Zweites Bändchen

Erlkönigs Tochter

An der östlichen Küste von Seeland lag vor Alters eine große Stadt, welche in der Folge das Schicksal von Carthago und Persepolis erfuhr, die uns nur noch in ihren Ruinen an ihre ehemalige Herrlichkeit erinnern; ja die Zeit hat jener noch übler mitgespielt als diesen, denn ihre Stätte ist nicht mehr kenntlich, und selbst ihren Namen hat die Sage vergessen; wir wollen sie, weil doch jedes Ding seinen Namen haben muß, nach dem alten Namen des Ganzen, dessen Zierde sie war, Siölund 1 nennen, und es dem Leser freistellen, nach dem, was sich aus Nebenumständen ergeben möchte, ihre Lage etwas genauer zu bestimmen.

Unser Siölund war eine gewaltige Handelsstadt, deren Kaufleute so reich und mächtig wie Fürsten waren; das Meer zollte ihnen seine Reichthümer, und die Geschäfte, [2] die sie machten, erstreckten sich bis in die entferntesten Gegenden der Welt. Doch konnte sich keiner dieser wichtigen Männer mit Hinrich von Röschild messen, der sich seit ungefähr zwanzig Jahren hier niedergelassen hatte, und dessen Reichthum und Macht Alles übertraf, was sich nur von kaufmännischer Herrlichkeit denken läßt.

Hinrich von Röschild hatte auf einer benachbarten Insel, die noch bis auf den heutigen Tag unter dem Namen der Erleninsel bekannt ist, ein großes Waarenlager, über dessen sonderbar gewählte Stätte sich Viele verwunderten. Welch' ein Einfall, Schätze von nicht geringem Werthe einer unbewohnten Insel anzuvertrauen, wo die Seeräuber, die diese Küste nicht selten beunruhigten, bequem landen und freie Beute machen konnten! Aber die Stelle, worauf das Waarenhaus stand, war Hinrichs erkauftes Eigenthum, und Niemand hatte darein zu reden, auch landeten die Seeräuber nicht und machten freie Beute; die Kaufmannsgüter waren hingestellt unter Gottes Geleit, der Grund war heiliges Land, Niemand durfte sie antasten.

Diese Insel mußte Hiolm, der einzige Sohn Röschilds, der schon von frühester Jugend an zur Arbeit angehalten worden war, oft in Geschäften seines Vaters besuchen. Bald war es Vermehrung, bald Verminderung der dasigen Vorräthe, bald Unterhaltung der eigensinnigsten Ordnung unter denselben weshalb er dahin geschickt wurde, und daher kam es auch, daß Hiolm auf der Insel, die kaum eine Meile im Umfang hat, fast so bekannt war, wie im väterlichen Hause.

[2] Eines Tages fuhr Hiolm wie gewöhnlich in Begleitung eines alten Dieners nach der Insel, um dort seine Geschäfte zu betreiben. Man stieg an das Land, der erste Anblick, der sich den Augen der Ankommenden darbot, war ein entseelter menschlicher Körper.

Dies erregte Verwunderung, besonders bei Hiolm. Spuren, daß menschliche Wesen hier zu Zeiten weilten, hatte er bei seinen Wanderungen wohl oft entdeckt, aber nie einen der unbekannten Bewohner oder Besucher der Erleninsel gesehen, – und nun einen Todten! – Bedauernd hing er über ihn, den er für einen Ermordeten hielt, und vergoß bittere Thränen, die seinem Herzen Ehre machten.

Doch man mußte die Todtenklage beseitigen und an die Arbeit gehen. Sie nahm den ganzen Tag in Anspruch, und als man am Abend wieder zur Rückkehr in den Kahn steigen wollte, war es wieder der entseelte Körper, der die Aufmerksamkeit des Jünglings auf sich zog.

»Es ist eine schändliche Grausamkeit,« sagte er zu seinem Begleiter, »die Ueberreste eines menschlichen Geschöpfs hier an der Sonne verwesen zu lassen; wir wollen eine Grube machen und den Leichnam einscharren.«

»Herr,« antwortete der Diener, »ich dächte, wir befaßten uns nicht mit Dingen, die uns nichts angehen; die Nacht bricht ein, und wir müssen eilen, unsern Nachen zu erreichen.« – Hiolm gehorchte dem alten Mann, aber er konnte nicht unterlassen, als sie im Glanze der untergehenden Sonne nach Hause schifften, ihn zu fragen, [3] warum er dem Leichnam die Wohlthat der Beerdigung nicht gönnen wollte? »Eure Jugend und Unerfahrenheit,« erwiederte dieser, »macht euch bereitwilliger, Wohlthaten zu erzeigen als es rathsam ist. Ich misgönne die Hand voll Erde, die unsre letze Mitgabe ist, keinem meiner Mitgeschöpfe, aber jener Leichnam sah mir zu verdächtig aus, als daß ich mich viel mit ihm hätte abgeben mögen. Ihr sollt wissen, mitten unter uns wohnt ein Geistergeschlecht, mit eben der Hülle bekleidet, die wir tragen und nur durch wenig Abzeichen von den wirklichen Menschen zu unterscheiden; aber sie sind nur unsere Halbbrüder, mächtiger als wir, und meistens bösartig. Unter den tausend Sonderbarkeiten, die sie an sich haben, ist besonders zu bemerken, daß jene Wesen zwar dem Tode unterworfen sind wie wir, daß sie sich aber, wenn ihre entseelten Ueberreste zeitig genug, ehe sie in Verwesung übergehen, mit Erde bedeckt oder in's Wasser versenkt werden, wieder beseelen und von Neuem einen Lebenslauf beginnen, der gewöhnlich mehrere Jahrhunderte in sich begreift. Ob jener Leichnam zu dieser Klasse gehörte, weiß ich nicht, doch hätte ich euch nicht rathen wollen, Hand an ihn zu legen, es hätte euch sonst ergehen können, wie jenem Fischer.«

Hiolm fragte, wie es jenem Fischer erging, und bekam ein Mährchen zu hören, fast des Inhalts, wie die arabische Erzählung von dem Geiste, der seinem Retter aus dem Abgrunde des Meeres übel lohnte. – Hiolm hatte dasselbe entweder schon so oft gehört als unsere Leser, [4] oder er war überhaupt kein Freund von dergleichen Sagen, genug er beachtete sie nicht, und noch weniger die daraus gezogene Moral: daß man Niemand Gutes erzeigen dürfe, den man nicht genau kenne, da man sonst oft mit Undank gelohnt würde.

War es Trieb, eine Pflicht der Menschlichkeit zu üben, war es Vorwitz, oder jugendlicher Starrsinn, der sich gerade zu dem Verbotenen hinneigt, genug, Hiolm faßte noch auf dem Heimwege den Entschluß, sobald als möglich allein nach der Insel zu schiffen, und dem Leichnam, der seine Theilnahme so stark erregt hatte, wenigstens ein Grab zu gewähren, weil er ihm keine andere Wohlthat mehr erzeigen konnte.

Es glückte ihm gleich am andern Tage. Es gab neue Geschäfte auf der Erleninsel, der gewöhnliche Begleiter war durch plötzliche Krankheit abgehalten, und Hiolm reiste allein. Um ungestört das Werk, das ihm im Sinne lag, vollbringen zu können, unternahm er es, den Nachen mit eigner Hand zu regieren. Spaten und Schaufel wurden nicht vergessen, und zu dem Todtengräbergeräth legte er noch einen Schößling von einem Rosenstrauch – damals noch eine Seltenheit für den dasigen Himmelsstrich – welcher auf das Grab gepflanzt werden sollte, weil er eine andere Art von Monument über der Asche des Entseelten zu errichten, nicht im Stande war.

Hiolm's Vorhaben beschäftigte seine junge phantasiereiche Seele ganz, obgleich er selbst nicht wußte, was ihn dafür so sehr einnahm; vielleicht war es blos das Neue [5] und Sonderbare, verbunden mit dem Reiz, den die Abmahnungen und Erzählungen des alten Dieners bei einem neugierigen Knaben nothwendig erregen mußten.

Unter tausenderlei Gedanken stieß er sein Fahrzeug ab und schiffte an das jenseitige Ufer. Die todte Einsamkeit der Erleninsel nahm ihn auf, das was jedem Andern mit Grauen erfüllt haben würde, erregte in ihm blos eine gewisse ernste, feierliche Empfindung, die für ihn mit unnennbarem Wohlbehagen verknüpft war, – kurz Hiolm befand sich noch in jenem glücklichen Alter, wo wir Alles, was uns begegnet, in Freude verkehren und selbst unter Gräbern Blumen zu finden wissen.

Es war keine kleine Arbeit, deren sich der feurige Knabe unterzogen hatte. Er hatte vor Kurzem erst das zwölfte Jahr zurückgelegt, seine Arme waren noch schwach und besonders in dergleichen Arbeiten ungeübt; doch endlich kam das schwere Werk zu Stande. Im Schatten einer Gruppe der Bäume, von welchen die Insel den Namen hat, ruhte der Leichnam; der Rosenstrauch war zu seinem Haupte eingesenkt, und der junge Todtengräber ging mit seinem: Sit tibi terra levis! das jedes Volk seinen Begrabenen in seiner Mundart nachzurufen pflegt, davon. Dieser fromme Wunsch konnte hier dem Wortverstande nach zutreffen, denn kaum eine Elle hoch deckte die Erde den Leichnam; Hiolms Arme waren zu schwach gewesen, dem Grabe seine gehörige Tiefe zu geben.

Die anderweitigen Geschäfte auf der Insel wurden[6] darauf eiligst besorgt, bei der Rückkehr nach dem Fahrzeuge noch einige wohlgefällige Blicke auf das Monument geworfen, Schaufel und Spaten, als nunmehr unnütze Reisegefährten in's Meer versenkt, und die Heimreise so glücklich geendet als die Ueberkunft.

Hiolm hatte jetzt gethan, was ihm entweder Gutmüthigkeit oder ein kindischer Einfall eingegeben hatte, und nun dachte er nicht mehr an die Sache. Aber in der dritten Nacht zeigte es sich, daß dieselbe von den anderweitigen Interessenten nicht so vergessen war als von ihm. Er lag und schlummerte – da dünkte ihm, eine Hand rühre ihn an und wecke ihn aus dem Schlafe. Er richtete sich auf, eine Gestalt stand vor ihm, seinen Augen nicht ganz unbekannt, doch konnte er sich nicht besinnen, wann und wo er sie gesehen. Ein augenblicklicher Schrecken überfiel ihn, der aber bald in ruhigere Empfindungen überging.

»Holder Knabe,« flüsterte die Gestalt, indem sie sich über sein Lager herabbeugte, »der mir mit einer Hand voll Erde eine Wohlthat erzeigte, die ich dir mit Königreichen nicht zu vergelten wüßte, wie soll ich dich belohnen? – Genieße, was dich jetzt ergötzen kann, und rechne in der Folge auf größere Wohlthaten. Versäume nicht in den Nächten, wo der Mond voll wird, die Erleninsel allein zu besuchen, und du wirst dann ein schöneres Schauspiel sehen, als deine Augen je erblickten.«

Hiolm war zu leichtsinnig, diesen Traum zu beachten; wahrscheinlich vergas er ihn, und würde vielleicht nie [7] wieder an denselben gedacht oder seiner Weissagung gehorcht haben, wenn nicht der Zufall das seinige dabei gethan hätte.

Der Fischfang an den Küsten von Siölund war ein beträchtlicher Erwerbszweig für die Bewohner dieser Gegenden. Arme und Reiche ernteten Gold von den Gaben des Meeres, die es ihnen zu gewissen Jahrszeiten aus dem entfernten Norden herüber schickte, doch wenn die Armen nur diese Gelegenheit benutzten, um ihr Brod zu verdienen, so nahmen die Reichen außerdem Veranlassung zu glänzenden Festen.

Viele von ihnen hatten Landhäuser, an deren Mauern die See spülte; zahlreiche Gesellschaften versammelten sich dann in zierlichen Villen, und nachdem man sich den Tag über mit Zeitvertreiben belustigt hatte, die damals Mode sein mochten, und von welchen wir freilich nach so manchem verflossenen Jahrhunderte nicht einmal etwas ahnen können, so ergötzte man sich am Abend auf kleinen zierlichen Gondeln, den Segen des Meeres einsammeln zu sehen, der sich, besonders in den hellen Vollmondsnächten, hier unglaublich anhäufte.

Hinrich von Röschild, Hiolms Vater, der sich bei jeder Gelegenheit, wo es galt durch Reichthum zu imponiren, hervorthat, zeichnete sich auch hier aus; er feierte das sogenannte Fischerfest mit einem Glanze, den man nur in seinem Hause erblickte, und dachte nicht, daß dieser Tag bestimmt war, ihn um das Liebste zu bringen, das er auf Erden hatte. Im Buch der Sterne stand aber geschrieben: Wenn Hiolm, Hinrichs Sohn, das Meer zum [8] dreizehntenmal mit den silbernen Heeren des Nordens bedeckt sieht, so findet er in den Wellen sein Grab, dafern nicht eine übermenschliche Macht in die Räder des Schicksals greift, und das zum irdischen Leben erhält, was die Unsterblichen gern frühzeitig in ihrem Kreise glänzen sehen möchten.

Hiolm, ein feuriger Jüngling, der bei jeder Lust mit ganzer voller Seele war, und keine Gefahr scheute, wo ihm doppelter Genuß zu winken schien, wagte sich in jener Nacht des rauschenden Vergnügens zu weit in die See, und während auf den Gondeln und in dem erleuchteten Saale seines Vaters die goldenen Becher fleißig auf's Wohlergehen des Hauses geleert wurden, das dieses königliche Fest gab, faßte plötzlich ein Wirbelwind die Gondel, welche die ganze Hoffnung dieses Hauses, den jungen Hiolm enthielt, und schleuderte sie weiter hinaus, als das Auge reichte, und weiter, als ihm die leichte Gruppe von Nachen, die ihn umgab, zu seiner Rettung folgen konnte. Auch vermißte man ihn nicht gleich, und sein Fahrzeug, von seinen kindischen Armen nur schwach gegen die Gewalt des Windes vertheidigt, war schon vom Abgrund des Meeres verschlungen, als erst Nachfrage geschah, wo der kühne Schiffer geblieben sein möchte.

Hiolm hätte das Schicksal seines Nachens getheilt und wäre in dem unersättlichen Schlund der See begraben worden, wenn nicht in diesem Augenblick ein übermenschliches Wesen, das sich für ihn interessirte, alter Verbindlichkeiten [9] eingedenk, sein Retter geworden wäre. Hiolm empfand kaum die Kälte des Wassers, als er sich auch schon wie auf sanften Fittigen des Windes empor getragen und an ein Ufer geführt fühlte, das ihm nur in der ersten Bestürzung unbekannt sein konnte, das er aber, sobald er sich ein wenig erholte, augenblicklich für die Erleninsel erkannte.

Er sah sich, als Schrecken und Betäubung völlig verschwunden waren, nahe am Ufer des Meeres, zwischen dem Erlengebüsch in der Nähe des Grabmales, das er vor einigen Monaten dem Unbekannten errichtet hatte. Der Rosenstrauch, der durch Geisterhand gepflegt, wohl gediehen war, blühte schon und umhüllte seinen ersten Pflanzer mit Wohlgeruch. Süß und stärkend war der Duft, der ihn umwehte, aber was glich seinem Entzücken, als er die Augen öffnete, und Dinge um sich her wahrnahm, wie sie noch kein Sterblicher jemals erblickte.

Die ganze Insel schwamm in einem wundervollen Lichte. Nicht das Licht des Mondes war es, das hier leuchtete, oder wenn es dieser Planet war, aus welchem dieser unaussprechlich sanfte Schimmer ausfloß, so mußte er auf diesen kleinen Bezirk seine ausgesuchtesten Strahlen gestreut haben, um Allem was derselbe enthielt, einen namenlosen Zauberreiz zu geben. Hiolm stand ganz in Anschauen verloren. War die Beleuchtung dieses Orts so entzückend, was sollte man erst von den Gegenständen sagen, die sie sichtbar machte! Die Landschaft rund umher war belebt; überirdische Gestalten bewegten sich [10] nah und fern in abgemessenem Schweben. Die Jugend des Himmels schien sich hier zum Tanze versammelt zu haben; sanfte Töne, vielleicht mehr das melodische Schwirren der leuchtenden Insekten, die die Scene verschönerten, als Musik, beseelte den labyrinthischen Ringelreihen, der sich in tausend verwickelten Touren durch einander wand, und dann, auf einmal in irgend eine schöne einfache Form aufgelöst, den Schauplatz umzog. Es war ein Anblick, an dem das Auge des glücklichen Schauers sich nicht satt sehen konnte, den das Gedächtniß gern treulich aufbewahren, von dem der Mund treulich berichten wollte, aber vergebens; wie vermag der Mund des Sterblichen überirdische Dinge zu schildern!

