Ein Roman von einem Fräulein, die der Großvater und Enkel zugleich liebt.

Die große Hälfte des menschlichen Geschlechts liebt gemeiniglich in jungen Jahren von ganzem Herzen und närrisch, in reisen Jahren eigennützig und im Alter lächerlich. Es gehört keine große Philosophie dazu, diese Wahrheit einzusehen. Man darf nur ein wenig auf die Handlungen der Menschen, und wenn man recht gründlich davon überzeugt sein will, [125] vornehmlich auf sich selbst Achtung geben. Eine kleine Untersuchung seiner eigenen Neigung wird machen, daß man von den Fehlern anderer gelinder urteilt. Ich will hier meinen Lesern einige Briefe vorlegen, in denen der Charakter eines zärtlichen Greises der wilden und unruhigen Liebe eines jungen Menschen entgegengesetzt ist. An beiden sieht man den Grund eines ehrlichen Herzens und einer edlen Denkungsart. Bei allem dem Lächerlichen, das sie durch ihre Leidenschaften verraten, verdienen sie einige Nachsicht. Ich wünsche, daß meine alten Leser eben so anständig fehlen mögen, wenn sie ja die Liebe einmal überraschen sollte. Meine jungen Leser können sich die Hochachtung der Welt gewiß versprechen, wenn sie das Herz haben, von ihren flüchtigen Ausschweifungen so geschwind wie mein Original zurückzukehren. Lächerliche Exempel erbauen nicht allemal so sehr als tugendhafte. Dieses hat mich veranlaßt, eine Mischung des Lächerlichen und Tugendhaften zu machen. Vielleicht ist meine gute Absicht nicht ganz vergebens. Ich werde mich freuen, wenn ich erfahre, daß ein Alter aufgehört hat, lächerlich zu sein, und daß ein Jüngling sich gehütet hat, es zu werden. Die Person der Tochter des verliebten Greises war zu diesem Auftritte nötig. Ich brauchte sie, die wilde Hitze eines jungen Menschen zu dämpfen, und ihn in der Hochachtung zu erhalten, die er seinem alten Vater, so lächerlich auch dieser liebte, dennoch schuldig blieb. Dieses konnte niemand thun als ein Frauenzimmer, dessen Jahre und Tugend ihn zur Ehrfurcht zwangen. Ich habe mir Mühe gegeben, den Charakter des Fräuleins, welches von Großvater und Enkel zugleich geliebt worden, so edel und vorzüglich zu bilden, als es nur hat möglich sein wollen. Ihre Schönheit und Tugend entschuldigen das Lächerliche eines alten Liebhabers und das Thörichte eines zärtlichen Jünglings. Was ich hier gesagt habe, kann als ein kurzer Vorbericht meines kleinen Romans angesehen werden, der aus folgenden Briefen besteht.

a) Anwerbungsbrief und vier Postskripte eines alten Kavaliers an ein junges Fräulein. b) Schreiben des Enkels an seine Tante. c) Trostschreiben der Tante an den eifersüchtigen Enkel. d) Der Enkel seufzt. e) Liebeserklärung des Enkels an das junge Fräulein. f) Die Tante sagt, daß der Enkel thöricht sei. g) Freundschaftliches Schreiben des jungen Fräuleins an die Tante.h) Der Tante Antwort darauf. i) Schreiben des Fräuleins an ihren Onkel. k) Antwort des Onkels an das Fraulein. [126] l) Der Enkel verzweifelt vor Liebe und klagt es seiner Tantem) Er klagt es dem Fräulein. n) Er klagt es ihrem Onkel. o) Der eifersüchtige Enkel bittet seinen Großpapa um Erlaubnis, das Fräulein heiraten zu dürfen.p) Antwort der Tante an den Vetter. q) Dem Vetter wird angst, und er antwortet der Tante. r) Antwort der Tante. s) Antwort des Vetters an die Tante. t) Antwort der Tante. u) Umständlicherstatus causae des Großvaters an seine Tochter, daß der Enkel über und über ein Narr sei. v) Schreiben des Fräuleins an die Tante. w) Schreiben des Onkels des Fräuleins an den Großvater. x) Schreiben des Großvaters an die Tochter, worin er gesteht, daß der Enkel ein so großer Narr noch nicht sei, als er geglaubt hätte. y) Schreiben des Großvaters an den Onkel des Fräuleins, welches den Roman auflöst.


