Moṣleḥ oʾd-Din Saʿdi
Rosengarten
(Golestān)

Erste Abteilung: Von den Königen und dem Hofleben

[29] Erste Abteilung:

Von den Königen und dem Hofleben

[29][31]

Man erzählt, daß, als einst ein König den Befehl zur Hinrichtung eines Gefangenen gegeben, dieser Unglückliche in seiner verzweifelten Lage anfing, in seiner Muttersprache Schmähreden und Lästerungen gegen ihn auszustoßen; denn das Sprichwort sagt: Wer keine Hoffnung mehr für sein Leben hegt, der sagt alles, was er auf dem Herzen trägt.


»Wenn er verzweifelt, wird des Menschen Zunge länger;
So stürzt geängstigt sich die Katze auf den Hund.«
Bleibt aus Bedrängnis kein Entrinnen mehr,
Ergreift die Hand des scharfen Schwertes Wehr.

Der König fragte, was er sage? Ein edelgesinnter unter seinen Wesiren antwortete: O Herr, er sagt: »Und die ihren Zorn unterdrücken und den Menschen verzeihen, denn Gott liebt die Gütigen.« Der König hatte Mitleid mit ihm und schenkte ihm das Leben. Ein anderer Wesir aber, der das Gegenteil von jenem war, sagte: Für Leute unseres Standes ziemt es nicht, vor dem Könige etwas anderes als die Wahrheit zu reden; jener Mensch hat den König geschmäht und Unziemendes gesprochen. Der König runzelte die Stirn über diese Rede und sprach: Mir hat die Lüge, die er gesagt hat, besser gefallen, als diese Wahrheit, die du gesagt, denn jene beabsichtigte etwas Gutes, diese ist aus Bosheit hervorgegangen, [31] und die Weisen haben gesagt: Eine Lüge, welche Gutes bezweckt, ist besser, als eine Wahrheit, welche Unheil versteckt.


Wenn der König handelt wie du sprichst,
Unrecht ist's, so du nichts Gutes sprichst.

*

Auf der Kuppel von Feriduns Palaste war geschrieben:

Nicht bei der Welt, o Bruder, kannst du die Treue finden;
Nur an den Weltenschöpfer darf sich das Herz dir binden.
Es sei das Gut der Erde nicht Stütze dir und Stab:
Gleich dir beglückt' es viele und stürzte sie ins Grab.
Wird eine reine Seele dereinst dem Tod zum Raube,
Gleichviel, ob auf dem Throne sie starb, ob in dem Staube.

*

Ein König von Chorasan sah einst im Traume den Sultan Mahmud Sohn Sebuktegins hundert Jahre nach dessen Tode; sein ganzer Körper schien vermodert, bloß die Augen drehten sich in den Augenhöhlen und blickten umher. Die Weisen alle waren unfähig, dieses zu erklären, nur ein Derwisch vermochte diesen Dienst zu leisten und sagte: Er sieht noch mit Neid, wie ein anderer sich seines Besitztums erfreut.


[32]
Berühmte legt man viele in den Schoß der Erde,
Auch eine Spur von ihrem Dasein bleibt nicht mehr,
Und jenen Greisenleichnam, der im Staub begraben,
Verzehrt der Staub, ein Knochen bleibt von ihm nicht mehr.
Voll Ruhm und Segen lebt noch jetzt Nuschirwans Name,
Lebt auch Nuschirwan doch schon lange Zeit nicht mehr.
Tu' Gutes, der du lebst, das Leben acht' als Beute,
Bevor das ernste Wort ertönt: Er ist nicht mehr.

*


Man erzählte mir von einem Königssohne, welcher klein und mißgestaltet war, indes seine Brüder groß waren und schön von Gestalt. Einst blickte ihn sein Vater mit Widerwillen an; der Jüngling verstand dieses mit feinem Sinne und sprach: O Vater, ein kleiner Mann voll Verstand ist besser als ein großer voll Unverstand; nicht alles, was größer ist an Gestalt, ist besser an Gehalt, denn »das Schaf ist ein reines Tier und der Elefant ist ein unreines Tier«.


»Von allen Bergen ist der Sinai der kleinste,
Der größte doch bei Gott an Rang und Wert.«
Du weißt wohl, was ein magrer Weiser
Einst sprach zu einem fetten Toren:
[33]
Ein kleines edles Roß ist besser
Als hundert Esel lang von Ohren.
Der Vater lachte, die Hofleute schenkten Beifall und die Brüder ergrimmten in ihrer Seele.
So lange sich ein Mann nicht durch sein Wort entdeckt,
Sind sein Verdienst und seine Fehler dir versteckt.
Für leer nicht halte jed' Gebüsch, das du bemerkest,
Denn möglich ist es, daß darin ein Tiger steckt.

Man erzählt, daß in jener Zeit ein gefährlicher Feind erschien; als nun die beiden Heere einander gegenüberstanden, war jener Jüngling der erste, der sein Pferd auf den Kampfplatz trieb, indem er ausrief:


Am Tag des Kampfes sieht man meinen Rücken nicht,
Als Haupt steh' ich in Staub und Blut am Weg der Ehre.
Wer tapfer streitet, spielt mit seinem eignen Blut,
Wer flieht am Tag der Schlacht, der spielt mit seinem Heere.

So sprach er, stürzte sich auf die Soldaten des Feindes und warf einige krieggeübte Männer nieder. Als er wieder vor seinen Vater trat, küßte er ehrerbietig die Erde und sprach:


O du dem ich verächtlich scheine,
Ist dir die Plumpheit so viel wert?
[34]
Nützt dir der fette Ochs am Tage
Der Schlacht mehr, als das magre Pferd?

Wie man erzählt, waren die Soldaten des Feindes zahlreich, diese aber wenig; einige wollten fliehen, da erhob der Jüngling seine Stimme und rief: Haltet euch wacker, ihr Streiter, sonst gibt man euch Weiberkleider. Die Kühnheit der Reiter wurde durch seine Worte angefeuert, sie stürzten mit einem Male auf den Feind, und sie sollen an diesem Tage den Sieg davongetragen haben. Der König küßte seinem Sohne Haupt und Augen und schloß ihn in seine Arme, und er schätzte ihn jeden Tag höher, bis er ihn endlich zu seinem Thronfolger ernannte. Seine Brüder wurden darüber eifersüchtig und taten Gift in sein Essen; doch seine Schwester sah es von dem Söller, sie schlug das Fenster zu, und der Jüngling verstand das Zeichen; er zog die Hand von der Speise zurück, indem er sagte: Es ist widersinnig, daß Verdienstvolle sterben, damit Verdienstlose ihre Stelle erben.


Wer ist es, der sich in der Eule Schatten stellt,
Und wäre auch der Phönix nicht mehr auf der Welt?

Als man dem Vater dieses berichtete, ließ er die Brüder kommen und machte ihnen die verdienten Vorwürfe; dann bestimmte er von den Ländern des Reiches einem jeden einen passenden Anteil, um die Feindschaft zu begütigen und dem Zwiste [35] ein Ende zu machen; denn das Sprichwort sagt: Zehn Derwische liegen unter einer Decke, aber zwei Könige haben nicht Raum in einem Lande.


Ißt ein Gottesmann die Hälfte eines Brotes,
Einem Armen schenkt er gleich die andre.
Hat ein König sich ein Königreich erworben,
Richtet schon sein Sinn sich auf das andre.

*


Eine Bande arabischer Räuber hatte sich auf einem Berge festgesetzt und den Durchzugsort der Karawanen besetzt, die Einwohner jener Länder waren durch ihre Anschläge erschreckt, und die Soldaten des Sultans hatten vor ihnen die Waffen gestreckt; denn sie hatten eine unzugängliche Feste auf dem Gipfel des Berges in ihre Gewalt gebracht, und diese zu ihrer Freistätte und ihrem Zufluchtsorte gemacht. Die Verwalter der Provinzen jener Gegend hielten Rat über die Abwehr dieses Unheils, denn, sagten sie, läßt man die Bande längere Zeit in diesem Treiben gehn, so wird es unmöglich, ihr zu widerstehn.


Der Baum, der Wurzel kaum gefaßt im Boden,
Leicht ist es einem Mann ihn auszuroden;
Läßt er ihn lange stehn an seinem Ort,
So schafft er ihn nicht mit der Winde fort.
Den kleinen Quell hemmt man mit einem Spaten,
Doch wird er groß, kann ihn kein Pferd durchwaten.

[36] Sie kamen endlich zu dem Entschluß, jemanden zu beauftragen, die Räuber auszuspähen und die günstige Gelegenheit zu ersehen, bis sie einst, als diese ausgezogen waren, um Leuten aufzupassen und ihren Schlupfwinkel leer gelassen, einige kampferfahrne und kriegskundige Männer aussandten, die in dem Bergpasse einen sichern Versteck fanden. Als die Räuber nachts zurückkamen nach vollendetem Ausfalle und vollbrachtem Anfalle, lösten sie von den Waffen ihre Glieder und legten ihre Beute nieder. Der erste Feind, der sie überfiel, war der Schlaf, bis die eine Nachtwache vorüber war;


Die Sonne war in finstern Schlauch getaucht,
Wie Jonas in des Fisches Bauch getaucht,

als die herzhaften Männer aus ihrem Hinterhalte hervorrannten, und einem jeden die Hände auf den Rücken banden. Am Morgen führten sie sie dem Könige vor; dieser befahl sie alle hinzurichten. Zufällig befand sich unter ihnen ein Jüngling, bei dem die Erstlingsfrucht der Jugend kaum zu reifen angefangen, und der dunkle Schatten in dem Rosengarten seiner Wange eben aufgegangen. Einer der Wesire, nachdem er sich an dem Fuße des königlichen Thrones zum Kusse gebückt und das Angesicht der Fürbitte in den Staub gedrückt, sprach: Dieser Jüngling hat nicht gleich den andern aus dem Garten des Lebens gekostet und von den Erstlingen der Jugend genossen; ich[37] wage es daher auf die Großmut und den edlen Sinn deiner Majestät die Hoffnung zu richten, du werdest durch das Geschenk seines Lebens deinen Knecht zum Danke verpflichten. Der König runzelte seine Stirn über diese Worte, denn sie stimmten nicht mit seiner hohen Einsicht überein, und er sprach:


Wo ein böser Grund ist, wird das Gute
Durch das Licht der Guten nimmer wach.
Bei Unwürd'gen haftet die Erziehung
Wie die Nuß auf einem Kuppeldach.

Ratsamer ist es, dieser Menschen Brut und Gezücht auszurotten, und besser deren Grund und Wurzel auszureißen, denn das Feuer auslöschen und die glühenden Kohlen lassen, oder die Otter töten und ihre Brut am Leben lassen, ist nicht der Verständigen Sache.


Wenn auch aus der Wolke Lebenswasser strömte,
Niemals kannst du Frucht vom Weidenbaume essen.
Auf Unwürd'ge wende nimmer deine Mühe:
Kannst nicht Zucker aus dem Rohr der Matte pressen.

Der Wesir konnte nicht umhin, diese Rede untertänigst anzuhören und seine Billigung zu zeigen, und mußte der vortrefflichen Ansicht des Königs laut seinen Beifall bezeugen, und er sagte: Was der Herr, es daure seine Herrschaft! zu sprechen [38] geruht, ist die Wahrheit selbst; denn wäre er in der Gesellschaft die ser Bösewichter erzogen worden, so hätte er sich ihrer Art und Weise zugesellt und in ihre Reihe gestellt. Aber dein Knecht ist der Hoffnung, er werde, wenn er in der Gesellschaft der Guten seine Erziehung empfangen, auch zu der Art und Weise der Verständigen gelangen; denn er ist noch ein Kind, und die Lebensart der Gewalttat und des Frevels jener Rotte hat sich in seiner Natur noch nicht befestigt, in der Überlieferung aber heißt es: »Kein Kind wird geboren, das nicht die Anlage zum Islam hätte, dann aber machen es seine Eltern zum Juden und Christen und Magier.«


Mit Bösen ward befreundet Lots Gemahlin,
Und trat darum aus dem Prophetenbund.
Nur wen'ge Tage folgt er nach der Höhle
Den Guten, und zum Menschen ward der Hund.

So sprach er, und mehrere von den Gesellschaftern des Königs unterstützten seine Fürbitte, bis der König dem Jüngling das Leben schenkte und sprach: Ich will Gnade schenken, kann ich mir es auch nicht als ratsam denken.


Du weißt, was Sal gesprochen zu Rustem seinem Sohn:
Den Feind behandle nie mit Verachtung und mit Hohn.
Die unscheinbare Quelle, das sah'n wir öfters schon,
[39]
Ward stärker bald und führte Kamel und Last davon.

Kurz, der Jüngling wurde von dem Wesir in sein Haus gebracht und mit aller Liebe und Güte bedacht; ein geschickter Lehrer wurde mit seiner Erziehung beauftragt, daß er zierliche Anrede lernte und gewandte Gegenrede und was sonst zum gefälligen Anstand bei Hofe gehört, und daß er in den Augen aller Wohlgefallen fand. Einmal tat der Wesir in Gegenwart des Königs Erwähnung seiner Vorzüge und guten Eigenschaften, und bemerkte, die Erziehung der Verständigen habe bei ihm Eingang gefunden, und durch sie sei die frühere Roheit aus seiner Seele verschwunden. Der König lächelte über diese Rede und sprach:


Zum Wolfe wird des Wolfes Brut,
Lebt sie auch unter Menschenhut.

Einige Jahre verflossen darüber, als einige lose Gesellen des Stadtviertels sich zu ihm fanden und sich zur Genossenschaft mit ihm verbanden, so daß er zur gelegenen Stunde den Wesir nebst seinen zwei Söhnen erschlug, unermeßliche Schätze davontrug, in der Räuberhöhle seines Vaters Stelle vertrat und als Rebell auftrat. Der König biß sich in die Hand des Erstaunens und sprach:


Kann man ein gutes Schwert aus schlechtem Eisen machen?
Wo nichts ist, wächst auch durch Erziehung nichts empor.
[40]
Der segensreiche Regen schafft im Garten Tulpen,
In salz'ger Steppe bringt er Unkraut nur hervor.
Im salz'gen Land wächst keine Hyazinthe:
Verliere Müh' und Samen nicht daran.
Gleichviel ist's, wenn du Bösen Gutes tatest,
Wie wenn du Guten Böses angetan.

*


Am Hofe des Uglumisch sah ich eines Hauptmanns Sohn, der über alle Beschreibung Verstand und Feinheit und Scharfsinn und Klugheit besaß, ja von der Zeit seiner Kindheit an zeigten sich auf seiner Stirn die Zeichen der Größe.


Es glänzte hell auf seiner Stirn
Der Größe strahlendes Gestirn.

Kurz, er kam in große Gunst bei dem Sultan, denn er war von schöner Gestalt und von trefflichem Gehalt, und die Weisen haben gesagt: Der Reichtum liegt im Verdienste, nicht in dem Baren, die Größe liegt im Verstande, nicht in den Jahren. Seine Standesgenossen wurden auf ihn eifersüchtig, und machten ihn der Treulosigkeit verdächtig, und gaben sich vergebliche Mühe, ihn zu verderben.

Was kann der Feind, wenn liebevoll der Freund? Der König fragte ihn: Aus welchem Grunde sind jene so feindselig gegen dich? Er antwortete: Im Schatten des königlichen Thrones konnte ich alle [41] befriedigen, mit Ausnahme des Neidischen, dieser wird nur durch das Aufhören meines Glückes befriedigt; möge deiner Majestät Macht und Glück dauern!


Ja, ich vermag es, keines Menschen Herz zu kränken,
Allein der Neid'sche wühlt mit eigner Hand im Herzen.
Stirb denn, o Neid'scher! so nur kannst du noch genesen:
Nur durch den Tod befreist du dich von deinen Schmerzen.
Unglückskinder wünschen dem Beglückten
Minderung des Glücks und Rangs herbei.
Sieht das Eulenauge nicht bei Tage,
Hat der Sonne Lichtglanz Schuld dabei?
Tausend blinde Augen sind doch besser,
Als daß jene schwarz und finster sei.

*


Man erzählt von einem Könige von Persien, der die Hand der Gewalttätigkeit gegen die Güter seiner Untertanen ausstreckte und mit Erpressung und Bedrückung befleckte, so daß die Leute wegen der Ränke seiner Ungerechtigkeit ihre Habe in die Welt hinaustrugen, und vor der Not seiner Bedrückung den Weg nach der Fremde einschlugen. Als der Untertanen weniger wurden, litten auch die Einkünfte des Landes Schaden, der Schatz blieb leer, und die Feinde fielen das Reich von allen Seiten an.


[42]
Wer sich am Unglückstag der Hilfe will erfreu'n,
Muß edelmütig sich zur Zeit des Glückes zeigen.
Der eigne Knecht entweicht, wenn du nicht freundlich bist;
Sei gütig, dann gibt sich der Fremde dir zu eigen.

Eines Tages las man in seiner Gesellschaft aus dem Schahnameh von dem Untergang der Herrschaft Dhohaks und von der Geschichte Feriduns. Der Wesir fragte den König: Wie konnte sich denn Feridun, der weder Schatz noch Besitz noch Gefolge hatte, des Königtums bemächtigen? Er antwortete: Wie du es eben gehört hast: die Leute ergriffen seine Partei und scharten sich um ihn und machten ihn stark, so daß er das Königtum gewann. Da das Scharen der Leute, sagte der Wesir, die Ursache des Königtums ist, warum zerstreust denn du die Leute? Solltest du etwa keine Lust zum Königtum haben?


Besser ist's, das Heer mit deinem Blute nähren,
Denn nur durch das Heer kann deine Herrschaft währen.

Welches ist denn die Ursache des Scharens der Soldaten und der Untertanen? fragte der König. Der Wesir antwortete: Bei einem Könige ist Gerechtigkeit notwendig, damit sie sich um ihn scharen, und Milde, damit sie unter dem Schatten seiner Macht sicher wohnen; dir aber fehlt beides.


[43]
Zum Königsamte paßt nicht der Tyrann,
Gleichwie der Wolf nicht Schäfer werden kann.
Des Reiches Mauer stürzt der König ein,
Läßt er auf Unrecht sie gegründet sein.

Dem König behagte der Rat des treuen Wesirs nicht; er ließ ihn fesseln und ins Gefängnis werfen. Nicht viele Zeit verging, als die Vettern des Sultans sich zum Streite aufmachten, und ein Heer zum Aufstande zusammenbrachten, und auf das Reich ihres Vaters Anspruch machten. Viele, die durch seine Bedrückung aufs Äußerste gebracht, sich zerstreut hatten, scharten sich um sie und machten sie stark, so daß er seines Reiches entsetzt ward und jene seinen Thron besetzten.


Wo der König Druck und Härte an den Untergebnen übet,
Wahrlich zum gewalt'gen Feinde wird der Freund zur Zeit der Wehr.
Vor dem Krieg des Gegners sichert Friede mit den Untertanen,
Denn es sind die Untertanen des gerechten Königs Heer.

*


Ein König hatte sich mit einem unerfahrenen Jüngling in ein Schiff gesetzt; der Jüngling hatte das Meer noch nie gesehen und die Unannehmlichkeiten der Schiffahrt nie versucht. Er fing an zu weinen und zu klagen, und ein Zittern befiel seinen Körper; so sehr man ihn auch zu begütigen [44] suchte, wurde er doch nicht ruhiger. Dem Könige wurde dadurch das Vergnügen gestört, aber man wußte keine Hilfe. Da sprach ein weiser Mann, der auf dem Schiffe war: Wenn du gebietest, so will ich ihn zum Schweigen bringen. Dies wird mir äußerst angenehm sein, antwortete der König. Der Weise ließ den Jüngling in das Meer werfen; nachdem er einigemal untergetaucht war, ergriff man ihn bei den Haaren und zog ihn an das Schiff; er hing sich mit beiden Händen an das Steuerruder, und als er wieder heraufgekommen war, setzte er sich in eine Ecke und blieb ganz ruhig. Dies gefiel dem Könige wohl, und er fragte, welcher geheime Grund hier obwalte? Der Weise antwortete: Vorher hatte er die Not des Untertauchens nicht geschmeckt und kannte darum den Wert der Sicherheit des Schiffes nicht; nur insofern kennt jemand den Wert der Gesundheit, als er schon in Krankheit verfallen ist.


Du Satter, Gerstenbrot will dir nicht schmackhaft scheinen.
Was du verschmähest, ist für mich wie Liebe süß.
Für sel'ge Huris ist der Araf eine Hölle;
Die Höllenwohner frag', er ist ein Paradies.
Anders ist's, das Liebchen an den Busen drücken
Oder in Erwartung nach der Türe blicken.

*


[45] Den König Hormus fragte man: Welche Schuld hast du denn an den Wesiren deines Vaters gefunden, daß du sie hast in Fesseln legen lassen? Er antwortete: Eine Schuld habe ich bei ihnen nicht erkannt, aber ich sah, daß sie in ihrem Herzen eine unbegrenzte Furcht vor mir hatten und in mein Wort durchaus kein Vertrauen setzten; ich fürchtete daher, sie möchten aus Besorgnis vor ihrem eignen Schaden nach meinem Verderben trachten; darum handelte ich nach dem Worte der Weisen, welche gesagt haben:


Den, der vor dir sich fürchtet, fürchte du, o Weiser,
Magst du im Kampfe hundert seinesgleichen schlagen.
Sahst du nicht oft, wenn sie geängstigt war, die Katze
Dem Tiger ihre Krallen in das Auge schlagen?
So sticht die Schlange auch den Hirten in die Ferse,
Aus Furcht, er möcht' ihr mit dem Stein den Kopf zerschlagen.

*


Ein König in Arabien war in hohem Alter krank und hatte alle Hoffnung zum Leben aufgegeben; da trat ein Reiter zur Türe herein und brachte ihm die frohe Botschaft: Das bewußte Schloß haben wir mit deiner königlichen Macht erobert, die Feinde sind gefangengenommen, und Soldaten [46] und Untertanen jener Gegend sind alle deiner Gebote gewärtig. Als der König diese Rede hörte, stieß er einen kalten Seufzer aus und sprach: Dies ist keine freudige Nachricht für mich, sondern für meine Feinde; damit meinte er die Erben des Reiches.


Daß meiner Seele Wunsch verwirklicht einst erscheine,
In dieser Hoffnung, ach! verfloß mein teures Leben.
Die Hoffnung ist erfüllt; was hilft's? darf ich nicht hoffen,
Daß wiederkehre das dahingeschwundne Leben.
Zur Abfahrt schlägt das Schicksal schon die Trommel:
O Augen, sagt dem Haupte Lebewohl,
O hohle Hand und Vorderarm und Schulter,
Sagt alle nun einander Lebewohl.
Mich hat des Feindes Wunsch, der Tod, ergriffen,
Drum, meine Freunde, sagt mir Lebewohl.
Mein Leben ist in Torheit hingegangen:
Was ich nicht tat, macht ihr's im Leben wohl.

*


Als ich eines Jahres in Andacht auf dem Kissen des Grabmals des Propheten Johannes, ihm sei Heil! in der Moschee zu Damaskus kniete, kam [47] ein König aus Arabien, der durch seine Ungerechtigkeit bekannt war, zufällig als Wallfahrer dahin, verrichtete sein Gebet und seine Anrufung und sprach seine Bitten.


Die Reichen und die Armen suchen an diesem Staubesthron Erbarmen,
Doch weit mehr Seufzer und Gebete hört man von Reichen als von Armen.

Dann wandte er sich zu mir und sprach: Um des Hochsinns der Derwische und der Lauterkeit ihres Gottesdienstes willen bitte ich euch, begleitet mich mit euern Wünschen, denn ich bin wegen eines gefährlichen Feindes in Sorgen. Ich antwortete ihm: Übe gegen deine schwachen Untertanen Gnade, dann brauchst du des starken Feindes Schaden nicht zu fürchten.


Verbrechen ist's, der mächt'gen Faust und starken Hand,
Zu brechen des ohnmächt'gen Armen schwache Hand.
Es fürchte, wer sich der Gefall'nen nicht erbarmt,
Daß, wenn er gleitet, keiner fasse seine Hand.
Wer bösen Samen ausgesät und Gutes hofft,
Hat leeres Hirn und täuschet sich mit eitelm Tand.
Verstopfe nicht dein Ohr, sei billig und gerecht,
Sonst faßt am Tag des Rechtes dich des Rächers Hand.
[48]
Die Adamssöhne sind ja alle Brüder,
Aus einem Stoff wie eines Leibes Glieder.
Hat Krankheit nur ein einz'ges Glied erfaßt,
So bleibt den andern weder Ruh noch Rast.
Wenn andrer Schmerz dich nicht im Herzen brennet,
Verdienst du nicht, daß man noch Mensch dich nennet.

*


Ein Derwisch, dessen Gebete bei Gott Erhörung fanden, kam einst nach Bagdad; Hedschadsch, Sohn Jusufs, ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Bete um etwas Gutes für mich. Der Derwisch betete: O Gott, nimm seine Seele weg! Um Gottes willen, rief Hedschadsch, was ist das für ein Gebet? Es ist ein Gebet um Gutes für dich und alle Muselmänner, antwortete der Derwisch.


Tyrann, der sich vom Blut der Untertanen nährt,
Wie lange glaubst denn du, daß dieses Treiben währt?
Was hilft es dir, daß du die ganze Welt erwerbest?
Statt Menschen quälen ist es besser, daß du sterbest.

*


Ein ungerechter König fragte einen frommen Mann: Welches unter den guten Werken ist für mich das vorzüglichste? Für dich, antwortete [49] dieser, ist es der Mittagsschlaf, daß du indessen einen Augenblick wenigstens die Leute nicht plagest.


Einst sah ich einen Wütrich mittags eingeschlafen,
Und sprach bei mir: Daß dieser schlafe, ist das beste.
Bei wem das Schlafen besser tauget als das Wachen,
Es sterbe dieser Bösewicht, das ist das beste.

*


Von einem Könige ist mir erzählt worden, welcher einst eine Nacht in fröhlichem Gelage zum Tage gemacht, und im höchsten Taumel der Trunkenheit ausrief:


Wohl ist mir auf der Welt nichts angenehmer
Als dieser Augenblick,
Denn keine Sorge, keines Menschen Kummer
Bleibt hier bei mir zurück.
Ein Derwisch, welcher nackend draußen in der Kälte lag, erwiderte:
O du, dem niemand auf der Erde gleichet
An Hoheit und an Glück,
Wie dich drückt mich kein Kummer, darum ist auch
Gleich deinem mein Geschick.

Dem König gefielen diese Worte; er streckte einen Beutel mit tausend Dinaren zum Fenster hinaus und rief: Reiche deinen Rockzipfel. Wo [50] soll ich einen Rockzipfel hernehmen, entgegnete der Derwisch, da ich keinen Rock habe? Dem Könige flößte dieses sein Elend noch mehr Mitleid ein; er fügte ein Ehrenkleid zu dem Beutel und schickte ihm beides hinaus. Der Derwisch verpraßte und verschleuderte die Summe in kurzer Zeit –


Das Geld besteht so wenig bei des Verschwenders Trieb,
Als Ruhe bei der Liebe, als Wasser in dem Sieb. –

und kam wieder in einem Augenblicke, wo der König sich nicht um ihn kümmerte. Man meldete ihm das Anliegen des Derwischs; er wurde darüber aufgebracht und runzelte seine Stirn. Deshalb haben Leute von Einsicht und Erfahrung gesagt: Vor der Heftigkeit und dem Ungestüm der Könige muß man auf der Hut sein, denn ihr Geist beschäftigt sich meist mit den Schwierigkeiten der Regierungsgeschäfte, und sie können daher das Zudrängen der gemeinen Leute nicht ertragen.


Vergeblich wird sich um des Königs Gnade quälen,
Wer nicht die günst'ge Zeit mit Vorsicht weiß zu wählen.
Bevor du nicht erkundet hast die gute Stunde,
So geh' kein eitles Wort dir wertlos aus dem Munde.

[51] Er sprach: Jagt den unverschämten, verschwenderischen Bettler fort, der eine solche Gabe in so kurzer Zeit weggeworfen und verschleudert hat; denn der Vorrat der Schatzkammer ist der Bissen der Armen, nicht die Speise der Satansbrüder.


Ein Tor ist, wer am hellen Tag ein Wachslicht angezündet,
Bald wirst du sehn, wie er bei Nacht kein Öl zur Lampe findet.

Ein treuratender Wesir entgegnete: O Herr, mir scheint es ratsam, daß man solchen Menschen ihren Unterhalt stückweise zuteile und bestimme, damit sie beim Ausgeben nicht verschwenden können; daß du aber den Befehl gegeben, ihn fortzujagen und hinauszuwerfen, dies ist doch nicht die Weise edelgesinnter Männer, jemandem durch Güte Hoffnung einzuflößen und ihn dann durch Vereitlung der Hoffnung zu verwunden.


Nicht recht ist's, leichten Sinns das Tor der Hoffnung aufzuschließen,
Doch ist es offen, darf man nicht mit Härte es verschließen.
Nie siehst du durst'ge Wandrer im Hedschas
Sich an dem Rande salz'ger Quelle sammeln.
Wo aber süßes Wasser ist, da sieh,
Wie Volk und Vieh und Vögel sich versammeln.

*


[52] Einer von den frühern Königen regierte sein Reich mit Sorglosigkeit und behandelte sein Heer mit Lieblosigkeit. Als nun ein gefährlicher Feind erschien, ergriffen alle die Flucht.


Hältst du des Schatzes Geld vom Heere fern,
So legt es auch ans Schwert die Hand nicht gern.

Einer von denen, welche diesen Verrat begangen hatten, war mein Freund; ich machte ihm Vorwürfe darüber und sprach: Unedel und vermessen, undankbar und pflichtvergessen ist es, bei einer geringen Veränderung der Umstände seinem alten Herrn den Dienst zu versagen und sich der Verpflichtung vieljähriger Wohltaten zu entschlagen. Er antwortete: Laß mich sprechen, und du wirst mich entschuldigen. Ist es billig, daß mein Pferd ohne Futter bleibe und ich als Pfand mein Sattelfutter gebe? Wenn ein Sultan für das Heer mit seinem Golde geizig ist, kann man doch für ihn nicht mit seinem Leben freigebig sein.


Gibst du dem Kriegsmann Gold, so gibt er dir sein Leben,
Doch wird er, gibst du nichts, dir seinen Kopf nicht geben.
»Gesättigt stürzt sich wohl der Krieger auf den Feind,
Mit leerem Bauch stürzt er sich in die Flucht.«

*


Ein Wesir wurde abgesetzt und trat in den Kreis der Derwische; der Segen ihrer Gesellschaft [53] wirkte auf ihn, und Ruhe des Geistes ward ihm zuteil. Als ihn der König aufs neue in Gnaden annahm und ihm ein Amt übertragen wollte, nahm er es nicht an, sondern er sprach: Vom Amte verjagt ist besser als von der Welt geplagt.


Wer in der Einsamkeit Gemütesruhe fand,
Legt an der Menschen und der Hunde Zahn ein Band,
Wirft von sich des Papieres und der Feder Tand,
Befreit sich von des Splitterrichters Mund und Hand.

Der König erwiderte: Wir brauchen aber doch einen Mann von genügender Einsicht, welcher der Verwaltung des Reiches gewachsen sei. O König, sagte der Wesir, das Kennzeichen eines Mannes von genügender Einsicht ist, daß er sich in solche Geschäfte nicht einläßt.


Vor allen Vögeln wird der Phönix hochgeehrt,
Weil er nur Knochen frißt, nichts Lebendes verzehrt.

Zu einem Schwarzohr sagte man: Aus welchem Grunde hast du dir die beständige Gesellschaft des Löwen gewählt? Damit ich, antwortete er, den Überfluß seiner Jagd verzehre und unter seinem mächtigen Horte vor der Bosheit meiner Feinde sicher lebe. Nun, sagte man, da du unter den Schatten seines Schutzes getreten bist und deine Dankbarkeit für seine Wohltaten bekennest, warum trittst du ihm nicht näher, damit er dich [54] in den Kreis seiner Vertrauten ziehe und dich unter seine getreuen Diener rechne? Ich bin ja doch, erwiderte er, vor seiner Gewalttätigkeit nicht sicher.


Wenn der Parse hundert Jahre fromm ein heil'ges Feuer schürt,
Dennoch brennt es ihn, hat er es einmal nur zu nah berührt.

Es trifft sich zuweilen, daß der Gesellschafter der königlichen Majestät Kopfstücke gewinnt, aber es geschieht auch, daß er seinen Kopf verliert, und weise Männer haben gesagt: Vor dem Wechsel der Launen der Könige muß man auf der Hut sein, denn zuweilen geraten sie über eine Begrüßung in Zorn, zuweilen geben sie für eine Beschimpfung ein Ehrenkleid. Man hat auch gesagt: Viele Witzreden sind für Höflinge ein Verdienst, für Weise ein Fehler.


Nach deiner Würde handeln sei dein Ziel.
Dem Höfling überlasse Scherz und Spiel.

*


Einer meiner Freunde klagte bei mir über sein unglückliches Geschick. Lebensunterhalt, sagte er, habe ich wenig und der Hausgenossen viele, und ich bin nicht imstande, die Last der Armut zu tragen. Zuweilen kömmt mir der Gedanke, in ein anderes Land zu gehen, damit, wie ich auch dort leben möge, niemand weder mein Gutes noch mein Böses kenne.


[55]
Es liegen viele hungrig da, nach denen niemand fragt,
So manche Seel' entweicht und wird von keinem je beklagt.

Doch bin ich auch wieder wegen der Schadenfreude meiner Feinde besorgt, denn mit Verleumdung werden sie hinter meinem Rücken lachen und meine Abreise zum Wohle meiner Hausgenossen einem Mangel an männlichem Sinne zuschreiben und sprechen:


Seht diesen Menschen ohne Herz und Mut,
Des Glückes Sonne wird ihm niemals schimmern.
Er sucht des eignen Selbst Bequemlichkeit,
Doch Weib und Kind läßt er im Elend wimmern.

Ich verstehe bekanntlich etwas von der Kunst, die Rechnungen zu führen; wenn mir durch euern Einfluß irgendein Amt angewiesen wird, das mir Gemütsruhe verschafft, so werde ich mich zeitlebens nicht von der Verpflichtung zum Danke dafür lösen können. O Freund, sprach ich, der Dienst der Könige hat zwei Seiten, Hoffnung des Brotes und Furcht des Todes, und es widerstreitet der Ansicht der Verständigen, um jener Hoffnung willen sich in diese Furcht zu stürzen.


Man kömmt nicht zu des Armen Hütte hin,
Von ihm für Land und Garten Steuer zu erheben.
[56]
Bewahr'st du nicht in Not zufriednen Sinn,
Magst du zum Fraß den Raben deine Leber geben.

Was du sagst, erwiderte er, das paßt nicht auf meine Lage, und du gibst keine Antwort auf meine Frage. Hast du den Spruch nicht gehört: Wer Untreue begangen, muß vor der Rechenschaft bangen?


Gerader Sinn erwirbt sich Gottes Wohlgefallen;
Noch niemand sah ich auf dem Weg der Wahrheit fallen.

Und die Weisen haben gesagt: Vier Leuten ist es vor vier Leuten bange, dem Räuber vor dem Sultan, dem Diebe vor dem Nachtwächter, dem Wüstling vor dem Angeber, der Buhldirne vor dem Polizeiobersten; wer aber keinen Fehler hat in der Rechnung, hat auch keine Furcht vor der Abrechnung.


Geh' nicht zu weit im Amt, auf daß, bist du entfernt,
Die Feinde nicht zu weit sich über dich ergehen.
Wer ohne Tadel, ist auch ohne Furcht; denn nur
Ein schmutz'ges Kleid wirst du vom Walker schlagen sehen.

Ich erwiderte: Auf dich läßt sich die Erzählung von jenem Fuchse anwenden, den man einst über [57] Hals und Kopf davonlaufen sah. Als man ihm zurief: Was ist denn geschehn, daß wir dich in solchem Schrecken sehn? antwortete er: Ich habe gehört, daß man das Kamel zum Frondienste fängt. O Tor, sagte man, was ist denn zwischen dem Kamel und dir für eine Verbindung, und zwischen dir und ihm für eine Vergleichung? Schweigt, rief er, denn wenn die Neider in ihrer Bosheit sagen: dieser ist ein Kamel, und ich gefangen werde, wer wird sich um meine Befreiung kümmern oder meinen Zustand untersuchen? und bevor Theriak aus Irak gekommen, ist der von der Schlange Gebissene umgekommen. Du besitzest freilich, sprach ich, Verdienst und Frömmigkeit, aber die Neider liegen im Hinterhalt und die Kläger sitzen im Winkel; wenn auch dein Wandel vortrefflich ist, so versichern sie das Gegenteil, du mußt von dem Könige Vorwürfe hören und Verweise annehmen, und wer darf sich in solchen Umständen eine Einrede erlauben? Darum scheint es mir ratsamer, daß du dir den Besitz der Genügsamkeit erhaltest und dich des Strebens nach einer Ehrenstelle enthaltest; denn die Verständigen haben gesagt:


Das Meer mag dir zwar reiche Güter geben,
Doch nur am Strande kannst du sicher leben.

Als der Freund diese Rede hörte, wurde er unwillig und zog sein Gesicht in Falten, und fing an Worte voll Kränkung auszusprechen: O über die [58] Urteilsfähigkeit und Verstandesvortrefflichkeit! Wohl ist das Wort der Weisen wahr, welche gesagt haben: Im Gefängnisse können die Freunde nützlich werden, denn an der Tafel wollen sich alle Feinde als Freunde gebärden.


Ein Freund ist nicht, wer um sich wirft im Glück
Mit Freundesnamen und mit Brudergruß.
Ein Freund ist, wer ergreift des Freundes Hand
Zur Unglückszeit, in Kummer und Verdruß.

Ich sah, daß er sich selbst nicht mehr gehörte und meinen Rat mit Unwillen anhörte; ich ging daher zu dem Vorsteher des Diwans, mit dem ich von früherer Zeit her bekannt war, und stellte diesem seine Umstände vor, so daß man ihm ein geringes Amt übertrug. Nach Verlauf einiger Tage erkannte man die Güte seiner Gesinnung und belobte die Trefflichkeit seiner Verwaltung; er rückte in seiner Stellung vor und hob sich zu einer höhern Stufe empor, und so war sein Gestirn im Steigen, bis es in den Zenit seiner Wünsche gelangte und er das nächste Vertrauen der königlichen Majestät erlangte, »daß die Leute mit Fingern auf ihn wiesen und die Großen ihm ihr Zutrauen bewiesen«. Ich war über seine glückliche und sichere Stellung hocherfreut und sprach:


Sei nicht voll Gram im Unglück und verzage nicht,
Der Born des Lebenswassers ist in Finsternissen.
[59]
»O seid in Not und Prüfung ohne Sorgen,
Viel Glück und Huld ist noch bei Gott verborgen.«
Nicht finster blicke auf der Zeiten Wechsel; bitter
Ist die Geduld, doch ihre Frucht ist süß.

In dieser Zeit traf es sich, daß ich mit mehreren Gefährten die Reise nach Mekka machte; als ich wieder von der Wallfahrt zurückkehrte, kam mir der Freund eine oder zwei Tagereisen entgegen, ganz verstört in seinem Aussehn und wie ein Derwisch anzusehn. Was ist geschehn? rief ich. Er antwortete: Was du gesagt hattest; einige waren vom Neide gegen mich geplagt, und ich wurde von ihnen der Veruntreuung angeklagt; der König geruhte nicht, zur Aufdeckung der Wahrheit eine Untersuchung anzustellen, indes die alten Gefährten und wohlgesinnten Genossen ein Wort der Wahrheit zu sagen sich nicht vermaßen und der langen Freundschaft vergaßen.


Hat einen bei der Hand das Glück ergriffen,
Die Hand legt jeder auf die Brust zum Gruß;
Doch hat ihn Gottes Allmacht stürzen lassen,
Gleich setzt ihm jeder auf den Kopf den Fuß.

Kurz, ich wurde in das Gefängnis geworfen und auf mannigfaltige Art gepeinigt, bis in dieser Woche, wo die frohe Nachricht von der glücklichen Rückkehr der Pilger ankam, man mir meine [60] schweren Fesseln auszog, aber meine Besitztümer einzog. Damals, sprach ich zu ihm, wolltest du meinen Wink nicht beherzigen, als ich sagte: Der Dienst der Könige ist wie eine Seereise, gewinnreich, aber gefahrvoll; entweder wirst du Schätze erwerben oder in den Wellen sterben.


Entweder kehrt mit vollen Säcken
Der Kaufmann in das Heimatland;
Wo nicht, so treiben seinen Leichnam
Die Meereswellen an den Strand.

Ich hielt es nicht für geraten, das Aufreißen seiner innern Wunde ferner fortzutreiben und Salz hineinzureiben; ich begnügte mich daher, noch folgende Verse auszusprechen:


Du weißt ja, daß dein Fuß in Banden sich verfängt,
Läßt du des Mannes Rat zu deinem Ohr nicht dringen.
Wenn du des Stachels Schmerz zu dulden nicht vermagst,
Mußt du den Finger nicht Skorpionen nahe bringen.

