Johann Nestroy
Der Talisman
Posse mit Gesang in drei Aufzügen

[244]

Personen

Personen.

    • Titus Feuerfuchs, ein vazierender Barbiergeselle.

    • Frau von Cypressenburg, Witwe.

    • Emma, ihre Tochter.

    • Constantia, ihre Kammerfrau, ebenfalls Witwe.

    • Flora Baumscheer, Gärtnerin, ebenfalls Witwe,
    • Plutzerkern, Gärtnergehülfe, im Dienste der Frau von Cypressenburg.

    • Monsieur Marquis, Friseur.

    • Spund, ein Bierversilberer.

    • Christoph,
    • Hanns,
    • Seppel, Bauernburschen.

    • Hannerl, Bauernmädchen.

    • Ein Gartenknecht.

    • Georg,
    • Konrad, Bediente der Frau von Cypressenburg.

    • Herr von Platt.

    • Notarius Falk.

    • Salome Pockerl, Gänsehüterin.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Bauernmädchen, darunter Hannerl, treten während dem Ritornell des folgenden Chores aus dem Hintergrunde links auf.
Chor.

DIE MÄDCHEN.
Au'm Nachkirtag tanzt man schon in aller Fruh',
Dort kommen die Burschen und holen uns dazu.
DIE BAUERNBURSCHE
darunter Christoph und Hanns von der Seite rechts auftretend.
Wo bleibt's denn? Laßt keine sich sehn, das ist schön,
Au'm Tanzboden tut's drüber und drunter schon gehn.
DIE MÄDCHEN.
Wir sind schon bereit.
DIE BURSCHE.
So kommt's, es ist Zeit.
ALLE.
Es hat jed's sein' Gegenteil, die Wahl ist nit schwer,
D' Musikanten soll'n aufspiel'n, heut geht's lustig her.
CHRISTOPH
zu einem Bauernmädchen.
Wir zwei tanzen miteinand'.
HANNS
zu einer anderen.
Wir zwei sind schon seit zehn Kirtäg ein Paar.
HANNERL
zu einem Burschen.
Ich tanz' auf der Welt mit kein'm andern, als mit dir.
CHRISTOPH
nach links, in den Hintergrund sehend.
Da schaut's, da kommt die Salome.
[245]
HANNERL.
Mit die baßgeig'nfarbnen Haar'.
CHRISTOPH.
Was will denn die auf'm Kirtag.
HANNERL.
Eure Herzen anbrandeln, das is doch klar.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Vorige. Salome.

SALOME
in ärmlich ländlichem Anzug und rote Haare, kommt aus dem Hintergrunde links.
Da geht's ja gar lustig zu; wird schon au'm Tanzboden 'gangen, net wahr?
CHRISTOPH
kalt.
Is möglich.
SALOME.
Ös werdt's doch nix dagegen hab'n, wenn ich auch mitgeh'?
HANNS.
No ja, – warum net, – mitgehn kann jed's.
CHRISTOPH
mit Beziehung auf ihre Haare.
Aber's is weg'n der Feuersg'fahr.
HANNS
ebenso.
Es is der Wachter dort –
CHRISTOPH
wie oben.

Und der hat ein'n starken Verdacht auf dich; du hast deine Gäns' beim Stadl vorbeitrieben, der vorgestern abbrennt is.

HANNERL.
Und da glaubt man, du hast'n anzund'n mit deiner Frisur.
SALOME.

Das is recht abscheulich, was ihr immer habt's über mich; – aber freilich, ich bin die einzige im Ort, die solche Haare hat. Für die Schönste wollt's mich nicht gelten lassen, drum setzt's mich als die Wildeste herab.

DIE MÄDCHEN.
Ah, das is der Müh' wert, die wollt' die Schönste sein!
CHRISTOPH
zu Salome.
Schau halt, daß d' ein Tänzer find'st.
SEPPEL
ein sehr häßlicher Bursch.
Ich tanz' mit ihr, was kann mir denn g'schehn?
CHRISTOPH.
Was fallt dir denn ein? Ein Kerl wie du, wird doch eine andere krieg'n?
SEPPEL.
Is auch wahr, man muß sich nit wegwerfen.
HANNS.
Vorwärts! brodelt's nit so lang herum.
ALLE.
Au'm Tanzbod'n! Juhe! zum Tanz!

Alle rechts im Hintergrunde ab.

[246]
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Salome allein.

SALOME.

Ich bleib' halt wieder allein z'ruck! Und warum? weil ich die rotkopfete Salome bin. Rot ist doch g'wiß ein' schöne Farb', die schönsten Blumen sein die Rosen, und die Rosen sein rot. Das Schönste auf der Welt ist der Morgen, und der kündigt sich an durch das prächtigste Rot. Die Wolken sind doch g'wiß keine schöne Erfindung, und sogar die Wolken sein schön, wann s' in der Abendsonn' brennrot dastehn am Himmel; drum sag' ich, wer geg'n die rote Farb' was hat, der weiß net, was schön is. Aber was nutzt mich das alles, ich hab' doch kein'n, der mich auf den Kirtag führt; – ich könnt' allein hingehn, – da spotten wieder die Madeln über mich, lachen und schnattern. Ich geh' zu meine Gäns', die schnattern doch nicht aus Bosheit, wann s' mich sehn, und wann ich ihnen's Futter bring', schaun s' mir auf d' Händ' und net auf'n Kopf. Sie geht rechts im Vordergrunde ab.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Flora und Plutzerkern kommen aus dem Hintergrunde links. Plutzerkern trägt einen bepackten Korb.

FLORA
ärgerlich.

Nein, das is wirklich arg! das bisserl Weg von der Stadt fünf Viertelstund herausfahren; schamen soll sich so ein Stellwagen.

PLUTZERKERN.
Warum denn? Er heißt ja deßtwegen Stellwagen, weil er von der Stell' nicht weiterkommt.
FLORA.
Schad', daß du mit deiner Langsamkeit kein Stellwag'n worden bist.
PLUTZERKERN.

Dazu fehlet mir die Pfiffigkeit. Ein Stellwagen is das pfiffigste Wesen auf der Welt, weil er ohne Unterschied des Standes jeden Menschen aufsitzen laßt.

FLORA.
Ich glaub', du hast wieder dein'n witzigen Tag, da bist du noch unerträglicher als gewöhnlich.
[247]
PLUTZERKERN.
Schimpfen S' zu, lassen S' Ihre Gall aus an mir; lang wird's so net mehr dauern.
FLORA.
Willst du etwa aus dem Dienst der gnädigen Frau gehn? Das wär' g'scheit.
PLUTZERKERN.

O nein; aber Sie werden gewiß bald heiraten, dann ist Ihrer Sekkatur ein neues Feld eröffnet, und ich bin nicht mehr der Spielraum Ihrer Z'widrigkeit.

FLORA.
Dummer Mensch! Ich werde mich nie mehr verheiraten, ich bleib' meinem Verstorbenen getreu.
PLUTZERKERN.
Vielleicht erkennt er's nach sein'm Tod; bei Lebzeit'n hat er's nie recht glauben wollen.
FLORA.
Wenn ich die gnädige Frau wär', ich hätt' Ihn schon lang gejagt.
PLUTZERKERN
mit Beziehung.
Wenn ich die gnädige Frau wäre, blieb auch nicht alles im Haus.
FLORA.

Wer weiß, ob Er nicht bald springt. Ich hab' die Erlaubnis, einen flinken, rüstigen Burschen aufzunehmen.

PLUTZERKERN.

Das is recht, dann is doch die Plag' nicht mehr so groß; ich gieß den Winterradi, mehr Einfluß verlang' ich mir net.

FLORA.
Geh' Er jetzt zum G'vatter Polz, der will mir einen Gartenknecht rekommandieren.
PLUTZERKERN.
Gut; vielleicht wird aus dem Knecht Ihr künftiger Herr.
FLORA.
Warum nicht gar! Von mir bekommt jeder einen Korb.
PLUTZERKERN.
Leider, das g'spür' ich; jetzt müssen Sie ihn aber wieder nehmen, wenn ich zum G'vattern soll.

Gibt ihr den bepackten Korb.
FLORA.
Mach' Er geschwind, langweiliger Mensch!

Ab in die Gartentüre.
PLUTZERKERN
allein.

Hm, hm! Der Garten ist doch nicht so verwahrlost, und wie's die treibt um einen flinken, rüstigen Gartenknecht. – Hm, hm!Geht rechts ab.

[248]
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Titus Feuerfuchs tritt während des Ritornells des folgenden Liedes erzürnt von rechts vorne auf.

Lied.

1

Der hat weiter net g'schaut,

Beinah' hätt' ich'n g'haut;

Der Spitzbub', 's is wahr,

Lacht mich aus, weg'n die Haar;

Wem geht's denn was an,

Ich hoff' doch, ich kann

Haar' hab'n, wie ich will.

Jetzt wird's mir schon z'viel.

Rote Haar' von ein'm falschen Gemüt zeig'n soll'n,

's is's Dümmste, wann d' Leut' nach die Haar' urteil'n woll'n,

's gibt G'schwufen g'nug mit ein'm kohlrab'nschwarzen Haupt,

Und jede is ang'schmiert, die ihnen was glaubt;

Manch blondg'lockter Jüngling is beim Tag so still

Und schmachtend – warum? bei der Nacht lumpt er z'viel,

Und mit eisgraue Haar schau'n die Herrn aus so g'scheit,

Und sein oft verruckter noch, als d' jungen Leut!

Drum auf d' Haar muß man gehn,

Nachher trifft man's schon schön.


2


Drohend in die Szene blickend, von woher er gekommen.

Mir soll einer trau'n,

Der wird sich verschau'n,

Auf Ehr', dem geht's schlecht,

Denn ich beutl'n recht;

Der Kakadu is verlor'n,

Wenn ich in mein'm Zorn;

Über d' Haar ein'm kumm,

Der geht glatzkopfet um.

[249] Die rothaarig'n Madeln, heißt's, betrüg'n d' Männer sehr;

Wie dumm! Das tun d' Mad'ln von jeder Couleur.

Die schwarz'n, heißt's, sein feurig, das tut d' Männer locken,

Derweil is a Schwarze oft d' fadeste Nocken.

Die Blonden sein sanft. Oh! a Blonde is a Pracht!

Ich kenn' eine Blonde, die rauft Tag und Nacht;

Doch mit graue Haar' sein s' treu, na, da stund man dafur,

Net wahr is, die färb'n sich s', und geb'n auch ka Ruh –

Drum auf d' Haar' muß man gehn,

Nachher trifft man's schon schön.


So kopflos urteilt die Welt über die Köpf' und wann man sich auch den Kopf aufsetzt, es nutzt nix. Das Vorurteil is eine Mauer, von der sich noch alle Köpf', die gegen sie ang'rennt sind, mit blutige Köpf' zuruckgezogen haben. Ich hab' meinen Wohnsitz mit der weiten Welt vertauscht, und die weite Welt is viel näher als man glaubt. Aus dem Dorngebüsch z'widrer Erfahrungen einen Wanderstab geschnitzt, die chiappa-via-Stiefeln angezogen, und's Adje-Kappel in aller Still' geschwungen, so is man mit einem Schritt mitten drin in der weiten Welt. – Glück und Verstand gehen selten Hand in Hand; – ich wollt', daß mir jetzt recht ein dummer Kerl begegnet', ich sähet das für eine gute Vorbedeutung an.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Titus. Plutzerkern.

PLUTZERKERN.
Der Weg war auch wieder umsonst. – Titus erblickend. Ein Fremder gestaltet sich vor meinem Blick!? –
TITUS
für sich.
Schicksal, ich glaub', du hast mich erhört.
PLUTZERKERN
Titus musternd.

Der B'schreibung nach, die mir der Herr Polz g'macht hat, könnt' das der sein, den er erwart't. Wuchs groß, Mund groß, Augen sehr groß, Ohren verhältnismäßig; – nur die Haar' – Zu Titus. sucht der Herr hier ein Brot?

[250]
TITUS.
Ich such' Geld, 's Brot wüßt' ich mir nacher schon z' finden.
PLUTZERKERN
für sich.
Er sucht Geld, und das verdächtige Aussehen; – auf d' Letzt is Er ein Schatzgraber?
TITUS.
Wenn mir der Herr ein'n Ort zeigt, wo einer liegt, so nimm ich gleich bei ein'm Maulwurf Lektion.
PLUTZERKERN.
Oder is Er gar ein Rauber?
TITUS.
Bis jetzt noch nicht, mein Talent ist noch in einer unentwickelten Bildungsperiode begriffen.
PLUTZERKERN.
Versteht Er die Gartnerei?
TITUS.
Ich qualifiziere mich zu allem.
PLUTZERKERN
für sich.
Er is es. Zu Titus. Er möcht' also bei unserer jungen, saubern Gartnerin- Witwe Gehülfe werden?
TITUS.
Gehülfe der Witwe? – Wie g'sagt, ich qualifizier' mich zu allem.
PLUTZERKERN.

Mit so einem G'hülfen wär' ihr schon g'holfen; – wie die mich jaget, wann ich ihr das Florianiköpfel brächt'!

TITUS
erzürnt.
Herr, diese Äußerung empört mein Innerstes.
PLUTZERKERN.
Fahrst ab, rote Rub'n? Geht stolz in die Gartentür ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Titus allein, Plutzerkern mit stummem Ärger nachsehend.

TITUS.

Ich bin entwaffnet! Der Mensch hat so etwas Dezidiertes in seiner Grobheit, daß es einem rein die Red' verschlagt. Recht freundlich, recht liebreich kommt man mir entgegen. In mir organisiert sich aber auch schon Misanthropisches. – Ja, – ich hass' dich, du inhumane Menschheit, ich will dich fliehen, eine Einöde nehme mich auf, ganz eseliert will ich sein! – Halt, kühner Geist, solcher Entschluß ziemt den Gesättigten, der Hungrige führt ihn nicht aus. Nein, Menschheit, du sollst mich nicht verlieren. Appetit is das zarte Band, welches mich mit dir verkettet, welches mich alle Tag' drei – vier Mal mahnt, daß ich mich der Gesellschaft nicht entreißen darf. – Nach [251] rechts sehend. Dort zeigt sich ein Individuum, und treibt andere Individuen in ein Stallerl hinein, Ganseln sind's! – Oh, Hüterin, warum treibst du diese Ganseln nicht also brat'ner vor dir her, ich hätt' mir eines als Zwangsdarlehen zug'eignet.

8. Auftritt
Achter Auftritt
Titus. Salome von rechts auftretend, ohne Titus zu bemerken, hat einen großen halben Laib Brot und ein Messer in der Hand.

SALOME.
Ich muß trinken, mi druckt's im Magen.

Sie geht zum Brunnen und trinkt.
TITUS
für sich.
Die druckt's im Magen! Oh, könnt' ich dieses selige Gefühl mit ihr teilen.
SALOME
ihn bemerkend, für sich.
Ein fremder, junger Mensch – und die schönen Haar', grad wie ich.
TITUS
für sich.
Bin neugierig, ob die auch »rote Rub'n« sagt. Laut. Grüß dich Gott, wahlverwandtes Wesen!
SALOME.
Gehorsamste Dienerin, schöner Herr.
TITUS
halb für sich.
Die find't, daß ich schön bin, daß ist die erste unter allen –
SALOME.
Oh, hören S' auf, ich bin die Letzte hier im Ort, ich bin die Ganselhüterin, die arme Salome.
TITUS.

Arm? Ich bedaure dich, sorgsame Erzieherin junger Gänse; deine Kolleginnen in der Stadt sind viel besser daran, und doch erteilen sie häufig ihren Zöglingen in einer Reihe von Jahren eine nur mangelhafte Bildung, während du die deinigen alle Martini vollkommen ausgebildet für ihren schönen Beruf der Menschheit überlieferst.

SALOME.
Ich versteh' Ihnen net, aber Sie reden so schön daher – Wer is denn Ihr Vater?
TITUS.
Er ist gegenwärtig ein verstorbener Schulmeister.
SALOME.
Das ist schön. Und ihre Frau Mutter? –
TITUS.
War vor ihr'm Tod längere Zeit seine Gemahlin.
SALOME.
Ah, das ist schön.
TITUS
für sich.
Die find't alles schön, ich kann so dumm daherreden, als ich will.
[252]
SALOME.
Und darf man Ihren Namen wissen? – nämlich den Taufnamen?
TITUS.
Ich heiß' Titus.
SALOME.
Das ist ein schöner Nam'.
TITUS.
Paßt nur für einen Mann von Kopf.
SALOME.
Aber so selten is der Nam'.
TITUS.

Ja, und ich hör', er wird fast gänzlich abkommen. Die Eltern fürchten alle sich in Zukunft zu blamieren, wenn sie die Kinder so taufen lassen.

SALOME.
Und lebendige Verwandte haben Sie gar keine?
TITUS.

O ja. Außer den erwähnten Verstorbenen zeigen sich an meinem Stammbaum noch deutliche Spuren eines Herrn Vetters, aber der tut nix für mich.

SALOME.
Vielleicht hat er nix.
TITUS.

Kind, frevele nicht, er ist Bierversilberer, die haben alle was; das sein gar fleißige Leut; die versilbern nicht nur das Bier, sie vergolden auch ihre Kassa.

SALOME.
Haben Sie ihm vielleicht was getan, daß er Ihnen net mag?
TITUS.

Sehr viel, ich hab' ihn auf der empfindlichsten Seite angegriffen; das Aug' ist der heiklichste Teil am Menschen, und ich beleidige sein Aug', sooft er mich anschaut, denn er kann die roten Haar net leiden.

SALOME.
Der garstige Ding!
TITUS.

Er schließt von meiner Frisur auf einen falschen, heimtückischen Charakter, und wegen diesen Schluß verschließt er mir sein Herz und seine Kassa.

SALOME.
Das ist abscheulich!
TITUS.

Mehr dumm als abscheulich. Die Natur gibt uns hierüber die zarteste Andeutung. Werfen wir einen Blick auf das liebe Tierreich, so werden wir finden, daß die Ochsen einen Abscheu vor der roten Farb' haben, und unter diesen wieder zeigen die totalen Büffeln die heftigste Antipathie; – welch ungeheuere Blöße also gibt sich der Mensch, wenn er rote Vorurteile zeigt.

SALOME.
Nein, wie Sie g'scheit daherreden; das sähet man Ihnen gar nit an.
[253]
TITUS.

Schmeichlerin! Daß ich dir also weiter erzähl' über mein Schicksal. Die Zurückstoßung meines Herrn Vetters war nicht das einzige Bittere, was ich hab' dulden müssen; ich hab' in dem Heiligtum der Lieb' mein Glück suchen wollen, aber die Grazien haben mich für geschmackswidrig erklärt; ich hab' in den Tempel der Freundschaft geguckt, aber die Freund' sind alle so witzig, da hat's Bonmots g'regnet auf mein'n Kopf, bis ich ihn auf ewige Zeiten zurückgezogen hab'. So ist mir ohne Geld, ohne Lieb', ohne Freundschaft meine Umgebung unerträglich word'n; da hab' ich alle Verhältnisse abg'streift, wie man einen wattierten Kaput auszieht in der Hitz', und jetzt steh' ich in den Hemdärmeln der Freiheit da.

SALOME.
Und g'fallt's Ihnen jetzt?
TITUS.
Wenn ich einen Versorgungsmantel hätt', der mich vor dem Sturm des Nahrungsmangels schütztet –
SALOME.

Also handelt es sich um ein Brot? Na, wenn der Herr arbeiten will, da laßt sich Rat schaffen. Mein Bruder is Jodel hier, sein Herr, der Bäck, hat eine große Wirtschaft, und da brauchen s' ein'n Knecht –

TITUS.
Was? Ich soll Knecht werden? ich? der ich bereits Subjekt gewesen bin?
SALOME.
Subjekt? Da hab'n wir auch ein'n g'habt, der das war, der is aber auf'm Schub fortkommen.
TITUS.
Warum?
SALOME.
Weil er ein schlechtes Subjekt war, hat der Richter g'sagt.
TITUS.

Ah, das is ja net so; um aber wieder auf deinen Brudern zu kommen – Auf den Brotlaib, den Salome trägt, deutend. Hat er dieses Brot verfaßt?

