Erdmann und Marie, eine Legende von Rübezahl

Erster Abschnitt

Ungeachtet der Spukereien, welche der gefürchtete Berggeist in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, – in welche unsere Legende fällt – ungescheuter trieb als in unsern jetzigen lichtvollen Zeiten, wagte es doch einst ein kühner Mann, sich mitten in Rübezahl's Gebiet häuslich nieder zu lassen. Dieser Held war weder Kriegsmann noch Philosoph, weder Freidenker noch Geisterbanner, war nichts als ein schlauer, speculativer Gastwirth, dessen Gewinnsucht größer war als seine Furchtsamkeit, und der sich deshalb entschloß, in dem wüstesten, schauerlichsten Theile des Riesengebirges eine Wirthschaft anzulegen.

Der Einfall war so übel nicht, denn an begüterten Reisenden, welche diese Straße zogen, fehlte es nimmer, und die Freuden eines wohlbereiteten Mahles, nebst einem [1] bequemen Nachtlager, hatten für die Pilger, vornehmlich zu Anfang des löblichen Institutes, etwas so überraschend Angenehmes, daß man kein Bedenken trug, sie aufs theuerste zu bezahlen; auch die ärmeren Wanderer gaben für Sicherheit und Obdach, die sie hier so erwünscht vorfanden, willig etwas mehr, als man ihnen sonst bei ihrer sparsamen Zehrung mit Billigkeit hätte abfordern können, wie denn überhaupt Billigkeit die Sache unsers Gasthalters eben nicht war.

Die neuerrichtete Wirthschaft zog, wie alle neuen Dinge, mehr Pilger herbei, als vielleicht außerdem diese Gegend betreten haben würden; wüst und schauerlich war sie damals noch mehr als heut zu Tage – man weiß, was Jahrhunderte für Veränderungen auf der Erdrinde anrichten – und wer sonst vor dem bloßen Namen des Geistergebirges zitterte, wagte sich jetzt nur darum eher hindurch, weil man – Dank sei es der Kühnheit des Wirthes zum Riesen, – nun endlich fand, daß es nicht ganz unbewohnbar sei.

Das Hausschild, welches Meister Melchiors Hotel den Namen gab, war ein wichtiges Problem für Alle die es sahen; die Meinungen darüber waren unzählig, doch theilten sie sich in zwei Hauptclassen: die eine Hälfte der Muthmaßer hielt den schwarzen Giganten mit der Schürstange am Frontespiz des Hauses – Rübezahls leibhaftiges Ebenbild – für eine hohnsprechende Herausforderung des Originals, seine Identität zu beweisen, und prieß den [2] Mann, der so viel wagte. Die Andern sagten sich ins Ohr, jene ungeheure Figur sei nichts Geringeres als ein Meister Melchiorn vom Gebirgsherrn persönlich verliehenes Schutz- und Trutzbild, gleich einem kaiserlichen oder königlichen Wappen, um unter dessen Schirm zu handeln und zu wandeln, und das Monopol solches zu thun, gegen Jedermann zu behaupten.

Der Gastwirth, wie schon gesagt, ein schlauer Fuchs, wußte sich sehr geschickt in Alles zu fügen, was ihm von beiden Meinungen zu Ohren kam; gegen die Anhänger der ersten, – meistens starke Geister und Gespensterläugner, deren es selbst damals in den höheren Ständen nicht wenige gab, – nahm er das Ansehen eines Bravo an, der aller Furcht Trotz bietet, und bei den armen Pilgern aus dem niedern Volke, welche die zweite Klasse ausmachten, gewann er eben so viel, wenn er sie in dem Glauben erhielt, er sei der Vertraute und Begünstigte seines Territorial-Herrn.

Daß er dieses nicht war, das wußte Niemand besser als er; da er aber bei aller kühnen Wagniß, die wirklich in seinem Unternehmen lag, noch nicht vermerkt hatte, daß dasselbe von dem uralten Eigner des Bezirkes ungnädig aufgenommen würde, so war er ruhig, und begann sich endlich auf die Seite der Ungläubigen zu neigen und der verderblichen Meinung beizupflichten, daß der, welcher sich bei so viel gegebener Ursache zu strenger Ahndung, doch müßig erzeigte, nichts als ein Geschöpf der Phantasie [3] sei, an welches nur die Thoren glaubten; eine Art von Logik, die wirklich dem achtzehnten Jahrhunderte Ehre gemacht haben würde, und die Meister Melchiorn für das Seinige auf einen sehr eminenten Posten stellte.

Melchiors hoher Muth, der im Anfange seiner Wirthschaft nicht selten in kühne Worte und Werke ausbrach, dauerte indeß nur eine kurze Zeit, und schon im zweiten Jahre kam es dahin, daß er Rübezahls Namen, den er zuvor so oft profanirt hatte, nie nannte, des Nachts bei verschlossenen Thüren vor dem bloßen Gedanken an den Berggeist so gut zitterte, als der verirrte Wanderer draussen im wilden Gebirge, und daß er nicht selten davon sprach, wie die Nahrung immer schlechter zu werden beginne, und wie er nicht abgeneigt sei, die ganze Wirthschaft aufzugeben, und wieder wie andere Christen unter Menschen zu wandeln und zu wirken.

Diesen Versicherungen wurde jedoch keineswegs unbedingt Glauben geschenkt; namentlich berechnete das Hausgesinde allein aus den Trinkgeldern, daß die einsiedlerische Gasthalterei im Riesengebirge so gar uneinträglich nicht sein könne, und daß es also mit Melchiors veränderten Gesinnungen wohl seine verborgenen Bewandnisse haben möge. Ein Jeder hatte für die muthmaßlichen Geheimnisse seines Herrn eine eigne Erklärung. Der Eine behauptete, daß unserm Melchior, als er einst nach Schweidnitz geritten sei, um eine Bestellung von allerlei Wirthschaftsbedürfnissen zu machen, dicht vor der Stadt auf dem [4] kahlen Berge 1 Rübezahl in Gestalt einer Eule erschienen sei, von welchem er wohl Dinge erfahren haben möge, die er Niemand gestehen würde. Ein Anderer wußte, daß der vornehme Herr, der am letzten Feste hier abgestiegen und der von Niemand als von Meister Melchiorn selbst habe bedient sein wollen, die erste Veranlassung zu den Dingen gegeben, die man sich nicht erklären könne; denn als der dienstfertige Gastwirth selbst Hand angelegt habe, dem hohen Reisenden den Stiefel auszuziehen, so sei ihm nebst demselben der ganze hochgräfliche Fuß in den Händen geblieben, und am andern Tage, bei Ueberreichung der Morgensuppe, habe er den Grafen ohne Kopf im Bette liegend gefunden. Obgleich nun der Fremde, Kopf und Fuß, die aus Versehen bei der Toilette vergessen worden waren, schnell wieder angelegt, und wegen der unziemlichen Gestalt, in welcher er sich betreffen lassen, höflichst um Entschuldigung gebeten habe, so wäre doch der Eindruck von solchen Seltsamkeiten nicht bei Jedermann so leicht zu verwischen, und man könne die Niedergeschlagenheit, welche Herr Melchior seit diesen Geschichten blicken ließe, so sehr eben nicht bewundern.

»Ihr möget sagen was ihr wollt,« rief eine von den Mägden, »so ist der schlimmste Possen, welchen ihm der Herr von Berge – Gott bewahre mich, daß ich ihn nicht [5] beim rechten Namen nenne! – gespielt hat, immer der, welcher vor einem halben Jahre bald uns allen, wie wir hier versammelt sind, das Leben gekostet hätte. Frau Else hat mir im Vertrauen gestanden, daß jene Feuersbrunst, die durch die Wachsamkeit des wackern Erdmann noch zeitig genug gedämpft wurde, aus ihres Vaters Chatoulle losgebrochen sei. Heiliger Andreas! nachdem sich der Herr so oft an Rübezahls glühenden Thalern die Hände verbrannt, so hätte er doch wohl so klug sein sollen, dergleichen Teufelswaare nicht in einen hölzernen Kasten zu legen.«

»Metten,« erwiederte einer von den ältesten Knechten »eure Reden sind kühn und verwegen, und ihr bedenkt nicht, daß der, den wir alle ungern nennen, nicht gleich andern Geistern an Zeit und Ort gebunden ist, daß er sowohl drei Stunden nach Sonnenuntergang als um Mitternacht und in Zwielichten, sowohl in der verriegelten Gesindestube als auf seinen Bergen sich zeigen kann; und was wollen wir thun, wenn in diesem Augenblicke – – – –«

»O schweige, schweige!« riefen Alle und das Gespräch hatte ein schnelles Ende; indessen trug es, so wie seine Vorgänger und Nachfolger, viel dazu bei, die Hausgenossenschaft in beständiger Scheu vor einem Wesen zu erhalten, welches eben darum, weil es allen unbekannt war, ihnen desto fürchterlicher dünkte.

In Meister Melchiors Hause diente unter andern ein junger Knecht, – eben jener Erdmann, dessen Metten[6] bei Gelegenheit der Feuersbrunst mit Ehren gedacht hatte. Ein rüstiger Bursche von neunzehn Jahren, auf welchen der Hausherr sehr viel hielt, ohne ihm jedoch thätige Beweise seines Wohlwollens zu geben, und welchen alle Weiber des Hauses, von Melchiors Tochter, Frau Elsen an, bis auf die schmutzige Küchenmagd Metten, gern sahen, ohne daß sie ihm abmerken konnten, ob er auch eine von ihnen gern sähe. Erdmann war fleißig und unverdroßen bei der Arbeit, – wie weiland Rübezahl selbst, so lange er als Ackerknecht diente, – kühn und furchtlos, als ob er weder an Gespenst noch Teufel glaubte, und vorsichtig in Worten und Werken, als ob er sich überall unter Geistergewalt fühlte. Die übrige Dienerschaft im Gasthofe hatte sich schon dreimal verändert, und Erdmann hielt bei geringem Lohne noch immer unter Melchiors wunderlicher Herrschaft aus. Es gab Stunden und Zeiten, wo Niemand vom Gesinde sich getraute, nur Wasser aus dem nächsten Felsenbrunnen zu holen; dem muthigen Erdmann war Tag für Nacht gleich. Seit Jahr und Tag zog Meister Melchior nicht mehr nach Schweidnitz, um Vieh für seine Küche einzukaufen, oder nach Hirschberg, um seine dort durchpassirenden Weine frei zu machen, aber Erdmann lag unablässig, zu Roß oder zu Fuß, auf der Straße, besorgte was ihm aufgetragen ward, gut und treulich, und hatte in Summa das ganze Departement der auswärtigen Angelegenheiten unter sich. Trotz allem Eifer konnte er dennoch Meister Melchiorn nichts zu Danke machen und wenn er auch sein Geschäfte bestens besorgt hatte, so wurde [7] er doch bei der Nachhausekunft regelmäßig getadelt, erhielt schlechte Kost, – denn da er selten zu gehöriger Tafelstunde im Hause war, so bekam er immer nur das Uebergebliebene – und nur Frau Else war es, die ihm zur Entschädigung für alle diese Unbilden holde Blicke zuwarf. Niemand wußte, was ihn noch in dem Hause, wo so viele Mühseligkeiten, so wenig Nutzen auf seinen Antheil kam, fest hielt, wenn es nicht die schönen Augen ebengedachter Dame waren. Aber welche Wahrscheinlichkeit, daß ein blühender Jüngling, wie Erdmann, eine fast dreißigjährige, wohlbekinderte Wittwe beachten sollte, die überdieß in Gestalt, Anstand, Thun und Wesen, mehr Aehnlichkeit mit einem pariser Fischweibe, als mit dem Ideale hatte, mit welchem jeder junge Mensch, von dem Prinzen bis auf dem Hirtenknaben, sich hinsichtlich der ersten Liebe zu schmeicheln pflegt!

Wenn Leidenschaft für diese Rahel es nicht war, was dem armen Erdmann seine saueren Dienstjahre leicht machte, wenn der Gedanke, Frau Else daheim zu sehen, ihm nicht seine mühseligen Reisen versüßte, so mußte seine Geduld, wie jede andre Tugend, ihren eignen Lohn mit sich führen, der nicht Jedermann in die Augen fiel. Und in der That, so war es; was uns davon kund geworden ist, wollen wir unsern Lesern mittheilen.

Der junge Knecht Meister Melchiors zog seit geraumer Zeit nicht leicht den Weg durch das Gebirge, ohne einen Anblick zu haben, der ihn gleich das erstemal mit innigem Wohlbehagen erfüllte, und der ihm in der Folge [8] so theuer ward, daß er ihn nie ohne Schmerzen missen konnte. – Wenn er den engen Bergweg herab in die Gegend des Rumpelbrunnens kam, aus dessen Schooße sich die Weistritz ins Thal ergießt, da zeigte sich immer nah oder fern eine holde weibliche Gestalt, die Alles in sich vereinigte, was nur zu Erdmanns einfachen Vorstellungen von weiblicher Vollkommenheit paßte. Schön war die Dame so wenig, als stolz und vornehm gekleidet, blendende Reize sowohl, als blendende Tracht, würden die Augen des Jünglings eher zurückgeschreckt als angezogen haben. Ein junges, wohlgewachsenes Mädchen, mit der Blüthe der Gesundheit auf den Wangen, und dem Blicke der Unschuld und Gutherzigkeit im Auge, in einer Kleidung, welche Armuth verrieth, die unter Reinlichkeit und ein wenig weiblichem Hange zum Putze sich versteckte; – ein solches Mädchen war es, die Erdmanns Augen nach und nach so fesselte, daß er sie von dem Gegenstande seiner Liebe weder losreißen konnte noch wollte.

Geraume Zeit glaubte Erdmann, daß jenes Mädchen in dieser wüsten Gegend wohne, und als ihm Jedermann versicherte, daß Niemand hier hause, hielt er sie gar so lange für ein neckendes Gespenst, bis er sie einst vor sich her den Weg nach Schweidnitz gehen sah. Aus der Eile, mit welcher sie nach der Stadt zutrippelte, schloß er, daß sie dort zu Hause gehöre und im Näherkommen überzeugte ihn die Festigkeit ihrer Figur bald, daß hier von keiner täuschenden Geistergestalt die Rede sei.

Einholen konnte er sie diesesmal nicht, aber an einem [9] der nächsten Tage, da er des Weges zog, war er glücklicher; er trabte vor ihr vorbei, zog seinen Hut und wünschte einen guten Abend. – Der Anfang war gemacht, man wurde bekannter und Erdmann wagte schon bei dem nächsten Zusammentreffen eine Bemerkung über das Wetter. Nur einsilbig wurde sie von dem schüchternen Mädchen beantwortet, und als Erdmann einige Wochen später, nach mehreren Begegnungen, sich die Frage erlaubte, ob er der Jungfer, da der Weg so böse sei und sie Beide einen Weg gingen, wohl seinen Arm und seinen Stab anbieten dürfe, so erfolgte von ihrer Seite ein deutliches, klares Nein. –

Erdmann konnte nicht begreifen, weshalb er abgewiesen wurde, und frug daher nach dem Grunde ihrer Weigerung.

»Ich diene,« sagte das Mädchen, »bei einer Herrschaft, die es mir nicht verzeihen würde, wenn ich mich von einem jungen Gesellen auf der Straße führen ließe.«

»Ihr dient? und bei wem?«

»Bei einer Herrschaft, die nicht viel reicher ist als ich. Meine Frau und ich ernähren uns mit Spinnen.«

»Und welches Geschäft treibt euch so oft in diese wüste Gegend?«

»Ich trage unsere Arbeit zu den Klosterjungfern im Walde.«

»Aber der Ort, wo ich euch so oft sah, liegt ziemlich abwärts vom Marienkloster.«

[10] Das Mädchen erröthete, und sprach nach einer kleinen Pause von dem guten Flachse, den man in dem Dorfe jenseit des Gebirges habe, und von welchen sie ein ziemliches Bündel unter dem Arme trug. Indem sie dies mit großer Bereitwilligkeit aufknüpfte, schien sie sich dadurch bei unserm Erdmann vor jedem Verdachte einer Unwahrheit schützen zu wollen und ihm somit gleichsam ein Recht, sie auszuforschen, zuzuerkennen.

Das Gespräch, das nun schon soweit geführt hatte, konnte nicht so schnell abgebrochen werden. Erdmann erfuhr von seiner Begleiterin noch Manches, erfuhr unter Andern, wie sie an den beiden Hauptpersonen des vorhingenannten Jungfernklosters, nämlich an der Schutzheiligen und an der Domina, ein paar hohe Patroninnen habe, indem die Erste ihre Namensschwester sei, und die Andere, eine Gräfin von Würban, oft selbst mit ihr zu reden pflege und ihr jüngst gar Hoffnung gemacht hätte, sie könne einst als Aufwärterin in dem von ihren Vorfahren 2 gestifteten Kloster aufgenommen werden.

In Folge dieser so sehr ausgesponnenen Unterhaltung erlangte Erdmann ungefragt das, was man ihm Anfangs geradezu abgeschlagen hatte, nämlich die Ehre seine Dame zu begleiten. Zwar bediente sie sich weder seines Armes, noch seines Wanderstabes zur Erleichterung des bösen Weges, [11] duldete es aber doch, daß er gemächlich neben ihr herschlenderte, und verabschiedete ihn erst diesseit des letzten Berges, welcher die Stadt versteckte, weil Erdmann in dem niederen Theile von Schweidnitz seine Geschäfte hatte und sie angeblich in der Oberstadt wohnte.

So wußte nun also Erdmann viele wichtige Dinge von der Person, die seine Gedanken seit einiger Zeit so sehr beschäftigte; auch waren ihm Mariens entfernteste und höchste Hoffnungen bekannt, die sich auf die Gnade und Versprechungen der Aebtissin des Marienklosters gründeten. Gerade dieser Theil von der erhaltenen Kunde war es jedoch, der ihm am wenigsten behagte. In dem Gedanken, der hübschen Schweidnitzer Spinnerin einst nicht mehr auf seinen einsamen Wanderungen zu begegnen und sie wohl gar in irgend einem Kloster, und wäre es das Vornehmste von der Welt, als Nonne zu wissen, lag für ihn so viel sein Herz Beängstigendes, daß er immer trauriger ward und nicht eher einige Beruhigung verspürte, bis er Marien, die er mehrmals vergebens aufgesucht hatte, wieder begegnete, und mit ihr von der Sache sprechen konnte.

Erdmann traf jetzt zwar oft mit Marien zusammen, und hätte Alles weitläuftig mit ihr bereden können, was ihm auf dem Herzen lag, aber er wußte selbst nicht recht, wie er es einkleiden sollte; auch fehlte es ihm, so bald er sie sah, an Muth, nur den zehnten Theil von dem auszusprechen, was er sich, wenn er sie nicht sah, ausgedacht hatte. Die schöne Jahreszeit ging darüber hin, [12] und es kam der Winter, in welchem er zwar den mühseligen Weg über das Gebirge in den Geschäften seines Herrn oft machte, aber Marien niemals erblickte.

Der Dienst bei dem wunderlichen, selten mit sich selbst einigen Meister Melchior ward immer schwerer; der größte Theil des Hausgesindes konnte es nicht länger aushalten, und der einsame Gasthof sah wiederum einmal lauter neue Gesichter. Die Abgehenden riethen unserem Erdmann, ihrem Beispiele zu folgen, aber er wußte wohl warum er blieb; der harte Winter war ja nun fast überstanden, und es nahte der Frühling, wo mildere Witterung ihm Hoffnung gab, seine gute Freundin wieder auf den bekannten Wegen zu treffen. Oft fürchtete er freilich auch, daß Marie vielleicht auf immer für ihn verloren sein könnte, daß sie den Ort ihres Aufenthalts verändert, ins Kloster gegangen, oder gar gestorben sein könnte. Denn seltsam war es, daß er, der Schweidnitz so genau kannte, bei allen seinen Streifereien durch die Stadt, bei allen Bemühungen, sie aufzufinden, sie weder am Fenster, noch auf der Straße, noch endlich in der Kirche erblickte, und allemal traurig und hoffnungslos heimkehren mußte.

Das Frühjahr kam; die Tannen und Fichten des Riesengebirges kleideten sich in helleres Grün, der Erdboden schmückte sich mit blühenden Gesträuchen, auf den Spitzen der Berge begann der Schnee zu schmelzen und die Weistritz sprudelte entfesselt aus ihrer Höhle; die meiste Zeit des Jahres ein stiller, friedlicher Bach, der den [13] Waldnymphen einen klaren Spiegel vorhielt, – jetzt durch die fremden Gewässer, die sie in ihren Schoos aufnahm, ein fürchterlicher Strom, welcher der ganzen umliegenden Gegend Verheerung drohte.

Erdmann kannte die Tücke dieses falschen Wassers, das oft in wenig Stunden stieg und fiel, und den unvorsichtigen Wanderer ins Verderben riß, aber er wußte sich zu hüten. Er scheute keinen Umweg, um die Gegenden zu vermeiden, wo an einer ausgetretenen Stelle der Wiederschein der Berge den nahen Grund vorspiegelte, und wo der, welcher es wagte, hindurch zu waden, sein Grab fand; auch vermied er die schlüpfrigen, dem Anscheine nach nur mit wenig Wasser bedeckten Stege und den von den heimtückischen Fluthen ausgewaschenen Rand des Weges, der den Strom entlang mit täuschendem Grün prangte, und oft von dem leisesten Fußtritte einstürzte und den Wanderer in die Fluthen begrub.

Nie hatte sich Erdmann weniger nach Mariens Begegnung gesehnt, als in dieser Zeit. Ach! seufzte er, wenn sie noch lebt und in dieser Gegend weilt, so möge sie doch ja ihr guter Engel vor Gefahren schützen, die sie entweder nicht kennt, oder die für sie fast unvermeidlich sind!

