganz fremd, o, das ist ein Dienst, der dankbar erkannt werden muß.«

»Ja, ja, dankbar, demüthigst erkannt, das soll er werden, doch [483] jetzt nicht, nur jetzt nicht! Um Deiner geliebten Rahel willen, schlage mir diese Bitte nicht ab, – jetzt nicht.«

»Aber,« sagte Isaak, noch immer in sie dringend, »sie werden uns für undankbarer halten als schnödes Vieh« –

»Siehst Du denn nicht, theurer Vater, daß König Richard zugegen ist, und daß« –

»Du hast Recht, meine gute, meine kluge Rebekka! Fort von hier! Fort von hier! – Er durstet nach Geld, gewiß; denn er ist erst aus Palästina und, wie man sagt, aus dem Gefängnisse zurückgekehrt – und einen Vorwand dazu wird er schon finden, weil ich mit seinem Bruder Johann verkehrt habe. Fort, laß uns von hinnen eilen!«

So zog er seine Tochter mit sich aus den Schranken fort und brachte sie, da er schon Pferde in Bereitschaft hatte, glücklich in das Haus des Rabbiners Nathan.

Kaum hatte sich die Jüdin, deren Schicksal das Hauptinteresse des Tages ausmachte, unbemerkt entfernt, so wandte sich die Aufmerksamkeit des großen Haufens auf den schwarzen Ritter. Die Luft erscholl nun von dem Rufe: »Lange lebe Richard der Löwenherzige! Nieder mit den Templern!«

»Ungeachtet dieser Lippentreue,« sagte Ivanhoe zu dem Grafen von Essex, »war es doch gut, daß der König die Vorsicht brauchte, Dich mitzunehmen, edler Graf, und noch einige Deiner treuen Begleiter.«

Der Graf lächelte und schüttelte den Kopf.

»Tapferer Ivanhoe, kennst Du denn unsern Herrn so wenig, daß Du ihn im Verdacht hast, eine so weise Vorsichtsmaßregel zu ergreifen? Ich wollte mich eben nach York begeben, weil ich gehört hatte, daß Prinz Johann dort eine Partei bilde, da traf ich König Richard, gleich einem irrenden Ritter hieher eilend, um bloß mit seinem einzigen Arm das Abenteuer des Templers und der Jüdin zu enden. Ich schloß mich ihm fast wider seinen Willen an.«

»Und was bringst Du neues von York, tapferer Graf?« fragte Ivanhoe; »werden die Rebellen uns Trotz bieten?«

»Nicht mehr als der Decemberschnee der Julisonne trotzt,« sagte der Graf; »sie zerstreuen sich, und glaubst Du wohl, daß Johann uns selbst die Nachricht davon gebracht hat?«

[484] »Der Verräther! Der undankbare Verräther!« sagte Ivanhoe, »hat ihn Richard nicht ins Gefängniß werfen lassen?«

»O, er empfing ihn,« sagte der Graf, »als wenn sie sich nach einer Jagdpartie begegnet wären; und indem er auf uns und unsere Bewaffneten deutete, sagte er: Du siehst, Bruder, ich habe ein paar hitzige, aufgebrachte Leute bei mir; Du thust am besten, zu unserer Mutter zu gehen und dort zu bleiben, bis die Gemüther besänftigt sind.«

»Und das war alles, was er sagte?« entgegnete Ivanhoe; »sollte man nicht behaupten, Richard ermuthige durch seine Milde die Verrätherei?«

»Ja,« sagte der Graf, »wie man sagen kann, derjenige fordere den Tod heraus, der mit einer gefährlichen, ungeheilten Wunde es unternimmt, ein Gefecht zu bestehen.«

»Der Scherz sei Dir verziehen, Graf,« sagte Ivanhoe; »allein bedenke, ich wagte nur mein eigenes Leben, Richard setzt die Wohlfahrt seines Reiches aufs Spiel!«