SALOME.
G'wiß war er auch dabei, wie der Laib – natürlich als Jodel.
TITUS.
Ich möcht' doch sehen, wie weit es dein Bruder in dem Studium der Brotwissenschaft gebracht hat.
SALOME.
Na, kosten Sie's; es wird Ihnen aber nicht behagen.

Sie schneidet ein sehr kleines Stück Brot ab und gibt es ihm.
TITUS
essend.
Hm! – es ist –
[254]
SALOME.
Mein'n Ganseln schmeckt's wohl, natürlich, 's Vieh hat keine Vernunft.
TITUS
für sich.
Der Stich tut weh; mir schmeckt's auch.
SALOME.
Na, was sagen S'? net wahr, 's is schlecht?
TITUS.

Hm! ich will deinen Brudern nicht zu voreilig verdammen; um ein Werk zu beurteilen, muß man tiefer eindringen. Nimmt den Brotlaib und schneidet ein sehr großes Stück ab. Ich werde prüfen und dir gelegentlich meine Ansichten mitteilen. Steckt das Stück Brot in die Tasche.

SALOME.

Also bleiben S' noch ein' Zeit da bei uns? das is recht; den Stolz muß man ablegen, wenn man nix hat! und's wird Ihnen recht gut gehn da, wenn Ihnen nur der Bäck aufnimmt.

TITUS.
Ich hoffe alles vom Jodel seiner Protektion.
SALOME.
Es wird schon gehn. Nach links in den Hintergrund sehend und erschreckend. Sie, da schau'n S' hin!
TITUS
hinsehend.
Das Pirutsch? – 's Roß lauft dem Wasser zu – Million, alles is hin! Rennt im Hintergrund links ab.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Salome allein. Nachsehend.

SALOME.

Er wird doch nicht gar? – er rennt hin; – wenn ihm nur nichts g'schieht – er packt's Pferd – 's reißt ihn nieder! – Aufschreiend. Ah!! 's Pferd steht still – er hat's aufg'halten. – Das ist ein Teuxelsmensch. Ein Herr steigt aus'm Wagen; – er kommt daher mit ihm. Ah, das muß ich gleich den Bäcken erzähl'n; wenn er das hört, nimmt er den Menschen g'wiß. Läuft rechts ab.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Monsieur Marquis. Titus.

MARQUIS.
Ah! der Schreck steckt mir noch in allen Gliedern.
TITUS.
Belieben sich da ein wenig niederzusetzen.
MARQUIS
sich auf eine Steinbank setzend.
Verdammter Gaul, ist vielleicht in seinem Leben noch nicht durchgegangen.
[255]
TITUS.
Belieben vielleicht eine Verrenkung zu empfinden?
MARQUIS.
Nein, mein Freund.
TITUS.
Oder belieben vielleicht sich einen Arm gebrochen zu haben?
MARQUIS.
Gott sei Dank, nein!
TITUS.
Oder belieben vielleicht eine kleine Zerschmetterung der Hirnschale?
MARQUIS.

Nicht im geringsten. – Auch hab' ich mich bereits erholt, und nichts bleibt mir übrig, als Ihnen Beweise meines Dankes –

TITUS.
Oh, ich bitte! –
MARQUIS.

Drei junge Leute standen da, die mich kennen, die schrieen aus vollem Halse Monsieur Marquis! Monsieur Marquis! Der Wagen stürzt ins Wasser! –

TITUS.
Was? – Ein'n Marquis hab' ich gerettet? – Das is was Großes.
MARQUIS
in seiner Rede fortfahrend.
Aber hülfreiche Hand leistete keiner; da kamen Sie als Retter herbeigeflogen –
TITUS.
Allgemeine Menschenpflicht.
MARQUIS.
Und gerade im entscheidenden Moment –
TITUS.
Besonderer Zufall.
MARQUIS
aufstehend.

Ihr Edelmut setzt mich in Verlegenheit; ich weiß nicht, wie ich meinen Dank, – mit Geld läßt sich so eine Tat nicht lohnen –

TITUS.
Oh, ich bitt', Geld ist eine Sache, die –
MARQUIS.
Die einen Mann von solcher Denkungsart nur beleidigen würde.
TITUS.
Na, jetzt sehen Sie, – das heißt –
MARQUIS.
Das heißt den Wert Ihrer Tat verkennen, wenn man sie durch eine Summe aufwiegen wollte.
TITUS.
Es kommt halt drauf an –
MARQUIS.

Wer eine solche Tat vollführt. Es hat einmal einer – ich weiß nicht, wie er geheißen hat, – einem Prinzen, – ich weiß nicht, wie er geheißen hat, – das Leben gerettet, der wollte ihn mit Diamanten lohnen; da entgegnete der Retter: »Ich finde in meinem Bewußtsein den schönsten Lohn«; – ich bin überzeugt, daß Sie nicht [256] weniger edel denken, als der, wo ich nicht weiß, wie er geheißen hat.

TITUS.
Es gibt Umstände, wo der Edelmut –
MARQUIS.

Auch durch zu viele Worte unangenehm affiziert wird, wollten Sie sagen? Ganz recht; der wahre Dank ist ohnedies stumm; drum gänzliches Stillschweigen über die Geschichte.

TITUS
für sich.
Der Marquis hat ein Zartgefühl; – wenn er ein schundiger Kerl wär', hätt' ich grad's nämliche davon.
MARQUIS
Titus Haare scharf betrachtend.
Aber, Freund, ich mache da eine Bemerkung – hm! hm! – das kann Ihnen in vielem hinderlich sein.
TITUS.

Mir scheint, Euer Gnaden is mein Kopf nicht recht; – ich hab' kein'n andern und kann mir kein'n andern kaufen.

MARQUIS.

Vielleicht doch; – ich werde – ein kleines Andenken müssen Sie doch von mir – warten Sie einen Augenblick. – Läuft im Hintergrunde links ab.

11. Auftritt
Eilfter Auftritt
Titus allein.

TITUS.

Es hat nix g'fehlt, als daß er aus Dankbarkeit »rote Rub'n« g'sagt hätt'. Das is ein lieber Marquis; was tut er denn? In die Szene sehend. Er rennt zum Pirutsch, – er sucht drin herum, – Andenken hat er g'sagt; auf d' Letzt macht er mir doch ein wertvolles Präsent. – Was is denn das? – A Hutschachtel hat er herausg'nommen, – er läuft her damit; er wird mir doch nicht für das, daß ich sein junges Leben gerettet hab', ein'n alten Hut schenken?

12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Titus. Marquis.

MARQUIS
mit einer Schachtel.

So, Freund, nehmen Sie das, Sie werden's brauchen; die gefällige äußere Form macht viel – beinahe alles; es wird Ihnen nicht fehlen. Hier ist ein [257] Talisman, Gibt ihm die Schachtel. und mich wird's freuen, wenn ich der Gründer Ihres Glückes war. Adieu, Freund! Adieu! Eilt in den Hintergrund links ab.

13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Titus allein, etwas verblüfft die Schachtel in der Hand haltend.

TITUS.

Glück gründen? – Talisman? – Da bin ich doch neugierig, was da drin steckt. Öffnet die Schachtel und zieht eine schwarze Perücke heraus. A Perücken! – nix als eine kohlrabenschwarze Perücken! Ich glaub' gar, der will sich lustig machen über mich. – Ihm nachrufend. Wart, du lebendiger Perückenstock, ich verbitte mir alle Witzboldungen und Zielscheibereien! – Aber halt! – war denn das net schon längst mein Wunsch? – haben mich nicht immer nur die unerschwinglichen fünfzig Gulden, die eine täuschende Tour kost't, abgehalten? – Talisman hat er g'sagt; – er hat recht! – Wenn ich diese Tour aufsetz', so sinkt der Adonis zum Gottschebabub'n herab und der Narziß wird ausg'strichen aus der Mythologie. Meine Karriere geht an, die Glückspforte öffnet sich – Auf die offene Gartentür blickend. Schau, die Tür steht grad offen da; wer weiß? – ich reskier's; ein'm schönen Kerl schlagt's nirgends fehl. Geht in die Gartentür ab.

14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Titus. Salome aus rechts vorne.

SALOME
kommend.
Ach, mein liebster Mussi Titus, das is ein Unglück!
TITUS
sich umsehend.
Die Salome. – Was is denn g'schehn?
SALOME.
Der Bäck nimmt Ihnen nicht. Ich kann nicht helfen, 's druckt mich völlig zum Weinen.
TITUS.
Und mich kitzelt's zum Lachen. Also is das gar so schwer, bei euch da ein Knecht zu wer'n?
SALOME.

Der Bäck hat g'sagt: er hat erstens Ihre Zeugnisse nicht g'sehn, und dann sind ihm so viele anempfohlen, [258] er ist bei Vergebung dieser Stelle an Rücksichten gebunden. –

TITUS.

Schad', daß er keinen Konkurs ausschreiben laßt. Meine liebe Salome, mir sind andere Aussichten eröffnet; ich bin aufs Schloß berufen.

SALOME.

Aufs Schloß? Das kann ja net sein. Oh, wann Ihnen die gnädige Frau sieht, jagt sie Ihnen augenblicklich davon; Mit Beziehung auf ihre Haare. darf ja ich mich auch fast gar nicht blicken lassen vor ihr.

TITUS.

Die Antipathien der Gnädigen sind Nebensache, seitdem sich bei mir die Hauptsachen verändert haben. Ich geh' mit kecker Zuversicht meinem Glück entgegen.

SALOME.

Na, ich wünsch' Ihnen viel Glück zu Ihrem Glück; 's is völlig net recht, aber's schmerzt mich halt doch, daß mir wieder a Hoffnung in'n Brunn'n g'fallen is.

TITUS.
Was denn für a Hoffnung?
SALOME.

Wenn Sie als meinesgleichen dablieben wär'n, hätt's g'heißen, das sind die zwei Wildesten im Ort, das is der rote Titus, das is die rote Salome; den Titus hätt' kein Madel ang'schaut, so wie die Salome keiner von die Burschen.

TITUS.

Der auf einen einzigen Gegenstand reduzierte Titus hätt' müssen eine Nolens-vo lens-Leidenschaft fassen.

SALOME.
Es wär' zwischen uns gewiß die innigste Freundschaft –
TITUS.
Und der Weg von Freundschaft bis zur Liebe is eine blumenreiche Bahn.
SALOME.
Na, jetzt so weit hab' ich no gar net denkt.
TITUS.
Warum? Gedanken sind zollfrei.
SALOME.

Ah nein; es gibt Gedanken, für die man den Zoll mit der Herzensruh' bezahlt. Meine Plan' gehn mir nie aus.

TITUS.

Ja, der Mensch denkt, und – Beiseite. die Parucken lenkt, so heißt's bei mir. Also, ades, Salome! Will ab.

SALOME.

Nur nit gar so stolz, Mussi Titus, Sie könnten ein'm schon ein bißl freundlich bei der Hand nehmen und sagen: pfürt dich Gott, liebe Salome!

[259]
TITUS.
Freilich! Reicht ihr die Hand. Wir scheiden ja als die besten Freund.
SALOME
kopfschüttelnd.
Leben S' wohl; vielleicht seh' ich Ihnen bald wieder.
TITUS.
Das is sehr eine ungewisse Sach'.
SALOME.

Wer weiß; Sie gehn so stolz bei der Tür hinein, daß ich immer glaub', ich werd's noch sehn, wie s' Ihnen bei der nämlichen Tür herauswerfen wer'n.

TITUS.
Du prophezeist eine günstige Katastrophe.
SALOME
auf die Steinbank zeigend.
Da werd' ich mich hersetzen alle Tag, auf die Tür hinschau'n –
TITUS.

Und drauf warten, bis man mich in deine Arme schleudert. Gut, mach dir diese Privatunterhaltung, pfürt dich Gott! Mein Schicksal ruft: »Schön, herein da!« Ich folge diesem Ruf und bringe mich selbst als Apportel. Geht in die Gartentür ab.

15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt
Salome allein.

SALOME.

Da geht er, und ich weiß nicht, – ich hab' eh' kein Glück g'habt, und mir kommt jetzt vor, als wenn er noch was mitgenommen hätt' davon. Wenn ich mir's nur aus'm Sinn schlagen könnt', aber wie denn? mit was denn? Wär' ich a Mannsbild, wußt' ich mir schon z' helfen; aber so. – Die Mannsbilder haben's halt doch in allen Stücken gut gegen uns.


Lied.

Wenn uns einer g'fallt und versteht uns nit glei,
Was soll man da machen, 's is hart, meiner Treu;
A Mann, der hat's leicht, ja, der rennt einer nach,
Und merkt sie's nit heut', so merkt sie's in vierzehn Tag'.
Er tut desperat, fahrt mit'n Kopf geg'n die Wand,
Aber daß er's nit g'spürt, macht er's so mit der Hand;
Und's Madel gibt nach, daß er sich nur nix tut.
Ja die Männer hab'n's gut, hab'n's gut, hab'n's gut. Lalala –
[260] Wenn uns einer kränkt, das is weiter kein Jammer,
Was können wir tun? nix, als wanna in der Kammer,
Kränken wir einen Mann, tut's ihn nit stark ergreifen,
Er setzt sich ins Wirtshaus und stopft sich a Pfeifen;
Wir glaub'n, er verzweifelt, derweil ißt er ein'n Kas,
Trinkt an Heurigen und macht mit der Kellnerin G'spaß,
Schaut im Hamgehn einer andern keck unter'n Hut;
Ja, die Männer hab'n's gut, hab'n's gut, hab'n's gut!

Hat a Madel die zweite oder dritte Amour,
Is ihr Ruf schon verschandelt, und nachher is zur.
In dem Punkt is a Mann gegen uns rein a Köni,
Wann er fünfzig Madeln anschmiert, verschlagt ihm das weni;
Auf so ein Halodri hab'n d' Madeln erst a Schneid,
Und g'schieht es aus Lieb nit, so geschieht es aus Neid,
Daß man sich um ein'n solchen erst recht reißen tut.
Ja, die Männer hab'n's gut, hab'n's gut, hab'n's gut.

Geht ab.
Verwandlung.
Zimmer in der Wohnung der Gärtnerin, mit Mitteltür, rechts eine Seitentür, links ein Fenster.
16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt
Flora allein. Zur Mitte auftretend.

FLORA.

Das Unkraut, Gall und Verdruß, wachst mir jetzt schon zu dick auf mein'm Geschäftsacker, ich kann's nicht mehr allein ausjäten. Mein seliger Mann hat kurz vorher, als er selig word'n ist, gesagt, ich soll Wittib bleiben; wie kann ein seliger Mann so eine unglückliche Idee haben. Die Knecht' haben keine Furcht, kein'n Respekt, ich muß ihnen einen Herrn geben, dessen Frau ich bin. Mein Seliger wird den Kopf beuteln in die Wolken, wann er mir etwa gar als Geist erscheinet, wann's auf einmal so klopfet bei der Nacht – Es wird an die Tür geklopft – ängstlich aufschreiend. Ah! Hält sich wankend am Tische.

[261]
17. Auftritt
Siebenzehnter Auftritt
Flora. Titus mit schwarzer Haartour zur Mitte hereinstürzend.

TITUS.
Is ein Unglück g'schehn? Oder kirrn Sie vielleicht jedesmal so, statt'm Hereinsagen?
FLORA
sich mühsam fassend.
Nein, bin ich erschrocken!
TITUS
für sich.

Seltenes Geschöpf, sie erschrickt, wenn einer anklopft, sonst ist den Frauenzimmern nur das schrecklich, wann keiner mehr anklopft.

FLORA.
Der Herr wird sich drüber wundern, daß ich so schwache Nerven hab'?
TITUS.

Wundern über das Allgemeine? Oh, nein! Die Nerven von Spinnengeweb', d' Herzen von Wachs und die Köpferl von Eisen, das is ja der Grundriß der weiblichen Struktur.

FLORA
beiseite.

Recht ein angenehmer Mensch, und die rabenschwarzen Haar'; – ich muß aber doch –Laut und in etwas strengem Ton. Wer is der Herr, und was will der Herr?

TITUS.
Ich bitt', die Ehr' is meinerseits. Ich bin Ihr untertänigster Knecht und empfehl' mich.
FLORA
nickt ihm erstaunt ein kurzes Adieu zu, weil sie glaubt, er will fort; als er stehen bleibt, sagt sie nach einer Pause.
Na? – Diese Rede sagt man, wenn man fortgehn will.
TITUS.

Ich aber sag' sie, weil ich dableib'n will. Sie brauchen ein'n Knecht, und als solchen empfehl' ich mich.

FLORA.
Was? Der Herr is ein Knecht?
TITUS.
Zur Gärtnerei verwendbar.
FLORA.
Als Gehülfe?
TITUS.

Ob Sie mich Gehülfe nennen, oder Gärtner – das is alles eins; selbst – ich setz' nur den Fall – wenn es mir als Gärtner gelingen sollte, Gefühle in Ihr Herz zu pflanzen – ich setz' nur den Fall – und Sie mich zum unbeschränkten Besitzer dieser Plantage ernennen sollten – ich setz' nur den Fall – selbst dann würde ich immer nur Ihr Knecht sein.

FLORA
beiseite.
Artig is der Mensch – aber – Laut. Seine Reden sind etwas kühn, etwas vorlaut.
[262]
TITUS.
Bitt' untertänig; wenn man sagt: »ich setz' nur den Fall«, da darf man alles sagen.
FLORA.
Er ist also –?
TITUS.

Ein exotisches Gewächs, nicht auf diesen Boden gepflanzt, durch die Umstände ausgerissen, und durch den Zufall in das freundliche Gartengeschirr Ihres Hauses versetzt, und hier, von der Sonne Ihrer Huld beschienen, hofft die zarte Pflanze Nahrung zu finden.

FLORA.
Da fragt es sich aber vor allem, ob Er die Gärtnerei versteht?
TITUS.
Ich habe Menschenkenntnis, folglich auch Pflanzenkenntnis.
FLORA.
Wie geht denn das zusammen? –
TITUS.

Sehr gut; wer Menschen kennt, der kennt auch die Vegetabilien, weil nur sehr wenig Menschen leben, und viele unzählige aber nur vegetieren. Wer in der Fruh aufsteht, in die Kanzlei geht, nachher essen geht, nachher präferanzeln geht, und nachher schlafen geht, der vegetiert; wer in der Fruh ins G'wölb' geht und nachher auf die Maut geht, und nachher essen geht, und nachher wieder ins G'wölb' geht, der vegetiert; wer in der Fruh aufsteht, nachher a Roll' durchgeht, nachher in die Prob' geht, nachher essen geht, nachher ins Kaffeehaus geht, nachher Komödie spiel'n geht, und wenn das alle Tag' so fortgeht, der vegetiert. Zum Leben gehört sich, billig berechnet, eine Million, und das is nicht genug; auch ein geistiger Aufschwung g'hört dazu, und das find't man höchst selten beisammen; wenigstens, was ich von die Millionär weiß, so führen fast alle aus millionär'scher Gewinn- und Vermehrungspassion ein so fades, trockenes Geschäftsleben, was kaum den blühenden Namen »Vegetation« verdient.

FLORA
beiseite.

Der Mensch muß die höhere Gärtnerei studiert haben; Laut. so dunkel sein Kopf auswendig is, so hell scheint er inwendig zu sein.

TITUS.
Sind Ihnen vielleicht die schwarzen Haar' zuwider?
FLORA.
Zuwider? Er Schelm wird nur zu gut wissen, daß ein schwarzer Lockenkopf einem Mann am besten laßt.
[263]
TITUS
für sich.
Die Peruck'n wirkt.
FLORA.

Er will also hier einen Dienst? Gut, Er is aufgenommen; aber nicht als Knecht; Er zeigt Kenntnisse, Eigenschaften, besitzt ein vorteilhaftes Äußeres –

TITUS
für sich.
Die Peruckenkraft wirkt heftiger.
FLORA.

Er soll die Aufsicht über das Gartenpersonale haben, Er soll den übrigen Befehle erteilen; Er soll nach mir im Garten der Erste sein.

