[20] Cäcilie, eine Geisterstimme

Im October 1813

O Vaterland, du prangst mit heil'gen Siegen
Und wandelst kühn des Ruhmes ew'gen Pfad;
Auf steiler Bahn bist du emporgestiegen,
Und Freiheit keimt und Fried' aus blut'ger Saat;
Doch schüchtern hat der Sänger dir geschwiegen,
Und zagend wich das Wort der größern That.
Mag Schwachheit auch auf stolzen Wahn vertrauen;
Der Adler nur darf auf zur Sonne schauen.
Doch jetzt ist mir ein starker Muth entglommen,
Und ernst ermahnt mich eine theure Pflicht;
Von Himmelshöhn ist mir die Kraft gekommen,
Und Gluth der Brust, dem Geiste klares Licht.
Von Engelslippen hab' ich ihn vernommen,
Den heil'gen Ruf, drum zag' ich fürder nicht.
Wen Lieb' und Gott zur Bahn des Kampfes leiten,
Der zweifle nicht; er wird den Sieg erstreiten.
[21]
Denn Sie, die still, als noch die Schand' uns drückte,
Ein deutsches Herz im freyen Busen trug,
Die stolz hinab auf fremden Schimmer blickte,
Mit strengem Spott den Sklaven niederschlug,
Die fromm und zart die rauhe Welt uns schmückte,
Ein segnend Licht in finstrer Zeiten Fluch,
Die Gott schon früh zu seinem Thron erhoben,
Um herrlicher sein schönstes Werk zu loben;
Sie nahte mir von ihren lichten Höhen,
Im Spiel des Traums ein ernstes Heil'genbild;
Ihr Auge war wie Frühlicht anzusehen,
Von Morgenroth die helle Wang' umhüllt;
Um ihren Kranz entfloß ein göttlich Wehen,
Wie durch den Thau der Blüthe Duft entquillt,
Und gleich dem Klang verklärter Harfenlieder
Kam so ihr Wort zu meinem Geist hernieder:
Was feyerst du und schweigst in düstern Klagen,
Ein Nachtgewölk im hellen Morgenroth,
Und weinst, da Glück und Ruhm für Alle tagen,
Mit feigem Schmerz um deines Glückes Tod?
Wer mich geliebt, der muß das Große wagen,
Der Ruf der Kraft, er ist auch mein Gebot;
Was ich empfand, das sollst auch du empfinden,
Und meinen Werth durch deinen Werth verkünden.
Hab' ich nicht oft mit stillgeweinten Thränen
In stummem Gram mich um mein Volk verzehrt,
Nicht oft von Gott mit heißem Flehn und Sehnen
Des Frevels Sturz, der Freyheit Sieg begehrt?
[22]
Hab' ich den Kranz des Guten und des Schönen
Nicht hoffnungsvoll in finstrer Zeit genährt?
War ich nicht frey im unterjochten Lande
Und groß und gut beym schnöden Druck der Schande?
Drum ward ein schönes Loos mir zugewogen;
Früh nahm der Herr zum Himmel mich empor.
Wohl war die Welt mit Wetternacht umzogen,
Doch Engeln weicht der Zukunft finstrer Flor.
Und sieh, es stieg aus Kampf und Sturm und Wogen
In heil'ger Ruh' ein gnäd'ger Strahl hervor.
Was jetzt der Dank der freyen Völker feyert,
Das war mir längst verkündet und entschleyert.
Denn als verführt von seinen Lügengöttern
Dem Thron der Welt der schnöde Knecht genaht,
Da dachte Gott den Götzen zu zerschmettern
Und sandte Gluth und Frost auf seinen Pfad;
Und er gebot den Stürmer und den Wettern,
Hinwegzuwehn des Frevels stolze Saat.
Da sank sein Herz, und an dem Riesenwerke
Erzitterten die Säulen seiner Stärke.