In solchen Gedanken ging er einst an der Stelle vorüber, wo er Marien im vorigen Jahre so oft getroffen hatte, ohne eigentlich von ihr erfahren zu können, was sie hier mache. Die alten Bäume, welche damals die Höhle beschatteten, aus der sich die Weistritz sonst als ein kleiner Bach hervordrängt, standen jetzt bis fast an die [14] Wipfel in der Fluth; das Ganze war eine große, unabsehbare Wasserfläche, auf welcher hier und da ausgerissene Felsstücke, hergeschwemmtes Holz, oder andere Merkmale von der Gewalt des Stromes schwammen. Mitten unter mancherlei Trümmern schwebte eine kleine Masse, wie ein Häufchen blendender Schnee; Erdmann stützte sich auf seinen Stab, und schaute von der sichern Anhöhe, auf welcher er stand, in die Tiefe hinab, auf den kleinen hellen Punkt, der, er wußte selbst nicht warum, sein einziges Augenmerk war. Jetzt trieb die Fluth den weißen Punkt einer Gegend zu, wo das Wasser einen schnellen Abfall nahm, – da erkannte Erdmann deutlich eine Menschengestalt, erkannte, ach! – Mariens blendend weißes Gewand, und das blaßrothe Band, womit sie es aufzuschürzen pflegte.

Beinahe hätte sich der arme Erdmann in der ersten Verzweiflung in die Fluthen gestürzt; nur der Gedanke, hier sei vielleicht noch Rettung möglich, verhinderte eine rasche, unglückliche That. Ohne zu wissen wie, ehe er noch überlegen konnte, was hier zu thun sei, war er schon unten, wo der Strom in niedrigern Ufern ging, hatte die schnelle Fluth eingeholt, und wartete an einer Stelle, wo das Ufer das Wasser einengte, um die Schwimmende, die er nun in der Nähe ganz deutlich für Marien erkannte, mit einem unterweges aufgegriffenen Baumaste anzuhalten und auf das Ufer zu ziehen. Es galt Lebensgefahr, ehe dieses glückte, allein was ist der Liebe unmöglich? Auch schien ihn eine unsichtbare Hand zu unterstützen [15] und mit ihrer Hilfe lag das geliebte Mädchen bald gerettet auf dem grünen Boden, in der milden Frühlingssonne. Ja, gerettet! denn nachdem der erfahrene Erdmann Alles versucht hatte, was in jenen Zeiten zur Rettung der Ertrunkenen angewendet wurde, schlug sie die Augen auf, und erholte sich in kurzer Zeit so völlig, daß ihr Schutzengel es wagen konnte, sie zum Weitergehen aufzufordern, obgleich er noch nicht wußte, wohin sie sich wenden sollten. Das schwache Mädchen in ihren nassen Kleidern nach ihrer Wohnung in die Stadt zu bringen, schien unmöglich; das Wirthshaus zum Riesen war zwar näher, aber Erdmann kannte seine Herrschaft zu gut, als daß er sich für seine Gefährtin eine freundliche Aufnahme hätte versprechen können. Herr Melchior war hart und geizig, und Frau Else unfreundlich und eifersüchtig gegen jedes erträgliche Mädchen, welches die Aufmerksamkeit dessen erregen konnte, auf den sie allmählig sehr ernstliche Absichten zu äußern begann. Nicht die geringste Handreichung hätte Marie von ihr zu hoffen gehabt, und alle Wünsche Erdmanns gingen nur dahin, sein blasses, zitterndes Mädchen heimlich ins Haus zu bringen, und daselbst von den Mägden, die ihm gewogen waren, einige trockene Kleidungsstücke und etwas warme Suppe für Marien zu erbitten, damit er sie am andern Tage, vor Aufgang der Sonne, mit einer sich darbietenden Gelegenheit in ihre Heimath schaffen könnte. – Bei diesem in der Stille gefaßten Entschlusse blieb es. Marie kam durch das Hinterpförtchen ins Haus, [16] Metten wärmte und trocknete sie in ihrem schmutzigen Bette, und vor Tagesanbruch, ehe Frau Else im Hause zu rumoren begann, hatte Marie schon auf einem sichern Fuhrwerke den halben Weg nach Schweidnitz zurückgelegt. –

Daß dieses Abenteuer die beiden jungen Leute einander näher brachte, als sie es zuvor waren, läßt sich errathen. Mariens Herz floß von Dankbarkeit gegen ihren Retter über, und Erdmann bekam Muth, von Manchem, was ihm auf dem Herzen lag, vertraulich gegen sie zu reden. Begegnete man sich im Gebirge, so ward Erdmanns Arm und Wanderstab nicht mehr mit schüchterner Sprödigkeit ausgeschlagen, und begegnete man sich nicht, so scheute sich Marie nicht, zu gestehen, daß sie den vergebens erwartet und gesucht habe, mit dem sie schon so oft zusammengetroffen.

»Ach,« setzte sie einmal mit Erröthen hinzu, »das Verlangen, die Stunde nicht zu versäumen, in welcher ich dir vor einem Jahre im schmalen Bergwege zu begegnen pflegte, hat mir schon beinahe das Leben gekostet!«

»Wie so, Marie?«

»Du weißt es so gut als ich, du hast mich ja aus den Fluthen gerettet!«

»Wie? um meinetwillen wärest du in diese Gefahr gerathen?«

»Ja, Erdmann! die Thorheit war unverzeihlich, um so viel mehr, als ich gewarnt war.«

[17] »Du sprichst Räthsel! Wo warst du? Wer warnte dich? Und überhaupt was machst du immer in jenem wüsten, grauenvollen Theile des Gebirges, den Niemand gern besucht, und den selbst ich scheue?«

Marie schwieg. »Mein Freund,« fing sie nach einer langen Pause an, »ich that Unrecht, eine Neugier in dir zu erregen, die ich nicht befriedigen darf; wirst du mir verzeihen, wenn ich dir mein Geheimniß nicht vertraue?«

»Wenn du versprichst, mir ein Opfer zu bringen.«

»Welches?«

»Deine Hoffnungen auf eine Versorgung im Kloster.«

»Lieber Erdmann! welche Aussicht bleibt mir außer diese? Meine alte Herrschaft ist todt, ihre Erben sagen mir den Dienst auf. Mein Spinnrocken kann mich nicht ernähren, was soll ich thun? Betteln? Stehlen? Oder durch die Gnade und unter dem Schutze der ehrwürdigen Domina des Marienklosters ein ruhiges und anständiges Leben führen?«

»Was du thun sollst, Marie? Heirathen sollst du!«

»Und wen? Etwa dich? – Ja, wenn ich dir mit dieser Hand so ein paar tausend Gulden, oder ein hübsches Bauerngut zuzubringen hätte! Aber Armuth! Den Bettelstab! – Nein, Erdmann! du bist mir zu lieb, um dir eine solche Mitgift zu gönnen; du hast Nichts, ich habe Nichts, so bleiben wir am besten von einander!«

[18] »Du irrst, Marie, wenn du mich für so arm hältst; wäre ich es auch, so habe ich doch reiche Freunde!«

»Freunde? – Ja, Frau Elsen im Gasthofe! – Heirathe sie, heirathe sie! Bei ihres Vaters Geldkasten wirst du die arme Marie bald vergessen!«

»Marie, laß uns aufrichtig reden: so wenig als ich je eine Andere nehmen werde als dich, so wenig wünschest du, daß dieses geschehen möge; die Thränen, die dir, da du so etwas in den Tag hinein schwatzest, in die Augen kommen, bezeugen es mir, wenn ich es auch sonst nicht wüßte. Daß ich aber andere Freunde habe, als Meister Melchiorn und seine Tochter, könnte ich dir beweisen, wenn ich mich nicht scheute, dir Dinge zu entdecken, die dich auf einmal von diesen Gegenden zurück schrecken, und mich um die einzige Freude meines Lebens, um deinen Anblick bringen könnten.«

»Und gleichwohl, Freund Erdmann, muß ich es wissen, wenn ich mich von dir geliebt halten soll!«

Diese Worte, mit allem Nachdruck gesprochen, den ein Mädchen, welches sich geliebt weiß, ihren Forderungen zu geben pflegt, schreckten dem armen Erdmann sein Geheimniß ab; er vergaß ganz, daß ihm vor einigen Minuten ein ähnliches Gesuch hartnäckig abgeschlagen ward, und daß es ihm, so gut als Marien, erlaubt gewesen wäre, mit der nämlichen Beschwörung auf die Befriedigung seiner Neugier zu dringen.

»Du forderst es,« sagte er nach kurzem Bedenken, »du verlangst die Offenbarung meines Geheimnisses als einen [19] Beweis meiner Liebe, und deshalb gebe ich nach. Wisse also, wir wandeln hier im Schatten eines Geistergebirges, Alles rund um uns her ist heilig, vom Gipfel jener himmelhohen Berge bis auf das Moos, das den Stamm dieser Fichte bekleidet; ein mächtiges Wesen ist Beherrscher dieser Gegenden, welches –«

»Erdmann, stimme den hohen Ton ein wenig für meine Einfalt herab, und sage mir mit klaren Worten, daß hier das Riesengebirge ist, in welchem der muthwillige Gnome, Rübezahl genannt, hausen soll; Dinge, die mir schon längst bekannt sind, und die, da ich so oft bei Tag und bei Nacht hier ungehöhnt und ungeschreckt gegangen bin, so wenig Einfluß auf meinen Muth haben, daß du sehr irrst, wenn du glaubst, daß ich darum diese Gegenden fürchten würde.«

»Wie, Marie? leugnest Du Etwas, wovon alle Welt überzeugt ist?«

»Ich leugne Nichts, aber ich vermuthe, daß dieses Wesen, an welches du so fest zu glauben scheinst, entweder keinen Theil an mir habe, oder mich gern in seinen Gebieten dulde, und mir darum freien Aus- und Eingang in denselben gestatte.«

»O, Marie! wäre das Letztere, dann wohl dir und mir! Dann hätten wir Beide einen gemeinschaftlichen Patron an dem guten Berggeiste, denn auch ich glaube mich seiner Gnade rühmen zu können, und vielleicht noch in höherem Grade als du; denn wirst du blos geduldet, so kann ich mich noch höherer Begünstigungen rühmen, [20] und dieß ist eben das Geheimniß, das du mir entreißest, und das ich dir nicht anders entdecken kann als durch Mittheilung meiner ganzen Lebensgeschichte.«

Marie schüttelte schweigend den Kopf und der Erzähler fuhr fort:

»Mein Name ist Erdmann Erdmannsdorf; meine Vorfahren waren mächtige Ritter und Edle, die zwischen ihren Tauf- und Geschlechts-Namen jenes bedeutende Wörtlein einzuschalten pflegten, um welches mich Armuth und Mißgunst gebracht haben. Bei meinen Urahnen kam, wie bei so vielen Menschen, Stolz vor dem Falle. Vor hundert und mehr Jahren ließ sich einer von ihnen, durch die damalige Sucht des Adels, Burgen zu erbauen, verleiten, ein stolzes Schloß auf jenen Berg setzen zu wollen, in dessen Schatten wir nun bald kommen werden. Er wurde gewarnt, man sagte ihm, daß der Herr dieser damals wüsten Gegend, in diesem Punkte so empfindlich sei, als der Bischof von Bamberg, der Herzog von Schwaben und der Graf von Tyrol, die damals um ähnlicher Dinge willen beständig Fehden hatten; aber mein Ahnherr bestand auf seinem Sinne. Man weissagte ihm, daß nicht der erste Schlag zur Ausrottung des wilden Waldes, der auf der gewählten Stelle stand, würde ungehindert gethan werden können, daß Bauleute und Baugeräth dem Grundherrn verfallen wären, und daß Feuer die Gebäude verzehren würde, ehe sie eine Elle hoch über der Erde hervorragten. Diese Prophezeiungen gingen indeß nicht in Erfüllung und mein Ahnherr wurde um so sicherer. Als [21] aber nun die Burg mit ihren fünf stolzen Thürmen in, all ihrer Pracht dastand, da hob sich der unterirdische Reise auf dessen Schultern sie erbaut war, ein wenig empor, die Erde zitterte und das ganze Pigmäenwerk stürzte zusammen.

Es bedurfte Jahre, um den Schaden, den das Erdbeben angerichtet hatte, wieder auszubessern, doch ward der stolze Edelmann, der nun einmal auf jenem Berge ein Schloß haben wollte, und der, um seinen Eigensinn zu befriedigen, keine Kosten scheute, endlich mit seinem Baue fertig. Er hatte gebaut, um im nächsten Jahre eine neue Verheerung zu erfahren. Aus dem Schooße jenes höher liegenden Gebirges stürzten wilde Bergströme hervor, welche den Grund unterwuschen und das neue Schloß in Trümmern davontrugen. Was sie unversehrt ließen, ward vom Wetterstrahl zerstört, denn die Erdgeister stehen mit den Bewohnern der Lüfte in gutem Vernehmen, so daß es dem Gebirgsherrn ein Leichtes war, sie zur Rache seines Schimpfes anzufeuern. Der Gnom war wüthend, und um seinem Feinde alle Möglichkeit zu benehmen, den Eingriff in seine Rechte zu wiederholen, so borgte er noch ein halbes Dutzend Donnerkeile von seinen ätherischen Bundesverwandten, welche in einem Tage alle Besitzungen des Herrn von Erdmannsdorf in Asche verwandelten, und ihn zum Bettler machten. Das weitere Schicksal dieses unglücklichen Mannes habe ich nie umständlich erfahren können, und weiß nur, daß er mit den Seinigen zur tiefsten Niedrigkeit des bürgerlichen Standes herabsank, so daß [22] mein Vater, aus dessen Munde ich alle diese Dinge habe, nichts war, als ein armer Köhler. Oft pflegte dieser, wenn er seinen Meiler geschürt hatte und nun der gethanen Arbeit gegenüber saß, mich von jenen Dingen zu unterhalten, doch konnte er mir den Ort, wo die Rache des Berggeistes wider unsern Ahnherrn begonnen hatte, nicht näher bezeichnen, weil unsere Hütte von der Gegend, wo der Gnom sein Wesen trieb, etwas entfernt lag.

Ohne die fürchterliche Stelle, wo die Größe unseres Hauses begraben war, zu kennen oder zu suchen, hatte ich sie schon gefunden. Wenn ich mit den Kindern aus dem Dorfe, das etwa eine Viertelstunde weit von unserer Hütte entfernt lag, im Gebirge spielte, wählte ich immer jene Höhen, die, ich wußte selbst nicht warum, einen besondern Reiz für mich hatten. Ich war der Jüngste unter meinen Gespielen, und doch, als der Muthigste, in Allem, was wir vornahmen, ihr Anführer. Sie folgten mir gern, wohin ich wollte, und achteten es nicht, daß ihre Eltern, wenn sie ihnen sagten, wo wir gespielt hatten, ihnen immer verboten, diese Gegend wieder zu besuchen, weil dort, wie sie sich ausdrückten, der Rübezahl die Leute gern zu necken pflege.

Die Gegend ward uns allen nach und nach so lieb, daß wir trauerten, wenn die Jahreszeit uns den Zugang dahin verschloß, und allemal von dem Tage an den Frühling rechneten, an dem wir zuerst wieder weiße Steine, die wir im Thale gesammelt hatten, hinauf tragen, und mit denselben das allgemein bekannte Knabenspiel des [23] Anschlagens treiben konnten. Die in die Höhe ragenden schroffen Felsen, und einige Ueberbleibsel von alten Gemäuer, das wir hier fanden, kamen uns bei unserem Spiele sehr zu Statten, und ein allgemeines Jauchzen entstand, wenn Einer von uns, was nicht selten geschah, statt der hingeworfenen Steine, kleine Silbermünzen im Sande fand. Keiner von uns sah etwas Befremdendes in diesem Funde, Keiner wußte ihn zu schätzen, oder kam auf den Einfall, hier mehr suchen, als uns der Zufall in die Hände spielte; wir waren Alle in dem Alter, wo Habsucht, Neugier und unnützes Forschen der Seele noch fremd sind.

Auch das fanden wir nicht außerordentlich, daß sich oft bei unsern Spielen eine Person zu uns gesellte, die weder mit uns hinaufgekommen war, noch mit uns herabstieg, – ein Mann, dessen Aeußeres zwar nicht besonders auffiel, den aber, obgleich wir ihn fast täglich sahen, Keiner von uns recht zu beschreiben wußte, und den wir seiner Kleidung wegen den Langmantel zu nennen pflegten. Langmantel war oft unter uns, und wir hatten uns bald so an ihn gewöhnt, daß wir ihn ungern mißten, und wenn er einmal nicht da war, ihn unruhig erwarteten, bis er dann meistens, wir wußten selbst nicht wie, plötzlich in unserm Kreise stand, und mit seiner gewohnten Emsigkeit an unsern Spielen Theil nahm. Er trieb Alles, was wir vornahmen, so eifrig, als wir Kinder selbst, erfand kleine Vortheile, die er uns zeigte, las mehr Silberpfennige im Sande auf, als wir Alle zusammen, [24] die er denn unter uns vertheilte, so daß wir nichts an ihm auszusetzen hatten, als daß er nie mit uns sprach, und uns immer auf einmal aus den Augen verschwand, ehe wir es uns versahen, was dann meistens auch für uns eine Veranlassung zum Nachhausegehen war.

›Kommt Kinder, der Langmantel ist fort!‹ dies war immer bei uns die Losung zum Abzug, und wenn wir uns einmal verspäteten, so wurde uns auch wohl der Weg durch einen Steinregen von unsichtbarer Hand gewiesen.

Unser Spielgefährte, den wir für Unsersgleichen hielten, ungeachtet er ganz die Gestalt eines Erwachsenen hatte und über uns hervorragte, wie eine Fichte über das niedrige Gesträuch, war nicht immer verträglich; wenn Einer von uns dem Andern Unrecht that, da ermangelte er nicht, derbe Stöße auszutheilen, und zuweilen fiel es ihm auch wohl ohne alle gegebene Ursache ein, die Buben auf einmal den Berg hinabzujagen, und nur mich, den er nie beleidigte, allein oben zu behalten. – Dies war der erste merkliche Vorzug, dessen ich mich von ihm rühmen konnte. War ich mit ihm allein, so führte er mich tiefer zwischen die Klippen und Trümmer, winkte mir, im Sande zu suchen, und ich verließ ihn selten, ohne beide Hände voll ziemlich großer Münzen gesammelt zu haben, die zu meiner Verwunderung nicht, wie unser gewöhnlicher Fund, weiß, sondern gelb und glänzend waren. Jauchzend verließ ich ihn dann, und kaum hatte ich meine unten wartenden Gespielen erreicht, so wurde der ganze Schatz unter sie ausgetheilt. Ein Steinwurf in[25] den Rücken vom Berge herab, oder ein anderes Zeichen des Unwillens vom Geber war meistens mein Lohn; demohngeachtet aber waren er und ich, sobald wir uns wiedersahen, aufs Neue die besten Freunde. Ich blieb gern bei ihm allein, wenn er die Andern fortjagte, und ersetzte sein Stillschweigen mit meinem kindischen Geschwätze, oder ich erfüllte die Luft mit meinem Geschrei, wenn er plötzlich verschwand und ich ihn hinter allen Klippen vergebens suchte. Von den aufgefundenen Münzen brachte ich nie ein Stück mit nach Haus, und glaube auch, daß lange Zeit Keiner von meinen Gespielen hierin glücklicher war als ich.

Der Weg nach dem Dorfe war weit, und der gefundene Schatz, dessen Werth Keiner von uns kannte, blieb sicherlich unterweges zwischen Büschen und Hecken zerstreut liegen, wohin ihn Muthwille und Unachtsamkeit geworfen hatte; denn wäre dieses nicht der Fall gewesen, so wüßte ich nicht, wie das so spät hätte geschehen können, was doch endlich erfolgte. – Einer von den Knaben mochte einmal zufällig einen von unsern kostbaren Spielpfennigen mit nach Hause gebracht und erzählt haben, auf welche Weise er dazu gekommen war. Die Sache erregte Aufsehen. Man zeigte das Gefundene so lange im Dorfe herum, bis es endlich an Jemand kam, der Gehalt und Gepräge kannte, Ersteren für lauteres Gold, und Letzteres für Kaiser Konrads aus Schwaben Bild und Ueberschrift erklärte. Von nun an hatten unsere Wallfahrten nach dem Gebirge und die Spielparthieen mit [26] dem freundlichen Langmantel ein Ende. Die Kinder, – Gott weiß durch welche fürchterliche Erzählungen geschreckt, – wollten nicht mehr hinauf, und ging ich allein dahin, so war es nicht mehr die stille, friedliche Gegend, die mir behagte. Männer mit Spaten und Schaufeln hatten Besitz davon genommen und durchwühlten den Grund, um die verborgenen Reichthümer mühsam aufzusuchen, welche ihre Kinder nicht zu schätzen gewußt hatten. Wahrscheinlich fanden sie Nichts, und noch wahrscheinlicher wurde der Inhaber des gesuchten Schatzes endlich ungeduldig, und trieb sie den Berg hinab, so wie er es mit uns zuweilen gemacht hatte, daß sie das Wiederkommen vergaßen; denn es dauerte nicht lange, so traf ich auf meinem Lieblingsberge wieder die vorige Ruhe und Ordnung, und obgleich ich die Gesellschaft meiner Gespielen daselbst vermißte, weil Keiner mich mehr begleiten wollte, so nahm ich mir doch vor, die mir so lieb gewordene Gegend täglich zu besuchen.

