Leopold von Sacher-Masoch
Eine Autobiographie

[259] Ich wurde am 27. Jänner (dem Geburtstage Mozart's) des Jahres 1836 in Lemberg, der Hauptstadt des Königreiches Galizien, geboren. Die Familie meines Vaters ist spanischen Ursprungs. Einer meiner Ahnen, Don Mathias Sacher, kämpfte als Rittmeister unter Kaiser Karl V. in der siegreichen Schlacht bei Mühlberg gegen die deutschen Protestanten, wurde verwundert nach Böhmen gebracht, vermählte sich hier mit einer Marquise Elementi und blieb im Lande. Professor Schleicher, der bekannte Sprachforscher, sagte mir, daß, wenn meine spanische Abkunft erwiesen sei, er nicht im mindesten daran zweifle, daß ich von den Arabern abstamme. Der Name Sacher kann im Arabischen auf mehr als fünfzig Wurzeln zurückgeführt werden, kommt bei diesem Volke häufig vor und es giebt sogar einen arabischen Dichter Sacher, von dem in der Hamasa (Sammlung arabischer Dichter) von Rückert die Rede ist.

Durch meinen Großvater Johann Nepomuk Ritter von Sacher kam die Familie nach Galizien zur Zeit, als dieses Land bei der Theilung Polens 1772 österreichisch wurde. Mein Großvater war Gubernialrath und Administrator von Galizien und erwarb sich als solcher so viel Vertrauen und Liebe, daß ihn der galizische Adel in seine Reihen aufnahm und ihm das Indigenat verlieh.

Mein Vater war der Polizeichef von Galizien und k.k. Hofrath Leopold Ritter von Sacher-Masoch, ein Staatsmann, der sich in drei polnischen Revolutionen 1831, 1846, 1848, bedeutende Verdienste erworben hat. Meine Mutter, Caroline Edle von Masoch, war die Letzte ihres alten slavischen Geschlechtes, mein Vater vereinigte daher – wie es in adeligen Familien Sitte – mit Bewilligung des Kaisers von Oesterreich, ihren Namen mit dem seinen und die Familie heißt seitdem Sacher-Masoch.

Ich brachte meine Kindheit in einem Polizeihause zu. Nur wenige wissen noch, was dies in Oesterreich vor 1848 sagen will: Polizeisoldaten, welche Vagabunden und gefesselte Verbrecher einbringen, finster aussehende Beamte, ein magerer, schleichender Censor, Spione, die Niemandem in das Gesicht zu sehen wagen, die Prügelbank vergitterte Fenster, durch welche hier lachend geschminkte Dirnen, dort melancholisch bleiche polnische Verschworene blicken. Das war, weiß Gott, keine fröhliche Umgebung!

Zum Glück genoß ich sie nur im Winter, und auch da vermochten diese [259] häßlichen Eindrücke nur bis zur Schwelle zu dringen, hinter der meine gute, sanfte, verständige Mutter, dir nur ihrem Mann und ihren Kindern lebte, alles mit einem ruhigen, wohlthätigen Lichte erfüllte. Beinahe noch größeren Einfluß als sie nahm meine Amme, eine kleinrussische Bäuerin aus der Gegend von Lemberg, auf mich. Sie war lange Jahre in unserem Hause und in dieser Zeit der Abgott der Kinderstube. Es war ein großes, schönes Weib, ihr sanftes Antlitz fand ich viele, viele Jahre später in der Florentiner Tribune wieder, an der holden Madonna della Sedia von Rafaels Meisterhand gemalt. Sie erzählte mir alle jene schönen Geschichten und wunderbaren Märchen, welche in dem Munde unseres phantasievollen kleinrussischen Volkes leben, sie erzählte mir von Dobosch, dem Räuber, von der schönen Esterka, der jüdischen Pompadour Polens, von der unglücklichen Barbara Radziwill, von Bogden Chmielnizki, der an der Spitze der Kosaken den Adel Polens auf soviel Schlachtfeldern in die Flucht trieb, von dem Wojwoden Potozki, der Polen verrieth und der wahnsinnig wurde, als er Nachts am Balkone seines Schlosses in der Ukraine das Volkslied hörte, das ihn für ewig brandmarkte, und sie sang mir alle jene herrlichen, schwermüthigen Lieder, wie sie der kleinrussische Bauer singt, die ihresgleichen suchen an Kraft und Poesie und herzergreifender Melodie. Die wahre Freudenzeit war um Weihnachten, wenn Tag und Nacht gebacken wurde, und eine große Krippe aufgestellt war, und man sah das Jesuskind im Stalle zwischen Ochs und Esel, und die Hirten, die Geschenke brachten, und die heiligen drei Könige und sah oben den Stern aus Goldpapier, der sie führte. Dann saßen wir Kinder und die gute Amme und die Dienstleute umher und sangen die köstlichen Kolendi (Weihnachtslieder), in denen das tiefe Gemüth unseres Volkes mit seinem schalkhaften Humor wetteifert.

Später kam eine französische Bonne und ich sprach bald ebenso geläufig französisch wie meine slavische Muttersprache. Nun hörte ich noch andere hübsche Geschichten und wurde mit Barbe-bleu, Cendrillon und dem gestiefelten Kater bald ebenso vertraut, wie mit unserem schlauen Iwanov, der die Juden so herrlich zu prellen versteht, und der grausamen Russalka, welche schöne Jünglinge an sich lockt und mit ihrem goldenen Haar erwürgt.