Und er entwich mit seinen flücht'gen Schaaren;
Ihm sandte Gott das trügerische Glück,
Und leitete durch blutige Gefahren,
Durch Flamm' und Fluth den Trotzigen zurück,
Für größres Leid der Zukunft ihn zu sparen,
Für Freundes Trug und für des Feindes Glück.
Nicht ehrlich sollte er im Kampf erliegen,
In dessen Brust die Ehre stets geschwiegen.
[23]
Und Gott erhob die Kraft der Fürsten wieder
Und band ihr Herz durch Lieb' und Freud' und Leid.
Ein Recht, ein Haß, verflocht die deutschen Brüder,
Die lange schon der Hölle List entzweyt.
Der Norden stieg zum Kampf der Freiheit nieder,
Und fröhlich zog der Ost zum raschen Streit;
Denn wer's gewagt, das Heil'ge zu vernichten,
Den will kein Volk, den will die Menschheit richten.
Und es gelang! Siehst du den Thron erzittern,
Den früher schon die Last der Schmach gedrückt?
Es wogt und zürnt gleich schwarzen Ungewittern;
Roth ist der Strahl aus dunkler Nacht gezückt.
Der Rächer naht, die Säulen zu zersplittern,
Die ohne Gott der Siegeskranz geschmückt.
Der Abgrund lacht dem nahen Raub entgegen,
Und aus der Saat des Fluchs entkeimt der Segen.
Heil dir, mein Volk! du ziehst auf blut'gen Bahnen
Und trauerst nicht, wenn mancher Edle sinkt.
Wo Freyheit wohnt, da flattern deine Fahnen,
Und Heere stehn, wohin dein Ruf erklingt.
Nicht lange läßt der tapfre Mann sich mahnen;
Sein Vaterland ist, wo Gefahr ihm winkt,
Wo Ehr' und Recht dem theuern Sieg entsprießen,
Da scheint's ihm Lohn, sein Herzblut zu vergießen.
Hörst du zu Gott den Dank der Völker steigen?
Zum Tempel wird das blaue Himmelszelt,
Und Jedes Knie will sich dem Ew'gen neigen;
Von gläub'ger Lust ist Geist und Blick erhellt;
[24]
Die Sonne glänzt; des Herbstes Stürme schweigen;
Die Freyheit labt wie Frühlingshauch die Welt.
Kein Opfer schmerzt, kein Leid und keine Bürde;
Groß ist der Mensch und reich durch seine Würde.
Euch wird der Muth, die Treue wiederkehren,
Im Kranz der Kraft wird Zucht und Milde blühn;
Kein fremdes Gift wird euern Schmuck zerstören,
Kein schnöder Lohn in's Joch der Schmach euch ziehn.
Die Jungfrau wird den Schein nicht ferner ehren,
Kein Jüngling mehr für feile Bilder glühn,
Und staunend wird der Fremdling euch erkennen,
Und Kraft und Sitte deutsche Tugend nennen.
Und lange soll der heil'ge Fried' euch krönen,
Den ihr errangt in hart gekämpfter Schlacht,
Und Liebe soll den langen Haß versöhnen,
Und schmücken soll das Recht den Thron der Macht,
Und wohnen soll das Gute bey dem Schönen,
Und heilig seyn, was jetzt der Spott verlacht,
Und ewig soll der fromme Glaube leben:
Nicht unsre Kraft, den Sieg hat Gott gegeben!
Ein ernstes Wort will ich dir noch enthüllen;
Du schließ' es treu in deinen Busen ein:
Kein Schicksal giebt's, es giebt nur Muth und Willen;
Sey stark durch dich, so ist die Palme dein.
Es giebt ein Maaß, das soll der Mensch erfüllen
Und groß durch Kraft, durch Hemmung größer seyn.
Es giebt ein Recht, das gilt in jedem Kreise.
Es herrscht ein Gott, der ist allein der Weise.

