[86] Der Bund der Kirche mit den Künsten

Vom Himmel kommt ein hohes Weib geschritten,
Zur Linken weder schauend noch zur Rechten;
Ruh ist und Maß in ihren festen Tritten,
Die unabirrend gehn die Bahn des Rechten;
Sie scheint nicht zu befehlen, noch zu bitten,
Doch wenn sie spricht, kann niemand mit ihr rechten.
Zu ihren Füßen decken Cherubinen
Sich mit den Flügeln, brünstig, ihr zu dienen.
Noch Kranz noch Diadem am Haupt ihr prangen,
Die Mitra ist der Stirnen aufgedrückt;
Ihr Leib, vom schlichten Kleide streng umfangen,
Mit priesterlichen Zeichen nur geschmückt.
Die Stola sieht man von den Schultern hangen,
Die Taub' im Dreieck auf der Brust gestickt.
Der Stab, den sie als Hirtenstab geneiget,
Das Purpurkreuz im Banner oben zeiget.
Ihr Weg ist nach der Griechen Land gerichtet,
Auf des Parnassus fabelhafte Höhn,
Wovon so viel die eitle Welt gedichtet:
Dort waren einst die Eitelkeiten schön.
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Apollos alter Dienst ist längst vernichtet,
Daß dürr, verwildert seine Haine stehn;
Getrübt ihr Waßer den berühmten Bornen,
Die murrend schleichen unter Sumpf und Dornen.
Hier sind, verschmäht, die Künste hingeflohen,
Und läßig ruht nun die geübte Hand,
Seit hingestürzt die Götter und Heroen,
Auf deren Dienst sie allen Fleiß verwandt.
Das Hohe sank, das Niedre ward zum Hohen:
Sie glauben sich auf ewig schon verbannt,
Weil jeder Blick, vom Sinnentrug entblendet,
Sich sehnend nur nach Geist und Wahrheit wendet.
Zerrißen ist ihr Regenbogenschleier
Der Mahlerei, vertauscht mit düsterm Flore,
Und halb entsaitet der Musik die Leier;
Gespalten tönen dumpf der Syrinx Rohre;
Die Bildnerei entbehrt Prometheus Feuer;
Es sitzt die stolzeste vom ganzen Chore,
Architectur, wie Niobe versteinet,
Auf Steinen, deren Umsturz sie beweinet.
Und wie sie so im Grame sich versenken,
Tritt jene Hehre mitten unter sie,
Und spricht: Euch ziemte, andres zu bedenken;
Was ihr bejammert, kehret wieder nie.
Ein tiefres Weh sollt' eure Herzen kränken,
Weil euer Zauber Reiz der Sünde lieh,
Und weil ihr auf des Irrthums Schlangenpfade
Die Sterblichkeit verlockt vom Ziel der Gnade.
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Doch säßt ihr tausend Jahr in Asch' und Staub,
Schmucklos, das Haar zerstreut, mit nacktem Fuße:
Ersetzt wird nie dem Himmel euer Raub,
Durch Thaten übt ihr eine beßre Buße.
Ihr waret stolz auf eures Lorbeers Laub,
Die Palme winket euch mit schönerm Gruße.
Verlorne Schwestern, weiht euch meinem Dienste,
So führ' ich euch zu himmlischem Gewinnste.
Sie sagt's, und staunend horcht ihr jede Nymphe,
Sie saßen sinnend ihr nachdrücklich Wort.
Erröthend erst, daß ihren Ruhm zum Schimpfe
Wahrheit verwandelt, flöh'n sie gerne fort;
Dann, aufgemuntert von dem ernsten Glimpfe,
Sehn sie in ihr ein neues Heil und Hort,
Und flehn fußfällig daß sie möge lehren
Ganz ihr zu leben, und sie recht zu ehren.
Sie sprach: Ihr wißt, wie, die für Götter galten,
Der Völker Weltlichkeiten, mit Verspotten
Die ersten Jünger Christs Empörer schalten,
Bemüht, mit jeder Qual sie auszurotten.
Sie mußten auf der flucht Versammlung halten,
Bei Nacht in Gräbern oder Felsengrotten,
Wo die vor der Tyrannen Drohn Verstummten
Nur leise Hymnen und Vigilien summten.
Doch Feinde fördern selbst was Gott beschloßen:
Erlittnes Kreuz erhöhte nur das Kreuz.
Das Blut der Märtyrer hat es begoßen,
Und wie ein Baum erwuchs das dürre Kreuz.
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Roms Adler kam raubgierig angeschoßen;
Sein blut'ger Schnabel küßt nunmehr das Kreuz,
In dessen Schatten fromme Millionen
Vom Aufgang bis zum Niedergange wohnen.
Drum ziemt es sich, daß Jubelstimmen schallen,
Wo sich Gemeinden Gläubiger vereinen.
Der Drangsal Höhlen wurden Siegeshallen,
Da muß des Heiles Sonne sichtbar scheinen.