TITUS
beiseite.

Die Peruck'n hat gesiegt. Laut. Ich weiß so wenig, wie ich mich bedanken soll, als ich weiß, wie ich zu solchem Glück komme.

FLORA
seine Haare betrachtend.
Nein, diese Schwärze, ganz italienisch!
TITUS.
Ja, es geht schon beinahe ins Sizilianische hinüber. Meine Mutter war eine südliche Gärtnerin.
FLORA.
Weiß Er aber, daß Er ein sehr eitler Mensch ist? Mir scheint, Er brennt sich die Locken.

Will mit der Hand nach den Locken fahren.
TITUS
zurückprallend.
Oh, nur net anrühren! ich bin sehr kitzlich auf'm Kopf.
FLORA.

Närrischer Mensch! – Unter anderm aber, in diesem Anzug kann ich Ihn der gnädigen Frau nicht vorstellen.

TITUS.

Also gilt bei Ihnen das Sprichwort: »Das Kleid macht den Mann«, das Sprichwort, durch welches wir uns selbst so sehr vor die Schneider herabsetzen, und welches doch so unwahr ist; denn wie viele ganze Kerls gehn mit zerrissene Röck' herum.

FLORA.
Aber der Anzug hat so gar nix, was einem Gartner –
TITUS.

Oh, der Anzug hat nur zu viel Gärtnerartiges, er is übersä't mit Fleck, er is aufgegangen bei die Ellbögen und an verschiedenen Orten; weil ich nie ein Paraplü trag', wird er auch häufig begos sen, und wie er noch in der Blüte war, hab' ich ihn oft wie eine Pflanze versetzt.

FLORA.

Das ist dummes Zeug. Nach der Tür rechts deutend. Geh' Er durch das Zimmer in die Kammer hinein: in der Truhen, wo der Zwiefel liegt, find't Er den Hochzeitanzug von mein'm seligen Mann.

[264]
TITUS.

Das Hochzeitkleid des Verblichenen soll ich anziehen? – Hören Sie – Fährt sich kokett mit der Hand durch die Locken. Da kann ich nichts davor, wenn Gefühle erwachen, die – Sieht sie bedeutungsvoll an, und geht zur Seitentür rechts ab.

18. Auftritt
Achtzehnter Auftritt
Flora allein. Hernach Plutzerkern.

FLORA.

Wirklich ein charmanter Mensch! – Na, man kann nicht wissen, was geschieht. Ein Spaß wär's, wenn ich früher zur zweiten Heirat käm', als unsere Kammerfrau, die so spöttisch auf mich herabsieht, weil sie den Herrn Friseur zum Liebhaber hat. Mit der Hochzeit laßt er sich aber hübsch Zeit; bei mir könnt' es rascher gehn, das wär' ein Triumph! – Vor allem muß ich aber die Leut' zusammenrufen.Geht zum Fenster. Ah, der Plutzerkern! Hinausrufend. Hol geschwind die Leut' alle zusamm, ein neuer Gärtner is aufgenommen, der in Zukunft anstatt meiner über sie befehlen wird.

PLUTZERKERN
inner der Szene.
Das is g'scheit.
FLORA.

Was is das? – Die Kammerfrau? – Zum Fenster hinaus grüßend. Gehorsamste Dienerin! –Vom Fenster weggehend. Sie kommt zu mir; was hat das zu bedeuten? G'wiß wieder ein Verdruß; die Leut' hab'n was versäumt, und ich kann's Bad ausgießen.

19. Auftritt
Neunzehnter Auftritt
Flora. Constantia.

CONSTANTIA
zur Mitte eintretend.
Frau Gärtnerin –
FLORA
mit einem Knix.
Untertänigste! – Was steht zu Befehl?
CONSTANTIA.

Die gnädige Frau erwartet heute nachmittags Besuch aus der Stadt und wünscht, daß nicht wieder so schlechtes Obst, wie das letztemal, ins Schloß geschickt werde.

FLORA.
Ich hab' das allerschönste –
CONSTANTIA.
Die gnädige Frau ist überhaupt mit der ganzen Pflege des Gartens höchst unzufrieden.
[265]
FLORA.

Is nicht meine Schuld; die Leut' – aber das wird jetzt alles anders wer'n. Die gnädige Frau hat mir den Auftrag erteilt, einen geschickten Menschen aufzunehmen; na, und da hat sich's so geschickt, daß ein sehr geschickter Mensch –

CONSTANTIA.
Gut, ich werd' es der gnädigen Frau zu wissen machen.
FLORA.
Ich werde mir die Freiheit nehmen, ihn selbst der gnädigen Frau vorzustellen.
CONSTANTIA.
Was fällt Ihr ein? Der gnädigen Frau vorstellen! – so ein Bengel!
FLORA.

Oh, ich bitte, Madam, diesen Menschen mit keinem gewöhnlichen Gartenknecht zu verwechseln; er ist – es ist sogar möglich – beinahe schon gewiß, daß ich ihn heirat'.

CONSTANTIA.

So? Diese Vermählung wird der gnädigen Frau so uninteressant sein, wie der ganze Mensch; ich finde es daher, wie schon gesagt, ganz unstatthaft, ihn der gnädigen Frau vorzustellen.

20. Auftritt
Zwanzigster Auftritt
Vorige. Titus.

TITUS
tritt in etwas altmodischem Gärtneranzuge, einen Bündel in der Hand tragend, ohne Constantia zu bemerken, aus der Seitentür rechts.
So! Da wär'n wir; meine Sachen hab' ich in dem Bünkel z'sammgebunden.
FLORA.
Er hätt's gleich drinnen lassen können.
TITUS.
Gelingt es mir, in diesem Anzug das verblichene Bild ganz vor Ihre Seele zu zaubern?
CONSTANTIA
für sich.
So ein schöner, schwarzer Krauskopf ist mir so bald nicht vorgekommen.
TITUS
zu Flora, auf den Bündel zeigend.
Und diese Sachen da legen wir – wohin?
FLORA
nach einem links stehenden Kasten zeigend.
Meintwegen in den Kasten dort.
TITUS
sich umwendend.

Gut. – Constantia erblickend. Ah! – Jetzt gebet ich kein'n Tropfen Blut, wann man mir eine Ader [266] lasset. Sich tief vor Constantia verneigend. Ich bitte untertänig – Zu Flora. Warum haben Sie mir nicht gesagt – Zu Constantia mit tiefer Verbeugung. mir nicht zu zürnen, daß ich – Zu Flora. daß die gnädige Frau da ist – Zu Constantia mit tiefer Verbeugung. nicht gleich die pflichtschuldigste Referenz – Zu Flora. – 's is wirklich schrecklich, in was Sie ein'm für eine Lag' bringen.

CONSTANTIA.
Ich bin ja nicht die gnädige Frau.
FLORA
zu Titus.
Was fallt Ihm denn ein?
CONSTANTIA.
Ich bin ja nur –
TITUS.
Nein, Euer Gnaden sind es, und wollen mir nur die Verlegenheit ersparen.
FLORA.
Es ist die Kammerfrau der Gnädigen.
TITUS.

Hör'n Sie auf! – Diese Hoheit in der Stirnhaltung, diese herablassende Blickflimmerung, dieser edle Ellbogenschwung –

CONSTANTIA
sich geschmeichelt fühlend.
Hm, ich bin doch nur die Kammerfrau der Frau von Cypressenburg.
TITUS.

Wirklich? – Ich glaub' es nur, weil ich es aus Ihrem eigenen Munde hör'. Also, Kammerfrau? Meine Mutter war auch Kammerfrau.

FLORA.
Er hat ja gesagt, Seine Mutter war Gärtnerin?
TITUS.
Zuerst war sie Gärtnerin, dann ist sie Kammerfrau geworden.
CONSTANTIA
beiseite.
Wirklich ein interessanter, gebildeter Mensch!
FLORA
zu Titus, welcher Constantia fixiert.
So leg' Er nur die Sachen da hinein.
TITUS
immer auf Constantia sehend.
's Schicksal weiß wirklich nicht, was's tut, so eine Gestalt in die Antichambre zu postieren.
FLORA.
Hört Er denn nicht? Da in den Kasten.
TITUS.

Ja, gleich. – Mit Bewunderung auf Constantia sehend. Klassische Salonfigur. Er geht, auf Constantia sehend, zum Kasten, welcher neben der Tür steht.

FLORA
für sich.
Wie sie kokettiert auf ihn, die aufdringliche Person!
[267]
21. Auftritt
Einundzwanzigster Auftritt
Vorige. Plutzerkern.

PLUTZERKERN
zur Mitte eintretend.
Die Leut' werden gleich alle da sein.
TITUS
Plutzerkern erblickend, kehrt rasch um.
Verdammt! wann der mich kennt! Wendet sich gegen Constantia, um Plutzerkern den Rücken zu kehren.
PLUTZERKERN
zu Flora.

Das is also der neue Gartner? Da muß man sich ja zu Gnaden rekommandier'n. Tritt zwischen Titus und Constantia.

TITUS
wendet sich gegen Flora, um wieder Plutzerkern den Rücken zu kehren.
Schicken S' den Kerl fort; ich bin kein Freund von solchen Zeremonien.
FLORA.
Tu' Er nicht so schüchtern.
PLUTZERKERN
indem er versucht, Titus die Vorderseite abzugewinnen.
Herr Gartner, der wohlverdienteste Mann im ganzen Personal –
TITUS
in großer Verlegenheit in die Tasche fahrend.

Ich muß mir nur g'schwind ein Schnupftüchel vors G'sicht – Zieht statt eines Schnupftuches eine graue Perücke mit Zopf aus der Tasche und hält sie eiligst vors Gesicht.

PLUTZERKERN.
Aber Sie hab'n kuriose Schnupftücheln.
TITUS.
Was ist denn das?
FLORA
lachend.
Das is die Perücke von meinem ehemaligen Gemahl.
TITUS.
Schaut sehr eh'malig aus.

Steckt die Perücke in den Bündel, welchen er noch in der Hand hält.
PLUTZERKERN.

Was Teuxel, der Gartner kommt mir so bekannt vor. – Zu Titus. Hab'n Sie net an'n Brudern mit rote Haar?

CONSTANTIA.
Was fällt Ihm ein?
TITUS.
Ich hab' gar kein'n Brudern.
PLUTZERKERN.
So? nachher wird das der Bruder von wem andern sein.
FLORA.
Was will denn der Dummkopf?
PLUTZERKERN.
Na, ich hab' halt ein'n g'sehn mit rote Haar, das is ja nix Unrechts.
[268]
22. Auftritt
Zweiundzwanzigster Auftritt
Vorige. Zwei Gartenknechte. Die Gartenknechte treten zur Mitte ein, jeder zwei Körbe mit Obst tragend.

ERSTER KNECHT.
Da is das Obst.
FLORA.
Das hätt' gleich soll'n ins Schloß getrag'n werden.
CONSTANTIA.
Das wäre eine saubere Manier, daß man das Obst nur so durch die Knechte hinaufschickt.
FLORA.
's war ja immer so.
CONSTANTIA
auf Titus zeigend.

Der Herr Gärtner wird die Früchte überbringen, dies ist zugleich die schicklichste Gelegenheit, ihn der gnädigen Frau vorzustellen.

FLORA
zu Constantia.

Vorstellen? Wie finden Sie es denn auf einmal nötig, ihn der Gnädigen vorzustellen? Sie hab'n ja grad vorher g'sagt, es is ganz unstatthaft, so einen Bengel der gnädigen Frau vor Augen zu bringen.

CONSTANTIA
verlegen.
Das war – das heißt –
TITUS.
Bengel?
FLORA
mit boshaften Triumph über Constantias Verlegenheit.
Ja, ja!
TITUS.
Das ist arg.
CONSTANTIA
sehr verlegen.
Ich habe –
TITUS.
Das is enorm –
FLORA.
Na, ich glaub's – es is ja –
TITUS.
Mir unbegreiflich, Zu Flora. wie Sie das Wort »Bengel« auf mich beziehen können.
FLORA.
's waren die eigenen Worte der Madam.
TITUS
zu Flora.

Erlauben Sie mir, es gibt außer mir noch Bengeln genug, und ich bin kein solcher Egoist, daß ich alles gleich auf mich beziehe.

CONSTANTIA
sich von ihrer Verlegenheit erholend.
Ich wollte –
TITUS
auf Constantia deutend.

Wenn diese Dame wirklich ihre Lippen zu dem Wort »Bengel« hergegeben, so hat sie wahrscheinlich einen Knecht, vielleicht einen von diesen beiden Herren Auf die Gartenknechte zeigend. gemeint, denn mich hat sie ja noch gar nicht gekannt, und kennt mich selbst jetzt noch viel zu wenig, um über meine Bengelhaftigkeit das gehörige Urteil zu fällen. Zu Constantia. Hab' ich nicht recht?

[269]
CONSTANTIA.
Vollkommen!
FLORA
sehr aufgeregt und ärgerlich.
Also will man mich zur Lügnerin machen?
TITUS.
Nein, nur zur Verleumderin.
CONSTANTIA
zu Titus.
Also kommen Sie jetzt.
FLORA.
Er soll aufs Schloß kommen? Und warum denn gar so eilig? Die gnädige Frau is ausg'fahr'n.
CONSTANTIA.

Nun, und da wird es doch schicklicher sein, daß der Herr Gärtner auf die gnädige Frau wartet, als sie auf ihn?

TITUS.

Das is klar. Zu Constantia. Sie weiß nichts von Etikette. Das Schicklichste auf jeden Fall is, daß ich bei Ihnen wart', bis der günstige Moment erscheint.

FLORA
sehr ärgerlich, beiseite.
Zerreißen könnt' ich s', die Person, die! –
TITUS.
Als Gärtner muß ich aber doch mit dem gehörigen Anstand – Ah, da is ja, was ich brauch'.

Eilt zum Fenster und reißt die Blumen aus den Töpfen.
FLORA.
Was is denn das? Meine Blumen! –
TITUS.

Müssen zu einem Strauß herhalten. Ein Band brauchen wir auch. Zum Tisch eilend. Da liegt ja eines. Nimmt ein breites Atlasband und wickelt es um die Blumen.

FLORA.
Was treibt Er denn? Das neue Band, was ich erst aus der Stadt –
TITUS.

Zu so einer Feierlichkeit ist das Beste noch zu schlecht. Zu Constantia, auf Flora deutend. Die Gute, sie weiß nichts von Etikette.

23. Auftritt
Dreiundzwanzigster Auftritt
Vorige. Mehrere Gartenknechte.

DIE KNECHTE
zur Mitte eintretend.
Wir machen alle unser Kompliment.
TITUS.
Aha, meine Untergebenen! Ihr tragt mir's Obst nach.
DIE KNECHTE.
Zu Befehl.
CONSTANTIA
zu Titus.

Bei dieser Gelegenheit müssen Sie sich bei den Leuten in Respekt setzen, etwas zum besten geben; ich finde es wenigstens am Platz.

[270]
TITUS.

Ich find' es auch am Platz – aber – In der Westentasche suchend. es is ein anderer Platz, wo ich nichts find'.

CONSTANTIA.
Ich mache mir ein Vergnügen daraus, nehmen Sie hier –

Will ihm eine Börse geben.
FLORA
es verhindernd.
Erlauben Sie, das geht mich an. Zu Titus. Hier nimm der Herr.

Will ihm Geld geben.
CONSTANTIA
es verhindernd.

Halt! Das duld' ich nicht; es ist eine Sache, die die Ehre des Hauses betrifft und folglich die gnädige Frau durch mich bestreitet.

FLORA.
Ich kann's auch der Gnädigen in Rechnung bringen; aber mir kommt es zu –
TITUS.

Erlauben Sie, diese Sache kann man rangieren, ohne daß jemand dabei vor den Kopf gestoßen wird. Ich bin so frei – Nimmt das Geld von Constantia. geben S' nur her – Nimmt das Geld von Flora. So! – Nur in solchen Fällen niemanden beleidigen. Zu den Gartenknechten. Heut' werdt's alle traktiert von mir.

DIE KNECHTE.
Juhe!
TITUS.
Jetzt vorwärts aufs Schloß!
CHOR.
Der neue Herr Gartner laßt sich recht gut an;
Sein' G'sundheit wird 'trunken, das is halt ein Mann!

Titus geht während dem Chore mit Constanzen voran, die Knechte folgen mit den Obstkörben, Flora sieht ärgerlich nach, Plutzerkern betrachtet sie mit bedeutungsvollem Lächeln; unter dem Jubel des Gartenpersonales fällt der Vorhang.

Ende des ersten Aufzuges.

[271]

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Plutzerkern. Mehrere Gartenknechte. Sitzen um den Tisch herum und trinken.

CHOR.
Man glaubt nicht, wie g'schwind
D' Krügeln austrunken sind,
Bei der Arbeit da rast't man so gern,
Beim Wein tut sich keiner beschwer'n,
Der wird ein'm nicht z'viel,
Man seufzt nach kein'm Ziel;
Das Trinken is wirklich a Pracht,
Die Fortsetzung folgt auf die Nacht.
PLUTZERKERN.

Die Arbeit is heut' nicht pressant, wir hab'n noch über die Hälfte von Geld, das muß noch vertrunken wer'n; also heißt's zeitlicher Feierabend machen.

ERSTER KNECHT.
Bei so was kommt g'wiß keiner z' spat.
PLUTZERKERN.

Nur immer denken, ein Gartner ist die edelste Pflanze, drum muß er fleißig begossen werden, sonst welkt er ab.

ERSTER KNECHT.
Is aber ein rarer Mann, der neue Herr Gartner, und ein rüstiger Mann.
ALLE.
Das is wahr.
PLUTZERKERN.

Oh, kurzsichtiges Volk; ein fauler Kerl is er, glaubt's mir, ich versteh' das, der wird uns keiner Arbeit überheb'n, im Gegenteil, wir werden ihn noch bedienen sollen, den hergeloff'nen Ding, und er wird d' Händ' in Sack stecken, den gnädigen Herrn wird er spielen wollen, der aufgeblas'ne Tagdieb.

DIE KNECHTE.
Wär' net übel.
[272]
ERSTER KNECHT.
Da soll ihm ja gleich –
PLUTZERKERN.

Ruhig jetzt! – Zu diesen und ähnlichen Schimpfereien hab'n wir heut' abend die beste Zeit, wir können uns dann auch gleich z'sammreden, wie wir ihn wieder aus'm Haus vertreiben wollen.

ALLE.
Ja, das wollen wir.
PLUTZERKERN.
Also nur ruhig, alles zu seiner Zeit.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Vorige. Flora.

FLORA
kommt mit einem Korb, in welchem sich Teller und Tischzeug befinden, aus ihrem Hause.

Jetzt bitt' ich mir aber aus, daß einmal ein End' gemacht wird. Nehmt's engere Krügeln und geht's, den Tisch brauch' ich jetzt.

DIE KNECHTE.
Wir hab'n ohnedem grad gehn woll'n.
PLUTZERKERN.
Es g'schieht ja alles dem neuen Gartner zu Ehren.
FLORA
zu den Knechten.
Und daß was gearbeit't wird.
DIE KNECHTE
im Abgehen.
Schon recht. Links im Hintergrunde ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Flora. Plutzerkern.

PLUTZERKERN.

Ich begreif' nicht, wie Sie's übers Herz bringen, diese guten Menschen in ihrem unschuldigen Vergnügen zu stören.

FLORA
hat ein Tischtuch aus dem Korb genommen und es über den Tisch gebreitet.
Halt' Er's Maul, und hilf Er mir den Tisch decken.
PLUTZERKERN.

Gleich; diese Arbeit laß ich mir nie zweimal schaffen. Nimmt Eßzeug und Teller aus dem Korbe. Das is ja aber nur für zwei Personen?

FLORA.
Freilich; ich wüßt' nicht, zu was mehrere nötig wären?
PLUTZERKERN.
Also speist der neue Gartner im Schloß bei der Kammerfrau?
FLORA.
Dummkopf! er speist hier bei mir.
[273]
PLUTZERKERN.
Er, Sie und ich; wir sind aber drei.
FLORA.

