[35] Dem Freunde

Ob ein Räthsel dir mein Schmerz,
Den du nicht vermagst zu heilen,
Willst du ihn doch mit mir theilen,
Du so vielgetreues Herz!
Nicht gefragt hat mich dein Mund,
Antwort hab' ich nicht gegeben;
Doch aus meiner Lippen Leben
Ward dir, daß ich leide, kund.
Und das dünkte dir genug!
Nie hat mich ein Weh getroffen,
Das dir nicht zerstört ein Hoffen,
Dir nicht eine Wunde schlug.
[36]
Du so mild, die Welt so arg!
Will ich in die Zukunft spähen,
Seh ich dich allein nur stehen
Zwischen mir und meinem Sarg.
Nun die Hoffnung mir entglitt,
Meine Seele gramesbitter,
Nahst du wie ein Johanniter,
Der an's Krankenlager tritt!
Der, von höh'rem Licht umtagt,
Um ein wundes Herz zu pflegen,
Allem ird'schen Freudesegen
Ernst und milde hat entsagt.
Ist der Himmel nicht von Erz,
O dann muß der Herr der Welten
Deine Großmuth dir vergelten,
Du so vielgetreues Herz!

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Dem Freunde. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6BF5-B