[180] Fuge, tace, quiesce
Oder
Glücklicher todes-kampff der seligen Frauen von Meinders/ gebohrner von Heydekampff

B.N.


Wir arme sterblichen/ wir haben aug' und licht/
Und dennoch fliegen wir wie mutten ins verderben.
Wir fühlen/ wenn der todt uns das genicke bricht/
Nicht aber allemahl/ wann unsre seelen sterben.
Wir riechen zwar das grab/ doch nicht die seuchen an;
Wir schmecken nur das gifft/ nicht aber seine lehren:
Ja/ da wir den Galen als einen gott verehren/
So wird dem Moses offt das ohre zugethan:
Und also sterben wir vor an verstand und sinnen/
Eh unsre lippen schnee/ die glieder eiß gewinnen.
Daher entspringt die furcht des Dionysius/
Wenn er sein leben nicht will weib und kindern trauen;
Der irrthum/ daß Tiber die jahre Priamus/
Mecän sich lieber arm/ als sterbend/ wünscht zu schauen.
Daß Brutus wie ein bär nach fremdem blute steigt/
Sich selbsten aber nicht zum tode kan entschliessen.
Ein Xerxes thränen läst um seine völcker fliessen/
Weil ihre sterblichkeit ihm etwan seine zeigt/
Und Massanissa sich mit grimmigen Molossen/
Wie Nero seinen leib mit deutscher macht umschlossen.
Ach aber/ thörichte! was seyd ihr doch bemüht
Diß krancke lazareth auff erden rum zu tragen/
Daß aussen zwar die kunst mit scharlach überzieht/
Von innen aber gram und faule würmer nagen?
Es braucht nur einen tag/ uns in die trübe welt/
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Und wieder aus der welt in himmel zu versetzen.
Der kennet die natur mit allen ihren schätzen/
Der nur ein eintzig jahr auff erden taffel hält;
Und wer den untergang von Troja hat gelesen/
Der weiß auch was die pracht der gantzen welt gewesen.
Man falle wie man will/ durch pulver oder bley/
Man sterbe mit Hostil von donner oder blitzen;
Man bring uns siedend ertzt und schweffel-suppen bey/
Und laß uns in der glut wie den Perillus schwitzen;
Rom sinne neue qual/ Carthago martern aus/
Der stoltze Sylla mag auff seinen hencker pochen/
Die Japonesen gifft und saure träncke kochen;
Es ist doch alles eins/ ob dieses knochen-hauß
Durch wasser oder feur/ früh oder spät verdirbet/
Wenn unsre seele nur nicht mit dem leibe stirbet.
Hier aber wancket offt die nadel der vernunfft;
Es ist nicht gleiche kunst zu sterben und zu leben.
Die Celten glaubten auch der seelen wiederkunfft/
Die sie zuweilen doch für wein und gold gegeben.
Der kühne Curtius springt willig in das grab/
Die Decier mit lust in ihrer feinde degen:
Saul will sich lieber selbst als seinen scepter legen;
Doch deren keiner nimmt an der erfahrung ab/
Daß/ wenn die sünde ruhm/ die natter kinder bringet/
Hier insgemein der leib/ und dort die seele springet.
Diß hat vorzeiten schon die kluge welt bedacht/
Wenn Plato Gott und mensch zusammen lehrt verbinden.
Pythagoras die lust zu wilden thieren macht/
Und Zeno sich bemüht/ das höchste gut zu finden.
Die schrifft hat folgends sie darinnen ausgeübt;
Gott aber kan es uns mit dreyen worten lehren/
Wann er Arsenium läst diese stimme hören:
Fleuch/ schweige still und ruh! denn wer den himmel liebt/
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Der muß die sünden fliehn/ im creutze stille schweigen/
Und eher/ als Gott winckt/ nicht in die grube steigen.
Ihr/ die ihr geld und gut vor eure götter schätzt/
Aus manna wermuth macht/ den honigseim verbittert/
Die ordnung der natur aus ihren schrancken setzt/
Und wie ein pappel-strauch vor iedem winde zittert;
Die ihr mit lehren schertzt/ an worten zweiffel tragt/
Kommt und eröffnet hier die augen des verstandes!
