[99] Tristan

Anmerk. von 1811. Bei diesem Rittergedichte, dessen weitläuftiger Entwurf unvollendet blieb, hatte ich hauptsächlich die Behandlung der Geschichte durch unsre Minnesinger Gottfried von Straßburg und dessen Fortsetzer Heinrich von Vriberg vor Augen welche wiederum aus dem Buche des Thomas von Bretagne geschöpft haben. Da indessen schon nach ihrer Erzählung Tristan an den Hof des Artus kommt, und in dem späteren französischen Roman Lanzelot als der Busenfreund Tristans vorgestellt wird, so glaubte ich einen Theil von den Abenteuern des letztern episodisch einflechten zu können. Seitdem ist mit Glück eine erneuernde Umgestaltung verschiedener alter Dichtungen unternommen worden; vielleicht wird also auch die Mittheilung dieses Bruchstücks von einem früheren Versuche nicht unwillkommen sein.

Erster Gesang

1.
Von Artus Ritterschaft und Tafelrunde,
Von zauberlichen Wundern und Gesichten,
Will ich, wie ich's in alten Büchern funde,
Wahrhaft, in neuer Weise bloß berichten;
Vom heil'gen Graal wie in der Tapfern Bunde
Der reinste nur dieß Abenteur kann schlichten,
Und wie zwei Ritter, sonst von hohen Dingen,
Durch süße Schuld des Ruhms verlustig giengen.
[100] 2.
Tristan und Lanzelot, die edlen Degen,
Durch gleichen Muth zur Freundschaft auserkoren.
Vor allen soll mein Lied des Tristan pflegen,
Des holden, der aus Liebe ward geboren,
Und, nach der Sterne liebendem Bewegen,
In Lieb' entzückt, durch Liebe dann verloren.
Es soll Vertraute solcher Freud' und Schmerzen
Sein Schicksal rühren, aber nicht entherzen.
3.
O wäre mir verlieh'n die Kraft und Wonne
Der Minne, so die alten Ritter zwang,
Daß ihnen unter Maienlust und Sonne
Nach Schwertes Klirren Saitenspiel erklang,
Und stets, von reiner Frauen Lob ein Bronne,
Ihr Mund sich aufthat! möcht' in meinem Sang
Heinrich von Veldeck, der von Eschilbachen,
Und Walter von der Vogelweid' erwachen!
4.
Drum laß' ich, schlicht und ohne Zierlichkeiten,
In der Erzählung mein Gemüth nur walten:
Von Looßen, welche die Geburt bereiten,
Will ich, wie Trieb' und Kräfte sich entfalten,
Euch bis zum letzten Hauch des Helden leiten.
So deuten sich die wechselnden Gestalten,
Daß ihr den Ring des Lebens ganz begreift,
Wie er zuletzt in sich zurücke schweift.
5.
Ein Ritter herrschte, kühn, getreu und mild,
Adlich von Sitten, königlichen Blutes,
Der Feinde Schrecken und der Seinen Schild,
Zu Parmenie, in Fülle reichen Gutes.
[101]
Sein junger Leib war aller Tugend Bild;
Nur wollt' er, im Geleit des Uebermuthes,
Zu weit in seines Herzens Lüften schweben,
Und immer nur nach eignem Willen leben.
6.
Die Sorge wagte nicht, ihn anzusprechen,
So spielend zog er seine Bahn dahin.
Das Recht behaupten, und den Unglimpf rächen,
Und Kraft an Kraft ermeßen, war sein Sinn,
Den alle Macht der Welt nicht konnte brechen;
Doch hatt' er des nur kurze Frist Gewinn:
Kaum daß der Jugend Morgenstern ihm funkelt,
So fiel der Abend ein, der sie verdunkelt.
7.
Herr Riwalin, so hieß er, trug die Leben
Von Morgan, König im Bretagner Land.
Doch sei's nun, daß ihm eine Schmach geschehen
Sei's, daß er sich verjährtem Recht entwandt,
Und konnte Pflicht und Bündniß nicht bestehen;
Und bald gab Riwalin der starken Hand
Den Ausspruch heim entbietend die Vasallen
In Morgans Herrschaft feindlich einzufallen.
8.
Er brach ihm Burgen, schlug sein Volk, verheerte
Die Gauen weit, und raubte viel der Habe;
Zwar fiel auch ihm manch guter Kampfgefährte,
Denn stets gebüßt wird Krieges Glück und Gabe.
Morgan, der kaum sich der Gewalt erwehrte,
Sann, wie er schlau sie abzuwenden habe,
Und schien sich seinem Lehnsmann zu bequemen,
Nach dessen Willen Frieden anzunehmen.
[102] 9.
Als diese Waffen waren beigelegt,
Ließ Riwalin ihm nicht daheim genügen,
Weil sich der Ehre Lust in ihm bewegt
Nach ritterlichem Preis und fernen Kriegen.
Er hört, was Lob der Ruf herüber trägt
Von König Mark, der Cornwalls Thron bestiegen:
An seinen Hof will er zum ersten reisen,
Da Sitt' und Tugend lernen und erweisen.
10.
Drum setzt er seinen Marschalk zum Verwalter
Und giebt in seine Pflege Leut' und Leh'n,
Der Rüal war genannt, der Treuehalter.
Ein Schiff, mit köstlichem Geräth verseh'n
Und zwölf Genoßen seines Zugs bestallt er,
So fuhr er hin bei guter Winde Weh'n.
