Sagen von Schierke und Elend.

Nr. 85. Der Schlosser am Brocken.

Es ist einmal ein Schlosser gewesen, der ist ausgewandert, und kommt auf seiner Reise am Brocken vorbei. Hier begegnen ihm zwei Venetianer, die sind immer vor ihm hergegangen, [52] und sind zuletzt vor seinen Augen verschwunden. Man hat sie Dreiviertelstunden lang gesucht, aber nicht wieder finden können. Am anderen Tage aber begegnen sie dem Schlosser wieder und sagen für sich hin: »O lieben Harzer, daß ihr diese Steine nicht besser benutzet, ihr werfet häufig mit einem Steine nach einer Kuh, der mehr wert ist wie die Kuh selbst!« Auch fragten sie ihn, ob er mit wolle. Er sagte: wohin? Da antworteten die beiden: nach Venetien. O! sagte der Schlosser, da tragen mich meine Beine nicht mehr hin. Da wollen wir schon was dafür thun, antworteten die Venetier; gehe du nur mit. Der Schlosser läßt sich beschwatzen, und die Venetier schicken ihn: er soll Schnaps holen. Wie er nun mit Schnaps ankommt, da wird der ausgetrunken und sie fangen an einzuschlafen. Wie sie aber aufgewacht sind, sind sie statt im Harzgebirge in Venetien gewesen.

Nach langen Jahren ist ihm aber der Aufenthalt in Venetien zuwider gewesen, und er hat sich entschlossen, wieder nach dem Harze zu wandern. Wie er nun nach einem mehrjährigen Marsche in Schierke wieder angelangt ist, geht er in's Wirtshaus unter eine honette Gesellschaft. Auf einmal steht er auf und sagt: Meine Herren, wenn ich keine Mittel finde, so bin ich schon in einer Viertelstunde tot, und frägt sogleich den Wirt: ob er kein Faß im Hause hätte, welches luftdicht verschlossen wäre; da sagt dieser: doch, er hätte eins; dasselbe muß er sogleich hergeben und der Schlosser schlägt sofort den Boden aus dem Fasse und kriecht hinein, läßt aber den Deckel wieder luftdicht draufmachen. Nicht lange hierauf kommt eine Kugel angepfiffen und rollt auf dem Fasse hin und her, bis sie sich matt gelaufen hat. Da springt der Schlosser wieder auf, nimmt die Kugel, ladet sie in des Wirts Gewehr und schießt sie wieder nach Venetien, und sagt hierbei: »Du sollst mich nicht töten, du sollst mich nicht töten, du bist schon selbst in einer Viertelstunde tot!« So wird von Schierke bis nach dem Oberharze erzählt.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Pröhle, Heinrich. 85. Der Schlosser am Brocken. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-849F-9