[31] Auszug aus der Chronik des Dörfleins Querlequitsch a.d. Elbe.

(Aus den »Belustigungen des Verstandes und Witzes«. April 1742.)


Geneigter Leser!


Du wirst mir nicht zumuten, daß ich Dir sagen soll, wie ich zu dem Manuskripte gekommen sei, von welchem ich Dir gegenwärtigen Auszug liefere. Wenn ich spräche, ich hätte es unter einem alten Gemäuer gefunden, so würdest Du es vielleicht als ein schätzbares Altertum mit vieler Ehrfurcht durchlesen. Ich könnte Dich wohl auch bereden, es gehöre in eine Bibliothek, und weil ich ein Gelehrter bin, so würdest Du unfehlbar denken, ich hätte es mit lehrbegierigen Händen heimlich entwendet. Allein ich bin nicht gesonnen, Dir eine Unwahrheit vorzusagen; Du sollst aber auch die Wahrheit nicht erfahren. Sei zufrieden, daß ich Dir ein Werk mitteile, welches allen Geschichtschreibern zur Vorschrift und Dir vielleicht zur Erbauung dienen kann.

Den eigentlichen Verfasser dieser Chronik und die Zeit, wann sie geschrieben worden, kann ich nicht angeben. Auf dem Titelblatt steht anstatt des Namens ein N., welches her Verfasser sonder Zweifel um des willen gethan hat, daß er den Leser neugierig machte und desto bekannter würde. Meine Vermutung geht dahin, es habe es ein ehemaliger Pfarrer daselbst geschrieben. Ob ich recht habe, wirst Du aus den Umständen beurteilen, die in dem Auszuge selbst vorkommen. Wann aber dieser Pfarrer gelebt und die historischen Nachrichten gesammelt hat, solches ist noch ungewisser. Ich vermute, daß es kurz nach des Kanzlers Krell Tode geschehen sei; ich will aber niemanden meine Meinung aufdrängen.

Das Werk selbst ist von einer ziemlichen Weitläufigkeit, in Folio, 4 Alphabete stärk. Die Schrift ist sehr klein und unleserlich, auch hin und wieder – ich weiß nicht, aus was für Ursachen – Platz gelassen worden. Der Auszug, den ich gehen will, soll desto kürzer sein und mit Ausfüllung der leeren Stellen mögen sich diejenigen belustigen, welche in Ergänzung verstümmelter Altertümer, wo nicht glücklich, doch unermüdet sind.

Gleich durch den ersten Anblick des Buches wird man überführt, daß der Verfasser von einem besonderen Geschmacke und kein abgesagter Feind seiner Verdienste müsse gewesen sein. Man findet daselbst ein Bild, welches er vermutlich eigenhändig [32] entworfen hat, und das zwar nicht künstlich, doch ziemlich deutlich geraten ist. Es stellt die fliegende Fama vor, die zwei sehr dicke Backen und eine Trompete kennbar machen. An dieser hängt ein Tuch, worin man eine menschliche Figur mit einer runden Mütze, einem Überschlägelchen und einem altväterischen Kleide erblickt. Es ist eine Umschrift dabei, von der ich aber nichts als die beiden ersten Buchstaben erraten kann, welche nach meiner Einbildung P.L. lind wie ich glaube Pastor loci heißen, wiewohl sie auchPoeta laureatus heißen könnten. Aus den Wolken ragt eine Hand hervor, welche eine zusammengekrümmte Schlange und noch etwas faßt, das vermutlich ein Lorbeerkranz sein soll. Unten fesselt ein Genius die Zeit an einen Baum, in den die Buchstaben gegraben sind: SHNQTLQM. Wenn ich mich nicht irre, so zielen diese auf den Vers: Semper honos, nomenque tuum laudesque manebunt. Dabei stehen sehr viele Leute, welche mit Verwunderung und aufgehobenen Händen nach dem Bilde sehen. Sie sind alle sehr undeutlich gemalt, bis auf einen einzigen, den ich für den Schulmeister des Dorfs halte, weil er das Maul schrecklich aufsperrt. Die Aussicht stellt eine Landschaft und darin das Dorf Querlequitsch vor, über dem ein offnes Buch schwebt, das sonder Zweifel eine Konkordanz oder gar die Chronik selbst bedeuten soll. Ich finde diese Worte darin: Nil sine me. Dem Bilde gegenüber ist ein Blatt leer gelassen, auf welchem steht: Erklärung meiner Erfindung. Ob er aber seine Erfindung selbst nicht verstanden hat oder von dem Tode an der Erklärung verhindert worden ist, das weiß ich nicht. In Beschreibung dieses Bildes bin ich um deswillen weitläufig gewesen, damit man das Altertum des Buches daraus abnehmen könne; denn heutiges Tages und schon seit vielen Jahren sind dergleichen prächtige Bilder gar nicht mehr gebräuchlich.