Bald landete die wohlbemannte Barke
Bei Tintajol, da lag der König Marke.
11.
Mit hohen Ehren, wie sich's ziemt für Herrn,
Ward es allda dem stolzen Gast erboten.
Willkommen hieß der Fürst ihn doppelt gern
Bei'm Fest, wozu er ausgesandt die Boten,
Die rings umher in Cornwall, nah und fern,
Zum offnen Hof sein Landgesind' entboten.
Viel Ritter kamen von den Frau'n begleitet,
Mit Kleiderschmuck und Dienern wohl bereitet.
12.
Nun war des Maien süße Zeit begonnen,
Und Baum und Busch zu Blüthensträußen schwollen;
Die Au hat sich ihr Blumenkleid gesponnen,
Wobei der Waldvöglein Getön erschollen,
[103]
Und stimmen drein die Lüft' und regen Bronnen,
Als die den Fleiß ihr gern erlust'gen wollen:
Da ward vor Tintajol auf grünem Plan
Das reiche Fest des Königs aufgethan.
13.
Behende liefen Schenken hin und wieder,
Den Gästen bietend Speis' und edlen Trank.
Die ließen sich in seidnen Zelten nieder,
Die wählten Laub zum Dach, und Moos zur Bank;
Die führten Reigen, jene sangen Lieder;
Wär' einer auch an allen Sinnen krank,
Er müßte doch von solchem schönen Wesen
Und sel'ger Augenweide noch genesen.
14.
Da scherzten und ergiengen sich die Frauen,
Mit Rittern bald, bald unter sich gepaart;
Gar manchen Kranz entflochten sie den Auen,
Und sie erblühten selbst nach Kranzes Art.
Doch keine war so lieblich anzuschauen
Als Blanscheflur, des Königs Schwester zart,
An Schönheit eine lichte weiße Blume,
Zum Wunder aller Welt, und Gott zum Ruhme.
15.
Auch wurde nun ein wackres Ritterspiel
Mit Rennen und Turnieren dort erhoben:
Die Schaaren mengten mannigfalt Gewühl,
Die Rosse muthig durch einander schnoben;
Da ward des Stechens ohne Maßen viel,
Daß Lanzensplitter an die Schranken stoben.
Die Frauen saßen an der Schau im Kreiß,
Wer stattlich ritte, merkten sie mit Fleiß.
[104] 16.
Und manche sprach, zur Nachbarin gewandt:
Kein Ritter gleicht doch auf der ganzen Erde
Herrn Riwalin; wie ziert ihn sein Gewand!
Wie schließt sein königliches Bein am Pferde!
Wie fügt sich Schild und Schaft der festen Hand!
Wie wohl steht all sein Thun und die Geberde,
Und Wuchs und Haupt! O wohl sie selig Weib,
Die einst erwirbt so hochgemuthen Leib!
17.
Als sich das Waffenspiel nunmehr geendet,
Und die Genoßen da und dorthin reiten,
Hatt' ungefähr sich Riwalin gewendet,
Wo Blanscheflur im Schatten saß abseiten.
Er sprengt hinan, und holden Gruß ihr sendet:
Gott grüß' euch, Schöne! – Mög' er euch geleiten!
Erwiedert sie; doch unverzieh'n dem Rechte,
Das wider euch ich gern zur Klage brächte.
18.
Was konnt' ich nur an euch, Fräulein, verschulden?
Befragte sie der Ritter minniglich.
Sie sprach: Mein bester Freund muß Kränkung dulden
Von eurethalb. – So richtet über mich:
Was ihr gebietet, kann ich eure Hulden
Damit gewinnen, thu' ich williglich.
Eh daß ihr mir so argen Willen traget,
Bestraft mich, weiß ich schon nicht, was ihr klaget. –
19.
Ich haß' euch nicht zu sehr, um was geschehen,
Sprach sie, doch darf ich euch darum nicht minnen,
Denn wie ihr mir zur Buße wollet stehen,
Muß ich zuvor noch beßer werden innen.
[105]
Der Ritter wünscht die Rede zu verstehen,
Er neigte sich und wollte so von hinnen,
Da sandte sie ihm süßen Segen nach,
Und sprach aus inniglichem Herzen: Ach!
20.
Ihr Herz das war der Freund, den sie gemeinet.
Es hatte Riwalin bei sich gedacht:
Hab' ich aus ihrer Freundschaft wen verkleinet
An seiner Ehr', und ließ es aus der Acht?
Als aber ihm bei dieser Sorg' erscheinet,
Wie dennoch ihr holdsel'ger Blick gelacht,
Und er ihr scheidend Seufzen dann vernommen,
Da war in ihm ein neues Licht entglommen.
21.
Dieß Licht begann erwärmend sich zu regen,
Denn keimendes Verlangen sproßt vom Hoffen
So frisch empor, wie Knospen nach dem Regen.
Ihn hatt' ihr Bild oft wie ein Blitz getroffen,
Nun kam es ihm wie Sonnenschein entgegen,
Und legt' ihm selber sein Geheimniß offen.
So huben sich in ihrer Beider Herzen
Die bangen Freuden und die süßen Schmerzen.
22.
Mit Schweigen hatte Blanscheflur gesprochen,
Und Lust und Schreck begegnen sich verstohlen,
Weil ihr aus scheuer Hut an's Licht gebrochen
Was sie im Schein des Zwistes gern verhohlen.