Diß todte frauen-bild/ diß muster dieses landes/
Das unser hoff so sehr als ihr gemahl beklagt/
Wird euch und eurer furcht am allerbesten weisen/
Wie man aus dieser welt muß in den himmel reisen.
Ihr erster lebens-tag trat voller freuden ein/
Der frühling mischte selbst die nelcken ihrer wangen;
Die glieder schienen klee/ die lippen thau zu seyn/
Von dem die bienen milch/ die schnecken perlen fangen.
Was Rahel an gestalt/ an sitten Esther war/
Das zeigte hier der glantz von ihrem angesichte/
Das wie der morgen-stern mit seinem frühen lichte
Uns allen sonnenschein/ ihm aber ruhm gebahr.
Kurtz: Mund und hertze wieß/ gleich wie ihr stamm der erden/
Daß keine nessel kan aus einer rose werden.
Inzwischen kam der tod einst bey gewölckter nacht/
Als wie ein marderthier in ihr gemach gekrochen/
Als gleich diß engel-bild in einen traum gebracht/
Und ihrer augen licht vom schlaffe war gebrochen;
Er sah sie lange zeit mit steiffen augen an/
Ha! sprach er endlich drauff/ was thränen werd ich kriegen/
Wenn dein erblaßter leib wird in dem grabe liegen?
Das seine schönheit schon so vielen auffgethan;
Denn eltern wollen doch mit adlern eh' verderben/
Als ihre kinder sehn in ihrem schoosse sterben.
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Doch nein! ich irre mich/ ich irre/ fuhr er fort/
Mein amt ist nicht allein auff erden fleisch zu fressen.
Ein allzu früher sturm führt manchen an den port/
Der sonsten noch vielleicht hier würde Gott vergessen.
Bey heyden hab ich nichts als ihre leibes-krafft/
Bey Christen aber auch die seele zu bestreiten:
Drum muß ein Absolon vor in die hölle gleiten/
Eh' mein erhitzter zorn ihn von der erden rafft.
Auff/ mutter/ rüste dich/ erscheine deinem kinde!
Denn was der tod nicht kan/ vollführet doch die sünde.
Diß hatt er kaum gesagt/ so ließ die schlangen-brut/
Die tochter Lucifers/ die sünde/ sich erblicken;
Ihr angesicht war gifft/ die lippen drachen-blut/
Die armen schneidend stahl/ die füsse bettler-krücken.
An ihrem halse hieng ein dünnes zauber-glaß/
Mit dieser überschrifft: durch lügen und betriegen.
Die brust war kaum zu sehn vor einem hauffen fliegen/
Der mit der grösten lust von ihrem eyter fraß:
Von hinten folgten zwar der glaub und das gewissen;
Doch beyden waren auch die augen ausgerissen.
Hier hast du/ liebster sohn/ sprach dieser höllen-brand/
Die diener deines staats/ die satan dir erkohren/
Nachdem er dich aus mir/ mich aber sein verstand/
Wie vormahls Jupiter Minerven/ hat gebohren.
Indem so jagte sie die fliegen in die höh/
Und sieh! den augenblick ward eine zur Megeren/
Die andern kehrten sich in rasende Chimeren/
So wie ihr gantzer kopff in eine feuer-see:
Viel aber sah man auch an gliedern und geberden
Wie den Lycaon einst zu thier und wölffen werden.
Erschrick nicht/ bließ sie drauff ihm in die ohren ein/
So sind die laster nur dem wesen nach gebildet:
Itzt aber solstu sehn/ wie dieser zauber-schein
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Sie wieder durch den glantz als engel übergüldet.
Hierauff verdrehte sie den spiegel in der hand/
Und spritzte siebenmahl aus ihrem faulen rachen:
Gleich überwurffen sich die ungeheuren drachen/
Und traten ingesammt wie kinder an die wand:
Die wölffe machten sich zu angenehmen frauen/
Und in Megera war Medusa selbst zu schauen.