Der Eintritt des Winters verhinderte lange Zeit mein Vorhaben und als ich im nächsten Frühjahre jene Höhen wieder bestieg, fand ich den Erdboden mit schönerem Grün als je bekleidet, und kam auf den Gedanken, hier Blumen zu ziehen, wie ich es meinem Vater in seinem kleinen Garten thun sah. Bei dem nächsten Besuche hatte ich eine Hand voll Saamen mitgebracht und ausgestreut, und kurze Zeit darauf fand ich das Gesäete schon aufgegangen und der Blüthe nah. Voll kindischer Freude stand ich bei meiner künftigen Blumenflur, und bemerkte [27] nicht, daß sich Jemand neben mir befand, bis mich auf einmal die Worte: ›Was machst du hier?‹ aus meinem Traume weckten. Sie waren eben nicht in dem freundlichsten Tone gesprochen, als ich mich aber umwandte und meinen alten Bekannten neben mir erblickte, da überwand die Freude über ihn den kleinen Schrecken, und ich hing mich mit dem Ausrufe: ›ach seyd ihr es, lieber Langmantel!‹ an seinen Arm, und sah lachend zu ihm auf. – Er schleuderte mich ziemlich unsanft von sich, und wiederholte seine Frage. – ›Blumen habe ich gesäet, lieber Herr!‹ rief ich mit weinender Stimme. – ›Rüben hast du gesäet,‹ erwiederte er, indem er mir mit geballter Faust drohte, ›und wüßte ich, daß du es mit Absicht oder aus Spott gethan hättest, den Hals sollte es dir kosten!‹ Seine fürchterlichen Gebärden schreckten mich so sehr, daß ich schweigend davon lief, aber sein Arm erreichte mich bald, und er zog mich zurück. – Mit Entsetzen mußte ich nun sehen, wie er meine wohlgediehen Saat mit Rumpf und Stiel ausrottete, und jetzt weinte ich bitterlich. ›Hüte dich,‹ sagte er, indem er auf die Stelle wies, ›jemals hier wieder Rüben zu säen, aber merke dir den Ort, und wenn einst durch deine Hand jenes Schloß wieder aus seinen Trümmern hervorsteigt, so grabe auf dieser Stelle nach; wo du gesäet hast, sollst du erndten; ich sehe jetzt ein, daß du mich nicht aus Bosheit beleidigtest, und will dir den Schaden vergüten, den in der Vorzeit deine Ahnen durch mich erlitten haben.‹

[28] Ich verstand nicht, was der Mann sagen wollte, auch fragte ich ihn so wenig, als ich zu Hause darüber nachdachte. Aber ich unterließ nicht, fleißig wieder hinauf zu kommen, und verzieh es dem Langmantel, daß er mich damals so sehr geängstigt und gekränkt hatte. Ich traf ihn jedesmal auf dem Berge, aber was er sprach, war kurz und unverständlich; ich erinnere mich nie, wieder eine so lange Rede von ihm gehört zu haben, als er mir zuerst hielt. Er sprach oft mit mir von einem schönen Schlosse, das ehemals hier gestanden habe, und das einst, wenn ich klug und verschwiegen wäre, durch meine Hand wieder hier stehen solle; auch redete er von unterirdischen Goldadern, die der Boden enthalte, und die mich, wenn ich einst als Eigenthumsherr an der bezeichneten Stelle nachgraben ließe, reicher machen würden als einen Fürsten. Ich hörte den Schall der Worte und merkte sie, aber sie ganz zu verstehen oder zu beherzigen, dazu war ich zu jung; ach! ich sollte ihren Sinn erst dann begreifen lernen, als es für mich zu spät war. Etwas besser beachtete ich seine Geschenke, doch nur weil mir ihr Glanz gefiel, nicht weil ich ihren Werth erkannte. Ein Haufen Goldflittern würde mir eben so großes Vergnügen gemacht haben, als die geränderten goldnen Konrads, von denen er mir immer beim Abschied einige verehrte. Er schärfte mir jedesmal hart ein, sie für mich zu behalten, sie Niemand, – auch meinen Vater nicht – zu zeigen, und überhaupt über Alles, was zwischen uns vorgehe, ein tiefes Stillschweigen zu beobachten, wenn ich nicht seiner[29] Gnade und seines Umganges auf immer verlustig gehen wolle.

So verstrich ein ganzer Sommer. Der Winter kam, und so sehr ich mich auch anstrengte, die immer mühseliger werdenden Wanderungen zu meinem seltsamen Freunde noch länger fortzusetzen, so konnte und durfte ich mich doch nach dem ersten Schnee nicht mehr hinauswagen.

Ein trauriger Winter stand mir bevor. Mein Vater hatte bei dem Schüren seiner Meiler Schaden genommen und obwohl ihn der Schäfer aus dem benachbarten Dorfe heilte, so konnte er ihm doch seine verlornen Kräfte nicht wieder geben. Hans Erdmannsdorf welkte sichtlich dahin, und sprach so oft von Tod und Grab, daß ich den guten Vater, an dem mein Herz so sehr hing und dessen Leiden ich so gut zu lindern suchte, als meine kindlichen Kräfte gestatteten, mir schon entrissen glaubte. Große Erleichterungen hätte ich ihm verschaffen können, wenn mir der Werth der Goldpfennige bekannt gewesen wäre, die ich aufgehäuft hatte. Da nämlich die Arbeit gänzlich darnieder lag, so schien uns oft Mangel zu bedrohen, doch kam es nie dazu, daß wir ihn wirklich fühlten. Bald brachte ein alter Schuldner, auf den mein Vater sich nicht mehr besinnen konnte, statt des Geldes einigen Vorrath ins Haus, bald fanden sich in einem längst ausgeleerten Beutel noch einige Groschen, und als mich der Vater einst mit dem einzigen Viehe, das wir besaßen, – einer alten Ziege, – in das nächste Dorf schickte, um sie bei [30] einem Bekannten gegen baares Geld oder Lebensmittel zu verkaufen, da begegnete mir ein noch unerwarteter Glücksfall, welchen ich wegen des Einflusses, den er auf unser Schicksal hatte, nicht unerwähnt lassen darf. Ich ging weinend den Weg nach jenem Dorfe und führte das gute Thier, welches ich so sehr liebte, und von welchem ich mich nun trennen sollte, am Stricke hinter mir her. Da kam mir ein alter Mann entgegen, welcher mich fragte, ob die Ziege mir feil wäre. ›Feil!‹ sagte ich, indem ich mir die Thränen aus den Augen wischte, ›ist sie mir nicht, ich gäbe sie euch nicht um hundert Groschen; aber verkaufen soll ich sie freilich, weil mein Vater und ich sonst morgen kein Brod haben.‹ – ›Gieb mir das Thier!‹ fuhr er fort, ›hier sind zwei Goldstücke!‹ Ich hielt meine Hand hin, und er legte mir ein paar solche glänzende Münzen hinein, wie ich sie oft aus der Hand meines Freundes vom Berge erhalten hatte. ›Nein, Herr!‹ sagte ich, indem ich den Kopf schüttelte, und ihm sein Gold zurück gab, ›solche Dinger habe ich viele daheim, und weiß wohl, daß man sie nur zum Spielen gebrauchen kann.‹ – ›Kleiner Thor!‹ erwiederte er, ›mache die Probe! Hier ist ein Groschen, und hier ein Goldstück; gehe ins Dorf, und versuche, für welches von Beiden du das meiste Brod empfängst.‹ Ich gehorchte und überließ ihm in meiner Einfalt einstweilen die Ziege, unbesorgt, daß er, da er mir doch erst die Hälfte des gebotenen Geldes gezahlt hatte, mit meinem Viehe davon gehen, und mich um die andere Hälfte betrügen könne. [31] Das Schicksal führte mich im Dorfe gleich zu dem einzigen Goldkenner, welcher ehrlich oder schlau genug war, mich von dem Werthe des Goldstückes zu unterrichten, es gegen Silbermünze einzutauschen, und mir für einen kleinen Theil derselben die wichtigsten Hausbedürfnisse einkaufen zu helfen. Er packte sie mir in einen Korb, klagte, daß ich nicht mehr tragen könne, und schalt auf meinen Vater, daß er einem so kleinen Knaben dergleichen schwere Kommissionen aufgetragen habe. Wohl beladen kehrte ich nach Hause zurück, und das Erste, was mir zu Gesichte kam, war meine Ziege, die mir lustig entgegen sprang. – ›Ein fremder Mann,‹ erzählte mein Vater, ›habe sie hergebracht und gesagt, daß er sie im Walde weidend gefunden, und in der Meinung, sie gehöre in dieses Haus, hierher abgeliefert.‹ Ich erzählte dagegen mein Abentheuer, zeigte meinem Vater den mitgebrachten Vorrath und den Ueberschuß des Geldes, und erregte dadurch bei ihm ebenso große Freude, als ich über die Anwesenheit meiner alten Gespielin fühlte, von welcher ich geglaubt hatte, mich auf ewig trennen zu müssen. Mein Vater hatte seine eignen Gedanken über diesen seltsamen Vorfall, der jedoch keineswegs meine Verwunderung erregte, weshalb ich auch gar nicht darüber nachdachte. Vielleicht wäre ich dennoch klug genug gewesen, mich meines heimlichen Schatzes zu erinnern und den Werth desselben zu erkennen, wenn mir nicht Dinge bevorgestanden hätten, die meinen Gedanken eine andere Richtung gaben.

[32] Mein Vater wurde nämlich bald darauf finster und schwermüthig; eine geheime Unruhe vermehrte seine körperliche Schwäche und brachte ihn dem Tode nah. Seine Bekannten aus dem benachbarten Dorfe kamen, ihn in seinen letzten Stunden beizustehen; auch der Goldkenner fand sich ein, und sein Erstes war, mich, der das Haus mit seinen Klagen erfüllte, zu entfernen. ›Geh hinaus, mein Kind,‹ sagte er, ›erhole dich einige Stunden in der freien Luft; dein Vater wird besser werden, und sollte er sterben, so will ich dein Vater sein.‹

Weinend und händeringend durchstrich ich die umliegende Gegend. Unwillkührlich trugen mich meine Füße an den Ort, wo mir oft in Langmantels stiller Gesellschaft so wohl gewesen war, und ich lag bald auf einer meiner Lieblingsstellen im Grase, ohne daß ich wußte, wie ich auf den Berg gekommen war. Es war Frühling so wie heute. Die Sonne lächelte mild herab, an den Ufern der Weistritz, die bereits ruhig, und von den wilden Gewässern gereinigt dahin floß, blühten Tausende von frühzeitigen Blumen, und aus den schwellenden Knospen am Gesträuch drängten sich die jungen Blätter hervor. Ich war nicht blind gegen alle diese Reize der Natur, aber sie erregten in meiner Seele keine Freude, sondern eine unnennbar bittere Empfindung, und lockten einen neuen Thränenstrom hervor.

›Was weinst du denn?‹ fragte auf einmal meines Gespielen wohlbekannte Stimme an meiner Seite. Ich schlug meine von Thränen getrübten Augen nach ihm auf, [33] vermochte aber nicht zu antworten. ›Steh auf!‹ sprach er weiter, ›und sage mir, was dir fehlt; vielleicht kann ich helfen.‹

›Ach,‹ schluchzte ich, ›hier ist Alles so schön und in unserer Hütte ist es so traurig! Hier lebt Alles, und in unserer Hütte ist der Tod!‹

›Thor!‹ erwiederte er, der mich nicht verstand oder nicht verstehen wollte, ›unten im Thale wird es später Frühling als hier! Vor zwei Monaten lag hier auch noch Eis und Schnee, wo jetzt Blumen blühen, und wenn die Sonne höher steigt, wird der Tod auch aus deiner Hütte weichen müssen.‹

›Ach, mein lieber Herr, Blumen sehe ich wohl wieder blühen und verdorrte Bäume wieder grünen, aber – mein Vater! mein guter Vater! er wird sterben, ehe ich ihn wiedersehe! O könnte ich machen, daß Jugend und Kräfte ihm zurückkehrten, wie diesem wilden Rosenstrauche, der im vorigen Winter verdorrte, und der nun so jung und schön dasteht, wie die Blumen, die sich erst heute entfalteten.‹

›Glaubst du nicht, daß auch Menschen wieder blühen können?‹ fragte er, indem er den Rosenstrauch von allen seinen jungen Blättern entblößte und sie in seinen Mantel sammelte, ›oder fürchtest du, daß die sonst so gütige Natur nur dein Geschlecht stiefmütterlich behandele? – Nimm dieses Laub, bestreue damit deines Vaters Lager, und du wirst sehen, was erfolgt; aber eile solches zu thun, denn verloren gegangene Kräfte lassen sich [34] wohl wieder ersetzen, aber die einmal entflohene Seele kehrt nie zurück!‹

Ich verstand sehr wohl, was der Berggeist damit sagen wollte, und ohne zu danken, schüttelte ich das Rosenlaub in meine Mütze, und flog mit Windesschnelle den Berg hinab nach unserer Hütte, wo mein Vater im Sterben lag.

An der Thüre kamen mir unsere Bekannten aus dem Dorfe entgegen, die wieder nach ihrer Heimath gingen, weil es mit dem Kranken, wie sie zu einander sagten, nun doch bald aus sei, und er also ihres Trostes nicht mehr bedürfe.

Ich achtete so wenig auf sie, als sie auf mich, und flog zu dem Bette meines Vaters, bei welchem ich Niemand fand als den Goldkenner, dessen ich schon oft gedacht habe. ›Armes Kind!‹ rief dieser mir entgegen, ›du kommst kaum noch zeitig genug, um deinem sterbenden Vater die Augen zuzudrücken! Betrübe dich indeß nicht so sehr, denn wenn du mir Gehorsam versprichst, so will ich Vaterstelle bei dir vertreten.‹

Ich hörte nicht auf diese Rede, sondern fing an aus meiner Mütze das junge Rosenlaub mit vollen Händen über den Kranken auszustreuen. Es duftete ungewöhnlich stark, der Kranke nießte dreimal und schlug die Augen auf. Der Goldkenner, der meines Vaters Seele schon auf dem Wege nach einer andern Welt geglaubt hatte, erstaunte, – ich aber fuhr fort, die wohlriechenden Blätter auf den sich wieder belebenden Körper des schon halb Entschlafenen auszubreiten, [35] und hatte bald die Genugthuung, einen leisen Druck von seiner Hand zu fühlen, und ihn das Wort ›Erquickung‹ stammeln zu hören.

Von diesem Augenblicke an trat in dem Zustande des Kranken Besserung ein, die durch ihre schnellen Fortschritte den Goldkenner mehr in Verwunderung setzte als mich, der mit dem, was in der Welt möglich und gewöhnlich ist, noch zu wenig bekannt war, um irgend Etwas außerordentlich zu finden. Ich suchte nur das kostbare Rosenlaub sorgfältig zu hüten, damit kein Blättchen davon verloren ginge, und trug es meinem Vater, der am andern Tage schon außer dem Bette sein konnte, überall nach, bis auch das letzte Blättchen davon verwelkte und geruchlos wurde.

›Was ist mit mir vorgegangen?‹ fragte mein Vater, als er am dritten Tage mit mir und dem klugen Manne aus dem Dorfe, der noch immer bei uns verweilte, ins Freie ging. ›Wodurch ist meine Krankheit, mein Schmerz und meine Schwäche verschwunden? Ich fühle mich um dreißig Jahre verjüngt, und stehe hier in der gleichfalls wiedererwachten Natur mit dem vollen Gefühle der Kraft und Gesundheit!‹

›Daß etwas Außerordentliches mit euch vorgegangen ist,‹ erwiederte der Andere, ›das sehe ich so gut, als ihr es fühlt; aber um das Wie und Wodurch müßt ihr euren Sohn befragen, der euch wahrscheinlich bessere Auskunft darüber geben kann als ich.‹

›Das junge Laub, mein Vater,‹ antwortete ich, ›das ich auf euer Lager streute! – –‹

[36] ›Gut, mein Kind,‹ fiel dieser ein, ›wie kamst du aber zu dieser Wunderarznei? Wer gab sie dir? Wer entdeckte dir ihre geheimen Kräfte?‹

Ich schwieg; eine innere Stimme verbot mir, diese Fragen aufrichtig zu beantworten, und lügen hatte ich nicht gelernt.

›Mein Sohn‹ fuhr mein Vater fort, indem er mich in seine Arme schloß, ›solltest du vor mir ein Geheimniß haben?‹

›Vater,‹ rief ich, indem mir plötzlich die Worte meines geheimen Freundes einfielen, die sich, wie mir dünkte, hier gut wiederholen ließen, ›seht, wie Alles rund umher grünt und blüht! Glaubt ihr nicht, daß auch Menschen wieder blühen können? Fürchtet ihr, daß die sonst so gütige Natur nur unser Geschlecht stiefmütterlich bedenke?‹

Die Männer sahen sich voll Erstaunen über meine Rede an, die ihnen fast zu hoch war, und die in meinem Munde auch gar seltsam klingen mochte.

›Ist das die Sprache eines siebenjährigen Kindes?‹ sagte mein Vater zu seinem Freunde.

›Wie ich euch schon erklärte,‹ war die Antwort, ›es muß mit eurem Sohne verborgene Bewandnisse haben. Dieser kleine Knabe, der oft für die gewöhnlichsten Dinge im menschlichen Leben nicht genug Verstand und Nachsinnen zeigt, spricht bei andern Gelegenheiten oft höher als der gelehrteste Abt. Wäre der Junge mein, ich müßte hinter seine Geheimnisse kommen. Er hat vielleicht Verbindungen, die zuletzt ihm und euch schädlich werden können, [37] so viel äußerlichen Vortheil sie auch Anfangs zu bringen scheinen.‹

›Erdmann,‹ rief mein Vater, ›willst du mir nicht deinen geheimen Freund entdecken, damit ich mit dir vereint ihm für meine wiedererlangte Gesundheit danken kann?‹

Ich stürzte mich zu seinen Füßen und weinte.

›Es wird wohl dieselbe Person sein,‹ fiel der Andere ein, ›die ihm neulich die Ziege mit schwerem Golde abkaufte, und ihm das Vieh obendrein wiedergab.‹

›Nein,‹ sagte ich in meiner Einfalt, ›den Mann kannte ich gar nicht, ich habe ihn weder zuvor noch nachher gesehen!‹

›Aber desto besser,‹ fuhr der Inquisitor fort, ›wirst du den Herrn kennen, der dir den hübschen Vorrath von Goldstücken verehrte, die du in der Hütte verwahrst.‹

›Mein Sohn soll so viel Gold besitzen,‹ – rief hier mein Vater mit Erstaunen – ›ohne mich damit in meiner Armuth zu unterstützen?‹

›Vater, mit jenen Goldpfennigen kann man ja nichts Anderes machen, als damit spielen!‹

›Daß man sie besser gebrauchen kann,‹ versetzte der Goldkenner, ›das mußt du wenigstens seit der Zeit wissen, da ich dich eines Bessern belehrte.‹

Ich wußte auf diese Rüge nichts zu antworten, denn seit die Krankheit meines Vaters gefährlicher geworden war, hatte ich an meine goldnen Spielpfennige gar nicht mehr gedacht.

[38] ›Was du auch gethan haben magst, es sei dir verziehen,‹ – sprach jetzt mein Vater in einem mildern Tone – ›nur gestehe mir Alles!‹

›Vielleicht gewinnt er eher Muth dazu,‹ sagte der Andere, ›wenn ich euch erzähle was ich theils von der Sache weiß, theils darüber muthmaße. Vor ungefähr einem Jahre brachten einige Kinder aus meinem Dorfe, als sie einst vom Spielen heimkehrten, goldene Münzen mit, die sie auf einem Berge, wohin sie euer Sohn immer zu führen pflegte, von einem Unbekannten erhalten haben wollten. Was die Kinder uns von den Dingen erzählten, die ihnen dort oben begegnet sein sollten, schien uns so lange unglaublich, bis wir uns erinnerten, daß der alte Bewohner dieser Gegenden – Rübezahl – gern auf jenem Berge sein Spiel treibe. Unsere Kinder durften von jetzt an den Berg nicht mehr besuchen, wo wir Alten nun vergebens nach den Schätzen des Berggeistes gruben. Euer Sohn ist jedoch, wie ich aus sicherer Hand weiß, nach wie vor auf dem Berge ab und zu gegangen, und mag der arge Versucher ihm wohl schon ganz bethört haben. Durch schnödes Gold hat er den Samen des Geizes in sein Herz gestreut, und dieses, wie der Erfolg ausweißt, sogar gegen seinen eignen Vater verhärtet. Daß euer Sohn heimliche Schätze habe, ward mir schon längst kund, denn man hat ihn an Orten, wo er sich unbemerkt glaubte, mit den Goldmünzen spielen sehen. Noch klarer ward mir die Sache, als er ein Goldstück bei mir verwechselte, und völlig kam ich hinter sein Geheimniß, als ich das aufgehäufte [39] Sündengold einst, – ich versichere euch, von ungefähr und ganz ungesucht – in einem Winkel eurer Hütte fand. Seht nun zu, wie ihr von dem Buben genauere Auskunft über das schreckliche Geheimniß erhaltet! Ich gehe in die nächste Stadt, um der Obrigkeit anzuzeigen, was ich mit gutem Gewissen nicht länger verschweigen kann.‹

Mein Vater starrte mich mit Erstaunen an; ich weinte, und mein Verräther, der die Wahrheit seiner Aussage durch den Augenschein bekräftigen wollte, holte aus der Hütte meinen kleinen Schatz, der sich auf ungefähr drittehalb hundert Stück goldene Konrads belief, und legte ihn meinem Vater vor.

Jetzt drang mein Vater nicht mehr mit Fragen in mich, und suchte sich den Mann, den er sicherlich so sehr verabscheute, als ich, mit einer Hand voll Gold vom Halse zu schaffen. Des Mannes Habgier war jedoch damit noch nicht befriedigt, und erst durch eine zweite und dritte Gabe konnte von ihm das Versprechen, die Sache zu verschweigen, erkauft werden.

Endlich verließ er uns und wir waren allein. Aber anstatt daß meine Prüfung vorbei sein sollte, wie ich gehofft hatte, so ging dieselbe nun erst recht an. Mich gegen das ungestüme, unbefugte Ausforschen eines Fremden zu vertheidigen, dabei leistet mir schon der jedem Knaben angeborne Starrsinn gute Dienste, und Verschwiegenheit gegen einen solchen Inquisitor war eben keine Heldentugend zu nennen; aber was für Waffen hatte ich, um einem [40] Vater zu widerstehen, den ich so sehr liebte und den ich unbedingt Gehorsam zu leisten gewohnt war?

