Erdmann und Marie, eine Legende von Rübezahl

Erster Abschnitt

Ungeachtet der Spukereien, welche der gefürchtete Berggeist in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, – in welche unsere Legende fällt – ungescheuter trieb als in unsern jetzigen lichtvollen Zeiten, wagte es doch einst ein kühner Mann, sich mitten in Rübezahl's Gebiet häuslich nieder zu lassen. Dieser Held war weder Kriegsmann noch Philosoph, weder Freidenker noch Geisterbanner, war nichts als ein schlauer, speculativer Gastwirth, dessen Gewinnsucht größer war als seine Furchtsamkeit, und der sich deshalb entschloß, in dem wüstesten, schauerlichsten Theile des Riesengebirges eine Wirthschaft anzulegen.

Der Einfall war so übel nicht, denn an begüterten Reisenden, welche diese Straße zogen, fehlte es nimmer, und die Freuden eines wohlbereiteten Mahles, nebst einem [1] bequemen Nachtlager, hatten für die Pilger, vornehmlich zu Anfang des löblichen Institutes, etwas so überraschend Angenehmes, daß man kein Bedenken trug, sie aufs theuerste zu bezahlen; auch die ärmeren Wanderer gaben für Sicherheit und Obdach, die sie hier so erwünscht vorfanden, willig etwas mehr, als man ihnen sonst bei ihrer sparsamen Zehrung mit Billigkeit hätte abfordern können, wie denn überhaupt Billigkeit die Sache unsers Gasthalters eben nicht war.

Die neuerrichtete Wirthschaft zog, wie alle neuen Dinge, mehr Pilger herbei, als vielleicht außerdem diese Gegend betreten haben würden; wüst und schauerlich war sie damals noch mehr als heut zu Tage – man weiß, was Jahrhunderte für Veränderungen auf der Erdrinde anrichten – und wer sonst vor dem bloßen Namen des Geistergebirges zitterte, wagte sich jetzt nur darum eher hindurch, weil man – Dank sei es der Kühnheit des Wirthes zum Riesen, – nun endlich fand, daß es nicht ganz unbewohnbar sei.

Das Hausschild, welches Meister Melchiors Hotel den Namen gab, war ein wichtiges Problem für Alle die es sahen; die Meinungen darüber waren unzählig, doch theilten sie sich in zwei Hauptclassen: die eine Hälfte der Muthmaßer hielt den schwarzen Giganten mit der Schürstange am Frontespiz des Hauses – Rübezahls leibhaftiges Ebenbild – für eine hohnsprechende Herausforderung des Originals, seine Identität zu beweisen, und prieß den [2] Mann, der so viel wagte. Die Andern sagten sich ins Ohr, jene ungeheure Figur sei nichts Geringeres als ein Meister Melchiorn vom Gebirgsherrn persönlich verliehenes Schutz- und Trutzbild, gleich einem kaiserlichen oder königlichen Wappen, um unter dessen Schirm zu handeln und zu wandeln, und das Monopol solches zu thun, gegen Jedermann zu behaupten.

Der Gastwirth, wie schon gesagt, ein schlauer Fuchs, wußte sich sehr geschickt in Alles zu fügen, was ihm von beiden Meinungen zu Ohren kam; gegen die Anhänger der ersten, – meistens starke Geister und Gespensterläugner, deren es selbst damals in den höheren Ständen nicht wenige gab, – nahm er das Ansehen eines Bravo an, der aller Furcht Trotz bietet, und bei den armen Pilgern aus dem niedern Volke, welche die zweite Klasse ausmachten, gewann er eben so viel, wenn er sie in dem Glauben erhielt, er sei der Vertraute und Begünstigte seines Territorial-Herrn.

Daß er dieses nicht war, das wußte Niemand besser als er; da er aber bei aller kühnen Wagniß, die wirklich in seinem Unternehmen lag, noch nicht vermerkt hatte, daß dasselbe von dem uralten Eigner des Bezirkes ungnädig aufgenommen würde, so war er ruhig, und begann sich endlich auf die Seite der Ungläubigen zu neigen und der verderblichen Meinung beizupflichten, daß der, welcher sich bei so viel gegebener Ursache zu strenger Ahndung, doch müßig erzeigte, nichts als ein Geschöpf der Phantasie [3] sei, an welches nur die Thoren glaubten; eine Art von Logik, die wirklich dem achtzehnten Jahrhunderte Ehre gemacht haben würde, und die Meister Melchiorn für das Seinige auf einen sehr eminenten Posten stellte.

Melchiors hoher Muth, der im Anfange seiner Wirthschaft nicht selten in kühne Worte und Werke ausbrach, dauerte indeß nur eine kurze Zeit, und schon im zweiten Jahre kam es dahin, daß er Rübezahls Namen, den er zuvor so oft profanirt hatte, nie nannte, des Nachts bei verschlossenen Thüren vor dem bloßen Gedanken an den Berggeist so gut zitterte, als der verirrte Wanderer draussen im wilden Gebirge, und daß er nicht selten davon sprach, wie die Nahrung immer schlechter zu werden beginne, und wie er nicht abgeneigt sei, die ganze Wirthschaft aufzugeben, und wieder wie andere Christen unter Menschen zu wandeln und zu wirken.

Diesen Versicherungen wurde jedoch keineswegs unbedingt Glauben geschenkt; namentlich berechnete das Hausgesinde allein aus den Trinkgeldern, daß die einsiedlerische Gasthalterei im Riesengebirge so gar uneinträglich nicht sein könne, und daß es also mit Melchiors veränderten Gesinnungen wohl seine verborgenen Bewandnisse haben möge. Ein Jeder hatte für die muthmaßlichen Geheimnisse seines Herrn eine eigne Erklärung. Der Eine behauptete, daß unserm Melchior, als er einst nach Schweidnitz geritten sei, um eine Bestellung von allerlei Wirthschaftsbedürfnissen zu machen, dicht vor der Stadt auf dem [4] kahlen Berge 1 Rübezahl in Gestalt einer Eule erschienen sei, von welchem er wohl Dinge erfahren haben möge, die er Niemand gestehen würde. Ein Anderer wußte, daß der vornehme Herr, der am letzten Feste hier abgestiegen und der von Niemand als von Meister Melchiorn selbst habe bedient sein wollen, die erste Veranlassung zu den Dingen gegeben, die man sich nicht erklären könne; denn als der dienstfertige Gastwirth selbst Hand angelegt habe, dem hohen Reisenden den Stiefel auszuziehen, so sei ihm nebst demselben der ganze hochgräfliche Fuß in den Händen geblieben, und am andern Tage, bei Ueberreichung der Morgensuppe, habe er den Grafen ohne Kopf im Bette liegend gefunden. Obgleich nun der Fremde, Kopf und Fuß, die aus Versehen bei der Toilette vergessen worden waren, schnell wieder angelegt, und wegen der unziemlichen Gestalt, in welcher er sich betreffen lassen, höflichst um Entschuldigung gebeten habe, so wäre doch der Eindruck von solchen Seltsamkeiten nicht bei Jedermann so leicht zu verwischen, und man könne die Niedergeschlagenheit, welche Herr Melchior seit diesen Geschichten blicken ließe, so sehr eben nicht bewundern.

»Ihr möget sagen was ihr wollt,« rief eine von den Mägden, »so ist der schlimmste Possen, welchen ihm der Herr von Berge – Gott bewahre mich, daß ich ihn nicht [5] beim rechten Namen nenne! – gespielt hat, immer der, welcher vor einem halben Jahre bald uns allen, wie wir hier versammelt sind, das Leben gekostet hätte. Frau Else hat mir im Vertrauen gestanden, daß jene Feuersbrunst, die durch die Wachsamkeit des wackern Erdmann noch zeitig genug gedämpft wurde, aus ihres Vaters Chatoulle losgebrochen sei. Heiliger Andreas! nachdem sich der Herr so oft an Rübezahls glühenden Thalern die Hände verbrannt, so hätte er doch wohl so klug sein sollen, dergleichen Teufelswaare nicht in einen hölzernen Kasten zu legen.«

»Metten,« erwiederte einer von den ältesten Knechten »eure Reden sind kühn und verwegen, und ihr bedenkt nicht, daß der, den wir alle ungern nennen, nicht gleich andern Geistern an Zeit und Ort gebunden ist, daß er sowohl drei Stunden nach Sonnenuntergang als um Mitternacht und in Zwielichten, sowohl in der verriegelten Gesindestube als auf seinen Bergen sich zeigen kann; und was wollen wir thun, wenn in diesem Augenblicke – – – –«

»O schweige, schweige!« riefen Alle und das Gespräch hatte ein schnelles Ende; indessen trug es, so wie seine Vorgänger und Nachfolger, viel dazu bei, die Hausgenossenschaft in beständiger Scheu vor einem Wesen zu erhalten, welches eben darum, weil es allen unbekannt war, ihnen desto fürchterlicher dünkte.

In Meister Melchiors Hause diente unter andern ein junger Knecht, – eben jener Erdmann, dessen Metten[6] bei Gelegenheit der Feuersbrunst mit Ehren gedacht hatte. Ein rüstiger Bursche von neunzehn Jahren, auf welchen der Hausherr sehr viel hielt, ohne ihm jedoch thätige Beweise seines Wohlwollens zu geben, und welchen alle Weiber des Hauses, von Melchiors Tochter, Frau Elsen an, bis auf die schmutzige Küchenmagd Metten, gern sahen, ohne daß sie ihm abmerken konnten, ob er auch eine von ihnen gern sähe. Erdmann war fleißig und unverdroßen bei der Arbeit, – wie weiland Rübezahl selbst, so lange er als Ackerknecht diente, – kühn und furchtlos, als ob er weder an Gespenst noch Teufel glaubte, und vorsichtig in Worten und Werken, als ob er sich überall unter Geistergewalt fühlte. Die übrige Dienerschaft im Gasthofe hatte sich schon dreimal verändert, und Erdmann hielt bei geringem Lohne noch immer unter Melchiors wunderlicher Herrschaft aus. Es gab Stunden und Zeiten, wo Niemand vom Gesinde sich getraute, nur Wasser aus dem nächsten Felsenbrunnen zu holen; dem muthigen Erdmann war Tag für Nacht gleich. Seit Jahr und Tag zog Meister Melchior nicht mehr nach Schweidnitz, um Vieh für seine Küche einzukaufen, oder nach Hirschberg, um seine dort durchpassirenden Weine frei zu machen, aber Erdmann lag unablässig, zu Roß oder zu Fuß, auf der Straße, besorgte was ihm aufgetragen ward, gut und treulich, und hatte in Summa das ganze Departement der auswärtigen Angelegenheiten unter sich. Trotz allem Eifer konnte er dennoch Meister Melchiorn nichts zu Danke machen und wenn er auch sein Geschäfte bestens besorgt hatte, so wurde [7] er doch bei der Nachhausekunft regelmäßig getadelt, erhielt schlechte Kost, – denn da er selten zu gehöriger Tafelstunde im Hause war, so bekam er immer nur das Uebergebliebene – und nur Frau Else war es, die ihm zur Entschädigung für alle diese Unbilden holde Blicke zuwarf. Niemand wußte, was ihn noch in dem Hause, wo so viele Mühseligkeiten, so wenig Nutzen auf seinen Antheil kam, fest hielt, wenn es nicht die schönen Augen ebengedachter Dame waren. Aber welche Wahrscheinlichkeit, daß ein blühender Jüngling, wie Erdmann, eine fast dreißigjährige, wohlbekinderte Wittwe beachten sollte, die überdieß in Gestalt, Anstand, Thun und Wesen, mehr Aehnlichkeit mit einem pariser Fischweibe, als mit dem Ideale hatte, mit welchem jeder junge Mensch, von dem Prinzen bis auf dem Hirtenknaben, sich hinsichtlich der ersten Liebe zu schmeicheln pflegt!

Wenn Leidenschaft für diese Rahel es nicht war, was dem armen Erdmann seine saueren Dienstjahre leicht machte, wenn der Gedanke, Frau Else daheim zu sehen, ihm nicht seine mühseligen Reisen versüßte, so mußte seine Geduld, wie jede andre Tugend, ihren eignen Lohn mit sich führen, der nicht Jedermann in die Augen fiel. Und in der That, so war es; was uns davon kund geworden ist, wollen wir unsern Lesern mittheilen.

Der junge Knecht Meister Melchiors zog seit geraumer Zeit nicht leicht den Weg durch das Gebirge, ohne einen Anblick zu haben, der ihn gleich das erstemal mit innigem Wohlbehagen erfüllte, und der ihm in der Folge [8] so theuer ward, daß er ihn nie ohne Schmerzen missen konnte. – Wenn er den engen Bergweg herab in die Gegend des Rumpelbrunnens kam, aus dessen Schooße sich die Weistritz ins Thal ergießt, da zeigte sich immer nah oder fern eine holde weibliche Gestalt, die Alles in sich vereinigte, was nur zu Erdmanns einfachen Vorstellungen von weiblicher Vollkommenheit paßte. Schön war die Dame so wenig, als stolz und vornehm gekleidet, blendende Reize sowohl, als blendende Tracht, würden die Augen des Jünglings eher zurückgeschreckt als angezogen haben. Ein junges, wohlgewachsenes Mädchen, mit der Blüthe der Gesundheit auf den Wangen, und dem Blicke der Unschuld und Gutherzigkeit im Auge, in einer Kleidung, welche Armuth verrieth, die unter Reinlichkeit und ein wenig weiblichem Hange zum Putze sich versteckte; – ein solches Mädchen war es, die Erdmanns Augen nach und nach so fesselte, daß er sie von dem Gegenstande seiner Liebe weder losreißen konnte noch wollte.

Geraume Zeit glaubte Erdmann, daß jenes Mädchen in dieser wüsten Gegend wohne, und als ihm Jedermann versicherte, daß Niemand hier hause, hielt er sie gar so lange für ein neckendes Gespenst, bis er sie einst vor sich her den Weg nach Schweidnitz gehen sah. Aus der Eile, mit welcher sie nach der Stadt zutrippelte, schloß er, daß sie dort zu Hause gehöre und im Näherkommen überzeugte ihn die Festigkeit ihrer Figur bald, daß hier von keiner täuschenden Geistergestalt die Rede sei.

Einholen konnte er sie diesesmal nicht, aber an einem [9] der nächsten Tage, da er des Weges zog, war er glücklicher; er trabte vor ihr vorbei, zog seinen Hut und wünschte einen guten Abend. – Der Anfang war gemacht, man wurde bekannter und Erdmann wagte schon bei dem nächsten Zusammentreffen eine Bemerkung über das Wetter. Nur einsilbig wurde sie von dem schüchternen Mädchen beantwortet, und als Erdmann einige Wochen später, nach mehreren Begegnungen, sich die Frage erlaubte, ob er der Jungfer, da der Weg so böse sei und sie Beide einen Weg gingen, wohl seinen Arm und seinen Stab anbieten dürfe, so erfolgte von ihrer Seite ein deutliches, klares Nein. –

Erdmann konnte nicht begreifen, weshalb er abgewiesen wurde, und frug daher nach dem Grunde ihrer Weigerung.

»Ich diene,« sagte das Mädchen, »bei einer Herrschaft, die es mir nicht verzeihen würde, wenn ich mich von einem jungen Gesellen auf der Straße führen ließe.«

»Ihr dient? und bei wem?«

»Bei einer Herrschaft, die nicht viel reicher ist als ich. Meine Frau und ich ernähren uns mit Spinnen.«

»Und welches Geschäft treibt euch so oft in diese wüste Gegend?«

»Ich trage unsere Arbeit zu den Klosterjungfern im Walde.«

»Aber der Ort, wo ich euch so oft sah, liegt ziemlich abwärts vom Marienkloster.«

[10] Das Mädchen erröthete, und sprach nach einer kleinen Pause von dem guten Flachse, den man in dem Dorfe jenseit des Gebirges habe, und von welchen sie ein ziemliches Bündel unter dem Arme trug. Indem sie dies mit großer Bereitwilligkeit aufknüpfte, schien sie sich dadurch bei unserm Erdmann vor jedem Verdachte einer Unwahrheit schützen zu wollen und ihm somit gleichsam ein Recht, sie auszuforschen, zuzuerkennen.

Das Gespräch, das nun schon soweit geführt hatte, konnte nicht so schnell abgebrochen werden. Erdmann erfuhr von seiner Begleiterin noch Manches, erfuhr unter Andern, wie sie an den beiden Hauptpersonen des vorhingenannten Jungfernklosters, nämlich an der Schutzheiligen und an der Domina, ein paar hohe Patroninnen habe, indem die Erste ihre Namensschwester sei, und die Andere, eine Gräfin von Würban, oft selbst mit ihr zu reden pflege und ihr jüngst gar Hoffnung gemacht hätte, sie könne einst als Aufwärterin in dem von ihren Vorfahren 2 gestifteten Kloster aufgenommen werden.

In Folge dieser so sehr ausgesponnenen Unterhaltung erlangte Erdmann ungefragt das, was man ihm Anfangs geradezu abgeschlagen hatte, nämlich die Ehre seine Dame zu begleiten. Zwar bediente sie sich weder seines Armes, noch seines Wanderstabes zur Erleichterung des bösen Weges, [11] duldete es aber doch, daß er gemächlich neben ihr herschlenderte, und verabschiedete ihn erst diesseit des letzten Berges, welcher die Stadt versteckte, weil Erdmann in dem niederen Theile von Schweidnitz seine Geschäfte hatte und sie angeblich in der Oberstadt wohnte.

So wußte nun also Erdmann viele wichtige Dinge von der Person, die seine Gedanken seit einiger Zeit so sehr beschäftigte; auch waren ihm Mariens entfernteste und höchste Hoffnungen bekannt, die sich auf die Gnade und Versprechungen der Aebtissin des Marienklosters gründeten. Gerade dieser Theil von der erhaltenen Kunde war es jedoch, der ihm am wenigsten behagte. In dem Gedanken, der hübschen Schweidnitzer Spinnerin einst nicht mehr auf seinen einsamen Wanderungen zu begegnen und sie wohl gar in irgend einem Kloster, und wäre es das Vornehmste von der Welt, als Nonne zu wissen, lag für ihn so viel sein Herz Beängstigendes, daß er immer trauriger ward und nicht eher einige Beruhigung verspürte, bis er Marien, die er mehrmals vergebens aufgesucht hatte, wieder begegnete, und mit ihr von der Sache sprechen konnte.

Erdmann traf jetzt zwar oft mit Marien zusammen, und hätte Alles weitläuftig mit ihr bereden können, was ihm auf dem Herzen lag, aber er wußte selbst nicht recht, wie er es einkleiden sollte; auch fehlte es ihm, so bald er sie sah, an Muth, nur den zehnten Theil von dem auszusprechen, was er sich, wenn er sie nicht sah, ausgedacht hatte. Die schöne Jahreszeit ging darüber hin, [12] und es kam der Winter, in welchem er zwar den mühseligen Weg über das Gebirge in den Geschäften seines Herrn oft machte, aber Marien niemals erblickte.

Der Dienst bei dem wunderlichen, selten mit sich selbst einigen Meister Melchior ward immer schwerer; der größte Theil des Hausgesindes konnte es nicht länger aushalten, und der einsame Gasthof sah wiederum einmal lauter neue Gesichter. Die Abgehenden riethen unserem Erdmann, ihrem Beispiele zu folgen, aber er wußte wohl warum er blieb; der harte Winter war ja nun fast überstanden, und es nahte der Frühling, wo mildere Witterung ihm Hoffnung gab, seine gute Freundin wieder auf den bekannten Wegen zu treffen. Oft fürchtete er freilich auch, daß Marie vielleicht auf immer für ihn verloren sein könnte, daß sie den Ort ihres Aufenthalts verändert, ins Kloster gegangen, oder gar gestorben sein könnte. Denn seltsam war es, daß er, der Schweidnitz so genau kannte, bei allen seinen Streifereien durch die Stadt, bei allen Bemühungen, sie aufzufinden, sie weder am Fenster, noch auf der Straße, noch endlich in der Kirche erblickte, und allemal traurig und hoffnungslos heimkehren mußte.

Das Frühjahr kam; die Tannen und Fichten des Riesengebirges kleideten sich in helleres Grün, der Erdboden schmückte sich mit blühenden Gesträuchen, auf den Spitzen der Berge begann der Schnee zu schmelzen und die Weistritz sprudelte entfesselt aus ihrer Höhle; die meiste Zeit des Jahres ein stiller, friedlicher Bach, der den [13] Waldnymphen einen klaren Spiegel vorhielt, – jetzt durch die fremden Gewässer, die sie in ihren Schoos aufnahm, ein fürchterlicher Strom, welcher der ganzen umliegenden Gegend Verheerung drohte.

Erdmann kannte die Tücke dieses falschen Wassers, das oft in wenig Stunden stieg und fiel, und den unvorsichtigen Wanderer ins Verderben riß, aber er wußte sich zu hüten. Er scheute keinen Umweg, um die Gegenden zu vermeiden, wo an einer ausgetretenen Stelle der Wiederschein der Berge den nahen Grund vorspiegelte, und wo der, welcher es wagte, hindurch zu waden, sein Grab fand; auch vermied er die schlüpfrigen, dem Anscheine nach nur mit wenig Wasser bedeckten Stege und den von den heimtückischen Fluthen ausgewaschenen Rand des Weges, der den Strom entlang mit täuschendem Grün prangte, und oft von dem leisesten Fußtritte einstürzte und den Wanderer in die Fluthen begrub.

Nie hatte sich Erdmann weniger nach Mariens Begegnung gesehnt, als in dieser Zeit. Ach! seufzte er, wenn sie noch lebt und in dieser Gegend weilt, so möge sie doch ja ihr guter Engel vor Gefahren schützen, die sie entweder nicht kennt, oder die für sie fast unvermeidlich sind!

In solchen Gedanken ging er einst an der Stelle vorüber, wo er Marien im vorigen Jahre so oft getroffen hatte, ohne eigentlich von ihr erfahren zu können, was sie hier mache. Die alten Bäume, welche damals die Höhle beschatteten, aus der sich die Weistritz sonst als ein kleiner Bach hervordrängt, standen jetzt bis fast an die [14] Wipfel in der Fluth; das Ganze war eine große, unabsehbare Wasserfläche, auf welcher hier und da ausgerissene Felsstücke, hergeschwemmtes Holz, oder andere Merkmale von der Gewalt des Stromes schwammen. Mitten unter mancherlei Trümmern schwebte eine kleine Masse, wie ein Häufchen blendender Schnee; Erdmann stützte sich auf seinen Stab, und schaute von der sichern Anhöhe, auf welcher er stand, in die Tiefe hinab, auf den kleinen hellen Punkt, der, er wußte selbst nicht warum, sein einziges Augenmerk war. Jetzt trieb die Fluth den weißen Punkt einer Gegend zu, wo das Wasser einen schnellen Abfall nahm, – da erkannte Erdmann deutlich eine Menschengestalt, erkannte, ach! – Mariens blendend weißes Gewand, und das blaßrothe Band, womit sie es aufzuschürzen pflegte.

Beinahe hätte sich der arme Erdmann in der ersten Verzweiflung in die Fluthen gestürzt; nur der Gedanke, hier sei vielleicht noch Rettung möglich, verhinderte eine rasche, unglückliche That. Ohne zu wissen wie, ehe er noch überlegen konnte, was hier zu thun sei, war er schon unten, wo der Strom in niedrigern Ufern ging, hatte die schnelle Fluth eingeholt, und wartete an einer Stelle, wo das Ufer das Wasser einengte, um die Schwimmende, die er nun in der Nähe ganz deutlich für Marien erkannte, mit einem unterweges aufgegriffenen Baumaste anzuhalten und auf das Ufer zu ziehen. Es galt Lebensgefahr, ehe dieses glückte, allein was ist der Liebe unmöglich? Auch schien ihn eine unsichtbare Hand zu unterstützen [15] und mit ihrer Hilfe lag das geliebte Mädchen bald gerettet auf dem grünen Boden, in der milden Frühlingssonne. Ja, gerettet! denn nachdem der erfahrene Erdmann Alles versucht hatte, was in jenen Zeiten zur Rettung der Ertrunkenen angewendet wurde, schlug sie die Augen auf, und erholte sich in kurzer Zeit so völlig, daß ihr Schutzengel es wagen konnte, sie zum Weitergehen aufzufordern, obgleich er noch nicht wußte, wohin sie sich wenden sollten. Das schwache Mädchen in ihren nassen Kleidern nach ihrer Wohnung in die Stadt zu bringen, schien unmöglich; das Wirthshaus zum Riesen war zwar näher, aber Erdmann kannte seine Herrschaft zu gut, als daß er sich für seine Gefährtin eine freundliche Aufnahme hätte versprechen können. Herr Melchior war hart und geizig, und Frau Else unfreundlich und eifersüchtig gegen jedes erträgliche Mädchen, welches die Aufmerksamkeit dessen erregen konnte, auf den sie allmählig sehr ernstliche Absichten zu äußern begann. Nicht die geringste Handreichung hätte Marie von ihr zu hoffen gehabt, und alle Wünsche Erdmanns gingen nur dahin, sein blasses, zitterndes Mädchen heimlich ins Haus zu bringen, und daselbst von den Mägden, die ihm gewogen waren, einige trockene Kleidungsstücke und etwas warme Suppe für Marien zu erbitten, damit er sie am andern Tage, vor Aufgang der Sonne, mit einer sich darbietenden Gelegenheit in ihre Heimath schaffen könnte. – Bei diesem in der Stille gefaßten Entschlusse blieb es. Marie kam durch das Hinterpförtchen ins Haus, [16] Metten wärmte und trocknete sie in ihrem schmutzigen Bette, und vor Tagesanbruch, ehe Frau Else im Hause zu rumoren begann, hatte Marie schon auf einem sichern Fuhrwerke den halben Weg nach Schweidnitz zurückgelegt. –

Daß dieses Abenteuer die beiden jungen Leute einander näher brachte, als sie es zuvor waren, läßt sich errathen. Mariens Herz floß von Dankbarkeit gegen ihren Retter über, und Erdmann bekam Muth, von Manchem, was ihm auf dem Herzen lag, vertraulich gegen sie zu reden. Begegnete man sich im Gebirge, so ward Erdmanns Arm und Wanderstab nicht mehr mit schüchterner Sprödigkeit ausgeschlagen, und begegnete man sich nicht, so scheute sich Marie nicht, zu gestehen, daß sie den vergebens erwartet und gesucht habe, mit dem sie schon so oft zusammengetroffen.

»Ach,« setzte sie einmal mit Erröthen hinzu, »das Verlangen, die Stunde nicht zu versäumen, in welcher ich dir vor einem Jahre im schmalen Bergwege zu begegnen pflegte, hat mir schon beinahe das Leben gekostet!«

»Wie so, Marie?«

»Du weißt es so gut als ich, du hast mich ja aus den Fluthen gerettet!«

»Wie? um meinetwillen wärest du in diese Gefahr gerathen?«

»Ja, Erdmann! die Thorheit war unverzeihlich, um so viel mehr, als ich gewarnt war.«

[17] »Du sprichst Räthsel! Wo warst du? Wer warnte dich? Und überhaupt was machst du immer in jenem wüsten, grauenvollen Theile des Gebirges, den Niemand gern besucht, und den selbst ich scheue?«

Marie schwieg. »Mein Freund,« fing sie nach einer langen Pause an, »ich that Unrecht, eine Neugier in dir zu erregen, die ich nicht befriedigen darf; wirst du mir verzeihen, wenn ich dir mein Geheimniß nicht vertraue?«

»Wenn du versprichst, mir ein Opfer zu bringen.«

»Welches?«

»Deine Hoffnungen auf eine Versorgung im Kloster.«

»Lieber Erdmann! welche Aussicht bleibt mir außer diese? Meine alte Herrschaft ist todt, ihre Erben sagen mir den Dienst auf. Mein Spinnrocken kann mich nicht ernähren, was soll ich thun? Betteln? Stehlen? Oder durch die Gnade und unter dem Schutze der ehrwürdigen Domina des Marienklosters ein ruhiges und anständiges Leben führen?«

»Was du thun sollst, Marie? Heirathen sollst du!«

»Und wen? Etwa dich? – Ja, wenn ich dir mit dieser Hand so ein paar tausend Gulden, oder ein hübsches Bauerngut zuzubringen hätte! Aber Armuth! Den Bettelstab! – Nein, Erdmann! du bist mir zu lieb, um dir eine solche Mitgift zu gönnen; du hast Nichts, ich habe Nichts, so bleiben wir am besten von einander!«

[18] »Du irrst, Marie, wenn du mich für so arm hältst; wäre ich es auch, so habe ich doch reiche Freunde!«

»Freunde? – Ja, Frau Elsen im Gasthofe! – Heirathe sie, heirathe sie! Bei ihres Vaters Geldkasten wirst du die arme Marie bald vergessen!«

»Marie, laß uns aufrichtig reden: so wenig als ich je eine Andere nehmen werde als dich, so wenig wünschest du, daß dieses geschehen möge; die Thränen, die dir, da du so etwas in den Tag hinein schwatzest, in die Augen kommen, bezeugen es mir, wenn ich es auch sonst nicht wüßte. Daß ich aber andere Freunde habe, als Meister Melchiorn und seine Tochter, könnte ich dir beweisen, wenn ich mich nicht scheute, dir Dinge zu entdecken, die dich auf einmal von diesen Gegenden zurück schrecken, und mich um die einzige Freude meines Lebens, um deinen Anblick bringen könnten.«

»Und gleichwohl, Freund Erdmann, muß ich es wissen, wenn ich mich von dir geliebt halten soll!«

Diese Worte, mit allem Nachdruck gesprochen, den ein Mädchen, welches sich geliebt weiß, ihren Forderungen zu geben pflegt, schreckten dem armen Erdmann sein Geheimniß ab; er vergaß ganz, daß ihm vor einigen Minuten ein ähnliches Gesuch hartnäckig abgeschlagen ward, und daß es ihm, so gut als Marien, erlaubt gewesen wäre, mit der nämlichen Beschwörung auf die Befriedigung seiner Neugier zu dringen.

»Du forderst es,« sagte er nach kurzem Bedenken, »du verlangst die Offenbarung meines Geheimnisses als einen [19] Beweis meiner Liebe, und deshalb gebe ich nach. Wisse also, wir wandeln hier im Schatten eines Geistergebirges, Alles rund um uns her ist heilig, vom Gipfel jener himmelhohen Berge bis auf das Moos, das den Stamm dieser Fichte bekleidet; ein mächtiges Wesen ist Beherrscher dieser Gegenden, welches –«

»Erdmann, stimme den hohen Ton ein wenig für meine Einfalt herab, und sage mir mit klaren Worten, daß hier das Riesengebirge ist, in welchem der muthwillige Gnome, Rübezahl genannt, hausen soll; Dinge, die mir schon längst bekannt sind, und die, da ich so oft bei Tag und bei Nacht hier ungehöhnt und ungeschreckt gegangen bin, so wenig Einfluß auf meinen Muth haben, daß du sehr irrst, wenn du glaubst, daß ich darum diese Gegenden fürchten würde.«

»Wie, Marie? leugnest Du Etwas, wovon alle Welt überzeugt ist?«

»Ich leugne Nichts, aber ich vermuthe, daß dieses Wesen, an welches du so fest zu glauben scheinst, entweder keinen Theil an mir habe, oder mich gern in seinen Gebieten dulde, und mir darum freien Aus- und Eingang in denselben gestatte.«

»O, Marie! wäre das Letztere, dann wohl dir und mir! Dann hätten wir Beide einen gemeinschaftlichen Patron an dem guten Berggeiste, denn auch ich glaube mich seiner Gnade rühmen zu können, und vielleicht noch in höherem Grade als du; denn wirst du blos geduldet, so kann ich mich noch höherer Begünstigungen rühmen, [20] und dieß ist eben das Geheimniß, das du mir entreißest, und das ich dir nicht anders entdecken kann als durch Mittheilung meiner ganzen Lebensgeschichte.«

Marie schüttelte schweigend den Kopf und der Erzähler fuhr fort:

»Mein Name ist Erdmann Erdmannsdorf; meine Vorfahren waren mächtige Ritter und Edle, die zwischen ihren Tauf- und Geschlechts-Namen jenes bedeutende Wörtlein einzuschalten pflegten, um welches mich Armuth und Mißgunst gebracht haben. Bei meinen Urahnen kam, wie bei so vielen Menschen, Stolz vor dem Falle. Vor hundert und mehr Jahren ließ sich einer von ihnen, durch die damalige Sucht des Adels, Burgen zu erbauen, verleiten, ein stolzes Schloß auf jenen Berg setzen zu wollen, in dessen Schatten wir nun bald kommen werden. Er wurde gewarnt, man sagte ihm, daß der Herr dieser damals wüsten Gegend, in diesem Punkte so empfindlich sei, als der Bischof von Bamberg, der Herzog von Schwaben und der Graf von Tyrol, die damals um ähnlicher Dinge willen beständig Fehden hatten; aber mein Ahnherr bestand auf seinem Sinne. Man weissagte ihm, daß nicht der erste Schlag zur Ausrottung des wilden Waldes, der auf der gewählten Stelle stand, würde ungehindert gethan werden können, daß Bauleute und Baugeräth dem Grundherrn verfallen wären, und daß Feuer die Gebäude verzehren würde, ehe sie eine Elle hoch über der Erde hervorragten. Diese Prophezeiungen gingen indeß nicht in Erfüllung und mein Ahnherr wurde um so sicherer. Als [21] aber nun die Burg mit ihren fünf stolzen Thürmen in, all ihrer Pracht dastand, da hob sich der unterirdische Reise auf dessen Schultern sie erbaut war, ein wenig empor, die Erde zitterte und das ganze Pigmäenwerk stürzte zusammen.