*


a)

Gnädiges Fräulein,


Ich habe ein Amt, welches mir einen ansehnlichen Rang in der Welt verschafft; 2000 Thaler Renten und 1500 Thaler Besoldung machen, daß ich bei einer vernünftigen Wirtschaft sehr gemächlich leben kann. Meine Kinder sind alle versorgt und haben ihr Brot. Ich bin noch immer munter genug, daß ich das Herz habe, Ihnen meine Hand anzubieten. Ihre eingezogene Lebensart und Ihr tugendhafter Charakter vermehren diese Hochachtung, die ich gegen Sie hege, und ich vergesse dabei, daß Sie nur 16 Jahre alt sind. Vielleicht würde ich behutsamer sein, Ihnen meine Neigung zu eröffnen, wenn ich Sie nicht für zu vernünftig hielte, als daß Sie durch den kleinen Unterschied der Jahre, der zwischen uns beiden ist, sich sollten abschrecken lassen, Ihr Glück zu befestigen und mich zugleich zu dem glücklichsten Ehemann zu machen. Seit 40 Jahren habe ich die Lebhaftigkeit nicht empfunden, die ich jetzt empfinde, da ich Ihnen sage, daß ich Sie liebe. Entschließen Sie sich bald und womöglich zu meinem Vorteil. Ich werde künftige Woche ins Karlsbad reisen, eine kleine Krankheit zu heben, die sich ohnedem bald verlieren muß, da sie mir scholl 20 Jahre beschwerlich gewesen ist, und die in der That weiter nichts ist, als die Folge meines flüchtigen und feurigen Geblütes, ungeachtet mein ungeschickter Medikus es für eine fliegende Gicht halten will. – Lassen Sie mich nicht ohne die Hoffnung wegreisen, daß ich bei meiner Rückkunft [127] die Erlaubnis haben werde, Ihnen mit der zärtlichsten Hochachtung zeitlebens zu sagen, daß ich sei,


Gnädiges Fräulein,

Ihr

gehorsamster Diener.

......
am 1. Mai 1740.

N.S.


Gegen meine Tochter, die Hofrätin, erwähnen Sie nichts von meinem Vorschlage. Ich weiß, daß Sie eine vertraute Freundin von ihr sind; aber sie möchte Ihre Vertraulichkeit mißbrauchen.

Mein Enkel, den Sie kennen werden, und der ein gutes Kind ist, wird Ihnen diesen Brief zustellen. Ich habe ihn beredet, es beträfe Ihre Vormundschaftsrechnungen. Lassen Sie sich nichts gegen ihn merken. Ungeachtet er nur 18 Jahre alt ist, so ist er doch schlau genug, mehr zu erraten, als ich ihm noch zur Zeit will wissen lassen.

Die Juwelen von meiner seligen Frau habe ich noch alle, und sie dürfen nur neu gefaßt werden. Die rechtschaffene Frau! In ihrem ganzen Leben hat sie mich nicht ein einzigesmal betrübt; und wenn ich auch der eifersüchtigste Mann gewesen wäre, so hätte ich doch bei ihr nicht die geringste Gelegenheit gehabt, es zu sein.

Noch eins! Was halten Sie vom d'aylhoudischen Pulver? Ich finde es gut.


e)


Gnädiges Fräulein!


Die Vormundschaftsrechnungen, die mein Großvater, der das beneidenswerte Glück erlangt hat – mit der größten Hochachtung, die man Ihren Verdiensten schuldig ist, und mit den zärtlichsten Empfindungen, die eine Wirkung Ihrer Schönheit sind, und von denen ich so lange Zeit her, ob ich es gleich niemals wagen dürfen, anders als in stiller Ehrfurcht zu bewundern, und schon dieses für eine Verwegenheit gehalten – wenn meine Augen einen Teil derjenigen Unruhe verraten, die ich empfinde und welche mich, gnädiges Fräulein, hindert, Ihnen inliegende Vormundschaftsrechnungen nebst dem Brief von meinem Großvater selbst zu überbringen. Ich kann also weiter nichts thun, als Sie, gnädiges Fräulein, mit der größten Hochachtung versichern, daß ich zeitlebens sein werde etc.