Mein Vater fragte nicht, – er bat, er sah mich liebevoll und bekümmert an, er gestand mir, daß schon der seltsame Handel mit der verkauften und wiedergebrachten Ziege ihn nachdenkend gemacht, und daß Besorgniß über Etwas, das er nicht zu nennen gewußt, ihn selbst dem Grabe nahe gebracht habe. Wenn ich auf meinem Stillschweigen noch länger beharrte, so würden Gram und Furcht ihn bald wieder auf das Krankenlager werfen, und dann dürfte ich nicht hoffen, ihm abermals zu helfen, denn er würde solche unnatürliche Hilfe bestimmt zurückweisen!

Es hätte nicht die Hälfte von diesen Ermahnungen bedurft, um mir mein Geheimniß zu entreißen. Mein Vater erfuhr Alles, und zitternd stand ich vor ihm, das Urtheil zu hören, das er über mein Verhalten fällen würde.

›Ich weiß dich in keiner Beziehung zu tadeln,‹ sagte er nach einer langen Pause, ›dein kindischer Unverstand entschuldigt es, daß du deinem unheimlichen Bekannten so großes Vertrauen schenktest.‹

›Und werde ich den Mann auf dem Berge wiedersehen, werde ich seine Geschenke behalten dürfen?‹

›Das Wichtigste derselben, meine Gesundheit, können wir ihm doch nicht zurückgeben; was bleibt uns also übrig als Dank?‹

›Und danken wollen wir ihm gleich, Vater! Kommt mit mir, ihr sollt ihn sehen, sollt ihm selbst danken!‹

[41] ›Kannst du noch wünschen, ihn wieder zu sehen, da du doch jetzt weißt, wer er ist? – Ein Geist, ein Gespenst, allem Vermuthen nach der berüchtigte Rübezahl!‹

›Ein Geist? – Was ist denn ein Geist?‹

›Wunderliche Frage! Ein Geist ist – ist – Kurz ein Geist ist ein ganz anderes Geschöpf als wir!‹

›Aber meine Ziege und die Vögel im Walde sind ja auch ganz andere Geschöpfe als ich, und doch halten wir gute Freundschaft!‹

›Diese Vergleichung paßt nicht, mein Sohn; der mächtige Berggeist ist ein höheres Wesen als du, ist ein Wesen von so zweifelhaftem Rufe, daß es von den meisten Menschen unter die bösen Geister gezählt wird.‹

›Und doch hat sich dieser Geist immer so gütig gegen mich gezeigt! Er wird auch euch nichts zu Leide thun. Kommt, kommt, laßt uns nur auf den Berg gehen!‹

Und wir gingen; ich hüpfte singend voran, und mein Vater folgte ängstlich nach.

Er erstaunte, als ich ihm den Berg zeigte, der das Ziel unserer kleinen Reise war. ›Was sehe ich?‹ rief er, ›die nämliche Stelle, wo einst die Burg unserer Ahnen stand, die Rübezahl zertrümmerte! – Sollte hier eine höhere Schickung im Spiele sein? Sollte hier dem Enkel vielleicht das ersetzt werden, was die Voreltern verloren?‹

Bei diesen Worten erinnerte ich mich der ähnlichen Rede des Berggeistes, von der ich gegen meinen Vater [42] noch nichts erwähnt hatte, und erzählte ihm daher nun, wie mein seltsamer Freund davon gesprochen habe, daß ich einst an dieser Stelle ein Schloß erbauen würde, und daß unter der zerstörten Rübensaat Goldadern verborgen lägen, deren Besitz mich reicher als einen Fürsten machen würde.

Mein Vater sah mich mit Erstaunen an; ›du armes, kleines, einfältiges Geschöpf,‹ rief er, ›du solltest von dem Schicksale zu so großen Dingen bestimmt sein?‹

Ich konnte nicht begreifen, weshalb sich mein Vater über die Prophezeihung des Berggeistes, die ich zwar wörtlich wiederholt, deren Sinn ich aber nie ganz verstanden hatte, so sehr verwunderte. Ohne daher zu antworten, trieb ich meinen Vater nur zur Eile an, damit wir den Berg zeitig genug erbeichen und wieder verlassen könnten, denn ich fürchtete, daß uns sonst der Langmantel von dem Berge verjagen würde.

Schon begann es im Walde zu dämmern, und obgleich wir tüchtig zuschritten, so blieb das Gebirge doch immer gleichweit von uns entfernt, als ob wir uns nicht von der Stelle bewegt hätten, bis uns endlich ein schreckliches Unwetter nöthigte, für heute gänzlich von unserm Vorhaben abzustehen.

Am andern Tage wanderten wir abermals nach dem Berge und kamen auch glücklich hinauf. Hier fanden wir jedoch Alles öde und grausend; die von mir so sehr geliebte Gegend schien sich ganz verändert zu haben, und nur die Ruinen des Schlosses, und der von Rübezahl entblätterte, [43] nunmehr ganz verdorrte Rosenstrauch, waren mir noch kenntlich. Wir warteten einen ganzen Tag vergebens auf unsern Wohlthäter, bis wir, weil wir uns verspätet hatten, endlich durch einen Steinregen nach Hause gewiesen wurden.

Mein Vater verlangte nicht, diese Stelle wiederzusehen; ich besuchte sie täglich, indem ich hoffte, der Berggeist würde sich mir eher zeigen, wenn ich allein wäre; aber ich schien die Gnade meines Freundes auf ewig verscherzt zu haben und sollte ihn nie wieder erblicken.

Dennoch beharrte ich auf meiner Vorliebe für den Berg, und die Stunden, die ich daselbst zubrachte, waren die seligsten meines Lebens. Eines Tages, als ich an der Seite des verdorrten Strauches, mit dessen Blättern ich meinem Vater das Leben gerettet hatte, entschlummert war, träumte ich, der Berggeist stehe an meiner Seite, und betrachte mich mit zärtlichen, kummervollen Blicken. ›Wie ich dich liebte!‹ flüsterte er, als cede er mit sich selbst. ›Welch ein Loos ich dir bestimmte! Und dies ist Alles nun vorüber! Doch die Prüfungen, die ich dir sandte, waren für deine Jahre zu hart; du bist zu entschuldigen. Ganz verlassen werde ich dich nie, und einen Schatz wirst du noch immer in meinen Gebirgen finden, – aber jetzt: fliehe, fliehe!‹

Mit Schrecken erwachte ich bei den letzten Worten, und weil ich an der sinkenden Sonne sah, daß wirklich die verbotene Stunde nahte, eilte ich nach Hause.

[44] Als ich meinem Vater den wunderbaren Traum erzählt hatte, meinte er nur, es sei gut, daß ich die Ermahnungen zur Flucht eilend benutzt habe, und noch besser würde es sein, wenn ich mir für die Zukunft einen andern Spaziergang wählte.

Ich hatte nicht Zeit, mich zu bedenken, ob ich diesen Rath befolgen sollte, oder nicht, denn schon am andern Tage erfuhren wir Dinge, die uns fast auf den Gedanken bringen konnten, die Warnung des Berggeistes: ›Fliehe! Fliehe!‹ habe noch einen andern Sinn gehabt, als wir ihr gaben.

Es hatte nämlich der verrätherische Freund – der Goldkenner – meinen Vater wirklich in der Stadt als einen Bundesverwandten böser Geister angegeben, und da der Arm der Gerechtigkeit damals diejenigen, die man dessen beschuldigte, was man heut zu Tage Hexerei nennt, schwer und unerbittlich bestrafte, so würde meinen Vater weder seine Unschuld, noch mich meine zarte Kindheit vom Flammentode gerettet haben, wenn wir anders nicht noch zeitig von der uns drohenden Gefahr benachrichtigt worden wären. Ein Reisender, den mein Vater mit Milch und Brod labte, war so menschlich, uns zu warnen, obgleich wir ihm so unbekannt waren als er uns. Wir nahmen den kleinen Rest des Rübezahl'schen Schatzes, den wir vor der unersättlichen Habgier des Goldkenners gerettet hatten, sorgfältig zusammen, und gingen in die Fremde, wo mein Vater, der sich stark genug fühlte, das Schwert zu führen, Kriegsdienste nahm. Zehn Jahre lang hatte er dem Kaiser und dem Reiche treu und tapfer [45] gedient, als ich, der nun auch herangewachsen war, gleichfalls zu den Waffen griff. Kaum hatte ich die ersten Proben von meinem Muthe abgelegt, – da wurde es Friede, und bald darauf lag mein Vater an einer in der letzten Schlacht erhaltenen Wunde sterbend danieder. – Er hatte während der letzten zehn Jahre nie mit mir von den Abenteuern meiner Kindheit gesprochen, in seinen letzten Stunden aber erwähnte er sie. ›Fordre deinen ehrlichen Abschied vom Heere,‹ sagte er, ›und kehre heim ins Gebirge, wo du geboren bist. Du weißt, daß du daselbst einen mächtigen Freund hast, und daß dieser dir versprochen hat, du sollest einen Schatz in seinen Gebieten finden; nun fühle ich zwar jetzt im Grunde der Seele, wie gering irdische Schätze zu achten sind, aber wer weiß, ob man nicht jene Worte anders deuten kann. Auch darf ein so ganz verlassenes Geschöpf, wie du nach meinem Tode sein wirst, sein Glück auf keine Weise vernachlässigen!‹

Der gute Vater starb, und aus Kummer über seinen Tod verfiel ich in eine schwere Krankheit, von der ich mich nur langsam erholte. Als ich wieder genesen war, gedachte ich seines letzten Willens, zog heim in diese Gegenden, und ging, weil ich kein Handwerk gelernt hatte, das mich nähren konnte, in die Dienste Meister Melchiors, welcher eben damals das Gasthaus zum Riesen erst gebaut hatte. So mühselig nun auch mein Dienst ist, und so wenig mir auch meine Herrschaft gefällt, so habe ich doch Gründe genug, in dieser Gegend zu bleiben und in meinem Dienste auszuharren. Anfangs hielt mich die Erwartung des von Rübezahl versprochenen Schatzes, den [46] ich hier finden sollte, fest, und nun thut es die Freude ihn gefunden zu haben.«

»Wie? Du hast ihn gefunden?« rief hier Marie voll Erstaunen.

»Ja, Marie, obwohl ich ihn noch nicht ganz mein nennen kann. Du, mein gutes Mädchen, bist der von Rübezahl mir versprochene Schatz! Mein Herz sagt es mir, daß ich nie einen andern finden werde, und daß ich auch, um glücklich zu sein, keines andern bedarf.« –

Marien's Augen füllten sich bei diesen Worten, die sie von Erdmann's großer Liebe überzeugten, mit Thränen, und ganz ergriffen, vermochte sie nur, ihm durch einen Händedruck zu danken. »Armer Erdmann!« sagte sie nach einer langen Pause, »wie bist du zu beklagen, wenn dein Patron keinen bessern Schatz für dich aufbewahrte, als ein Mädchen, das Nichts besitzt, als ein treues, ehrliches Herz, und fleißige Hände, die jedoch nicht einmal im Stande sind, sie selbst zu ernähren, geschweige dir dein Leben, so wie sie wünschte, zu erleichtern.«

»Marie, weißt du nicht, was geschrieben steht? Wem ein tugendsam Weib bescheert wird – –«

»O möchte, möchte ich dich doch ganz verdienen!«

»Und wie ich dir schon gesagt habe, arm bin ich nicht. Ich zog nicht leicht dieses Weges, ohne Etwas zu finden, – was ich jetzt eben hier wiederfinden und dir zum Mahlschatz schenken werde.« Hier bückte sich Erdmann, und hob Etwas von der Erde auf, das er vom Staube reinigte und ihr in die Hand drückte. Mit Erstaunen sah Marie, [47] die nicht so unerfahren war, wie weiland der kleine Erdmann, ein glänzendes Goldstück, und als Beide es genauer betrachteten, so wurden sie auf dem Gepräge zwei in einandergeschlungene Hände gewahr, von einer lateinischen Umschrift umgeben, die sie jedoch nicht lesen konnten. Ein seltenes Schaustück, die einzige Münze, welche Konrad von Schwaben während seines kurzen Kriegszuges, und zum Andenken der zwischen ihm und Friedrich von Oestreich bestehenden Freundschaft hatte schlagen lassen! – Liebende deuten gern Alles zu ihren Gunsten, – so auch Erdmann und Marie, die sich über das Symbol der Vereinigung, was sich auf der Münze vorfand, ungemein freuten, und die ihre Gedanken durch eine herzliche Umarmung – die erste, welche von den unschuldigen Seelen noch gewagt worden war, – ausdrückten.

»Wie ich dir sage,« fuhr Erdmann nach einer Weile in seiner Erzählung fort, »dergleichen Goldmünzen habe ich hier viele gefunden; zwar nicht mit dem seltenen und schönen Gepräge, wie diese hier, die der gute Berggeist wohl besonders zu unserer Verlobung aufgehoben haben mag, aber doch ähnlich genug, um den Geber errathen zu können. Ich besitze davon eine ziemliche Anzahl und würde ihrer noch mehr haben, wenn ich es nicht für Pflicht hielte, wenigstens den achten oder zehnten Fund, den ich hier thue, in die Hände der Armuth zu legen. Der Vorwurf, den ich einst aus dem Munde meines Verräthers hören mußte, als habe mich ein böser Geist bethört, der mein Herz durch Goldgier zu verhärten suche, schmerzt [48] mich noch immer, und ich wollte lieber, der wohlthätige Berggeist nähme alle seine Gaben zurück, als daß er mich zum hartherzigen Reichen machte.«

»Das wird Erdmann nie werden,« rief Marie, »aber wohl scheint es mir, als wenn du dir zu viel von deinem Rübezahl versprächst! Ich fürchte, er bekümmert sich wenig um dich, und du kannst die Goldstücke, welche du als Knabe hier mit vollen Händen ausstreutest, jetzt wohl wieder finden, ohne daß er dabei die Hand im Spiele zu haben braucht.«

»Glaube davon, was du willst; mir wird es immer sonderbar vorkommen, daß nur ich, nie ein Anderer, der glückliche Finder bin, und daß ich oft, wenn ich auf meinen Wegen einen Begleiter hatte, wahrnehmen mußte, wie für diesen selbst offen im Wege liegende Goldstücke unsichtbar waren. Ich habe oft zu meinem Reisegefährten gesagt: ›Lieber Gesell, hebe auf, was vor deinen Füßen flimmert, es ist ein guter Reisepfennig!‹ – und er hat mir dann das, was ich noch beim Aufheben für ein Goldstück erkannte, lachend als einen Rübenschnitt oder eine verwitterte Glasscherbe vor die Augen gehalten.

Auch sind die milden Spenden des Berggeistes nicht die einzigen Gunstbezeugungen, deren ich mich von ihm zu erfreuen habe. Ueberall – so däucht es mir, – steht er mir rathend und helfend zur Seite. Verirre ich mich im Walde, so gesellt sich bald irgend eine Person zu mir, die mich wieder auf den rechten Pfad bringt. Führt mich mein Weg nach einem Orte, wo ein Unglück geschehen [49] soll, so hält mich immer etwas unterweges auf, daß ich zu spät komme, um davon betroffen werden zu können, und wartet irgendwo eine Freude auf mich, so werde ich von den Flügeln des Windes dahin getragen. Der wunderbaren Rettungen auf meinen oft gefahrvollen Wegen hier im Gebirge sind unzählige, und selbst deine Rettung, Marie, war ein Werk, das, wenn ich mir alle Umstände recht überlege, nicht ganz auf Rechnung meiner Kräfte und meines guten Willens zu schreiben ist.«

»Verzeihe, Erdmann, wenn ich dir wenigstens hierin widerspreche! Ich möchte nicht gern den Dank für mein Leben zwischen dir und einem Wesen theilen, das ich nicht kenne, und mit dem ich mich auch nicht befassen mag. Ueberhaupt, mein Freund, traue nicht zu viel auf deinen Gönner aus der Geisterwelt. Ist es schon mit großen Herren mißlich umzugehen, die doch Menschen sind, wie wir, wie viel mehr mit jenen ätherischen Geschöpfen, denen wir Staubbewohner wahrscheinlich nicht mehr sind, als dem spielenden Knaben der Schmetterling, der in seiner Hand flattert.«

»Bedenke, Marie, daß die Geister, zu welchen jenes unbekannte Wesen wahrscheinlich zu rechnen ist, keine Menschenhasser sind.«

»Das glaube ich dir herzlich gern! – Der Knabe mit dem bunten Schmetterlinge haßt das kleine Thierchen auch nicht, das zwischen seinen Fingern zappelt, er bewundert, er liebt es vielmehr, aber – seine Liebkosungen bringen ihm den Tod. – Ach, lieber Erdmann, ich habe [50] in dieser Beziehung traurigere Erfahrungen gemacht, als du wahrscheinlich denkst; ich könnte dir Dinge erzählen – doch du sollst sie erfahren, so wie überhaupt meine ganze Lebensgeschichte; ich bin es dir schuldig, eben so offenherzig gegen dich zu sein, als du es gegen mich warst.

Für heute müssen wir uns jedoch trennen, denn schon verschwindet die Sonne hinter jenen Bergen; aber morgen komme zeitig, wenn du kannst, damit ich meine Geschichte auf einmal ende.«

Ehe sie schieden, schenkte Marie ihrem Verlobten noch einen dünnen, silbernen Fingerreif, den sie immer zu tragen pflegte, und der das einzige Kleinod war, das sie besaß. Er dagegen versprach, morgen den Beutel mitzubringen, in welchem er seinen Schatz verwahrte, um sie durch den Augenschein von der Mildthätigkeit seines Patrons zu überzeugen.

[51]

Zweiter Abschnitt

Zweiter Abschnitt.
Die Ludlams-Höhle

Als Erdmann nach Hause kam, schalt Vater Melchior, Frau Else rumorte mit Tiegeln und Töpfen, und die schmutzige Metten weinte bitterlich. Das arme Geschöpf war nur aus Neigung für Erdmann, die sie mit allen Einwohnerinnen des Gasthofs zum Riesen theilte, damals in ihrem Dienste geblieben, als das übrige Gesinde abgezogen, und um seinetwillen mußte sie jetzt leiden. Als sie Marien, wie wir schon erzählt, heimlich bewirthet, und in ihrem Bette getrocknet und gewärmt hatte, da schenkte ihr das dankbare Mädchen ein seidnes Tuch, – ihren liebsten Staat, – den sie bei der Wassergefahr um den Hals getragen hatte. Diese Kostbarkeit hatte die strenge Hausregentin in der Garderobe der armen Dirne entdeckt und durch gewaltsames Forschen das ganze Geheimniß, so weit es der Inquisitin bekannt war, heraus gebracht.

»Es ist eine Schände,« brummte Else, als Erdmann in die Küche trat, »für einen sonst so wackern jungen Burschen, sich mit gemeinen Dirnen abzugeben, und sie der Herrschaft ins Haus zu bringen. Als wenn es nicht [52] brave und redliche Weiber gäbe, die sein Glück machen könnten!« – Herr Melchior aber sagte: »höre, Gesell, wenn ich dir gewogen bleiben soll, so laß ab von deiner Marie, die ich wohl kenne! Sie wohnt zu Schweidnitz in der Judenstadt, und ist eine Landläuferin, eine Guglerin – –«

»Oder gar eine Jüdin,« fiel Frau Else ein; »Niemand weiß, woher sie gestoben oder geflogen ist, und kein gutes Haar ist an ihr!«

Erdmann stand wie versteinert über das Ungewitter, das ihn hier erwartete, und hielt es für das Klügste, es austoben zu lassen, ohne sein Stillschweigen zu brechen. Metten mußte noch dieselbe Nacht aus dem Hause. Erdmann gab ihr in der Stille einige von seinen Goldstücken auf den Weg, und verschloß sich nach verrichteter Hausarbeit in sein Kämmerlein, um über das, was ihm begegnet war, nachzudenken.

Die schweren Beschuldigungen, die Meister Melchior und seine Tochter gegen die arme Marie vorgebracht hatten, verfehlten nicht, auf Erdmann einen großen Eindruck zu machen. Zwar erweckten sie bei ihm kein Mißtrauen gegen die Geliebte, aber sie erzeugten doch eine quälende Unruhe. – Mit Sehnsucht harrte er dem Tage entgegen, der ihm über die Verhältnisse der so sehr angeklagten Marie Aufschluß geben sollte, und schon fürchtete er, daß er vielleicht verhindert werden könnte, mit dieser zusammenzutreffen. Beinahe wäre dieß der Fall gewesen, denn Frau Else war am andern Morgen sehr gegen die beabsichtigte [53] Wanderung und erst, als es sich erwieß, daß gerade heute höchst wichtige Aufträge in der Stadt zu besorgen waren, die keinen Aufschub litten, wurde ihm gestattet, den Weg dahin anzutreten. Beim Fortgehen entließ man ihn mit der ernsten Verwarnung, dießmal nicht so lange auszubleiben wie gewöhnlich, und die Possen mit der verlaufenen Dirne unterweges zu lassen.

Erdmann kümmerte sich wenig um diese Ermahnungen, und war entschlossen, zu thun, was ihm beliebte, nicht was die unbefugten Richter seiner Handlungen ihm vorschrieben. Wie immer, glückte es ihm auch diesmal, seine Geschäfte in ganz kurzer Zeit abzumachen. Ehe man noch im Gasthofe glauben konnte, er habe jetzt die Stadt erreicht, war schon daselbst Alles ausgerichtet, und bald saß er an der gewöhnlichen Stelle an Mariens Seite, die er jedoch in einer traurigen Stimmung fand.

Zurückhaltung und unnöthige Umschweife sind die Quellen der unheilbarsten Zwistigkeiten; es würden sich im wirklichen Leben, so wie in der Romanenwelt, nicht so viele Verwirrungen finden, wenn man überall fein gerade zu Werke ginge, wie Erdmann that. Man hatte ihm Etwas wider sein Mädchen in den Kopf gesetzt, und kaum war er eine Viertelstunde mit ihr zusammen, so wußte sie schon Alles, was man Schlimmes von ihr gesagt hatte.