*


Einige Leute lebten in meiner Gesellschaft, deren Äußeres durch Rechtschaffenheit geschmückt war. Einer von den Großen hatte eine sehr hohe Meinung von ihnen und hatte ihnen deshalb einen Gehalt angewiesen. Doch einer derselben beging eine zu dem Stande der Derwische [61] nicht passende Handlung; dies tat ihnen in der Meinung jenes Mannes Abbruch, und ihr Markt verlor seinen Zuspruch. Ich wollte ihnen auf irgendeine Art wieder zu ihrem Lebensunterhalt verhelfen und beschloß daher, ihm meine Aufwartung zu machen, aber der Pförtner ließ mich nicht ein und wies mich mit Grobheit ab; ich entschuldigte ihn, eingedenk des Spruches:


Umkreise nicht der Prinzen und Wesire
Und Kön'ge Pforten ohne Eingangsmittel.
Seh'n Hund und Pförtner einen Fremden nahen,
Packt dieser ihn am Kragen, der am Kittel.

Bis endlich die Vertrauten jenes Großen erfuhren, was mir geschah; diese führten mich ehrenvoll ein und wiesen mir einen obern Platz an; allein ich setzte mich demutsvoll weiter unten hin und sprach:


Dem niedern Sklaven mögest du verzeihen,
Wenn er sich setzet in der Sklaven Reihen.
Gott, Gott, rief jener aus, wie gehört diese Rede hieher?
Willst du dich mir auf Kopf und Auge setzen,
So tu's, fürwahr es würde mich ergötzen.

Kurz, ich setzte mich nieder und sprach über verschiedenes hin und wieder, bis endlich die Rede auf das Vergehen meiner Freunde kam; da sagte ich:


Was hat der güt'ge Herr für Schuld an uns bemerkt,
Daß er nicht gnädig mehr an seine Knechte denkt?
[62]
Mit Recht wird liebevoll und gütig Gott genannt,
Er sieht die Schuld: das Brot wird jedem doch geschenkt.

Dem Fürsten gefielen diese Worte, und er befahl, daß man meinen Freunden die Mittel des Unterhalts nach der frühern Weise reiche und ihnen den ausgefallenen Gehalt genau bezahle. Ich sprach meinen Dank für die Huldgabe aus, küßte untertänig den Boden, und bat um Entschuldigung meiner Kühnheit, und als ich im Begriffe war hinauszugehn, sagte ich diese Worte:


Die Kaba ist entfernter Länder Kibla,
Wird viele Meilen weit vom Volk besucht:
So dulde du auch unsersgleichen! Wirft man
Denn Steine nach den Bäumen ohne Frucht?

*


Ein Königssohn erbte von seinem Vater einen reichen Schatz; er öffnete die Hand der Großmut und machte die Freigebigkeit zum Gesetz und schüttete über Soldaten und Bürger zahllose Gnadengaben aus.


Nicht in der Büchse kann der Weihrauch dich ergötzen;
Leg' auf das Feuer ihn, daß dich sein Duft erfreut.
Wenn du nach Größe strebst, mußt du großmütig spenden:
Der Same sprosset nicht, wird er nicht ausgestreut.

[63] Einer seiner Vertrauten wollte ihm auf unüberlegte Art einen guten Rat geben und sagte: Die früheren Könige haben dieses Gut mit Mühe erworben und zu einem nützlichen Gebrauche niedergelegt; ziehe also deine Hand von dieser Handlungsweise zurück, denn Ereignisse stehen vor dir und Feinde hinter dir, sonst möchtest du zur Zeit, wo du dessen benötigt bist, hilflos sein.


Teilst du einen Schatz den Leuten aus, so wird
Jeder Hausherr wohl ein Reiskorn kaum erhalten.
Nimm von einem jeden du ein Silberkorn,
Jeden Tag wird sich's zum Schatze dir gestalten.

Der Königssohn runzelte die Stirn über diese Rede, denn sie stimmte mit seinem Sinne nicht überein, und sprach: Gott, der Erhabene und Gepriesene, hat mich zum Besitzer dieses Reiches gemacht, daß ich genieße und genießen lasse, nicht zum Wächter, daß ich aufbewahre.


Karun mit seinen vierzig Schätzen ging zugrunde,
Nuschirwan lebt in Ruhm noch bis auf diese Stunde.

*


Als man einst, so wird erzählt, Nuschirwan dem Gerechten auf der Jagd ein Stück Wildbret briet, fehlte es an Salz, und man schickte deshalb einen Burschen in ein Dorf, um welches zu holen. Nuschirwan[64] sagte ihm: Bezahle das Salz, damit nicht ein Gesetz daraus entstehe und das Dorf zugrunde gehe. Als man ihn fragte, welches Unheil denn aus dieser Kleinigkeit entstehen könne? antwortete er: Die Grundlage der Ungerechtigkeit in der Welt ist gering gewesen, aber jeder Spätergekommene hat etwas dazugetan, bis sie zu diesem Übermaß angewachsen ist.


Ißt aus des Rajas Garten der Sultan einen Apfel,
Gleich reißen seine Leute den ganzen Baum heraus.
Erlaubt er sich, fünf Eier mit Unrecht zu erpressen,
Sie tragen tausend Hühner am Spieße gleich hinaus.
Wird auch der Tyrann vergehn,
Bleibt sein Fluch doch ewig stehn.

*


Von einem Beamten habe ich erzählen hören, der die Wohnung der Untertanen verödete, um die Schatzkammer des Königs anzufüllen, uneingedenk des Wortes der Weisen: Die so die Geschöpfe Gottes plagen, um die Gunst eines Geschöpfes zu erjagen, eben diesem Geschöpfe wird Gott auftragen, mit der Hand der Rache ihr Leben zu schlagen.


Ein brennend Feuer wirkt nicht auf den Rautenstrauch,
[65]
Was des Betrübten Seufzer wirkt und Herzensrauch.

Als das Haupt aller Tiere gilt der Löwe und als das Niedrigste aller Lebenden der Esel, und doch ist nach der Ansicht aller Verständigen der Esel, der Lasten trägt, besser als der Löwe, der Menschen erlegt.


Ist gleich der arme Esel des Verstandes bar,
So ist er, wenn er Lasten schleppt, doch unschätzbar.
Die Ochsen und die Esel, welche Lasten tragen,
Sind besser als die Menschen, welche Menschen plagen.

Dem Könige wurde ein Teil seiner sträflichen Handlungsweise bekannt; er ließ ihn auf die Tortur legen und unter vielfachen Peinigungen hinrichten.


Du kannst die Gunst des Sultans nicht erlangen,
Suchst du dir nicht die Diener zu verbinden.
Willst du, daß deiner sich der Herr erbarme,
Laß bei dir die Geschöpfe Mitleid finden.

Einer von denen, welche seine Bedrückungen erlitten hatten, ging an ihm vorüber, und über seinen jähen Sturz nachdenkend, sprach er:


Nicht jeder, welcher starken Arm und Rang besitzt,
Kann ungerecht der andern Güter an sich reißen.
[66]
Den Knochen schlingt man durch die Gurgel wohl hinab,
Doch, dringt er tiefer, muß er auch den Bauch zerreißen.

*


Man erzählt von einem Menschenbedrücker, daß er einst einem frommen Manne einen Stein an den Kopf warf; der Derwisch konnte sich nicht rächen, aber er bewahrte den Stein bei sich auf, bis zur Zeit, wo der König gegen jenen Soldaten in Zorn geriet und ihn in die Grube werfen ließ; da kam der Derwisch und warf ihm den Stein an den Kopf. Wer bist du und warum wirfst du mich mit diesem Steine? rief jener. Ich bin der und der, antwortete er, und dies ist der Stein, den du in der und der Zeit mir an den Kopf geworfen hast. Wo bist du denn so lange geblieben? fragte jener. Wegen deiner hohen Stellung, antwortete der Derwisch, scheute ich mich, jetzt aber, da ich dich in der Grube sehe, habe ich die Gelegenheit als Beute geachtet.


Siehst du als Glückskind den Unwürd'gen leben,
In Gottes Willen mußt du dich ergeben.
Besitzest du nicht Nägel scharf und spitzig,
Sei nicht zum Streite mit den Bösen hitzig.
Willst einen Schlag dem Eisenarm versetzen,
Du wirst dir nur den Silberarm verletzen;
Wenn das Geschick in Fesseln ihn geschlagen,
Dann ist es Zeit, das Hirn ihm auszuschlagen.

*


[67] Ein König hatte eine schreckliche Krankheit, die es nicht ziemt zu nennen. Einige griechische Ärzte kamen dahin überein, daß es für diese Krankheit kein anderes Heilmittel gebe, als die Galle eines durch bestimmte Merkmale ausgezeichneten Menschen. Der König ließ eine Nachsuchung anstellen, und man fand einen Bauernsohn mit den Merkmalen, welche die Ärzte angegeben hatten. Sein Vater und seine Mutter wurden herbeigerufen und durch große Geschenke zufriedengestellt, und der Kadi gab das Gutachten, daß es erlaubt sei, das Blut eines Untertanen zu vergießen, um das Leben des Königs zu erhalten. Als der Henker auf dem Punkte war, ihn zu töten, wandte der Knabe sein Angesicht gen Himmel und lachte. Wie kannst du denn in einem solchen Augenblicke lachen? fragte der König. Der Knabe antwortete: Das Kind mit Liebe zu pflegen ist die Pflicht des Vaters und der Mutter, die gerichtlichen Forderungen bringt man vor den Kadi, und Gerechtigkeit verlangt man von dem Könige; nun aber haben Vater und Mutter um des zerbrechlichen Gutes der Welt willen mich dem Tode überliefert, und der Kadi hat zu meiner Hinrichtung sein Gutachten gegeben, und der Sultan sieht seine Rettung in meinem Untergang; außer Gott sehe ich keine Zuflucht für mich.


[68]
Zu wem soll ich vor dir mein Hilfsgeschrei erheben?
Dich bitt' ich, gegen dich mögst du noch Recht mir geben.

Das Herz des Sultans wurde durch diese Rede gerührt, seine Augen füllten sich mit Tränen, und er sprach: Es ist besser ich sterbe, als daß ich das Blut eines Unschuldigen vergieße. Er küßte ihm Haupt und Augen, drückte ihn an seine Brust, gab ihm reiche Geschenke und ließ ihn gehen. Man erzählt, der König sei in derselben Woche wiederhergestellt worden.


Immer denk' ich an das Wort, das einst ein Elefantenführer
Zu mir sagte fernhin an dem mächt'gen Nilesflusse:
Weißt du, wie es der Ameise unter deinem Fuß zumute?
Wie es dir ist unter eines Elefanten Fuße.

*


Einer von den Sklaven des Amr Ben Leis war entflohen; man setzte ihm nach und brachte ihn zurück. Der Wesir, welcher einen Haß auf ihn geworfen hatte, gab den Rat, ihn zu töten, damit die andern Sklaven nicht das gleiche täten. Der Sklave legte vor Amr den Kopf auf die Erde und sprach:


Jedes Urteil muß gerecht sein, das der Herr dem Sklaven spricht;
[69]
Nichts kann ja der Sklave fordern, denn dem Herrn ist das Gericht.

Doch da ich unter den Wohltaten dieses Hauses aufgewachsen bin, so möchte ich nicht, daß dir bei der Auferstehung mein Blut zur Schuld angerechnet würde; wenn du mich töten willst, so töte mich wenigstens aus einem gesetzlichen Grunde, damit du bei der Auferstehung nicht gestraft werdest. Wie soll ich einen gesetzlichen Grund finden? fragte der König. Erlaube mir, antwortete der Sklave, daß ich den Wesir töte, dann kannst du mich zur Strafe dafür töten lassen, und hast mich doch auf gesetzmäßige Art getötet. Der König lachte und sagte zu dem Wesir: Was hältst du davon? O Herr, rief dieser, bei dem Grabe deines Vaters, laß diesen Schurken los, daß er mich nicht ins Unglück stürze! Ich habe gefehlt, daß ich dieses Wort der Weisen nicht beachtet:


Wenn du mit einem Schleudrer Streit beginnest,
Zerschmetterst du dir selbst das eigne Hirn.
Willst du den Pfeil dem Feind ins Antlitz werfen,
Du setzest ihm zum Ziele deine Stirn.

*


Der König von Sausen hatte einen Hofmeister von edlem Gemüte und schönem Anstande, der gegen alle in ihrer Gegenwart dienstbeflissen war [70] und in ihrer Abwesenheit Gutes von ihnen redete. Einst betrug er sich auf eine Art, die dem Könige mißfiel; dieser beraubte ihn seiner Güter und ließ ihn züchtigen. Die Hauptleute des Königs, welche seiner frühern Wohltaten eingedenk waren und sich zur Dankbarkeit dafür verpflichtet hielten, bewiesen ihm, solange er im Gefängnisse war, Güte und Milde und erlaubten sich gegen ihn weder Schmähung noch Unbilde.


Willst du mit dem Feinde Frieden, laß, wenn er dir hinterm Rücken
Böses nachsagt, vor ihm deinen Mund von Lob nur überfließen.
Durch den Mund allein geht ja doch immer des Verleumders Rede:
Willst du sie nicht bitter haben, mußt du ihm den Mund versüßen.

Von der Schuld, die der König von ihm zu fordern hatte, konnte er einen Teil abtragen, für das übrige aber blieb er im Gefängnisse. Ein anderer König aus jenen Gegenden schickte ihm insgeheim eine Botschaft des Inhalts: Die Könige deines Landes wissen den Wert eines großen Mannes, wie du bist, nicht zu schätzen und behandeln ihn auf rücksichtslose Weise; wenn der edle Sinn dieses Mannes, dessen Ausgang Gott segnen möge! sich auf unsere Seite zu wenden geruhen wollte, so würden wir uns die äußerste Mühe geben, ihn zu ehren, denn die Großen [71] dieses Reiches werden in seinen Anblick ihren höchsten Stolz setzen und sehen einer Antwort auf dieses Schreiben mit Sehnsucht entgegen. Der Hofmeister nahm davon Kenntnis, und da er wegen der Gefahr besorgt war, schrieb er eine kurze Antwort, wie sie ihm zweckmäßig schien, auf den Rücken des Blattes und schickte es fort. Einer von den Leuten des Königs erfuhr diesen Vorfall und setzte den König davon in Kenntnis, indem er sagte: Jener, den du ins Gefängnis hast setzen lassen, hat einen Briefwechsel mit den Königen der Nachbarländer. Der König ergrimmte und befahl, die Sache zu untersuchen; man ergriff den Boten und las seinen Brief. Auf demselben war geschrieben: Die gute Meinung Ihrer Hoheiten ist besser als das Verdienst Ihres Knechtes; der ehrenvollen Gunst, deren Sie ihn gewürdigt haben, kann aber Ihr Knecht nicht Folge leisten, weil er unter den Wohltaten dieses Hauses aufgewachsen ist, und wegen einer geringen Änderung des Sinnes seinem früheren Wohltäter nicht untreu werden darf, eingedenk des Spruches:


Wer jeden Augenblick dir Lieb' und Edelmut erwiesen,
Entschuldige ihn, wenn einmal er sich ungerecht bewiesen.

Der König war erfreut über seine dankbare Gesinnung; er schenkte ihm Geld und Ehrenkleid, bat ihn um Verzeihung und sprach: Ich habe gefehlt [72] und dich unschuldig gequält. O Herr, antwortete der Hofmeister, dein Knecht findet in dieser Sache bei dir keine Schuld, sondern es war der Ratschluß Gottes, daß mir etwas Widerwärtiges zustoßen sollte, darum war es besser, daß es durch deine Hand geschehen, der du deinen Diener durch frühere Wohltaten verbunden und zur Dankbarkeit verpflichtet hast.


Beleidigt dich ein Mensch, ergrimme nicht im Herzen,
Von Menschen kommen nicht die Freuden und die Schmerzen.
Von Gott wird Feindes Haß und Freundschaft dir gebracht,
Denn Feind's und Freundesherz hat er in seiner Macht.
Scheint durch des Bogens Kraft der Pfeil davonzufliegen,
So muß des Schusses Grund doch in dem Schützen liegen.

*


Ein arabischer König befahl den Räten seines Diwans, den Gehalt eines gewissen Mannes, solange er lebte, zu verdoppeln, weil er eifrig im Hofdienste und jedes Befehles gewärtig sei, während die andern Hofdiener sich mit Scherz und Spiel beschäftigten und ihre Dienstpflicht vernachlässigten. Ein Einsichtsvoller, welcher dieses hörte, sprach: Auf gleiche Art verhält es [73] sich mit der Höhe des Ranges der Menschen am Hofe des erhabenen und gepriesenen Gottes.


Du darfst zwei Morgen nur recht deinen Dienst verrichten,
Am dritten wird der Schah den Huldblick auf dich richten.
Nicht hoffnungslos geht der von Gottes Schwelle weg,
Der eifrig sich bemüht in seines Dienstes Pflichten.
Dem Gebot gehorchen kann nur Größe bringen,
In dem Ungehorsam liegt das Nichtgelingen.
Wer das Zeichen der Gerechten an sich trägt,
Der ist's, der sein Haupt auch auf die Schwelle legt.

*


Von einem ungerechten Manne wird erzählt, der das Holz der Armen auf eine drückende Weise kaufte und es den Reichen um hohen Preis verkaufte. Ein Einsichtsvoller, der bei ihm vorüberging, sagte:


Bist du die Schlange, die jeden beißt, wen sie nur findet?
Oder die Eule, die, wo sie sitzt, Unheil verkündet?
Erreichst du etwas durch Gewalt bei uns,
Beim Herzenskünd'ger kannst du nichts erreichen.
[74]
Gewalttat übe nicht am Erdenvolk,
Daß seine Klagen nicht zum Himmel reichen.

Der Ungerechte wurde unwillig über diese Worte und zog sein Gesicht in Falten, und er nahm keine Rücksicht darauf, bis einst in einer Nacht Feuer aus der Küche in den Holzvorrat kam, seine ganze Habe verbrannte und ihn von dem weichen Pfühle in die heiße Asche bettete. Zufällig ging derselbe Einsichtsvolle bei ihm vorüber und hörte, wie er zu seinen Freunden sagte: Ich weiß nicht, woher dieses Feuer in mein Haus gekommen ist. Er antwortete: Von dem Herzensrauch der Armen.


Vor Rauch der wunden Herzen hüte dich,
Die Herzenswunde kommt zuletzt zutage.
Vermagst du's, so verwirre nicht ein Herz,
Verwirrt wird eine Welt durch eine Klage.

*

Auf der Krone des Schah Kei Chosru war geschrieben:

Wie viele Jahre und wie lange Lebensalter
Wird einst das Volk noch über unsre Gräber gehn!
So wie von Hand zu Hand das Reich zu uns gekommen,
So wird es auch in andrer Hände übergehn.

*

Ein Ringer hatte es in seiner Kunst bis zur höchsten Vollkommenheit gebracht; er verstand [75] dreihundertundsechzig vortreffliche Kunstgriffe und konnte jeden Tag einen andern anwenden. Zufällig fühlte er in einem Winkel seines Herzens eine Neigung zu der Schönheit eines seiner Schüler; er lehrte ihn dreihundertneunundfünfzig Kunstgriffe, nur einen einzigen wollte er ihn nicht lehren, indem er ihn als etwas Unbedeutendes wegließ. Der Jüngling brachte es in der Kunst und der Körperkraft zur höchsten Vollkommenheit, und niemand war imstande, es mit ihm aufzunehmen, so daß er endlich in Gegenwart des Sultans äußerte: Den Vorzug, welchen mein Meister vor mir hat, verdankt er seinem Alter und seinem Unterrichte, sonst stehe ich an Kraft nicht unter ihm und in der Kunst komme ich ihm gleich. Dem König mißfiel diese ungeziemende Rede; er befahl, sie sollten miteinander ringen. Ein geräumiger Platz wurde dazu bestimmt, die Mächtigen des Reichs und die Großen des Hofes waren als Zuschauer zugegen. Der Jüngling trat gleich einem trunknen Elefanten mit einer Heftigkeit auf, daß er einen ehernen Berg hätte von seiner Stelle reißen können. Der Meister aber, welcher wußte, daß der Jüngling ihm an Kraft überlegen war, faßte ihn mit jenem besondern Kunstgriff, den er vor ihm verborgen gehalten hatte und den der Jüngling nicht abzuwehren verstand; er hob ihn mit beiden Händen von der Erde auf, hielt ihn über seinem Kopfe in der Schwebe, und warf [76] ihn dann auf die Erde. Die Zuschauer erhoben ein Geschrei; der König ließ dem Meister Geld und Ehrenkleid geben, dem Jüngling dagegen gab er einen derben Verweis, daß er vorgegeben, er könne es mit seinem eignen Meister aufnehmen, es aber nicht durch die Tat bewährt hatte. O Herr, erwiderte der Jüngling, der Meister hat mich nicht durch Kraft und Gewalt besiegt, sondern eine Kleinigkeit war noch in der Ringkunst übriggeblieben, die er mir vorenthalten, und durch diese Kleinigkeit hat er heute gesiegt. Der Meister aber sagte: Eben für einen solchen Tag hatte ich sie aufgespart, denn die Weisen haben gesagt: Gib dem Freunde nicht so viel Kraft, daß, wenn er ein Feind wird, er es mit dir aufnehmen könne. Hast du nicht gehört, was jener sagte, der von seinem Schüler schmachvoll behandelt wurde?


Ist nicht ganz die Treue aus der Welt entschwunden,
Ach! so üben sie in dieser Zeit nicht viele.
Wenn ich einen mit den Pfeilen schießen lehrte,
Macht er mich zuletzt zu seines Schusses Ziele.

*


Ein Derwisch wohnte als Einsiedler in einem Winkel der Wüste; ein König ging vorüber; der Derwisch – denn in der Zurückgezogenheit liegt der Besitz der Zufriedenheit – erhob seinen [77] Kopf nicht und nahm keine Rücksicht auf ihn; der König aber – denn in der Herrschaft liegt herrisches Wesen – wurde darüber unwillig und rief: Dieses Volk in Lumpen ist wie das Vieh. Der Wesir sagte zu dem Einsiedler: Der König der Erde ist bei dir vorbeigegangen, warum hast du ihm keine Ehrfurcht bewiesen, und was die gute Sitte verlangt, nicht erwiesen? Dieser antwortete: Sage dem Könige: Erwarte Ehrenbezeigung von dem, der von dir Gunstbezeigung erwartet, und wisse übrigens, daß die Könige da sind, um über die Untertanen zu wachen, nicht die Untertanen, um den Königen den Hof zu machen.


Der König ist der Armen Stab und Wächter,
Ist auch ihr Glück auf seine Macht gestellt.
Das Schaf ist nicht da um des Hirten willen,
Der Hirte ist zu seiner Hut bestellt.
Den einen siehst du heute hochbeglückt,
Des andern Herz im Kampfe blutend zucken.
Noch wen'ge Tage, dann verzehrt der Staub
Das Hirn, in dem die eiteln Träume spuken.
Kein Unterschied ist zwischen Sklav' und König
Am Schicksalstag, den keiner je vermieden.
Ist denn, wenn man der Toten Staub durchwühlet,
Der Reichen und der Armen Staub verschieden?

Der König fand die Worte des Derwisches wahr, und sprach: Erbitte dir etwas von mir. Ich bitte [78] dich darum, antwortete der Derwisch, daß du mich nicht ferner belästigest. Gib mir einen Rat, sagte der König. Er sprach:


Begreife jetzt, wo Erdengut in deiner Hand,
Daß Glück und Macht und Reichtum geht von Hand zu Hand.

*


Ein Wesir kam zu Dhul Nun, dem Ägypter, und bat ihn, er möchte seiner im Gebete gedenken. Tag und Nacht, sagte er, mühe ich mich im Dienste des Sultans ab, seine Gnade ist mein Hoffen und seine Strafe meine Furcht. Dhul Nun weinte und sprach: Wenn ich Gott so fürchtete wie du den Sultan, ich gehörte unter die Zahl der Heiligen.


Erwartet' er nicht Freuden oder Schmerzen,
Des Derwischs Frömmigkeit wär' ohne Mängel.
Wenn der Wesir Gott seinen Herrn so scheute,
Wie er den König scheut, er wär' ein Engel.

*


Ein König gab Befehl zur Hinrichtung eines Unschuldigen. O König, rief dieser, wegen eines Unwillens, den du gegen mich empfindest, suche nicht deine eigne Qual. Wieso? fragte der König. Diese Strafe, antwortete er, ist in einem Augenblick an mir vollzogen, aber die Schuld davon lastet ewig auf dir.


Des Lebens Kreislauf geht so schnell wie Wüstenwind vorüber,
[79]
Das Bitt're, Süße, Häßliche und Schöne geht vorüber.
Denkt der Tyrann wohl, daß er uns mit seinem Unrecht quäle?
Auf seinem Nacken sitzt es nur, an uns geht es vorüber.
Diese Ermahnung machte Eindruck auf den König, er schenkte ihm das Leben und bat ihn um Vergebung.

*


Die Wesire Nuschirwans beratschlagten über eine wichtige Angelegenheit des Reiches, und jeder gab nach bestem Wissen seine Meinung ab. Der König beratschlagte auch mit, und Busurdschmihr stimmte der Meinung des Königs bei. Als ihn die Wesire insgeheim fragten, welchen Vorzug er denn in der Meinung des Königs vor dem Urteile so vieler weiser Männer finde, antwortete er: Weil der Ausgang der Sache unbekannt ist, und es von dem Willen Gottes abhängt, ob sich die Meinung aller richtig oder falsch erweisen wird, darum ist es besser, der Meinung des Königs beizutreten, damit, wenn sie sich als unrichtig erweist, man um der Beipflichtung willen vor der Züchtigung sicher sei.


Dem widersprechen, was der König vorgebracht,
Das heißt die Hand im eignen Blute baden.
Behauptet er am hellen Tage: Es ist Nacht!
[80]
So sprich: Sieh' da den Mond und die Plejaden.

*


Ein Betrüger kräuselte seine Haare, als ob er ein Alide wäre, zog mit der Hedschas-Karawane in die Stadt ein, als ob er von der Wallfahrt käme, und überreichte dem König ein Gedicht, als ob er es verfaßt hätte. Einer von den Gesellschaftern des Königs, der in diesem Jahre von einer Reise zurückgekommen war, sagte: Ich habe diesen bei dem Opferfeste in Basra gesehen, wie kann er denn ein Wallfahrer sein? Darauf sagte ein anderer: Sein Vater war ein Christ in Malatia, wie kann er denn ein Alide sein? Und sein Gedicht fand man in dem Diwan Enweris. Der König befahl, man solle ihn schlagen und hinauswerfen, weil er so viele Lügen gesagt habe. O Herr der Erde, rief jener, ich will dir ein anderes Wort sagen, wenn dieses nicht wahr ist, so habe ich jede Strafe verdient, die du über mich verhängen magst. Was ist es? fragte der König. Er sprach:


Wenn dir ein Fremder Buttermilch verkauft,
Ein Dritteil Milch ist es, zwei Dritteil Wasser.
Sagt' ich ein eitles Wort, o zürne nicht:
Der Weitgereiste ist kein Lügenhasser.

Der König lachte und sprach: Ein wahreres Wort als dieses hast du in deinem Leben nicht gesagt. Er befahl, man solle ihm das, was er verlangt hatte, reichen.


*


[81] Man erzählt von einem Wesir, der sich gegen seine Untergebenen gütig zeigte und auf das Wohl aller bedacht war. Einst hatte ihm der König etwas vorzuwerfen, und ließ ihn gefangen setzen. Alle bemühten sich um seine Befreiung, die Aufseher zeigten sich milde in seiner Züchtigung, und die übrigen Großen redeten Gutes von seinem Wandel, bis der König ihm sein Vergehen verzieh. Ein Einsichtsvoller sprach, als er dieses erfuhr:


Der Freunde Herzen zu gewinnen,
Verkaufe selbst des Vaters Gut.
Der Wohlgesinnten Topf zu kochen,
Wirf dein Geräte in die Glut.
Tu' Gutes selbst dem Feind: dem Hunde
Das Maul zu stopfen ist ja gut.

*


Einer von den Söhnen Harun Al Raschids kam von Zorne glühend zu seinem Vater und klagte, daß ein Hauptmannssohn seine Mutter geschmäht habe. Harun fragte die Großen des Reichs, welche Strafe dieser verdient hätte. Der eine gab den Rat, ihn zu töten, ein anderer, ihm die Zunge auszuschneiden, ein andrer, seine Güter einzuziehen und ihn zu verbannen. Harun aber sprach: Mein Sohn, edel ist es, wenn du ihm verzeihest; kannst du es aber nicht, so schmähe du auch seine Mutter, aber überschreite dabei das richtige Maß nicht, sonst ist das Unrecht auf unsrer Seite.


[82]
Als Menschen sieht der Weise den nicht an,
Der mit dem tollen Elefanten streitet.
In Wahrheit ist ein echter Mensch nur der,
Den nicht der Zorn zu eitelm Wort verleitet.
Ein Guter ließ sich einst von einem Bösen schmähn,
Er trug es still und sprach: Mög' es dir glücklich gehn!
Viel schlimmer bin ich noch als du es ausgesprochen,
Denn besser ja als du weiß ich was ich verbrochen.

*


Ich war einst mit mehreren Großen auf einem Schiffe; ein Boot ging hinter uns unter, und zwei Brüder gerieten in einen Strudel. Einer von den Großen sagte zu dem Schiffer: Ziehe diese beiden heraus, dann gebe ich dir hundert Dinare. Während aber der Schiffer den einen rettete, ging der andere unter. Ich sprach: Diesem war kein ferneres Leben bestimmt, darum hast du ihn nicht zuerst ergriffen. Der Schiffer lachte und erwiderte: Was du sagst, ist wohl wahr, doch war es meine Absicht, diesen hier zuerst herauszuziehen, weil er einst, als ich in der Wüste ermüdet zurückgeblieben war, mich auf sein Kamel setzte, während ich dagegen von jenem in meiner Kindheit Peitschenhiebe empfangen habe. Ich rief: Wahrhaftig ist der allmächtige Gott: »Wer Gutes tut, tut es sich selbst, und wer Böses tut, ladet es sich selber auf.«


[83]
Verletze, wenn du kannst, des andern Seele nicht;
Mit Dornen wirst du sonst auf diesem Pfad dich ritzen.
Den Armen richte du in seiner Trübsal auf,
Denn du wirst einst wie er in Not und Trübsal sitzen.

*


Es waren einst zwei Brüder; der eine lebte im Dienste des Sultans, der andere aß sein Brot durch seiner Hände Arbeit. Einst sagte jener reiche zu dem armen: Warum dienst du nicht dem Sultan, um dich von der Mühseligkeit des Arbeitens zu befreien? Dieser antwortete: Warum arbeitest du nicht, um der Erniedrigung des Dienstes zu entgehen? Die Weisen haben gesagt: Ein bißchen Brot essen und ruhig sitzen ist besser als goldnen Gürtel und Schwert umbinden und im Dienste stehn.


Besser ist's, den heißen Kalk zum Teig mit eignen Händen kneten,
Als die Hände auf der Brust zum Dienste vor den Emir treten.
Wie kleid' ich mich im Winter, was eß ich im Sommer?
So geht das Leben hin in Segen und Verdruß.
Du fauler Bauch, begnüge dich mit einem Brote,
Daß nicht der Rücken sich im Dienste beugen muß.

*


[84] Man brachte Nuschirwan dem Gerechten die frohe Botschaft, daß Gott, der Mächtige und Erhabene, einen seiner Feinde aus der Welt genommen. Hast du gehört, sprach Nuschirwan, daß er mich darin lassen will?


Kann mir der Tod des Feindes Freude geben?
Nicht ewig dauert ach! mein eignes Leben.

*


Eine Versammlung von Weisen unterredete sich an dem Hofe des Kesra über eine wichtige Sache; Busurdschmihr schwieg, und als man ihn fragte, warum er bei dieser Beratung nicht mitspreche, antwortete er: Die Wesire gleichen den Ärzten, der Arzt aber gibt nur den Kranken Arznei; da ich nun sehe, daß ihr mit eurer Meinung auf dem rechten Wege seid, so habe ich keinen Grund dabei mitzusprechen.


Kann etwas ohne mich den Ausgang finden,
So ist es mir nicht ziemend mitzusprechen.
Doch seh' ich bei dem Brunnen einen Blinden,
Dann ist für mich das Schweigen ein Verbrechen.

*


Als dem Harun Al Raschid die Herrschaft Ägyptens übergeben wurde, sagte er: Als Gegensatz zu jenem Tyrannen, der im Stolze über die Herrschaft Ägyptens sich anmaßte, Gott zu sein, schenke ich dieses Reich dem geringsten meiner Sklaven. Er hatte einen Schwarzen von langsamem [85] Verstande, namens Chosseib, dem vertraute er die Herrschaft Ägyptens an. Dieser soll so beschränkt an Verstand und Einsicht gewesen sein, daß, als einst einige ägyptische Landleute sich bei ihm beklagten, die Baumwolle, die sie an dem Ufer des Nils gesäet, sei durch einen unzeitigen Regen zugrunde gegangen; er sagte: Ihr hättet Wolle säen sollen. Ein Einsichtsvoller, welcher dieses hörte, sprach:


Richtete das Erdengut sich nach dem Witze,
Hätte wohl der Tor nur wenig im Besitze;
Doch es wird dem Toren so viel Gut geschenkt,
Daß der Weise nur mit Staunen daran denkt.
Durch Klugheit kommt nicht Glück und Macht,
Dies wird vom Himmel zugebracht.
Oft nennt die Welt in eitelm Trug
Den Weisen dumm, den Narren klug.
Im Elend stirbt der Alchimiste,
Der Dumme findet Gold im Miste.

*


Einem Könige hatte man ein chinesisches Mädchen gebracht; als er einst betrunken war, wollte er sich zu ihr legen, allein sie widersetzte sich. Der König geriet darüber in Zorn und schenkte sie einem seiner schwarzen Sklaven, dessen Oberlippe an dem Vorsprung der Nase vorbeiging und dessen Unterlippe auf den Halskragen herabhing; bei dem Anblick seiner Gestalt wurde selbst die [86] Hexe Sakhr krank, und aus seiner Achselhöhle roch es wie eines Pechquells Gestank.


Wie Josef aller Schönheit Ideal in Ewigkeit,
So schien er selbst das ew'ge Urbild aller Häßlichkeit.
Wie häßlich von Gestalt er war,
Geht über die Beschreibung weit,
Und seine Achselhöhle roch,
O Gott! wie Aas zur Sommerzeit.

Den Neger erfaßte in diesem Augenblick die Leidenschaft, und es überwältigte ihn der Begierde Kraft, und da er von Liebe glühte, raubte er ihre Blüte. Am Morgen suchte der König das Mädchen und fand es nicht; als man ihm sagte, was geschehen war, wurde er zornig und befahl, man solle den Neger mit dem Mädchen an Händen und Füßen fest zusammenbinden und sie von dem Dache des Schlosses in den Graben hinunterwerfen. Ein edelgesinnter unter den Wesiren legte das Angesicht der Fürbitte auf die Erde und sprach: Der arme Neger hat hierin nicht gefehlt, alle deine Diener und Sklaven sind ja an deine königlichen Gaben und Geschenke gewöhnt. Wenn er aber nur eine Nacht gewartet hätte, bevor er sich ihr näherte, erwiderte der König, was wäre es? O Herr, sagte der Wesir, hast du diesen Spruch nie gehört?


Kommst du durstig und erschöpft an eine klare Quelle,
[87]
Kümmerst du dich um des tollen Elefanten Zahn?
Steht der Ketzer hungrig und allein am vollen Tische,
Glaubst du, daß er sich wohl kümmert um den Ramadhan?

Dem Könige gefiel dieses Witzwort, und er sprach: Den Neger schenke ich dir, was soll ich aber mit dem Mädchen machen? Das Mädchen schenke dem Neger, antwortete der Wesir, was er halb gegessen, gehört ihm auch ganz.


Wer sich an unflätigem Orte befunden,
Den wähle dir niemals als Freund und Genossen.
Der Durst'ge begehrt nicht vom lauteren Wasser,
Von dem schon ein stinkender Mund hat genossen.
Die Apfelsine, die im Kot gelegen,
Wird sie des Königs Hand wohl noch berühren?
Der Krug, an dem ein Eitermund getrunken,
Wird den der Durst'ge wohl zum Munde führen?

*


Alexander der Grieche wurde einst gefragt: Durch welches Mittel hast du die Länder des Ostens und Westens erobert, während den frühern Königen, die mehr Schätze und Macht [88] und Jahre und Heere hatten als du, eine solche Eroberung nicht möglich gewesen ist? Er antwortete: In allen Reichen, die ich mit Gottes Hilfe eingenommen, habe ich die Untertanen nie geplagt und von ihren Königen stets nur Gutes gesagt.


Der wird des Namens eines Großen nicht gewürdigt,
Der durch Beschimpfung selbst der Großen Ruf entwürdigt.
Nichts ist dies alles, denn es geht vorüber,
Der Thron, das Glück, die Macht, die Herrlichkeit;
Den guten Ruf der Fortgegangnen ehre,
So bleibt dein guter Ruf in Ewigkeit.

Zweite Abteilung: Von den Gesinnungen der Derwische

[89] [91]Zweite Abteilung:

Von den Gesinnungen der Derwische

[91][93]

Ein Großer fragte einst einen frommen Mann, was er von einem gewissen in Werken der Frömmigkeit eifrigen Manne halte, dem die andern soviel Böses nachsagten; er antwortete: Einen Fehler in seinem Äußern sehe ich nicht, und das Verborgene in seinem Innern kenne ich nicht.


Wen du im Kleid der Frömmigkeit auch sehen magst,
Du mußt für einen guten, frommen Mann ihn halten;
Wenn du auch was in seinem Innern ist nicht weißt,
Es hat der Marktaufseher nichts im Haus zu schalten.

*


Einst sah ich einen Derwisch, der hatte das Haupt auf die Schwelle der Kaba gelegt und das Angesicht auf den Boden gedrückt und seufzte und sprach: O Gnädiger und Erbarmungsreicher, du weißt, was von dem Ungerechten und Unwissenden kommen kann, das deiner würdig wäre.


Für den mangelhaften Dienst bring' ich Entschuld'gung,
Denn auf meine Werke kann ich ach! nicht bauen.
Widerspenst'ge tun für ihre Frevel Buße,
Auf Verzeihung ruht der Wissenden Vertrauen.

[93] Die Werkheiligen verlangen den Lohn ihrer Werke und die Kaufleute den Preis ihrer Ware, ich Armer habe nur Hoffnung mitgebracht, keine Werke, ich bin gekommen zu betteln, nicht zu markten. »Handle mit uns, wie es dir zukommt, tue nicht mit uns, wie es uns zukommt.«


Ob du mich tötest, ob du mir vergebest,
Vom Boden hebt sich nicht mein Angesicht.
Dem Sklaven kömmt nicht zu, daß er gebiete:
Was du befiehlst zu tun ist meine Pflicht.

*

Ich sah einst einen Betenden, der sprach,
Indem er weinend flehte vor der Kaba Haus:
Ich spreche nicht: Nimm meine Werke an,
Mit deiner Feder streiche meine Sünden aus.

*

Abdelkader Gilani hatte in dem heiligen Umkreis der Kaba das Angesicht auf kleine Kiesel gelegt und sprach: O Herr, verzeihe mir; wenn ich aber Strafe verdient habe, so erwecke mich blind am Tage der Auferstehung, damit ich vor den Augen der Guten nicht erröten muß.


Das Antlitz auf dem Staub der Demut, sprach ich
Bei jeder Morgenröte frischem Hauch:
O du der meinem Denken nie entschwindet,
Gedenkest du wohl deines Knechtes auch?

*


Ein Dieb kam in das Haus eines frommen Mannes; so sehr er aber auch suchte, er fand [94] nichts und wurde betrübt. Der fromme Mann, der es merkte, warf den Mantel, auf dem er lag, dem Diebe in den Weg, damit er nicht mit leeren Händen fortgehn mußte.


Ich hörte, daß der wahrhaft Fromme
Den Feinden selbst nie Gram bereitet.
Wann wirst denn du so weit gelangen,
Der mit den Freunden zankt und streitet?

*


Die Liebe der Reinen ist vor den Augen wie hinter dem Rücken gleich, nicht so, daß sie hinter dir sich in Tadel ergehen und vor dir in Liebe vergehen,


Dir gegenüber wie die Schafe zahm,
Von hinten reißend wie die grimm'gen Wölfe.
Wer wohlgefällig andrer Fehler vor dir aufgezählt,
Sei sicher, daß er deine Fehler andern gern erzählt.