»Diejenigen,« versetzte der Graf, »welche sich ihre eigene Wohlfahrt nicht sehr angelegen sein lassen, bekümmern sich in der Regel auch nicht viel um die anderer. Aber laß uns zum Schlosse eilen, Richard will einige der untergeordneten Mitglieder der Verschwörung bestrafen, obgleich er ihrem Anführer verziehen hat.«

Aus den gerichtlichen Untersuchungen, die bei die ser Gelegenheit geführt wurden, scheint so viel zu erhellen, daß Moritz de Bracy über das Meer entkam und in die Dienste Philipps von Frankreich trat; Philipp von Malvoisin und sein Bruder Albert, der Präceptor von Templestowe, wurden hingerichtet. Waldemar Fitzurse, obgleich die Seele der Verschwörung, kam mit der Verbannung davon.

Kurz nach dem erwähnten Zweikampfe wurde Cedric der Sachse an den Hof Richards beschieden, der sich zu York aufhielt. Cedric schüttelte zwar den Kopf zu dieser Botschaft, fand sich aber doch ein. In der That hatte Richards Rückkehr jede Hoffnung in ihm erstickt, die sächsische Dynastie in England wiederhergestellt zu sehen; denn so bedeutend auch der Anhang der Sachsen bei einem bürgerlichen Kriege gewesen sein möchte, so war es doch klar, daß sie unter der unbestrittenen Herrschaft Richards nichts ausrichten [485] konnten, da er durch seine persönlichen Eigenschaften und seinen kriegerischen Ruhm die Herzen des Volkes gewonnen hatte.

Athelstane gab die Bewerbung um Rowenas Hand auf. Als Cedric einen letzten Versuch machte, ihn für sein Projekt zu gewinnen, fand er ihn in einem wüthenden Kampfe mit den Mönchen, die ihn lebendig beerdigt hatten. Er schonte keine Glatze, deren er habhaft wurde, und ließ jeden Mönch drei Tage lang – fasten.

Kaum war Cedric sieben Tage am Hofe gewesen, als er auch schon seine Einwilligung zur Vermählung seiner Mündel Rowena mit seinem Sohne Wilfred von Ivanhoe gegeben hatte.

Die Trauung unseres Helden wurde in einem der erhabensten Tempel, dem Münster zu York, gefeiert. Der König selbst wohnte ihr bei, was die Sachsen höchst zuversichtlich stimmte. Die römische Kirche entfaltete dabei all den Pomp, den sie noch jetzt mit so günstigem Erfolge zu benutzen weiß, um die Gemüther zu gewinnen und zu fesseln.

Gurth, stattlich ausstaffirt, folgte seinem jungen Herrn, dem er so treu gedient hatte, als Knappe, und der großmüthige Wamba trug an diesem Tag eine neue Kappe und einen ungeheuren Schmuck von silbernen Glöckchen. Sowie sie Wilfreds Unglück und Gefahren redlich getheilt hatten, blieben sie auch im Glück seine Gefährten.

Außer diesem Dienergefolge wurde die Hochzeit noch verherrlicht durch den Besuch vornehmer Normänner und Sachsen, die den allgemeinen Jubel der niederen Stände theilten, welche in dieser Verbindung ein Pfand künftigen Friedens erblickten. Cedric lebte noch so lange, um den Anfang dieser Verschmelzung zu bemerken; allein erst unter der Regierung Eduards des Dritten wurde die Mischsprache, die jetzt englisch heißt, am Hofe zu London gesprochen, sowie auch erst von dieser Zeit an der feindliche Unterschied zwischen Normannen und Sachsen gänzlich verschwunden zu sein scheint. Doch sprach man bis zum Jahre 1400 in den oberen Schichten des Volkes noch französisch, wenn auch sehr vom Pariser Accent abweichend.