Hierauf folgt der Titel, welcher ein neuer Beweis des Altertums und so weitläufig ist, daß man ihn ohne eine recht gesunde Lunge zu haben, in einem Atem nicht durchlesen kann. Ich will ihn ganz hersetzen: »Hellgeblasene Kriegstrompete und Friedensposaune! Das ist, eine kurz gefaßte Chronik des weitberühmten Dörfleins Querlequitsch an der Elbe, worin dessen beliebte, aber zuweilen betrübte Geschichte von den ältesten, mittlern und neuern Zeiten aus zuverläßigen Nachrichten, alter Leute Mund und andern Urkunden genommen, zugleich auch die darin einschlagende Geschichte der assyrischen, persischen, griechischen und römischen Monarchien, nebst den merkwürdigen Veränderungen der Kaisertümer, Fürstentümer [33] und Reiche, Leben und Thaten der Päpste, Kaiser, Königs Fürsten etc. nebst ihren guten und bösen Eigenschaften vorgetragen, die unergründlichen Wunder der Natur an Sonne, Mond und Sternen, ingleichen an Pflanzen, Bäumen, kriechenden und fliegenden Tieren, sowohl auf der Erde als im Wasser, auch was sonsten lebet, webet und Odem hat, lehrreich beigebracht und dadurch die verderblichen, abscheulichen und verteufelten Meinungen der Socinianer, Arianer, Pelegianer, Manichäer, Wiedertäufer, Molinisten, Syncretisten, Atheisten, Indifferentisten und aller Ketzer, die sich in -isten endigen, heftig und kräftig widerlegt, zur Warnung und Vermahnung, besonders aber zum Tröste des christlichen Häufleins in Querlequitsch mit beliebter Kürze und eilfertiger Feder entworfen durch N.«

Auf der ersten Seite steht die Zueignungsschrift an seinen lieben Schwiegervater und Gevatter Georg Klunkern, Bürgermeistern in Merane und des löblichen Schneiderhandwerks daselbst Oberältester. Er zeigt darin die Ähnlichkeit, welche das Städtlein Merane mit dem alten Rom habe, und nachdem er seinem Herrn Schwiegervater durch viele lateinische Stellen gezeigt hat, wer Cicero gewesen sei, so fragt er ihn und die ganze Bürgerschaft, ob Herr Klunker nicht ein anderer Cicero sei? Er beweist es durch Exempel und u.a. daraus, daß er den Stadtschreiber daselbst als einen gefährlichen Catilina aus ihren Mauern gejagt, so daß man billig ausrufen könne: Excessit! evasit! erupit!

Auf der 5. Seite schreitet er näher zu seinem Vorhaben und führt die Ursachen an, die ihn bewogen hätten zu schreiben. Er erzählt dieselben nach der Reihe und hält darunter die für die wichtigste, daß er dem heftigen und unaufhörlichen Bitten, Flehen und Drohen seiner Freunde. Gönner und Vorgesetzten mit gutem Gewissen nicht länger widerstehen und lieber der gelehrten Welt dieses Buch mitteilen als Anlaß zu einigen Gewaltthätigkeiten [habe] geben wollen.

Von der 9. bis zur 12. Seite zeigt er die Einrichtung des ganzen Werks, auf der 13. Seite aber dessen großen Nutzen und von S. 14 bis 19 erklärt er sich auf sechs Seiten, daß er wegen seiner vielen Amtsverrichtungen abbrechen und diese Zueignungsschrift schließen müsse, worauf auf der 20. und 21. Seite ein herzlicher Seufzer folgt.

Auf der 22. Seite stehen diese Worte: Ungeheuchelte Lobschriften und schuldige Ehrendenkmale auf den T.T. Herrn, Herrn N ... Verfasser der Chronik des Dörfleins Querlequitsch, [34] aufgerichtet von nachbenannten gelehrten Männern. Es hat aber der Herr N. solche vermutlich nicht erlebt, weil bis S. 40 leere Seiten in dem Manuscripte sind.