Es bedurfte Jahre, um den Schaden, den das Erdbeben angerichtet hatte, wieder auszubessern, doch ward der stolze Edelmann, der nun einmal auf jenem Berge ein Schloß haben wollte, und der, um seinen Eigensinn zu befriedigen, keine Kosten scheute, endlich mit seinem Baue fertig. Er hatte gebaut, um im nächsten Jahre eine neue Verheerung zu erfahren. Aus dem Schooße jenes höher liegenden Gebirges stürzten wilde Bergströme hervor, welche den Grund unterwuschen und das neue Schloß in Trümmern davontrugen. Was sie unversehrt ließen, ward vom Wetterstrahl zerstört, denn die Erdgeister stehen mit den Bewohnern der Lüfte in gutem Vernehmen, so daß es dem Gebirgsherrn ein Leichtes war, sie zur Rache seines Schimpfes anzufeuern. Der Gnom war wüthend, und um seinem Feinde alle Möglichkeit zu benehmen, den Eingriff in seine Rechte zu wiederholen, so borgte er noch ein halbes Dutzend Donnerkeile von seinen ätherischen Bundesverwandten, welche in einem Tage alle Besitzungen des Herrn von Erdmannsdorf in Asche verwandelten, und ihn zum Bettler machten. Das weitere Schicksal dieses unglücklichen Mannes habe ich nie umständlich erfahren können, und weiß nur, daß er mit den Seinigen zur tiefsten Niedrigkeit des bürgerlichen Standes herabsank, so daß [22] mein Vater, aus dessen Munde ich alle diese Dinge habe, nichts war, als ein armer Köhler. Oft pflegte dieser, wenn er seinen Meiler geschürt hatte und nun der gethanen Arbeit gegenüber saß, mich von jenen Dingen zu unterhalten, doch konnte er mir den Ort, wo die Rache des Berggeistes wider unsern Ahnherrn begonnen hatte, nicht näher bezeichnen, weil unsere Hütte von der Gegend, wo der Gnom sein Wesen trieb, etwas entfernt lag.

Ohne die fürchterliche Stelle, wo die Größe unseres Hauses begraben war, zu kennen oder zu suchen, hatte ich sie schon gefunden. Wenn ich mit den Kindern aus dem Dorfe, das etwa eine Viertelstunde weit von unserer Hütte entfernt lag, im Gebirge spielte, wählte ich immer jene Höhen, die, ich wußte selbst nicht warum, einen besondern Reiz für mich hatten. Ich war der Jüngste unter meinen Gespielen, und doch, als der Muthigste, in Allem, was wir vornahmen, ihr Anführer. Sie folgten mir gern, wohin ich wollte, und achteten es nicht, daß ihre Eltern, wenn sie ihnen sagten, wo wir gespielt hatten, ihnen immer verboten, diese Gegend wieder zu besuchen, weil dort, wie sie sich ausdrückten, der Rübezahl die Leute gern zu necken pflege.

Die Gegend ward uns allen nach und nach so lieb, daß wir trauerten, wenn die Jahreszeit uns den Zugang dahin verschloß, und allemal von dem Tage an den Frühling rechneten, an dem wir zuerst wieder weiße Steine, die wir im Thale gesammelt hatten, hinauf tragen, und mit denselben das allgemein bekannte Knabenspiel des [23] Anschlagens treiben konnten. Die in die Höhe ragenden schroffen Felsen, und einige Ueberbleibsel von alten Gemäuer, das wir hier fanden, kamen uns bei unserem Spiele sehr zu Statten, und ein allgemeines Jauchzen entstand, wenn Einer von uns, was nicht selten geschah, statt der hingeworfenen Steine, kleine Silbermünzen im Sande fand. Keiner von uns sah etwas Befremdendes in diesem Funde, Keiner wußte ihn zu schätzen, oder kam auf den Einfall, hier mehr suchen, als uns der Zufall in die Hände spielte; wir waren Alle in dem Alter, wo Habsucht, Neugier und unnützes Forschen der Seele noch fremd sind.

Auch das fanden wir nicht außerordentlich, daß sich oft bei unsern Spielen eine Person zu uns gesellte, die weder mit uns hinaufgekommen war, noch mit uns herabstieg, – ein Mann, dessen Aeußeres zwar nicht besonders auffiel, den aber, obgleich wir ihn fast täglich sahen, Keiner von uns recht zu beschreiben wußte, und den wir seiner Kleidung wegen den Langmantel zu nennen pflegten. Langmantel war oft unter uns, und wir hatten uns bald so an ihn gewöhnt, daß wir ihn ungern mißten, und wenn er einmal nicht da war, ihn unruhig erwarteten, bis er dann meistens, wir wußten selbst nicht wie, plötzlich in unserm Kreise stand, und mit seiner gewohnten Emsigkeit an unsern Spielen Theil nahm. Er trieb Alles, was wir vornahmen, so eifrig, als wir Kinder selbst, erfand kleine Vortheile, die er uns zeigte, las mehr Silberpfennige im Sande auf, als wir Alle zusammen, [24] die er denn unter uns vertheilte, so daß wir nichts an ihm auszusetzen hatten, als daß er nie mit uns sprach, und uns immer auf einmal aus den Augen verschwand, ehe wir es uns versahen, was dann meistens auch für uns eine Veranlassung zum Nachhausegehen war.

›Kommt Kinder, der Langmantel ist fort!‹ dies war immer bei uns die Losung zum Abzug, und wenn wir uns einmal verspäteten, so wurde uns auch wohl der Weg durch einen Steinregen von unsichtbarer Hand gewiesen.

Unser Spielgefährte, den wir für Unsersgleichen hielten, ungeachtet er ganz die Gestalt eines Erwachsenen hatte und über uns hervorragte, wie eine Fichte über das niedrige Gesträuch, war nicht immer verträglich; wenn Einer von uns dem Andern Unrecht that, da ermangelte er nicht, derbe Stöße auszutheilen, und zuweilen fiel es ihm auch wohl ohne alle gegebene Ursache ein, die Buben auf einmal den Berg hinabzujagen, und nur mich, den er nie beleidigte, allein oben zu behalten. – Dies war der erste merkliche Vorzug, dessen ich mich von ihm rühmen konnte. War ich mit ihm allein, so führte er mich tiefer zwischen die Klippen und Trümmer, winkte mir, im Sande zu suchen, und ich verließ ihn selten, ohne beide Hände voll ziemlich großer Münzen gesammelt zu haben, die zu meiner Verwunderung nicht, wie unser gewöhnlicher Fund, weiß, sondern gelb und glänzend waren. Jauchzend verließ ich ihn dann, und kaum hatte ich meine unten wartenden Gespielen erreicht, so wurde der ganze Schatz unter sie ausgetheilt. Ein Steinwurf in[25] den Rücken vom Berge herab, oder ein anderes Zeichen des Unwillens vom Geber war meistens mein Lohn; demohngeachtet aber waren er und ich, sobald wir uns wiedersahen, aufs Neue die besten Freunde. Ich blieb gern bei ihm allein, wenn er die Andern fortjagte, und ersetzte sein Stillschweigen mit meinem kindischen Geschwätze, oder ich erfüllte die Luft mit meinem Geschrei, wenn er plötzlich verschwand und ich ihn hinter allen Klippen vergebens suchte. Von den aufgefundenen Münzen brachte ich nie ein Stück mit nach Haus, und glaube auch, daß lange Zeit Keiner von meinen Gespielen hierin glücklicher war als ich.

Der Weg nach dem Dorfe war weit, und der gefundene Schatz, dessen Werth Keiner von uns kannte, blieb sicherlich unterweges zwischen Büschen und Hecken zerstreut liegen, wohin ihn Muthwille und Unachtsamkeit geworfen hatte; denn wäre dieses nicht der Fall gewesen, so wüßte ich nicht, wie das so spät hätte geschehen können, was doch endlich erfolgte. – Einer von den Knaben mochte einmal zufällig einen von unsern kostbaren Spielpfennigen mit nach Hause gebracht und erzählt haben, auf welche Weise er dazu gekommen war. Die Sache erregte Aufsehen. Man zeigte das Gefundene so lange im Dorfe herum, bis es endlich an Jemand kam, der Gehalt und Gepräge kannte, Ersteren für lauteres Gold, und Letzteres für Kaiser Konrads aus Schwaben Bild und Ueberschrift erklärte. Von nun an hatten unsere Wallfahrten nach dem Gebirge und die Spielparthieen mit [26] dem freundlichen Langmantel ein Ende. Die Kinder, – Gott weiß durch welche fürchterliche Erzählungen geschreckt, – wollten nicht mehr hinauf, und ging ich allein dahin, so war es nicht mehr die stille, friedliche Gegend, die mir behagte. Männer mit Spaten und Schaufeln hatten Besitz davon genommen und durchwühlten den Grund, um die verborgenen Reichthümer mühsam aufzusuchen, welche ihre Kinder nicht zu schätzen gewußt hatten. Wahrscheinlich fanden sie Nichts, und noch wahrscheinlicher wurde der Inhaber des gesuchten Schatzes endlich ungeduldig, und trieb sie den Berg hinab, so wie er es mit uns zuweilen gemacht hatte, daß sie das Wiederkommen vergaßen; denn es dauerte nicht lange, so traf ich auf meinem Lieblingsberge wieder die vorige Ruhe und Ordnung, und obgleich ich die Gesellschaft meiner Gespielen daselbst vermißte, weil Keiner mich mehr begleiten wollte, so nahm ich mir doch vor, die mir so lieb gewordene Gegend täglich zu besuchen.

Der Eintritt des Winters verhinderte lange Zeit mein Vorhaben und als ich im nächsten Frühjahre jene Höhen wieder bestieg, fand ich den Erdboden mit schönerem Grün als je bekleidet, und kam auf den Gedanken, hier Blumen zu ziehen, wie ich es meinem Vater in seinem kleinen Garten thun sah. Bei dem nächsten Besuche hatte ich eine Hand voll Saamen mitgebracht und ausgestreut, und kurze Zeit darauf fand ich das Gesäete schon aufgegangen und der Blüthe nah. Voll kindischer Freude stand ich bei meiner künftigen Blumenflur, und bemerkte [27] nicht, daß sich Jemand neben mir befand, bis mich auf einmal die Worte: ›Was machst du hier?‹ aus meinem Traume weckten. Sie waren eben nicht in dem freundlichsten Tone gesprochen, als ich mich aber umwandte und meinen alten Bekannten neben mir erblickte, da überwand die Freude über ihn den kleinen Schrecken, und ich hing mich mit dem Ausrufe: ›ach seyd ihr es, lieber Langmantel!‹ an seinen Arm, und sah lachend zu ihm auf. – Er schleuderte mich ziemlich unsanft von sich, und wiederholte seine Frage. – ›Blumen habe ich gesäet, lieber Herr!‹ rief ich mit weinender Stimme. – ›Rüben hast du gesäet,‹ erwiederte er, indem er mir mit geballter Faust drohte, ›und wüßte ich, daß du es mit Absicht oder aus Spott gethan hättest, den Hals sollte es dir kosten!‹ Seine fürchterlichen Gebärden schreckten mich so sehr, daß ich schweigend davon lief, aber sein Arm erreichte mich bald, und er zog mich zurück. – Mit Entsetzen mußte ich nun sehen, wie er meine wohlgediehen Saat mit Rumpf und Stiel ausrottete, und jetzt weinte ich bitterlich. ›Hüte dich,‹ sagte er, indem er auf die Stelle wies, ›jemals hier wieder Rüben zu säen, aber merke dir den Ort, und wenn einst durch deine Hand jenes Schloß wieder aus seinen Trümmern hervorsteigt, so grabe auf dieser Stelle nach; wo du gesäet hast, sollst du erndten; ich sehe jetzt ein, daß du mich nicht aus Bosheit beleidigtest, und will dir den Schaden vergüten, den in der Vorzeit deine Ahnen durch mich erlitten haben.‹

[28] Ich verstand nicht, was der Mann sagen wollte, auch fragte ich ihn so wenig, als ich zu Hause darüber nachdachte. Aber ich unterließ nicht, fleißig wieder hinauf zu kommen, und verzieh es dem Langmantel, daß er mich damals so sehr geängstigt und gekränkt hatte. Ich traf ihn jedesmal auf dem Berge, aber was er sprach, war kurz und unverständlich; ich erinnere mich nie, wieder eine so lange Rede von ihm gehört zu haben, als er mir zuerst hielt. Er sprach oft mit mir von einem schönen Schlosse, das ehemals hier gestanden habe, und das einst, wenn ich klug und verschwiegen wäre, durch meine Hand wieder hier stehen solle; auch redete er von unterirdischen Goldadern, die der Boden enthalte, und die mich, wenn ich einst als Eigenthumsherr an der bezeichneten Stelle nachgraben ließe, reicher machen würden als einen Fürsten. Ich hörte den Schall der Worte und merkte sie, aber sie ganz zu verstehen oder zu beherzigen, dazu war ich zu jung; ach! ich sollte ihren Sinn erst dann begreifen lernen, als es für mich zu spät war. Etwas besser beachtete ich seine Geschenke, doch nur weil mir ihr Glanz gefiel, nicht weil ich ihren Werth erkannte. Ein Haufen Goldflittern würde mir eben so großes Vergnügen gemacht haben, als die geränderten goldnen Konrads, von denen er mir immer beim Abschied einige verehrte. Er schärfte mir jedesmal hart ein, sie für mich zu behalten, sie Niemand, – auch meinen Vater nicht – zu zeigen, und überhaupt über Alles, was zwischen uns vorgehe, ein tiefes Stillschweigen zu beobachten, wenn ich nicht seiner[29] Gnade und seines Umganges auf immer verlustig gehen wolle.

So verstrich ein ganzer Sommer. Der Winter kam, und so sehr ich mich auch anstrengte, die immer mühseliger werdenden Wanderungen zu meinem seltsamen Freunde noch länger fortzusetzen, so konnte und durfte ich mich doch nach dem ersten Schnee nicht mehr hinauswagen.

Ein trauriger Winter stand mir bevor. Mein Vater hatte bei dem Schüren seiner Meiler Schaden genommen und obwohl ihn der Schäfer aus dem benachbarten Dorfe heilte, so konnte er ihm doch seine verlornen Kräfte nicht wieder geben. Hans Erdmannsdorf welkte sichtlich dahin, und sprach so oft von Tod und Grab, daß ich den guten Vater, an dem mein Herz so sehr hing und dessen Leiden ich so gut zu lindern suchte, als meine kindlichen Kräfte gestatteten, mir schon entrissen glaubte. Große Erleichterungen hätte ich ihm verschaffen können, wenn mir der Werth der Goldpfennige bekannt gewesen wäre, die ich aufgehäuft hatte. Da nämlich die Arbeit gänzlich darnieder lag, so schien uns oft Mangel zu bedrohen, doch kam es nie dazu, daß wir ihn wirklich fühlten. Bald brachte ein alter Schuldner, auf den mein Vater sich nicht mehr besinnen konnte, statt des Geldes einigen Vorrath ins Haus, bald fanden sich in einem längst ausgeleerten Beutel noch einige Groschen, und als mich der Vater einst mit dem einzigen Viehe, das wir besaßen, – einer alten Ziege, – in das nächste Dorf schickte, um sie bei [30] einem Bekannten gegen baares Geld oder Lebensmittel zu verkaufen, da begegnete mir ein noch unerwarteter Glücksfall, welchen ich wegen des Einflusses, den er auf unser Schicksal hatte, nicht unerwähnt lassen darf. Ich ging weinend den Weg nach jenem Dorfe und führte das gute Thier, welches ich so sehr liebte, und von welchem ich mich nun trennen sollte, am Stricke hinter mir her. Da kam mir ein alter Mann entgegen, welcher mich fragte, ob die Ziege mir feil wäre. ›Feil!‹ sagte ich, indem ich mir die Thränen aus den Augen wischte, ›ist sie mir nicht, ich gäbe sie euch nicht um hundert Groschen; aber verkaufen soll ich sie freilich, weil mein Vater und ich sonst morgen kein Brod haben.‹ – ›Gieb mir das Thier!‹ fuhr er fort, ›hier sind zwei Goldstücke!‹ Ich hielt meine Hand hin, und er legte mir ein paar solche glänzende Münzen hinein, wie ich sie oft aus der Hand meines Freundes vom Berge erhalten hatte. ›Nein, Herr!‹ sagte ich, indem ich den Kopf schüttelte, und ihm sein Gold zurück gab, ›solche Dinger habe ich viele daheim, und weiß wohl, daß man sie nur zum Spielen gebrauchen kann.‹ – ›Kleiner Thor!‹ erwiederte er, ›mache die Probe! Hier ist ein Groschen, und hier ein Goldstück; gehe ins Dorf, und versuche, für welches von Beiden du das meiste Brod empfängst.‹ Ich gehorchte und überließ ihm in meiner Einfalt einstweilen die Ziege, unbesorgt, daß er, da er mir doch erst die Hälfte des gebotenen Geldes gezahlt hatte, mit meinem Viehe davon gehen, und mich um die andere Hälfte betrügen könne. [31] Das Schicksal führte mich im Dorfe gleich zu dem einzigen Goldkenner, welcher ehrlich oder schlau genug war, mich von dem Werthe des Goldstückes zu unterrichten, es gegen Silbermünze einzutauschen, und mir für einen kleinen Theil derselben die wichtigsten Hausbedürfnisse einkaufen zu helfen. Er packte sie mir in einen Korb, klagte, daß ich nicht mehr tragen könne, und schalt auf meinen Vater, daß er einem so kleinen Knaben dergleichen schwere Kommissionen aufgetragen habe. Wohl beladen kehrte ich nach Hause zurück, und das Erste, was mir zu Gesichte kam, war meine Ziege, die mir lustig entgegen sprang. – ›Ein fremder Mann,‹ erzählte mein Vater, ›habe sie hergebracht und gesagt, daß er sie im Walde weidend gefunden, und in der Meinung, sie gehöre in dieses Haus, hierher abgeliefert.‹ Ich erzählte dagegen mein Abentheuer, zeigte meinem Vater den mitgebrachten Vorrath und den Ueberschuß des Geldes, und erregte dadurch bei ihm ebenso große Freude, als ich über die Anwesenheit meiner alten Gespielin fühlte, von welcher ich geglaubt hatte, mich auf ewig trennen zu müssen. Mein Vater hatte seine eignen Gedanken über diesen seltsamen Vorfall, der jedoch keineswegs meine Verwunderung erregte, weshalb ich auch gar nicht darüber nachdachte. Vielleicht wäre ich dennoch klug genug gewesen, mich meines heimlichen Schatzes zu erinnern und den Werth desselben zu erkennen, wenn mir nicht Dinge bevorgestanden hätten, die meinen Gedanken eine andere Richtung gaben.

[32] Mein Vater wurde nämlich bald darauf finster und schwermüthig; eine geheime Unruhe vermehrte seine körperliche Schwäche und brachte ihn dem Tode nah. Seine Bekannten aus dem benachbarten Dorfe kamen, ihn in seinen letzten Stunden beizustehen; auch der Goldkenner fand sich ein, und sein Erstes war, mich, der das Haus mit seinen Klagen erfüllte, zu entfernen. ›Geh hinaus, mein Kind,‹ sagte er, ›erhole dich einige Stunden in der freien Luft; dein Vater wird besser werden, und sollte er sterben, so will ich dein Vater sein.‹

Weinend und händeringend durchstrich ich die umliegende Gegend. Unwillkührlich trugen mich meine Füße an den Ort, wo mir oft in Langmantels stiller Gesellschaft so wohl gewesen war, und ich lag bald auf einer meiner Lieblingsstellen im Grase, ohne daß ich wußte, wie ich auf den Berg gekommen war. Es war Frühling so wie heute. Die Sonne lächelte mild herab, an den Ufern der Weistritz, die bereits ruhig, und von den wilden Gewässern gereinigt dahin floß, blühten Tausende von frühzeitigen Blumen, und aus den schwellenden Knospen am Gesträuch drängten sich die jungen Blätter hervor. Ich war nicht blind gegen alle diese Reize der Natur, aber sie erregten in meiner Seele keine Freude, sondern eine unnennbar bittere Empfindung, und lockten einen neuen Thränenstrom hervor.

›Was weinst du denn?‹ fragte auf einmal meines Gespielen wohlbekannte Stimme an meiner Seite. Ich schlug meine von Thränen getrübten Augen nach ihm auf, [33] vermochte aber nicht zu antworten. ›Steh auf!‹ sprach er weiter, ›und sage mir, was dir fehlt; vielleicht kann ich helfen.‹

›Ach,‹ schluchzte ich, ›hier ist Alles so schön und in unserer Hütte ist es so traurig! Hier lebt Alles, und in unserer Hütte ist der Tod!‹

›Thor!‹ erwiederte er, der mich nicht verstand oder nicht verstehen wollte, ›unten im Thale wird es später Frühling als hier! Vor zwei Monaten lag hier auch noch Eis und Schnee, wo jetzt Blumen blühen, und wenn die Sonne höher steigt, wird der Tod auch aus deiner Hütte weichen müssen.‹

›Ach, mein lieber Herr, Blumen sehe ich wohl wieder blühen und verdorrte Bäume wieder grünen, aber – mein Vater! mein guter Vater! er wird sterben, ehe ich ihn wiedersehe! O könnte ich machen, daß Jugend und Kräfte ihm zurückkehrten, wie diesem wilden Rosenstrauche, der im vorigen Winter verdorrte, und der nun so jung und schön dasteht, wie die Blumen, die sich erst heute entfalteten.‹

›Glaubst du nicht, daß auch Menschen wieder blühen können?‹ fragte er, indem er den Rosenstrauch von allen seinen jungen Blättern entblößte und sie in seinen Mantel sammelte, ›oder fürchtest du, daß die sonst so gütige Natur nur dein Geschlecht stiefmütterlich behandele? – Nimm dieses Laub, bestreue damit deines Vaters Lager, und du wirst sehen, was erfolgt; aber eile solches zu thun, denn verloren gegangene Kräfte lassen sich [34] wohl wieder ersetzen, aber die einmal entflohene Seele kehrt nie zurück!‹

Ich verstand sehr wohl, was der Berggeist damit sagen wollte, und ohne zu danken, schüttelte ich das Rosenlaub in meine Mütze, und flog mit Windesschnelle den Berg hinab nach unserer Hütte, wo mein Vater im Sterben lag.

An der Thüre kamen mir unsere Bekannten aus dem Dorfe entgegen, die wieder nach ihrer Heimath gingen, weil es mit dem Kranken, wie sie zu einander sagten, nun doch bald aus sei, und er also ihres Trostes nicht mehr bedürfe.

Ich achtete so wenig auf sie, als sie auf mich, und flog zu dem Bette meines Vaters, bei welchem ich Niemand fand als den Goldkenner, dessen ich schon oft gedacht habe. ›Armes Kind!‹ rief dieser mir entgegen, ›du kommst kaum noch zeitig genug, um deinem sterbenden Vater die Augen zuzudrücken! Betrübe dich indeß nicht so sehr, denn wenn du mir Gehorsam versprichst, so will ich Vaterstelle bei dir vertreten.‹

Ich hörte nicht auf diese Rede, sondern fing an aus meiner Mütze das junge Rosenlaub mit vollen Händen über den Kranken auszustreuen. Es duftete ungewöhnlich stark, der Kranke nießte dreimal und schlug die Augen auf. Der Goldkenner, der meines Vaters Seele schon auf dem Wege nach einer andern Welt geglaubt hatte, erstaunte, – ich aber fuhr fort, die wohlriechenden Blätter auf den sich wieder belebenden Körper des schon halb Entschlafenen auszubreiten, [35] und hatte bald die Genugthuung, einen leisen Druck von seiner Hand zu fühlen, und ihn das Wort ›Erquickung‹ stammeln zu hören.

Von diesem Augenblicke an trat in dem Zustande des Kranken Besserung ein, die durch ihre schnellen Fortschritte den Goldkenner mehr in Verwunderung setzte als mich, der mit dem, was in der Welt möglich und gewöhnlich ist, noch zu wenig bekannt war, um irgend Etwas außerordentlich zu finden. Ich suchte nur das kostbare Rosenlaub sorgfältig zu hüten, damit kein Blättchen davon verloren ginge, und trug es meinem Vater, der am andern Tage schon außer dem Bette sein konnte, überall nach, bis auch das letzte Blättchen davon verwelkte und geruchlos wurde.

›Was ist mit mir vorgegangen?‹ fragte mein Vater, als er am dritten Tage mit mir und dem klugen Manne aus dem Dorfe, der noch immer bei uns verweilte, ins Freie ging. ›Wodurch ist meine Krankheit, mein Schmerz und meine Schwäche verschwunden? Ich fühle mich um dreißig Jahre verjüngt, und stehe hier in der gleichfalls wiedererwachten Natur mit dem vollen Gefühle der Kraft und Gesundheit!‹

›Daß etwas Außerordentliches mit euch vorgegangen ist,‹ erwiederte der Andere, ›das sehe ich so gut, als ihr es fühlt; aber um das Wie und Wodurch müßt ihr euren Sohn befragen, der euch wahrscheinlich bessere Auskunft darüber geben kann als ich.‹

›Das junge Laub, mein Vater,‹ antwortete ich, ›das ich auf euer Lager streute! – –‹

[36] ›Gut, mein Kind,‹ fiel dieser ein, ›wie kamst du aber zu dieser Wunderarznei? Wer gab sie dir? Wer entdeckte dir ihre geheimen Kräfte?‹

Ich schwieg; eine innere Stimme verbot mir, diese Fragen aufrichtig zu beantworten, und lügen hatte ich nicht gelernt.

›Mein Sohn‹ fuhr mein Vater fort, indem er mich in seine Arme schloß, ›solltest du vor mir ein Geheimniß haben?‹

›Vater,‹ rief ich, indem mir plötzlich die Worte meines geheimen Freundes einfielen, die sich, wie mir dünkte, hier gut wiederholen ließen, ›seht, wie Alles rund umher grünt und blüht! Glaubt ihr nicht, daß auch Menschen wieder blühen können? Fürchtet ihr, daß die sonst so gütige Natur nur unser Geschlecht stiefmütterlich bedenke?‹

Die Männer sahen sich voll Erstaunen über meine Rede an, die ihnen fast zu hoch war, und die in meinem Munde auch gar seltsam klingen mochte.

›Ist das die Sprache eines siebenjährigen Kindes?‹ sagte mein Vater zu seinem Freunde.

›Wie ich euch schon erklärte,‹ war die Antwort, ›es muß mit eurem Sohne verborgene Bewandnisse haben. Dieser kleine Knabe, der oft für die gewöhnlichsten Dinge im menschlichen Leben nicht genug Verstand und Nachsinnen zeigt, spricht bei andern Gelegenheiten oft höher als der gelehrteste Abt. Wäre der Junge mein, ich müßte hinter seine Geheimnisse kommen. Er hat vielleicht Verbindungen, die zuletzt ihm und euch schädlich werden können, [37] so viel äußerlichen Vortheil sie auch Anfangs zu bringen scheinen.‹

›Erdmann,‹ rief mein Vater, ›willst du mir nicht deinen geheimen Freund entdecken, damit ich mit dir vereint ihm für meine wiedererlangte Gesundheit danken kann?‹

Ich stürzte mich zu seinen Füßen und weinte.

›Es wird wohl dieselbe Person sein,‹ fiel der Andere ein, ›die ihm neulich die Ziege mit schwerem Golde abkaufte, und ihm das Vieh obendrein wiedergab.‹

›Nein,‹ sagte ich in meiner Einfalt, ›den Mann kannte ich gar nicht, ich habe ihn weder zuvor noch nachher gesehen!‹

›Aber desto besser,‹ fuhr der Inquisitor fort, ›wirst du den Herrn kennen, der dir den hübschen Vorrath von Goldstücken verehrte, die du in der Hütte verwahrst.‹

›Mein Sohn soll so viel Gold besitzen,‹ – rief hier mein Vater mit Erstaunen – ›ohne mich damit in meiner Armuth zu unterstützen?‹

›Vater, mit jenen Goldpfennigen kann man ja nichts Anderes machen, als damit spielen!‹

›Daß man sie besser gebrauchen kann,‹ versetzte der Goldkenner, ›das mußt du wenigstens seit der Zeit wissen, da ich dich eines Bessern belehrte.‹

Ich wußte auf diese Rüge nichts zu antworten, denn seit die Krankheit meines Vaters gefährlicher geworden war, hatte ich an meine goldnen Spielpfennige gar nicht mehr gedacht.

[38] ›Was du auch gethan haben magst, es sei dir verziehen,‹ – sprach jetzt mein Vater in einem mildern Tone – ›nur gestehe mir Alles!‹

›Vielleicht gewinnt er eher Muth dazu,‹ sagte der Andere, ›wenn ich euch erzähle was ich theils von der Sache weiß, theils darüber muthmaße. Vor ungefähr einem Jahre brachten einige Kinder aus meinem Dorfe, als sie einst vom Spielen heimkehrten, goldene Münzen mit, die sie auf einem Berge, wohin sie euer Sohn immer zu führen pflegte, von einem Unbekannten erhalten haben wollten. Was die Kinder uns von den Dingen erzählten, die ihnen dort oben begegnet sein sollten, schien uns so lange unglaublich, bis wir uns erinnerten, daß der alte Bewohner dieser Gegenden – Rübezahl – gern auf jenem Berge sein Spiel treibe. Unsere Kinder durften von jetzt an den Berg nicht mehr besuchen, wo wir Alten nun vergebens nach den Schätzen des Berggeistes gruben. Euer Sohn ist jedoch, wie ich aus sicherer Hand weiß, nach wie vor auf dem Berge ab und zu gegangen, und mag der arge Versucher ihm wohl schon ganz bethört haben. Durch schnödes Gold hat er den Samen des Geizes in sein Herz gestreut, und dieses, wie der Erfolg ausweißt, sogar gegen seinen eignen Vater verhärtet. Daß euer Sohn heimliche Schätze habe, ward mir schon längst kund, denn man hat ihn an Orten, wo er sich unbemerkt glaubte, mit den Goldmünzen spielen sehen. Noch klarer ward mir die Sache, als er ein Goldstück bei mir verwechselte, und völlig kam ich hinter sein Geheimniß, als ich das aufgehäufte [39] Sündengold einst, – ich versichere euch, von ungefähr und ganz ungesucht – in einem Winkel eurer Hütte fand. Seht nun zu, wie ihr von dem Buben genauere Auskunft über das schreckliche Geheimniß erhaltet! Ich gehe in die nächste Stadt, um der Obrigkeit anzuzeigen, was ich mit gutem Gewissen nicht länger verschweigen kann.‹

Mein Vater starrte mich mit Erstaunen an; ich weinte, und mein Verräther, der die Wahrheit seiner Aussage durch den Augenschein bekräftigen wollte, holte aus der Hütte meinen kleinen Schatz, der sich auf ungefähr drittehalb hundert Stück goldene Konrads belief, und legte ihn meinem Vater vor.

Jetzt drang mein Vater nicht mehr mit Fragen in mich, und suchte sich den Mann, den er sicherlich so sehr verabscheute, als ich, mit einer Hand voll Gold vom Halse zu schaffen. Des Mannes Habgier war jedoch damit noch nicht befriedigt, und erst durch eine zweite und dritte Gabe konnte von ihm das Versprechen, die Sache zu verschweigen, erkauft werden.

Endlich verließ er uns und wir waren allein. Aber anstatt daß meine Prüfung vorbei sein sollte, wie ich gehofft hatte, so ging dieselbe nun erst recht an. Mich gegen das ungestüme, unbefugte Ausforschen eines Fremden zu vertheidigen, dabei leistet mir schon der jedem Knaben angeborne Starrsinn gute Dienste, und Verschwiegenheit gegen einen solchen Inquisitor war eben keine Heldentugend zu nennen; aber was für Waffen hatte ich, um einem [40] Vater zu widerstehen, den ich so sehr liebte und den ich unbedingt Gehorsam zu leisten gewohnt war?

Mein Vater fragte nicht, – er bat, er sah mich liebevoll und bekümmert an, er gestand mir, daß schon der seltsame Handel mit der verkauften und wiedergebrachten Ziege ihn nachdenkend gemacht, und daß Besorgniß über Etwas, das er nicht zu nennen gewußt, ihn selbst dem Grabe nahe gebracht habe. Wenn ich auf meinem Stillschweigen noch länger beharrte, so würden Gram und Furcht ihn bald wieder auf das Krankenlager werfen, und dann dürfte ich nicht hoffen, ihm abermals zu helfen, denn er würde solche unnatürliche Hilfe bestimmt zurückweisen!

Es hätte nicht die Hälfte von diesen Ermahnungen bedurft, um mir mein Geheimniß zu entreißen. Mein Vater erfuhr Alles, und zitternd stand ich vor ihm, das Urtheil zu hören, das er über mein Verhalten fällen würde.

›Ich weiß dich in keiner Beziehung zu tadeln,‹ sagte er nach einer langen Pause, ›dein kindischer Unverstand entschuldigt es, daß du deinem unheimlichen Bekannten so großes Vertrauen schenktest.‹

›Und werde ich den Mann auf dem Berge wiedersehen, werde ich seine Geschenke behalten dürfen?‹

›Das Wichtigste derselben, meine Gesundheit, können wir ihm doch nicht zurückgeben; was bleibt uns also übrig als Dank?‹

›Und danken wollen wir ihm gleich, Vater! Kommt mit mir, ihr sollt ihn sehen, sollt ihm selbst danken!‹

[41] ›Kannst du noch wünschen, ihn wieder zu sehen, da du doch jetzt weißt, wer er ist? – Ein Geist, ein Gespenst, allem Vermuthen nach der berüchtigte Rübezahl!‹

›Ein Geist? – Was ist denn ein Geist?‹

›Wunderliche Frage! Ein Geist ist – ist – Kurz ein Geist ist ein ganz anderes Geschöpf als wir!‹

›Aber meine Ziege und die Vögel im Walde sind ja auch ganz andere Geschöpfe als ich, und doch halten wir gute Freundschaft!‹

›Diese Vergleichung paßt nicht, mein Sohn; der mächtige Berggeist ist ein höheres Wesen als du, ist ein Wesen von so zweifelhaftem Rufe, daß es von den meisten Menschen unter die bösen Geister gezählt wird.‹

›Und doch hat sich dieser Geist immer so gütig gegen mich gezeigt! Er wird auch euch nichts zu Leide thun. Kommt, kommt, laßt uns nur auf den Berg gehen!‹

Und wir gingen; ich hüpfte singend voran, und mein Vater folgte ängstlich nach.

Er erstaunte, als ich ihm den Berg zeigte, der das Ziel unserer kleinen Reise war. ›Was sehe ich?‹ rief er, ›die nämliche Stelle, wo einst die Burg unserer Ahnen stand, die Rübezahl zertrümmerte! – Sollte hier eine höhere Schickung im Spiele sein? Sollte hier dem Enkel vielleicht das ersetzt werden, was die Voreltern verloren?‹

Bei diesen Worten erinnerte ich mich der ähnlichen Rede des Berggeistes, von der ich gegen meinen Vater [42] noch nichts erwähnt hatte, und erzählte ihm daher nun, wie mein seltsamer Freund davon gesprochen habe, daß ich einst an dieser Stelle ein Schloß erbauen würde, und daß unter der zerstörten Rübensaat Goldadern verborgen lägen, deren Besitz mich reicher als einen Fürsten machen würde.