Nichts hat mir jedoch einen so tiefen Eindruck gemacht, als die Geschichte des Schwarzkünstlers Twardoski, ich lauschte athemlos seinen spaßhaften Abenteuern und zitterte für ihn, als ihn ein fremder Diener in Krakau in die Schenke zur Stadt Rom einlud, denn ich wußte, daß sein Pakt mit dem Teufel dahin lautete, daß er ihn nur in Rom holen dürfe, und errieth sofort, daß die Hölle ihn überlistet habe. Als nun Twardoski in dem Augenblick, wo Satan erscheint, das schuldlose Kind der Wirthin ergreift und sich auf diese Weise schützt, spricht der Böse lächelnd: »Nun weiß ich, was das Wort eines Edelmanns werth ist.« Dies genügt. Twardoski giebt das Kind der Mutter zurück und überliefert sich dem Teufel. Giebt es eine Geschichte, welche den Keim der Ehre und des Ehrgefühls besser in eine Kinderseele senken könnte, wie diese? Und wie nun Satan Twardoski durch die Lüfte entführt und der letztere hört die Glocken der Marienkirche zum Ave läuten und beginnt das Gebet an die Muttergottes zu murmeln, das ihn seine Mutter gelehrt hat, da muß ihn der Teufel loslassen und Twardoski bleibt zwischen Himmel und Erde schweben und schwebt heute noch dort, und alle hundert Jahre kommt eine Spinne zu ihm herauf und bringt ihm Kunde von der Erde. Kann es ein schöneres Bild geben für den Menschen und sein Streben?

Frühzeitig war in mir der Instinkt rege, alles, was mich bewegte, darzustellen, und so spielten wir, Kleine und Große, uns alle die hübschen Geschichten vor, am liebsten den Twardoski und Barbe-bleu. Mein Cousin mit schwarzem [260] Gesicht war ein unübertrefflicher Teufel, während ich den Twardoski vorstellte. Aus Sesseln und anderen Möbeln bauten wir ein herrliches Schloß, ein Spielkamerad, der später ein braver Offizier wurde, war Barbe-bleu, die Französin in einer alten, rothen, mit Hermelin besetzten Kazabaika meiner Mutter seine Frau, und ich einer der Brüder, die den Wütherich auf dem Thurme – und das war immer unser großer Speisetisch – todtstachen.

Im Sommer waren wir stets auf dem Land, in Zlazow oder dem wunderschönen Winiki; ich hatte eine kleine Flinte und eine Jagdtasche und durchstreifte, ganz mir selbst überlassen, Wald und Feld, Sumpf und Berge. Ich konnte stundenlang auf dem Teufelsfelsen sitzen und in die unermeßliche podolische Fläche hineinblicken. Damals schon waren die galizischen Bauern meine Lieblinge. Ich kehrte gerne bei ihnen ein und hörte mit fieberhafter Theilnahme ihre Erzählungen von der alten Kosakenfreit, der Umanier Adelsschlächterei, dem Räuberleben in den Karpathen. Damals erwachte wohl zu gleicher Zeit in mir jene tiefe Liebe für die Natur, welche man jetzt meinen Geschichten aus Galizien nachrühmt. Mein Vater nahm mich, so klein wie ich war, nicht allein auf die Schnepfen- und Wildenten-, sondern auch im Winter auf die Wolfsjagd mit. Ich war damals auch ein vollendeter kleiner Soldat. Täglich kam ein Feldwebel zu mir, der mich brav exereiren und gymnastische Uebungen machen ließ.

An den langen Winterabenden las ich viel und gern, vorzüglich in französischer Sprache, meine Lieblingsbücher waren damals: Don Quixote, Gulliver's Reisen, der Telemach, eine Odyssee in Prosa, Paul und Virginie und die Märchen von Anderssen. Die Geschichte vom kleinen grauen Entchen entlockte mir Thränen, ohne daß ich damals wohl geahnt hätte, daß ich in dem Hühnerhof der deutschen Literatur einst ähnlichen Verfolgungen ausgesetzt sein würde.

Ich war etwa zehn Jahre, als ich, ohne jede andere Absicht als die, meinen jüngeren Geschwisiern Vergnügen zu machen, meine ersten dichterischen Versuche wagte. Ich verfertigte Stücke, welche ich auf einem kleinen Puppentheater aufführte, und schrieb eine Geschichte, welche ich von einem alten Bauern gehört hatte, nieder, um sie meinen kleineren Schwestern besser mittheilen zu können.

Unvergeßlich blieben mir die furchtbaren Scenen des Jahres 1846. Mein Vater bewahrte den Osten des Landes vor dem Aufstande, indem er die Häupter der Insurrektion in Lemberg entdeckte und verhaftete; als die polnische Revolution zu gleicher Zeit im Westen losbrach und die Bauern, gegen den Adel Partei ergreifend, die Insurgenten erschlugen, die Edelhöfe anzündeten und ein gräßliches Blutbad anrichteten, wurde das Vorgehen meines Vaters von den Polen sogar dankbar anerkannt. Ein einziger Chef der Insurrektion war in Lemberg der Verhaftung entgangen, er versammelte in Gorozani die Verschworenen und die Bauern, die letzteren kehrten aber auch hier ihre mörderischen Sensen gegen die Polen. Es war der einzige Ort im Osten, wo Blut floß. Ich sah die Insurgenten theils todt, theils verwundet an einem trüben Februartag, von den bewaffneten Bauern eskortirt, ankommen; sie lagen auf kleinen, elenden Wagen, das Blut rann aus dem Stroh herab und die Hunde leckten es auf.