Auf der 40. Seite fängt endlich die Chronik selbst mit den großen Buchstaben Q.D.B.V. an. Gott aber schuf nur ein Männlein und ein Fräulein, sind seine ersten Worte und er zeigt sodann, wie wunderbar durch so viele Jahrhunderte Länder und Orte sich das menschliche Geschlecht fortgepflanzt, so daß jetzt nur allem in Querlequitsch 89 vernünftige Seelen zu finden wären, wobei er wünscht, daß sie möchten vor Krieg, Pest und teurer Zeit behütet werden, welches sie zwar mit ihren Sünden gar wohl verdient hätten.

Auf der 46. S. gerät er auf den Einfall, wie es wohl vor 1000 Jahren in Querlequitsch ausgesehen haben möge. Er ist der Meinung, daß die dasige Gegend zu der Zeit ganz und gar unbewohnt gewesen und vielleicht an dem Orte, wo jetzt die Kanzel stehe, nichts als Rohrdommeln in der Wüste gehört worden sind. Hierauf legt er seine ganze Gelehrsamkeit aus und redet von einem Cheruskerfürsten Arminius, von den Hermunduren und Mysen. Die Thracier und Scythen fallen ihm ein. Er erblaßt, wenn er an den Attila denkt und bewundert das Schicksal, welches die Vandalen aus dem kalten Norden in das heiße Italien geworfen, um die schönen Künste und Wissenschaften zu zerstören. Er besinnt sich auf die Longobarden und zieht zwölf gelehrte Männer an, welche diesen Namen von den langen Bärten herleiten.

Auf der 59. S. kommt er wieder zu sich selbst und erinnert, er hätte um deswillen in seiner Erklärung ausgeschweift, weil er beweisen wollen, wer ihre Vorfahren in dasiger Gegend gewesen wären. Die ganze Sache aber hält er für ungewiß und will lieber gar nichts als etwas Zweifelhaftes sagen, indem ein vernünftiger Mensch nichts reden müsse, als was er mit gutem Grunde behaupten könne. Er beseufzt den verderblichen Hussitenkrieg, in welchem vermutlich die schönsten Urkunden von diesem Dorfe verbrannt oder mit nach Böhmen geführt worden wären. Bei dieser Gelegenheit fällt ihm ein, daß Hus Gans heiße, und er lacht recht herzlich über die sanctem simplicitatem des Bauern, welcher in Costnitz ein Bündel Holz zum Scheiterhaufen getragen, diesen teurem Märtyrer zu quälen.

Auf der 66. S. will er, um mit Ehren und unbeflecktem Gewissen aus diesem Kram zu kommen, einem jeden hierin seine Meinung lassen. Genug, spricht er, daß wir müssen [35] Vorfahren gehabt haben; denn wo ein effectus ist, da ist auch eine causa; atqui, schließt er weiter, ich und alle Bauern zu Qu. sind ein effectus, ergo müssen wir eine causam gehabt haben, und diese sind eben unsre Vorfahren, welche ich im vorhergehenden so mühsam suchte. Durch eine ausführliche Note zeigt der Herr Autor, in welchem modo dieser Schluß sei und verwünscht den Aristoteles in den Abgrund der Hölle, weil er durch seine Sophisterei die ganze Welt mit Blindheit geschlagen habe. Am Rande stehen die Worte: O Vernunft, wie schändlich bist du! Die Tinte ist aber ganz frisch und die Züge sind nach der heutigen Art, daher ich vermute, diese Randglosse müsse nur etwa vor zwanzig Jahren gemacht sein.

Auf der 68. S. dankt er dem Himmel mit einem in brünstigen Ach! daß er ihm Weisheit und Kräfte verliehen habe, aus diesem Labyrinthe der Altertümer glücklich zu entkommen und die verwirrten Nachrichten ihrer Vorfahren in ein helles Licht zu setzen. Er beschreibt sodann mit ziemlicher Deutlichkeit die Lage, den Umfang, Größe, Zäune, Graben und Einteilung des Dörfleins Qu., welches ich aber alles unberührt lasse, weil der Ort jedermann bekannt und noch bis auf diese Stunde dessen äußerliche Beschaffenheit unverändert ist.