Er hat an meinem Tisch gespeist, weil's mir allein zu langweilig war; jetzt wär' das überflüssig. Er hat sein Kostgeld, drum wird Er, wenn aufgetragen ist, gehn.

PLUTZERKERN
pikiert.
Das war die Zeit, wo ich sonst nie gegangen bin.
FLORA.
Räsonnier' Er nicht und bring' Er die Suppen.
PLUTZERKERN
boshaft.
Jetzt schon? Sie könnt' kalt wer'n; wer weiß, wann der kommt.
FLORA
ungeduldig nach dem Schlosse sehend.
Er muß den Augenblick da sein. Halb für sich. Ich begreif' ohnedies nicht, wo er so lang –
PLUTZERKERN.
Ah, ich fang's schon zum begreifen an.
FLORA.
Schweig' Er und tu' Er, was man Ihm schafft.
PLUTZERKERN
im Abgehen, als ob er für sich spräche, aber so, daß es Flora hören muß.

Der muß eine neue Blumasch rangieren im Schloß, kann mir das lange Ausbleiben sonst gar nicht erklär'n. In die Gärtnerwohnung ab.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Flora, dann Titus.

FLORA
allein.

Der war zum letztenmal dort droben. Und wie sich diese Madam Constanz den Männern aufdringt, das ist ausdrucklos!

TITUS
erscheint im Schloß am Fenster mit vorgebundener Serviette, ein Fasanbiegel in der Hand.
Ah, Frau Garnerin, gut, daß ich Ihnen seh', –
FLORA.
Wo bleibt Er denn? ich wart' mit'm Essen. –
TITUS.
Ich nicht; ich hab' schon gegess'n.
FLORA.
Auf'm Schloß?
TITUS.

Bei der Kammerfrau in der Kammer, sehr gut gespeist; es war der erste Fasan, dem ich die letzte Ehr' angetan hab'; mit diesem Biegel is seine irdische Hülle in der meinigen begraben.

FLORA.
Es is aber sehr unschicklich, daß Er dort schmarotzt; ich werd' mir das verbieten.
[274]
TITUS.

Sich können Sie verbieten, was Sie wollen; aber mir nicht, ich steh' nicht mehr unter Ihrer Tyrannei, ich hab' eine andere, eine bessere Kondition angenommen.

FLORA
äußerst betroffen.
Was wär' das!?
TITUS.
Warten S' a bissel, ich muß Ihnen was übergeben.

Zieht sich zurück.
FLORA
allein.

Kammerfrau, ich kenne dich, das ist dein Werk! Eine Witwe, die selbst einen Liebhaber hat, fischt der andern den ihrigen ab, das wird doch ein Witwenstückl ohnegleichen sein.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Plutzerkern, Flora; dann Titus am Fenster.

PLUTZERKERN
den Suppentopf auftragend.
Da is die Suppen.
TITUS
am Fenster im Schloß erscheinend.

Da sind die ehemaligen Kleider, die ich gegenwärtig nicht mehr brauch'. Mein Kompliment. Wirft den Kleiderbündel herab, daß er Plutzerkern an den Kopf fliegt, und zieht sich zurück.

PLUTZERKERN.
Anpumt! Was ist das?
FLORA
zu Plutzerkern.
Pack' Er sich zum Guckguck!
PLUTZERKERN.
Wird nicht gegessen?
FLORA.
Nein, hab' ich gesagt. Für sich. Wer da nicht den Appetit verliert, der hat keinen zu verlieren.
PLUTZERKERN
pikiert.
Ich hab' glaubt, jetzt is die große Tafel in zwei'n, bei der ich überflüssig bin?
FLORA.
Aus meinen Augen! Für sich im Abgehen. Boshafter Schlingel das! In ihre Wohnung ab.
PLUTZERKERN
allein.

Also er speist nicht da, sie speist gar nicht, und ich, der Ausgeschlossene, ich speis' jetzt für alle zwei! Unerforschliches Schicksal! diese Anwandlung von Gerechtigkeit hätt' ich dir gar nicht zugetraut. In die Gärtnerwohnung ab.


Verwandlung.
Saal im Schlosse mit einer Mittel- und zwei Seitentüren.

[275]
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Titus allein, kommt aus der Mitteltür, er ist in eleganter Jägerlivree gekleidet.

TITUS.

Die macht's, wie die vorige, offeriert mir die verstorbene Garderobe von ihrem überstandenen Gemahl, und will, ich soll Jäger sein. Ja, wenn die gnädige Frau von einem Jäger nichts anderes verlangt, als's Wagentürl aufmachen und aufs Brettel hupfen, so viel kann ich allenfalls leisten in der Forstwissenschaft. Oh, Parucken! Dir hab' ich viel zu danken. Die Kost hier ist delikat, der Trunk exquisit, und ich weiß wirklich nicht, ob mich mehr mein Glückswechsel oder der Tokaier schwindlich macht.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Titus. Constantia von der Seite links.

CONSTANTIA.

Ah, das lass' ich mir gefallen. Die Gärtnerkleidung hat so etwas Bauernhaftes und Ihr Exterieur ist ja ganz für das edle Jagdkostüm geschaffen.

TITUS.

Wenn nur mein Exterieur in der gnädigen Frau dieselben gnädigen Ansichten erzeugt; ich fürchte sehr, daß ein ungnädiger Blick von ihr mir den Hirschfänger entreißt, und mir Krampen und Schaufel in die Hände spielt.

CONSTANTIA.

Sie trauen mir sehr wenig Einfluß im Hause zu. Mein verstorbener Mann war hier Jäger, und meine Gebieterin wird gewiß nicht glauben, daß ich immer Witwe bleiben soll.

TITUS.
Gewiß nicht; solche Züge sind nicht für lebenslänglichen Schleier geformt.
CONSTANTIA.

Gesetzt nun, ich würde mich wieder verheiraten, zweifeln Sie, daß die gnädige Frau meinem Mann einen Platz in ihrem Dienste verleihen würde?

TITUS.
Der Zweifel wäre Frevel.
CONSTANTIA.
Ich sage das nicht, als ob ich auf Sie Absichten hätte –
[276]
TITUS.
Natürlich, da haben Sie keine Idee –
CONSTANTIA.

Ohne etwas zu verreden, sage ich das nur, um Ihnen zu beweisen, daß ich die Macht habe, jemanden eine Stelle auf dem Schlosse zu verschaffen.

TITUS
beiseite.
O rabenschwarzer Schädel, du wirkst himmelblaue Wunder!
CONSTANTIA.
Mein seliger Mann –
TITUS.

Hören Sie auf, nennen Sie nicht den Mann selig, den der Taschenspieler »Tod« aus Ihren Armen in das Jenseits hinüberchangiert hat; nein, der ist es, der sich des Lebens in solcher Umschlingung erfreut. Oh, Constantia! – Man macht dadurch überhaupt dem Ehestand ein sehr schlechtes Kompliment, daß man nur immer die verstorbenen Männer, die ihn schon überstanden haben: »Die Seligen« heißt.

CONSTANTIA.
Also sind Sie der Meinung, daß man an meiner Seite –
TITUS.

Stolz in die unbekannten Welten blicken und sich denken kann, überall kann's gut sein, aber hier ist's am besten.

CONSTANTIA.
Schmeichler!
TITUS
beiseite.

Das sind die neuen metaphysischen Galanterien, die wir erst kriegt haben. Laut. Ich glaub', ich hör' wem im Vorzimmer.

8. Auftritt
Achter Auftritt
Vorige. Salome.

SALOME
schüchtern zur Mitte eintretend.
Mit Erlaubnis –
TITUS
erschrocken, für sich.
Uie, die Salome! Wirft sich nachlässig in einen Stuhl, so, daß er das Gesicht von ihr abwendet.
CONSTANTIA.
Wie kommt Sie da herein?
SALOME.

Draußt war kein Mensch, so hab' ich 'glaubt, das wird's Vorzimmer sein; jetzt seh' ich aber – Oh, ich bitt', Madam, kommen S' nur a bissel heraus, mir verschlagt's die Red', wenn ich so in der Pracht drinnen steh'.

[277]
CONSTANTIA.
Keine Umstände, was will Sie? Nur geschwind!
SALOME.

Ich such' einen, ich hab' ihn schon bei der Gartnerin g'sucht, dort hab' ich ihn aber nicht g'funden, jetzt bin ich daher.

CONSTANTIA
Verdacht schöpfend.
Wen sucht Sie?
SALOME.
Wissen S', ich such' halt ein'n mit rote Haare.
CONSTANTIA
beschwichtigt.
Nun, den wird Sie leicht finden, weil er Ihr auf hundert Schritte entgegenleuchtet.
TITUS
für sich.
O nagelneuer Witz, du hast mich schon oft erfreut.
CONSTANTIA.

Hier im Schloß wird Sie sich aber vergebens bemühen, denn ich und die gnädige Frau würden einen solchen nicht dulden, wir haben beide Antipathie gegen rote Haare.

SALOME.

Wenn er aber doch kommen sollt', so sag'n S' ihm, es haben ihn Leut' g'sucht, aus der Stadt, die haben so verdächtig um ihn g'fragt –

TITUS
sich vergessend, springt erschrocken auf.
Und was hat Sie den Leuten g'sagt?
SALOME
zusammenfahrend.
Was ist das!? – Titus erkennend. Ah! –

Sie wankt und fällt Constantia in die Arme.
CONSTANTIA.
Was hat denn die Person? – Zu Titus. So bringen Sie doch einen Stuhl, ich kann sie nicht halten.
TITUS
einen Stuhl bringend.
Setzen wir s' nieder.
CONSTANTIA
läßt Salome in den Stuhl sinken.

Sie rührt sich nicht, sie ist ganz bewegungslos. Zu Titus. Das ist höchst sonderbar. Ihr Anblick hat diese Wirkung auf sie hervorgebracht.

TITUS
verlegen.

Das kann nicht sein, ich bin nicht zum Umfallen wild, und was meine Schönheit anbelangt, so is sie auch wieder nicht so groß, daß man drüber's Gleichgewicht verlieren muß.

CONSTANTIA.
Sie sehn aber, daß sie sich gar nicht bewegt.
TITUS
sehr verlegen.
Ja, das seh' ich.
CONSTANTIA.
Jetzt aber scheint mir – ja, sie bewegt sich.
TITUS.
Ja, das seh' ich auch; ich werd' frisches Wasser holen.

Will fort.
[278]
CONSTANTIA.

Nichts da, das wird nicht nötig sein; oder haben Sie vielleicht besondere Ursachen, sich fortzuschleichen?

TITUS.
Wüßte nicht, welche; ich kenn' die Person nicht.
CONSTANTIA.
Dann brauchen Sie ja ihr Erwachen nicht zu fürchten.
TITUS.
Gar nicht; wer sagt denn, daß ich mich fürcht'?
SALOME
sich erholend.
Ach, – Madam, – mir wird schon wieder leichter. –
CONSTANTIA.
Was war Ihr denn eigentlich?
SALOME.
Der Herr –
CONSTANTIA.
Also kennt Sie ihn?
SALOME.
Nein, ich kenn' ihn nicht, gewiß nicht;Aufstehend. aber wie er mich so scharf ang'redt hat –
CONSTANTIA.
Darüber ist Sie –?
SALOME.

Nicht wahr? 's is a Schand, solche Stadtnerven für a Bauerndirn? Zu Titus, der verblüfft dasteht. Sein S' net bös, und wenn S' vielleicht den sehen mit die roten Haar', so sagen S' ihm, ich hab's gut g'meint, ich hab' ihn nur warnen wollen; ich werd' ihn g'wiß nit verraten an die Leut', die um ihn fragen, und sagen S' ihm, ich werd' auch g'wiß sein'm Glück nicht mehr in'n Weg treten – Die Tränen unterdrückend. Sagen S' ihm das, wann S' den sehen mit die roten Haar. Zu Constantia. Und jetzt bitt' ich nochmal um Verzeihung, daß ich umg'fallen bin, in Zimmern, die nicht meinesgleichen sind, und pfürt Ihnen Gott alle zwei und –Bricht in Tränen aus. – jetzt fang' ich gar zum weinen an, – das g'hört sich schon gar net. – Nix für ungut, ich bin halt schon so a dalket's Ding.Eilt weinend zur Mitteltür ab.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Vorige, ohne Salome.

CONSTANTIA
ihr verwundert nachblickend.
Hm, – dieses Geschöpf, ich muß gestehen, daß mir die Sache höchst verdächtig vorkommt.
[279]
TITUS
sich nur nach und nach von seiner Verlegenheit erholend.
Was?
CONSTANTIA.
Sie war so bewegt, so ergriffen –
TITUS.
Über einen Rothaarigen, das haben S' ja g'hört.
CONSTANTIA.
Von dem sprach sie, aber über Ihre Person schien sie aufs heftigste –
TITUS.
Jetzt hör'n Sie auf; was fallt Ihnen ein.
CONSTANTIA.
Sie werden mir doch nicht abstreiten wollen, daß sie in der heftigsten Bewegung war?
TITUS.

Was geht denn aber das mich an? Zuerst hab'n S' mich völlig ausg'macht, weil sie bewegungslos war, und jetzt fahr'n S' über mich, weil sie eine Bewegung hat; ich begreif' gar nicht –

CONSTANTIA.

Nun, werd'n S' nur nicht gleich böse, ich kann ja unrecht haben. – Daß Sie in Verbindung mit einer so gemeinen Person – das wäre ja unglaublich.

TITUS.

Ich glaub's. Ich bin ein Jüngling, der Karriere machen muß; Mit Beziehung. Meine Ideen schweifen ins Höhere –

CONSTANTIA
kokett.

Wirklich? 's war nur ein Glück, daß der unangenehme Auftritt in Abwesenheit der gnädigen Frau, – die gnädige Frau haßt das Gemeine ungemein, sie hat für nichts Sinn, als für geistige Bildung, so wie ich; sie ist selbst Schriftstellerin.

TITUS.
Schriftstellerin?
CONSTANTIA.
Wenn einmal von etwas Literarischen die Rede sein sollte – Sie wissen doch was davon?
TITUS.
Nein.
CONSTANTIA.
Das ist schlimm.
TITUS.

Kinderei. Wenn ich auch nichts von der Schriftstellerei weiß, von die Schriftsteller weiß ich desto mehr. Ich darf nur ihre Sachen göttlich finden, so sagt sie gewiß: »Ah, der Mann versteht's, – tiefe Einsicht, – gründliche Bildung!«

CONSTANTIA.
Sie sind ein Schlaukopf. Für sich. Das ist doch ganz ein anderer Mensch als mein Friseur.
[280]
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Vorige. Monsieur Marquis.

MARQUIS
zur Mitte eintretend.
Schönste Constanze –
TITUS
für sich.
Das ist der erlauchte Peruckenspender, wenn der nur nicht plauscht. Zieht sich seitwärts.
MARQUIS.

Beinahe wäre mir nicht mehr das Glück zuteil geworden, diese reizende Hand an meine Lippen zu drücken.


Küßt ihr die Hand.
TITUS
für sich, erstaunt.

Diese Herablassung – Ein Marquis und küßt ihr die Hand, einer antichambrischen Person, – das ist viel.

CONSTANTIA.
Es ist schon so spät, daß ich glaubte, Sie würden heute gar nicht kommen.
MARQUIS.

Sie können denken, daß nur ein außerordentlicher Zufall – was ist das? Bemerkt Titus, welcher ein, auf einen Stuhl liegendes, Tuch ergreift und emsig die Möbel abstaubt. Ein neuer Jäger aufgenommen?

CONSTANTIA.
Seit heute; ein Mensch, der viele Anlagen besitzt.
MARQUIS.
Wie können Sie die Anlagen eines Jägers beurteilen? Hat er was getroffen?
CONSTANTIA.
Sie sehen, daß er sehr fleißig ist und sich zu allem gebrauchen läßt.
MARQUIS
sich bemühend, Titus im Gesicht zu sehen, welcher es aber durch komische Emsigkeit vermeidet.
Ja, ja, das seh' ich.
TITUS
für sich.
Mein G'sicht zeig' ich ihm um kein'n Preis.
CONSTANTIA.
Sie vergessen aber ganz, mir den Vorfall zu erzählen.
MARQUIS
öfter nach Titus hinübersehend.

Es war mehr ein Unfall, der mit einem genickbrechenden Wasserfall geendet hätte, wenn nicht der Zufall einen Menschen, gerade in dem Augenblicke, wo das abscheuliche Tier, mein feuriger Fuchs –

TITUS
erschreckend.
Jetzt hab' ich glaubt, er nennt mich beim Nam'n.
CONSTANTIA.
Fuchs? Ich glaubte, Sie haben noch den häßlichen Rotschimmel?
[281]
TITUS
für sich.
Wieder ein heimliches Kompliment.
MARQUIS.

Ich habe ihn umgetauscht, weil sein Anblick Ihnen so zuwider war. Dieser Mensch also –Titus scharf fixierend. mein Retter – Titus umdrehend. ich irre mich nicht, – der ist's!

TITUS
sich tief verneigend.
Ich bitt', – Euer Gnad'n – Herr Marquis nehmen mich für einen andern – Will zur Mitte ab.
MARQUIS
ihn zurückhaltend.
Wozu das Leugnen, edler Mann, Sie sind's, die Gestalt, die Stimme, die Farbe der Haare –
TITUS
für sich in ängstlicher Verlegenheit.
Uie! jetzt kommt er schon über d' Haar.
CONSTANTIA.

Gewiß, wer diese Haare einmal gesehen, der wird sie nicht vergessen; wirklich bewundernswert sind diese Locken.

MARQUIS
sich geschmeichelt fühlend.
Oh, ich bitte, zu gütig!
TITUS
zu Constantia.

Der Herr Marquis bedankt sich, anstatt meiner, für das Kompliment, meiner Bescheidenheit bleibt also nichts mehr übrig –

CONSTANTIA
zum Marquis.

Sie verstehen das: ist Ihnen je so ein Glanz, so eine Krause – Zeigt nach dem Kopfe des Titus, als ob sie ihm mit der Hand durch die Locken fahren wollte.

TITUS
zurückprallend.
Oh, nur nicht anrühren, ich bin da so heiklich –
MARQUIS
halbleise, pikiert zu Constantia.
Sie scheinen übrigens besonderes Interesse an dem Domestiken zu nehmen.
CONSTANTIA
etwas verlegen.
Ich? – hm, – es ist eine Art von Kameradschaft, die –
MARQUIS
wie oben.
Die meines Erachtens zwischen dem Jäger und der Kammerfrau nicht existiert.
CONSTANTIA
halbleise zum Marquis.

Monsieur Marquis, ich danke für die Aufklärung; was schicklich ist oder nicht, weiß ich schon selbst zu beurteilen.

MARQUIS
für sich.

Ich habe sie beleidigt. Zu Constantia in einem sanften Ton. Verzeihen Sie, schönste Constanze, ich wollte nur –

CONSTANTIA.

Sie wollen die blonde à l'en fant-Perücke der gnädigen Frau frisieren; im Kabinett dort Nach rechts zeigend. [282] im kleinen Wandschrank werden Sie sie finden; gehen Sie an Ihr Geschäft.

TITUS
erstaunt.

Was ist das? Das is ja ein Friseur. –Zum Marquis. Ich hab' geglaubt, Sie sind ein Marquis, eine Mischung von Baron, Herzog und Großer des Reichs?

MARQUIS.
Ich heiße nur Marquis und bin Perruquier.
TITUS.

Ja, das ist ein anderes Korn. Jetzt füllt sich die Kluft des Respekts mit Friseurkasteln aus, und wir können ungeniert Freundschaft schließen miteinand.


Reicht ihm die Hand.
MARQUIS
ihm ebenfalls die Hand reichend.

Ich bin Ihnen Dank schuldig; Leise. aber auch Sie mir, und es wird sehr gut für Sie sein, wenn wir Freunde bleiben.

TITUS.
Auf Leben und Tod!
CONSTANTIA
für sich.

Monsieur Titus soll von meinem Verhältnis zum Marquis noch nichts erfahren, und des Friseurs eifersüchtiges Benehmen könnte leicht – das beste ist, ich entferne mich.Laut. Meine Herren, wichtige Geschäfte, – ich lasse die beiden Freunde allein.