*


Einige Reisende waren übereingekommen, eine gemeinsame Wanderung zu unternehmen und sich zu gleicher Mühe und Ruhe zu bequemen. Ich wünschte ihnen beizutreten, allein sie ließen mich nicht zutreten. Da sprach ich: Es ist den edeln Gesinnungen der Großen fremd, ihr Angesicht von der Gesellschaft der Armen abzukehren und ihnen einen Vorteil zu verwehren, [95] denn ich bin mir bewußt, daß ich die Kraft und das Vermögen besitze, im Dienste der Leute ein lustiger Kumpan, nicht ein lästiger Gespan zu sein.


»Kann ich mich nicht auf euren Sattel strecken,
So trag' ich euch doch eure Satteldecken.«

Einer von ihnen erwiderte: Betrübe dich nicht über die Worte, die du gehört hast; in diesen Tagen hat sich nämlich ein Dieb in Gestalt eines Derwisches bei uns eingefunden und an den Faden unserer Gesellschaft angereiht.


Wie kann man wissen, wer in diesem Kleide geht?
Der Schreiber weiß allein, was in dem Briefe steht.

Da die Derwische auf geradem Wege wandeln, war keinem eine Ahnung seiner Bosheit gekommen, und er wurde zum Gefährten angenommen. Doch es ist gesagt worden:


In einer Kutte pflegt der Wissende zu gehen;
Für Menschen ist's genug, die nur das Äußre sehen.
Sei eifrig und zieh' an beliebiges Gewand,
Die Krone auf das Haupt, das goldne Achselband.
Die Frömmigkeit besteht nicht in dem Lumpenkleide;
Bist du nur fromm und rein, so kleide dich in Seide.
[96]
Die Welt mit ihrer Lust und die Begierden fliehn,
Das ist das Frommsein, nicht das Weltkleid auszuziehn.
In Eisenpanzer muß ein tapfrer Mann sich stecken;
Was soll beim Feigen wohl die Kriegsrüstung bezwecken?

Kurz, als wir eines Tages bis in die Nacht gewandert und uns des Nachts am Fuße eines Kastells gelagert, nahm der gottverlassene Dieb das Wassergefäß eines Gefährten, indem er sagte, er gehe zur Abwaschung, er ging aber zur Plünderung.


Seht doch den heil'gen Mann, der eine Kutte trägt,
Der Kaba Tuch hat er dem Esel aufgelegt.

Sobald er den Derwischen aus den Augen war, stieg er in einen Turm des Kastells und stahl ein Schmuckkästchen, und bevor der helle Tag anbrach, hatten ihn in der Finsternis seine Füße schon weit getragen, während seine Gefährten in aller Unschuld im Schlafe lagen. Am Morgen wurden alle in das Schloß geführt und in das Gefängnis geworfen. Seit dieser Zeit haben wir von der Gesellschaft Abschied genommen und uns den Weg der Absonderung vorgenommen, denn »die Sicherheit ist in der Einsamkeit«.


Wenn einer in dem Volke töricht handelt,
So fällt Verachtung gleich auf groß und klein.
[97]
Oft kann ein einz'ger Ochse auf der Weide
Verderber einer ganzen Herde sein.

Ich sagte: Gott, dem Mächtigen und Erhabenen, sei Lob und Dank, daß ich von den Vorzügen der Derwische nicht ausgeschlossen bleibe, wenn ich auch von der Gesellschaft dieser hier getrennt bin; mir ist diese Erzählung von Nutzen gewesen, und wird für meinesgleichen zu jeder Zeit eine gute Lehre sein.


Durch einen nur, der in Gesellschaft ungeschliffen,
Wird des Verständ'gen Herz von Gram und Schmerz ergriffen.
Füllt man mit Rosenwasser einen ganzen Teich
Und fällt ein Hund hinein, zum Kote wird es gleich.

*


Ein heiliger Mann war Gast eines Königs; als man sich zum Essen niedersetzte, aß er weniger, als er Lust hatte, und als man zum Gebete aufstand, betete er länger, als er sonst zu tun pflegte, damit man eine desto größere Meinung von seiner Frömmigkeit haben sollte.


Ich fürchte sehr, o Araber, du kommst nicht zu der Kaba,
Denn dieser Weg, auf dem du gehst, der führt nach Turkestan.

Als er in seine Wohnung zurückkam, verlangte er etwas zu essen; sein Sohn, der einen scharfen Verstand [98] hatte, sagte: O Vater, hast du denn bei dem Gastmahle des Königs nichts gegessen? Vor den Augen jener, antwortete er, habe ich nichts Rechtes gegessen. Dann, erwiderte der Sohn, mußt du auch dein Gebet nachholen, weil du nichts Rechtes gebetet hast.


O der du das Verdienst legst auf die flache Hand,
In das Versteck der Achsel deine Fehler bringest:
Was glaubst du denn, daß an dem Tage des Gerichts,
Betörter, mit dem falschen Gelde du erringest?

*


Ich erinnere mich, daß ich in der Zeit meiner Kindheit mich der Frömmigkeit befliß, die Nächte durchwachte und eifrig nur an Fasten und Kasteiung dachte. Eine Nacht hatte ich in Gegenwart meines Vaters gewacht und die ganze Nacht kein Auge zugemacht; ich hatte das heilige Buch in die Arme gefaßt, alle andern aber lagen um uns her vom Schlafe erfaßt. Da sprach ich zu meinem Vater: Von diesen vermag keiner das Haupt aufzurichten, um ein Gebet zu verrichten; sie liegen in tiefem Schlaf, als wär' es ein Todesschlaf. Mein geliebter Sohn, antwortete mein Vater, du tätest auch besser, dich schlafen zu legen, als deine Zunge zu übler Nachrede zu regen.


[99]
Der Eingebildete sieht nur sich selber,
Der Eigenliebe Schleier deckt sein Auge.
Könnt' er durch Gottes Auge schau'n, er sähe,
Daß unter allen keiner wen'ger tauge.

*


Einen Großen fing man einst in einer Gesellschaft an zu loben, und seine schönen Eigenschaften wurden über alle Gebühr erhoben; er aber richtete sein Haupt auf und sprach: Was ich bin, hab' ich im Sinn.


»Behüte dich der Herr, der du mein Gutes aufzählst;

Mein Äußres ist dies nur, das Inn're kennst du nicht.«
Schön mag wohl mein Äußres scheinen in der Erdbewohner Augen,
Doch ob meines Innern Schmutze senkt das Haupt sich mir vor Gram.
Viel wird wohl der Pfau gepriesen wegen seiner Farben Schimmer,
Doch wie häßlich seine Füße, ach! das sieht er stets mit Scham.

*


Einer von den Frommen des Berges Libanon, durch seine Heiligkeit in den Gegenden Arabiens berühmt und wegen seiner Wundergaben gerühmt, trat einst in die Moschee zu Damaskus und verrichtete seine Waschung am Rande des Wasserbehälters; sein Fuß glitt, und er fiel in den [100] Behälter und konnte nur mit großer Mühe wieder herauskommen. Nachdem das Gebet vollendet war, sprach einer seiner Gefährten zu ihm: Mir macht etwas Schwierigkeit. Was ist es? fragte der Scheich. Ich erinnere mich, sagte jener, daß du auf der Fläche des westlichen Meeres gingest, ohne daß dein Fuß benetzt wurde, und heute bist du in diesem mannshohen Wasser kein Haarbreit von deinem Verderben gewesen; was liegt darin für ein geheimer Grund? Der Scheich senkte sein Haupt in die Falten der Betrachtung, und nach langem Nachdenken sprach er: Hast du nicht gehört, daß der Herr der Welt, Mohammed der Auserwählte, Gottes Gnade und Heil mit ihm! gesagt hat: »Ich habe bei Gott eine Zeit, wo weder ein dienender Engel noch ein abgesandter Prophet es mit mir aufnehmen kann?« Er hat aber nicht gesagt, daß dieses beständig so sei. In einer solchen Zeit wie die, von der er spricht, mochte er sich nicht zu Gabriel und Michael kehren, zu einer andern Zeit aber konnte er mit Hosnah und Zeineb verkehren; denn der »Gnadenstand der Gerechten ist zwischen Erleuchtung und Verdunklung«; bald gefunden, bald verschwunden.


Bald zeigst du dich, bald wird dein Anblick uns verweigert:
So wird dein Preis, so unser Feuer nur gesteigert.
[101]
»Von Angesicht erschau' ich den Geliebten,
Doch bald geschieht's, daß ich den Pfad verliere.
Er zündet an, dann löschet er das Feuer,
Drum siehest du, daß ich bald brenn', bald friere.«
Man fragte den, der seinen Sohn verloren:
Verständ'ger Greis, o du vom Licht erkoren,
Wie rochst aus Misr du seines Hemdes Duft,
Und sahst ihn nicht in Kanaans Brunnengruft?
Dem Blitze gleich, sprach er, der plötzlich funkelt,
So leuchtet es in uns, dann ist's verdunkelt;
Bald sitz' ich in des Himmels hohem Licht,
Bald seh' ich meine eignen Füße nicht.
Wär' immer gleich des Derwischs Geistesleben,
Er würde nicht nach beiden Welten streben.

*


In der Moschee zu Baalbek sprach ich einige Worte der Ermahnung zu einer Versammlung erstarrten Sinnes und erstorbenen Herzens, welche den Weg aus der Welt des Scheins in die des Seins nicht genommen hatte. Ich sah, daß der Hauch meiner Worte sie nicht erfaßte, und daß mein brennendes Feuer ihr nasses Holz nicht ergriff, und es dauerte mich, unvernünftige Tiere zu unterweisen und Blinden einen Spiegel vorzuweisen; doch die Türe meiner Gedanken war aufgebunden und die Kette meiner Worte war abgewunden. In der Erklärung dieses Verses: »Wir [102] sind ihm näher als die Halsader«, war ich in meiner Rede zu einer Stelle gelangt, wo ich sagte:


Der Freund ist näher mir, als ich mir selbst es bin,
Und ich bin von ihm fern: o wundervoll Erbarmen!
Was tu' ich gegen ihn, von dem man sagen kann:
Ich bin von ihm getrennt, er ist in meinen Armen?

Ich ließ in Trunkenheit den Wein dieser Rede überfließen, und wollte den Rest meines Bechers ausgießen, als einer an dem Rande der Versammlung vorüberging, und noch den letzten Wellenschlag meiner Worte auffing; dieser stieß einen solchen Schrei aus, daß die andern gleichfalls in geräuschvolle Bewegung, und die rohen Gemüter der Versammlung in Aufregung gerieten. Ich rief: O großer Gott, nahe sind durch die Erkenntnis die Fernen, und fern sind ohne Einsicht die Nahen!


Wenn der Hörer nicht das Wort versteht,
Fordere nicht vom Redner Kraft und Schärfe.
Bring' ein weites Feld der Lernbegier,
Daß er drauf den Ball der Rede werfe.

*


Eine Nacht in der Wüste von Mekka versagten mir wegen übermäßig langer Schlaflosigkeit die Füße ihren Dienst; ich legte mein Haupt nieder und sprach zu dem Kameltreiber: Lasse mich in Ruhe.


[103]
Genug schon ging des armen Wandrers Fuß,
Selbst das Kamel kann nicht die Last mehr tragen.
Bevor der Fette mager wird, muß schon
Den Magern die Erschöpfung niederschlagen.

Er aber sprach: O Bruder, das Heiligtum ist vor uns und der Räuber ist hinter uns: gehst du, wirst du entgehn, schläfst du, wirst du untergehn.


Süß ist's, unter dem Mugailan sich zur Ruhe zu bequemen
Nachts am Wüstenweg, doch muß man auch vom Leben Abschied nehmen.

*


Ich sah am Ufer des Meeres einen frommen Mann, welcher von einem Tiger verwundet worden war, und durch keine Arznei geheilt werden konnte; lange Zeit lag er daran krank, und von Zeit zu Zeit dankte er dem Herrn und sprach: Gelobt sei Gott, daß mir ein Unfall begegnet ist, nicht eine Untat.


Gibt mich der mächt'ge Freund dem Schmerzenstode hin,
O glaube nicht, daß mich mein armes Leben daure.
Ich frage nur: Was hat dein armer Knecht verübt?
Daß ich dich kränkte, das nur ist's, warum ich traure.

*


[104] Ein Derwisch, der durch die Not gedrängt war, stahl einen Mantel aus dem Hause eines Freundes. Der Richter befahl, die Hand solle ihm abgehauen werden, doch der Herr des Mantels legte Fürbitte für ihn ein und sagte: Ich verzeihe ihm. Der Richter aber entgegnete: Um deiner Fürbitte willen kann ich die Vollziehung des Gesetzes nicht unterlassen. Du hast wahr gesprochen, sagte jener, allein wer von dem Gute einer frommen Stiftung etwas stiehlt, bei dem ist das Handabhauen nicht vom Gesetze verhängt; nun heißt es aber: »Der Fakir besitzt nicht und wird nicht besessen«; alles was den Derwischen gehört, ist eine fromme Stiftung für die Bedürftigen. Der Richter ließ den Dieb los und sagte zu ihm: War denn die Welt für dich so enge geworden, daß du nur eben in dem Hause eines solchen Freundes einen Diebstahl begingest? O Herr, antwortete der Dieb, hast du nie jenes Sprichwort gehört: Das Haus der Freunde kehre aus, aber bei den Feinden kehre nicht ein?


Bist du von Not gedrängt, laß dich nicht niederschlagen:
Den Feinden zieh' die Haut, den Pelz den Freunden ab.

*


Ein König sagte einst zu einem frommen Manne: Denkst du auch jemals an mich? Ja, antwortete er, sooft ich Gottes vergesse.


[105]
Wen Gott von seiner Türe stieß, der schweifet überall umher,
Doch rief ihn Gott zu sich herbei, sucht er niemandes Türe mehr.

*


Ein frommer Mann sah im Traume einen König im Paradiese, und einen Klausner in der Hölle; er fragte: Aus welchem Grunde ist jener erhöht und aus welcher Ursache ist dieser erniedrigt worden? wir hatten gerade das Gegenteil gedacht. Ihm wurde geantwortet: Jener König ist wegen seiner Liebe zu den Derwischen im Paradiese, und dieser Klausner ist wegen seines Umgangs mit den Königen in der Hölle.


Was nützt dir Kutte, Rosenkranz und Kleid von Lappen,
Wenn du dich selber wälzest in des Lasters Pfütze?
Die lämmerwollne Mütze brauchst du nicht zu tragen:
Sei wahrhaft fromm und trage die Tatarenmütze.

*


Ein Fußgänger mit bloßem Haupte und bloßen Füßen zog mit der Hedschaskarawane von Kufa aus und wurde unser Reisegefährte. Er schritt freudig einher und sang:


Ich sitze nicht auf einem Tiere, muß auch des Tieres Last nicht tragen,
[106] Ich bin nicht Herr von Untertanen, muß nicht im Fürstendienst mich plagen,
Ich bin nicht mit des Reichtums Sorgen, nicht mit der Armut Not geschlagen,
Drum kann ich frei und fröhlich atmen, sorglos des Lebens Ziel erjagen.

Einer, der auf einem Kamele ritt, sagte zu ihm: O Derwisch, wo gehst du hin? Kehre um, denn du wirst vor Not umkommen. Doch er hörte nicht darauf, setzte seinen Fuß in die Wüste und ging weiter. Als wir an die Palme Mahmuds kamen, erreichte den Reichen die Todesstunde, und er starb; der Derwisch trat an sein Sterbebett und sprach: Wir starben zu Fuß nicht vor Not, du fandest auf dem Kamele den Tod.


Weinend hatt' bei einem Kranken einer eine Nacht verweilt,
Als der Morgen kam, starb dieser, und der Kranke ward geheilt.
So viele Pferde schnellen Laufes bleiben liegen,
Indes der lahme Esel doch das Ziel erreicht.
So mancher Kräft'ge wird im Erdenstaub begraben,
Indes vom Kranken nicht der Lebensodem weicht.

*


Ein König ließ einen heiligen Mann zu sich rufen; dieser dachte: Ich will eine Arznei nehmen, [107] daß ich schwach werde, vielleicht faßt er eine desto größere Meinung von mir. Man erzählt, die Arznei sei tödlich gewesen, er habe sie eingenommen und sei gestorben.


Er, der als Pistazie lauter Kern geschienen,
Zeigte sich nur wie die Zwiebel, Haut auf Haut.
Wer sich zu Geschöpfen beim Gebet gewendet,
Hat zur Kibla mit dem Rücken nur geschaut.
Will der Mensch zu seinem Gotte flehen,
Muß er außer Gott nichts andres sehen.

*


Eine Karawane wurde in Griechenland von Räubern angegriffen, die ihr zahllose Schätze raubten; die Kaufleute jammerten und flehten, und schrien zu Gott und dem Propheten, aber es half nichts.


Gelang's dem Räuber, Beute zu erjagen,
Was kümmern ihn der Karawane Klagen?

Der weise Lokman war dabei; einer von der Karawane sagte zu ihm: Sprich doch zu ihnen einige Worte der Weisheit und Ermahnung, vielleicht lassen sie uns einen Teil unsrer Güter; es wäre jammerschade, wenn so viele Schätze verlorengingen. Es wäre jammerschade, erwiderte Lokman, Worte der Weisheit zu solchen Leuten zu sprechen.


Ein Eisen, das der Rost zerfressen,
Machst du nicht mit der Feile rein.
[108]
Was nützt's, den Bösen zu ermahnen?
Der Nagel dringt nicht in den Stein.
Zur Zeit des Glücks nimm dich der Betrübten an:
Den Armen wohlzutun, dient Unglück abzuwenden.
O gib, was jammervoll der Flehende verlangt,
Daß nicht ein Mächt'ger es entreiße deinen Händen.

*


So sehr mir auch der Scheich Schemseddin Abulfaradsch Ibn Dschusi der Charesmier die Liebe zur Musik verwies und mich auf die Einsamkeit und Eingezogenheit hinwies, so siegten doch die jugendlichen Triebe und die weltliche Lust und Liebe. Wider Willen handelte ich meinem Lehrer zum Verdruß und fand an Musik und Gesellschaft Genuß; wenn ich mich an den Rat des Scheich erinnerte, sprach ich:


Sitzt der Kadi bei uns, muß er auch der Kunst durch Beifall huldigen,
Trinkt der Stadtvogt Wein, so wird er auch den Trunknen gern entschuldigen.
Bis ich mich eine Nacht in einer Versammlung einfand, in deren Mitte ich einen Musiker fand,
Herzzerreißend war der Stimme jammervoller Ton,
Ärger heult nicht bei des lieben Vaters Tod der Sohn.

[109] So daß die Genossen den Finger bald vor seiner Musik in das Ohr steckten, bald, damit er schwiege, auf die Lippen deckten.


»Gern hört man auf der Sänger schöne Stimme;
Bei dir, o Sänger, ist das Schweigen schön.«
Glaubst du denn, daß einem dein Gesang gefalle?
Dann nur, wenn du schweigst und fortgehst, freu'n sich alle.
Als dieses Musikanten Zitherspiel ertönte:
Um Gottes willen, sprach ich zu dem Wirt, ich flehe,
Verschließ' und stopfe mir das Ohr, daß ich nichts höre,
Wo nicht, so öffne mir die Türe, daß ich gehe.

Doch ich mochte meiner Freunde Sinn nicht widerstreben, und mußte eine Nacht bis zum Tage in dieser Qual verleben.


Zur rechten Zeit rief nicht die Stunde der Mueddhin,
Er wußte nicht, wieviel vergangen von der Nacht;
Bei meinen Augenlidern konntest du's erfahren,
Sie hatte keinen Schlaf ins Auge mir gebracht.

Am frühen Morgen löste ich vom Kopfe den Turban und vom Gürtel das Gold, und legte es vor den Musiker als Ehrensold; dann umarmte ich ihn [110] mit Inbrunst, und versicherte ihn meines Dankes und meiner Gunst. Die Freunde sahen mit Erstaunen meine ganz ungewöhnliche Huld, sie lachten heimlich darüber und gaben der Leichtfertigkeit meines Geistes die Schuld; einer von ihnen aber fing an, die Zunge des Tadels auszustrecken und mir seine Mißbilligung aufzudecken. Du hast dich, sagte er, nicht als einen verständigen Mann gezeigt, daß du den ehrwürdigen Schmuck der Scheiche diesem Musikanten gereicht, der in seinem ganzen Leben keinen Dirhem in die Hand genommen, und kein Goldspänchen auf die Trommel bekommen.


Ein Musikant, weit geh' er von hier fort!
Nicht zweimal sieht man ihn an einem Ort.
Wahr ist es, wird nur seine Stimme laut,
So schaudert jedem auch sogleich die Haut;
Der Vogel flieht erschreckt des Hauses Pfähle;
Das Hirn zerreißt er uns und sich die Kehle.

Ich rate dir, erwiderte ich, die Zunge des Tadels einzuziehn, denn die Wunderkraft dieses Mannes ist mir offenbar geworden. Laß mich wissen, sagte er, wie es sich damit verhält, damit wir alle ihm unsre Gunst schenken, und ihn bitten, der Scherze die wir uns erlaubt haben, nicht zu gedenken. Die Ursache ist, antwortete ich, weil mich der ehrwürdige Scheich, Gott heilige sein Grab! oftmals der Musik zu entsagen ermahnt und mich vielfach darüber vermahnt hatte, ich hatte aber seine Vorstellungen [111] nie mit geneigtem Ohre aufgenommen, bis diese Nacht mich ein gesegnetes Gestirn und ein glückbringendes Geschick an diesen Ort geführt hat, wo ich durch diesen Musikanten dazu gebracht worden bin, Reue zu empfinden, und den Entschluß gefaßt habe, mich ein andermal bei Musik und Gesellschaft nicht mehr einzufinden.


Die schöne Stimme, die aus süßem Mund ertönt,
Ob rhythmisch oder nicht, sie muß das Herz verführen.
Doch Töne von Aschak, Sefahan und Hedschas
Aus widerlicher Gurgel können mich nicht rühren.

Lokman wurde gefragt: Von wem hast du das gute Betragen gelernt? Von denen, die sich schlecht betrugen, antwortete er; was ich Mißfälliges bei ihnen bemerkte, dessen enthielt ich mich.


Das kleinste Wort, das man im Scherz gesprochen,
Es kann dem Weisen doch Belehrung bringen.
Dem Toren lese hundert Weisheitssprüche,
Als Scherz nur wird's zu seinem Ohre dringen.

*


Man erzählt von einem Werkheiligen, der in einer Nacht zehn Pfund Speise verzehrte und bis zum Sonnenaufgang einen ganzen Koran durchbetete. [112] Ein Einsichtsvoller, der dieses hörte, sprach: Wenn er ein halbes Brot äße und schliefe, wäre es weit besser.


Leer von Speise muß dein Magen sein,
Soll dir glänzen der Erkenntnis Licht.
Darum ist dein Geist an Weisheit leer,
Weil vom Fette glänzt dein Angesicht.

*


Das göttliche Erbarmen erleuchtete mit der Fackel der Gnade den Pfad eines in Sünden Verirrten, daß er in den Kreis der Wahrheitsforscher eintrat, und durch den Segen der Gesellschaft der Derwische und den aufrichtigen Ernst ihrer Worte seinen tadelnswerten Lebenswandel in einen lobenswerten verwandelte, und seine Hand von den Lüsten und Begierden der Welt abzog; doch die Zunge der Schmähsüchtigen streckte sich gegen ihn aus, und sie sagten, er sei dennoch immer seinen frühern Gewohnheiten dahingegeben, und auf seine Frömmigkeit und Tugend dürfe man sich nicht verlassen.


Durch Buße kann man Gottes Strafe fliehn,
Allein der Menschen Zunge flieht man nicht.

Er vermochte diese ungerechten Verleumdungen nicht zu ertragen, und klagte darüber bei dem Vorsteher des Ordens; der Scheich weinte und sprach: Wie kannst du Gott genug für die Huldgabe danken, daß du besser bist, als man von dir hält.


[113]
Du klagst: »Stets sind Böswillige bemüht,
Auf Rüg' und Tadel über mich zu sinnen;
Bald steh'n sie auf und zielen auf mein Blut,
Bald sitzen sie mir Böses anzuspinnen.«
Sei gut und laß sie reden: besser ist's,
Als wärst du schlecht und würdest Lob gewinnen.

Sieh doch mich an, mir legt die gute Meinung aller Vollkommenheit bei, und doch bin ich durch und durch voll Unvollkommenheit.


Würd' ich nach meinen Reden handeln,
So würd' ich fromm und lauter wandeln.
»Wenn ich mich auch vor meines Nachbars Blick verstecke,
So weiß doch Gott, was ich enthüll' und was verdecke.«
Vor den Leuten bin ich eingeschlossen,
Daß sie meine Fehler nicht erzählen;
Doch wozu verschlossen? Dem Allkund'gen
Kann ich das Geheimste nicht verhehlen.

*


Ich beklagte mich bei einem der Scheiche, daß jemand etwas Ungeziemendes vom mir ausgesagt habe. Er erwiderte: Beschäme ihn durch deine Tugend.


Wandle recht, so daß kein schlechter Mann
Irgend Böses von dir sagen kann.
Wenn die Zither rechte Stimmung hält,
Zieht der Spieler nicht die Saiten an.

*


[114] Einer von den Scheichen in Damaskus wurde gefragt, was denn das wahre Wesen der Sufi sei? Er antwortete: Ehedem war es eine Menschenklasse, in der Welt zerstreut, aber in Wirklichkeit gesammelt; jetzt sind es Leute, äußerlich gesammelt, aber innerlich zerstreut.


Wenn immerfort dein Herz bald da, bald dorthin schweifet,
Bist du in Einsamkeit nicht heilig und nicht rein:
Doch hast du Reichtum, Rang und Ackerland und Handel,
Ist nur dein Herz bei Gott, so wohnst du doch allein.

*


Ich erinnere mich, daß, als ich einst mit einer Karawane die ganze Nacht hindurch fortgezogen war, und wir am frühen Morgen am Saume eines Waldes der Ruhe pflogen, ein Liebetoller, der auf dieser Reise unser Gefährte war, ein Geschrei erhob und in die Wüste lief und sich nicht einen Augenblick der Ruhe hingab. Als es Tag geworden war, fragte ich ihn nach dem Grunde seiner Verzückung. Er antwortete: Ich hörte die Stimme der Nachtigallen von den Bäumen und der Rebhühner von den Bergen und der Frösche aus dem Wasser und der Tiere aus dem Walde ertönen; da bedachte ich, daß es eines Menschen nicht würdig sei, während alle Wesen sich zum Preise Gottes [115] regen, sich gedankenlos zum Schlafe niederzulegen.


Es sang ein Vogel so am vor'gen Morgen,
Daß ich Besinnung und Verstand verlor.
Von ungefähr drang dem vertrauten Freunde
Mein liebetrunknes Schreien an das Ohr.
Er sprach: Kann ich es glauben? bringt die Stimme
Des Vogels die Verzückung dir hervor?
Nicht ziemt's dem Menschen, sprach ich, daß er schweige,
Indes dem Herrn lobsingt der Vögel Chor.

*


Einst waren auf der Reise nach Hedschas einige einsichtsvolle Jünglinge meine Genossen und Reisegefährten, die von Zeit zu Zeit leise etwas summten und einige mystische Verse sprachen. Ein Werkheiliger machte die Reise mit uns, der für die Verzückung der Derwische keinen Sinn und von ihrer Pein keinen Begriff hatte. Als wir an die Palmen der Söhne Helal gelangten, kam ein kleiner Negerknabe aus einem Zeltlager der Araber heraus und ließ eine Stimme ertönen, welche die Vögel aus der Luft herabzog. Da sah ich, wie das Kamel des Werkheiligen anfing, den Boden zu stampfen, dann seinen Herrn abwarf und der Wüste zulief. O Scheich, sprach ich, auf das Tier hat es Eindruck gemacht, und auf dich macht es keinen Eindruck?


[116]
Weißt du, was zu mir ertönet aus der Nachtigallen Munde?
Bist du denn ein Mensch und hast doch von der Liebe keine Kunde?
Da, wo das Kamel entzückt ist von des Arabers Gesange,
Wenn du kalt bleibst, o geboren bist du nicht zur rechten Stunde.
Wo das Kamel sogar Lust und Vergnügen findet,
Da ist der Mensch ein Esel, wenn er nichts empfindet.
»Wenn des frischen Windes Kühle über Feld und Garten wehet,
Neigen sich der Bäume Zweige, nicht des Felsens harter Stein.«
Zu seinem Lobe reget sich alles, was wir sehn;
Wer Ohren hat zu hören, kann was es heißt verstehn.
Nicht loben ihn auf Rosen allein der Vögel Weisen,
Denn jedes Dornes Zunge bewegt sich ihn zu preisen.

*


Ein König fühlte das Ende seines Lebens herannahen; da er keinen Nachfolger hatte, so verordnete er durch sein Testament, daß man dem ersten, der am frühen Morgen zum Stadttore hereinkäme, die Königskrone auf das Haupt setzen und die Regierung in die Hand geben solle. Zufällig [117] war der erste, der hereinkam, ein Bettler, der sein ganzes Leben Bissen um Bissen zusammengesucht und Lappen auf Lappen zusammengeflickt hatte. Die Großen des Reiches und die Vornehmen des Hofes vollzogen das Testament des Königs und überlieferten ihm Reich und Schätze. Der Derwisch regierte eine Zeitlang das Königreich, bis einige der Emire des Reiches ihren Hals dem Joche des Gehorsams entzogen, und die Könige der umliegenden Länder sich von allen Seiten zum Kriege erhoben und ihre Heere zum Kampfe rüsteten; kurz, Soldaten und Untertanen wurden aufrührerisch und ein Teil der Provinzen machte sich von seiner Herrschaft los. Der Derwisch war über diese Ereignisse in Sorge und Unruhe, als einer seiner frühern Freunde, der in der Armut sein Gefährte gewesen war, von der Reise zurückkam. Als dieser ihn zu einer so hohen Stufe emporgestiegen sah, rief er aus: Dank sei Gott, dem Mächtigen und Erhabenen, daß das hohe Glück dir geholfen und das große Heil dich geleitet, so daß deine Rose aus dem Dorn und dein Dorn aus dem Fuße gegangen, und du auf diese Stufe gelangt bist; wie der Araber sagt: »Bei dem Schweren Leichtes.«


Entfaltet ist die Blume bald, und bald verwelkt zu Staub,
Der Baum ist nackt zu einer Zeit und dann bedeckt mit Laub.

[118] O Bruder, entgegnete jener, bezeige mir dein Beileid, denn zum Glückwünschen ist es der Ort nicht; damals, als du mich sahest, kümmerte ich mich um ein Brot, jetzt macht mir eine Welt Kummer und Not.


Haben wir kein Gut der Welt, so quält uns das Verlangen,
Haben wir's, ist unser Fuß in seiner Lust gefangen.
Unruhvoller ist doch nichts als der Genuß der Welt:
Ob man ihn besitzt, ob nicht, gleichwohl ist man gequält.
Suchst du Glück und Reichtum, o so strebe nur
Nach Genügsamkeit, der besten aller Haben.
Schüttet auch der Reiche Gold in Haufen aus,
Glaube nicht, er werd' an Lohn sich einst erlaben.
Oft schon hört' ich von den Weisen, daß Geduld
Eines Armen besser als des Reichen Gaben.
Nicht so viel ist's, wenn dir Behram einen Onager gebraten,
Als wenn die Ameis' auf einen Heuschreckfuß dich eingeladen.

*


Jemand hatte einen Freund, der ein Amt im Diwan verwaltete; er hatte zufällig während einiger Zeit keine Gelegenheit gehabt ihn zu [119] sehn, da sagte jemand: Es ist lange her, daß du deinen Freund nicht gesehn hast. Ich will ihn gar nicht sehn, antwortete er. Einer von den Leuten jenes Freundes, der eben zugegen war, fragte: Welchen Fehler hat er denn begangen, daß du ihn zu sehen überdrüssig bist? Nicht wegen eines Fehlers ist es, antwortete er, aber einen Freund, der im Diwan sitzt, kann man lange genug sehn, wenn er abgesetzt ist.


In Größe, wicht'gem Amt und hohem Rang,
Vermeiden sie wohl der Bekannten Haus;
Doch kömmt das Unglück und die Absetzung,
Den Freunden schütten sie den Kummer aus.

*


Abu Horeirah, der Gottgefällige, kam jeden Tag dem Auserwählten, Gottes Gnade und Friede mit ihm! seine Aufwartung zu machen. Einst sagte dieser zu ihm: »O Abu Horeirah, besuche mich weniger, daß die Liebe sich mehre.«

Zu einem Einsichtsvollen sagte man: So schön auch die Sonne ist, haben wir doch nie gehört, daß jemand sie zur Freundin genommen oder Liebe für sie gefühlt habe. Die Ursache ist, antwortete er, weil man sie jeden Tag sehen kann, nur im Winter ist sie verhüllt und geliebt.


Leute zu besuchen ist kein Fehler,
Doch soviel nicht, bis man sagt: Halt' ein!
Wußtest du dich selbst zurechtzuweisen,
Wirst du andrer Rüg' enthoben sein.

*


[120] Als ich einst der Gesellschaft meiner Freunde in Damaskus überdrüssig geworden war, begab ich mich in die Wüste von Jerusalem und nahm die Tiere zu Genossen; ich geriet aber zuletzt in die Gefangenschaft der Franken, und wurde in einem Graben von Tripolis mit den Juden zur Erdarbeit angehalten, bis ein vornehmer Mann von Haleb, mit dem ich früher bekannt gewesen war, vorbeikam, mich erkannte und ausrief: In welchem Zustande sehe ich dich? wie bringst du dein Leben zu? Ich antwortete:


Ich floh vor den Menschen in Berge und Wald,
Auf Gott nur allein die Gedanken zu stellen.
Was jetzt mir im Sinne, das denkst du dir bald,
Wo ich mich zu Nichtmenschen mußte gesellen.
Besser ist's, vor Freunden stehn in Banden,
Als im Garten gehn mit Unbekannten.

Er wurde durch meine Lage zum Mitleide bewegt, kaufte mich für zehn Dinare aus den Ketten der Franken los und führte mich mit sich nach Haleb. Er hatte eine Tochter, diese gab er mir zur Frau mit einer Morgengabe von hundert Dinaren. Nach Verlauf einiger Zeit zeigte sich die Tochter böswillig, eigensinnig und widerspenstig, sie fing an ihrer Zunge freien Lauf zu lassen und mir das Leben zu verbittern, denn mit Recht hat man gesagt:


Hat ein guter Mann im Haus' ein böses Weib,
Brennt er in der Hölle bei lebend'gem Leib.
[121]
Von der bösen Sieben halte fern die Hände!
»O daß Gott die Feuerstrafe von uns wende!«

Indem sie einst ihre schmähsüchtige Zunge gehn ließ, sagte sie: Du bist ein nichtsnutziger Mensch, mein Vater hat dich für zehn Dinare von den Franken losgekauft. Wohl, antwortete ich, hat er mich für zehn Dinare losgekauft, aber für hundert Dinare hat er mich dir zum Gefangenen gegeben.


Ich hörte, daß ein Starker auf der Weide
Ein Lamm einst aus des Wolfes Klau'n befreite.
Drauf bohrt' er ihm das Messer in die Kehle,
Und schwindend seufzte noch des Lammes Seele:
Du wehrtest zwar dem Wolfe mich zu morden,
Doch seh' ich, du bist selbst mein Wolf geworden.

*


Ein König fragte einen heiligen Mann: Wie bringst du denn deine liebe Zeit zu? Er antwortete: Die ganze Nacht mit Andachtsübungen, die Frühe mit Bitten und Gebet, und den ganzen Tag mit der Sorge für die täglichen Bedürfnisse. Der König ließ ihm eine bestimmte Summe zum Lebensunterhalt anweisen, damit die Last der Familie von seinem Herzen genommen würde.


Wenn dich Familienbande fest umstricken,
So darf dein Geist nicht mehr nach Freiheit blicken:
[122]
Die Sorg' um Kinder, Kleider, Nahrung, Geld,
Zieht dich zurück vom Weg zur Geisterwelt.
Den ganzen Tag hab' ich mir vorbedacht,
Mit Gott nur umzugehn die ganze Nacht,
Allein beim Beten kann ich nie vergessen:
Was werden meine Kinder morgen essen?

*


Ein heiliger Mann von Damaskus pflog viele Jahre der Andacht in einem Walde und aß Baumblätter. Der König jenes Landes stattete ihm einen Besuch ab und sprach: Wenn du es für gut findest, so wollen wir in der Stadt einen Ort für dich einrichten, wo du leichter und besser als hier deinen Andachtsübungen obliegen kannst, und wo die andern auch von den Segnungen deiner Worte Nutzen ziehn und deine frommen Werke zum Vorbild nehmen können. Der heilige Mann wollte diesen Vorschlag nicht annehmen, aber die Großen des Hofes sprachen zu ihm: Um die gute Absicht des Königs anzuerkennen, ist es ratsam, daß du einige Tage in die Stadt kommest; wenn du dich dann in deinen heiligen Übungen durch die Gesellschaft Fremder gestört findest, so bleibt dir immer die freie Wahl. Der heilige Mann kam, wie man erzählt, in die Stadt, und ein dem Könige gehörendes Gartenhaus wurde für ihn eingerichtet, ein herzentzückender, geisterquickender Ort.


Die roten Rosen sah man wie der Schönen Wangen,
[123]
Wie der Geliebten Locken Hyazinthen prangen,
Noch schauernd von dem Frühlingsfrost die jungen Sprossen,
Wie Kinder, die der Amme Milch noch nicht genossen.
»Granaten unter Baumesblüten
Wie Feuer an den Zweigen glühten.«
Der König schickte ihm alsbald ein schönes Mädchen,
Ein Mond, der Heil'ge leitete zur Schuld,
Mit Pfauenschmuck, den Engeln gleich an Huld,
Daß, wenn ein frommer Mann sie je gesehen,
Nicht Ruh' mehr für ihn war und nicht Geduld.
Und ebenso nachher einen Knaben von wunderbarer Schönheit und lieblicher Wohlgestalt.
»Man schmachtete vor Durst an dieses Schenken Seite,
Er zeigte nur von fern des Bechers Hochgenuß.«
Von seinem Anblick war das Auge nie ersättigt,
Wie Wassersücht'ge nicht ersättigt Euphrats Fluß.

Der heilige Mann fing an, süße Bissen zu essen und feine Kleider anzuziehn, an Früchten und Wohlgerüchen Lust und Genuß zu finden, und auf die Schönheit des Knabens und des Mädchens [124] mit Wohlgefallen zu blicken. Die Verständigen haben aber gesagt: Die Locke der Schönen ist eine Fußkette für den Verstand und ein Netz für den flüchtigen Vogel.


Um deinetwillen gab ich Herz und Glauben und Verstand,
Der flücht'ge Vogel bin ich in der Tat und du das Netz.
Kurz, die glückliche Zeit seiner andächtigen Ruhe schwand dahin, wie der Spruch sagt:
Gelehrte, Heil'ge, Scheiche und Novizen,
Und die vom Predigtstuhl die Stimm' erheben:
Wenn sie sich in die Welt herabgelassen,
Sie bleiben wie die Flieg' am Honig kleben.

Einst wünschte der König ihn zu sehen; er fand den heiligen Mann in ganz veränderter Gestalt: er war weiß und rot und dick und fett geworden, und lag auf einem seidenen Ruhekissen ausgestreckt, und der Knabe von Perigestalt mit einem Fächer von Pfauenfedern stand zu seinem Haupte. Der König freute sich über sein Wohlbefinden und besprach sich mit ihm über allerlei, bis er zuletzt sagte: Für zwei Menschenklassen habe ich besondere Freundschaft, die Gelehrten und die, welche frommen Werken obliegen. O König, sprach ein philosophischer, welterfahrener Wesir, der zugegen war, die Freundschaft erfordert, daß du beiden Klassen Gutes tust: den Gelehrten gib[125] Gold, damit sie noch mehr lernen, den Frommen gib keines, damit sie fromm bleiben.


Nicht Silber und nicht Gold gebührt dem Frommen;
Nimmt er es an, laß einen andern kommen.
Wer frommen Wandel führt und lebt im Gottvertrauen,
Ist Mönch auch ohne Stiftungsbrot und Bettelbissen;
Ist herzentzückend einer Schönen Ohr und Finger,
Wird man daran nicht Ohr- und Siegelring vermissen.
Der Derwisch klugen Sinns und frommen Wandels
Braucht Bettelbissen nicht und Klosterbrot;
Die Dame schön von Wuchs mit edlem Antlitz
Braucht Ringe nicht und Schminke schwarz und rot.
Hab' ich und bin auf mehr erpicht,
So nenne man mich Heil'ger nicht.

