[129] Zwey Augenblicke

Am 1ten Februar 1816

1.
Ihr zarten Blümlein, Wiesenanemonen,
Die sich zum Strauß die Liebste spielend band,
Als ich zuerst und plötzlich einst empfand,
Sie werd' allein in meinem Herzen wohnen,
Mag Sturm und Frost stets eurer Wiege schonen,
Wo ihr entblüht, am grünen Bergesrand,
Euch flechte stets beglückter Liebe Hand,
Noch eh' ihr welkt, in ihre Siegeskronen!
Wie ihr euch hobt beym ersten Frühlingsstrahl,
So brach auch mir aus dunkeln Wolken eben
Nach langer Nacht das Licht zum ersten Mal.
Ihr habt das Haupt geneigt im jungen Leben
Und sterbend noch ihr kurze Lust gegeben,
Ich lebe mir und, ach, auch ihr zur Qual!
[130] 2.
Du sel'ger Augenblick im dunkeln Leben,
Als meinem Mund das kühne Wort entflog,
Und sie das Haupt erröthend niederbog,
Tiefathmend, stumm, verwirrt, mit leisem Beben,
Und während sie mit scheuem Widerstreben
Aus meiner Hand die ihre zaudernd zog,
Ich in dem Blick, der ungern mich betrog,
Die Antwort las, ach, die sie nicht gegeben!
Du gold'ner Pfeil, in Nektar eingetaucht,
Den, um das Herz zum Tode zu verwunden,
Die rasche Hand nur auszureißen braucht,
Jetzt schlägt es fort und kann doch nie gefunden;
Doch tauscht' es nicht für alle frühern Stunden
Das süße Weh, das deine Gluth verhaucht.

[131] Am 3ten Februar 1816

1.
Wie ohne Rast die Fluth der leichten Wogen
Sich zitternd regt in wandelbarem Schaum,
Wie ewig neu der Wolke zarter Flaum
Verschwebend wallt am blauen Himmelsbogen,
So werd' auch ich unruhig fortgezogen;
Bild folgt auf Bild, und Traum zerrinnt im Traum;
Im Frieden schon verstand mein Herz sich kaum,
Drum wird es jetzt im Kampfe ganz betrogen.
Nicht weiß ich mehr, was wahr, was eitel sey,
Ob Glaub', ob Furcht, ob Hoffnung in mir lebe,
Ob ich mich nun erfreue, nun betrübe;
Allein wie bunt in flücht'ger Gaukeley
Mein irrer Sinn auch hin und wieder schwebe,
Eins fühl' ich klar und ewig: daß ich liebe.
[132] 2.
O blute nur, du nie geschloßne Wunde,
Laß zögernd mich im langen Schmerz vergehn,
Bis sanftverhaucht des Lebens leises Wehn
Sich seufzend trennt von meinem bleichen Munde!
Und wenn dann erst in dunkler Schattenrunde
Um's Lager mir die Todesengel stehn,
Dann laß, o Gott, noch einmal sie mich sehn,
Die ich geliebt bis an die letzte Stunde!
Dann sinke sanft ihr Haupt zu mir hinab!
Der erste Kuß, den ich von ihr empfangen,
Er löse süß des Lebens Fäden ab!
Still riesle dann, wenn ich dahin gegangen,
Die erste Thrän' um mich von ihren Wangen
Und fall' umsonst, ach, auf mein stummes Grab!