Aurora ist so schön bey frühem morgen nicht/
Wenn sie die tropffen noch von ihrem purpur schüttelt;
Nicht Ledens schwanen-kind/ wann es die schalen bricht/
Und der verliebten welt witz und verstand zerrüttelt/
Als diese furie nach ihrem wechsel schien:
Die augen brandten ihr wie zwey erhitzte sonnen/
Die glieder hatten selbst narcissen übersponnen/
Die wangen färbten sich wie spanischer jasmin/
Von unten aber war auff einer feuer-flammen
Die kurtze schrifft zu sehn: Lust und verlust beysammen.
Gleichwohl kam ihre pracht nicht denen andern bey/
Die als 2 Gratien ihr gegenüber stunden:
Denn eine hatte gar mit rother liberey
Den thurn von Babylon auff ihren kopff gebunden/
Aus dem ein trüber rauch mit diesen worten fuhr:
Je weniger ich bin/ je höher will ich steigen.
Der zierath ihrer brust war von corallen-zweigen;
Denn dieses kraut und wir sind einerley natur;
Weil seine rancken bloß von kühler lufft der erden/
Wir durch den hochmuths-wind zu harten steinen werden.
Die andre übertraff das gantze Morgenland/
Durch ihren kleider-schmuck an perlen und rubinen:
Die schuh bedeckte gold/ die stirne diamant/
Die haare muste Rom mit puder sebst bedienen;
Der mund stieß einen dampff von amber-kugeln aus/
Zur seiten aber stund ein tisch von helffenbeine/
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Und neben dem ein faß mit Syracuser weine/
Die speise selber war ein grosses zucker-hauß/
Ein Indisch vogel-nest und eine Scarus-leber/
Mit dieser überschrifft: Der seelen todten-gräber.
Hier siehstu (fieng indem die sünde wieder an)
Drey frauen/ lieber sohn/ die alle welt bethören:
Die erste zeiget ihr der wollust süsse bahn;
Die andre ist der geist der hoffart und der ehren;
Die dritte wohnet meist der reichen jugend bey/
Und läst/ dem nahmen nach/ sich die verschwendung nennen:
Die kinder geben dir hingegen zu erkennen/
Daß jede missethat klein und verächtlich sey/
Biß hölle/ furcht und tod das rechte bild gebähren/
Und ihren mücken-kopff in elephanten kehren.
Diß sagte sie/ und flog als wie ein blitz davon/
Die kinder folgten ihr/ die frauen aber blieben/
Und einer ieden ward durch ihren dürren sohn
Ein gantzer zettel voll zu schaffen vorgeschrieben.
Die erste probe nahm die wollust über sich/
Allein ihr witz bestund wie butter an der sonne:
Denn unsre selige schlieff voller lust und wonne;
Weil Gottes engel nicht von ihrer seiten wich/
Und alles/ was diß weib an träumen nur erdachte/
Wie warme lufft den schnee/ zu schaum und wasser machte.
Der morgen zeigte kaum das lichte rosen-tuch/
So fieng das zauber-aß schon wieder an zu spücken:
Denn bald versuchte sie durch ein verliebtes buch/
Bald durch ein nacktes Bild die seele zu berücken;
Bald bließ der ärmsten sie die falsche lehren ein:
Die jungfern wären ja von fleisch und blut erschaffen/
Die tugend aber nur ein blinder traum der pfaffen/
Die weder Gott/ noch mensch/ noch engel wolten seyn.
Viel hätten sich daran zu tode zwar geschrieben;
Doch wär ihr hertze stets bey schönen weibern blieben.
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Diß pfiff der seligen die schlange täglich für.
Allein ihr guter geist rieff allemahl dagegen:
Fleuch! Leonore fleuch! denn wollust und begier/
Sind jäger/ die der welt vergüldte stricke legen.
Von forne beut ihr mund zibet und zucker an/
Von hinten stechen sie wie falsche scorpionen.