*


Damit stimmt folgende Erzählung überein: Ein König hatte ein wichtiges Geschäft vor; er gelobte, wenn der Erfolg seinem Wunsche entspräche, soundso viel Geldstücke den heiligen Männern zu geben. Als sein Wunsch in Erfüllung gegangen war, mußte er die Verpflichtung, die er durch das Gelübde auf sich genommen hatte, [126] lösen; er gab daher einem seiner vertrauten Sklaven einen Beutel voll Direms, die er unter die heiligen Männer austeilen sollte. Der Jüngling, so wird erzählt, der klug und verständig war, trieb sich den ganzen Tag herum und kam abends wieder, küßte das Geld und legte es vor den König und sprach: Ich habe keine heiligen Männer gefunden. Was ist das für ein Märchen? sagte der König; soviel ich weiß, sind vierhundert heilige Männer in dieser Stadt. O Herr der Welt, entgegnete jener, wer ein heiliger Mann ist, nimmt nichts, und wer etwas nimmt, ist kein heiliger Mann. Der König lachte und sprach zu seinen Vertrauten: Soviel ich für diese Klasse der Gottesmänner Wohlwollen und Zuneigung habe, soviel hat dieser Laffe Feindschaft und Abneigung, und noch dazu hat er recht.


Sucht ein Frommer Silber oder Gold,
O so sei du einem Frommern hold.

*


Man fragte einst einen Mann von gründlicher Gelehrsamkeit, was er von dem Stiftungsbrote halte? Er antwortete: Wenn man es um der Sammlung des Geistes und der Muße zur Andacht willen nimmt, ist es recht; wenn man sich aber um des Brotes willen sammelt und müßig geht, ist es unrecht.


Das Brot ergreifen Fromme um der Andacht willen,
[127]
Nicht nehmen sie die Andacht sich mit Brot zu füllen.

*


Ein Derwisch kam auf der Reise in ein Haus, dessen Besitzer ein edelgesinnter Mann war und mehrere Leute von Talent und Redefertigkeit in seiner Gesellschaft hatte, von denen ein jeder, nach der Sitte geistreicher Männer, etwas Witziges und Spaßhaftes zum besten gab. Der Derwisch hatte einen weiten Weg in der Wüste zurückgelegt; er war ermüdet und hungrig. Einer aus der Gesellschaft sprach fröhlich zu ihm: Willst du uns nicht auch etwas sagen? Ich besitze nicht, antwortete der Derwisch, wie die andern Talent und Redefertigkeit, und habe auch nichts gelernt, begnügt euch also mit einem einzigen Verspaare. Neugierig und wohlwollend riefen alle: Sprich. Er sprach:


Verhungert steh' ich da, den Tisch von fern zu schauen,
Wie an des Bades Tür' der Junggesell die Frauen.

Alle lachten und ließen ihm Speise vorsetzen. Freund, sagte der Wirt, warte noch ein Weilchen, daß dir meine Mägde Gehacktes bereiten. Der Derwisch hob den Kopf auf und sprach:


Auf meinem Tische braucht es wahrlich kein Gehacktes;
Für den Gehackten ist das trockne Brot Gehacktes.

*


[128] Ein Novize sagte zu einem Scheich: Was soll ich tun? Die Leute quälen mich durch die Menge ihrer Besuche, und sie stören und beunruhigen meine kostbaren Stunden durch ihr Ein- und Auslaufen. Der Alte antwortete: Leihe denen, welche arm sind, und verlange etwas von denen, welche reich sind, so werden sie nicht mehr zu dir kommen.


Gingen vor des Islams Heere Bettler her,
Wahrlich, der Ungläub'ge flöhe bis nach China.

*


Ein Rechtsgelehrter sprach zu seinem Vater: Keine von den rührenden Reden der Prediger macht Eindruck auf mich, weil ich nicht sehe, daß ihre Handlungen ihren Worten entsprechen.


Die Leute lehren sie der Welt entsagen,
Indes sie Geld und Korn zusammentragen.
Ein Weiser, der auf Reden sich beschränkt,
Der glaube nicht, daß er die Herzen lenkt.
Ein Weiser ist, wer immer weise wandelt,
Nicht wer nur spricht und nach dem Wort nicht handelt.
Gott spricht: »Wollt ihr denn die Menschen zur Frömmigkeit ermahnen und euch selber vergessen?«
Wer nur strebt, dem Leib Genüsse zu bereiten,
Der ist selbst verirrt, wie kann er andre leiten?

Der Vater erwiderte: O mein Sohn, bloß um dieser eiteln Einbildung willen ziemt es dir nicht, [129] das Angesicht von den Belehrungen der Prediger abzuwenden und in Eitelkeit dahin zu leben, und indem du einen tadellosen Weisen suchst, von den Vorteilen der Weisheit ausgeschlossen zu bleiben; sonst gleichst du jenem Blinden, der nachts in eine Pfütze fiel und rief: O Muselmänner, bringt doch ein Licht her auf meinen Weg! Ein liederliches Weib, welches dies hörte, sprach: Du kannst das Licht nicht sehen, was willst du denn mit dem Lichte sehen? Eine Predigtversammlung ist eine Krämerbude; wenn du hier kein Geld gibst, so kannst du keine Ware forttragen, und wenn du dort keine Lernbegierde mitbringst, kannst du keinen guten Erfolg davontragen.


Gleicht auch des Weisen Tat dem Worte nicht,
Laß nicht von seinem Wort zurück dich schrecken.
Voll eitler Anmaßung ist's, wenn du fragst,
Wie denn ein Schläfer soll den Schläfer wecken?
Der Mann nimmt überall den guten Rat,
Sollt' er geschrieben nur die Mauer decken.

*

Ein Kund'ger trat einst aus dem Kloster in die Schule,
Zerriß den Umgang, den mit Mönchen er gepflogen.
Ich sprach: Sind Heil'ger und Gelehrter so verschieden,
[130]
Daß diesen du so sehr dem andern vorgezogen?
O, sprach er, jener rettet nur den eignen Mantel,
Doch dieser zieht auch den Ertrunknen aus den Wogen.

*

Einer lag an einer Straßenecke betrunken, und die Zügel des freien Willens waren seiner Hand entsunken; ein heiliger Mann, der vorüberging, bemerkte ihn zufällig und betrachtete seinen schmachvollen Zustand mißfällig, als jener den Kopf aufhob und sprach: »Und wenn sie bei Häßlichem vorbeigehn, gehn sie mit edelm Sinn vorbei.«


»Siehst du den Sünder sich vergehn,
Mußt du mit Nachsicht auf ihn sehn,
Und tadelst du auch sein Versehn,
Mit edlem Sinn vorübergehn.«
O wende dich nicht von dem Sünder ab,
Voll Nachsicht wirf den Blick zu mir hinüber.
Bin ich auch edel nicht in meinem Tun,
Geh' du als Edler doch an mir vorüber.

*


Ein Haufen Taugenichtse kamen heraus, um einen Derwisch zu schmähen; sie führten unziemende Reden, schlugen und schimpften ihn. Er klagte es dem Vorsteher des Ordens und erzählte, was ihm zugestoßen war. O mein Sohn, erwiderte dieser, die Kutte der Derwische ist das [131] Kleid der Ergebung; wer in diesem Rocke das Unerwünschte nicht zu ertragen weiß, ist ein Heuchler, kein Derwisch.


Die weite Meeresfläche wird nicht durch den Stein getrübt:
Der Fromme, der die Kränkung fühlt, ist noch ein seichtes Wasser.
Wenn dich ein Schaden trifft, ertrag ihn ruhig,
Damit du nicht der Schuld zum Raube werdest.
O Bruder, da ja doch dein Ende Staub ist,
Sei Staub, bevor du noch zum Staube werdest.

*

In Bagdad, hört es, in vergang'ner Zeit,
Entstand einst zwischen Fahn' und Vorhang Streit.
Mit Staub bedeckt, vom Ritte ganz zerschlagen,
Begann die Fahne vorwurfsvoll zu klagen:
Wir sind dem einen Herrn doch untertan,
Gehören einem Hof als Diener an;
Ich muß mich ohne Rast im Dienste regen,
Zur Zeit und Unzeit hin auf allen Wegen;
Du kennst die Mühsal nicht, nicht Schlacht und Raub,
Weißt nichts von Wüstenwind und Sand und Staub,
Ich geh' voran in Müh' und Kampf und Wehre,
Warum genießest du die größre Ehre?
Bei mondesgleichen Knaben wohnest du,
[132]
Lebst in der Mädchen Jasminduft in Ruh;
Ich bin bei der Soldaten wildem Trosse,
Und wirbelnd hebt mein Haupt sich auf dem Rosse.
Mein Haupt, sprach jener, ist im Staub gebeugt,
Indes das deine stolz zum Himmel steigt.
Wer eitel strebt den Hals emporzurecken,
Muß mit gebroch'nem Hals sich niederstrecken.

*

Ein Einsichtsvoller sah einen Mann von großer Leibesstärke, der so ergrimmt und zornig war, daß ihm Schaum aus dem Munde floß. Was ist diesem geschehn? fragte er. Jemand antwortete ihm: Es hat ihm einer ein Schimpfwort gesagt. Wie, sagte er, dieser erbärmliche Mensch kann einen Stein von tausend Pfunden tragen, und die Last eines Wortes kann er nicht ertragen?


Hör' auf, der Fausteskraft und Mannheit dich zu rühmen,
Ohnmächt'gen Geistes du, soll Mann soll Weib ich sagen?
Du mußt, wenn du's vermagst, der andern Mund versüßen,
Nicht männlich ist's, den Mund mit deiner Faust zu schlagen.
Zerriß er auch des Elefanten Stirn,
Ein Mann ist nicht, wer Mannessinn nicht hat.
Die Adamssöhne sind aus Staub geformt:
Ist Adamssohn, wer Staubessinn nicht hat?

*


[133] Einen Großen fragte man über das Verhalten der treuen Freunde; er antwortete: Das Geringste ist, daß sie den Wunsch ihrer Freunde ihrem eignen Nutzen vorziehen, denn die Weisen haben gesagt: Der Bruder, der nur sein eigner Freund ist, ist weder Bruder noch Freund.


Dein Weggefährte ist nicht der, der auf dem Wege treibt und drängt;
Nicht hänge du dein Herz an den, der nicht an dich sein Herz gehängt.
Weiß der Verwandte nichts von gottesfürcht'gem Leben,
Ist's besser, der Verwandtschaft Pflichten aufzuheben.

Ich erinnere mich, daß ein Anmaßender mir wegen dieser letztern Verse widersprach, und sagte: Gott, der Mächtige und Erhabene, hat in seinem heiligen Buche das Aufheben der Verwandtschaftspflichten verboten und die Liebe zu den Verwandten befohlen; was du aber sagst, widerspricht diesem. Du bist im Irrtum, antwortete ich, es stimmt mit dem Koran überein, denn Gott sagt: »Wenn die Eltern in dich dringen, daß du mir beigesellest, wen du nicht kennst, gehorche ihnen nicht.«


Der Verwandten Tausende Gott fremd und unbekannt,
Opfre einem Gottbekannten, der dir nicht verwandt.

*

[134]
In Bagdad hatt' ein guter Alter eben
Die Tochter einem Schustersmann gegeben.
Das harte Männlein biß in Liebeswut
Der Tochter Lippe grausam bis aufs Blut.
Als dies der Vater sah am andern Tage,
Kam er zum Schwiegersohne mit der Frage:
Was kaust, Elender, du mit deinem Zahn?
Du siehst die Lippe wohl als Leder an?
Dies sei dir nicht gesagt bloß um zu scherzen!
Laß nur den Scherz und nimm den Ernst zu Herzen:
Sitzt in der Seel' einmal die Bosheit fest,
Verläßt sie nur am Todestag ihr Nest.

*

Ein Gelehrter hatte eine über alle Maßen häßliche Tochter, welche längst mannbar war; aber ungeachtet ihrer Mitgift und ihres Reichtums, zeigte sich doch niemand geneigt, sie zu heiraten.


Häßlich ist schimmernder Goldstoff und Seide,
Ist eine häßliche Braut in dem Kleide.

Endlich ließ man sie notgedrungen mit einem Blinden den Ehebund schließen. Man erzählt, daß in dieser Zeit ein Arzt aus Serendib ankam, welcher den Blinden die Augen zu öffnen verstand. Als man den Gelehrten fragte, warum er seinen Schwiegersohn diesem Arzte nicht in die Kur gebe, antwortete er: Ich fürchte, wenn er sehend würde, möchte er meiner Tochter den Scheidebrief geben.

Der Häßlichen gehört ein blinder Mann.


*


[135] Man fragte einen Weisen, welche von beiden Eigenschaften besser sei, die Freigebigkeit oder die Tapferkeit? Er antwortete: Wer die Freigebigkeit besitzt, kann der Tapferkeit entbehren.


Auf dem Grabe Behram Gurs geschrieben stand:
Besser ist als starker Arm freigeb'ge Hand.
Längst ist Hatem Tai gestorben, doch bis in die fernsten Zeiten
Glänzt durch seine edle Güte seines Namens heller Strahl.
Gib den Vierzigsten der Habe: denn sobald die üpp'gen Ranken
Durch den Winzer abgeschnitten, mehret sich der Trauben Zahl.

*


Ein König blickte mit dem Auge der Verachtung auf eine Schar Derwische; einer derselben, der es gewahr wurde, sprach: O König, wir sind in dieser Welt an Soldaten ärmer als du, aber an Lebensgenuß reicher, im Tode gleich und bei der Auferstehung besser.


Genießt der mächt'ge Fürst mühlos des Lebens Frucht,
Indes der Derwisch oft nach kargen Bissen sucht,
So kann, wenn beiden einst die Sterbezeit geschlagen,
Doch keiner aus der Welt mehr als ein Bahrtuch tragen.
[136]
Wo man das Bündel schnürt, der Wanderung gewärtig,
Sind Fürsten nicht so leicht als Bettler reisefertig.

Das Äußere des Derwisches ist ein abgenutztes Kleid und abgeschornes Haar, sein wahres Wesen aber ist ein aufgeweckter Geist und abgestorbne Lust:


Nicht der voll Anmaßung am Tor sich niedersetzt,
Zum Streite sich erhebt, wenn man ihm widersteht;
Ja, wenn ein Mühlstein selbst vom Berg herunterrollt,
Kein Wissender ist der, der aus dem Wege geht.

Die Regel der Derwische ist Lobpreisung und Danksagung, Gehorsam und Dienstbeflissenheit, Spendung und Genügsamkeit, Vertrauen und Erhebung, Geduld und Ergebung; wer diese Eigenschaften besitzt, ist ein echter Derwisch, und ist er auch in ein Prachtgewand gekleidet. Wer aber eitle Dinge schwatzt und an das Beten nicht denkt, seinen Begierden frönt und seinen Lüsten sich schenkt, den Tag bis zur Nacht in den Banden der Üppigkeit sich wiegt, und die Nacht bis zum Tage in dem Schlafe der Gedankenlosigkeit liegt, ißt, was seine Hand greift und spricht, was ihm über die Zunge läuft: der ist ein Taugenichts, und ist er auch mit der Kutte bekleidet.


[137]
Der du entblößt von Gottesfurcht im Innern bist,
Und heuchlerisch ein fromm Gewand um dich gelegt:
Laß doch den siebenfarb'gen Vorhang von der Tür',
Ist deines Hauses Inn're nur mit Stroh belegt.

*

Umwunden sah ich einst mit einem Grase
Den frischen Rosenstrauß im Blumenglase.
Was fällt, sprach ich, dem schlechten Grase ein,
Zu sitzen in der Rosen edlen Reihn?
O tadle, sprach das Gras, nicht mein Vermessen,
Der edle Sinn kann Freundschaft nicht vergessen;
Fehlt mir auch Schönheit, Farbe, süßer Duft,
Doch atmet' ich auch seines Gartens Luft.
Ich bin dem edeln Herrn im Dienst ergeben,
Durch stete Güte schmückt er mir das Leben.
Ob er Verdienst mir beilegt oder nicht,
In seiner Huld strahlt mir der Hoffnung Licht.
Obgleich ich nicht des Vorrats viel besitze,
Mich nicht auf guter Werke Summe stütze,
Er weiß doch, was dem armen Sklaven fehlt,
Wenn er in eitelm Streben sich gequält.
Gebrauch ist's, daß, wenn Herren Freiheit schenken,
Des alten Knechtes sie zuerst gedenken:
[138]
O Weltenherr voll Langmut und Geduld,
Dem alten Knecht erzeige deine Huld.
O Sadi, suche der Ergebung Segen,
O Gottesmann! geh' nur auf Gottes Wegen.
Wer sich gewandt von dieser Pforte Licht,
Weh' ihm! er findet eine andre nicht.

Dritte Abteilung: Von dem Werte der Genügsamkeit

[139] [141]Dritte Abteilung:

Von dem Werte der Genügsamkeit

[141][143]

Ein Bettler aus Maghreb sprach einst zu den Tuchhändlern im Basar von Haleb: O ihr reichen Herren, besäßet ihr Billigkeit und wir Genügsamkeit, die Gewohnheit des Bettelns würde aus der Welt verschwinden.


Genügsamkeit, o mache du mich reich!
Denn ohne dich wird Reichtum nicht gefunden.
Den Schatz des Duldens wählte Lokman sich;
Nur durch Geduld wird Weisheit auch gefunden.

*


In Ägypten waren zwei Fürstensöhne, von denen der eine strebte, seinen Wissensdurst zu stillen, der andere seine Schatzkammer zu füllen; jener wurde der größte Gelehrte seiner Zeit, dieser in Ägypten der Mächtigste weit und breit. Deshalb blickte dieser Reiche mit dem Auge der Verachtung auf den Gelehrten und sprach: Ich bin zum Glanze der Herrschaft emporgestiegen, du aber bleibst im Schmutze der Armut liegen. O Bruder, antwortete jener, ich bin dem Höchsten Dank schuldig für seine Huldgabe, daß ich das Erbteil der Propheten, die Wissenschaft, erlangt, während du zur Herrschaft Ägyptens, dem Erbteil Pharaos und Hamans, gelangt.


Ich bin der Käfer, der zertreten wird vom Fuß,
Die Wespe nicht, durch deren Stich man seufzen muß;
[143]
Soll diese Gnade nicht zum Dank mein Herz erheben,
Daß mir zur Menschenqual die Macht nicht ward gegeben?

*


Ich habe von einem Derwisch gehört, der im Feuer der Armut fast erstickte, und Lappen auf Lappen zusammenflickte, aber sein Gemüt mit diesen Versen erquickte:


Sei zufrieden, daß du trocknes Brot und Lumpenkleider hast:
Besser ist des eignen Elends als der fremden Wohltat Last.

Einst sagte jemand zu ihm: Warum sitzest du da? In dieser Stadt ist ja ein Mann mit einer Seele voll Edelmut und allumfassender Großmut; er ist gegürtet zu gehorsamen der Wohlgesinnten Worte, und sitzet als Diener an der Herzen Pforte; willst du ihn mit der Darstellung deiner Lage angehn, so hält er es für seine Pflicht, einem ehrwürdigen Manne wie du bei zustehn. Stille, erwiderte der Derwisch, besser ist, die Dürftigkeit bis zum Grabe tragen, als seine Hilfsbedürftigkeit andern klagen.


Besser ist es, Bettelkleider in des Elends Winkel flicken,
Als um Kleider Bettelbriefe reichen Herren überreichen.
O gewiß, es ist nicht schlimmer, in der Hölle Strafe leiden,
[144]
Als mit eines Nachbars Füßen in das Paradies sich schleichen.

*


Ein König von Persien sandte einen geschickten Arzt zum Dienste Mohammeds des Auserwählten; dieser blieb einige Jahre im Lande der Araber, ohne daß jemand zu ihm kam, ihn zu befragen oder ein Heilmittel von ihm zu verlangen. Endlich ging er eines Tages zu dem Propheten und beklagte sich darüber. Man hat mich geschickt, sagte er, deine Gefährten zu heilen, aber in dieser langen Zeit hat sich nicht einer an mich gewandt, daß ich den Dienst, der mir aufgetragen ist, hätte verrichten können. Der Prophet erwiderte ihm: Diese Leute haben die Gewohnheit, nicht eher zu essen, als bis der Hunger sie dazu zwingt, und ehe sie völlig gesättigt sind, die Hand von der Speise wegzuziehn. So bleiben sie immer gesund, sagte der Arzt, küßte ehrfurchtsvoll die Erde und ging fort.


Dann nur wird der Weise seine Zunge regen,
Oder nach der Speise seine Hand bewegen,
Wenn ihm Schweigen Unheil bringen kann und Not,
Wenn dem Leben selbst Gefahr durch Fasten droht:
Weisheit ist es dann, die Stimme zu erheben,
Und das Essen wird als Frucht Gesundheit geben.

*


[145] Jemand tat oft Buße und brach sie dann wieder, bis einst ein Scheich zu ihm sprach: Ich weiß, daß du die Gewohnheit hast, viel zu essen; das Band der Begierde aber, die Buße, ist dünner als ein Haar, und eine Begierde, wie du sie nährst, kann auch eine Kette zerbrechen; der Tag wird kommen, wo sie dich zerreißt.


Einst ernährte einer eines Wolfes Jungen,
Drauf ward er von seinem Zögling selbst verschlungen.

*


In den Lebensnachrichten über Ardischir Babekan wird erzählt, daß er einst einen arabischen Arzt fragte, wieviel Speise man jeden Tag zu sich nehmen solle; dieser antwortete: Ein Gewicht von hundert Drachmen ist hinreichend. Wie kann denn dieses Bißchen Kräfte geben? entgegnete Ardischir. Der Arzt antwortete: »Dieses Maß trägt dich, was darüber ist, das mußt du tragen.«


Wir essen, daß wir leben und des Betens nicht vergessen,
Doch du scheinst fast zu glauben, daß wir leben, um zu essen.

*


Zwei Derwische aus Chorasan verbanden sich zu einer gemeinschaftlichen Reise; der eine war schwach, denn er hielt nur alle zwei Nächte eine Mahlzeit, der andere stark, denn er aß alle Tage dreimal. Ihr Schicksal wollte, daß sie am Tore [146] einer Stadt, weil man sie für Spione hielt, festgenommen und in ein Gefängnis gebracht wurden, dessen Türe man mit Lehm vermauerte. Nach vierzehn Tagen wurde erkannt, daß sie schuldlos seien; man öffnete die Türe und fand den Starken tot, den Schwachen aber am Leben. Als man sich darüber wunderte, sagte ein Weiser: Über das Gegenteil müßte man sich eher wundern, denn jener eine war ein Vielesser, er war nicht imstande, den Mangel an Nahrung zu ertragen und ist umgekommen, dieser andere aber war enthaltsam, er war an Entbehrung gewöhnt und ist daher am Leben geblieben.


Wem Wenigessen zur Gewohnheit ward,
Der kann, wenn Mangel kommt, ihn leicht ertragen.
Doch wer den Leib in Überfluß gepflegt,
Den muß der Mangel gleich zu Boden schlagen.

*


Ein weiser Mann verbot seinem Sohne viel zu essen, indem er sagte: Die Übersättigung macht die Menschen krank. Dieser entgegnete: O Vater, der Hunger tötet sie; hast du nicht gehört, was witzige Leute gesagt haben: An Übersättigung verscheiden ist besser als Hunger leiden? Halte das rechte Maß, erwiderte der Vater, denn Gott hat gesagt: »Esset und trinket, aber schlemmet nicht.«


[147]
Nicht so viel iß, daß der Mund es übergießet,
Nicht so wenig, daß die Lebenskraft zerfließet.
Wenn in der Speise gleich Genuß und Freude liegt,
So bringt die Speise doch im Übermaß den Tod.
Des Rosenzuckers viel kann dir verderblich sein:
Wie Rosenzucker schmeckt das karge trockne Brot.

*


Einen Kranken fragte man: Was begehrt dein Herz? Er antwortete: Es begehrt, daß mein Herz nichts begehre.


Schmerzt der Bauch und ist gefüllt der Magen,
Will die beste Speise nicht behagen.

*


Einem Speisehändler waren Sufis einiges Geld schuldig geworden; er forderte es jeden Tag von ihnen, und fuhr sie mit groben Worten an. Die Brüder waren durch sein Ungestüm gekränkt, aber sie mußten es geduldig über sich ergehen lassen. Ein Einsichtsvoller unter ihnen sprach: Es ist leichter, dem Magen Speise, als dem Speisehändler Geld schuldig zu bleiben.


Besser eines Großen Gab' entsagen,
Als des Pförtners Grobheit zu erdulden.
Lieber in der Lust nach Fleische sterben,
Als dem rohen Fleischer etwas schulden.

*


[148] Ein edelgesinnter Mann erhielt im Tatarenkriege eine gefährliche Wunde; jemand sagte zu ihm: Ein gewisser Kaufmann besitzt eine Wundsalbe; wenn du ihn darum bittest, wird er dir vielleicht etwas davon geben, doch man sagt, er sei als ein geiziger Mann bekannt.


Stiege statt des Brotes auf den Tisch zu ihm die Sonne nieder,
Bis zur Auferstehung sähe keiner je das Taglicht wieder.

Der Edle erwiderte: Wenn ich ihn um die Wundsalbe bitte, wird er mir davon geben oder nicht davon geben, und wenn er mir welche gibt, wird sie mir helfen oder nicht helfen; in jedem Falle aber ist ihn darum zu bitten ein tödliches Gift.


Was du vom Niedrigen erflehst aus Gnaden,
Es hilft dem Leib und bringt der Seele Schaden.

Und weise Männer haben gesagt: Wenn das Lebenswasser um Wasser des Antlitzes feil wäre, würde der Weise keines kaufen, denn mit Ehre sterben ist besser als mit Schande leben.


Eine Bittergurke freundlich dargeboten schmeckt
Besser, als aus mürr'scher Hand das süßeste Konfekt.

*


Ein Gelehrter hatte eine große Familie und ein kleines Einkommen; er klagte darüber bei einem Großen, der eine sehr hohe Meinung von ihm hatte. [149] Dieser runzelte die Stirn über eine solche Bettelei, und eine solche Zudringlichkeit schien ihm bei einem gebildeten Manne höchst unziemend.


O geh' nicht voll Verdruß zu deinem edeln Freund,
Du möchtest den Genuß des Lebens ihm verbittern.
Mit lächelndem Gesicht trag' ihm die Bitte vor:
Die heitre Stirn darf nicht vor dem Mißlingen zittern.

Man erzählt, daß er dessen Gehalt ein wenig vermehrte, aber das Wohlwollen für ihn um vieles verminderte, so daß der Gelehrte nach einigen Tagen, als er sah, daß die gewohnte Freundschaft erkaltet war, ausrief:


»O pfui der Speisen, die Erniedrigung verschaffte:
Der Topf steht aufrecht, doch der Tropf fällt in den Staub.«
Das Brot wächst auf dem Tisch, die Ehre lieget brach;
Weit besser ist die Not als des Erbittens Schmach.

*


Einem Derwisch, der sich in Not befand, sagte jemand: Der und der besitzt maßlosen Reichtum: wenn er von deiner Bedrängnis benachrichtigt wird, so wird er gewiß keinen Augenblick anstehn, ihr ein Ende zu machen. Ich kenne ihn aber nicht, [150] erwiderte der Derwisch. Ich will dich zu ihm hinführen, sagte der andere. Er nahm ihn bei der Hand und brachte ihn in die Wohnung jenes Mannes. Als der Derwisch aber einen Mann mit niederhängenden Lippen und finsterm Gesichte dasitzen sah, so kehrte er um, ohne ein Wort zu sagen. Was machst du? rief der andere. Er antwortete: Ich schenke ihm seine Gabe um seines Gesichtes willen.


O sage nicht dein Leid dem mürr'schen Mann,
Der durch sein böses Wesen schon dich kränkt.
Willst du den Kummer klagen, klag' ihn dem,
Der durch sein Antlitz schon dir Hilfe schenkt.

*


Einst war in Alexandrien eine solche Dürre, daß die Zügel der Erduldung den Händen der Menschen entfielen; nichts floß aus den Pforten des Himmels zur Erde hervor, und die Seufzer der Erdbewohner stiegen zum Himmel empor.


Kein Wild des Feldes war, kein Fisch, kein Vogel, kein Gewürm,
Des Schreien nicht zum Himmel stieg in jammervollem Chor.
Ein Wunder, daß vom Herzensrauch nicht eine Wolke sich
Gesammelt, nicht ein Regen brach vom Augenquell hervor.

[151] In dieser Zeit war ein Wüstling da, fern sei er von den Freunden! ihn näher zu beschreiben, ist ein Verstoß gegen die gute Sitte, insonderheit in Gegenwart der Großen, und doch geht es auch nicht an, stillschweigend darüber hinwegzugehn, weil manche es der Unfähigkeit des Erzählers zur Last legen würden; darum will ich alles in diesen zwei Verspaaren zusammenfassen, daß das Wenige eine Andeutung von Vielem und die Handvoll eine Probe der ganzen Ladung sei.


Hätt' ein Tatar den Wüstling auch getötet,
Er wäre doch der Strafe überhoben.
Wie vielmal war er gleich der Brücke Bagdads,
Das Wasser unten und die Menschen oben!

Dieser Mensch, von dessen Lob du einen Teil gehört hast, besaß in jenen Jahren maßlosen Reichtum und war so freigebig, daß er Silber und Gold den Bedrängten schenkte und die Reisenden speiste und tränkte. Ein Haufen Derwische, durch die Not aufs äußerste gebracht, kamen überein, sich an ihn zu wenden, und fragten mich deshalb um Rat; ich aber wandte das Haupt von der Gemeinschaft mit ihnen ab und sprach:


Es frißt der Löwe nicht des Hundes Reste,
Sollt' er vor Hunger in der Höhle sterben.
Gib hin den Leib dem Elend und dem Mangel,
Statt um des schlechten Menschen Huld zu werben.
Hätt' er gleich Feridun auch Geld und Güter,
[152]
Des Mannes Achtung kann er nicht erwerben.
Den Taugenichts in Samt und Seide kleiden,
Das heißt, die Wand mit Gold und Azur färben.

*


Als man Hatem Tai fragte, ob er jemand in der Welt gesehen oder von jemand gehört, der ihn an edler Gesinnung überträfe, antwortete er: Eines Tages hatte ich vierzig Kamele geopfert und ging mit den arabischen Emiren an einen abgelegenen Ort der Wüste hinaus; hier sah ich einen Dornensammler, der einen Haufen Dornen zusammengetragen hatte. Ich sprach zu ihm: Warum gehst du nicht zu dem Gastmahle Hatems? Alle Welt hat sich um seinen Tisch gesammelt. Er antwortete:


Wer sein Brot erwirbt mit eignen Händen,
Braucht sich nicht an Hatem Tai zu wenden.
Ich sah, daß dieser an Großmut und edler Gesinnung höher stand als ich.

*


Moses der Prophet, ihm sei Heil! sah einen Derwisch, der sich wegen seiner Blöße in den Sand vergraben hatte und ihm zurief: O Moses, bete für mich, daß mir Gott des Lebens Notdurft schenke, denn ich bin nicht imstande, meine Not länger zu erdulden. Der Prophet betete, daß Gott ihm Vermögen schenken möchte, und wurde erhört. Als er einige Tage darauf von der Verrichtung [153] der Andacht zurückkam, sah er ihn gefangen und einen großen Menschenhaufen um ihn versammelt. Was ist mit diesem geschehn? fragte er. Man antwortete ihm: Er hat Wein getrunken und Streit angefangen und jemanden getötet, nun soll er die Todesstrafe leiden.


Wollte Gott der Katze Flügel geben,
Wäre bald kein Sperling mehr am Leben.
Der Zufall darf dem Schwachen starke Hand nur schicken,
Gleich steht er auf, die Hand der Schwachen zu zerdrücken.

Moses erkannte des Weltschöpfers Weisheit an und bat um Verzeihung für seine Anmaßung, und er sagte diesen Gottesspruch: »Wenn Gott seinen Knechten den Lebensunterhalt in reichem Maße gäbe, sie würden die Erde mit Frevel füllen.«


»Was hat dir Unglück und Verderben zugezogen,
Betörter? Wäre die Ameise nicht geflogen.«
Wird der Schlechte hochgestellt und reich,
Holt er sich nur einen Backenstreich.
Besser ist die Ameis' ohne Flügel,
Sagte einst ein Weiser zum Vergleich.
Honig hat der Vater einen großen Vorrat zwar,
Doch er brächte dem erhitzten Sohne nur Gefahr.
Er, der dir keinen Reichtum zugeführt,
Weiß besser als du selbst was dir gebührt.

*


[154] Auf dem Markte der Juwelenhändler zu Basra sah ich einen Beduinen, der folgendes erzählte: Einst hatte ich in der Wüste den Weg verloren, von Reisevorrat hatte ich nicht das geringste mehr übrig, und war schon auf den Tod gefaßt, als ich plötzlich einen Sack voll Perlen fand. Nie werde ich die Freude und das Entzücken vergessen, da ich glaubte, es sei geröstetes Korn, nie aber auch den Schmerz und die Verzweiflung, als ich erkannte, daß es Perlen waren.


Kann im dürren Wüstenflugsand wohl die Muschel,
Kann die Perle wohl dem Durstigen behagen?
Ach! gleichviel ist's dem, der ohne Vorrat hinsinkt,
Mag er Gold, mag er nur Ton im Gürtel tragen.

*

Ein Araber rief in einer Wüste vor Durst verschmachtend aus:

»O daß sich doch vor meinem Ende nur einmal noch mein Wunsch erfüllte!
Ein Fluß, der an die Knie mir schlüge, daß ich gebückt den Schlauch mir füllte.«

So hatte sich auch ein Reisender in der großen Ebene verirrt; es blieb ihm weder Kraft noch Vorrat, nur einige Geldstücke hatte er noch im Gürtel. Er irrte lange umher, ohne sich zurechtzufinden, [155] und kam endlich vor Erschöpfung um. Einige Leute, die bei seinem Leichnam vorbeikamen, fanden die Geldstücke vor seinem Gesichte liegend und dabei war auf die Erde geschrieben:


Besitzet auch ein Mann gediegnes Gold,
Und hat nicht Speise, muß er doch verschmachten.
Der arme Sonnverbrannte wird wohl mehr
Als rohes Geld gekochte Rüben achten.

*


Nie hatte ich über den Kreislauf der Zeiten geklagt, noch über den Umschwung des Himmels eine finstere Miene gemacht, außer einst, wo ich mit bloßen Füßen einherging und nicht imstande war, mir Schuhe zu kaufen. Als ich aber in die Moschee zu Kufa trat, sah ich einen, der keine Füße hatte; da brachte ich Gott Dank dar für seine Huldgaben und ertrug es in Geduld, keine Schuhe zu haben.


Dem Satten ist es um gebratnes Huhn so wenig
Als um die Schüssel Kraut auf seinem Tisch zu tun.
Wer aber nichts besitzt an Vorrat und Vermögen,
Dem sind gekochte Rüben ein gebratnes Huhn.

*


Ein König geriet auf der Jagd im Winter mit einigen seiner Vertrauten in eine von den Wohnungen [156] abgelegene Gegend. Als die Nacht herbeikam, sahen sie ein Bauernhaus. Der König sprach: Wir wollen die Nacht dort zubringen, damit wir nichts von der Kälte zu leiden haben. Aber einer der Wesire entgegnete: Es ziemt der königlichen Majestät nicht, in dem Hause eines schlechten Bauern eine Zuflucht zu suchen; laßt uns dort das Zelt aufschlagen und ein Feuer anzünden. Als der Bauer dieses erfuhr, legte er, was er von Speise vorrätig hatte, zusammen und brachte es vor den König, und nachdem er die Erde untertänig geküßt hatte, sprach er: Die Größe des Sultans wäre durch diese Herablassung nicht erniedrigt worden, aber man wollte nicht, daß die Niedrigkeit des Bauern erhöht würde. Dem König gefiel seine Rede, und man begab sich die Nacht über in seine Wohnung. Am Morgen schenkte er dem Bauer Geld und Ehrenkleid; dieser ging einige Schritte neben dem Steigbügel des Königs her und sagte:


Des Sultans Wert und Würde ward dadurch nicht verringert,
Daß er im Bauernhause gastfreundlich eingekehrt.
Des Bauern Hutesspitze erhebt sich bis zur Sonne,
Daß eines Sultans Schatten sein niedrig Haupt beehrt.

*


[157] Man erzählt von einem scheußlichen Bettler, welcher große Reichtümer besaß. Ein König sprach zu ihm: Du scheinst außerordentlich viel Geld zu haben, wir aber sind in einer großen Verlegenheit; willst du uns mit etwas Wenigem an die Hand gehn, so soll es dir, wenn die Abgaben aus den Provinzen eingehn, wieder erstattet werden. Er antwortete: Es ziemt nicht der Majestät des Herrn der Welt, daß er seine erlauchte Hand mit dem Gelde eines Bettlers wie ich beschmutze, das von mir körnchenweise zusammengetragen worden ist. Kümmere dich nicht darum, erwiderte der König, ich gebe es den Tataren, »das Schmutzige den Schmutzigen«.


»Unrein«, erwiderten sie, »ist ja gekneteter Mörtel!
Ei nur des Abtritts Riß wollen wir stopfen damit.«
Zwar unrein ist das Wasser in des Christen Teiche,
Doch wasch' ich ohne Scheu damit des Juden Leiche.

Der Bettler weigerte sich, wie man erzählt, dem Verlangen des Königs Folge zu leisten, er wollte ihn mit Gegengründen schlagen und sich unverschämt betragen; da befahl der König, das, was er von ihm verlangte, ihm mit Gewalt und Drohung abzunehmen.


Was nicht mit Güte will gelingen,
Das muß man mit Gewalt erzwingen.
[158]
Es klage, wer sich selbst nichts schenkt,
Drum nicht, wenn ihn ein andrer kränkt.

*


Ich sah einst einen Kaufmann, der hundertundfünfzig Kamelladungen und vierzig Sklaven und Diener besaß. Eine Nacht führte er mich in seine Wohnung auf der Insel Kisch und wurde die ganze Nacht hindurch nicht müde, mir törichtes Geschwätz aufzutischen. Der, sagte er, ist mein Handelsgenosse in Turkestan, dort habe ich ein Kapital in Hindostan; hier ist ein Kaufbrief für das und das Land, für jenes Geld habe ich diese Bürgschaft zum Unterpfand. Bald sagte er: Ich habe im Sinne nach Alexandrien zu reisen, dort ist die Luft so rein; bald sagte er wieder: Nein, bei den Arabern soll es zu unruhig sein. O Sadi, sagte er, noch eine andre Reise habe ich vor, wenn ich die gemacht habe, dann will ich mein übriges Leben hindurch mich der Geschäfte entschlagen und dem Handel entsagen. Was ist das für eine Reise? fragte ich. Er antwortete: Persischen Schwefel will ich nach China führen, denn wie ich höre, steht er dort hoch im Preise, von da chinesisches Porzellan nach Griechenland, und griechisches Seidenzeug nach Indien, und indischen Stahl nach Haleb, und halebische Glaswaren nach Jemen, und gestreifte Zeuge von Jemen nach Persien; nach diesem werde ich dann das Reisen aufgeben und in einem Kaufladen ruhig [159] leben. Dieses alberne Zeug schwatzte er so lange fort, bis ihm zuletzt der Atem ausging und er zu mir sagte: O Sadi, erzähle du doch auch etwas von dem, was du gesehn und gehört hast. Ich sprach:


Weißt du, was jüngst ein reicher Kaufmann sprach,
Als in der Wüste Ghur er fiel vom Pferde?
Des Weltbewohners enges Auge füllt
Genügsamkeit nur oder Grabeserde.

*


Von einem reichen Manne habe ich erzählen hören, der durch seinen Geiz ebenso berühmt war als Hatem Tai durch seine Freigebigkeit. Im Äußern war er mit Glücksgütern geschmückt, aber der seiner Seele ein geborne Schmutz saß in seinem Innern so fest, daß er nicht ein Brot aus der Hand gegeben hätte, um einen Menschen vom Tode zu retten, daß er der Katze des Abu Horeirah keinen Bissen vorgelegt und dem Hunde der Siebenschläfer keinen Knochen vorgeworfen hätte, kurz, nie hatte jemand sein Haus offen stehn noch seinen Tisch gedeckt gesehn.


Zum Armen drang nur der Geruch von seinem Essen,
Kein Bröckchen fand der Vogel mehr, wann er gegessen.

Er wollte, wie man mir erzählt hat, auf dem abendländischen Meere nach Ägypten schiffen, mit pharaonischen Gedanken im Kopfe, »bis er [160] in den Fluten versank«, wie der Herr sagt. Plötzlich erhob sich ein widriger Wind und drehte das Schiff im Wirbel herum, wie es heißt:


Mit finsterm Sinn, was kannst du tun zu deinem Heil?
Nicht immer wird dem Schiff ein günst'ger Wind zuteil.

Vergebens erhob er die Hand zum Gebete und schrie um Hilfe, wie der Herr sagt: »Und als sie fuhren auf dem Schiffe, da beteten sie zu Gott.«


Was hilft des Menschen fleh'nde Hand, streckt er sie in Bedrängnis aus?