Geht zur Mitte ab.
TITUS
ihr nachrufend.
Adieu, reizende Kammeralistin.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt
Vorige ohne Constantia.

MARQUIS.

Mein Herr, was sollen diese Galanterien? Ich sage Ihnen geradezu, ich verbitte mir das; Madame Constanze ist meine Braut, und wehe Ihnen, wenn Sie es wagen –

TITUS.
Was? Sie drohen mir? –
MARQUIS.

Ja, mein Herr, ich warne Sie wenigstens, vergessen Sie ja nicht, daß Ihr Schicksal am Haare hängt, und –

TITUS.
Und daß Sie so undankbar sein könnten, das Perucken-Verhältnis zu verraten.
MARQUIS.
Und daß ich so klug sein könnte, mich auf diese Weise eines Nebenbuhlers zu entledigen.
TITUS.

Was? So spricht der Mann? Der Mann zu dem Mann, ohne dem dieser Mann ein Mann des Todes wäre? ohne welchen Mann diesen Mann jetzt die Karpfen fresseten?

[283]
MARQUIS.
Ich bin Ihnen zu großem Dank, aber keinesweges zur Abtretung meiner Braut verpflichtet.
TITUS.

Wer sagt denn, daß sie abgetreten werden soll? Ich buhle ja nicht um die Liebe, nur um die Protektion der Kammerfrau.

MARQUIS.

Ah, jetzt sprechen Sie vernünftig! Auf diese Weise können Sie auf meine Dankbarkeit und vor allem auf Bewahrung des Haargeheimnisses zählen; hüten Sie sich aber, mir Anlaß zum Mißvergnügen zu geben, denn sonst – Drohend. denken Sie nur, Ihr Kopf ist in meiner Gewalt. Geht zur Seite rechts ab.

12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Titus allein.

TITUS.

Verfluchte G'schicht'! Heut' kommt viel über mein'n Kopf; wenn ich nur nicht auch so viel drin hätt'; aber der Tokaierdunst – und das – daß die Madame Kammerfrau den Friseur seine Jungfer Braut is, geht mir auch Auf den Kopf deutend. da herum. Wirft sich in einen Lehnstuhl. Das wär' eigentlich Herzenssache, aber so ein Herz is dalket und indiskret zugleich, wie's a bissel ein'n kritischen Fall hat, so schickt's ihn gleich dem Kopf über'n Hals, wenn's auch sieht, daß der Kopf ohnedies den Kopf voll hat. Ich bin ordentlich matt.Gähnt. A halb's Stünderl könnt's doch noch dauern, bis die gnädige Frau kommt; Läßt den Kopf in die Hand sinken. Da könnt' ich mich ja – Gähnend. ein wenig ausduseln – nicht einschlafen – bloß ausduseln – a wenig – ausduseln – Schläft ein.

13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Titus. Marquis.

MARQUIS
kommt nach einer kleinen Pause aus der Tür rechts.

Da drinnen ist ein Fenster zerbrochen; ich kann den Zug nicht vertragen und habe daher die Spalettladen geschlossen; jetzt ist's aber so finster drin, daß ich unmöglich [284] ohne Licht – der Jäger soll mir – wo ist er denn hin? – Am Ende ist er gar zu meiner Constanze geschlichen. Da soll ihm ja –Will zur Mitte abeilen, und sieht den schlafenden Titus im Lehnstuhle. Ach nein, ich hab' ihm Unrecht getan, die Eifersucht – närrisches Zeug – ich muß das lassen. – Wie ruhig er da liegt – so schläft kein Verliebter, der hat wohl keinen Gedanken an sie. –

TITUS
lallt im Schlafe.
Con – sta – sta – stanzia –
MARQUIS.
Alle Teufel! – was war das?

Tritt auf den Zehen näher.
TITUS
wie oben.
Rei – zende – Gestalt – Co – Con – stanzia –
MARQUIS.
Er träumt von ihr; der Schlingel untersteht sich, von ihr zu träumen.
TITUS
wie oben.
Nur – noch ein – Bu – Bu – Bussi –
MARQUIS.

Höllenelement, solche Träume duld' ich nicht. Will ihn an der Brust fassen, besinnt sich aber. Halt! – so wird's besser gehen; wir wollen doch sehen, ob sie dem Rotkopf ein Bububussi gibt. Nähert sich der Rückseite des Stuhles und macht ihm äußerst behutsam die Perücke los.

TITUS
wie oben.
Laß gehen – Sta – stanzia – ich bin kitzlich – auf'm Kopf –
MARQUIS
nimmt ihm die Perücke weg.

Jetzt versuche dein Glück, roter Adonis; den Talisman erhältst du nimmer wieder. Steckt die Perücke zu sich und eilt zur Mitte ab.

14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Titus allein, im Schlafe sprechend.

TITUS.

O – zartes – Ha – Handerl. – Man hört von außen das Geräusch eines in das Tor einfahrenden Wagens, gleich darauf wird stark geläutet, Titus fährt aus dem Schlafe empor. Was war das?! Mir scheint gar – Läuft zur Mitteltür. Ein Bedienter stürzt sich hinaus – die Gnädige kommt nach Haus – jetzt werd' ich vorgestellt. Richtet seinen Anzug. Mein Anzug ist ganz derangiert – 's Krawatel verschlafen – wo is denn g'schwind ein Spiegel?! – Lauft zu einem an der Kulisse links hängenden Spiegel, sieht hinein und prallt zurück. Himmel und Erden, d' Perücken is weg! – Sie wird mir im Schlaf hinunterg'fall'n[285]Läuft zum Lehnstuhl und sucht. Nein, weg, verloren, geraubt! Wer hat diese Bosheit? – Da ist Eifersucht im Spiel! Othellischer Friseur! Pomadiges Ungeheuer! das hast du getan! Du hast den gräßlichen Perückenraub begangen! Jetzt, in dem entscheidendsten, hoffnungsvollsten Moment stehe ich da als Windlicht an der Totenbahr meiner jungen Karriere! Halt – er is da drin und frisiert die Tour der Gnädigen – der kommt mir nicht aus; du gibst mir meine Perücken wieder, oder zittere, Kampelritter, ich beutl' dir die Haarpuderseel' bis aufs letzte Stäuberl aus'm Leib! Stürzt wütend in die Seitentür ab.

15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt
Frau von Cypressenburg und Emma treten zur Linken ein.

FRAU VON CYPRESSENBURG.

Ich muß sagen, ich finde das sehr eigenmächtig, beinahe keck von der Constanze, daß sie sich untersteht, in meiner Abwesenheit Domestiken aufzunehmen, ohne durch meinen Befehl hierzu autorisiert zu sein.

EMMA.

Sein Sie nicht böse darüber, liebe Mutter, sie hat ja einen Jäger aufgenommen, und das war schon lange mein Wunsch, daß wir einen Jäger haben; nimmt sich ja viel hübscher aus, als unsere zwei schiefbeinige Bedienten in der altfränkischen Livree.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Wozu brauchen Damen einen Jäger?
EMMA.

Und es soll ein recht martialischer Schwarzkopf sein, sagt die Constanze, der Schnurrbart zwar fehlt ihm, den muß ihm die Mama wachsen lassen, und auch einen Backenbart, ebenfalls ganz schwarz, daß aus dem ganzen Gesicht nichts heraussieht, als zwei glühende schwarze Augen; so was steht prächtig hinten auf dem Wagen.

FRAU VON CYPRESSENBURG
ohne Emmas voriger Rede besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.

Schweig! ich werde den Menschen wieder fortschicken und damit Punktum! Wo ist er denn? Titus, hat sie gesagt, heißt er? – He! Titus!

[286]
16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt
Vorige. Titus.

TITUS
kommt in blonder Perücke aus der Seitentür rechts.
Hier bin ich, und beuge mich im Staube vor der hohen Gebieterin, der ich in Zukunft dienen soll.
EMMA
erstaunt beiseite.
Was ist denn das? Das ist ja kein Schwarzkopf?
FRAU VON CYPRESSENBURG
für sich, aber laut.
Recht ein artiger Blondin.
TITUS
hat das letzte Wort gehört, für sich.
Was? Die sagt Blondin?
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Titus.

Meine Kammerfrau hat Ihm die Stelle eines Jägers gegeben, und ich bin nicht abgeneigt – Zu Emma sich wendend. Emma –


Spricht im stillen mit Emma fort.
TITUS
für sich.

Blondin hat s' g'sagt? – Ich hab' ja doch – Sieht sich verlegen um, so, daß sein Blick in einen, an der Kulisse rechts hängenden Spiegel fällt, äußerst erstaunt. Meiner Seel' ich bin blond! Ich hab' da drin aus lauter Dunkelheit a lichte Perücken erwischt. Wann nur jetzt die Kammerfrau nicht kommt.

FRAU VON CYPRESSENBURG
im Gespräche mit Emma fortfahrend.
Und sage der Constanze –
TITUS
erschrocken für sich.
Uijeh, die laßt s' holen!
FRAU VON CYPRESSENBURG
ihre Worte fortsetzend.
Sie soll meinen Anzug zur Abendgesellschaft ordnen.
TITUS
aufatmend, für sich.
Gott sei Dank, da hat s' a Weil z' tun.
EMMA.

Sogleich! Für sich im Abgehen. Die alberne Constanze hielt mich zum besten; gibt einen Blondin für einen Schwarzkopf aus. Zur Mitte ab.

17. Auftritt
Siebenzehnter Auftritt
Vorige, ohne Emma.

TITUS
für sich.

Ich stehe jetzt einer Schriftstellerin gegenüber, da tun's die Alletagsworte nicht, da heißt's, jeder Red' ein Feiertagsg'wand'l anziehn.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Also jetzt zu Ihm, mein Freund.
[287]
TITUS
sich tief verbeugend.

Das ist der Augenblick, den ich im gleichen Grade gewünscht und gefürchtet habe, dem ich, so zu sagen, mit zaghafter Kühnheit, mit mutvollem Zittern entgegengesehen.

FRAU VON CYPRESSENBURG.

Er hat keine Ursache, sich zu fürchten, Er hat eine gute Tournür, eine agreable Fasson, und wenn Er sich gut anläßt – Wo hat Er denn früher gedient?

TITUS.

Nirgends; es ist die erste Blüte meiner Jägerschaft, die ich zu Ihren Füßen niederlege, und die Livree, die ich jetzt bewohne, umschließt eine zwar dienstergebene, aber bis jetzt noch ungediente Individualität.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Ist Sein Vater auch Jäger?
TITUS.

Nein, er betreibt ein stilles, abgeschiedenes Geschäft, bei dem die Ruhe das einzige Geschäft ist; er liegt von höherer Macht gefesselt, und doch ist er frei und unabhängig, denn er ist Verweser seiner selbst; – er ist tot.

FRAU VON CYPRESSENBURG
für sich.

Wie verschwenderisch er mit zwanzig erhabenen Worten das sagt, was man mit einer Silbe sagen kann. Der Mensch hat offenbare Anlagen zum Literaten.Laut. Wer war also Sein Vater?

TITUS.
Er war schülerischer Meister; Bücher, Rechentafel, und Patzenferl waren die Elemente seines Daseins.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Und welche literarische Bildung hat er Ihm gegeben?
TITUS.

Eine Art Mille fleurs-Bildung; ich besitze einen Anflug von Geographie, einen Schimmer von Geschichte, eine Ahndung von Philosophie, einen Schein von Jurisprudenz, einen Anstrich von Chirurgie und einen Vorgeschmack von Medizin.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Charmant! Er hat sehr viel, aber nichts gründlich gelernt, darin besteht die Genialität.
TITUS
für sich.
Das is's erste, was ich hör', jetzt kann ich mir's erklären, warum's so viele Genies gibt.
FRAU VON CYPRESSENBURG.

Seine blonden Locken schon zeigen ein apollverwandtes Gemüt. War Sein Vater, oder Seine Mutter blond?

[288]
TITUS.
Keins von alle zwei; es is ein reiner Zufall, daß ich blond bin.
FRAU VON CYPRESSENBURG.

Je mehr ich Ihn betrachte, je länger ich Ihn sprechen höre, desto mehr überzeuge ich mich, daß Er nicht für die Livree paßt. Er kann durchaus mein Domestik nicht sein.

TITUS.
Also verstoßen, verschmettert, vermalmt?
FRAU VON CYPRESSENBURG.

Keineswegs, ich bin Schriftstellerin und brauche einen Menschen, der mir nicht als gewöhnlicher Kopist, mehr als Sekretär bei meinem intellektuellen Wirken zur Seite steht, und dazu ernenn' ich Sie.

TITUS
freudig überrascht.
Mich? – Glauben Euer Gnaden, daß ich imstand' bin, einen intellektuellen Zuseitensteher abzugeben?
FRAU VON CYPRESSENBURG.

Zweifelsohne, und es ist mir sehr lieb, daß die Stelle vakant ist; ich habe einen weggeschickt, den man mir rekommandierte, einen Menschen von Gelehrsamkeit und Bildung, aber er hatte rote Haare, und das ist ein horreur für mich; dem hab' ich gleich gesagt: »Nein, nein, mein Freund, 's ist nichts. Adieu!« Ich war froh, wie er fort war.

TITUS
für sich.

Da darf ich mich schön in Obacht nehmen, sonst endet meine Karriere mit einem Flug bei der Tür hinaus.

FRAU VON CYPRESSENBURG.

Legen Sie nur gleich die Livree ab; ich erwarte in einer Stunde Gesellschaft, der ich Sie als meinen neuen Sekretär vorstellen will.

TITUS.

Euer Gnaden, wenn ich auch den Jäger ablege, mein anderer Anzug is ebenfalls Livree, nämlich Livree der Armut: ein g'flickter Rock mit z'rissene Aufschläg'.

FRAU VON CYPRESSENBURG.

Da ist leicht abgeholfen. Gehen Sie da hinein, Nach rechts deutend. dann durchs Billardzimmer in das Eckkabinett, da finden Sie die Garderobe meines verewigten Gemahls; er hatte ganz Ihren Wuchs. Wählen Sie nach Belieben und kommen Sie sogleich wieder hierher.

TITUS
für sich.

Wieder der Anzug von ein'm Seligen. Sich verbeugend. [289] Ich eile. Für sich im Abgehen. Ich bring' heut' ein'n ganzen seligen Tandelmarkt auf den Leib. Rechts in die Seitentür ab.

18. Auftritt
Achtzehnter Auftritt
Frau von Cypressenburg, dann Constantia.

FRAU VON CYPRESSENBURG
allein.

Der junge Mann schwindelt auf der Höhe, auf die ich ihn gehoben, wenn ich ihn durch Vorlesungen meiner Dichtungen in überirdische Regionen führe, wie wird ihm da erst werden.

CONSTANTIA
aufgeregt zur Mitte eintretend.
Übel, sehr übel find' ich das angebracht.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Was hat Sie denn?
CONSTANTIA.

Ich muß mich über das gnädige Fräulein beklagen. Ich find' es sehr übel angebracht, einen Spaß so weit zu treiben. Sie hat mich ausgezankt, ich hätt' sie wegen den Haaren des Jägers angelogen; ich glaubte anfangs, sie mache einen Scherz; am Ende aber hat sie mich eine dumme Gans geheißen.

FRAU VON CYPRESSENBURG.

Ich werde sie darüber reprimandieren. Übrigens ist der Mensch nicht mehr Jäger; ich habe ihn zum Sekretär ernannt, und man wird ihm die, seinem Posten schuldige, Achtung erweisen.

CONSTANTIA.

Sekretär!? Ich bin entzückt darüber, daß er vor Ihnen Gnade gefunden. Die schwarze Sekretärkleidung wird ihm sehr gut lassen zu dem schwarzen Haar.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Was spricht Sie da?
CONSTANTIA.
Schwarze Haare, hab' ich gesagt.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Mir scheint, Sie ist verrückt; ich habe noch kein schöneres Goldblond gesehen.
CONSTANTIA.
Euer Gnaden spaßen.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Ist mir noch nicht oft eingefallen, mit meinen Untergebenen zu spaßen.
CONSTANTIA.
Aber, Euer Gnaden, ich hab' ja mit eigenen Augen –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Meine Augen sind nicht weniger eigen, wie die Ihrigen.
[290]
CONSTANTIA
äußerst betroffen.
Und Euer Gnaden nennen das blond?
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Was sonst?
CONSTANTIA.

Euer Gnaden verzeihen, dazu gehören sich wirklich eigene Augen. Ich nenne das das schwärzeste Schwarz, was existiert.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Lächerliche Person, mache Sie Ihre Schwänke jemand anderm vor.
CONSTANTIA.
Nein, das ist, um den Verstand zu verlieren.
FRAU VON CYPRESSENBURG
nach rechts sehend.
Da kommt er. – Nun? ist das blond oder nicht?
19. Auftritt
Neunzehnter Auftritt
Vorige. Titus aus der Seitentür rechts kommend, im schwarzen Frack, kurzen Hosen, seidenen Strümpfen und Schuhen.

TITUS.

Hier bin ich, gnädigste Gebieterin. Erblickt Constantia und erschrickt, für sich. O je! die Constantia!

CONSTANTIA
äußerst betroffen.
Was ist denn das?!
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Constantia.
In Zukunft verbiete ich mir derlei –
CONSTANTIA.
Aber Euer Gnaden, ich hab' ja –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Kein Wort mehr! –
TITUS
zu Frau von Cypressenburg.
Die Gnädigste sind aufgeregt; was ist's denn? –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Stellen Sie sich vor, die Närrin da behauptet, Sie hätten schwarze Haare.
TITUS.
Das is schwarze Verleumdung.
CONSTANTIA.
Da möchte man den Verstand verlieren!
FRAU VON CYPRESSENBURG.

Daran wäre nichts gelegen, wohl aber, wenn ich die Geduld verlöre. Geh' Sie und ordne Sie meine Toilette.

CONSTANTIA.
Ich kann noch einmal versichern –
FRAU VON CYPRESSENBURG
ärgerlich.
Und ich zum letzten Male sagen, daß Sie gehen soll.
CONSTANTIA
sich gewaltsam unterdrückend und abgehend.
Das übersteigt meine Fassung! Durch die Mitte ab.
[291]
20. Auftritt
Zwanzigster Auftritt
Frau von Cypressenburg. Titus.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Insolente Person das!
TITUS
für sich.

Meine Stellung hier im Hause gleicht dem Brett des Schiffbrüchigen; ich muß die andern hinunterstoßen, oder selbst untergehn. Laut. Oh, gnädige Frau, dieses Frauenzimmer hat noch andere Sachen in sich.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
War sie etwa unhöflich gegen Sie?
TITUS.

Oh, das nicht, sie war nur zu höflich; es sieht kurios aus, daß ich darüber red', aber ich mag das nicht; diese Person macht immer Augen auf mich, als wenn – und red't immer, als ob – und tut immer, als wie – und – ich mag das nicht.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Sie soll fort, heute noch. –
TITUS.

Und dann betragt sich der Friseur auch auf eine Weise; er hat ein fermes Liai son-Verhältnis mit der Kammerfrau, was doch ganz gegen den Anstand des Hauses –

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Den dank' ich ab.
TITUS.

Mich verletzt so was gleich, diese Liebhaberei, dieses Charmieren, ich seh' das nicht gern, Beiseite. ich tu's lieber selber.

FRAU VON CYPRESSENBURG
beiseite.
Welch zartes, nobles Sentiment! Laut. Marquis hat mich zum letzten Male frisiert.
TITUS.
Und dann is noch die Gärtnerin, – na, da will ich gar nichts sagen.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Sprechen Sie, ich will es!
TITUS.
Sie hat mir einen halbeten Heiratsantrag gemacht.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Impertinent!
TITUS.
Einen förmlichen halbeten Heiratsantrag.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Die muß heute noch aus meinem Hause.
TITUS
für sich.
Alle kommen s' fort; jetzt kann ich blonder Jüngling bleiben. Laut. Mir ist leid, daß ich –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Schreiben Sie sogleich an alle drei die Entlassungsbriefe.
[292]
TITUS.
Nein, das kann ich nicht; mein erstes Geschäft als Sekretär darf kein so grausames sein.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Nein, ein edles Herz hat der junge Mann!
21. Auftritt
Einundzwanzigster Auftritt
Vorige. Emma aus der Seitentüre links.