Zuletzt verwandelten sich die zauberischen Bilder, die Hiolm sah, in ein großes glänzendes Ganzes, die Gedanken vergingen ihm und er entschlief. Als er erwachte, war es Tag; er ging an das Ufer des Meeres, dachte an den Zufall, der ihn hierher gebracht hatte, an die Angst seines Vaters um ihn, an die Unmöglichkeit, auf dieser Insel längere Zeit sein Leben zu erhalten, und wünschte sich, ungeachtet der unnennbaren Freuden, die er diese Nacht genossen hatte, hinüber in den Kreis seiner Lieben. Doch vergebens! drei Tage mußte er hier verharren, ehe sich Hoffnung zur Erlösung zeigte. Er nährte sich während dieser Zeit von den Früchten eines Baumes, den er auf seinen frühern Wanderungen durch die Insel nie gesehen hatte, und des Nachts ergötzte ihn noch zweimal das himmlische Schauspiel, das er schon einmal gesehen hatte; [11] doch war es schon in der zweiten Nacht minder glänzend, und in der letzten schwand es fast ganz, denn der Mond war nicht mehr voll, und so wie sich seine eine Hälfte in Schatten verlor, so schienen auch die wundervollen Gegenstände, die er hier beleuchtete, sich in unwesentliche Schatten aufzulösen. Jetzt fühlte sich Hiolm wahrhaft einsam auf der Erleninsel, und seine Sehnsucht nach dem väterlichen Hause steigerte sich mit jeder Stunde.

Hinrich von Röschild trauerte indessen um den verlornen Sohn, dessen Verlust ihm erst am Tage nach dem Fischerfeste kund geworden war. Im Gewühl der Freude war Hiolm nicht vermißt worden, jetzt aber wurde er mit Schrecken überall vergebens gesucht. Das Meer warf die Trümmer des Nachens aus, auf welchem er sich dem untreuen Elemente anvertraut hatte, und nun konnte man nicht anders glauben, als daß Hiolm in den Meeresfluthen begraben läge. – Doch man beruhigt sich beim Verlust eines kostbaren Gutes erst spät mit der Unmöglichkeit der Wiedererlangung, man sucht und forscht, wenn uns auch die Vernunft sagt, daß dieses Suchen und Forschen Thorheit ist, man will wenigstens noch einige Augenblicke Hoffnung nähren, ehe man sich der vollen Verzweiflung ergiebt, – und so ging es auch hier. Hiolms Vater sah die Unwahrscheinlichkeit von der Rettung seines Sohnes ein, gleichwohl überredete er sich vom Gegentheil. »Er kann auf irgend eine Insel geworfen, an irgend einer Küste geborgen worden sein,« rief er, »man muß ihn suchen!« Sogleich bedeckte sich die See [12] mit Nachen, man durchspähte jede Nachbarinsel, und es war freilich zu bewundern, daß man erst zuletzt auf die Erleninsel kam, wo sich der Verlorne nun schon vier Tage lang aufgehalten hatte.

Man brachte ihn zurück in die Arme des Vaters, dessen Freude gränzenlos war. Hiolm wurde jedoch von dem Tage an, wo er in das väterliche Haus zurückgekehrt war, still und nachdenkend. Was er auf der Insel gesehen hatte, sagte er Niemand, aber er vergaß es auch nicht. Gegen den Glanz, gegen das Farbenspiel, das er dort erblickt hatte, kam ihm Alles was ihn hier umgab, alltaglich und elend vor. Sein Auge schmachtete nach neuer Weide, sehnend blickte er Tag und Nacht nach der Erleninsel, er fand sogar Gelegenheit einst daselbst zu übernachten, aber – er sah nichts, und erst jetzt gedachte er seines Traumes, der Vollmondsnächte, und brachte es endlich dahin, sich die Zeit ganz richtig auszurechnen, wo er wieder erblicken könnte, was er ehemals sah.

Nachdem er erst hierüber mit sich einig war, so hatte das Uebrige keine Schwierigkeiten. Sobald der Mond sich völlig rundete, lag ein Nachen in einer verborgenen Bucht bereit, Hiolm fuhr des Nachts heimlich nach seiner zauberischen Insel, sah wieder was er für das einzige Sehenswürdige auf diesem Erdenrund hielt, und schiffte befriedigt, ehe der Morgen graute, nach Siölund zurück.

Gern hätte er die Fahrt in den nächsten Nächten wiederholt, aber er wußte, daß die Schönheit des Schauspiels [13] sich mit jeder Veränderung der Mondscheibe minderte, er fürchtete durch öftere Abwesenheit Verdacht zu erregen, und faßte den Entschluß, nur alle Monate einmal sich das Vergnügen zu gewähren, dem seines Erachtens keins auf Erden gleich kam.

So trieb er es ein ganzes Jahr lang, und ach, wie trauerte er, wenn umwölkter Himmel, rauhe Witterung, strenge Aufsicht, oder andere Hindernisse ihn einmal um seine kindische Freude brachten! – Er dachte an nichts anders, als an das Entzücken, das uns in diesen Jahren der Anblick bunter Farben und schöner Formen gewährt, und wenn es ihm ja einmal beim Anschauen der Tänze dieser Aethergestalten in den Sinn kam, es müsse Seligkeit sein, sich in ihre Kreise zu mischen, so hielt ihn stets ein eigenthümliches Gefühl zurück, und er blieb ruhig auf dem Grabe unter dem Rosenstrauche, welches immer sein gewählter Standort war.

Hinrich von Röschild fand nach der Zeit, daß sein Sohn Hiolm ein Träumer war, der bei herannahenden Jünglingsjahren wenig Hoffnung gab, das zu werden, was er als munterer Knabe versprochen hatte. Unter dreißig Tagen war kaum einer, wo man an ihm den alten Frohsinn bemerkte; sein Fleiß und seine Betriebsamkeit, von welcher sich schon in frühester Kindheit so schöne Spuren gezeigt hatten, machten einem düstern, trägen Wesen Platz, das dem Vater äußerst mißfiel. Nur in den Geschäften, die auf der Erleninsel zu verrichten waren, zeigte Hiolm den alten Eifer; er war gern daselbst, um, wenn er auch das nicht [14] sah, was er immer zu sehen wünschte, doch wenigstens auf dem Schauplatz der herrlichen Scenen das Vergnügen der Vollmondsnächte zu feiern. So würde er sein ganzes Leben fortgeträumt haben, hätte man ihn nicht mit Gewalt aus seinem Taumel gerissen.

Der Vater entschloß sich auf Anrathen seiner Freunde, Hiolm nicht länger in Siölund zu lassen, wo alles seine Trägheit und seine Träumereien zu begünstigen schien. Er schickte ihn nach Röschild oder Röskild, seiner Vaterstadt, die in den damaligen Zeiten die Blühendste aller nordischen Handelsstädte war, und noch den Vorrang vor Siölund behauptete. König Harald Blantaand, der damals regierte, hielt sie für den schönsten Schmuck seiner Krone, und hatte viel zu ihrer Verschönerung gethan; er residirte den größten Theil des Jahres daselbst, und hatte sich auf den Trümmern eines alten Schlosses, das noch König Roe bewohnt haben sollte, einen Pallast gebaut, der in den damaligen Zeiten seines Gleichen suchte. – –

Was Hinrich von der Veränderung des Ortes gehofft hatte, das geschah. Hiolm trauerte eine Zeitlang über den Abschied von der geliebten Erleninsel, suchte dann sich zu betäuben, sich an andern minder glänzenden Gegenständen zu erfreuen, als die, welche er auf der zauberischen Insel gesehen hatte, fand einen Ersatz an den Schauspielen von Haralds prächtigem Hofe, und zuletzt Beruhigung in den Geschäften.

Er trieb sie mit Ernst, aber rechten Geschmack konnte er ihnen doch nicht abgewinnen; es schien, als wäre ihm [15] das unaufhörliche Jagen nach Erwerb und Vortheil zu kleinlich, als fühle er in seinem Busen einen Trieb nach höhern Thaten. Krieger, Held, Retter oder Beglücker ganzer Völker zu sein, – das war das Ziel seiner Wünsche, und die erste Gelegenheit einen Schritt aufwärts nach dieser Sphäre zu thun, wurde nicht versäumt.

Die Küste von Seeland wurde damals sehr von Seeräubern beunruhigt. Hiolms Vater hatte beträchtliche Verluste durch sie erlitten, und es war daher dem Sohne nicht zu verdenken, daß er sich entschloß, die seinem Vater angethanen Unbilden nach Kräften zu rächen. Hiolm äußerte seine Wünsche mit so viel Feuer, daß Hinrich entzückt war, in seinem Sohne die ehemalige Thätigkeit, die Quelle des vergötterten Reichthums, wieder erwachen zu sehen. Er vergönnte ihm nicht allein einige Streifereien wider die nordischen Korsaren, sondern rüstete ihm, als der junge Held sich gar bald auf rühmliche Weise auszeichnete, ein eigenes Schiff aus, um ihm Gelegenheit zu geben, mit demselben seinem Triebe zu Heldenthaten desto besser nachhängen zu können. »Es gilt mir gleich,« sagte er, »ob mein Sohn Reichthümer zu erwerben, oder Reichthümer mit dem Schwerte zu schützen weiß; er sei nur thätig und ich bin zufrieden.«

Hiolm hatte damals das achtzehnte Jahr zurückgelegt; seine Heldenfigur und der kühne Muth, der ihn beseelte, bestimmten ihn zum Krieger, und die Kenntnisse, die er sich zu Röschild in der Schiffskunst erworben hatte, befähigten ihn zu der Stellung eines Seemannes. Er [16] that mit dem Schiff, das man seinem Kommando anvertraut hatte, den ersten Streifzug wider die Korsaren, und er kam mit Beute beladen zurück, den zweiten, und er hatte einen Sieg erfochten, der von großem Einflusse auf das Wohl seines Vaterlandes war. Bald darauf hatte er das Glück, mit noch einigen Schiffen, die sich zu ihm gesellten, und ihn einmüthig zum Anführer wählten, einen Streich auszuführen, der alle vorige an Kühnheit und glücklichem Erfolge übertraf, und seinen Ruhm weit über die Gränzen der nördlichen Inseln verbreitete. Dies entflammte seinen Muth noch mehr, und den Feinden der Sicherheit auf der Ostsee wurde ewiger Krieg geschworen.

Als es Hiolm nun endlich so weit gebracht hatte, daß das verderbliche Seeräubergesindel gänzlich von ihm vertilgt zu sein schien, und man ihn für den Retter des Vaterlandes halten mußte, da traten die Vornehmsten seiner Vaterstadt zusammen und berathschlagten, welche Belohnung des jungen Helden würdig sei.

»Mit Reichthümern« sagten sie »ist ihm nicht gedient; sein Vater ist reicher als wir alle. Für andere Dinge hat er kein Gefühl, denn er ist nicht wie die übrigen Jünglinge seines Alters; die Waffen sind sein Abgott, die gewöhnlichen Götzen der Jugend kennt er gar nicht.« – Endlich wurden sie einig, ihm zum Andenken der dem Vaterlande erzeigten Wohlthaten, den Namen Hiolm von Seeland anzutragen, und ihn dadurch auf immer vor seinen Zeitgenossen auszuzeichnen. »Du [17] bist,« sagten sie zu ihm »der tapferste Sohn der vaterländischen Insel, du hast die Rechte deiner Mutter mit deinem Blute vertheidigt, und es ist billig, daß du dich auch nach ihrem Namen nennst, und durch denselben jedem, der ihn hört, stillschweigend sagst, welch ein Mann du bist.« – Viele Geschichtsforscher wollen in dieser Handlung die erste Spur von der Entstehung des Adels finden. Zwar wußte man damals noch nichts von Adel oder Adelstolz, aber der Keim zu dieser Erbsünde lag schon in manchem Herzen; auch in Hiolms Herzen fand er sich, und seine Mitbürger hatten gerade die rechte Ehrenbezeigung gefunden, ihn zu erfreuen und zu belohnen. Der erlangte Ehrentitel entzückte ihn, und das Bewußtsein, ihn verdient zu haben, entschuldigte die kleine Eitelkeit, die in dieser Freude lag. Es war nun einmal Hiolms Schicksal, sich an einem glänzenden Nichts zu ergötzen; als Knabe fesselten ihn die bunten Erscheinungen der Erleninsel, als Jüngling ein hochtönender Name, und was für ein Spielzeug ihm als Mann aufbehalten war, das wird der Leser bald erfahren.

Hiolm von Seeland häufte Siege auf Siege, sein Durst nach Ehre wurde nimmer gestillt, seine Ruhe war das Geräusch der Waffen, und so würde es sein ganzes Leben hindurch gedauert haben, hätte ihn das Schicksal nicht dem beständigen Kreislaufe, der keinen wahren Lebensgenuß aufkommen läßt, mit einem einzigen Zuge entrissen.

Einst gerieth er an einen der grönländischen Seeräuber, [18] die sich damals auf den nördlichen Gewässern so furchtbar machten, als die Algierer heut zu Tage auf den südlichen. Der Kampf war blutig, der Sieg wurde theuer erkauft, aber die Beute, die gemacht wurde, war auch des Kampfes werth! Als Hiolm die Beute musterte, die er gewöhnlich größtentheils unter seine Krieger austheilte, da wurden ihm auch zwei junge Sclavinnen von ungewöhnlicher Schönheit vorgestellt. Diesen hätte er nun, wie er in einem solchen Falle sonst zu thun pflegte, gleich die Freiheit schenken und sie nach dem Orte bringen lassen sollen, den sie selbst bezeichnen würden, aber ungeachtet sie unsern Helden knieend hierum flehten, so wurden sie doch vorläufig mit ihrer Bitte abgewiesen und als Gefangene betrachtet. Auch schien es, als wenn beide reizende Geschöpfe, besonders die Schönere von ihnen, die sich Edda nannte, nur Anfangs recht von Herzen um ihre Freiheit gebeten, später aber die Bitte nur des Anstandes wegen wiederholt hätten.

»Edda,« sagte Hiolm am vierten Tage zu seiner schönen Gefangenen, »du irrst, wenn du glaubst, daß ich dich noch länger gegen deinen Willen hier behalten wollte; du bist frei wie die Luft, die dich umgibt. Nenne mir das glückliche Land, wo du geboren bist, und meine Segel richten sich augenblicklich nach dieser Gegend, und sollten es die cimmerischen Inseln oder das mittägliche Feuerland sein. Aber wenn du nun wieder bei den Deinigen bist, wenn nun diese Augen dich nicht mehr sehen, was soll dann aus mir werden? O Edda! Edda! [19] welche Gewalt übst du über mein Herz! Sage, wer bist du, daß dein erster Blick mich so mächtig bezauberte? Du bist meiner Seele verwandt, ich sah dich heute nicht zum erstenmal! Sage, wo haben dich diese Augen zuerst erblickt? – Mir ist es, als wenn ich dich mein ganzes Leben hindurch rastlos gesucht hätte, und da ich dich nun endlich gefunden habe, soll ich dich denn so gleichgültig wieder hingeben, um dich für immer zu verlieren?«

Edda beantwortete diese Rede mit einer Thräne, die aus ihren schönen Augen rollte. Eine zweideutige Antwort, die Hiolm vielleicht nicht zu seinem Gunsten deutete, zu deren Erklärung sich jedoch Edda selbst bald verstand und dadurch unsern Helden in einen Himmel von Freuden versetzte.

»Hiolm,« sagte das reizende Mädchen, »ob ich dich zuvor gesehen, ob ich dich gesucht und nun gefunden habe, das weis ich nicht, aber daß es mir in deiner Nähe wohl ist, daß mir wehe wird, wenn ich an's Scheiden denke, das fühle ich; auch möchte ich wohl gern bei dir bleiben, wenn ich wüßte, wie ich das mit gewissen Dingen vereinigen soll, über die ich mich noch nicht aussprechen kann. Hilf mir aus meinen Zweifeln und ich will dir danken!«

»Deine Zweifel sind leicht zu lösen,« sagte er, »du fürchtest dich wahrscheinlich, gegen den Willen deiner Eltern mein zu werden! Laß uns deshalb zu den Deinigen ziehen! Ich bin Hiolm von Seeland, ich hoffe, kein Fürst wird mir seine Tochter versagen!«

[20] »O nein! o nein!« rief sie mit ängstlicher Stimme, »willst du mich an einen Ort zurückbringen, den ich nie wieder verlassen dürfte?«

Diese Worte legte Hiolm als unbedingte Einwilligung aus, und da man also in der Hauptsache einig war, so wurde bald eine Verbindung geschlossen, die in den damaligen Zeiten eben so gut für die Ewigkeit geknüpft wurde, als in den unsrigen, die man aber in jenen einfachen Zeiten nie mit großen Ceremonien begleitete.