Marien's Mienen verzogen sich bei Erdmann's Mittheilung halb zum Lachen, halb zum Weinen, und erst nach einer langen Pause fing sie zu sprechen an:

[54] »Was sich die Leute doch für große Mühe gehen,« rief sie, »eine Liebe zu stören, von welcher noch Keines von uns weiß, ob der Himmel seine Zustimmung dazu geben wird.«

»Ich hoffe, Marie, wir haben die Zustimmung des Himmels und aller guten Geister, wenn du nur im Stande bist, die Beschuldigungen zu entkräftigen, die man gegen dich vorgebracht hat.«

»Was würdest du nun aber thun, wenn der größte Theil jener Beschuldigungen auf Wahrheit beruhte?«

»Du erschreckst mich, Marie! Und doch, ich fühle es, würde ich nie aufhören, dich zu lieben, möchte es auch mit dir stehen, wie es wollte! – O rede, und reiße mich aus meiner Ungewißheit!«

»Man nennt mich eine Landläuferin! – gut, wenn ein armes, von seinem Vaterlande entferntes Mädchen diesen Namen verdient, so bin ich es. Eine Guglerin 3! – bezeichnet man mit dieser Benennung die Britten, welche vor einigen Jahren mit dem Schwerte in der Hand das feste Land betraten und hier Wunder der Tapferkeit verrichteten, so gehöre ich allerdings zu diesem Geschlechte, denn ich bin eine Engländerin, wie du heute aus meiner [55] Geschichte ohnedem vernommen haben würdest. – Eine Jüdin soll ich auch sein – – –«

»Nun? du sollst? Was wirst du auf diese Beschuldigung erwidern?«

»Sage mir, Erdmann, war der Menschenfreund im Evangelio, der den unter die Mörder Gefallenen pflegte und verband, ein Jude?«

»Nein! Aber ich sehe nicht ein, was du mit dieser Frage willst.«

»Ich wünschte nur zu wissen, ob etwa Jemand, der mit einem Juden in Berührung kommt, ebenfalls als ein solcher angesehen werden kann! – Weshalb mich übrigens manche Leute für eine Jüdin halten, weiß ich selbst nicht recht, und vermuthe nur, daß meine Wohnung Veranlassung zu diesem Gerede gegeben hat. – Meine Herrschaft – fast eben so arm wie ich – wohnt nämlich in dem gastlichen Theile von Schweidnitz, der vor hundert Jahren den aus Breslau vertriebenen Juden als Zufluchtsort diente, – aber muß ich darum sein, was meine Nachbarn sind? – Dann müßte ich ja besorgen, in meinem Erdmann einen Genossen von Meister Melchior zu sehen, und dann hättest du mir, wenn auch Alles wahr wäre, wessen man mich beschuldigt, wahrhaftig wenig vorzuwerfen.«

Marie, die sonst so sanftmüthige Marie, ward bitter! Erdmann suchte sie zu besänftigen, was ihm auch leicht wurde, denn mit ihm zürnte sie ja nicht. Es kam bald dahin, daß die beiden Liebenden wieder in so traulicher [56] Einigkeit beisammen saßen, als ob nichts vorgefallen wäre, und Marie fühlte sich gefaßt genug, ihre Geschichte zu beginnen.

»Daß ich eine Engländerin bin,« fing sie ihre Erzählung an, »hast du bereits erfahren, und dies ist auch das Wichtigste, was ich dir von meiner Person zu sagen weiß. Ich bin noch zu jung, um selbst viel Abenteuer erlebt zu haben, und es sind mehr die Schicksale meiner Eltern, die ich dir zu erzählen beabsichtigte, und die dir über gewisse Verhältnisse Aufschluß geben werden.

Wenn ich dir nun vor allen Dingen sage, daß meine Mutter edler Abkunft war, so hoffe ich, daß der Herr von Erdmannsdorf mir dieß nicht als Eitelkeit auslegen und nicht etwa glauben wird, ich erwähnte solches nur darum, damit er, – falls wir noch ein Paar werden sollten – sich vor keiner Mißheirath fürchte.«

»Holdes Mädchen!« rief Erdmann, den der kleine Muthwille, der aus ihren Worten sprach, nicht wenig ergötzte, »du verstehst es, mich mit tausendfachen Banden an dich zu fesseln! Bald zeigst du eine liebe, süße Einfalt, bald einen weisen Ernst, bald bist du das launige Geschöpf, das sich – wie jetzt – durch einen harmlosen Scherz für unschuldig erlittenen Schimpf rächt!« – Marie lächelte und fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Meine Mutter war die Urenkelin des berühmten Sir William Turner, der zu Zeiten eines unserer alten Könige eine wichtige Rolle spielte. Doch du bist wahrscheinlich in der Geschichte meines Vaterlandes eben so [57] unwissend als ich in der deinigen, und ich will dich daher nicht mit Aufzählung der Schicksale meiner Urahnen behelligen.

Meine Mutter war ungeachtet des großen Namens, den sie führte, so arm, wie ihre Tochter, die jetzt an deiner Seite sitzt, und mußte gleich dieser, von der Arbeit ihrer Hände leben. Doch war sie reich an Tugenden. Ihr Wandel war still und sittsam, und deshalb war sie bei den Mitbewohnern ihres Geburtsortes, – eines kleinen Dorfes nahe bei Farnham in der Grafschaft Surry, – so wohl angesehen, daß, als sich in ihrem zwanzigsten Jahre ein Freier meldete, die ganze Gemeinde einig ward, meine Mutter nothdürftig auszustatten, ihr das Hochzeitmahl auszurichten und dem verlobten Paare noch eine besondere Gunst zu erweisen.

Die Gemeinde besaß in der Gegend von Noorparck, nicht weit von ihrem Dorfe, ein kleines Haus nebst etwas Wiese und Ackerfeld, so viel als ein einzelner Mann bearbeiten kann. Seit undenklichen Zeiten bestand nun eine Stiftung, nach welcher diese Meierei immer an ein junges Ehepaar für die Zeit von zwei Jahren übergeben werden mußte, und zwar unentgeldlich, damit, – so lauteten die Worte des alten Stifters in der sorgfältig bewahrten Urkunde, – damit das junge Paar wenigstens im Anfange der Ehe sorgenfrei leben könnte. Während nun die Meierei früher meistens an die Kinder der reichsten Pächter vergeben worden war, die durch ihren Einfluß diese Gunst zu erlangen wußten, so vereinigte sich [58] doch diesmal die ganze Gemeinde, jenes Besitzthum der guten Marie Turner zuzusprechen, die als elternlose Waise einer solchen Wohlthat um so mehr bedurfte, als ihr Bräutigam zwar ein braver, aber armer Kriegsmann war. Heutzutage nennt man es Heldenwagniß oder Thorheit, wenn zwei Arme einander freien, damals aber fand man die Heirath meiner Mutter weder sonderbar noch thöricht. Liebe schloß sie, das Brautpaar hatte Lust und Kräfte zur Arbeit, und es bedurfte also nur einer kleinen Unterstützung, die man ihnen gern verwilligt hatte.

An einem bestimmten Tage brachte man die Verlobten in feierlicher Procession nach der Waverly-Abtei, wo sie eingesegnet wurden, und bei der Heimkehr ermangelte man nicht, einen gewissen, großen kupfernen Kessel mitzunehmen, welcher in dortiger Kirche verwahrt, und gewöhnlich bei ähnlichen Hochzeitausrichtungen, wie die meiner Eltern, zur Bereitung der Speisen gebraucht wurde.

Als des Abends, nach einem froh durchtanzten und durchspielten Tage, die Alten beim starken Biere saßen und sich gütlich thaten, und die jüngern Leute dem Gespräche der Greise zuhörten, begann einer von diesen folgendermaßen: ›Laßt uns auf das Wohlsein der Patronin des jungen Ehepaars trinken! Die Becher hochgehalten! Es lebe Mutter Ludlam in ihrer Höhle!‹ – Die Meisten von der Gesellschaft wußten, wem die ausgebrachte Gesundheit galt, und tranken freudig mit; aber der Bräutigam, der aus einer entfernten Gegend nach Surry gekommen war, sagte, nachdem er seinen Becher [59] geleert hatte: ›guter Vater, wem zu Ehren habe ich getrunken, und wer ist überhaupt Mutter Ludlam, die ihr meine Patronin nennt?‹

›Junger Mann,‹ versetzte der Alte, ihr sollt Alles erfahren, denn es würde euch übel anstehen, aus Mutter Ludlams geweihtem Kessel gegessen zu haben, und nach Mitternacht den Kehraus um denselben zu tanzen, ohne zu wissen, was es damit für eine Bewandniß hat. Die Geschichte der Mutter Ludlam, die leider heutzutage von der leichtsinnigen Jugend für ein Mährchen gehalten wird, lautet so:

Drei Meilen von Farnham, in der guten Grafschaft Surry liegt ein sandiger Hügel, der sich südwärts öffnet und eine Höhle bildet, in welcher in der grauen Vorzeit ein Weib gewohnt haben soll, das der Sage nach von menschlichem Geschlechte, jedoch mit übernatürlichen Kenntnissen ausgerüstet war. Ich habe indeß in einem alten, glaubwürdigen Buche gelesen, daß jenes Weib ein in diese Gegend gebannter Geist war, der daselbst unter menschlicher Gestalt gewisse, uns Sterblichen unbekannte Absichten ausführte. Unsere Urväter haben dieses geheimnißvolle Wesen noch gesehen, seine Wohlthaten genossen und es Mutter Ludlam genannt, was in der alten gothischen Mundart ungefähr so viel geheißen haben mag, als Mutter Geberin, oder gebende Mutter. Der Name war gut gewählt, denn in der That war Geben des guten Geschöpfes tägliches Werk; sie gab so lange, bis sie nichts mehr hatte, oder bis der Undank, [60] die Unbescheidenheit, oder die Ungenügsamkeit der Beschenkten sie ungeduldig machte. Sie hörte nun mit dem Geben auf, weil sie aber die Erdbürger nicht ganz verlassen konnte oder wollte, so fing sie jetzt an, den Hülfsbedürftigen das zu leihen, was sie früher verschenkt hatte. Bei ihr konnte man Alles haben. Sie lieh gern und ohne Interessen; aber prompt mußte man im Wiedererstatten sein. Wenn der Termin der Zurückgabe, den sich Jeder – jedoch nur auf Tage, nicht auf Jahre – festsetzen durfte, verflossen war, ohne daß man ihr das Geliehene zurückgebracht hatte, so bestrafte sie die Wortbrüchigen hart, doch weiß man nicht, worin die Strafe gewöhnlich bestanden hat. – Alles, was aus ihren Händen kam, es mochte Gold oder Geräthe sein, das brachte Segen und machte dem Borger die Erstattung leicht. So soll der Erbauer der Waverly-Abtei, – ein armer Pilger aus dem heiligen Lande, – hinab in ihre Höhle gestiegen sein, und um Holz, Steine und ein wenig Geld zu Erbauung einer Klause gebeten haben, – da ist ihm so viel davon geworden, daß er es mit Pferden und Wagen hat hinwegfahren müssen! Aus der kleinen Klause entstand ein großes Kloster, und nach Verlauf von dreihundert Tagen, den Termin, den sich der Pilger selbst bestimmt hatte, ist er im Stande gewesen, das Geborgte in Natura wieder zur Stelle zu schaffen. – Wer von der Mutter Ludlam etwas leihen wollte, brachte sein Anliegen auf folgende Weise vor: Um Mitternacht ging der Borger entweder allein, oder in Begleitung eines [61] Kindes durch die weite Oeffnung, welche damals an zwanzig Fuß breit und zehn Fuß hoch gewesen sein soll, in die Höhle hinein, bis zu einer Stelle, wo sich die Höhle nordwärts krümmt. Hier fand er einen klaren Bach, der sich in ein Marmorbecken ergoß, das Anton Waverly, der Erbauer jener Abtei, wo ihr eingesegnet worden seid, hatte machen lassen, und an dieser Stelle soll Mutter Ludlam – eine freundliche Alte – oft sichtbar gewesen sein. – Ließ sie sich aber auch nicht sehen, so hatte man weiter nichts zu thun, als dreimal um den Brunnen zu gehen und zu sagen: ›Gute Mutter Ludlam, leihe mir dieses oder jenes, in so und so viel Tagen bringe ich es wieder.‹ Wenn man sich dann langsam entfernte, so fand man am andern Morgen das Geforderte am Eingange der Höhle, wohin man es, wie schon gesagt, genau zur bestimmten Zeit und Stunde und in eigner Person wiederbringen mußte. Nun begab es sich einst, daß ein junger Mann, so wie ihr, Hochzeit machte, zu der, weil er reich war und viele Freunde hatte, mehr Gäste kamen, als er erwartet hatte. Im ganzen Dorfe war kein Kessel, der groß genug gewesen wäre, die Brautsuppe darin zu kochen. Da höhnten ihn die losen Gesellen und sprachen: ›Hochzeiter! steige hinab zur Leihfrau und borge von ihr, was du bedarfst!‹ Um seinen Muth zu zeigen, that er, wie sie ihm sagten, und ging am Vorabende des Hochzeitfestes in die Höhle und bat: ›gute Mutter Ludlam, leihe mir einen Kessel zur Brautsuppe, aus welchem alle meine Gäste satt werden können; morgen [62] um diese Zeit bringe ich ihn wieder.‹ – Er erhielt, was er forderte und lief nach Hause, einige Knechte zu holen, die ihm das ungeheure Ding, das ihr heute gesehen habt, heimholen mußten.

Man kochte darin, man aß und wurde satt. Jedermann behauptete, nie hätte eine Suppe köstlicher geschmeckt, als diese; auch fehlte es nicht an Großprahlereien des Bräutigams und schmeichlerischen Lobeserhebungen seiner Freunde wegen seines Muthes, denn es war eine geraume Zeit vergangen, daß Niemand gewagt hatte, ein Darlehn von der strengen Schuldfrau zu fordern, die wahrscheinlich das letzte mal einem bösen Bezahler übel mitgespielt haben mochte.

Unter lärmender Freude ging der Tag hin, und Mitternacht kam heran, ohne daß der Borger an sein Versprechen dachte. Er führte sein junges Weib heim, und beschied seine Gesellen auf den nächsten Tag zu neuer Freude. Ach, diese Freude sollte in eine Todtenklage verwandelt werden! Man fand am andern Morgen den jungen Ehemann todt, und sein Weib in einer todtenähnlichen Ohnmacht auf ihrem Lager. Keine Hülfleistung konnte den Unglücklichen erwecken, und die junge Frau wußte nichts zu sagen, als daß sie über einen fürchterlichen Traum, den sie vergessen habe, erwacht sei, daß sie ihren Mann, weil ihr ein Grausen angewandelt, habe wecken wollen, ihn jedoch todt gefunden, und daß sie darauf wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen sei. – Bei reiflicher Ueberlegung aller Umstände konnte [63] man nicht anders glauben, als daß der schnelle Tod des jungen Mannes ein Werk der Mutter Ludlam gewesen sei, die sich an den Wortbrüchigen habe rächen wollen. Man fand ihre Strenge sehr grausam und unvernünftig, und brachte ihr mit Fluchen den Kessel wieder; aber sie mochte nicht zurücknehmen, was ein Mensch mit seinem Leben erkaufen mußte, und soll seitdem das Leihen ganz aufgegeben haben. Der Kessel lag ein ganzes Jahr am Eingange ihrer Höhle, bis man ihn nach Waverly zurückbrachte und bestimmte, daß er bei ähnlichen Hochzeitausrichtungen, wie die eurige, nicht allein immer gebraucht, sondern daß dem jungen Ehepaare auch noch ein Geschenk von drei Kronen verehrt werden solle, die euch diese Nacht beim Tanze um den kupfernen Kessel jedenfalls gereicht werden. –

Richard, mein Vater, war hocherfreut über das tröstliche Ende der Geschichte, denn Geld hatte er wenig in den Händen, und die unerwartete Hochzeitsteuer kam ihm sehr gelegen. ›Ei so soll sie hoch leben, die gute Zauberin!‹ rief er und trank noch einen Becher aus: ›Auf euer Wohlsein, Mistreß Ludlam! Wenn mir einmal das Borgen ankommt, so werde ich an eurem Leihhause nicht vorübergehen!‹

Die Gäste lachten über den Einfall, man stand auf, und machte Anstalten zum Weggehen. Das Brautpaar mußte neunmal die Runde um den schwarzen Kessel machen, wobei es an wohlangebrachten, unschuldigen Neckereien nicht fehlte; dann gab man ihnen die drei[64] Kronen, welche Richard als nunmehriger Hausvater zu sich nahm, und sich mit seiner jungen Frau zum Heimzuge fertig machte. Es war eine helle Sommernacht, voll Mondschein und leuchtender Insekten. Das ganze Dorf begleitete die Neuvermählten unter dem Schalle von Becken und Schalmeien nach dem einsamen Hause, welches nun zwei Jahre lang, bis nach vollbrachter Ernte, ihr Eigenthum sein sollte. Unter den jungen Leuten, die sie mit heimführen halfen, befanden sich gewiß ein paar Liebende, die sich diese Nacht bei dem Schimmer der Gestirne das Wort gaben, recht bald dem Beispiele der Neuvermählten zu folgen, denn damals zeigte Hymen ein so lockendes Gesicht, daß nicht leicht junge Leute ihn bei einem Hochzeitfeste in der Nähe lächeln sahen, ohne daß sich hier und da Liebesbündnisse entspannen, welche nächstens Gelegenheit zu neuen Festen gaben.

Richard und Marie begannen ihren Hausstand unter den glücklichsten Aussichten; in ihrer kleinen Wirthschaft schien, wenigstens auf den ersten Anblick, Nichts zu fehlen, so wohl hatte man sie ausgestattet, und hinsichtlich der diesmaligen Ernte, die in wenig Wochen bevorstand, und auf die sie freilich keinen Anspruch machen durften, traf man auch solche Verfügungen, daß sie zufrieden sein konnten. Richard nahm, als die Zeit heran kam, sein Ackergeräth zur Hand, das Feld wieder zu bestellen, was er, ungeachtet er bisher das Schwert geführt hatte, sehr wohl verstand. Marie arbeitete indessen fleißig zu Hause, – das heißt, sie trieb das Gewerbe, das [65] auch ich von ihr gelernt habe, – sie spann und webte, wie sie im ledigen Stande gethan hatte; aber des Abends, wenn der Mann nach Hause kam, legte sie Spindel und Rocken bei Seite, um blos ihm zu leben. Nach der frugalen Abendmahlzeit saß man dann an der Thüre des Hauses, und überblickte unter frohem Geplauder die Umgegend, die den Liebenden bei allen Unvollkommenheiten, die sie hatte, ein zweites Eden zu sein schien, oder man ging zu den gemeinschaftlichen Freunden und Wohlthätern in das nahgelegene Dorf, die sich über das Glück des jungen Paares, denen sie empor geholfen hatten, innig freuten.

›Marie,‹ sagte einst mein Vater zu meiner Mutter, als sie von einem solchen Besuche nach Hause gingen, ›mir hat diesen ganzen Abend etwas auf dem Herzen gelegen, das ich unsern Freunden gern entdeckt hätte, ohne den Muth dazu zu haben. Sie haben unsere Wirthschaft wohleingerichtet, und es an nichts fehlen lassen, das uns noth ist; gleichwohl hätte ich noch einen Wunsch, den ich auf keine Art zu befriedigen weiß, weil ich mich zu reden scheue!‹

›Und warum das, Richard? ich denke, du kannst nichts Unbilliges wünschen!‹

›Nein, meine Wünsche sind sehr unschuldig, und mit wenig Kosten zu befriedigen; aber bedenke selbst, wie würde mir es anstehen, wenn ich zu den Leuten, die so viel für uns gethan haben, käme und spräche: Der Acker, auf welchen ihr Weizen zu säen gewohnt seid, [66] würde bei einer andern Art von Getreide weit fruchtbarer sein; gebt sie mir, daß ich säe und mit Wucher ernte! Oder wenn ich sagte: mir fehlt dieses oder jenes Ackergeräth, das ich in irgend einem fremden Lande sah, und das sie vielleicht kaum dem Namen nach kennen! Sprich, würde man mich bei einer solchen Aeußerung nicht einen Undankbaren und Begehrlichen schelten?‹

›Und wie dann, Richard, wenn ich dir jetzt schon diese Namen beilegte?‹

›Das wirst du nicht, wenn du bedenkst, daß wir hier nur kurze Zeit zu hausen haben, und daß uns ein erlaubter Vortheil wohl zu gönnen ist. Sprich, wenn mich nach Verlauf unserer Gnadenjahre der König wieder ins Feld ruft, kann mir es dann gleich sein, ob ich dich ganz arm, oder mit einem kleinen Nothpfennig versehen zurücklasse?‹

Marie drückte seine Hand. ›Liebe,‹ rief sie, ›spricht aus Allem, was du sagst; wie kann ich dein Vorhaben tadeln? – aber auch wie soll ich helfen?‹

Der Rest des Weges wurde schweigend zurückgelegt, bis sie ihre kleine Wohnung von Weitem in der Dämmerung liegen sahen. Sie kamen jetzt vor einem großen Sandhügel vorbei, der sich fast bis an ihr Haus erstreckte, und der gegen die umliegende fruchtbare Gegend, die ihnen zum Anbau anvertraut war, sehr abstach.

›Ach!‹ rief Richard im Vorübergehen, ›wie Schade ist es, daß du, gute Mutter Ludlam, das Schenken und [67] das Leihen verlernt hast! Bei dir wüßte ich Rath für das, was mich Tag und Nacht beunruhigt.‹

›Was willst du damit sagen?‹ rief meine Mutter, die am ganzen Körper zitternd, kaum weiter zu gehen vermochte.

