[20] Cäcilie, eine Geisterstimme

Im October 1813

O Vaterland, du prangst mit heil'gen Siegen
Und wandelst kühn des Ruhmes ew'gen Pfad;
Auf steiler Bahn bist du emporgestiegen,
Und Freiheit keimt und Fried' aus blut'ger Saat;
Doch schüchtern hat der Sänger dir geschwiegen,
Und zagend wich das Wort der größern That.
Mag Schwachheit auch auf stolzen Wahn vertrauen;
Der Adler nur darf auf zur Sonne schauen.
Doch jetzt ist mir ein starker Muth entglommen,
Und ernst ermahnt mich eine theure Pflicht;
Von Himmelshöhn ist mir die Kraft gekommen,
Und Gluth der Brust, dem Geiste klares Licht.
Von Engelslippen hab' ich ihn vernommen,
Den heil'gen Ruf, drum zag' ich fürder nicht.
Wen Lieb' und Gott zur Bahn des Kampfes leiten,
Der zweifle nicht; er wird den Sieg erstreiten.
[21]
Denn Sie, die still, als noch die Schand' uns drückte,
Ein deutsches Herz im freyen Busen trug,
Die stolz hinab auf fremden Schimmer blickte,
Mit strengem Spott den Sklaven niederschlug,
Die fromm und zart die rauhe Welt uns schmückte,
Ein segnend Licht in finstrer Zeiten Fluch,
Die Gott schon früh zu seinem Thron erhoben,
Um herrlicher sein schönstes Werk zu loben;
Sie nahte mir von ihren lichten Höhen,
Im Spiel des Traums ein ernstes Heil'genbild;
Ihr Auge war wie Frühlicht anzusehen,
Von Morgenroth die helle Wang' umhüllt;
Um ihren Kranz entfloß ein göttlich Wehen,
Wie durch den Thau der Blüthe Duft entquillt,
Und gleich dem Klang verklärter Harfenlieder
Kam so ihr Wort zu meinem Geist hernieder:
Was feyerst du und schweigst in düstern Klagen,
Ein Nachtgewölk im hellen Morgenroth,
Und weinst, da Glück und Ruhm für Alle tagen,
Mit feigem Schmerz um deines Glückes Tod?
Wer mich geliebt, der muß das Große wagen,
Der Ruf der Kraft, er ist auch mein Gebot;
Was ich empfand, das sollst auch du empfinden,
Und meinen Werth durch deinen Werth verkünden.
Hab' ich nicht oft mit stillgeweinten Thränen
In stummem Gram mich um mein Volk verzehrt,
Nicht oft von Gott mit heißem Flehn und Sehnen
Des Frevels Sturz, der Freyheit Sieg begehrt?
[22]
Hab' ich den Kranz des Guten und des Schönen
Nicht hoffnungsvoll in finstrer Zeit genährt?
War ich nicht frey im unterjochten Lande
Und groß und gut beym schnöden Druck der Schande?
Drum ward ein schönes Loos mir zugewogen;
Früh nahm der Herr zum Himmel mich empor.
Wohl war die Welt mit Wetternacht umzogen,
Doch Engeln weicht der Zukunft finstrer Flor.
Und sieh, es stieg aus Kampf und Sturm und Wogen
In heil'ger Ruh' ein gnäd'ger Strahl hervor.
Was jetzt der Dank der freyen Völker feyert,
Das war mir längst verkündet und entschleyert.
Denn als verführt von seinen Lügengöttern
Dem Thron der Welt der schnöde Knecht genaht,
Da dachte Gott den Götzen zu zerschmettern
Und sandte Gluth und Frost auf seinen Pfad;
Und er gebot den Stürmer und den Wettern,
Hinwegzuwehn des Frevels stolze Saat.
Da sank sein Herz, und an dem Riesenwerke
Erzitterten die Säulen seiner Stärke.
