[34] Zueignung des Trauerspiels Romeo und Julia

Nimm dieß Gedicht, gewebt aus Lieb' und Leiden,
Und drück' es sanft an deine zarte Brust.
Was dich erschüttert, regt sich in uns beiden,
Was du nicht sagst, es ist mir doch bewußt.
Unglücklich Paar! und dennoch zu beneiden;
Sie kannten ja des Daseins höchste Lust.
Laß süß und bitter denn uns Thränen mischen,
Und mit dem Thau der Treuen Grab erfrischen.
Den Sterblichen ward nur ein flüchtig Leben:
Dieß flücht'ge Leben, welch ein matter Traum!
Sie tappen, auch bei ihrem kühnsten Streben,
Im Dunkel hin, und kennen selbst sich kaum.
Das Schicksal mag sie drücken oder heben:
Wo findet ein unendlich Sehnen Raum?
Nur Liebe kann den Erdenstaub beflügeln,
Nur sie allein der Himmel Thor entsiegeln.
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Und ach! sie selbst, die Königin der Seelen,
Wie oft erfährt sie des Geschickes Neid!
Manch liebend Paar zu trennen und zu quälen
Ist Haß und Stolz verschworen und bereit.
Sie müßen schlau die Augenblicke stehlen,
Und wachsam lauschen in der Trunkenheit,
Und, wie auf wilder Well' in Ungewittern,
Vor Todesangst und Götterwonne zittern.
Doch der Gefahr kann Zagheit nur erliegen,
Der Liebe Muth erschwillt, je mehr sie droht.
Sich innig fest an den Geliebten schmiegen,
Sonst kennt sie keine Zuflucht in der Noth.
Entschloßen sterben, oder glücklich siegen
Ist ihr das erste heiligste Gebot.
Sie fühlt, vereint, noch frei sich in den Ketten,
Und schaudert nicht bei Todten sich zu betten.
Ach! schlimmer droh'n ihr lächelnde Gefahren,
Wenn sie des Zufalls Tücken überwand.
Vergänglichkeit muß jede Blüth' erfahren:
Hat aller Blüthen Blüthe mehr Bestand?
Die wie durch Zauber fest geschlungen waren,
Löst Glück und Ruh und Zeit mit leiser Hand,
Und, jedem fremden Widerstand entronnen,
Ertränkt sich Lieb' im Becher eigner Wonnen.
Viel seliger, wenn seine schönste Habe
Das Herz mit sich in's Land der Schatten reißt,
Wenn dem Befreier Tod zur Opfergabe
Der süße Kelch, noch kaum gekostet, fleußt.
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Ein Tempel wird aus der Geliebten Grabe,
Der schimmernd ihren heil'gen Bund umschleußt.
Sie sterben, doch im letzten Athemzuge
Entschwingt die Liebe sich zu höherm Fluge.
Dieß mildert dir die gern erregte Trauer,
Die Dichtung führt uns in uns selbst zurück.
Wir fühlen beid' in freudig stillem Schauer,
Wir sagen es mit schnell begriffnem Blick:
Wie unsers Werths ist unsers Bundes Dauer,
Ein schön Geheimniß sichert unser Glück.
Was auch die ferne Zukunft mag verschleiern,
Wir werden stets der Liebe Jugend feiern.

Notes
Entstanden 1797. Erstdruck in: Schillers Musen-Almanach für 1798.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Zueignung. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D16C-E