[133] Am 5ten Februar 1816

1.
Wie magst du doch so gern der Blumen pflegen
Und ihrer Farb' und ihres Dufts dich freun,
Und doch so fremd den leisen Geistern seyn,
Die sehnsuchtvoll in ihrem Kelch sich regen?
Scheint stillen Schmerz das Veilchen nicht zu hegen,
Nicht helle Gluth die Ros' umherzustreun?
Droht leuchtend nicht selbst aus dem Silberschein
Der Lilie dir der gold'ne Pfeil entgegen?
O möchtest du der Liebe süßem Flehn
Bezwungen einst die weichre Seele gönnen;
Leicht hörtest du dies Wort dem Kelch entwehn:
Gern wollten wir von Licht und Luft uns trennen,
Um einmal nur das Sehnen zu verstehn,
Das uns verzehrt und das wir doch nicht kennen!
[134] 2.
Sie sind umsonst, der Sehnsucht leise Lieder!
Nie wird dein Sinn dem Sänger weich und mild;
Dein Ohr nur hört, was dir sein Herz enthüllt;
Doch tönt es nie in strenger Brust dir wieder.
So leicht umschwebt mit flatterndem Gefieder
Der Schmetterling der Iris buntes Bild;
Doch zu dem Gift, das tief den Kelch ihr füllt,
Taucht nimmermehr der flücht'ge Gast hernieder.
Die Flammen, die der Liebe Hand dir beut,
Nimmst du zum Spiel der kurzen Augenblicke
Und lachst der Gluth, anstatt sie mild zu kühlen.
Gern gönn' ich's dir, wenn dich das Spiel erfreut;
Du spieltest ja schon längst mit meinem Glücke,
So magst du jetzt mit meinem Schmerz auch spielen.

[135] Am 7ten Februar 1816

1.
Wie festverstrickt mit duftig zarten Reben
Der Efeuzweig den schlanken Baum umschlingt
Und jetzt aus ihm das frische Leben trinkt,
Das früher ihm der Erde Schooß gegeben:
So muß mein Geist dich ewig eng umweben,
Und dein nur sind die Blüthen, die er bringt;
Durch dich allein entknospet und verjüngt,
Ernährt und schmückt sich selbst und dich mein Leben.
O holder Baum, wenn je das Immergrün,
Womit dich stets der Liebe Träum' umranken,
Dein schönes Bild noch zu verschönern schien;
So neige dem, der dir den Schmuck verliehn,
Ach einmal nur, um freundlich ihm zu danken,
Die Zweige, die so reich und lieblich blühn!
[136] 2.
Der Sänger lag von stillem Schlaf umfangen,
Von langem Leid war Wang' und Mund ihm bleich,
Doch blühend kam durch's duftige Gesträuch
Mit ihren Frau'n die Königin gegangen.
Ihr Auge blieb wehmüthig an ihm hangen,
Das stolze Herz, es ward ihr mild und weich,
Sie neigte sich, der schlanken Blume gleich,
Und küßte sanft des Blassen Mund und Wangen.
Da flüsterten die Frauen hier und dort:
Wie mag sich doch die frische Rose nieder
Zum bleichen Kelch der Nachtviole neigen!
Doch sinnig sprach die Herrin dieses Wort:
Nicht küßt' ich ihn; ich küßte nur die Lieder,
Die blühend stets von diesen Lippen steigen.

[137] Am 8ten Februar 1816

1.
Du Rose, die jetzt ohne Farb' und Schein
So traurig steht im öden Garten drüben,
Welch süßer Trost, o Ros', ist dir geblieben,
Wenn auch dein Laub die Winde jetzt verstreun!
An dir wird einst die Reizende sich freun,
Um dich sich einst, wenn du verwelkst, betrüben;
Das Schönste kann ja nur sich selber lieben,
Drum liebt sie dich, ihr schönstes Bild, allein.
O wenn ich doch mit leisen Zauberliedern
Aus deinem Schlaf dich aufzusingen wüßte! –
Hat selbst den Tod doch einst ein Lied erweicht!
Wohl nahte dann, die Gabe zu erwiedern,
Auch mir der Duft, der ihre Lippen küßte,
Und sie zu küssen wähnt' ich dann vielleicht.
[138] 2.
Wie Ros' und Duft ihr Bündniß nimmer trennen,
Sobald der Kelch entblüht dem holden May,
Und, sind auch Ros' und Duft im Namen zwey,
Du denkst den Duft, willst du die Rose nennen;
So lieb' ich zwey; doch kann ich nicht erkennen,
Ob diese dort, und hier die andre sey.
Und bleib' ich stets auch einer Liebe treu,
Zwey Flammen sind's, die mir im Herzen brennen.
Ob auch der Duft den weiten Himmel füllt,
Er schwindet nie aus jenen sel'gen Blüthen,
Die ihm der Lenz zur zarten Wieg' erkohren.
So muß auch mir ein einz'ges lichtes Bild
Ein doppelt Leid, ein doppelt Glück mir bieten,
Das nah mir weilt und das ich längst verloren.