Nicht, weil sie sich in goldner Pracht gefallen:
Einfalt und Demuth lehrte Christ die seinen,
Nein, daß vom himmlisch geistigen Exempel
Ein Bild und Abglanz sei der ird'sche Tempel.
Denn in den licht-ätherischen Bezirken,
Wovon nur Dämmerung hier unten graut,
Hat sich die Gottheit mit allmächt'gem Wirken
Ein heil'ges Haus, geräumig gnug, erbaut,
Die ganze Welt der Geister zu umzirken,
Die sich in ihrem Anschaun selig schaut.
Es strahlt der Bau in allerreinster Klarheit,
Und ruhet auf Grundvesten ew'ger Wahrheit:
Die bis in unerforschte Tiefen reichen,
Wo Dasein gränzet an die alte Nacht.
Der Hölle Pforten müßen ihnen weichen,
Und hier verliert Vergänglichkeit die Macht.
Gerechtigkeit und Stärke sonder Gleichen
Als Maur und Graben den Pallast bewacht;
Der Weisheit Stufen sich zu ihm erheben,
Und Mäßigung macht rings den Boden eben.
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Aus Glauben sind die stützenden Pilaster.
Und zur Umgebung will die Liebe dienen:
Die Säulen prangen weiß von Alabaster,
Die Wände glühn mit flammenden Rubinen;
Die Hoffnung zieret mit smaragdnem Pflaster
Die Gäng' im Tempel, und hoch über ihnen
Sieht man das Dach aus wölbenden Sapphiren
Sich in der Gnade Mittelpunkt verlieren.
An diesem Hof des himmlischen Monarchen
Ist jeglicher nach Würd' und Rang begnadet.
Erst Herrlichkeiten, Thronen, Hierarchen,
Die ihrem Ursprung nie durch Wahl geschadet;
Auf goldnen Stühlen Aeltste, Patriarchen:
Die Märtyrer, in Blute weiß gebadet;
Dann, bis hinunter zu den kaum Gebornen,
Die durch das Kreuz erretteten Verlornen.
Doch, wo sie hingeordnet, nah und fern,
In allen lebet Eine Lieb', Ein Willen;
Und jedem frommen Chore gnügt es gern,
Den ew'gen Durst nach seiner Art zu stillen.
Kein Mißlaut rührte je das Ohr des Herrn,
Wenn ihren Lippen Lobgesäng' entquillen,
Wenn wechselnde vielstimm'ge Psalmodieen
Durch Himmelsdüfte, hold verschwistert, ziehen.
Stets »dreimal heilig« dem Dreieinen schallet,
Preis seiner Tochter, Mutter, Braut, Maria.
Der einst zu ihr als Bot' herabgewallet,
Huldigt so süß entzückt: Gegrüßt, Maria!
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Daß es aus aller Herzen wiederhallet,
Von gleicher Lieb' entglüht: Gegrüßt, Maria!
Gebetes Weihrauch wölkt sich auf zum Dome,
Und jeder sprengt sich aus krystallnem Strome.
Und der, ein Gott, geboren ward vom Weibe,
Ist zwiefach gegenwärtig unter ihnen;
Tränkt sie und speist mit seinem Blut und Leibe,
Geheimnißvoll sich opfernd selbst zu sühnen,
Wo sich der erste Seraph nur: ich gläube,
Nicht: ich begreif's, zu sagen darf erkühnen.
So wird im Tag, den keine Nacht umschleiert,
Des hohen Tempels reiner Dienst gefeiert.
Wohlan! ihr Künste! es gebiert euch wieder,
Wenn ihr mein Thun hienieden würdig ziert,
Wenn ihr vom Himmel auf die Erde nieder
Die Heiligkeiten, bildlich deutend, führt.
Schon regt in euch Begeistrung ihr Gefieder,
Vernehmt denn, wie sich jegliches gebührt,
Daß ihr, vom Ueberschwenglichen verwirret,
Nicht bei den ungewohnten Flügen irret.
Form und Verhältniß darfst du nicht vertauschen
Zu deinem neuen Zweck, Architectur,
Die du, voll Sinn, verstanden abzulauschen
Gebilden herrlich bauender Natur.
Wie Harmonie'n in Harmonieen rauschen
Gebrauch in höherem Verein sie nur;
Vergiß und laß vergeßen aller Schranken
Die auf das Ew'ge zielenden Gedanken.
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Kein Götterbild soll hier im Dunkel thronen,
Von fern verehrt in schauerlicher Pracht;
Kein andres, heitrer, wie im Freien wohnen,
Von Säulen nur umringt, und überdach't,
Dem draußen, unter eines Haines Kronen,
Die Opferflammen würden angesagt.
Nein, zahllos soll die betenden Gemeinden
Der lichte doch geschloßne Bau befreunden.
Laß deine Hallen denn des Volkes Wellen
In breitem, ungehemmtem Strom empfangen;
Bühn' über Bühne laß den Chören schwellen,
Und die Altäre hoch erhaben prangen;
Dem Tempel gieb als Kinder rings Kapellen,
Einsamer Andacht stiller nachzuhangen;
Und laß, wetteifernd mit den Sterngewölben,
Den hohen Dom sich in der Mitte wölben.