Mein Vater sah mich mit Erstaunen an; ›du armes, kleines, einfältiges Geschöpf,‹ rief er, ›du solltest von dem Schicksale zu so großen Dingen bestimmt sein?‹

Ich konnte nicht begreifen, weshalb sich mein Vater über die Prophezeihung des Berggeistes, die ich zwar wörtlich wiederholt, deren Sinn ich aber nie ganz verstanden hatte, so sehr verwunderte. Ohne daher zu antworten, trieb ich meinen Vater nur zur Eile an, damit wir den Berg zeitig genug erbeichen und wieder verlassen könnten, denn ich fürchtete, daß uns sonst der Langmantel von dem Berge verjagen würde.

Schon begann es im Walde zu dämmern, und obgleich wir tüchtig zuschritten, so blieb das Gebirge doch immer gleichweit von uns entfernt, als ob wir uns nicht von der Stelle bewegt hätten, bis uns endlich ein schreckliches Unwetter nöthigte, für heute gänzlich von unserm Vorhaben abzustehen.

Am andern Tage wanderten wir abermals nach dem Berge und kamen auch glücklich hinauf. Hier fanden wir jedoch Alles öde und grausend; die von mir so sehr geliebte Gegend schien sich ganz verändert zu haben, und nur die Ruinen des Schlosses, und der von Rübezahl entblätterte, [43] nunmehr ganz verdorrte Rosenstrauch, waren mir noch kenntlich. Wir warteten einen ganzen Tag vergebens auf unsern Wohlthäter, bis wir, weil wir uns verspätet hatten, endlich durch einen Steinregen nach Hause gewiesen wurden.

Mein Vater verlangte nicht, diese Stelle wiederzusehen; ich besuchte sie täglich, indem ich hoffte, der Berggeist würde sich mir eher zeigen, wenn ich allein wäre; aber ich schien die Gnade meines Freundes auf ewig verscherzt zu haben und sollte ihn nie wieder erblicken.

Dennoch beharrte ich auf meiner Vorliebe für den Berg, und die Stunden, die ich daselbst zubrachte, waren die seligsten meines Lebens. Eines Tages, als ich an der Seite des verdorrten Strauches, mit dessen Blättern ich meinem Vater das Leben gerettet hatte, entschlummert war, träumte ich, der Berggeist stehe an meiner Seite, und betrachte mich mit zärtlichen, kummervollen Blicken. ›Wie ich dich liebte!‹ flüsterte er, als cede er mit sich selbst. ›Welch ein Loos ich dir bestimmte! Und dies ist Alles nun vorüber! Doch die Prüfungen, die ich dir sandte, waren für deine Jahre zu hart; du bist zu entschuldigen. Ganz verlassen werde ich dich nie, und einen Schatz wirst du noch immer in meinen Gebirgen finden, – aber jetzt: fliehe, fliehe!‹

Mit Schrecken erwachte ich bei den letzten Worten, und weil ich an der sinkenden Sonne sah, daß wirklich die verbotene Stunde nahte, eilte ich nach Hause.

[44] Als ich meinem Vater den wunderbaren Traum erzählt hatte, meinte er nur, es sei gut, daß ich die Ermahnungen zur Flucht eilend benutzt habe, und noch besser würde es sein, wenn ich mir für die Zukunft einen andern Spaziergang wählte.

Ich hatte nicht Zeit, mich zu bedenken, ob ich diesen Rath befolgen sollte, oder nicht, denn schon am andern Tage erfuhren wir Dinge, die uns fast auf den Gedanken bringen konnten, die Warnung des Berggeistes: ›Fliehe! Fliehe!‹ habe noch einen andern Sinn gehabt, als wir ihr gaben.

Es hatte nämlich der verrätherische Freund – der Goldkenner – meinen Vater wirklich in der Stadt als einen Bundesverwandten böser Geister angegeben, und da der Arm der Gerechtigkeit damals diejenigen, die man dessen beschuldigte, was man heut zu Tage Hexerei nennt, schwer und unerbittlich bestrafte, so würde meinen Vater weder seine Unschuld, noch mich meine zarte Kindheit vom Flammentode gerettet haben, wenn wir anders nicht noch zeitig von der uns drohenden Gefahr benachrichtigt worden wären. Ein Reisender, den mein Vater mit Milch und Brod labte, war so menschlich, uns zu warnen, obgleich wir ihm so unbekannt waren als er uns. Wir nahmen den kleinen Rest des Rübezahl'schen Schatzes, den wir vor der unersättlichen Habgier des Goldkenners gerettet hatten, sorgfältig zusammen, und gingen in die Fremde, wo mein Vater, der sich stark genug fühlte, das Schwert zu führen, Kriegsdienste nahm. Zehn Jahre lang hatte er dem Kaiser und dem Reiche treu und tapfer [45] gedient, als ich, der nun auch herangewachsen war, gleichfalls zu den Waffen griff. Kaum hatte ich die ersten Proben von meinem Muthe abgelegt, – da wurde es Friede, und bald darauf lag mein Vater an einer in der letzten Schlacht erhaltenen Wunde sterbend danieder. – Er hatte während der letzten zehn Jahre nie mit mir von den Abenteuern meiner Kindheit gesprochen, in seinen letzten Stunden aber erwähnte er sie. ›Fordre deinen ehrlichen Abschied vom Heere,‹ sagte er, ›und kehre heim ins Gebirge, wo du geboren bist. Du weißt, daß du daselbst einen mächtigen Freund hast, und daß dieser dir versprochen hat, du sollest einen Schatz in seinen Gebieten finden; nun fühle ich zwar jetzt im Grunde der Seele, wie gering irdische Schätze zu achten sind, aber wer weiß, ob man nicht jene Worte anders deuten kann. Auch darf ein so ganz verlassenes Geschöpf, wie du nach meinem Tode sein wirst, sein Glück auf keine Weise vernachlässigen!‹

Der gute Vater starb, und aus Kummer über seinen Tod verfiel ich in eine schwere Krankheit, von der ich mich nur langsam erholte. Als ich wieder genesen war, gedachte ich seines letzten Willens, zog heim in diese Gegenden, und ging, weil ich kein Handwerk gelernt hatte, das mich nähren konnte, in die Dienste Meister Melchiors, welcher eben damals das Gasthaus zum Riesen erst gebaut hatte. So mühselig nun auch mein Dienst ist, und so wenig mir auch meine Herrschaft gefällt, so habe ich doch Gründe genug, in dieser Gegend zu bleiben und in meinem Dienste auszuharren. Anfangs hielt mich die Erwartung des von Rübezahl versprochenen Schatzes, den [46] ich hier finden sollte, fest, und nun thut es die Freude ihn gefunden zu haben.«

»Wie? Du hast ihn gefunden?« rief hier Marie voll Erstaunen.

»Ja, Marie, obwohl ich ihn noch nicht ganz mein nennen kann. Du, mein gutes Mädchen, bist der von Rübezahl mir versprochene Schatz! Mein Herz sagt es mir, daß ich nie einen andern finden werde, und daß ich auch, um glücklich zu sein, keines andern bedarf.« –

Marien's Augen füllten sich bei diesen Worten, die sie von Erdmann's großer Liebe überzeugten, mit Thränen, und ganz ergriffen, vermochte sie nur, ihm durch einen Händedruck zu danken. »Armer Erdmann!« sagte sie nach einer langen Pause, »wie bist du zu beklagen, wenn dein Patron keinen bessern Schatz für dich aufbewahrte, als ein Mädchen, das Nichts besitzt, als ein treues, ehrliches Herz, und fleißige Hände, die jedoch nicht einmal im Stande sind, sie selbst zu ernähren, geschweige dir dein Leben, so wie sie wünschte, zu erleichtern.«

»Marie, weißt du nicht, was geschrieben steht? Wem ein tugendsam Weib bescheert wird – –«

»O möchte, möchte ich dich doch ganz verdienen!«

»Und wie ich dir schon gesagt habe, arm bin ich nicht. Ich zog nicht leicht dieses Weges, ohne Etwas zu finden, – was ich jetzt eben hier wiederfinden und dir zum Mahlschatz schenken werde.« Hier bückte sich Erdmann, und hob Etwas von der Erde auf, das er vom Staube reinigte und ihr in die Hand drückte. Mit Erstaunen sah Marie, [47] die nicht so unerfahren war, wie weiland der kleine Erdmann, ein glänzendes Goldstück, und als Beide es genauer betrachteten, so wurden sie auf dem Gepräge zwei in einandergeschlungene Hände gewahr, von einer lateinischen Umschrift umgeben, die sie jedoch nicht lesen konnten. Ein seltenes Schaustück, die einzige Münze, welche Konrad von Schwaben während seines kurzen Kriegszuges, und zum Andenken der zwischen ihm und Friedrich von Oestreich bestehenden Freundschaft hatte schlagen lassen! – Liebende deuten gern Alles zu ihren Gunsten, – so auch Erdmann und Marie, die sich über das Symbol der Vereinigung, was sich auf der Münze vorfand, ungemein freuten, und die ihre Gedanken durch eine herzliche Umarmung – die erste, welche von den unschuldigen Seelen noch gewagt worden war, – ausdrückten.

»Wie ich dir sage,« fuhr Erdmann nach einer Weile in seiner Erzählung fort, »dergleichen Goldmünzen habe ich hier viele gefunden; zwar nicht mit dem seltenen und schönen Gepräge, wie diese hier, die der gute Berggeist wohl besonders zu unserer Verlobung aufgehoben haben mag, aber doch ähnlich genug, um den Geber errathen zu können. Ich besitze davon eine ziemliche Anzahl und würde ihrer noch mehr haben, wenn ich es nicht für Pflicht hielte, wenigstens den achten oder zehnten Fund, den ich hier thue, in die Hände der Armuth zu legen. Der Vorwurf, den ich einst aus dem Munde meines Verräthers hören mußte, als habe mich ein böser Geist bethört, der mein Herz durch Goldgier zu verhärten suche, schmerzt [48] mich noch immer, und ich wollte lieber, der wohlthätige Berggeist nähme alle seine Gaben zurück, als daß er mich zum hartherzigen Reichen machte.«

»Das wird Erdmann nie werden,« rief Marie, »aber wohl scheint es mir, als wenn du dir zu viel von deinem Rübezahl versprächst! Ich fürchte, er bekümmert sich wenig um dich, und du kannst die Goldstücke, welche du als Knabe hier mit vollen Händen ausstreutest, jetzt wohl wieder finden, ohne daß er dabei die Hand im Spiele zu haben braucht.«

»Glaube davon, was du willst; mir wird es immer sonderbar vorkommen, daß nur ich, nie ein Anderer, der glückliche Finder bin, und daß ich oft, wenn ich auf meinen Wegen einen Begleiter hatte, wahrnehmen mußte, wie für diesen selbst offen im Wege liegende Goldstücke unsichtbar waren. Ich habe oft zu meinem Reisegefährten gesagt: ›Lieber Gesell, hebe auf, was vor deinen Füßen flimmert, es ist ein guter Reisepfennig!‹ – und er hat mir dann das, was ich noch beim Aufheben für ein Goldstück erkannte, lachend als einen Rübenschnitt oder eine verwitterte Glasscherbe vor die Augen gehalten.

Auch sind die milden Spenden des Berggeistes nicht die einzigen Gunstbezeugungen, deren ich mich von ihm zu erfreuen habe. Ueberall – so däucht es mir, – steht er mir rathend und helfend zur Seite. Verirre ich mich im Walde, so gesellt sich bald irgend eine Person zu mir, die mich wieder auf den rechten Pfad bringt. Führt mich mein Weg nach einem Orte, wo ein Unglück geschehen [49] soll, so hält mich immer etwas unterweges auf, daß ich zu spät komme, um davon betroffen werden zu können, und wartet irgendwo eine Freude auf mich, so werde ich von den Flügeln des Windes dahin getragen. Der wunderbaren Rettungen auf meinen oft gefahrvollen Wegen hier im Gebirge sind unzählige, und selbst deine Rettung, Marie, war ein Werk, das, wenn ich mir alle Umstände recht überlege, nicht ganz auf Rechnung meiner Kräfte und meines guten Willens zu schreiben ist.«

»Verzeihe, Erdmann, wenn ich dir wenigstens hierin widerspreche! Ich möchte nicht gern den Dank für mein Leben zwischen dir und einem Wesen theilen, das ich nicht kenne, und mit dem ich mich auch nicht befassen mag. Ueberhaupt, mein Freund, traue nicht zu viel auf deinen Gönner aus der Geisterwelt. Ist es schon mit großen Herren mißlich umzugehen, die doch Menschen sind, wie wir, wie viel mehr mit jenen ätherischen Geschöpfen, denen wir Staubbewohner wahrscheinlich nicht mehr sind, als dem spielenden Knaben der Schmetterling, der in seiner Hand flattert.«

»Bedenke, Marie, daß die Geister, zu welchen jenes unbekannte Wesen wahrscheinlich zu rechnen ist, keine Menschenhasser sind.«

»Das glaube ich dir herzlich gern! – Der Knabe mit dem bunten Schmetterlinge haßt das kleine Thierchen auch nicht, das zwischen seinen Fingern zappelt, er bewundert, er liebt es vielmehr, aber – seine Liebkosungen bringen ihm den Tod. – Ach, lieber Erdmann, ich habe [50] in dieser Beziehung traurigere Erfahrungen gemacht, als du wahrscheinlich denkst; ich könnte dir Dinge erzählen – doch du sollst sie erfahren, so wie überhaupt meine ganze Lebensgeschichte; ich bin es dir schuldig, eben so offenherzig gegen dich zu sein, als du es gegen mich warst.

Für heute müssen wir uns jedoch trennen, denn schon verschwindet die Sonne hinter jenen Bergen; aber morgen komme zeitig, wenn du kannst, damit ich meine Geschichte auf einmal ende.«

Ehe sie schieden, schenkte Marie ihrem Verlobten noch einen dünnen, silbernen Fingerreif, den sie immer zu tragen pflegte, und der das einzige Kleinod war, das sie besaß. Er dagegen versprach, morgen den Beutel mitzubringen, in welchem er seinen Schatz verwahrte, um sie durch den Augenschein von der Mildthätigkeit seines Patrons zu überzeugen.

[51]

Zweiter Abschnitt

Zweiter Abschnitt.
Die Ludlams-Höhle

Als Erdmann nach Hause kam, schalt Vater Melchior, Frau Else rumorte mit Tiegeln und Töpfen, und die schmutzige Metten weinte bitterlich. Das arme Geschöpf war nur aus Neigung für Erdmann, die sie mit allen Einwohnerinnen des Gasthofs zum Riesen theilte, damals in ihrem Dienste geblieben, als das übrige Gesinde abgezogen, und um seinetwillen mußte sie jetzt leiden. Als sie Marien, wie wir schon erzählt, heimlich bewirthet, und in ihrem Bette getrocknet und gewärmt hatte, da schenkte ihr das dankbare Mädchen ein seidnes Tuch, – ihren liebsten Staat, – den sie bei der Wassergefahr um den Hals getragen hatte. Diese Kostbarkeit hatte die strenge Hausregentin in der Garderobe der armen Dirne entdeckt und durch gewaltsames Forschen das ganze Geheimniß, so weit es der Inquisitin bekannt war, heraus gebracht.

»Es ist eine Schände,« brummte Else, als Erdmann in die Küche trat, »für einen sonst so wackern jungen Burschen, sich mit gemeinen Dirnen abzugeben, und sie der Herrschaft ins Haus zu bringen. Als wenn es nicht [52] brave und redliche Weiber gäbe, die sein Glück machen könnten!« – Herr Melchior aber sagte: »höre, Gesell, wenn ich dir gewogen bleiben soll, so laß ab von deiner Marie, die ich wohl kenne! Sie wohnt zu Schweidnitz in der Judenstadt, und ist eine Landläuferin, eine Guglerin – –«

»Oder gar eine Jüdin,« fiel Frau Else ein; »Niemand weiß, woher sie gestoben oder geflogen ist, und kein gutes Haar ist an ihr!«

Erdmann stand wie versteinert über das Ungewitter, das ihn hier erwartete, und hielt es für das Klügste, es austoben zu lassen, ohne sein Stillschweigen zu brechen. Metten mußte noch dieselbe Nacht aus dem Hause. Erdmann gab ihr in der Stille einige von seinen Goldstücken auf den Weg, und verschloß sich nach verrichteter Hausarbeit in sein Kämmerlein, um über das, was ihm begegnet war, nachzudenken.

Die schweren Beschuldigungen, die Meister Melchior und seine Tochter gegen die arme Marie vorgebracht hatten, verfehlten nicht, auf Erdmann einen großen Eindruck zu machen. Zwar erweckten sie bei ihm kein Mißtrauen gegen die Geliebte, aber sie erzeugten doch eine quälende Unruhe. – Mit Sehnsucht harrte er dem Tage entgegen, der ihm über die Verhältnisse der so sehr angeklagten Marie Aufschluß geben sollte, und schon fürchtete er, daß er vielleicht verhindert werden könnte, mit dieser zusammenzutreffen. Beinahe wäre dieß der Fall gewesen, denn Frau Else war am andern Morgen sehr gegen die beabsichtigte [53] Wanderung und erst, als es sich erwieß, daß gerade heute höchst wichtige Aufträge in der Stadt zu besorgen waren, die keinen Aufschub litten, wurde ihm gestattet, den Weg dahin anzutreten. Beim Fortgehen entließ man ihn mit der ernsten Verwarnung, dießmal nicht so lange auszubleiben wie gewöhnlich, und die Possen mit der verlaufenen Dirne unterweges zu lassen.

Erdmann kümmerte sich wenig um diese Ermahnungen, und war entschlossen, zu thun, was ihm beliebte, nicht was die unbefugten Richter seiner Handlungen ihm vorschrieben. Wie immer, glückte es ihm auch diesmal, seine Geschäfte in ganz kurzer Zeit abzumachen. Ehe man noch im Gasthofe glauben konnte, er habe jetzt die Stadt erreicht, war schon daselbst Alles ausgerichtet, und bald saß er an der gewöhnlichen Stelle an Mariens Seite, die er jedoch in einer traurigen Stimmung fand.

Zurückhaltung und unnöthige Umschweife sind die Quellen der unheilbarsten Zwistigkeiten; es würden sich im wirklichen Leben, so wie in der Romanenwelt, nicht so viele Verwirrungen finden, wenn man überall fein gerade zu Werke ginge, wie Erdmann that. Man hatte ihm Etwas wider sein Mädchen in den Kopf gesetzt, und kaum war er eine Viertelstunde mit ihr zusammen, so wußte sie schon Alles, was man Schlimmes von ihr gesagt hatte.

Marien's Mienen verzogen sich bei Erdmann's Mittheilung halb zum Lachen, halb zum Weinen, und erst nach einer langen Pause fing sie zu sprechen an:

[54] »Was sich die Leute doch für große Mühe gehen,« rief sie, »eine Liebe zu stören, von welcher noch Keines von uns weiß, ob der Himmel seine Zustimmung dazu geben wird.«

»Ich hoffe, Marie, wir haben die Zustimmung des Himmels und aller guten Geister, wenn du nur im Stande bist, die Beschuldigungen zu entkräftigen, die man gegen dich vorgebracht hat.«

»Was würdest du nun aber thun, wenn der größte Theil jener Beschuldigungen auf Wahrheit beruhte?«

»Du erschreckst mich, Marie! Und doch, ich fühle es, würde ich nie aufhören, dich zu lieben, möchte es auch mit dir stehen, wie es wollte! – O rede, und reiße mich aus meiner Ungewißheit!«

»Man nennt mich eine Landläuferin! – gut, wenn ein armes, von seinem Vaterlande entferntes Mädchen diesen Namen verdient, so bin ich es. Eine Guglerin 3! – bezeichnet man mit dieser Benennung die Britten, welche vor einigen Jahren mit dem Schwerte in der Hand das feste Land betraten und hier Wunder der Tapferkeit verrichteten, so gehöre ich allerdings zu diesem Geschlechte, denn ich bin eine Engländerin, wie du heute aus meiner [55] Geschichte ohnedem vernommen haben würdest. – Eine Jüdin soll ich auch sein – – –«

»Nun? du sollst? Was wirst du auf diese Beschuldigung erwidern?«

»Sage mir, Erdmann, war der Menschenfreund im Evangelio, der den unter die Mörder Gefallenen pflegte und verband, ein Jude?«

»Nein! Aber ich sehe nicht ein, was du mit dieser Frage willst.«

»Ich wünschte nur zu wissen, ob etwa Jemand, der mit einem Juden in Berührung kommt, ebenfalls als ein solcher angesehen werden kann! – Weshalb mich übrigens manche Leute für eine Jüdin halten, weiß ich selbst nicht recht, und vermuthe nur, daß meine Wohnung Veranlassung zu diesem Gerede gegeben hat. – Meine Herrschaft – fast eben so arm wie ich – wohnt nämlich in dem gastlichen Theile von Schweidnitz, der vor hundert Jahren den aus Breslau vertriebenen Juden als Zufluchtsort diente, – aber muß ich darum sein, was meine Nachbarn sind? – Dann müßte ich ja besorgen, in meinem Erdmann einen Genossen von Meister Melchior zu sehen, und dann hättest du mir, wenn auch Alles wahr wäre, wessen man mich beschuldigt, wahrhaftig wenig vorzuwerfen.«

Marie, die sonst so sanftmüthige Marie, ward bitter! Erdmann suchte sie zu besänftigen, was ihm auch leicht wurde, denn mit ihm zürnte sie ja nicht. Es kam bald dahin, daß die beiden Liebenden wieder in so traulicher [56] Einigkeit beisammen saßen, als ob nichts vorgefallen wäre, und Marie fühlte sich gefaßt genug, ihre Geschichte zu beginnen.

»Daß ich eine Engländerin bin,« fing sie ihre Erzählung an, »hast du bereits erfahren, und dies ist auch das Wichtigste, was ich dir von meiner Person zu sagen weiß. Ich bin noch zu jung, um selbst viel Abenteuer erlebt zu haben, und es sind mehr die Schicksale meiner Eltern, die ich dir zu erzählen beabsichtigte, und die dir über gewisse Verhältnisse Aufschluß geben werden.

Wenn ich dir nun vor allen Dingen sage, daß meine Mutter edler Abkunft war, so hoffe ich, daß der Herr von Erdmannsdorf mir dieß nicht als Eitelkeit auslegen und nicht etwa glauben wird, ich erwähnte solches nur darum, damit er, – falls wir noch ein Paar werden sollten – sich vor keiner Mißheirath fürchte.«

»Holdes Mädchen!« rief Erdmann, den der kleine Muthwille, der aus ihren Worten sprach, nicht wenig ergötzte, »du verstehst es, mich mit tausendfachen Banden an dich zu fesseln! Bald zeigst du eine liebe, süße Einfalt, bald einen weisen Ernst, bald bist du das launige Geschöpf, das sich – wie jetzt – durch einen harmlosen Scherz für unschuldig erlittenen Schimpf rächt!« – Marie lächelte und fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Meine Mutter war die Urenkelin des berühmten Sir William Turner, der zu Zeiten eines unserer alten Könige eine wichtige Rolle spielte. Doch du bist wahrscheinlich in der Geschichte meines Vaterlandes eben so [57] unwissend als ich in der deinigen, und ich will dich daher nicht mit Aufzählung der Schicksale meiner Urahnen behelligen.

Meine Mutter war ungeachtet des großen Namens, den sie führte, so arm, wie ihre Tochter, die jetzt an deiner Seite sitzt, und mußte gleich dieser, von der Arbeit ihrer Hände leben. Doch war sie reich an Tugenden. Ihr Wandel war still und sittsam, und deshalb war sie bei den Mitbewohnern ihres Geburtsortes, – eines kleinen Dorfes nahe bei Farnham in der Grafschaft Surry, – so wohl angesehen, daß, als sich in ihrem zwanzigsten Jahre ein Freier meldete, die ganze Gemeinde einig ward, meine Mutter nothdürftig auszustatten, ihr das Hochzeitmahl auszurichten und dem verlobten Paare noch eine besondere Gunst zu erweisen.

Die Gemeinde besaß in der Gegend von Noorparck, nicht weit von ihrem Dorfe, ein kleines Haus nebst etwas Wiese und Ackerfeld, so viel als ein einzelner Mann bearbeiten kann. Seit undenklichen Zeiten bestand nun eine Stiftung, nach welcher diese Meierei immer an ein junges Ehepaar für die Zeit von zwei Jahren übergeben werden mußte, und zwar unentgeldlich, damit, – so lauteten die Worte des alten Stifters in der sorgfältig bewahrten Urkunde, – damit das junge Paar wenigstens im Anfange der Ehe sorgenfrei leben könnte. Während nun die Meierei früher meistens an die Kinder der reichsten Pächter vergeben worden war, die durch ihren Einfluß diese Gunst zu erlangen wußten, so vereinigte sich [58] doch diesmal die ganze Gemeinde, jenes Besitzthum der guten Marie Turner zuzusprechen, die als elternlose Waise einer solchen Wohlthat um so mehr bedurfte, als ihr Bräutigam zwar ein braver, aber armer Kriegsmann war. Heutzutage nennt man es Heldenwagniß oder Thorheit, wenn zwei Arme einander freien, damals aber fand man die Heirath meiner Mutter weder sonderbar noch thöricht. Liebe schloß sie, das Brautpaar hatte Lust und Kräfte zur Arbeit, und es bedurfte also nur einer kleinen Unterstützung, die man ihnen gern verwilligt hatte.

An einem bestimmten Tage brachte man die Verlobten in feierlicher Procession nach der Waverly-Abtei, wo sie eingesegnet wurden, und bei der Heimkehr ermangelte man nicht, einen gewissen, großen kupfernen Kessel mitzunehmen, welcher in dortiger Kirche verwahrt, und gewöhnlich bei ähnlichen Hochzeitausrichtungen, wie die meiner Eltern, zur Bereitung der Speisen gebraucht wurde.

Als des Abends, nach einem froh durchtanzten und durchspielten Tage, die Alten beim starken Biere saßen und sich gütlich thaten, und die jüngern Leute dem Gespräche der Greise zuhörten, begann einer von diesen folgendermaßen: ›Laßt uns auf das Wohlsein der Patronin des jungen Ehepaars trinken! Die Becher hochgehalten! Es lebe Mutter Ludlam in ihrer Höhle!‹ – Die Meisten von der Gesellschaft wußten, wem die ausgebrachte Gesundheit galt, und tranken freudig mit; aber der Bräutigam, der aus einer entfernten Gegend nach Surry gekommen war, sagte, nachdem er seinen Becher [59] geleert hatte: ›guter Vater, wem zu Ehren habe ich getrunken, und wer ist überhaupt Mutter Ludlam, die ihr meine Patronin nennt?‹

›Junger Mann,‹ versetzte der Alte, ihr sollt Alles erfahren, denn es würde euch übel anstehen, aus Mutter Ludlams geweihtem Kessel gegessen zu haben, und nach Mitternacht den Kehraus um denselben zu tanzen, ohne zu wissen, was es damit für eine Bewandniß hat. Die Geschichte der Mutter Ludlam, die leider heutzutage von der leichtsinnigen Jugend für ein Mährchen gehalten wird, lautet so:

Drei Meilen von Farnham, in der guten Grafschaft Surry liegt ein sandiger Hügel, der sich südwärts öffnet und eine Höhle bildet, in welcher in der grauen Vorzeit ein Weib gewohnt haben soll, das der Sage nach von menschlichem Geschlechte, jedoch mit übernatürlichen Kenntnissen ausgerüstet war. Ich habe indeß in einem alten, glaubwürdigen Buche gelesen, daß jenes Weib ein in diese Gegend gebannter Geist war, der daselbst unter menschlicher Gestalt gewisse, uns Sterblichen unbekannte Absichten ausführte. Unsere Urväter haben dieses geheimnißvolle Wesen noch gesehen, seine Wohlthaten genossen und es Mutter Ludlam genannt, was in der alten gothischen Mundart ungefähr so viel geheißen haben mag, als Mutter Geberin, oder gebende Mutter. Der Name war gut gewählt, denn in der That war Geben des guten Geschöpfes tägliches Werk; sie gab so lange, bis sie nichts mehr hatte, oder bis der Undank, [60] die Unbescheidenheit, oder die Ungenügsamkeit der Beschenkten sie ungeduldig machte. Sie hörte nun mit dem Geben auf, weil sie aber die Erdbürger nicht ganz verlassen konnte oder wollte, so fing sie jetzt an, den Hülfsbedürftigen das zu leihen, was sie früher verschenkt hatte. Bei ihr konnte man Alles haben. Sie lieh gern und ohne Interessen; aber prompt mußte man im Wiedererstatten sein. Wenn der Termin der Zurückgabe, den sich Jeder – jedoch nur auf Tage, nicht auf Jahre – festsetzen durfte, verflossen war, ohne daß man ihr das Geliehene zurückgebracht hatte, so bestrafte sie die Wortbrüchigen hart, doch weiß man nicht, worin die Strafe gewöhnlich bestanden hat. – Alles, was aus ihren Händen kam, es mochte Gold oder Geräthe sein, das brachte Segen und machte dem Borger die Erstattung leicht. So soll der Erbauer der Waverly-Abtei, – ein armer Pilger aus dem heiligen Lande, – hinab in ihre Höhle gestiegen sein, und um Holz, Steine und ein wenig Geld zu Erbauung einer Klause gebeten haben, – da ist ihm so viel davon geworden, daß er es mit Pferden und Wagen hat hinwegfahren müssen! Aus der kleinen Klause entstand ein großes Kloster, und nach Verlauf von dreihundert Tagen, den Termin, den sich der Pilger selbst bestimmt hatte, ist er im Stande gewesen, das Geborgte in Natura wieder zur Stelle zu schaffen. – Wer von der Mutter Ludlam etwas leihen wollte, brachte sein Anliegen auf folgende Weise vor: Um Mitternacht ging der Borger entweder allein, oder in Begleitung eines [61] Kindes durch die weite Oeffnung, welche damals an zwanzig Fuß breit und zehn Fuß hoch gewesen sein soll, in die Höhle hinein, bis zu einer Stelle, wo sich die Höhle nordwärts krümmt. Hier fand er einen klaren Bach, der sich in ein Marmorbecken ergoß, das Anton Waverly, der Erbauer jener Abtei, wo ihr eingesegnet worden seid, hatte machen lassen, und an dieser Stelle soll Mutter Ludlam – eine freundliche Alte – oft sichtbar gewesen sein. – Ließ sie sich aber auch nicht sehen, so hatte man weiter nichts zu thun, als dreimal um den Brunnen zu gehen und zu sagen: ›Gute Mutter Ludlam, leihe mir dieses oder jenes, in so und so viel Tagen bringe ich es wieder.‹ Wenn man sich dann langsam entfernte, so fand man am andern Morgen das Geforderte am Eingange der Höhle, wohin man es, wie schon gesagt, genau zur bestimmten Zeit und Stunde und in eigner Person wiederbringen mußte. Nun begab es sich einst, daß ein junger Mann, so wie ihr, Hochzeit machte, zu der, weil er reich war und viele Freunde hatte, mehr Gäste kamen, als er erwartet hatte. Im ganzen Dorfe war kein Kessel, der groß genug gewesen wäre, die Brautsuppe darin zu kochen. Da höhnten ihn die losen Gesellen und sprachen: ›Hochzeiter! steige hinab zur Leihfrau und borge von ihr, was du bedarfst!‹ Um seinen Muth zu zeigen, that er, wie sie ihm sagten, und ging am Vorabende des Hochzeitfestes in die Höhle und bat: ›gute Mutter Ludlam, leihe mir einen Kessel zur Brautsuppe, aus welchem alle meine Gäste satt werden können; morgen [62] um diese Zeit bringe ich ihn wieder.‹ – Er erhielt, was er forderte und lief nach Hause, einige Knechte zu holen, die ihm das ungeheure Ding, das ihr heute gesehen habt, heimholen mußten.

Man kochte darin, man aß und wurde satt. Jedermann behauptete, nie hätte eine Suppe köstlicher geschmeckt, als diese; auch fehlte es nicht an Großprahlereien des Bräutigams und schmeichlerischen Lobeserhebungen seiner Freunde wegen seines Muthes, denn es war eine geraume Zeit vergangen, daß Niemand gewagt hatte, ein Darlehn von der strengen Schuldfrau zu fordern, die wahrscheinlich das letzte mal einem bösen Bezahler übel mitgespielt haben mochte.

Unter lärmender Freude ging der Tag hin, und Mitternacht kam heran, ohne daß der Borger an sein Versprechen dachte. Er führte sein junges Weib heim, und beschied seine Gesellen auf den nächsten Tag zu neuer Freude. Ach, diese Freude sollte in eine Todtenklage verwandelt werden! Man fand am andern Morgen den jungen Ehemann todt, und sein Weib in einer todtenähnlichen Ohnmacht auf ihrem Lager. Keine Hülfleistung konnte den Unglücklichen erwecken, und die junge Frau wußte nichts zu sagen, als daß sie über einen fürchterlichen Traum, den sie vergessen habe, erwacht sei, daß sie ihren Mann, weil ihr ein Grausen angewandelt, habe wecken wollen, ihn jedoch todt gefunden, und daß sie darauf wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen sei. – Bei reiflicher Ueberlegung aller Umstände konnte [63] man nicht anders glauben, als daß der schnelle Tod des jungen Mannes ein Werk der Mutter Ludlam gewesen sei, die sich an den Wortbrüchigen habe rächen wollen. Man fand ihre Strenge sehr grausam und unvernünftig, und brachte ihr mit Fluchen den Kessel wieder; aber sie mochte nicht zurücknehmen, was ein Mensch mit seinem Leben erkaufen mußte, und soll seitdem das Leihen ganz aufgegeben haben. Der Kessel lag ein ganzes Jahr am Eingange ihrer Höhle, bis man ihn nach Waverly zurückbrachte und bestimmte, daß er bei ähnlichen Hochzeitausrichtungen, wie die eurige, nicht allein immer gebraucht, sondern daß dem jungen Ehepaare auch noch ein Geschenk von drei Kronen verehrt werden solle, die euch diese Nacht beim Tanze um den kupfernen Kessel jedenfalls gereicht werden. –

Richard, mein Vater, war hocherfreut über das tröstliche Ende der Geschichte, denn Geld hatte er wenig in den Händen, und die unerwartete Hochzeitsteuer kam ihm sehr gelegen. ›Ei so soll sie hoch leben, die gute Zauberin!‹ rief er und trank noch einen Becher aus: ›Auf euer Wohlsein, Mistreß Ludlam! Wenn mir einmal das Borgen ankommt, so werde ich an eurem Leihhause nicht vorübergehen!‹

Die Gäste lachten über den Einfall, man stand auf, und machte Anstalten zum Weggehen. Das Brautpaar mußte neunmal die Runde um den schwarzen Kessel machen, wobei es an wohlangebrachten, unschuldigen Neckereien nicht fehlte; dann gab man ihnen die drei[64] Kronen, welche Richard als nunmehriger Hausvater zu sich nahm, und sich mit seiner jungen Frau zum Heimzuge fertig machte. Es war eine helle Sommernacht, voll Mondschein und leuchtender Insekten. Das ganze Dorf begleitete die Neuvermählten unter dem Schalle von Becken und Schalmeien nach dem einsamen Hause, welches nun zwei Jahre lang, bis nach vollbrachter Ernte, ihr Eigenthum sein sollte. Unter den jungen Leuten, die sie mit heimführen halfen, befanden sich gewiß ein paar Liebende, die sich diese Nacht bei dem Schimmer der Gestirne das Wort gaben, recht bald dem Beispiele der Neuvermählten zu folgen, denn damals zeigte Hymen ein so lockendes Gesicht, daß nicht leicht junge Leute ihn bei einem Hochzeitfeste in der Nähe lächeln sahen, ohne daß sich hier und da Liebesbündnisse entspannen, welche nächstens Gelegenheit zu neuen Festen gaben.

