[63] Lebensmelodien

Der Schwan.

Auf den Waßern wohnt mein stilles Leben,
Zieht nur gleiche Kreiße, die verschweben,
Und mir schwindet nie im feuchten Spiegel
Der gebogne Hals und die Gestalt.
Der Adler.

Ich haus' in den felsigen Klüften,
Ich braus' in den stürmenden Lüften,
Vertrauend dem schlagenden Flügel
Bei Jagd und Kampf und Gewalt.
Der Schwan.

Mich erquickt das Blau der heitern Lüfte,
Mich berauschen süß des Kalmus Düfte,
Wenn ich in dem Glanz der Abendröthe
Weich befiedert wiege meine Brust.
Der Adler.

Ich jauchze daher in Gewittern,
Wenn unten den Wald sie zersplittern,
[64]
Ich frage den Blitz, ob er tödte,
Mit fröhlich vernichtender Lust.
Der Schwan.

Von Apollos Winken eingeladen,
Darf ich mich in Wohllautströmen baden,
Ihm geschmiegt zu Füßen, wenn die Lieder
Tönend wehn in Tempe's Mai hinab.
Der Adler.

Ich throne bei Jupiters Sitze;
Er winkt und ich hol' ihm die Blitze,
Dann senk' ich im Schlaf das Gefieder
Auf seinen gebietenden Stab.
Der Schwan.

Von der sel'gen Götterkraft durchdrungen,
Hab' ich mich um Leda's Schooß geschlungen;
Schmeichelnd drückten mich die zarten Hände,
Als ihr Sinn in Wonne sich verlor.
Der Adler.

Ich kam aus den Wolken geschoßen,
Entriß ihn den blöden Genoßen;
Ich trug in den Klauen behende
Zum Olymp Ganymeden empor.
[65] Der Schwan.

So gebar sie freundliche Naturen,
Helena und euch, ihr Dioskuren,
Milde Sterne, deren Brüdertugend
Wechselnd Schattenwelt und Himmel theilt.
Der Adler.

Nun tränkt aus nektarischem Becher
Der Jüngling die ewigen Zecher;
Nie bräunt sich die Wange der Jugend,
Wie endlos die Zeit auch enteilt.
Der Schwan.

Ahndevoll betracht' ich oft die Sterne,
In der Flut die tiefgewölbte Ferne,
Und mich zieht ein innig rührend Sehnen
Aus der Heimat in ein himmlisch Land.
Der Adler.

Ich wandte die Flüge mit Wonne
Schon früh zur unsterblichen Sonne,
Kann nie an den Staub mich gewöhnen,
Ich bin mit den Göttern verwandt.
Der Schwan.

Billig weicht dem Tod ein sanftes Leben;
Wenn sich meiner Glieder Band' entweben,
[66]
Lös't die Zunge sich: melodisch feiert
Jeder Hauch den heil'gen Augenblick.
Der Adler.

Die Fackel der Todten verjünget:
Ein blühender Phönix, entschwinget
Die Seele sich frei und entschleiert,
Und grüßet ihr göttliches Glück.
Die Tauben.

In der Myrten Schatten
Gatte treu dem Gatten
Flattern wir und tauschen
Manchen langen Kuß.
Suchen und irren,
Finden und girren,
Schmachten und lauschen,
Wunsch und Genuß.
Venus Wagen ziehen
Schnäbelnd wir im Fliehen,
Unsre blauen Schwingen
Säumt der Sonne Gold.
O wie es fächelt,
Wenn sie uns lächelt!
Leichtes Gelingen!
Lieblicher Sold!
Wende denn die Stürme,
Schöne Göttin! Schirme
[67]
Bei bescheidner Freude
Deiner Tauben Paar!
Laß uns beisammen!
Oder in Flammen
Opfre uns beide
Deinem Altar.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Vermischte Gedichte. Lebensmelodien. Lebensmelodien. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D20B-F