[5] Vorrede.

Des eignen Volkes uralte Natur und Sitte ist von den höheren Ständen geraume Zeit und auf eine ungebührliche Weise verachtet worden. Nicht nur die nach französischer Mode erzogenen Vornehmen, sondern auch der in der klassischen Schule aufgewachsene Mittelstand pflegte noch unlängst darauf als auf etwas Barbarisches herabzusehen. Wie berechtigt nun auch der Bildungsgang der höheren Klassen erscheint, so läßt sich doch nicht läugnen, daß er zu mancherlei Extrem und Unnatur und vornehmlich zu einer verhängnißvollen Entfremdung [5] von der eignen Volksthümlichkeit geführt hat. Des Volkes alter Glaube, alte Sitte und tiefes Gemüth wurden verkannt. Gesetzgebung und Administration, Schule und Presse waren beflissen, durch Abschaffung alter Rechte, Gewohnheiten und Gebräuche, und durch die sogenannte Aufklärung das angestammte, naturwüchsige Wesen, Sinnen und Denken des Volkes möglichst radikal umzuformen. Und das geschah, wenn auch in wohlmeinender Absicht, oft auf eine so rohe und unvernünftige Weise, wie wenn der Arzt dem Gesunden die Nase abschnitte, um sie durch eine vermeintlich bessere von Wachs zu ersetzen. Unzählige Dorf-Schulmeister und Schreiberei-Gehülfen machten es sich zur Aufgabe, den angeblichen Aberglauben des Volkes auszurotten, ohne daß sie ahnten, welchen Schatz von Volksmoral sie dadurch zerstörten, und wieviele der geheimsten und feinsten Fäden einer traditionellen Gewohnheit des Rechtthuns und des Respekts vor dem Heiligen und Würdigen durchschnitten wurden. Leichtsinnig vergeudete man ein altes Erbe des Volkes, und rottete Gesinnungen aus, welche die moderne Schulmeisterei [6] mit ihren langweiligen und abstrakten Moralpredigten, oder gar mit ihrer stolzen Berufung auf die Selbstbestimmung des Menschen nicht hat ersetzen können.

Justus Möser in Osnabrück war der erste, der schon im vorigen Jahrhundert eine Vergleichung zwischen der modernen Civilisation und der einfachen alten Sitte des Bauernvolkes seiner westphälischen Heimath anstellte und dringend empfahl, das bäuerliche Wesen gewissenhaft zu schonen. In neuerer Zeit haben sich desselben Riehl und Marcard am wärmsten angenommen. Ohne Zweifel hat die letzte Revolution dazu beigetragen, daß diesem Gegenstande jetzt mehr Aufmerksamkeit zugewendet wird. Der von radikalen Advokaten und atheistischen Schulmeistern verhunzte, ländliche wie städtische Proletarier in Deutschland ist zu sehr die Karikatur des ursprünglichen germanischen Stammes geworden, als daß es nicht hätte auffallen und zu Vergleichungen auffordern sollen. Noch ist, Gott sei Dank, die Corruption nicht allgemein. Wenn uns hier der revolutionäre Pöbel in den [7] sächsischen Lichtversammlungen, im hirschberger Thal, in den badischen Freischaaren, unter den Berliner Zelten, auf der Frankfurter Pfingstweide u.s.w. anwiderte, so labt sich Sinn und Auge wieder an dem kernhaften deutschen Bauer, wie er z.B. noch in den tyroler Alpen und im friesischen Marschlande gefunden wird. Es ist noch gar viel Tüchtigkeit in unserm Landvolk. Wehe dem, der das nicht einsieht, oder gar mitwirkt, das noch Vorhandene zu zerstören!

Zu den Volksstämmen alter guter Art nun, in denen noch die ureigne Kraft des Germanen ungeschwächt vorwaltet, gehört auch das Volk der Oberpfalz. Es ist wenig bekannt, von Touristen kaum je besucht und beschrieben worden. Man pflegt es in oberflächlicher Weise blos als Anhängsel des altbairischen Volksstammes zu betrachten, von dem es sich aber in bedeutender Eigenthümlichkeit unterscheidet. In seiner Mundart herrscht mehr, als in irgend einer andern, noch das Altgothische vor. In seiner Gemüthsart und Lebensweise erkennt man den Grundcharakter des deutschen Bauern [8] wieder, doch so, daß darin in dem Mase die guten Eigenschaften vorherrschen, als sich gerade von altem Glauben, Gebrauch und Sitte, hier besonders viel erhalten hat. Ohne daß sich das eigentlich Rusticale, die rauhe Kraft und Simplicität verläugnete, geht doch hier durch Sitte und Sage ein Zug von wunderbarer Zartheit hindurch, mit dem sich nichts vergleichen läßt, als die sittliche Grazie in so vielen unsrer älteren Volkslieder.

Der Verfasser des vorliegenden Werkes, welches die Volksthümlichkeit der Oberpfälzer zum erstenmal in einem großen Gemälde zusammenfaßt, hat überall selbst beobachtet, alles mit erlebt. Daher der erstaunliche Reichthum seiner Notizen. Sein Werk ist einer der inhaltvollsten Beiträge zur deutschen Kulturgeschichte, und überdieß musterhaft klar angeordnet. Kenner der deutschen Alterthümer, in Sprache, Sitte und Sage, sind noch besonders darauf aufmerksam zu machen, daß sie hier viel neues Material für ihre Forschungen finden werden.

Indem der Unterzeichnete diese schöne Gabe aus der Oberpfalz mit Freuden begrüßte und [9] empfiehlt, kann er den Wunsch nicht unterdrücken, es möchten in ähnlicher Weise noch andere bisher vergessene Theile des deutschen Sprachgebietes ebenso gründlich erkannt und beschrieben werden.


Stuttgart, Osterwoche 1857.


Dr. Wolfgang Menzel. [10]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Erster Theil. Vorrede. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-EA2C-4