Richard und Marie begannen ihren Hausstand unter den glücklichsten Aussichten; in ihrer kleinen Wirthschaft schien, wenigstens auf den ersten Anblick, Nichts zu fehlen, so wohl hatte man sie ausgestattet, und hinsichtlich der diesmaligen Ernte, die in wenig Wochen bevorstand, und auf die sie freilich keinen Anspruch machen durften, traf man auch solche Verfügungen, daß sie zufrieden sein konnten. Richard nahm, als die Zeit heran kam, sein Ackergeräth zur Hand, das Feld wieder zu bestellen, was er, ungeachtet er bisher das Schwert geführt hatte, sehr wohl verstand. Marie arbeitete indessen fleißig zu Hause, – das heißt, sie trieb das Gewerbe, das [65] auch ich von ihr gelernt habe, – sie spann und webte, wie sie im ledigen Stande gethan hatte; aber des Abends, wenn der Mann nach Hause kam, legte sie Spindel und Rocken bei Seite, um blos ihm zu leben. Nach der frugalen Abendmahlzeit saß man dann an der Thüre des Hauses, und überblickte unter frohem Geplauder die Umgegend, die den Liebenden bei allen Unvollkommenheiten, die sie hatte, ein zweites Eden zu sein schien, oder man ging zu den gemeinschaftlichen Freunden und Wohlthätern in das nahgelegene Dorf, die sich über das Glück des jungen Paares, denen sie empor geholfen hatten, innig freuten.

›Marie,‹ sagte einst mein Vater zu meiner Mutter, als sie von einem solchen Besuche nach Hause gingen, ›mir hat diesen ganzen Abend etwas auf dem Herzen gelegen, das ich unsern Freunden gern entdeckt hätte, ohne den Muth dazu zu haben. Sie haben unsere Wirthschaft wohleingerichtet, und es an nichts fehlen lassen, das uns noth ist; gleichwohl hätte ich noch einen Wunsch, den ich auf keine Art zu befriedigen weiß, weil ich mich zu reden scheue!‹

›Und warum das, Richard? ich denke, du kannst nichts Unbilliges wünschen!‹

›Nein, meine Wünsche sind sehr unschuldig, und mit wenig Kosten zu befriedigen; aber bedenke selbst, wie würde mir es anstehen, wenn ich zu den Leuten, die so viel für uns gethan haben, käme und spräche: Der Acker, auf welchen ihr Weizen zu säen gewohnt seid, [66] würde bei einer andern Art von Getreide weit fruchtbarer sein; gebt sie mir, daß ich säe und mit Wucher ernte! Oder wenn ich sagte: mir fehlt dieses oder jenes Ackergeräth, das ich in irgend einem fremden Lande sah, und das sie vielleicht kaum dem Namen nach kennen! Sprich, würde man mich bei einer solchen Aeußerung nicht einen Undankbaren und Begehrlichen schelten?‹

›Und wie dann, Richard, wenn ich dir jetzt schon diese Namen beilegte?‹

›Das wirst du nicht, wenn du bedenkst, daß wir hier nur kurze Zeit zu hausen haben, und daß uns ein erlaubter Vortheil wohl zu gönnen ist. Sprich, wenn mich nach Verlauf unserer Gnadenjahre der König wieder ins Feld ruft, kann mir es dann gleich sein, ob ich dich ganz arm, oder mit einem kleinen Nothpfennig versehen zurücklasse?‹

Marie drückte seine Hand. ›Liebe,‹ rief sie, ›spricht aus Allem, was du sagst; wie kann ich dein Vorhaben tadeln? – aber auch wie soll ich helfen?‹

Der Rest des Weges wurde schweigend zurückgelegt, bis sie ihre kleine Wohnung von Weitem in der Dämmerung liegen sahen. Sie kamen jetzt vor einem großen Sandhügel vorbei, der sich fast bis an ihr Haus erstreckte, und der gegen die umliegende fruchtbare Gegend, die ihnen zum Anbau anvertraut war, sehr abstach.

›Ach!‹ rief Richard im Vorübergehen, ›wie Schade ist es, daß du, gute Mutter Ludlam, das Schenken und [67] das Leihen verlernt hast! Bei dir wüßte ich Rath für das, was mich Tag und Nacht beunruhigt.‹

›Was willst du damit sagen?‹ rief meine Mutter, die am ganzen Körper zitternd, kaum weiter zu gehen vermochte.

›Wie?‹ antwortete mein Vater, ›weißt du noch nicht, daß die gute Leihfrau, von der man uns am Hochzeittage so viel erzählte, unsere Nachbarin ist? – Was giebst du mir, so gehe ich diese Nacht in ihre Höhle, deren Oeffnung wir bald sehen werden, wenn wir uns nur ein wenig südwärts halten, und versuche, ob sie noch so menschenfreundlich ist, wie zu deiner Väter Zeiten!‹

›Um Gotteswillen, Richard!‹ schrie Marie, und schlang ihre Arme um seinen Nacken, ›laß ab von solchem tollkühnen Unternehmen! Wer bürgt mir für dein Leben, das mir so theuer ist?‹

›Glaubst du, daß ich nicht besser Wort halten würde, als jener reiche Pachter?‹

›Ich glaube von dir in Allem das Beste, aber ich bitte dich, wenn du borgen willst, so wende dich an Deinesgleichen, und verirre dich nicht in die Geisterwelt. – Jetzt komm, und laß uns aus dieser Gegend eilen, die mir noch nie so unheimlich vorgekommen ist als heute!‹

Sie lenkten seitwärts ab, und kamen bald nach Hause. Beide sprachen wenig, und legten sich stillschweigend zu Bette.

›Marie,‹ sagte mein Vater um Mitternacht, ›du kannst wohl nicht schlafen? Was fehlt dir?‹

[68] ›Ach, Richard, ich denke an unser letztes Gespräch! Es war doch nur dein Scherz, was du von der Ludlamshöhle sagtest? Denn wenn dir ja deine neuen Erwerbspläne so sehr am Herzen liegen, so kannst du dir noch anderweitig helfen.‹

›Und wie?‹

›Wir haben ja unser Hochzeitgeschenk noch, die drei Kronen aus der Waverly-Abtei. Nimm sie, und wende sie an, wie du willst; du kannst wohl denken, daß ich nichts dawider habe; deine Ruhe kann nicht zu theuer erkauft werden!‹

Richard schwieg, denn mit jenen drei Kronen hatte es seine besondern Bewandnisse, wovon meine Mutter nichts wußte, und wovon er ihr nichts entdecken durfte. – Mein Vater war bei allen seinen guten Eigenschaften nicht ohne zwei große Fehler, Folgen seines Soldatenstandes, und des Bösen, was er in der Fremde gesehen hatte. Er liebte nämlich sehr die gefüllten Becher, und noch ungleich mehr das Spiel, und da er gerade in den ersten Tagen seiner Ehe eine kleine Geschäftsreise nach Okly hatte machen müssen, so waren bei dieser Gelegenheit die drei Kronen, deren meine Mutter gedachte, theils vertrunken, theils verspielt worden.

Am andern Tage wiederholte meine Mutter ihre Vorschläge, und mein Vater, der vermuthlich während der Nacht darüber nachgedacht hatte, wie er sich aus seiner großen Verlegenheit helfen könne, schien ihr mit Wohlgefallen zuzuhören. ›Wenn du willst,‹ sagte er, [69] ›so bin ich bereit, die Grille, die mir in den Kopf gekommen ist, auf die leichteste Art zu befriedigen. Nenne es nicht Eigensinn; du wirst sehen, daß die Sache Vortheil bringt, und daß die drei Kronen, die man für verloren halten möchte, bald wieder gewonnen sein werden.‹

Die unschuldige Marie ahnte keinen Doppelsinn in diesen zweideutigen Worten und freute sich darauf, ihren Mann, den sie schon lange eine kleine Schwermuth angemerkt hatte, nun künftig ruhiger zu sehen. Als dieser ihr aber erklärte, daß er, um sich das Benöthigte anzuschaffen, eine kleine Reise machen müsse, von der er erst am andern Tage zurückkehren würde, so trauerte meine Mutter, denn noch nie hatte sie ihren Richard auf so lange Zeit von sich gelassen. Sie fürchtete sich, seit sie von der seltsamen Nachbarschaft unterrichtet war, in dieser einsamen Gegend allein zu sein, und beschloß daher, während ihres Mannes Abwesenheit nicht aus ihrer Hütte zu gehen, welcher Entschluß von Richard höchlich gebilligt wurde. –

Meine Mutter hatte die Freude, ihren Geliebten am andern Tage viel früher heimkehren zu sehen, als sie hoffen konnte. Er sagte, er habe das, was er geglaubt hätte, weiter suchen zu müssen, in Okly gefunden, und wolle nunmehr unverzüglich das Werk beginnen, wovon er sich so viel Vortheil verspräche. Der Weizenacker wurde von Neuem umgepflügt, und bald darauf sah Marie aus demselben eine Saat hervorkeimen, welche schnell emporschoß, [70] sich ausbreitete, und mit einem Grün prangte, das sie nie so schön gesehen hatte.

›Junger Mann,‹ sagte einer von den alten Bauern aus dem Dorfe, der Richard einstmals zu besuchen kam, und seinen Acker sah, ›wo habt ihr die Aussaat her, die in unseren Gegenden so schwer zu bekommen ist? Ich kenne sie wohl; wenn Gott gut Wetter verleiht, so kann sie ihren Mann reich machen! Pachter Hobkins, der ein kleines Säckchen davon mit aus der Fremde herüberbrachte, hat Gold davon geerntet.‹

Richard lachte, und Marie ersparte ihrem Manne eine Lüge, indem sie erklärte, daß sie ihr Hochzeitgeschenk zum Ankaufe dieser Seltenheit angewendet hätten.

›Nun, ihr habt wohlgethan,‹ erwiederte der Alte, ›nur wundert mich, wie ihr so leicht dazu gekommen seid!‹

Richard brach das Gespräch ab, und ein Wink belehrte Marien, es ebenfalls dabei bewenden zu lassen.

›Du wärst im Stande, Alles auszubeichten, wenn man dir nicht steuerte,‹ sagte er, als sie allein waren.

›Und warum sollte ich nicht?‹

›Man muß dem Neide keine Nahrung geben.‹

›Neid? bei unsern Wohlthätern?‹

›Man kann nicht wissen! – Es ist gut, daß ich dir meinen neuen wälschen Pflug nicht sehen ließ, denn sonst würdest du auch von diesem geplappert haben.‹

Marie bekam später dieses künstliche Werkzeug oft zu sehen. Mein Vater war ein geschickter Mann, der [71] allerlei Arbeit in Holz und Eisen machen konnte, wenn er ein Modell vor sich hatte; alle Zeit, die er nicht auf dem Felde zubrachte, künstelte er daheim, und unter dem Vorwande, sein neumodisches Ackergeräth sei schadhaft geworden, brachte er ein Aehnliches zu Stande, welches von dem Originale kaum zu unterscheiden war. Mehrere Monate gingen darüber hin; die Ernte kam, Richard sammelte hundertfältig ein, und gewann mit dem Ertrage, wie der alte Bauer aus dem Dorfe gesagt hatte, Gold. Meine Mutter erstaunte, und da sie nun auf einmal eine wohlhabende Frau geworden war, so sah sie mit doppelter Freude der Erfüllung von Hoffnungen entgegen, die ihr bald Mutterfreuden versprachen.

›Gott sei Dank!‹ rief sie, ›nun dürfen wir uns nicht mehr fürchten, den Namen Vater und Mutter zu führen; wir werden Brod haben für uns und unsere Kinder, auch wenn unsere Gnadenjahre verflossen sind, und wir diese Gegend verlassen müssen!‹

›Und warum sollten wir sie verlassen?‹ fragte Richard. ›Ich gehe mit dem Gedanken um, den Ueberschuß unseres Geldes zum Ankaufe einiger Aecker in Noorpark, und zur Erbauung eines kleinen Hauses anzulegen, so daß wir für immer hier bleiben können!‹

›Wäre es möglich, daß wir so reich sein sollten, dieß Alles zu bestreiten?‹

›Dafür laß mich sorgen; stelle von nun an das emsige Arbeiten ein, und denke an nichts, als an dein Wochenbett.‹

[72] Richard war mit der äußersten Zärtlichkeit bemüht, seiner Marie ihren Zustand so leicht und angenehm als möglich zu machen; er kam, da es jetzt im Felde wenig zu thun gab, und seine künstliche Handarbeit beendiget war, fast nie von ihrer Seite, und doch sollte meine Mutter in der Stunde, da sie der meisten Hülfe bedurfte, ganz allein sein. Sie erwachte einst um Mitternacht aus einem tiefen Schlafe. Sie befand sich unwohl, sie rief ihren Mann, – keine Antwort! – Ihr Entsetzen über diese seltsame, ungewohnte Einsamkeit bewirkte, daß sie eine lange Zeit ganz ohne Besinnung lag. – Sie ermunterte sich wieder; ich erblickte das Licht der Welt. Die Morgendämmerung kam heran – noch war meine arme Mutter allein; – endlich, als die Sonne schon eine Stunde am Horizonte stand, hörte meine Mutter den Schlüssel an der Hausthüre im Schlosse umdrehen, und Richard trat ein. –

›In dieser fürchterlichen Nacht konntest du mich verlassen?‹ sagte sie mit schwacher Stimme, indem sie mich ihm entgegen hielt.

Er flog auf ihr Bett zu, er überdeckte sie und mich mit Küssen und Thränen, er warf sich auf die Kniee und stammelte Entschuldigungen, welche in den Augen meiner Mutter wenig sagen wollten. ›Ach,‹ rief sie, ›Geschäfte wendest du vor? Hattest du wohl ein dringenderes Geschäft, als bei deiner Marie zu bleiben, die bald ein Opfer des Todes geworden wäre? – Und Geschäfte in der Nacht? was mögen das für welche sein?‹

[73] Richard zerfloß in Thränen; er wußte nicht, wie er seine weinende und mit Recht beleidigte Gattin beruhigen sollte; in der Angst nahm er eine Handvoll Kronen aus der Tasche, und legte sie auf ihr Bett. ›Da,‹ sagte er, ›nimm und kaufe dir bei deinem Kirchgange was du willst, nur verzeihe mir mein Vergehen, und wisse, daß an dem Gange, den ich diese Nacht thun mußte, mein Leben hing!‹ –

Der Anblick des vielen Geldes, was ihr bloß zu ihren kleinen Ausgaben geschenkt, und die räthselhaften Worte, mit denen es gegeben wurde, machten die Sache noch schlimmer. Meine Mutter wußte nicht, was sie davon halten sollte, und zu schwach, ihre Bedenklichkeiten durch Worte zu äußern, schwieg sie.

Mein Vater machte nun bald Anstalt, einen Kindtaufschmaus auszurichten, der in der ganzen Gegend seit zwanzig Jahren nicht seines Gleichen gehabt hatte. Die gutherzigen Bauern aus dem Dorfe waren meine Pathen; er bewirthete sie alle herrlich, aber sie waren nicht so vergnügt, als sie wahrscheinlich bei einem geringeren Mahle gewesen sein würden.

›Vetter! Vetter!‹ sagte einer von den Aeltesten, ›Gott weiß, wie es mit euch steht, daß ihr so schnell emporgekommen seid. Habt ihr hier einen Schatz gefunden, wie die Rede geht, so ziemte es sich doch wenigstens, uns etwas davon zu sagen.‹

›Gevatter,‹ antwortete Richard, ›mein Schatz liegt in jenem Acker; die Aussaat war köstlich, die Ernte[74] noch besser, so mußte ich ja wohl ein gemachter Mann werden! Daß ich euch mein Glück verdanke, werde ich nie vergessen!‹

Er gab noch viele ähnliche Versicherungen, man glaubte ihm endlich, und warnte ihn beim Abschiede nur, Großthun und Verschwendung zu meiden, wobei ein ehrlicher Landmann nicht bestehen könne. ›Habt ihr heuer ein gutes Jahr gehabt, so kann das nächstemal Mißwachs kommen,‹ sagten sie, ›und wer wird euch dann bedauern, wenn ihr nichts zurückgelegt habt.‹

Mein Vater schlug diese Warnung nicht ganz in den Wind; er suchte seinen Wohlstand, dessen Ursprung Niemand kannte, möglichst zu verbergen, und arbeitete fleißig auf seinem Acker fort. Freilich war er aber auch oft von Hause abwesend, und die dienstfertigen Gevatterinnen aus dem Dorfe hinterbrachten meiner Mutter nicht selten, wie er bald zu Farnham, bald zu Okly unter lustigen Gesellen bei Trunk und Kartenspiel gesehen worden sei.

Die duldende Marie schwieg oder antwortete so, wie eine verständige Frau, die die Schande ihres Mannes nicht bekannt lassen werden will, antworten muß.

Ihr, die Richards Benehmen in der Nähe beobachtete, war noch Mehreres bedenklich, als denen, die nur aus der Ferne urtheilten. So viel war gewiß, daß mein Vater mehr Geld in den Händen hatte, als er möglicherweise erwerben konnte. Daß er spiele, erfuhr meine Mutter aus seinem eignen Munde; denn als sie ihn [75] einst ernstlich fragte, woher er denn das viele Geld habe, erklärte er, er habe es im Spiele gewonnen. Leider mußte sie an ihrem Manne auch oft, wenn er von seinen Ausflügen heimgekehrt war, Spuren von nur halb ausgeschlafenem Rausche bemerken! Traurige Entdeckungen für die, welche ihren Geliebten lange Zeit für so gut und fehlerlos gehalten hatte, als sie selbst war! – Meine Mutter besaß entweder nicht Muth genug, oder zu viel Klugheit, um meinen verblendeten Vater ernstlich zurechtzuweisen. ›Soll ich,‹ sagte sie zu sich selbst, ›ihm sein Haus durch Vorwürfe zuwider machen? Dann wird er noch öfter abwesend sein, als jetzt, er wird mich hassen und fürchten lernen, anstatt daß er mich jetzt liebt; wo er sich, um mich nicht zu kränken, jetzt noch Schranken setzt, da wird er dann weder Maaß noch Ziel kennen, und dann, – dann werde ich erst ganz unglücklich sein!‹ –

Die Ernte fiel im zweiten Jahre schlecht aus; trotz dem machte aber Richard groß Wesens davon, und prahlte, daß ihn der Ertrag derselben zum reichen Manne gemacht habe.

Es war die letzte Ernte, die wir auf unserm Lehne zu genießen hatten, denn die zwei Jahre waren verflossen, und es wartete schon längst ein neues Brautpaar, die Stelle meiner Eltern einzunehmen.

Erst jetzt erfuhr meine Mutter, daß Richard ein hübsches kleines Haus, eine englische Meile von unserer bisherigen Wohnung entfernt, mit dazu gehörigen Wiesen [76] und Aeckern gekauft hatte, wovon sie sofort Besitz nehmen konnten. Richard gab vor, den Handel auf Speculation geschlossen zu haben und nun, durch seine angeblich gute Ernte, im Stande zu sein, den größten Theil des Kaufpreises baar zu bezahlen.

Die Erwerbung des neuen Grundstückes erschien indeß meiner Mutter zu geheimnißvoll und unbegreiflich, als daß sie sich darüber hätte aufrichtig freuen können. Nur in mir fand sie Beruhigung für ihre geheime Schwermuth, und der einzige Vortheil, den ihres Mannes nunmehriger Wohlstand ihr gewährte, war der, daß sie sich jetzt ungestört meiner Erziehung widmen konnte. Einst selbst von einem frommen und klugen Mönche erzogen, ließ sie sich es besonders angelegen sein, mir frühzeitig die Begriffe von Recht und Unrecht beizubringen, und ihren Lehren, die sich mir tief ins Herz prägten, habe ich es auch allein zu verdanken, daß ich mich bis jetzt noch keines großen Fehltrittes anzuklagen brauche. –

Die Wirthschaft in unserm Hause wurde um die Zeit, wo ich das vierte oder fünfte Jahr erreicht hatte, immer sonderbarer. Gewöhnlich herrschte großer Ueberfluß bei uns, dann kamen aber auch wieder Zeiten, wo es überall mangelte, und wo die Sparsamkeit des Hausvaters fast in Geiz auszuarten schien. Alle Schillinge wurden dann zusammengesucht, und wenn Richard, wie Marie nachrechnen konnte, wieder einmal eine ansehnliche Summe im Kasten liegen hatte, so war er gewöhnlich eine Nacht abwesend, hatte den Geldsack mitgenommen, [77] und brachte ihn nicht mit zurück. – Bald darauf war wieder Geld genug da; es wurde von Neuem gespielt und getrunken, auch erhielt meine Mutter ansehnliche Geschenke, bis abermals der Zeitpunkt des Mangels erschien, und so wiederholte sich das nämliche Spiel mehrmals in einem Jahre.

›Marie,‹ sagte mein Vater in einem von diesen traurigen Zeiträumen, ›ich bin heute genöthigt, dich um Etwas zu bitten, was ich, so oft du mir es auch anbotest, früher immer ausschlug. Du hast Geld, du mußt viel Geld haben, denn du bist sparsam in deinen Ausgaben – –‹

Meine Mutter erwartete nicht das Ende dieser Rede, sondern eilte das Geforderte zu holen; sie breitete es vor ihm aus, – in der That, eine ganz artige Summe, aber für Richard bei weitem nicht so viel, als er erwartet hatte. ›Ich glaubte, du solltest mehr haben,‹ sagte er, indem er das Geld zweimal überzählte.

›Ich nahm nichts davon,‹ erwiederte sie, ›als was ich den Armen gab.‹

›O Weib! Weib!‹ schrie er, und stampfte mit dem Fuße, ›daß du deiner thörichten Mildthätigkeit Schranken gesetzt hättest! Du hättest das Leben deines Mannes retten können! Was sollen mir zwei Drittheile, wenn ich die ganze Summe brauche? Was bleibt mir nun übrig, als mein Glück bei den Würfeln zu versuchen? Muß ich nicht gezwungen das thun, was, obgleich dein Mund schweigt, jeder deiner Blicke mißbilligt?‹

[78] ›Aber, Richard, welches Bedürfniß kann dir eine so große Summe auf einmal abfordern? Du hast ja keine Schulden, und hättest du sie, welcher Schuldner würde nicht gern wegen des Restes Geduld haben, wenn ihm zwei Drittel gezahlt werden?‹

›Frage mich nicht weiter, Marie, und blicke mich nicht so seltsam forschend an! Wenn ich wieder komme, sollst du Alles erfahren! Wollte Gott, ich hätte nicht so lange geschwiegen! Ich gehe, bete für mich, bete für mein Glück im Spiele!‹

Mein Vater verließ uns und meine Mutter war vor Schrecken außer sich. Ob sie das seltsame Gebet that, das ihr mein Vater zugemuthet hatte, weiß ich nicht, nur so viel erinnere ich mich, daß uns ein schrecklicher Tag unter Seufzern und Thränen verging, denn ich weinte mit, weil ich meine Mutter weinen sah.

Gegen Abend sollte unser Unglück vollkommen werden; mein Vater wurde mit Blut und Beulen bedeckt nach Hause gebracht, und von den Leuten, die ihn trugen, erfuhren wir Folgendes: Mein Vater hatte zu Farnham sein ganzes Geld verloren, war dann über einen der Mitspielenden, der am meisten gewonnen, wie ein Besessener hergefallen, und hatte ihn falscher Kunstgriffe beschuldigt. Die andern Gesellen, die den Beschuldigten bei all seinem großen Glücke ehrlich wußten, hatten ihn vertheidigt und in der darauf entstandenen Prügelei war der unglückliche Richard so übel zugerichtet worden, daß er am Ende wie leblos niederstürzte.

[79] Meiner Mutter Verzweiflung und mein kindischer Jammer war über alle Beschreibung groß. Wir hielten den Verwundeten Anfangs für todt, und erst nach mehreren Stunden, und nachdem ihm alle mögliche Hülfe geleistet worden war, erholte er sich wieder.

Er schlug die Augen auf, richtete sich hastig empor, sah wild um sich her, fragte nach Tag und Stunde und verlangte mit meiner Mutter allein zu sein. Jetzt sagte er ihr, indem er sich oft unterbrach, ungefähr Folgendes, was ich erst lange nachher aus meiner Mutter Munde erfuhr.

›O Marie,‹ sprach er mit schwacher Stimme, ›ist dieß der Abend des nämlichen Tages, an dem ich zuletzt von dir schied, ist morgen erst Vollmond nach der Sommernachtgleiche, so ist deinem Richard noch zu helfen! Wirst du mir die Hand dazu bieten, mich vom Verderben zu retten, – mich, der deine Hülfe so wenig verdient?‹

›Richard, mein Leben hängt ja an dem deinigen und du kannst noch so fragen? – Doch beruhige dich, deine Verletzungen sind nicht tödtlich; dich zu retten, bedarf es nur einer sorgsamen Pflege, an der es deine Marie gewiß nicht fehlen lassen wird.‹

›Daß meine Wunden nicht tödtlich sind, fühle ich, aber mir droht weit schrecklichere und unvermeidlichere Gefahr. Wisse, ich bin ein Schuldner der Mutter Ludlam, bin ihr die Summe schuldig, die ich dir diesen [80] Morgen nannte, und muß sterben, wenn ich sie nicht morgen um Mitternacht in ihre Hände zurückgeliefert habe.‹

Meine Mutter stand starr vor Entsetzen an seinem Bette, und doch war es ihr, als wenn sie etwas nicht ganz Unerwartetes vernähme; in den Stunden des düstern Grübelns über Dinge, die ihr räthselhaft waren, mußte sie auch wohl öfters der Ludlamshöhle gedacht haben.

›Gutes Weib,‹ fuhr mein Vater fort, als er sah, daß sie nicht zu antworten vermochte, ›du bist unschuldig an dem Unglücke, in dem ich nun vielleicht umkommen muß, du warntest mich bei dem ersten Gedanken an einen Schritt, der so viele andere nach sich gezogen hat. Die Befriedigung eines unschuldigen Wunsches, der nur etwas Muth und Wagniß erheischte, hatte für mich so wenig Verdächtiges, daß ich alle deine Bedenklichkeiten im Stillen verlachte. Die Schuldfrau war so bereitwillig, mir die geforderte Kleinigkeit zu leihen, das auf zweihundert und funfzig Tage entlehnte Gesäm und Ackergeräth brachte mir so großen Nutzen, ich vermochte es so pünktlich wiederzugeben, daß mich das, was ich gethan hatte, unmöglich reuen konnte. Hierbei hätte ich es bewenden lassen sollen, aber, ach Gott! ich that es nicht. Jene unglückliche Nacht, in der unser Kind geboren wurde, und in der ich dich hülflos allein ließ, jene genau berechnete Nacht der Wiederbezahlung war auch die Nacht des neuen Borgens. Ich forderte damals eine ansehnliche Summe Geldes, und erhielt [81] sie ohne Weigerung; ich brachte sie in bestimmter Zeit wieder, um auf's Neue zu borgen. So ging es immer fort. Der Ueberfluß, in dem ich nun leben konnte, verleitete mich zu Ausschweifungen. Das Spiel schien mir ergiebiger als mein Acker, und der Acker wurde vernachlässigt; dennoch brachte dieser hundertfältigen Ertrag, und ich war immer im Stande, prompt zu bezahlen, und neue, noch größere Summen aufzunehmen. Zuletzt war Unsegen in Allem, was ich that; ich war genöthigt, mit geborgtem Gelde in die Ludlamshöhle zu gehen, und von dem, was ich dort als neues Darlehn von der unterirdischen Schuldfrau herauf brachte, die oberirdischen Schuldner zu befriedigen. Ein endloses Labyrinth von Sorge, Unruhe und neuen Ausschweifungen! Oft nahm ich mir zwar ernstlich vor, mich zu bessern und meine zerrütteten Verhältnisse in Ordnung zu bringen, aber leider hatte ich nicht Kraft genug, diese guten Vorsätze auszuführen, und ich glaube auch, daß mich nichts heilen kann als Armuth! Endlich ist's mit mir dahin gekommen, wo ich jetzt bin, und ich bin verloren, wenn du kein Rettungsmittel weißt, oder wenn du nicht zu dem, was ich dir vorschlagen werde, die Hand bieten wirst.‹

Die weinende Marie versprach, auf Alles einzugehen, und nachdem sich mein Vater, der sich noch sehr matt fühlte, etwas erholt hatte, fuhr er weiter fort:

›Gehe hin ins Dorf zu unsern Wohlthätern, und berufe sie zu mir; ich will ihnen von meinen Umständen[82] so viel sagen, als sie wissen dürfen, und ihnen gegen baare Zahlung der Summe, die ich bedarf, Haus und Gut verkaufen. Du aber, nimm das Geld, gehe morgen um Mitternacht, wenn der volle Mond gerade über dem Sandhügel steht, in die Ludlamshöhle, und bringe es der Schuldfrau wieder; dir braucht nicht zu grauen vor dem Wege, der zwar etwas beschwerlich ist, noch vor der Darleiherin, die du wahrscheinlich so wenig zu sehen bekommen wirst, als ich sie jemals sah. Gehe langsam und ohne Furcht zu zeigen bis zu der Stelle, wo das Wasser rauscht, und wo ein schwacher Mondstrahl durch das Felsengewölbe fällt, dann mache dreimal die Runde um den Brunnen, lege den Geldsack auf den Rand, und sage: Mutter Ludlam, ich danke euch! mein Mann, euer Schuldner, sendet mich, weil er nicht selbst kommen kann! So du noch etwas willst hinzusetzen, kann dirs Niemand wehren, doch laß deiner Worte wenige sein.‹

Meine Mutter war in der peinlichsten Verlegenheit über diese Zumuthungen, doch es galt hier Lebensrettung eines geliebten Gatten, und sie entschloß sich, Alles für diesen zu wagen. Sie hatte zwei schwere Wege vor sich, und unter Todesangst rüstete sie sich zu beiden. Sie bebte sehr vor dem Besuche bei Mutter Ludlam, aber noch mehr fürchtete sie sich, ihre alten Wohlthäter im Dorfe aufzusuchen und bei ihnen ihr Anliegen vorzubringen. Es war wahrlich eine schwere Aufgabe für sie, denselben Leuten, deren Unterstützung sie einst in so hohem Grade genossen, die sie darauf durch Verschwendung und Großthun beleidigt, [83] deren Warnungen sie verschmäht hatten, jetzt wieder unter die Augen zu treten und aufs Neue von ihnen Hilfe zu erbitten. Marie brauchte sich zwar von Allem, was ihre alten Freunde aufgebracht hatte, wenig zuzurechnen, aber die Schande des Mannes, so wie seine Ehre, fällt mit auf die Frau zurück; auch hatte die zärtliche, duldsame Gattin, so oft die Fehler ihres Mannes zur Sprache gekommen waren, sich immer so mild und behutsam darüber ausgedrückt, daß man wohl glauben konnte, sie habe mehr Theil an Richards Thorheiten, als es wirklich bei ihrer gänzlichen Schuldlosigkeit der Fall war.

Mit zitternden Schritten ging sie zu ihren ehemaligen Freunden, und fand die Aufnahme, die sie gefürchtet hatte. Ihr schüchternes, betroffenes Wesen gab jenen schon Veranlassung, sie unfreundlicher zu empfangen, als geschehen sein würde, wenn die Arme einigen Muth gezeigt hätte. Man setzte nach ihrem Betragen und dem Anfange ihrer Rede voraus, sie komme, um zu borgen, und antwortete ihr mit Härte. Man sagte ihr, man habe einen ähnlichen Besuch längst erwartet, hielt ihr alle Ausschweifungen ihres Mannes vor, als wären es ihre eigenen gewesen, und gab ihr statt des Darlehns ein ganzes Bündel gute Lehren, die sie nicht brauchen konnte. Sie ermannte sich endlich, sprach deutlicher und fand besseres Gehör. Richards hübsches Gut stand Mehreren im Dorfe an, man fragte genau, ob es auf einen Verkauf oder nur auf eine Verpfändung abgesehen sei, denn mit Letzterer wollte man nichts zu thun haben, und als man des [84] Erstern und des geforderten leidlichen Preises gewiß war, versprach man, am andern Morgen mit Tagesanbruch bei dem Kranken zu sein, und die Sache richtig zu machen.

Das Versprechen wurde erfüllt, und der Kauf nach aller Form Rechtens vollzogen. Der Aelteste des Dorfes, ein vermögender Mann, leistete auf der Stelle baare Zahlung, und legte, weil er den Kauf wohlfeil fand, noch einen kleinen Ueberschuß dazu. ›Junger Mann,‹ sagte er ›ich glaube, daß ihr auf dem Punkte steht, euer Leben zu bessern, und ich will euch dazu behülflich sein, obgleich ich vermuthen muß, daß ihr nicht aufrichtig gegen mich gewesen seid. Gewiß habt ihr drückende Schulden; da es aber unmöglich ist, daß sie Alles hinweg nehmen, was ihr jetzt erhaltet, so seid nur guten Muthes. Die nicht unbedeutende Summe, die ihr übrig behalten müßt, kann euch dienen, etwas Neues anzufangen, und wenn ihr euch meiner Leitung überlaßt, so könnt ihr über's Jahr wieder im vollen Wohlstande sitzen. Auch sollt ihr indessen aus eurem Hause unvertrieben sein; ich verlange nur Rechnung von dem, was nunmehr mein Eigenthum ist, und werde euch für die Arbeit, die ihr in meinen Diensten verrichtet, schon gerecht werden.‹

So vortheilhaft auch die Anerbietungen des Käufers waren, so erfreuten sie meinen Vater doch nicht besonders; er fühlte wohl, daß er sich dem Manne ganz entdecken müsse, wenn er sich von seiner Hilfe und seinem Rathe [85] wahren Nutzen versprechen wollte, und vor einem solchen Geständnisse scheute er sich.