Auf der 80. S. besinnt er sich, daß er in Eile vergessen habe zu sagen, wo der Name Querlequitsch herstamme. Er hat aber so einen löblichen Abscheu vor alten Untersuchungen bekommen, daß er sich dabei nicht aufhält. Seine Meinung geht dahin, es sei wegen seiner anmutigen Lage in dem Papsttume querelarum quies genannt worden. Es kommt ihm dieses höchst wahrscheinlich vor, weil man nur die Buchstaben e und arum wegwerfen und ies in itsch verwandeln dürfe. Er beweist dieses auch nachdrücklich, indem er sagt, man müsse keine gesunde Vernunft haben, wenn man die Wahrheit davon nicht einsehen wollte.

Auf der 81. S. wird gehandelt von des Dörfleins weltlichen Hauptgebäuden und den damit verknüpften Gerechtsamen, Gerichten und Privilegien. Des gestrengen Junkers Rittersitz wird zuerst vorgenommen. Es ist keine Mauer, keine Stube, kein Ziegel auf dem Dache, welchen er nicht seiner Länge und Breite nach beschreibt, ja den Einfältigen zum besten hat er sogar einige Risse nebst dem Maßstabe beigefügt. Es gehört eine ziemliche Geduld dazu, wenn man alles durchlesen will. Doch darf ihm dieses nicht als ein Fehler ausgelegt werden, weil er nichts gethan hat, als was unsre Chronikschreiber mit einer unermüdeten Sorgfalt noch heutiges Tages thun.

[36] Unter dem Thorweg entdeckt er eine alte steinerne Figur, welche nach dem verfertigten Entwurfe vermutlich nichts anderes ist als eine Verzierung von Laubwerk; er will es aber für ein hochadeliges Wappen ansehen, woraus er verschiedene Verbindungen des gestrengen Junkers mit andern Familien und zugleich einige rechtsgegründete Ansprüche auf sechs Rittergüter ableitet.

Einen Turm, welcher den Bauern zum Gefängnisse dienen muß, hält er für besonders merkwürdig. Er nennt ihn ein Schrecken der Widerspenstigen und einen Tempel der Gerechtigkeit, den Gerichtsvogt aber sacerdotem justitiae und zeigt bei dieser guten Gelegenheit den gegründeten Unterschied zwischen dem geistlichen und weltlichen Arme.

Das Gemeindehaus kann er nicht mit Stillschweigen übergehen. Er macht eine beinahe ebenso lebhafte Abbildung davon als von dem Rittersitze; über die dabei stehende Linde aber, worunter die Bauern ordentlich zusammenkommen, bezeugt er eine herzliche Freude, weil sie ihn auf die Geschichte der alten abgöttischen Linden und die Gewohnheit, unter freiem Himmel Gericht zu halten, durch eine natürliche Ordnung bringt. Er handelt diese Materie mit vieler Belesenheit ab, und ich habe davon einige neuere Schriften gesehen, welche es ihm nicht gleichthun.

Auf der 140. S. folgen die geistlichen Hauptgebäude. Sie bestehen nur aus der Kirche, Pfarre und Schulwohnung. Bei jedem aber macht er eine lange Erzählung, und die Bilder sind auch nicht gespart. Ich will dem geneigten Leser mit einem Auszuge davon nicht beschwerlich fallen. Einige Umstände aber kann ich nicht unberührt lassen.

Wie lange die Kirche gestanden habe, weiß er eigentlich nicht, wohl aber, daß sie schon im Papsttume vorhanden gewesen. Die Geschichte der Reformation nimmt hier viele Seiten weg, und es kommt mir wahrscheinlich vor, daß Seckendorf sich dieses Manuskripts mit gutem Nutzen bedient habe. Den Weihkessel, welcher noch in der Kirche eingemauert ist, kann er ohne Thränen niemals ansehen, und er hält solches für etwas, das zum papistischen Sauerteige gehöre. Den wohleingerichteten und einträglichen Beichtstuhl aber nennt er einen Schmuck und eine Zierde des ganzen Tempels. Bei einem vorgehabten Kirchenbau hat sich hinter dem Altar etwas gefunden, welches der Herr Verfasser als eine alte Münze sehr hoch hält und nicht allein einen Abriß davon, sondern auch die Münze selbst beifügt. Anfänglich hat er gar nicht gewußt [37] was er daraus machen soll. Aber durch eine unermüdete Untersuchung und Beihilfe einiger gelehrten Freunde hat er auf einer Seite ein Roß im Wasser, aber auf der andern eine Figur gefunden, welche beinahe wie ein gekröntes Brustbild ausgesehen, mit der zwar etwas undeutlichen Umschrift vedkend. Seine Freude über diesen Fund ist ganz unaussprechlich. Er beweist, daß diese Münze Karl der Große auf Wittekinds Taufe habe prägen lassen. Er beschreibt die ganzen Kriege der Sachsen und ihre endliche Bekehrung und dankt dem Himmel mit gefalteten Händen, welcher solchen großen Schatz so lange erhalten und ihn mit dieser kostbaren Münze beseligt habe. Ich schickte sie unlängst dem berühmten Herrn Professor Köhler zu, um seine Meinung darüber zu vernehmen; er schrieb mir aber, es sei nichts anderes als ein alter verrosteter Deckel von einer Mithridatbüchse.