Und solch Gebäu erfüllend zu durchdringen,
Wölb' auch, Musik! der Töne reichen Bau.
Verhältniß aus Verhältniß laß entspringen,
Gesondert, wechselnd, doch vereint genau.
Wie alle Sphären rein zusammen klingen,
Doch jede Kugel aus krystallnem Blau
In eignem Ton: so mußt du in Gewittern
Der Harmonie die Seelen tief erschüttern.
Der Himmel wird dir eine Heil'ge leihn
Zur Führerin von deinen vollen Chören:
Es wird der Lieder vielverschlungnen Reihn
Durch neue Kunst Cäcilia hold beschwören.
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Der Menschen Stimmen tragend im Verein
Wird ihrem Druck aus den metallnen Röhren
Ein süßer Hauch des Wohllauts athmend steigen,
Und sich mit jenen heben oder neigen.
Ihr aber, der Gestalten Bildnerinnen
Mit Meißel oder Pinsel, seid bemüht
Mit neuem und wahrhaftigem Beginnen
Um das, was Zion gegenwärtig sieht,
Was hier der Fromme nur im Traum wird innen,
Wenn seinem Wunsch ein innres Licht entglüht.
Zeigt ihnen jedes würd'ge Haupt der Väter,
Apostel, Märtrer, Heil'gen, Wunderthäter,
Und Jene selbst, die unter ihrem Herzen
Hat Gottes Sohn getragen, und den Sohn.
Ihn bilde du, Sculptur, aus weichern Erzen,
(Doch selbst das härtste würde weich wie Thon)
Wie er gebüßt mit namenlosen Schmerzen
An seinem reinen Leib der Sünde Lohn,
Und wie, noch schön in halbverwelkter Schöne,
Am Kreuze hieng die Zier der Menschensöhne.
Laß, Mahlerei! statt unter den Gedichten
Der Sinnenwelt dich spielend zu ergehn,
Die schönsten Wunder geistlicher Geschichten
Von neuem unter deiner Hand geschehn.
Was jede Seel' erquickt in den Berichten,
Laß glänzend und genetzt die Augen sehn.
Der alt' und neue Bund sammt den Legenden
Ermahne sprechend von der Tempel Wänden.
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Mit deinen Werken wird dein Ruhm sich häufen,
Dir widmen sich viel trefflich hohe Geister.
Selbst Ordensbrüder in der Zell' ergreifen
Dein Werkzeug, durch entzückten Eifer dreister.
Doch, wie du magst durch Land' und Zeiten streifen,
Zwei bleiben dennoch die erkohrnen Meister:
An ihren Namen sollst du sie erkennen,
Weissagend will ich sie nach Engeln nennen.
Nach Michael, der einst, von Muth beflügelt,
Sieghaft den Drachen in die Tiefe warf,
Wird jener heißen, den die Furcht nie zügelt,
Und dessen Geist wie Blitze rasch und scharf.
Durch seines Pinsels Züge wird entsiegelt,
Was bange Sterblichkeit kaum ahnden darf:
Des Heilands Kunft, die weckenden Posaunen,
Des Todes Tod, und der Natur Erstaunen.
Und Raphael, ein Engel von den sieben,
Die vor Gott stehn, der doch bescheidentlich
Verborgen dem Gefährten war geblieben,
Dem er zum Boten treu erboten sich,
Und als der Dank für sein hülfreiches Lieben
Nun überfloß, mit leisem Wort entwich;
Der, wollt' er gleich sich ganz als Mensch erweisen,
Genähret ward von unsichtbaren Speisen:
Er leiht den Namen einem holden Strahle
Der Lieb' und Kunst, den still ein Jüngling heget.
Als ob mit Geist er, nicht mit Farben mahle,
Wird tiefre Seel' in jeden Zug geleget.
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Oft ladet er die Andacht zu dem Mahle,
Wo hohes Antlitz, reiner Blick sie pfleget,
Wo jenes Weib erscheint, der Gottheit Freude,
Ihr Kind die ihr', und aller Wesen beide.
So eilt, ihr Schwestern, und verschmäht mit nichten
Den kleinsten Ort: jedennoch müßt ihr euch
Vor andern gern der großen Stadt verpflichten,
Der weltlich einst, nun geistlich keine gleich;
Und in der Stadt euch auf den Tempel richten,
Den jene Schlüßel öffnen, die im Reich
Des Himmels lösen können oder binden.
Dort sollt ihr mich, euch Beifall winkend, finden.
Die Hohe sprach's, und wandte sich zum Himmel,
Von wannen sie herabgekommen war.
Nun regte sich mit freudigem Gewimmel
Zu neuen Thaten die vereinte Schaar.
Sie stellten in dem irdischen Getümmel
Manch heil'ges Werk mit reinem Streben dar!
Wie das, wovon es Gleichniß, überschwänglich;
Wie die, so es geboten, unvergänglich.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Vermischte Gedichte. Der Bund der Kirche. Der Bund der Kirche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D221-C