Am zweiten Morgen nach ihrem Hochzeitstage wurde der Lady Rowena von ihrer Zofe Elgitha gemeldet, daß ein junges Mädchen da sei, welches mit ihr ohne Zeugen zu sprechen wünsche. Rowena [486] wunderte sich darüber, wurde aber neugierig, ließ das Mädchen hereinkommen, und befahl ihren Leuten, sich zu entfernen.

Sie trat ein – eine edle, imposante Gestalt. Der lange, weiße Schleier, der sie umfloß, beschattete mehr die Anmuth und Majestät ihres Wesens, als daß er sie verhüllte. Ihr Benehmen war höchst achtungsvoll, doch ohne den mindesten Schatten von Furcht, oder das Bestreben, sich Rowenas Gunst zu erwerben. Rowena war stets bereit, fremde Ansprüche anzuerkennen und fremde Gefühle zu theilen. Sie stand auf, und würde sogleich den liebenswürdigen Besuch zu einem Sitze geführt haben, aber dieser sah Elgitha an, und äußerte abermals den Wunsch, mit Lady Rowena allein zu reden. Elgitha war nicht so bald verschwunden, als zum Erstaunen der Lady von Ivanhoe die schöne Fremde sich auf ein Knie vor ihr niederließ, ihre Hand vor die Stirn legte, dann das Haupt zur Erde beugte, und trotz Rowenas Widerstand den gestickten Saum ihres Kleides küßte.

»Wozu das?« fragte die überraschte junge Frau; »warum beweiset Ihr mir eine so ungewöhnliche Verehrung?«

»Weil ich Euch, Lady von Ivanhoe,« sagte Rebekka aufstehend und ihre gewohnte ruhige Würde wieder annehmend, »gesetzlich und ohne Zurückweisung die Schuld der Dankbarkeit abtragen kann, die der Ritter von Ivanhoe von mir zu fordern hat. Ich bin, verzeiht die Kühnheit, womit ich Euch die Huldigung nach der Sitte meiner Nation darbringe, ich bin die unglückliche Jüdin, für die Euer Gemahl in den Schranken von Tempelstowe sein Leben wagte.«

»Mädchen,« sagte Rowena, »Wilfred von Ivanhoe hat an jenem Tage nur in geringem Maße Eure unermüdete Theilnahme bei Pflege und Heilung seiner Wunden vergolten. Sprich, kann ich, kann er Dir in etwas dienen?«

»Nein,« versetzte Rebekka ruhig, »doch bitte ich Euch, ihm mein dankbares Lebewohl zu bringen.«

»Ihr wollt also England verlassen?« sagte Rowena, die sich kaum von dem Erstaunen über diesen seltsamen Besuch erholen konnte.

»Ich verlasse es, Lady, ehe der Mond wieder wechselt; mein Vater hat einen Bruder, der bei Mahomed Boabdil, dem Könige [487] von Granada, in großer Gunst steht. Dorthin gehen wir, des Friedens und Schutzes sicher gegen Zahlung eines Tributs, den die Muhamedaner von unserm Volke zu fordern pflegen.«

»Und seid ihr denn nicht eben so geschützt in England?« sagte Rowena. »Mein Gemahl steht bei dem Könige in Gunst, der König selbst ist gerecht und edelmüthig.«

»Lady,« sagte Rebekka, »daran zweifle ich nicht; aber Englands Volk ist ein stolzes Geschlecht, immer mit seinen Nachbarn, oder unter sich selbst uneinig, und stets bereit, das Schwert einander in die Brust zu stoßen. Das ist kein sicherer Aufenthalt für die Kinder meines Volkes. Ephraim ist eine muthlose Taube, Isaschar ein überbürdeter Sklav, der zwischen zwei Lasten einherschreitet. In keinem Lande des Krieges und Blutes, umgeben von feindlichen Nachbarn und durch innern Zwiespalt zerrissen, kann Israel hoffen, auf seiner Wanderung Ruhe zu finden.«