Zur Zeit der Not zu Gott hinauf, zur Zeit des Wohltuns unterm Arme.
Mit Gold und Silber schaffe Trost und Hilfe,
So schaffen eignen Trost und Nutzen deine Hände.
Nach deinem Tod wird dieses Haus doch bleiben:

Aus Gold- und Silberziegeln baue seine Wände.


Man erzählt, daß er in Ägypten arme Verwandte hatte, welche durch das, was er von Gütern hinterließ, reich wurden. Bei der Nachricht von seinem Tode zerrissen sie ihre alten Kleider und verfertigten sich neue aus Seidenstoff und Damiat. In eben jener Woche sah ich einen von ihnen auf einem Rosse einherjagen mit Windesgewalt und hinter ihm einen Sklaven laufen mit Perigestalt; da sagte ich zu mir selbst:


[161]
O weh, wenn jener Tote wiederkehrte
Zu seinem Stamm und seinen frohen Erben:
Die Erbschaft wiedergeben, wäre härter
Für sie, als ihres Anverwandten Sterben.
Da ich ihn von früherer Zeit her kannte, so zog ich ihn am Ärmel und sprach:
Genieße nur, du braver Mann, den Schatz, der sich erschlossen,
Denn jener Tor hat immer nur gesammelt, nie genossen.

*


Ein schwacher Fischer fing in seinem Netze einen mächtigen Fisch, er hatte aber nicht die Kraft, ihn zu halten; der Fisch überwältigte ihn und riß ihm das Netz aus der Hand fort.


Ein Knabe wollt' im Flusse Wasser schöpfen,
Das Wasser kam und riß den Knaben fort.
Sonst hatte stets das Netz den Fisch gefangen,
Nun ging der Fisch und nahm das Netz mit fort.

Die andern Fischer jammerten darüber und machten ihm Vorwürfe. Wie, sagten sie, ein solcher Fang ist dir in das Netz geraten und du hast ihn nicht behalten können? Er antwortete aber: O Brüder, was ist da zu tun? Mir war der Fisch nicht bestimmt, und dem Fische war noch ferneres Leben bestimmt. Der Fischer, dem es nicht bestimmt ist, wird auch im Tigris keinen Fisch bekommen, und der Fisch, dessen Lebensziel[162] nicht gekommen, wird auch auf dürrem Sande nicht umkommen.


*


Ein Mann, dessen Hände und Füße abgehauen waren, tötete einen Tausendfüßler. Ein Einsichtsvoller, der vorüberging, sprach: Großer Gott! mit den tausend Füßen, die es hatte, konnte das Tier, als sein Lebensziel gekommen, dem, der ohne Hände und Füße war, nicht entfliehn.


Wenn der grimm'ge Feind sich naht ihn einzuholen,
Bindet das Geschick des flieh'nden Mannes Sohlen.
Kömmt des Feindes Pfeil von hinten hergeflogen,
O so spanne nicht mehr den Kejanschen Bogen!

*


Einst sah ich einen törichten Menschen, der war dick und wohlgenährt und ritt auf einem arabischen Pferd, war mit einem kostbaren Gewande angetan und trug auf dem Kopf einen ägyptischen Turban. Jemand sprach zu mir: O Sadi, was sagst du zu diesem feinen verbrämten Gewand an diesem groben Tiere ohne Verstand? Ich antwortete: Es ist eine Schrift von häßlicher Gestalt mit Goldwasser gemalt.


Dem Esel gleich ist dieser Mann,
»Ein goldnes Kalb, das blöken kann.«
Man sage nicht, daß dieses Tier dem Menschen gleicht,
[163]
Als nur durch Kleidung, Kopfputz, äußres Gut.
Betrachte nur sein Eigentum, Gerät und Wesen:
Das Schlechteste an ihm, das ist sein Blut.
Wenn des Propheten Abkömmling dir arm erscheint,
So glaube nicht, daß er dadurch entadelt wird.
Beschlägt mit Gold der Jude sein versilbert Tor,
Du glaubst doch nicht, daß er dadurch geadelt wird.

*


Ein Dieb sagte zu einem Bettler: Schämst du dich denn nicht, um eines Körnchens Silber willen deine Hand jedem schlechten Menschen darzustrecken? Er antwortete:


Um einen Groschen seine Hand zum Betteln zu erheben,
Ist besser als um anderthalb dem Henker sie zu geben.

*


Man erzählt von einem Faustkämpfer, der durch widrige Zeitumstände in die äußerste Not, und durch seinen breiten Schlund und seine schmale Kost in den größten Jammer geraten war; er klagte es seinem Vater und bat um seine Erlaubnis: Ich habe mir vorgenommen, sagte er, eine Reise zu machen, um zu versuchen, ob ich [164] vielleicht durch die Kraft meines Armes den Kleidersaum meiner Wünsche erfassen kann.


Verloren ist Verdienst und Kraft, wenn sie verborgen bleiben;
Das Rauchwerk riecht im Feuer nur, den Moschus muß man reiben.

Der Vater erwiderte: O mein Sohn, schlage dir diese verkehrten Gedanken aus dem Kopfe und ziehe den Fuß der Genügsamkeit unter den Kleidersaum der Sicherheit zurück, denn große Männer haben gesagt: Das Glück läßt sich nicht erjagen, wer es will, muß sich nicht viel plagen.


Man kann des Glückes Kleidersaum nicht mit Gewalt erreichen:
Des Blinden Auge wirst umsonst mit Salbe du bestreichen.
Hättest du an jedem Haare der Talente hundert hangen,
Nichts wird das Talent dir helfen, kannst du Glücksgunst nicht erlangen.
Was will der Kräft'ge tun, wenn er an Glücke arm?
Weit stärker als des Starken ist des Glückes Arm.

O Vater, entgegnete der Sohn, die Vorteile des Reisens sind mannigfaltig: Das Gemüt erheitert sich und die Einsicht erweitert sich, man sieht Merkwürdiges und hört Denkwürdiges, in Städten unterhält man sich und unter Freunden erzählt man sich, man gewinnt Rang und Anstand und [165] vermehrt Gut und Wohlstand, mit neuen Bekannten lernt man sich verbinden und in die Wechsel der Zeiten lernt man sich finden, so daß Wanderer auf dem Wege Gottes gesagt haben:


Wenn, Roher, du in deinem Winkel bleibst,
Wird man in dir nie einen Menschen sehn.
Geh' in die Welt hinaus und sieh dich um,
Eh' Gott dich zwinget, aus der Welt zu gehn.

Mein Sohn, sagte der Vater, die Vorteile des Reisens, wie du sie auseinandergesetzt hast, sind freilich unzählig, aber nur für fünf Menschenklassen. Erstlich für den Kaufmann, der im Besitze von Reichtum und Vermögen, Sklaven und schöne Mägde und flinke Knechte hat, dem jeden Tag in einer andern Stadt und jede Nacht in einer andern Herberge in jedem Augenblick alle Bequemlichkeiten der Welt zum Genüsse in Bereitschaft stehn.


Der Reiche ist nicht im Gebirge, ist in der Wüste nicht ein Fremder,

Denn überall hat er sein Lager, sein Zelt ist immer ausgespannt.
Doch wem das Ziel der Erdenwünsche stets unerreichbar ist geblieben,

Der ist im Vaterland ein Fremder, ist in der Heimat unbekannt.


Zweitens für den Gelehrten, dem man wegen seines lieblichen Gespräches, wegen der Kraft seiner Beredsamkeit und des Schatzes seiner Wohlredenheit,[166] wohin er kömmt, bemüht ist, Dienste zu erzeigen und Ehre zu erweisen.


Dem reinen Golde gleichet der Gelehrte,
Wohin er kömmt, wird sein Gehalt geschätzt;
Der Ungelehrte ist die Ledermünze,
Die sich bei Fremden nicht in Umlauf setzt.

Drittens für den Schöngestalteten, zu dessen Umgang sich das Herz der Einsichtsvollen neigt, so daß sie seine Gesellschaft für Gewinn schätzen und seinen Dienst für Wohltat achten; denn das Sprichwort sagt: Ein bißchen schönes Blut ist besser als viel Geld und Gut. Ein schönes Gesicht ist die Salbe der verwundeten Herzen und der Schlüssel der verschlossenen Türen.


Überall wird sich der Schöne achtungsvoll empfangen sehen,

Wenn ihn auch im Zorn der Vater und die Mutter von sich stießen.
In den Blättern des Korans einst fand ich eine Pfauenfeder:
Wie, sagt' ich, ist dir es ziemend, solche Ehre zu genießen?
Stille, sprach sie, wem der Schönheit Schmuck und Glanz zuteil geworden,
Wird, wohin er seinen Fuß setzt, nicht ein Auge je verdrießen.
Ein Sohn, der Liebreiz hat, der sorge nicht für morgen:
Wenn ihn sein Vater auch verläßt, er ist geborgen.
[167] Er ist die Perle; weg, o weg nur mit der Schale!
Verwaiste Perle braucht für Käufer nicht zu sorgen.

Viertens für den, der eine schöne Stimme hat, der mit davidischer Kehle das Wasser im Laufe und die Vögel im Fluge aufhält; denn durch den Besitz dieses Vorzugs nimmt er das Herz der Menschen gefangen, und die mit Kunstsinn Begabten sehnen sich nach seiner Genossenschaft.


»Gesangeszauber hat mein Ohr verführet:
Wer ist es, der die Doppelsaiten rührt?«
Wie lieblich tönt Gesang, wenn mit den süßen Klängen
Beim festlichen Gelag er schallt als Morgengruß!
Weit besser ist der Stimm' als des Gesichtes Schönheit:
Dies bringt den Sinnen nur, sie gibt dem Geist Genuß.

Fünftens für den Handwerksmann, der durch die Anstrengung seines Armes sich den Lebensunterhalt erwirbt und nicht um des Brotes willen seine Ehre beflecken muß, wie verständige Leute gesagt haben:


Wandert auch der Schneider in die Fremde,
Not und Elend leidet er doch wenig.
Kömmt er aus dem Reich in ferne Länder,
Hungrig legt sich hin des Südens König.

Solche Verhältnisse, wie ich sie eben geschildert[168] habe, geben auf der Reise Ruhe des Gemütes und verschaffen ein fröhliches Leben; wer aber von allem dem nichts hat, der wird mit eiteln Einbildungen in die Welt hinausrennen, und niemand hört ferner seinen Namen nennen.


Wem der Welten Rad zuwider sich bewegt,
Ach! nicht hoff' er, daß sein Streben je gelinge.
Wenn die Taube nicht ihr Nest mehr sehen soll,
Führt das Schicksal sie zur Lockspeis' und zur Schlinge.

Der Sohn erwiderte: O Vater, wie soll ich denn dem Ausspruche der Weisen entgegenhandeln, welche gesagt haben: Obschon die Güter des Lebens zugemessen sind, so ist man doch verpflichtet, nach den Mitteln zu streben, sie zu besitzen, und obschon die Übel vorher bestimmt sind, so ist man doch verbunden, sich vor ihrem Eindringen zu schützen.


Wenn auch die Nahrung sicherlich erscheint,
Muß man sie an den Türen doch erjagen.
Obwohl nur, wer sein Ziel erreicht hat, stirbt,
Darf man sich in des Drachen Maul nicht wagen.

Mit der Gestalt, die ich habe, kann ich mich an den schrecklichsten Elefanten wagen und den grimmigsten Löwen im Faustkampf zu Boden schlagen; gut ist es daher für mich, daß ich reise, [169] denn Mangel und Not vermag ich nicht ferner zu ertragen.


Muß auch der Mann sein Haus und Vaterland verlassen,
Was kümmert's ihn? Ist doch ein jeder Ort sein Zelt.
Der Reiche findet nachts in seinem Hause Ruhe,
Des Armen Haus ist da, wo Nacht ihn überfällt.
Ist's nötig denn, daß er am eignen Herde sitze?
Sein ist, wo er auch geht, des Schöpfers weite Welt.

So sprach er, bat um seines Vaters Segen, nahm Abschied von ihm und ging fort; im Augenblick, wo er sich entfernte, hörte man ihn sagen:


Wenn's dem Künstler nicht im Lande glückt,
Geht er, wo kein Aug' ihn noch erblickt.

Er ging, bis er an das Ufer eines Wassers kam, das durch seine Gewalt Stein auf Stein wälzte, und dessen Getöse eine Meile weit zu hören war.


Auf diesem Schreckenswasser fand die Ente keinen sichern Ort;
Die allerkleinste Welle riß vom Ufer selbst den Mühlstein fort.

Hier sah er einen Haufen Menschen, die ein jeder für ein Goldspänchen sich in eine Fähre gesetzt hatten und zur Abfahrt bereit waren. Des Jünglings Hand war zum Bezahlen gebunden, er löste dafür die Zunge der guten Worte; doch so sehr [170] er auch jammerte, keiner hatte Erbarmen mit ihm, sondern sie sprachen:


Gebricht es dir an Geld, kann auch Gewalt nicht gelten;
Besitzest du nur Geld, so brauchst du nicht Gewalt.
Der gefühllose Schiffer wandte sich lachend ab und sagte:
Fehlt dir's an Geld, Gewalt führt dich nicht an das Ufer;
Zehnfache Kraft wozu? Für einen bringe Geld.

Der Jüngling ergrimmte über diesen Spott, und suchte dafür Rache zu nehmen. Das Schiff war schon abgefahren; er schrie: Wenn du dich mit dem Kleide, das ich trage, begnügen willst, so soll es dir gehören. Des Schiffers Habsucht wurde rege, und er führte das Schiff zurück.


Durch Habgier blendet sich das Auge des Erfahr'nen,
Durch Habgier lassen Fisch und Vogel sich umgarnen.

Sobald der Jüngling des Schiffers Bart und Kragen fassen konnte, riß er ihn an sich und schlug ihn schonungslos zu Boden. Sein Gefährte sprang aus dem Schiffe, um ihm zu helfen, aber es ging ihm ebenso schlecht, und er half sich mit der Flucht. Sie sahen ein, daß sie mit einem friedlichen Verfahren am besten fahren würden, und ließen daher das Fahrgeld fahren.


[171]
Siehst du den Zank, so laß dich's nicht verdrießen
Des Kampfes Tor durch Milde zu verschließen.
Durch Güte suche stets den Streit zu meiden;
Das Schwert kann weiche Seide nicht zerschneiden.
Du führst mit sanftem Arm und süßem Wort
Den Elefant an einem Haare fort.

Um das Geschehene zu entschuldigen, fielen sie ihm zu Füßen und küßten ihm heuchlerisch Haupt und Augen, führten ihn dann in das Schiff, und fuhren fort, bis sie an eine Säule kamen, die von einem Bau der Griechen im Wasser stehn geblieben war. Da rief der Schiffer: Das Schiff hat einen Leck; wer unter euch der Beherzteste ist und am meisten Kraft und Stärke hat, steige auf diese Säule und halte das Tau des Schiffes, bis wir es ausgebessert haben. Der Jüngling, im eiteln Stolze über seine Herzhaftigkeit, dachte nicht an die Herzwunde des Feindes und handelte nicht nach dem Worte der Weisen: Wenn du dem Herzen eines Menschen einen Schmerz zugefügt hast, so magst du ihm nachher auch hundert Freuden verschaffen, du kannst doch vor der Rache für jenen einen Schmerz nicht sicher sein; denn die Pfeilspitze wird aus der Wunde gezogen, die Beleidigung bleibt aber im Herzen stecken.


Was Baktasch zu Chiltasch gesagt hat, ist gut:
Du ritztest den Feind nur? So sei auf der Hut.
[172]
Ward einst durch deine Schuld ein Herz gekränkt,
So glaube nur, auch dich wird Kränkung treffen.
Wirf an der Festung Mauer nicht den Stein,
Es möcht' ein Stein dich von der Festung treffen.

Sobald er das Schiffstau um den Arm gewickelt und auf die Spitze der Säule geklettert war, riß ihm der Schiffer den Strick aus der Hand und trieb das Schiff fort. Der Unglückliche blieb vor Schrecken betäubt auf der Säule zurück; einen, zwei Tage trug er unsägliches Leid und duldete unerträgliche Not; am dritten Tage überwältigte ihn der Schlaf und stürzte ihn in das Wasser, und erst nach vierundzwanzig Stunden wurde er an das Ufer ausgeworfen. Noch ein Hauch des Lebens war in ihm: er fing an, Baumblätter zu verzehren und Kräuterwurzeln auszugraben, bis er wieder einige Kraft erlangte; dann ging er in die Wüste hinein und wanderte fort, bis er durstig, hungrig und abgemattet an einen Brunnen gelangte. Um diesen sah er Leute versammelt, welche für einen Groschen einen Trunk schöpfen durften; da er keinen Groschen hatte, bat er um Wasser, aber es wurde ihm verweigert. Er streckte die Hand der Gewalt aus und schlug einige Leute zu Boden, allein die Männer überwältigten ihn, und schlugen ihn ohne Barmherzigkeit.


[173]
Viele Mücken stürzen wohl den Elefanten,
Mag er auch der Mächtigste und Stärkste heißen.
Der Ameisen viele, wenn sie sich versammeln,
Können leicht des grimm'gen Löwen Fell zerreißen.

Er mußte sich in das Unvermeidliche ergeben, und als er eine Karawane erreicht hatte, ging er mit ihr. Nachts kamen sie an einen durch Räuber unsichern Ort; der Reisenden Glieder wurden von Zittern erfaßt, und ihr Herz machte sich auf den Tod gefaßt. Als er dies sah, sprach er: Seid unbesorgt, ich bin ja hier mitten unter euch imstande, es mit fünfzig Männern aufzunehmen, und die übrigen jungen Leute werden mir beistehen. Die Männer wurden durch seine Prahlerei ermutigt, freuten sich seiner Gesellschaft und erquickten ihn mit Speise und Trank. Ein verzehrendes Feuer hatte sich in des Jünglings Magen verbreitet, und die Zügel der Geduld und Ertragung waren seiner Hand entgleitet; er verschlang gierig einige Bissen und trank darauf einige Züge Wasser, bis der böse Geist seines Innern beruhigt war, und er vom Schlafe übermannt einschlief. Indessen sagte ein kluger, welterfahrner Greis, der sich bei der Karawane befand: O meine Freunde, dieser euer Wächter flößt mir weit mehr Besorgnis ein als die Räuber, denn ich erinnere mich dabei an folgende Geschichte: [174] Ein Araber hatte einiges Geld; er konnte nachts aus Furcht vor den Räubern allein nicht schlafen, und nahm deshalb einen seiner Freunde zu sich, um das Unbehagliche der Einsamkeit durch seinen Anblick zu entfernen; dieser blieb einige Nächte in seiner Gesellschaft, sobald er aber von dem Gelde genaue Kundschaft erlangt hatte, nahm er es und reiste fort. Den andern Morgen sah man den Araber nackt und bloß und trostlos, und als man ihn fragte: Was ist dir geschehn? Hat dir etwa ein Dieb dein Geld genommen? antwortete er: Nein, bei Gott, der Wächter hat es genommen.


Nie kann sich vor der Schlange ruhig setzen,
Wer einmal ihre Eigenschaften kennt.
Weit schlimmer ist von Feindeszahn die Wunde,
Wenn er ein Freund sich vor den Leuten nennt.

Wißt ihr denn, o meine Gefährten, ob dieser Jüngling nicht selbst zu dieser Räuberbande gehört und sich mit List in unsere Mitte geschlichen hat, um zur gelegenen Zeit seinen Genossen Kunde zu geben? Mir scheint es am geratensten, daß wir ihn schlafen lassen und fortgehn. Der Rat des Greises wurde von den jungen Leuten gebilligt, und sie fürchteten sich in ihrem Herzen vor dem Faustkämpfer; sie brachen daher auf und ließen den Jüngling im Schlafe liegen, der seine Lage erst dann erkannte, als ihn die Sonne auf die[175] Schulter brannte. Als er nun den Kopf aufhob und die Karawane nicht mehr sah, irrte er lange umher ohne an einen Ort zu gelangen; durstig und erschöpft legte er sein Angesicht auf den Staub und seine Gedanken auf das Sterben und sprach:


»Wer spricht mit mir, indes ich folge der Kamele Spur?
Ach, es gesellet zu dem Fremden sich der Fremde nur.«
Wohl wird von dem der Fremde schlecht behandelt,
Der selber unter Fremden nie gewandelt.

So sprach er, als ein Königssohn, der auf der Jagd sich von seinem Gefolge entfernt hatte, zu seinem Haupte trat und seine Worte hörte; er betrachtete den Jüngling und sah, daß er eine hübsche Gestalt hatte, aber ganz verstört aussah. Er fragte ihn, wo er her sei und wie er an diesen Ort geraten? Der Jüngling erzählte ihm einiges von dem, was ihm zugestoßen war; der Königssohn hatte Mitleid mit ihm, schenkte ihm Geld und Kleid, und gab ihm einen zuverlässigen Mann zum Begleiter, daß er in seine Stadt zurückkehren konnte. Als ihn sein Vater sah, war er sehr erfreut und dankte Gott für seine glückliche Rückkunft. Nachts erzählte ihm der Jüngling von dem, was ihm geschehn war, von dem Vorfall mit dem Schiffe, des Schiffers und der Bauern Gewalttätigkeit und der Karawane Treulosigkeit. Hierauf [176] sagte der Vater: O mein Sohn, habe ich dir es nicht gesagt, als du fortgingst: Wer leere Hände hat, kann seinen Heldenarm nicht regen und seine Löwenfaust nicht bewegen?


Mit Recht sprach jener Fechter einst, als er auf seine Armut schalt:
Ein Körnchen Gold hat mehr Gewicht, als viele hundert Pfund Gewalt.

Der Sohn erwiderte: O Vater, so lange du keine Mühe ertragen, wirst du keine Schätze erjagen, und so lange du dich nicht in Gefahr begeben, kannst du keinen Sieg über den Feind erleben, und so lange du keinen Samen ausgestreut, wirst du mit keiner Ernte erfreut. Siehst du nicht für das geringe Maß von Mühe, das ich ertragen, welch großes Maß von Gewinn ich davongetragen, und für den Stachel, der mich geplagt, wieviel Honig ich erjagt?


Ich kann zwar mein beschiednes Teil nur essen,
Doch darf ich es zu suchen nicht vergessen.
Fürchtet sich der Taucher vor des Krokodiles Rachen,
Nie wird er die schöne Perle zu der seinen machen.
Der untere Mühlstein bewegt sich nicht, und gewiß trägt er die schwerste Last.
Was will der Löwe fressen in der Höhle Grund?
Was kann der Falke, wenn er ruhig liegt, erreichen?
[177]
Machst du in deinem Hause auf die Beute Jagd,
Mußt du mit Hand und Füßen einer Spinne gleichen.

Mein Sohn, entgegnete der Vater, diesesmal hat der Himmel dich begleitet und das Glück dich geleitet, daß dir die Rose aus dem Dorne und der Dorn aus dem Fuße gegangen, daß ein mächtiger Mann zu dir gekommen, dir mitleidsvoll seine Wohltaten zuerteilt und zuvorkommend die Wunde deines Zustandes geheilt; aber ein solcher Zufall ist selten, und aus dem Seltenen kann man keinen Schluß ziehen.


Nicht immer fängt der Jäger den Schakal,
Ihn selbst frißt wohl der Tiger auch einmal.

So hatte ein König von Persien einen kostbaren Edelstein an einem Ringe; eines Tages ging er zur Erholung mit einigen seiner Vertrauten auf den Betplatz von Schiras hinaus, und befahl, man solle den Ring auf der Kuppel des Adhad befestigen, und wer einen Pfeil durch denselben hindurchschießen könne, dem solle er gehören. Vierhundert Schützen, die in seinem Dienste waren, schossen, aber alle fehlten. Zufällig schoß während dieser Zeit ein Knabe auf dem Dache des Karawanserais zu seiner Belustigung Pfeile auf alle Seiten hin, und der Ostwind trieb einen seiner Pfeile durch den Ring; der Ring wurde ihm zugesprochen, und er erhielt noch vieles Geld dazu. Hierauf verbrannte der Knabe Pfeil und Bogen, und als man[178] ihn fragte, warum er dieses tue, antwortete er: Damit mir mein erster Ruhm bleibe.


Es trifft sich, daß dem klügsten Weisen
Der beste Rat oft nicht gelingt,
Indes bloß aus Versehn ein Knabe
Den Pfeil zum fernen Ziele bringt.

*


Man erzählt von einem Derwisch, der sich in einer Höhle niedergelassen und die Türe zwischen sich und der Welt abgeschlossen, und in dessen Augen Könige und Fürsten keine Bedeutung mehr hatten.


Wer seine Tür zum Betteln öffnet,
Wird bis zum Tod in Armut leben.
Laß deine Habgier und sei König!
Zufriednes Haupt darf sich erheben.

Ein König jener Gegend ließ ihm sagen, er hoffe von der edeln Gesinnung des hochwürdigen Mannes, daß er geruhen möge, Salz und Brot bei ihm anzunehmen. Der Scheich nahm die Einladung an, denn die Annahme der Einladungen ist dem Beispiele des Propheten gemäß. Am folgenden Tage kam der König, die Mangelhaftigkeit seines Empfangs zu entschuldigen; der heilige Mann stand auf, umarmte den König und erwies ihm die größten Artigkeiten. Als sich der König entfernt hatte, fragte den Scheich einer seiner Gefährten: Eine solche Artigkeit gegen einen König ist doch sonst deiner Gewohnheit zuwider, was [179] hast du denn hier für einen Beweggrund? Hast du es nie gehört? antwortete der Scheich:


Man muß ja vor Emiren und Wesiren
Den Kopf erheben und den Rücken biegen;
Bei wem man einmal nur zu Tisch gesessen,
Ergebenst muß man ihm zu Füßen liegen;
Und kann man das Genoßne nicht erstatten,
Muß man sich mit Entschuld'gung an ihn schmiegen.

*

Im ganzen Leben hört auch wohl das Ohr
Nicht Trommelschlag, nicht Harf' und Flötenchor;
Das Auge kann des Gartens Schmuck entbehren,
Der Nase kann man Rosenduft verwehren;
Senkt man sich nicht in weiche Betten ein,
So schläft man wohl den Kopf auf einem Stein,
Und hat man nicht ein Liebchen bei sich liegen,
Kann man in seinem eignen Arm sich wiegen:
Des faulen Bauches Gier ist nie gestillt,
Wird sein Gedärm mit Speise nicht gefüllt.

Vierte Abteilung: Von den Vorteilen des Stillschweigens

[180] Vierte Abteilung:

Von den Vorteilen des Stillschweigens

[181][183]

Zu einem meiner Freunde sagte ich einst: Ich habe mich zur Zurückhaltung im Reden aus dem Grunde entschlossen, weil meist in der Rede Gutes und Böses vorkömmt, das Auge der Feinde aber nur auf das Böse fällt. O Bruder, sprach jener, allerdings ist es das beste, daß der Feind nichts Gutes zu sehn bekomme.


Der größte Fehler ist Verdienst in scheeler Feindschaft Auge;
Die Rose Sadi ist ein Dorn in seiner Feinde Auge.
»Der Feind geht an dem braven Manne nie vorbei,
Daß er nicht auf den unverschämten Lügner deutet.«
Das Licht der Welt, der Freudenquell der Sonne,
Gibt einer Fledermaus nicht Licht, nicht Wonne.

*


Ein Kaufmann hatte tausend Dinare eingebüßt; er sprach zu seinem Sohne: Du darfst keinem Menschen etwas davon mitteilen. Mein Vater, sagte dieser, du hast zu befehlen, ich werde nichts davon sagen, aber laß mich doch wissen, welcher Vorteil durch dieses Verhehlen bezweckt wird? Der Kaufmann antwortete: Damit uns nicht doppeltes Unglück trifft, erstens der Verlust des Baren und zweitens die Schadenfreude der Nachbarn.


Bei deinen Feinden nicht beklage dich:
Sie sprechen: Großer Gott! und freuen sich.

[183] Ein verständiger Jüngling, der einen reichen Vorrat ausgezeichneter Kenntnisse und seltener Anlagen besaß, sprach nie ein Wort, sooft er in der Gesellschaft von Gelehrten saß. Einst fragte ihn sein Vater: Warum denn, mein Sohn, sagst du nicht auch etwas von dem, was du weißt? Er antwortete: Ich fürchte, daß sie mich dann über das fragen, was ich nicht weiß, und ich mich schämen müsse.


Als einst ein Sufi in die Schuhe
Sich ein'ge Nägel eingeschlagen,
Gleich faßt ein Hauptmann ihn beim Ärmel:
Komm her, mein Pferd mir zu beschlagen.
Wenn du nicht sprichst, so läßt dich jeder gehn,
Doch sprichst du, will man auch Beweise sehn.

*


Ein angesehener Gelehrter geriet einst in einen Gelehrtenstreit mit einem Ketzer, und da er mit seinen Argumenten nichts gegen ihn ausrichten konnte, warf er seinen Schild weg und wandte den Rücken. Als ihn jemand fragte: Konntest du denn mit deiner Wissenschaft und Bildung, deinem Talent und deiner Weisheit gegen diesen Gottlosen nicht obsiegen? antwortete er: Meine Wissenschaft ist der Koran und die Überlieferung und die Aussprüche der Doktoren, aber jener hält sich nicht daran gebunden und hört nicht darauf; wozu brauche ich seine Gottlosigkeiten anzuhören?


[184]
Läßt einer sich mit Schrift und Tradition nicht schlagen,
Die beste Antwort ist, ihm nicht ein Wort zu sagen.

*


Galenus sah einst, wie ein roher Mensch einen Gelehrten am Kragen gefaßt hatte und ihn mißhandelte. Er sprach: Wenn dieser klug wäre, so hätte er es mit diesem Toren nicht dahin gebracht.


Zwei Weise werden stets in Frieden bleiben,
Ein Kluger wird sich nie am Toren reiben,
Und wenn der Tor mit finsterm Grolle spricht,
Erheitert sanft der Weise sein Gesicht.
Bei zwei Verständ'gen wird kein Härchen brechen,
Auch nicht, wo sanfter Mann und Starrkopf sprechen;
Doch wenn auf beiden Seiten Toren stehn,
Muß auch die Kette selbst in Stücken gehn.

*


Sahban, Sohn Wails, gilt in der Beredsamkeit als ein Muster ohnegleichen; er konnte ein ganzes Jahr vor einer Versammlung sprechen, ohne ein Wort zweimal zu gebrauchen, und wenn derselbe Gedanke zufällig wiederkehrte, so drückte er ihn mit andern Worten aus. Dieses Talent gehört unter die erforderlichen Eigenschaften der Hofleute.


Entzückt auch deine süße Rede Herz und Sinnen,
[185]
Und muß sie Beistimmung und Glauben sich gewinnen,
Was du gesagt, noch einmal sagen, ist nicht klug:
Denn einmal Honigkuchen essen ist genug.

*


Einen weisen Mann hörte ich einst sagen: Nie gibt jemand seinen Mangel an Bildung so sehr zu erkennen, als wenn er zu sprechen anfängt, während noch ein anderer spricht und mit seiner Rede nicht zu Ende ist.


Der Rede ist ein Anfang und ein Schluß:
Wirf dich nicht in des andern Redefluß.
Wer Einsicht, Klugheit und Verstand besitzt,
Der spricht erst dann, wenn alles schweigend sitzt.

*


Einige von den Dienern des Sultans Mahmud fragten den Hasan Meimendi: Was hat dir heute der Sultan über die bewußte Angelegenheit gesagt? Bei euch, erwiderte der Wesir, bleibt nichts verborgen. Du bist Minister des Reichs, sagten sie, was er dir sagt, glaubt er unsereinem nicht sagen zu dürfen. Das tut er, sprach der Wesir, weil er versichert ist, daß ich es niemandem sage; warum fragt ihr mich also?


Alles, was er weiß, macht nicht der Einsichtsvolle offenbar,
Bringt durch seines Herrn Verrat den eignen Kopf nicht in Gefahr.

*


[186] Ich war wegen des Ankaufs eines Hauses unentschlossen; da sagte ein Jude zu mir: Ich gehöre zu den alten Hausbesitzern dieses Stadtviertels und kann dir über dieses Haus genaue und sichere Auskunft geben; kaufe es, denn es hat keinen Fehler. Ausgenommen, daß es dich zum Nachbar hat, erwiderte ich.


Ein Haus, das Nachbarn hat von deinem Schlage,
Ist kaum zehn Drachmen schlechten Silbers wert;
Doch hoffen muß man, daß nach deinem Tode
Man billig tausend dann dafür begehrt.

*


Ein Dichter kam zu einem Räuberhauptmann und sagte ihm ein Lobgedicht her; dieser befahl, man solle ihm das Kleid vom Leibe reißen und ihn zum Dorf hinausjagen. Die Hunde verfolgten ihn; er wollte einen Stein aufheben, aber die Erde war fest gefroren und er vermochte es nicht; da rief er: Was sind das für verruchte Leute, welche die Hunde loslassen und die Steine anbinden? Der Hauptmann, der es in seiner Wohnung hörte, lachte und rief: Gelehrter Mann, erbitte dir etwas von mir. Gib mir mein Kleid wieder, antwortete der Dichter, wenn du mir eine Gnade erzeigen willst.


Vom Menschen hofft der Mensch zwar Gutes wohl und Rechtes;
[187]
Von dir hoff' ich nichts Gutes: tu mir nur nichts Schlechtes.
»Dein Fortgehn lieb' ich mehr als deine Gabe.«

Der Räuberhauptmann hatte Mitleid mit ihm, er ließ ihm sein Kleid zurückgeben, fügte einen Pelzmantel dazu und gab ihm einige Geldstücke.


*


Ein Astrolog trat in sein Haus und sah einen fremden Mann bei seiner Frau sitzen; er fing an, zu schelten und zu toben, und es entstand darüber großer Streit und Lärm. Ein Einsichtsvoller sprach, als er es erfuhr:


Weiß denn ein Mann, was in des Himmels Höh' geschieht,
Wenn er, was in dem eignen Hause ist, nicht sieht?

*


Ein Prediger, der eine häßliche Stimme hatte, hielt seine Stimme für lieblich und rein und hörte nicht auf, unnützerweise draufloszuschrei'n; es war, als hörte man das Krächzen des Unglücksraben aus seiner Kehle dringen, oder als könnte man den Vers: »Wahrlich, die häßlichste Stimme ist die Stimme des Esels«, auf ihn in Anwendung bringen.


»Fängt Pred'ger Eselsvater an die Stimme zu erheben,
Sieht man bei dem Iah-Geschrei ganz Istachar erbeben.«

[188] Die Leute des Ortes fanden für gut, um seiner Stellung willen die Unannehmlichkeit zu ertragen, und hatten Bedenken, ihn deshalb zu plagen, bis ein anderer Prediger jener Gegend, der eine geheime Feindschaft gegen ihn hegte, einst bei einem Besuche zu ihm sagte: Es hat mir von dir geträumt, mög' es dir Gutes bringen! Was hast du gesehn? fragte jener. Es kam mir vor, antwortete er, als ob du eine angenehme Stimme hättest und die Leute durch deine Rede entzückt wären. Der Prediger dachte einen Augenblick nach und sagte dann: Gesegnet sei dieser Traum, denn ich sehe, daß du mich zur Erkenntnis meines Fehlers gebracht hast; ja, ich sehe ein, daß ich eine unangenehme Stimme habe und daß die Leute durch meine Rede gepeinigt werden; doch ich werde mich bekehren und zukünftig das Kanzelgebet mit gedämpfter Stimme vortragen.


Zuwider ist mir ganz der Freunde Umgang,
Die mir mein Schlechtes stets als Gutes zeigen,
Im Fehler nur Verdienst und Vorzug sehen,
Den Dorn als Jasmin und als Rose zeigen.
Weit lieber unverschämte freche Feinde,
Die mir ganz offen meine Fehler zeigen.

*


In der Moschee zu Sandscharieh verrichtete einer aus freien Stücken den Gebetausruf mit einer Stimme, daß alle, die es hörten, davonliefen. Der Patron der Moschee war ein gerechter und [189] gutgesitteter Emir; da er jenen nicht kränken wollte, sagte er zu ihm: O edler Mann, es sind an dieser Moschee ältere Gebetausrufer, von denen jeder fünf Dinare Einkommen hat; dir will ich zehn Dinare geben, damit du an einen andern Ort gehest. Er willigte ein und ging fort. Nach einiger Zeit kam er wieder zu dem Emir zurück und sagte: O Herr, du hast unbillig an mir gehandelt, denn du hast mich mit zehn Dinaren von hier fortgeschickt, und dort, wo ich hingegangen bin, wollen sie mir zwanzig Dinare geben, damit ich anderswohin gehe, ich nehme sie aber nicht an. Der Emir lachte und sprach: Hüte dich, sie zu nehmen, denn sie werden sich auch zu fünfzig Dinaren verstehn.


So krächzt die Axt nicht, wenn sie den Stein vom Kote reinigt,
Wie deine rauhe Stimme uns durch ihr Krächzen peinigt.

*


Jemand, der eine unangenehme Stimme hatte, las sehr laut den Koran. Ein Einsichtsvoller, der vorüberging, sagte: Wieviel bekommst du Monatlohn? Nichts, antwortete der Lesende. Warum gibst du dir denn so viele Mühe? fragte er. Ich lese um Gottes willen, antwortete jener. So lese um Gottes willen nicht, sagte der andere.


Wenn man dich den Koran so lesen hört,
Wird ja des Islams Glanz und Ruhm zerstört.

Fünfte Abteilung: Von der Liebe und der Jugend

[190] Fünfte Abteilung:

Von der Liebe und der Jugend

[191][193]

Hasan Meimendi wurde gefragt: Der Sultan Mahmud hat so viele schöne Sklaven, deren jeder ein Wunder der Welt ist; wie kommt es denn, daß er zu keinem von ihnen eine solche Liebe und Zuneigung hat wie zu Ajas, der doch nicht schöner ist als die andern. Ihr wißt, antwortete er, daß, was das Herz erquickt, auch das Auge entzückt.


Auf wem des Sultans Gunst und Gnade ruht,
Bei ihm ist alles, auch das Schlecht'ste gut,
Doch wen der König von sich weggestoßen,
Den achtet keiner von des Hofes Großen.
Wirft man mit Widerwillen auf jemand seine Blicke,
So nennt man schlecht und häßlich selbst Josephs Huldgestalt.
Doch wirft man mit Gefallen das Aug' auf einen Teufel,
Ein cherubgleicher Engel erscheint er alsobald.

*


Man erzählt von einem Herrn, der einen Sklaven von seltener Schönheit hatte und ihm mit reiner Liebe und frommem Sinne zugetan war. Einst äußerte er gegen einen seiner Freunde: Ach, wenn dieser mein Sklave, bei der Schönheit und den Vorzügen, die er besitzt, nur nicht so geschwätzig und ungezogen wäre! O Bruder, sagte der Freund, wo du Freundschaft bekennst, mußt [193] du keine Dienstbeflissenheit erwarten, denn wo Liebender und Geliebter erscheinen, verschwinden Herr und Diener.


Sobald der Herr mit seinem schönen Sklaven
Im Scherz zu spielen und zu tändeln pflegt,
Was Wunder, wenn er wie der Herr liebkoset,
Und dieser wie der Sklave es erträgt?
Ziegel soll der Sklave treten, Wasser tragen;
Der liebkos'te Sklave wird mit Fäusten schlagen.

*


Einen frommen Mann sah ich in Liebe zu jemand gefangen, und sein Geheimnis war aus dem Schleier an das Tageslicht getreten; soviel er aber auch Tadel erfuhr und Pein erfuhr, er konnte von seiner Liebe nicht lassen und sprach:


Von deinem Kleidersaum zieh' ich die Hand nicht ab,
Magst gegen mich das scharfe Schwert du ziehn.
Nicht Zuflucht und nicht Obdach hab' ich außer dir,
Und flieh' ich, kann ich ja zu dir nur fliehn.

Einst machte ich ihm Vorwürfe und sprach: Was ist denn deinem hohen Verstande widerfahren, daß er sich von niedriger Leidenschaft beherrschen läßt? Er blieb einige Zeit in Gedanken und sprach dann:


Wo Sultan-Liebe eingezogen,
Ist alle fromme Kraft dahin.
[194]
Kann ich mit reinem Kleide leben,
Wenn ich zum Hals im Kote bin?

*


Jemandem war das Herz aus der Hand entkommen und er hatte von dem Leben Abschied genommen; aber das Ziel, wohin er seine Blicke erhob, war ein Ort des Sterbens und ein Abgrund des Verderbens, nicht ein Bissen, von dem man sich einbilden konnte, er würde in den Gaumen gelangen, noch ein Vogel, den man hoffen konnte in der Schlinge zu fangen.


Ist Gold nichts wert in des Geliebten Sinn,
So bringt dir Gold und Staub gleichviel Gewinn.

Seine Freunde suchten ihm zu raten und sagten: Laß ab von diesen unsinnigen Träumen, viele andere sind auch in dem Wunsche, den du hast, gefangen und am Fuße gefesselt. Er seufzte und erwiderte:


O Freunde, fort mit euerm guten Rate!
Auf seinen Wink nur ist mein Blick gewandt.
Der Tapfre schlägt mit seiner Faust die Feinde,
Vom Schönen wird dem Freund der Tod gesandt.