Meine Mutter schöpfte dagegen neue Hoffnungen für die Zukunft, und schickte sich mit erleichtertem Herzen zu dem zweiten schwerem Gange an, der ihr diese Nacht bevorstand.

Da die Ludlamshöhle von unserer jetzigen Wohnung ziemlich entfernt lag, so mußte sie sich zeitig aufmachen, wenn sie zur bestimmten Stunde dort sein wollte. Ich saß auf der Bank vor dem Hause und wartete auf mein Abendbrod, was man mir zu reichen vergessen hatte, als meine arme Mutter das Haus verließ. Sie weinte sehr und betete laut, daß Gott ihr den schweren Gang gelingen lassen möge, von dem das Leben ihres Mannes abhing. Ich folgte ihr, ohne daß sie es merkte, denn ich war gegewohnt, sie überall hin zu begleiten und war auch den Tag vorher mit ihr im Dorfe gewesen, obgleich sie mich Anfangs nicht hatte mitnehmen wollen.

Die Nacht brach ein; ich fühlte weder Furcht noch Grauen, leuchtete doch der Mond und zeigte mir den Weg, den meine Mutter nahm. Um nicht von ihr gesehen und nach Hause geschickt zu werden, blieb ich immer in einer gewissen Entfernung von ihr, bis sie endlich die Höhle erreichte, an deren Eingange sie sich auf die Kniee warf, um sich noch einmal zu dem schweren Gange, den sie zu thun hatte, Muth vom Himmel zu erbitten. Als ich sie zur Erde sinken sah, fürchtete ich, daß ihr irgend ein Unglück begegnet sein möchte; ich konnte mich nicht länger [86] alten, verdoppelte meine Schritte und lief mit dem Geschrei: Mutter! Mutter! auf sie zu.

Der Anblick eines lebenden Geschöpfes in einer Gegend, wo sie sich ganz einsam glaubte, mochte ihr einigen Schrecken verursacht haben, doch meine Stimme verrieth mich ihr bald, und sie faßte sich. – ›Armes Kind,‹ rief sie, und breitete die Arme mir entgegen, ›was willst du an diesem grauenvollen Orte, und was soll ich mit dir anfangen?‹ Ich schlang meine Arme um ihren Nakken und weinte.

›Ach was soll ich beginnen,‹ fuhr sie fort, ›da ich nun auch noch für dich zu sorgen habe! O, daß es noch Zeit wäre, den Rückweg anzutreten, um dich wieder heimzubringen!‹ – Dazu war es jedoch zu spät; die Stunde nahte, in der meine Mutter in der Höhle sein mußte. Ihre Angst wuchs mit jedem Augenblicke; sie fragte mich endlich, ob ich Muth hätte, hier im Gebüsch allein zu bleiben, oder ob ich ihr in die düstre Höhle folgen wollte. Ich erklärte mich freudig für das Letztere.

Erst jetzt dachte meine Mutter darüber nach, ob es ihr auch wohl erlaubt wäre, mich mit in die Höhle zu nehmen, denn sie hatte ganz vergessen, daß die Begleitung eines Kindes vergönnt war. Nach langem Ueberlegen kam sie endlich zu der Ueberzeugung, daß, wenn ihr in der Höhle Lebensgefahr drohe, es für sie und mich besser sein würde, mit einander umzukommen, als daß ich nach ihrem Tode in so zartem Alter als eine Waise zurückbliebe. –

[87] Bald zeigte der Stand des Mondes die Mitternachtsstunde an, und wir schritten muthig in die Höhle; mich hatte Unwissenheit und die Gegenwart meiner Mutter so kühn gemacht, daß ich ihr voran eilte. Unser Muth sollte indeß noch auf eine harte Probe gestellt werden. Anfangs war die Höhle zwar weit, und vom Wiederschein der mondhellen Gegend beleuchtet, aber bald verengte sich der nach Norden laufende Weg immer mehr, so daß ich endlich nicht mehr aufrecht gehen, und meine Mutter sich kaum noch auf Händen und Knieen durchdrängen konnte. Jetzt fing ich bitterlich zu weinen an, und verlangte nach Hause gebracht zu werden. Meine Mutter suchte mich zu beruhigen, und als ihr dieß nicht gelingen wollte, erklärte sie mir endlich auf das Bestimmteste, daß, wenn ich durchaus zurückwolle, sie mich allein gehen lassen würde. Diese Drohung wirkte; ich bestand nicht länger auf meiner Forderung, und setzte schluchzend den beschwerlichen Weg fort.

Endlich erweiterte sich die Höhle wieder so sehr, daß wir aufrecht stehen konnten; wir schritten nun rascher auf dem immer gleicher werdenden Boden fort, und setzten uns endlich, weil wir sehr müde waren, auf einen großen Stein nieder. Meine Mutter versuchte, mir Trost einzusprechen, dessen sie selbst so sehr bedurfte, und erst nach langem Zureden wagte ich es endlich, die bisher aus Furcht festgeschlossenen Augen zu öffnen. Ich sah mich ängstlich überall um, und glaubte, ziemlich entfernt von uns, einen kleinen Schimmer zu bemerken. Unverwandt blickte ich [88] nach der Stelle, und rief auf einmal: ›Mutter! Mutter! dort ist es hell, dort ist Jemand, der auf uns wartet!‹ –

Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich schnell voraus, und gelangte zu einem geräumigen, vom Mondschein erhellten Platze, wo ich eine alte Frau an einem Brunnen sitzen sah. Ganz entzückt, hier Licht und Gesellschaft zu finden, warf ich mich der alten Frau, die mich freundlich anblickte, in den Schooß, während meine Mutter voll Entsetzen von fern stand und nicht wußte, was sie thun sollte. Bald gedachte sie jedoch ihres Vorhabens; sie machte nun dreimal die Runde um den Brunnen, legte das Geld auf den Rand desselben, und sagte die vorgeschriebenen Worte. Während dessen lag ich in dem Schooße der Unbekannten in einem tiefen Schlummer, und erblickte das, was um mich vorging, nur im Traume. Ueberhaupt erinnerte ich mich später der ganzen Begebenheit nur als eines Traumes, und was ich dir von unserem Besuche bei der Mutter Ludlam mittheile, habe ich mehr den Erzählungen meiner Mutter, als meinem Gedächtnisse zu verdanken.

Noch hatte die freundliche Alte, welche mein Gesicht und meine Arme, die in ihrem Schooß ruhten, strich und liebkoßte, nicht gesprochen. Jetzt, da meine Mutter ihre Rede geendigt hatte, fragte sie mir sanfter Stimme, ob sie nicht noch ein Anliegen vorzubringen habe? – ›Dein Mann,‹ setzte sie hinzu, ›pflegte immer Dank und Bitte mit einander zu verknüpfen.‹

[89] ›Nein, Frau Ludlam,‹ antwortete meine Mutter, ›dafür bewahre mich Gott! Sollte ich eine Bitte wagen, so wäre es diese, euer Leihhaus auf ewig vor uns zu verschließen.‹

›Und warum?‹

›Eure Gutmüthigkeit hat uns ins Elend gestürzt. Wir waren glücklich in unserer Armuth, und der spätere Ueberfluß, den wir euch verdankten, hat allein meinen Mann zu Thorheiten und Ausschweifungen verleitet!‹

›Wie aber, wenn ich eine Bitte an dich hätte.‹

›Ihr spottet einer armen Sterblichen!‹

›Gieb mir dieses Kind, das sich so vertrauensvoll an mich geschmiegt hat! Ich liebe es, ich will es glücklich machen! Alle Reichthümer dieser Höhle sind sein, wenn du einwilligst.‹

›Fordert lieber mein Leben!‹ schrie meine Mutter, und streckte die Arme nach mir aus, um mich meiner Gönnerin zu entreißen. Kaum hatte sie sich jedoch der Frau Ludlam ein wenig genähert, als sich diese in einen dünnen Nebel auflößte und mich schlummernd auf der Brunnenbank zurückließ. Meine Mutter raffte mich erschrocken in die Höhe, nahm mich auf den Arm und eilte, diese Gegend des Grauens so schnell als möglich zu verlassen. Es schien indeß bald, als habe es Frau Ludlam darauf angelegt, mich wider Willen meiner Mutter bei sich zu behalten, denn als diese an die finstern, engen Stellen der Höhle kam, und mich, die noch immer schlafend [90] auf ihrem Arme hing, hier niedersetzen wollte, war ich durchaus nicht zu erwecken. Und dennoch gelang es meiner Mutter, sich mit mir durch den engen Weg hindurch zu winden. Zwar blutete sie an Händen und Füßen, die sie sich an den scharfen Gestein aufgerissen hatte, – doch eine Mutter achtet ja keine Beschwerden, wenn es Rettung eines ihres theuren Kindes gilt. – Sie gelangte endlich an den Ausgang der Höhle und mit Entzücken begrüßte sie das Tageslicht, das sie so lange hatte entbehren müssen.

Es war schon hoch am Tage, und deshalb strengte meine Mutter, die mit Schmerzen daran dachte, wie sehr sich mein Vater um sie ängstigen würde, ihre letzten Kräfte an, um so schnell als möglich nach Hause zu kommen. Nachdem sie jedoch nur wenige Schritte gethan hatte, sank sie ganz ermattet nieder, und mußte eine Weile ausruhen. Ich ermunterte mich während dieser Zeit, rieb die Augen, und fing an, das als einen Traum zu erzählen, was uns in der Höhle begegnet war.

Meine Mutter ließ mich bei meinem Wahne, der ihr zur Verschweigung dieser Dinge so gelegen kam, und hat mir denselben erst später, als ich erwachsen war, benommen. – ›Schweig, Kleine,‹ sagte sie, ›und hüte dich, deine albernen Träume irgend Jemand zu erzählen, denn du wirst sonst von vernünftigen Leuten ausgelacht.‹

Wir langten um Mittag in unserem ehemaligen Hause an. So sehr sich nun auch mein Vater um[91] meine Mutter geängstigt hatte, und so sehr er auch jetzt erfreut war, sie wieder zu sehen, so schien er doch nicht ganz mit der Ausführung ihres Geschäftes zufrieden zu sein. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß er erwartet hatte, sie sollte seinen Wink verstehen, und nicht ohne ein neues Darlehn von der Schuldfrau zurückkehren. Meine Mutter hütete sich wohl, zu bekennen, daß ihr ein solches sogar angeboten worden war, und sprach um so nachdrücklicher von dem Verlangen der Fra Ludlam, mich zu sich zu nehmen, weil sie hoffte, diese kühne Forderung würde es ihrem Manne verleiden, sich ferner mit der Schuldfrau einzulassen. Sie suchte ihm noch begreiflich zu machen, was für eine gefährliche Bekanntschaft überhaupt Mutter Ludlam sei, und wie es selbst scheine, als wolle sich diese für ihre Bereitwilligkeit, uns zu helfen, dereinst mit Leib und Leben von uns Allen bezahlt machen.

Richard schwieg eine Weile, und meinte dann, man müsse nicht gleich das Aergste denken; er sei überzeugt, daß die freigebige Alte gewiß nur Gutes mit mir im Sinne gehabt habe, und daß sie gewiß besser für meine Zukunft gesorgt haben würde, als er und meine Mutter dieß zu thun im Stande wären.

Mein Vater genas zwar körperlich, aber sein Gemüthszustand blieb derselbe. Fast immer mißmuthig und selten zur Arbeit aufgelegt, verließ er uns oft, um sich außer dem Hause zu zerstreuen, und bald fing er auch wieder seine nächtlichen Wanderungen an, über deren [92] Zweck wir kurz darauf von ihm selbst Aufschluß erhalten sollten.

›Du mußt dich,‹ sagte er eines Tages zu meiner Mutter, ›bei unserer Gönnerin durch deinen Besuch schlecht empfohlen haben, denn es scheint, als wenn sie nichts mehr von uns wissen wollte. Kaum kenne ich mehr den Eingang ihrer Höhle; er hat sich um mehrere Fuß verengt, und der schmale nördliche Pfad ist gar nicht mehr zu finden.‹

›Sollte es möglich sein,‹ rief meine Mutter mit Erstaunen, ›daß du auf Erneuerung alter Thorheiten dächtest?‹

Richard antwortete nicht, aber am nämlichen Tage nahm er mich mit in die Gegend der Ludlamshöhle, und befahl mir, den engen Weg zu suchen, den ich ehemals hier mit meiner Mutter gegangen sei. Ich sagte ihm, daß ich ja nie in dieser Höhle gewesen wäre, sondern nur davon geträumt habe, und daß meine Mutter mir es verboten, dergleichen alberne Träume irgend Jemand zu erzählen. Obschon ich also nicht im Stande war, den gesuchten Weg aufzufinden, so nahm mich mein Vater doch noch oft mit in die Gegend der Ludlamshöhle, und wenn ich dort im Sande spielte, gab er auf jede meiner Bewegungen sorgfältig Acht. Jedes Steinchen, das ich auflas, mußte ich ihm bringen, denn er hoffte wahrscheinlich, daß meine alte Gönnerin mich etwas Kostbares finden lassen würde. Der silberne Ring, den du zu meinem Andenken trägst, ist indeß der einzige Gegenstand[93] von Werth, den ich im Sande fand; ich überlieferte ihn damals meiner Mutter, welche ihn mir aufzuheben versprach, bis ich älter geworden wäre.

Als ich das zwölfte Jahr zurückgelegt hatte, gab mir meine Mutter den Ring wieder, und that mir zugleich das als Wahrheit kund, was ich bisher für einen Traum gehalten hatte. Ich sann lange über diese seltsame Begebenheit nach, bis ich, auf einmal von einer großen Müdigkeit befallen, bei meinem Spinnrocken einschlief.

Mein Kopf war voll von den Dingen, die ich gehör hatte, und ich träumte bald, Mutter Ludlam stehe vor mir. ›Armes Kind,‹ sagte sie, ›der Eigensinn deiner Mutter hat dich um alles Glück gebracht, mit dem ich dich zu bedenken Willens war. Empfange wenigstens den silbernen Ring als ein Zeichen meines Wohlwollens, und bewahre ihn auch als ein Unterpfand künftiger besserer Tage. Geht dir es übel, so erinnere dich des Ringes und seiner Geberin, und blicke getrost in die Zukunft!‹

Doch ich erzähle dir ja schon die Begebenheiten späterer Zeiten, als ich bereits mein Vaterland verlassen und das deinige betreten hatte! – Laß mich zu meiner Geschichte zurückkehren.

Noch war kein Jahr seit dem Verkaufe unseres Grundstückes verflossen, als mein Vater es nicht länger in seiner jetzigen Lage auszuhalten vermeinte, und sich bei der ersten Gelegenheit gegen meine Mutter offen darüber erklärte. ›Marie,‹ sagte er, ›ich vermag nicht länger in dem Hause Knecht zu sein, wo ich ehemals gebieten [94] konnte! Der Herr, für dessen Rechnung wir hier wirthschaften, mag gut und brav sein, aber schon der Name Herr macht mir ihn zuwider. Ich kann es nicht länger dulden, daß er sich immer mehr um unsere eignen Angelegenheiten, die ihm nichts angehen, bekümmert; auch mag ich es nicht mehr anhören, daß er stets davon spricht, wir sollten unser überflüssiges Geld irgendwie gut anlegen, während wir doch nur eine Kleinigkeit besitzen, die allenfalls hinreichen wird, das auszuführen, was ich im Sinne habe. Höre, was es ist. Man spricht von starken Werbungen zu einem Zuge nach dem festen Lande Das Schwert habe ich ehemals geführt, und es brachte mir mehr Glück als die Pflugschaar; ich werde diese wegwerfen und das Schwert wieder ergreifen. Willst du hier zurückbleiben, um in dem Hause Mägdedienste zu thun, wo du ehemals Frau warst, so kann ich dir es nicht wehren, – willst du mich aber begleiten, so nehme ich dieß als einen Beweis deiner Liebe dankbar an.‹

Zu derselben Zeit sammelte der König von England ein großes Heer, um seinem Tochtermann, den Herrn von Coucy, zu seinem mütterlichen Erbe, den Elsaß, und einigen andern, den Herzögen von Oesterreich unterworfenen Ländern zu verhelfen. Wer tapfer war, und in seinem Vaterlande nicht viel zu verlieren hatte, folgte dem Paniere des jungen Prinzen und seines Feldherrn, des tapfern Cervola. Da mein Vater sich gerade in diesem Falle befand, so war ihm sein Entschluß nicht zu verdenken. Selbst meine Mutter wagte es nicht, ihn deshalb [95] zu tadeln; auch war sie nicht lange unschlüssig, was sie für sich zu thun habe. Die traurige Rolle, die sie in ihrem Vaterlande spielte, und die ihr von ihrem Manne oft auf eine kränkende Weise vorgeworfen wurde, war es indessen nicht, was sie bestimmte, mit ihm zu ziehen, sondern einzig die Liebe und Treue, die sie ihm unter allen Verhältnissen und bis zum letzten Athemzuge bewahrte, vermochte sie hierzu. Desto mehr wurden meine Eltern von ihren Bekannten wegen ihres Vorhabens getadelt, und unser Gutsherr verlor meinen Vater, der in der letzten Zeit wieder sehr fleißig gewesen war, höchst ungern. Trotz aller Vorstellungen beharrte dieser auf seinem Sinne, und schenkte, um sich seinem ehemaligen Herrn dankbar zu bezeigen und im Guten von ihm zu scheiden, ihm den künstlichen italienischen Pflug, den er ehemals nach Mutter Ludlams Modell gemacht hatte, um ihr das geborgte Exemplar wiedergeben zu können. – Dieses Geschenk wurde gut aufgenommen, und mein Vater hatte dadurch wenigstens so viel gewonnen, daß er keinen bösen Leumund zurückließ. ›Richard war doch eine gute Haut,‹ hieß es, ›nur ein wenig leichtsinnig, unstät und stürmisch, wie das junge Volk ist, aber ein schlauer und anschlägiger Kopf, der Alles konnte, was ihm unter die Hände kam, wie der Pflug ausweißt, den er dem Vater Robert geschenkt hat.‹

So mußte ich also in meiner zarten Kindheit die häusliche Stille mit dem Geräusche des Krieges vertauschen. Es war ein wildes Volk, das Cervola den Herzögen [96] von Oesterreich über den Hals führte, und meine sanfte Mutter litt unbeschreiblich durch die Auftritte, die sie unter diesem rohen Menschenhaufen erlebte. Unser erster Zug ging nach Frankreich, wo sich unser Heer sehr vergrößerte, und dann wie eine Fluth über die Gebirge herüber strömte, in die Länder, die man als Coucy's rechtmäßiges Eigenthum betrachtete. Zweimal in verschiedenen Jahren wurden die Unsrigen als ungebetene Gäste zurückgetrieben. Endlich mischte sich der Kaiser darein, und jagte die Engländer bis gen Colmar. Hier war es, wo ich zur Waise wurde; statt des gehofften Ruhmes und der reichen Beute, fand mein Vater hier den Tod. Das englische Heer zerstruete sich, und meine Mutter und ich, nebst tausend eben so unglücklichen Weibern und Kindern, welche, wie wir, ihren Vätern und Männern gefolgt waren, blieben als Bettlerinnen zurück. Arbeit oder Dienste in dem ganz ausgesogenen Lande zu finden, war unmöglich; der Bettelstab trug uns in Gegenden, an die wir wohl nie gedacht hatten, bis endlich meine Mutter krank zu Schweidnitz liegen blieb, und daselbst von einer barmherzigen Samariterin aufgenommen und verpflegt wurde. Als sie genaß, blieben wir noch bei unserer Wohlthäterin; zwar bekamen wir keinen Lohn, aber wir genossen so gut wie die Hausfrau, des sparsamen Brodes, das wir ihr erarbeiten halfen. Ich war nicht unglücklich, und trauerte ich ja einmal, so fand ich in dem Anblicke meines Ringes Trost und reichen Stoff zu jugendlichen goldnen Träumen; aber als meine Mutter mir entrissen [97] wurde, da verlor der Ring seinen Werth in meinen Augen. Was kann mir das Leben noch bieten, nachdem ich meine gute Mutter verloren habe?«

Marien's Augen füllten sich mit Thränen, als sie ihres traurigen Schicksales gedachte, und sie beschloß ihre Geschichte mit folgenden wenigen Worten: »Ich blieb in den Diensten meiner Frau, und an ihr lag es nicht, daß ich nicht aus ihrer Magd ihre Tochter wurde. Ihr Sohn verfolgte mich, da ich heranwuchs, mit seiner Liebe, aber er war ein wilder, roher Mensch, den ich nicht leiden konnte. Da ging er hin und nahm sich eine Andre, bei welcher ich seit dem Tode seiner Mutter, weil ich keine andre Zuflucht weiß, noch bin; aber länger halte ich es nicht in diesem Hause aus, wo die Frau mich mit Eifersucht, und der Mann auf eine noch schlimmere Art verfolgt.«

Als Marie ihre Erzählung geendet hatte, fragte Erdmann: »solltest du mir nicht noch Etwas mitzutheilen haben? Werde ich nie erfahren, warum du so oft nach dem Rumpelbrunnen wallfahrtest?«

Marie schien diese Frage zu überhören, und sagte nach einigem Bedenken: »ich vergaß ja ganz die Nutzanwendung, die in meiner Geschichte für dich enthalten ist! Baust du noch auf deinen Patron im Gebirge, seit dem du erfahren hast, was für Vortheile die Freundschaft der Mutter Ludlam meinen Eltern und mir brachte? Glaube doch ja, daß diese so hoch über uns stehenden Wesen uns nur zu ihrem Spielwerke gebrauchen; der Segen, den [98] uns die Vorsicht durch unsern Fleiß oder gewöhnliche Glücksfälle gewährt, ist besser und dauernder als alle deine rübezahl'schen Schätze, und alle Spenden der Leihfrau in der Ludlamshöhle!«

»Du verachtest sie alle? Auch den Ring der Hoffnung, den du mir zum Unterpfande gabst?«

»Auch ihn! Nur weil du ihn jetzt trägst, ist er mir noch theuer; hätte ich einen bessern gehabt, so wäre er gar nicht zu dieser Ehre gekommen. O der elenden, armseligen Hoffnungen, die er mir gab, und die nie erfüllt wurden! Hoffnungen eines Kindes, das man im Winter auf Rosen vertröstet! Habe ich nicht meine Eltern, habe ich nicht Alles verloren? Bin ich nicht eine Fremde in diesem Lande, und werden meine Aussichten nicht mit jedem Tage trüber? Ach, Erdmann, du weißt noch nicht Alles; erst heute erlitt ich einen neuen Verlust! – Deine Liebe ist es allein, die mich noch einigermaßen tröstet, und auf ihr beruhen jetzt alle meine Hoffnungen. Und dennoch sehe ich noch keine Möglichkeit, einst die Deinige zu werden!«

»Für diese Möglichkeit, du Zweiflerin, bürgt der Inhalt dieses Beutels!« rief Erdmann, indem er einen solchen, der anscheinend sehr schwer war, hervorzog. »Hierin sind die Gaben des wohlthätigen Berggeistes enthalten; der Rübezahl, wie du ihn immer, ich hoffe nicht aus Verachtung nennst, ist nicht so karg, wie deine vaterländische Leihfrau! In diesem Beutel sind fünfhundert neun und vierzig Goldstücke, achtzig Stück grobe Silbermünze [99] und einige rare Kreuzpfennige; es ist mein ganzer Schatz, der, wie mich dünkt, hinreichen wird, unser Glück zu gründen. Sprich, was hindert mich, daß ich heute noch Meister Melchiorn den Dienst aufsage, mit dir morgen, wenn ich dich hier finde, in das nächste Dorf zur Kirche gehe, und dich dann gleich vom Altare in eine von den benachbarten Städten bringe, wo, wie ich weiß, verschiedene Gasthäuser zum Verkaufe stehen, und wo wir gute Nahrung finden werden? Wähle, Marie, willst du nach Liebenau? nach Hirschberg? nach Reichenbach? oder willst du weiter in's Land, nach der großen Stadt Breslau? – O sprich, und weine nicht mehr, denn du siehst ja, daß unserer Verbindung gar nichts weiter im Wege steht.«

Aber Marie weinte fort, und drückte nur seine Hände, weil sie ihm mit Worten nicht danken konnte; Alles, was er ihr sagte, dünkte ihr ein Mährchen. – »Gut macht Muth,« rief Erdmann, »und ich sehe wohl, ich muß dich mit dem vollen Anblicke unsers Schatzes erfreuen, wenn du deine Thränen trocknen sollst.« – Bei diesen Worten hob er seinen Beutel mühsam empor, lößte die ledernen Riemen, bat Marien, die weiße Schürze wohl auszubreiten, und überschüttete ihren Schooß in einem Augenblicke mit einer ganzen Last – – rother, zierlich gerundeter Ziegelsteine, unter welchen einige Dutzend weiße Kiesel sich besonders gut ausnahmen. –

Erdmann starrte seinen sogenannten Schatz lange mit offnem Munde an, sprang dann auf und schlug[100] sich wüthend vor die Stirn, während Marie sich an den Baum, unter welchem sie saß, zurücklehnte und in ein bitteres Lachen ausbrach! – »O Rübezahl! o Mutter Ludlam!« rief sie, »ich merke wohl, ihr habt einander nichts vorzuwerfen.«

[101]

Dritter Abschnitt

Dritter Abschnitt.
Das Gastmahl

Wäre es nach Marien gegangen, so hätte sie das ganze Vermögen ihres steinreichen Bräutigams in ihre Schürze genommen, und es in den nächsten Bach geschüttet. Aber Erdmann wehrte es ihr, raffte Alles sorgfältig wieder in den Sack, band ihn zu, und nahm sich vor, ihn zum Denkmahl fehlgeschlagener Hoffnung, und zum Beweis der großen Wahrheiten aufzuheben, die er aus seines klugen Mädchens Munde gehört hatte.

Vermochte nicht zu sprechen, sein Herz war zu bewegt, doch die Thräne in seinem Auge und die Heftigkeit, mit welcher er Marien in seine Arme schloß, sagten ihr: Ich verlasse dich nicht! Ich höre nicht auf zu hoffen, und wenn sich auch unserer Verbindung noch mehr Hindernisse entgegenstellten! – Auch Marie war stumm, und so gingen Beide Arm in Arm bis an den gewöhnlichen Scheideweg, um hier von einander Abschied zu nehmen. Da gedachten Beide plötzlich der Geschenke, die sie sich gegenseitig gemacht hatten, und indem sie befürchteten, daß auch diese sich verwandelt haben könnten, griffen sie ängstlich danach, er nach dem Ringe, und sie nach dem [102] Verlobungsthaler. Es gewährte ihnen einigen Trost, daß sich beide Geschenke noch richtig vorfanden, denn sonst würde der Kummer der armen Liebenden den höchsten Grad erreicht haben.

»Es scheint,« sagte Marie mit von Schluchzen unterbrochener Stimme, indem sie die symbolischen Hände auf dem Gepräge mit Andacht betrachtete, »es scheint, als könne wenigstens keine böse Macht unserm Bündnisse etwas anhaben! Gott sei dafür gelobt und gebenedeit.«

»Darum laß uns ferner hoffen,« setzte Erdmann hinzu, »wer weiß, welche glückliche Zeiten unsrer noch in der Zukunft warten!« –

Als Erdmann nach Hause kam, hörte er schon von weitem Frau Else mit dem Gesinde schelten, und verglich das Bild dieses tobenden Weibes mit dem seiner weinenden Marie; eine schöne Vorbereitung zu dem Gespräche, welches ihm diesen Abend mit Meister Melchior bevorstand.

»Erdmann,« sagte der Alte, als er ihn bei Seite genommen hatte, »du bist heute abermals lange über die Gebühr ausgeblieben; ich fürchte, du bist wieder mit der nichtsnutzigen Dirne im Gebirge herumgezogen, wie du zu thun pflegst! Schäme dich dieses Unwesens, und verscherze dein Glück nicht; ich könnte dir ein junges, schönes und reiches Weib verschaffen, die zugleich so flink, gewandt und anstellig ist, wie sie ein Mann deines Standes sich nur wünschen kann. Auch bringt sie dir [103] Haus und Hof, Acker und Vieh, und Alles, was in der vierten Bitte steht, mit, wenn nur ihr Vater, dessen einziges Kind sie ist, die Augen, schließt. Ihr wäre mit so einem Manne wie du, dir mit so einem Weibe wie sie, gedient; sprich, was soll ich ihr für Antwort sagen?«

»Herr, ich merke, ihr redet von eurer Tochter; aber wie wäre Frau Elsen mit einem armen Knechte geholfen?«

»Schalk! verstelle dich nicht! Du arm? Wir sind hinter deine Geheimnisse gekommen; wir wissen, wo deine Geldsäcke liegen!«

»So wißt ihr mehr als ich, Herr! Meine Schätze sind die Steine auf dem Felde, die ich zur Kurzweil sammle, und heimtrage, damit ich doch auch Etwas zu verschließen habe, wie ihr mit euren Geldtruhen thut.«

»Soll das entscheiden, was ich dir vor Augen legen will?« rief Melchior. Erdmann bejahte, und der Gastwirth entfernte sich. – Nun hatte dieser weise und vorsichtige Mann einen Nachschlüssel, welcher Alles öffnete, was in seinem Hause verschlossen war, so daß ihm nichts zwischen seinen vier Mauern verborgen blieb. Vermittelst jenes Schlüssels hatte er Erdmanns Reichthum entdeckt, und er bediente sich dieses unerlaubten Instrumentes auch jetzt, um das herbeizuholen, was, wie er meinte, unsern Erdmann zu einem offnen Geständniß bewegen sollte.

»Der Henker trage dir in Zukunft deine Geldsäcke!« schrie er, indem er mühsam den Schatz herbeischleppte, den Mariens unglücklicher Liebhaber gleich nach seiner [104] Heimkunft wieder sorgfältig verschlossen hatte. »Doch tröste dich, mein Sohn, wir wollen ihn schon dünn machen; in Reichenbach stehen hübsche Gasthöfe zu verkaufen, sehr hübsche Gasthöfe; da könnt ihr euch hinsetzen, du und Frau Else, und wirthschaften, bis der alte Vater stirbt.«

»Herr,« sagte Erdmann, der mit in einandergeschlagenen Armen dastand, und bald den zu seinen Füßen liegenden schweren Sack, bald den gesprächigen Gastwirth mit den Augen maß, »Herr, ohne euch zu fragen, wie ihr dazu kommt, meine Truhen mit Diebesschlüsseln zu erbrechen, und in meinen Habseligkeiten herum zu wühlen, bitte ich euch jetzt nur, die Mühe zu übernehmen, und den Inhalt meines Geldsacks zu untersuchen, damit wir genau wissen, wie viel ich eurer Tochter zubringe.«

»Hab's schon gethan, du schlauer Gast, hab's schon oft gethan, kenne das Eingeweide des ledernen, dicken Beutels auf ein Haar, – fünfhundert und neun und vierzig Goldthaler, achtzig – doch, wir wollen zählen, damit du siehst, daß nichts davon abhanden gekommen ist. Ich bin ein ehrlicher Mann, und dir, mein Sohn, wollte ich eher zehn Stück zulegen als eins entwenden.«

Hierauf rieb sich Melchior schmunzelnd die Hände, bückte sich, lößte die Riemen des Beutels auf, und schüttete mit großem Geprassel – das auf den Boden, was wenige Stunden vorher die armen Liebenden so schrecklich in ihrer Erwartung getäuscht hatte.

[105] Erdmann brach in ein lautes Gelächter aus, und Melchior starrte lange mit stummen Erstaunen die rothen Ziegelsteine an, die zu seinen Füßen lagen. –

Mit Erdmanns Lachen, und mit Melchiors Erstaunen waren indeß noch zu bittere Nebengefühle verbunden, als daß es dabei hätte sein Bewenden haben können. Der Erstere, der nochmals die Schmerzen der Täuschung empfunden, schöpfte schnell Argwohn und Verdacht und überhäufte Meister Melchiorn mit Vorwürfen und Drohungen. Dieser war voll Unmuthes über die Vernichtung seiner liebsten Hoffnungen, und daher nicht in der Stimmung viel zu vertragen. Es kam zu einem heftigen Zanke, wo Bitterkeiten und lose Worte von beiden Seiten nicht gespart wurden. »Ich will dir lehren,« schrie Melchior, »das Geld, das du in meinem Dienste erworben hast, aus dem Hause zu tragen, es an liederliche Dirnen zu verschenken, und mich dann mit Kieselsteinen zum Besten zu haben.« – »Und ich will euch lehren,« antwortete Erdmann, »meine Truhen mit Diebesschlüsseln zu erbrechen, und in meinen Sachen herumzustören. In eurem Dienste habe ich wenig genug erworben, denn ihr gönntet mir ja kaum Kupfermünze, wenn ihr Gold einnahmt. Hätte ich übrigens etwas besessen, – worüber ich euch gar keine Rechenschaft schuldig gewesen wäre, – so würde es gewiß der Unsegen verzehrt haben, der auf eurem Hause ruht. Könnt ihr leugnen, daß sich einst das Geld in euren Händen in glühende Kohlen verwandelte? Ihr werdet eure rechte Hand Niemand sehen [106] lassen, in die euch einst ein gewisser Geist zur Strafe eures Geizes und Wuchers ein passendes Zeichen eindrückte.«

Diese harte Rede des aufgebrachten Jünglings zog eine harte Antwort nach sich; man drohte sich gegenseitig mit der Obrigkeit, und als man immer heftiger wurde, mischten sich endlich Frau Else und das Gesinde mit in den Streit. Es wurde nun auf deren Vorschläge hin ausgemacht, daß man die Weitläufigkeiten gerichtlicher Klagen vermeiden, und wenn es nicht anders sein könne, sich in Güte trennen wollte. Der friedliche Erdmann, den schon jedes Wort reute, das ihm der Zorn eingegeben hatte, ungeachtet sich das meiste Recht auf seiner Seite befand, war gern zu einem gütlichen Vergleiche bereit, aber der dicke Melchior, der sich gleich einer giftigen Kröte aufblähte, war so aufgebracht, daß er durchaus darauf bestand, Erdmann solle noch dieselbe Nacht sein Haus verlassen. Die Knechte, die ihn sehr liebten, gaben dieß jedoch nicht zu; sie erklärten ihrem Herrn, daß sie, wenn die Sache zur Klage käme, offen die Wahrheit sagen und gegen ihn zeugen würden, und verlangten, daß Erdmann erst am andern Morgen ehrlich entlassen werden sollte, und daß es ihm auch gestattet sein müßte, alle seine Habseligkeiten, sogar den Sack mit den Kieselsteinen mit sich zu nehmen.