Und er entwich mit seinen flücht'gen Schaaren;
Ihm sandte Gott das trügerische Glück,
Und leitete durch blutige Gefahren,
Durch Flamm' und Fluth den Trotzigen zurück,
Für größres Leid der Zukunft ihn zu sparen,
Für Freundes Trug und für des Feindes Glück.
Nicht ehrlich sollte er im Kampf erliegen,
In dessen Brust die Ehre stets geschwiegen.
[23]
Und Gott erhob die Kraft der Fürsten wieder
Und band ihr Herz durch Lieb' und Freud' und Leid.
Ein Recht, ein Haß, verflocht die deutschen Brüder,
Die lange schon der Hölle List entzweyt.
Der Norden stieg zum Kampf der Freiheit nieder,
Und fröhlich zog der Ost zum raschen Streit;
Denn wer's gewagt, das Heil'ge zu vernichten,
Den will kein Volk, den will die Menschheit richten.
Und es gelang! Siehst du den Thron erzittern,
Den früher schon die Last der Schmach gedrückt?
Es wogt und zürnt gleich schwarzen Ungewittern;
Roth ist der Strahl aus dunkler Nacht gezückt.
Der Rächer naht, die Säulen zu zersplittern,
Die ohne Gott der Siegeskranz geschmückt.
Der Abgrund lacht dem nahen Raub entgegen,
Und aus der Saat des Fluchs entkeimt der Segen.
Heil dir, mein Volk! du ziehst auf blut'gen Bahnen
Und trauerst nicht, wenn mancher Edle sinkt.
Wo Freyheit wohnt, da flattern deine Fahnen,
Und Heere stehn, wohin dein Ruf erklingt.
Nicht lange läßt der tapfre Mann sich mahnen;
Sein Vaterland ist, wo Gefahr ihm winkt,
Wo Ehr' und Recht dem theuern Sieg entsprießen,
Da scheint's ihm Lohn, sein Herzblut zu vergießen.
Hörst du zu Gott den Dank der Völker steigen?
Zum Tempel wird das blaue Himmelszelt,
Und Jedes Knie will sich dem Ew'gen neigen;
Von gläub'ger Lust ist Geist und Blick erhellt;
[24]
Die Sonne glänzt; des Herbstes Stürme schweigen;
Die Freyheit labt wie Frühlingshauch die Welt.
Kein Opfer schmerzt, kein Leid und keine Bürde;
Groß ist der Mensch und reich durch seine Würde.
Euch wird der Muth, die Treue wiederkehren,
Im Kranz der Kraft wird Zucht und Milde blühn;
Kein fremdes Gift wird euern Schmuck zerstören,
Kein schnöder Lohn in's Joch der Schmach euch ziehn.
Die Jungfrau wird den Schein nicht ferner ehren,
Kein Jüngling mehr für feile Bilder glühn,
Und staunend wird der Fremdling euch erkennen,
Und Kraft und Sitte deutsche Tugend nennen.
Und lange soll der heil'ge Fried' euch krönen,
Den ihr errangt in hart gekämpfter Schlacht,
Und Liebe soll den langen Haß versöhnen,
Und schmücken soll das Recht den Thron der Macht,
Und wohnen soll das Gute bey dem Schönen,
Und heilig seyn, was jetzt der Spott verlacht,
Und ewig soll der fromme Glaube leben:
Nicht unsre Kraft, den Sieg hat Gott gegeben!
Ein ernstes Wort will ich dir noch enthüllen;
Du schließ' es treu in deinen Busen ein:
Kein Schicksal giebt's, es giebt nur Muth und Willen;
Sey stark durch dich, so ist die Palme dein.
Es giebt ein Maaß, das soll der Mensch erfüllen
Und groß durch Kraft, durch Hemmung größer seyn.
Es giebt ein Recht, das gilt in jedem Kreise.
Es herrscht ein Gott, der ist allein der Weise.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Poetisches Tagebuch. Cäcilie, eine Geisterstimme. Im October 1813. Im October 1813. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0415-E