[257] Der Rheinfall

Schafhausen im Heumond 1786.


Horch! welch ein dumpfer Laut, wildmurrend, wie der träge
Geschwächte Ton entfernter Donnerschläge,
Dringt feyerlich an mein erstauntes Ohr,
Und welch ein fremdes banges Zischen
Steigt schauderhaft aus den Gebüschen
Des steilen Abhangs dort empor!
Führt dieser enge Pfad mich zu der Feueresse
Des lahmen Donnerschmieds Vulkan?
Wie? oder wälzt nicht fern sich über Stein' und Klösse
Der Flammenschwall des Phlegetons heran?
Beflügle deinen Schritt, o Führer! solch ein Feuer
Blies Neubegier noch nie in meinen Adern an.
Beflügle deinen Schritt! ein grosses Abentheuer
Harrt unser. Lass uns kühn der Tiefe Rand uns nahn!
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Ha! wo bin ich? welche niegeseh'ne
Majestätischfürchterliche Scene
Der Natur enthüllt sich meinem Sinn!
Täuschen mich die Augen? oder raffte
Zaubertrug mich in die fabelhafte
Heimath wunderbarer Feen hin?
Sieh! ein Schneestrom, aufgepflügt von Klippen,
Drängt durch kahlgenagter Berge Rippen
Sich heran an eine Felsenwand,
Und entstürzt wildschnaubend, gleich dem Winde,
Der dem Rachen engverschlossner Schlünde
Sich entreisst, dem schaudervollen Rand.
Wie erbebt die schwache bange Mühle,
Deren Wand im heftigsten Gewühle
Diessseits die erbosste Flut beschäumt!
Selbst die Veste Laufen scheint zu wanken,
Deren Giebel zwischen grünen Ranken
Jenseits einem schroffen Berg entkeimt.
[259]
Nur die Zwillingsfelsen, deren nackte
Scheiteln mitten in dem Katarakte
Dort des Stroms vereinte Wuth bestürmt,
Und von deren Häuptern Schaum in Flocken
Dick emporstaubt, ragen unerschrocken
Aus der Flut, die wolkenwärts sich thürmt.
Beym Himmel! nicht umsonst verhiess des Rufes Stimme
Mir grosse Wunder hier. Lass uns bergunter gehn,
O Führer, und beherzt in seinem vollen Grimme
Den Sturz der wilden Wogen sehn!
Komm! lass uns hin zu jenem Nachen eilen,
Der am Gestade dort uns freundlich zu sich winkt,
Und die beschäumten Fluten theilen,
Aus denen spiegelhell die Sonne wiederblinkt!...
Schon tanzt, vom Ufer fern, der kühne
Harmlose Kahn mit uns durch den empörten Schwall:
Sieh! höher hebt sich itzt des Falles breite Bühne,
Und blanker Schaum verhüllt der Sonne Flammenball,
[260]
Wie sauset und braust nun im schnellen
Gewirbel die Fülle der Wellen
Vom schäumenden Walle herab!
So rollen von Gletschern Lauwinen
Mit donnerndem Schall auf die grünen
Gefilde des Thales hinab.
Wie sprüht aus dem raschen Gedränge
Der berstenden Flut das Gemenge
Des luftigen Schneestaubs empor!
Wie dampfet im sonnigen Schimmer
Vom wogenbestürmten Getrümmer
Des Felsen der Nebel hervor!
Wie balgt das Gewässer, gespalten
Von Steinen, in hundert Gestalten
Sich ringsum im wilden Turnier!
O herrlicher Anblick! du füllest
Mit Staunen den Sinn, und enthüllest
Die Allmacht des Schöpfers vor mir.
[261]
Ermüde nicht, o Schiffer! schon beschatten
Des festen Landes Höhn das Ruder. Lass den Arm
So nah am Ziele nicht ermatten!
Vergebens stürmt der Fluten frecher Schwarm
Mit Ungestüm die Wand des Nachens: fruchtlos dräuen
Lautknirschend unter uns verborgne Felsenreihen.
Der kleine schlaue Kahn bahnt trotz dem Widerstand
Der Wellen sich den Weg, und wühlt sich bald gerade,
Bald seitwärts durch den Strom ... Schon fass' ich an dem Rand
Des Ufers das Gesträuch: schon sind wir am Gestade.
Sieh! diese steile schmale Bahn
Am Flusse führt uns dicht zum Katarakt hinan.
Ha! welch ein Wogengetümmel
Wallt auf mich los! Hat der Himmel
Sich mit dem Erdball entzweyt?
[262]
Stürzen die Wolken sich wieder
Wüthend in Strömen hernieder,
Wie zu Deukalions Zeit?
Sieh! wie die Wasserflut, schäumend
Sich auf der Felsenwand bäumend,
Hoch wie ein Berg sich erhebt,
Und, von dem Schwalle von oben
Abwärts geschleudert, mit Toben
Sich in den Abgrund vergräbt!
Tosendes Krachen erschüttert
Ringsum den Boden: es zittert
Bang auf den Bäumen das Reis.
Schwindel ergreifet die gähen
Häupter der Berge: sie drehen
Magisch herum sich im Kreis.
Taumelblind wendet mein irres
Auge, des Wellengewirres
Satt, sich zur stilleren Flut:
[263]
Sieh! da entsteiget den Wogen,
Iris! dein reitzender Bogen
Röthlich, wie dämmernde Glut.
Erhabner Vater Rhein! von staunendem Entzücken
Begeistert, trenn' ich mich mit wundertrunknen Blicken
Von diesem Zauberort. Bald werd' ich fern von hier,
Wo deine Fluten wild um Felsentrümmer brausen,
Ehrwürdigster der deutschen Flüsse! dir
In sanftern Gegenden mich nahen, wo der krausen
Gebüsche Wölbungen mich, froh dir nachzuspähn,
An deine grünen Ufer laden,
Und muntre Haine sich und rebenreiche Höhn
In deinem wirthlichen Gewässer ruhig baden.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. Der Rheinfall. Der Rheinfall. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8CAB-2