[25] Am 1sten November 1813

Rosse wiehern, Waffen blinken,
Deutschlands Rächer sind genaht,
Und die bunten Fahnen winken
Zu des Ruhmes goldnem Pfad.
Soll ich stets dem Kummer dienen,
Sehnsuchtsvoll und hoffnungslos?
Sieh, das Ziel ist schön und groß;
Nimmer blüht die That des Kühnen
In der Ruhe trägem Schooß.
Laß mich ziehn, wohin das Mahnen
Meines Busens mir gebeut;
Friedenspalmen sind die Fahnen,
Und zum Schlummer ruft der Streit.
Meine Freunde sind gefallen
Durch der Feinde blut'ges Schwert,
Und mein Herz blieb unerhört,
Und das Leben hat von allen
Wünschen keinen mir gewährt.
[26]
Rauher Herbst, du wehst so schaurig
Um der Blüthen ödes Grab,
Deine Wolken hängen traurig
Auf die dunkle Welt herab!
Send', o Krieg, aus ehrnem Schlunde
Deine Flammen durchs Gefild,
Wirble, Trommel, hell und wild,
Daß das kranke Herz gesunde
Durch des Lebens rasches Bild.
Doch nicht sey's ein dumpfes Zürnen,
Das zur fremden Bahn mich drängt;
Friede sey mit den Gestirnen,
Die mein feindlich Loos gelenkt.
Freyer Wille ziemt dem Streiter,
Den das Vaterland gewann,
Und es schließt der deutsche Mann
Ruhig, unbetäubt und heiter
Sich dem schönen Bündniß an.
Laß uns scheiden! Sprich, was frommen
Herz und Leben, stets entzweyt?
Ach, der Herbst ist längst gekommen,
Und noch währt des Lenzes Leid.
Laß uns still und freundlich scheiden,
Bis uns schönre Sonnen glühn;
Alles hab' ich dir verziehn,
Denn du hast für ird'sche Leiden
Ew'ge Schätze mir verliehn.
[27]
Friedlich will ich mich dir nahen,
Deinen Segen zu erflehn,
Will dein letztes Wort empfahen,
Deinen Blick noch einmal sehn.
O nur einen Kuß, nur einen,
Für des Herzens wilden Streit,
Für der Zukunft langes Leid,
Und nicht länger will ich weinen
Um geträumte Seligkeit!
Laß mich ziehn! Wie darfst du klagen,
Wenn ich selbst mit starkem Sinn
Muthig bin, dir zu entsagen,
Werth dich zu besitzen bin?
Jedes Band will ich vernichten,
Das mich fesselnd noch umgiebt.
Früher, als ich dich geliebt,
Hat das Vaterland die Pflichten
Treuer Lieb' an mir geübt.
Lebe wohl! Ich scheide nimmer;
Jedes mildgewährte Pfand,
Jeder heil'gen Stunde Schimmer
Folgt mir nach in's ferne Land.
Lebe wohl, du Zarte, Reine!
Ewig lebt dein holdes Bild
Mir im Busen, still und mild;
Aber du, vergiß das meine,
Wenn mit Schmerz es dich erfüllt.
[28]
O sey glücklich und entsage,
Großes Herz, dem stillen Gram!
Was das Leben gab, ertrage
Und verschmerze, was es nahm.
Ohne Sorge laß mich scheiden;
Freudig sey das Herz und licht,
Denn mich ruft die heil'ge Pflicht!
Willig trag' ich meine Leiden:
Doch die deinen trüg' ich nicht.
Fest will ich im Streite stehen,
Kühn des Feindes droh'nder Macht
Und dem Tod entgegensehen,
Denn für dich auch gilt die Schlacht.
Doch wenn laut das Kampfgefilde
Von des Mordes Jauchzen tönt,
Und der Schmerz verzweifelnd stöhnt,
O dann sey durch dich, du Milde,
Herz und Leben ausgesöhnt.
Sieh, der Leu hat sich erhoben,
Und der feige Tiger zagt!
Keiner soll den Schwachen loben,
Der nicht Blut und Leben wagt.
Liebe flicht uns Siegeskränze,
Wenn das große Werk vollbracht,
Und wem keine Liebe lacht,
Den erfreun des Ruhmes Lenze
In des Lebens langer Nacht.
[29]
Wenn ich falle – o dann trübe
Keine Thräne dein Gesicht!
Reich belohnt ist meine Liebe,
Und mein Schatten zürnt dir nicht.
Sie, die Heilige, die Hehre,
Die den Himmel längst errang,
Beut dem Freunde gern den Dank,
Der für Vaterland und Ehre
Und für Recht und Liebe sank.

