[137] Nänie

Muse!
Die du einst Goethe's,
Die du einst Schiller's Stirn geküßt:
Warum nicht wieder,
Nachdem ein Jahrhundert verflossen,
Umfängst du –
Statt nur hier und dort mit leisem Fittig zu streifen –
Ganz und voll einen Auserwählten
Mit himmlischer Weihe,
Auf daß dem deutschen Volk
Auf's neue ein Dichter erstehe,
Groß, edel und gewaltig wie Jene!?
Thörichte Frage,
Thörichter Anruf!
Versiegt längst ist der castalische Quell,
Gelichtet die heilige Neunzahl –
Und auf stäubendem Bretterboden nur,
In grellem Lichtreflex
Und mißduftendem Bühnenflitter,
Erscheinen sie noch, die einst den Olymp bevölkert.
[138]
Todt ist die Kunst!
Todt – ob auch ein Heer von Dichtern
Scandirende Hände regt,
Ob unendlicher Töne Schwall
Die Welt durchfluthet –
Und in Erz und Marmor
Und auf erstaunter Leinwand
Der Cäsarenwahnsinn des Virtuosenthums
Seine Orgien feiert.
Todt ist sie –
Und hin und wieder nur,
Weit abseits vom Markt,
Zucken, verendend,
Noch ihre letzten disjecta membra.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Gedichte. Gedichte. Zweites Buch. Freie Rhythmen. Nänie. Nänie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AD4D-4