August Wilhelm Schlegel
Anhang

[345] An Bacchidion

Ich liebte dich, du lächelnde Sirene!
Nun lebe wohl! nun lieb' ich dich nicht mehr.
Ha! brauche nur die Lockung süßer Töne!
Kalt ist mein Sinn, und taub ist mein Gehör.
Kaum hab' ich kühn den Arm erhoben,
So ist dein schlaues Netz wie leichte Spreu zerstoben. –
Ein Sohn Apolls ist der, den du gehöhnet,
Ein Sohn Apolls, im Saitenspiel geübt!
Für dich nur hätte sein Gesang getönet,
Bacchidion, hätt'st du ihn treu geliebt.
Doch jetzt verbirg dich, fleuch mit Eile!
Mein Bogen droht, und horch! im Köcher klirren Pfeile.
Vernehme dann mein Lied wen eine Schlange,
Wie diese hier, umwindet! Bei'm Apoll,
Ich will sie zeichnen, daß der Männer Wange
Bei ihrem Namen zornig glühen soll!
Sie zeichnen, daß mit kaltem Schrecken
Die Jungfrau'n, wo sie geht, ihr Angesicht verstecken! –
[345]
Ich irrte durch entleg'ne Myrtenhaine
Zu einem mooßumkränzten Silberbach.
Ich warf mich hin bei Hespers blaßem Scheine;
Mein Auge schlich des Baches Wellen nach;
Ich sank in halben Schlummer nieder
Und lauscht' im Arm der Ruh auf Nachtigallenlieder.
Da sah ich in der Büsche grünen Hallen
Ein junges Weib voll Liebreiz sich ergehn;
Ich sah das Weib mit frohem Wohlgefallen,
Und konnte mich an ihr nicht müde sehn.
Ich warb um einen ihrer Blicke;
Sie merkt' es, und entfloh mit anmuthsvoller Tücke.
Es schlug mein Herz; ich sprang empor vom Sitze,
Und suchte lang umsonst im düstern Hain:
Doch plötzlich kam sie, gleich dem raschen Blitze,
Zu mir heran, und lud mich freundlich ein.
Noch schüchtern halb, und halb verwegen,
Naht' ich mich ihrem Kuß; mir kam ihr Kuß entgegen.
Ihr Himmlischen! wie ich mit heißen Zügen
Den dargebotnen Wonnebecher trank!
Sie ließ mein Haupt an ihre Brust sich schmiegen,
Und sah mich an, als wär' sie liebekrank;
An meinen Lippen, meinen Wangen,
Fühlt' ich den wärmsten Mund, wie festgezaubert, hangen.
Aus meinem Herzen sprühten tausend Funken
Der Inbrunst durch mein wildempörtes Blut,
Aus meinem Herzen, das ich wonnetrunken
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An ihr's gepress't mit niegefühlter Glut;
Und Seufzer, zart und innig, riefen
Ihr klagendes Gegirr' aus meiner Seele Tiefen.
Sie gab mir viel: o hätt' ich mehr gefodert,
Und Thränen, Fleh'n und Ungestüm gebraucht! –
Mein Geist, ich schwör's, er wäre mir entlodert,
Vor Uebermaß der Freuden ausgehaucht,
Hätt' ich, was Liebe nur verlangen
Und geben kann, von ihr in dieser Stund' empfangen.
Wie Luna sich, bei'm Weh'n der Morgenkühle,
Aus ihres Schäfers treuen Armen wand,
So floh sie jetzt nach langgepflog'nem Spiele,
Und drückt' im Flieh'n wehmüthig mir die Hand.
Doch ihrer Küsse Geister wallten
Um meine Phantasie in holden Traumgestalten.
Es labte sich am Gaukeln dieser Träume
Mein Herz, von Ahndung und Erinnrung voll,
Als plötzlich eine Stimme durch die Bäume,
»Ermanne dich, erwache, Jüngling!« scholl.
Gleich einem neblichten Gestirne
Erschien mein Genius mit grambewölkter Stirne.
»Auf, säume nicht an dieser Stätte! fliehe,
Eh dich zu fest die Zauberin bestrickt!
Du wähnst, daß Lieb' in ihrem Busen glühe?
Nur dein zu spotten, hat sie dich beglückt!
Sie lügt nur zärtliche Gefühle,
Und was ihr Liebe heißt, sind buhlerische Spiele.
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Aus eines Andern Armen kam sie; wiße!
Geraubt war jenem alles, was sie gab;
Ein Meineid rief in jedem ihrer Küsse
Den Zorn der Götter auf ihr Haupt herab;
Indessen jener Wahnberauschte
Des Weibes Treue nicht um eine Welt vertauschte.
Jetzt lächelt sie, wie im April die Sonne
Dem Wanderer, ihm wieder; und er girrt,
Von ihr umarmt, und trinkt den Quell der Wonne,
Der bald ein Thränenquell ihm werden wird;
Indes sie mit gelungnen Ränken
Sich brüstet und sich spornt, auf neuen Raub zu denken.
So mag sie denn nur buhlen, mag nur flattern,
Bis ihre feilen Reizungen verblüh'n!
Du aber mußt, wie vor dem Gift der Nattern,
Vor ihres Mundes heißem Hauche fliehn;
Du mußt, und rißen deine Nerven
Vor wildem Schmerz, ihr Bild zu Boden werfen.«
Ich sprach: »Du Himmlischer! sieh mich entschloßen,
Was dein Befehl mich weislich lehrt, zu thun.
Doch sag', muß ewig einsam und verschloßen
In meiner Brust der Triebe schönster ruhn,
Der sich hervorzudrängen trachtet,
Und stets nach reiner Lust, nach Seelenliebe schmachtet?
Weilt nirgends unter sterblichen Geschlechtern,
Seit sie die goldne Zeit verschwinden sah'n,
Die Unschuld mehr? wird von den Erdentöchtern
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Sich keine mir mit Schwesterliebe nah'n?
Und reifen zarter Treue Früchte
Nur in Elysium, am hellen Sonnenlichte?«
Ich sprach es weinend. – »Sei getrost! kein Wesen
Seufzt unerhört nach Labung und Genuß.
Hoff' einst von deiner Sehnsucht zu genesen!
Erwarte still des Schicksals hohen Schluß!«
Kaum rief er's noch, als in die Lüfte
Sein Schimmer schon zerfloß, wie Regenbogendüfte.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Anhang. An Bacchidion. An Bacchidion. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D1B2-0