Die Klage

Durch diese unerträglich flachen Tage,
die ihren endlos grauen Frühlingsregen
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wie einen Sarg um meine Seele legen,
zog eines Traumes wundersame Frage
ein feines Band; schlägst du dies Band, so prägen
sie zitternd einen Klang von tiefer Klage. –
Nun küß mich wieder! sprach der Traum, da trat
ich in den Streifen, dessen fahler Glanz
und strähniges Gewinde meinen Pfad
schon lang verwirrt und nun im Taumeltanz
der Abendnebel, deren weiße Saat
von allen Wiesen kräuselnd stieg, mich ganz
verzaubert weiter führte; und ich ging
ihm nach und lief und stolperte und sprang
ihm nach durch Tau und Ried, bis wie ein Ring
und gläsern dünner Unkenglockenklang
er schwebend über meinem Haupte hing
und diese Klage zu mir nieder sang:
»Als meine Liebe trunken überquoll,
als ich besessen war und meine Brüste
nichts andres schienen als zwei wollusttoll
lechzende Kissen deiner wilden Lüste,
und als mein Leib von deiner Liebe schwoll
und ich schon wußte, daß ich sterben müßte,
bat ich dich wohl: sag mir ein armes Mal,
daß du mich liebst. – Du sagtest es mir nicht;
ich starb und noch in meiner letzten Qual
bat ich dich – doch du sagtest es mir nicht;
ich war dir lieb, mehr als der Sonne Strahl
dir lieb – doch warum sagtest du es nicht?
Nun trägst du deine einsam kalten Tage
durch eine Welt, die nichts von dir versteht,
und die – – –« und wie ein Blitz, mit einem Schlage
verschwand mir Bild und Traum; doch mich umfleht
noch immerfort der Stimme süße Klage
wie eines Toten heimliches Gebet,
das lockend aus dem Nichts herüberweht.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Sack, Gustav. Die Klage. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B386-D