Im Jahre 1848 kam mein Vater nach Prag, der Hauptstadt des Königreiches Böhmen; auch hier war er Chef der Polizei, aber seine Stellung hat nie einen hemmenden Einfluß auf meine geistige Entwicklung genommen, im Gegentheil, ihr verdanke ich meine Sprachkenntnisse und vor Allem meine intime Bekanntschaft mit den Naturwissenschaften. Es gab nichts, was mein Vater nicht gesammelt hätte: Käfer, Schmetterlinge, Pflanzen, Mineralien, Versteinerungen. Wie oft half ich ihm Steine klopfen, wenn er mit seinem alten Freunde, dem trefflichen [261] Barante, in den Steinbrüchen bei Prag Trilobiten suchte, ich stieg in jeden Teich, um für ihn Wasserkäfer zu fangen. Auch in Böhmen ging ich mit auf die Jagd, nur traten hier Hasen und Rebhühner an die Stelle der Füchse und Wölfe. Daß ich viel schwamm, ritt, focht und turnte, versteht sich bei einem jungen Gentleman von selbst.

Deshalb aber wurden die Studien, wurde die Lektüre in keiner Weise vernachlässigt. Ich las mit Vorliebe wissenschaftliche Werke, besonders historische und naturwissenschaftliche. Mit der schönen Literatur habe ich mich zu keiner Zeit viel beschäftigt und ich muß gestehen, daß ich auch heute noch die meisten Dichter nur dem Namen nach kenne. Den größten Eindruck haben mir von poetischen Werken Goethes Lieder, Faust und Werther, der alte deutsche Roman »Simplicius« aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges, Shakespeares Hamlet, Othello und Fallstaff, Gogol's Taraß Bulba oder die Sagoroger Kosaken, Kukolnik's Eine Mutter, Puschkin's Capitainstöchter, Boccaccio's Dekamerone, Die Bibel und Beranger's Chansons gemacht, dann in viel späterer Zeit: Thackeray Vanity fair, Boz Dickens Harte Zeiten, Turgenjew Tagebuch eines Jägers, Prevost Manon Lescaut, Claude Tillier Mein Onkel Benjamin, Erkmann-Chatrian Histoire d'un conscrit, Madame Therese und Waterloo.

Von wissenschaftlichen Schriftstellern haben Thierry und Macaulay, später Buckle und Schopenhauer am meisten auf mich gewirkt. Die griechischen und römischen Klassischer, Schiller, Walter Scott, Heine, Dumas und Sue, sowie der Philosoph Hegel, David Strauß und Moleschott, von denen die Zeitgenossen je nach Geschmack und Richtung gefesselt und angeregt waren, haben keinen Einfluß auf mich geübt und überhaupt zu keiner Zeit einen besonderen Eindruck auf mich gemacht.

Unter den Musikern waren Beethoven und unter den Malern Titian stets meine Lieblinge.

Bei der Maturitätsprüfung lieferte ich, mit nicht ganz sechszehn Jahren, einen Aufsatz, von dem unser Professor sagte: Das ist kein Schulpensum mehr, das ist die Arbeit eines Schriftstellers. Trotzdem dachte ich an Alles Andere, nur nicht daran, Poct zu werden. Ich spielte viel auf einem Dilettantentheater, nicht etwa Kotzebue, sondern Goethe, Schiller, Shakespeare, Scribe. Ich wollte zuerst Soldat werden, dann Schauspieler, dann Professor. Mit einem Male erfaßte mich eine wahre Leidenschaft für Mathematik (sonst nicht die Stärke der Dichter), und ich war in den letzten Klassen des Gymnasiums der beste Mathematiker, dann warf ich mich auf Chemie und zuletzt auf Geschichte.

Nach einigen stürmischen Universitätsjahren, in denen viel Vier getrunken, viel gesungen und viel duellirt wurde, ward ich mit 20 Jahren Doktor, arbeitete im Staatsarchiv zu Wien, schrieb ein Geschichtswerk und wurde Docent der Geschichte an der Universität zu Graz.

Wie ich eigentlich dazu kam, meinen ersten Roman zu schreiben?

Es war merkwürdig genug.

Ich brachte meine Abende damals gerne bei der Baronin Gudenus, einer alten, geistvollen Dame, zu. Einmal begann ich von der Insurrektion von 1846 zu erzählen und erzählte in einer Weise, welche die eine Dame geradezu elektrisierte. »Aber schreiben Sie doch dies Alles nieder,« schrie sie auf, »es wird ein prächtiger Roman daraus werden.«

Ich hatte nie daran gedacht, aber sie als echte Deutsche hatte sofort ein Buch im Kopfe.

Die Anregung war indeß gegeben und rasch entstand mein erster Roman [262] »Eine galizische Geschichte 1846«. Während ich an diesem Buche schrieb, erreichte eine Krankheit, die mich seit Jahren gequält hatte, ihren Höhepunkt – es war das Heimweh.

Ich benutzte das erste Honorar, um in die Heimath zu eilen. Es war im Sommer 1857, ich vergoß Thränen, als ich den ersten galizischen Bauer erblickte, und nun erst, als der Postwagen – damals gab es noch keine Bahn – in Lemberg einfuhr und ich die Straße, die Häuser, die Bäume auf dem »Wail«, die Promenade Lembergs, wieder erkannte, da begann ich zu weinen wie ein Kind. Meine Großmutter lebte noch. Das alte Familienhaus sah genau so aus, als ich es vor zehn Jahren verlassen hatte. Es war wie im Märchen, wo nach tausendjährigem Schlaf Alles genau so erwacht, wie es vordem war. Da war noch die vergilbte Lotterietafel neben dem Thore, die alte Treppe und oben die alten geblümten Möbel, die Kommoden mit dem Messingbeschlag, die große Uhr, welche Diana von ihren Hunden gefolgt zeigte, und die alte Frau, hoch in den Achtzigen, die noch im Bette lag – es war früh am Morgen – und mir die zitternden Hände entgegenstreckte und mich segnete. Alles war, wie ich es verlassen und in der Küche unter dem Heerde lag die große Katze und säugte ihre Jungen, ganz so wie vor zehn Jahren. Von Lemberg aus durchstreifte ich den Osten des Landes. Ich habe meine Heimath später noch häufig besucht, aber nie mehr jenen Eindruck empfangen von damals, wo ich von übermächtiger Sehnsucht getrieben zurückgekehrt war und zwei Monate mit unserem Volke lebte.