[128] g)


Gnädigste Frau Hofrätin,


Ich muß Ihnen ein Anliegen eröffnen, welches ich gegen Sie am sorgfältigsten verschweigen soll, wenigstens hat man mir ausdrücklich verboten, Ihnen etwas davon zu sagen. Es ist mir unmöglich, diesem Verbote nachzuleben. Die Sache ist für mich zu wichtig, sie allein zu überlegen. Und ich fürchte, meine Freundschaft und mein Zutrauen gegen Sie zu beleidigen, wenn ich Ihnen aus einer Sache ein Geheimnis machen wollte, auf die meine Ruhe und mein ganzes Glück anzukommen scheint. Lesen Sie den eingeschlossenen Brief von Ihrem Herrn Vater. Werden Sie sich nunmehr wohl noch wundern, daß ich gestern abend so unruhig und ganz außer mir war! Was soll ich auf diesen unerwarteten Antrag antworten? Meine Glücksumstände sind allerdings nur mittelmäßig. Man zeigt mir eine Gelegenheit, solche auf eine ansehnliche Art zu verbessern. Der Rang, zu welchem man mich erheben will, ist vielleicht nicht eine von den geringsten Bewegungsursachen, wenigstens ist er in dem Briefe die erste, auf die man mich weist. Soll ich alles dieses abschlagen und mir doch nicht den Vorwurf eines unvernünftigen Eigensinns zuziehen, vor welchem man mich stillschweigend zu warnen scheint? Wird man in der Ehe dadurch glücklich, daß die Person, die man wählt, den Charakter eines rechtschaffenen Mannes vor der ganzen Welt behauptet: so kann man sich gewiß nicht glücklicher verheiraten, als mit Ihrem Herrn Vater. Was soll ich thun? Sollte mich nicht meine Jugend noch entschuldigen, an ein so ernsthaftes Bündnis zu denken, als die Ehe ist? Werde ich aber die Entschuldigung brauchen können, ohne in den Verdacht zu kommen, daß mir die hohen Jahre Ihres Herrn Vaters den Antrag zuwider gemacht haben? – ein Verdacht, der mir um deswillen doppelt empfindlich sein muß, weil er den Mutwillen jünger Leute zu Spöttereien reizen, bei Ihrem Herrn Vater aber die Achtung ganz vertilgen wird, die er gegen mich, ohne daß ich es verdiene, zu haben scheint. Kann ich hierbei wohl gleichgültig bleiben, da mir soviel daran gelegen ist, das Wohlwollen eines Mannes zu erhalten, der den Ruhm eines billigen, eines vernünftigen, eines einsehenden Mannes sich seit so langen Jahren eigen gemacht hat? Nehme ich aber den Antrag an, wie sehr stelle ich mich den bittern Beurteilungen der Welt bloß! Wird man mir wohl das Recht widerfahren lassen, daß ich ihm meine Hand gegeben, weil er ein billiger, ein einsehender, [129] ein vernünftiger Mann ist – oder wird man nicht vielmehr glauben, daß der Eigennutz mich bewogen, einen Schritt zu thun, von dem mich nach dem Urteile der richtenden Welt meine Jugend und sein Alter hätten zurückhalten sollen? Wie unglücklich wäre ich, gnädige Frau, wenn ich mir jetzt bei dieser Unentschlüssigkeit nicht Ihren freundschaftlichen Rat versprechen könnte! Als Schwester liebe ich Sie jetzt, gnädige Frau. Nehme ich das Anerbieten Ihres Herrn Vaters an, was soll ich unserer Liebe alsdann für einen Namen geben, ohne daß es bei meinen jungen Jahren lächerlich wird? Gewiß daran darf ich nicht denken, ich schäme mich vor mir selber. Ich glaube jetzt den Brief von Ihrem Vetter besser zu verstehen, als ich ihn gestern abend verstand, da ich Ihnen solchen zu lesen gab. Vielleicht ist ihm schon etwas von der Sache bekannt, und eine dergleichen Handlung von einem Großvater kann einem Enkel allerdings nicht gleichgültig sein, wenn er auch auf weiter nichts sieht, als auf den Verlust eines Teils der gehofften Erbschaft. Ich habe verschiedene Ursachen, Sie zu bitten, daß Sie gegen ihn weder von dem Antrag des Herrn Vaters noch von meinem Briefe etwas gedenken. Wir wollen ihm eine Unruhe ersparen, welche vielleicht vergebens sein würde. Beschleunigen Sie Ihre Antwort, gnädige Frau. Ich werde nicht eine Minute ruhig sein, bis ich solche habe. Raten Sie mir aufrichtig, raten Sie mir womöglich so, wie ich wünsche. Ihr Rat soll den Ausspruch thun. Setzen Sie sich an meine Stelle. Was würden Sie thun? Ich bin etc.