Nachdem Melchior in diesem Punkte nachgegeben hatte, und der Streit somit geschlichtet war, begab sich Jedermann zur Ruhe. Melchior und Erdmann waren indeß [107] noch zu sehr aufgeregt, als daß sie hätten bald einschlafen können. Bei Ersterem war es giftiger Grimm, und bei Erdmann tiefer Kummer, der den holden Traumgott von dem Lager verscheuchte. –

Ein Stunde nach Mitternacht hörte man ein gewaltiges Donnern am Thorwege. Die Knechte und Mägde mußten in tiefem Schlafe liegen, denn es ließ sich trotz des großen Lärmes Niemand von ihnen sehen. Erdmann, der noch wachte, verhielt sich, als bereits seines Dienstes entsetzt, gleichfalls still auf seinem Lager, und Meister Melchior mußte selbst hinunter, um den späten Passagier einzulassen. Ihm kam ein Grauen an, als er mit dem flakkernden Lichte über den düstern Hof ging; auch war er entschlossen, nicht eher zu öffnen, als bis er eine christliche Antwort auf den Spruch: alle gute Geister, etc. vernommen haben würde.

»Oeffne die Thür!« rief der Fremde mit einer rauhen Stimme, »ich habe keine Zeit, hier lange zu warten, denn ich habe noch einen weiten Weg vor mir!« Es lag so etwas Gebietendes in der Sprache des Mannes jenseit der Pforte, daß Herr Melchior geöffnet hätte, und wenn der Arge in eigner Person draußen gewesen wäre. Melchior gehorchte daher, und sah mit einiger Beruhigung weder Schwanz noch Hörner, sondern einen rüstigen Reiter auf einem schwarzen Pferde, der ein ziemlich unverdächtiges Ansehen hatte.

»Ist hier das Wirthshaus zum Riesen?« fragte jetzt dieser.

[108] »Zu dienen, mein Herr; aber beliebt es euch nicht, abzusteigen?«

»Ich steige nicht ab, denn ich muß weiter, die Herberge für meinen sehr hohen und sehr erlauchten Gebieter zu bestellen, welcher heute über drei Tage mit einem kleinen Gefolge durch das Gebirge ziehen wird, und in diesem Hause das Mittagsmahl einnehmen will. Darum trage Sorge, daß auf benannte Zeit eine Tafel für dreizehn Personen, mit den seltensten und theuersten Gerichten, die du bekommen kannst, wohl und fürstlich bestellt sei. Es soll dein Schade nicht sein, denn ich habe Befehl, dir für jede Person drei Goldkronen zu versprechen, auch pflegt mein Herr beim Abschiede reiche Trinkgelder auszutheilen.«

Kaum hatte der Unbekannte seine Rede geendigt, als er sein Pferd anspornte und schnell aus Melchiors Augen verschwand. So wenig nun auch Veranlassung da war, in dieser nächtlichen Bestellung etwas Geisterhaftes und Unheimliches zu finden, und so lukrative Aussichten sie auch dem geizigen Gasthalter eröffnete, so überfiel diesem doch ein Grauen, als er den Boten so schnell aus den Augen verlor. Er schlug die Hausthür krachend zu, und eilte, so schnell er konnte, nach seiner Tochter Kammer, theils um nicht allein zu sein, theils um mit ihr die wichtige Neuigkeit zu besprechen.

Frau Else hatte schon von ihrem Fenster aus das ganze Gespräch mit angehört, und konnte daher mit gutem Gewissen bezeugen, daß es kein Traumgesicht gewesen [109] sei, was, wie ihr Vater zu glauben anfing, ihn geneckt habe. Auch redete sie ihm die Grille aus, als habe des Reiters Pferd, wie er beim Scheiden bemerkt haben wollte, nur drei Beine gehabt, und sie wußte überhaupt den ganzen Vorfall als so natürlich darzustellen, daß sich endlich Melchior darüber beruhigte, und nun mit seiner Tochter überlegte, was behufs der Bewirthung des Fremden Alles anzuschaffen sei. Ein fürstliches Mittagsmahl, das nach damaligen Zeiten so honett bezahlt werden sollte, auszurichten, war keine Kleinigkeit; der größte Theil der Nacht ging darüber hin, den Küchenzettel zu machen, und als man damit endlich fertig war, wurde die wichtige Frage abgehandelt, wer, da Erdmann nun verabschiedet sei, die nothwendigen Bestellungen in den nächsten Ortschaften machen sollte. Um der Ehre des Hauses nichts zu vergeben, glaubte Frau Else, für eine Menge seltner Gerichte sorgen zu müssen, die ihrer Meinung nach jedoch nur mit Hilfe dessen anzuschaffen wären, der bisher alle auswärtigen Geschäfte besorgt hatte.

»Alles wohl erwogen, Vater,« sagte sie endlich mit der ihr eignen Sanftmuth, »so habt ihr thöricht daran gethan, den braven Jungen ohne Weiteres zu verabschieden. Mit seinem versteinerten Reichthume kann es seine eignen Bewandnisse haben; was Gold war, kann es auch wohl wieder werden.«

»Else,« erwiederte der Papa, »du redest wie eine Närrin! Sind denn die glühenden Kohlen wieder das geworden, was sie früher waren?«

[110] »Ihr mögt darin Recht haben, doch ist der Erdmann ein wackrer, gewandter Bursche, der mir gefällt, und den ich, wenn er auch keinen Pfennig hat, haben will und haben muß, und sollte ich euch zum Trotze mit ihm davon laufen!«

»Es fragt sich erst, ob er sich mit dir und deinen Kindern beladen will!«

»Das wollen wir sehen. Ihr wißt wohl, er hatte keine andere Einwendung wider euren Antrag, als daß mir mit einem armen Knechte nicht geholfen sein würde. Laßt mich nur machen. Ohne ihn können wir, wie ihr selbst einseht, nichts anfangen, denn wir haben nicht allein keinen bessern Einkäufer, sondern auch keinen zierlicheren Diener als ihn. Wer soll übermorgen der Herrschaft bei der Tafel aufwarten? Etwa ihr oder eure plumpen Knechte? – Und daß ihr es nur wißt, jetzt gehe ich hinauf, mit ihm zu reden; was das fruchten wird, sollt ihr sehen!«

Erdmann hatte, von dem späten Klopfen an der Hausthür neugierig gemacht, die Bestellung des Boten aus seinem Kammerfenster so gut vernommen, als Frau Else einige Stockwerke tiefer; er hatte über die Sache nachgedacht, und bei dem Gefühle seiner Unentbehrlichkeit im Hause schon eigentlich errathen, was nun erfolgen würde. Die Abgesandtin mit den Friedensvorschlägen fand ihn also nicht ganz unvorbereitet, und was noch mehr sagen will, nicht ganz ungeneigt, auf ihre Vorschläge einzugehen. Erdmann war nach der unerklärlichen Versteinerung seines[111] Schatzes ganz arm, und es konnte ihm nicht einerlei sein, ob er morgen, ohne mehr zu besitzen, als den kleinen Rückstand seines Lohnes, das Haus verlassen, oder noch die reichen Trinkgelder der fremden Herrschaft mitnehmen sollte, auf die er, wenn er blieb, wohl rechnen konnte. Ohne sich also auf Frau Elsens Abschweifungen von der Hauptsache einzulassen, sagte er zu, es noch bis übermorgen mit anzusehen, und die Bestellungen, die ihm für den künftigen Tag vorgelegt wurden, so gut auszurichten, als ob zwischen ihm und Meister Melchiorn nichts vorgefallen wäre.

Frau Else brüstete sich gegen ihren Vater mit dem glücklichen Erfolge ihrer Bemühungen, und Erdmann machte sich, als der Tag zu grauen begann, auf den Weg, indem er dießmal einen Esel mitnahm, der ihm die vielen Einkäufe tragen sollte. Kaum hatte er das Haus verlassen, so rechnete er schon aus, wie viel Zeit er zu den vielfachen Geschäften, die er zu besorgen hatte, brauchen würde, und wie lange er wohl bei seiner Marie, die er bestimmt zu treffen hoffte, verweilen könnte. So sehr er nun auch eilte, um bald in die Stadt zu kommen, so schien sich doch der Weg unter seinen Füßen zu verlängern, und er traf dort später als gewöhnlich ein. Zu seinem großen Leidwesen ging es ihm auch hier mit den Einkäufen nicht recht von Statten; was er sonst an einem Orte fand, mußte er heute an zehn Orten zusammensuchen, die Verkäufer waren eigensinnig und hielten ihn mit langem Handeln auf, und als er endlich das sonst so geduldige [112] Thier mit den Einkäufen beladen wollte, zeigte sich dieß so unbändig, daß er lange Zeit brauchte, um es wieder zu beruhigen. Der arme Erdmann wurde durch alle diese Widerwärtigkeiten ganz verstimmt, und nur die Hoffnung, auf dem Rückwege seine Marie zu sehen und zu sprechen, tröstete ihn einigermaßen. Als er jedoch an die Stelle kam, wo er sonst seine Geliebte zu finden pflegte, war diese nicht zugegen, und es half ihm auch nichts, überall den Namen Marie! Marie! ertönen zu lassen, den nur das Echo, gleichsam spottend, wiedergab. Da es schon spät war, durfte er sich hier nicht länger aufhalten, und mußte tiefbetrübt weiter ziehen. Nachdem er noch geraume Zeit in den abgelegensten Gegenden des Gebirges, durch welche eigentlich gar kein Weg führte, und die er nur in verliebter Phantasie allein, oder an der Hand seiner Marie zuweilen besuchte, herumgeirrt war, sah er endlich das Wirthshaus unten im buschigen Thale vor sich liegen, und nun zog er mit seinem langöhrigen Gefährten gemächlich den Abhang hinab. Obschon es ihm nämlich lieb war, den beschwerlichen Weg endlich ganz zurückgelegt und seine Einkäufe wohlbehalten nach Hause gebracht zu haben, so wäre er doch noch lieber gleich wieder umgekehrt, um seine Marie zu suchen, deren heutiges Ausbleiben ihn so sehr beunruhigte.

Frau Else stand an der Hausthür und half die Einkäufe vom Esel abladen; Erdmann aber, anstatt mit Hand anzulegen, oder wenigstens das Thier fest zu halten, war so ganz in sich vertieft, daß er sich um den [113] Esel gar nicht bekümmerte. Kaum fühlte sich dieser von seiner Last befreit, als er rasch davon sprang, und sich mit einer Schnelligkeit, die man an ihm gar nicht gewohnt war und die daher Alle in Erstaunen setzte, zwiden nächsten Hügeln verlor.

»Ach laß den Langohr! Du bist mir lieber als zehn Seinesgleichen!« sagte Frau Else sehr galant, als Erdmann, der dem Flüchtigen nachgeeilt war, nach einer halben Stunde wiederkam und erklärte, daß das Thier nirgends zu finden sei, und daß er der eintretenden Dunkelheit wegen einen Kienstock anzünden und nochmals versuchen wollte, den Flüchtigen aufzufinden. – »Laß ihn laufen,« schrie Frau Else, »er ist zum Futter gewöhnt! Morgen wird er wol wieder kommen, und kommt er nicht, so ist mir's lieber, ich misse ihn als dich!«

Diese Worte, aus denen ein plumpe Zärtlichkeit sprach, wurden von unserm Erdmann gar nicht beachtet; er folgte der Dame des Hauses verdrießlich und mit trägem Schritt in die Gesindestube, wo die Hälfte des Dienstvolks sammt Herrn Melchior schon beschäftigt war, die nöthigen Zurichtungen zu dem übermorgen bevorstehenden Mittagsmahle zu machen. In den damaligen Zeiten bestand der vornehmste Prunk einer wohlbesetzten Tafel nicht sowohl in Mannigfaltigkeit, als in Menge der aufgetragenen Speisen, nicht sowohl in Wohlgeschmack und guter Wahl der Schüsseln, als in ihrer Größe und der Höhe der Spitzsäulen, die man auf denselben empor thürmte. Um der damaligen Mode Ehre [114] zu machen, war diesen Tag über schon viel Blut im Gasthofe zum Riesen vergossen worden, und während Herr Melchior und Frau Else die feisten Braten spickten, war das Gesinde beschäftigt, mehr Kapaunen, Hühner, Tauben und Enten zu entfedern, und zuzurichten, als Gäste zur Tafel erwartet wurden – in Summa man sah, daß Herr Melchior dießmal das gemachte Gedinge von drei Kronen a Person nicht mit Sünden verdienen wollte.

Frau Else, die heute lauter Liebe und Zärtlichkeit war, labte Erdmann mit Speise und Trank, wies ihm den besten Platz am Fenster an – denn die Nächte waren kalt – stellte ihm frei, an der Arbeit Theil zu nehmen, und gebot einem Fremden, der im Winkel saß, und den Erdmann noch nicht wahrgenommen hatte, in seiner Erzählung fortzufahren, die durch die Ankunft des beladenen Esels, und dessen bösliche Entweichung etwas lange unterbrochen worden war.

Erdmann schlug die Augen auf, und erblickte beim düstern Scheine des Feuers die kleine, eingeschrumpfte Gestalt eines dem Anschein nach fast hundertjährigen Greises, den er wegen seines langen weißen Bartes und der etwas jüdischen Physiognomie für einen Israeliten gehalten haben würde, wenn nicht in den damaligen Zeiten mancher hochbejahrte christliche Mann einen ähnlichen Auswuchs, um sein Ansehen bei Enkeln und Urenkeln zu vermehren, an Kinn und Wangen geduldet hätte.

»Was soll ich da weiter erzählen,« versetzte der Alte auf nochmalige Aufforderung, »genug die breßlauischen [115] Unruhen vor hundert Jahren, und das was heute in Schweidnitz vorgegangen ist – –«

»In Schweidnitz?« wiederholte Erdmann, der augenblicklich an die einzige Person dachte, die ihn in dieser Stadt interessirte. »In Schweidnitz, was ist dort vorgegangen?«

»Habe keinen Athem, mein Sohn, es noch einmal zu wiederholen! –«

»Wart' ich will dir's erzählen, warte!« schrie Melchior, der immer noch auf Erdmann grollte. »Deine Dirne hat auch Theil daran gehabt, die Landläuferin! die Unglücksstifterin! Nun hat sie weder Dach noch Fach, und ich will sie zeitig genug vor meiner Thüre um Brod betteln sehen.«

»Marie! meine Marie!« schrie Erdmann, indem er aufsprang, und zwischen Melchiorn und Elsen wie ein Sturmwind zur Thür hinausfuhr. »Marie! meine Marie!« schrie er, als er jetzt den Thorweg aufsprengte und in die dunkle Nacht hinaustrat, ohne zu wissen, was er in dem wilden Gebirge wollte. Er hörte hinter sich die Pforte mit drei Riegeln verwahren, und aus dem Fenster ertönte ihm Elsens fast vor Wuth erstickte Stimme nach: »Höre Gesell! weil du einmal draußen bist, so vergiß nicht meinen Esel zu suchen, und komme mir ohne ihn nicht wieder vor die Augen; er ist mehr werth, als alle liederliche Dirnen von Schweidnitz, denen du nachläufst!«

Erdmann antwortete nicht; »ach Marie! Marie!« sagte er zu sich selbst, »also deshalb sah' ich dich heute nicht! Welch' ein Unglück mag dich betroffen haben!«

[116] Rastlos irrte Erdmann im unwegsamen Gebirge umher, kein Stern schickte einen mitleidigen Strahl durch die finstre Nacht, seinen Weg zu erhellen. In seiner Seele war es eben so düster; er konnte keinen klaren Gedanken fassen, und erst spät fiel es ihm ein, wie thöricht er gethan hatte, sich durch ein bloßes Wort in Verzweiflung stürzen zu lassen, wie doppelt thöricht, den Ort zu verlassen, wo er etwas mehr hätte erfahren können, um hier auf's gerathewohl nach Marien umher zu irren. »Marie! Marie!« rief er unaufhörlich, aber es antwortete nur das Echo. Er lauschte, glaubte die Stimme der Geliebten zu hören, und lies sich tiefer in's Gebirge locken, – da war's ein rufendes Käuzlein, das ihn getäuscht hatte, oder das vielstimmige Sausen des entfernten Gebirgsstromes, dem er sich oft verwegen genug näherte, um durch Ausgleiten vom jähen Ufer sein Leben einzubüßen.

Es war lange nach Mitternacht, als der Mond aufging und ihm die Ursache eines Geräusches zeigte, das er schon seit einer Stunde bald vor sich, bald hinter sich, bald etwas entfernt, bald dicht an seiner Seite vernommen hatte; es glich dem sanften Trabe eines unbeschlagenen Thieres, und unwillkührlich gedachte er des verlornen Esels, den er in der Angst seines Herzens bisher ganz außer Acht gelassen hatte. – Jetzt sah er beim Mondenschimmer ganz deutlich, daß sein Ohr ihn nicht getäuscht hatte, und daß der Entflohene wirklich wenige Schritte vor ihm hertrabte. Wie verwunderte er sich aber, [117] als er auf des Esels Rücken eine kleine Figur hängen sah, welche dem Erzähler im Wirthshause mit dem Judenbarte auf ein Haar glich! Bald zeigte sich die Aehnlichkeit noch sichtbarer, als an einer lichten Stelle des Weges der Mond das Gesicht des Reiters beschien. »Er ist es, er ist es selbst!« schrie Erdmann, und machte einige große Schritte, die ihm aber dem Reiter nicht um einen Strohhalm näher brachten. – »O guter Vater,« fuhr er keuchend fort, »verzieht! verzieht doch ein wenig, ich habe euch wichtige Dinge zu fragen.« – »Mich fragen?« erwiederte der Alte, »meinen wohlerworbenen Esel willst du mir nehmen, den ich als freie Beute hier im Walde fand.«

Mit diesen Worten trieb der weißbärtige Räuber sein Thier aus voller Macht an; es flog über Stock und über Steine, war bald diesseit bald jenseit des Stromes, bald auf einer so hohen Felsenspitze, daß Erdmanns scharfes Auge es kaum erkennen konnte, bald wieder ihm so nahe, daß er es mit der Hand erreichen zu können glaubte.

»O Bösewicht!« schrie Erdmann dem Räuber zu, »jetzt hast du also Athem genug, durch dies weite Gebirge umher zu jagen, während du gestern Abend nicht vermochtest, mir auf eine einzige wichtige Frage zu antworten! O halt ein! halt ein! und sage mir nur ein Wort von Marien! Der Esel soll dein sein, ich will dir ihn nicht nehmen, und ihn gern im Wirthshause mit meinem rückständigen Lohne ersetzen. –«

Aber der wohlberittene Greis hörte nicht; der weiße [118] Bart wehte im Mondschein, der braune Mantel flatterte, das Thier unter ihm schnob und braußte gleich einem rüstigen Hengste, bis in Erdmann ziemlich spät der Gedanke erwachte, dies gehe nicht mit rechten Dingen zu, und Entsetzen sowohl als Ermüdung ihn ohne Besinnung zu Boden stürzten.

Der Tag war angebrochen, als er sich ein wenig zu erholen begann; er vernahm das sanfte Weinen einer weiblichen Stimme an seiner Seite, fühlte sich von zarten Händen geliebkoßt, und schlug die Augen auf. »Marie! Marie!« rief er, und schlang seine Arme um ihren zu ihm herabgebeugten Nacken, »ist es möglich, daß ich am Morgen gefunden habe, was ich die Nacht über mit so viel Schmerzen suchte?«

»Und ist es möglich,« schluchzte sie, »daß ich dich lebend in meine Arme schließe? Ach das war eine fürchterliche Ohnmacht! Das kommt von dem forcirten Reiten! Der verwünschte Esel! Gottlob, daß er dich endlich abwarf und hier ins Gras legte; es war übrigens kein artiger Spaß, dein armes Mädchen, das überdieß gekränkt genug ist, so die halbe Nacht hinter dir herzujagen.«

Erdmann machte große Augen und sah Marien an! »Gott weiß, was du meinst!« sagte er endlich, »ich habe keinen Esel gesehen als den, den mir der alte Bösewicht, den ich sogern ein paar Worte über dich abgestohlen hätte, hinweg ritt. Aber laß das jetzt, und sage, sage mir nur, wo du seit gestern gewesen bist, und was es für Bewandniß mit den schweidnitzischen Geschichten hat?«

[119] »Ach du könntest längst Alles wissen, hättest du meinen Athem besser geschont, und dich deines armen Mädchens erbarmt, die nun außer dir Niemand hat, und die es nicht verdiente, in ihrer Noth so von dir geneckt zu werden.«

»Marie, ich verstehe dich nicht, aber ich ahnde außerordentliche Dinge, und ich muß dich bitten, damit wir Beide uns verständigen, mir Alles, was dir seit vorgestern begegnete, umständlich zu erzählen.«

»Ich werde mich kurz fassen können, da dir die schweidnitzischen Geschichten schon bekannt zu sein scheinen.«

»Nichts, nichts ist mir bekannt; ich erfuhr nichts weiter, als daß in Schweidnitz Unruhen vorgefallen, woran du Theil gehabt hättest, und daß du nun ohne Schutz und Obdach dem größten Elend ausgesetzt wärest – das war es, was mich zu dem Herumjagen im Gebirge veranlaßte, denn ich glaubte, dich hier finden zu müssen, und Gottlob, daß ich dich endlich gefunden habe.«

»Ach Erdmann,« sagte hierauf Marie mit einem tiefen Seufzer, »wenn du sonst nichts weißt, so habe ich dir viel zu erzählen! – Warum habe ich mich dir auch nicht eher vertraut! Wie viel Angst hätte ich mir ersparen können! Aber zu fest bewahrte Verschwiegenheit war es, die mich in Noth stürzte! – Nicht von vorgestern, nein vom ersten Beginn unserer Bekanntschaft muß ich meine Geschichte anfangen, muß dich mit Einem bekannt machen, den ich eher kannte als dich, und dessen Andenken [120] ich schon deshalb immer verehren werde, weil die menschenfreundlichen Besuche, die ich ihm machte, Gelegenheit gaben, dich kennen zu lernen.«

Erdmanns Stirne runzelte sich ein wenig, als er von menschenfreundlichen Besuchen bei einem Fremden hörte. »Ich glaubte,« sagte er, »du habest nur deiner Spinn- und Webegeschäfte wegen diese Gegenden besucht.«

»Sie waren die ersten Veranlassungen meiner kleinen Reisen durch das Gebirge, das ich Anfangs, mit den Legenden von dem mächtigen Berggeiste, der er es beherrschen soll, nicht unbekannt, immer mit einem geheimen Grauen betrat; nach und nach, als mir hier nie etwas Außerordentliches begegnete, wurde ich indeß muthiger, glaubte nicht an Rübezahl, oder hielt mich von ihm wohlgelitten. Meistens dachte ich gar nicht an ihn, und fand in seinen Gebieten, in der süßen Ruhe und Freiheit der Natur, die hier herrscht, die seligste Erholung für meine langweilige, unschmackhafte Arbeit am Spinnrocken. – Es kam bald dahin, daß ich unter Thieren, Bäumen und Pflanzen viele Bekannte hatte, daß ich jeden Hügel, jeden Pfad mit seinem eignen oder einem von mir erdachten Namen zu nennen wußte, und mich hier ganz einheimisch fühlte. Besonders war mir der Theil des Gebirges, aus welchem die Weistritz entspringt, der Rumpelbrunnen genannt, immer einer der bekanntesten und liebsten, und bald sollte er mir durch eine Begebenheit, die noch jetzt Einfluß auf mein Schicksal hat, noch interessanter werden.

[121] In der Zeit, wo gewöhnlich der Fluß von Frühlingsgewässern anzuschwellen beginnt, just auf der Stelle, wo mich deine Hand, mein Erdmann, später den Fluthen entriß, fand auch ich einst ein menschliches Geschöpf im Wasser liegend, dessen Rettung insofern möglich war, als es noch mit den Kleidern im Gesträuch des Ufers festhing. Der Figur und dem Umfange nach hielt ich den Verunglückten für einen zehn- bis zwölfjährigen Knaben, und meine Kräfte also dem schweren Werke, ihn aus dem Wasser zu ziehen, für angemessen. ›Vielleicht ist hier noch Leben,‹ sagte ich zu mir selbst, indem ich mich an einen überhangenden starken Baumast hielt, und mich tiefer herabbeugte, ›vielleicht kann ich durch die Rettung dieses armen Geschöpfes eine bekümmerte Mutter erfreuen, und der Welt einen guten Bürger erhalten.‹

Ich hatte den Willen zu einer menschlichen That, und wie das Sprichwort lautet, wo Wille ist, da verleiht Gott die Kräfte. Wie ich es anfing, weiß ich nicht mehr, genug es gelang mir, und mein Geretteter lag vor mir auf dem Ufer; es war jedoch kein Kind, sondern ein kleiner, steinalter Mann, dem, wie er sagte, mein Werk seiner Rettung kaum dankenswerth schien, da ich ihm doch nur wenige Tage eines elenden Lebens erhalten hätte. Der gute Mann ist nun todt, und man soll dem, der sich im Reiche der Wahrheit befindet, keine Lügen nachsagen, aber mir ist hundertmal eingefallen, wenn er mir durch seine ängstliche Todesfurcht die Sorge um sein Leben so schwer machte, daß er jenesmal nur so redete, um sich den Dank für seine Rettung zu ersparen.

[122] Ungeachtet der mürrischen Weise, mit welcher er mir dieses seltsame Kompliment machte, regte sich doch gegen ihn in meinen Herzen eine Art von schmerzhafter, mitleidiger Liebe, die wir Weiber besonders gegen Kinder und Alte zu fühlen pflegen. Das was ich für ihn gethan hatte, machte mir ihn noch lieber, und ich sagte ihm, ich würde seinem Lebenshaße zum Trotze auf die Verlängerung seiner Tage denken.

›Schwer genug wird es dir werden,‹ erwiederte er, ›da ich, wie du siehst, ganz schwach und hülflos bin, und ohne die zärtlichste Pflege nicht einen Tag mehr leben werde.‹

›Und die sollt ihr haben, bis ihr stark genug werdet, mir in die nächste Stadt zu folgen, wo es mehr mitleidige Herzen giebt, die das ersetzen werden, wozu ich zu schwach bin.‹

›Wenn du deine Hand von mir abziehen willst, so kannst du eben so gut mich wieder in den Strom werfen, denn ich kann und werde nicht unter Menschen gehen!‹

Ich fragte warum, aber er antwortete nicht, und ich setzte mein Werk des Wärmens und Abtrocknens stillschweigend fort, bis er sich völlig erholte; darauf brachte ich ihn in eine mir wohlbekannte Berghöhle, wo ich mich oft vor Regen und Sonnenglut geborgen, oder am Mittag ausgeruht hatte, und bereitete ihm ein Bett von Moos und dürren Kräutern. Er fing an zu schlummern, und ich benutzte diese Zeit, nach einem Baume zu eilen, [123] wo ich etwas wilden Honig wußte, pflückte von den Sträuchen einige Hände voll Beeren, und ein kleiner Krug mit Milch, den mir die Leute im Dorfe, wo ich Flachs gekauft, geschenkt hatten, diente mir jetzt dazu, das Mahl, das ich auf einen Teppich von grünen Blättern vor meinem Schlummernden ausbreitete, vollkommen zu machen.

Er erwachte, sah mit Vergnügen, was ich ihm aufgetischt hatte, und aß und trank zum Verwundern, worüber ich, weil ich einem so betagten Manne solchen Appetit nicht zugetraut hatte, große Freude bezeigte.

›Du bist sehr gut,‹ sagte er, ›vielleicht würde jedoch deine Theilnahme an meinem verlassenen Zustande abnehmen, wenn du wüßtest, wer ich bin.‹

›Und wer seid ihr denn?‹

›Ich will glauben, daß ich dir dieß ohne Gefahr für mich entdecken kann, denn ich habe dich ja an den verhaßtesten Geschöpfen hier im Gebirge Liebe üben sehen; ich sah dich einst einer alten Eidechse, welche blind war, Futter zutragen; wie solltest du nicht auch an einem verlassenen unwerthen Menschen Barmherzigkeit üben!‹

›Vater, eure Reden betrüben mich! Wer seyd ihr? Unwerth ist in meinen Augen kein Geschöpf! Euer Unglück und euer Elend wird meine Liebe zu euch nur verdoppeln.‹

›Ich kann vielleicht ein Boshafter, ein Verbrecher sein, oder zu einem überall verschrieenen Geschlechte gehören! Schon als Kind bei der großen breßlauischen Judenverfolgung [124] aus meinem Vaterlande vertrieben, habe ich ein mehr als hundertjähriges Leben unter Druck und Elend bis hierher geschleppt, habe meinen Tod, das Ende meiner Leiden in den Fluthen finden sollen, und bin von dir wider Willen gerettet worden. –‹

›Vater, seid ihr ein Jude, so will ich euch zu euren Glaubensgenossen bringen; ich wohne zu Schweidnitz in der Judenstadt, wo ich viele wohlhabende Juden kenne.‹

›Ich sage dir aber, daß ich keinen Menschen sehen will als dich! Wenn du mich Jemand entdeckst: – –‹

Der Greis machte bei diesen Worten ein fürchterliches Gesicht, und die Kraft, mit welcher er auf den Boden schlug, so daß mein ausgeleerter Milchtopf umfiel und zerbrach, sagte mir, daß ich mich vor seinem Zorne zu hüten habe.

Zitternd versprach ich ihm Alles, was er wollte, doch ließ ich mich durch keinen Eid binden.

Gern hätte er mich zu seiner Pflege beständig bei sich behalten, aber wie konnte ich ihm zu Liebe meine gute Herrschaft vernachlässigen? Ich mußte zu dieser zurück, und mein Geretteter, der sich Abraham von mir nennen ließ, mußte sich gefallen lassen, mich nur gelegentlich zu sehen, und so viel Pflege von mir anzunehmen, als ich ihm ohne Versäumniß leisten konnte. Seine Erhaltung war mir nicht leicht; er gab mir nur selten etwas, wovon ich seine Bedürfnisse bestreiten konnte, denn, wie er sagte, so war er selbst arm. Er lebte daher größtentheils [125] von dem, was ich mir selbst abdarben, oder für ihn in dem Kloster, wohin ich zuweilen geschickt wurde, erbetteln konnte. Ohne es zu wollen, erwarb ich mir durch meine Fürbitten für einen Armen, und durch die Freude, die ich bezeigte, wenn ich etwas Erquickendes für ihn erhielt, die Gnade der Aebtissin, und das Versprechen, einst auf leidliche Bedingungen Aufnahme in ihrem Kloster zu finden. Ach Gott! dies war bisher meine einzige und gewisseste Aussicht! Nun ist sie auch verschwunden; die gute Gräfin von Würban, die bisherige Domina, ist todt, und der gute Wille der neuen Oberin und der übrigen Klosterfrauen ist durch die gestrigen Begebenheiten, die nur gar zu schnell zu ihren Ohren gelangten, ganz verschwunden, so daß ich jetzt im eigentlichsten Sinne des Wortes ganz hoffnungs- und heimlos bin.

Doch wieder zu meiner Geschichte. Von meinem Pfleglinge ärntete ich, ungeachtet Allem, was ich für ihn that, wenig Dank; er war voller Eigensinn und Launen, tadelte meine kleinen Gaben, beschuldigte mich, ich sei seines Lebens überdrüssig und wünsche seinen Tod, schimpfte und schmähte mich, und drohte mir einst sogar mit Schlägen. In der That, es gehörte Geduld der Heiligen dazu, dies Alles auszuhalten, und es waren nur zwei Dinge, die mich zu sehr an ihn fesselten, als daß ich ihn je hätte verlassen können; das eine war, seine angenehme für mich in tausenderlei Betracht lehrreiche Unterhaltung, wenn ich ihn einmal heiter fand, und das andere, die Vorstellung von seiner gänzlichen Hülflosigkeit, [126] wenn ich die Hand von ihm abziehen würde. Obgleich ich ihn zuweilen, wenn er in Zorn gerieth, im Verdacht hatte, er stelle sich schwächer als er sei, so hatte ich doch täglich unzähliche Beweise, daß er unvermögender war, als ein Kind, und ohne meine Unterstützung nicht leben konnte. Um nicht über seine Grillen und Launen verdrießlich zu werden, bemühte ich mich, diese als aus seiner Krankheit und Schwäche hervorgehend zu betrachten, und es gelang mir durch diese Erwägung den aufsteigenden Unwillen in Mitleid zu verwandeln.

Unter den Einfällen, mit welchen er mich zu peinigen pflegte, war einer der bemerkenswerthesten, daß er mir zuweilen entlief, daß ich ihn dann in allen Höhlen des Gebirges und in allen Gebüschen des Waldes mühsam wiedersuchen mußte, wenn ich nicht, – wie mir einmal geschah, als ich dachte, er würde wohl von selbst wiederkommen, – ihn des andern Tages halbtodt vor Nässe, Kälte und Ermattung in oder außer halb seiner Höhle wiederfinden wollte.

Auf einer dieser Wanderungen mußte er dich und mich belauscht haben, denn ich wüßte nicht, wie ihm sonst unser Verhältniß kund geworden wäre. Er hielt mir damals eine lange Strafpredigt über meinen Umgang mit dir, die ich indeß mir wenig zu Herzen nahm. Abraham schien schlechterdings mich für sich allein in Anspruch nehmen zu wollen, und jedes andre Geschöpf um meine Gesellschaft zu beneiden. Seine Klagen, daß ich ihn um deinetwillen vernachlässige, daß ich ihn, dir zur Liebe, später [127] besuche und früher verlasse, waren unausstehlich und was das Letzte anbelangt, vielleicht nicht ganz ungegründet; freilich konnte mich, wenn die Stunde kam, wo du vorübergingst, nichts bei ihm zurückhalten. –

Der Winter kam; ich mußte nicht allein das Vergnügen aufgeben, dich zu sehen, sondern auch meinen armen Alten seinem Schicksale überlassen. Er weinte wie ein Kind um sein Leben, das er ohne mich nicht erhalzu können vorgab, und jetzt fühlte ich erst, wie lieb er mir ungeachtet seiner Launen war. Auch ich weinte sehr und bat ihn, mir zu erlauben, ihn in die Stadt zu führen, oder seinen Aufenthalt den barmherzigen Brüdern zu Reichenbach kund zu thun, welche Vorschläge er jedoch mit Unwillen verwarf. Der fallende Schnee ließ mich befürchten, daß ich den Hülflosen heute zum letzten Male gesehen haben würde, und ich trennte mich daher von ihm, wie von einem sterbenden Freunde. Nach der Zeit machte ich noch öfters Versuche, zu ihm zu kommen, aber sie mißlangen alle, denn der Schnee hatte nicht allein die Gebirge ganz pfadlos, sondern auch alle Gegenden derselben so unkenntlich gemacht, daß ich nicht einmal mehr wußte, wo ich meinen Pflegling suchen sollte, und über dem vergeblichen Bestreben, seine Höhle dennoch zu finden, mehrmals in Lebensgefahr gerieth.