[30] Am 15ten November 1813

Hätt' ich dich nie gesehen,
Dann könnt' ich rasch dahin
Durch's heitre Leben gehen
Mit jugendlichem Sinn!
Und klagen würd' ich nimmer;
O Lenz, wie ist so bald
Entflohn dein goldner Schimmer,
Und dein Gesang verhallt!
Wo frische Rosen ständen,
Da fänd' ich Dach und Strauß,
Und wenn die Rosen schwänden
Verließ' ich Schmuck und Haus.
Wohl wechseln Licht und Farben,
Doch bleibt das Leben dein,
Und wo die Blüthen starben,
Wird dich die Frucht erfreun.
Jetzt muß ich ewig weinen
Um einen welken Kranz.
Die Frucht wird nie erscheinen,
Und ewig starb sein Glanz.
[31]
Doch heg' ich wohl mit Freuden
Den Schmerz in stiller Brust;
Und hätt' ich mindre Leiden,
So hätt' ich mindre Lust.
Wohl sinkt aus trüben Düften
Die Dämmrung öd' und grau;
Doch schwillt von süßern Düften
Die Blüth' im nächt'gen Thau.
Wohl kehrt das Vöglein nimmer,
Das einst sein Lied dir sang;
Doch hört dein Herz noch immer
Den wundersüßen Klang.
Wer Schönes je empfangen,
Dem bleibt es ewig nah;
Doch ewig muß verlangen,
Wer nie das Schöne sah.
Hätt' ich dich nie gesehen,
Dann müßte bald mein Herz
In Sehnsuchtsqual vergehen;
Jetzt lebt es durch den Schmerz.

[32] Am 16ten November 1813

Was siehst du mich so hold und mild
Mit hellen Blicken an,
Daß mir das Herz von Sehnsucht schwillt
Und nimmer rasten kann?
So zittert, wenn die Woge ruht,
Im Meer das Sternenlicht,
Und liebend wallt und steigt die Fluth
Und doch erhascht sie's nicht.
O wend' ihn ab, den holden Stern,
Schon duld' ich ja genug;
Das schwache Herz betrügt sich gern,
Und bitter schmerzt der Trug!
Schwärmt nicht das Bienchen oft hinaus
Beym ersten Frühlingsblick?
Doch schnell verweht's im Sturmgebraus
Und kehret nie zurück.
Und wehe! doch ertrüg' ich's nicht,
Sollt' ich dich finster sehn;
O lächle nur! Wenn's Herz auch bricht,
Der Trug ist gar zu schön.

[33] Am 1sten Januar 1814

Wohl hab' ich dir mit leisem Ton
Manch zartempfund'nes Lied gesungen,
Doch nie des Liedes süßen Lohn,
Der Minne Lächeln, mir errungen;
Drum seufz' ich oft mit stillem Schmerz:
Verstummt, verstummt ihr gold'nen Saiten!
Denn ach, der Liebsten kaltes Herz
Kann eure Klänge doch nicht deuten!
Doch nah' ich dir, du holdes Bild,
Und sitze still zu deinen Füßen
Und sehe, wie so wundermild
Mich deine klaren Blicke grüßen,
Und wie der Unschuld keuscher Kranz
Und wie die Blüthen alles Schönen
Dein Angesicht mit reinem Glanz,
Mit heil'gem Schmuck dein Leben krönen;
[34]
Dann schwillt mein Herz von süßer Lust
Und kann's nicht bergen, nicht enthalten,
Und bunt beginnt in tiefer Brust
Der Bilder holdes Reich zu walten,
Und was dein Mund, dein Auge spricht,
Tönt lieblich mir im Herzen wieder,
Und deiner Strenge denk' ich nicht,
Und denke nur auf zarte Lieder.
Dein Aug' ist meine Fantasie,
Dein Athem giebt mir Mild' und Feuer,
Dein Wort mir Klang und Harmonie,
Dein Wangenroth der Anmuth Schleier.
O wollte nur der Genius
Der Liebe meinem Leben lachen,
Dann könnte leicht dein süßer Kuß
Den Sänger noch unsterblich machen!

