Mein Fenster

Wenn ich morgens aufwache, sehe ich gerade auf mein Fenster. Es steht immer offen, ob mir der Himmel Schnee und Regen bis mitten ins Zimmer hereinwirft oder ob mir die Julisonne hereinsengt.

Gegenüber ist die Kaserne. Das Dach mit seinen vielen Giebeln liegt etwas höher wie meines. In den Giebelfenstern liegt die Morgensonne wie glühendes Kupfer. Ich liege im Bett zwischen Wachen und Schlafen und höre dem Leben da drüben mit halbgeschlossenen Augen zu. Der Tag liegt noch so frisch und unangerührt vor mir.

Vor dem Fenster steht meine Staffelei und wartet auf mich. Ja, dieser Tag soll mir wunderbar werden wie noch keiner. Es soll wirklich alles einmal Gesundheit und Leben sein.

Meine besten Tage sind, wenn es frühmorgens Militärmusik gibt. Da bin ich mit beiden Füßen zugleich aus dem Bett und am Fenster.

Wie die tapferen bunten Jungen da unten aus ihrer Kaserne herausmarschieren in ihren frischen heißen Tag hinein. Und auf der Straße treibt schon alles hin und her.

Ganz leise Morgennebel noch über den entfernteren Dächern. Und aus allen benachbarten Dachluken fahren schlafstruppige Köpfe heraus, die auch die Musik hören wollen.

Dann fange ich an zu arbeiten neben meinem Fenster, und die Luft von draußen fließt mir in Wellen um den Kopf und badet mich immer frischer, und es ist so still hier oben.

[284] Abends, wenn die Arbeit eingeschlafen ist, stehe ich lange am Fenster.

Ja, wo ist mein heller, frischer Tag hingekommen? Er ist doch wieder müde und zerstückelt worden.

– – Schwarzrote Abenddämmerung über der Stadt. Zwei stumpfe Kirchtürme, einige starre Fabrikschornsteine und langgestreckte Dächer steigen in den letzten Schein hinauf.

Die Kaserne liegt dunkel, schwarz und ohne Leben. Nur oben sind einige Fenster erleuchtet, und zuweilen streift der Schatten einer einsamen Wache dahinter vorbei.

Darüber nachtschwarzer Himmel oder Sterne, oder der Mond wirft kalte grüne Schimmer über das dunkle Schieferdach.

Unten auf der Straße grade vor mir brennt eine einsame Laterne.

Manchmal sehe ich rückwärts in mein freundlich lampenhelles Zimmer.

Ich will an nichts denken, aber wenn ich die Gedanken zur einen Tür hinauswerfe, kommen sie zur andern wieder herein.

Grade hier muß ich an manches denken. Ich bin so tiefeinsam hier oben.

Wo sind meine Genossen geblieben? Früher kamen sie jeden Abend unter mein Fenster, und unser vertrauter Signalpfiff klang zu mir herauf.

Wie ich auf den Ton wartete, und wenn ich ihn hörte, dann war ich unten, meine vier Stiegen hinunter wie der Blitz.

Und dann waren wir bis in die tiefe Nacht zusammen.

Wie wir damals jung waren und begeistert. Die ganze Kunst und das ganze Leben, das hatten wir alles, gehörte alles uns. Und wir waren gute Brüder und teilten uns in alles.

[285] Wo ist die Zeit hingekommen – und alles ist mit ihr gegangen.

Zuweilen denke ich, sie müßten wiederkommen, und ich müßte noch einmal wieder unsern Pfiff hören.

Aber es ist vorbei – und ich bin alleine.


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TextGrid Repository (2012). Reventlow, Franziska Gräfin zu. Mein Fenster. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8F73-6