h)


Was ich thun würde, mein gutes Fräulein? Das weiß ich in der That selbst nicht. Sie sind ein allerliebstes Mädchen. Ich glaube nicht, daß außer Ihnen noch ein Frauenzimmer in der Welt sein kann, welches dem wunderbaren Einfalle meines redlichen Vaters einen so freundschaftlichen Anstrich geben würde. Aber gestehen Sie es nur, gestehen Sie es wenigstens aus Freundschaft zu mir, daß man auch mitten unter den Schwachheiten meines alten Vaters den vernünftigen, den rechtschaffenen Mann erblickt. Es würde seiner Einsicht wenig zur Ehre gereichen, wenn er gegen Ihre Person und gegen Ihren tugendhaften Charakter weniger Hochachtung bezeigt hätte. Er ist von Ihren Verdiensten so überzeugt, daß er sich und seine Jahre vergißt, um Ihnen seine Hand anzubieten. Der rechtschaffene Alte! Was ihn vor den Augen der Welt lächerlich machen könnte, das macht ihn vor meinen Augen [130] immer ehrwürdiger. Wäre mein Vater 30 Jahre jünger, so würde ich aus Liebe zu ihm und aus Hochachtung gegen Sie mir alle Mühe geben, Sie zu bereden, daß Sie ihn in seinen Wünschen glücklich machten. Da dieses nicht ist, so kann ich in der That nichts dazu sagen, ohne Ihren zärtlichen Geschmack zu beleidigen und auf der andern Seite meinen Vater an einer Hoffnung zu hindern, auf der sein ganzes Glück zu beruhen scheint. Sie haben recht, Fräulein, völlig recht, daß zu einer vergnügten Ehe noch etwas mehr gehört, als die Wahl einer vernünftigen Person. Allerdings muß eine nähere Gleichheit in Jahren dabei sein. Die Urteile der Welt lassen Sie sich an nichts hindern! Die Welt urteilt allemal anders, als wir handeln. Und Sie mögen sich entschließen, wozu Sie wollen, so werden Sie allemal getadelt werden. Folgen Sie Ihrer Neigung, so werden Sie die glücklichste Wahl treffen. Fragen Sie IhrenOnkel, den Obersten. Er ist mit meinem Vater so vertraut und im übrigen so vernünftig, daß er in dieser Sache am besten raten kann. Meinem Vetter will ich nichts sagen. Aber das bitten Sie ihm ja ab, daß Sie glauben, der Eigennutz werde ihn bei dieser Sache unruhig machen. Er hat seine Fehler, Fräulein, sehr große Fehler; aber eigennützig ist er nicht. Wenn ich ihn recht kenne, so glaube ich, er würde Ihnen von unserem und seinem Vermögen noch weit mehr wünschen, als Sie durch einen Ehekontrakt von seinem Großvater verlangen können. Verlassen Sie sich darauf, ich will ihm nichts von allem sagen. Wie gefällig sind Sie, liebes Fräulein, daß Sie dem guten Menschen so viel Unruhe ersparen wollen! Das verdient eine besondere Erkenntlichkeit. Aber ich will ihm nichts sagen, auf mein Wort! Der arme Vetter, wie unruhig würde er sonst sein! Darf ich es wissen, was Ihnen Ihr Onkel antwortet, so melden Sie mir es, sobald es sein kann. Ich liebe Sie mit der vollkommensten Zärtlichkeit einer aufrichtigen Schwester; und ich glaube, daß ich Sie nicht zärtlicher lieben könnte, wenn Sie auch meine Mama wären. Denn vermutlich war dieses das fürchterliche Wort, welches Sie in Ihrem Briefe meinten und doch das Herz nicht hatten, es auszusprechen. Leben Sie wohl! Mein Vater hat sich entschlossen, seine Reise zu beschleunigen. Er will schon morgen ins Karlsbad gehen, um desto eher gesund und jung wieder zurück zu kommen. Können Sie es denn gar nicht übers Herz bringen, den guten Alten ein wenige zu lieben? Überlegen Sie es.