Als ich nach Graz kam, war mein Roman bereits anonym in der Schweiz erschienen. Er wurde sehr günstig beurtheilt und machte Glück beim Publikum. Der Erfolg zog mich auf der einmal betretenen Bahn vorwärts. Es folgten: »Der Emissär«, der gleichfalls in Galizien, aber im Jahre 1848 spielt, und der historische Roman »Kannitz«; zugleich erschien mein erstes Buch in zweiter Auflage unter dem Titel: »Graf Donski«, und mit dem Namen des Autors.

Damals kam Ferdinand Kürnberger, der bekannte Verfasser des »Amerikamüden«, nach Graz. Es war ein gar seltsamer Kautz, von bitterer Galle gegen Alles erfüllt, was nicht das Höchste der Poesie leistete. Er machte mich furchtbar herunter. »Alles, was Sie da geschrieben haben,« sagte er mir in seiner neronischen Weise, ist nichts werth, weil es gemacht ist, wie fast unsere gesammte Literatur seit Goethe. Wenn Sie nichts das zu sein vermögen, was Schopenhauer vom echten Dichter verlangt: wahr wie das Leben selbst, wenn Sie nur Bücher schreiben können, wie unsere deutschen Goldschnittpoeten der Gegenwart, dann lassen Sie es lieber ganz bleiben.«

Ich tröstete mich damit, daß gefeierte Namen wie Paul Heyse und Auerbach, Spielhagen und Gustav Freytag auch nicht viel besser bei ihm wegkamen.

Aber ebenso grimmig wie Kürnberger alles von mir Geschriebene verwarf, ebenso andächtig lauschte er, wenn ich ihm von meiner kleinrussischen Heimath erzählte, von der unermeßlichen Steppe, den himmelanragenden Karpaten und ihren schwarzen Seen, dem podolischen Getreidemeer, unseren Landedelleuten, unseren Damen in der pelzbesetzten Kazabaika, unseren Juden mit den fettglänzenden Löckchen, und insbesondere von meinen lieben galizischen Bauern. »Das ist etwas ganz anderes,« sagte er mir eines Abends, »wie arm und farblos und kasernenmäßig ist unser deutsches Leben dagegen! Wenn Sie das auchschreiben könnten, was Sie so eigenthümlich sinnig zu erzählen wissen, dann würde ich sagen, daß Sie ein Dichter, ein echter Dichter sind.«

Ich setzte mich also noch denselben Abend nieder und vierzehn Tage später las ich Kürnberger den »Don Juan von Kelomea« vor.

[263] Kürnberger war außer sich. So tief er mich bisher herabgesetzt hatte, so enthusiastisch zeigte er sich jetzt. Er stellte mich mit Boz-Dickens, Sealsfield und Iwan Turgenjew in eine Reihe, und schrieb seine berühmte Vorrede, in welcher er bewies, daß der slavische Osten dem Westen ganz Neues zu bieten habe, nicht die unechte Poesie der Rede, sondern die echte Poesie der Gestalt und der Farbe, die von den Deutschen nur empfangen, nicht aber nachgeahmt werden könne. Ich glaube, daß die Liebe zu meiner Heimath und die Leidenschaft für eine Frau von seltener Schönheit (Die Heldin meiner »Geschiedenen Frau«), welche mich damals in eine Reihe tragischer Verwicklungen und Erlebnisse stürzte, gleichen Antheil an dem Gelingen dieser Novelle hatten, welche – genau so, wie es Kürnberger prophezeit hatte – zuerst in Westermann's Monatsheften meinen Ruf in Deutschland begründete und später in der »Revue der deux Mondes« meinen Namen in ganz Europa bekannt machte.

Durch Kürnberger wurde ich zuerst mit Schopenhauer und seiner Philosophie bekannt. Man nimmt gewöhnlich an, daß ich ein Schüler Schopenhauer's bin, während nur von einer Geistesverwandtschaft die Rede sein sollte. Schopenhauer steht unter dem Einfluß jener Lehre, welche im Orient an den Namen Buddha's geknüpft ist und von dort aus um viele Jahrhunderte früher in der slavischen Welt Eingang fand, als in der Arbeitsstube des Frankfurter Weisen. Die meisten Sekten der russischen Kirche basiren auf dieser Lehre und die Instinkte der russischen Race kamen derselben so sehr entgegen, daß sie bei uns im Osten zur allgemeinen Weltanschauung des Volkes geworden ist. Wenn man unsern Bauer in Galizien sprechen hört, meint man, er müsse Schopenhauer sehr fleißig studiert haben, und doch hat er die »Welt als Wille und Vorstellung« und die »Parerga und Paralipomena« gewiß nicht gelesen, weil er überhaupt nicht lesen kann. Aus dieser Anschauung und diesen Instinkten heraus habe ich meine Geschichten geschrieben. Kürnberger war es vorbehalten, mich auf die Verwandtschaft der von mir entwickelten »Slavischen Ideen« mit der Philosophie Schopenhauers aufmerksam zu machen.

Ueberdies giebt Schopenhauer eigentlich nur negative Wahrheiten, während ich mir redliche Mühe gegeben habe, für jede der Fragen, welche die Menschheit bewegen, eine zugleich ideale und praktische positive Lösung zu finden.