Die blumen ihrer lust sind weisse liljen-kronen/
Die wurtzel aber schmeckt wie bittrer majoran/
Die frucht wie honigseim/ der nur den mund verführet/
Und doch im magen nichts als gall und gifft gebiehret.
Und also blieb ihr hertz von aller regung frey/
Biß glück und himmel sie an ihren Meinders bunden.
Inzwischen hatte sich das kind der phantasey/
Die hoffart/ in den platz der wollust eingefunden.
Ihr gantzes reden war: Ein feuer müste licht/
Ein grosser seine macht auch in geberden weisen.
Die bürger hätte Gott aus grobem bley und eisen/
Des adels hohen geist von golde zugericht;
Drüm wüsten jene sich so wohl in krumme rücken/
Und diese wie ein leu zum herrschen nur zu schicken.
Hingegen wandte gleich ihr engel wieder ein:
Fleuch! Leonore fleuch! Denn ehre/ stand und adel
Sind ohne demut das/ was lampe ohne schein/
Granaden ohne kern/ Compaße sonder nadel.
Gott hat ihm Sions berg/ und keinen Apennin/
Den kleinen David nur/ nicht riesen/ auserlesen/
Der allererste mensch ist staub und koth gewesen/
Zur lehre: daß er stand und kronen solte fliehn;
Nachdem er aber Gott und die vernunfft verlohren/
Hat er den adel zwar/ doch auch den tod gebohren.
Was hilfft es? fuhr er fort/ daß man die halbe welt
Mit Alexandern kan in seinem titul tragen?
Je näher man den geist zur sonnen-kugel stellt/
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Je weiter muß man sich auch in den donner wagen.
Gelück und ehre sind auff erden kinder-art:
Sie geben gerne viel und nehmen gerne wieder:
Der anfang ihrer lust sind halleluja-lieder;
Das amen aber ist mit weh und ach gepaart:
Denn eh die wind ein rad/ wir eine hand/ umtreiben/
Kan Gott auff ihre lust schon Mene/ Tekel/ schreiben.
Nachdem der hoffart nun der bogen auch zerbrach/
Trat die verschwendung auff/ den fehler zu ersetzen.
Was brauchstu/ sagte sie/ der stoltzen ungemach/
Die wie die blasen sich am winde nur ergetzen?
Der ist der gröste fürst/ der viel bezahlen kan.
Denn gold und reichthum sind der ehre käyser-kronen/
Wo diese Götter nicht in einem hause wohnen/
Da schreibt die gantze welt verachte titel an.
Drum zeige/ wer du bist/ im speisen und im kleiden:
Denn sterne muß der glantz/ die menschen silber scheiden.
So artig wissen uns die laster ihren gifft
Gleichwie ein panther-thier den rachen zu verdecken;
Gott aber und sein geist beweisen aus der schrifft/
Daß tod und schlangen auch in paradiesen stecken.
Zwar schätze könten ja wie feuer nutzbar seyn:
Nur aber/ wo sie knecht/ nicht/ wo sie herren würden.
Denn hirten schlieffen eh bey dürren schäfer-hürden/
Als ein verschwendisch hertz bey tausend kronen ein.
Und wenn sich Lazarus auff rosen liesse wiegen/
Säh man den reichen mann erst unter dornen liegen.
Hier strich die selige den dampff der eitelkeit/
So wie der morgen uns den schlummer aus den augen;
Was buhlt man (sagte sie) doch gütern dieser zeit/
Wenn wir aus gelde gifft/ aus perlen armuth saugen?
Bezaubert durch den glantz/ ihr schätze/ wen ihr wollt;
Speist den Empedocles mit ochsen von gewürtzen;
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[Last einen Nero sich in milch und balsam stürtzen/]
Es ist doch bettelwerck um menschen und um gold:
Denn beyde kommen nur von einem klumpen erden/
Und beyde müssen auch zu staub und asche werden.