Es ist das Gesetz der Liebe, daß man nicht aus Sorge für seinen Leib das Herz von seinem Lieb abwende.


Wenn du gefesselt bist von eigner Liebe Band,
Treibst du ein Lügenspiel mit eitelm Liebestand.
[195]
Gelingt's dem Streben nicht, den Freund dir zu erwerben,
Mußt du, die Freundschaft will's, in seinem Suchen sterben.
Hier steh' ich, hofft nicht, daß mich etwas rühre,
Ob Schwert und Pfeil der Feind auch auf mich führe.
Vielleicht, daß seinen Ärmel ich berühre;
Wo nicht, so sterb' ich doch vor seiner Türe.

Seine Angehörigen, die seinen Zustand bemerkten und sein Schicksal bemitleideten, gaben ihm Rat an die Hand und legten ihm Fesseln an den Fuß, aber es half nichts.


O Schmerz! indes der Arzt ihm Aloe verschrieben,
Wird er von seiner Gier zum Zucker hingetrieben.
Weißt du, was ein Schöner in die Ohren
Dessen sagte, der sein Herz verloren?
Willst du deinen eignen Wert noch schätzen,
Welchen Wert kannst du auf mich denn setzen?

Der Königssohn, welcher das hohe Ziel seiner Augen war, wurde davon benachrichtigt. Ein Jüngling, sagte man ihm, von angenehmem Wesen und süßer Zunge hält sich immer am Ende dieses Platzes auf und läßt liebliche Rede und wunderliche Witzworte hören; offenbar ist sein Kopf getrübt und sein Herz entflammt, denn es scheint, [196] als wäre er von Sinnen. Der Sohn verstand, daß er es sei, welcher dessen Herz bewegt und den Staub dieses Unheils erregt, und er trieb sein Pferd gegen ihn hin. Als der Jüngling den Königssohn auf sich zukommen sah, weinte er und sprach:


Vor mir erscheint er, der zum Tode mich verdammt:
Wohl ist für den Getöteten sein Herz entflammt.

So gütig ihn aber auch der Königssohn anredete und ihn fragte, wo er her sei, wie er heiße, welche Kunst er verstehe, der Jüngling war so tief in dem Meere der Liebe versunken, daß er seinen Mund zum Reden zu öffnen nicht vermochte.


Wüßtest du auch den Koran auswendig herzusagen,
Liebekrank vermagst du nicht mehr A B C zu sagen.

Der Königssohn sprach: Warum sagst du mir nicht ein Wort? Ich gehöre ja auch zu den Derwischen, ja ich bin ihr eigener Sklave. Da erhob durch die Macht der Freundlichkeit des Geliebten der Jüngling das Haupt aus den tobenden Wellen der Liebe und sprach:


O Wunder, daß bei deinem Dasein meines noch besteht,
Daß, wenn du zu mir redest, mir die Stimme nicht vergeht.
[197] So sprach er, stieß einen Schrei aus und gab den Geist auf.
Kein Wunder ist's, wenn einer stirbt vor seines Freundes Zelt,
Ein Wunder, daß ein Lebender sein Leben noch behält.

*


Ein Schüler war von außerordentlicher Schönheit, und sein Lehrer wurde von dem menschlichen Gefühle zu seiner schönen Gestalt so sehr hingezogen, daß er öfters in die Worte ausbrach:


So bin ich in dich versunken, o du Paradiesesantlitz,
Daß von meinem eignen Dasein das Bewußtsein mir zerflossen.
Ich vermag vor deinem Anblick meine Augen nicht zu schließen,
Seh' ich auch die scharfen Pfeile, die von da auf mich geschossen.

Einst sprach der Knabe: So wie du dich um die Ausbildung meiner Kenntnisse bemühst, so schenke doch auch der Ausbildung meiner sittlichen Anlagen einen Blick, damit, wenn du in meinem Betragen etwas Unziemendes siehst, das ich für geziemend halte, du mich darüber aufklärst und ich mich bemühe, es zu ändern. Mein Sohn, antwortete er, verlange dieses von einem andern, denn mit dem Auge, mit dem ich dich ansehe, erblicke ich nur Tugend.


[198]
Feindesauge, sei es ausgerissen!
Wird als Fehler das Verdienst nur achten.
Hast du ein Verdienst und siebzig Fehler,
Das Verdienst nur wird der Freund betrachten.

*


Ich erinnere mich, daß einst mein teurer Freund nachts zur Türe hereintrat; außer mir vor Freude sprang ich auf, so daß mein Ärmel das Licht auslöschte.


»Nachts erschien das Traumbild mir, das meine Finsternis zerstreut.«
Staunend rief ich: Woher kommt das Glück, das heute mich erfreut?

Er setzte sich und fing an, mich zu schelten: Warum hast du im Augenblick, wo du mich erblicktest, das Licht ausgelöscht? Ich glaubte, die Sonne ginge auf, antwortete ich, auch haben witzige Leute gesagt:


Wenn sich ein plumper Mensch vor deine Leuchte stellt,
So lösche mit der Faust ihm aus das Lebenslicht.
Ist lieblich sein Gesicht und zuckersüß der Mund,
Halt ihn am Ärmel fest und lösche aus das Licht.

*


Jemand hatte seinen Freund lange Zeit nicht mehr gesehn; als er ihn wieder sah, sagte er: Wo [199] bleibst du denn? Ich sehne mich nach dir. Dieser antwortete: Besser Sehnsucht als Überdruß.


O zaubrisch Bild! wo mußtest du so lange weilen?
So schnell sollst du nun meiner Hand nicht mehr enteilen.
Besser den Lieben nur selten gesehn,
Als bis zum Überdruß satt sich gesehn.

*


Der Geliebte, der in Gesellschaft anderer kommt, ist nur erschienen, um zu quälen, denn ohne Eifersucht und Zwist läuft es nicht ab.


»Kommst du mit Gesellschaft, um mich zu besuchen,
Wenn in Frieden auch, du kommst, um Krieg zu suchen.«
Als einen Augenblick mein Freund sich andern beigesellte,
Da hätte fast die Eifersucht mein Leben aufgezehrt.
O Sadi, sagt' er lachend mir, ich bin die Fackel aller,
Was kümmert's mich, wenn an dem Licht die Mücke sich verzehrt?

*


Ich erinnere mich, daß in vergang'nen Tagen ich und ein Freund wie zwei Mandelkerne in einer Schale verbunden waren. Einst mußte er plötzlich eine Reise machen. Als er nach einiger Zeit zurückkam, [200] fing er an, mich zu schelten: Warum hast du in dieser Zeit niemals einen Boten an mich geschickt? Ich antwortete: Es schmerzte mich, daß das Auge des Boten von deiner Schönheit bestrahlt werden sollte, während sie mir entzogen war.


O trauter Freund, von mir verlange keine Reue,
Mich zwinget selbst das Schwert nicht, daß ich in mich gehe.
Ich neide den, der sich an deinem Anblick sättigt,
Doch sag' ich wieder: Wer ist es, der satt sich sehe?

*


Einen Gelehrten sah ich in Liebe zu jemand befangen, und das Gespräch mit ihm war sein ganzes Verlangen; er trug vielfache Verleumdung ohne Schuld und bewies grenzenlose Geduld. Einst wollte ich ihm einen guten Rat geben und sprach: Ich weiß, daß deine Liebe auf keine fleischliche Absicht geht und daß der Grund deiner Zuneigung auf keiner niedrigen Gesinnung steht, dessenungeachtet aber ist es der Würde gelehrter Männer nicht angemessen, Verdacht gegen sich selbst zu verschulden und Verleumdung ungebildeter Menschen zu erdulden. O Freund, antwortete er, ziehe die Hand des Vorwurfs von dem Kleidersaum, meines Schicksals ab, denn ich habe oft über das, was du mir ratest, nachgedacht, [201] aber Schmähung um seinetwillen kann ich leichter tragen, als Trennung von ihm ertragen, und weise Männer haben gesagt: Leichter ist es, das Herz der Verachtung zu unterziehn, als das Auge von der Betrachtung abzuziehn.


Der, ohne den du nicht vermagst zu leben,
Ob er dich quält, du kannst nicht widerstreben;
Denn wer sein Herz dem Freunde zugewandt,
Gibt seinen Bart in eines andern Hand.
Läßt um den Hals der Hirsch das Band sich legen,
So kann er nicht nach Willkür sich bewegen.
Einst sprach ich: Hüte dich, den Freund zu sehn!
Oft mußt' ich seither um Verzeihung flehn.
Wie kann der Freund den Freund denn je verlassen?
Des Freundes Wunsch ist stets mein Tun und Lassen.
Lädt er mich gütig winkend zu sich ein,
Verstößt er mich, gleichviel: die Wahl ist sein.

*


In der schönen Zeit der Jugendlust, wie es geschieht und wie dir bewußt, hatte ich zu einem anmutigen Jünglinge Lieb' und Trieb, denn sein Gesang war von lieblichem Klange und seine Gestalt »wie der Vollmond im Aufgange«.


Er, dessen Rohr der Wangen sich von lauterm Lebenswasser nährt,
[202]
Auf seiner Lippen Zucker schaut mit Neid, wer Zuckerrohr verzehrt.

Als einst bei ihm eine seiner Sitte zuwiderlaufende Handlung vorgefallen, die mir mißfallen, fand ich mich bewogen, den Saum meines Kleides von ihm abzuziehn und den Stein meiner Liebe aus seinem Brette zu ziehn, und ich sprach:


Geh', wohin es dir gefällt, da wandre hin!
Hast du meinen nicht, so folge deinem Sinn.
Indem er fortging, hörte ich, wie aus seinen Lippen dieses Wort ging:
Will auch die Fledermaus der Sonne Strahl nicht sehn,
Geringer wird im Preis die Sonne drum nicht stehn.
So sprach er und ging auf Reisen, aber den Schmerz seiner Trennung konnte ich nicht von mir weisen.
»Dahin ist nun des Umgangs Zeit! im Unglück nur
Da lernt der Mensch des Lebens Süßigkeit erkennen.«
O komm zurück und töte mich!
Vor deinem Blick verscheiden
Ist besser doch, als ohne dich
Zu leben und zu leiden.

Doch, dem Schöpfer Lob und Dank, nach einiger Zeit kam er wieder; aber seine davidische Stimme war verdorben und seine josephische Schönheit [203] war erstorben, auf dem Apfel seines Kinnes hatte sich Staub wie auf der Quitte angehangen, und der strahlende Glanz seiner Schönheit war untergegangen. Statt ihn an meine Brust zu ziehn, wie er erwartete, zog ich mich beiseite und sprach:


Als schön und zierlich noch die Züge deiner Schrift,
Verbotst du meinem Liebesblick sie anzusehn;
Jetzt bist du wieder da und bietest Frieden mir,
Wo du mit Punkten und Vokalen sie versehn.
Welk ist, schöner Frühling, deine Blüte,
Kalt ist nun das Feuer, das einst glühte.
Schreitest du noch immer stolz einher?
Ach! die alte Herrschaft ist nicht mehr.
Geh' zu denen, die noch nach dir fragen,
Schmeichelnd dich den Käufern anzutragen.
So lieblich ist des Gartens frisches Grün:
Wer das gesagt, der weiß, was er gemeint;
Das heißt, was sproßt im lieblichen Gesicht,
Liebt, wer im Herzen sich mit ihm vereint.
Dein Garten aber ist ein Schnittlauchfeld:
Je mehr man ausreißt, desto mehr erscheint.
Du gingst wie die Gazelle fort,
Jetzt gleicht dem Panther dein Gesicht.
Die feine Schrift liebt Sadi wohl,
Die nadeldicken Züge nicht.
Ob du mit Geduld dich fügest, ob ausraufst das Haar des Ohres,
[204]
Jenes Glück der schönen Tage ist und bleibt dir doch entschwunden.
Könnt' ich tun mit meiner Seele, wie du mit des Bartes Haare,
Bis zum Auferstehungstage bliebe sie mit mir verbunden.
Ich fragte: Was ist deinem Angesicht geschehen,
Daß sich um deinen Mond ein Ameisheer bewegt?
Ich weiß nicht, was geschehn, sprach lachend er, wohl hat es
Um die verschwundne Schönheit Trauer angelegt.

*


Einen von den Insassen Bagdads fragte man: »Was hältst du von den Unbärtigen?« Er antwortete: »Es ist nichts Gutes an ihnen; solange einer schön ist, tut er rauh, und wenn er rauh ist, tut er schön«, das heißt: solange sie lieblich und angenehm sind, beweisen sie sich spröde, und wenn sie spröde geworden sind, zeigen sie sich freundlich und liebenswürdig.


Ist lieblich des Unbärt'gen Angesicht,
So tut er spröd', gibt gute Worte nicht;
Sproßt ihm der Bart und wird er abgewiesen,
Ist er auf Umgang und auf Lieb' erpicht.

*


Einem von den Doktoren legte man die Frage vor: Jemand sitzt bei einem Mondgesicht allein, [205] die Türen sind verschlossen und die Augen der Hüter geschlossen, die Begierde ist erwacht und der Trieb ist angefacht, wie der Araber sagt: »Reif hängt die Dattel da, und keiner, der sie hüte, nah«; glaubst du, daß er sich aus Enthaltsamkeit vor der Versuchung bewahren werde? Er antwortete: Wird er sich auch vor dem Mondgesicht bewahren, so kann er sich vor der übeln Nachrede nicht bewahren.


»Und hütet sich der Mensch auch vor der bösen Gier,
Vor andrer böser Zunge kann er sich nicht hüten.«
In Ruhe mag man seine Sache treiben:
Der Leute Zunge wird nicht ruhig bleiben.

*


Ein Papagei wurde mit einem Raben in einen Käfig gesperrt; den Papagei peinigte die häßliche Erscheinung, und er rief: O über das verabscheuungswürdige Gesicht und die hassenswürdige Gestalt, das verwünschte Ansehn und das verschrobene Aussehn! O Unglücksrabe! »wäre doch der Raum beider Oriente zwischen mir und dir!«


Wer in des Morgens Frühe neben dir erwachte,
Dem muß die Morgenröte gleich zum Abend werden.
Ein Unglückstier, wie du, gehört in deine Nähe;
Allein, wo findet deinesgleichen sich auf Erden?

[206] Merkwürdigerweise war auch der Rabe über die Nachbarschaft des Papageis außer sich und rief: Großer Gott! und jammerte über der Welt Unbeständigkeit und rang die Hände der Verdrießlichkeit und sprach: O über des verkehrten Schicksals Plage und des niedrigen Geschickes Lage und die wechselnden Farben der Tage! Wollte Gott mir das verdiente Los bereiten, so dürfte ich mit einer Krähe auf einer Gartenmauer herumschreiten.


Es ist schon für den frommen Mann genug Gefängnis,
Wenn ihn an Taugenichtse bindet sein Verhängnis.

Welches Verbrechen habe ich begangen, daß ich zur Strafe dafür in der Gesellschaft dieses geckenhaften, eingebildeten, schwatzhaften, ungebildeten Toren in solchen Unglücksbanden mein Leben vertrauern soll?


Niemand wird zu einer Mauer treten,
Wo dein Bild darauf gemalt zu sehn.
Fänd'st du einen Platz im Paradiese,
Alle würden in die Hölle gehn.

Diese Fabel habe ich darum erzählt, damit man wisse, daß sich bei dem Unverständigen hundertmal mehr Widerwillen gegen den Verständigen findet, als der Verständige gegen den Unverständigen empfindet.


Ein frommer Mann saß einst bei Taugenichtsen;
[207]
Da sagt' ein Balkscher Schöner ihm ganz ehrlich:
Sind wir dir lästig, sitze nicht so finster,
Denn glaube nur, auch du bist uns beschwerlich.
Wir haben uns wie Tulp' und Rose hier gepaart,
Du aber bist bei uns wie Holz so dürr und hart,
Dem bösen Nordwind gleich, dem schauerigen Frost,
Wie Schnee so sitzest du, wie hartes Eis erstarrt.

*


Ich hatte einen Freund, mit dem ich jahrelang auf Reisen gewesen und Brot und Salz gegessen, so daß die innigste Verbindung zwischen uns bestand. Zuletzt erlaubte er sich, mich wegen einer geringen Sache zu beleidigen, und unsre Freundschaft nahm ein Ende; dessenungeachtet hörte von beiden Seiten die Anhänglichkeit nicht auf, denn einst erfuhr ich, daß man in einer Gesellschaft folgende Verse von mir hergesagt hatte:


Wenn sich meines Herzens Wonne mit dem süßen Lächeln nahet,
Streut sie nur noch mehr des Salzes in der offnen Wunde Brand.
Könnt' ich ihrer Locken Spitze einmal in die Hand nur fassen,
Wie des Reichen Ärmel wär' es in des armen Bettlers Hand.

[208] Einige Freunde hatten nicht sowohl von der Anmut dieser Verse als von meinem guten Betragen Zeugnis abgelegt, und er hatte sich unter ihnen noch viel stärker ausgesprochen, das Verschwinden der alten Genossenschaft beseufzt und seine eigne Schuld bekannt. Ich erkannte daraus, daß auch von seiner Seite noch Zuneigung da war, ich schickte ihm daher folgende Verse und machte wieder Frieden.


War zwischen uns das Band der Lieb' und Treue nicht?
Doch du zerrissest es und schienest mich zu hassen.
Ganz ließ ich los die Welt und band mein Herz an dich;
Ach! wie vermochtest du so schnell mich zu verlassen?
Wenn du Versöhnung willst, so komm, o komm zurück!
Mit größ'rer Liebe noch werd' ich dich jetzt umfassen.

*


Einer hatte eine schöne Frau; sie starb, und ihre Mutter, ein altes abgelebtes Weib, blieb wegen der Mitgift im Hause wohnen; dem Manne war ihre Gesellschaft eine tödliche Pein, aber wegen der Mitgift hatte er kein Mittel, sich von ihrer Nachbarschaft zu befrei'n. Einer seiner Bekannten sagte einst zu ihm: Wie geht es dir seit der [209] Trennung von der lieben Freundin? Er antwortete: Meine Frau nicht zu sehn fällt mir nicht so schwer, als die Mutter meiner Frau zu sehn.


Die Rose ist gepflückt, der Dorn geblieben,
Weg ist der Schatz, die Schlang' ist nicht vertrieben.
Das Auge auf der Lanzenspitze sehn
Ist süßer, als vor Feindesantlitz stehn.
Viel besser, tausend Freunden zu entsagen,
Als eines Feindes Anblick zu ertragen.

*


Ich erinnere mich, daß ich in meinen Jugendjahren einst in einer Gasse im Vorübergehn ein liebliches Mondgesicht gesehn. Es war in den Tagen des Monats Temus, dessen heiße Nachtluft das Wasser im Munde trocknet, und dessen glühender Tagwind das Mark in den Knochen kocht; in der Schwachheit meines Körpers hatte ich nicht die Kraft, die Glut der Mittagssonne zu ertragen, ich suchte daher eine Zuflucht im Schatten einer Mauer und spähte umher, ob jemand mich von der Qual der Hitze des Temus befreien und mein Feuer mit Wasser dämpfen würde. Plötzlich sah ich aus dem Dunkel des Vorhofes einen Glanz hervorstrahlen, eine Schönheit, deren Herrlichkeit die Zunge der Beredsamkeit nicht zu beschreiben vermag, gleich, als ob in dunkler Nacht die Morgenröte aufginge oder als ob das Wasser des Lebens aus der Finsternis hervorginge, [210] in der Hand einen Becher Schneewasser haltend, mit Zucker erfrischt und mit Arrak gemischt, ob sie es mit Rosenwasser gewürzt, oder ob einige Tropfen von den Rosen ihres Antlitzes hineingeträufelt waren, weiß ich nicht; kurz, ich nahm den Trank aus ihrer lieblichen Hand, ich verschlang ihn, und der Gedanke an mein vergangenes Leben entschwand.


»Des kühlen Wassers Schlürfen kann nicht stillen
Des Herzens Durst, und tränk' ich aus das Meer.«
O glücklich ist der und beseligt, dessen Auge
Auf solchem Antlitz ruhen kann an jedem Morgen!
Vom Weine trunken wacht er auf um Mitternacht,
Berauscht vom Schenken erst am Auferstehungsmorgen.

*


In dem Jahre, wo Sultan Mahmud der Charesmschah mit dem Chatai Frieden schloß, sah ich beim Eintreten in die Moschee zu Kaschgar einen Knaben von außerordentlicher Schönheit und ungemeiner Lieblichkeit, solchen ähnlich, von denen gesagt worden ist:


Dein Meister hat die Keckheit dir und Lieblichkeit gelehrt,
Die Quälerei und Schmeichelei und Tyrannei gelehrt.
[211]
Bei Menschen sah ich die Gestalt, den Wuchs und Gang noch niemals:
Es hat doch eine Peri wohl den Liebreiz dir gelehrt.

Er hatte die Syntax des Samachschari in der Hand und las darin: »Der Seid schlug den Amr, Amr ist das Prädikat.« Ich sagte: O Knabe, Charesm und Chatai haben Frieden geschlossen, werden denn Seid und Amr immer noch in Feindschaft bleiben? Er lachte und fragte nach meinem Vaterlande; ich antwortete: Es ist das Gebiet von Schiras. Weißt du denn, fragte er, von den Sprüchen Sadis etwas auswendig? Ich sagte ihm auf arabisch folgende Verse:


»Mich quält ein Schüler der Syntax, er stürzt sich zornig auf mich los,
Und stellt voll Hochmut sich vor mich, wie Seid sich stellt vor Amru hin.
Von dem Subjekt, das vor ihm steht, wird doch sein Auge nicht regieret:
Allein muß immer das Subjekt das Prädikat denn nach sich ziehn?«

Er dachte ein wenig nach und sagte dann: Die meisten seiner Gedichte, die wir in diesem Lande haben, sind in persischer Sprache; wenn du mir von diesen etwas hersagtest, könnte ich es leichter verstehn; »rede zu den Menschen nach dem Maße ihres Verstandes«. Ich sprach:


[212]
Seitdem du Neigung zur Syntax gewonnen,
Sind mir Gedanken und Verstand zerronnen.
Du fängst im Netz die Herzen nur zum Leid;
Ich denk' an dich, du denkst an Amr und Seid.

An dem Morgen, der zur Abreise bestimmt war, hatte ihm zufällig einer von der Karawane gesagt: Es ist Sadi. Ich sah ihn eilig herbeilaufen, er bezeigte sich äußerst freundlich und war über meinen Abschied sehr betrübt. Warum, sprach er, hast du während so vielen Tagen nicht gesagt: ich bin's, daß ich den Dank für die Ankunft eines so hochwürdigen Mannes durch meinen ehrerbietigen Dienst hätte bezeigen können? Ich erwiderte:


»In deiner Gegenwart sprach ich nicht aus: Ich bin's.«


Was wäre es, sagte er, wenn du noch einige Tage an diesem Orte ausruhtest, daß wir den Vorteil hätten, dir unsere Dienstbeflissenheit zu beweisen? Das kann ich nicht, antwortete ich, und zwar wegen dieser Geschichte:


Einen Großen sah ich sich auf Bergen
Vor der Welt in einer Höhle bergen.
Wie, sprach ich, du gehst nicht in die Stadt,
Wo dein Herz mehr Trost zu finden hat?
Nein, sprach er, die Schönen will ich meiden:
Muß im Kot der Elefant nicht gleiten?
Nachdem ich dieses gesprochen, küßten wir uns Haupt und Angesicht und nahmen Abschied voneinander.
[213]
Was nützt's des Freundes Angesicht zu küssen,
Wenn wir im Augenblick uns trennen müssen?
Der Freundesabschied ist dem Apfel gleich,
Die eine Seite rot, die andre bleich.
»Muß vor Gram ich nicht beim Abschied sterben,
Kann ich nicht der Liebe Ruhm erwerben.«

*


Ein Mensch in Lumpen gekleidet war in der Hedschas-Karawane unser Reisegefährte. Ein arabischer Emir hatte ihm zum Unterhalt seiner Familie hundert Dinare geschenkt. Plötzlich fielen Räuber aus dem Stamme Chafadschah über die Karawane her und plünderten sie rein aus. Die Kaufleute fingen an zu heulen und zu jammern und schrien vergeblich um Hilfe.


Magst du auch weinend flehn, magst Hilfsgeschrei erheben,
Der Räuber wird dir doch dein Gold nicht wiedergeben.

Nur jener Derwisch behielt seine Seelenruhe, und keine Veränderung war an ihm zu bemerken. Ich sagte zu ihm: Haben sie dir etwa das Geld nicht weggenommen? Wohl haben sie es weggenommen, antwortete er, aber ich hing nicht so sehr an diesem Gelde, daß mir die Trennung davon das Herz brechen sollte.


Man muß das Herz an nichts und niemand binden,
Denn schwer ist's dann, es wieder loszuwinden.

[214] Ich sprach: Was du sagst, paßt ganz auf meine Lage, denn in meiner Jugendzeit stand ich mit einem Jünglinge in Verbindung und hegte für ihn eine so aufrichtige Liebe, daß die Kibla meiner Augen seine Schönheit und der Zins meines Lebenskapitals seines Umgangs Gewohnheit war.


So sind die Engel wohl im Himmel, denn ein Mensch
Ihm ähnlich an Gestalt hat nie gelebt auf Erden.
Bei ihm, nach dem für mich Freundschaft verboten ist,
Schwör' ich, nie wird ein Mensch gleich ihm geboren werden.

Plötzlich versank sein Fuß in dem Schlamme des Geschickes, und der Herzensrauch der Trennung stieg von dem Herde seiner Angehörigen auf; tagelang verweilte ich auf seinem Grabe, und ich machte unter anderm folgende Verse über sein Scheiden:


Hätte doch, als sich des Todes Dorn dir in den Fuß gestochen,

Mit dem Schwerte des Verderbens das Geschick mein Haupt getroffen,
Daß nicht mehr mein trübes Auge ohne dich die Welt erblickte!
Ach! ich lieg' auf deinem Grabe, wäre doch mein Grab auch offen!
[215] Auf seinem Lager fand er Ruhe nicht und Schlummer,
Er streute Rosen und Narzissen denn darauf.
Zerstoben sind von seinem Angesicht die Rosen,

Und Dornen sprossen nun aus seinem Staube auf.


Nach der Trennung von ihm faßte ich den Vorsatz und den festen Entschluß, mein übriges Leben hin durch den Teppich der Zuneigung zusammenzulegen und mich nicht mehr in froher Gesellschaft hin und her zu bewegen.


Schön ist der Gewinn des Meeres, wäre nicht Gefahr der Wellen,
Lieblich wär' es bei der Rose, machte mir der Dorn nicht bange.
Gestern ging ich gleich dem Pfauen stolz einher im Freundschaftsgarten,
Heute roll' ich fern vom Freunde mich zusammen wie die Schlange.

*


Einem arabischen Könige erzählte man die Geschichte von Leila und Medschnun, und wie dieser in seinem verwirrten Zustande, bei aller seiner Tüchtigkeit und Beredsamkeit, sich in die Wüste begeben und die Zügel des freien Willens aus seiner Hand gegeben. Der König ließ ihn vor sich führen und fing an, ihm Vorwürfe zu machen. Was hast du denn, sagte er, an den edeln Menschen [216] Verwerfliches gefunden, das dich bewogen, die Lebensart der Tiere zu erfassen und das Leben der Menschen zu verlassen? Medschnun seufzte und sprach:


»Wohl tadeln mich die Freunde viel um meiner Liebe willen;
O wenn sie einmal sie gesehn, sie würden mir verzeihn.«
O möchten doch die Tadler alle
Dein Liebesantlitz nur erblicken!
Sie schnitten statt der Apfelsine
Gewiß die Hände sich in Stücken.

Um sich durch die Sache selbst von der Wahrheit seines Vorgebens zu überzeugen, kam der König auf den Gedanken, ihre Schönheit selbst kennenzulernen, damit er sähe, welche Gestalt es sei, die einen so traurigen Zustand habe veranlassen können. Er ließ sie daher aufsuchen; nach langem Umherstreifen in den arabischen Stämmen wurde man ihrer habhaft und stellte sie dem Könige im innern Hofraume des Palastes vor. Der König betrachtete ihre Gestalt, und sah eine schwärzliche Person von schwächlichem Wuchse; sie erschien ihm ganz verächtlich, denn die geringste der Mägde seines Harems übertraf sie an Schönheit und Liebreiz. Medschnun merkte seine Gedanken und sprach: O König, du mußt aus dem Fenster der Augen Medschnuns auf Leilas Schönheit schauen.


[217]
Du fühlst mit meinem Schmerze kein Erbarmen;
Nur gleicher Schmerz verschafft den Freund mir Armen,
Der zur Erzählung meines Leides weint:
Es brennen leicht zwei Stücke Holz vereint.
»Wenn von dem heil'gen Ort der Liebeston erklungen,
Die Taube klagte mit, wär' er zu ihr gedrungen.
O Freunde, sagt zu dem, der Liebe nie gefühlt:
Du weißt es nicht, wie mir's im wunden Herzen wühlt.«
O sucht Mitgefühl nicht bei Gesunden!
Nur zu dem Kranken sprich von deinen Wunden.
Vergeblich ist's, wenn du von Bienen sprichst
Bei dem, der ihren Stachel nie empfunden.
Wenn deine Lage nicht der meinen gleicht,
Wird sie von dir als Fabel nur erfunden.
Ein and'rer hält das Salz in seiner Hand,
Hier liegt es brennend in des Herzens Wunden.

*


Man erzählt von einem Kadi von Hamadan, der von Liebe zu eines Hufschmieds Sohn berauscht war, dessen Herzenshuf lange Zeit im Feuer des Strebens nach ihm glühte, der irrend und spähend sich bemühte, und die Funken seines Leidens in diesen Versen aussprühte:


[218]
O der Zypresse Wuchs hat mich bestricken müssen!
Sie riß das Herz mir weg und warf es sich zu Füßen.
Vom losen Aug' entlockt, hat nun mein Herz zu büßen;
Daß ich es nicht verschenkt, mußt' ich die Augen schließen.
Nur an dich kann ich Gedanken noch in meiner Seele finden;
Ach! wie die zertret'ne Schlange kann ich mich nicht dreh'n noch winden.

Der Knabe ging einst, wie man erzählt, vor dem Kadi vorbei; von jenen Umständen war ihm etwas zu Ohren gekommen und hatte ihn über die Maßen gekränkt, er fing daher an, ihn zu schelten und Schmähungen gegen ihn auszustoßen, hob einen Stein auf und unterließ nichts, ihm seine Verachtung zu zeigen. Der Kadi sprach zu einem angesehenen Gelehrten, der sein Beisitzer war:


Sieh doch das schöne Kind, wie es in Zorn gerät!
Wie hübsch ihm dieses finstre Stirnefalten steht!
Bei den Arabern sagt das Sprichwort: »Des Freundes Ohrfeige ist eine süße Feige.«
Ein Faustschlag auf den Mund von deiner Hand
Ist besser als ein Brot von eigner Hand.

[219] Aus seinem Übelwollen scheint ein Geruch des Wohlwollens aufzusteigen. Oft wird man von Königen hart angefahren, während sie insgeheim auf Frieden harren.


Wohl sauer ist die frische Traube noch im Garten;
Bald wird sie süß, du darfst nur zwei, drei Tage warten.

Er sprach's und setzte sich wieder auf seinen Richterstuhl. Einige rechtschaffene Männer, die im vertrauten Umgange mit ihm standen, küßten untertänig die Erde und sprachen: Mit deiner Erlaubnis möchten wir dir in aller Untertänigkeit ein Wort sagen, wiewohl es den Regeln des Anstandes zuwider ist, und große Männer gesagt haben:


Unrecht ist's, um jedes Ding und Wort zu schmälen,
Fehler ist's, zu rügen, wenn die Großen fehlen.

Die vergangenen Wohltaten unseres Herrn haben aber seine Knechte auf ewig verpflichtet, so daß es eine Art Verrat wäre, wenn sich ihnen etwas Dienliches gezeigt und sie es nicht angezeigt. Du würdest also wohltun, dich des Kreisens um jene Begierde zu enthalten, und den Teppich der Leidenschaft zusammenzufalten, denn die richterliche Würde ist ein ehrenvoller Stand, den man nicht durch ehrlosen Tand beflecken darf: wir meinen den Nichtswürdigen, der vor deine Augen [220] gekommen und die Schmähungen, die dein Ohr vernommen.


Wer mit der eignen Ehre schlecht verfahren,
Wird auch der andern Ehre nicht bewahren.
Ein guter Ruf, der fünfzig Jahre währt',
Wird oft durch eine schlechte Tat entehrt.

Dem Kadi gefiel der einmütige Rat seiner Freunde, und er lobte ihres Urteils Richtigkeit und ihre treue Anhänglichkeit. Die Berücksichtigung, sagte er, welche die edeln Herrn dem, was mir dienlich sein kann, haben angedeihen lassen, ist untadelhaft, und der Satz, den sie aufgestellt, ist unzweifelhaft, aber


»Könnte durch das Schelten auf die Liebe hören,
Würd' ich selbst beim Tadler auf die Lüge hören.«
Vergeblich ist doch der Verweis:
Den Mohren waschet ihr nicht weiß.

So sprach er, und stellte Leute an, den Knaben mit Kundschaftung zu umspinnen, und sparte kein Geld, seine Zuneigung zu gewinnen; denn das Sprichwort sagt: Wer Geld hat in der Hand, der hat Gewalt in der Hand, und hat einer auf der Welt kein Vermögen, so wird er auch über niemand auf der Welt etwas vermögen.


Wer Gold sieht, beugt das Haupt mit einem Schlage,
Ist auch die Schulter Eisen wie die Wage.

[221] Kurz, eine Nacht wurde ihm eine Zusammenkunft gewährt, und in derselben Nacht wurde dem Statthalter berichtet, daß der Kadi die ganze Nacht den Wein im Kopfe und den Buhlen im Arme schlaflos verbringe und schwelgend also singe:


O schwiege doch der Hahn und gönnt' uns läng're Rast!
Wir haben nicht genug uns herzend noch umfaßt.
Des Freundes Angesicht im Walde dunkler Locken
Erglänzt wie Elfenbein in Ebenholz gefaßt.
Nimm wahr den Augenblick, wo schläft des Unheils Auge,
Sei wach, daß nicht umsonst das Leben du verpraßt!
So lang' von der Moschee der Morgenruf nicht tönte,
Die Trommel nicht erklang von Atabegs Palast,
Ein Tor, wer bei dem Schrei des Hahns die ros'ge Lippe
Verließe, die er heiß im Kusse hat erfaßt.

In dieser Verfassung war der Kadi, als einer seiner Angehörigen zur Türe hereintrat und sprach: Warum sitzest du da? Stehe auf und fliehe so weit dich die Füße tragen, denn deine Neider haben Böses von dir hinterbracht, oder vielmehr, sie [222] haben die Wahrheit gesagt; vielleicht, daß wir dieses Feuer des Unheils, da es noch gering ist, durch das Wasser der Klugheit dämpfen können, damit nicht morgen, wenn es mächtig geworden, es eine Welt in Flammen setze. Der Kadi sah ihn lächelnd an und sprach:


Was kümmert sich um das Gebell des Hundes
Der Löwe, hält das Wild er in den Klauen?
Das Angesicht zum Freund gewendet, lass' ich
Den Feind der Hände Rücken sich zerkauen.

Dem Könige wurde in derselben Nacht die Nachricht gebracht, in seinem Reiche sei ein solches Ärgernis vorgefallen, was er befehle? Er antwortete: Ich kenne den Mann als einen von den ausgezeichnetsten des Jahrhunderts, ja als einzig in seiner Zeit; seine Gegner haben wohl Ränke gegen ihn geschmiedet, ich kann daher diesem Gerede kein günstiges Ohr leihen, bevor ich die Sache nicht mit eignen Augen gesehn, denn weise Männer haben gesagt:


Wer eilig in Hast mit dem Schwert dreingeschlagen,
Muß nachher vor Schmerz sich die Hände zernagen.

Wie man erzählt, trat der König am frühen Morgen mit einigen seiner Vertrautesten vor das Lager des Kadi; er sah das Licht dastehen und den Buhlen dasitzen, den Wein vergossen und den Becher zerbrochen, den Kadi betrunken in Schlaf gesunken, [223] ohne Bewußtsein von seinem Dasein. Der König weckte ihn sanft auf und sprach: Stehe auf, die Sonne ist aufgegangen. Der Kadi kam sogleich zur Besinnung und fragte: Von welcher Seite ist sie aufgegangen? Von der Seite des Ostens, antwortete der König. Gelobt sei Gott, rief der Kadi, so steht die Türe der Buße noch offen, denn jener Ausspruch der Überlieferung sagt: »Die Türe der Buße wird meinen Knechten nicht verschlossen werden, bis die Sonne aufgeht von dem Orte ihres Untergangs,« darum, setzte er hinzu, »flehe ich Gott um Vergebung und wende mich bußfertig zu ihm zurück.«


Zwei Dinge stürzten mich in Frevel,
Der Unstern und der Unverstand.
Bestrafst du mich, ich hab's verschuldet,
Doch reiche mir der Gnade Hand.

Der König erwiderte: Die Reue in diesem Augenblicke, wo du dich verloren siehst, kann dir nichts helfen, denn der Herr sagt: »Nichts hilft ihnen ihr Glaube dann, wenn sie die Strafe sehn.«


Was hilft's, den Diebstahl dann erst zu bereuen,
Wenn man nicht kann bis zu dem Söller steigen?
Zieh' von der Frucht die Hände ab, du Großer,
Der Kleine greift von selbst nicht nach den Zweigen.

Für dich ist nach einem so großen und so offenbaren Ärgernis an keine Rettung zu denken. Nachdem [224] er dieses gesprochen, übergab er ihn seinen Strafknechten. Noch ein Wort, rief der Kadi, hätte ich dem Sultan in aller Untertänigkeit zu sagen. Als der König fragte, was es sei, antwortete er:


Du schüttelst vor mir nun des Abscheus Ärmel ab,
Doch fordre nicht von mir, von deinem Saum zu lassen.
Nach dem, was ich beging, ist keine Rettung mir,
Doch dein großmüt'ger Sinn läßt mich noch Hoffnung fassen.

Der König erwiderte: Du hast da einen guten Einfall vorgebracht und ein artiges Wort gesagt, aber es wäre der Vernunft zuwider und dem Gesetze entgegen, wenn dich Talent und Beredsamkeit heute aus den Klauen meiner Strafe befreien sollten; am geratensten scheint es mir, daß ich dich von der Burg hinunterstürzen lasse, damit die andern ein Beispiel daran nehmen. O Herr der Welt, sagte der Kadi, ich bin unter den Wohltaten deines Hauses aufgewachsen, und nicht ich allein habe dieses Verbrechen begangen; laß doch einen andern hinunterstürzen, damit ich mir ein Beispiel daran nehme. Der König mußte über diesen Einfall lachen, und schenkte ihm die Strafe seines Vergehens; zu den Gegnern des Kadi aber, die ihn zu seiner Verurteilung bewogen hatten, sagte er:


[225]
Die ihr traget eigner Fehler Schuld,
Habt mit anderer Vergehn Geduld.

*

Ein Jüngling war von lauterm Sinn und Leben,
Der einem lautern Antlitz sich ergeben.
Einst fielen sie bei einer Meeresfahrt
In einen Strudel, den sie nicht gewahrt.
Ein Schiffer kam, um jenes Hand zu fassen,
Eh' noch das teure Leben ihn verlassen;
Doch er rief mitten aus dem Wogenbrand:
Laß mich und fasse schnell des Freundes Hand!
Indes er sprach, sah er die Welt zerrinnen;
Mit diesem Wort entschwanden seine Sinnen:
Die Liebe lerne nicht vom eiteln Mann,
Der in Gefahr den Freund vergessen kann. –
So werden stets die wahren Freunde handeln:
Von dem Erfahr'nen lerne recht zu wandeln;
Denn Sadi weiß, wie's in der Liebe geht,
Wie man arabisch in Bagdad versteht.
Für den Geliebten soll dein Herz nur sorgen,
Sonst sei die ganze Welt dem Blick verborgen.
O kehrten Leila und Medschnun zurück,
Sie fänden hier beschrieben ihr Geschick.

Sechste Abteilung: Von der Schwäche und dem Alter

[226] Sechste Abteilung:

Von der Schwäche und dem Alter

[227][229]

Als ich einst mit einigen Gelehrten in der Hauptmoschee zu Damaskus in einer Erörterung begriffen war, trat plötzlich ein Jüngling zur Türe herein und fragte: Ist jemand unter euch des Persischen kundig? Sie wiesen auf mich. Was gibt's? fragte ich. Er antwortete: Ein Greis von hundertundfünfzig Jahren liegt im Sterben, und er sagt etwas in persischer Sprache, was wir nicht verstehn können; wenn du die Gewogenheit hättest, dich zu ihm zu bemühen, würdest du ein verdienstliches Werk tun; vielleicht will er seinen letzten Willen offenbaren. Als ich an sein Bett kam, sagte er diese Verse:


Ich hofft', es würden mir noch ein'ge Augenblicke
Vergönnt, doch ach! gehemmt ist schon des Atems Flug.
Gegessen hab' ich an des Lebens buntem Tische
So kurze Zeit, und ach! schon sagt man mir: genug.