›Wie?‹ antwortete mein Vater, ›weißt du noch nicht, daß die gute Leihfrau, von der man uns am Hochzeittage so viel erzählte, unsere Nachbarin ist? – Was giebst du mir, so gehe ich diese Nacht in ihre Höhle, deren Oeffnung wir bald sehen werden, wenn wir uns nur ein wenig südwärts halten, und versuche, ob sie noch so menschenfreundlich ist, wie zu deiner Väter Zeiten!‹

›Um Gotteswillen, Richard!‹ schrie Marie, und schlang ihre Arme um seinen Nacken, ›laß ab von solchem tollkühnen Unternehmen! Wer bürgt mir für dein Leben, das mir so theuer ist?‹

›Glaubst du, daß ich nicht besser Wort halten würde, als jener reiche Pachter?‹

›Ich glaube von dir in Allem das Beste, aber ich bitte dich, wenn du borgen willst, so wende dich an Deinesgleichen, und verirre dich nicht in die Geisterwelt. – Jetzt komm, und laß uns aus dieser Gegend eilen, die mir noch nie so unheimlich vorgekommen ist als heute!‹

Sie lenkten seitwärts ab, und kamen bald nach Hause. Beide sprachen wenig, und legten sich stillschweigend zu Bette.

›Marie,‹ sagte mein Vater um Mitternacht, ›du kannst wohl nicht schlafen? Was fehlt dir?‹

[68] ›Ach, Richard, ich denke an unser letztes Gespräch! Es war doch nur dein Scherz, was du von der Ludlamshöhle sagtest? Denn wenn dir ja deine neuen Erwerbspläne so sehr am Herzen liegen, so kannst du dir noch anderweitig helfen.‹

›Und wie?‹

›Wir haben ja unser Hochzeitgeschenk noch, die drei Kronen aus der Waverly-Abtei. Nimm sie, und wende sie an, wie du willst; du kannst wohl denken, daß ich nichts dawider habe; deine Ruhe kann nicht zu theuer erkauft werden!‹

Richard schwieg, denn mit jenen drei Kronen hatte es seine besondern Bewandnisse, wovon meine Mutter nichts wußte, und wovon er ihr nichts entdecken durfte. – Mein Vater war bei allen seinen guten Eigenschaften nicht ohne zwei große Fehler, Folgen seines Soldatenstandes, und des Bösen, was er in der Fremde gesehen hatte. Er liebte nämlich sehr die gefüllten Becher, und noch ungleich mehr das Spiel, und da er gerade in den ersten Tagen seiner Ehe eine kleine Geschäftsreise nach Okly hatte machen müssen, so waren bei dieser Gelegenheit die drei Kronen, deren meine Mutter gedachte, theils vertrunken, theils verspielt worden.

Am andern Tage wiederholte meine Mutter ihre Vorschläge, und mein Vater, der vermuthlich während der Nacht darüber nachgedacht hatte, wie er sich aus seiner großen Verlegenheit helfen könne, schien ihr mit Wohlgefallen zuzuhören. ›Wenn du willst,‹ sagte er, [69] ›so bin ich bereit, die Grille, die mir in den Kopf gekommen ist, auf die leichteste Art zu befriedigen. Nenne es nicht Eigensinn; du wirst sehen, daß die Sache Vortheil bringt, und daß die drei Kronen, die man für verloren halten möchte, bald wieder gewonnen sein werden.‹

Die unschuldige Marie ahnte keinen Doppelsinn in diesen zweideutigen Worten und freute sich darauf, ihren Mann, den sie schon lange eine kleine Schwermuth angemerkt hatte, nun künftig ruhiger zu sehen. Als dieser ihr aber erklärte, daß er, um sich das Benöthigte anzuschaffen, eine kleine Reise machen müsse, von der er erst am andern Tage zurückkehren würde, so trauerte meine Mutter, denn noch nie hatte sie ihren Richard auf so lange Zeit von sich gelassen. Sie fürchtete sich, seit sie von der seltsamen Nachbarschaft unterrichtet war, in dieser einsamen Gegend allein zu sein, und beschloß daher, während ihres Mannes Abwesenheit nicht aus ihrer Hütte zu gehen, welcher Entschluß von Richard höchlich gebilligt wurde. –

Meine Mutter hatte die Freude, ihren Geliebten am andern Tage viel früher heimkehren zu sehen, als sie hoffen konnte. Er sagte, er habe das, was er geglaubt hätte, weiter suchen zu müssen, in Okly gefunden, und wolle nunmehr unverzüglich das Werk beginnen, wovon er sich so viel Vortheil verspräche. Der Weizenacker wurde von Neuem umgepflügt, und bald darauf sah Marie aus demselben eine Saat hervorkeimen, welche schnell emporschoß, [70] sich ausbreitete, und mit einem Grün prangte, das sie nie so schön gesehen hatte.

›Junger Mann,‹ sagte einer von den alten Bauern aus dem Dorfe, der Richard einstmals zu besuchen kam, und seinen Acker sah, ›wo habt ihr die Aussaat her, die in unseren Gegenden so schwer zu bekommen ist? Ich kenne sie wohl; wenn Gott gut Wetter verleiht, so kann sie ihren Mann reich machen! Pachter Hobkins, der ein kleines Säckchen davon mit aus der Fremde herüberbrachte, hat Gold davon geerntet.‹

Richard lachte, und Marie ersparte ihrem Manne eine Lüge, indem sie erklärte, daß sie ihr Hochzeitgeschenk zum Ankaufe dieser Seltenheit angewendet hätten.

›Nun, ihr habt wohlgethan,‹ erwiederte der Alte, ›nur wundert mich, wie ihr so leicht dazu gekommen seid!‹

Richard brach das Gespräch ab, und ein Wink belehrte Marien, es ebenfalls dabei bewenden zu lassen.

›Du wärst im Stande, Alles auszubeichten, wenn man dir nicht steuerte,‹ sagte er, als sie allein waren.

›Und warum sollte ich nicht?‹

›Man muß dem Neide keine Nahrung geben.‹

›Neid? bei unsern Wohlthätern?‹

›Man kann nicht wissen! – Es ist gut, daß ich dir meinen neuen wälschen Pflug nicht sehen ließ, denn sonst würdest du auch von diesem geplappert haben.‹

Marie bekam später dieses künstliche Werkzeug oft zu sehen. Mein Vater war ein geschickter Mann, der [71] allerlei Arbeit in Holz und Eisen machen konnte, wenn er ein Modell vor sich hatte; alle Zeit, die er nicht auf dem Felde zubrachte, künstelte er daheim, und unter dem Vorwande, sein neumodisches Ackergeräth sei schadhaft geworden, brachte er ein Aehnliches zu Stande, welches von dem Originale kaum zu unterscheiden war. Mehrere Monate gingen darüber hin; die Ernte kam, Richard sammelte hundertfältig ein, und gewann mit dem Ertrage, wie der alte Bauer aus dem Dorfe gesagt hatte, Gold. Meine Mutter erstaunte, und da sie nun auf einmal eine wohlhabende Frau geworden war, so sah sie mit doppelter Freude der Erfüllung von Hoffnungen entgegen, die ihr bald Mutterfreuden versprachen.

›Gott sei Dank!‹ rief sie, ›nun dürfen wir uns nicht mehr fürchten, den Namen Vater und Mutter zu führen; wir werden Brod haben für uns und unsere Kinder, auch wenn unsere Gnadenjahre verflossen sind, und wir diese Gegend verlassen müssen!‹

›Und warum sollten wir sie verlassen?‹ fragte Richard. ›Ich gehe mit dem Gedanken um, den Ueberschuß unseres Geldes zum Ankaufe einiger Aecker in Noorpark, und zur Erbauung eines kleinen Hauses anzulegen, so daß wir für immer hier bleiben können!‹

›Wäre es möglich, daß wir so reich sein sollten, dieß Alles zu bestreiten?‹

›Dafür laß mich sorgen; stelle von nun an das emsige Arbeiten ein, und denke an nichts, als an dein Wochenbett.‹

[72] Richard war mit der äußersten Zärtlichkeit bemüht, seiner Marie ihren Zustand so leicht und angenehm als möglich zu machen; er kam, da es jetzt im Felde wenig zu thun gab, und seine künstliche Handarbeit beendiget war, fast nie von ihrer Seite, und doch sollte meine Mutter in der Stunde, da sie der meisten Hülfe bedurfte, ganz allein sein. Sie erwachte einst um Mitternacht aus einem tiefen Schlafe. Sie befand sich unwohl, sie rief ihren Mann, – keine Antwort! – Ihr Entsetzen über diese seltsame, ungewohnte Einsamkeit bewirkte, daß sie eine lange Zeit ganz ohne Besinnung lag. – Sie ermunterte sich wieder; ich erblickte das Licht der Welt. Die Morgendämmerung kam heran – noch war meine arme Mutter allein; – endlich, als die Sonne schon eine Stunde am Horizonte stand, hörte meine Mutter den Schlüssel an der Hausthüre im Schlosse umdrehen, und Richard trat ein. –

›In dieser fürchterlichen Nacht konntest du mich verlassen?‹ sagte sie mit schwacher Stimme, indem sie mich ihm entgegen hielt.

Er flog auf ihr Bett zu, er überdeckte sie und mich mit Küssen und Thränen, er warf sich auf die Kniee und stammelte Entschuldigungen, welche in den Augen meiner Mutter wenig sagen wollten. ›Ach,‹ rief sie, ›Geschäfte wendest du vor? Hattest du wohl ein dringenderes Geschäft, als bei deiner Marie zu bleiben, die bald ein Opfer des Todes geworden wäre? – Und Geschäfte in der Nacht? was mögen das für welche sein?‹

[73] Richard zerfloß in Thränen; er wußte nicht, wie er seine weinende und mit Recht beleidigte Gattin beruhigen sollte; in der Angst nahm er eine Handvoll Kronen aus der Tasche, und legte sie auf ihr Bett. ›Da,‹ sagte er, ›nimm und kaufe dir bei deinem Kirchgange was du willst, nur verzeihe mir mein Vergehen, und wisse, daß an dem Gange, den ich diese Nacht thun mußte, mein Leben hing!‹ –

Der Anblick des vielen Geldes, was ihr bloß zu ihren kleinen Ausgaben geschenkt, und die räthselhaften Worte, mit denen es gegeben wurde, machten die Sache noch schlimmer. Meine Mutter wußte nicht, was sie davon halten sollte, und zu schwach, ihre Bedenklichkeiten durch Worte zu äußern, schwieg sie.

Mein Vater machte nun bald Anstalt, einen Kindtaufschmaus auszurichten, der in der ganzen Gegend seit zwanzig Jahren nicht seines Gleichen gehabt hatte. Die gutherzigen Bauern aus dem Dorfe waren meine Pathen; er bewirthete sie alle herrlich, aber sie waren nicht so vergnügt, als sie wahrscheinlich bei einem geringeren Mahle gewesen sein würden.

›Vetter! Vetter!‹ sagte einer von den Aeltesten, ›Gott weiß, wie es mit euch steht, daß ihr so schnell emporgekommen seid. Habt ihr hier einen Schatz gefunden, wie die Rede geht, so ziemte es sich doch wenigstens, uns etwas davon zu sagen.‹

›Gevatter,‹ antwortete Richard, ›mein Schatz liegt in jenem Acker; die Aussaat war köstlich, die Ernte[74] noch besser, so mußte ich ja wohl ein gemachter Mann werden! Daß ich euch mein Glück verdanke, werde ich nie vergessen!‹

Er gab noch viele ähnliche Versicherungen, man glaubte ihm endlich, und warnte ihn beim Abschiede nur, Großthun und Verschwendung zu meiden, wobei ein ehrlicher Landmann nicht bestehen könne. ›Habt ihr heuer ein gutes Jahr gehabt, so kann das nächstemal Mißwachs kommen,‹ sagten sie, ›und wer wird euch dann bedauern, wenn ihr nichts zurückgelegt habt.‹

Mein Vater schlug diese Warnung nicht ganz in den Wind; er suchte seinen Wohlstand, dessen Ursprung Niemand kannte, möglichst zu verbergen, und arbeitete fleißig auf seinem Acker fort. Freilich war er aber auch oft von Hause abwesend, und die dienstfertigen Gevatterinnen aus dem Dorfe hinterbrachten meiner Mutter nicht selten, wie er bald zu Farnham, bald zu Okly unter lustigen Gesellen bei Trunk und Kartenspiel gesehen worden sei.

Die duldende Marie schwieg oder antwortete so, wie eine verständige Frau, die die Schande ihres Mannes nicht bekannt lassen werden will, antworten muß.

Ihr, die Richards Benehmen in der Nähe beobachtete, war noch Mehreres bedenklich, als denen, die nur aus der Ferne urtheilten. So viel war gewiß, daß mein Vater mehr Geld in den Händen hatte, als er möglicherweise erwerben konnte. Daß er spiele, erfuhr meine Mutter aus seinem eignen Munde; denn als sie ihn [75] einst ernstlich fragte, woher er denn das viele Geld habe, erklärte er, er habe es im Spiele gewonnen. Leider mußte sie an ihrem Manne auch oft, wenn er von seinen Ausflügen heimgekehrt war, Spuren von nur halb ausgeschlafenem Rausche bemerken! Traurige Entdeckungen für die, welche ihren Geliebten lange Zeit für so gut und fehlerlos gehalten hatte, als sie selbst war! – Meine Mutter besaß entweder nicht Muth genug, oder zu viel Klugheit, um meinen verblendeten Vater ernstlich zurechtzuweisen. ›Soll ich,‹ sagte sie zu sich selbst, ›ihm sein Haus durch Vorwürfe zuwider machen? Dann wird er noch öfter abwesend sein, als jetzt, er wird mich hassen und fürchten lernen, anstatt daß er mich jetzt liebt; wo er sich, um mich nicht zu kränken, jetzt noch Schranken setzt, da wird er dann weder Maaß noch Ziel kennen, und dann, – dann werde ich erst ganz unglücklich sein!‹ –

Die Ernte fiel im zweiten Jahre schlecht aus; trotz dem machte aber Richard groß Wesens davon, und prahlte, daß ihn der Ertrag derselben zum reichen Manne gemacht habe.

Es war die letzte Ernte, die wir auf unserm Lehne zu genießen hatten, denn die zwei Jahre waren verflossen, und es wartete schon längst ein neues Brautpaar, die Stelle meiner Eltern einzunehmen.

Erst jetzt erfuhr meine Mutter, daß Richard ein hübsches kleines Haus, eine englische Meile von unserer bisherigen Wohnung entfernt, mit dazu gehörigen Wiesen [76] und Aeckern gekauft hatte, wovon sie sofort Besitz nehmen konnten. Richard gab vor, den Handel auf Speculation geschlossen zu haben und nun, durch seine angeblich gute Ernte, im Stande zu sein, den größten Theil des Kaufpreises baar zu bezahlen.

Die Erwerbung des neuen Grundstückes erschien indeß meiner Mutter zu geheimnißvoll und unbegreiflich, als daß sie sich darüber hätte aufrichtig freuen können. Nur in mir fand sie Beruhigung für ihre geheime Schwermuth, und der einzige Vortheil, den ihres Mannes nunmehriger Wohlstand ihr gewährte, war der, daß sie sich jetzt ungestört meiner Erziehung widmen konnte. Einst selbst von einem frommen und klugen Mönche erzogen, ließ sie sich es besonders angelegen sein, mir frühzeitig die Begriffe von Recht und Unrecht beizubringen, und ihren Lehren, die sich mir tief ins Herz prägten, habe ich es auch allein zu verdanken, daß ich mich bis jetzt noch keines großen Fehltrittes anzuklagen brauche. –

Die Wirthschaft in unserm Hause wurde um die Zeit, wo ich das vierte oder fünfte Jahr erreicht hatte, immer sonderbarer. Gewöhnlich herrschte großer Ueberfluß bei uns, dann kamen aber auch wieder Zeiten, wo es überall mangelte, und wo die Sparsamkeit des Hausvaters fast in Geiz auszuarten schien. Alle Schillinge wurden dann zusammengesucht, und wenn Richard, wie Marie nachrechnen konnte, wieder einmal eine ansehnliche Summe im Kasten liegen hatte, so war er gewöhnlich eine Nacht abwesend, hatte den Geldsack mitgenommen, [77] und brachte ihn nicht mit zurück. – Bald darauf war wieder Geld genug da; es wurde von Neuem gespielt und getrunken, auch erhielt meine Mutter ansehnliche Geschenke, bis abermals der Zeitpunkt des Mangels erschien, und so wiederholte sich das nämliche Spiel mehrmals in einem Jahre.

›Marie,‹ sagte mein Vater in einem von diesen traurigen Zeiträumen, ›ich bin heute genöthigt, dich um Etwas zu bitten, was ich, so oft du mir es auch anbotest, früher immer ausschlug. Du hast Geld, du mußt viel Geld haben, denn du bist sparsam in deinen Ausgaben – –‹

Meine Mutter erwartete nicht das Ende dieser Rede, sondern eilte das Geforderte zu holen; sie breitete es vor ihm aus, – in der That, eine ganz artige Summe, aber für Richard bei weitem nicht so viel, als er erwartet hatte. ›Ich glaubte, du solltest mehr haben,‹ sagte er, indem er das Geld zweimal überzählte.

›Ich nahm nichts davon,‹ erwiederte sie, ›als was ich den Armen gab.‹

›O Weib! Weib!‹ schrie er, und stampfte mit dem Fuße, ›daß du deiner thörichten Mildthätigkeit Schranken gesetzt hättest! Du hättest das Leben deines Mannes retten können! Was sollen mir zwei Drittheile, wenn ich die ganze Summe brauche? Was bleibt mir nun übrig, als mein Glück bei den Würfeln zu versuchen? Muß ich nicht gezwungen das thun, was, obgleich dein Mund schweigt, jeder deiner Blicke mißbilligt?‹

[78] ›Aber, Richard, welches Bedürfniß kann dir eine so große Summe auf einmal abfordern? Du hast ja keine Schulden, und hättest du sie, welcher Schuldner würde nicht gern wegen des Restes Geduld haben, wenn ihm zwei Drittel gezahlt werden?‹

›Frage mich nicht weiter, Marie, und blicke mich nicht so seltsam forschend an! Wenn ich wieder komme, sollst du Alles erfahren! Wollte Gott, ich hätte nicht so lange geschwiegen! Ich gehe, bete für mich, bete für mein Glück im Spiele!‹

Mein Vater verließ uns und meine Mutter war vor Schrecken außer sich. Ob sie das seltsame Gebet that, das ihr mein Vater zugemuthet hatte, weiß ich nicht, nur so viel erinnere ich mich, daß uns ein schrecklicher Tag unter Seufzern und Thränen verging, denn ich weinte mit, weil ich meine Mutter weinen sah.

Gegen Abend sollte unser Unglück vollkommen werden; mein Vater wurde mit Blut und Beulen bedeckt nach Hause gebracht, und von den Leuten, die ihn trugen, erfuhren wir Folgendes: Mein Vater hatte zu Farnham sein ganzes Geld verloren, war dann über einen der Mitspielenden, der am meisten gewonnen, wie ein Besessener hergefallen, und hatte ihn falscher Kunstgriffe beschuldigt. Die andern Gesellen, die den Beschuldigten bei all seinem großen Glücke ehrlich wußten, hatten ihn vertheidigt und in der darauf entstandenen Prügelei war der unglückliche Richard so übel zugerichtet worden, daß er am Ende wie leblos niederstürzte.

[79] Meiner Mutter Verzweiflung und mein kindischer Jammer war über alle Beschreibung groß. Wir hielten den Verwundeten Anfangs für todt, und erst nach mehreren Stunden, und nachdem ihm alle mögliche Hülfe geleistet worden war, erholte er sich wieder.

Er schlug die Augen auf, richtete sich hastig empor, sah wild um sich her, fragte nach Tag und Stunde und verlangte mit meiner Mutter allein zu sein. Jetzt sagte er ihr, indem er sich oft unterbrach, ungefähr Folgendes, was ich erst lange nachher aus meiner Mutter Munde erfuhr.

›O Marie,‹ sprach er mit schwacher Stimme, ›ist dieß der Abend des nämlichen Tages, an dem ich zuletzt von dir schied, ist morgen erst Vollmond nach der Sommernachtgleiche, so ist deinem Richard noch zu helfen! Wirst du mir die Hand dazu bieten, mich vom Verderben zu retten, – mich, der deine Hülfe so wenig verdient?‹

›Richard, mein Leben hängt ja an dem deinigen und du kannst noch so fragen? – Doch beruhige dich, deine Verletzungen sind nicht tödtlich; dich zu retten, bedarf es nur einer sorgsamen Pflege, an der es deine Marie gewiß nicht fehlen lassen wird.‹

›Daß meine Wunden nicht tödtlich sind, fühle ich, aber mir droht weit schrecklichere und unvermeidlichere Gefahr. Wisse, ich bin ein Schuldner der Mutter Ludlam, bin ihr die Summe schuldig, die ich dir diesen [80] Morgen nannte, und muß sterben, wenn ich sie nicht morgen um Mitternacht in ihre Hände zurückgeliefert habe.‹

Meine Mutter stand starr vor Entsetzen an seinem Bette, und doch war es ihr, als wenn sie etwas nicht ganz Unerwartetes vernähme; in den Stunden des düstern Grübelns über Dinge, die ihr räthselhaft waren, mußte sie auch wohl öfters der Ludlamshöhle gedacht haben.