Als Hiolm des Jaworts seiner Geliebten gewiß war, führte er sie auf das Verdeck des Schiffs, und schwur ihr im Angesichte des Himmels, der sie gränzenlos umwölbte, und der Sonne, die eben in die westlichen Fluthen wie in ein Feuermeer hinabsank, ewige Treue. Thulis, die Gespielin der Braut, und Hiolms Schiffsvolk waren Zeugen; erstere beobachtete während der ganzen Scene ein nachdenkliches Schweigen, aber letztere ließen ein lautes: Es lebe Hiolm von Seeland und Edda sein Weib! in die Lüfte ertönen, daß von dem lauten Jubelgeschrei die Wallfische aus dem ersten Schlummer auffuhren, die Meergötter die grünen Häupter hervorsteckten, zu sehen, was es gäbe.

»Was hast du gethan?« sprach Thulis zu ihrer Gefährtin, als sie wieder mit ihr allein war. »Ist dies eine Verbindung, die deiner Abkunft entspricht? Und wie denkst du solche vor einem strengen Richter zu verantworten, den du wohl kennst, und dem sie doch endlich kund werden muß?«

[21] »O schweige, schweige!« rief Edda, »daß nicht irgend ein wandernder Geist dich höre und ihm bekannt mache, was er nie spät genug erfahren kann. Was Liebe that, kann vielleicht Liebe entschuldigen.«

»O Edda! Edda!« erwiederte die Gespielin, »was ist aus dir, die sich früher zu gut dünkte, Scandinaviens Königin, oder Fürstin der Insel Mona zu werden, jetzt geworden?«

Nicht Neid oder menschenfeindliche Tadelsucht war es, was aus dem Munde der schönen Fremden sprach, sondern Liebe für ihre Freundin Edda; diese wußte sie indeß bald mit ihrer Wahl auszusöhnen, und da Thulis gestehen mußte, daß Hiolm von Seeland ein Mann ohne Gleichen sei, dessen Vorzüge wohl allenfalls eine Misheirath entschuldigen konnten, so war das vertrauliche Einverständniß zwischen den beiden Gespielinnen bald wieder hergestellt, und eine gelobte der andern, in Lieb und Leid, in Noth und Tod bei einander auszuhalten.

Hiolm wußte nichts von dem, was im Rathe der Damen vorgegangen war, und wäre ihm auch ein Wörtchen davon zu Ohren gekommen, so würde er doch so wenig von diesen Räthseln verstanden haben, als unsere Leser zur Zeit noch davon verstehen. Er fühlte sich an der Seite seiner Edda, die ihm die zärtlichste, liebevollste Gattin war, ganz glücklich, und obgleich heftige Stürme fein Schiff weit hinaus in die nördlichen Gewässer verschlagen hatten, wo in jetziger Zeit, weil es dort gar nicht lieblich zu schiffen ist, kein Segel weht, so achtete er doch die [22] Mühseligkeiten, die Edda mit ihm theilte, wie nichts, und die lange Rückreise in das Vaterland dünkte ihm so kurz, wie die ehemaligen Fahrten nach der Erleninsel.

Ach, wie oft dachte er jetzt der dort verträumten himmlischen Stunden! Was damals seiner kindlichen Seele wie im Schatten vorschwebte, schien ihm jetzt im Arme seiner Edda ein weissagender Traum, der seine Deutung nicht verfehlte. Wie Edda und die Erleninsel zusammen paßten, wußte er eigentlich nicht, aber seine Phantasie verband gern Beide mit einander, vielleicht, weil Edda das, was er ihr von der Erleninsel sagte, so gut zu verstehen und zu beantworten wußte. Nicht Jedermann kann sich in solche Schwärmereien finden, und wenn Hiolm zuweilen einem Freunde Winke von diesen Dingen gegeben hatte, so war er nicht selten verlacht worden. Seine Freundin verlachte ihn nicht, und sie war ihm deshalb um so theurer.

Bei der Eheverabredung zwischen Hiolm und der schönen Edda waren gegenseitig nur sehr wenig Bedingungen gemacht worden, doch war eine darunter, die Edda ihrem Verlobten mit großem Ernste vorgetragen hatte und von der sie durchaus nicht abgegangen war.

»Der Tag,« sagte sie, »der mich zuerst in die Sclaverei brachte, aus welcher du mich rettetest, wird mir ewig unvergeßlich sein! Ich habe gelobt, zu seinem Andenken immer den acht und zwanzigsten jedes Monats mit Beten und Fasten zu feiern. Vier und zwanzig Stunden vor, und vier und zwanzig Stunden nach dieser Zeit [23] werde ich dir stets unsichtbar sein, mich auf mein Zimmer verschließen, und ich verlange es als einen Beweis deiner Liebe, daß du nie einen Versuch machst, mich zu stören. Wärst du im Stande, hiergegen Einwendungen zu machen, so müßte ich auf eine Verbindung mit dir verzichten.«

Wo ist der Bräutigam, der bei solcher Bedrohung nicht zugesteht, was seine Verlobte fordert? Auch Hiolm that es, obgleich es ihm als eine harte Forderung erschien, auf diese Weise jährlich fast einen Monat des Anblicks seiner Geliebten beraubt zu sein. Eifersüchtig war Hiolm zum Glück nicht, auch hatte er, wenigstens während der Schifffahrt, keine Ursache sich etwas Arges unter dem Beten und Fasten seiner Gattin vorzustellen; der Schlüssel zu ihrer Kajüte war in seinen Händen, das Meer war Vormauer gegen alle verbotenen Wanderungen, und die treue Thulis, vor deren tugendhafter Strenge Hiolm große Achtung hegte, schlummerte als Hüterin in dem Vorzimmer der andächtigen Edda.

Endlich ging die lange Seereise zu Ende, und Hiolm sah wieder die weißen Küsten seines Vaterlandes. Er erzählte seiner jungen Gemahlin viel von der Liebe seines Volkes, viel von der Zärtlichkeit, die sein Vater für ihn hege, und von dem frohen Empfange, der daher für ihn und sein anderes Ich zu erwarten sei. – Was das Erstere betrifft, so wurden seine Erwartungen auch einigermaßen erfüllt. Als in Siölund der Ruf erschallte, daß der angebetete Wohlthäter des Vaterlandes, daß der lang erwartete Hiolm vor Anker liege, da strömte alles Volk [24] hinaus, ihn willkommen zu heißen, und wo möglich etwas von der reichen Beute zu erhaschen, die er immer von seinen Streifzügen mit zu bringen pflegte. Als sie aber sein Schiff sahen, das zuletzt noch einen großen Sturm ausgestanden hatte, und jetzt fast mast- und segellos im Hafen einlief, als sie in ihm und seiner Schiffsmannschaft mehr die Gestalten ermatteter Seefahrer als reicher Sieger erblickten, als sie erfuhren, daß Hiolm diesmal ganz arm zurückkehre, weil man dem Meere, um das Schiff zu erleichtern, alle Schätze hatte aufopfern müssen, da ließen sie bald eine gewaltige Verminderung der ersten Freude spüren, und der, der sonst fast keinen Schritt ohne jauchzendes Volksgedränge thun konnte, wurde nicht gehindert, mit seiner Edda und deren Gespielin Thulis, der einzigen Beute, die er mitbrachte, ruhig nach dem Hause Hinrichs von Röschild zu gehen. Ihr Aufzug war freilich nichts weniger als glänzend, denn ihre Kleider waren durch die lange Seereise unscheinbar geworden, und Edda's Schönheit war ihr einziger Schmuck, die aber, wie bekannt, im geringen Gewande immer nur wenig Aufsehen macht.

War Hiolm schon von dem Volke schlecht empfangen worden, so war dies bei seinem Vater noch mehr der Fall; ersteres war unzufrieden, daß der sonst so beutereiche Held nichts, und Hinrich zürnte, daß er zuviel mitgebracht hatte. Die Schwiegertochter, welche der junge Mann seinem Vater vorstellte, stand demselben gar nicht an; abgetragene Kleider und ein leeres Schiff waren ja [25] keine Zeichen von reicher Mitgift. Der gewinnsüchtige Kaufmann hatte auf eine glänzendere Verbindung für seinen Sohn gerechnet. Die stolze Bemerkung, die Hiolm bei seiner Bewerbung um Edda gemacht hatte, daß Hiolm von Seeland wohl auf eine Fürstentochter rechnen könne, war dem alten Hinrich einleuchtender als irgend Jemand; wie mußte es ihm nun schmerzen, daß sein Sohn alle seine großen Erwartungen um einer Sclavin, einerBettlerin willen zu nichte gemacht hatte!

Dies waren die Namen, die er der schönen Edda beilegte, sobald er mit seinem Sohne allein war; sie in das Angesicht zu beschimpfen, dazu war der alte Herr doch nicht unhöflich genug, auch hatte sie Etwas an sich, das Ehrfurcht und Schonung gebot.

Hiolm war über das Mißvergnügen seines Vaters tief bekümmert, aber er vermochte nicht, deshalb seine Gattin zu verlassen, wie es sein Vater von ihm verlangte. Er that alles Mögliche, um Hinrich von Röschild mit seiner Wahl auszusöhnen, aber dieser blieb der Mann, der Gold und Größe für das höchste Gut der Erde hielt, und Schönheit und Tugend nur dann eines Blicks würdigte, wenn sie mit dem ersten verbunden waren.

Edda war über den kalten Empfang tief betrübt, aber sie wußte ihre Gefühle gegen ihren Gemahl zu verbergen. Dieser brachte sie und ihre Freundin nach einem kleinen Hause am Ufer der See, welches ihm gehörte, und wo er seine Wirthschaft so sehr einschränkte, als es seine jetzigen Umstände erforderten. Edda ließ sich alles [26] gefallen, und fügte sich mit bewundernswerther Geduld in ein Leben, zu welchem sie wahrscheinlich nicht geboren war. Thulis weinte im Stillen und hütete sich, ihrer Freundin Vorwürfe zu machen, aber Hiolm war immer frohen Muthes und guter Hoffnung. »Meine Umstände,« sagte er zu sich selbst, »müssen sich ändern, es sei auf die eine oder die andere Art. Mein Vater kann nicht ewig hart gegen einen Sohn sein, den er ehemals vergötterte, und säumt er, mir seine helfende Hand zu bieten, so kann ein einziger Zug in die See mir soviel Beute bringen, daß Edda keinen Mangel mehr kennen, das die Liebe meines Volkes, vielleicht auch die Liebe meines Vaters zurückkehren wird.«

Die Hoffnungen, die sich Hiolm machte, täuschten ihn indeß abermals. Zwar nahm er die Trümmer seines kleinen Vermögens zusammen, sein Schiff wieder auszurüsten, zwar wagte er mit demselben verschiedene Streifzüge wider die Seeräuber, die sich in seiner Abwesenheit ziemlich gemehrt hatten, aber er kam immer als der Besiegte zurück, und an Beute war gar nicht zu denken.

Liebe und Achtung sind immer der Schatten des Glücks, und da dieses von ihm gewichen, so war es natürlich, daß auch die beiden andern nicht wiederkehrten. Das Volk sah seinen ehemaligen Retter ruhig an seiner Seite darben, und Hinrich verhärtete sein Herz immer mehr. Weder Hiolms Leiden, noch Eddas Schönheit, noch das Lächeln eines Enkels, den sie ihm um diese Zeit in die Arme legte, konnten zärtliche Gefühle in einem Herzen erregen, [27] das für nichts Sinn hatte, als für Reichthum und Größe.

Zu jener Zeit hatte Edda wieder ihre Bet- und Fasttage abzuhalten; Hiolm gönnte ihr gern die Einsamkeit ihres Zimmers, um auf dem Seinigen gleichfalls einem Grame ungestört nachzuhängen, den er aus Schonung in ihrer Gegenwart nie freien Lauf ließ.

Der hartherzige Vater benutzte die traurige Lage seines Sohnes, um ihn zur Einwilligung in gewisse Pläne zu vermögen, die er ausgebrütet hatte. So wie das Haus des Reichen von Schmeichlern und Augendienern umlagert wird, so schlich um die Hütte des Armen unablässig ein Heer von Spähern und Austrägern, die Alles auskundschafteten. So geschah es, daß Hinrich bald alles wußte, was in Hiolms vier Mauern vorging, und er verstand es, die erhaltenen Nachrichten bestens für seine Pläne zu benutzen.

»Was säumt Hiolm,« ließ er ihm sagen, »das Joch der Armuth und des väterlichen Zornes abzuschütteln, das er um eines Weibes willen trägt, welches keine Aufopferung verdient? Wer ist Edda, daß ihr Gemahl ihr zu Liebe sich dem Elende hingiebt? Hat sie ihm genügende Auskunft über ihre Geburt und ihr Vaterland gegeben? Kann er sich nur der kleinsten freundschaftlichsten Vertraulichkeit von der Falschen rühmen? Was beginnt sie in den Tagen und Nächten, da sie ihn von ihrer Gegenwart verscheut? Sie betet und fastet? – Ha des Wahns! Hiolm [28] belausche sie nur einmal in ihrer Einsamkeit, so wird er die Sachen ganz anders finden!«

Wer weiß, was diese Vorstellungen, mit welchen man dem unglücklichen Manne täglich in den Ohren lag, endlich würden gefruchtet haben, wenn nicht eine weise, freundschaftliche Hand das Unheil abgelenkt hätte.

Die treue Thulis sah das Ungewitter aufsteigen, und hielt es für Pflicht, ihre Freundin zu warnen. »Edda,« sagte sie, »ein böser Geist ist geschäftig, dich und deinen geliebten Hiolm zu entzweien. Ich weiß, daß du es deinem Gatten nicht verzeihen könntest und dürftest, wenn er es wagen sollte, dir deine Geheimnisse zu entreißen, und doch hat er schon freventliche Versuche dazu gemacht. Ich scheue seine Gegenwart, weil er immer jene Geheimnisse zur Sprache bringt, die ich ihm wahrscheinlich enthüllen soll. Den kühnen Fragen werden bald kühne Handlungen folgen, wenn du nicht etwas thust, diesen vorzubeugen.«

Edda verfiel in ein tiefes Nachsinnen. »Wohlan,« rief sie nach einer langen Pause, »der Streich sei gewagt, den ich noch eine Zeitlang aufzuschieben gedachte; es ist besser, das Räthsel zu einer Zeit zu lösen, wo Hiolm noch des für ihn daraus entspringenden Glückes würdig ist, – es ist besser, die verdrüßliche Lage, in der wir sind, jetzt zu ändern, ehe uns die Geduld ausgeht, als die Sache auch nur um einen Augenblick zu verzögern. Was mich betrifft, so fühle ich zwar die Kraft in mir, noch Jahre lang um Hiolms willen zu dulden und ihm Alles zu [29] opfern, aber besitzt er Kraft und Muth, gleich mir auszudauern? – Und was hast du, gute Thulis, verschuldet, um ohne Nutzen und Zweck noch länger mit mir zu leiden?«

Die Freundinen überlegten hierauf mit einander, wie das, was sie im Sinne hatten, am füglichsten einzuleiten wäre, doch konnten sie nicht ganz einig werden; aber am folgenden Morgen mußte Hiolm selbst zu einem Anschlage die Hand bieten, der ohne Zweifel der beste war.

Dieser treue, zärtliche Gatte, der noch keinesweges so nahe daran war, wortbrüchig zu werden, als die ängstliche Thulis meinte, redete seine Gemahlin folgendermaßen an. »Edda,« sagte er, »ich vermag es nicht länger, dich im Elend und Unglück zu sehen, diese Arme müssen dein Schicksal ändern; geht es auf dem bisherigen Wege nicht, so laß uns einen andern wählen; ich gehe nächster Tage wieder in die See, um unser Glück auf andere Weise zu versuchen.«

»Wie?« fragte Edda ein wenig spitz, »kann Hiolm sich entschließen, seine Gattin auf Wochen und Monate sich selbst zu überlassen, die er kaum im einsamen Zimmer sich und der Tugend sicher glaubt?«

»Höre, was ich vorhabe,« erwiederte Hiolm, der ihre Rede nicht verstand oder nicht verstehen wollte. »Du weißt, daß ich nichts besitze, als jenes Schiff, das zu schlecht bemannt, zu schlecht mit Allem versehen ist, als daß ich nochmals einen von meinen gewöhnlichen Streifzügen wider die Seeräuber wagen könnte, die mir überdieß nicht mehr glücken wollen. Ich habe mich daher [30] entschlossen, mich in die Dienste irgend eines großen Königs zu begeben. Noch ist der Name Hiolm von Seeland berühmt genug, mir günstige Aufnahme und großen Sold zu verschaffen, und dieß genügt mir vorläufig. Für die Zukunft haftet mein Schwert; der Himmel wird ihm ja endlich wieder günstig werden, und es mit der alten Stärke wirken lassen! Bete für mich, du fromme Dulderin, daß dein Hiolm wieder das Schrecken der Feinde werde, was er vormals war.«

Edda wurde von Hiolms Erklärungen bis zu Thränen gerührt. Wie konnte sie wider diesen Mann Zorn oder Verdacht im Herzen hegen? Widerlegten nicht seine Worte alle ihre Besorgnisse? – Sie fühlte, daß diese wenigstens vor der Hand ganz unnöthig gewesen, doch was sie für den wankenden Hiolm zu thun entschossen war, das konnte sie dem standhaften noch weniger versagen.