[139] Am 9ten Februar 1816

1.
O Frühling, komm! Laß deine Blumen keimen,
Erweck' im Hain der Vögel süßes Lied,
Und schmücke bunt dein fröhliches Gebiet
Mit Duft und Glanz und goldnen Wolkensäumen!
Wenn Liebe singt in allen grünen Bäumen,
Im Quelle rauscht, im hellen Haine blüht,
Dann wird vielleicht mein traurendes Gemüth,
Vom Glück umringt, sich selber glücklich träumen.
Doch wehe mir! was blickt mein stiller Gram
Den Strahlen nach, die scheidend lang verglommen,
Und ruft umsonst die Schatten schönrer Tage!
Die jedes Glück aus meinem Leben nahm,
Hat auch dem Lenz die Liebeslust genommen
Und ließ ihm nichts als seine Liebesklage.
[140] 2.
Durch Berg und Thal, durch Hain und Wiesengrün
Entrieselt leicht die nimmermüde Quelle;
Bald siehst du tief des Himmels blaue Helle
Und Wolken bald durch ihren Spiegel ziehn.
Wo Baum und Busch am glatten Strande blühn,
Da muß sie rasch vorbey der holden Stelle,
Doch zögernd bricht und hemmt sich ihre Welle,
Wo Felsenhöhn sie rauh und wüst umziehn.
Wohin, wohin, unruhig fortgetragen,
O sehnend Herz, o Liebe, willst du eilen?
Wo ist das Thal, das friedlich dich umfängt?
Was gleitest du an deinen sel'gen Tagen
So schnell vorbey, um, ach, nur dort zu weilen,
Wo dich der Schmerz in enge Banden drängt?

[141] Am 10ten Februar 1816

1.
Nichts wollt' ich mehr verlangen, nichts mehr flehen,
Dürft' ich mit dir, in sel'ger Gluth entbrannt,
Von deinem Arm mit leisem Druck umspannt,
Nur einmal mich im raschen Tanze drehen,
Und süß umhaucht von deines Mundes Wehen,
Und Blick auf Blick in trunkner Lust gewandt,
Mich, den ich nie in deinem Herzen fand,
Ach, einmal nur in deinem Auge sehen!
Doch hält mich längst von jenem einz'gen Glück,
Das gern vielleicht dein strenger Sinn gewährte,
Ein ernster Schwur, den ich mir that, zurück;
Und wenn auch einst die Sehnsucht mich bethörte,
Nah wärst du mir den kurzen Augenblick,
Doch ich dir fern, weil ich mich selbst nicht ehrte.
[142] 2.
Ihr bunten Au'n, ihr Quellen und ihr Höhn,
Ihr Thäler und ihr dunkeln Laubenhallen,
Wo's ihr zu ruhn, zu wandeln einst gefallen,
Nie mag die Spur der Schönen euch vergehn!
Euch, Wiesen, soll ein rein'rer Duft umwehn,
Ihr Wälder sollt von holdern Liedern schallen,
Mit kühlerm Trank, ihr klaren Bäche, wallen,
Und grünender, ihr stolzen Berge, stehn.
Daß, wenn bey euch des langen Pfads Beschwerde
Im süßen Schlaf der Wandrer überwunden,
Beym Scheiden so sein segnend Wort euch dankt:
Du sel'ge Flur des Friedens, heil'ge Erde,
Fast ist mir hier der Heimath Bild verschwunden,
Die Alles hegt, wonach mein Herz verlangt.