Dem »Don Juan von Kolomea« folgten wieder tiefe Schöpfungen, zuerst das historische Lustspiel »Der Mann ohne Vorurtheil«, das auf 52 deutschen Bühnen mit großem Erfolge in Scene ging und in Berlin ebenso viel Beifall fand wie in Wien; dann der historische Roman: »Der letzte König der Magyaren«. Nach dem Feldzug von 1866 spielte ich meine politische Rolle. Seit Jahren verfocht ich die Interessen meiner Landsleute mit der Feder und als ich nach dem Unglück von Königgrätz ein Blatt gründete, das den preußischen Tendenzen der »Gartenlaube« Opposition machte, richtete der Erzbischof von Galizien und Führer der kleinrussischen Partei im Landtage und Reichstage, Spiridion Litwinowiez, ein Schreiben an mich, in welchem er feierlich sich und die Nation unter meinen Schutz stellte. Der ungewöhnliche Erfolg des »Don Juan von Kolomea« ließ mich indeß nicht lange ruhen. Ich ließ den »Capitulanten« (in der Revue: Frinko Balaban) und »Mondnacht« (in der Revue: La barina Olga) folgen, welche in Rodenberg's »Salon« in Berlin erschienen und meinen Ruf befestigten, ja steigerten, denn der phantastische Rahmen der »Mondnacht« sagte dem deutschen Geschmack viel besser zu, als die realen Farben des »Don Juan«.

Diesen Novellen reihte sich der kleine Roman »Die geschiedene Frau« an und die sociale Komödie: »Unsere Sklaven«. Während ich in dem ersteren wieder[264] einmal ganz aus mir selbst schöpfte, betrat ich in meiner Komödie die Bahn, welche uns Angier, Sardon und Dumas fils gewiesen haben und die mir für das moderne Drama die einzig richtige scheint.

Während ich einige Jahre auf Reisen zubrachte und insbesondere in Italien unschätzbare Eindrücke empfing, keimte und entwickelte sich der Plan zu meinem Hauptwerk, dem großangelegten »Vermächtniß Kains«, das in sechs Theilen die Liebe, das Eigenthum, den Krieg, den Staat, die Arbeit und den Tod behandeln soll, und das Gottschall in seiner »Geschichte der deutschen Nationalliteratur« eine »novellistische Theodicee«, eine »Divina comedia« in Prosa nennt. Der erste Theil desselben entstand unter mannigfachen Lebens- und Herzenskämpfen, unter allen jenen Qualen, welche uns die Liebe zu einem Weibe ohne Herz, die Schmerzen, welche uns der Verlust eines Bruders, einer Mutter zu bereiten vermag. Aber ich hatte von meinen kleinrussischen Bauern gelernt schweigend zu leiden und unermüdlich zu kämpfen, und so gab es zuletzt nichts, was ich nicht überwand. In Baden entstand »Der Wanderer«, in Florenz »Venus im Pelz, in Meran »Die Liebe des Plato« und »Marzella«.

Im Frühjahr 1870 erschien der erste Theil des »Vermächtniß Kains« »Die Liebe«, in dem für klassisch geltenden Verlage von Cotta in Stuttgart und hatte so glänzende Erfolg, daß binnen wenig Wochen ein zweiter Abdruck nöthig wurde.

Die deutsche Kritik urtheilte in sehr verschiedener Weise. Alle jene, welche nur den ästhetischen Maßstab anlegten, die Kenner, die Freunde echter Poesie, begrüßten in dem »Vermächtniß Kains« ein Werk von außerordentlicher Originalität, Schönheit und Tiefe. Nun kamen aber die Pharisäer des neuen Reiches der »Gottesfurcht und reinen Sitte« und entsetzten sich über die Freiheit, mit welcher der Autor die geschlechtlichen Verhältnisse behandelt. Ihnen schlossen sich jene blinden deutschen Patrioten an, deren auch die Hauptstadt Oesterreichs nicht ermangelt, da sie dort besonders gut bezahlt werden, jene Patrioten, denen Alles, was nicht deutsch ist, Haß und Furcht einflößt, die mit Johannes Scherr (siehe: »Michel, Geschichte eines Deutschen unserer Zeit«) dasFranzosenthum für ein »Mischmasch von Aeffischem und Tigerlichem« (I. 169), das ganze französische Wesen für »Phrasenzug, Wind, Schwindel« (III. 107) ansehen, die Engländer für das »niederträchtigste Heuchlerpack, welches die Erde trägt« (II, 151), Polen für einen lüderlichen Adel und schweinische Leibeigene« (II. 111) erklären, welche von der Schweiz behaupten, daß sich das Volk dort nicht mehr und nicht weniger selbst regiere als das russische (III. 36), und von Spanien und Italien, daß sie gegen Deutschland in moderner Kultur unermeßlich weit zurückstehen (III. 8), die aber andererseits so bescheiden sind, in Deutschland das »edelste Land der Erde, von dessen Gedankenhort alle übrigen Rationen zehren,« zu erblichen, oder mit Auerbach (»das Landhaus am Rhein«) jeden Augenblick ausrufen: »das ist unser herrliches deutsches Leben!« Diese Sorte deutscher Patrioten sah in Kürnberger's Vorrede zum »Don Juan von Kolomea« ein an der deutschen Literatur begangenes Sakrilegium Der Gedanke, daß ein Slave ihnen bieten sollte, was den deutschen Poeten seit Goethe vollkommen verloren gegangen ist, machte sie rasend.

Die »Kreuzzeitung« erklärte: »Der ganze Charakter und Inhalt der Schriften Sacher-Masoch's ist nicht blos völlig undeutsch, sondern auch ähnlich die deutsche Literatur vergiftend, wie es von Offenbach in der Musik besorgt wird. Sein literarischer Typus kennzeichnet sich einfach und kurz als jüdisch-französisch.« Die Kreuzzeitung weiß nämlich, daß nach dem Franzosen den deutschen[265] Muckern der Jude das Verhaßteste ist, aber was sie nicht zu wissen scheint, ist, daß eine Familie, deren Adel in Oesterreich seit 350 Jahren anerkannt ist, unmöglich jüdisch sein kann.