»Aber Du, Mädchen,« sagte Rowena, »Du hast doch gewiß nichts zu fürchten! Sie, die am Krankenbette Ivanhoes als Arzt und Pflegerin wachte, sie kann nichts zu fürchten haben in England, wo Sachsen und Normannen sich wetteifernd bemühen werden, ihr die meiste Ehre zu beweisen.«

»Eure Rede ist schön,« entgegnete Rebekka, »und Eure Absicht noch schöner. Aber es kann nicht sein, eine Kluft ist zwischen uns befestigt. Unsere Geburt, unser Glaube verbietet uns, sie zu überschreiten. So lebt denn wohl! Doch ehe ich scheide, gewährt mir noch eine Bitte! Der bräutliche Schleier bedeckt Euer Angesicht, erhebt ihn, und laßt mich das Gesicht schauen, von dem der Ruf so bewundernd spricht.«

»Es ist des Anschauens kaum werth, allein ein Gleiches von meinem Gaste erwartend, hebe ich den Schleier auf.«

Sie that es, und theils im Bewußtsein ihrer Schönheit, theils aus Scham, erröthete sie dergestalt, daß Wangen, Stirn, Nacken und Busen wie mit Purpur übergossen waren. Rebekka erröthete gleichfalls, allein es war nur eine vorübergehende Empfindung, und bald von tieferen Gefühlen ergriffen, entschwand die Röthe aus ihren Zügen, wie die Purpurwolke ihre Farbe verliert, wenn die Sonne unter den Horizont hinabsinkt.

»Lady,« sagte sie, »das Antlitz, welches Ihr mir gezeigt habt, [488] wird lange in meinem Gedächtnisse bleiben. Anmuth und Güte sind darin vereinigt, und wenn sich ein Anstrich von dem Stolze und der Eitelkeit der Welt mit einem solchen Ausdrucke von Liebenswürdigkeit vermischen sollte, wie mögen wir tadeln, daß das, was von der Erde stammt, die Farbe seines Ursprungs trägt? Lange werde ich mich Eures Gesichts erinnern, und gebe Gott, daß ich meinen edlen Befreier verlasse, vereinigt mit« –

Sie stockte – ihre Augen füllten sich mit Thränen. Schnell aber trocknete sie dieselben und antwortete auf Rowenas besorgliche Erkundigung nach ihrem Befinden: »Ich befinde mich wohl, Mylady, ganz wohl; aber mein Herz schwillt mir im Busen, wenn ich an Torquilstone und an die Schranken von Tempelstowe denke! Lebt wohl! – Doch einer, der geringste Theil meiner Pflicht ist noch unvollbracht. Nehmt dieses Kästchen und seid nicht ungehalten über seinen Inhalt.«

Rowena öffnete das kleine, mit Silber beschlagene Kästchen und erblickte einen Halsschmuck und diamantene Ohrgehänge von unermeßlichem Werthe.

»Unmöglich,« sagte sie, das Kästchen zurückgebend, »ein Geschenk von solchem Werthe darf ich nicht annehmen.«

»O, nehmt es doch,« versetzte Rebekka; »Ihr habt Macht, Rang, Einfluß; wir haben Reichthum, die Quelle unserer Kraft und unserer Schwäche; der Werth dieser Spielereien würde nicht halb so viel auszurichten vermögen, als Euer leisester Wunsch; Euch ist diese Gabe von geringer Bedeutung, mir aber von noch geringerer. Laßt mich nicht glauben, daß Ihr so niedrig von meinem Volke denkt, wie der gemeine Haufe Eurer Landsleute; denkt Ihr auch, daß ich diese flimmernden Steine höher schätze als meine Freiheit? Oder daß mein Vater sie nur der Rede werth hält, im Vergleich mit der Ehre seines einzigen Kindes? Nehmt sie, Lady, mir sind sie ohne Werth, denn nie werde ich wieder Edelsteine tragen.«