[143] Am 11ten Februar 1816

1.
An dich allein kann meine Seele denken;
Zum Liede wird, was ich von dir gedacht;
Kaum hat mein Geist des süßen Spieles Acht,
Weil unbemerkt ihn fremde Zauber lenken.
Wenn du dich kränkst, muß auch mein Lied sich kränken,
Und lächeln wird's, sobald dein Auge lacht;
Du hast den Sinn, ich nur die Form gemacht,
Kaum brauch' ich noch das deine dir zu schenken.
Doch siehst du gern so treu dein holdes Bild,
Wie tief im Quell die Rosen sich erblicken,
Die ungeschmückt so wunderlieblich blühen,
So sey auch mir und meinen Liedern mild,
Die kunstlos dich mit keiner Schöne schmücken,
Die du nicht selbst, du Schönste, dir verliehen.
[144] 2.
Welch Blümchen flicht, eh dieser Kranz sich endet,
Zum letzten Schmuck der Sänger dir hinein?
Zu stolz ist mir der Lilie Silberschein,
Nie war mir hold die Rose zugewendet;
Mayblümchen sind's, die einst mein Herz verblendet,
Das Tausendschön, es blüht bei dir allein;
Vergißmeinnicht, wohl würdet ihr es seyn,
Wenn nicht zu oft die Dichter euch verschwendet.
So wähl' ich dich, das, eh die Stürme fliehn,
Die Glöckchen hebt aus schneebedeckten Keimen,
Ein Stündchen nur am fernen Licht zu blühn.
Hat auch dein Lenz dir wenig Lust verliehn,
Doch trägt dein Kelch an seinen Silbersäumen
Im Winter selbst der Hoffnung zartes Grün.

[145] Am 17ten Februar 1816

(Ihrem Geburtstage.)


Sind Kränze nicht der Schmuck der Schönen?
Führt nicht bekränzt die Braut den Tanz?
Muß nicht ein Kranz den Helden krönen?
Ist nicht des Liedes Lohn ein Kranz?
Drum sollen stets auch diese Stunden,
Weil sie so Schönes uns verliehn,
Vom duft'gen Blumenkranz umwunden,
Sich schmücken mit des Frühlings Grün.
Mag auch der Winter sein sie nennen,
Weil er noch rauh die Flügel schwingt,
Wie sollen wir den Lenz erkennen,
Als an den Gaben, die er bringt?
Und sagt nicht jedes Herz sich immer,
Wenn ihm dein Auge freundlich lacht:
Der schönste May, wohl hat er nimmer
So holde Blumen uns gebracht!
[146]
Des Lebens leichte Flügel bindet
An Raum und Zeit der stolze Wahn;
Doch was den Gott in sich empfindet,
Das schwebt auf selbsterkohrner Bahn.
Hell flammt ein himmlischer Gedanke
Auch aus des Kummers Nacht hervor,
Und blühend schlingt die zarte Ranke
Am rauhen Felsen sich empor.
So zog mit seinen Dienern allen,
Mit Duft, Gesang und Sonnenschein,
Einst in des Winters dunkle Hallen
Der schöne Frühling prangend ein,
Und ließ aus seinen Siegeszweigen,
Um jenen holden Augenblick
Nach fernen Jahren zu bezeugen,
Die schönste Blume, dich, zurück.
Drum schmücke stets mit allen Blüthen,
Mit Allem, was im jungen Jahr
Die Wiesen und die Haine bieten,
Sich dieser Tag sein goldnes Haar.
Den Sieger mag der Lorbeer krönen,
Die Liebe sich der Myrte freun;
Dem holden Geber alles Schönen
Muß alles Schöne dienstbar seyn.

[147] Am 19ten Februar 1816

Holder Tag, der allen Wesen
Licht und Leben giebt und Prangen,
Du, mit rosenrothen Schwingen
Leis' erweckend Wies' und Hain,
Kannst du nicht den Schlummer lösen,
Der betäubend mich umfangen,
Nicht aus diesen Zauberringen
Wüsten Wahnes mich befreyn?
Stille Nacht mit kühlem Schatten,
Die du mütterlich den Schleyer
Deinen tagesmüden Kindern
Um die dunkeln Augen ziehst,
Kannst du nicht dem Todesmatten
Seiner Wunden brennend Feuer,
Jener Pfeile Gift ihm lindern,
Das die Adern ihm durchfließt?
Weh, wie ist das helle Leben
So zum Traum mir umgestaltet?
Weh, wie schleudert selbst im Traume
Mich das Leben hin und her!
Wie die Lüfte wehn und weben,
Wie die Welle wogt und waltet,
Schwimm' ich gleich zerfloßnem Schaume,
Liebe, durch dein wildes Meer!