[131] k)


Meine Teure!


Ich werde wohl nicht nötig haben, Dich um eine deutlichere Erklärung Deiner Meinung zu bitten. Ich glaube Dich zu verstehen. Wenn ich auf weiter nichts sehen wollte, als Dich angesehen und reich in der Welt zu wünschen, so würde ich Dir ernstlich anraten, die Hand des Herrn Kammerrats anzunehmen. Aber ich will Dich auch glücklich in der Welt wissen, und das möchtest Du schwerlich bei ihm werden, da Du bei Deinen Jahren eher seine Enkelin als seine Frau sein könntest. Was muß der ehrliche Greis gedacht haben, da er Dir einen solchen Brief geschrieben hat? Ich sehe sein ganzes Herz darin. Er ist ein rechtschaffener Mann. Er ist in einen Fehler gefallen, der auch bei rechtschaffenen Leuten eine Übereilung bleibt. Aber so seid ihr Mädchen. Ihr verführet Jünglinge und Greise; und der Teufel ist euch nicht klug genug, so alt er ist. Im übrigen verlasse Dich auf mich. Du sollst ihn gegen Deinen Willen nicht zum Manne kriegen. Ich habe diesen Nachmittag eine notwendige Reise auf meine Güter zu machen. In acht Tagen komme ich zurück, und dann will ich selbst an den alten Kammerrat schreiben und ihm meine Meinung ganz treuherzig sagen. Er ist billig, ich vermag etwas über ihn, und ich hoffe die Sache so einzurichten, daß er sich selbst begreifen wird, ohne auf Dich einen Widerwillen zu werfen. Lebe wohl.


q)


Gnädige Tante,


Sollen denn auch Ihre Bedienten Zeugen von meiner Schande sein? Viermal bin ich gestern bei Ihnen gewesen. Sie haben geboten, niemand vor sich zu lassen. Ich lese es in den Augen aller, die im Hause sind, daß Sie von meiner Übereilung wissen. Gnädige Tante, bringen Sie mich nicht zur Verzweiflung. Ich habe einen Fehler begangen, ich schäme mich desselben. Ich sehe es ein, wie unrecht ich an meinem Vater gehandelt habe; ich glaubte es nicht. Ich hielt es für ein unschuldiges Mittel, mein Glück zu befördern. Ich liebe meinen Vater unendlich, noch diesen Augenblick liebe ich ihn so sehr, als nur jemals. Es war keine Bosheit, nein, gnädige Tante – Unvorsichtigkeit, eine Thorheit war es, die von der Liebe und Jugend herkam. Verdient denn diese Thorheit, daß Sie mir Ihre Liebe entziehen wollen? daß Sie mich in einer Unruhe lassen, die alle Angst eines Missethäters übertrifft? [132] Haben Sie denn noch keinen Brief von meinem Vater, von meinem beleidigten Vater? Ja! beleidigt habe ich ihn, aber aus Thorheit, nicht aus tückischer Bosheit. Erlauben Sie mir, zu Ihnen zu kommen. Ich bin außer mir.


w)


Hochwohlgeborner Herr Kammerrat,

Hochgeehrter Herr Bruder!


