Das Zeichen am Leibe.

Finette gieng aus ihrem zwölften Jahr,
Ohn daß sie ihren Leib, noch jene Regung kannte
Von der die Frau Aebtißin brannte,
Die sonsten doch ihr Mentor war.
Einst wusch das Mädchen sich die Meeresenge
Die zwischen fleischern Säulen liegt,
Durch die mit schmerzlichem Gedränge
Der Mensch ins Reich des Lebens kriecht.
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»Ach, schrie sie, ach! da sie die Sproßen
Der künftgen schwarzen Locken sah'
»Ach ich Unglückliche! – und ihre Thränen floßen
Was wird aus mir – was wächst mir da!«
Mit jedem Tage wuchs die Zierde des Gestades,
Und kraußte sich das Schilf ums rothe Meer:
So blühet um die Quelle eines warmen Bades,
Ein zart Gesträuch, und streuet Schatten um sich her.
Aus Gram vergaß sie Spiel und Essen,
Oft blieb sie ganze Nächte wach,
Und konnte nicht das Wunderding vergeßen,
Das sichtbarlich aus ihrem Leibe brach.
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Die bleiche Wange wies wie sehr sie sich betrübte,
Der Nonnen Trost blieb ohne Frucht,
Auch die Aebtißin die sie zärtlich liebte
Fleht, predigt, schilt, versucht
Durch Schmeicheln ihr den Grund des Kummers abzufragen –
»Ach, gnäd'ge Frau, so hub sie endlich an,
Und seufzt und weint, »was hilfts mein Leid zu klagen
Da doch kein Mensch mir helfen kann,
Mich hat des Himmels Zorn geschlagen,
Ein Zeichen hat sein Grimm an meinem Leib gethan,
Das werd ich wohl bis in die Grube tragen,
Da sehn Sie sie selbst das Thier nur an – «
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Hier hob das schöne Kind den Vorhang seiner Kleider,
Und wieß der gnäd'gen Frau das kleine Wundertier,
(Ein Mönch der still im Oratorio saß
Half dieses Thierchen mit besehen,
Und glaubt' indem er just vom heilgen Paulus laß
Er sähe auch den Himmel offen stehen)
Madam sahs lächelnd an, und dacht wohlthätig: leider
Ist unser Prior jetzt nicht hier,
Der würd' geschwind' mit diesem Käzchen spielen,
Der strich ihm gern das zarte Haar,
Und würd' ihm gleich ins kleine Mäulchen fühlen –
Ich weis wie tändelnd er bey mir einst war.
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Jetzt sprach sie: »Liebes Kind laß dich das nicht erschrecken,
Jedwede Nonn', auch ich, hat so ein Käzchen, da,
Sieh', ich erlaub es dir das mein'ge aufzudecken –
Finette deckt sie auf – sie sah –
Und schrie: Ha! welche Katz! die hat ja Mähnen –
Und als sie ihr den Balg mit zarten Händen strich'
Fieng sie wollüstig an zu gähnen. –
»Ach welch ein Maul! – Ach Gott erbarme sich!«
Doch die Aebtißin sprach: »Mein Kind wie manche Ratze
Hat auch das Thier viel schon zunicht gebracht
Erleg' du erst so viel, wer weis ob deine Katze
Nicht einst das Maul noch größer macht!«
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Scheffner, Johann Georg. Gedichte. Gedichte im Geschmack des Grecourt. Das Zeichen am Leibe. Das Zeichen am Leibe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C286-5