[35] Am 3ten Januar 1814

Du zarte Ros' im Morgenthau,
Du blühst so still auf weiter Au,
Und läßt von Keinem dich berühren;
Und immer willst du einsam stehn,
Und, nur für dich so frisch und schön,
Den Kranz der Liebe nimmer zieren.
Du liebst den hellen May allein,
Das Morgenroth, den Sonnenschein,
Den Frühlingswind, das Licht der Quelle,
Und schaust, vom duft'gen Laub verhüllt,
Dein Bild allein, dein keusches Bild,
Im sanftbewegten Glanz der Welle.
Wohl schleicht der Schäfer bang und fern
Und sieht zum holden Purpurstern
So still, so sehnsuchtsvoll hinüber:
Du duftest fort im Sonnenlicht
Und achtest sein Verlangen nicht,
Und Bien' und Vöglein sind dir lieber.
[36]
O Rose, Rose, Frühlingsbraut,
Wer hat so reizend dich gebaut
Und Perlen auf dich ausgegossen,
Wer hat den Duft dir eingehaucht
Und dich in Morgengluth getaucht,
Und doch der Liebe dich verschlossen!
Wohl hat dein Hochmuth mich betrübt;
Doch selig ist, wer Schönes liebt.
Drum kann ich nimmer von dir scheiden,
Und will mir stille Lauben baun
Und fern zu dir hinüberschaun! –
Sprich, stolzes Röslein, willst du's leiden?

[37] Am 4ten Januar 1814

Sonnig lacht der helle May,
Flüchtig rinnt der Quell vorbey,
Und von Blumen prangt die Weide;
Ueppig blüht die ein' empor,
Und die andre schaut hervor
Schüchtern aus dem grünen Kleide:
Also sendet mild und rein
Ihren lauen Sonnenschein
In das Herz die Liebe nieder,
Und in sehnsuchtsvoller Brust
Wechseln flüchtig Leid und Lust,
Ewig keimen neue Lieder.
Welkt, ihr Blumen, gern dahin,
Denn euch grüßt die Schäferin
Freundlich im Vorüberwallen.
Lieder, fordert keinen Dank,
Wenn auch nur Minuten lang
Meiner Liebsten ihr gefallen.

[38] Am 5ten Januar 1814

Wenn der junge May erschienen,
Wird die Blume wieder wach,
Und die Welle spielt im Bach
Und der Schmetterling im Grünen.
Vöglein singen hellen Sang,
Minnekosen, Minnedank,
Von der Liebsten zu verdienen.
Süße Liebe, süßes Leben,
Fröhlich war dein Glanz und Schall,
Und ich bat die Nachtigall
Lied und Schwingen mir zu geben,
Um mit bunten Bögelein
Durch die Lüfte, durch den Hain,
Singend auf und ab zu schweben.
[39]
Schlummert nun, ihr öden Haine,
Schmücke dich nicht mehr, o Flur,
Denn die Lust bewegt mich nur,
Daß ich stille Thränen weine!
Und wohl fragt manch liebes Herz
Nach des Sängers tiefem Schmerz:
Doch ihn kennt und heilt nur Eine.
Mild und freundlich ist sie immer,
Und doch kalt und ungerührt,
Und was Schönen nur gebührt,
Das begehrt die Schöne nimmer! –
Liebe, reichst mir schlimmen Dank!
Leben, bist im Schmerz so lang
Und so kurz im Sonnenschimmer!

[40] Am 6ten Januar 1814

Alles, wo ich weil' und gehe,
Muß Verlangen mir erregen,
Ewig ist von süßem Wehe
Mir die volle Brust erfüllt,
Und du kömmst auf allen Wegen
Mir entgegen,
Holdes Bild!
Flieh' ich dich, so muß ich leiden;
Leiden, wenn ich dich erblicke;
Immer zwischen Sehn und Meiden
Schwankt mein Herz im raschen Streit,
Und mir naht, wohin ich blicke,
Leid im Glücke,
Glück im Leid.
Wenn ich still auf Lieder sinne,
Scheinst du hold mit mir zu scherzen,
Und ich ruh' im Wahn der Minne
Selig dann an deiner Brust.
Flieh, o Traum, du bringst dem Herzen
Lange Schmerzen,
Kurze Lust!
[41]
Wogend zwischen Freud' und Kummer
Schweb' ich, wie im Meer der Nachen,
Und ich wünsche nun den Schlummer,
Und zu wachen wünsch' ich nun.
Soll ich weinen, soll ich lachen?
Soll ich wachen
Oder ruhn?
Wollt' ich aus dem Leben scheiden,
Schwiegen wohl die wilden Triebe:
Doch zu missen Lust und Leiden,
Ist dem Herzen kein Gewinn.
Sey du freundlich oder trübe,
Süße Liebe,
Nimm mich hin!