Wie der Chamäleon/ wenn er vor eyfer bebt/
Und durch den speichel hat die schlangen überwunden/
Alsdenn der augen licht zur sonnen auffwärts hebt/
Ob hätt er seine krafft in dieser glut gefunden;
So sah ihr geist hierauff auch Gott und himmel an/
Und sprach: du feuer-brunn des ewigen verstandes/
Du dämpffst durch deinen strahl den nebel unsers brandes/
Und kanst alleine thun/ was ich nur wollen kan./
O Herr/ erleuchte mich und lehre meine sinnen
Diß eine! daß sie dich und Christum lieb gewinnen.
In diesem stande nun fand der ergrimmte tod/
Bey seiner wiederkunfft/ das lager ihrer seelen;
Wie? schrie er/ weiß man hier von keiner höllen-noth/
Und herrscht der himmel noch in dieser bettel-hölen?
Verschmitzte furien/ beweiset eure that.
Was aber müh ich mich? mein wüten ist vergebens.
Ein frommer tadelt stets den zucker dieses lebens/
Der in dem hause selbst noch keine myrrhen hat:
Doch dürfft ich einmahl nur am leibe sie versuchen/
Was gilts/ sie solte Gott in sein gesichte fluchen.
Gott (rieff der engel drauff) hat dieses auch erlaubt.
Den augenblick verschwand das feuer ihrer glieder;
Die nerven wurden matt und ihrer krafft beraubt/
Die füsse suncken so wie schwache blumen nieder.
Und also lag nunmehr diß wunderwerck der welt/
Als wie ein marmel-fels/ in den die donner schlagen:
Gleich wie ein ceder-baum/ der/ wenn er frucht getragen/
Des abends durch den stoß der winde niederfällt.
Der tochter hatte sie durch die geburt das leben/
Ihr selber unvermerckt den halben todt gegeben.
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Wer weiß/ was für ein schatz in der gesundheit steckt/
Wer von der ungedult des Polemons gelesen/
Wie er lebendig sich mit erde zugedeckt/
Womit er sterbend nur von seiner gicht genesen/
Wer glaubt/ was Heraclit/ was Chiron hat gethan/
Der kan ihm leicht ein bild von ihrem hertzen machen.
Es wanckte/ wie ein mensch auff einem engen nachen/
Den weder hand noch müh vom sturme retten kan.
Bald seufftzte sie zu Gott/ bald ließ sie was verschreiben;
Doch beydes war umsonst/ sie muste lahm verbleiben.
Und damit stellte sich nun die verzweifflung ein/
Und bließ ihr nach und nach den kummer in die ohren:
Der himmel fragte nichts nach ihrer schweren pein/
Und hätte sie vielleicht zur straffe nur gebohren.
Denn Gott erhörte ja die seinen in der noth/
Er trüge selber sie wie kinder auff den händen:
Das gute wüst' er zu- das übel abzuwenden/
Und keiner fiele hier durch sünden in den todt/
Den nicht sein strenger zorn/ eh noch die that geschehen/
Schon hätte längst vorher zur höllen ausersehen.
Auff die verzweiffelung kam schmertz und ungedult/
Und sprach: gesetzet auch/ daß dich der himmel liebet/
Daß du wie Hiob nicht die ruthen hast verschuldt/
Daß dir der glaube trost/ das ende hoffnung giebet:
Wie aber wilstu wohl die grosse last bestehn?
Dein elend kan vielleicht noch 50 jahre währen:
Inzwischen must du dich gleich wie ein wurm verzehren/
Und täglich seuffzend auff- und weinend niedergehn.
Drum segne Gott und stirb! denn solche schwulst und beulen
Muß wie den kalten brand/ nur stahl und messer heilen.
So schwatzte fleisch und blut; iedoch ihr treuer geist
Rieff allemahl zugleich: Schweig! liebe Leonore:
Denn wer im leben hier die strasse Sodoms reist/
Trifft selten/ wenn er stirbt/ den weg zu Salems thore.
[190]
Ein iedes element/ der himmel und die welt/
Sind ihrer ordnung nach mit der natur zu frieden.
Der blinde mensch allein will neue lehren schmieden/
Und tadelt/ was ihm Gott zur regel fürgestellt.