Ihr zarter Busen drang empor mit Pochen,
Als wollt' er noch zurück den Seufzer holen;
Jungfräulich wollt' ihr Blut die Glut ertödten,
Doch es ward selbst zum glühenden Erröthen.
[106] 23.
So scheucht und lockt, birgt und verräth die Minne,
Die allgewaltige Verstrickerin.
Er trug nun Kron' und Scepter ihrer Sinne,
Sie thront' in seiner Brust als Königin;
Des wurden Beide neuen Muthes inne,
Das Zagen und der Zweifel fuhr dahin:
Wo sie sich sah'n, sah Lieb in Liebes Augen,
Im Gegengruß Gewißheit einzusaugen.
24.
Doch diese Blicke schlichen hin und her
Wie kluge Boten mit bescheidnem Tritte,
Und förderten den sehnlichen Verkehr
Des Ritters und des Fräuleins in der Mitte
Der vielen Gäste, die nicht mußten mehr
Von ihrem Thun als Zucht und Hofessitte.
Das Fest war mit der Mailust nun zerronnen,
Ein heißer Spiel naht mit den heißern Sonnen.
25.
Es kam die Märe von des Landes Marken,
Ein Feind brech' ein und drohe harten Strauß.
Der König schnell versammelt seines starken
Heerbannes Macht, und rückt ins Feld hinaus.
Und Riwalin begleitet freudig Marken,
Er dient ihm wie Vasall von seinem Haus,
Und wünscht mit seinen schon versuchten Waffen
Sich Ruhm, und Cornwall Sieg und Heil zu schaffen.
26.
Rasch auf einander ritten Heer und Heer,
Sie fochten mannlich ihren wackern Krieg,
Die Rüstung wurde manchem heiß und schwer,
Doch immer stand, wo das Gedränge stieg
[107]
Der Schild von Parmenie zu Cornwalls Wehr.
Zuletzt erstritt des Königs Volk den Sieg,
Der Feind ward meist gefangen und erschlagen,
Daß, wer entkam, vom Glücke hatt' zu sagen.
27.
Nur, leider, eh die Schlacht noch ausgeklungen,
Muß der von dannen, der sie wohl erkundet,
Der werthe Riwalin, der wild umrungen
Im Vorderreihn, wird auf den Tod verwundet;
Ihm ist ein Speer zur Seiten eingedrungen,
Er fällt, wie einer, der nicht mehr gesundet.
Heim tragen ihn die jammernden Genoßen
Auf einer Bahre zwischen ihren Rossen.
28.
Als sie den stechen Mann nach Tintajol
Hereingebracht, da braucht ihr nicht zu fragen,
Ob es in aller Ohren herbe scholl,
Ob sich um ihn erhob ein kläglich Klagen.
Nicht edle Frau'n nur sind der Trauer voll,
Das arme Volk weiß auch von ihm zu sagen;
Sie dau'rt sein schöner Leib, die süße Jugend,
Und seine wohl geborne Herrentugend.
29.
Was aber auch ein jeder klag' und weine,
Zu tausendmalen mehr als alle pflag
Des bittern Jammers Blanscheflur, die reine.
Sie fiel sich selber an mit manchem Schlag,
Kaum daß sie sich verschloßen hat alleine,
Recht an die Stelle wo das Herze lag.
Es war erbärmlich, wie das süße Weib
Quält ihren jungen schönen süßen Leib.
[108] 30.
Gern hätte sie ihr Leben hingegeben
Für einen Tod, der nicht der Liebe droht.
Sie schien in eigner Todesnoth zu schweben,
Und lebte nur in fremder Todesnoth;
Denn einzig hält und labt sie noch das Streben
Zu sehn ihr liebstes Leben, eh es todt.
Hat ihr der Tod noch dieses gönnen müßen,
So mag er auch an ihr die Lust noch büßen.
31.
Als sie gekommen wiederum zu Sinnen,
Lenkt sie ihr Trachten darauf allewege,
Wie sie den Wunsch mag insgeheim gewinnen.
Auf eine Meisterin, in deren Pflege
Und treuer Hut von Kindheit ihr Beginnen
Gewesen, ward ihr erstes Hoffen rege:
Die rief sie zu sich, wo sie zwei nur waren,
Und unterwand sich, ihr's zu offenbaren.
32.
Die Augen ihr von Thränen überwallten,
Daß sie sich drängten auf der lichten Wange:
Die Hände flehten, vor ihr hin gefalten:
Ach! wehe mir! so weint' und sprach sie bange;
Du hast mir immer große Treu gehalten,
Gewähre des mich nun, was ich verlange,
Herzliebe Meisterin! Du bist mein Hort,
Mein Heil hängt ganz an deinem Rath und Wort.
33.
Hilfst du mir nicht, so sieh mich schon als Todte.
Sagt mir denn, werthes Fräulein, euer Leid. –
Darf ich's vertraun, o Traute, dem Gebote? –
Ja, Kind, ich bin zu trösten dich bereit. –
[109]
Hör', Mutter, dann: mich tödtet dieser Todte. –
Wer? – Riwalin. – O jammervolle Zeit! –
Laß mich ihn sehen, eh' er gar erstorben,
So hast du ew'gen Dank an mir erworben.
34.