[42] Am 7ten Januar 1814

Wie im Lenz an blühn'den Zweigen
Immer junge Knospen keimen,
So entsprießt mit ew'gem Drange
Mir im Busen Lied auf Lied.
Singen oder ewig schweigen,
Sterben muß ich oder träumen,
Weil im Traum nur und Gesange
Mein verwelktes Leben blüht.
Wild von Stürmen fortgetrieben,
Schweift der Schiffer hin und wieder,
Treibt verirrt von Strand zu Strande
Unter fremdem Volk umher;
Und er denkt der fernen Lieben,
Singt der Heimath holde Lieder;
Von des Schiffes hohem Rande
Schaut er still hinaus in's Meer.
[43]
Und er sieht im Schaum der Wellen
Seiner Heimath Blumen sprießen,
Lauer weht der Wind und milder,
Und der Tiefe Zürnen ruht;
Und ihn scheint der Woge Schwellen
Mit verwandtem Ton zu grüßen,
Und der Lieben ferne Bilder
Lächeln aus der hellen Fluth.
Hat in ihren Zauberkreisen
Liebe nicht mein Herz erzogen?
Irr' ich nicht auf wilden Meeren
Fern von ihrem sel'gen Hain?
Traurend mit den alten Weisen
Such' ich jetzt den Zorn der Wogen,
Hold mich täuschend, zu beschwören,
Glücklich, ach, im Traum allein!

[44] Am 8ten Januar 1814

Die Blume.

O Quell, was strömst du rasch und wild,
Und wühlst in deinem Silbersande,
Und drängst, von weißem Schaum verhüllt,
Dich schwellend auf am grünen Rande?
O riesle, Quell,
Doch glatt und hell,
Daß ich, verklärt von zartem Thaue,
Mein zitternd Bild in dir erschaue.
Der Quell.

O Blume, kann ich ruhig seyn,
Wenn sich dein Bild in mir bespiegelt,
Und wunderbare Liebespein
Mich bald zurückhält, bald beflügelt?
Drum streb' ich auf
Mit irrem Lauf
Und will mit schmachtendem Verlangen,
Du Zarte, deinen Kelch umfangen.
[45] Die Blume.

O Quell, ich stehe viel zu fern,
Du kannst dich nie zu mir erheben;
Doch freundlich soll mein Blüthenstern
Auf deiner heitern Fläche beben.
Drum riesle hin
Mit stillem Sinn;
Süß ist's, im Busen ohne Klagen
Der Liebsten keusches Bild zu tragen.
Der Quell.

O Blume, Rath und Trost ist leicht,
Doch schwer ist's, hoffnungslos zu glühen;
Wenn auch mein Kuß dich nie erreicht,
So muß ich ewig doch mich mühen.
Ein Blatt allein
Laß du hinein
In meine wilde Tiefe fallen,
Dann will ich still vorüberwallen.

[46] Am 9ten Januar 1814

Heimlich aufgeregten Wogen
Gleich' ich, wenn bey Windesstille
Dumpf die schwarzen Tiefen zürnen
Und vom Schaum die Fläche bebt:
Aber du dem Himmelsbogen,
Der in dunkelblauer Hülle,
Hell von leuchtenden Gestirnen,
Ruhig ob den Fluthen schwebt.
Ich dem düstern Luftgefilde,
Wenn von Wettergraun umnachtet
Schweigend zum verhüllten Thale
Sturm und Wolke niederdräut:
Du dem lichten Sonnenblicke,
Das den finstern Feind nicht achtet
Und mit einem heitern Strahle
Siegend seine Nacht zerstreut.
Doch nicht ewig lacht die Helle
Segnend von den blauen Höhen,
Wilder tobt des Sturmes Zürnen,
Wenn der gold'ne Strahl verglimmt:
Ach, wer schützt mich vor der Welle,
Vor des Windes rauhem Wehen,
Wenn den rettenden Gestirnen
Fern mein irrer Nachen schwimmt?