»Mein Gemahl,« sagte sie, indem sich die gewöhnliche Holdseligkeit über ihr schönes Gesicht verbreitete, »darf deine Edda fragen, welcher König so glücklich sein wird, Hiolms Schwert für sich fechten zu sehen? – Doch nicht der König von Scandinavien? – O scheue den Dienst des blutgierigen Kriegers! Ehre, Ruhm und Beute gönnt er nur sich selbst, seinen Dienern Wunden und Tod.«

»Und wem sollte ich sonst meine Waffen widmen?« fragte Hiolm. »Der König der nordischen Reiche hat das nächste Recht auf dieselben!«

»Es giebt noch mehr nordische Fürsten, mein Theurer! [31] Kennst du den König von Thule? Fürwahr ein tapferer und weiser Fürst, würdig, den ersten Thron der Welt zu besitzen, und doch zufrieden mit seinen rauhen Gebirgen, die die Natur so stiefmütterlich bedachte.«

Hiolm wunderte sich, seine Gemahlin mit so vielem Feuer von einem Fürsten sprechen zu hören, dessen Name in diesen Gegenden nicht allzubekannt war, denn der stille Ruhm guter friedfertiger Fürsten fliegt nicht weit über die Gränzen ihrer Reiche. Edda gab vor, unter den grönländischen Seeräubern, aus deren Gewalt sie Hiolm gerettet hatte, viel von dem König von Thule gehört zu haben, und erzählte noch so viel Rühmliches von ihm daß Hiolm, begeistert wie sie, bei seinem Schwerte gelobte, es für keinen andern, als ihn zu ziehen.

Als sie ihn so entschlossen sah, fuhr sie fort: »Darf ich dir rathen, mein Gemahl, so diene dem Fürsten, dem du dich widmest, ehe du ihm noch deine Dienste anbietest. Die Grönländer beunruhigen die Küste von Thule jetzt sehr, du wirst in diesen Gewässern unbestellte Arbeit finden. Laß den Ruf deiner Thaten vor dir hergehen, und du wirst dem tapfern Könige der nördlichen Insel desto willkommner sein; und noch eins: – In dem Lande, wo ich geboren bin, ein Seeland wie das Deinige, hält man viel auf ein glückliches Schiffszeichen; ich glaube, es hat dir bisher an einem solchen gemangelt, und du hast darum weder Sieg, noch Beute erlangen können. Nimm deshalb den alten Wallfischkopf von dem Hintertheile deines Schiffes und scheue die Kosten nicht, mich, [32] deinen Sohn und meine Freundin Thulis nach dem Leben auf dasselbe malen zu lassen; du wirst sehen, welchen großen Nutzen dir dies bringt, und mir ewig dafür danken.«

Der Vorschlag der schönen Edda ließ sich hören, aber es bedurfte großer Vorbereitungen, um ihn auszuführen. Hiolm that indeß sein Mögliches, sein Schiff zu einem solchen Zuge herzustellen, und hatte die Freude, Unterstützung von einer Seite zu erhalten, woher er längst nichts mehr erwartet hatte.

Hiolms Vater sah es nämlich aus verschiedenen Ursachen gern, daß sich sein Sohn von Siölund entfernte, und mit seiner Hülfe war er in sehr kurzer Zeit so weit, in See zu gehen. Auch das Gemälde war von einem guten lombardischen Meister, den ein Zufall nach Norden geführt hatte, gefertiget; zwar fand man es ein wenig seltsam, aber Edda hatte es ja so gewünscht, und ihr zur Liebe wurde es ihrem Gemahl sehr leicht, sich über das Gerede der Leute hinweg zu setzen.

Als Hiolm von seiner Gattin Abschied nahm, zeigte sich diese standhafter, als er selbst; ihr schien irgend etwas Großes vorzuschweben, das sie tröstete. Ach, dämmernde Hoffnung winkte ihr vielleicht von fern, und sie übersah darüber den Abgrund, der sich zu ihren Füßen öffnete!

Hinrich von Röschild hatte nur auf die Abreise seines Sohnes gewartet, um seine feindseligen Anschläge wider die unschuldige Edda auszuführen. Kaum hatten sich seine Segel am Horizont aus dem Gesicht verloren, [33] so nahm der hartherzige Vater die schöne junge Frau, ihren Sohn und ihre Freundin, setzte sie in einen Nachen, und ließ sie mit den nothdürftigsten Lebensmitteln versehen, auf die Erleninsel bringen, um dann Weiteres über die drei unglücklichen Personen zu beschließen. Seine Neider sagten ihm nach, er habe im Sinne gehabt, sie an einen chinesischen Sklavenhändler zu verkaufen, dergleichen in den damaligen Zeiten, da alles anders war als jetzt, viele in Siölund einzusprechen pflegten.

Nicht alle Einwohner der Stadt, welche wir hier eben genannt haben, waren hartherzig oder undankbar; es gab viele, die Hiolms Gemahlin aufrichtig beweinten, als sie sie hinüber nach der übelberüchtigten Erleninsel führen sahen, und Hinrichs böse Absichten muthmaßen konnten. Sie aber lachte und suchte die schöne Thulis, die etwas weniger heiter war, als sie, zu gleicher Fröhlichkeit zu bewegen. »Merke,« sagte sie leise zu ihr, »wie gut es das Schicksal mit uns meint; ist es doch, als hätte es unserm Feinde den Ort unserer Verweisung selbst in den Sinn gegeben!«

Während man auf diese Weise mit Hiolms Angehörigen verfuhr, durchschnitt sein Schiff den Ocean, und peitschte die Wellen, bis es in die Gegend kam, wo es laut der Weissagung seiner klugen Gemahlin bestellte Arbeit finden sollte, und sie wirklich fand. Der Seeräuber Naddock beunruhigte zur damaligen Zeit das atlantische Meer; seine Absicht war vornehmlich auf Thule gerichtet, [34] und es wäre vielleicht um die Schneeinsel 2 und ihren guten König geschehen gewesen – denn Naddock war sehr mächtig – wenn das Schicksal nicht einen Retter herbeigerufen hätte.

Wie es dem Helden von Seeland möglich war, mit einem einzigen Schiffe einen so mächtigen Gegner zu besiegen, darum befrage uns Niemand, denn wir wissen nichts anders zu antworten, als daß die alte Fabelgeschichte, besonders die nordische, reich an wohl noch ungläubigern Ereignissen ist. Genug, Hiolm siegte, wenigstens in so weit, daß er den Feind von Thule auf eine lange Zeit entkräftete, und ihn nöthigte, sich mit den Ueberbleibseln seiner Macht auf die große Insel zu flüchten, die man in den damaligen Zeiten Atlantis nannte, und wo es ihm wenigstens nicht an Raum fehlen konnte, wieder zu Kräften zu kommen, um einst doppelt fürchterlich zurückzukehren.

Hiolms Absicht war es nicht, ihn auf seiner Flucht zu verfolgen, wozu es ihm überdies an Macht fehlte; er ließ ihn im Besitze der goldenen Brücke, die laut dem Sprichwort jeder fliehende Feind verdient. Er lief, wie ihm Edda vorgeschrieben hatte, in den großen Hafen bei der Hauptstadt der Schneeinsel ein, wo ihm schon der Ruf von seinen Thaten vorausgeeilt war, und wo sich [35] bei seiner Ankunft das ganze Land regte. »Ist das Hiolm von Seeland,« rief Jedermann, »dessen Namen uns unsere durch ihn geretteten Schiffe mit so viel Achtung nannten? Ist das der Ueberwinder des mächtigen Naddock, der Beschützer von Thule? – Mensch oder Halbgott, wer er auch sei, wir müssen ihn empfangen und ihn ehren, wie es Pflicht und Dankbarkeit erheischt. Wenn wir auch nicht vermögen, ihn für seine Thaten würdig zu belohnen, so wird er doch gewiß nicht unempfänglich für die geringen Beweise unsers Dankes sein und unsre gute Absicht nicht verkennen.«

Hiolm war weder Halbgott, noch irgend ein anderes über menschliche Vergeltung erhabenes Wesen, und es erfreute ihn daher der glänzende Empfang, den man ihm bereitet hatte, ungemein. Man brachte ihm außerdem noch werthvolle Geschenke als ein Zeichen der Erkenntlichkeit dar, die Hiolm jedoch ausschlug, und durch diesen Beweis seiner Großmuth sein Ansehen sehr vergrößerte. Auch bedurfte er solcher Geschenke nicht, denn in den Kämpfen mit Naddock hatte er reiche Beute gemacht. Der alte König von Thule war von seinen Thaten, von seinem edlen Betragen, von seiner Heldenfigur, von Allem, was ihn umgab, ganz bezaubert. Hiolm begehrte in seine Dienste zu treten, und der gute Fürst erklärte mit vieler Rührung, er wolle ihn lieber zum Sohn als zum Diener annehmen.

Der alte Herr, der den Wein und die Freuden einer nach nordischer Art gutbesetzten Tafel sehr liebte, veranstaltete [36] zu Ehren unsers tapfern Helden zahlreiche Gastmähler, indem er glaubte, ihm hierdurch einen besondern Beweis seiner Achtung zu geben. Nachdem Hiolm oft und köstlich genug auf des Königs stattlichem Meerschloß bewirthet worden war, hielt er es dem Wohlstand gemäß, ihn und seine Großen auch einmal in sein Schiff auf Seemannskost einzuladen. Die Einladung wurde angenommen, und es ging bei Hiolms Feste schier noch stattlicher zu, als beim Mahle des Königs.

Als die Gäste sich an seiner gutbesetzten Tafel sehr ergötzt und den von Naddock erbeuteten Wein köstlich befunden hatten, kam ihnen die Lust an, Hiolms Schiff, an welchen ihnen, wie natürlich, alles fremd und neu erschien, zu besichtigen. Der Held von Seeland zeigte ihnen bereitwillig den ganzen innern Bau des schwimmenden Hauses, und schlug zuletzt eine Fahrt um das ganze Schiff vor, damit man seine Schönheit und Stärke auch von außen beurtheilen könnte.

Es wurde eine Schaluppe ausgesetzt, man stieg ein, und bewunderte, weil man einmal im Bewundern war, fast jeden Nagel, fast jede künstliche Fügung der Breter und Bohlen; aber Erstaunen bemächtigte sich Aller, als Hiolm das Fahrzeug ein wenig weiter in die See führen, und dann auf das Hintertheil des Schiffs in gerader Richtung zusegeln ließ, als das herrliche Gemälde, dessen wir schon erwähnt haben, sich dem Auge in voller Schönheit darstellte.

Man kann sich in der That nichts Reizenderes denken, [37] als die wohlgetroffenen Portraits der zwei schönsten Personen, die damals leben mochten, und das Bild eines Kindes, schön wie der Liebesgott. Die lächelnde Edda wiegte den kleinen Hiolm auf ihren Knieen, und ihre Freundin, die sich über ihre Schulter lehnte, schien sich an dem Anschauen der Mutter und des Sohnes zu weiden, ohne zu ahnden, wie viel sie selbst zur Vollkommnung der bewundernswürdigen Gruppe beitrug. Alle drei waren so treffend abgebildet, daß der, der sie einmal im Original gesehen hatte, sie in dieser Kopie nicht verkennen konnte; auch hatte der Künstler die Farben so gut aufgetragen, daß Wind und Wetter ihnen nicht geschadet, ja sie vielmehr gehoben hatten.

Als dem König das Wunderbild in die Augen fiel, da bemeisterte sich seiner ein solches Erstaunen, daß er mit Hintenansetzung des königlichen Anstandes die Arme weit auseinander breitete, und einen lauten Ruf der Ueberraschung ausstieß. Seine Minister schienen ebenso ergriffen zu sein als er, sie wußten sich aber besser zu fassen. Sie wechselten bedeutungsvolle Blicke mit ihm, da sie aber sahen, daß ihr Gebieter die Worte, die ihm auf den Lippen schwebten, zurückhielt, so schwiegen auch sie, und ließen es bei stummen Zeichen des Erstaunens bewenden.

Hiolm war nicht viel weniger bestürzt, als seine Gäste; er besorgte aus der schnellen Veränderung aller Gesichter, daß hier etwas sein müßte, was einen nachtheiligen Eindruck machte. Er äußerte seine Furcht in [38] einigen angstvollen Worten, denn er hatte den alten König von Thule liebgewonnen, und hätte ihm ungern zu Mißvergnügen Anlaß gegeben.

»Beruhigt euch, mein Sohn,« antwortete der gute Fürst, »ich bin mit euch zufrieden, und habe keine Ursache, auf euch zu zürnen; aber ich wiederhole nochmals meine Bitte, meinen Befehl, wenn ihr es so nennen wollt, diese Küste nicht eher zu verlassen, bis ich über gewisse Dinge ausführlich mit euch gesprochen habe.«

Nach diesen Worten gab der König Befehl, mit der Schaluppe nicht erst an das Schiff zu fahren, sondern sogleich zu landen, weil Dinge vorgefallen wären, die seine sofortige Rückkehr nöthig machten.

In der That war der gute Fürst so ergriffen, daß er kaum seiner Sinne mächtig und deshalb genöthigt war, die Einsamkeit zu suchen. – »Was ist das?« sagte er zu sich selbst, als er allein war, »welche Deutung soll ich jenem so seltsamen Gemälde geben, und was soll ich beginnen? Meine Leute, – sie haben alle gesehen, was ich sah; werden sie schweigen? Und gleichwohl ist Schweigen noth, denn wer weiß, was unter dieser äußerst seltsamen Erscheinung verborgen liegt. – Nein, die Sache leidet keinen Aufschub, ich muß mir Aufklärung darüber zu verschaffen suchen!« – Nachdem der König durch dies Selbstgespräch sein Herz etwas erleichtert hatte, befahl er, Hiolm von Seeland herbeizurufen, den er sogleich sprechen müsse.

»Sage mir, Hiolm,« rief der König, als der junge[39] Seefahrer, durch den schnellen Vorbeschied doppelt bestürzt gemacht, eilig hereintrat, »sage mir, was bewog dich an dieser Küste zu landen?«

»Begierde nach Ehre und Ruhm, Begierde in eure Dienste zu treten, weil ihr mir als ein guter König gerühmt wurdet!«

»Warum zeigtest du mir heute das Gemälde am Hintertheile deines Schiffs, womit du mich so sehr überrascht hast?«

»Es war meine Absicht nicht, es euch zu zeigen; wie konnte ich glauben, das es euch interessiren würde? Ihr bekamt es zu sehen, wie ihr jeden andern Theil des Schiffs gesehen habt.«

»Unmöglich! unmöglich! dir ist gewiß alles bekannt! Ich beschwöre dich, eile, mich von dem Schicksale der Personen zu unterrichten, die jenes Wunderbild vorstellt!«

»Ich weiß euch nicht viel von ihnen zu sagen; das Bild stellt meine Gattin mit ihrem Sohne und ihrer Freundin vor!«

»Himmel! deine Gattin? deinen Sohn? – Soll ich trauern oder mich freuen? Freuen, freuen will ich mich! denn bist du gleich kein Fürst, so kannst du es werden; auch hat dir der Himmel bereits ein Fürstenherz, Fürstenthaten und Fürstenruhm gegeben.«

Hiolm wußte nicht recht, wie er mit dem alten Herrn daran war, und hielt es für gut, auf Dinge, die er nicht verstand, zu schweigen.