EMMA.

Mama, ich komme, die Constanze zu verklagen, sie hat mich durch ihr Benehmen gezwungen, sie eine dumme Gans zu heißen.

TITUS
für sich.
Daß doch immer eine der andern was vorzurupfen hat.
FRAU VON CYPRESSENBURG.

Du wirst ihr sogleich den Dienst aufkünden, der Constanze mündlich, der Gärtnerin und dem Friseur schriftlich.

EMMA.
Schön, liebe Mama!
TITUS
sich erstaunt stellend.
Mama?!
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Ja, dies ist meine Tochter.
TITUS.
Ah! – nein! – nein! – hör'n Sie auf! – Nein, das ist nicht möglich!
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Warum nicht?
TITUS.
Es geht ja nicht hinaus mit die Jahre.
FRAU VON CYPRESSENBURG
sich sehr geschmeichelt fühlend.
Doch, mein Freund.
TITUS.

So eine junge Dame, und diese große Tochter? nein, das machen Sie wem andern weis; das ist eine weitschichtige Schwester, oder sonst himmelweit entfernte Verwandte des Hauses. Wenn ich Euer Gnaden schon eine Tochter zutrauen soll, so kann sie höchstens – das is aber schon das Höchste – so groß sein –


Zeigt die Größe eines neugebornen Kindes.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Es ist so, wie ich gesagt; man hat sich konserviert.
TITUS.
Oh, ich weiß, was Konservierung macht; aber so weit geht das Konservatorium nicht.
FRAU VON CYPRESSENBURG
huldreich lächelnd.

Närrischer [293] Mensch, – ich muß jetzt zur Toilette eilen, sonst überraschen mich die Gäste; du, Emma, begleite mich. – Zu Titus. Ich sehe Sie bald wieder.

TITUS
wie vom Gefühle hingerissen.

Oh, nur bald!Tut, als ob er über diese Worte vor sich selbst erschrocken wäre, faßt sich, verneigt sich tief und sagt im unterwürfigen Tone. Nur bald ein Geschäft, wo ich meinen Diensteifer zeigen kann.

FRAU VON CYPRESSENBURG
im Abgehen.
Adieu! Mit Emma zur Seitentür links ab.
22. Auftritt
Zweiundzwanzigster Auftritt
Titus allein.

TITUS.

Gnädige! Gnädige! Ich sag' derweil nichts als – Gnädige. – Wie ein'm das g'spaßig vorkommt, wenn ein'm nie eine mögen hat, und man fangt auf einmal zum bezaubern an, das is nit zum sagen. Wann i denk' heut' vormittag und jetzt, das wird doch eine Veränderung sein für einen Zeitraum von vier bis fünf Stund. Ja, die Zeit, das is halt der lange Schneiderg'sell, der in der Werkstatt der Ewigkeit alles zum Ändern kriegt. Manchsmal geht die Arbeit g'schwind, manchmal langsam; aber firtig wird's, da nutzt amal nix, g'ändert wird all's.


Lied.

's war einer von Eisen, hat wütend getanzt,
Dann mit'n Gefrornen sich beim offnen Fenster aufg'pflanzt,
Is g'rennt und g'sprengt zu die Amouren in Karrier,
Spielt und trinkt' ganze Nächt', er weiß vom Bett gar nix mehr,
Nach zehn Jahren is die Brust hektisch, homeopathisch der Mag'n,
Er muß im Juli flanellene Nachtleib'ln trag'n
Und extra ein'n wattierten Kaput, sonst war's z' kühl;
Ja, die Zeit ändert viel.

[294] 's hat einer a Braut; steckt den ganzen Tag dort,
Wenn die Dienstleut ins Bett schon woll'n, geht er erst fort;
Dann bleibt er noch drunt, seufzt aufs Fenster in d' Höh',
Erfrert sich die Nasen vom Dastehn im Schnee,
A halb's Jahr nach der Hochzeit rennt er ganze Täg' aus,
Kommt spät auf die Nacht, oder gar nit nach Haus;
Dann reist er nach Neapel, sie muß in die Brühl. –
Ja, die Zeit ändert viel.

A Sängerin hat g'sungen wie Sphärenharmonie,
Wann s' der Schnackerl hat g'stoßen, war's Feenmelodie.
Diese Stimm', das is was Unerhörtes gewest,
Aus Neid sein die Nachtigall'n hin wor'n im Nest;
Silberglocken war'n rein alte Häfen gegen ihr;
Sechs Jahr' drauf kriegt ihr Stimm' a Schneid wie's Plutzerbier.
Jetzt kraht s' nur dramatisch, frett't sich durch mit'n Spiel;
Ja, die Zeit ändert viel. –

Ah, das is a lieber Knab', artig und nett,
Und schön und bescheiden und gar so adrett,
Er is still, bis man'n fragt, nacher antwort't er drauf,
Wo man'n hinnimmt, da hebt man a Ehr' mit ihm auf;
's machen d' Herren und die Frauen mit dem Knab'n a Spektackel;
Nach zehn Jahren is der Knab a großmächtiger Lack'l,
A Löllaps, der keck in alles dreinreden will;
Ja, die Zeit ändert viel.

A Schönheit hat dreizehn Partien ausg'schlagen,
Darunter waren achte mit Haus, Roß und Wagen,
Zwa Anbeter hab'n sich an ihr'm Fenster aufg'henkt,
Und drei hab'n sich draußen beim Schanzel dertränkt;
Vier hab'n sich beim Dritten Kaffeehaus erschossen,
Seitdem sein a siebzehn Jahrl'n verflossen;
Jetzt schaut s' keiner an, sie kann sich am Kopf stell'n wann s' will;
Ja, die Zeit ändert viel. –

[295]
Hat vor Zeiten einer über ein'n sein' Schöni was g'sagt,
Pumsti hat er a eiserne Ohrfeigen dafragt,
Nach der Klafter haben s' kämpft und gleich auf Tod und Leben;
Alle Daumlang hat's blutige Fehde gegeben.
Jetzt nehmen die Liebhaber das nit a so,
Machen über ihr Schöni selbst scharfe Bonmots,
Für ihr'n Bierhauswitz nehmen s' d' Geliebte als Ziel.
Ja, die Zeit ändert viel. –

Durch die Seitentür rechts ab.
23. Auftritt
Dreiundzwanzigster Auftritt
Herr von Platt. Mehrere Herren und Damen treten während dem Ritornell des folgenden Chores ein.

CHOR.
's ist nirgends so wie in dem Haus amüsant,
Denn hier sind die Karten und Würfel verbannt,
Bei Frau Von Cypressenburg in Soiree,
Da huldigt den Musen man nur und dem Tee.

Während dem Chor haben Bediente einen großen gedeckten Teetisch gebracht und die Stühle gesetzt.
24. Auftritt
Vierundzwanzigster Auftritt
Frau von Cypressenburg, dann Titus. Vorige.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Willkommen meine Herren und Damen! Ist's nicht gefällig?

Alle setzen sich zum Tee.
TITUS
aus der Seitentür rechts.
Ich komme vielleicht ungelegen? –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Wie gerufen. Ihn der Gesellschaft präsentierend. Mein neuer Sekretär.
ALLE.
Ah, freut mich! –
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Titus.
Nehmen Sie Platz. Titus setzt sich.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Dieser Herr wird Ihnen in der nächsten Soiree meine neuesten Memoiren vorlesen.
[296]
ALLE.
Charmant!
HERR VON PLATT.
Schade, daß die gnädige Frau nichts fürs Theater schreiben.
TITUS
zu Herrn von Platt.
Warum tun Sie's denn nicht?
HERR VON PLATT.
Mein Witz ist nicht in der Verfassung, um etwas Lustiges damit zu verfassen.
TITUS.

So schreiben Sie eine traurige Posse. Auf einem düsteren Stoff nimmt sich der matteste Witz noch recht gut aus, so wie auf einem schwarzen Samt die matteste Stickerei noch effektuiert.

HERR VON PLATT.
Aber was Trauriges kann man doch keine Posse heißen?
TITUS.

Nein; wenn in einem Stück drei G'spaß und sonst nichts als Tote, Sterbende, Gräber und Totengräber vorkommen, das heißt man jetzt ein Lebensbild.

HERR VON PLATT.
Das hab' ich noch nicht gewußt.
TITUS.
Is auch eine ganz neue Erfindung, gehört in das Fach der Haus- und Wirtschaftspoesie.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Also lieben Sie die Rührung nicht?
TITUS.

O ja, aber nur, wenn sie einen würdigen Grund hat, und der find't sich nicht so häufig; drum kommt auch eine große Seele langmächtig mit ein'm Schnupftüchel aus, dagegen brauchen die kleinen, guten Ordinariseelerln a Dutzend Fazinetteln in einer Komödie.

FRAU VON CYPRESSENBURG
zu ihrer Nachbarin.
Was sagen Sie zu meinem Sekretär?
25. Auftritt
Fünfundzwanzigster Auftritt
Vorige. Flora.

FLORA
kommt weinend zur Mitte herein.
Euer Gnaden, ich bitt' um Verzeih'n, daß ich –
ALLE
erstaunt.
Die Gärtnerin!
TITUS
betroffen, beiseite.
Verdammt!
FLORA
zu Frau von Cypressenburg.
Ich kann's nicht glauben, daß Sie mich aus dem Dienst geben, ich hab' ja nichts getan!
[297]
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Ich bin über die Gründe, die mich dazu veranlassen, keine Rechenschaft schuldig; übrigens –
FLORA
Titus erblickend und erstaunt.
Was is denn das? Der hat blonde Haar!?
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Was gehen Sie die Haare meines Sekretärs an? Hinaus!
26. Auftritt
Sechsundzwanzigster Auftritt
Vorige. Constantia. Emma.

CONSTANTIA
tritt weinend mit Emma zur Mitte ein.
Nein, das kann nicht sein.
EMMA.
Ich habe Ihr gesagt, was die Mama befohlen.
CONSTANTIA.
Ich bin des Dienstes entlassen?
ALLE
erstaunt sich zu Frau von Cypressenburg wendend.
Im Ernst?
CONSTANTIA.
Euer Gnaden, das hätt' ich mir nicht gedacht; ohne Grund –
HERR VON PLATT.
Was hat Sie denn verbrochen?
CONSTANTIA.
Die Haare des Herrn Sekretärs sind schuld.
FRAU VON CYPRESSENBURG.

Wie lächerlich! Das ist nicht der Grund – Zur Gesellschaft. Übrigens, was sagen Sie zu der Närrin: sie behauptet, er wäre schwarz; nun frag' ich Sie, ist er blond oder nicht?

CONSTANTIA.
Er ist schwarz.
FLORA.
Das sag' ich auch; er ist schwarz.
27. Auftritt
Siebenundzwanzigster Auftritt
Vorige. Marquis.

MARQUIS
zur Mitte eintretend.
Und ich sage, er ist nicht schwarz und ist nicht blond.
ALLE.
Was denn, Herr Friseur?
MARQUIS.
Er ist rot.
ALLE
erstaunt.
Rot?!
TITUS
für sich.

Jetzt nutzt nichts mehr! Aufstehend und die blonde Perücke mitten auf die Bühne werfend. Ja, ich bin rot!

[298]
ALLE
erstaunt vom Teetisch aufstehend.
Was ist das?
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Si donc!
CONSTANTIA
zu Titus.
Ach, wie abscheulich sieht Er aus!
FLORA
zu Titus.
Und die rote Rub'n hat mich heirat'n woll'n?
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Titus.

Er ist ein Betrüger, der meine treuesten Diener bei mir verleumdete; fort, hinaus, oder meine Bediente sollen –

TITUS
zu Frau Cypressenburg.
Wozu? der Zorn überweibt Sie. – Ich gehe –
ALLE.
Hinaus!
TITUS.
Das ist Ottokars Glück und Ende!

Geht langsam mit gesenktem Haupte zur Mitte ab.
CHOR DER GESELLSCHAFT.
Nein, das ist wirklich der Müh' wert,
Hat man je so etwas gehört!

Frau von Cypressenburg affektiert eine Ohnmacht, unter allgemeiner Verwirrung fällt der Vorhang.

Ende des zweiten Aufzuges.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Titus allein, kommt melancholisch hinter dem Flügel des Schlosses hervor.

TITUS.

Das stolze Gebäude meiner Hoffnungen is assekuranzlos abbrennt, meine Glücksaktien sind um hundert Prozent g'fall'n, und somit belauft sich mein Aktivstand wieder auf die rundeste aller Summen, nämlich auf Null. Kühn kann ich jetzt ausrufen: Welt, schicke deine Wälder über mich, Wälder laßt eure Räuber los auf mich, und wer mich um einen Kreuzer ärmer macht, den will ich als ein Wesen höherer Natur verehren. – Halt! – Ich habe ja doch was profitiert bei der G'schicht: einen sehr guten [299] Anzug hat mir das Schicksal gelassen; vielleicht nur als aushienzendes Souvenir an eine gestolperte und auf d' Nasen g'fall'ne Karriere. Also doch eine Ausbeute – dieser schwarze Frack –

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Titus. Georg.

GEORG
welcher während den letzten Worten rasch hinter dem Schloß hervorgekommen ist, ihm in die Rede fallend.
Wird samt Weste und Beinkleid aufs Schloß zurückgeschickt.
TITUS.
Oh, lieber Abgeordneter, wissen Sie, daß Sie eine höchst unangenehme Sendung –?
GEORG.
Nur keine Umständ' g'macht –
TITUS.
Gesetzt, lieber Abgeordneter, ich wär' jetzt schon heidipritsch gewesen? –
GEORG.
Oh, unser Wachter holt jeden Vagabunden ein.
TITUS.

Oder gesetzt, lieber Abgeordneter, ich vergesset das Völkerrecht und schlaget Ihnen nieder und laufet davon, was würden –?

GEORG.
Zu Hülf, zu Hülf'!
TITUS.
Wegen was schrei'n S' denn? Ich frag' ja nur, und a Frag' is erlaubt.
GEORG
nach der Türe der Gärtnerwohnung rufend.
Plutzerkern!
PLUTZERKERN
von innen.
Was gibt's?
GEORG
die Tür der Gärtnerwohnung öffnend und hineinsprechend.
Der wird da sein Vagabundeng'wand wieder anziehen und die honetten Kleider dalassen.
PLUTZERKERN
von innen.
Schon recht.
TITUS
zu Georg.
Sie sind ein äußerst schmeichelhafter Mensch.
GEORG.

Keine Komplimente. In einer Viertelstund' müssen die Kleider da, und Er muß wenigstens Gott weiß wo sein; verstanden? Geht ab hinter dem Schlosse.

[300]
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Titus allein.

TITUS.

O ja, ich versteh' alles. Das Unglück hat mich heimgesucht, ich hab' die Visit im schwarzen Frack empfangen wollen, aber das Unglück sagt: Ich bin ja ein alter Bekannter, ziehen S' ein'n schlechten, zerriss'nen Rock an – machen S' keine Umständ' wegen mir.

PLUTZERKERN
von innen.
No, wird's werden?
TITUS.
Komm' schon! komm' schon! Ab in die Gärtnerwohnung.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Spund. Salome von links auftretend.

SALOME.
Sie hab'n also g'wiß nix Übles vor mit ihm?
SPUND.

Wann ich schon sag', nein, ich tu' ja nur das, was mir der Bräumeister g'sagt hat, denn das is der einzige Mann, der auf mich Einfluß hat.

SALOME.
Und was hat denn der g'sagt?
SPUND.

Er hat g'sagt: »Das haben S' davon, weil S' Ihnen von Jugend auf net um ihn umg'schaut hab'n; jetzt geht er durch und macht der Familie vielleicht Schand und Spott in der Welt.« Drum bin ich ihm nach.

SALOME.
Und woll'n ihn etwa gar einsperr'n lassen?
SPUND.

Ich? für mein Leben gern; aber der Bräumeister hat gesagt: »Das wär' auch eine Schmach für die Familie.«

SALOME.
Ah, gengen S', auf'n leiblichen Vettern so bös –
SPUND.
Oh, es kann einem ein leiblicher Vetter in der Seel' z'wider sein, wenn er rote Haar' hat.
SALOME.
Is denn das ein Verbrechen?
SPUND.

Rote Haar' zeigen immer von ein'm fuchsigen Gemüt, von einem hinterlistigen – und dann verschandelt er ja die ganze Freundschaft; es sein freilich schon alle tot, bis auf mich, aber wie sie waren in unserer Familie, haben wir alle braune Haar' g'habt, lauter dunkle Köpf, kein lichter Kopf zu finden, so weit die Freundschaft reicht, und der Bub' untersteht sich, und kommt rotschädlet auf d' Welt.

[301]
SALOME.
Deßtwegen soll man aber ein'n Verwandten net darben lassen, wenn man anders selber was hat.
SPUND.
Was ich hab', verdank' ich bloß meinem Verstand.
SALOME.
Und haben Sie wirklich was?
SPUND.

Na, ich hoff'. Meine Eltern hab'n mir keinen Kreuzer hinterlassen; ich war bloß auf meinen Verstand beschränkt, das is eine kuriose Beschränkung, das!

SALOME.
Ich glaub's; aber –
SPUND.

Da is nachher eine Godl g'storben, und hat mir zehntausend Gulden vermacht; denk' ich mir, wann jetzt noch a paar sterbeten von der Freundschaft, nachher könnt's es tun. Richtig! Vier Wochen drauf stirbt ein Vetter, vermacht mir 30000 Gulden, den nächsten Sommer kratzt ein Vetter am kalten Fieber ab, ich erb' 20000 Gulden; gleich den Winter drauf schnappt eine Mahm am hitzigen Fieber auf und hinterlaßt mir 40000 Gulden; a paar Jahre drauf noch eine Mahm, und dann wieder eine Godl, alles, wie ich mir's denkt hab'; na, und dann in der Lotterie hab' ich auch 18000 Gulden g'wonnen.

SALOME.
Das auch noch?
SPUND.

Ja, man muß net glauben, mit'm Erben allein is es schon abgetan; man muß was andres auch versuchen; kurzum, ich kann sagen: was ich hab', das hab' ich durch meinen Verstand.

SALOME.
Na, so g'scheit wird der Mussi Titus wohl auch sein, daß er Ihnen beerbt, wann S' einmal sterben.
SPUND.

Mir hat einmal ein g'scheiter Mensch g'sagt: ich kann gar net sterben – warum? hat er nicht g'sagt, das war offenbar nur eine Schmeichelei; aber wenn es einmal der Fall is, so werd' ich schon Leut' nach mein'm Gusto finden für mein Vermögen, ich könnt' das nicht brauchen, daß mir a Rotkopfeter die Schand antät' und erweiset mir die letzte Ehr.

SALOME.
Also tun Sie weder jetzt, noch nach Ihrem Tod was für den armen Mussi Titus?
SPUND.

Ich tu' das, was der Braumeister g'sagt hat; ich kauf' ihm eine Offizin in der Stadt, das bin ich der verstorbenen [302] Freundschaft schuldig; dann gib ich ihm a paar tausend Gulden, daß er dasteht als ordentlicher Mann; dann sag' ich ihm noch a paar Grobheiten wegen die roten Haar', und dann därf er sich nicht mehr vor mir blicken lassen.

SALOME
freudig.
Also machen S' ihn doch vermöglich und glücklich?
SPUND.
Ich tu' das, was der Bräumeister g'sagt hat.
SALOME
traurig für sich.

Ich g'freu' mich drüber, und wann er nicht mehr arm is, is er ja erst ganz für mich verlor'n. Seufzend. Mir hat er jo nix wollen.

SPUND.
Und als was is er denn im Schloß?
SALOME.
Das weiß ich net, aber bordiert is er vom Kopf bis zum Fuß voll goldene Borten.
SPUND.

Das is Livree! O Schandfleck meiner Familie! Der Neveu eines Bierversilberers voll goldene Borten! Ich parier', die ganze Freundschaft hat sich umkehrt im Grab; Skandal ohnegleichen! Führ' Sie mich g'schwind hinauf, ich beutl' ihn heraus aus der Livree – nur g'schwind! Ich hab' keine Ruh', bis die Schmach getilgt is, und meine Freundschaft wieder daliegt im Grab, wie es sich g'hört.