Ich erklärte den Syrern die Bedeutung dieser Worte auf arabisch; sie wunderten sich, daß er nach einem so langen Leben noch den Verlust des Erdendaseins beseufzte. Ich fragte ihn, wie ihm jetzt zumute sei? Was soll ich sagen? antwortete er:


Zieht man aus dem Mund nur einen Zahn,
Siehst du, welchen Schmerz der Mensch empfindet?
[229]
Schließe daraus, was er fühlen mag,
Wenn die Seele sich dem Leib entwindet.

Ich sagte: Entferne die Vorstellung des Todes aus deiner Einbildungskraft, und laß diesen Gedanken nicht über deinen Geist herrschen, denn Philosophen haben gesagt: Wenn auch die Körperbeschaffenheit noch so fest ist, so kann man sich auf ihren Bestand nicht verlassen, und wenn auch die Krankheit noch so schrecklich ist, so ist sie doch kein Beweis des Todes. Wenn du es wünschest, wollen wir einen Arzt rufen, daß er dir eine Arznei gebe und es dir besser werde. Das sei ferne! sprach er.


Noch schmückt der Herr die Zimmer und die Hallen,
Indes der Grund des Hauses schon zerfallen.
Kein Mittel bringt der kluge Arzt mehr an,
Wenn er den Alten sieht im Fieberwahn.
Der alte Mann seufzt unter Todesstreichen,
Die Alte will mit Sandel ihn bestreichen,
Doch wo erloschen ist des Lebens Licht,
Hilft nicht Arznei, hilft Amulett auch nicht.

*


Ein Greis erzählte folgendes: Ich hatte ein Mädchen als Gattin heimgeführt und mein Zimmer mit Rosen verziert, und weilte bei ihr allein und ließ sie das Band meiner Augen und meines Herzens sein, und in den langen Nächten, wo ich mußte schlaflos bleiben, suchte ich ihr die Zeit [230] durch Scherze und Schmeichelreden zu vertreiben, damit sie keine Abneigung empfände, sondern sich in meine Gesellschaft fände. Unter anderm sagte ich ihr eine Nacht: Ein freundliches Geschick hat dich bedacht und das Auge des Glückes hat über dich gewacht, daß du in die Gesellschaft eines Greises gekommen, der reif ist und welterfahren, der die Hitze und Kälte des Lebens erfahren und das Gute und Böse desselben befahren, der die Rechte der Genossenschaft innehat und die Pflichten der Freundschaft im Sinne hat, der zärtlich ist und wohlgesinnt und durch Wort und Tat das Herz gewinnt; –


Dein Herz zu fesseln, ist nur all mein Denken,
Und kränkst du mich, doch will ich dich nicht kränken.
Nährt dich nur Zucker gleich dem Papagei,
Mein süßes Leben schafft ihn dir herbei. –

daß dich nicht ein Jüngling in seine Gewalt bekommen hat, ein eingebildeter und unverständiger Tropf, ein Leichtfuß und Brausekopf, in dem jeden Augenblick eine neue Begierde reift, und der bei jedem Atemzug nach einem neuen Gedanken greift, der jede Nacht an einem andern Orte liegt und jeden Tag an einen andern Freund sich schmiegt.


Zwar lustig und gefällig ist der Jüngling wohl,
Allein ihn festzuhalten, wird dir nie gelingen.
[231]
Erwarte Treue von den Nachtigallen nicht,
Die jeden Augenblick auf andern Rosen singen.

Die Greise dagegen richten nach der Vernunft und der guten Sitte ihr Leben ein, und lassen nicht die jugendliche Torheit ihre Richtschnur sein.


Suche einen Bessern als du selbst und halte ihn,
Denn mit deinesgleichen gehst du nur im Irrtum hin.

Dergleichen, erzählte er weiter, sagte ich viel zu ihr, und ich dachte schon, ihr Herz sei in mein Netz gegangen und habe sich in meiner Schlinge gefangen; aber plötzlich stieß sie einen jammervollen Seufzer aus kummervollem Herzen aus und sprach: Alles, was du mir sagst, kann doch auf der Wage des Verstandes ein einziges Wort nicht aufwiegen, das ich einst in meinem Stamme gehört habe, nämlich: Für eine junge Frau ist ein Pfeil in der Seite besser, als ein alter Mann an der Seite.


»Als sie bei ihrem alten Herrn
Nur Mattigkeit und Schwachheit fand,
Sprach sie: Das kräft'ge Amulett
Wirkt nichts in des Gestorbnen Hand.«
Kann sich vom Gatten nicht die Frau befriedigt finden,
So wird im Hause man nur Streit und Unmut finden.
[232]
Der Greis, der ohne Stab nicht aufzustehn vermag,
Wie kann die Frau an ihm denn einen Stab noch finden?

Kurz, eine Übereinstimmung kam nicht zustande und eine Scheidung löste zuletzt die Bande. Als die gesetzliche Zeit vorüber war, gab man sie zur Ehe einem jungen Manne von strengem Aussehn und finsterer Gemütsart, mit leerer Hand und schlimmer Sinnesart; sie mußte viele Roheit und Gewaltsamkeit sehn und viele Not und Plage ausstehn. Dessenungeachtet aber dankte sie Gott und sprach: Gelobt sei Gott, daß ich aus jener Höllenpein entkommen und in dieses Paradiesesglück gekommen.


Bist du auch finstern Sinnes, hart und roh,
Doch weil du schön bist, bin ich deiner froh.
Lieber mit dir in dem Brand der Hölle weilen,
Als mit andern in des Paradieses Schoße.
Aus des Schönen Munde riecht der Knoblauch besser,
Als von einem Häßlichen gereicht die Rose.
Gesichtesreiz und seidenes Gewand
Und Farbenglanz und Duft und Lieblichkeit,
Dies alles dient den Frauen wohl zum Schmuck:
Des Mannes Schmuck ist nur die Männlichkeit.

*


[233] Ich war einst der Gast eines Greises in Diarbekir, der große Reichtümer und einen wohlgestalteten Sohn besaß. Eine Nacht erzählte er mir: Ich habe in meinem Leben nur diesen einzigen Sohn gehabt; in diesem Tale ist ein Baum, zu welchem die Leute wallfahrten, um zu beten; am Fuße dieses Baumes habe ich viele Nächte zu Gott geseufzt, bis er mir endlich diesen Sohn geschenkt. Dabei hörte ich den Jüngling heimlich zu seinen Genossen sagen: Wenn ich doch nur wüßte, wo dieser Baum ist, daß ich dort um den Tod meines Vaters beten könnte.

Der alte Herr freut sich des verständigen Sohnes, und der Jüngling verwünscht den kindischen Vater.

Vorbeigegangen sind schon viele Jahre, seit
Du an des Vaters Grabe nicht vorbeigegangen.
Was hast du an dem Vater Gutes denn getan,
Daß du vom Sohne könntest Gleiches nun verlangen?

*


Eines Tages hatte ich mit jugendlichem Übermut eine große Strecke in eiligem Laufe zurückgelegt, und mich bei Anbruch der Nacht ermattet am Fuße eines Berges niedergelegt. Ein alter schwacher Mann, der hinter der Karawane herging, sagte zu mir: Warum liegst du da? Steh auf, dies ist kein Ort zum Schlafen! Wie soll ich [234] gehn? antwortete ich, meine Füße versagen mir den Dienst. Er erwiderte: Hast du nicht gehört, was das Sprichwort sagt: Gehn und niedersitzen ist besser, als laufen und niederstürzen?


Sehnst du dich nach der Herberg', eile nicht!
Befolge meinen Rat, geh' mit Bedacht.
Zwei Strecken rennt das Pferd des Arabers,
Doch das Kamel geht langsam Tag und Nacht.

*


In unsrer Gesellschaft war einst ein munterer, liebenswürdiger Jüngling, mit lächelndem Munde und süßer Zunge, in dessen Herz keiner Art Kummer ein dringen, und der seine Lippen vor Lachen nicht zusammenbringen konnte. Einige Zeit verging, ohne daß wir uns begegneten. Als ich ihn nachher wiedersah, hatte er ein Weib genommen und Kinder bekommen, die Wurzel seiner Fröhlichkeit war abgeschnitten und die Rose seiner Munterkeit war abgestorben. Ich fragte ihn, wie er sich befände? Er antwortete mir: Seitdem sich Kinder eingefunden, sind die Kinderspiele verschwunden.


»Dahin ist nun die Jugend und das Haar wird bleich;
Der Zeiten Wechsel ist ein ernster Warner mir.«
Du Alter darfst dich nicht mit Kindischem befassen,
[235]
Du mußt den Scherz und Witz den Jungen überlassen.
Dem Greisen ist der Jugend Tanz verwehrt,
Weil nicht der Bach zur Quelle wiederkehrt.
Wenn sich die Zeit der Ernte schon genaht,
Tanzt nicht mehr wie im jungen Grün die Saat.
Ach! entschwunden sind der Jugend Zeiten!
Ach! erloschen ist das Herz und kalt!
Gleich dem Panther kau' ich nun am Käse,
Hin ist meiner Löwenfaust Gewalt.
Eine Alte färbte schwarz die Haare:
Mütterchen, sprach ich, so grau und alt,
Künstlich kannst du dir die Haare schwärzen,
Krumm bleibt doch des Rückens Ungestalt.

*


In jugendlichem Leichtsinne fuhr ich eines Tages meine Mutter hart an; mit bekümmertem Herzen setzte sie sich in einen Winkel und sagte weinend zu mir: Du hast wohl deine Kindheit vergessen, daß du mich so hart behandelst?


Wie schön hat eine Frau zu ihrem Sohn gesagt,
Der Tiger niederschlug und Elefanten glich:
Gedächtest du doch nur noch deiner Kindheit Zeit,
Wo auf dem Arm ich trug so schwach und hilflos dich,
Gewiß, du wärest nicht so hart und grausam jetzt,
Wo du ein Löwenmann, ein altes Weiblein ich.

*


[236] Ein reicher Geizhals hatte einen kranken Sohn. Wohlgesinnte Freunde sagten zu ihm: Es wäre zweckmäßig, um seinetwillen einen Koran zu lesen oder eine Opfergabe auszuteilen, vielleicht würde ihm Gott Genesung schenken. Nachdem er ein wenig nachgedacht, erwiderte er: Besser ist es, den Koran, den wir da haben, zu lesen, denn die Herde ist fern von hier. Ein Einsichtsvoller, welcher dieses hörte, sprach: Er hat darum das Koranlesen vorgezogen, weil der Koran auf seiner Zungenspitze ist, das Gold aber mitten in seiner Seele sitzt.


Schwer würde mit gebeugtem Hals der Mensch Gott anflehn,
Müßt' er zum Geben auch mit offnen Händen dastehn.
Um einen Groschen steckt im Kot er fest wie Langohr;
Verlangst du ein Gebet, er sagt dir hundert gleich vor.

*


Ein alter Mann wurde gefragt, warum er nicht heirate? Er antwortete: Mit alten Weibern kann ich mich nicht vertragen. So nimm dir ein junges Weib, da du Vermögen hast, sagte man. Ich alter Mann, erwiderte er, kann mich mit alten Weibern nicht vertragen, wie ist es denn denkbar, daß eine junge Frau für mich alten Mann Freundschaft haben sollte?


[237]
Die Frau ist dem Gold nicht, der Kraft ist sie hold;
Mehr gilt ihr ein Starker als zehn Pfunde Gold.

*

Von einem alten Mann hört' ich unlängst erzählen,
Dem in den greisen Kopf der Einfall kam zu frei'n.
Er nahm ein Mädchen schön und rein gleich einer Perle,
Die vor dem Männerblick bewahrt der Perlenschrein.
Wie es Gebrauch ist, ward ein Hochzeitmahl bereitet,
Doch stellte sich nach Wunsch drauf nicht die Liebe ein.
Den Freunden klagte er und gab als Grund der Klage,
Sie plünd're ihm sein Haus und feg' es leer und rein.
Es folgte Zank und Not, sie kamen vor den Richter;
Doch Sadi sagte gleich: Was hilft da Streit und Schrei'n?
Die Frau ist ohne Schuld, denn wem die Hände zittern,
Der nehm' und fasse nicht die Perle glatt und fein.

Siebente Abteilung: Von dem Einflusse der Erziehung

Sadis Streit mit einem anmaßenden Menschen
Sadis Streit mit einem anmaßenden Menschen über Reichtum und Armut

Ich sah einst einen Menschen, Derwisch zwar von Gestalt, aber nicht von Gehalt, der sich in einer Versammlung niedergesetzt und seine Zunge mit übler Nachrede ergötzt; er hatte angefangen, das Register der Vorwürfe aufzuschlagen und über die Reichen laut zu klagen, und er war bis dahin gekommen, daß er sagte: Den Armen ist die Hand der Macht gekettet und den Reichen ist der Fuß des Willens gelähmt.


Wer gern verschenkt, von dem ist Reichtum fern,
Und wer den Reichtum hat, verschenkt nicht gern.

Ich, der ich unter den Wohltaten der Großen aufgewachsen bin, konnte diese Rede nicht billigen und sprach daher: O Freund, die Reichen sind das Einkommen der Nichtsbesitzenden und die Vorratskammer der im Winkel Sitzenden, der Zufluchtsort der Fahrenden und das Ziel der Wallfahrenden, indem sie sich belasten, damit die andern rasten, und die Hand zur Speise nicht erheben, bevor sie ihren Angehörigen und Untergebenen Speise gegeben, und ihre Wohltaten im Überfluß zugeteilt den Witwen und Waisen, den Nachbarn und Greisen.


Von Reichen kommen die Gelübde, die Feiermahle und Schenkungen,
[259] Almosen, Zehnten, Opfergaben und Stiftungen und Freilassungen.
Hast du, der du sie schmähst und lästerst, denn auch dir ihr Verdienst errungen?
Du gibst nichts als zerstreuten Sinnes ein paar nutzlose Kniebeugungen.

Handelt es sich um das Vermögen, gute Werke zu verrichten, oder um die Kraft, fromme Übungen zu entrichten, so wird beides den Reichen leichter, denn sie haben geläuterte Güter und reine Gewänder und wohlbewahrten Ruf und sorgenloses Herz, die Macht aber zu guten Werken liegt in der kräftigen Nahrung, und die Lauterkeit des Gottesdienstes erscheint in der gereinigten Kleidung; denn wie kommen aus einem hohlen Magen kräftige Werke, und wie findet eine leere Hand rüstige Stärke? wie kann ein gebundener Fuß einherschreiten und ein hungriger Bauch Gutes bereiten?


Unruhvoll liegt auf dem Lager
Wer nicht Mittel hat für morgen.
Die Ameise sammelt Sommers
Und ist Winters ohne Sorgen.

Ruhe des Gemütes kann sich nicht mit Armut verbinden, und Sammlung des Geistes nicht bei Dürftigkeit finden; wenn der eine sein Abendgebet beginnt, indes der andere auf sein Abendbrot sinnt, wie kann denn dieser jenem gleichstehn?


[260]
Wer sichres Brot besitzt, gibt fromm dem Herrn sich hin;
Ist ungewiß das Brot, ist auch zerstreut der Sinn.

Darum ist der Gottesdienst jener wohlgefälliger, weil sie gesammelt sind und voll Andacht, nicht zerstreut und auf andres bedacht; denn die Mittel zum Lebensunterhalt sind ihnen bereit und die Zugänge zum Gottesdienst sind ihnen weit. Die Araber sagen: »Behüte mich Gott vor der Armut drückendem Wehe und vor des Unmut bringenden Nähe«, und in der Überlieferung heißt es: »Armut ist Schmähung in beiden Welten.« Hast du nicht gehört, warf er mir ein, daß der Prophet, ihm sei Heil! gesagt hat: »Die Armut ist mein Ruhm?« Schweige, antwortete ich, denn der Prophet deutet auf die Armut einer Klasse von Menschen hin, welche sich auf den Kampfplatz der göttlichen Gnade begeben und sich den Pfeilen des göttlichen Ratschlusses hingeben, nicht auf die Armut solcher, die in der Kutte der Frommen umherlaufen und den Bissen des täglichen Almosens verkaufen.


O Trommel lauten Schalles, im Innern hohl und leer!
Wie schickst du dich zur Reise, wenn dir kein Vorrat mehr?
Von den Geschöpfen wende das gier'ge Aug' und drehe
[261]
Des Rosenkranzes Körner nicht in der Hand so sehr.

Nur im Besitze des Reichtums kann man einem Nackten Kleider schenken, und an die Loskaufung eines Gefangenen denken; wie können denn Leute unsrer Art das Verdienst jener erreichen; und wie kann die gebende Hand der nehmenden Hand gleichen? Siehst du nicht, daß Gott, der Glorreiche und Erhabene, in einer klaren Stelle der Offenbarung von der Herrlichkeit der Bewohner des Paradieses Kunde gibt, indem er sagt: »Ihnen werden Leckerbissen zum sichern Lebensunterhalt dienen, und sie werden reichlich bedacht sein in den Gärten der Lust?« Damit du wissest, daß, wer mit dem Erwerbe des irdischen Gewinnes beschäftigt ist, von dem Glücke des himmlischen Sinnes ausgeschlossen, und daß der Besitz der Seelenruhe unter dem Siegel des »sichern Lebensunterhaltes« verschlossen.


Die Durst'gen sehen in des Traumes Wahn
Die ganze Welt als eine Quelle an.

Überall, wo du einen siehst, der im Elend gesteckt und die Bitterkeit geschmeckt, wirst du finden, daß er voll Gier die gefährlichsten Unternehmungen nicht scheut und auch deren Folgen nicht bereut, die Strafen des andern Lebens nicht vermeidet, und das Erlaubte von dem Unerlaubten nicht unterscheidet.


[262]
Wird dem Hund ein Erdkloß an den Kopf geworfen,
Freudig springt er auf und will den Knochen nagen;
Und der Gier'ge, sieht er zwei mit einer Bahre,
Glaubt, es sei ein Tisch voll Speisen, den sie tragen.

Aber wer Erdengut besitzt, wird durch das Auge der göttlichen Gnade gewahrt und durch das Erlaubte vor dem Unerlaubten bewahrt. Gesetzt nun, ich hätte dies alles nicht dargelegt und den klaren Beweis nicht vorgelegt, so erwarte ich doch, daß du billig anerkennest, ob du je einen Betrüger sahst mit den Händen auf den Rücken gekettet, oder einen Schuldner im Gefängnisse gebettet, oder eine Unschuld von ihrem Schleier entblößt, oder eine Hand vom Arme gelöst, anders als wegen Armut? Nur die Not macht, daß man löwenkühne Männer beim Einbruche findet und ihnen die Fußsohlen schindet. Und es geschieht doch auch, daß der Arme von der mächtigsten der Begierden ergriffen wird; besitzt er dann nicht die Kraft der Enthaltung, so unterliegt er der Sünde und Übertretung. Man erzählt von einem Armen, der einst im Verbrechen der Unzucht ergriffen wurde; außer der Beschämung verdiente er auch noch Steinigung, aber er sprach: O Muselmänner, Gold, mir ein Weib zu nehmen, habe ich nicht und die Kraft der Enthaltsamkeit [263] besitze ich nicht; was sollte ich also tun? »Im Islam gibt es ja kein Mönchtum.« Dies ist eine von den vielen Ursachen der Beruhigung und der Geistessammlung, die ein beständiges Eigentum der Reichen sind, daß ihnen jede Nacht ein Liebchen in die Arme bringt und jeder Tag sie im Besitze einer Schönheit verjüngt, vor deren Glanz der strahlende Morgen sich beugt und die schlanke Zypresse beschämt sich zur Erde neigt.


In der Geliebten Herzblut taucht sie ihre Hände,
Mit diesem Henna rötet sie der Finger Ende.

Ist es denkbar, daß, wer den Anblick einer solchen Schönheit genießt, um das Verbotene schweift oder nach dem Verderblichen greift?


Ein Herz, das Paradieses Huris sich erbeutet,
Wird auf die Sklavin, die erbeutet ward, nicht achten.
»Wer reife Datteln vor sich liegen hat nach Wunsche,
Braucht nicht mit Steinen nach den Palmen hin zu werfen.«

Die meisten aber von denen, die nichts besitzen, beschmutzen den Kleidersaum der Unschuld im Kot und rauben gleich hungrigen Hunden ihr Brot.


Ist einem gier'gen Hunde Fleisch zuteil geworden, fragt er nicht,
Ob's vom Kamele Salehs ist, ob von dem Esel Dedschals.

[264] Wie viele ehrbare Leute gerieten aus Armut in ein Sündenleben, und mußten ihren edeln Namen dem Winde des schlechten Rufes preisgeben!


Es kennet nicht der Hunger die Kraft der Mäßigkeit;
Die Not entreißt die Zügel der Hand der Frömmigkeit.

Als ich diese Worte sprach, entfielen dem Derwisch aus der Hand der Ertragung die Zügel der Duldsamkeit, und er sprengte auf die Rennbahn der Unverschämtheit mit dem Pferde der Beredsamkeit, und machte das Schwert seiner Zunge bloß und rannte auf mich los und sprach: Du hast im Lobe jener so großen Aufwand gemacht und so viele eitle Worte vorgebracht, daß man sich einbilden könnte, diese Menschen seien das Gegengift gegen den Armutsjammer oder der Schlüssel zur Vorratskammer. Aber es ist ein Haufen Leute, stolz und hochmütig, eingebildet und übermütig, beschäftigt mit Reichtum und Pracht, begierig nach Hoheit und Macht, die den Mund nicht anders auftun, als mit törichter Selbstschätzung und das Auge nicht anders aufheben, als mit stolzer Geringschätzung, die Gelehrten als Bettler verunglimpfen und die Armen Kopf- und Fußlose schimpfen, stolz auf ihr Geld und Gut und eingebildet in ihres Ranges Übermut, sich überall obenansetzen und sich besser als alle andern schätzen, und nie den Gedanken in sich fassen, [265] auch andere etwas gelten zu lassen, unbekannt mit dem Ausspruche der Weisen: Wer an guten Werken klein und an Gütern reich und groß, der ist dem Scheine nach reich, aber in der Wirklichkeit arm und bloß.


»Der reiche Tor, der stolz sich über einen Weisen stellt,
Der ist nur Eselskot und wär' er eine Ambrakuh.«

Ich entgegnete: Erlaube dir nicht, sie zu tadeln, denn sie sind Herren der Großmut. Du irrst dich, sprach er, sie sind Sklaven von Geld und Gut. Was nützt es, daß sie wie die Herbstwolke vorüberziehn und niemanden mit ihrem Regen überziehn? wie der Lichtquell der Sonne strahlen und niemanden mit ihrem Lichte bestrahlen? auf dem Pferde der Macht sitzenbleiben und es nicht antreiben? sie, die keinen Fuß um Gottes Willen aufheben und keinen Groschen ohne Vorhalten und Vorwürfe geben, das Geld mit Mühe zusammenscharren und es mit Geiz bewahren und mit Seufzen von hinnen fahren; und wohl haben die Weisen gesagt, daß das Geld des Geizigen dann aus der Erde heraufsteigt, wann er in die Erde hinabsteigt.


Den Schatz, den sich der eine mit Müh' und Not errang,
Nimmt ohne Not und Mühe ein andrer in Empfang.

[266] Ich erwiderte: Der Reichen Knickerei erfuhrst du doch nur durch Bettelei, denn sonst, wem die Habsucht gleichgültig ist, dem müssen Großmütiger und Geiziger gleichviel gelten; der Probierstein lehrt das Gold kennen und der Bettler lernt den Geizhals erkennen. Ja, sprach er, ich sage es aus Erfahrung, daß sie Diener an ihre Türe stellen und grobe Leute dazu anstellen, damit sie ehrenwerte Männer nicht einlassen und einsichtsvolle Leute an der Brust fassen, und ihnen zurufen: Niemand ist zu Hause; und wirklich, sie sagen die Wahrheit:


Bei wem sich nicht Gefühl, Verstand und Hochsinn regen,
Da sagt der Pförtner recht: Es ist niemand zugegen.

Dieses Verfahren ist zu entschuldigen, sagte ich, denn sie werden von den Händen der Hoffenden gejagt und von den Bittschriften der Bettelnden geplagt, und würde sich auch die Wüste mit Perlen statt mit Sand füllen, so wäre es doch unmöglich, die Gier der Bettler zu stillen.


»Des Gier'gen Auge füllen alle Schätze
So wenig als der Tau den Brunnen füllt.«

Hatem Tai wohnte in der Wüste; hätte er in der Stadt gewohnt, die Bettler hätten ihn zerrissen und ihm die Kleider vom Leibe gerissen. Mit dem Zustande dieser Leute, sagte er, habe ich Mitleid. Nein, erwiderte ich, ihr Reichtum erfüllt dich mit Neid.

[267] Indem wir uns so in Reden verfangen und heftig gegeneinander andrangen, bemühte ich mich, jeden Bauer, den er vorschob, wieder zurückzuschrecken, und jeden König, den er angab, mit der Königin zu decken, bis er aus dem Beutel seines Geistes alle Münze gelöst, und den Köcher seiner Beweisführung von allen Pfeilen entblößt.


Hüte dich vor dem Beredten, deinen Schild gleich wegzuwerfen,
Denn geborgte Floskeln sind es, Redensarten, sonst nichts mehr.
Nach Erkenntnis und nach Wahrheit strebe nur: der eitle Schwätzer
Hat die Waffen vor der Türe, drinnen ist die Festung leer.

Als er endlich keinen Grund mehr fand, mich zu schlagen und ich ihn niedergeschlagen, fing er an zu schelten und zu schmähn und sich in eiteln Reden zu ergehn, wie es die Sitte des Toren ist, daß, wenn er sich in seiner Beweisführung verirrt, er mit der Kette der Feindseligkeit klirrt, gleich wie Aser der Götzenverfertiger, als er gegen seinen Sohn Abraham keine Gründe fand, zur Gewalttätigkeit aufstand, denn in Gottes Wort heißt es: »Wenn du es nicht unterlässest, so steinige ich dich.« Er schalt bitter, ich antwortete hart, er zerriß mir den Kragen, ich faßte ihn am Bart.


Er war auf mich, ich war auf ihn gefallen,
Es lachten alle, die zusammenliefen,
[268]
Und alle Welt biß sich erstaunt den Finger
Bei dem, was wir in unserm Zorne riefen.

Kurz, wir brachten unsre Streitsache vor den Richter und überließen das Urteil darüber dem gerechten Schlichter, damit der Vorgesetzte der Muselmänner das Beste unterschiede, und über die Verschiedenheit zwischen Reichen und Armen entschiede. Nachdem wir vor ihn gekommen und er unsre Auseinandersetzung vernommen, steckte er den Kopf in die Kleiderfalten der Überlegung, und erhob ihn wieder nach reiflicher Erwägung, und sprach: O du, der die Reichen alles Lobes würdig geglaubt und gegen die Armen alle Schmach dir erlaubt, wisse, daß bei der Rose der Dorn nicht fehlt und zu dem Weine der Taumel sich gesellt, daß zu den Schätzen sich die Schlangen legen, und bei den königlichen Perlen sich menschenfressende Ungeheuer regen, daß hinter der Süßigkeit des Weltgenusses der bittre Todesstachel lauert, und daß die Freuden des Paradieses mit der Mauer der Widerwärtigkeiten ummauert.


Muß nicht auch, wer Freundschaft sucht, des Feindes Schimpf geduldig tragen?

Sind nicht Schatz und Schlange, Dorn und Rose, Freud' und Leid vereint?


Siehst du nicht im Garten die moschusduftende Weide und das dürre Gebüsch der Heide? So gibt es auch in der Schar der Reichen Dankvolle und [269] Gottlose, und in dem Kreise der Armen Kummervolle und Sorgenlose.


Wenn in allen Tauestropfen edle Perlen lägen,
Gleich den Eselsmuscheln wären sie auf allen Wegen.

Die Nächsten bei dem Throne Gottes, des Gepriesenen und Erhabenen, sind die Reichen, die als Arme wandeln und die Armen, die als Reiche handeln; der Größte unter den Reichen ist der, welcher den Kummer der Armen versteht, und der Beste unter den Armen ist der, welcher der Reichen Erbarmen nicht anfleht; denn Gott der Allmächtige hat gesagt: »Wer auf Gott vertraut, dem ist Gott genug.«

Dann wandte er das Angesicht des Verweises von mir auf den Derwisch und sprach: Der du sagtest, die Reichen seien im Verderben versunken und von sündlichem Leben trunken; ja, wohl gibt es solche Leute wie du gesagt hast, unedel in ihren Taten und undankbar für die göttlichen Wohltaten, die zusammenscharren und aufheben, genießen und nichts geben, die, wenn einmal eine Dürre das Land verzehrt oder eine Wasserflut die Welt verheert, im Vertrauen auf- ihr Vermögen nach des Armen Unvermögen nicht fragen, und keine Scheu vor Gott im Herzen tragen, und sprechen:


Geht auch aus Mangel und aus Not ein andrer ins Verderben,
[270]
Ich bin versorgt: die Ente kann nicht in den Fluten sterben.
»Oft geschieht's, daß die in Sänften auf Kamelen sitzen,
Sich um den nicht kümmern, der im Sande untergeht.«
Sieht nur der Schlechte nicht sein Kleid versinken,
Was kümmert's ihn, mag alle Welt ertrinken.

Leute der Art, wie ich sie eben beschrieben habe, gibt es allerdings, aber es gibt auch eine andere Klasse, bei denen der Tisch der Wohltat immer gedeckt steht und die Einladung der Großmut an alle ergeht, die sich stets zum Dienen rüsten und sich nie mit herrischem Blicke brüsten, die nach gutem Namen und Vergebung der Sünden streben und im Besitze dieser und der andern Welt leben, wie die Diener der Majestät des Fürsten der Welt, »des von Gottes Segen Erquickten, mit Sieg über die Feinde Beglückten, des Besitzers der Zügel der Söhne Adams, des Beschützers der Grenzfesten des Islams, des Erben von Salomos Herrlichkeit, des Gerechtesten der Könige der Zeit, des Siegreichen im Glauben Abu Bekr Sohn Saad Sohn Sengi, Gott schenke Dauer seinen Jahren und Sieg seinen Scharen.«


Die Großmut übte nie ein Vater an dem Sohne,
Die deiner Güte Hand an allen Menschen übt.
[271]
Es wollte Gott der Herr sich seiner Welt erbarmen,
Daß er aus Gnade dich der Welt zum Fürsten gibt.

Nachdem die Rede des Kadhi sich bis zu dieser Höhe emporgeschwungen, und das Pferd seiner Beredsamkeit bis über die Schranken unsrer Vorstellung vorgedrungen, mußten wir seinen richterlichen Ausspruch annehmen und uns zum Vergessen des Vergangenen bequemen, nach einigem Hin- und Herreden uns auf dem Wege der Freundlichkeit zueinander bewegen, und uns gegenseitig das Haupt der Versöhnung zu Füßen legen; wir gaben einander auf Haupt und Angesicht den Kuß, und diese Verse waren unsrer Unterredung Schluß:


Armer, brich nicht aus in Klagen über dieser Erde Wechsel,
Ach! denn traurig ist dein Schicksal, wenn dich so der Tod erfaßt.
Reicher, dem in Herz und Händen alle Wünsche sich erfüllen,
Iß und schenke, daß du dieses und das andre Leben hast.

Achte Abteilung: Von dem guten Betragen im Umgange

[272] Achte Abteilung:

Von dem guten Betragen im Umgange

[273][275]

Der Reichtum ist da zur Erheiterung des Lebens, nicht das Leben zum Sammeln des Reichtums. Ein Verständiger, den man fragte, wer glücklich sei und wer unglücklich sei, antwortete: Glücklich ist, wer genießt und aussät, unglücklich, wer hinterläßt und von hinnen geht.


Für den Nichtswürd'gen bete nicht, der nichts zu tun begehrt:
Gesammelt hat er immer nur, vom Vorrat nichts verzehrt.

Moses, ihm sei Heil! gab dem Karun den guten Rat: »Tue Gutes, wie dir Gott Gutes getan hat.« Aber er hörte nicht, und sein Ende hast du gehört.


Wer mit allem Gold und Silber sich nichts Gutes hat erworben,
Legte bloß auf Gold und Silber seines Strebens Ende an.
Willst du dieser Erde Güter auf die rechte Art genießen,
Tu' an den Geschöpfen Gutes, wie es Gott an dir getan.

Der Araber sagt: »Tue Gutes und halte nicht vor, so wird der Wohltat Einkommen auf dich zurückkommen«, das heißt, du sollst geben und schenken ohne durch Vorrücken zu kränken, daß der Nutzen davon zu dir zurückkehre.


Wo der Baum der Großmut Wurzel faßte,
Wird sein Wipfel bis zum Himmel reichen.
[275]
Hoffst du seine Früchte zu genießen,
Triff den Fuß nicht mit des Vorwurfs Streichen.
Dem Höchsten sage Dank, daß er dir gnädig war,
Daß seiner Gaben Heil dich niemals noch verlassen.
Verdienstlich ist es nicht, daß du dem Sultan dienst,
Für dich ist's eine Gunst, daß du zum Dienst gelassen.

Zweierlei Leute gibt es, die vergebliche Mühe ertragen und sich mit unnützer Anstrengung plagen: die einen, welche Schätze gewinnen und sie nicht verwenden, die andern, welche Wissenschaft erwerben und sie nicht anwenden.


Schwingst du dich zu des Wissens Thron empor,
Und handelst nicht darnach, bleibst du ein Tor.
Glaubst du, ein Tier, dem Bücher aufgeladen,
Das werde zum Gelehrten je geraten?
Gewiß ist, daß sein leeres Hirn nicht weiß,
Ob Bücherkram es trägt, ob dürres Reis.
Die Wissenschaft ist da, um die Religion zu pflegen, nicht um die Weltlust zu hegen.
Wer will Wissenschaft und Frömmigkeit verkaufen,
Häuft sich Korn auf und verbrennt den ganzen Haufen.

[276] Ein Wissender, der keinen frommen Sinn hegt, ist ein Blinder, der eine Fackel trägt: »er führt und ist selbst nicht geführt.«


Wer nutzlos weggespielt sein ganzes Leben,
Hat nichts erkauft und doch sein Geld vergeben.

Das Reich erhält durch weise Männer seine Herrlichkeit und die Religion durch fromme Männer ihre Vollkommenheit. Den Königen ist der Rat der Weisen nötiger, als den Weisen das Vertrauen der Könige.


O König, höre meinen Rat!
Nichts Beßres kann ein Buch dir weisen:
Dem Weisen übergib das Amt,
Ist es auch nicht das Amt des Weisen.

Drei Dinge haben keinen Bestand: Reichtum ohne Erwerb, Wissenschaft ohne gelehrten Streit, Regierung ohne Gerechtigkeitspflege. Der Bösen sich erbarmen, ist Ungerechtigkeit gegen die Guten, und den Unterdrückern verzeihen, ist Gewalttätigkeit gegen die Armen.


Behütest du den Bösen und hast mit ihm Geduld,
So förderst du den Frevel und trägst auch seine Schuld.

Auf die Freundschaft der Fürsten kann man sich nicht verlassen, und durch die schöne Stimme des Knaben darf man sich nicht verführen lassen, denn jene verwandelt sich durch einen Verdacht, und diese verändert sich in einer Nacht.


[277]
Was von Tausenden geliebt, dem schenke nicht dein Herz;
Schenktest du es, sei gefaßt stets auf den Trennungsschmerz.

Jedes Geheimnis, das du hast, teile nicht deinem Freunde mit, weißt du denn, ob er nicht einst dein Feind wird? und alles Böse, was du dem Feinde zufügen kannst, tue ihm nicht, es ist ja möglich, daß er einmal dein Freund wird.

Ein Geheimnis, das du verborgen halten willst, darfst du keinem, auch nicht dem Vertrautesten, mitteilen, denn keiner wird das Geheimnis treuer bewahren als du selbst.


Besser ist, verschweigen seines Herzens innerste Gedanken,
Als sie einem sagen und ihm sagen: Sage nicht ein Wort.
Guter Mann, du mußt sogleich das Wasser an der Quelle stopfen,
Nicht vermagst du mehr den Fluß zu hemmen, strömt es einmal fort.
Es ziemt nicht, daß man insgeheim ein Wort nur sagt,
Das man nicht jedem öffentlich zu sagen wagt.

Ein ohnmächtiger Feind, der sich unterwürfig geberdet und Freundschaft zur Schau trägt, hat keine andere Absicht, als ein mächtiger Feind zu werden; und das Sprichwort sagt: Auf die Freundschaft der Freunde kann man nicht bauen, [278] wie soll man den Liebkosungen der Feinde vertrauen? Wer einen geringen Feind verachtet, gleicht dem, der ein kleines Feuer nicht beachtet.


O lösch' es heute aus, wo es noch möglich ist,
Denn wird das Feuer groß, geht eine Welt verloren.
Erlaube nicht dem Feind, daß er den Bogen spannt,
Wenn du's vermagst, den Pfeil ihm in den Leib zu bohren.

Wenn du zwischen zwei Feinden bist, sprich so, daß, wenn sie Freunde werden, du dich nicht schämen müssest.


Dem Feuer gleicht der Streit, den Feinde führen,
Der Hinterbringer müht sich, es zu schüren,
Und haben beide wieder sich versöhnt,
So steht er da verachtet und verhöhnt.
Ein Feuer zwischen zweien anzubrennen,
Das heißt, mit Unverstand sich selbst verbrennen.
Wenn du mit den Freunden sprichst, so rede leise,
Daß des grimm'gen Feindes Ohr es nicht entdecke.
Was du vor der Mauer redest, das bedenke,
Daß nicht hinter ihr ein Lauscher sich verstecke.
[279] Wer mit den Feinden seiner Freunde Freundschaft schließt, hat Lust, seine Freunde zu beleidigen.
Den Freunden mußt, Verständ'ger, du entsagen,
Die sich mit deinen Feinden wohl vertragen.

Wenn du bei der Ausführung einer Sache unentschlossen bist, so wähle die Weise, die am wenigsten Beschwerde bringen kann.


Wer freundlich mit dir ist, dem gib nicht harte Worte,
Nicht streite mit ihm, klopft er an des Friedens Pforte.
Kann eine Sache mit Gold gelingen, so muß man nicht seinen Kopf in Gefahr bringen.
Wann eines jeden Kunstgriffs man entbehrt,
Dann greift mit Recht man mit der Hand ans Schwert.

Mit der Schwäche des Feindes habe kein Erbarmen, denn wenn er mächtig wird, hat er auch mit dir kein Erbarmen.


Wenn du den Feind ohnmächtig siehst, nicht brüste dich, daß du so stark:
In jedem Kleide steckt ein Mann, in jedem Knochen ist ein Mark.
Wer einen Bösen tötet, befreit die Menschen von seiner Plage und ihn von der Strafe Gottes.
Vergebung ist zwar schön, allein die Wunde
Des Menschenquälers heilen, ist nicht gut.
[280]
Denn weiß nicht, wer der Schlange sich erbarmet,
Daß er den Menschenkindern Unrecht tut?

Den Rat eines Feindes befolgen, ist ein Fehler, aber ziemend ist es, ihn anzuhören, um das Gegenteil zu tun, denn dieses ist eben das Rechte.


Sei auf der Hut vor dem, was dir der Feind gesagt,
Sonst trifft dich bittre Reu' für deinen Unverstand.
Zeigt er dir einen Weg gerade wie der Pfeil,
So wende dich davon und geh' zur linken Hand.

Unmäßiger Zorn bringt Entfremdung und unzeitige Güte nimmt die Achtung; sei nicht so strenge, daß man deiner überdrüssig werde, und nicht so sanft, daß man gegen dich anmaßend werde.


Gut ist's, wenn Güte sich bei Strenge findet,
Wie Adern schlägt der Arzt und sie verbindet.
Nicht Strenge bloß braucht der verständ'ge Mann,
Nicht Nachsicht, die sein Ansehn mindern kann.
Nie wird er stolz sich selber überheben,
Noch in Erniedrigung sich gern ergeben.
O Verständ'ger gib mir einen Rat!
Sagte zu dem Vater einst ein Hirt.
Dieser sprach: Sei gütig, doch nicht so,
Daß der grimm'ge Wolf verwegen wird.

[281] Zwei Leute sind Feinde des Reichs und der Religion: der König ohne Milde und der Werkheilige ohne Wissen.


Ein Fürst befehle nicht und herrsche nicht im Reich,
Der nicht als Knecht vollzieht die göttlichen Befehle.