[40] »Rede, rede nur!« fuhr der König fort, »welche von den beiden Damen ist deine Gattin?«

»Die Schönere!«

»Die Schönere! also die, welche sich über die Schulter ihrer Freundin lehnt?«

»Mit nichten, die, welche das Kind auf den Knieen hält!«

Bei diesen Worten nahmen die Gesichtszüge des Königs einen andern Ausdruck an, von dem man nicht sagen konnte, ob Freude oder Mißvergnügen ihn veranlaßt. »Schlag ein, Hiolm,« sagte er nach einer Weile, indem er dem bestürzten Seefahrer die königliche Hand hinhielt, »du bist mir nicht so nahe verwandt, als ich meinte, aber doch nahe genug, daß ich dir den Namen ›Sohn‹ bestätigen kann, den ich dir gleich Anfangs beilegte. Dich hat ein günstiger Zufall an diese Küste geführt, der dein Glück begründet, und mir zu dem Theuersten wieder verhilft, was ich auf Erden besaß. Seeräuber raubten mir vor mehr als Jahresfrist meine Tochter und meine Nichte, – du schenkst sie mir wieder. Thulis ist mein Kind; deine Gemahlin Edda zwar nur die Tochter des Erlkönigs, aber doch eine Prinzessin, auf deren Besitz du stolz sein kannst, wenn du denselben zu behaupten weißt.«

»Ihn behaupten?« rief Hiolm, »den Besitz meiner Edda behaupten? dafür bürgt mir mein Schwert. Auch unser Sohn bürgt mir dafür; wie kann man seine Mutter von ihrem Gatten reissen, ohne sie auf ewig zu beschimpfen!«

[41] »Dein Sohn möchte vielleicht das Band sein,« fuhr der König von Thule fort, »das dir deine Gemahlin auf ewig sichert; aber auf dein Schwert traue nicht, du kennst den Erlkönig nicht, sonst würdest du nicht so reden. Aller andern Bedenklichkeiten zu geschweigen, so sind die kleinen Fürsten in gewissen Punkten kitzlicher, als die großen. Ich würde dir vielleicht meine Thulis nicht misgönnt haben, ich hätte mich vielleicht meines Enkels gefreut; aber der Vater der schönen Edda? – Doch fasse guten Muth, und gieb mir jetzt etwas nähere Nachricht von meinen Verlornen, damit ich sehe, wie Thulis wieder in meine Arme zu bringen, und wie dir und deiner Gemahlin zu helfen ist.«

Hiolm und der König brachten den ganzen Morgen in Gesprächen über diese wichtigen Dinge zu. Der Vater der schönen Thulis machte ihn etwas näher mit der Familie des Erlkönigs bekannt, die ihm allerdings nicht gefallen wollte, und er hingegen erzählte seinem neuen Oheim so viel von der mißlichen Lage, in welcher sich Edda und ihre Freundin zu Seeland befänden, daß der König sofort beschloß, gleich den andern Tag eine Gesandschaft abzuschicken, um die Prinzessinnen herüber zu holen. Daß sich Hiolm an der Spitze derselben befinden sollte, versteht sich; wie hätte er die Abholung seiner Gemahlin einem andern anvertrauen sollen? Er eilte auf sein Schiff, die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, und sagte unaufhörlich zu sich selbst: »Deshalb also, weise Edda, sandtest du mich nach Thule! Dies war das Glück, das mir dein Bild bei dem besten aller Fürsten bringen sollte!«

[42] Als der König seiner Seits auch mit allen Vorbereitungen zur Heimholung der Damen, die er so glänzend als möglich machte, fertig war, und ein günstiger Wind die Segel schwellte, da stießen die Schiffe endlich vom Lande, und der Vater der schönen Thulis rief seinem Neffen ein herzliches Lebewohl nach. »Sei getrost Hiolm,« sagte er, »und beschleunige deine Reise; ehe du mit meinen Töchtern zurückkommst, habe ich euch das Herz des Erlkönigs gewonnen, und gewiß kommt er euch selbst entgegen, dich als Sohn, seine Edda als Tochter zu umarmen.«

Ein günstiger Wind trug Hiolms Schiff, nebst denen der Gesandten von Thule, auf schnellen Flügeln nach Seeland, wo die glänzende Erscheinung kein kleines Aufsehen erregte. Hiolm's Flagge kannte man wohl; wer waren aber die andern? – Und als jetzt die Gesandten an das Land stiegen, als der Name des Königs, der sie abschickte, und der Zweck ihrer Ankunft bekannt wurde, welche Verwunderung, welches Erstaunen! auf einer Seite, welche Beschämung! auf der andern. – Der alte Hinrich von Röschild vermochte kaum die Augen vor seinem Sohne aufzuschlagen, als er ihm gestehen mußte, in welcher Absicht er die unschuldige Edda nach der Erleninsel hatte bringen lassen. Der gutmüthige Sohn konnte indeß dem grausamen Vater doch nicht zürnen, und verzieh ihm gern das seiner Edda zugefügte Unrecht. Zufrieden, nun aller Verfolgungen enthoben zu sein, warf er einen Schleier über das Vergangene, und suchte die Gesandten von Thule [43] glauben zu machen, man habe die Prinzessinnen nur aus guter Vorsorge auf die Erleninsel geschickt, und diese schlichten, geradsinnigen Leute fanden hierin auch nichts Unglaubliches.

Die Ueberfahrt nach der wüsten Insel wurde mit großer Pracht vollzogen. Zu den königlichen Gesandten gesellten sich alle Patrizier von Siölund, an deren Spitze sich Hinrich von Röschild befand, der nicht wußte, wie er seine begangenen Fehler wieder gut machen, und sein Entzücken über die hohe Verwandtschaft, zu welcher ihm Edda verhalf, ausdrücken sollte.

Es ist schwer, denen die uns beleidigt, uns ins Elend gestürzt haben, dann nicht unsere Verachtung zu zeigen, wenn sich uns die Gelegenheit dazu darbietet. In einem solchen Falle befand sich Edda, doch war sie zu edel, Rache zu üben und sie zeigte sich daher nicht minder großmüthig als Hiolm. Die Gesandten blieben in ihrem Wahne, die Leute von Siölund fanden volle Erwiederung ihrer Höflichkeiten, und Hinrich von Röschild konnte über seine Schwiegertochter nicht klagen. Nur in einem Punkte war sie unerbittlich, sie ließ sich nämlich nicht bewegen, eine Nacht in Siölund zuzubringen. Die Sehnsucht nach ihren Verwandten war viel zu groß, wie sie sagte, als daß sie nicht gleich von der Erleninsel dahin abschiffen sollte. Hinrich bat um Zurücklassung des kleinen Hiolm, welche wunderliche Bitte ihm jedoch ohne Weiteres abgeschlagen wurde.

Hiolm und Edda waren entzückt, sich unter solchen [44] Aussichten wieder zu haben, aber nicht minder freute sich die schöne Thulis, endlich dem Elende entrissen zu sein, das sie blos aus Freundschaft für Edda erduldet hatte, und wieder in die Arme eines Vaters zu eilen, den sie ebenso sehr liebte, als sie sich von ihm geliebt wußte.

Eines Abends, als Hiolm und Edda mit einander auf dem Verdecke ihres Schiffs saßen, und der Landung zu Thule zitternd und hoffend entgegen sahen, begann die Tochter des Erlkönigs, ihrem Gemahle gewisse Aufschlüsse zu geben, welche zu fordern er zu bescheiden gewesen, nach denen er jedoch großes Verlangen trug.

Die Luft war still und heiter, die Wellen trugen das Schiff leicht auf dem grünen Rücken dahin, und der Mond kam am äußersten Horizont in Gestalt einer schmalen Sichel herauf; ein Zeichen, daß Hiolm sich eines ungestörten Umganges mit seiner Gemahlin erfreuen durfte.

»Mein Theurer,« begann die sanfte Edda, »ich schätze mich glücklich, daß ich nicht länger Geheimnisse vor dir zu haben brauche, die mich schon lange ängstigten, obschon du sie so gut zu ehren wußtest. Empfange meinen herzlichen Dank für diesen Beweis deines unbeschränkten Vertrauens zu mir, und höre nun meine Geschichte, die dich über Alles aufklären wird, was dich etwa noch beunruhigen könnte.

Daß ich des Erlkönigs Tochter bin, weißt du bereits durch den König von Thule, aber der gute Oheim mag sagen, was er will, mein Vater ist kein so kleiner Fürst, als er ihn schildert. Wohl ihm in seinem freundlichen [45] Wahne, daß er seine Schneeinsel für wichtiger hält, als das große Reich des Erlkönigs, das sich über die ganze Erde ausbreitet, und in den Gegenden, die euch Menschen die unbekanntesten sind, am größten ist. Es wäre über diese geheimnißvollen Dinge mehr zu sagen, doch sollst du jetzt nur so viel davon hören, als du zu verfassen vermagst: Wir sind ein Geistergeschlecht, den Menschen nur zur Hälfte verwandt; unserer Herrschaft sind besonders unterworfen die wüsten Inseln des Meeres, und die Stellen der Erde, wo der Baum wächst, den man nach unsern Namen benannte. Wir lieben die Menschen, und befreunden uns gern mit ihnen. Die nordischen Reiche sehen meistens Prinzessinnen aus unserm Hause auf ihren Thronen; auch ich war zu diesem Schicksal bestimmt, meiner wartete Scandinaviens Krone, was mein Unglück war, und es vielleicht noch in später Zukunft sein wird.

Kein weibliches Geschöpf kann auf Vorzüge der Schönheit und hoher Geburt eingebildeter sein, als ich es war; es gab kein irdisches Wesen, das ich einer Verbindung mit mir würdig schätzte, und gern hätte ich mich mit den Geistern des Aethers befreundet. Ich wußte, daß unser Geschlecht dem Tode eben so gut unterworfen ist, als ihr es seid, und daß es des Vorrechts der Unsterblichkeit nur unter gewissen Bedingungen genießt, die ich nicht kannte, sowie sie auch den meisten von uns ein Geheimniß sind. Dennoch war ich überzeugt, daß eine Verbindung mit dem schwachen, sterblichen Menschengeschlechte nicht der Weg sei, zur Unsterblichkeit zu gelangen und daher entstand vorzüglich [46] mein Abscheu vor der Scandinavischen Krone, die ich mir durch die Verbindung mit einem Sterblichen erkaufen sollte. Ich widerstand dem Willen meines Vaters, so gut ich konnte, und suchte Aufschub und Ruhe in der Einsamkeit. Mein Vater hatte mir die kleine Insel an der Küste von Seeland geschenkt; hier lebte ich in stiller Abgeschiedenheit mit meinen Jungfrauen, unbemerkt von dem gröbern Auge des Menschen, ihm nur in den hellen Mondnächten sichtbar, wo wir unsere Tänze zu halten pflegten, denn der dichtere Körper, in welchem wir uns zeigen, und in welchem auch du mich jetzt vor dir siehst, ist zwar der volle Abdruck der ätherischen Gestalt, die uns die Natur verlieh, aber für uns gleichsam nur ein grober Regenmantel, in welchen wir uns hüllen, um vor euch erscheinen zu können.

Ich lebte ruhig in meiner philosophischen Einsamkeit, wo ich mich mit lauter überirdischen Dingen, besonders mit den Mitteln zur Unsterblichkeit zu gelangen, beschäftigte. Daß rund umher mehrere Erlprinzen wohnten, wußte ich, aber ich achtete es nicht, und besorgte von ihnen nichts Arges; gleichwohl sollte einer von diesen auf eine widrige Art in mein Schicksal verwebt werden.

Der Fürst der Insel Mona hatte von mir gehört, und kam heimlich, mich zu sehen. Meine Schönheit fesselte seine Augen, meine hohe Geburt schmeichelte seinem Stolze, und mein bekannter Abscheu vor einer Verbindung mit einem Sterblichen machte ihm große Hoffnungen. – Es dauerte nicht lange, so begann er, mit seinen [47] Zudringlichkeiten mir lästig zu werden. Ich gab meinem Vater Nachricht davon, und er, dem eine Verbindung mit einem seiner Vasallen so wenig anstand als mir, säumte nicht, mir zu Hülfe zu kommen. Er traf den Verwegenen, als er in menschlicher Verkörperung, Gott weiß, in welcher Absicht, meine Wohnung umschlich. Die Strafe folgte dem Verbrechen auf dem Fuße. Als der Fürst der Insel Mona unter den Händen meines Vaters fiel, fluchte er mir: ›Möchtest du Stolze,‹ rief er, ›durch eine Verbindung mit einem gemeinen Sterblichen gedemüthigt werden! O könnte, könnt' ich doch noch länger leben, um zu deinem Sturze beizutragen, um mich an deinem Falle zu weiden!‹

Mein Vater hielt es für gut, daß ich mich auf einige Zeit von meiner Insel entfernte. Er brachte mich zu dem Könige von Thule, meinem mütterlichen Verwandten. Dort lernte ich zuerst Menschen kennen und lieben, Geschöpfe, die ich früher nie gesehen hatte. Binnen kurzer Zeit wurde ich mit der schönen Thulis, der Tochter meines Oheims aufs innigste vertraut; wir schwuren einander feste Freundschaft in Glück und Widerwärtigkeit, und haben den Schwur gehalten, denn der gegenseitigen Aufopferungen zwischen uns sind nicht wenige gewesen.

Ich liebte meine Base so sehr, daß ich meinen bisherigen einsamen Aufenthaltsort ganz zu verlassen und bei ihr zu bleiben beschloß. Ich besuchte die Erleninsel nur zur Zeit des Vollmonds, weil uns dann ein unwiderstehlicher [48] Zug in die Gegenden, wo wir herrschen, zur Feier mystischer Feste hinreißt. Der gröbere Körper, den ich meiner Freundin zu Liebe jetzt für beständig trug, blieb als Unterpfand meiner Wiederkunft bei ihr zurück, wenn ich des Monats einmal als leichte Schattengestalt nach meiner Insel schwebte. Als treue Hüterin wachte sie bei der Hülle, deren Verletzung uns, so lange wir uns dieser irdischen Verkleidung bedienen, den Tod bringt.

Ich fand auf meiner lieben Insel alles ziemlich so, wie ich es verlassen hatte. Meine Jungfrauen, die dort zurückgeblieben waren, hatten schon früher Spuren auf derselben entdeckt, daß sie zuweilen von Menschen besucht würde; jetzt sagten sie mir, daß dergleichen Besuche sich noch öfterer einfänden, und daß einer dieser Menschen es sogar zuweilen wage, auf unserm Grund und Boden zu übernachten.

Ich überzeugte mich bei der ersten Mondsfeier selbst von dieser Kühnheit, ich sah den Verwegenen hinter einem Rosenstrauche lauschen, und unsere Tänze beobachten; sein Urtheil war gesprochen. Als es tagte, verfügte ich mich selbst auf die Stelle des Frevels, ihn zu bestrafen. Aber – o Hiolm, wie kann ich in meiner Erzählung fortfahren, ohne einen Verdacht bei dir zu erregen, der meiner Würde nachtheilig sein möchte! Und doch bin ich dir ein offenes Geständniß schuldig und will selbst auf die Gefahr hin, von dir verkannt zu werden, in meiner Erzählung fortfahren. Ich sah einen schönen Jüngling, der kaum die Gränzen der Kindheit überschritten, schlafend [49] auf einem Rasenhügel hingestreckt. Er blühte wie die Jugend des Himmels, Unschuld und Edelmuth sprachen aus seinen sanften Zügen. Der Rosenstrauch, unter dem er schlummerte, überstreute ihn mit den Blättern seiner Blumen, als wolle er ihn meinen Augen entziehen; ach, vielleicht wäre es gut gewesen, wenn ich ihn nie gesehen hätte! Mein gerechter Zorn war entwaffnet, ich fühlte vielleicht in diesen Augenblicken den ersten Anfang einer Leidenschaft, mit der mir der Fürst der Insel Mona geflucht hatte.

Ich sah den holden Lauscher sich regen, als wolle er erwachen, und ich entfloh mit meinem luftigen Gefolge; ich fürchtete, von ihm gesehen zu werden. Man lasse ihn, sagte ich zu meinen Leuten, es ist fast noch ein Kind, von ihm wird uns weder Unfall noch Entweihung widerfahren.

Nach der Zeit gab es wenig Vollmondsnächte, wo ich den jungen Menschen nicht hinter seinem Rosenstrauche sah. Ich trauerte, wenn ich ihn einmal vermißte, ich beschleunigte meine Herüberkunft von Thule, und verzögerte meine Abreise Ich lobte die Bescheidenheit des jungen Fremdlings, der sich immer nur mit dem Schauen begnügte, und es nie wagte, sich in unsere Reihen zu mischen, und doch wünschte ich heimlich auch wieder, er möchte einst kühner sein, und mir Gelegenheit geben, ihn näher kennen zu lernen.

Noch hatte ich nicht zwölf Mal die monatliche Reise von Thule nach meiner Insel gemacht, als ich den [50] bisherigen Zuschauer unserer nächtlichen Feste nicht mehr auf seinem Rasenhügel lauschen sah, und vergebens seine Wiederkehr erwartete. Von der Zeit an fühlte ich mich auf der Insel einsamer, die Feier der Feste verlor für mich viel von ihren frühern Reizen und ich suchte meine Rückkehr nach Thule immer möglichst zu beschleunigen. – Was war das, Hiolm, das ich damals für dich fühlte? Liebe doch nicht? – O nein, diese Leidenschaft sollte ich erst später kennen lernen!

Jahre vergingen. Der schöne Knabe, den ich nicht mehr sah, konnte, wie Thulis meinte, nun wohl zum Jüngling herangereift sein, und meinem Herzen ernstlichere Gefahr drohen, wenn ihn das Schicksal mir wieder entgegen führte. Sie scherzte fleißig mit mir über diesen Gegenstand, und ich nahm diesen Scherz auf, wie Freundinnen so etwas von einander aufnehmen pflegen. Wir sprachen viel über das Abentheuer, belachten es von ganzem Herzen, und – vergaßen es.

Ach, es nahte jetzt eine Zeit, wo wir die jugendlichen Scherze unter dem Drucke des Unglücks ganz vergessen sollten. Wir hatten die heißen Quellen, dergleichen es in dem Königreiche meines Oheims viele giebt, besucht, und uns an den seltsamen Naturerscheinungen belustigt, an denen jene Gegenden so reich sind. Auf der Rückkehr reizte mich eine schöne Fläche voll grünen Berggrases zum Spaziergang. Es war nahe am Ufer des Meeres. Ein Seeräuber, der mit seinem Schiffe hinter einem Felsen lag, wurde uns gewahr, und hielt uns für gute Beute. [51] Wir wurden geraubt, und ehe man am Hofe des Königs von Thule unsern Verlust wissen konnte, waren wir bereits viele Meilen weit in die See einem Schicksal entgegen geführt, das für Jemand, der das Süße der Freiheit kennt, das schrecklichste unter der Sonne ist.

