[93] Vom Dorfe.

(12. August 1845. Gohlis bei Leipzig)

1.

Still ist's im Dorf – der letzte Erntewagen
Er schwankte eben voll und schwer herein;
Die Abendglocken haben ausgeschlagen,
Die Sonne sank mit sanftem Purpurschein.
Es ist ein Abend, recht wie ein Idyll,
Wo in der weiten Runde Alles still,
Und nur der Heimchen alte Flüsterweisen
Den Tag, der nun vollendet, selig preisen.
Die Mondessichel hängt am Firmamente,
Die Sterne wandeln den gewohnten Gang,
Wie da man sehnend dorthin hob die Hände,
Und noch vom Mondschein blasse Lieder sang.
So steh ich einsam in des Gartens Ruh,
Seh ruhig nur den bunten Blumen zu –
Erinn'rung führt zu weit vergangnen Tagen,
Der Kindheit Buch liegt vor mir aufgeschlagen.
[94]
Still ist's im Dorf – doch plötzlich welch Bewegen
Geht durch die Luft, die still zu stehen schien?
Ich will das Haupt dicht an die Erde legen,
Daß in das Ohr des Schalles Wellen ziehn.
Es klang wie Jagdruf und wie Büchsenknall,
Wie tausendfacher Menschenstimmen Schall – –
Nicht möglich! – nein – ein Wahn hat mich bethört,
Wie würde hier und jetzt ein Schuß gehört?! –

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. 1. [Still ist's im Dorf - der letzte Erntewagen]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-64B0-1