Die Meisterin ließ nicht ihr Wort verderben;
Sie denkt, was schadet's, ob ich das gewähre?
Der Ritter muß heut oder morgen sterben,
So frist' ich meiner Frauen Leib und Ehre,
Und mag mir Lieb' und Huld redlich erwerben.
Mir geht zu Herzen eurer Trübsal Schwere,
Mein Fräulein, sprach sie; steht's in meinen Händen,
So zweifelt nicht, ich will die Noth euch wenden.
35.
Ich will alsbald zu dem Todwunden gehen,
Und will die Stätte, wo er liegt, wer sein
Mit Pflege wahrnimmt, alles wohl erspähen.
Sie gieng zum Ritter mit Geberden ein,
Als käm sie klagen seine Angst und Wehen,
Und sagt' ihm leise: Herr, die Jungfrau mein
Wollt' gern in euren Nöthen zu euch kommen,
Nur sei' s nach Sitt' und Ehre vorgenommen.
36.
Und als sie Weg' und Mittel ausgemacht,
Kehrt sie zurück zu ihrer Blanscheflur.
In eines armen Beteweibes Tracht,
Baarfuß, zum Gürtel eine grobe Schnur,
Wie sie im Spittel wohl bei Siechen wacht,
Verbarg sie ganz die schöne Creatur.
Ihr Haar in Zöpfen, und ein Tuch aus Leinen
Ließ, hängend, fast ihr Antlitz nicht erscheinen.
[110] 37.
So nimmt sie die Prinzessin an die Hand,
Und führt sie, wo er liegt, der arme Schwache.
Er hatte all die Seinen fortgesandt,
Weil Still' und Ruh den Schmerz gelinder mache.
»Die Aerztin hier bringt heilsamen Verband;«
Sagt zu den Dienern sie im Vorgemache,
Und schafft also, daß die herein sie ließen,
Und sorgt, die Thüre hinter ihr zu schließen.
38.
Ach! seufzet Blanscheflur, ach! heut und immer;
Wie gar ist meines Lebens Trost verloren!
Und Riwalin im dämmerlichen Zimmer
Sieht kaum sie nahn, doch dringt in seine Ohren
Der süße Laut: ein ferner Morgenschimmer,
Geht sie ihm auf wie aus des Himmels Thoren.
Er neigt sich ihr, doch nur mit mattem Winken,
Und muß gleich wieder auf sein Lager sinken.
39.
Sie merket wenig, wie er sie empfangen,
Von Lieb' und Leid erkalten ihre Glieder,
Der Rosenschein erblaßt auf Mund und Wangen,
Und Nacht fällt auf der klaren Augen Lieder.
Ersterbend noch in zärtlichem Verlangen
Lehnt sie zu ihm sich Wang' an Wange nieder:
So lag sie lang' in schwindenden Gedanken
Ohnmächtig da bei dem ohnmächt'gen Kranken.
40.
Als ihr entwichner Sinn sich wiederfund,
Drückt sie alsbald, voll Inbrunst und Erbarmen,
Zu tausendmalen ihren süßen Mund
Auf seinen, der vom Hauche muß erwarmen.
[111]
Sein schlummernd Leben wachet auf zur Stund,
Gewiegt in ihren lind' umschlungnen Armen.
Auf ihren Lippen wohnt ein köstlich Wesen,
Das saugt er ein und wähnt sich schon genesen.
41.
Darob erglüht der Minne Kraft in beiden,
Aus Noth und Tod mächtig emporgerungen.
Sie wollten nur am Weh die Seelen weiden,
Doch süßre Qual hat jenes Weh verschlungen;
Sie einet allererst das letzte Scheiden.
Der Jüngling, wie von Jugend neu durchdrungen,
Zwang das geliebte minnigliche Weib
Innig und nah an seinen wunden Leib.
42.
Die Schöne fügt sich willig seinem Willen,
Und beut sich selbst als süßer Labung Becher,
Den Lebensdurst des Schmachtenden zu stillen.
Der Trunk berauscht den zu verwegnen Zecher,
Aus sel'gen Wunden will sein Geist entquillen,
Schon liegt er wie erstarrt und athmet schwächer:
Er mußte sterben an der hohen Wonne,
Hätt' ihm nicht Gott verlieh'n das Licht der Sonne.
43.
Sie schied, von Noth entladen und beladen:
Ihr Herzensleid zurück bei'm Ritter bliebe,
Vertauschet mit der Minne Bund und Gnaden;
Doch unterm Herzen keimen neue Triebe
Des Lebens ihr, zu ihres Lebens Schaden.
Das wußt' sie nicht, sie wußte nur von Liebe:
Er war ganz ihr fortan, sie seine nur,
Und Riwalin war eins mit Blanscheflur.
[112] 44.
Er lag in Träumen, die er nicht ermaß,
Das stolze Glück erhöht ihm sein Gemüth;
Den Todespfeil, der in den Adern saß,
Warf aus das freudebrausende Geblüt.
Die Diener priesen, da ihr Herr genas,
Wie klug die Aerztin sich für ihn bemüht.
Doch kaum gesund brach er geheime Frucht
Der Lieb', als neue Trennung heim sie sucht.
45.