Ich beweinte ihn als einen Todten, und nahm mir fest vor, im künftigen Frühjahre die Gegend, wo ich sein Grab vermuthete, gänzlich zu meiden, um nicht die Erinnerung an den Todtgeglaubten zu sehr aufzufrischen.

[128] Demungeachtet war mein erster Gang, als ich das verjüngte, von Schnee und Eis befreite Gebirge wieder betrat, nach der Höhle, wo der Alte seinen letzten Seufzer ausgehaucht haben mußte. Denke dir nun mein Erstaunen, als ich den, dessen irdische Ueberreste ich suchte, lebend und ungefähr in demselben Zustande wiederfand, in dem ich ihn verlassen hatte.

›O Vater! Vater!‹ rief ich, indem ich auf ihn zueilte. ›ist es möglich, daß ihr noch lebt, und welches Wunder hat euch erhalten? –‹

›Du bildest dir sehr viel ein,‹ erwiederte er mit mürrischem Tone, ›wenn du glaubst, der Himmel habe Niemand als dich, seine Wohlthaten auszustreuen; freilich deinetwegen hätte ich ruhig umkommen können.‹

›Vater, ich schwöre euch, nur die Unmöglichkeit – –‹

›Es ist gut! – Was bringst du mir zu meiner Erquickung? Ich will nicht hoffen, daß du leer gekommen bist.‹

Ohne zu antworten verließ ich ihn, und eilte nach meinem Flachskörbchen, das ich vor der Höhle abgesetzt hatte, und in welchem etwas sparsame Wegzehrung für mich enthalten war; ich brachte es ihm, bat vorlieb zu nehmen, und er wurde aufgeräumter.

›Marie,‹ sagte er, ›die Wahrheit zu gestehen, thust du viel an mir; wäre ich der schönste Jüngling von der Welt, du könntest dich nicht zärtlicher um mich bemühen.‹

›Eben weil ihr das nicht seid, Vater, darum suche ich euch nach Kräften zu pflegen. Euer Alter macht mir [129] die Sorge um euch zur Pflicht. Junge Bursche können sich meiner Milde wenig rühmen.‹

›Einer ist doch wohl in der Welt, dem zu Liebe du schon manchen mühseligen Weg gemacht hast! – Begegnete dir Erdmann schon im Gebirge?‹

›Nein, Vater, es ist heute mein erster Ausgang.‹

›Liebst du ihn und hoffst du ihn wiederzusehen?‹

›Vater, wie sollte ich ihn lieben! Ich kenne ihn ja so wenig!‹

›Nun, wenn du ihn also nicht liebst, so wird es dir leicht sein, ihn einem Andern aufzuopfern. Willst du bei mir bleiben? – Siehe, meinem Wesen steht eine große Veränderung bevor; binnen kurzer Zeit werde ich diese eingeschrumpfte Hülle ablegen, und wieder jugendlich blühen, schöner als dein Erdmann, schöner als alle Jünglinge der Welt. Mit meinem Alter und meiner Häßlichkeit wird auch meine Armuth schwinden, und ich werde reich genug sein, dir ein Glück zu bereiten, das alle deine Erwartungen übersteigen wird. – Du schweigst? Willst du, oder willst du nicht?‹

›Nein, Vater,‹ sagte ich zitternd, ›denn erstens glaube ich kein Wort von dem, was ihr mir vorschwatzt, und zweitens wäre auch Alles wahr, so – so –‹

›So wäre dir Erdmann doch lieber? – Nun so geh! renne hin in dein Verderben! Du wirst den Geliebten zwar heute noch sehen, aber dein Zusammentreffen mit ihm wird kein erfreuliches sein!‹

[130] Ich ging und brauche dir, mein Erdmann, wohl kaum zu sagen, daß dies der nämliche Tag war, an welchem ich beinahe in den Fluthen umgekommen wäre. – Die Weistritz war während meiner Unterhaltung mit dem Alten, die länger gedauert haben mußte, als ich meinte, fürchterlich angeschwollen; das Wasser schien von Augenblick zu Augenblick zu wachsen, doch war noch der lange Steg sichtbar, der in der Gegend, wo der Fluß am schmälsten ist, auf die Wiese führt. Ich ermannte mich, setzte einen Fuß in's Wasser auf das durchscheinende Bret – Laß dich warnen! rief mein Alter hinter mir her, den ich noch nie so laut hatte rufen hören; ich hielt einen Augenblick inne, aber jetzt sah ich dich, wie ich meinte, von fern den gewohnten Pfad herauf kommen, und ein unwiderstehlicher Zug riß mich dir entgegen. Noch that ich einige Schritte mit Festigkeit, aber nun täuschte mich der Wiederschein der nahen Berge, ich schwankte, ich sank, und – ward von dem wilden Strom davon getragen.

Du weißt das Uebrige. Ich erwachte in deinen Armen, ich dankte dir ein Leben, das ich ferner nur dir zu weihen schuldig war. Dieser Vorfall trug wesentlich dazu bei, meine bisherige Neigung zu dir, die vielleicht schon längst Liebe war, noch mehr zu verstärken, und als du mir bald darauf das Geständniß der Liebe ablegtest, vermochte ich nicht länger, meine Gefühle für dich zu verbergen. Der Gedanke an ewige Vereinigung, mit dem du so vertraut warst, kam mir dennoch nie in den Sinn. Du gründetest deine Hoffnungen auf die Milde eines [131] übermenschlichen Wesens; ich zweifelte, und wer von uns Beiden Recht hatte, das erwieß das Abentheuer mit dem steinernen Schatze.

Was meinen alten Vater Abraham anbelangt, so fuhr ich fort, ihn auch nach meiner Rettung zu besuchen, obgleich ich mich wegen der verschmähten Warnung ein wenig vor ihm scheute, und seit dem wunderbaren Zeuge, das er mir das letztemal vorgeschwatzt hatte, eine kleine Verminderung meines bisherigen Zutrauens zu ihm spürte. Zum Glück machte er mir nie wieder ähnliche Anträge, auch gedachte er deiner weder im Guten noch im Bösen. Ich war aufrichtig genug gewesen, ihm meine Lebensrettung zu erzählen, und jetzt mochte ihm wohl unser Verhältniß zu heilig erscheinen, als daß er hätte noch länger versuchen sollen, es zu stören. Doch war er deshalb eben nicht freundlicher gegen mich, und ich entsinne mich besonders, daß ich an dem Tage, an welchem du mir deine Lebensgeschichte erzähltest und ich dir Gleiches zu thun versprach, viel von seinen Launen auszustehen hatte, und tausend Verweise wegen meines Unglaubens, meiner naseweisen Urtheile und anderer Fehler hören mußte, die ich in seiner Gegenwart zu äußern nie Gelegenheit hatte, da mir die Furcht vor ihm immer die Zunge gefesselt hielt.

Ach, es sollte dies das Letztemal sein, daß ich von ihm zu leiden hatte! Ich fand ihn am andern Morgen, ehe ich dir begegnete, sehr schwach, und er starb in meinen Armen. ›Marie!‹ sagte er wenige Minuten vor[132] seinem Tode, ›ich habe dich wohl geprüft, und du verdientest für deine Geduld Belohnung, wenn ich nicht noch so viel an dir zu tadeln hätte. Hüte dich, und lade nicht durch vorwitzige Urtheile noch ärgere Züchtigungen auf dich; es ist thöricht, über Dinge zu entscheiden, die man nicht versteht.‹

›Guter Vater,‹ sagte ich, ›ich danke euch für eure Lehre, die mir aus mehr als einer Ursache lieb ist. Ihr habt mit so kräftiger Stimme gesprochen, daß ich euer Ende unmöglich so nahe glauben kann, als ihr mich bereden wollt.‹

›Von der Wahrheit meiner Worte,‹ erwiederte er, ›wirst du dich in wenig Augenblicken überzeugen. Wisse übrigens, daß ich denjenigen, der meinen Leichnam zur Erde bestattet, zu meinem Erben erkläre. Bist du stark genug, diese Arbeit zu verrichten, so soll Alles, was ich zurücklasse, dein sein; sonst sei es dir auch erlaubt, dir einen Gehülfen zu wählen, und mit ihm die Erbschaft zu theilen. Doch sorge dafür, daß meine irdische Hülle gleich in den nächsten Stunden nach meinem Tode beerdigt werde.‹

Bald nach diesen Worten schlossen sich seine Augen, und nachdem ich nach vielen vergeblichen Versuchen, ihn zu erwecken, von seinem Hinscheiden überzeugt war, machte ich unter tausend Thränen Anstalten zu seiner Beerdigung, wozu es mir jedoch, wie ich bald merkte, in jeder Beziehung an Kräften fehlte. Ich verließ die Höhle mit dem festen Entschlusse, dich zum Vertrauten des lang verschwiegenen [133] Geheimnisses zu machen, aber schnell besann ich mich anders, denn ich fürchtete, daß ich dann bei dir wieder einen Verdacht erregen würde, den du erst den Tag vorher auf eine sehr unzweideutige Art gegen mich geäußert und mit Mühe aufgegeben hattest.

Mein Todter war nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach ein Jude, wenigstens war das Wenige, was er mir einst von seiner Person gesagt hatte, ganz geeignet, diese Muthmaßung zu erregen. Ich kann es nicht läugnen, daß der Widerwille gegen dieses Volk, der uns von Kindheit auf eingeprägt wird, mir manchen harten Kampf gekostet hatte. Bei dir mußte ich ähnliche Gesinnungen vermuthen, ohne zu wissen, ob du sie der Menschheit zur Ehre so glücklich besiegen würdest, wie ich. Du hattest noch vor Kurzem unter allen Beschuldigungen meiner Feinde, die du mir mittheiltest, auf das Wort Jüdin den meisten Nachdruck gelegt, und hattest nicht ganz mit meiner Vertheidigung befriedigt geschienen. Sollte ich durch die Theilnahme an meinem seltsamen Unbekannten neuen, vielleicht unaustilgbaren Verdacht erregen? Du hättest mich vielleicht für Vater Abrahams Kind oder Enkelin gehalten, und hättest dich von mir getrennt, ohne dich eines Andern belehren zu lassen.

Ich faßte daher einen andern Entschluß, und eilte, dich zu sehen und mich in deinem Umgange zu trösten. Du erinnerst dich des Inhaltes unserer gestrigen Gespräche; Trübsinn und Schwermuth blickte aus Allem hervor, was ich dir zu sagen hatte; auch fragtest du mich [134] nicht nach der Ursache meiner trüben Stimmung, denn der Vorfall mit deinem Schatze konnte diese hinlänglich entschuldigen.

Wir trennten uns voll Kummer über die Verwandlung deines betrügerischen Reichthumes, die alle unsere Hoffnungen vernichtete; ich aber konnte mich nicht enthalten, so spät es auch war, noch einmal in die Höhle zu gehen, um zu versuchen, ob das Todtengräbergeschäft mir jetzt leichter würde, als diesen Morgen. Ich mußte indeß abermals unverrichteter Sache zurückkehren, und es wurde Nacht, als ich die Stadt erreichte.

Ueberzeugt, daß der alte Abraham zu dem Volke gehöre, unter welchem ich in Schweidnitz wohnte, hielt ich es für das Beste, die Sorge für seinen Leichnam seinen Glaubensverwandten zu übertragen, und begab mich also, noch ehe ich das Haus meiner Herrschaft wieder betrat, zu einem der vornehmsten Juden, dem ich so viel von meiner Geschichte mittheilte, als ich für gut hielt. Ich fand Gehör, und bat um Verschwiegenheit. Noch in derselben Nacht machte sich die ganze Judenschaft auf, den verblichenen Bruder nach Schweidnitz zu schaffen, ihn ehrlich nach ihrer Weise zu beerdigen, und dafür seine Erbschaft in Empfang zu nehmen. Ich verhielt mich während dieser Zeit ruhig in dem Hause meiner Herrschaft, und glaubte einen großen Stein von meinem Herzen gewälzt zu haben. Aber o Gott! welch ein Ungewitter stand mir und der ganzen Nachbarschaft auf den nächsten Tag bevor! So gut ich auch Vater Abrahams Glaubensgenossen [135] den Ort bezeichnet hatte, wo sie seinen Leichnam finden sollten, so hatten sie doch trotz allem Suchen die Leiche nicht gefunden. Sie kamen noch vor Tagesanbruch ganz wüthend unverrichteter Sache zurück, machten groß Geschrei von dem, was sie diese Nacht über im Gebirge erlitten hätten, hielten das Ganze für die Erfindung eines muthwilligen Christenmädchens, und rüsteten sich, die Schmach an Schuldigen und Unschuldigen zu rächen. Sie stürmten das Haus, in welchen ich war, und es kam zum völligen Aufruhr. Meine Herrschaft ließ sich nicht ungeneigt finden, durch Auslieferung meiner Person Frieden zu erlangen, aber ich entkam glücklich, und floh, weil ich im Gebirge unter deinem Schutze wenig Sicherheit wußte, nach dem Marienkloster im Walde, wo ich die Aufnahme fand, von der ich dir schon gesagt habe. Ach, auch hier wurde ich verstoßen! Man nannte mich bald eine Jüdin, bald eine Friedensstörerin und ich mußte froh sein, mich auch hier durch die Flucht zu retten.

Wo sollte ich anders hin als in das Gebirge, wo ich noch die einzige mir verwandte Seele, die ich auf der Welt hatte, zu finden wußte! Aber ach, es war schon später Abend; die Zeit, wo ich hoffen konnte, dir zu begegnen, war längst vorüber, und ich mußte mich begnügen, mich dem Hause, wo du wohntest, so sehr als möglich zu nähern, um dich am nächsten Morgen, wenn du aus dem Hause gingest, gleich zu bemerken.

Als ich so in der Dämmerung hin und herirrte, weinte, und mich mit tausenderlei Gedanken quälte, hörte ich dicht an [136] meiner Seite ein leises Traben, und fühlte im nämlichen Augenblicke einen großen haarigen Kopf, der sich mit freundlichem Ungestüm an meinem Arm schmiegte. Es war dein Grauschimmel, der mich im Dunkeln so gut erkannte, als ich ihn. Er liebkoßte die Hand, die so oft, wenn du ihn an das Gesträuch bandest, um ruhig mit mir zu kosen, ihm Brod darreichte, oder ihm die Mühe ersparte, das frische Gras vom Boden abzufressen. Ich fühlte nicht geringere Freude über seine Anwesenheit, als er über die meinige. Ich glaubte, wo das Thier sich befände, da könntest du nicht fern sein, und dünkte es mir seltsam, dich bei so später Nacht noch außer dem Hause zu wissen, so fiel mir schnell ein, Freund Langohr könne etwa entwischt sein, und du würdest nicht ermangelt haben, sobald du seine Flucht bemerktest, ihm nachzusetzen. Ich vergalt dem Thiere diese gute Botschaft mit einem Theile meines Abendbrotes, das ich, als ich entfloh, mit mir genommen hatte, band meinen Gefährten, um seiner und deiner desto gewisser zu sein, an einen Baum, unter welchem ich bald darauf mein Lager nahm, und des langen Wartens auf dich endlich überdrüssig, entschlummerte.

Stelle dir meine Freude und dann wieder mein Entsetzen vor, als ich auf einmal durch das Geschrei und Springen meines Nachbars aus dem Schlafe geweckt, im matten Schimmer des aufgehenden Mondes eine Gestalt, gleich der deinigen, gewahr wurde, die sich auf den Esel schwang, und im vollen Gallop davon ritt. Welch [137] ein Gefühl, dich erst unverhofft so nahe und im nächsten Augenblicke wieder so fern zu sehen! Ich rief dich, so laut ich vermochte, aber du hörtest nicht und ich war genöthigt, dir nachzueilen, um mich dir bemerkbar zu machen.

Der Vorsprung, den du auf dem Thiere, das ich noch nie so laufen sah, vor mir hattest, war groß, doch ereilte ich dich einigemale; du schienst mich zu sehen, mich zu kennen, ich streckte schon die Arme nach dir aus, du wartetest meiner, – aber auf einmal ging das Jagen von Neuem an. Ich verlor dich aus dem Gesichte und sah dich wieder; ich ruhte, weil ich zu erschöpft war, und du warst mir ganz nahe; ich erhob mich, und auf einmal gallopirtest du wieder jenseit des Flusses dahin. – Gottlob, daß das muthwillige Thier dich endlich abwarf, und daß ich dich hier von deiner stundenlangen Ohnmacht wieder zu dir selbst kommen sah.«

Erdmann schüttelte den Kopf. »Und bist du sicher,« sagte er, »daß der Eselreiter kein Anderer war, als ich? Mich dünkt, die Aehnlichkeit zwischen ihm und mir war nicht allzugroß.«

»Das helle Mondlicht müßte mich seltsam getäuscht haben.«

»Und sahst du es, wie das Thier mich abwarf?«

»Ich sah es leer hinter dem Hügel hervorspringen, und vermuthete, daß es seinen Reiter hier im Thale gelassen haben müßte. Ich suchte dich und fand dich ohnmächtig [138] auf dem Boden liegend; das Uebrige ließ sich ja errathen.«

Marie vermaß sich viel, hier rathen zu können, wo offenbar ein launiges Wesen höherer Art im Spiele war, welches durch mißverstandene Winke, unüberlegte Worte, übereilte Urtheile so schnell und bitter beleidigt werden konnte, daß es kein Bedenken trug, selbst seinen auserkornen Lieblingen die verdrießlichsten Possen zu spielen. – In der That hatten Erdmann und Marie in der Unschuld ihres Herzens schon Mancherlei gesagt und gethan, was sie bitter bereut haben würden, wenn sie den, von welchem unter ihnen so oft die Rede war, recht gekannt hätten.

»Komm, komm, Marie!« sagte Erdmann mit bedenklichem Kopfschütteln, indem er aufstand, und seiner Geliebten die Hand reichte »wir wollen über diese seltsasamen Dinge jetzt nicht weiter nachdenken und lieber überlegen, was wir vor der Hand zu thun haben. Wisse, ich bin frei wie du, denn morgen verlasse ich meinen Dienst im Wirthshause; von diesem Augenblicke an bin ich ganz dein, nur fragt es sich, wo du während der Zeit bleiben wirst, und was wir dann, eins so arm wie das andere, anfangen sollen!«

Marie gestand weinend, daß sie nicht zu rathen wüßte und sich ganz seiner Leitung überlassen wollte.

»Marie,« sagte Erdmann nach einigem Bedenken, »würdest du dich entschließen können, künftige Nacht und einen Theil des künftigen Tages, während ich noch [139] bei meiner Herrschaft bin, hier im Gebirge allein zu bleiben?«

»Ich bin hier so oft allein gewesen, und mir ist, das Abentheuer mit dem Eselreiter ausgenommen, nie etwas Bedenkliches zugestoßen; warum sollte ich gerade heute diese Gegend fürchten, die mir jetzt allein einen Aufenthaltsort gewähren kann!«

»Nun so laß uns vor allen Dingen den Esel suchen, ohne den ich nicht vor Frau Elsens Augen kommen darf; du versteckst dich dann hier im Gebirge, und ich gehe nach Hause, wo es heute sehr viel zu thun giebt. Jede Stunde, die ich abstehlen kann, schenke ich dir, und versorge dich so gut als möglich mit Nahrung. Aber morgen, morgen soll es schon besser werden; wir haben ein fürstliches Mahl auszurichten, wovon genug übrig bleiben wird, mein armes Mädchen zu laben. Ich erwarte von den Fremden, welche bei uns einkehren sollen, große Trinkgelder; habe ich diese, so komme ich, dich aus deinem Verstecke abzuholen, und in dem nächsten Orte mit dir zur Kirche zu gehen. Wir sind dann Mann und Frau, und haben die ganze weite Welt vor uns, unser Glück zu suchen. Gott gab uns frohe Herzen und gesunde starke Arme; ich als Knecht, du als Magd in irgend einem bemittelten Hause, können wir uns wohl eine Zeitlang ehrlich fortbringen, bis Gott weiter hilft.«

Der gemachte Plan hatte Mariens völligen Beifall, und man wollte eben mit Aufsuchung des Esels beginnen, [140] als Marie doch noch eine kleine Einwendung dagegen machte.

»Erdmann,« sagte sie, »mir fällt eben ein, daß wir einer andern Arbeit den Vorzug geben müssen.«

»Und welcher?«

»Die Gebeine meines armen alten Freundes liegen noch unbeerdigt in der Höhle, wo sie die schelmischen Juden nicht finden konnten, oder finden wollten; soll ich diese Gegend verlassen, ohne ihm die letzte Ehre erzeigt zu haben?«

»Marie! Marie! Ich fürchte, es hat mit deinem Alten eine seltsame Bewandniß; die Wahrheit zu gestehen, so halte ich ihn wenigstens für einen argen Zauberer.«

»Erdmann, wenn du mich liebst, so schone das Andenken des Verstorbenen; muß ich doch auch deinen Rübezahl in seinen Würden lassen, der dich mit seinen steinernen Goldmünzen so arg getäuscht hat.«

Erdmann schwieg, denn wunderliche Gedanken durchkreuzten seinen Kopf, und so kamen sie in der Höhle an, wo die fromme Marie die Exequien eines Geschöpfes feiern wollte, das sie so weidlich geplagt hatte, und das sie doch noch mit gutherziger Unschuld liebte.

Der Leichnam lag so offen auf der Stelle, wo ihn Marie vor zwei Tagen hingelegt hatte, daß man nicht begriff, wie er von irgend Jemand hatte übersehen werden können. Beide Liebende nahten sich der Leiche, doch Erdmann mit heimlichen Grauen, denn ihm däuchte, die nämliche Gestalt zu sehen, die er gestern Abend im [141] Wirthshause beim Feuer erblickt, und die ihm diese Nacht so seltsam geäfft hatte.

Er verbarg sein Entsetzen, um Marien, welcher eine einsame Nacht im Gebirge bevorstand, nicht zaghaft zu machen, und schickte sich an, mit den nöthigen Werkzeugen, welche die erschrocknen Juden in voriger Nacht zurückgelassen haben mochten, eine Grube zu machen, indeß die Leidtragende bei der Leiche stand, und um der Sache ihre gehörige Feierlichkeit zu geben, ein Todtenlied anstimmte.

Erdmann, welcher nicht wollte, daß Marie Hand an den ihm so verdächtigen Leichnam legte, verrichtete Alles, was nun noch zu thun war, und schwitzte dabei Todesschweiß; es war ihm, als hinge Blei an seinen Händen und Füßen, und er dankte Gott und seinen Heiligen, als das schwere Werk vollendet war. »Komm! komm!« sagte er zu Marien, »laß uns von hinnen eilen, und diese Gegend nie wieder betreten.«

So nöthig dem armen Brautpaare eine kleine Verbesserung ihrer Umstände gewesen wäre, so dachte doch Keines von ihnen an die, dem Todtengräber versprochene Erbschaft. Marie wußte überdieß zu gut, wie arm der Alte gewesen war, und Erdmann fühlte zu viel Grauen in dieser Höhle, als daß er sich nach irgend etwas Anderem, als nach ihrem Ausgange hätte umsehen sollen; doch stießen sie im Forteilen an einen kleinen ledernen Beutel, den Erdmann aufhob und ihn Marien reichte. Sie öffnete ihn und zog zwei grobe Silberstücke heraus. »Ach,« meinte sie, »das also ist der ganze Reichthum des guten [142] Alten, den er vielleicht für mich sparte! Ach, wie gern wollte ich ihn missen! Wie viel lieber wäre es mir, er hätte sich davon gütlich gethan, und dadurch vielleicht sein Leben verlängert!«

Erdmann ermahnte seine Geliebte, als er sie aus der Höhle führte, diese Gegend in den bevorstehenden Stunden der Einsamkeit zu vermeiden und mehr in der Nähe des Wirthshauses zu verweilen, wo ihr der dichte Fichtenwald Gelegenheit genug gäbe, sich verborgen zu halten, und wo er sie mit leichter Mühe zu allen Stunden finden könne.

Sie legten den Weg dahin langsam zurück, weil sie sich überall nach Frau Elsens verlornem Vieh umsahen, das sie jedoch nirgends fanden. Erdmann mußte sich daher entschließen, ohne dasselbe Frau Elsen unter die Augen zu treten und dem Ungewitter Trotz zu bieten, das seiner vielleicht wartete.

Er wurde jedoch besser empfangen, als er gedacht hatte, denn so wie der morgende Tag mehr und mehr nahte, so häuften sich auch die Geschäfte. Frau Else war bei Zubereitung des köstlichen Nachtisches, und konnte sich um nichts bekümmern, als um ihre Torten, welche eben von der milden Glut des Ofens die letzte Bewährung erhielten. Es war tief in der Nacht, als man endlich mit Allem fertig wurde. Frau Else brummte, daß ihr die Bewirthung fremder Leute, welche vielleicht gar schlecht bezahlen würden, so viele Mühe mache, und Erdmann hatte erst kurz vor Schlafengehen Gelegenheit, der armen Marie etwas Speise zu bringen, denn bis dahin hatte [143] man jeden seiner Schritte bewacht. Er durfte nicht, wie er wohl gewünscht hatte, während der Nacht bei der obdachlosen Geliebten verweilen, wenn er nicht wollte, daß man ihn vermissen, ihn aufsuchen, und nicht allein ihn, sondern auch Marien finden sollte. Marie sah dies noch besser ein, als er, und trieb ihn mit Gewalt von sich.

»Ach!« sagte er, »daß ich dich mit mir nehmen könnte, um dir wenigstens zu zeigen, wie Alles so schön zugerichtet ist. Die Tafel ist schon zur Probe geschmückt, und trägt bereits einen Theil der Schüsseln, die sie belasten sollen; da giebt's Spitzsäulen von Obst und gewürztem Kuchen, bunte Torten mit grünen Blättern geschmückt, Mandeln und zuckersüße Rosinen – in Summa ein Hochzeitmahl kann nicht prächtiger zugerichtet sein.«

»Wenigstens das unsrige nicht!« meinte Marie lächelnd; »nun der Himmel wird ja wohl ein paar Erdäpfel haben wachsen lassen, bei denen wir, wenn wir vom Traualtar kommen, fröhlich sein können.«

Der entwichene und noch nicht wiedergefundene Esel diente Erdmann zum Vorwand, sich am andern Morgen mit Tagesanbruch vom Hause zu entfernen. Da man seiner bei den Küchengeschäften nicht bedurfte, so ließ man sich's gefallen, und prägte ihm nur ein, sich um Mittag gewiß wiedereinzufinden, damit er beim Empfang der fremden Herrschaften gegenwärtig wäre. Er versprach es und flog in Mariens Arme.

»Marie,« sagte er, »ich bin nicht abergläubisch, aber heute muß ich dir mit nüchternem Munde einen seltsamen [144] Traum erzählen, den ich diese Nacht hatte, als es schon weit gegen den Morgen war; solche Träume pflegen immer erfüllt zu werden.«

»Erzähle nur,« sagte das Mädchen, »hernach sollst du auch von mir etwas Seltsames erfahren. Ich habe diese Nacht die Hochzeittafel, wovon du so viel schwatztest, gesehen, und mit dir am obern Ende derselben gesessen.«

»Ist das Alles?« fiel ihr Erdmann ins Wort, »auch ich habe im Traume an einer Hochzeittafel gesessen, zugleich erschien mir aber der Herr vom Berge, wie ich ihn in meinen glücklichen Kindertagen oft gesehen habe, und gebot mir, nach einem Orte hier im Gebirge zu gehen, den ich noch nie gesehen, und von dem ich auch nie habe reden hören.«

»Etwa nach der Andreaskapelle?« unterbrach ihn Marie.

»Ja, ja, aber woher weißt du es?«

»Der gute Alte, den wir gestern beerdigten, ist mir erschienen, und hat mir versprochen, ich sollte dort einen Schatz erhalten, den er und Mutter Ludlam mir von meiner Kindheit an zugedacht hätten.«

»Sonderbar! Ziemlich dieselben Versprechungen machte mir der Berggeist!«

»Meinst du nicht, Erdmann, daß wir jetzt gleich nach jenem Orte gehen?«

»Ich wäre es wohl zufrieden, wenn ich nicht meinen Esel suchen müßte!«

»Er ist gefunden; er begegnete mir gestern Nacht,[145] bald nachdem du von mir geschieden warst, im Walde, und ich habe ihn nicht weit von hier im Gebüsch angebunden.« Erdmann ging, sich von der frohen Neuigkeit mit eignen Augen zu überzeugen, und machte sich dann mit seinem Mädchen auf den Weg nach der Andreaskapelle, welche tief im Gebirge an einem Orte lag, den weder Erdmann noch Marie, so genau sie auch diese Gegenden kannten, je gesehen hatten.

Die Kapelle war, gleich dem Kloster im Walde, eine Stiftung der alten Grafen von Würban, von denen einige hier begraben lagen, und über deren Asche von den Mönchen aus dem benachbarten Kloster unablässig Gebete zur Ruhe ihrer Seelen gesprochen wurden. Zu gewissen Zeiten diente die Kapelle aber auch zu andern gottesdienstlichen Handlungen, und die Bewohner der umliegenden Gegend wallfahrteten oft dahin, um dort ihre Andacht zu verrichten. Auch geschah es zuweilen, daß hier Trauungen vollzogen wurden, doch mußten dann schwere Abgaben an den Schutzheiligen der Kapelle bezahlt werden.

Erdmann und Marie wußten von Allem diesen nichts, und gingen den Weg', den ihnen der Traum zeigte, froher als die Vögel des Himmels, die über ihnen sangen. In der That hatten wohl nie ein paar Liebende weniger Ursache zur Heiterkeit, als diese armen verlassenen Geschöpfe, die keine Verbindung mit der ganzen übrigen Welt, keine Aussicht, keine Hoffnung hatten, als die, welche ihnen mit dem geringsten Geschöpfe gemein war, die [146] Hoffnung: der, welcher ihnen das Dasein gab, werde sie auch erhalten.

Nachdem sie lange gewandert waren, dachte Erdmann an den erhaltenen Befehl, zur rechten Zeit nach Hause zu kommen, und sprach vom Rückweg: da sahen sie plötzlich auf dem Gipfel eines nahen Berges ein kleines Gebäude mit einem runden Thurme liegen, das bisher von den umliegenden Bergen verdeckt worden war; der Zahn der Zeit hat es seitdem gänzlich zernagt, und heut zu Tage sind nicht einmal mehr die Trümmern davon zu finden.

»Wollen wir, so nahe am Ziel, unverrichteter Sache umkehren?« fragte Marie, indem sie auf das nahe Kirchlein deutete. »Wer weiß« erwiederte er, »ob wir hier finden, was unsere Träume sagten; Traum ist Schaum, mit dem versprochenen Schatze wird es wohl dieselbe Bewandniß haben, wie mit Vater Abrahams Erbschaft und Rübezahls Thalern, und wer weiß, ob zehn Meilen in der Runde eine Andreaskapelle zu finden ist!«

»Dort kommt ein Mann herab,« sagte sie, »laß uns ihn um den Namen des Gebäudes fragen, aus welchem er kommt.«

»O Marie!« rief Erdmann, den ein eiskalter Schauer überfiel, »wenn du Muth hast, jenen Mann anzureden, so weiß ich nicht, was ich von dir denken soll!«

»Und warum sollte ich nicht?« lachte sie? – »Guter Vater, ist das die Andreaskapelle?«

»Ja! eilt, denn man erwartet euch!«

Während Marie mit dem Fremden sprach, hatte sich [147] Erdmann von ihrem Arme losgemacht und war einige Schritte zurückgetreten.

»Was ist dir?« fragte das Mädchen, indem sie sich wieder zu ihm wandte.

»Kennst du denn den Mann nicht, mit dem du eben gesprochen hast? Es war kein Anderer, als der verwünschte Alte, den ich zuerst im Wirthshause kennen lernte, der mich eine ganze Nacht mit dem Esel neckte, der auch dich schon auf tausenderlei Art gefoppt hat, und den ich endlich gestern mit unsäglicher Mühe und Todesangst in die Erde verscharrte; aber ich merke wohl, er wird nicht aufhören uns zu äffen, und wenn wir ihn auch unter ein Alpengebirge vergrüben.«

Marie sah ihren Geliebten mit großen Augen an, und drehte sich dann rasch um, der Person, mit welcher sie eben gesprochen hatte, nachzuschauen. »Gott sey mir gnädig!« schrie sie, und verbarg ihr Gesicht an Erdmanns Brust, »es ist wirklich der alte Abraham! Er sieht sich nach mir um, er droht mir mit dem Finger, wie er mir sonst zu drohen pflegte, wenn er seine böse Laune hatte!«

Marie war halb ohnmächtig; Erdmann setzte sie in's Gras, und als sie sich ein wenig erholte, erzählte er ihr von den Drangsalen, die er bei der Beerdigung des muthwilligen Alten erduldet hatte. Marie war nämlich damals so sehr in Trauer und Andacht versunken gewesen, daß sie gar nicht bemerkt hatte, was Erdmann während seines Todtengräbergeschäfts ausgestanden. Erst jetzt erfuhr sie, daß nicht allein der Leichnam des Alten ganz unerhört [148] schwer war, sondern daß es auch dem armen Erdmann schlechterdings unmöglich gewesen, dem Todten eine schickliche und anständige Lage im Grabe zu geben, und daß er dieß endlich habe zuwerfen müssen, obgleich der widerspenstige Todte das Gesicht gegen alle hergebrachte Sitte nicht nach Morgen, sondern nach Abend gekehrt habe.

