Am 11ten Januar 1816

1.

Motto.


Soll ich folgen? soll ich hören?

Soll ich bleiben? soll ich gehn?

Ach, wenn Götter uns bethören,

Können Menschen widerstehn?

Göthe.


Aus der Liebe raschen Träumen
Weckt mich strafend oft die Pflicht,
Und das ernste Leben spricht:
Willst du ewig hoffend säumen,
Wo aus unfruchtbaren Keimen
Nie die Blüthe lohnend bricht?
Schönre Myrten kannst du pflücken,
Dich mit schönerm Lorbeer schmücken,
Viele werden hoch dich ehren,
Mag auch Eine dich verschmähn. –
Soll ich folgen? soll ich's hören?
Soll ich bleiben? soll ich gehn?
[114]
Eurem Rufen, eurem Mahnen,
Weise Stimmen, folgt' ich gern;
Denn verständig räth, wer fern
Stehet von des Unheils Bahnen;
Doch in tobenden Orkanen
Frommt nicht Anker mehr, noch Stern.
Stets gekränkt, muß ich vergeben,
Stets verschmäht, nur heißer streben,
Muß die Geister selbst beschwören,
Die im Wirbelsturm mich drehn.
Ach, wenn Götter uns bethören,
Können Menschen widerstehn?

2.

Motto.


Süße Liebe denkt in Tönen,

Denn Gedanken stehn zu fern;

Nur in Tönen mag sie gern

Alles, was sie will, verschönen.

Tieck.


Ach, wie sind so manche Glossen
Auf dies Thema schon gemacht!
Doch der Liebe nur zum Possen
Scheinen sie mir ausgedacht.
Dem Verstande nicht zu fröhnen,
Klingeln sie in Tönen fort,
Und von keiner gilt das Wort:
Süße Liebe denkt in Tönen.
[115]
Wer am Blick der Liebsten hängt,
Wird die Wahrheit besser inne;
Nichts ist, was er nicht erdenkt,
Daß er ihre Hand gewinne.
Nur wenn jeder Hoffnungsstern
Ihm erlischt in dunkeln Räumen,
Kann er schweigen nur und träumen,
Denn Gedanken stehn zu fern.
Ach, dies mußt' ich längst erfahren!
Dient' ich um den süßen Sold
Treu ihr auch seit manchen Jahren,
Nimmer ward ihr Herz mir hold.
In des Wohllauts Reich zu wohnen,
Freut sie sich, dem Leben fern.
Ahnen, träumen, lieben, lohnen
Nur in Tönen mag sie gern.
Doch versteht ihr holdes Lied
Mächtig auch das Herz zu binden.
Der kann nie die Kunst ergründen,
Wer das warme Leben flieht.
Nur dem irdisch süßen Sehnen
Knüpft das himmlische sich an,
Und die reiche Liebe kann
Alles, was sie will, verschönen.