Er rühmt ferner den schönen Büchervorrat, womit die Sakristei ausgeziert sei, welche er deswegen armamentarium sacrum nennt, und versichert, es wären so viel praktische Bücher, Sterne und Kerne und andre biblische Rüstzeuge darin, daß man sich binnen einer halben Stunde mit einer trostreichen Predigt bewaffnen könne.

Das bei der Kirche angemachte Halseisen soll ein untrügliches Merkmal guter Polizeiordnung sein. Er wünscht, daß alle diejenigen daran geschlossen würden, welche sich nicht schämten, ihrem Pfarrer anstatt des guten Dezems Wicken und Trespe zu geben, da ihnen doch dieser das Wort Gottes lauter und rein predige.

Des Pfarrers Studierstube kommt ihm nicht anders vor als das trojanische Pferd. Aus diesem, sagt er, wären so viele tapfere Helden gestiegen, welche das hochmütige Troja in Asche gelegt hätten; aus jener aber trete eine erbauliche Predigt nach der andern hervor, welche das stolze Babel bestürme. Doktor Luthers Hauspostille nennt er sein Palladium, dessen ganze Geschichte er aus dem Altertume hervorsucht.

Von der 203. bis 279. Seite ist das Geschlechtsregister der gestrengen Junker von N., Erb-, Lehn- und Gerichtsherren auf Querlequitsch. Ich will nur einige davon anführen und mich, so viel als möglich, seiner eigenen Worte bedienen.

Hans von N. ward geboren 1429 und lebte 65 Jahre. Man weiß von ihm gar nichts weiter, als daß er einen sehr dicken Bauch gehabt hat.

Hans Ulrich von N., des Vorigen Sohn, hatte einen Jagdhund, welchen er unsäglich liebte. Als der Hund starb, schickte [38] er dem Pfarrer ebenso viel an Leichengebühren, als wenn ein Sohn gestorben wäre. Er mag ein löblicher Herr gewesen sein.

Georg von N. aß, trank und vermählte sich dreimal. Seinen Bauern war er gewogen, dem Pfarrer aber spinnefeind. Er wollte nicht leiden, daß ihm dieser auf der Kanzel die derbe Wahrheit sagte, da es doch an einem so privilegierten Orte geschah. Von undenklichen Jahren her hatte der Pfarrer des Sonntags auf dem Herrenhofe gespeist, dieser Georg aber brachte es ab. Er war ein rechter Atheist, ohne Gottesfurcht und Gewissen, und wie er lebte, so starb er auch; denn er fiel vom Pferde und brach den Hals. Nach dem Tode hat es heftig auf dem Grabe getobt, und des Pfarrers Frau hat es mit ihren Ohren gehört, daß es nicht anders gewesen sei, als wenn sich die Katzen gebissen hätten. Er starb ohne Kinder, und das Gut fiel an seinen Vetter Casimir von N.

Von der 280. bis 336. Seite sind die Leben der Kirchen- und Schuldiener daselbst beschrieben. Es ist dieses mehr ein Zusammenhang vieler Lobschriften als eine historische Erzählung; und wie dergleichen besondere und nach Befinden geheime Nachrichten nur wenigen Leuten gefallen können, den meisten aber ekelhaft sind: so ist auch von gegenwärtiger Abhandlung nicht zu leugnen, daß derjenige schlechterdings Pfarrer in Qu. sein muß, der ein Vergnügen daran finden soll. Ich will aber die Geduld meines Lesers nicht mißbrauchen und nur etwas weniges daraus anführen.