Sein Marschalk sendet Botschaft aus den Landen,
Daß Morgan sich, da fern der junge Held,
Nicht binden läßt von des Vertrages Banden,
Ein Heer, gewalt'ger als zuvor, gesellt,
Und, giebt man nicht ihm, was er heischt, zu Handen,
In Parmenie mit Schwert und Feuer fällt;
Daß Muth und Treue wankt bei seinen Mannen,
Wenn seine Kunst nicht bald sie wird ermannen.
46.
Er schickt sich drauf zur Heimfahrt über See,
Gleich hört die leid'ge Kunde Blanscheflur;
Sie sagte bloß das arme Wort: »o weh,«
Das viel und oftmals ihrem Mund entfuhr.
»O Minne, so verlockst du je und je
Aus Lust in Leid, wer sich dir eigen schwur.
Dein Wahn, der in so falscher Süße schwebet,
Trog mich, er trüget alles was da lebet.«
47.
Indem trat Riwalin in das Gemach,
Und sprach: Ich soll und muß zu Lande fahren,
Bald hoff' ich glücklich Ende meiner Sach,
Euch, Schöne, möge Gott gesund bewahren.
[113]
Bleibt euch mein treues Angedenken wach,
So frag' ich nicht nach aller Feinde Schaaren.
Gebietet mir! sagt mir ein letztes Wort!
Schon wartet mein das Schiff, und ich muß fort.
48.
Das Fräulein mußte solche Red' entherzen,
Fiel in den Schooß der Meisterin wie todt.
Er kniet zu ihr mit weinend bangem Herzen,
Und wußte keinen Rath für ihre Noth
Als linde Liebkosung und trautes Herzen,
Und Küße, die er Mund und Augen bot,
Bis sie begann sich an ihm aufzuranken,
Und selbst sich konnte halten ohne Schwanken.
49.
Da sprach sie: Theurer Mann, ich muß es klagen
Daß ihr so weggeht wie ein freier Gast,
Und, wenn ich's darf mit euren Hulden sagen,
Verdient ich's freundlicher um euch; ihr laßt
Mich hier allein in dreien Sorgen zagen.
Zuerst so trag' ich eines Kindes Last
Von euch, des ich wohl nie genes', ich Arme:
Die reine Magd sich mein und sein erbarme!
50.
Und wenn mein Herr und Bruder es erfährt,
So läßt er mich des grimmen Todes sterben.
Ja, wenn er auch den Leib mir nicht versehrt
Wird er doch Gut und Ehre mir verderben;
Dann muß mit mir verstoßen, arm, unwerth,
Mein vaterloses Kind die Trübsal erben.
Auch wird mein Land, mein Volk und hoch Geschlecht
Durch meine Schmach an Ehren sehr geschwächt.
[114] 51.
Er sagte drauf: Seid wohlgemuth, o Traute!
Mir ist so lieber Tag an euch begegnet,
Wenn, eu'r vergeßend, ich mein Glück mir baute,
So wär' ich wohl auf ewig ungesegnet.
Die hohe Kraft, die uns mit Lust bethaute,
Vereint uns, wenn es blitzt und stürmt und regnet.
Mein Schicksal bleibt von eurem ungeschieden,
Kein Leid geschieht euch je mit meinem Frieden.
52.
Jetzt möchte König Mark mich landlos achten,
Begehrt' ich euch zum ehlichen Gemahl;
Doch wird er mich als Schwager nicht verachten,
Wenn ich besiegt der mächt'gen Feinde Zahl.
Schnell rückzukehren war mein Ziel und Trachten,
Doch, weil ihr bangt, biet' ich euch diese Wahl:
Ich bleibe hier, zum Dienst euch und zur Steuer;
Wo nicht, fahrt mit, und was ich bin, ist euer.–
53.
Ach Herr und Freund, wie wohl erweis't ihr's mir!
Ich will's euch danken mit fußfäll'ger Seelen.
Doch ist für mich kein länger Bleiben hier,
Ich kann die Angst nicht um mein Kindlein hehlen.
Der beste Rath ist euch zu folgen schier,
Kann ich geheim mich nur von hinnen stehlen.
Fahrt erst zu Nacht, so hilft die Meisterin
Zu eurem Schiffe mir verkleidet hin.
54.
Als sie erwägt, wie sich's am besten füge,
Gieng Riwalin, Urlaub von Mark zu nehmen.
Dem sagt er, wie daheim die Sache liege,
Er müße schnell den falschen Morgan zähmen.
[115]
Ihm folget mancher Wunsch zu Heil und Siege,
Von Rittern, die sich um sein Scheiden grämen.
Der König hofft, er werd' an Gut und Ehren
Gefördert, bald zu seinem Hofe kehren.
55.
Derweil die noch den letzten Becher trinken
Auf gute Fahrt, fiel schon die Sonn' in's Meer,
Und heimlich thäten nun die Sterne winken.
Da schlich das Fräulein unbemerkt daher,
Zur Bucht, allwo des Schiffes Segel blinken,
Als Edelknabe, den zu guter Lehr
In Waffenkunst der Ritter mitgenommen;
So harrt sie dort schon, eh er hingekommen.
56.
Sie stießen ab, sie schnitten durch die Wellen,
Die nur mit Plätschern um den Kiel sich regen.
Gelinde Lüfte kaum die Segel schwellen,
Das Schiffvolk konnte meist zur Ruh sich legen,
So schnarchten auch im Raume die Gesellen,
Hingleitend unbesorgt auf feuchten Wegen,
Als noch der Ritter sammt dem holden Buben,
Umarmt, die Blicke zum Gestirn erhuben.