[113] Glossen

[116] Am 16ten Januar 1816

Du holder Geist der Lieder, den hienieden
Zum Troste mir ein milder Gott verliehn,
Du Einziger, der nie von mir geschieden,
Der freundlich oft, bekränzt mit Immergrün
Und angethan mit träumerischem Frieden,
Ein rettend Licht im Sturme mir erschien,
Noch einmal laß in wunderbaren Weisen
Durch dich dich selbst und, die dich weckt, mich preisen!
Verworren liegt das unbeständ'ge Leben
Vor unserm Blick und ungestaltet da,
Und Keiner kann's entwirren und entweben,
Wer nicht die Welt in deinem Spiegel sah.
Du machst das Harte mild, das Rauhe eben,
Das Dunkle hell, das Weitentfernte nah
Und weißt allein in lieblichen Gestalten
Den kurzen Traum des Schönen festzuhalten.
[117]
So führtest du in jenen holden Tagen,
Als noch das Glück sich freundlich mir gesellt,
Den Irrenden auf leichtem Zauberwagen
Mit raschem Flug durch deine Wunderwelt.
Und wie ein Blatt, das linde Lüfte tragen,
Der Silberflor des Herbstes flatternd hält,
So kettet' ich, noch eh die Bilder schwanden,
Die Lächelnden mit zarten Liedesbanden.
Doch wie gemach bey flücht'ger Weste Scherzen
Die keusche Ros' im heil'gen Glanz entglüht,
So war auch mir im leichtbewegten Herzen
Ein sel'ges Bild allmählig aufgeblüht.
Tief wogte jetzt in Freuden und in Schmerzen,
In Wahn und Wunsch das träumende Gemüth,
Und nur in dir konnt' ich das Leid enthüllen,
Die Lust verstehn, die glüh'nde Sehnsucht stillen.
Da nahten sich des Lebens trübste Stunden,
Und eisern hielt das Schicksal sein Gericht.
Heiß bluteten die nie geschloßnen Wunden,
Und nächtlich sank der Jugend heitres Licht.
Die Treue, die mein Herz in sich gefunden,
Die fand es jetzt in andern Herzen nicht,
Und dessen Hand, den alles Glück verlassen,
Nicht wagte sie der Glückliche zu fassen.
Nur du, der sonst mit jedem Hauch entflogen,
Der nur am Scherz, am Spiele sich erfreut,
Du bliebst allein dem Traurenden gewogen
Und theiltest gern des Freundes Einsamkeit.
[118]
Und wie der Wein, der grün den Baum umzogen,
Dem welken selbst der Jugend Anmuth leiht,
So sah ich dich um mein erstorbnes Leben
Zum ew'gen Schmuck holdblüh'nde Kränze weben.
Und wenn der Herbst mit ungestümem Wehen
Mir jedes Glück erschüttert und entlaubt,
Dann ließest du dein Frühlingsreich mich sehen,
Dem keine Zeit die hellen Blüthen raubt.
Wie fühlt' ich dann so bald den Schmerz vergehen,
Wie ruhte süß in deinem Schooß mein Haupt!
Mein wundes Herz, von langem Kampf ermattet,
Es schlummerte von deinem Grün beschattet.
Und Jene selbst, die, jedem Flehn verschlossen,
Ein strenges Herz in zartem Busen trägt,
Selbst sie erschien, wenn mich dein Traum umflossen,
Dem Hoffenden zu holderm Sinn bewegt.
Und wie die Sonn' an winterlichen Sprossen
Betrügerisch oft grüne Knospen pflegt,
So sah auch ich mir heitre Tage blühen,
Die nicht das Glück, nein, welche du verliehen.
So führe denn im bunten Zauberreigen
Noch einmal mich durch deine schöne Welt;
Und wird auch sie ihr Herz mir nimmer neigen,
Bleibt ewig auch der Kummer mir gesellt,
Doch will ich ihr nur heitre Bilder zeigen,
Weil Frohes nur der Fröhlichen gefällt.
O mög' ihr oft das leichte Lied enthüllen:
Den du betrübst, der lächelt deinetwillen!
[119]
Schon öffnen sich die buntgeschmückten Pforten,
Der Sänger tritt mit hellem Blick hinein.
Aus alten Zeiten füllt, aus fernen Orten,
Mit Bildern sich der wunderbare Hain,
Und Alles muß, gebannt von Zauberworten,
Zum langen Zug um meinen Pfad sich reihn.
Dem Monde gleich, der tausend Sterne leitet,
So wandl' ich jetzt von meiner Schaar begleitet.
Und sieh, den Hain, der wunderbar verschlungen,
Sich endlos dehnt, durchzieht das bunte Heer;
Bald rasten wir in kühlen Dämmerungen,
Bald führt der Sturm uns sausend über's Meer.
Jetzt wird zum Spiel der leichte Pfeil geschwungen,
Und jetzt zum Kampf in tapf'rer Hand der Speer:
So führ' ich sie auf immer neuen Wegen
Durch Lust und Leid dem fernen Ziel entgegen.
Denn richtend harrt, auf blüh'nden Thron erhoben,
Die Königin der weitgereisten Schaar.
Mit Rosen ist ihr zartes Kleid durchwoben,
Als Krone schmückt die Ros' ihr wallend Haar.
Den wird sie tadeln, jenen freundlich loben,
Dem beut sie Lohn und dem Verzeihung dar.
Dann neigt sie sich mit anmuthsvollen Blicken,
Den reichen Kranz auf meine Stirn zu drücken.

[120] Am 23sten Januar 1816

O Herz, sey endlich stille!
Was schlägst du so unruhvoll?
Es ist ja des Himmels Wille,
Daß ich sie lassen soll!
Und gab auch dein junges Leben
Dir nichts als Wahn und Pein;
Hat's ihr nur Freude gegeben,
So mag's verloren seyn!
Und wenn sie auch nie dein Lieben
Und nie dein Leiden verstand,
So bist du doch treu geblieben,
Und Gott hat's droben erkannt.
Wir wollen es muthig ertragen,
So lang nur die Thräne noch rinnt,
Und träumen von schöneren Tagen,
Die lange vorüber sind.
[121]
Und siehst du die Blüthen erscheinen,
Und singen die Vögel umher,
So magst du wohl heimlich weinen,
Doch klagen sollst du nicht mehr.
Gehn doch die ewigen Sterne
Dort oben mit goldenem Licht
Und lächeln so freundlich von ferne,
Und denken doch unser nicht.