[47] Am 11ten Januar 1814

Dicht von blüh'ndem Hag umkränzet
Weiß ich einen Zauberhain;
Alles Schöne sprießt und glänzet
Dort im lieblichen Verein.
Was auf freyer Flur entkeimte,
Was das Gartenbeet erzieht,
Was ich sah und was ich träumte,
Ist verbunden dort entblüht.
Wunderbare Pfade winden
Durch den Hain sich hin und her,
Und ich kann das Ziel nicht finden,
Weiß den Anfang nimmermehr;
Und doch scheint, so sehr ich staune,
Bey des Pfades Neckereyn,
Alles ohne Kunst und Laune,
Alles schlicht und recht zu seyn.
[48]
Süße Lieder hör' ich klingen
Aus dem grünen Labyrinth,
Sehe frische Quellen springen,
Athme leichten Frühlingswind;
Bald erglänzt im Lichtgefunkel
Bunt und fröhlich Wies' und Flur,
Bald empfängt im Hainesdunkel
Dich der Träume leise Spur.
Freundlich geht und sinnig waltet
In dem Hain die Zauberin;
Zierlich, zart und schön gestaltet
Alles sich nach ihrem Sinn.
Ihre Blumen zu erfrischen,
Weilt sie bald am klaren Bach,
Und bald jagt sie in den Büschen
Bunten Schmetterlingen nach.
Spähend irr' ich hin und wieder,
Harre lauschend an der Thür,
Singe manche leise Lieder,
Dicht' und träume nur von ihr.
Denn es ist gar hell und fröhlich
In dem duft'gen Zauberhain,
Und ich würde wunderseelig
Bey der schönen Huldin seyn.
Und sie öffnet wohl die Pforte,
Schaut heraus mit milder Ruh,
Sendet manche holde Worte,
Manchen lieben Blick mir zu;
[49]
Doch den Wunsch, wonach ich trachte,
Hört die Strenge nimmer an,
Und je süßer sie mir lachte,
Desto bittrer wein' ich dann.
Läßt sie mich auch ewig leiden
Und mich weinen spät und früh,
Dennoch kann ich nimmer scheiden,
Ach, und zürnen kann ich nie!
Denn es wohnt in ihrer Schöne
Eine wunderbare Kraft,
Die zum Lächeln selbst die Thräne,
Und den Schmerz zur Hoffnung schafft.

[50] Am 13ten Januar 1814

Wenn ich still an deinen Blicken hange,
Quillt in mir ein wunderbares Leben,
Und der Träume bunte Geister spielen
Um mich her im zauberischen Tanz.
Wie die Tön' im gold'nen Harfenklange
Leis' und laut sich in einander weben,
So verflicht von wechselnden Gefühlen
Hell und dämmernd sich der holde Kranz.
Liebesküsse beut mir dann mein Sehnen,
Und in meinem Arme ruht mein Hoffen;
Was ich träumte, steigt vom Himmel nieder,
Aus dem Grab ersteht, was ich verlor;
Und es ist die Bahn zu allem Schönen
Und des Sieges gold'nes Thor mir offen,
Und es strebt mit mächtigem Gefieder
Muthig der erlöste Geist empor.
Ach, in deines Blickes heil'gem Quelle
Seh' ich alle seel'ge Geister walten,
Was zum kühnen Wunsch das Herz beflügelt,
Was des Herzens kühne Wünsche stillt.
So erzittern in bewegter Welle
Rasch des Ufers blühende Gestalten;
Doch in unerforschter Tiefe spiegelt
Ruhig sich des Himmels heitres Bild.