57.
Das blinket in der Fluten Widerscheine
Wie naß vor Wehmuth; sie ergreift ein Wähnen,
Als ob die Welt aus tausend Augen weine,
Und ihre Liebe schwimm' im Meer der Thränen.
Da weigern ihre Augen nicht alleine
Die Flut zu mehren, hingethaut in Sehnen.
Bald hatte Liebesblick sie neu umlächelt,
Ihr Hauch die Thränenseen weggefächelt.
[116] 58.
Die Nacht floh hin, von statten gieng die Fahrt,
Am dritten Tage kamen sie zu Land.
Der Marschalk, mit den Seinigen geschaart.
Hieß froh willkommen seinen Herrn am Strand,
Dem er alsbald umständlich offenbart,
Wie er die großen Sorgen kaum bestand.
»Doch weil euch Gott in Zeiten hergesendet.
Ist Rath und Trost uns allen ausgespendet.«
59.
Hiernächst vertraut ihm Riwalin mit Fleiß
Von Blanscheflur sein liebes Abenteuer.
Ja Herr, ich seh', ihr wachs't an Würd und Preis
Von Tag zu Tag, erwiedert sein Getreuer
Ihm hoch erfreut; denn solche Blume weiß
Krönt euren Namen wohl, und macht ihn theuer
Bei aller Welt; eu'r Glück und eure Wonne
Steigt herrlich auf, so wie die Morgensonne.
60.
Nun laßt die Gute gleiche Güt' erproben:
Wenn wir der Noth gewehrt mit unsern Waffen,
Werd' öffentlich ein Hochzeitfest erhoben,
Da sollt ihr's reich und königlich ihr schaffen,
Daß König Mark es selber möge loben.
Zuvor noch laßt, daß Lai'n es seh'n und Pfaffen,
Zu rechter Eh' euch in der Kirche weihen;
Glaubt, alles wird euch beßer drum gedeihen.
61.
Also geschah's nach Rüals biederm Wort.
Weil nun die Herrn zu hartem Zeitvertreib
Das Land durchreiten mußten da und dort,
Führt Blanschefluren, um so theuren Leib
[117]
Besorgt, der Marschalk auf ein festes Ort,
Cantell genannt, da wohnt sein eigen Weib;
Der anbefahl er sie, der reinen, steten,
Der Weibesehre Spiegel, Frau Floreten.
62.
Den Winter über war mit seiner Beute
Morgan auf einer starken Burg geseßen.
Die beiden rüsten Zeug indes und Leute,
Ermuthigend, wer sich des Streits entseßen,
Und sind bereit, da sich das Jahr erneute,
Sich mit dem Feind' in offnem Feld zu meßen.
Von Parmenie die blühnde Ritterschaft
Stand wider Morgans übergroße Kraft.
63.
So kam es an der Landwehr zum Gefechte,
Wo Kunst und Muth und Stärke sich bewährt.
Gewalt der Rechte wurde da zum Rechte,
Und es beschwert statt Zungen sich das Schwert.
Wie wenig ward geschont der guten Knechte!
Wie manchem war sein Letztes da bescheert!
Hier war der Staub gelöscht, dort das Gras blutig,
Doch Parmenie stand im Gedränge muthig.
64.
Bis, da die Schaaren der Bretagner weichen,
Und jene setzten siegesfreudig nach,
Mit wildem Schrei aus Waldung und Gesträuchen
Vom Hinterhalt hervor ein Haufe brach.
Gar tapfre Reiter mußten wohl erbleichen,
Wenn sie ein Speer plötzlich im Rücken stach.
Drob ward ihr Heer zerrißen und verworr'n,
Daß Riwalin es sah mit großem Zorn.
[118] 65.
Indes die pflichtvergeßnen Unterthanen
Der treue Marschalk, seinem Herrn zum Schutz,
Zu sammeln eilt um die bekannten Fahnen,
Beut der allein dem Feinde Wehr und Trutz,
Und weiß sich vorwärts weiten Raum zu bahnen.
Er drang hindurch, wenn nicht im blut'gen Schmutz
Der Gaul ihm ausglitt, und vom Sporn gerißen
Sich stampfend, bäumend, über sich geschmißen.
66.
Noch mancher Feind erschrack des dumpfen Halls,
Als seine Waffen klirrten über ihm.
Der freche Morgan freut sich seines Falls,
Er sprengt herzu, durchbohrt mit Ungestüm,
Wo Helm und Harnisch gränzen, ihm den Hals,
Nicht fragend, ob sich solcher Streich geziem',
Statt ihn zu fahn um Lösung, wie bei Fürsten
Die Sitte gilt; so brennt sein Rachedürsten.
67.
Als Riwalin die Diener fallen sah'n
Ermannten sie vordringend sich zum Kampf:
Viel tapfre Thaten nun zu spät geschah'n.
Wo der Held lag im letzten Todeskrampf,
Tobt zehnfach wütend auf blutrothem Plan
Geklirr, Mord, Zeter, Wiehern und Gestampf,
Daß sie, wie grimmig Morgans Krieger schnaubten,
Den Leichnam und das Feld zuletzt behaupten:
68.
Drauf ward der todte Herzog aufgehaben,
Zur Burg in seiner Ahnen Gruft zu wallen.