[148] Am 20sten Februar 1816

Lächeln soll ich jetzt und scherzen
Mit verweintem Angesicht,
Soll mit leichten Worten spielen,
Wenn von kämpfenden Gefühlen,
Wenn von tiefverborgnen Schmerzen
Laut im Herzen
Jeder rasche Puls mir spricht.
Liebe, kannst du mir's vergeben?
Ring' ich nicht mit deiner Macht?
Frevel ist's, dein heil'ges Feuer
Zu umziehn mit dunkelm Schleyer.
Wo die Götter herrschend schweben,
Will ihr Leben
Leuchten durch die ird'sche Nacht.
Wenig rührt's die stolzen Mächte,
Ob sie Schmerz, ob Lust verleihn;
Rastlos wollen sie sich regen,
Nur die ew'ge Kraft bewegen,
Und dem sterblichen Geschlechte
Soll das Rechte,
Was der Starke fordert, seyn.
[149]
Aber wie von Blitzespfeilen
Hell der Eiche Haupt entglüht
Und dem Strahl, der sie entzündet,
Jetzt die eigne Kraft verbündet
Und im wilden Sturmesheulen
Flammensäulen
Ihrem Feind entgegensprüht:
So soll auch das Herz nicht zagen
Vor der Götter glüh'ndem Wehn,
Denn ihr Wandeln und ihr Walten
Wird auch ihm die Kraft entfalten.
Wer ihr mächt'ges Nahn ertragen,
Darf es wagen,
Selbst die Sieger zu bestehn.
Wilde Gluth, ich will dich zwingen,
Will nur lächeln, klagen nie,
Daß die Süße, die ich liebe,
Nicht im Stillen sich betrübe;
Mag mein Herz im Kampfesringen
Auch zerspringen;
Tod und Leben sind für sie!