Wenn sich der Herr Bruder noch wohl befindet, so wird es mir lieb zu vernehmen sein. Ich befinde mich, dem Himmel sei Dank! für meine Jahre ganz wohl. Im übrigen hat das Fräulein von L., meine liebe Base, mich avertiert, daß mein hochzuehrender Herr Bruder eine christliche Absicht auf das Mädchen habe. Dessen freue ich mich nun gar sehr und danke dem Herrn Bruder herzlich für das freundschaftliche Zutrauen zu meiner Familie und namentlich zu dem guten Kinde. Sie ist fromm und wohlerzogen und eine gute Wirtin, die ihren Mann einmal in Ehren halten wird. Allermeist aber kann ich dem Herrn Bruder nicht verhalten, daß das Mädchen fast zu jung ist, in den heiligen Ehestand zu treten. Sie wird noch kaum 16 Jahre sein, und das, deucht mich, ist fast zu jung, eine Wöchnerin zu werden. Man macht die guten Dinger vor der Zeit alt, und sie kommen in das Ehestandskreuz, ehe sie recht anfangen zu leben. Wie ich denn dem hochgeehrten Herrn Bruder nicht bergen mag, daß das Fräulein sehr schwer daran geht. Sie ist von so gutem jugement, daß sie des Herrn Bruders Verdienste vollkommen einsieht. Sie gratuliert sich gar höchlich, wie es denn auch billig ist, der Ehre, die ihr angetragen wird, und sie hat mich versichert, daß sie nichts mehr wünsche, als mit der Zeit einen Mann zu haben, der so rechtschaffen und edel gesinnt sei als der Herr Bruder. Nicht minder sieht sie wohl ein, wie groß das Glück in Ansehung der zeitlichen Umstände sei, das ihr angetragen wird. Unbeschadet diesem allem ist sie von dem Gedanken nicht abzubringen, daß sie noch zu jung sei. Wenn aber ich es sehr ungern sehe, daß sie sich in den Kopf gesetzt hat, vor ihrem zwanzigsten Jahre nicht zu heiraten, so wäre dieses mein unvorgreiflicher Rat, man ließe das Mädchen vollends heranwachsen. Ist sie zwanzig Jahre alt und der Herr Bruder bleibt auf seiner Meinung: eh bien! vielleicht giebt sich's hernach eher. Der Herr Bruder ist bei seinen Jahren noch munter und vigoureux und wird dieser gebetenen Dilation gar wohl deferieren können. Es laufen hier keine [133] fatalia. Selbstbeliebigem Gutachten überlasse dieses alles, was ich hier wohlmeinend schreibe. Posito aber, der Herr Bruder fände Bedenken, seinem Suchen zu inhärieren, und glaubte, daß bei mehr zunehmenden Jahren es bequemer und seinem Alter, anständiger wäre, unverheiratet zu bleiben, und den Rest seiner Jahre in Ruhe zuzubringen und das Wohl seiner lieben Kinder, die den Herrn Bruder mit vieler Aufrichtigkeit verehren, fernerweit als ein zärtlicher Vater zu besorgen, die auch denselben pflegen und warten, als sich für einen guten ehrlichen Vater gehört und rechtschaffenen Kindern allenthalben eignet und gebührt – posito also, sage ich, es verginge dem Herrn Bruder die Lust, sich wieder zu vermählen, so wird es mir lieb sein, wenn er für mich und die Meinigen die gute Meinung behält und dem Fräulein hold und gewogen bleibt, wie es denn dieselbe verdient und es weiter zu verdienen suchen wird.

Der ich den Herrn Bruder göttlicher Obhut empfehle und nach abgelegtem gutem Wunsche zu einer ersprießlichen Badekur und glücklichen Wiederkunft mit alter deutscher Treue unabläßig beharre,


Hochwohlgeborener Herr Kammerrat,

Meines hochgeehrten Herrn Bruders,

dienstwilliger Freund und Diener.


y)

Hochwohlgeborner Herr Obrist,

Hochgeehrtester Herr Bruder!