SALOME.
Aber lassen S' Ihnen nur sagen –
SPUND
äußerst agitiert.
Vorwärts, hab' ich g'sagt – Leuchter voran! Treibt sie vor sich hinter dem Schlosse ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Flora, dann Plutzerkern.

FLORA
tritt von links auf.
He! Plutzerkern! Plutzerkern!
PLUTZERKERN
aus der Gärtnerwohnung kommend.
Was schaffen S'?
FLORA.
Der Mensch ist doch schon fort, hoff ich?
PLUTZERKERN.
Nein, er is noch nicht fertig.
FLORA.
Er soll sich tummeln.
PLUTZERKERN
boshaft.
Wünschen Sie vielleicht ein Abschiedssouper in zweien, bei dem ich überflüssig bin?
FLORA.
Dummkopf!
PLUTZERKERN.

Ich hab' nur glaubt, weil Sie sich z' Mittag so [303] um ihn g'rissen hab'n; jetzt wär' die Gelegenheit günstig, jetzt schnappt ihn Ihnen die Kammerfrau doch nit mehr weg.

FLORA.
Halt' Er's Maul und schick' Er ihn fort.
PLUTZERKERN
in die Gärtnerwohnung rufend.
Mach' der Herr einmal, daß er weiterkommt.
TITUS
von innen.
Gleich.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Vorige. Titus.

TITUS
in seinem schlechten Anzug wie zu Anfang des Stückes, aus der Gärtnerwohnung kommend.
Bin schon da.
FLORA.
Sehr gefehlt für einen Menschen, der schon fort sein soll.
TITUS.

Die Gärtnerin, die auch an meinem Haar ein Haar g'funden hat! Wollen Sie mir vielleicht gütigst was mitgeben auf'n Weg?

FLORA.

Für die kecke Täuschung, die Er sich gegen mich erlaubt hat, was mit geben? Ich will lieber nachschau'n, ob Er nichts mit g'nommen hat.


Geht, ihn verächtlich messend, in ihre Wohnung ab.
TITUS
entrüstet.
Was!? –
PLUTZERKERN.

Ja, ja, man kann nicht wissen; Ihn ebenfalls verächtlich messend. Haariger Betrüger!Geht in die Gärtnerwohnung ab.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Titus, dann später Georg.

TITUS
allein.

Impertinentes Volk! – Das is wahr, recht liebreich behandeln ein'm d' Leut, wenn ein'm der Faden ausgeht. Im Grund hab' ich's verdient, ich hab' mich auch nicht sehr liebreich benommen, wie ich obenauf war. – Lassen wir das; es wird Abend, in jeder Hinsicht Abend; die Sonne meines Glücks und die wirkliche Sonne sind beide untergegangen im Okzident – wohin sich jetzt [304] wenden, daß man ohne Kreuzer Geld ein Nachtquartier find't – das ist die schwierige okzidentalische Frage. – Das Schloß und die Gärtnerwohnung betrachtend. Zimmer gäbet's da g'nug, aber ich schein' eine Kost zu sein, die der Magen dieser Zimmer nicht vertragt.

GEORG
kommt hinter dem Schlosse hervor und tritt Titus mit einem sehr artigen Komplimente entgegen.
Herr von Titus?
TITUS
über diese Höflichkeit frappiert.
Ich bitt' mir's aus, mich nicht für einen Narren z' halten.
GEORG.

Ich weiß recht gut, für was ich Ihnen zu halten hab'; Beiseite. ich darf's aber net sagen. Laut. Sie möchten aufs Schloß kommen.

TITUS
erstaunt.
Ich!?
GEORG.
Zu der Kammerfrau.
TITUS.
Ich? Zu der Madam Constantia?
GEORG.

Dann vielleicht auch zu der gnädigen Frau; aber nicht gleich, erst in einer halben Stund'; Sie können derweil da im Garten spazier'n gehn.

TITUS
für sich.

Unbegreiflich! – aber ich tu's. – Zu Georg. Ich werd' warten und dann erscheinen, wie befohlen. Wollten Sie aber nicht die Güte haben, dort – Nach links deutend. sind Gartenleute – und ihnen sagen, daß ich mit herrschaftlicher Erlaubnis hier promeniere, denn nach dem Sprichwort: »Undank is der Welt Lohn«, hab' ich Grund zu vermuten, daß sie für das, daß ich s' heut' traktiert hab', jetzt Hinauswerfungsversuche an mir tentiereten.

GEORG.
Oh, ich bitt', Herr von Titus, das werden wir gleich machen. Geht, sich artig verneigend, ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Titus allein.

TITUS.

Ich reim' mir das Ding schon zusamm'n: die Gnädige wird in einem Anfall von Gnad' in sich gegangen sein, eing'sehen haben, daß sie mich als armen Teufel zu hart behandelt hat, und ruckt jetzt zum Finale mit einer Wegzehrung heraus. – Halt!Von einer Idee ergriffen. um diesen [305] Zweck noch sicherer zu erreichen, erweis' ich ihr jetzt eine zarte Aufmerksamkeit; – In die Tasche greifend. ich hab' ja da noch – sie kann die roten Haare net leiden – ich hab' da die graue Perücken vom einstmaligen Gartner im Sack, Zieht sie hervor. mit der mach' ich jetzt meine Abschiedsvisite, dann laßt s' g'wiß was springen. Ich probier's jetzt mit der grauen. Schwarze und blonde Haar' changieren sehr bald die Farb', so hat auch für mich bei beiden nur eine kurze Herrlichkeit herausg'schaut; die grauen Haare ändern sich nicht mehr, vielleicht mach' ich mit die grauen ein dauerhaftes Glück. Geht links im Vordergrund ab.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Flora. Plutzerkern.

FLORA
noch von innen.

Hab' ich's aber nicht g'sagt, daß wir so was erleben? Kommt ärgerlich aus ihrer Wohnung. Oh, ich kenn' meine Leut'. Zu Plutzerkern. Du laufst ihm nach.

PLUTZERKERN.
Es is aber nicht der Müh' wert.
FLORA.

Er hat die Perücken von mein'm seligen Mann g'stohlen, die is für mich unschätzbar, wann ich mich kapriziere.

PLUTZERKERN.
Hören S' auf, 's sein Schaben drin.
FLORA.
Du laufst ihm nach und entreißt ihm den Raub –
PLUTZERKERN.
Da kriegt er keine zwei Groschen dafür.
FLORA.
Nachlaufen, hab' ich g'sagt, g'schwind!
PLUTZERKERN
indem er langsam hinter der Gärtnerwohnung abgeht.
Ich werd' schau'n, daß ich ihn einhol', glaub' aber net. Ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Flora, dann Georg.

FLORA
sehr ärgerlich.

Ewig schad', daß's schon Abend is; jetzt hat der Wachter schon sein'n Rausch, sonst ließ' ich ihn einsperren, den impertinenten Ding, der sollt' denken an mich.

[306]
GEORG
aus dem Vordergrund links auftretend.
Was is denn, Frau Gärtnerin, warum denn so im Zorn?
FLORA.
Ach, weg'n dem herg'loff'nen Filou.
GEORG.

Pst! Halt! Ehre dem Ehre gebührt, ich hab' ihn früher auch einen Vagabunden g'heißen, aber er hat einen steinreichen Herrn Onkel, der is ankommen, nimmt sich an um ihn, kauft ihm in der Stadt die erste Offizin, denn er is ein studierter Balbierer, dann schenkt er ihm viele tausend und tausend Gulden.

FLORA
äußerst erstaunt und betroffen.
Hör'n Sie auf! –
GEORG.

Wie ich Ihnen sag'; – ich hab' ihn grad aufs Schloß b'stell'n müssen, den Mussi Titus, er därf noch nix wissen, aber »Herr von« hab' ich doch zu ihm g'sagt, denn Ehre dem Ehre gebührt. Geht hinter dem Schlosse ab.

11. Auftritt
Eilfter Auftritt
Flora, dann Titus, dann Salome.

FLORA
allein.

Diese Nachricht is auf Krämpf' herg'richt't, und ich hab' den Menschen so grob behandelt. Jetzt heißt's umstecken und alles dransetzen, daß ich Frau Balbiererin werd'; es wär' ja nur auf'm Land ein Malheur, in der Stadt kann man's schon aushalten mit ein'm rotkopfeten Mann. Dort kommt er; Nach links sehend. Ich will mich stellen, als ob's mich reuet. – Was stellen! ich bin ja wirklich vor Reue ganz außer mir.


Quodlibet-Terzett.
FLORA.
Titus! Titus!
TITUS
aus dem Hintergrunde links.
Die Gärtnerin ruft mich zu sich.
FLORA.
Ach, Herr Titus, hören S' mich;
TITUS.
D' Gartnerin rufet mich zu sich?
[307]
FLORA.
Ach, Herr Titus, hören S' mich;
's laßt mir kein' Rast und keine Ruh'.
TITUS.
Was S' z' sag'n hab'n, reden S', ich hör zu.
FLORA.
Bereuen kann man nie zu fruh.
TITUS.
Der Abschied, hör'n Sie, war schmafu.
FLORA.
's laßt mir kein' Rast und keine Ruh'.
TITUS
zugleich.
Was S' z' sag'n hab'n, red'n S', ich hör' zu.
FLORA.
Bereuen kann man nie zu fruh.
TITUS
zugleich.
Der Abschied, hören Sie, war schmafu.
FLORA.
Bereuen kann man, nein, das kann man nie zu fruh.
TITUS
zugleich.
Der Abschied, hör'n Sie, der war wirklich sehr schmafu.
FLORA.
Tun Sie nicht von mir sich wenden,
Und mir Hasses Blicke senden;
Nicht vertrag' ich's.
TITUS.
Na, was is denn?
FLORA.
Ich vergehe. –
TITUS.
Versteht si.
FLORA.
Weh' mir!
TITUS.
Wird man von solchen Leuten
[308] Malträtiert, das greift ans Herz;
Fern von eurem flachen Lande
Schließ' ich andre Liebesbande;
In d' Schweiz zieht der Verkannte;
Dort heilt a Kuhdirn den tief'n Schmerz.
FLORA.
Meiner Gall' war i früher nicht Meister,
Vergeben Sie und sein Sie nicht hart;
Es rächen sich die großen Geister
Ja immer nur auf edle Art.
TITUS.
Nein, größere, süßere Rache,
Wie die Ehre, wie die Liebe sie fordert –
FLORA.
Willst du schon wieder gehn?
TITUS.
Ja, ich will gehn, froh und frei,
Nie deinen Tempel sehn.
FLORA.
Ach, du kannst nicht begreifen, nicht fühlen,
Welche Qualen die Brust mir durchwühlen,
Diese Flammen, die nie mehr zu kühlen,
Wie von Reue das Herz mir bricht!
Ja, dich nenn' ich mein teures Leben,
Dich mein einziges, glühendes Streben;
Willst du grausam mir nimmer vergeben,
Erwidern die Tränen mit Hohn,
Willst du grausam mir nimmer vergeben,
Erwidern nur Hohn, –
TITUS.
Umsonst die G'schicht, hast nix davon radara –
SALOME
kommt.
Ich hab' wahrlich keinen Grund,
Ein lustig's G'sicht zu machen,
Und doch öffnet sich mein Mund,
Herzlich jetzt zu lachen.
Wie der dicke Herr im Schloß
[309] Sich benimmt, is g'spaßi,
Da hat er's gegeb'n ganz groß,
Droben is er dasi. – Hahaha!
SALOME.
Was is das, jetzt bei der?
FLORA.
Was will denn die da?
TITUS.
D' Salome,
Soll die mich hier als Flegel sehen?
SALOME.
Zum Malheur, –
FLORA.
Titus! Grob därfen S' jetzt nit sein.
TITUS.
Wenigstens zum Schein –
FLORA.
Wir sind nicht mehr allein.
TITUS.
Will ich all's verzeih'n.
FLORA.
Ich muß wieder erringen,
TITUS
zugleich.
Schwerlich wern S' mich erringen.
FLORA.
Was ich verlor, was ich verlor,
SALOME
zugleich.
's soll nicht sein.
TITUS
zugleich.
Denn wohlgemerkt –
FLORA.
Und was mein Glück allein ja –
TITUS
zugleich.
Ich hab' nur g'sagt zum Schein.
FLORA.
Was mein Glück allein, allein.
TITUS
zugleich.
Nur g'sagt zum Schein, zum Schein.
[310]
TITUS.
Ach, sie im Netz zu sehen,
Ach, ich muß es gestehen,
Ja, leicht wär' es geschehen,
Doch nein, nein, nein, ich will das nicht,
Die Liebe dideidldidum,
Erfüllet dideidldidum
Mich gar nicht dumdidldidum,
Für sie durchaus nein,
Ach sie im Netz zu sehen,
Ich muß es gestehen,
Leicht wär' es geschehen,
Doch nein! ihrer Liebe Sehnen
Still beglückt zu krönen
Darf ich nicht entbrennen, nein!
FLORA.
Man schmeichelt sich mit Hoffnung oft,
Zu Wasser wird, was man gehofft,
Bei mir soll's nicht zu Wasser wer'n,
Das Glück hat halt die Witwen gern,
Wenn man glaubt, man hat das Glück
Schon sicher im Haus,
Husch, husch, husch, im Augenblick
Beim Fenster rutscht's hinaus.
Man schmeichelt sich mit Hoffnung oft,
Zu Wasser wird das, was man hofft,
Mir soll's nit zu Wasser wer'n,
Das Glück hat mich zu gern.
SALOME.
Mein Bruder, der Jodl, singt so:
Ja, mit die Madln da is richti, richti, richti,
Allemal a rechter G'spaß,
Tun s' vor'n Leuten noch so schüchti, schüchti –
Was man z' denken hat, man waß's,
Und ich bin a schöner Kerl, Kerl, Kerl,
G'wachsen wie a Pfeifenröhrl, -röhrl, -röhrl,
Unter den Männern schon die Perl, Perl, Perl,
[311] Drüber laßt sich gar nix sag'n,
Ich hab' Rosomi im Schädel, Schädel, Schädel,
Darum bin i stolz und bettel', bettel', bettel',
Nit erst lang um so a Mädl, Mädl, Mädl,
Obs d' nit doni gehst von Wag'n, von Wag'n, von Wag'n,
Obs d' nit doni gehst vom Wag'n.
ALLE DREI.
Bald wird's anders werden,
Couragiert auf den Weg,
Der zum Ziel uns führt,
Fortmarschiert, so lang, bis's besser wird.
's Glück is rund,
Darum geht's auf der Welt so bunt,
Ohne Grund
Liegt man g'schwind öfters drunt.
FLORA, SALOME.
Wir sein nix als –
TITUS.
Wir sein nix als – Wir sein nix als –
FLORA, SALOME.
Narren des Schicksals,
TITUS.
Narren des Schicksals, Narren des Schicksals,
FLORA, SALOME.
Wenn man sich alles, wenn man sich all's,
TITUS.
Wenn man sich all's, wenn man sich all's
ALLE DREI.
Gleich zu Herzen,
Wenn man sich alles z' Herzen nimmt,
Wenn nur frohe Hoffnung glimmt,
Endigt alles gut bestimmt,
Ta, ta, ta. Dum, dum, dum.
FLORA, SALOME.
's laßt sich drüber nix sag'n
Mit ein'm orndlichen Mag'n.
[312]
TITUS.
Mit ein'm orndlichen Mag'n.
ALLE DREI.
Man kann alles ertrag'n,
Kann man alles ertrag'n.

Flora rechts, Titus hinter dem Schloß und Salome links gegen den Hintergrund ab.
Verwandlung.
Gartensaal im Schlosse mit Bogen und Glastüren im Hintergrunde, welche die Aussicht auf eine Terrasse und den mondbeleuchteten Garten eröffnen, rechts und links eine Seitentür. Lichter auf den Tischen zu beiden Seiten.
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Constantia allein, aus der Seitentüre rechts.

CONSTANTIA.

Wer hätte dem Friseur das zugetraut, mit einem stolz hingeworfenen: »Adieu, Madame!« hat er sich für immer losgesagt von mir. Eine gewöhnliche Witwe könnte das außer Fassung bringen, mich, Gott sei Dank, kostet es nur einen Blick, und ein anderer Bräutigam, Monsieur Titus, liegt zu meinen Füßen. Wenn nur die gnädige Frau, die sich so gütig der Sache annimmt, den alten Spießbürger schon herumgekriegt hätte, daß er Titus als seinen Erben erklärt.

13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Vorige. Frau von Cypressenburg.

FRAU VON CYPRESSENBURG
aus der Seitentür links kommend.
Constanze. –
CONSTANTIA
ihr entgegeneilend.
Euer Gnaden! –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Es geht nicht.
CONSTANTIA.
Wär's möglich?
FRAU VON CYPRESSENBURG.

Ich habe mich eine halbe Stunde abgequält mit dem Manne, aber seine lederne Seele ist [313] undurchdringlich für den Tau der Beredsamkeit. Er will ihn etablieren, weiter nichts, auf Erbschaft hat er keine Hoffnung.

CONSTANTIA.

Hm! Sehr fatal. Ich glaubte, es würde so leicht gehen, habe schon den Notarius Falk, der heraußen seine Sommerwohnung hat, rufen lassen. – Versuchen wir es noch einmal, gnädige Frau, setzen wir ihm beide zu.

FRAU VON CYPRESSENBURG.

Wenn du glaubst; ich habe dich heute aus Übereilung sehr ungerecht behandelt, und will das durch wahre mütterliche Sorgfalt wieder gutmachen.

CONSTANTIA
ihr die Hand küssend.
Sie sind so überaus gnädig –
FRAU VON CYPRESSENBURG
indem sie, von Constantia begleitet, in die Seitentür links abgeht.
Ich habe aber wenig Hoffnung; es müßte nur sein, daß das Wiedersehen seines Neffen –
CONSTANTIA.
Der muß jeden Augenblick hier sein. Beide in die Seitentür links ab.
14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Konrad führt Titus, welcher die graue Perücke auf hat, durch die Glastür von der Terrasse in den Saal.

TITUS
im Eintreten.
Aber, so sag' Er mir nur –
KONRAD.

Ich darf nix sag'n. Ihn erstaunt anglotzend. Aber was is denn das? Sie haben ja eine graue Perücken auf.

TITUS.
Geht Ihm das was an? Ich bin herb'stellt; meld' Er mich und damit Punktum.
KONRAD.
Na gleich, gleich! Geht in die Seitentür links ab.
15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt
Titus allein. Später Konrad zurück.

TITUS
allein, aufs Herz deutend.

Es wird mir a bißl an'n Stich da geben, wenn ich die Constantia sehe; ach, nur dran denken, wie sie g'sagt hat: »Gott, wie abscheulich sieht er aus!« So eine Erinnerung is ein Universalmittel gegen alte Bremsler. Sie soll Kammerfrau bleiben, wo sie will, meine Herzenskammern die bezieht sie nicht mehr, die [314] verlaß ich an einen ledigen Jungg'sellen und der heißt: »Weiberhaß!«


Konrad tritt ein.
TITUS
zu ihm.
Hat Er mich angemeldet?
KONRAD.
Nein, die gnädige Frau diskuriert, und da darf man sie nicht unterbrechen.
TITUS.
Aber ich bin ja –
KONRAD.

Keine Ungeduld; wart' der Herr da, oder – Nach rechts deutend. in dem Zimmer drin. In einiger Zeit werd' ich sehn, ob es Zeit sein wird, Ihn zu melden. Rechts ab.

16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt
Titus allein.

TITUS.

Fahr ab, du bordierte Befehlerfüllungsmaschine. Das is auch einer aus der g'wissen Sammlung. – Das Leben hat eine Sammlung von Erscheinungen, die wahrscheinlich von sehr hohen Wert sind, weil sie den Ungenügsamsten zu der genügsamen Äußerung hinreißen »Da hab' i schon g'nur.«


Lied.