Thaler, ein Schriftsteller, der – um mit Shakespeare zu sprechen – »den Bismarck überbismarckt,« schrieb in der »Neuen freien Presse« in Wien: Sacher-Masoch trägt russische Ansichten in die deutsche Literatur hinein! er ist gefährlich! Die französische Frivolität bedroht das Gemüth, die russische vernichtet die Kultur! es handelt sich um eine nationale Vertheidigung gegen den russischen Nihilismus!« Das Berliner »Magazin für die Literatur des Auslandes« suchte Sacher-Masoch als »unanständig« abzufertigen, und Otto Glagau ging hin und schrieb seine Schrift: »Turgenjew und die russische Literatur« gegen Sacher-Masoch.

Aber es fanden sich Vertheidiger von Gewicht, J.J.K., die gefürchtetste und geistvollste Feder Wiens, machte Herrn Thaler unsterblich lächerlich, Robert Hamerling, der geniale Dichter des »Ahasver in Rom« nahm sogar die Pritsche, mit der die Venus im Pelz ihren Sklaven mißhandelt, als ein »bedeutungsvolles Symbol« in Schutz, ein anderer muthiger Schriftsteller rief den moralischen Deutschen zu: »Einem ehrlichen Manne schießt das Blut in die Wangen, wenn er all diese Heuchelei für baare Münze hinnehmen soll. Herab mit der Maske! Ihr habt nicht Bannflüche genug für die Bilder Makart's, die Epen Hamerling's und die Romane Sacher-Masoch's, und doch steht Ihr stundenlang in Bewunderung versunken vor diesen Bildern, und Ihr verschlingt diese Epen und Romane, den lockenden Kelch glühender Leidenschaft leerend bis auf den Grund! Ihr affektirt große Abscheu vor dem Conterfei des Lasters! Jedenfalls gehört hierzu weniger Muth, als zu dem Versuche, die falschen Sittenhelden in ihrer Lügenhaftigkeit zu zeigen.«

Lange blieb selbst ruhig, endlich aber verlor ich doch die Geduld und publicirte die Schrift »Ueber den Werth der Kritik«, in welcher ich die ganze Fäulniß der deutschen Literaturzustände, die Ignoranz und Ehrlosigkeit der deutschen Presse schonungslos enthüllte und den deutschen Journalisten die französischen, welche die Fehltritte ihrer Feder mit dem Degen zu repariren verstehen, als Muster aufstellte. Allerdings feuerte ich mit Kanonen auf Sperling, aber es schadet nichts, wenn die Leute bei solchen Gelegenheiten sehen, daß man über Kanonen verfügt.

Vielleicht auf keinen Schriftsteller haben die Worte Nikolaus Gogel's in seinem berühmten Roman »Todte Seelen« so vollständige Anwendung, wie auf mich.

»Glücklich ist der Schriftsteller,« sagt er, »der ohne die widerlichen, durch ihre traurige Wirklichkeit überraschenden Charaktere eines Blickes zu würdigen, sich Charaktere erwählt, in denen sich die göttliche Menschenwürde abspiegelt, der aus dem tiefen Strome täglich wechselnder Gestalten sich nur wenige Ausnahmen erwählen kann, der von seinem Gipfel sich nie zu seinen armen, nichtigen Mitbrüdern herabgelassen und, ohne die Erde zu berühren, sich vor seinen hohen Abgöttern niederwirft. Mit berauschendem Weihrauch hat er die Augen der Menschen umhüllt, er hat ihnen wunderlieblich geschmeichelt, indem er die Schattenseite des Lebens bedeckt und nur die Glanzpunkte zeigt. Alles umringt ihn mit unendlichem Beifall, er wird der große Weltpoet genannt, er hat seines Gleichen nicht auf Erden!« (Das ist die Weise, auf welche Schiller der Lieblingsdichter der Deutschen wurde.) »Doch wie ganz anders ist das Loos jenes Schriftstellers, der sich erkühnt, das Alltägliche, den schrecklichen, anekelnden Schlamm der unser Leben umgebenden Erbärmlichkeit im Bilde darzustellen, der es wagt, mit dem kräftigen, unerbittlichen Grabstichel die ganze Tiefe kalter, zerstückelter Charaktere, von welchen unser irdischer Lebensweg wimmelt, zu bezeichnen, und sie [266] klar und deutlich vor die Augen des Volkes hinzustellen! Er hört nicht den Beifall der Menge, er entrinnt auch nicht dem strengen Gerichte seiner Zeitgenossen, dem heuchlerischen, gefühllosen Gerichte, das die von ihm gepflegten Schöpfungen niedrig nennt, und ihm Herz und die göttliche Flamme des Talentes abspricht. Denn diese Gericht erkennt es nicht es nicht an, daß die Bewegung der kleinsten Insekten und der Glanz der Sonne gleich wunderbar, daß viel Gemüthstiefe dazu nöthig ist, um ein aus dem gewöhnlichen Leben aufgenommenes Bild mit dem warmen Schöpfungsstrahle zu beleben, daß es ein Gelächter giebt, das sich würdig mit den höheren lyrischen Regungen in eine Reihe stellt und himmelweit entfernt ist von den Zückungen eines gemeinen Lustigmachers. Ja, meine guten Leser, Sie wünschen nicht das menschliche Elend in seiner Blöße zu sehen. Wozu? sagt Ihr, zu welchem Zwecke? als ob wir nicht selbst wüßten, daß Vieles im Leben närrisch und verachtungswerth? Stellen Sie uns lieber etwas Schönes dar, zerstreuen Sie uns lieber, damit wir vergessen! – Wer anders als der Schriftsteller soll die heilige Wahrheit berichten? aber Ihr fürchtet den tiefen, durchdringenden Blick, Ihr selbst scheuet Euch, etwas fest und genau zu betrachten, Eure Augen gleiten nur leicht darüber hinweg.« –

