Zwei Fenster

1.

Ein Fenster hinter blendenden Gardinen,
Das hoch und groß den Blick hinein verstattet;
Vom hellen Sonnenglanze ist's beschienen,
Der an den blanken Scheiben nicht ermattet.
Umzogen ist's von grünen Epheuranken,
Lorber und Myrte miteinander streiten,
Jasmin und Rosen wollen blühend danken
Für treue Pflege selbst in Winterszeiten.
Ein Vöglein singt aus offenem Gebauer
Und holt sich Zucker von der Jungfrau Lippen,
Die an dem Fenster näht, wie leiser Schauer
Durchrieselt sie's bei ihres Vögleins Nippen.
»Gefangen Du, wie Er«, so spricht sie leise,
»Doch hast Du nie gekannt ein freies Leben
Und singst es täglich mir in froher Weise,
Daß ich Dir all, was Du begehrst, gegeben!«
[145]
Und zu den Blumen ihre Blicke irrten:
»Der Lorber wächst – ihn hat er längst erworben
Und Trieb und Blüten sprießen an den Myrten
Kein einzig Rosenknöspchen ist verdorben! –
O dürft ich diesen holden Zeichen trauen!
Dürft ich die Blumen an sein Gitter senden –
Wann wird er endlich Lenz und Blüten schauen?
Wann darf die Trennung, wann sein Kerker enden?«
Ein Seufzer, eine Thräne – dann aufs neue
Greift sie zur Arbeit, die sie ihn bereitet –
Singt dazu leis ein Lied von Lieb' und Treue,
Von Gottes Hand, die ihn wie sie geleitet. –

2.

Ein Fenster hinter dichten Eisenstäben,
Das klein und schmal kaum einen Blick verstattet
Das nur ein wenig aufwärts zu erheben,
Geringelt Glas, darin das Licht ermattet.
Ein enger Raum wie eine Klosterzelle,
Der Wände Grau, die Farbe der Bedrängnis.
Verscheucht schon früh des kurzen Tages Helle,
Verdunkelt noch das einsame Gefängnis.
Ein bleicher Mann, versunken in Gedanken,
Lehnt an dem Fenster sucht des Himmels Bläue,
Denn auch in seines Kerkers enge Schranken
Schaut noch dies Blau! – die Farbe ewger Treue!
[146]
Und seines Mädchens, seiner Trauten Farbe!
Er denkt an sie, die ihm die einzig Eine,
Und wie er leide, wie er duld und darbe,
Er fühlt sich reich, denn sie bleibt doch die Seine!
Sie denkt wie er, sie weiß warum er leidet –
Vor einer Welt hat stolz sie's ausgesprochen:
Wer für den Glauben seiner Seele streitet
Hat nichts vor Gott, noch vor sich selbst verbrochen.
Ein Brieflein hält er zwischen seinen Händen,
Denn nicht verbannt ist solches Liebeszeichen,
Sie dürfen sich einander Grüße senden,
Wenn strenge Fristen auch dazwischen streichen.
Was kann sie andres ihm als Liebe schreiben,
Der keinen Trost bedarf um nicht zu wanken?
Sie meldet ihm, daß Myrt, und Lorber treiben
Und frisches Grün der Hoffnung Epheuranken!
Ein Seufzer, dann ein Lächeln – und aufs neue
Küßt er den Brief, der Wonne ihn bereitet,
Singt dazu leis' ein Lied von Lieb und Treue,
Von Gottes Hand, die sie, wie ihn geleitet.

Bruchsal, im August 1851.

Zwei Eisengitter scheiden Dich von mir! –
Dazwischen schreitet auf und ab der Wächter –
[147]
Die Liebe schwingt ihr heiliges Panier,
Ein Talisman für Dich und mich, ein echter!
Kein Händedruck, kein Kuß! – kein Gitter fällt
Und keine Hand kann durch die Stäbe langen,
Und selbst das Wort von Laurern rings umstellt,
Es bleibt im Bann, es ist wie Du gefangen. –
Die Ihr Euch liebt in Freiheit hoch beglückt:
Vermögt Ihr wohl ein solches Wiedersehen?
Euch auszumalen, Herz an Herz gedrückt,
Wie möchtet Ihr vor solchem Gitter stehen?
Wir standen so: Wir sahn uns Aug in Aug, –
Ein Siegeszeichen strahlt von unsren Stirnen.
So zieht im Sturm ein Sonnenaufgangshauch
Um ferner Alpen hochgetragne Firnen.
Und Sonnenaufgang war's und Lerchenruf
Und Hallelujahsang aus höhern Sphären!
Noch einmal Gott die schöne Welt erschuf –
Und es ward Licht; die Schöpfung zu verklären.
Und es ward Licht! die Augen wurden hell,
Das Seel' um Seele auf den Grund sich schauten
Und jubelnd flog das Herz zum Herzen schnell,
Daß sie sich so das Seligste vertrauten.
[148]
Zwei Eisengitter zwischen Dir und mir –
»Vorbei die Stunde!« mahnt der rauhe Wächter –
Die Liebe schwingt ihr heiliges Panier
Ein Talisman für Dich und mich, ein echter.