[150] Am 11ten März 1816

Sie, die sich treu dem Wankenden verbanden,
Als feindlich mir mein böser Stern erschien,
Die Einzigen, die ganz mein Herz verstanden
Und Liebe mir für Liebe gern verliehn,
Sie seh' ich jetzt hinweg zu fernen Landen
Der schönen Pflicht, dem Lohn entgegen ziehn;
Ich muß allein in diesem armen Treiben
Der kalten Welt mit glüh'ndem Herzen bleiben.
Wohl würde dort in jenem reichen Leben,
Wo, gleich dem Licht im hellen Edelstein,
Mit freyem Glanz die regen Funken schweben
Und immer neu ihr farb'ges Feuer streun,
Auch meine Kraft gereizter sich erheben
Und fröhlicher die Fantasie gedeihn.
Wo Strahlen gern an Strahlen sich entzünden,
Wohl würd' auch ich dort Gunst und Liebe finden.
[151]
Hier muß ich scheu die heil'ge Gluth verhüllen
Und dämpfen, was ein Gott mir angefacht,
Und wenn auch heiß mich tausend Flammen füllen
Und mächtig Lust und Leid in mir erwacht,
Nicht kann ich hier den Durst des Herzens stillen,
Denn keiner ist, der mit mir weint und lacht.
In eigner Brust muß ich den Frühling tragen,
Und dennoch sieht mein Blick ihn nimmer tagen.
Und ach, doch hält ein trügerisches Sehnen,
Ein langer Wahn, ein nie errung'nes Glück,
Ein ew'ger Kampf um Schmerzen nur und Thränen
Von neuem stets den Fliehenden zurück!
Für jenen Lenz, den tausend Strahlen krönen,
Begehr' ich hier nur einen holden Blick.
Ach, du nur bist's, du meine Lust, mein Leiden,
Du mein Geschick, du läßt mich nimmer scheiden.
Wie tausendfach die Wurzeln sich durchwinden,
Woraus der Baum zum Himmel sich erhebt,
So ist mein Thun, mein Denken, mein Empfinden,
Mein ganzes Seyn mit diesem Ort verwebt,
Und Berg und Thal, Quell, Wies' und Hain verkünden,
Wie ich geliebt, gelitten und gelebt.
Das Theuerste, was mir die Welt beschieden,
Es lacht und blüht, es schlummert hier im Frieden.
Wohl mag, geraubt den mütterlichen Auen,
Ein zarter Strauch im fremden Boden stehn;
Doch wird umsonst der Himmel ihn bethauen,
Umsonst der Hauch des Lenzes ihn umwehn,
[152]
Sehnsüchtig wird die Blüthe dorthin schauen,
Wo sie zuerst das schönre Licht gesehn.
Der kurze Reiz, den Sorg' und Fleiß ihr geben,
Ist nur ein Traum, ein nachgeahmtes Leben.
So häng' auch ich an deinen sel'gen Blicken,
So bin ich fest an deinen Pfad gebannt,
Und trage stolz die Fesseln, die mich schmücken,
Und wähne süß den Schmerz von deiner Hand.
Nicht kann die Gunst der Fremden mich beglücken,
Hier weilt mein Herz, hier ist mein Vaterland.
Kein blüh'nder Kranz darf meine Locken krönen;
Mein Lorbeer wuchs, gepflegt von Gram und Thränen.
Welch Schicksal hier die Götter mir bereiten,
Ich weiß es nicht und mag es nicht erspähn.
Mir ward bestimmt, durch Dunkel fortzuschreiten,
Verschleyert nur die schöne Welt zu sehn.
Ein Licht nur glänzt, mich durch die Welt zu leiten,
Und schwindet nie, wie auch die Stürme wehn.
Mein Herz erkennt, woher sein Glanz mir schimmert,
Wohin es ruft, das hat mich nie bekümmert.
Denn wie der Stern zu jenem sel'gen Kinde
Die Weisen einst durch fernes Land geführt,
So folg' auch ich, wie auch der Pfad sich winde,
Wie auch das Ziel im Dunkel sich verliert.
Eins weiß ich doch, daß ich ein Kleinod finde,
Das selbst den Schmerz mit gold'nen Strahlen ziert,
Denn schönern Ruhm kann nie das Herz erwerben,
Als treu zu seyn im Leben und im Sterben.
[153]
Wohl wird vielleicht nach wenig kurzen Tagen
Im langen Schlaf mir jeder Wunsch gestillt.
Gern hör' ich jetzt die dunkle Stunde schlagen,
Mein Herz ist leicht und mein Gelübd' erfüllt;
Denn was ich tief in treuer Brust getragen,
Strahlt herrlich jetzt, ein himmlisch lichtes Bild,
Und seit ich jungst den freud'gen Sieg gewonnen,
Ist halb die Nacht des Lebens mir zerronnen.
Und wie, genaht des Grabes stiller Schwelle,
Der Sterbende noch einmal froh erwacht,
Und in dem Blick ihm überird'sche Helle
Und Morgenroth auf seiner Wange lacht,
Als ob sich Erd' und Himmel schon geselle,
Und schon in Eins zerrinnen Licht und Nacht,
So scheint auch mir, daß jetzt, indem ich scheide,
Sich freundlicher mein finstres Leben kleide.
Denn jener Traum aus längstverblühten Stunden,
Als ich beglückt zu deinen Füßen saß,
Und süß getäuscht, ach, was nur ich empfunden,
In deinem Blick, in deinem Lächeln las,
Der sel'ge Traum, der mir so bittre Wunden,
So tiefe schlug, wovon ich nie genas;
Wie Blumen, die am dunkeln Abgrund sprießen,
So scheint er jetzt noch einmal mich zu grüßen.
So sah ich einst dein Bild sich mir verklären,
So hat auch einst dein Auge mir gelacht,
So freundlich einst, den Kummer zu beschwören,
Dein mildes Herz für deinen Freund gewacht.
[154]
O laß den Wahn bis an mein Ende währen!
O wandle nicht von neuem Tag in Nacht!
Nur kurze Zeit laß mir den Himmel offen!
Bald werd' ich Nichts mehr bitten, Nichts mehr hoffen.
O sey mir mild! Jetzt bin ich ganz verlassen,
Wenn noch einmal, wie einst, dies Glück verblüht;
Kein Freundesarm kann jetzt mich rettend fassen,
Wenn mich der Sturm in seine Strudel zieht.
O sey mir mild! du kannst ja den nicht hassen,
Der gern für dich von allem Theuern schied,
Der nicht gezagt, ein ganzes reiches Leben
Für einen Wunsch, für einen Schmerz zu geben.
Wohl mag das Spiel mit nie getäuschten Pfeilen,
Der sichre Sieg ein stolzes Herz erfreun,
Doch schöner ist's, den Blutenden zu heilen
Und mächtig zwar, doch milder noch zu seyn.
Dein bin ich längst, ich kann dir nicht enteilen,
So achte denn mein Wohl und Weh auch dein.
Der nie gefragt, wie schwer sie ihn umwinden,
Laß unverhofft ihn leicht die Ketten finden.