›Gutes Weib,‹ fuhr mein Vater fort, als er sah, daß sie nicht zu antworten vermochte, ›du bist unschuldig an dem Unglücke, in dem ich nun vielleicht umkommen muß, du warntest mich bei dem ersten Gedanken an einen Schritt, der so viele andere nach sich gezogen hat. Die Befriedigung eines unschuldigen Wunsches, der nur etwas Muth und Wagniß erheischte, hatte für mich so wenig Verdächtiges, daß ich alle deine Bedenklichkeiten im Stillen verlachte. Die Schuldfrau war so bereitwillig, mir die geforderte Kleinigkeit zu leihen, das auf zweihundert und funfzig Tage entlehnte Gesäm und Ackergeräth brachte mir so großen Nutzen, ich vermochte es so pünktlich wiederzugeben, daß mich das, was ich gethan hatte, unmöglich reuen konnte. Hierbei hätte ich es bewenden lassen sollen, aber, ach Gott! ich that es nicht. Jene unglückliche Nacht, in der unser Kind geboren wurde, und in der ich dich hülflos allein ließ, jene genau berechnete Nacht der Wiederbezahlung war auch die Nacht des neuen Borgens. Ich forderte damals eine ansehnliche Summe Geldes, und erhielt [81] sie ohne Weigerung; ich brachte sie in bestimmter Zeit wieder, um auf's Neue zu borgen. So ging es immer fort. Der Ueberfluß, in dem ich nun leben konnte, verleitete mich zu Ausschweifungen. Das Spiel schien mir ergiebiger als mein Acker, und der Acker wurde vernachlässigt; dennoch brachte dieser hundertfältigen Ertrag, und ich war immer im Stande, prompt zu bezahlen, und neue, noch größere Summen aufzunehmen. Zuletzt war Unsegen in Allem, was ich that; ich war genöthigt, mit geborgtem Gelde in die Ludlamshöhle zu gehen, und von dem, was ich dort als neues Darlehn von der unterirdischen Schuldfrau herauf brachte, die oberirdischen Schuldner zu befriedigen. Ein endloses Labyrinth von Sorge, Unruhe und neuen Ausschweifungen! Oft nahm ich mir zwar ernstlich vor, mich zu bessern und meine zerrütteten Verhältnisse in Ordnung zu bringen, aber leider hatte ich nicht Kraft genug, diese guten Vorsätze auszuführen, und ich glaube auch, daß mich nichts heilen kann als Armuth! Endlich ist's mit mir dahin gekommen, wo ich jetzt bin, und ich bin verloren, wenn du kein Rettungsmittel weißt, oder wenn du nicht zu dem, was ich dir vorschlagen werde, die Hand bieten wirst.‹

Die weinende Marie versprach, auf Alles einzugehen, und nachdem sich mein Vater, der sich noch sehr matt fühlte, etwas erholt hatte, fuhr er weiter fort:

›Gehe hin ins Dorf zu unsern Wohlthätern, und berufe sie zu mir; ich will ihnen von meinen Umständen[82] so viel sagen, als sie wissen dürfen, und ihnen gegen baare Zahlung der Summe, die ich bedarf, Haus und Gut verkaufen. Du aber, nimm das Geld, gehe morgen um Mitternacht, wenn der volle Mond gerade über dem Sandhügel steht, in die Ludlamshöhle, und bringe es der Schuldfrau wieder; dir braucht nicht zu grauen vor dem Wege, der zwar etwas beschwerlich ist, noch vor der Darleiherin, die du wahrscheinlich so wenig zu sehen bekommen wirst, als ich sie jemals sah. Gehe langsam und ohne Furcht zu zeigen bis zu der Stelle, wo das Wasser rauscht, und wo ein schwacher Mondstrahl durch das Felsengewölbe fällt, dann mache dreimal die Runde um den Brunnen, lege den Geldsack auf den Rand, und sage: Mutter Ludlam, ich danke euch! mein Mann, euer Schuldner, sendet mich, weil er nicht selbst kommen kann! So du noch etwas willst hinzusetzen, kann dirs Niemand wehren, doch laß deiner Worte wenige sein.‹

Meine Mutter war in der peinlichsten Verlegenheit über diese Zumuthungen, doch es galt hier Lebensrettung eines geliebten Gatten, und sie entschloß sich, Alles für diesen zu wagen. Sie hatte zwei schwere Wege vor sich, und unter Todesangst rüstete sie sich zu beiden. Sie bebte sehr vor dem Besuche bei Mutter Ludlam, aber noch mehr fürchtete sie sich, ihre alten Wohlthäter im Dorfe aufzusuchen und bei ihnen ihr Anliegen vorzubringen. Es war wahrlich eine schwere Aufgabe für sie, denselben Leuten, deren Unterstützung sie einst in so hohem Grade genossen, die sie darauf durch Verschwendung und Großthun beleidigt, [83] deren Warnungen sie verschmäht hatten, jetzt wieder unter die Augen zu treten und aufs Neue von ihnen Hilfe zu erbitten. Marie brauchte sich zwar von Allem, was ihre alten Freunde aufgebracht hatte, wenig zuzurechnen, aber die Schande des Mannes, so wie seine Ehre, fällt mit auf die Frau zurück; auch hatte die zärtliche, duldsame Gattin, so oft die Fehler ihres Mannes zur Sprache gekommen waren, sich immer so mild und behutsam darüber ausgedrückt, daß man wohl glauben konnte, sie habe mehr Theil an Richards Thorheiten, als es wirklich bei ihrer gänzlichen Schuldlosigkeit der Fall war.

Mit zitternden Schritten ging sie zu ihren ehemaligen Freunden, und fand die Aufnahme, die sie gefürchtet hatte. Ihr schüchternes, betroffenes Wesen gab jenen schon Veranlassung, sie unfreundlicher zu empfangen, als geschehen sein würde, wenn die Arme einigen Muth gezeigt hätte. Man setzte nach ihrem Betragen und dem Anfange ihrer Rede voraus, sie komme, um zu borgen, und antwortete ihr mit Härte. Man sagte ihr, man habe einen ähnlichen Besuch längst erwartet, hielt ihr alle Ausschweifungen ihres Mannes vor, als wären es ihre eigenen gewesen, und gab ihr statt des Darlehns ein ganzes Bündel gute Lehren, die sie nicht brauchen konnte. Sie ermannte sich endlich, sprach deutlicher und fand besseres Gehör. Richards hübsches Gut stand Mehreren im Dorfe an, man fragte genau, ob es auf einen Verkauf oder nur auf eine Verpfändung abgesehen sei, denn mit Letzterer wollte man nichts zu thun haben, und als man des [84] Erstern und des geforderten leidlichen Preises gewiß war, versprach man, am andern Morgen mit Tagesanbruch bei dem Kranken zu sein, und die Sache richtig zu machen.

Das Versprechen wurde erfüllt, und der Kauf nach aller Form Rechtens vollzogen. Der Aelteste des Dorfes, ein vermögender Mann, leistete auf der Stelle baare Zahlung, und legte, weil er den Kauf wohlfeil fand, noch einen kleinen Ueberschuß dazu. ›Junger Mann,‹ sagte er ›ich glaube, daß ihr auf dem Punkte steht, euer Leben zu bessern, und ich will euch dazu behülflich sein, obgleich ich vermuthen muß, daß ihr nicht aufrichtig gegen mich gewesen seid. Gewiß habt ihr drückende Schulden; da es aber unmöglich ist, daß sie Alles hinweg nehmen, was ihr jetzt erhaltet, so seid nur guten Muthes. Die nicht unbedeutende Summe, die ihr übrig behalten müßt, kann euch dienen, etwas Neues anzufangen, und wenn ihr euch meiner Leitung überlaßt, so könnt ihr über's Jahr wieder im vollen Wohlstande sitzen. Auch sollt ihr indessen aus eurem Hause unvertrieben sein; ich verlange nur Rechnung von dem, was nunmehr mein Eigenthum ist, und werde euch für die Arbeit, die ihr in meinen Diensten verrichtet, schon gerecht werden.‹

So vortheilhaft auch die Anerbietungen des Käufers waren, so erfreuten sie meinen Vater doch nicht besonders; er fühlte wohl, daß er sich dem Manne ganz entdecken müsse, wenn er sich von seiner Hilfe und seinem Rathe [85] wahren Nutzen versprechen wollte, und vor einem solchen Geständnisse scheute er sich.

Meine Mutter schöpfte dagegen neue Hoffnungen für die Zukunft, und schickte sich mit erleichtertem Herzen zu dem zweiten schwerem Gange an, der ihr diese Nacht bevorstand.

Da die Ludlamshöhle von unserer jetzigen Wohnung ziemlich entfernt lag, so mußte sie sich zeitig aufmachen, wenn sie zur bestimmten Stunde dort sein wollte. Ich saß auf der Bank vor dem Hause und wartete auf mein Abendbrod, was man mir zu reichen vergessen hatte, als meine arme Mutter das Haus verließ. Sie weinte sehr und betete laut, daß Gott ihr den schweren Gang gelingen lassen möge, von dem das Leben ihres Mannes abhing. Ich folgte ihr, ohne daß sie es merkte, denn ich war gegewohnt, sie überall hin zu begleiten und war auch den Tag vorher mit ihr im Dorfe gewesen, obgleich sie mich Anfangs nicht hatte mitnehmen wollen.

Die Nacht brach ein; ich fühlte weder Furcht noch Grauen, leuchtete doch der Mond und zeigte mir den Weg, den meine Mutter nahm. Um nicht von ihr gesehen und nach Hause geschickt zu werden, blieb ich immer in einer gewissen Entfernung von ihr, bis sie endlich die Höhle erreichte, an deren Eingange sie sich auf die Kniee warf, um sich noch einmal zu dem schweren Gange, den sie zu thun hatte, Muth vom Himmel zu erbitten. Als ich sie zur Erde sinken sah, fürchtete ich, daß ihr irgend ein Unglück begegnet sein möchte; ich konnte mich nicht länger [86] alten, verdoppelte meine Schritte und lief mit dem Geschrei: Mutter! Mutter! auf sie zu.

Der Anblick eines lebenden Geschöpfes in einer Gegend, wo sie sich ganz einsam glaubte, mochte ihr einigen Schrecken verursacht haben, doch meine Stimme verrieth mich ihr bald, und sie faßte sich. – ›Armes Kind,‹ rief sie, und breitete die Arme mir entgegen, ›was willst du an diesem grauenvollen Orte, und was soll ich mit dir anfangen?‹ Ich schlang meine Arme um ihren Nakken und weinte.

›Ach was soll ich beginnen,‹ fuhr sie fort, ›da ich nun auch noch für dich zu sorgen habe! O, daß es noch Zeit wäre, den Rückweg anzutreten, um dich wieder heimzubringen!‹ – Dazu war es jedoch zu spät; die Stunde nahte, in der meine Mutter in der Höhle sein mußte. Ihre Angst wuchs mit jedem Augenblicke; sie fragte mich endlich, ob ich Muth hätte, hier im Gebüsch allein zu bleiben, oder ob ich ihr in die düstre Höhle folgen wollte. Ich erklärte mich freudig für das Letztere.

Erst jetzt dachte meine Mutter darüber nach, ob es ihr auch wohl erlaubt wäre, mich mit in die Höhle zu nehmen, denn sie hatte ganz vergessen, daß die Begleitung eines Kindes vergönnt war. Nach langem Ueberlegen kam sie endlich zu der Ueberzeugung, daß, wenn ihr in der Höhle Lebensgefahr drohe, es für sie und mich besser sein würde, mit einander umzukommen, als daß ich nach ihrem Tode in so zartem Alter als eine Waise zurückbliebe. –

[87] Bald zeigte der Stand des Mondes die Mitternachtsstunde an, und wir schritten muthig in die Höhle; mich hatte Unwissenheit und die Gegenwart meiner Mutter so kühn gemacht, daß ich ihr voran eilte. Unser Muth sollte indeß noch auf eine harte Probe gestellt werden. Anfangs war die Höhle zwar weit, und vom Wiederschein der mondhellen Gegend beleuchtet, aber bald verengte sich der nach Norden laufende Weg immer mehr, so daß ich endlich nicht mehr aufrecht gehen, und meine Mutter sich kaum noch auf Händen und Knieen durchdrängen konnte. Jetzt fing ich bitterlich zu weinen an, und verlangte nach Hause gebracht zu werden. Meine Mutter suchte mich zu beruhigen, und als ihr dieß nicht gelingen wollte, erklärte sie mir endlich auf das Bestimmteste, daß, wenn ich durchaus zurückwolle, sie mich allein gehen lassen würde. Diese Drohung wirkte; ich bestand nicht länger auf meiner Forderung, und setzte schluchzend den beschwerlichen Weg fort.

Endlich erweiterte sich die Höhle wieder so sehr, daß wir aufrecht stehen konnten; wir schritten nun rascher auf dem immer gleicher werdenden Boden fort, und setzten uns endlich, weil wir sehr müde waren, auf einen großen Stein nieder. Meine Mutter versuchte, mir Trost einzusprechen, dessen sie selbst so sehr bedurfte, und erst nach langem Zureden wagte ich es endlich, die bisher aus Furcht festgeschlossenen Augen zu öffnen. Ich sah mich ängstlich überall um, und glaubte, ziemlich entfernt von uns, einen kleinen Schimmer zu bemerken. Unverwandt blickte ich [88] nach der Stelle, und rief auf einmal: ›Mutter! Mutter! dort ist es hell, dort ist Jemand, der auf uns wartet!‹ –

Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich schnell voraus, und gelangte zu einem geräumigen, vom Mondschein erhellten Platze, wo ich eine alte Frau an einem Brunnen sitzen sah. Ganz entzückt, hier Licht und Gesellschaft zu finden, warf ich mich der alten Frau, die mich freundlich anblickte, in den Schooß, während meine Mutter voll Entsetzen von fern stand und nicht wußte, was sie thun sollte. Bald gedachte sie jedoch ihres Vorhabens; sie machte nun dreimal die Runde um den Brunnen, legte das Geld auf den Rand desselben, und sagte die vorgeschriebenen Worte. Während dessen lag ich in dem Schooße der Unbekannten in einem tiefen Schlummer, und erblickte das, was um mich vorging, nur im Traume. Ueberhaupt erinnerte ich mich später der ganzen Begebenheit nur als eines Traumes, und was ich dir von unserem Besuche bei der Mutter Ludlam mittheile, habe ich mehr den Erzählungen meiner Mutter, als meinem Gedächtnisse zu verdanken.

Noch hatte die freundliche Alte, welche mein Gesicht und meine Arme, die in ihrem Schooß ruhten, strich und liebkoßte, nicht gesprochen. Jetzt, da meine Mutter ihre Rede geendigt hatte, fragte sie mir sanfter Stimme, ob sie nicht noch ein Anliegen vorzubringen habe? – ›Dein Mann,‹ setzte sie hinzu, ›pflegte immer Dank und Bitte mit einander zu verknüpfen.‹

[89] ›Nein, Frau Ludlam,‹ antwortete meine Mutter, ›dafür bewahre mich Gott! Sollte ich eine Bitte wagen, so wäre es diese, euer Leihhaus auf ewig vor uns zu verschließen.‹

›Und warum?‹

›Eure Gutmüthigkeit hat uns ins Elend gestürzt. Wir waren glücklich in unserer Armuth, und der spätere Ueberfluß, den wir euch verdankten, hat allein meinen Mann zu Thorheiten und Ausschweifungen verleitet!‹

›Wie aber, wenn ich eine Bitte an dich hätte.‹

›Ihr spottet einer armen Sterblichen!‹

›Gieb mir dieses Kind, das sich so vertrauensvoll an mich geschmiegt hat! Ich liebe es, ich will es glücklich machen! Alle Reichthümer dieser Höhle sind sein, wenn du einwilligst.‹

›Fordert lieber mein Leben!‹ schrie meine Mutter, und streckte die Arme nach mir aus, um mich meiner Gönnerin zu entreißen. Kaum hatte sie sich jedoch der Frau Ludlam ein wenig genähert, als sich diese in einen dünnen Nebel auflößte und mich schlummernd auf der Brunnenbank zurückließ. Meine Mutter raffte mich erschrocken in die Höhe, nahm mich auf den Arm und eilte, diese Gegend des Grauens so schnell als möglich zu verlassen. Es schien indeß bald, als habe es Frau Ludlam darauf angelegt, mich wider Willen meiner Mutter bei sich zu behalten, denn als diese an die finstern, engen Stellen der Höhle kam, und mich, die noch immer schlafend [90] auf ihrem Arme hing, hier niedersetzen wollte, war ich durchaus nicht zu erwecken. Und dennoch gelang es meiner Mutter, sich mit mir durch den engen Weg hindurch zu winden. Zwar blutete sie an Händen und Füßen, die sie sich an den scharfen Gestein aufgerissen hatte, – doch eine Mutter achtet ja keine Beschwerden, wenn es Rettung eines ihres theuren Kindes gilt. – Sie gelangte endlich an den Ausgang der Höhle und mit Entzücken begrüßte sie das Tageslicht, das sie so lange hatte entbehren müssen.

Es war schon hoch am Tage, und deshalb strengte meine Mutter, die mit Schmerzen daran dachte, wie sehr sich mein Vater um sie ängstigen würde, ihre letzten Kräfte an, um so schnell als möglich nach Hause zu kommen. Nachdem sie jedoch nur wenige Schritte gethan hatte, sank sie ganz ermattet nieder, und mußte eine Weile ausruhen. Ich ermunterte mich während dieser Zeit, rieb die Augen, und fing an, das als einen Traum zu erzählen, was uns in der Höhle begegnet war.

Meine Mutter ließ mich bei meinem Wahne, der ihr zur Verschweigung dieser Dinge so gelegen kam, und hat mir denselben erst später, als ich erwachsen war, benommen. – ›Schweig, Kleine,‹ sagte sie, ›und hüte dich, deine albernen Träume irgend Jemand zu erzählen, denn du wirst sonst von vernünftigen Leuten ausgelacht.‹

Wir langten um Mittag in unserem ehemaligen Hause an. So sehr sich nun auch mein Vater um[91] meine Mutter geängstigt hatte, und so sehr er auch jetzt erfreut war, sie wieder zu sehen, so schien er doch nicht ganz mit der Ausführung ihres Geschäftes zufrieden zu sein. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß er erwartet hatte, sie sollte seinen Wink verstehen, und nicht ohne ein neues Darlehn von der Schuldfrau zurückkehren. Meine Mutter hütete sich wohl, zu bekennen, daß ihr ein solches sogar angeboten worden war, und sprach um so nachdrücklicher von dem Verlangen der Fra Ludlam, mich zu sich zu nehmen, weil sie hoffte, diese kühne Forderung würde es ihrem Manne verleiden, sich ferner mit der Schuldfrau einzulassen. Sie suchte ihm noch begreiflich zu machen, was für eine gefährliche Bekanntschaft überhaupt Mutter Ludlam sei, und wie es selbst scheine, als wolle sich diese für ihre Bereitwilligkeit, uns zu helfen, dereinst mit Leib und Leben von uns Allen bezahlt machen.

Richard schwieg eine Weile, und meinte dann, man müsse nicht gleich das Aergste denken; er sei überzeugt, daß die freigebige Alte gewiß nur Gutes mit mir im Sinne gehabt habe, und daß sie gewiß besser für meine Zukunft gesorgt haben würde, als er und meine Mutter dieß zu thun im Stande wären.

Mein Vater genas zwar körperlich, aber sein Gemüthszustand blieb derselbe. Fast immer mißmuthig und selten zur Arbeit aufgelegt, verließ er uns oft, um sich außer dem Hause zu zerstreuen, und bald fing er auch wieder seine nächtlichen Wanderungen an, über deren [92] Zweck wir kurz darauf von ihm selbst Aufschluß erhalten sollten.

›Du mußt dich,‹ sagte er eines Tages zu meiner Mutter, ›bei unserer Gönnerin durch deinen Besuch schlecht empfohlen haben, denn es scheint, als wenn sie nichts mehr von uns wissen wollte. Kaum kenne ich mehr den Eingang ihrer Höhle; er hat sich um mehrere Fuß verengt, und der schmale nördliche Pfad ist gar nicht mehr zu finden.‹

›Sollte es möglich sein,‹ rief meine Mutter mit Erstaunen, ›daß du auf Erneuerung alter Thorheiten dächtest?‹

Richard antwortete nicht, aber am nämlichen Tage nahm er mich mit in die Gegend der Ludlamshöhle, und befahl mir, den engen Weg zu suchen, den ich ehemals hier mit meiner Mutter gegangen sei. Ich sagte ihm, daß ich ja nie in dieser Höhle gewesen wäre, sondern nur davon geträumt habe, und daß meine Mutter mir es verboten, dergleichen alberne Träume irgend Jemand zu erzählen. Obschon ich also nicht im Stande war, den gesuchten Weg aufzufinden, so nahm mich mein Vater doch noch oft mit in die Gegend der Ludlamshöhle, und wenn ich dort im Sande spielte, gab er auf jede meiner Bewegungen sorgfältig Acht. Jedes Steinchen, das ich auflas, mußte ich ihm bringen, denn er hoffte wahrscheinlich, daß meine alte Gönnerin mich etwas Kostbares finden lassen würde. Der silberne Ring, den du zu meinem Andenken trägst, ist indeß der einzige Gegenstand[93] von Werth, den ich im Sande fand; ich überlieferte ihn damals meiner Mutter, welche ihn mir aufzuheben versprach, bis ich älter geworden wäre.

Als ich das zwölfte Jahr zurückgelegt hatte, gab mir meine Mutter den Ring wieder, und that mir zugleich das als Wahrheit kund, was ich bisher für einen Traum gehalten hatte. Ich sann lange über diese seltsame Begebenheit nach, bis ich, auf einmal von einer großen Müdigkeit befallen, bei meinem Spinnrocken einschlief.

Mein Kopf war voll von den Dingen, die ich gehör hatte, und ich träumte bald, Mutter Ludlam stehe vor mir. ›Armes Kind,‹ sagte sie, ›der Eigensinn deiner Mutter hat dich um alles Glück gebracht, mit dem ich dich zu bedenken Willens war. Empfange wenigstens den silbernen Ring als ein Zeichen meines Wohlwollens, und bewahre ihn auch als ein Unterpfand künftiger besserer Tage. Geht dir es übel, so erinnere dich des Ringes und seiner Geberin, und blicke getrost in die Zukunft!‹

Doch ich erzähle dir ja schon die Begebenheiten späterer Zeiten, als ich bereits mein Vaterland verlassen und das deinige betreten hatte! – Laß mich zu meiner Geschichte zurückkehren.