Marie kreuzte sich, und obgleich Erdmann rieth, schnell den Rückweg anzutreten, ohne sich weiter um die Andreaskapelle und die Versprechungen eines Traumes zu kümmern, der ihnen wahrscheinlich von ihrem muthwilligen Peiniger eingegeben worden sei, so bestand sie doch auf dem Gegentheile. Sie sagte, sie wollte lieber sterben, als sich der Gefahr aussetzen, dem Gespenste noch einmal zu begegnen; auch sei es christlicher Brauch, bei einem Gotteshause nicht vorbeizugehen, ohne daselbst vorher ein kurzes Gebet gesprochen zu haben.

Erdmann, der frühzeitig anfing, sich unter den Gehorsam seines künftigen Weibes zu schmiegen, leitete sie vollends den Berg hinauf, und bald traten sie in das kühle Kirchengewölbe.

Die Kirche war wie zu einer großen Feierlichkeit mit weißen Wachskerzen erhellt, vor dem Altare stand ein Geistlicher im vollen Ornate, und um ihn herum einige Diakonen. Die beiden Ankommenden stellten sich hinter eine Säule, um daselbst ihr stilles Gebet zu verrichten, und sich dann in aller Demuth wieder zu entfernen. Aber einer von den Mönchen wurde an sie abgeschickt, sie zu befragen, wer sie wären und von wannen sie kämen. Beide [149] fühlten sich von einer seltsamen Bestürzung befallen, welche sie hinderte, zu antworten. »Ich merke,« sagte der Geistliche, »ich muß meine Erkundigungen anders einkleiden. Ist euer Name, junger Mann, Erdmann? und stammt ihr aus dem Hause derer von Erdmannsdorf?«

»Ja, ehrwürdiger lieber Herr, aber zur Zeit bin ich nichts als ein armer Knecht!«

»Und ihr, meine Freundin, heißt Marie? seid eine Engländerin? und zählt euch zu dem Geschlechte – –«

»Der Turner! Trotz meiner hohen Abkunft bin ich indeß genöthigt, mich gegenwärtig vom Spinnen zu ernähren.«

»Ganz recht, ganz recht, und ihr seid also gerade diejenigen, welche wir erwarten. Kommt und nehmt eure Stelle ein!«

Mit diesen Worten wurden sie vor den Altar geführt, und dem Geistlichen gegenüber gestellt, der ein wenig von seinem Buche aufsah, und sie folgendermaßen anredete.

»Meine Geliebten in dem Herrn! Ich frage euch, ob ihr gesonnen seid, euch ehlich mit einander zu verbinden, und ob ihr dies Gotteshaus in dieser Absicht betreten habt?«

Die erstaunten Liebenden konnten eigentlich nur die erste dieser Fragen mit gutem Gewissen mit Ja beantworten, indeß meinten sie, daß es an heiliger Stätte nicht rlaubt sei, viel Worte zu machen, und sie sagten also [150] schlechthin Ja, indem sie es dem Geistlichen überließen, die Antwort nach Gutdünken zu deuten.

Von diesem vielsagenden Ja hing jedoch Alles ab, was nun geschah. Man nahm es für ausgemacht an, daß sie nach Allem, was man schon von ihnen wußte, hier priesterliche Einsegnung wünschten, und die Trauungsceremonie begann, welche wohl nie ein paar Verlobte mehr überrascht haben mag. – Alles was hier vorging, war ihnen ein Räthsel, und es ist wohl möglich, daß ihre Andacht von dem heimlichen Grübeln, dessen sich Keines erwehren konnte, ein wenig gestört wurde.

»Meine Theuren!« sagte der Mann vor dem Altare nach geendigter Feierlichkeit und ertheiltem Kuß und Segen, »ihr sollt wissen, daß unserm Abte diese Nacht ein ehrwürdiger Greis erschienen ist – vielleicht ein Patriarch, vielleicht ein uns unbekannter Heiliger – mit dem Befehle, ein junges Paar eures Namens und Standes, welches sich heute in der Andreaskapelle einfinden würde, ehlich zu verbinden In Folge dieser Erscheinung haben wir euch schon seit einigen Stunden erwartet, und würden vielleicht auf den Gedanken gekommen sein, es habe unsern ehrwürdigen Obern ein Traumbild getäuscht, wenn nicht vor einer kleinen Weile ein ehrbarer Mann gekommen wäre, der uns eure nahe Ankunft ansagte, und unserm armen Heiligen in euern Namen eine reiche Steuer überlieferte. Geht nun hin in Frieden; euch ist geschehen, was ihr wünscht und was der Himmel will, und ein Zeugniß des geknüpften Bundes soll euch beim Austritte aus der Kirche, [151] wo ihr nicht vergessen werdet, der Armuth ein Almosen zu schenken, ausgeliefert werden.«

Betäubt und wie im Traume gingen die Neuverbundenen von dannen; sie waren nun Mann und Frau, und wußten kaum, wie sie es geworden waren. An der Kirchthür gab man ihnen ein schöngeschriebenes, mit St. Andrä-Bild und Unterschrift wohl versehenes Zeugniß, des Inhalts, wie Erdmann Erdmannsdorf und Marie, aus dem englischen Geschlecht Turner, am Tage Peter und Paulo der Apostel, hier die priesterliche Einsegnung erhalten, und die heilige Stätte als in Gottesaugen Eheleute verlassen hätten. Auch bot man ihnen die Armenbüchse, wodurch das dürftige Paar nicht wenig in Verlegenheit kam, doch besann sich Marie schnell, zog Vater Abrahams Erbschaft, die beiden Silberstücke hervor, und legte sie in die Büchse; eine reiche Geberin, obgleich so arm wie jene Witwe, welche ihr ganzes Vermögen von zwei Scherflein in den Gotteskasten steuerte.

Stillschweigend legten die Neuvermählten den Bergweg zurück, bis endlich Marie begann: »Ist es möglich, daß dies Alles uns wirklich begegnete?« »O Marie!« rief Erdmann und schlang seinen Arm um sie, »wie gern wollte ich Alles glauben, wie entzückt wollte ich dich als mein Weib begrüßen, wenn nicht die Einmischung des fatalen Alten mir vor Betrug bange machte.«

»Lästre nicht, Erdmann, und bedenke, daß er uns ungleich mehr Gutes als Böses erwiesen hat.«

»Ich kann mich nicht mit dem Alten befreunden; ist [152] er Mensch, ist er ein Zauberer, ist er Phantom, oder überirdisches Wesen, ist er vielleicht gar – –«

Hier stockte Erdmann, zu zaghaft, den Gedanken, der ihm in den Sinn kam, auszusprechen. Was war bei ihm, der die Launen des Berggeists so gut kannte, natürlicher, als die Muthmaßung, jener habe bie Abentheuer der letzten Tage veranlaßt!

Erdmann dachte nun über die jüngsten seltsamen Vorfälle nach und beschäftigte sich wenig mit Marien, weshalb auch der Heimweg langsamer und stillschweigender zurückgelegt wurde, als die Wallfahrt zum Traualtar; es sollen überdies Neuvermählte kurz nach der priesterlichen Einsegnung von einem gewissen Tiefsinn befallen werden, der durch nichts zu vertreiben ist, als durch das Geräusch, womit man die Hochzeiter an ihrem Ehrentage zu betäuben pflegt.

Auch Marie schwieg, doch überließ sie sich weniger düstern Grübeleien, als den regsten Dankempfindungen gegen die Vorsicht. –

Erst als man das Wirthshaus zum Riesen mit seinen rauchenden Schornsteinen vor sich sah, wurde die tiefe Stille unterbrochen. – »O Marie!« rief Erdmann, »du bist nun mein auf ewig, und ich soll dich jetzt schon verlassen? Es schmerzt mich unendlich, dich wie eine Verbrecherin ungelabt in dein Versteck zurückgehen zu lassen; wüßte ich nur ein Mittel, dich mit in das Haus zu bringen, damit du wenigstens an den köstlichen Brocken Theil nehmen könntest, die von dem heutigen Gastmahle übrigbleiben werden.«

[153] »Erdmann, ich fühle weder Hunger noch Durst, auch kann ich warten, bis du Gelegenheit findest, mich zu versorgen; doch fällt mir eben ein, wie ich Zutritt in dem Gasthofe erlangen, und wenigstens die köstliche Zurichtung der Tafel sehen könnte, wovon du gestern so viel Rühmens machtest. Bist du gewiß, daß mich Niemand im Hause kennt?«

»Das bin ich, wäre es auch nur in Folge der abgeschmackten Beschreibungen, die man, um dich bei mir zu verläumden, täglich von dir macht. Wer diese Gestalt lästern kann, muß sie nie gesehen haben!«

»Gut! das Kompliment bei Seite gesetzt, will ich es darauf wagen, und binnen hier und einer Stunde an dem großen Thorwege sein. Der wiedergefundene Esel soll mich begleiten. Ich werde anklopfen; – man macht mir auf. Was willst du Dirne? fragt Frau Else mit rauhem Tone – Gestrenge Frau, ich bringe euern Esel, den ich im Gebirge fand. – Es ist gut! da hast du einen Kreuzer für deine Mühe! – Ach nein, gestrenge Frau, Geld brauche ich nicht, aber ich bin müde und hungrig, wenn ihr mir erlauben wolltet – – Nun so komm herein! – Siehst du, Erdmann, so wird es gehen, und dein Wunsch und meine Neugierde sind auf einmal befriedigt!«

»Reizendes Geschöpf!« rief der junge Ehemann, »thue, wie du gesagt hast, ich werde dich mit Ungeduld erwarten.«

Als Erdmann an das Thor des Wirthshauses kam[154] bemerkte er an dem Stande der Sonne, daß es schon weit über Mittag sein müsse. Ihm bangte, die bestimmte Zeit versäumt zu haben, denn obgleich er sich vor dem Schelten seiner Herrschaft wenig fürchtete, deren Dienst er noch am nämlichen Tage verlassen wollte, so konnte es ihm doch nicht gleichgültig sein, die reichen Trinkgelder versäumt zu haben, wenn etwa die vornehme Herrschaft da gewesen, und schon wieder geschieden sein sollte. Ach, er war ja so arm, daß ihm die kleinste Gabe willkommen sein mußte, und seit Marie an der Kirchthür Vater Abrahams ganze Erbschaft in die Armenbüchse gelegt hatte, war auch sie, wenn man den unveräußerlichen Verlobungsthaler abrechnete, von Allem entblößt, was man Geld oder Geldeswerth nennen kann.

Fast schien es, als ob Erdmanns Besorgnisse Grund hätten, denn vor dem Hause war keine Spur von herrschaftlichen Wagen und Pferden zu sehen, und das Thor des Gasthofes war so fest verschlossen, als wenn hier Niemand mehr erwartet würde.

Zitternd klopfte er an, und Frau Else selbst öffnete ihm die Thür.

»Ich will nicht hoffen, Frau, daß ich zu spät –«

»Spät genug kommst du, aber immer noch zur rechten Zeit, du leichtfertiger Herumstreicher! Geschwind herein, denn nur auf dich haben wir noch gewartet!«

»Frau, euer Esel, nach dem ihr mich aussandtet – –«

»Nichts von Eseln, gehe hinauf in deine Kammer, lege dein Sonntagshemd und den scharlachnen Brustlatz [155] an, kämme dein Haar, und komm eilig herab, daß wir zur Mahlzeit gehen.«

Erdmann machte große Augen, er verstand nichts von dem, was man ihm sagte, nichts von Frau Elsens außerordentlicher Freundlichkeit, und am wenigsten von dem festlichen Staate, in welchem sie einherzog. Sie trug ein grasgrünes Kleid, welches seit ihrem ersten Hochzeittage nicht wieder auf ihren Leib gekommen war, und das mit ihrem braungelblichen Teint wunderbar kontrastirte; eine hohe Spitzenhaube saß auf dem Wirbel des schwarzhaarigen Kopfes und ließ die Schönheiten des aufgeschwollnen Gesichtes unbedeckt.

Sie war schrecklich anzusehen; unserm Erdmann wandelte ein Lachen an, und er machte, daß er bei ihr vorüber, und wie ihm befohlen war nach seiner Kammer kam. Als er durch die Küche ging, da knisterte das Feuer, da gingen die Bratenwender, dampften die Ragouts, als ob noch keine Gäste da gewesen wären; auch sah er, daß in dem offnen Tafelzimmer noch alles leer und in voller Pracht stand. Nur Vater Melchior saß in einem Winkel, und that sich vorläufig bei einigen Flaschen alten Rheinwein gütlich, die für die heut ankommende hohe Herrschaft besonders aufgespart worden waren.

Erdmann wurde immer mehr irre. Ihm begegnete auf der obern Treppe einer von den Knechten, gleichfalls im Sonntagsstaate, den er fragte, was hier nur vorgehe.

»Armer Junge,« rief Joseph mit unterdrücktem Lachen, [156] »lustig wollen wir uns machen, und zwar auf deine Unkosten.«

»Ich verstehe deine Worte nicht! Wie steht's mit den Gästen? wann werden sie kommen?«

»Die Gäste sind schon alle im Hause, es fehlt nur noch an dir. Eile und schmücke dich, denn alle Augen werden heute nur auf dich sehen.«

Erdmann schüttelte den Kopf, ihm flogen wunderliche Gedanken durch den Sinn, doch that er, wie ihm gesagt war. Er wusch das blühende Gesicht, kämmte das lockige nußbraune Haar, legte die genannten Feierkleider an und stand da, in dem kunstlosesten Putze ein vollkommner Adonis.

Herr Melchior war, als er hinab kam, eben mit der dritten Flasche fertig, und kaum im Stande, die Fragen, die Erdmann nun auch an ihn richtete, verständlich zu beantworten.

»Bursche!« sagte er, »jetzt ist hier von keinen Gästen mehr die Rede, du sollst nicht aufwarten, du sollst mit zu Tische sitzen; auch könnte dir, wenn du wolltest, wohl noch ein größeres Glück beschieden sein.«

»Ei, warum sollte er nicht wollen?« schrie Frau Else. »Laß den Vater, Erdmann, du siehst wie es mit ihm steht, und komm zu mir, ich will dir Alles erzählen. – Wie spät am Tage es ist, das siehst du an den langen Schatten, und warum wir demungeachtet noch nicht Mittag gehalten haben, das sollst du gleich erfahren. Wo du diese lange Zeit über umhergewandert bist, will [157] ich nicht fragen; bin ich doch sicher, daß die verlaufene Dirne aus Schweidnitz keinen Antheil an deinen Wanderungen gehabt hat. Gott und seine Heiligen sein gelobt, daß sie, wie wir aus glaubwürdigem Munde vernommen haben, im vorgestrigen Aufruhre den Lohn ihres Vorwitzes erhalten hat, und dir und mir nicht mehr schaden wird!«

»Frau,« sagte Erdmann unwillig, »ihr werdet langweilig, ich will einen Andern fragen. Joseph, erzähle du, was hier vorgegangen ist.«

»Je nun, Erdmann, es wurde Mittag, wir warteten, und es kamen keine Gäste! Frau Else fluchte, daß ihre Gerichte verdürben, und toste mit Töpfen und Tiegeln – da kam der kleine Alte aus Schweidnitz, den du an jenem Abende in der Wirthsstube sahst, und der bei ihr wohl gelitten ist, weil er ihr immer etwas aufbindet. Schöne Frau, sprach er, als ihm Frau Else ihre Noth geklagt hatte, mir kommt die Sache bedenklich vor. Ihr wartet auf Gäste, die nicht kommen werden, und wenn wir die Sache beim Lichte besehen, so ist die ganze Bestellung wohl nur ein loser Streich des Herrn vom Berge, der euch vielleicht seine Affection bezeigen und euch auf seine Kosten das Verlobungsmahl ausrichten will. Zählt doch ein wenig nach! wie viel sind eurer im Hause? Herr und Frau, drei Kinder, drei Knechte, drei Mägde, und der junge Gesell, der draußen im Gebirge den Esel sucht, – netto zwölf Personen. – Ach, lieber Herr, fiel Frau Else ein, und ihr die dreizehnte! Ihr würdet ja an meinem [158] Ehrentage nicht fehlen! Ja, ja! mir wird nun Alles klar; der verwünschte Poltergeist, der uns manchmal grob genug geneckt, und uns einst bald um Haus und Hof gebracht hat, will nun Buße thun; es soll ihm auch Alles vergeben sein, wenn er mir nur den Bräutigam geneigt macht. – – Dieser Bräutigam nun, mein lieber Erdmann, bist du, und du wirst wissen, wie du dich bei der Sache zu verhalten hast.«

Erdmann erschrack nicht wenig über diese Erzählung. »Wieder ein unerklärlicher Streich jenes Wesens, das ich mir nicht zu nennen getraue!« sagte er zu sich selbst, »wie wird dies Alles noch enden! Soll ich, schon mit meiner Marie auf ewig verbunden, hier noch mit dieser Unholdin gequält werden? – Ach hätte ich nur nicht in Mariens Einfall gewilligt, sie hierherkommen zu lassen! Wer weiß, welche Beschimpfungen ihr bevorstehen, wenn sie entdeckt wird! Wer weiß, ob wir nicht noch überdies durch die Erscheinung jenes Gespenstes erschreckt werden, das es sich zum Geschäfte macht, uns fortwährend zu quälen! –«

»Sage mir,« fuhr er hierauf laut fort, »wird der Alte, von dem du sprachst, die dreizehnte Person bei der Tafel sein?«

»Er hat es nicht gewiß versprochen,« antwortete Joseph, »doch sagte er, im Fall er nicht käme, würde er an seiner Statt eine andere Person schicken, die zum Wahrzeichen, daß sie die rechte sei, den verlornen Esel wiederbringen sollte. Traget Sorge – gebot der Alte ferner – jener Person den ersten Platz an der Tafel zu geben, ich [159] habe ihr zwei goldne Ringe anvertraut, die sie am Ende der Mahlzeit dem Bräutigam und der Braut nach meiner Vorschrift ausliefern wird. Es ist ein kleines Hochzeitgeschenk vom Vater Abraham!«

»Und,« fiel Frau Else ein, »unser Hochzeitgast ist nun noch das Einzige, worauf wir warten; es ist sehr unartig von ihm, uns so lange warten zu lassen; wäre es mir nicht um die goldnen Ringe zu thun, ich wollte es ihm und seinen Abgesandten schon gedenken!«

In diesem Augenblicke wurde leise an die Thür geklopft. Erdmanns vernehmlicher schlagendes Herz verkündete ihm, wer an der Thür sei; gern wäre er der Kommenden entgegen geflogen, aber Furcht, sich zu verrathen, und Frau Elsens starker Arm hielt ihn zu rück. Eine der Mägde wurde abgeschickt, weil, wie die Domina des Hauses meinte, es den Königen des Festes nicht gezieme, den Gästen entgegen zu gehen. – Man brachte die Nachricht in das Tafelzimmer, daß eine junge, schlecht, aber reinlich gekleidete Dirne Einlaß verlange.

»Was sollen wir mit der Person!« schrie Frau Else, welche keine besondre Freundin des jungern Theiles ihres eignen Geschlechts war, »man werfe sie aus dem Hause, wenn sie nicht gutwillig gehen will!«

»Aber, Frau, sie bringt den verlornen Esel, und trägt zwei goldne Ringe am Finger.«

»Ei, so muß man sie einlassen,« stammelte Melchior, »sie ist eine Agesandte von dem guten Alten, gegen den ich schon mehr Verbindlichkeiten habe, als ihr Alle denkt. Er sagte mir im Vertrauen, daß ich unter jedem der aufgelegten [160] Gedecke die bedungenen drei Kronen finden würde, und ich habe sie gefunden, habe sie abgeräumt, ha! ha! ha! Sonst hätte ein Jeder von der werthen Tischgesellschaft denken mögen, das, was auf seinem Platze läge, wäre sein Eigenthum! Ach der gute Alte! der gute Alte!«

Aus Vater Melchior sprach der Wein, und er redete die Wahrheit. Mit nüchternem Munde würde er vielleicht nicht so offenherzig gewesen sein. – Er taumelte hinaus, die Stellvertreterin des sogenannten guten Alten selbst einzuführen, und erschien nach einer kleinen Weile mit der schüchternen Marie, die vor Verlegenheit kein Wort hervorzubringen wußte. Herr Melchior führte sie nach dem Befehle des Alten an das obere Ende der Tafel, und gab ihr auf der einen Seite Erdmann, auf der andern Frau Elsen zu Nachbarn. Die Letzte brummte, es sei ein dummer Einfall von dem Alten, ein Weibsbild an seiner Stelle zu schicken, und sie wollte ihm, so bald sie ihn sähe, dafür den Kopf zurecht rücken.

Als nach gesprochenem Gebete ein Jeder sein Tellertuch aufhob, siehe, da lagen, ungeachtet Herr Melchior vorher aufgeräumt hatte, unter jedem Gedeck noch drei Kronen, außer unter denjenigen des Herrn Melchior, der Frau Else und ihrer Kinder. Die Knechte und Mägde jauchzten; Erdmann steckte seinen Fund, als ein Geschenk eines unsichtbaren Wohlthäters, ruhig in die Tasche, aber die furchtsame Marie, durch Frau Elsens grimmiges Gesicht erschreckt, überreichte dieser ihre drei Kronen, welche ohne Dank und ohne Bedenken angenommen wurden.

[161] Die Gäste waren alle tüchtig hungrig und durstig, ausgenommen Frau Else und ihr Vater, welche sich schon vorher in aller Stille gehörig gesättigt hatten, daher sie auch die Fröhlichkeit nicht theilten, die die übrige Tischgesellschaft beim Anblick der vollen Schüsseln ergriff. Melchior, der sich schon nach dem ersten Gange an seinen Stuhl zurücklehnte, begann einzuschlafen, und Frau Else fing an, neidische Blicke auf ihre holde Nachbarin zu werfen, und aus einigen heimlichen Händedrücken, welche zwischen Marien und Erdmann in der Stille vorfielen, ein geheimes Verständniß zu muthmaßen. Es schien ihr jedoch der Muth zu fehlen, das Benehmen der Neuverehlichten zu rügen, und mochten wohl die goldnen Ringe, die an Mariens rechter Hand glänzten, und auf welche sie Anspruch zu haben meinte, ihr Anstand und Mäßigung predigen.

Die jungen Eheleute hätten viel darum gegeben, sich einige Worte sagen zu können, aber die lästige Aufpasserin legte ihnen Zwang auf. Erst am Ende der Mahlzeit, als der gute Wein die Knechte und Mägde laut machte, und sie mit großem Geschrei die Gesundheit des wohlthätigen Herrn vom Berge ausbrachten, gab ihnen die lange Strafpredigt, welche Frau Else dem muthwilligen Gesinde hielt, Gelegenheit, sich einige abgebrochene Worte zuzuflüstern.

»Denkst du an unsern Traum?« fragte Erdmann Marien »O ja! – Du und ich am obern Ende der Tafel! Wer hätte das gedacht!«

[162] »Wer für die Trauung sorgte, ließ uns gewiß auch das Hochzeitsmahl bereiten!«

Marie konnte nicht antworten, denn Frau Elsens Angesicht, das immer finsterer wurde, wandte sich jetzt wieder zu ihr.

Erst als beim Desert Meister Melchior, der sich nur viertelstundenweise ermuntert hatte, um von Neuem zu trinken vom Stuhle fiel und unter dem Geleite seiner scheltenden Tochter zu Bette gebracht wurde, hatten die Liebenden abermals Gelegenheit zu einer kurzen Unterhaltung.

»Ich bitte dich, Liebe,« sagte Erdmann, »erkläre mir das Räthsel mit den goldenen Ringen an deinem rechten Zeigefinger!«

»Auch sie sind ohne Zweifel ein Geschenk unsers unsichtbaren Wohlthäters, den es vielleicht dauern mochte, daß wir uns bei der Trauungsceremonie so kärglich mit Mutter Ludlams silbernem Fingerreif behelfen mußten; ich fand sie, als ich den schweren Gang hierher antrat, im dichtesten Gebüsch. Die eingegrabenen Anfangsbuchstaben zeigen, für wen sie bestimmt sind.«

Bei diesen Worten trat Frau Else mit entzündetem Gesichte wieder in das Zimmer und das vertraute Gespräch hatte ein Ende.

»Daß muß wahr sein!« schrie sie, »mir muß auch Alles widrig gehen! Nun ist der Vater zu Bette, und wer will nun verrichten, was ihm obgelegen hätte? – Wir haben hier ein Verlobungsmahl gehalten, und Niemand weiß noch, wer Braut oder Bräutigam ist! – Ich werde [163] doch fürwahr nicht selbst reden und fragen sollen: Erdmann willst du mich zum Weibe? – Hört, Jungfer, dort oben in dem weißen Röckchen, so schlecht ihr euch auch zu diesem Ehrenwerke schicken mögt, so beweißt doch das Wahrzeichen, was ihr bei euch hattet, daß ihr den Auftrag habt, die Sache zu entscheiden; macht also ein Ende, gebt die goldenen Ringe an eurer Hand dahin, wohin sie gehören, und geht dann eurer Wege.«

Marie zitterte, so hart angeredet zu werden, und sah Erdmann voll Bestürzung an. Sein Blick gab ihr Muth zur Antwort.

»Frau Else,« sagte sie, »ich habe keinen Auftrag an euch, aber die goldenen Ringe an meiner Hand dahin zu geben, wohin sie gehören, das wird mir wenig Bedenken kosten. Den ersten und größten überlasse ich demjenigen, der diesen Morgen in der Andreaskapelle durch Priesters Hand mir ehelich angetraut wurde, und den andern behalte ich für mich selbst.«

Wer kann die Scene beschreiben, die nach diesen Worten erfolgte! Frau Else war wüthend, und als ihr Erdmann seinen Trauschein vorlegte, um dadurch Marien's Aussage zu bekräftigen, hätte sie dies theure Document beinahe in tausend Stücke zerrissen. Mit großer Mühe rettete er es aus ihren Händen, und hielt es hoch empor, bis Joseph, der ihm zu Hülfe kam, es an sich nahm. Er las hierauf den Trauschein den übrigen Knechten und Mägden vor, und nachdem sich diese überzeugt hatten, daß Niemand als die hüflose Fremde ein Recht [164] auf Erdmann habe, suchten sie ihn und Marien vor Frau Elsen's grimmigem Wüthen zu schützen. Wohl wäre Erdmann ihr gewachsen gewesen, aber er wollte ungern anders als vertheidigungsweise gegen sie verfahren, und ein Kampf, in welchem man aus Großmuth einen wüthenden Gegner schont, ist immer eine schwere Sache. Auf sein Verlangen that man daher weiter nichts, als das tobende und kreischende Weib fest zu nehmen, und sie einstweilen in ihre Kammer zu bringen.

Als die Wüthende aus dem Zimmer gebracht worden war, nahm Erdmann seine zitternde Marie bei der Hand, um sie aus dem Hause zu führen, wo ferner ihres Bleibens nicht war. Der ehrliche Joseph, der zurückgeblieben war, indeß die beiden andern Knechte Frau Elsenhinwegbrachten, sammelte in der Geschwindigkeit noch die Ueberbleibsel des Nachtisches zur Wegzehrung, entließ sie mit einem treuherzigen Händedruck, und schloß die Thüre hinter ihnen zu.

Sie waren nun außer der Gränze des ihnen gefährlichen Gebietes, und Frau Else, welche über nichts bittere Kränkung fühlte, als daß sie ihrer Nebenbuhlerin das Hochzeitsmahl hatte ausrichten müssen, schimpfte aus ihrem Fenster hinter ihnen her. »Du Bettler!« schrie sie Erdmann nach, »sollst dich auch nicht rühmen können, daß du etwas von deinen Habseligkeiten zurückgelassen habest! Da! – und so geh zum Teufel!«

Mit diesen Worten fiel eine Last zwischen Erdmann und Marien nieder, welche, wenn sie eines von ihnen getroffen hätte, der Hochzeit ein trauriges Ende gemacht [165] haben würde. Die erschrockene Marie, die ein wenig gestreift war, that einen lauten Schrei, und Erdmann bückte sich, seinen Steinsack aufzuheben, welchen ihm die Wüthende, ganz uneingedenk der Worte: Was Gold war, kann es auch wohl wieder werden, im Zorn hintennach geworfen hatte. Erdmann hob den Sack auf, zog seinen Hut gegen die Megäre am Fenster, und schlenderte langsam, Arm in Arm, mit seiner Geliebten den Weg nach dem Walde, der bisher der heimathlosen Marie Obdach gewährt hatte, und der nun bis auf Weiteres Beiden zur Wohnung dienen sollte.

Hier wurde Rath gepflogen, was weiter zu thun sei, und Marie trat zuerst mit einem Wunsche hervor, den sie bisher in dem Innersten ihres Herzens verschlossen gehalten hatte. »Ach,« sagte sie, »daß ich dich und mich in die glücklichen Gegenden versetzen könnte, wo ich die Welt zuerst erblickte! Dort ist der Himmel milder, die Erde fruchtbarer, die Menschen gütiger als in deinem rohen Vaterlande!«

Erdmann übersah das Falsche und Beleidigende in den Worten der jungen Patriotin, und zog statt aller Antwort die unter der Serviette gefundenen drei Kronen, seinen ganzen Reichthum, aus der Tasche hervor.

»Ich verstehe dich,« erwiederte Marie, »und–schweige. Der Weg ist weit, die Ueberfahrt theuer, und wovon sollen wir dort leben? Verzeihe, verzeihe den unüberlegten Wunsch deines Weibes!«

»Ja,« sagte Erdmann, und gab den Steinsack, den[166] er unter dem Arme trug, einen Ruck, um ihn bequemer zu fassen, »wenn dieser da noch seinen ehmaligen Werth hätte, dann wäre Vieles möglich zu machen. Wir gingen dann nach England, kauften das kleine Gut deiner Eltern bei Noorpark unweit Farnham, in der Nachbarschaft der Ludlamshöhle, – versteht sich, ohne uns mit der Schuldfrau einzulassen. – –«

»Davor wäre ich sicher!« erwiederte Marie, »Erdmann ist weiser als mein unglücklicher Vater! – Aber laß die Luftschlösser, und sage mir, ob du die Last unter deinem Arme ewig tragen willst? Laß sie hier im Walde, oder erlaube mir, sie in den nächsten Fluß zu werfen!«

»Gott weiß, warum es mir so schwer wird, mich von dem Denkmahle meiner vergeblichen Hoffnungen zu trennen! Doch du hast Recht, mein Arm erstarrt mir ob der unnützen Bürde. Da ist der Deliquent! thue mit ihm, was dir recht dünkt, nur erlaube mir, ein oder zwei Stücke davon zum Andenken zu behalten.«

Mit diesen Worten ließ er den lastenden Sack auf die Erde nieder, öffnete ihn, und – – – – ich will sterben, wenn nicht alle meine Leser errathen, was geschah! – Keine Steine, nein, der volle, alte, herzerfreuende Glanz der ehemals gesammelten Goldstücke strahlte ihm entgegen, unter welchen sich einige wenige silberne Münzen, sowie die raren Kreuzpfennige gleichsam verbargen.

Voll Erstaunen, mit dankend gen Himmel gefaltenen Händen standen Beide bei dem überraschenden Anblick. [167] Keines vermochte ein Wort zu sprechen. Umarmungen folgten dem Stillschweigen, diesen Freudenthränen, und die Geschichte hat ganz vergessen zu melden, wann und wie die frohe Bestürzung aufhörte.

Sie läßt uns die Neuvermählten auf der Reise nach England wiederfinden, und beweißt dadurch, was wir schon früher bemerkten, daß Erdmann Marien nichts abzuschlagen vermochte. Ihre Reise war kurz und glücklich, und sie behielten von dem Rübezahl'schen Schatze noch genug übrig, um daran denken zu können, sich in Marien's Lieblingsgegend anzukaufen.

Das kleine Gut, das Richard und Marie Turner einst besessen hatten, wurde ihr Eigenthum, und es gelang ihnen durch Fleiß und Sparsamkeit, binnen kurzer Zeit einen gewissen Wohlstand zu begründen. Viele von den guten Bauern im Dorfe, die Mariens Eltern gegekannt hatten, lebten noch, viele von Mariens ehmaligen Spielgefährten waren so wie sie herangewachsen, und Alle freuten sich, die so lange schmerzlich Vermißte wieder zurückgekehrt zu sehen.

Von allen ihren Bekannten geachtet und gegenseitig bemüht, sich das Leben zu erheitern, genossen Erdmann und Marie ein Glück, das durch Nichts gestört wurde. –

Die Märchenerzähler, welche ihre Helden nicht besser als durch großen Reichthum beglücken können, behaupten dagegen nicht allein, Erdmann und Marie hätten in einem wohlverwahrten Wandschranke des Hauses den Beutel mit dem Darlehn wiedergefunden, den die Letzte in ihren zarten Kinderjahren Mutter Ludlam wiederbringen [168] half, sondern auch auf einer Wallfahrt nach Deutschland im Riesengebirge später noch Vater Abrahams vernachlässigte Erbschaft gehoben: uns aber, die wir mehr an ein Glück glauben, das man sich durch Arbeit und Mäßigkeit bereitet, ist nichts hiervon kund worden. Erdmanns Vaterland wurde allerdings wieder von ihnen besucht, und sie ermangelten nicht, alle Gegenden zu begrüßen, die ihnen aus der Kindheit ihrer Liebe merkwürdig waren; aber der Proteus des Riesengebirgs, der sie hier so weidlich geneckt hatte, und der vielleicht, so wie seine Kousine Ludlam in England, große Dinge mit ihnen im Sinne gehabt haben mochte, die in Folge seines Gegensinnes nicht zur Wirklichkeit kamen, machte keine Miene, wieder mit ihnen in Bekanntschaft zu treten. Der einzige Freund und Bekannte, den sie wieder fanden, war der ehrliche Joseph, der Metten geheirathet, und den Gasthof zum Riesen mit Hinwegnehmung des ärgerlichen Schildes gepachtet hatte; denn Meister Melchior war an den Folgen seiner Unmäßigkeit bei Erdmanns Hochzeitfest gestorben, und Frau Else hatte bald darauf das Haus räumen müssen, weil die Neckereien Vater Abrahams, den Jedermann für Rübezahls Bruder oder für ihn selbst hielt, endlich ganz unausstehlich wurden. –

[169]

Fußnoten

1 Die Eule genannt bis auf den heutigen Tag, aber jetzt kein kahles Gebirg mehr, sondern mit grünenden Fruchtfeldern und lachenden Dörfern bedeckt.

2 Die Grafen von Würban erbauten im Jahre 1230 das Marienkloster im Walde.

3 Unter dem Namen Gugler verstand man im vierzehnten Jahrhunderte den wilden Haufen von englischen Völkern, die unter Anführung des Cervola herüber kamen, um die Ansprüche des Herrn von Coucy an den Elsaß geltend zu machen.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Erdmann und Marie, eine Legende von Rübezahl. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E80-9