[239] Eulenspiegel als Thurmwächter

Ihr kennt des Eulenspiegels Streiche,
Gar weit berühmt im röm'schen Reiche.
Fast jedes Handwerk gieng er durch,
Nahm Kriegsdienst auch in einer Burg;
Da ward er auf den Thurm gestellt,
Wo weit zu schauen war das Feld,
Daß er in die Trompete stieße,
Wenn Feindes Schaar sich blicken ließe.
Sie sprachen: »Siehst du Fähnlein nah'n,
So blase nur sie flugs heran«. –
Das war so eine Redensart.
Dabei bedrohten sie ihn hart,
Wenn er entwiche von dem Posten,
So würd' es seinen Sold ihm kosten.
Nun kam die Zeit zum Mittageßen,
Und Eulenspiegel ward vergeßen,
Durch keinen guten Trunk getröst't,
Und auch von niemand abgelös't.
Da griff er zur Trompete fein,
Und blies aus Leibeskräften drein.
Die Knechte waffnen sich zu Haufen;
Viel' kamen auf den Thurm gelaufen.
»Wo ist der Feind? Sag', Eulenspiegel!
Man sieht ja nichts um Wald und Hügel.« –
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Er sprach: »Ich kann ihn auch nicht sehn,
Doch solches ist mit Fleiß geschehn.
Ich sah, daß keine Feinde kamen:
Da hab' ich denn, in Gottes Namen,
Heranzublasen sie versucht.« –
Sie sprachen: »Schalksnarr, sei verflucht!
Du hast die Mahlzeit uns verstört,
Da wir den Zeterlärm gehört.«
So schrie jüngst Zeter, Zeter, Zeter,
Ein lang verschollener Trompeter.
Tragt ihm das Eßen fleißig zu,
Auf daß er künftig schweigen thu'.

Notes
Erstdruck in: Musenalmanach, hg. von Wendt, 1832.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Eulenspiegel als Thurmwächter. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D25D-8