[155] Am 4ten April 1816

Frühling, der mit leisen Schwingen
Lau mir um die Wangen spielt,
Ach, du kannst nicht wiederbringen,
Was ich einst in dir gefühlt!
In des Haines grüner Halle,
An des Baches hellem Lauf
Weckest du die Lieder alle,
Alle Blumen wieder auf;
Und doch kehren jene Lieder,
Die den Glücklichen entzückt,
Jene Blumen nimmer wieder,
Und mein Haupt bleibt ungeschmückt.
Fremde Bilder seh' ich schweifen,
Räthsel, neu und wunderbar,
Und mein Herz kann nicht begreifen,
Was ihm sonst so deutlich war.
[156]
Dieses Duften, dieses Prangen,
Hat es einst mich doch ergötzt;
Warum rinnt mir von den Wangen
Denn die bittre Thräne jetzt?
Schönes, dacht' ich, seh' ich blühen,
Und das Schönre folgt ihm nach. –
Ach, des Menschen Wünsche fliehen
Spurlos wie die Well' im Bach!
O du rasches junges Leben,
Ewig wechselnd, ohne Ruh,
Durftest du mir Treue geben,
Und die Hoffnung nicht dazu?

[157] Am 6ten April 1816

So scheid' ich denn mit stiller Klage
Von meiner Wünsche süßem Ziel;
Und scheid' ich auch auf wenig Tage,
Ach, wenig Tage sind zu viel!
Die Liebe zählet nicht nach Stunden
Und nicht nach Jahren ihre Zeit;
Der Tag, der einsam ihr entschwunden,
Ist ihr ein langes, ew'ges Leid.
Denn köstlich sind die Augenblicke,
Die nur ein Gott uns nimmt und giebt;
Oft führt die kurze Zeit zum Glücke,
Und nur die kurze den, der liebt.
[158]
Dem Zufall ist der Gott gewogen,
Auf Flügeln naht sich der Gewinn;
Doch wenn die rasche Gunst entflogen,
Ist auch die lange Müh dahin.
Wie manches wollt' ich heut ihr sagen!
Wie war das Glück mir hold und treu!
Wie manches durft' ich flehn und wagen!
Und dennoch stand ich blöd' und scheu.
Drum scheid' ich auch mit schwerem Herzen
Von diesem vielgeliebten Ort,
Und nehme alle meine Schmerzen
Und keine Freude mit mir fort.

[159] Am 7ten April 1816

Du Veilchen auf der Frühlingsau,
Wie stehst du tief in's Grün gebogen,
Und hast von kühlem Morgenthau
Den kleinen Kelch so voll gesogen!
Du fühlst wohl auch schon, kaum entblühk,
Der bangen Liebe Sorg' und Sehnen,
Die vor dem Blick der Menschen flieht
Und dunkle Schatten liebt und Thränen.
Mag freundlich auch das Sonnenlicht
Um deine grüne Wiege glimmen;
Dich wärmt sein lauer Schimmer nicht,
So lang die Perlen in dir schwimmen.
[160]
Doch bist du glücklicher als ich,
Denn Keiner wehrt es dir, zu weinen,
Und Eine liebt und findet dich
Und wird es freundlich mit dir meinen.
Drum zittre nur im Morgenwehn
Und nähre deine süßen Schmerzen,
Dann blühst du doppelt frisch und schön
Und duftiger an ihrem Herzen.
Sie liebt die Blumen auf der Flur,
Sie liebt das Vögelein am Bache;
Und ach, mich Einen flieht sie nur,
Und dennoch will sie, daß ich lache!

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Zwey Augenblicke. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0674-6