Ihr denkt wohl, wie die Seinen sich gehaben:
Sie sind gemuthet und in Noth gefallen
[119]
Als die, so Ehr' und Gut mit ihm begraben,
Vom eignen Mann zum obersten Vasallen.
Doch er ist hin, man muß sich sein entwegen,
Und beten, Gott im Himmel woll' ihn pflegen.
69.
Nur Blanscheflur nicht um den Gatten weinet,
Wiewohl kein Weib so tödlich Leid erwarb;
Das macht, sie war im Innern ganz ersteinet,
Der Klage Laut auf ihrer Zung' erstarb.
Die Sonn' ihr nur mit bleichem Glanze scheinet,
Ihr Aug' umhüllet düstre Trauerfarb.
So lag sie in den Qualen, kaum noch ächzend,
Nach ihrer bangen Seel' Entbindung lechzend.
70.
Da fuhr ein Zucken durch den starren Leib,
Des Lebens Wehen aus des Todes Nöthen.
Vier Tage wand sich das trostlose Weib:
Kann's nicht der Gram, so muß ihr Kind sie tödten.
O süßes Kind, im Mutterschooße bleib'!
Was ringest du nach andern Grabesstäten?
So denkt sie stets mit innigstem Erbarmen;
Ein Söhnlein lebt, man gab es ihren Armen.
71.
Sie sprach es hegend am gebrochnen Herzen:
Ich habe, da ich dich empfieng, getrauert,
Dein Vater traurig lag in wunden Schmerzen,
In Trauer hat mich die Geburt durchschauert,
Traurig umwölkt sich deine Sterne schwärzen,
Weil du verwaist und von Gefahr umlauert.
Drum heiße Tristan mit dem traur'gen Namen.
Das ist mein letzter Muttersegen. Amen.
[120] 72.
Der Sohn genas, die Mutter lag erblichen,
Und ward zu Riwalin in's Grab getragen.
Ihr Kind sei todt der Todten Schooß entwichen,
Befahl der Marschalk allem Volk zu sagen,
Obschon das Land ob solchem jämmerlichen
Berichte noch trübsel'ger mußte klagen.
Das ordnet Rüal mit getreuen Listen,
Der Waise Leib und Gut und Recht zu fristen.
73.
Denn hätte Morgan um das Kind gewußt,
Er ruhte nicht, er mußt' es dann verderben.
Auf beßre Zeiten hofft die treue Brust
Das Land zu sparen seinem ächten Erben.
Jetzt, da es blutet nach dem Kriegsverlust,
Hieß er die Edlen selbst um Frieden werben.
So ward der Zwist gesühnet und entschuldigt,
Und ward dem Oberlehensherrn gehuldigt.
74.
Er will den Knaben auferziehn als sein,
Und mahnt sein Weib sich Schwangern gleich zu halten.
Geräth und Kammer richtet auf den Schein
Sie klüglich zu mit heimlichen Anstalten;
Die Amme schafft das Kind gar still herein,
Als sollte bei der Kreißenden sie walten.
Der war's vertraut: sonst ward die Mär' erfunden,
Die Marschalkin sei eines Sohns entbunden.
75.
Und als sie ingelegen ihre Wochen,
Trug sie ihn lieb zum Gotteshaus hinauf.
Da wurde Segen über sie gesprochen,
Der Kleine dann benamt im heil'gen Tauf
[121]
Wie ihm der Mutter scheidend Wort versprochen.
Ich nenn' ihn Tristan nach der Zeiten Lauf,
Sprach Rüal; Gott kann's beßer mit ihm machen,
Daß er einst fröhlich mag des Namens lachen.
76.
Es war ja wahrlich wahr und kein Betrug,
Wenn sich Florete zu dem Sohn bekannte:
Er fühlt zu ihr der Kindestriebe Zug;
Sie mütterlich nie keines theurer nannte,
Das selbst sie unter ihren Brüsten trug.
Mit süßem Fleiß ihr Sinn sich zu ihm wandte,
Die Tugendreiche hegt ihn früh und spat,
So daß er niemals unsanft niedertrat.
77.
Ihm waren Scherz und Freiheit Spielgenoßen,
Doch das Geleit der Kindheit nahm die Flucht.
Als bei der Mutter sieben Jahr verfloßen,
Nahm ernster ihn der Vater in die Zucht;
Als seiner Freuden Blüthe kaum entsproßen,
Ward sie vom Reif der Sorgen heimgesucht:
So wandelte sein Leben sich allmählig,
Das ward seitdem noch leider arbeitselig.
78.
Zwar fügt sich Tristan allem Fleiße gerne,
Sein Vater gab ihm einen Meister zu,
Der war begabt mit guter Weisheit Kerne,
Und sann zu allen Stunden ohne Ruh
Wie nun sein Zögling eins, nun andres lerne,
Ein Ding heut wohl und morgen beßer thu'.
Der fremden Zungen Kunst, der Bücher Satzung
War täglich seines jungen Sinnes Atzung.
[122] 79.
Von heiliger Geschicht, und Lehr der Weisen,
Von Recht und Sitte muß der Knabe wißen;
In seinen Reden stand er sehr zu preisen,
So war er auch auf Musica beflißen,
Daß seine zarten Finger schöne Weisen
Auf allerhande Saitenspielen rißen.
Ihm war, was irgend nur ein löblich Werk,
Bis er's gefaßt, sein emsig Augenmerk.
80.