[122] Am 28sten Januar 1816

Sie ist zum frohen Tanz gegangen,
Ich weile traurend im Gemach,
Und nur mein Dichten, mein Verlangen,
Doch nicht mein Auge folgt ihr nach;
Und möcht' ich auch so gern mich freuen
An ihrer Freude heiterm Licht,
Doch muß ich, ihr zu nahn, mich scheuen,
Denn meine Näh' erfreut sie nicht.
Was glücklich ist im bunten Leben,
Das sucht des Tages holden Schein;
Im Lichte will der Vogel schweben,
Die Blum' im Lichte nur gedeihn.
Nur wem in sonnenhellen Räumen
Die Bilder kalt entgegenschaun,
Der muß aus Schatten und aus Träumen
Sich luft'ge Blüthenlauben baun.
Und horch, schon schlägt des Glückes Stunde,
Die holde Stimme flüstert schon;
Schon fühl' ich leis' auf meinem Munde,
Ach, nur im Traum, den süßen Lohn!
Wie ist doch Jene, die so freundlich
Mein kühnstes Sehnen jetzt erfüllt,
Dem Nahen stets so fern und feindlich
Und nur dem Fernen nah' und mild!

[123] Am 29sten Januar 1816

Und läg' ich auch in harten Kerkerbanden,
Umgäb' auch rings die Nacht mich öd' und leer,
Und irrt' ich auch in weit entfernten Landen
Durch Gluth und Frost, durch Wüsteney und Meer,
Verfolgt, bedroht, verlassen, unverstanden,
In Sturm und Noth, mit mattem Fuß, umher,
Doch würde nie dein Bild sich von mir trennen,
Dein würd' ich seyn und dich noch sterbend nennen.
Denn wie belebt das ungezwung'ne Eisen
Sich folgsam naht dem fesselnden Magnet,
Wie ewig treu in wandellosen Kreisen
Die Erde sich um's Licht der Sonne dreht,
Wie ohne Rast auf nächt'gen Pilgerreisen
Von Meer zu Meer die Schaar der Sterne geht,
So ward auch ich in dunkeln Schicksalsstunden
Mit finsterm Zwang an deinen Pfad gebunden.
[124]
Und magst du auch mich stolz und kalt verlassen,
Und nimmer Trost und Freude mir verleihn,
Mag liebend einst ein Andrer dich umfassen,
Und wilder Schmerz mein Innerstes entzweyn,
Und könntest du auch je mich feindlich hassen
Und deines Siegs und meiner Noth dich freun,
Du zwängst mich leicht, in ungeheuren Leiden,
Vom Leben wohl, doch nicht von dir zu scheiden.
Ach, Alles, was verknüpft mit deinem Leben,
Nur Kunde mir von deiner Nähe giebt,
Der leichte Flor, der deine Brust umgeben,
Das Werk, woran die zarte Hand sich übt,
Die Saiten, die von deinem Finger beben,
Die Blumen, die dein Auge wählt und liebt,
Der Raum, die Luft, das Licht, das dich umfangen,
Weckt Lieb' und Lust und Schmerz mir und Verlangen.
Und seh' ich dann dich selber vor mir stehen,
Dem Monde gleich an dunkler Wolken Rand,
Läßt freundlich mir dein klarer Blick sich sehen,
Berührt nur leis' im Nahn mich deine Hand,
Fühl' ich von fern nur deines Mundes Wehen,
Streift flüchtig nur dein Arm mich, dein Gewand,
Dann ringen schnell im wunderbaren Spiele
Durch meine Brust verworrene Gefühle.
Wie still am Rand der wilden Felsenquelle
In linder Luft die stolze Rose blüht,
Indeß ihr Bild im Strom der raschen Welle
Unruhig schwankt und auf und nieder flieht:
[125]
So strahlst auch du in wundersel'ger Helle,
Mit klarem Sinn und friedlichem Gemüth;
Doch stürmisch regt die Fluth in meinem Herzen
Sich um dein Bild in Sorge, Wahn und Schmerzen.
Nichts denken kann ich dann und nichts beginnen,
Die Lippe schweigt, dich sieht mein Aug' allein,
Die Welt versinkt vor meinen irren Sinnen,
Nichts an mir ist, nichts in mir selbst mehr mein,