Wir wurden Sclavinnen, Sclavinnen Naddocks, des übermüthigsten unter allen Seeräubern. Schon längst hatte er Absichten auf die Schneeinsel gehegt, der Besitz der Erbin dieses Landes feuerte ihn zu noch kühnern Gedanken an. Thulis wurde von seiner beleidigenden Liebe gequält, sie war seine Sclavin und sollte sich die Freiheit durch das Opfer ihrer Hand erkaufen. Ich verschweige, in wie weit Naddocks Bande mich fesseln konnte, aber da ich zu schwach war, meine Freundin mit mir frei zu machen, so war ja wohl das geringste, was ich für sie thun konnte, daß ich bei ihr gefangen blieb, bis sich unser Schicksal änderte.

Wir litten viel von unserm grausamen Gebieter, und Thulis würde wahrscheinlich ohne mich noch mehr gelitten haben. Naddock schien in mir ein höheres Wesen zu ahnen. Er hatte eine Art von Furcht vor mir, deren Ursache ich besser kannte, als er. Ein Wort von mir konnte ihn in die Gränzen der Ehrfurcht zurückschrecken, wenn die Leidenschaft für meine Freundin ihn zuweilen dieselbe vergessen ließ.

Wie lange ich im Stande gewesen sein würde, diesen wilden Menschen im Zaume zu halten, das weis ich nicht. Das Schicksal sorgte indeß für baldige Aenderung [52] unserer unglücklichen Lage, es führte uns in deine Hände. – O Hiolm! du weißt das Uebrige! Ich sah dich, meine Augen kannten dich nicht mehr, aber mein Herz hatte dich nicht vergessen! Das ehemalige kindische Wohlgefallen an dem Knaben auf der Erleninsel, wurde, auf den Helden von Seeland übertragen, zur mächtigen Leidenschaft. Ich wurde die Deinige, obgleich ich selbst nicht wußte, was mich, die stolze Tochter des Erlkönigs, so schnell zu einer Verbindung mit einem Sterblichen geneigt machte!

Du erzähltest mir deine frühste Jugendgeschichte, ich reimte sie mit der meinigen zusammen, und nun wurde mir Manches klar. Wir waren alte Bekannte, schon längst vom Schicksal zu gegenseitiger Liebe bestimmt, Gott gebe von einem günstigen Schicksal! Ich fürchte nicht, daß der Fluch des Fürsten Mona nachtheilig auf unsere Verbindung wirken wird. Ich liebe ja in Hiolm keinen gemeinen Sterblichen, liebe in ihm den Edelsten seines Geschlechts!

So lange ich dich noch nicht genau kannte, hielt ich es nicht für rathsam, dich mit meiner Geschichte bekannt zu machen, oder dir zu sagen, daß du in mir ein Wesen aus einer höhern Sphäre liebtest. Du mußtest erst geprüft werden, und wärst du in dieser Prüfung nicht bestanden, so hätten wir uns für immer trennen müssen.

Ich liebte dich indeß innig genug, um diese Trennung wie den Tod zu scheuen, und hielt es daher, als ich später Ursache hatte, die Fortdauer deiner [53] Standhaftigkeit zu bezweifeln, für das Beste, das Räthsel noch zur rechten Zeit zu lösen, bevor du, von meinen Feinden aufgewiegelt, Schritte thätest, die ich dir nicht hätte verzeihen dürfen. Ich veranlaßte deine Reise zum König von Thule, ich wußte, daß dieser gute Fürst seine Tochter und mich im Bilde augenblicklich erkennen, und daß sich dann alles Andere von selbst ergeben würde. Auch wußte ich, daß mein Oheim Alles aufbieten würde, um die Zustimmung meines Vaters zu unserer Verbindung zu erlangen, und ich zweifelte nicht an einem glücklichen Erfolge seiner Bemühungen. Voll von diesen süßen Hoffnungen sah ich dich gern abreisen, ohne zu ahnen, daß mir in deinem Vaterlande, von deinen nächsten Freunden zu eben der Zeit Unheil drohte, da ich mich ganz für dich aufopferte, die Liebe meines Vaters, Krone und Thron, die Hoheit meiner Abkunft aufs Spiel setzte.

Noch weis ich nicht genau, was dein Vater wider mich im Sinne hatte, ob er mich tödten, ob er mich in entfernte Welttheile als Sclavin verkaufen, oder, was noch schlimmer gewesen wäre, ob er mich in die Hände des Fürsten der Insel Mona liefern wollte. Leider habe ich seit einiger Zeit Ursache, zu glauben, daß dieser mein alter Verfolger, Gott weis durch welchen Zufall, beim Leben erhalten wurde, und mit dem tückischen Kaufmann von Seeland in heimlicher Verbindung steht. Er hat seine Absichten auf mich noch nicht aufgegeben, er wünscht mich oder meinen Sohn zu besitzen – so viel sehe ich ziemlich klar, während ich alles Uebrige jetzt noch nicht zu [54] enthüllen weiß. Hiolm, hüte, hüte dich! Du bist ein kurzsichtiger Sterblicher; mein Verfolger könnte seine Pläne vielleicht durch deine eigne Hand auszuführen suchen!!«

Bei diesen Worten, die Edda mit sichtlicher Bewegung und großem Nachdrucke sprach, sprühten einige Funaus ihren Augen, eine Erscheinung, die Hiolm noch nicht an ihr gesehen hatte, und die ihm nicht ganz zu gefallen schien. – Er verbarg sein Entsetzen, gab ihr die besten Versicherungen, und sie fuhr fort:

»Dein treuloser Vater wählte glücklicher Weise ganz falsche Mittel zur Erreichung seiner Absichten, sein Verbündeter mußte ihn schlecht unterrichtet haben. Er brachte mich auf meine geliebte Erleninsel in Sicherheit, einem Orte, von wo mich weder Menschen- noch Geistergewalt entführen kann. Thulis kennt das Entzücken, mit welchem ich meine Insel begrüßte, die vergnügten Tage, die wir dort im Kreise der mir verwandten Geister verlebten. Es ist Schade, daß Thulis nur ein Erdenmädchen ist, sie schickte sich so gut in unsere Sitten, als wäre sie eine der Unsern, und als solche wurde sie auch von uns geliebt.

Deines Vaters Forderung, ihm meinen Sohn zurück zu lassen, kennst du; fast verließ mich bei derselben meine mühsam behauptete Mäßigung, denn ich merkte wohl, daß der Fürst von Mona ihn zu dieser Bitte veranlaßt hatte. Noch einmal, Hiolm, hüte, hüte dich! daß du nicht etwa einst selbst, durch diesen Verräther berückt, [55] das Werkzeug zu unserm Unglück wirst! Eine dunkle Ahnung sagt mir, daß du schon einst in seinen Schlingen gewesen bist.«

Hiolm war froh, daß diese wiederholte Warnung diesmal sanfter ausgesprochen wurde, als das erstenmal; er umarmte seine Edda, und versprach ihr alles, was sie wollte. Obgleich es ihm lieber gewesen wäre, in der schöne Edda eine Erdbürgerin, als ein Wesen höherer Art zu sehen, so war ihm doch ihre Abkunft kein so großer Stein des Anstoßes, daß sich seine Liebe vermindert hätte, seine Treue wankend geworden wäre. Die Erlprinzessin mochte übrigens etwas Aehnliches befürchtet, und sich ihm deshalb so spät als möglich entdeckt haben.

Hiolm suchte den hohen Stand seiner Gemahlin zu vergessen, und sie unterließ ihrer Seits auch Alles, was ihn hätte daran erinnern können. Ohne Ansprüche irgend einer Art zu machen, zeigte sie sich ihm in Allem gehorsam, theilte jede Freude, jeden Kummer mit ihm und war überhaupt ein so vollkommnes irdisches Weib, wie es nur ein solches auf dieser Erde geben kann. Sie wußte, daß man nicht blenden muß, wenn man gefallen will, und das scheue Ehrfurcht sich nicht mit inniger Liebe verträgt.

Die Liebenden würden sich ganz glücklich gefühlt haben, wenn sie nicht den Zorn des Erlkönigs zu befürchten gehabt hätten und deshalb wegen ihrer Aufnahme zu Thule in peinigender Ungewißheit gewesen wären. »Wird unser Fürsprecher gesiegt haben?« »Wird der Erlkönig [56] unsre Liebe billigen und uns nicht trennen?« »Wird er den alten Plan, seine Edda zur Königin von Scandinavien zu machen um Hiolms willen gern und gänzlich aufgeben?« – Dies waren die Fragen, welche die zärtlichen Gatten täglich so lange mit einander abhandelten, bis die lange Reise zu Ende ging, und der Erfolg ausweisen mußte, was man zu hoffen habe.

Sie stiegen zu Thule an das Land, und, o Freude! Edda sah ihren Vater an der Seite des Oheims ihr entgegen kommen! Durch dies gute Anzeichen ermuthigt, stürzte sie sich vertrauungsvoll in seine Arme und wurde väterlich von ihm empfangen. Gegen Hiolm benahm sich der Erlkönig dagegen etwas kalt, aber sein und Eddas kleiner Sohn wurde desto zärtlicher von dem Geisterfürsten geliebkoßt. Man sah wohl, daß dieses Kind die einzige Ursache war, weshalb an keine Trennung einer Verbindung gedacht wurde, die übrigens nicht sonderlich nach dem Geschmacke des stolzen Fürsten sein mochte.

So sehr sich auch Hiolm über die Einwilligung des Erlkönigs zu seiner Verbindung mit Edda freute, so behagte ihm doch sein hoher Schwiegervater nicht allzusehr. Besonders misfiel es ihm, daß dieser die garstige Angewohnheit hatte, bei der geringsten Veranlassung, die seinen Zorn erweckte, mit Funken um sich zu sprühen. Hiolm hatte diese Erscheinung ein einzigesmal an seiner Edda wahrgenommen, und sich nicht besonders darüber gefreut; wie mußte sie ihm nun an einem Wesen mißfallen, das ohnehin mehr Furcht als Liebe einflößte! Die Klugheit gebot [57] indeß Hiolm, seine Gefühle zu verbergen, und er beschloß nur, sich vor dem vornehmen Schwiegervater, dem er nicht recht traute, möglichst zu hüten.

Als man einen Monat zu Thule verweilt hatte, meinte der Erlkönig, es sei nun Zeit, seine Tochter und seinen Enkel heimzuführen, und seinen Eidam die Hauptstadt seines Königsreichs zu zeigen. Hiolm trug kein großes Verlangen nach dieser Reise, aber er hätte kein Held sein müssen, wenn er die mindeste Furcht hätte äußern wollen. Der alte König von Thule, der einen tiefern Blick in das Herz des jungen Mannes that, als die andern alle, sprach ihm insgeheim Muth ein, und so ging man mit ziemlicher Fassung zu Schiff, einen Weg anzutreten, dessen Ende wenigstens Hiolm nicht wußte; er war entweder schlecht in der Geographie seiner Zeiten bewandert, oder die Hauptstadt des Erlkönigs stand auf keiner der damaligen Landkarten.

Er nahm sich oft die Freiheit, seinem Schwiegervater darüber einige Fragen vorzulegen, aber er erhielt immer nur unbefriedigende Antwort. Eines Tages, als er in ziemlich gutem Vernehmen mit ihm auf dem Verdecke stand, und seine gewöhnlichen Nachforschungen erneuerte, überkam den ungestümen Erlkönig der lang verbissene Grimm so heftig, daß er nicht säumte, einen Anschlag auszuführen, den er lange im Sinn gehabt hatte, und dem jetzt, da sie ohne Zeugen waren, nichts im Wege stand. »Meine Hauptstadt,« sagte er zu dem fragenden [58] Hiolm, »sollst du wohl nimmermehr sehen; gehe hin, und suche sie im Abgrund des Meeres!«

Mit diesen Worten gab der boshafte Geisterfürst dem unglücklichen Gemahl der schönen Edda einen so heftigen Stoß, daß er über Bord viele Ellen weit hinaus in die See flog, die ihn mit gierigem Rachen aufnahm. Ein Anderer hätte unserm Hiolm, der ungewöhnliche Kräfte besaß und dabei gewandt und vorsichtig war, diesen Streich so leicht nicht spielen sollen, ohne ihm im Fallen Gesellschaft zu leisten; aber hier waren die Kräfte zu ungleich. Welcher Sterbliche kann sich mit einem übermenschlichen Wesen messen?

Während Hiolm sank und sank bis auf des Meeres Boden, erhob der Erlkönig auf dem Schiffe ein gewaltiges Geschrei über den Unfall, der seinen lieben Eidam betroffen hatte. Es lag ihm viel daran, bei seiner Tochter keinen Verdacht wegen dieser Schandthat gegen sich aufkommen zu lassen, und deshalb stellte er sich über den unglücklichen Vorfall, wie er es nannte, so sehr betrübt. Jedermann im Schiffe, der schwimmen konnte, wurde aufgeboten, den Mann zu retten, den sein treuloser Schwiegervater jetzt zum erstenmale mit den zärtlichsten Beinamen beehrte. Ja, er ging so weit, sich selbst hinabzulassen in die tobenden Fluthen, gleich als wolle er Hiolms Rettung mit eigner hoher Hand bewirken. Ein König wie dieser, der mit allen Elementen gleich vertraut war, konnte so etwas wohl wagen, ein anderer würde mehr Sorgfalt für seine geheiligte Person bewiesen haben.

[59] Edda war über den Verlust ihres so innig geliebten Hiolm ganz untröstlich. Wäre sie eine gewöhnliche Sterbliche gewesen, so würde sie wahrscheinlich ihrem Gatten sogleich in das Meer nachgesprungen sein, aber ihr konnte ein solcher Sprung nichts frommen. Ein Geisterleben ist nicht so leicht im Ocean ausgelöscht, und doch wie gern hätte sie das ihrige hingegeben, um Hiolm zu retten. Die Unsterblichkeit galt nichts mehr in ihren Augen, seit die Liebe zu einem Erdbürger sie von ihrer phantastischen Höhe herabsteigen ließ.

Hiolm war indessen nicht so verlassen und verloren, als Edda besorgte und ihr Vater glaubte. Die nämliche Macht, die ihn in seinen Knabenjahren schon einmal das Leben erhalten hatte, war auch hier geschäftig, ihn, so tief er auch gesunken war, wieder empor zu heben. Kaum auf dem Meeresgrund angelangt, befand er sich gleich darauf wieder mit dem obern Theile des Körpers über dem Wasser, und nun schwamm er, er wußte selbst nicht wie, mit nie geahnter Leichtigkeit auf den stürmenden Wellen dahin.

Als er seine seltsame Fahrt ohne Fahrzeug, Ruder und Segel bis gegen Abend fortgesetzt hatte, sah er auf einmal Land, und ehe eine Viertelstunde verging, warf ihn eine große Welle mit ziemlichem Ungestüm auf das Ufer einer schönen grünen Insel, deren erster Anblick schon bezauberte, und die auch bei näherer Besichtigung keinen andern Fehler hatte, als daß sie unbewohnt war.

Als Hiolm sich erholt und die Nacht in süßer Betäubung [60] verschlafen hatte, gesellten sich zu dem frohen Gedanken: ich bin gerettet! eine Menge andre, die nicht so angenehm waren. »O Edda, Edda!« rief er »wie vermag ich getrennt von dir zu leben, und wie soll ich dich wieder finden? –« Von diesen traurigen Gedanken gequält, durchstrich er die ganze Insel, und als sich endlich Hunger und Durst bei ihm einstellten, da zeigte es sich, daß er für die Erhaltung seines Lebens nicht besorgt zu sein brauchte. Ueberall fanden sich frische Quellen und fruchttragende Bäume, überall schattige Plätze und Höhlen, die zur Ruhe einluden, nirgend ein schädliches Thier! aber – dies war auch alles. Keine Spur von einem menschlichen Wesen, überall todte Einsamkeit, rund umher nichts als eine unermeßliche Fläche von Himmel und Wasser!

Welches Schiff sollte sich in diesen verlassenen Winkel der Erde verirren, ihn wieder zu der Geliebten zu bringen? Welcher Mund sollte ihm nun sagen, in welcher Himmelsgegend er sich befände, oder ihm zu irgend einem Plane der Rettung behülflich sein? – Armer Hiolm, wäre es wohl zu verwundern gewesen, wenn du dich der Verzweiflung überlassen, und dein Leben in den Wellen geendigt hättest, aus denen du kaum entkommen warst?

Es muß indeß nicht gewöhnlich sein, daß man sich um einer verlornen Frau willen in das Meer stürzt, sonst wüßte ich nicht, wie Hiolm, der zärtlichste Gatte, den [61] es jemals gab, einer solchen Versuchung hätte widerstehen können.