Ein König darf seinen Zorn gegen die Feinde nicht so weit treiben, daß auch den Freunden kein Vertrauen zu ihm bleibe; denn das Feuer des Zorns fällt zuerst auf den Zornigen, und dann ergreift die Flamme den Gegner oder ergreift ihn nicht.


Es seien nicht die staubgebornen Menschen
Des aufgeblas'nen wilden Stolzes Raub.
Bei deinem hitz'gen Starrsinn müßt' ich glauben,
Daß du aus Feuer stammest, nicht aus Staub.
Ich ging in Beilekan zu einem frommen Mann,
Und sagte: Läutre mich durch der Belehrung Gaben!
Er sprach: Gelehrter, geh', sei duldsam wie der Staub,
Sonst magst du in den Staub, was du gelernt, vergraben.

Ein Mensch von bösem Charakter ist in der Hand eines Feindes gefangen, und wo er auch hingeht, kann er sich aus den Klauen seiner Pein nicht losmachen.


[282] Wenn vor der Macht des Unglücks auch der Böse bis zum Himmel flieht,

Des eignen bösen Sinnes Macht wird ihm doch immer Unglück bringen.


Wenn du bei den Soldaten des Feindes Trennung siehst, so sammle dich, und wenn sie gesammelt sind, so hüte dich vor der Zerstreuung.


Geh' und setze ruhig dich zu deinen Freunden,
Wann im Feindesheere Zank und Streit erscheinen;
Siehst du aber alle eines Sinns und Mutes,
Nimm den Pfeil, die Brustwehr decke schnell mit Steinen.

Wenn der Feind mit allen seinen Anschlägen den kürzern zieht, so klirrt er mit der Kette der Freundschaft, und führt dann als Freund aus, was er als Feind nicht ausführen konnte.

Das Haupt der Schlange zerschmettre durch die Hand des Feindes, denn von zwei Vorteilen kann der eine nicht fehlen.


Wenn dieser siegt, so muß die Schlange sterben,
Wenn jene siegt, so muß der Feind verderben.

Am Tage der Schlacht sei nicht sorglos vor einem schwachen Feinde, denn er wird dem Löwen das Hirn ausschlagen, wenn er sich des Lebens entschlagen.

Wenn du weißt, daß eine Nachricht das Herz betrüben wird, so schweige und laß einen andern sie bringen.


[283]
Du Nachtigall magst Frühlingsbotschaft singen,
Die böse Nachricht soll der Uhu bringen.

Einem Könige gib von der Treulosigkeit eines Menschen nur dann Nachricht, wenn du versichert bist, daß er dir völligen Glauben schenkt, sonst arbeitest du an deinem eignen Verderben.


Den Versuch zu reden mache dann,
Wann du weißt, daß es auch wirken kann.

Wer einem Eigensinnigen einen Rat gibt, bedarf selbst eines Ratgebers.

Lasse dich nicht durch des Feindes List betrügen, und lasse dich nicht um Geld durch den Lobredner belügen, denn jener hat das Netz der Hinterlist zum Fang ausgebreitet, und dieser hat den Gaumen der Habgier zum Einschlucken bereitet.

Der Tor wird durch das Lob aufgeblasen, wie der Leichnam fett erscheint, dem man durch die Fußsohlen Wind eingeblasen.


Auf des Schwätzers Lob sollst du nicht hören,
Wenn er einen Lohn von dir bezieht:
Wird sein Wunsch nur einmal nicht erfüllet,
Hundertfachen Tadel singt sein Lied.
Stellt niemand des Sprechers Fehler bloß, so wird seine Rede nicht tadellos.
Über deiner Rede Schönheit wirst du dich betören,
Willst du unverständ'ges Lob und eignen Stolz nur hören.
[284] Ein jeder findet sein Urteil vortrefflich und sein Kind schön.
Ein Jude war im Streit mit einem Muselmann,
Und ihr Gezänk war so, daß ich darüber lachte.
Der Muselmann im Zorn rief: Wenn nicht richtig ist
Die Schrift hier, wollt' ich, daß mich Gott zum Juden machte.
Der Jude sprach: Ich schwör's bei dem Gesetz, ich werd'
Ein Muselmann wie du, ist recht nicht, was ich brachte.
Wenn aus der ganzen Welt verschwindet der Verstand,
Kein einz'ger ist, der sich für unverständig achte.

Zehn Menschen essen aus einer Schüssel, aber zwei Hunde kommen mit einem Leichnam nicht aus; der Habsüchtige ist im Besitz einer Welt hungrig, der Genügsame wird von einem Brote satt.


Ein einz'ges trocknes Brot erfüllt den engen Bauch,
Das enge Auge kann der Erde Gut nicht füllen.
Als meines Vaters Lebenslauf vorüber,
Gab er mir diesen Rat und ging hinüber:
Ein Feuer ist die Gier, sei auf der Hut,
Nicht schüre dir des Höllenfeuers Glut.
[285]
Du kannst der Flammen Hitze nicht ertragen:
Laß Wasser der Geduld sie niederschlagen.
Wer, wo er das Vermögen hat, nichts Gutes tut, dem wird es zur Zeit des Unvermögens übel gehn.
O unglückselig ist, wer Menschen quält,
Weil es im Unglück ihm an Freunden fehlt.

Das Leben steht unter dem Schutze eines Hauches, und die Welt ist ein Sein zwischen zwei Nichtseienden. Toren sind die, welche die Religion für die Welt verkaufen, denn sie verkaufen den Joseph, um was zu erkaufen? Gott hat gesagt: »Habe ich euch nicht geboten, ihr Adamssöhne, daß ihr dem Satan nicht dienen sollt?«


Auf das Wort des Feindes hast des Freundes Bund du aufgekündet:
Sieh', von wem du dich getrennt, und sieh', mit wem du dich verbündet.
Der Satan läßt sich nicht ein mit den Reinen und der Sultan nicht mit den Gemeinen.
Dem, der nicht betet, darfst du auch nichts leihen,
Mag er aus Not und Armut zu dir schreien;
Denn wer für seine Schuld bei Gott nicht sorgt,
Der denkt an das nicht, was du ihm geborgt.

Was zustande kommt in Eile, dauert eine kurze Weile, und die Weisen haben gesagt: Ein schnelles Glück hat keinen Bestand.


Im Morgenlande macht man, wie man mir erzählte,

Nur ein chinesisches Gefäß in vierzig Jahren,
[286] In Bagdad macht man hundert wohl an einem Tage,
Allein du kennest auch die Preise beider Waren.
Das Küchlein ist kaum aus dem Ei, so sucht es seine Nahrung selber,
Indes das Menschenkind nichts weiß, Sinn und Verstand nicht mit sich bringt.
Doch jenes, das so schnell erwuchs, kann nachher doch nicht höher steigen,
Da dieses durch Verdienst und Macht sich über alles andre schwingt.
Das Glas, das aller Orten ist, ist darum auch von keinem Werte;
So hohen Preis hat der Rubin, weil man ihn nur mit Müh' erringt.

Durch Geduld kommt man zum Ziele, wer sich aber übereilt, fällt auf den Kopf.
Mit eignen Augen konnt' ich in der Wüste sehn
Am Hast'gen den Bedächtigen vorübergehn.
Ich sah das flücht'ge Roß am Wege liegenbleiben,
Den Treiber die Kamele langsam weitertreiben.

Für den Unverständigen ist nichts besser als Schweigen, aber wenn er verstände, was für ihn das Beste ist, wäre er nicht unverständig.


Wenn du Talent nicht und Verdienst besitzest,
So halte deinen Mund vom Sprechen fern.
[287]
Die Zunge, sie verrät des Menschen Schande,
Die Leichtigkeit die Mandel ohne Kern.
Einen Esel nahm ein Tor einst in die Lehre,
Und ließ sich dabei nicht Zeit und Mühe reuen.
Wozu, sprach ein Weiser, gibst du dir die Mühe?
Willst in deinem Eifer nicht die Spötter scheuen?
Von dir werden Tiere niemals sprechen lernen:
Lernest du von ihnen schweigen, wird mich's freuen.
Wer nicht bedenkt, bevor er spricht,
Meist taugt auch seine Rede nicht.
Kannst du dich nicht verständig zeigen,
So mußt du wie die Tiere schweigen.

Wer sich mit einem Verständigern in Streit einläßt, um seinen Verstand zu zeigen, zeigt nur, daß er keinen Verstand hat.


Wenn einer, der dir überlegen, vor dir spricht,
Wenn du's auch besser weißt, so widersprich ihm nicht.
Willst du mit Bösen gehn, wirst du nichts Gutes sehn.
Wenn sich der Engel zu dem Teufel setzt,
So lernt er Bosheit, List und Trug zuletzt.
Nichts Gutes lernen die mit Bösen gehen:
Beim Wolfe lernt man nicht die Pelze nähen.

Decke die verborgenen Fehler der Leute nicht auf, denn du raubst ihnen die Ehre und dir das Vertrauen.

[288] Wer Wissenschaft gelernt und sie nicht in Ausübung bringt, gleicht dem, welcher den Acker gepflügt und keinen Samen ausgestreut. Von einem Leib ohne Geist kommt kein gottgefälliger Wandel, und eine Schale ohne Kern eignet sich nicht zum Handel.

Nicht jeder, der im Streiten witzig, ist im Arbeiten hitzig.


Wie mancher Wuchs scheint schön und schlank, vom Schleier wohl versteckt:
Ein altes Mütterchen ist's nur, wenn man ihn aufgedeckt.

Wenn alle Nächte die Wundernacht wären, so wäre die Wundernacht kein großes Wunder.
Wenn ein Rubin Bedachschans wäre jeder Stein,
Rubin' und Steine würden gleich an Werte sein.
Nicht jeder, der gut aussieht, hat einen löblichen Wandel, denn die Seele handelt, nicht die Haut.
Du kannst an einem Tage wohl, aus Sitten und aus Lebensart,
Wie weit es in des Wissens Kunst ein Mann gebracht, erfahren.
Doch auf sein Innres baue nicht, gib dich nicht eitler Täuschung hin:
Des Herzens Bosheit kennt man nicht, auch selbst nach vielen Jahren.
Mit Großen streiten heißt sein eignes Blut vergeuden.
[289]
Der Schielende sieht zwei für eines,
Drum siehst du dich als einen Großen.
Schnell ist dir deine Stirn zerschmettert,
Willst du mit einem Widder stoßen.
Die Hand gegen den Löwen und die Faust gegen das Schwert, ist nicht die Sache der Verständigen.
Den Kampf und Streit mit dem Betrunknen mußt du fliehn,
Die Hand vor Starken unter deine Achsel ziehn.

Ein Schwacher, der gegen einen Starken seinen Mut zeigen will, unterstützt seinen Feind zum eignen Verderben.


Wer im Schatten aufgewachsen, der vermag
Nicht den kampfgeübten Streiter anzufallen.
Töricht ist der Schwacharm, wenn er wagt, die Faust
Anzulegen an den Mann mit Eisenkrallen.
Wer auf guten Rat nicht hört, will Tadel hören.
Willst du zu meinem Rat das Ohr nicht neigen,
So mußt du dann, wenn ich dich schelte, schweigen.

Leute ohne Verdienst können die Verdienstvollen nicht sehen, gleichwie die Markthunde, wenn sie einen Jagdhund sehn, anfangen laut zu bellen, aber nicht wagen, sich vor ihn zu stellen.

Wenn der Niedriggesinnte es durch Verdienst nicht mit jemand aufnehmen kann, so fällt er ihn durch Bosheit an.


[290]
Stets redet Böses hinterher der schwache Neider,
Vor dem Beneideten ist seine Zunge stumm.

Wenn des Bauches Qual nicht wäre, würde kein Vogel in das Netz des Jägers geraten, ja der Jäger selbst würde kein Netz aufstellen.


Gekettet ist der Fuß vom Bauch, die Hand gebunden;
Der Sklave seines Bauchs wird selten fromm erfunden.

Die Weisen essen so spät als möglich, die Werkfrommen essen sich halb satt, die heiligen Männer, um den letzten Lebenshauch zu erhalten, die Jünglinge, bis man die Schüssel wegnimmt, die Greise, bis sie in Schweiß geraten, aber die Bettelmönche so lange, bis kein Atem mehr in ihrem Leibe und kein Bissen mehr auf dem Tische bleibt.


Zwei Nächte findet, wer dem Bauche als Sklave dienet, keinen Schlummer,
Die eine wegen Magendrücken, die andre wegen Herzenskummer.

Mit Weibern beratschlagen ist Verderben, und gegen Wüstlinge freigebig sein ist Verbrechen.
Wer mit dem Tiger Mitleid fühlen kann,
Ist für die armen Schafe ein Tyrann.
Wer den Feind in seiner Gewalt hat und ihn nicht tötet, ist sein eigner Feind.
Ist in der Hand ein Stein, auf einem Stein die Schlange,
[291]
Wer Witz hat und Verstand, der zaudert da nicht lange.

Manche haben aber das Gegenteil für geraten gehalten und gesagt: Ehe man diejenigen tötet, die man in seiner Gewalt hat, ist Überlegung besser, weil ja immer die freie Wahl bleibt, und man töten kann oder loslassen kann; wenn man aber ohne Überlegung tötet, so ist es möglich, daß dadurch ein Vorteil verloren geht, den nachher wieder einzuholen unmöglich ist.


Mit leichter Mühe raubt man Lebenden das Leben,
Getötete vermag man nicht mehr zu beleben;
Der Schütze von Verstand wird sich zuerst bedenken,
Den abgeschoßnen Pfeil kann er zurück nicht lenken.

Ein Weiser, der unter Toren gerät, darf von ihnen keine Ehre erwarten, und wenn ein Tor durch sein Geschwätz einen Weisen zum Schweigen bringt, so ist es kein Wunder: es ist der Kiesel, der den Edelstein zerschlägt.


Was Wunder, wenn der Rabe sein Gekrächze angestimmt,
Daß man der Nachtigall Gesang im Käfig nicht vernimmt.
Wird von einem Taugenichts ein Trefflicher beleidigt,
[292]
Sei er nicht darob erzürnt und gräme sich nicht sehr:
Wenn der schlechte Kieselstein zerschlägt die goldne Schale,
Ist das Gold nicht wen'ger wert und auch der Stein nicht mehr.

Wenn ein Verständiger unter einem Haufen ungeschliffener Leute nicht zum Worte kommen kann, so wundere dich nicht darüber, denn der Ton der Zither kann bei dem Getöse der Trommel nicht aufkommen, und der Geruch der Ambra wird von dem Gestanke des Knoblauchs überwältigt.


Wenn schamlos einen Klugen niederwarf der Tor,
So richtet er geschwätzig seinen Hals empor.
Weiß er nicht, daß die sanften, süßen Hedschastöne
Verstummen macht der Kriegestrommel laut Gedröhne?

Wenn der Edelstein in den Kot fällt, ist er darum nicht weniger edel, und wenn der Staub zum Himmel aufsteigt, ist er darum nicht weniger unedel.

Fähigkeit ohne Erziehung ist traurig, und Erziehung eines Unfähigen ist vergeblich.

Die Asche hat zwar eine hohe Abstammung, denn das Feuer ist ein himmlischer Stoff, aber weil sie durch sich selbst keinen Wert hat, so ist [293] sie dem Staube gleich. Der Zucker ist nicht um des Rohres willen teuer, sondern wegen seiner eigenen Trefflichkeit.


Da bös' und widerspenstig war des Kanaans Gemüt,
War er nicht besser, weil er dem Prophetenstamm entblüht.
Darum, vermagst du's, zeige mir die Tugend, nicht den Stamm:
Vom Dorne stammt die Rose ab, von Aser Abraham.

Den Moschus erkennt man durch seinen eignen Geruch, nicht durch des Gewürzhändlers Ausspruch.

Der Verständige ist wie des Gewürzhändlers Tafel, stillschweigend seine Trefflichkeiten vor Augen stellend; der Unverständige ist wie die Kriegstrommel, laut tönend, im Innern leer, mit eitelm Getöse gellend.


Von dem Verständ'gen mitten unter Toren
Sagt eines weisen Mannes Sprichwort aus:
Es ist der Schöne mitten unter Blinden,
Die heil'ge Schrift in eines Ketzers Haus.

Einen Freund, in dessen Erwerbung ein ganzes Leben verflossen, muß man nicht durch die Kränkung eines Augenblickes von sich stoßen.


In vielen Jahren wandelt sich ein Stein in ein Rubinstück;
Drum schlag es nicht im Augenblick mit einem Stein entzwei.

[294] Der Verstand ist in der Hand der Leidenschaft gefangen, wie der schwache Mann in der Hand des gewaltigen Weibes.


An einem Hause schließe gleich der Freude Tor,
Ertönt des Weibes Stimme laut aus ihm hervor.
Klugheit ohne Kraft ist Lug und Trug, und Kraft ohne Klugheit ist Torheit und Tollheit.
Erst Scharfsinn, Klugheit und Verstand bedarf's und dann Besitz;
Besitz und Macht des Toren sind des eignen Krieges Waffen.

Ein fröhlicher Geselle, der genießt und genießen läßt, ist besser als ein heiliger Mann, der fastet und liegen läßt.

Wer der Lust entsagt hat, um den Menschen zu gefallen, ist aus der erlaubten Lust in die verbotne Lust gefallen.


Der Heil'ge, der nicht wegen Gott zurück sich in den Winkel zieht,
Was ist es, das der arme Tor in einem finstern Spiegel sieht?
Wenig und wenig wird ein Heer, Tropfen auf Tropfen wird ein Meer.
»Ein Bach ist es, wenn Tropfen sich mit Tropfen einigt,
Ein Meer, wenn mit dem Bache sich der Bach vereinigt.«
Das Wenige zum Wenigen macht einen Haufen aus,
[295]
Das Korn zum Korn erfüllt mit Brot das ganze Vorratshaus.

Ein Weiser soll die Dummheit eines gemeinen Menschen nicht mit Nachsicht vorbeigehn lassen, denn es bringt auf beiden Seiten Schaden: das Ansehn jenes wird verringert, und die Torheit dieses wird verstärkt.


Sprichst du gütig mit dem Kerl von grobem Holz,
Mehrt sich nur dadurch sein Übermut und Stolz.

Die Sünde, von wem sie auch begangen wird, ist verwerflich, wenn sie aber von gelehrten Männern begangen wird, ist sie noch verwerflicher, denn die Wissenschaft ist eine Waffe zum Kampfe wider den Satan, und wenn der Bewaffnete gefangen weggeführt wird, so ist die Schande desto größer.


Besser ist ein Unerzog'ner, der die Lebenszeit vergeudet,
Als ein Mann von hoher Bildung, der das Laster nicht vermeidet.
Jener ist in seiner Blindheit von dem Wege abgegangen,
Dieser mit zwei offnen Augen ließ sich in der Grube fangen.

Wer den Leuten im Leben nicht Brot gegeben, dessen Namen werden sie im Tode nicht erheben.

Joseph der Getreue wollte sich während der Dürre Ägyptens nicht satt essen, um der Hungrigen nicht zu vergessen. Die Süßigkeit der [296] Traube kennt die Witwe, die in Armut sitzt, besser, als der den Weinberg besitzt.


Es weiß, wer sitzt in Ruh' und Überfluß,
Nicht was der Hungrige erdulden muß.
Nur der kennt recht des Unglücksvollen Klage,
Der selber schon gefühlt des Unglücks Plage.
O denke, wenn auf schnellem Rosse daher du trabst mit Windeseile,
Wie jener dornbelad'ne Esel in Schlamm und Kot steckt bis zum Bauch.
O gehe nicht zum Nachbarhause, vom Armen Feuer zu verlangen,

Denn was aus seinem Fenster dringet, das ist nur seines Herzens Rauch.


Den armen Bedürftigen frage in der Zeit der Hungersnot nicht nach seinem Befinden, es sei denn, daß du auf seine Wunde Salbe streichst und ihm das nötige Geld reichst.


Siehst du einmal einen Esel mit der Last im Kote stecken,
Magst du Mitleid mit ihm fühlen, aber geh' nicht zu ihm hin.
Bist du zu ihm hingetreten um nach seinem Fall zu fragen,
Fasse gleich das Tier am Schwanze, wacker es herauszuziehn.

Zwei Dinge sind unmöglich: mehr als das beschiedne Teil erwerben, und eher als die bestimmte Zeit sterben.


[297] Anders wird doch nicht der Ratschluß, sind auch tausend heiße Seufzer,

Sei's zum Danke sei's zur Klage, aus dem Munde aufgestiegen.
Jener Engel, dem der Winde Schatz zur Obhut aufgetragen,

Ob verlischt der Alten Lampe, was kann ihm wohl daran liegen?


O der du nach dem täglichen Brote suchst, setze dich ruhig hin, es zu verzehren, und der du von dem Verhängnisse gesucht wirst, gehe nicht fort, denn du kannst dem Tode nicht wehren.


Ob um den Unterhalt du dich bemühst, ob nicht,
Wird der Allmächt'ge ihn zu senden nicht vergessen.
Und wärst du in des Löwen oder Tigers Schlund,
Ist dir es nicht verhängt, sie werden dich nicht fressen.

Was nicht bestimmt ist, kann die Hand nicht erreichen, und was bestimmt ist, wird sie überall, wo es auch sei, erreichen.


Du weißt, wie einst der Zweigehörnte gelangte zu den Finsternissen
Mit Müh' und Not, und dennoch dürft' er vom Lebenswasser nicht genießen.

Ein Fischer, dem es nicht beschert ist, wird im Tigris keinen Fisch bekommen, und ein Fisch, [298] dem es nicht bestimmt ist, wird auf dem Trocknen nicht umkommen.


Der arme Gierige durchläuft die ganze Erde,
Er läuft dem Brote nach, der Tod läuft hinter ihm.

Der gottlose Reiche ist ein Ziegelstein mit Gold verziert, und der fromme Arme ist ein schönes Gesicht mit Erde beschmiert; dieser ist Moses Rock mit Lappen geflickt, jener ist Pharaos Bart mit Perlen geschmückt.

Das Unglück der Guten hebt das Angesicht zur Freude, und das Glück der Bösen neigt das Haupt zum Leide.


Wer Rang und Glück besitzt und doch
Die wunden Herzen nicht gewahrt,
Sag' ihm, daß in der andern Welt
Nicht Rang noch Glück für ihn bewahrt.
Der Neidische geizt mit Gottes Wohltaten, und feindet den schuldlosen Menschen an.
Einst hört' ich, wie ein hochgestellter Mann
Verlästert ward von einem neid'schen Wicht.
O Herr, rief ich, daß du nicht glücklich bist,
Das ist die Schuld der Glücklichen doch nicht.
O wünsche du dem Neidischen kein Unglück an,
Unglück hat er schon selbst genug zum Überdruß.
Nicht nötig ist es, daß du an ihm Feindschaft übst,
[299]
Die Feindschaft hat er schon, sie folgt ihm auf dem Fuß.

Ein Lehrling ohne Lernbegierde ist ein Liebhaber ohne Gold, und ein Pilger ohne Erkenntnis ist ein Vogel ohne Flügel, und ein Wissender ohne Werke ist ein Baum ohne Frucht, und ein Werkheiliger ohne Wissen ist ein Haus ohne Türe.

Der Koran ist darum herabgesandt worden, damit man sich im Wandel schön betrage, nicht damit man einen Abschnitt schön hersage.

Der gemeine Mann, der sich guter Werke befleißigt, ist ein einherschreitender Fußgänger, und der Wissende, der träge und untätig lebt, ist ein eingeschlafener Reiter.

Der Sünder, der demütig die Hand erhebt, ist besser als der Fromme, der stolz den Kopf aufhebt.


Ein Kriegsmann güt'ger Sinnesart und freundlicher Gebärde,
Ist besser als der menschenpeinigende Rechtsgelehrte.

Man fragte jemand: Weißt du, wem der Wissende ohne gute Werke gleicht? Er antwortete: Der Biene ohne Honig.


Sprich zu der groben ungeschlachten Wespe:
Da du nicht Honig gibst, so stich auch nicht.
Unmännliche Männer sind Weiber, habsüchtige Frömmler sind Räuber.
[300]
Um der Menschen willen machst du weiß dein Kleid,
Schwarz wird in das Buch dein Name eingetragen.
Kurz sei immer für das Gut der Welt dein Arm,
Magst du lange oder kurze Ärmel tragen.

Zweierlei Leute befreien das gekränkte Herz nicht vom Grame und ziehen den getäuschten Fuß nicht aus dem Schlamme: der Kaufmann, dem das Schiff gebrochen und der Erbe, dem die Bettelmönche zugesprochen.


Bei den Kalenders bist du vogelfrei,
Willst du mit deinem Gut sie nicht bedenken.
Wenn du mit dem im blauen Hemde gehst,
Darf dich das Blau auf deinem Haus nicht kränken.
Sei nicht des Elefantenführers Freund,
Kannst du dem Tier ein passend Haus nicht schenken.

Ist auch das Ehrenkleid des Sultans herrlich, so ist doch der eigne abgenutzte Rock herrlicher, und ist auch der Tisch der Großen köstlich, so sind doch die Brocken aus dem eignen Ranzen köstlicher.


Kraut und Essig dargebracht durch eigne Not,
Schmeckt doch besser als beim Dorfherrn Lamm und Brot.

Es ist der gesunden Vernunft zuwider und der Einsicht der Verständigen entgegen, eine Arznei [301] nach eignem Gutdünken einzunehmen und einen unbekannten Weg ohne Karawane zu wandern. Der hochwürdige Imam Mohammed Ghasali wurde einst gefragt, wie er zu einer so hohen Stufe in der Gelehrsamkeit gelangt sei? Er antwortete: Dadurch, daß ich mich nicht schämte, was ich nicht wußte zu fragen.


Erst dann erlaubt dir die Vernunft Genesung zu erwarten,
Wenn du dem vielerfahrnen Arzt des Pulses Schläge zeigst.
Was du nicht weißt, das frage nur, es weis't des Fragens Schande
Dich auf den Weg, auf dem du zu des Wissens Ehre steigst.

Wenn du weißt, daß du etwas auf jeden Fall erfahren wirst, beeile dich nicht darnach zu fragen, denn dieses schadet deinem Ansehn.


Als Lokman einst den David sah
Mit Eisen wie mit Wachs verfahren,
Fragt' er ihn nicht: Was machst du da?
Er wußt': Ich werd' es schon erfahren.

Zu den Erfordernissen des Zusammenlebens gehört dieses: Entweder räume das Haus, oder halte zusammen mit dem Herrn des Hauses.


Erzähle stets nach deines Hörers Fassung,
Weißt du, daß er dir ein geneigtes Ohr leiht.
Sitzt ein Verständ'ger an der Seite Medschnuns,
So spricht er nur von seiner Leila Schönheit.

[302] Wer sich zu Bösen setzt, wenn er auch ihre Weise nicht annimmt, wird sich doch ihres Wandels verdächtig machen, gleichwie wenn einer in die Weinschenke geht, man nicht denkt, daß er sein Gebet verrichten, sondern daß er Wein trinken will.


Daß als ein Tor du giltst, das kann nicht fehlen,
Willst du den Toren dir zum Freunde wählen.
Einst bat ich einen weisen Mann um Lehre;
Er sprach: Der Toren Umgang nicht begehre:
Dumm wirst du, wärst der Klügste du auf Erden,
Und bist du dumm, so mußt du dümmer werden.

Bekanntlich ist die Sanftmut des Kamels so groß, daß, wenn ein Kind dessen Zügel ergreift und es hundert Parasangen weit führt, es seinen Nacken dem Gehorsam nicht entzieht; aber wenn es an einen gefährlichen Pfad kommt, wo sein Untergang unvermeidlich wäre, und das Kind aus Unkenntnis dorthin gehn will, so reißt es den Zügel aus seiner Hand und gehorcht ihm ferner nicht mehr; denn zur Zeit wo Härte vonnöten, ist Nachgiebigkeit tadelnswert, und das Sprichwort sagt: Durch Nachgiebigkeit wird der Feind nicht zum Freunde bekehrt, sondern seine Begierde wird nur vermehrt.


Wer sich gütig dir erweiset, sei du Staub zu seinen Füßen;
Dem wirf Staub in beide Augen, der sich grob zu sein vermessen.
[303]
Rede nicht mit sanften Worten zu dem ungeschliffnen Menschen:
Nicht die weiche Feile glättet das, was von dem Rost zerfressen.

Wer andern in die Rede fällt, damit man den Vorrat seiner Weisheit kennen lerne, läßt nur den Grad seiner Torheit erkennen, und große Männer haben gesagt:


Nie gibt der Verständ'ge eine Antwort,
Außer dann, wenn jemand ihn befragt.
Wär' auch seine Rede lautre Wahrheit,
Würd' er doch des Unsinns angeklagt.

Ich hatte einmal eine Wunde unter meinem Kleide; der hochwürdige Scheich, Gottes Gnade mit ihm! fragte mich jeden Tag: Wie geht es mit deiner Wunde? aber er fragte nicht: Wo ist sie? Ich erkannte, daß er dieses darum vermied, weil die Erwähnung eines jeden Gliedes nicht anständig ist, und Verständige gesagt haben: Wer die Frage nicht gewogen fein, wird der Antwort nicht gewogen sein.


Weißt du nicht ob dein Wort vollkommne Wahrheit ist,
So bleibe stumm und laß den Mund verschlossen sein.
Wenn du die Wahrheit sprichst und in den Fesseln bleibst,
Weit besser ist's als dich durch Lüge zu befrei'n.

[304] Die Lüge gleicht einem haftenden Schlage; wenn auch die Wunde heilt, so bleibt doch die Narbe. Als die Brüder Josephs, ihm sei Heil! sich durch Lüge gebrandmarkt, hatte man auch kein Vertrauen mehr zu ihnen, wo sie die Wahrheit sagten, darum spricht Gott: »Wahrlich, ihr habt euch die Sache leicht gemacht, o es bedarf einer schönen Geduld!«


Wer an Wahrheit sich gewöhnt, dem wird
Auch das Falsche das Vertrau'n nicht rauben;
Aber wer im Ruf der Lüge steht,
Dessen Wahrheit wird man selbst nicht glauben.
Bei dem, der stets der Wahrheit sich befliß,
Wird eine einz'ge Lüge keiner rügen;
Doch wer als Lügner aller Welt bekannt,
Wenn er die Wahrheit sagt, scheint er zu lügen.

Das erhabenste der Geschöpfe ist anerkanntermaßen der Mensch und das niedrigste der Wesen der Hund, und doch stimmen alle Weisen darin überein, daß ein dankbarer Hund besser ist als ein undankbarer Mensch.


Der Hund vergißt den einz'gen Bissen nicht,
Und wirfst du ihm auch hundert Steine nach.
Im Menschen, den du jahrelang gepflegt,
Wird durch ein Nichts Verrat und Feindschaft wach.

[305] Wer seinen Leib pflegt, den wird man nie zu den Verdienstvollen zählen, und wem es an Verdienst fehlt, der darf andern nicht befehlen.


O schone den gefräß'gen Ochsen nie!
Je mehr es frißt, so träger ist das Vieh.
Füllst du als fetter Ochse deinen Magen,
So laß dich auch als faulen Esel schlagen.

Im Evangelium heißt es: O Adamssohn, wenn ich dir Reichtum gebe, so vergissest du meiner über deinem Gute, und wenn ich dich arm mache, so sitzest du da mit betrübtem Mute: wo willst du denn in der Süßigkeit meines Andenkens weilen, und wann willst du zu meinem Dienste eilen?


Bald im Reichtum undankbar und aufgeblasen,
Bald in Armut tief betrübt und sorgenvoll:
Weil in Freude wie in Leid dies dein Betragen,
Weiß ich nicht, was denn zu Gott dich führen soll.

Der Wille des Unvergleichbaren stürzt den einen vom Königsthrone herunter und erhält den andern im Walfischbauch munter.


Wer dein zu denken sich gewöhnt, lebt glücklich ohne Sorgen,
Und wär' er auch dem Jonas gleich im Walfischbauch verborgen.

Wenn Gott das Schwert des Zornes herauszieht, müssen Prophet und Heiliger den Kopf einziehn; wenn er aber mit dem Wink der Güte blickt, so werden Böse mit Guten beglückt.


[306]
O richtest du mit Zorn am Auferstehungstage,
Steht selbst Propheten nicht der Weg der Gnade offen.
Vom Antlitz hebe auf den Schleier deiner Güte,
Daß die Verdammten auch noch auf Verzeihung hoffen.

Wer durch die Zucht dieser Welt geleitet nicht den rechten Weg ergreift, wird von der Züchtigung der andern Welt ergriffen. Gott spricht: »Wir wollen sie die geringern Strafen schmecken lassen, daß sie die größern Strafen vermeiden.«


Der Mächt'ge mahnt zuerst, eh' er mit Banden kommt;
In Bande legt man dich, wenn dir nicht Mahnung frommt.

Die unter einem glücklichen Gestirn Gebornen nehmen sich aus den Geschichten und Sprichwörtern ihrer Vorgänger eine Lehre, bevor ihre Nachkommen ihre eigenen Begegnisse zum Sprichwort machen.


Ein Vogel wird nicht zu dem Korne fliegen,
Sieht er im Netz den andern schon umgarnt.
Laß andrer Schicksal dir zur Warnung dienen,
Daß nicht dein eignes Schicksal andre warnt.

Der, dessen Ohr des Willens taub geschaffen ist, wie sollte der hören? und der, welcher in der Schlinge der Seligkeit fortgezogen wird, wie sollte der nicht gehen?


[307]
Die finstre Nacht der Freunde Gottes
Ist glänzend wie der helle Tag;
Nicht kommt dies Glück durch eigne Stärke,
Solang' es Gott nicht schenken mag.
Du bist der einz'ge Richter, vor dir, Herr! klagt dein Knecht;
Kein höh'rer Spruch als deiner, dein Spruch nur ist gerecht.
Der, welchen du geleitest, kann niemals sich verirren;
Wen du in Irrtum führest, den führt niemand zurecht.
Erst Kummer und dann Fröhlichkeit
Ist besser als nach Freude Leid.

Die Erde wird vom Himmel mit dem Regen bedacht, und dem Himmel wird von der Erde der Staub gebracht. »Jedes Gefäß sickert das durch, was es enthält.«


Siehst du, daß meine Sitten mir nicht wohl anstehn,
Laß dir nur deine guten Sitten nicht entgehn.
Gott sieht und verhüllt, der Nachbar sieht nicht und schilt.
Gott! könnten auch die Menschen das Verborg'ne wissen,
Es würde jeder bald den andern fliehen müssen.

Aus dem Bergwerke erhält man das Gold, wenn man das Erz ausgräbt, aber aus der Hand des Geizigen erhält man es nicht, wenn man sein Herz ausgräbt.


[308]
Die Schmutzigen genießen nicht und warten,
Sie finden Hoffnung besser als Genuß;
Doch einstmals siehst du wie nach Feindeswunsche
Das Gold verbleibt, der Geiz'ge sterben muß.
Wer bei den Untergebenen nicht weiß zu gedulden, muß von den Vorgesetzten Härte erdulden.
Nicht jeder Arm, den Starke tragen,
Kann auch der Schwachen Hand zerschlagen.
Dem Schwachen schaffe keinen Harm,
Es schlägt dich sonst des Starken Arm.

Wo der Verständige Streit entstehn sieht, eilt er davon, und wo er Frieden sieht, wirft er den Anker aus, denn dort ist Sicherheit am Ufer, hier ist Anmut auf hoher See.

Dem Würfelspieler würden drei Sechser gefallen, während ihm nur drei Einer fallen.


Tausendmal ist ihm die Weide mehr wohl als die Rennbahn wert,
Aber nicht nach seinem Willen lenkt Gebiß und Zaum das Pferd.

Ein Derwisch sagte in seinem einsamen Gebete: O Herr, erbarme dich der Bösen, denn der Guten hast du dich schon erbarmt, indem du sie gut geschaffen.

Der erste, der ein Alem auf dem Kleid und einen Ring an der Hand trug, war Dschemschid; als man ihn fragte: Warum trägst du denn allen [309] Schmuck und alle Zierde auf der linken Seite, da doch die rechte die vorzüglichere ist? antwortete er: Der rechten genügt es, daß sie die rechte ist.


Auf Feriduns Befehl ward von den Stickern Chinas
Rings um sein Zelt die Inschrift eingestickt:
Die Bösen, o Verständiger, behandle gut,
Die Guten sind schon durch sich selbst beglückt.

Ein Großer wurde gefragt: Bei dem großen Verdienste, welches die rechte Hand hat, warum steckt man den Siegelring an die linke? Er antwortete: Weißt du nicht, daß immer die verdienstvollen Leute zurückgesetzt werden?


Der, welcher Los geschaffen und Geschick,
Verleiht Verdienst entweder oder Glück.

Dem Fürsten guten Rat zu geben steht nur dem frei, der weder für seinen Kopf fürchtet, noch auf Gold hofft.


Dem Frommen magst du Gold vor seine Füße bringen,
Du magst das Ind'sche Schwert vor seinem Haupte schwingen,
Er wird durch Hoffnung nicht, wird nicht durch Furcht bewegt:
So ist zum Glauben erst der rechte Grund gelegt.

Der König ist da, um die Gewalttätigen im Zaume zu halten, und der Statthalter um der [310] Totschläger willen, der Kadhi aber sucht den Vorteil der Beutelschneider, und niemals werden zwei Gegner, die nur das Recht im Auge haben, vor den Kadhi gehn.


Weißt du genau die Schuld, die zu bezahlen ist,
Bezahle willig, nicht mit Zank und Widerstreben.
Wenn du die Steuer nicht in Güte zahlen willst,
Mußt du sie mit Gewalt des Hauptmanns Leuten geben.
Andern Leuten werden die Zähne durch Saures stumpf, dem Kadhi aber durch Süßes.
Hast du zum Kadhi als Geschenk fünf Gurken nur getragen,
Dir werden zehn Melonenfelder von ihm zugeschlagen.

Wie sollte die alte Buhlerin nicht geloben, ferner nicht nach Buhlen zu jagen, und der abgesetzte Statthalter nicht mehr die Menschen zu plagen?


Der Jüngling, der sich einsam setzt, der ist ein Held auf Gottes Wegen:
Der Alte kann von selbst schon nicht aus seinem Winkel sich bewegen.
Mut und Kraft bedarf der Jüngling die Begierde zu bekämpfen,
Keine Mühe braucht der Alte um des Triebes Lust zu dämpfen.

Einen Weisen fragte man: Von so vielen trefflichen Bäumen, welche Gott geschaffen hat, [311] mächtig und fruchtbar, wird keiner der Freie genannt, nur die Zypresse wird es, die keine Früchte trägt; was ist denn der eigentliche Grund davon? Er antwortete: Einem jeden Baume ist ein Ertrag angewiesen und eine Zeit bestimmt; bald ist er im Besitze dieses Ertrages grün, bald welkt er dessen beraubt; für die Zypresse aber findet nichts von allem diesem statt, sie ist zu jeder Zeit grün, und das ist die Eigenschaft der Freien.


Dem was vergeht, gib nicht dein Herz; es fließt noch lange
Nach dem Chalif der Tigris in Bagdad vorbei.
Wenn du es kannst, so sei großmütig wie die Palme,
Kannst du es nicht, so sei wie die Zypresse frei.

Zweierlei Leute sterben mit Herzeleid: wer gehabt und nicht genossen, und wer gewußt und nicht gewirkt.


Bei Männern von Verdienst, die geizig sind,
Wird gern ein jeder Fehler aufgedeckt;
Hat ein Großmüt'ger hundert Fehler auch,
Sie werden von der Großmut zugedeckt.

[312] Schluß

Das Buch des Rosengartens ist vollendet, und Gott hat dazu seinen Beistand gespendet! Und ich habe nicht in diesem Werke, wie es bei den Schriftstellern Brauch ist, erborgte Verse meiner Vorgänger zusammengenäht.


Besser ist's den eignen Kittel flicken,
Als sich mit geborgtem Rocke schmücken.

Sadis Reden erregen meist freudig das Herz und sind gewürzt mit leichtem Scherz. Kurzsichtige Leute aber strecken aus diesem Grunde die Zunge der Lästerung aus und sagen: das Mark des Gehirnes nutzlos abmühn und den Rauch der Lampe zwecklos einziehn, ist nicht eines Verständigen Sache. Allein dem hellen Verstande der Leute von Einsicht, gegen die der Rede Angesicht gerichtet ist, kann es nicht verborgen sein, daß die heilsame Perle der guten Lehre angereiht ist an den Faden des schönen Ausdrucks, und die bittere Arznei des guten Rates vermischt mit dem Honig des feinen Redeschmucks, damit der Geist des Lesers nicht unlustig, und das Buch des Glückes der günstigen Aufnahme nicht verlustig werde.


Wir haben nach Gebühr den Rat zu geben
Verwendet manchen Tag von unserm Leben;
Sollt' er nicht zu geneigten Ohren dringen:
»Des Boten Pflicht ist Botschaft nur zu bringen.«
[313]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Sa'di, Moṣleḥ oʾd-Din. Erzählsammlung. Rosengarten. Rosengarten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B3A4-9