M. Heinrich Quad, ein ehrwürdiger Mann, predigte alle Woche einmal und starb. Er hat ein Buch geschrieben, welches den Titul führt: An sich selbst oder wohlgemeinter Unterricht für die einfältigen Pfarrherren, wie sie sich auf der Kanzel züchtig gebärden sollen. Mit Holzschnitten.

George Voigt verstand das Hauswesen vortrefflich und predigte ziemlich gut.

M. Curt Hauzius. Er war ein starker Zelot. Er ward allemal braun im Gesichte, wenn er an den Papst dachte, und hat 56 neue Ketzer gemacht. Er lebte in großer Uneinigkeit mit seinem Gerichtsherrn und hatte viel Verdruß mit der Gemeinde wegen des Pfarrbaues. Über das Pfingstbier hat er sich sehr ereifert, woran er auch starb.

M. Heinrich Bockstaudius sollte des Kanzlers Krell Ordonnanz unterschreiben, dessen er sich weigerte und des Amtes entsetzt ward. Der Herr Autor sieht diesen Umstand für merkwürdig an, weil er glaubt, dieser sei der Einzige unter allen Gelehrten, welcher lieber das Amt verlieren als etwas schreiben wollen.

[39] Bis hieher gehen die Kirchendiener, und es sind alsdann einige Blätter leer gelassen, welches mich, wie ich im Eingange erwähnt, aus die Vermutung gebracht, daß gegenwärtige Chronik nach Krells Tode geschrieben sei.

Von den Schuldienern des Orts, deren der Autor zwanzig namhaft macht, will ich nur einen einzigen erwähnen. Er heißt ihn Gall Veidt den Großen. Es kam mir zwar anfangs lächerlich vor, daß er einem Schulmeister diesen prächtigen Beinamen giebt, er behauptet es aber dadurch: Er (Veidt) habe zierlich schreiben und lesen können, die Kinder fleißig unterrichtet, die Kirche reinlich gehalten, die Glocken wohl geläutet, eine gute Passion singen können und alles vollkommen gethan, was einem rechtschaffenen Schulmeister gebührt. Mithin sei er zwar kein großer Held, aber doch ein großer Schulmeister gewesen.

Auf der 336. Seite findet man verschiedene gesammelte Nachrichten von gelehrten Querlequitschern, unter denen etwa folgende die berühmtesten zu sein scheinen.

Georg Greif, eines Bauern Sohn, legte sich auf die Rechte und advocierte in einem Städtchen unweit Magdeburg. Man hat als etwas besonderes an ihm wahrnehmen wollen, daß er sehr lange Finger und im Gesichte eine so dicke Haut gehabt, daß er niemals rot geworden ist.

Antonius Kuntz, gleichfalls einer der Rechte, wollte in Erfurt Doktor werden und disputierte deswegende capillamento Ulpiani, wobei er auf dem Katheder die Wichtigkeit seines Satzes mit solcher Heftigkeit verteidigte, daß er sich etwas im Leib zersprengte und kurz darauf starb.

Balthasar Wurzel, ein Arzt und geschickter Mann. Wenn ein Bauer Blähungen hatte, so wußte er gleich, wie sie auf griechisch heißen. Er erfand viele Universalmedizinen und Lebenstinkturen, starb aber in seinen besten Jahren und vermachte der Bürgerschaft zu Zwenkau bei Leipzig einen halben Acker Landes zu einem neuen Kirchhof.

Martin Pinsel, Ministerii Candidatus, war des alten Martin Pinsels, Pfarrers zu Querlequitsch, Herr Sohn. Seine Mutter that in ihrer Schwangerschaft ein Gelübde, wenn ihr der Himmel einen Sohn geben würde, so sollte er ein Pfarrer werden. Ihr Wunsch war zu allerseitigem Vergnügen erfüllt und der gute Pinsel von seinem Herrn Vater zu allen guten Wissenschaften und Künsten angehalten. Er hatte aber einen schweren Kopf, eine stotternde Sprache und ein langsames Gedächtnis, bezeigte auch wenig Lust zum Studieren, sondern wollte schlechterdings ein Grobschmied werden. Allein die [40] Mutter prügelte ihn so lange, bis er seinen Beruf erkannte, wobei er auch blieb und im 59. Jahre seines Alters als Informator zu Dresden sanft und selig entschlief.