Zwei lange Jahre brachte er trauernd und hoffend auf der Insel zu, bis endlich der Himmel sich seiner erbarmte. Der Himmel, sage ich? war ihm das auch ganz zuzuschreiben, was hier geschah?

Hiolm trat einst gegen Abend seine gewöhnliche Wanderung an den Strand des Meers an, die er, weil seine Hütte nicht weit von demselben entlegen war, des Tages mehrmals zu wiederholen pflegte. An der äußersten Spitze seiner Insel glaubte er immer der entfernten Geliebten näher zu sein, dort, meinte er, müßten seine Seufzer ihr Ohr eher erreichen, als zwischen den Bäumen und Hügeln seiner Hütte.

Als er nun dießmal der untergehenden Sonne zuschritt, siehe, da kam ihm aus dem Dunkel eines Berges eine menschliche Gestalt entgegen. Langsam nahte sie, und gab der ganzen Abendscene einen seltsamen, schauerlichen Anstrich.

Welch' eine Erscheinung! Der arme verlassene Hiolm wußte nicht, ob er seinen Augen trauen sollte; er glaubte sie vom Sonnenstrahl geblendet, und schützte sie mit der vorgehaltenen Rechten. Die Erscheinung bleib. Jetzt kam sie näher, und auf einmal stand ein großer majestätischer Mann vor ihm, dessen ernster Blick forschend auf ihm ruhte, und dessen ganzes Wesen von etwas Außerordentlichem zeigte. Der entzückte Hiolm sah jedoch in ihm nur den Menschen, und flog ihm mit dem Jubel [62] entgegen, den ein solcher Anblick in seiner Lage erregen mußte.

»Ist es möglich!« rief er, »ist es möglich, daß ich endlich auf dieser unbewohnten Insel einen Menschen finde? Wer bist du und wo warst du in diesen langen einsamen Jahren, daß du dich mir nicht einmal zeigtest?«

»Du bist bisher der einzige Bewohner dieser Insel gewesen,« versetzte der Fremde; »wie hätte ich mich dir zeigen können? Ich bin erst in diesem Augenblicke hier angekommen, mit dir über wichtige Dinge zu sprechen.«

»Wie ist das möglich? Weder Schiff noch Sturm können dich an dieses Ufer gebracht haben.«

»Ich kam auf nur mir bekannten Wegen hierher, die ich dir jetzt nicht näher bezeichnen kann. Ich kenne dich wohl, Hiolm von Seeland, ich kenne den ganzen Umfang deines Unglücks; auch die böse That des Erlkönigs, die er an dir verübte, ist mir nicht unbekannt. Sine Ungerechtigkeit auf's höchste zu treiben, steht er jetzt im Begriff, dein Weib mit dem Könige von Scandinavien zu vermählen. Der morgende Tag ist zu dem Feste bestimmt, das du, wenn du anders deine Edda wahrhaft liebst, durch deine Gegenwart stören mußt. Es ist nöthig daß du in dieser Stunde abreisest, deine Rechte zu behaupten!«

»Abreisen? wie kann ich das?«

»Ungläubiger! Ich, der ich dich zweimal aus den Fluthen des Meeres rettete, werde im Stande sein, dich [63] an den Ort zu bringen, wo ich dich haben will. Doch der Dienst, den ich dir zu erweisen im Begriff bin, ist nicht klein; was giebst du mir, deine Dankbarkeit zu bezeigen?«

»O alles, alles! Nimm mein Leben, nimm das Liebste, was ich habe!«

»Das wäre zu viel! Wisse, ich bin dir mit alter Schuld verhaftet; du magst dafür die zweimalige Rettung deines Lebens rechnen. Für das Uebrige will ich Bezahlung nehmen, aber nicht so viel, als du bietest; von dem Liebsten nur die Hälfte.«

»O laß das jetzt!« rief der ängstliche Hiolm, »und führe mich sogleich dahin, wo ich in diesem Augenblicke sein möchte!«

»Noch ist es nicht Zeit,« sagte der Fremde mit seinem gewohnten Ernste, »die Sonne muß erst ganz untergehen, ehe wir reisen können. Setze dich jetzt und höre, was du nothwendig wissen mußt, um bei dem wichtigen Geschäfte so zu handeln, wie ich will.«

Hiolm setzte sich auf einen Stein dem Unbekannten gegenüber, der jetzt eine Erzählung begann, von welcher Hiolm nur wenige Worte vernahm, denn – o Wunder! bei dem ersten Eingang seiner Rede, die dem Anschein nach ziemlich lang werden mußte, fielen ihm die Augen zu und er entschlief.

Niemand hat wohl je weniger Neigung zum Schlafe gehabt, als Hiolm, da er von demselben befallen wurde. Sein ganzes Wesen war mit Ungeduld erfüllt, dort zu [64] sein, wo Edda auf dem Punkte stand, ihm entrissen zu werden; tausend Gedanken, ob sie gezwungen, oder freiwillig der Treue gegen ihn entsage, ob er sie bedauern, oder mit ihr zürnen müsse, wogten in seiner Seele auf und nieder, und kein Zustand ist, wie bekannt, dem Schlafe ungünstiger, als dieser. Gleichwohl befiel ihm bei den ersten Worten, die er von der wichtigen Rede vernahm, eine solche Müdigkeit, daß er sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte. Seine Augen schlossen und öffneten sich wechselsweise, er sah den Unbekannten sich gegenüber, hörte das Summen seiner Stimme, wußte bald nichts mehr von dem, was er sah und hörte, und fiel in gänzliche Betäubung zurück. Wahrscheinlich hatte der Fremde keine Lust, Hiolm die unbekannten Wege, auf welchen er selbst gekommen war, mit wachenden Augen machen zu lassen, und deshalb mochte er ihn in diesen Zustand der Besinnungslosigkeit versetzt haben.

Seinem Gefühle nach hatte Hiolm lange geschlafen und seltsam geträumt, als jetzt die Betäubung schwand, und er die Augen öffnete. »Edda treu?« sagte er zu sich selbst, »und doch im Begriff, die Gattin eines andern zu werden? Ich, der einzige, der das verbrecherische Bündniß stören könnte, und doch hier an diese verwünschte Insel gefesselt? Durch das unermeßliche Meer von dem Orte getrennt, wo meine Gegenwart so nöthig ist? O hätte ich doch Adlersflügel, oder könnte ich mich doch in die luftige Schattengestalt verwandeln, deren sich Edda [65] bediente, wenn sie die Erleninsel besuchte! Ich erliege unter den Banden, die mich hier zurückhalten.«

So dachte Hiolm beim Aufwachen; als er aber sich jetzt völlig ermunterte, als er sich aufrichtete und um sich her sah, welches Erstaunen, sich an einem ganz andern Orte zu befinden, als wo er entschlafen war!!

Er glaubte noch immer zu träumen, er rieb sich die Augen und sah noch immer, was er gleich anfangs erblickt hatte. »Wo bin ich?« rief er. »Was sehe ich? Ein stattliches Gebäude umgiebt mich statt der Bäume und öden Felsen meiner Insel? Statt des grünen Rasens, auf welchem ich entschlummerte, fühle ich Marmorpflaster unter mir? Das ferne Getöß von Menschenstimmen und geschäftigen Händen, statt der ewigen Todesstille, die dort herrschte? Das ist der Vorhof eines königlichen Palastes! aber wo? Hat mich ein Wunder hierher gebracht? – Doch dort kommen Leute, ich muß sie fragen und das Räthsel wird sich nun gleich aufklären!«

Hiolm, der in seiner zweijährigen Einsamkeit nicht vergessen hatte, wer er war, und sich jetzt noch für dieselbe wichtige Person hielt, die er sein mochte, als ihn des Erlkönigs Majestät über Bord zu werfen geruhte, rief mit herrischem Tone einen der Diener herbei, die er in den benachbarten Hallen auf und ab gehen sah. Man kam, aber nicht um seine Befehle zu hören, oder auf seine Fragen Antwort zu geben, sondern nur um ihm in's Gesicht zu lachen.

»Wo ihr seid?« sagte endlich einer; »nun wahrhaftig, [66] einfältiger hat nie ein schmutziger Bettler gefragt! Wie ihr hierherkommt? Diese Frage geben wir euch zurück! Ihr wißt doch hoffentlich wohl, daß euresgleichen nicht in diesen Palast gehören? Seid so gut und entfernt euch, denn wenn der Schloßwart vorübergeht, und euch sieht, so möchte es übel um euch stehen!«

Hiolm warf bei diesen Worten einen Blick auf seine Kleidung, und fand sie für eine Welt, in welcher man alles nach der äußern Schale beurtheilt, in der That nicht sehr glänzend. Die Kleider, welche er bei seiner Ankunft auf der Insel getragen hatte, waren längst zerrissen, gegenwärtig bestand seine Hülle aus einem alten Segeltuche, zu welchem er, wir wissen nicht wie, gekommen war. Das einzige, was noch hätte Ehrfurcht erwecken und seinen Stand muthmaßen lassen können, war sein gutes Schwert, an dessen Griffe einige große Edelsteine saßen. Es war ein Geschenk des Königs von Thule, ihm schon um des Gebers willen unschätzbar, und daher von ihm so unzertrennlich, daß er es weder bei Tage noch bei Nacht abgürtete, und es also auch mit hierher gebracht hatte. Sein Auge fiel im Ueberschauen seiner Hülle auch auf dieses Denkmal ehemaliger Größe, und es war, als wenn ihm dieser Anblick einige Beruhigung gewährte. Die Diener achteten nicht weiter auf ihn, und verließen ihn lachend. Er sah wohl ein, daß er es anders anfangen müßte, wenn er hier fortkommen wollte. Von einem heftigen Durste gequält, eilte er den Dienern nach und [67] bat, indem er seinen früheren Ton sehr herabstimmte, höflichst um einen Trunk Wasser.

»Gut,« antwortete einer, »Höflichkeit möchte dir hier eher helfen, als Trotz. Folge uns, und du sollst deinen Durst stillen, aber nicht mit Wasser, denn hier wird heute nichts als Wein getrunken.« Man reichte ihm einen vollen Becher, er labte sich und dankte; allein man gab ihm zu verstehen, daß es hier nicht mit bloßem Dank gethan wäre. »Du bist stark genug, zu arbeiten,« sagten sie, »und an Arbeit für deinesgleichen fehlt es hier nicht. Nimm den Wassereimer! schöpfe aus dem Springbrunnen und besprenge das Marmorpflaster, daß es nicht stäube, wenn der König und die Prinzessin über den Hof in den Garten gehen.«

»Aber, mein Gott,« rief Hiolm, »kann ich denn nicht erfahren, wo ich bin, und von was für Königen und Prinzessinnen die Rede ist?« – »Von wem anders,« lautete die Antwort, »als von dem Könige von Scandinavien, und der Tochter des Königs der unbewohnten Inseln, seiner Braut, mit der er sich heute vermählen wird!«

Unsrem Helden ging nun auf einmal ein helles Licht auf. Er wußte, daß unter letzerem Könige der Erlkönig gemeint war, der sich jenes Titels zuweilen bediente, und der Name des Königs von Scandinavien war ihm auch nicht unbekannt. – »Also ist alles, was mir gestern und heute begegnete, doch kein Traum?« sagte er zu sich selbst. »Edda die Braut eines Andern? Ich im Vorhofe [68] ihres Palastes, die Hochzeitfreude zu stören? Aber in dieser Gestalt, in der mich nicht einmal die geringsten Diener respektiren? – Himmel, was soll ich anfangen? O, daß ich doch die Rathschläge des Unbekannten nicht verschlafen hätte! Er wollte mir sagen, wie ich mich bei der Sache nach seinem Willen benehmen sollte, aber ich will sterben, wenn ich ein Wort davon weiß; der betrügerische Schlummer hat mich um Alles gebracht.«

Unter diesem Selbstgespräche hatte Hiolm seine Wassereimer gefüllt, und fing an, das Marmorpflaster zu besprengen.

Er war eben wieder zum Brunnen gegangen, um noch einmal Wasser zu schöpfen, als dicht an ihm, aus dem Haupteingange des Schlosses kommend, eine weibliche Gestalt vorüber strich, die er augenblicklich erkannte, und ihr einen sehnenden Blick nachschickte. Es war die schöne Thulis, die Tochter des Königs der Schneeinsel, die hinab in den Garten eilte, für ihre Freundin eigenhändig noch einige Blumen zum Brautschmuck zu pflücken. »Ja, wenn ich diese sprechen könnte!« dachte er, »doch wird sie mich auch für den erkennen!, der ich bin? Ach, meine Kleider sind es nicht allein, die mich unkenntlich machen, Noth und Kummer mögen wohl meine Gesichtszüge sehr verändert haben!«

Hiolms Befürchtungen waren indeß ganz überflüssig. Der Gram der Liebe, sagt man, vermindert die Schönheit nicht. Hiolm hatte auf seiner Insel ganz gut leben können, auch hatte er daselbst die Sorge für seine Person [69] keinesweges so ganz vernachlässigt, wie es wohl sonst die Bewohner von wüsten Inseln zu thun pflegen. Es war hier weder von langgewachsenem Barte, noch ausgezehrtem, sonnenverbrannten Gesichte, noch von trüben, verloschenen Augen die Rede. Er strich sich die dunkeln Locken, die seine Heldenstirn und die rosigen Wangen ein wenig beschatteten, aus dem Gesichte, wusch sich an dem Brunnen, gürtete das kostbare Schwert über den groben Kittel, und machte so eine zwar etwas seltsame, aber nicht ganz uninteressante Figur. –

Wie kenntlich er war, das bewies das Erstaunen der schönen Thulis, welcher er bei ihrer Rückkunft aus dem Garten gerade entgegen trat, und die bei seinem Anblicke laut aufschrie.

»Wie?« rief sie, »Hiolm von Seeland? In dieser Verkleidung? zu dieser Stunde? Wo seid ihr bisher gewesen? Daß ihr noch am Leben wäret, muthmaßten wir erst vor Kurzem; aber euer Außenbleiben, euer ewiges Außenbleiben!«

»Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn ich noch länger weggeblieben wäre,« sagte Hiolm mit einiger Empfindlichkeit. »Einer Gattin, die sich für eine Witwe hält, und zur zweiten Ehe schreiten will, kann der Anblick des ersten Gemahls am Hochzeittage nie erwünscht sein!«

»Das werdet ihr gleich sehen,« erwiederte sie. »Ich eile, euren Namen der betrübten Braut zu nennen.«

Da Hiolm von dem ungestümen Wesen der Prinzessin der Schneeinsel, das er sehr wohl kannte, Nachtheiliges [70] fürchtete, so rieth er ihr Vorsicht und Behutsamkeit an; aber diese löblichen Tugenden waren bei solcher Veranlassung weder von ihr, noch von ihrer Freundin zu verlangen. Edda saß am Putztische, als ihr die athemlose Thulis den Namen ihres verlornen Gemahls nannte, und das Entzücken übermannte die treue Gattin so sehr, daß sie, den kaum halbvollendeten Anzug, den königlichen Anstand und alle andern Bedenklichkeiten ganz aus den Augen setzend, mit aufgelößtem Haar, mit unbedecktem Busen, mit fliegendem Gewand ihrer Freundin nach, in den Marmorhof hinabeilte, wo sie den einzig Geliebten, den so schmerzlich Vermißten wiederfinden sollte.

Wie schön war sie in der Unordnung, mit welcher sie sich ihrem Hiolm in die Arme stürzte! wie schön in den Thränen der Liebe, die sie an seinem Busen vergoß! – Das ganze Hofgesinde versammelte sich, um das seltsame Schauspiel, wie sich die königliche Braut mit einem Wasserträger küßte, mit anzuschauen; auch kamen die drei Könige, der von Scandinavien, der Erlkönig und der alte König von Thule auf dem Balcon zum Vorschein, um zu sehen, was es gäbe. Sie hatten gehört, wie die beiden Damen die Treppen hinabstürzten, sie vernahmen nun das Getümmel unten im Hofe, und verließen voll Neugier die vollen Pokale, bei welchen sie immer saßen, um sich einen Anblick zu verschaffen, der wenigstens zweien von ihnen nicht erwünscht sein konnte.

Der König von Scandinavien rieb sich die Stirn,[71] der Erlkönig sprühte Funken, und nur der gute alte König der Schneeinsel hielt es für gut, sich nicht eher zu erzürnen, als bis er von der Sache näher unterrichtet wäre. Der Name Hiolm, welcher tausendmal aus dem Munde der entzückten Gattin tönte, löste sehr bald das ganze Räthsel, aber die Sache gut zu machen, war er nicht hinlänglich; bei dem Erlkönige diente er nur dazu, sie noch mehr zu verschlimmern. Seltsame Dinge würden erfolgt sein, wenn der weise Greis, der viel über den heftigen Geisterfürsten vermochte, nicht ein Wort im Ernste mit ihm geredet, und dann hinabgegangen wäre, die vierte Person bei dem seltsamen Schauspiele abzugeben.