Auch über mich jenes »heuchlerische Gericht« gehalten, von dem Gogol spricht, und nur, weil ich es wagte, das zu sein, was Schopenhauer von dem echten Dichter verlangt, »bis auf das Einzelne herabwahr, wie das Leben selbst.« Aber ich fand meine Rechtfertigung in den Worten des großen Frankfurter Philosophen, welcher in der »Welt als Wille und Vorstellung« pag. 294 sagt: »Ist doch überhaupt der Dichter der allgemeine Mensch: alles, was irgend eines Menschen Herz bewegt hat, und das die menschliche Natur in irgend einer Lage aus sich hervortreibt, was irgendwo in einer Menschenbrust wohnt und brütet, – ist sein Thema und sein Stoff; wie daneben auch die ganze übrige Natur. Daher kann der Dichter so gut die Wollust wie die Mystik besingen, Anakreon oder Angelus Silesius sein, Tragödien oder Komödien schreiben, die erhabene oder gemeine Gesinnung darstellen, – nach Laune und Beruf. Demnach darf Niemand dem Dichter vorschreiben, daß er edel und erhaben, moralisch, fromm, christlich oder dies oder das sein soll, noch weniger ihm vorwerfen, daß er dies und nicht jenes sei. Er ist der Spiegel der Menschheit, und bringt ihr, was sie fühlt und treibt, zum Bewußtsein.«

Der letzte Dichter, welcher in Deutschland seiner Aufgabe vollkommen entsprochen hat, welcher zugleich schön und naturwahr erscheint, ist Goethe. Die moderne deutsche Literatur hat sich so weit vom Leben, von der Natur und der Wahrheit entfernt, daß sie mit der neueren französischen, englischen, amerikanischen und russischen den Vergleich nicht aushält und im eigenen Lande nur ein kleines Publikum hat. Französische und englische Werke werden in Deutschland mit Recht mehr gelesen als deutsche, und Iwan Turgenjew zählt viel mehr Bewunderer und Verehrer unter den Deutschen als Auerbach und Spielhagen.

»Goethe hat unserer alternden Literatur vergebens zugerufen: ›Bilde, Künstler, rede nicht!‹« sagt Kürnberger; er hätte hinzufügen können, daß ein zweites Wort Goethe's: Jedes Gedicht soll ein Gelegenheitsgedicht sein, ebenso wenig Beachtung fand. Die modernen deutschen Dichter schreiben nicht, weil sie der Genius treibt, den Eindrücken, welche das Leben in ihrer Seele zurückläßt, Gestalt zu verleihen, sondern weil irgend ein Buch sie anregt, ein neues zu schreiben. Nun können aber vor allem Romane, welche nicht wie der »Werther« von Goethe, wie »Manon Lescaut« des Abbé Prevost, die »Todten Seelen« Gogol's, der »Jahrmarkt des Lebens« von Thackeray, aus dem Leben herausgewachsen, unmöglich ein »Spiegel [267] der Menschheit« werden, ebenso wenig, als es genügen würde, die Wirklichkeit abzuschreiben oder zu photographiren, um dichterische Effekte hervorzubringen. »Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit« – in diesem Satze liegt das ganze Geheimniß des Poeten, es scheint so einfach, aber von den modernen Deutschen hat es doch keiner verstanden.

Ich darf sagen, daß ich eine häßliche Wahrheit nie einer schönen Lüge zu Gefallen unterdrückt habe, ich habe das Wort Voltaire's, daß der Schriftsteller den Nationen die Binde des Irrthums löst, ernst genommen, ich habe auch nie das Leichtere erwählt: schön zu reden! sondern stets das ungleich Schwierigere: wahr zu bilden und zu gestalten!

Und alle meine Romane, welche nicht historische Stoffe behandeln, sind aus meinen Leben herausgewachsen, mit meinem Herzblut getränkt. Wohl verstanden, ich habe nicht etwa aus den einzelnen Kapiteln meiner Biographie Romane gemacht, das wäre ziemlich unkünstlerisch gewesen, aber in jeder meiner Erzählungen ist ein Nerv, der mir angehört, finden sich Motive, welche meinem Leben entnommen sind. Auch wo die Fabel vollkommen erfunden ist, sind es nicht die Charaktere, sind es nicht die einzelnen Scenen und Details. Das Gemälde ist bei meinen Werken immer das Eigenthum des Dichters, aber die Leinwand, auf der es entstanden, und auch die Grundirung gehört meiner Person, meinem Leben an. Ich bin nicht in Duell erschossen wie Wladimir in der »Mondnacht« und noch weniger der Peitsche eines glücklicheren Nebenbuhlers preisgegeben worden wie Severin in der »Venus im Pelz«, aber es gab eine Zeit, wo die bleiche Olga ihr lebensmüdes Haupt zärtlich an meiner Brust gebettet hatte, und eine andere, wo ich in allem Ernste der Sklave des schönen, grausamen Weibes in der rothen, mit Hermelin besetzten Kazabaika war.

Diese Wahrheit des Lebens, die aus meinen Schriften spricht, mußte anfangs in einem mit der Lüge befreundeten Lande, wie es Deutschland ist, befremden, ja eine Art Schrecken erregen, aber der Umschwung in der öffentlichen Meinung trat rascher ein, als ich und meine Freunde es zu hoffen wagten.