Die Schwierigkeiten, welche das Fräulein von L. gefunden hat, mich ihrer Gegenliebe zu würdigen, vermindern die Hochachtung im geringsten nicht, die ich gegen sie hege. Sie sind ihrem Alter und ihrer Einsicht so anständig, daß ich sie doppelt verehren muß. Hätte sie meinen Wunsch erfüllt, so wäre ich gewiß der glücklichste Mann geworden; ihr Glück aber würde immer noch unvollkommen gewesen sein, da mich meine Jahre zu ernsthaft machen, ihre Liebe zu vergelten. So ungerecht bin ich nicht, daß ich mein Glück dem ihrigen vorziehen sollte. Der Herr Bruder sind ein neuer Beweis, wie unschätzbar ein vernünftiger Freund sei. Ich sehe meine Übereilung ein, die ich begangen habe. Sie erinnern mich auf eine sehr bescheidene Art meines Alters und der Pflicht, die ein Greis bei seinem herannahenden Ende zu beobachten hat. Ich will Ihr Vertrauen zu verdienen suchen und mich einer Leidenschaft entschlagen, die mir bei meinem Jahren nicht mehr anständig ist. Ich verwandle[134] die Liebe, die ich gegen das tugendhafte Fräulein hegte, in eine väterliche Zärtlichkeit. Diesen einzigen Fehler halten Sie mir zugute, daß ich zu eifersüchtig bin, den Besitz dieses liebenswürdigen Kindes jemand anders als meinem Enkel zu gönnen. Ich weiß, daß er sie anbetet. Er verdiente nicht mein Sohn zu sein, wenn er anders dächte. Es ist mir unbekannt, ob das Fräulein gütig genug ist, seine jugendlichen Fehler zu übersehen, und ob sie sich entschließen kann, einen Menschen zu lieben, der weiter keine Verdienste hat, ihrer würdig zu sein, als diese, daß er den Wert ihrer Tugenden und ihrer vorzüglichen Eigenschaften empfindet. Nehmen Sie Gelegenheit, hochgeehrtester Herr Bruder, die Neigungen des Fräuleins zu untersuchen. Das Vermögen, welches mein Enkel von seiner Mutter ererbt hat, ist gar ansehnlich. Ich werde ihn, wenn ich lebe, in immer bequemere Umstände zu setzen suchen. Ich will ihm einen anständigen Rang kaufen Sterbe ich einmal, so fällt der größte Teil meines Vermögens wieder auf ihn. Aber ich will haben, daß er mir noch bei meinen Lebzeiten für meine Fürsorge danken soll. Für das danken uns die Kinder selten, was wir ihnen durch unsern Tod lassen müssen, weil wir es nicht ändern können. Diejenigen Wohlthaten genießen wir selbst mit, die wir ihnen bei unserem Leben erweisen. Kann sich mein Enkel eine größere Wohlthat wünschen als die, um welche ich für ihn bitte? Er hält es selbst für die größte, ich weiß es. Machen Sie ihn und zugleich mich glücklich, wertester Herr Bruder. Wir wollen das Vergnügen unserer Kinder befestigen, weil wir beide noch leben. Vielleicht hat uns der Himmel unsere hohen Jahre nur um deswillen so lange gefristet, daß wir an diesem Glücke gemeinschaftlich arbeiten sollen. Ich denke ganz ruhig an meinen Tod, wenn ich mir vorstelle, daß ich in den Armen dieser zärtlich geliebten Enkel sterben soll. Lassen Sie diese mir so angenehme Vorstellung nicht vergebens sein. Eilen Sie, meine Bitte zu erfüllen. Sie wissen nicht, wie lange Sie bei Ihren Jahren noch im stande sind, es zu thun. Ich wenigstens fühle mein Alter alle Tage mehr. Meine Mattigkeit und andere Beschwerungen erinnern mich stündlich an den letzten wichtigen Schritt, den wir zu thun haben. Ich werde meine Rückreise beschleunigen und mit Ungeduld den Augenblick erwarten, wo ich von Ihnen erfahre, ob sich das Fräulein entschließen kann, meinen Enkel glücklich zu machen, und einem redlichen Vater, der sie so zärtlich liebt, seine Bitte, vielleicht seine letzte Bitte zu gewähren. Der Himmel lasse unsere Kinder gesegnet sein! Das Gebet eines Vaters bleibt nie unerhört. [135] Es wird ihnen wohlgehen, und sie verdienen es auch. Wir wollen uns lieben, Herr Bruder, bis wir sterben. Unsre Kinder sollen von uns lernen, was Freundschaft sei, damit sie uns auch im Grabe noch segnen. Dieses schreibe ich mit der wahren Hochachtung eines alten Freundes und bin,


Hochwohlgeborner Herr Obrist,

Meines hochgeehrten Herrn Bruders

ergebenster Diener.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Rabener, Gottlieb Wilhelm. Satire. Sammlung satirischer Schriften. 2. Satirische Briefe. Ein Roman von einem Fräulein, die der Großvater und Enkel zugleich liebt. Ein Roman von einem Fräulein, die der Großvater und Enkel zugleich liebt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8B96-3