Zöblitz, im Mai 1853.


Ein Pfingsten kam – o welche Festesfeier!
Der schöne Mai im hellen Blütenkranz
Zerreist des Himmels düstern Wolkenschleier,
Und zeigte ihn in seinem blau'sten Glanz. –
Kann solche Wonne auch im Kerker wohnen?
Ist da auch Frühling, auch der holde Mai?
Glühn auf Gefangnenstirnen Flammenkronen,
Des heil'gen Geistes wunderbare Weih?
Und ist im Kerker holde Maienwonne,
Geoffenbart in Lenz- und Liebeslust?
Dreimal gesegnet hohe Pfingstensonne,
Die solche Stätte zu erhelln gewußt!
Der Riegel sprang und schloß er auch sich wieder
Ich war bei Dir, und bot Dir meinen Gruß –
Du neigtest lächelnd Dich zu mir hernieder
Die Worte starben im Verlobungskuß.
Der erste Kuß! – bei uns der Kerkermeister
Kein Augenblick nur trauter Einsamkeit;
[149]
Doch hemmte nichts die Wonne unsrer Geister –
Der Raum war enge, doch die Herzen weit.
Von Deiner Stirne sprach des Geistes Weihe
Und Deine Rede war von Gott entflammt –
Ich bat ihn nicht, daß er Dir Trost verleihe –
Er gab Dir mehr – sein hohes Priesteramt.
Ich hätte mögen vor Dir niederknieen,
»Mein hoher Herr!« Dich nennen demutvoll –
Und ließ mich doch in deine Arme ziehen,
Daß mir das Herz in süßer Wonne schwoll.
Und vor uns eines neuen Kerkers Schauer,
Und neuer Trennung unermeßnes Leid –
Die Liebe, im Bewußtsein ew'ger Dauer
Schwang doch sich siegreich über Raum und Zeit!
Die Liebe triumphiert ob aller Schranken,
Daran ein liebeleeres Herz zerschellt:
Du mein! ich Dein! – kein Zweifel mehr, kein Wanken!
Und siegreich überwunden ist die Welt!

3.

Waldheim, 4. März 1854.


Fünf Jahre sind im Kerker schon vergangen –
Zum fünften mal kehrt Dein Geburtstag wieder –
Ich kam zu Dir mit Sehnen und mit Bangen –
Und tief beschämt senk' ich mein Auge nieder
[150]
Vor Deiner Herrlichkeit in Schmach und Leiden,
Vor Deiner Kraft im Dulden und Entbehren!
Du sprichst von Liebe nur, von Seligkeiten,
Wo andre sich in Schmerz und Zorn verzehren!
Ein Gitter fiel – doch eines ist geblieben,
Uns trennend, die wir ewig doch verbunden –
Die wir ganz eins im Streben und im Lieben,
Wie That und Wort seit Jahren es bekunden!
O laß mich Dir die Hand durchs Gitter reichen!
Du neigst Dich nieder – küßt sie süß und heiß,
Dazu des Blickes holdes Liebeszeichen –
Kein andres brauchts, da ich so froh Dich weiß!
Sieh, Deiner Küsse und des Gitters Spuren
Sind meiner Hand so sichtbar eingeprägt
Wie Nägelmale, wie auf Frühlingsfluren
Ein Quell hervorbricht und drin Wunden schlägt.
Von Nägelmalen wissen wir zu sagen,
Von Quellen, die als helle Thränen flossen,
Doch auch von Blüten, die wir in uns tragen,
Die aus den liebeselgen Herzen sprossen!
[151]

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Aus der Gefängniszeit 1850-1856. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-657B-4