Bald lernt' er auch mit Schenkeln und mit Zügeln
Das Roß zu jedem Tritt und Wendung rühren,
Und fest im Sitz geschloßen und den Bügeln
Den Schild und Speer nach Ritterweise führen,
Dann ringen, springen, und den Lauf beflügeln,
Den Degen und im Wurf den Schaft regieren,
Dann durch den Forst die Hasen, Füchse, Hirschen
Mit Hunden jagen, mit Geschoße pirschen.
81.
Davon erstarkt der zarten Glieder Kraft,
Doch ließ man sie vor Uebermaß bewahren.
Rüal verstand sich wohl auf Ritterschaft,
Er war ja selbst in seinen jungen Jahren,
In manchem Abenteur und Spiel sieghaft,
Zum Hof des Uter Pendragon gefahren,
Wo Merlins Kunst und Weisheit vorbereitet,
Was Artus Herrschaft herrlich dann verbreitet.
82.
Kein Königssohn ist also hoch geboren,
Der beßer lernt in seines Hofes Mitten,
Als Tristan, der sein erblich Glück verloren,
Was adlich ist in Rede, Tracht und Sitten.
[123]
An ihm war alles schön und auserkoren,
Holdseligkeit und Zier auf seinen Tritten;
Wie er an klein und groß bescheiden thut,
So trägt auch alle Welt ihm holden Muth.
83.
An vierzehn Jahre war etwa der Knabe,
Da trug sich's zu, daß vor die Burg Cantell
Von Norweg über See voll Kaufmannshabe
Ein Schiff, mit Segeln und mit Rudern schnell,
Zu landen kam: es führte reiche Gabe,
Viel seidnes Zeug, Kleinode blank und hell.
Die Fremden legten ihren Markt nun aus,
Die Märe kam dem Marschalk in sein Haus.
84.
Zwei seiner Söhne hatten froh vernommen,
Da wären Falken, schönes Federspiel;
Worauf den Tristan sie bei Seit genommen,
Der allen stets der freundlichste Gespiel,
Er möchte mit zu ihrem Vater kommen,
Ob es auf seine Bitte dem gefiel',
Daß er mit ihnen zu dem Schiffe gienge,
Und kaufte da dergleichen schöne Dinge.
85.
Der Marschalk führt sie selbst zum Strand hernieder,
Es lacht das Herz den muntern kleinen Schalken
Nach all dem bunten lustigen Gefieder,
Blauschnabelichten Schmerlen, Pilgerfalken
Und Sperbern, die in Reihen hin und wieder
Sie sitzen sah'n auf Stangen und auf Balken.
Nun feilschet Tristan für die andern zwei
Und sich, daß jedem eine Gnüge sei.
[124] 86.
Sie schickten sich nach Hause schon zu gehn,
Da mußte Tristan innen an der Wand
Von ungefähr ein Schachbrett hängen sehn,
An welchem zierlich Felder so wie Rand
Wohl eingelegt von glattem Holze stehn;
Dabei ein köstliches Gestein sich fand,
Das war von edlem Elfenbein gegraben,
Gar meisterlich durchbrochen und erhaben.
87.
Ei, edle Kaufherrn, wißt ihr in dem Schache,
Das ihr da feil habt, selber auch zu ziehn?
So sagte Tristan in norweger Sprache,
Daß ihrer jeder drob verwundert schien,
Wie solche unbekannte fremde Sache
Dem Kind mit andern Gaben wär' verliehn.
Hier sind genug, sagt einer, die's verstehen;
Wollt ihr: wohlauf! so will ich euch bestehen.
88.
So hatten diese sich zum Spiel gesetzt,
Und Rüal sprach: Ich habe heim zu eilen,
Du, Tristan, weil die Kurzweil dich ergetzt,
Magst, bis du sie vollbracht, allhier noch weilen.
Bei deinem Meister laß' ich dich für jetzt,
Der nimmt dein wahr und kann dir Rath ertheilen.
Er ging von dannen mit den andern zwein,
Und Curvenal und Tristan blieb allein.
89.
Das Kaufmannsvolk erstaunte nicht geringer,
Da sie den klugen Knaben spielen sahn.
Er rührt im Brette die behenden Finger,
Des Gegners Listen können ihn nicht fahn,
[125]
Er dringt mit starkem Thurm und schlauem Springer
Vor allen mit der Königin hinan.
Dazwischen flogen von der Schachspiel-Kunde
Die fremden Wörtlein zierlich ihm vom Munde.
90.
Sie hatten seine edle Hofesart,
Und Wuchs und Bildung des holdsel'gen Jungen,
Und seine süßen Künste wohl gewahrt,
Und wurden von Gewinnes Lust bezwungen.
Sie dachten: Wie belohnt wär' unsre Fahrt,
Wenn wir so köstlich diese Beut' errungen!
Ein solcher Diener ziert den größten König,
Wo wir ihn bieten, frommt er uns nicht wenig.
91.
Sie winkten sich mit Augen, und zum Lauf
War heimlich alles bald im Schiff bereit.
So gebt ihr diesen Stein mir in den Kauf?
Rief Tristan, ganz vertieft in seinen Streit.
Sie winden leis' indes die Anker auf,
Und stoßen ab, und sind vom Strande weit,
Eh er es merkt; was drauf ihm widerfahren,
Sollt ihr im folgenden Gesang erfahren.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Vermischte Gedichte. Tristan. Tristan. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D44B-2