Ich gehöre zu den Schriftstellern, welche in Deutschland am meisten gelesen werden, und dies ist immerhin etwas, ich habe Anfeindungen erfahren, aber auch Enthusiasmus gefunden, wie kein zweiter jetzt lebender Schriftsteller, aus allen Theilen der Welt kamen und kommen mir noch immer hunderte von Briefen zu, in denen mir Menschen der verschiedensten Nationen und Stände, Frauen wie Männer, oft in überschwänglicher Weise ihre Begeisterung, ihre Zustimmung aussprechen. Wie sehr ich trotz »Kreuzzeitung« und »Magazin für die Literatur des Auslandes« auch in Deutschland populär geworden bin, beweisen die Inserate, welche sich von Zeit zu Zeit in deutschen Zeitung finden und auf meine Romane Bezug nehmen. Unlängst erst suchte in Berlin durch die »Vossische Zeitung« ein junger Mann eine Dame, welche die Neigung und Fähigkeit besitzen würde, mit ihm einen Roman im Genre meiner »Venus im Pelz« in Scene zu setzen.

Das »Vermächtniß Kains« wurde in beinahe alle Sprachen Europa's übersetzt, 1872 und 1873 in der Revue des deux Mondes (was ich als höchste Auszeichnung ansehe) und 1874 im Verlage von Hachette französisch publiziert, und fand in den tonangebenden Organen, insbesondere in der Revue des deux Mondes und dem Journal des Débats die größte kritische Anerkennung, die einem Dichter überhaupt zu Theil werden kann. Die französische Sprache ist noch immer die eigentliche Weltsprache und wird es bleiben, eine Pariser Kritik ist eine europäische Kritik, während eine Berliner oder Wiener auf Berlin und Wien beschränkt bleibt und nicht einmal in Deutschland allgemein gelesen wird.

[268] Dem »Vermächtniß Kains« folgte eine Reihe leichterer Romane und flüchtiger Skizzen, zu den ersteren rechne ich: »Zur Ehre Gottes«, »Ein weiblicher Sultan«, »Russische Hofgeschichten«, »Gute Menschen und ihre Geschichten«; zu den letzteren: »Falscher Hermelin. Kleine Geschichten aus der Bühnenwelt«, und »Die Messalinen Wiens«.

Von früheren Werken erschienen »Kannitz«, »Der Emissär«, »Die geschiedene Frau« in zweiter, das Lustspiel »Der Mann ohne Vorurtheil« in dritter Auflage.

Nach manchen ernsten Kämpfen ist mein Leben zu einer Idylle geworden.

Das »Märchen vom Glück«, das ich geschildert, es ist zur Wahrheit geworden in meiner Ehe. Unlängst sagte mir ein alter Freund, der mich besuchte: »Ich habe bisher nicht geglaubt, daß es einen zufriedenen Menschen auf der Welt giebt, aber jetzt glaube ich daran.«

Ich lebe still und einsam mit meiner Frau, meinen Kindern und der lauten Gesellschaft, die ich mir selbst erschaffe, in dem kleinen Bruck an der Mur mitten in den grünen Bergen und Wäldern der Steiermark, welche mich ein wenig an meine Karpathen mahnen.

Ich liebe die Natur so von ganzem Herzen, daß ich nicht für die Dauer ohne sie sein kann, deshalb habe ich es in großen Städten nie lange ausgehalten. Mein größtes Vergnügen ist heute noch hier, wie es einst in meiner Heimath war, nur von meinem kleinen schwarzen Hunde begleitet, die Flinte auf der Schulter das Land zu durchstreifen, besonders dort, wo es recht wild ist und man keinem Menschen begegnet. Ich bin einmal so und werde mich nicht mehr ändern, ich sehe die Malerei des Abends lieber als jene Makart's und der Gesang einer Amsel macht mir viel mehr Vergnügen als eine Oper von Richard Wagner.

Und wenn ich dann zurückkehre und meine junge schöne Frau empfängt mich in ihrer behaglichen, mit Pelz besetzten Kazabaika, meine Kinder kommen mir jubelnd entgegen, die Eltern und Großeltern grüßen von den Wänden und der Samowar brodelt, dann habe ich keinen Wunsch mehr und kann sogar vergessen, daß ich in der Fremde bin.

Hier in meiner schönen, hinteren Einsamkeit entstanden die sechs Erzählungen, welche den zweiten Theil meines »Vermächtniß Kains«, »Das Eigenthum«, bilden, und von denen die Revue des deux Mondes bereits »La justice des paysans«, »Le Hajdamak« und »La Hasara raba« veröffentlicht hat, so wie der große Roman: »Die Ideale unserer Zeit«, welcher trotz aller Opposition der Journale binnen einem halben Jahre vier Auflagen erlebte. Kenner behaupten, daß ich in diesen beiden Werken einen nennenswerthen Fortschritt gemacht habe.

Ich darf auf das Erreichte mit einigem Stolz blicken. Nie hat mich ein Monarch protegirt, nie eine Partei oder Clique poussirt, nie hat ein Freund etwas für mich gethan.

Alles was mein ist, danke ich mir selbst und – meinen Feinden. Diese allerdings haben viel und eifrig dazu beigetragen, meinen Namen in Europa und Amerika bekannt zu machen, und so konnte ich dem zweiten Theil meines »Vermächtniß Kains« keinen besseren Wunsch auf den Weg geben als den: daß erebenso viele Gegner finden möge als der erste.

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Notes
Erstdruck in: Deutsche Monatsblätter. Centralorgan für das literarische Leben der Gegenwart, Jahrgang 2, Heft 3, Bremen (J. Kühtmann's Buchhandlung) Juni 1879, S. 259–269.
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TextGrid Repository (2012). Sacher-Masoch, Leopold von. Eine Autobiographie. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AFE0-4