Ilgen Pape, ein Meistersänger und possierlicher Mann. Er hatte sehr hohe Absätze an seinen Schuhen und ging beständig, als wenn er in Sand watete. Er schnaubte heftig, wenn er redete, und sang alles ab, was er sagte. Man hat ihn gar nicht lachen, wohl aber oftmals ohne Ursache weinen und zittern gesehen. Niemals war er vergnügter, als wenn es donnerte, und sah, ohne daß es ihm etwas schadete, in den Blitz. Er starb an der Schwulst und schrieb: Das blinde Alter oder Tobias, ein Trauerspiel.

Zacharias Pape, des Vorigen Bruder und auch ein Meistersänger, doch von jenem ganz verschieden. Er schminkte sich dergestalt, daß man niemals seine natürliche Farbe hat erfahren können. Die Hände wusch er sich in Rosenwasser und kaute beständig Süßholz. Sein Wams war mit Knöpfen von buntem Glase besetzt, und an dem Halse trug er ein ordentliches Pferdegeläute. In Nürnberg war er unter eine Bande Gaukler geraten; diese hatten ihn gelehrt, wie er seine Glieder auf eine erstaunliche Weise ausdehnen, in einem Augenblicke aber wieder zusammenziehen konnte, daß er nicht größer war als ein Igel. Er war sehr ungesund und hatte immer Anfälle von hitzigem Fieber. Seine Gedichte sind zusammengedruckt unter dem Titel Caniculares. Er schrieb ein Sinngedicht auf seine Leier und lachte sich darüber zu Tode.

Endlich machen auf der dreihundertvierundachtzigsten Seite allerhand vermischte Merkwürdigkeiten einen erwünschten Schluß. Die Züge sind hier in dem Manuskripte von den vorigen ganz unterschieden, und ich glaube, daß des Verfassers Ehefrau diese Merkwürdigkeiten niedergeschrieben habe. Meine Vermutung ist nicht unwahrscheinlich; die Sache aber behält doch ihren Wert, und die ganze Einrichtung ist noch jetzt nicht ganz altväterisch geworden. Ja ich kenne einen gelehrten Mann, von dessen Chronik man schwören sollte, daß seine Großmutter die angefügten Merkwürdigkeiten verfertigt habe.

Ich weiß nicht, ob ich mich um meine Leser verdient machen werde, wenn ich ihnen einen Auszug davon liefere. Vielleicht geben sie sich zufrieden, wenn sie auch nicht wissen, wie oft Soldaten daselbst im Quartiere gelegen und des gestrengen Junkers Feueresse gebrannt, oder die gnädige Frau in der [41] Küche zum Schrecken und schmerzlichen Beileid aller Anwesenden den Unterrock versengt habe. Ebenso erbaulich ist es, wenn man liest, wie oft die Bauern in Querlequitsch mit dem Durchfall heimgesucht worden sind. Die Geschichte von einem Pferdedieb, dessen Lebenswandel, Verbrechen, Gefangennehmung und erfolgter Strafe, macht viele Seiten aus, und die Unterredungen des Herrn Pfarrers mit diesem Diebe sind von einer ziemlichen Weitläufigkeit, an und für sich aber sehr erbaulich. Des Schulmeisters ältester Sohn, ein Kind guter Art und großer Hoffnung, ist anno 1542 jämmerlich in die Mitzpfütze gefallen, aber zu gutem Glück ohne Schaden. Wer diese und dergleichen klägliche Begebenheiten mehr wissen will, dem kann ich das Original selbst zeigen. Eine Frau, die den Drachen gehabt hat, könnte zwar viele leichtsinnige Gemüter aus ihrem verstockten Irrtum reißen, und das Himmelszeichen, welches man im Jahre 1541 als eine gewisse Vorbedeutung der sechs Jahre darauf erfolgten Mühlberger Schlacht gesehen, sollte wohl vermögend sein, die Hartnäckigkeit unserer Atheisten zu beschämen: allein mein Beruf ist nicht, Heiden zu bekehren; meine Schuldigkeit aber erfordert, den geneigten Leser nicht länger aufzuhalten. Ich schließe also mit denjenigen Worten, die am Ende meines Manuskripts stehen:


Exegi monumentum aere perennius,
Non omnis moriar

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Rabener, Gottlieb Wilhelm. Satire. Sammlung satirischer Schriften. 1. Satirische Abhandlungen und Erzählungen. Auszug aus der Chronik des Dörfleins Querlequitsch a.d. Elbe. Auszug aus der Chronik des Dörfleins Querlequitsch a.d. Elbe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8B5E-1