Da sich die Identität des wiedergekommenen Gemahls nicht bezweifeln ließ, so kam gegen Abend unter Vermittlung des Königs von Thule ein Vergleich zu Stande, mit welchem alle Theile zufrieden waren, oder zufrieden sein mußten. Daß Hiolm und Edda ungetrennt blieben, forderten alle göttlichen und menschlichen Rechte. Der König von Scandinavien entsagte seiner Braut, weil ein Anderer frühere Rechte auf sie hatte, und er that es mit der besten Art von der Welt; denn er war keinesweges der böse Fürst, wie ihn Edda, deren kleiner Eigensinn ihr manchmal einen Streich spielte, ehemals ihrem Hiolm geschildert hatte. Der Erlkönig schwieg, weil er besorgte, Hiolm möchte ihn sonst der meuchlerischen That laut anklagen, in Folge deren alle diese Verwirrungen entstanden waren; aber sein Widerwille gegen diese Verbindung [72] mit einem gemeinen Sterblichen, der weder Krone noch Thron hatte, war auch in seinem Schweigen nicht zu verkennen.

Der König von Thule durchschaute ihn ganz, und da er ihn gern zufriedenstellen und das Entzücken des jungen Ehepaares noch vermehren wollte, so begann er folgendermaßen: »Ist der Held, Hiolm von Seeland,« sagte er, »zu gering, der Eidam des Königs der unbewohnten Inseln zu werden, so wird Hiolm, der Erbe des Thrones von Thule, vielleicht glücklicher sein. Die Gesetze meines Reiches schließen meine Tochter von der Thronfolge aus. Sie wird die Krone tragen, die ihr künftiger Gemahl ihr zubringt; die meinige muß ich einem Fremden überlassen. Wohlan, so sei Hiolm dieser Fremde! Er ist es zwar weder meinem Herzen noch meinem Volke, er hat sich um das eine schon so verdient gemacht als um das andere, und ich hatte ihm auch diese Belohnung schon früher zugedacht, als alle diese Dinge sich ereigneten. Heil! Heil dem künftigem König von Thule! dem Retter meiner Tochter und meines Landes! dem glücklichen tapfern Hiolm von Seeland!«

In den Ruf des guten Königs stimmten alle Großen der Schneeinsel ein, welche gegenwärtig waren, die Liebenden sanken ihm zu Füßen und nannten ihn Vater, der Erlkönig gab sich zufrieden, und der König von Scandinavien, um auch etwas Ruhmwürdiges zu thun, befahl, daß das Fest der Wiedervereinigung Hiolms und seiner [73] Edda diesen Abend mit eben der Pracht gefeiert werden sollte, als wäre es sein eignes Hochzeitfest.

Alles war nun Wonne, alles Entzücken! Der Palast tönte wieder vom Freudengeschrei, und als die Nacht einbrach, erschufen tausend angezündete Kerzen einen künstlichen Tag. Man setzte sich zur Tafel, und der König von Scandinavien überließ Hiolm von Seeland gern den Platz neben seiner Edda, denn er hatte den Seinigen neben der schönen Thulis genommen. Man lachte, man scherzte, man ließ die goldnen Pokale fleißig herumgehen, und dachte sich tausend Meilen weit vom Unglück entfernt, als es auf einmal die eiskalte hand nach den Kindern der Freude ausstreckte.

Die Gäste starrten pötzlich zu gleicher Zeit auf eine Stelle, und das, was sie erblickten, schien einen allgemeinen Schrecken, dessen Grund man sich selbst nicht ganz erklären konnte, zu verbreiten. Mitten im Saale, der frohen Tischgesellschaft gegenüber, stand ein Mann, man wußte nicht, wer er war, man wußte nicht, woher er kam. – Er nahte sich mit feierlicher Langsamkeit dem obern Theile der Tafel, wo Edda mit ihrem Gemahl saß. »Kennst du mich, Hiolm von Seeland?« sprach er, »ich bin der, durch dessen Hülfe du das gegenwärtige Entzücken genießest. Ich komme, meinen Lohn zu fordern; erinnere dich, daß du mir gestern die Hälfte des Liebsten, was du besitzest, versprochen hast!«

»Fordere,« sagte Hiolm, der sich nichts Arges versah, »fordere, ich bin bereit mein Versprechen zu halten. [74] Ich bin jetzt so reich, daß ich dir leicht die Hälfte meiner liebsten Schätze abtreten kann, ohne darum zu verarmen!« »Wohlan,« entgegnete der Unbekannte, »ich weis, daß dir auf dieser Welt nichts theurer ist, als dieses Weib und dieses Kind; ich will nicht grausam sein, wähle du selbst, welches von beiden du behalten, und welches du mir überlassen willst. – Du zögerst? Kannst du das mir gethane Versprechen läugnen?«

Edda hatte die ganze Zeit über in stummen Entsetzen dagesessen, und fand erst jetzt Worte, ihre Verzweiflung auszudrücken.

»Ein solches Versprechen konntest du thun?« fragte sie, indem sie sich zu Hiolm wandte. »Und kanntest du den, dem du es gabst? – O Hiolm! Hiolm! unvorsichtiger, blödsinniger Sterblicher! wie recht hatte ich, dir ehemals das, ›hüte, hüte dich!‹ zuzurufen. Es ist der Fürst der Insel Mona, unser alter Feind, in dessen Fallstricke du gerathen bist, vor welchem ich dich warnte, und nun, welche Macht soll dich retten? Du ziehst mich und meinen Sohn mit dir in den Abgrund hinab! Wir sind alle verloren!«

Hiolm war bei dieser Rede seiner Gemahlin mehr todt als lebendig. Allgemeines Entsetzen bemächtigte sich der ganzen Versammlung. Einige klagten laut über das kurze Glück der beiden wiedervereinigten Gatten, andere, die die Macht des Fürsten der Insel Mona nicht kannten, drohten, und noch andere boten ihm Schätze, Länder und Kronen an, um ihn zu befriedigen. Er wies Alles zurück, [75] und beharrte auf seiner Forderung. »Ich wußte wohl,« rief Edda weinend, »daß du nicht eher ruhen würdest, bis du mich zur Vergeltung für einst verschmähte Liebe gränzenlos unglücklich gemacht hättest! O Gott! wen wird nun das Loos des Elendes treffen, mich? oder dies unschuldige Kind?«

»Es ist mir lieb,« sagte der Furchtbare, »daß du die Ursache meiner Rache und die Rechtmäßigkeit derselben erkennst; doch würde die schöne Edda sehr irren, wenn sie glaubte, ich geizte noch nach ihrem Besitze. Um sie von dem Gegentheile zu überzeugen, erkläre ich sofort, daß ich sie gern ihrem Gemahle überlasse, und mit diesem Kinde, das mir gefällt, zufrieden sein will. Lebt wohl, und denkt nie an das Wiedersehen!«

Mit diesen Worten bemächtigte er sich des kleinen Hiolm, den seine weinende Mutter vergebens in ihren Armen fest zu halten strebte, und den ihr Gemahl, dem schon vor dem Verluste seiner Geliebten bange gewesen war, zwar mit Schmerzen, aber doch einigermaßen getröstet, in der Gewalt des Unerbittlichen sah.

»Tröste dich, Edda,« sagte er, »dieser Mann wird unserm Kinde kein Leid zufügen. Ob er der von dir so sehr gefürchtete Fürst der Insel Mona ist, weiß ich nicht, aber wohl weiß ich, daß er es ist, der mich zweimal dem Tode entriß und dem ich deine Wiedererlangung danke; ich kann nicht glauben, daß wir von ihm großes Unheil zu befürchten haben!«

»Ist dies deine ernstliche Meinung von mir?« fragte [76] der Fremde. Als Hiolm dies bejahte, fuhr er fort: »Nun so höre, was ich dir noch zu sagen habe: War ich dein Lebensretter, so warst du auch der meinige. Als diese grausame Prinzessin, und dieser blutgierige Tyrann, dieser Erlkönig, mir wegen meiner Liebe zu einer Undankbaren das Leben raubten, da warst du es, der es mir wiedergab, indem du mei nem Leichnam eine Hand voll Erde gönntest. Ich hatte dir Dankbarkeit, ihr Rache gelobt, und ich dachte dieses Gelübde zu gleicher Zeit zu erfüllen. Ich veranstaltete, daß ihr einander sahet. Liebe entglomm in euren beiden Herzen, – Liebe eines ätherischen Mädchen, Liebe eines gemeinen Sterblichen! Was konnte wohl Wirksameres erdacht werden, den einen zu erheben, die andere zu erniedrigen? Meine Hand war in der Folge überall bei Lenkung eures Schicksals mit im Spiele. Es ist mir so ziemlich geglückt, diese stolze Schönheit zu demüthigen, und ich leugne nicht, daß ich oft noch Schlimmeres mit ihr im Sinne hatte, als mir die Dankbarkeit gegen Hiolm auszuführen erlaubte. Mein Herz erweichte sich indeß nach und nach gegen die Undankbare, und völlig war es ausgesöhnt, als neue Liebe mich die alte, und die damit verbundene Rache vergessen ließ.

Ja, Edda, ich fühle es, ich liebe, aber nicht mehr dich, nein, deine sanfte, gutmüthige, unschuldige Freundin, die schöne Thulis. Mein heimliches Einverständniß mit Hinrich von Röschild ist euch bekannt. Sein Verstand war zu plump, als daß ich von ihm hätte völlige [77] Befriedigung meiner Wünsche hoffen können; vielleicht war auch eine höhere Hand zu Eddas Rettung geschäftig! Anstatt, daß Hinrich mir die grausame Geliebte in die Hände hätte spielen sollen, brachte er sie an einen Ort, wo ich mich nur an ihrem Anschauen ergötzen durfte. Als ich nun einst auf die Erleninsel kam, mich an Eddas Schönheit zu weiden, sah ich die holde Thulis, und fand durch sie jeden andern Reiz verdunkelt. Sie ist gegenwärtig der Gegenstand aller meine Wünsche, und kann sie sich entschließen, den König von Scandinavien mir aufzuopfern, so gebe ich euch sofort euer Kind zurück; ich hatte nichts Böses mit ihm im Sinn, ich wollte es zum Erben der Insel Mona, zum Eigenthümer der Inseln des stillen Meeres machen, die jetzt mir gehören. Aber was bedarf ich fremder Kinder, da Thulis, die schöne Thulis, mir Söhne geben kann?«

Aller Augen richteten sich bei diesen Worten auf die Tochter des Königs von Thule, die in sittsamer Verlegenheit an der Seite des Königs von Scandinavien saß, und kein Wort vorbringen konnte. Hiolm und Edda hingen an ihr mit bittendem Blick, sie wollten von ihrem Entschlusse den Besitz des kleinen Hiolm und die Freundschaft des mächtigen Fürsten der Insel Mona erflehen. Der König von Scandinavien zitterte; denn im Geheimen hatte er die schöne Thulis zu Eddas Stellvertreterin erkohren. Sein Glück stand hier abermals auf dem Spiele, und wenn es schon für den gemeinsten Sterblichen keine Kleinigkeit ist, in einem Tage zwei Bräute [78] zu verlieren, um wieviel mehr mußte ein solcher Verlust einem Fürsten schmerzen, der gewohnt war, Alles sich seinen Wünschen oder Befehlen fügen zu sehen.

Thulis zögerte, zu antworten; ach, ihr Herz hatte bereits nur allzulaut für ihren königlichen Bewerber gesprochen. Er war jung, schön und liebenswürdig, der Fürst der Insel Mona ernst, still und feierlich, und überdies ein Wesen höherer Art, mit dem nicht leicht ein Erdenmädchen gern eine Verbindung eingehen wird. Ihre Blicke wanderten ängstlich von dem kleinen Hiolm, der noch in den Armen des Furchtbaren zitterte, auf ihre Freundin Edda, aus deren Augen die Thränen häufig hervorstürzten. Ihr Herz wurde bewegt, sie gedachte des Freundschaftsbundes, den sie mit Edda geschlossen, gedachte der vielen Aufopferungen, durch die sie ihrer Freundin bisher ihre Liebe bewiesen hatte, und wollte es nicht an der letzten und größten fehlen lassen, die andern alle zu bekrönen.

Noch ein Seufzer für den König von Scandinavien, ein fragender Blick auf den König von Thule, und dann der heldenmüthigste Entschluß, dessen sich je ein Mädchen rühmen konnte, Aufopferung der liebsten Wünsche, um eine Freundin glücklich zu machen.

Sie stand auf; Niemand war, der ihre edle Absicht verkannte, am wenigsten der Fürst der Insel Mona, über dessen Gesicht sich eine seltene Heiterkeit verbreitete, und der die Bewegung, welche die großmüthige Thulis machte, für eine Aufforderung ansah, den kleinen Hiolm seiner Mutter wieder zu geben. Der König von Thule legte die Hand [79] seiner Tochter in die Hand des künftigen Schwiegersohnes, der ihm weniger mißfiel, als der zitternden Thulis. Glückwünsche, Ausrufungen des Beifalls, Danksagungen und Liebesversicherungen folgten jetzt so rasch hintereinander, daß man sich am Ende gar nicht mehr verstehen konnte.

Niemand spielte bei dem ganzen Handel eine traurigere Rolle, als der gute König von Scandinavien. Er ergriff indeß die klügste Partie, und that, da es zwischen ihm und seiner zweiten Geliebten noch nicht zu wörtlicher Erklärung gekommen war, als ginge ihm die ganze Sache nichts an. Einige behaupten sogar, er sei der erste gewesen, der die Gesundheit des neuen Brautpaares ausgebracht habe.

Das Fest wurde mehrere Tage mit allem möglichen Glanze auf Kosten des großmüthigen Königs von Scandinavien fortgesetzt. Während die meisten Gäste sich auf dem Gipfel des Entzückens befanden, gab es indeß auch einige, die die allgemeine Freude nicht theilten. Thulis, die so große Opfer gebracht, gehörte Anfangs zu diesen, doch söhnten Vernunft und Ueberlegung, so wie die heissen Danksagungen ihrer Freunde sie bald mit ihrem großmüthigen Entschlusse aus. Liebe und Dankbarkeit verschönerten ihren Gemahl mit der Zeit in ihren Augen. Was ihn an jugendlicher Anmuth abging, das ersetzte sein weiser Ernst, und der hohe Rang, den er in der Reihe der Wesen behauptete. In seinen Armen konnte sie sich Hoffnung auf Unsterblichkeit machen, während die gute Edda durch ihre Verbindung mit einem Sterblichen freilich der Vergänglichkeit entgegen reifte.

[80] Zwar genoß die Tochter des Erlkönigs lange Zeit das Glück der Liebe an der Seite ihres Hiolm, aber endlich, endlich kam doch die Zeit der Trennung. Sie entfloh der Erde früher als er, und gab ihm im Sterben jenes berühmte Geschenk, den goldnen Becher, den noch jetzt die Gesänge unserer Barden feiern.

»Gränzenlos wird dein Kummer sein, wenn du mich nicht mehr dich mit liebevoller Zärtlichkeit umschweben siehst,« sagte sie zu ihrem Hiolm, der damals schon längst die Krone von Thule trug. »Du würdest vergehen, wenn ich dir nicht ein Linderungsmittel lehrte! Nimm dieses goldne Trinkgeschirr; mit welchem Getränke es auch gefüllt sein mag, du wirst daraus Vergessenheit trinken, bis wir uns in seligern Gegenden wiederfinden, wo wir eines solchen betäubenden Mittels nicht mehr bedürfen.«

Der weinende Hiolm nahm das Geschenk seiner sterbenden Geliebten, brauchte es nach Vorschrift, und fand es probat; doch soll er es öfterer mit Wein als mit Wasser gefüllt, und sich dann allemal besser daraus gestärkt haben. Von ihm her schreibt sich die Gewohnheit der Erdensöhne bis auf unsere Tage, aus gefüllten Bechern Vergessenheit zu trinken.

Doch Hiolm trank nicht so viel, wie seine Nachfolger; Eddas Andenken war ihm zu theuer, als daß er hätte wünschen sollen, es ganz aus seiner Seele zu tilgen.

Er war derselbe König von Thule, der am späten Abend des Lebens, bei Annäherung des Todes, und nach geschehener Erbtheilung, nichts für sich behielt, als den [81] goldnen Becher. Bei dem letzten Feste der Schalen, das er auf seinem Schloß am Meer feierte, that er noch den Scheidetrunk aus dem heiligen Gefäß, warf es dann mit einer Thräne des Andenkens an die Geliebte hinab in die Fluthen, und – starb.

Mit ihm starb auch die Herrlichkeit von Thule; der junge Hiolm, den sein Großvater, der Erlkönig, als künftigen Thronfolger wenig von seiner Seite ließ, war nicht im Lande. Der Seeräuber Naddock kam von dem fernen Atlantis herüber, nahm Besitz von der verlassenen Schneeinsel, und verwandelte ihren Namen in Eisland, oder Island, unter welchem sie noch bekannt ist bis auf den heutigen Tag.

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TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Erlkönigs Tochter. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E7A-A