[51] Am 15ten Januar 1814

Schön ist es dort, wo kühne Adler bauen,
Auf hohem Fels mit stiller Kraft zu stehn,
Und unverzagt durch finstres Wolkengrauen
Und durch's Gebiet des Blitzes hinzugehn;
Doch lieblich auch, zu ruhn auf weichen Auen
Am leisen Quell, in linder Lüfte Wehn,
Und Lust und Leid des Lebens zu empfinden,
Und Kränze sich, die schnell verblühn, zu winden.
So kann nicht stets mit ernsten Harfentönen
Der Sänger sich den hohen Musen nahn.
Gern folgt er oft des Herzens weicherm Sehnen
Und wandelt still auf duft'ger Wiesenbahn,
Mit zartem Schmuck der Liebsten Bild zu krönen,
Im süßen Traum das Leben zu umfahn,
Mit leiserm Klang das Schöne zu begrüßen
Und Lust und Leid in Liedern zu ergießen.
[52]
So hab' ich jetzt in unbelauschten Stunden,
Wo lächelnd mir dein holdes Bild erschien,
Den Blumenkranz der Lieder dir gewunden,
Die leicht entstehn, kurz duften, bald verblühn.
Nicht prangt, was rasch das glüh'nde Herz empfunden,
Im ew'gen Schmuck von frischem Immergrün;
Aufwallend will's im Liede wiederhallen
Und flüchtig nur, so lang es klingt, gefallen.
Wohl kräuseln sich die leichtbewegten Fluthen,
Und irrend schweift der Strahl im Wogentanz;
Doch wenn vom Spiel die glatten Wellen ruhten,
Dann lacht' im Meer der Sonne stiller Glanz.
So zähm' ich jetzt des Herzens rasche Gluthen
Und blick' empor zum nie verblüh'nden Kranz.
Wohl ist es schwer, dem Spiele zu entsagen,
Doch herrlich auch, Unsterbliches zu wagen.
Und lauter soll die Harfe wieder klingen;
Durch Licht und Nacht, durch Kampf und Lust und Leid
Will ich getrost den steilen Pfad vollbringen,
Dem Liebe mich, dem mich der Tod geweiht,
Schon rauscht und naht mit seinen lichten Schwingen
Das seel'ge Bild, das mir die Palme beut!
Du, lächle mild herab auf meine Töne,
Daß Euch und mich der ew'ge Lorbeer kröne.

[53] Am 16ten Januar 1814

Jüngst berief ich meine Lieder,
Und sie flatterten herbey,
Schwebten singend auf und nieder,
Spielten, flogen hin und wieder,
Wie der Bienenschwarm im May.
Und ich sagte: Fliegt und nistet,
Singt und tändelt, wo's euch lüstet,
Lieder, geht, ich geb' euch frey.
Lange hab' ich euch gehalten,
Meine Liebste zu erfreun;
Doch ihr werdet von der Kalten
Nimmermehr den Dank erhalten,
Nimmer frey und fröhlich seyn.
Nun so flieht und flattert weiter;
Ewig hell und ewig heiter
Ist der duft'ge Musenhain.
[54]
Doch sie schienen still zu klagen,
Fühlten weder Lust noch Dank,
Und vor Wehmuth und vor Zagen
Konnte keins ein Wörtchen sagen,
Jedes seufzte leis' und bang.
Und sie neigten ihr Gefieder,
Senkten still das Köpfchen nieder,
Ohne Sang und ohne Klang.
Und nur eines spannte dreister
Bittend seine Flügel aus:
Laß doch, sang es, lieber Meister,
Nicht die armen kleinen Geister
Irren ohne Pfleg' und Haus!
Treib' uns doch von unsern Rosen
Nimmer in den blätterlosen,
In den wilden Hain hinaus!
Kannst du Schönes wohl uns zeigen,
Was die Liebe nicht erzieht?
Ach, wo ihre Lüfte schweigen,
Fällt das Laub von allen Zweigen,
Und der Blumenkelch verblüht.
Traurig stehn die grünen Hallen,
Und es fliehn die Nachtigallen,
Wenn der frische Lenz entflieht.
Schwärmen auch in blüh'nden Hainen
Unsre Brüder groß und klein,
Schöner wird es uns erscheinen,
Bey der Schönen, bey der Reinen,
[55]
Bey der Freundlichen zu seyn.
Blickt die Lieb' auch streng und trübe,
Lieb' ist Leben, Leben Liebe,
Und der Freye wohnt allein.
Schwindet nicht der Morgenschimmer,
Schweigt das laue Säuseln nicht?
Ihre Augen leuchten immer,
Gluth und Milde scheiden nimmer
Aus dem keuschen Angesicht.
Mag sie nie den Dank uns geben,
Laß uns spielen, laß uns leben
In dem warmen Sonnenlicht!
Nun so flattert hin und wieder
Um die schöne Zauberin;
Bald versengt ihr, arme Lieder,
Euch das lustige Gefieder,
Und verklungen sinkt ihr hin.
Süßen Tod sollt ihr erwerben;
Für der Liebsten Lust zu sterben,
Ist der freundlichste Gewinn.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Cäcilie, eine Geisterstimme. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0488-A