»Seid Ihr denn so unglücklich?« fragte Rowena, ergriffen von der Art und Weise, in der Rebekka diese letzten Worte aussprach. »O, bleibt bei uns! Der Rath heiliger Männer wird Euch von Eurem unglücklichen Gesetze befreien, und ich will Eure Schwester sein!«

[489] »Nein, Lady,« entgegnete Rebekka, mit derselben sanften Schwermuth in ihrem schönen Gesichte und ihrer milden Stimme, »das kann nicht geschehen. Ich kann den Glauben meiner Väter nicht wechseln wie ein Kleid, das nicht für das Klima paßt, unter dem ich wohnen will, und unglücklich, Lady, will ich nicht sein. Er, dem ich mein künftiges Leben weihe, wird mein Tröster sein, wenn ich seinen Willen thue.«

»Habt Ihr denn Klöster, in deren eins Ihr Euch zu begeben gedenkt?« fragte Rowena.

»Nein, Mylady,« sagte die Jüdin, »aber unter unserm Volke hat es seit Abrahams Zeiten Frauen gegeben, welche ihre Gedanken dem Himmel weihten, und ihre Handlungen der Menschenliebe; sie pflegten den Kranken, speisten den Hungrigen und trösteten den Elenden. Unter diese soll Rebekka gezählt werden. Das sage Deinem Herrn, wenn er nach dem Schicksal derjenigen fragen sollte, deren Leben er einst rettete.«

Es war ein unwillkürliches Beben in Rebekkas Stimme, und eine Zartheit in ihrem Tone, die vielleicht mehr verriethen, als sie wünschte. Sie eilte, von Rowena Abschied zu nehmen.

»Lebt wohl, lebt wohl,« sagte sie. »Möge der, welcher Juden und Christen schuf, seine schönsten Segnungen über Dich ausschütten. Das Schiff, welches uns von hier tragen soll, möchte vielleicht unter Segel gehen, ehe wir den Hafen erreichen können.«

So schlüpfte sie aus dem Zimmer und ließ Rowena in Erstaunen zurück, gleich als sei ein Traumgesicht an ihr vorübergegangen. Die schöne Sächsin erzählte die wunderbare Unterredung ihrem Gemahl, auf dessen Gemüth sie einen tiefen Eindruck machte. Er lebte lange und glücklich mit Rowena; denn beide waren einander mit der reinsten Liebe zugethan, welche sehr erhöht wurde durch das Andenken an die Schwierigkeiten, die sich ihrer Verbindung entgegengestellt hatten. Indessen würde es vermessen sein, zu fragen, ob die Erinnerung an Rebekkas Schönheit sich nicht öfter bei ihm erneute, als der schöne Sprößling König Alfreds es gern gesehen.

Ivanhoe zeichnete sich in Richards Diensten bedeutend aus und erhielt fernere Beweise seiner königlichen Gunst. Er würde sich wohl noch höher aufgeschwungen haben, hätte nicht der frühe [490] Tod Richards vor dem Schlosse Chalez bei Limoges dies verhindert. Mit dem Leben eines edelmüthigen, aber feurigen und romantischen Monarchen scheiterten alle Pläne, die sein Ehrgeiz und sein Edelmuth entworfen hatten, und auf ihn lassen sich mit geringer Veränderung die Verse anwenden, die Johnson auf Karl den Zwölften von Schweden dichtete:


Ihm ward der Tod verhängt am fremden Strand – Vor einer kleinen Burg von niedrer Hand; Erbleichend staunte man den Namen an – Stoff für Moral – doch Stoff auch zum Roman.

[491]

Notes
Erstdruck: Edinburgh (Constable and Co.) 1820. Hier in der Übers. v. Benno Tschischwitz.
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TextGrid Repository (2012). Scott, Sir Walter. Ivanhoe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-09DE-8