's kommt ein'm einer ins Zimmer,
Man fragt, was er will?
»Ich bitt' um Unterstützung, hab' Unglück g'habt viel;
Such' Beschäftigung, doch's is alles b'setzt überall,
Ich bin kränklich, war jetzt erst zehn Wochen im Spital«;
Dabei riecht er von Branntwein in aller Fruh',
Da hab' i schon g'nur.

»Die G'schicht wird mir z' auffallend schon«, schreit der Mann,
»Ich weiß nicht, was d' hast«, lispelt d' Frau, »hör nur an,
Daß der Mensch mir so viel zarte Achtung erweist,
Das g'schieht aus Bewunderung nur für meinen Geist,
Das, was du für Liebe hältst, ist Freundschaft nur«,
Na, da hab' i schon g'nur. –

[315] A Madl hat ein'n Bornus mit kirschrote Quasten;
I parier', sie hat batistene Wäsch in ihr'm Kasten,
's Kleid is von Asphalt, nach dem neuesten Schnitt;
Drauf kommt s' zu ein'n Lackerl, drüber macht s' ein'n Schritt,
Bei der Gelegenheit da geht ihr der Rock etwas vur,
Na, da hab' i schon g'nur. –

I vergaff' mi in a Madl, ganz einfach gekleid't,
Ich begehr's von die Eltern, war'n recht rare Leut;
Sie sag'n gleich: Da hab'n Sie's, kann Hochzeit sein morgen,
Nur müssen Sie uns auch, als d' Eltern, versorgen;
Die elf G'schwistert, die brauchen S' ins Haus z' nehmen nur,
Na, da hab' i schon g'nur.

Vor mir reden zwei Fräuleins, war a g'spaßig's Gewäsch,
I hör': »Oui« und »peut-etre« – 's war richtig Französch:
»Aller vous o jourd'hui au Theater – Marie?«
»Nous allons«, sagt die andre: »Au quatriene Gallerie,
Jai, aller avec Mama au Theatre toujour«,
Da hab' i schon g'nur.

Zur Seitentür links ab.
17. Auftritt
Siebenzehnter Auftritt
Frau von Cypressenburg. Constantia, dann Titus.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Wo er nur so lange bleibt?
CONSTANTIA.
Georg sagt' mir doch –
TITUS
aus der Seitentür rechts.
Meinen Euer Gnaden mich?
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Ah, da sind Sie ja. – Sie werden staunen.
CONSTANTIA
mit Verwunderung Titus graue Perücke bemerkend und Frau von Cypressenburg darauf aufmerksam machend.
Gnädige Frau! sehen Sie doch –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Was is denn das?
[316]
TITUS
auf seine Perücke deutend.

Diese alte Katherl war die einzige, deren ich mich bemächtigen konnte; ich benütze sie, um die, Ihr Nervensystem verletzende, Couleur zu verdecken.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Hm, so arg ist es nicht, ich bin nur manchmal so kindisch.
TITUS.
Kindisch? Diese Eigenschaft sieht Ihnen der schärfste Menschenkenner nicht an.
CONSTANTIA.
Rote Haare stehen im Grunde so übel nicht.
TITUS
erstaunt.
Das sagen Sie, die doch –?
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Jetzt legen Sie aber schnell die Perücke ab, denn es wird jemand –
CONSTANTIA
Spund bemerkend, welcher bereits aus der Seitentür links getreten ist.
Zu spät, da ist er schon.
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Spund.
Hier Ihr Neffe, Herr Spund. Geht in die Seitentür links ab.
CONSTANTIA
für sich.
Jetzt mag er sehen, wie er mit ihm zurecht kommt. Folgt der Frau von Cypressenburg.
18. Auftritt
Achtzehnter Auftritt
Titus. Spund. Später Konrad.

TITUS
erstaunt.
Der Herr Vetter?! – Wie kommen denn Sie daher?
SPUND.
Auf eine honettere Art als du. Durchgehen is nicht meine Sach!
TITUS.
Ja, freilich, wenn man einmal Ihre Dicken hat, dann geht man nicht leicht wo durch.
SPUND.

Du Makel der Familie du. Kommt näher auf ihn zu, und erblickt mit Staunen die grauen Haare. Was is denn das!? Graue Haare? –

TITUS
für sich, betroffen.
Ui je! –
SPUND.
Du bist ja rotkopfet?
TITUS
sich schnell fassend.
Ich war es.
SPUND.
Und jetzt? –
TITUS.
Jetzt bin ich grau.
SPUND.
Das is ja nicht möglich –
[317]
TITUS.
Wirklichkeit is immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit.
SPUND.
Du bist ja erst sechsundzwanzig Jahr'?
TITUS.

Ich war es gestern noch; aber der Kummer, die Kränkung, daß ich verlassen von meinem einzigen leiblichen Herrn Vettern als hülfloser Durchgänger in die Welt hab' müssen, hat mich um ein Jahrtausend älter gemacht; ich bin über Nacht grau geworden.

SPUND
verblüfft.
Über Nacht?
TITUS.

Schlag Sieben bin ich fort von z' Haus, drei Viertelstund später schau' ich mich in den Spiegel der Unglücklichen, ins Wasser hinein, da war mir, als wenn meine Haar so g'wiß g'sprengelt wären. Ich schieb' das auf die Dämmerung, wähle den Linigraben zur Untertuchet, deck' mich mit die Nachtnebel zu, schlaf' ein; – Schlag Mitternacht wecken mich zwei Frösch' auf, die auf meinem Halstüchel zu disputieren anfangen, da gibt mir ein Anfall von Desperation den klugen Einfall, mir einige Hände voll Haare ausz'reißen, sie waren grau; – ich schieb' das auf den Silbersichelreflex der Mondenscheibe, schlaf' weiter. Auf einmal scheucht mich ein ungeheures Milliweiberg'schnatter auf aus dem tiefsten Linigrabenschlummer – es war heller Morgen, und neben mir macht grad ein Rastelbinder Toilett, er schaut sich in einem Glasscherben, der vielleicht einst Spiegel war, ich tu' desgleichen, und ein eisgrauer Kopf, den ich nur an dem beigefügten Gesicht für den meinigen erkenne, starrt mir entgegen.

SPUND.
Das wär' ja unerhört!
TITUS.

Oh, nein, die Geschichte spricht dafür. Da war zum Beispiel ein gewisser Belisar, von dem haben S' g'wiß g'hört?

SPUND.
Belisar? War das nit ein Bierversilberer?
TITUS.
Nein, er war römischer Feldherr. Den hat seine Frau durch'n Senat d' Augen auskratzen lassen.
SPUND.
Das tun sonst d' Weiber selber.
TITUS.

Die hat aber den Codex Justinianus z' Hülf' g'nommen. [318] Das nimmt sich der Mann zu Herzen, und in dreimal vierundzwanzig Stund' is er grau. Jetzt denken Sie, Herr Vetter, das, wozu ein römischer Feldherr drei Täg' hat braucht, das hab' ich über Nacht geleistet, und Sie, Herr Vetter, sind der Grund dieser welthistorischen Begebenheit.

SPUND
sehr ergriffen.

Titus, Bub, Blutsverwandter – ich weiß gar nit, wie mir g'schieht – ich bin der Vetter einer welthistorischen Begebenheit! –Schluchzend. Neunzehn Jahre hab' ich net g'weint, und jetzt kommt das Ding völlig schußweis.


Trocknet sich die Augen.
TITUS.
Is gut, wenn das alte Bier herauskommt.
SPUND
die Arme ausbreitend.
Geh her, du eisgrauer Bub! Umarmt ihn.
TITUS
ihn ebenfalls umarmend.
Vetter Spund! –Prallt plötzlich heftig aus seinen Armen zurück.
SPUND
darüber erstaunt.
Was springst denn weg, als wie ein hölzerner Reif?
TITUS
für sich.

Bei ein'm Haar hätt' er mich beim Zopfen erwischt. Laut. Sie hab'n mich so druckt, mit Ihr'm Ring, glaub' ich.

SPUND.
Sei nicht so heiklich; her da an das Vetterherz! Umarmt ihn derb.

Titus hält während der Umarmung mit der rechten Hand seinen Zopf in die Höhe, damit er Spund nicht in die Hände kommt.
SPUND
ihn loslassend.

So! – Übrigens, daß ich dich nicht mehr druck' mit dem Ring – Zieht einen dicken Siegelring etwas mühsam vom Finger.

TITUS
währenddem beiseite.

Wenn der den Zopfen sieht, so is's aus; denn das glaubet er mir doch nicht, daß mir aus Kränkung ein Zopfen g'wachsen is.

SPUND
ihm den Ring gebend.

Da hast d' ihn. Du mußt wissen, daß ich da bin, um dich als g'machten Mann in die Stadt zuruckz'führen, daß ich dir eine prächtige Offizin kauf' – daß ich –

TITUS
freudig.
Herr Vetter! –
SPUND.

Aber wie du ausschaust, der Rock – ich muß dich [319] der gnädigen Frau vorstellen als meinigen Verwandten, und dann is noch wer drin –

TITUS
erschrocken.
Etwan der Friseur? –
SPUND.

Friseur? Lacht mit tölpischer Schalkhaftigkeit. Du Bub du, stell dich net so; ich hab' schlechte Augen, aber der Person hab' ich's recht gut ang'sehn, auf was es abg'sehn is. Wenn nur der Rock –


Konrad tritt aus der Seitentür rechts und will zur Mitte ab.
SPUND
zu Konrad.
Oh, Sie, sein S' so gut, hab'n S' keine Bürsten?
KONRAD.

A Bürsten? Ich glaub'. Sich an die Tasche fühlend. Richtig, ich hab s' da im Sack bei mir. Gibt Spund die Bürste.

SPUND.
So, geben S' her; können schon wieder gehn.

Konrad zur Mitte ab.
SPUND
zu Titus.
Jetzt geh her, daß ich dich a bissel sauber mach'. –
TITUS
betroffen.
Was wollen S' denn?
SPUND.
Drah dich um –
TITUS
in großer Verlegenheit.
Sie wer'n doch als Herr Vetter nicht Kleiderputzersdienst' an dem Neffn üben?
SPUND.

Ich bedien' nicht den Neffen, ich bürst' einer Naturerscheinung den Rock aus, ich kehr' den Staub ab von einer welthistorischen Begebenheit, das entehrt selbst den Bierversilberer net. Drah dich um!

TITUS
in größter Verlegenheit, für sich.
Gott, wann der den Zopfen sieht! – Laut. Fangen S' vorn an.
SPUND.
Is a recht.

Bürstet an Titus Kleidern.
TITUS
in höchster Angst, für sich.
Schicksal, gib mir eine Scher', oder ich renn' mir ein Messer in den Leib!
SPUND
etwas tiefer bürstend.
Schrecklich, wie sich der Bub zug'richt' hat.
TITUS
für sich.

Is denn keine Rettung, es muß blitzen. Blickt nach der ihm gegenüberstehenden Seitentür links, welche sich etwas öffnet und aus welcher nur Constantiens Arm mit einer Schere in der Hand sichtbar wird. Ha! Da blitzt ein blanker Stahl in meine Augen; die Himmlische zeigt mir eine englische Scher'! –

SPUND.
Drah dich um, sag 'ich!
[320]
TITUS.

Da stell'n wir uns herüber. Geht, ohne seine Rückseite gegen Spund zu wenden, auf die linke Seite der Bühne, so, daß er mit dem Rücken nahe an der Seitentür links zu stehen kommt. Da is die wahre Lichten. Langt zurück und nimmt aus Constantiens Hand die Schere.

SPUND.
So drah dich um!
TITUS.
Nein, jetzt werden S' vorn noch a Menge Staub bemerken.

Während Spund noch an den Vorderklappen des Rockes bürstet, schneidet er sich rasch den Zopf ab.
SPUND.
Nicht wahr is; jetzt umdrahn amal.

Wendet ihn herum.
TITUS
zieht während dieser Wendung den abgeschnittenen Zopf mit der linken Hand vorne über den Kopf herab, so, daß Spund, welcher den Rücken des Rockes ausbürstet, nichts bemerken kann – für sich.
Habe Dank, Schicksal, die Amputation is glücklich vorüber.
SPUND
indem er bald aufhört zu bürsten.

Schau, Titus, du bist a guter Kerl, du hast dich g'kränkt um einen hartherzigen Vettern, und warum war ich hartherzig? weil du rote Haar' hast g'habt; die hast aber jetzt nicht mehr, es is also kein Grund mehr vorhanden, ich kann jetzt net anders, ich muß weichherzig wer'n. Du bist mein einziger Verwandter, du bist – mit einem Wort, du bist so viel als mein Sohn, du bist mein Universalerb'.

TITUS
erstaunt.
Was!?
19. Auftritt
Neunzehnter Auftritt
Vorige. Frau von Cypressenburg. Notarius Falk. Constantia.

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Universalerbe, das is das rechte Wort, welches wir von Ihrem Herzen erwartet haben.
CONSTANTIA.

Wir haben auch gar nicht daran gezweifelt, und zufällig ist der Herr Notarius da, welcher derlei Urkunden immer in Bereitschaft hat.

SPUND.
Nur her damit.

Notarius zieht eine Schrift hervor, und detailliert Spund im stillen die Hauptpunkte derselben.
[321]
TITUS
für sich, mit Beziehung auf Constantia.
Das geht ja über Hals und Kopf; die betreibt ja meine Erbschaft viel eifriger als ich selber.
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Titus.

Sehen Sie, wie das gute Geschöpf Auf Constantia deutend. für Ihr Bestes sorgt. Ich weiß alles und willige gern in den Bund, den Liebe schloß, und Dankbarkeit befestigen wird.


Titus verneigt sich stumm.
SPUND
zum Notarius.

Schön, alles in bester Ordnung. Man führt Spund zum Tische, worauf Schreibzeug steht, und er setzt sich zum Unterschreiben.

TITUS
für sich.

Daß er mir ein Gewerb kauft, das kann ich annehmen, er is mein Blutsverwandter; aber durch einen Betrug sein Universalerb' wer'n, das mag ich doch nicht. Laut zu Spund, welcher eben die Urkunde unterzeichnen will. Halt, Herr Vetter! erlauben S' –

SPUND.
Na? bist etwan noch nicht z'frieden?
20. Auftritt
Zwanzigster Auftritt
Vorige. Flora zur Mitte eintretend.

FLORA.
Gnädige Frau, ich komm' –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Zur ungelegenen Zeit.
FLORA.
Um Rechnung zu legen –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Hab' ich Ihr nicht gesagt, daß ich Sie wieder behalte?
FLORA.

Ja, aber – es ist zwar noch nicht gewiß, aber es könnt' vielleicht sein, daß ich in die Stadt heirat', warum soll ich's geheimhalten, der Mussi Titus –

FRAU VON CYPRESSENBURG.
Was?!
CONSTANTIA
zugleich.
Impertinent!
SPUND.
Wie vielen hast denn du's Heiraten versprochen in der Desperation?
TITUS.
Versprochen? Gar keiner.
SPUND.
Übrigens, das is Nebensach'; heirat, wem du willst, du bist Universalerb'.
[322]
21. Auftritt
Einundzwanzigster Auftritt
Vorige. Salome.

SALOME
zur Mitte hereineilend.

Mussi Titus! Mussi Titus! Erschrickt über die Anwesenden, ohne jedoch Flora zu bemerken, und bleibt unter der Tür stehen.

FRAU VON CYPRESSENBURG, NOTARIUS UND CONSTANTIA.
Was soll das?
SALOME
schüchtern.
Ich bitt' um Verzeihn –
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Was hat die Person hier zu suchen?
SALOME.
Den Mussi Titus; die Frau Gartnerin schreit ihn für einen Dieb aus.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Die ist ja hier.
SALOME
Flora gewahr werdend.
Richtig! Na, dann soll sie's selber sagen.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Was denn?
SALOME.
Nix; sie winkt mir ja, daß ich nix sagen soll.
FRAU VON CYPRESSENBURG.
Heraus jetzt mit der Sprache.
SALOME.
Nein, solang die Frau Gartnerin dort so winkt, kann ich nit reden.
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Flora.
Das werd' ich mir verbitten. Zu Salome. Also, was ist's?
SALOME
verlegen.
Die Frau Gartnerin hat dem Plutzerkern g'sagt, und der Plutzerkern hat mir den Auftrag geben –
FRAU VON CYPRESSENBURG
ungeduldig.
Was denn?
SALOME.
Der Mussi Titus soll die Perück'n z'ruckgeb'n.
FRAU VON CYPRESSENBURG UND CONSTANTIA
erschrocken.
SPUND.
Was für eine Perucken?
TITUS
die graue Perücke abnehmend.
Diese da.
SPUND
erzürnt, als er den Betrug merkt.
Was wär' das?! Du Bursch du! –
CONSTANTIA
für sich.
O weh! jetzt ist alles verloren!
FRAU VON CYPRESSENBURG
leise zu Constantia.

Ruhig! Laut zu Titus. Sie haben sich einen etwas albernen Scherz mit Ihrem würdigen Herrn Onkel erlaubt; Sie werden aber doch nicht glauben, daß er sich wirklich äffen ließ? Er [323] müßte der dümmste Mensch unter der Sonne sein, wenn er die plumpe Täuschung nicht augenblicklich gemerkt hätte; aber als Mann von Geist und Verstand –

TITUS.
Hat er gleich alles durchschaut, und nur mich aufsitzen lassen.
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Spund.
Ist's nicht so?
SPUND
ganz verblüfft.
Ja, freilich, freilich, hab' ich alles durchschaut.
FRAU VON CYPRESSENBURG
zu Titus.
An Ihnen ist es jetzt, seine Vergebung zu erflehen.
CONSTANTIA
zu Titus.

Daß Ihnen der geistreiche Mann dieser Täuschung wegen die Erbschaft nicht entziehen wird, dürfen Sie mit Zuversicht hoffen.Zu Spund. Nicht wahr?

SPUND
wie oben.
Freilich, freilich!
TITUS
zu Constantia und Flora.

Daß ich aber auf die Erbschaft freiwillig Verzicht leiste, das werden Sie nicht hoffen. Mein guter Herr Vetter kauft mir ein G'schäft, mehr verlang' ich mir nicht; dafür werd' ich ihm ewig dankbar sein; Erbschaft brauch' ich keine, denn ich wünsch', daß er noch a dreihundert Jahr' lebt.

SPUND
gerührt.
So alt is noch kein Bierversilberer wor'n! Bist doch a guter Kerl, trotz die rot'n Haar'.
TITUS
mit Beziehung auf Flora und Constantia.

Daß ich nun ohne Erbschaft keine von denen heiraten kann, die die roten Haar' bloß an einem Universalerben verzeihlich finden, das ergibt sich von selbst; ich heirat' die dem Titus sein'n Titus nicht zum Vorwurf machen kann, die schon auf den rotkopfeten pauvre diable a biss'l a Schneid hat g'habt, und das glaub' ich, war bei dieser da der Fall. Schließt die erstaunte Salome in die Arme.

SALOME.
Was!? – Der Mussi Titus? –
TITUS.
Wird der deinige.
FRAU VON CYPRESSENBURG
welche still mit Constantia gesprochen, sagt dann laut.
Adieu!Geht unwillig in die Seitentür links ab. Der Notarius folgt ihr.
CONSTANTIA.
Die gnädige Frau wünscht, daß man sie hier nicht ferner störe.

Folgt ihr.
[324]
FLORA
zu Titus boshaft.

Ich gratulier' zur schönen Wahl. Da heißt's wohl: »Gleich und gleich g'sellt sich gern.« Zur Mitte ab.

SPUND
zu Titus.
Du tust aber, als wenn ich da gar nix dreinz'reden hätt'!
TITUS
mit Beziehung auf Salome.

Ich weiß, Herr Vetter, die roten Haar' mißfallen Ihnen, sie mißfallen fast allgemein; aber nur, weil der Anblick zu ungewöhnlich is; wann's recht viel gäbet, käm' die Sach' in Schwung, und daß wir zu dieser Vervielfältigung das Unsrige beitragen wer'n, da kann sich der Herr Vetter verlassen drauf. Umarmt Salome.


Während einigen Takten Musik fällt der Vorhang.

Ende.

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