Bald ist ihm sonnenschein/ bald schnee und wind zu wider/
Bald wirfft ihn seine pracht/ bald der verlust darnieder.
Ach aber! fuhr er fort/ ihr klagt/ und wisset nicht/
Verkehrte sterblichen/ was eurer wohlfahrt dienet:
Die beste salbe wird von schlangen zugericht/
Und keine rebe nutzt/ die ohne thränen grünet.
So muß ein frommer auch durch sorgen und durch pein/
Wie rostiges metall/ im feuer sich verklären:
Beym glücke muß er nichts als zweiffel nur gebähren/
Im creutze voller trost und voller hoffnung seyn.
Denn einen Moses kan nicht sturm und welle schwächen/
Ein Eli seinen halß auch auff dem stule brechen.
Durch dieses ward ihr hertz so wie ein mandel-baum
Von thau und warmer lufft mit neuer krafft erfüllet:
Drum hielt sie schmertz und leid vor einen blossen traum/
Der/ wenn die nacht vergeht/ auch allen kummer stillet;
Doch als sie 19 jahr nach ihrer seelen-ruh/
Nicht anders als ein weib in der geburt gestehnet/
So gab der himmel ihr/ wornach sie sich gesehnet/
Und rieff ihr endlich auch den letzten willen zu.
Und damit legte sie den schwachen cörper nieder/
Und sang/ nach schwanen-art/ noch diese sterbe-lieder:
Mein Meinders gute nacht! wir haben obgesiegt.
Dein unglück scheidet nun auff einmahl von der erden.
Durch mich ward ehermahls dein treues hertz vergnügt/
Durch mich hat seine lust auch müssen wittbe werden.
Itzt bricht der süsse todt die lange finsterniß/
Das licht ist mir und dir auff einen tag erschienen.
Du solt noch in der welt und ich im himmel grünen:
[191]
Drum weine nicht/ mein schatz/ um diesen liebes-riß.
Denck aber/ wenn du noch wirst meinen nahmen lesen/
Daß ich zwar elend bin/ doch auch getreu gewesen.
So sagte sie/ und gab der erden gute nacht:
Ihr engel aber trug die seele nach dem himmel.
Denselben augenblick ward alles zugemacht;
Das hauß erfüllte sich mit einem traur-getümmel;
Wie aber stellte sich der blasse höllen-geist?
Gleich wie ein tiegerthier/ dem man die jungen raubet;
Wie ein erzürnter leu/ der in dem felde schnaubet/
Wann man den morgen-raub ihm aus den klauen reist.
Doch endlich gieng er auch/ wo geister hingehören/
Und schrieb nur an die wand noch diese sittenlehren:
Ihr blinden sterblichen/ laufft für dem tode nicht!
Ihr selber seyd der tod und mörder eurer seelen:
Ihr werdet/ weil ihr lebt/ nicht wann ihr sterbt/ gericht:
Die sünden sind die grufft/ und nicht die grabes-hölen.
Drum sterbet/ eh ihr sterbt/ und lebet/ eh ihr lebt;
Denn todt und leben wird nach eurem abgemessen.
Der scheinet euch nur tod/ den schlang und würmer fressen;
Der aber ist schon tod/ den seine lust begräbt.
Ich habe keinen theil an dieser neuen Leichen.
Ihr mögt ihr/ wie ihr wollt/ die letzte pflegung reichen.
Diß alles ist geschehn/ der cörper ist versenckt/
Und in die kalte grufft mit ehren beygesetzet.
Wie kommts denn/ daß ihr euch bey ihrem glücke kränckt/
Betrübte/ die sie doch bey ihrer qval ergetzet?
Soll sie noch länger hier auff erden elend seyn?
Soll sie noch einmahl sich vom tode martern lassen?
Ach! gönnet andern diß/ die Gott und himmel hassen/
Und stimmet itzt mit mir in diese lieder ein:
Wohl iedem/ welcher so wie Leonora fliehet/
Wie Leonora schweigt/ wie Leonora blühet!

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