Und Flammen fühl' ich durch die Brust mir rinnen,
Und kämpfe wild mit Zweifel, Trug und Schein;
Mit Licht und Nacht in wandelbaren Wogen
Hält Lust und Leid mir Blick und Geist umzogen.
Ich kann nicht nahn, nicht fliehn und nicht verweilen,
Es fesselt mich und treibt mich rastlos fort;
Mag Ort und Zeit auch wechseln und enteilen,
Eins bleibt die Zeit mir ewig, Eins der Ort.
In tausend Wünsche muß mein Geist sich theilen,
Und alle doch umfängt ein einz'ges Wort.
Von tausend Pfeilen ist mein Herz getroffen
Und bleibt doch stets für neue Wunden offen.
O stolzer Sinn, der früher nie bezwungen,
Vor keinem Drohn den freien Blick gesenkt,
Wie hält dich jetzt ein hartes Band umschlungen,
Das zarte Hand nach strenger Willkühr lenkt!
Der muthig sonst mit jedem Feind gerungen,
Jetzt zagt er ihr, die oft so tief ihn kränkt,
Und heischte sie zum Spiel sein Heil, sein Leben,
Gern würd' er ihr, der Feindlichen, es geben.
[126]
Und bin ich auch von ew'ger Qual zerrissen,
Vergeh' ich auch im rastlos wilden Streit,
Nichts will mein Herz von Rath und Rettung wissen,
Wenn nicht das Glück die volle Gunst mir beut,
Denn mit dem Schmerz müßt' ich das Leben missen,
Dem Liebe nur Licht, Kraft und Athem leiht.
Eh langsam mir Gefühl und Sehnsucht sterben,
Mag lieber rasch mich Kampf und Sturm verderben!
O wärst du doch als Königin geboren
Und hättest mich aus deines Volkes Zahl
Zum niedrigsten der Diener dir erkohren,
Den Becher dir zu füllen nur beym Mahl!
Wohl hab' ich jetzt die Freyheit längst verloren,
Und ach, doch ist mein Loos nicht deine Wahl!
Und muß auch ich mich ganz den Deinen nennen,
Du willst mir nie den süßen Namen gönnen!
O nimm es hin, dies jugendliche Leben,
Dies Herz, das sonst so kühn, so fröhlich schlug,
Den treuen Sinn, des Willens edles Streben,
Den Geist, der nie ein schnödes Band ertrug!
Mein Hoffen selbst, ich will auch das dir geben;
Für dich ist nichts mir lieb und werth genug!
O daß mein Herz doch einmal nur erriethe,
Nicht schein' auch dir ganz werthlos, was ich biete!

[127] Am 31sten Januar 1816

Um, süße Liebste, dir verstohlen
Ein Lied zu bringen, kam ich her;
Doch sollt' ich Schmerz für Lust mir holen,
Denn einsam war dein Haus und leer.
Wie soll ich jetzt die Sehnsucht zwingen,
Die mich nicht rasten läßt, noch ruhn?
Nichts kann ich thun,
Als schon ein neues Lied dir singen.
Kannst du der Blumen Zahl mir nennen,
Wovon die bunte Wiese glänzt?
Kannst du die tausend Blätter trennen,
Womit im May der Baum sich kränzt?
So ist die Lieb' ein Frühlingsgarten,
Und Lieder sind die Blumen drin;
Eins welkt dahin,
Das andre keimt, und keins' will warten.
[128]
Und wie mit tausendfarb'gen Strahlen
Dein Reiz in meine Seele dringt,
Muß tausendfach der Schmuck sich malen,
Den dir die blüh'nde Liebe bringt.
Lust, Leid und Sehnsucht, Scherz und Klagen,
Furcht, Hoffnung, Wahn und Träumerey,
Ach, was es sey,
Oft weiß ich's selbst dir nicht zu sagen!
Und ob sie ewig auch sich mehren,
Sie wollen alle zu dir hin,
Sie wissen wohl, wem sie gehören,
Und daß ich nur ihr Pfleger bin.
Du wirst die Kleinen nicht betrüben,
Wird auch der Raum dir bald zu voll,
Die Mutter soll
Ja ihre eignen Kinder lieben.

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Glossen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-064F-B