Noch war kein Jahr seit dem Verkaufe unseres Grundstückes verflossen, als mein Vater es nicht länger in seiner jetzigen Lage auszuhalten vermeinte, und sich bei der ersten Gelegenheit gegen meine Mutter offen darüber erklärte. ›Marie,‹ sagte er, ›ich vermag nicht länger in dem Hause Knecht zu sein, wo ich ehemals gebieten [94] konnte! Der Herr, für dessen Rechnung wir hier wirthschaften, mag gut und brav sein, aber schon der Name Herr macht mir ihn zuwider. Ich kann es nicht länger dulden, daß er sich immer mehr um unsere eignen Angelegenheiten, die ihm nichts angehen, bekümmert; auch mag ich es nicht mehr anhören, daß er stets davon spricht, wir sollten unser überflüssiges Geld irgendwie gut anlegen, während wir doch nur eine Kleinigkeit besitzen, die allenfalls hinreichen wird, das auszuführen, was ich im Sinne habe. Höre, was es ist. Man spricht von starken Werbungen zu einem Zuge nach dem festen Lande Das Schwert habe ich ehemals geführt, und es brachte mir mehr Glück als die Pflugschaar; ich werde diese wegwerfen und das Schwert wieder ergreifen. Willst du hier zurückbleiben, um in dem Hause Mägdedienste zu thun, wo du ehemals Frau warst, so kann ich dir es nicht wehren, – willst du mich aber begleiten, so nehme ich dieß als einen Beweis deiner Liebe dankbar an.‹

Zu derselben Zeit sammelte der König von England ein großes Heer, um seinem Tochtermann, den Herrn von Coucy, zu seinem mütterlichen Erbe, den Elsaß, und einigen andern, den Herzögen von Oesterreich unterworfenen Ländern zu verhelfen. Wer tapfer war, und in seinem Vaterlande nicht viel zu verlieren hatte, folgte dem Paniere des jungen Prinzen und seines Feldherrn, des tapfern Cervola. Da mein Vater sich gerade in diesem Falle befand, so war ihm sein Entschluß nicht zu verdenken. Selbst meine Mutter wagte es nicht, ihn deshalb [95] zu tadeln; auch war sie nicht lange unschlüssig, was sie für sich zu thun habe. Die traurige Rolle, die sie in ihrem Vaterlande spielte, und die ihr von ihrem Manne oft auf eine kränkende Weise vorgeworfen wurde, war es indessen nicht, was sie bestimmte, mit ihm zu ziehen, sondern einzig die Liebe und Treue, die sie ihm unter allen Verhältnissen und bis zum letzten Athemzuge bewahrte, vermochte sie hierzu. Desto mehr wurden meine Eltern von ihren Bekannten wegen ihres Vorhabens getadelt, und unser Gutsherr verlor meinen Vater, der in der letzten Zeit wieder sehr fleißig gewesen war, höchst ungern. Trotz aller Vorstellungen beharrte dieser auf seinem Sinne, und schenkte, um sich seinem ehemaligen Herrn dankbar zu bezeigen und im Guten von ihm zu scheiden, ihm den künstlichen italienischen Pflug, den er ehemals nach Mutter Ludlams Modell gemacht hatte, um ihr das geborgte Exemplar wiedergeben zu können. – Dieses Geschenk wurde gut aufgenommen, und mein Vater hatte dadurch wenigstens so viel gewonnen, daß er keinen bösen Leumund zurückließ. ›Richard war doch eine gute Haut,‹ hieß es, ›nur ein wenig leichtsinnig, unstät und stürmisch, wie das junge Volk ist, aber ein schlauer und anschlägiger Kopf, der Alles konnte, was ihm unter die Hände kam, wie der Pflug ausweißt, den er dem Vater Robert geschenkt hat.‹

So mußte ich also in meiner zarten Kindheit die häusliche Stille mit dem Geräusche des Krieges vertauschen. Es war ein wildes Volk, das Cervola den Herzögen [96] von Oesterreich über den Hals führte, und meine sanfte Mutter litt unbeschreiblich durch die Auftritte, die sie unter diesem rohen Menschenhaufen erlebte. Unser erster Zug ging nach Frankreich, wo sich unser Heer sehr vergrößerte, und dann wie eine Fluth über die Gebirge herüber strömte, in die Länder, die man als Coucy's rechtmäßiges Eigenthum betrachtete. Zweimal in verschiedenen Jahren wurden die Unsrigen als ungebetene Gäste zurückgetrieben. Endlich mischte sich der Kaiser darein, und jagte die Engländer bis gen Colmar. Hier war es, wo ich zur Waise wurde; statt des gehofften Ruhmes und der reichen Beute, fand mein Vater hier den Tod. Das englische Heer zerstruete sich, und meine Mutter und ich, nebst tausend eben so unglücklichen Weibern und Kindern, welche, wie wir, ihren Vätern und Männern gefolgt waren, blieben als Bettlerinnen zurück. Arbeit oder Dienste in dem ganz ausgesogenen Lande zu finden, war unmöglich; der Bettelstab trug uns in Gegenden, an die wir wohl nie gedacht hatten, bis endlich meine Mutter krank zu Schweidnitz liegen blieb, und daselbst von einer barmherzigen Samariterin aufgenommen und verpflegt wurde. Als sie genaß, blieben wir noch bei unserer Wohlthäterin; zwar bekamen wir keinen Lohn, aber wir genossen so gut wie die Hausfrau, des sparsamen Brodes, das wir ihr erarbeiten halfen. Ich war nicht unglücklich, und trauerte ich ja einmal, so fand ich in dem Anblicke meines Ringes Trost und reichen Stoff zu jugendlichen goldnen Träumen; aber als meine Mutter mir entrissen [97] wurde, da verlor der Ring seinen Werth in meinen Augen. Was kann mir das Leben noch bieten, nachdem ich meine gute Mutter verloren habe?«

Marien's Augen füllten sich mit Thränen, als sie ihres traurigen Schicksales gedachte, und sie beschloß ihre Geschichte mit folgenden wenigen Worten: »Ich blieb in den Diensten meiner Frau, und an ihr lag es nicht, daß ich nicht aus ihrer Magd ihre Tochter wurde. Ihr Sohn verfolgte mich, da ich heranwuchs, mit seiner Liebe, aber er war ein wilder, roher Mensch, den ich nicht leiden konnte. Da ging er hin und nahm sich eine Andre, bei welcher ich seit dem Tode seiner Mutter, weil ich keine andre Zuflucht weiß, noch bin; aber länger halte ich es nicht in diesem Hause aus, wo die Frau mich mit Eifersucht, und der Mann auf eine noch schlimmere Art verfolgt.«

Als Marie ihre Erzählung geendet hatte, fragte Erdmann: »solltest du mir nicht noch Etwas mitzutheilen haben? Werde ich nie erfahren, warum du so oft nach dem Rumpelbrunnen wallfahrtest?«

Marie schien diese Frage zu überhören, und sagte nach einigem Bedenken: »ich vergaß ja ganz die Nutzanwendung, die in meiner Geschichte für dich enthalten ist! Baust du noch auf deinen Patron im Gebirge, seit dem du erfahren hast, was für Vortheile die Freundschaft der Mutter Ludlam meinen Eltern und mir brachte? Glaube doch ja, daß diese so hoch über uns stehenden Wesen uns nur zu ihrem Spielwerke gebrauchen; der Segen, den [98] uns die Vorsicht durch unsern Fleiß oder gewöhnliche Glücksfälle gewährt, ist besser und dauernder als alle deine rübezahl'schen Schätze, und alle Spenden der Leihfrau in der Ludlamshöhle!«

»Du verachtest sie alle? Auch den Ring der Hoffnung, den du mir zum Unterpfande gabst?«

»Auch ihn! Nur weil du ihn jetzt trägst, ist er mir noch theuer; hätte ich einen bessern gehabt, so wäre er gar nicht zu dieser Ehre gekommen. O der elenden, armseligen Hoffnungen, die er mir gab, und die nie erfüllt wurden! Hoffnungen eines Kindes, das man im Winter auf Rosen vertröstet! Habe ich nicht meine Eltern, habe ich nicht Alles verloren? Bin ich nicht eine Fremde in diesem Lande, und werden meine Aussichten nicht mit jedem Tage trüber? Ach, Erdmann, du weißt noch nicht Alles; erst heute erlitt ich einen neuen Verlust! – Deine Liebe ist es allein, die mich noch einigermaßen tröstet, und auf ihr beruhen jetzt alle meine Hoffnungen. Und dennoch sehe ich noch keine Möglichkeit, einst die Deinige zu werden!«

»Für diese Möglichkeit, du Zweiflerin, bürgt der Inhalt dieses Beutels!« rief Erdmann, indem er einen solchen, der anscheinend sehr schwer war, hervorzog. »Hierin sind die Gaben des wohlthätigen Berggeistes enthalten; der Rübezahl, wie du ihn immer, ich hoffe nicht aus Verachtung nennst, ist nicht so karg, wie deine vaterländische Leihfrau! In diesem Beutel sind fünfhundert neun und vierzig Goldstücke, achtzig Stück grobe Silbermünze [99] und einige rare Kreuzpfennige; es ist mein ganzer Schatz, der, wie mich dünkt, hinreichen wird, unser Glück zu gründen. Sprich, was hindert mich, daß ich heute noch Meister Melchiorn den Dienst aufsage, mit dir morgen, wenn ich dich hier finde, in das nächste Dorf zur Kirche gehe, und dich dann gleich vom Altare in eine von den benachbarten Städten bringe, wo, wie ich weiß, verschiedene Gasthäuser zum Verkaufe stehen, und wo wir gute Nahrung finden werden? Wähle, Marie, willst du nach Liebenau? nach Hirschberg? nach Reichenbach? oder willst du weiter in's Land, nach der großen Stadt Breslau? – O sprich, und weine nicht mehr, denn du siehst ja, daß unserer Verbindung gar nichts weiter im Wege steht.«

Aber Marie weinte fort, und drückte nur seine Hände, weil sie ihm mit Worten nicht danken konnte; Alles, was er ihr sagte, dünkte ihr ein Mährchen. – »Gut macht Muth,« rief Erdmann, »und ich sehe wohl, ich muß dich mit dem vollen Anblicke unsers Schatzes erfreuen, wenn du deine Thränen trocknen sollst.« – Bei diesen Worten hob er seinen Beutel mühsam empor, lößte die ledernen Riemen, bat Marien, die weiße Schürze wohl auszubreiten, und überschüttete ihren Schooß in einem Augenblicke mit einer ganzen Last – – rother, zierlich gerundeter Ziegelsteine, unter welchen einige Dutzend weiße Kiesel sich besonders gut ausnahmen. –

Erdmann starrte seinen sogenannten Schatz lange mit offnem Munde an, sprang dann auf und schlug[100] sich wüthend vor die Stirn, während Marie sich an den Baum, unter welchem sie saß, zurücklehnte und in ein bitteres Lachen ausbrach! – »O Rübezahl! o Mutter Ludlam!« rief sie, »ich merke wohl, ihr habt einander nichts vorzuwerfen.«

[101]

Dritter Abschnitt

Dritter Abschnitt.
Das Gastmahl

Wäre es nach Marien gegangen, so hätte sie das ganze Vermögen ihres steinreichen Bräutigams in ihre Schürze genommen, und es in den nächsten Bach geschüttet. Aber Erdmann wehrte es ihr, raffte Alles sorgfältig wieder in den Sack, band ihn zu, und nahm sich vor, ihn zum Denkmahl fehlgeschlagener Hoffnung, und zum Beweis der großen Wahrheiten aufzuheben, die er aus seines klugen Mädchens Munde gehört hatte.

Vermochte nicht zu sprechen, sein Herz war zu bewegt, doch die Thräne in seinem Auge und die Heftigkeit, mit welcher er Marien in seine Arme schloß, sagten ihr: Ich verlasse dich nicht! Ich höre nicht auf zu hoffen, und wenn sich auch unserer Verbindung noch mehr Hindernisse entgegenstellten! – Auch Marie war stumm, und so gingen Beide Arm in Arm bis an den gewöhnlichen Scheideweg, um hier von einander Abschied zu nehmen. Da gedachten Beide plötzlich der Geschenke, die sie sich gegenseitig gemacht hatten, und indem sie befürchteten, daß auch diese sich verwandelt haben könnten, griffen sie ängstlich danach, er nach dem Ringe, und sie nach dem [102] Verlobungsthaler. Es gewährte ihnen einigen Trost, daß sich beide Geschenke noch richtig vorfanden, denn sonst würde der Kummer der armen Liebenden den höchsten Grad erreicht haben.

»Es scheint,« sagte Marie mit von Schluchzen unterbrochener Stimme, indem sie die symbolischen Hände auf dem Gepräge mit Andacht betrachtete, »es scheint, als könne wenigstens keine böse Macht unserm Bündnisse etwas anhaben! Gott sei dafür gelobt und gebenedeit.«

»Darum laß uns ferner hoffen,« setzte Erdmann hinzu, »wer weiß, welche glückliche Zeiten unsrer noch in der Zukunft warten!« –

Als Erdmann nach Hause kam, hörte er schon von weitem Frau Else mit dem Gesinde schelten, und verglich das Bild dieses tobenden Weibes mit dem seiner weinenden Marie; eine schöne Vorbereitung zu dem Gespräche, welches ihm diesen Abend mit Meister Melchior bevorstand.

»Erdmann,« sagte der Alte, als er ihn bei Seite genommen hatte, »du bist heute abermals lange über die Gebühr ausgeblieben; ich fürchte, du bist wieder mit der nichtsnutzigen Dirne im Gebirge herumgezogen, wie du zu thun pflegst! Schäme dich dieses Unwesens, und verscherze dein Glück nicht; ich könnte dir ein junges, schönes und reiches Weib verschaffen, die zugleich so flink, gewandt und anstellig ist, wie sie ein Mann deines Standes sich nur wünschen kann. Auch bringt sie dir [103] Haus und Hof, Acker und Vieh, und Alles, was in der vierten Bitte steht, mit, wenn nur ihr Vater, dessen einziges Kind sie ist, die Augen, schließt. Ihr wäre mit so einem Manne wie du, dir mit so einem Weibe wie sie, gedient; sprich, was soll ich ihr für Antwort sagen?«

»Herr, ich merke, ihr redet von eurer Tochter; aber wie wäre Frau Elsen mit einem armen Knechte geholfen?«

»Schalk! verstelle dich nicht! Du arm? Wir sind hinter deine Geheimnisse gekommen; wir wissen, wo deine Geldsäcke liegen!«

»So wißt ihr mehr als ich, Herr! Meine Schätze sind die Steine auf dem Felde, die ich zur Kurzweil sammle, und heimtrage, damit ich doch auch Etwas zu verschließen habe, wie ihr mit euren Geldtruhen thut.«

»Soll das entscheiden, was ich dir vor Augen legen will?« rief Melchior. Erdmann bejahte, und der Gastwirth entfernte sich. – Nun hatte dieser weise und vorsichtige Mann einen Nachschlüssel, welcher Alles öffnete, was in seinem Hause verschlossen war, so daß ihm nichts zwischen seinen vier Mauern verborgen blieb. Vermittelst jenes Schlüssels hatte er Erdmanns Reichthum entdeckt, und er bediente sich dieses unerlaubten Instrumentes auch jetzt, um das herbeizuholen, was, wie er meinte, unsern Erdmann zu einem offnen Geständniß bewegen sollte.

»Der Henker trage dir in Zukunft deine Geldsäcke!« schrie er, indem er mühsam den Schatz herbeischleppte, den Mariens unglücklicher Liebhaber gleich nach seiner [104] Heimkunft wieder sorgfältig verschlossen hatte. »Doch tröste dich, mein Sohn, wir wollen ihn schon dünn machen; in Reichenbach stehen hübsche Gasthöfe zu verkaufen, sehr hübsche Gasthöfe; da könnt ihr euch hinsetzen, du und Frau Else, und wirthschaften, bis der alte Vater stirbt.«

»Herr,« sagte Erdmann, der mit in einandergeschlagenen Armen dastand, und bald den zu seinen Füßen liegenden schweren Sack, bald den gesprächigen Gastwirth mit den Augen maß, »Herr, ohne euch zu fragen, wie ihr dazu kommt, meine Truhen mit Diebesschlüsseln zu erbrechen, und in meinen Habseligkeiten herum zu wühlen, bitte ich euch jetzt nur, die Mühe zu übernehmen, und den Inhalt meines Geldsacks zu untersuchen, damit wir genau wissen, wie viel ich eurer Tochter zubringe.«

»Hab's schon gethan, du schlauer Gast, hab's schon oft gethan, kenne das Eingeweide des ledernen, dicken Beutels auf ein Haar, – fünfhundert und neun und vierzig Goldthaler, achtzig – doch, wir wollen zählen, damit du siehst, daß nichts davon abhanden gekommen ist. Ich bin ein ehrlicher Mann, und dir, mein Sohn, wollte ich eher zehn Stück zulegen als eins entwenden.«

Hierauf rieb sich Melchior schmunzelnd die Hände, bückte sich, lößte die Riemen des Beutels auf, und schüttete mit großem Geprassel – das auf den Boden, was wenige Stunden vorher die armen Liebenden so schrecklich in ihrer Erwartung getäuscht hatte.

[105] Erdmann brach in ein lautes Gelächter aus, und Melchior starrte lange mit stummen Erstaunen die rothen Ziegelsteine an, die zu seinen Füßen lagen. –

Mit Erdmanns Lachen, und mit Melchiors Erstaunen waren indeß noch zu bittere Nebengefühle verbunden, als daß es dabei hätte sein Bewenden haben können. Der Erstere, der nochmals die Schmerzen der Täuschung empfunden, schöpfte schnell Argwohn und Verdacht und überhäufte Meister Melchiorn mit Vorwürfen und Drohungen. Dieser war voll Unmuthes über die Vernichtung seiner liebsten Hoffnungen, und daher nicht in der Stimmung viel zu vertragen. Es kam zu einem heftigen Zanke, wo Bitterkeiten und lose Worte von beiden Seiten nicht gespart wurden. »Ich will dir lehren,« schrie Melchior, »das Geld, das du in meinem Dienste erworben hast, aus dem Hause zu tragen, es an liederliche Dirnen zu verschenken, und mich dann mit Kieselsteinen zum Besten zu haben.« – »Und ich will euch lehren,« antwortete Erdmann, »meine Truhen mit Diebesschlüsseln zu erbrechen, und in meinen Sachen herumzustören. In eurem Dienste habe ich wenig genug erworben, denn ihr gönntet mir ja kaum Kupfermünze, wenn ihr Gold einnahmt. Hätte ich übrigens etwas besessen, – worüber ich euch gar keine Rechenschaft schuldig gewesen wäre, – so würde es gewiß der Unsegen verzehrt haben, der auf eurem Hause ruht. Könnt ihr leugnen, daß sich einst das Geld in euren Händen in glühende Kohlen verwandelte? Ihr werdet eure rechte Hand Niemand sehen [106] lassen, in die euch einst ein gewisser Geist zur Strafe eures Geizes und Wuchers ein passendes Zeichen eindrückte.«

Diese harte Rede des aufgebrachten Jünglings zog eine harte Antwort nach sich; man drohte sich gegenseitig mit der Obrigkeit, und als man immer heftiger wurde, mischten sich endlich Frau Else und das Gesinde mit in den Streit. Es wurde nun auf deren Vorschläge hin ausgemacht, daß man die Weitläufigkeiten gerichtlicher Klagen vermeiden, und wenn es nicht anders sein könne, sich in Güte trennen wollte. Der friedliche Erdmann, den schon jedes Wort reute, das ihm der Zorn eingegeben hatte, ungeachtet sich das meiste Recht auf seiner Seite befand, war gern zu einem gütlichen Vergleiche bereit, aber der dicke Melchior, der sich gleich einer giftigen Kröte aufblähte, war so aufgebracht, daß er durchaus darauf bestand, Erdmann solle noch dieselbe Nacht sein Haus verlassen. Die Knechte, die ihn sehr liebten, gaben dieß jedoch nicht zu; sie erklärten ihrem Herrn, daß sie, wenn die Sache zur Klage käme, offen die Wahrheit sagen und gegen ihn zeugen würden, und verlangten, daß Erdmann erst am andern Morgen ehrlich entlassen werden sollte, und daß es ihm auch gestattet sein müßte, alle seine Habseligkeiten, sogar den Sack mit den Kieselsteinen mit sich zu nehmen.

Nachdem Melchior in diesem Punkte nachgegeben hatte, und der Streit somit geschlichtet war, begab sich Jedermann zur Ruhe. Melchior und Erdmann waren indeß [107] noch zu sehr aufgeregt, als daß sie hätten bald einschlafen können. Bei Ersterem war es giftiger Grimm, und bei Erdmann tiefer Kummer, der den holden Traumgott von dem Lager verscheuchte. –

Ein Stunde nach Mitternacht hörte man ein gewaltiges Donnern am Thorwege. Die Knechte und Mägde mußten in tiefem Schlafe liegen, denn es ließ sich trotz des großen Lärmes Niemand von ihnen sehen. Erdmann, der noch wachte, verhielt sich, als bereits seines Dienstes entsetzt, gleichfalls still auf seinem Lager, und Meister Melchior mußte selbst hinunter, um den späten Passagier einzulassen. Ihm kam ein Grauen an, als er mit dem flakkernden Lichte über den düstern Hof ging; auch war er entschlossen, nicht eher zu öffnen, als bis er eine christliche Antwort auf den Spruch: alle gute Geister, etc. vernommen haben würde.

»Oeffne die Thür!« rief der Fremde mit einer rauhen Stimme, »ich habe keine Zeit, hier lange zu warten, denn ich habe noch einen weiten Weg vor mir!« Es lag so etwas Gebietendes in der Sprache des Mannes jenseit der Pforte, daß Herr Melchior geöffnet hätte, und wenn der Arge in eigner Person draußen gewesen wäre. Melchior gehorchte daher, und sah mit einiger Beruhigung weder Schwanz noch Hörner, sondern einen rüstigen Reiter auf einem schwarzen Pferde, der ein ziemlich unverdächtiges Ansehen hatte.

»Ist hier das Wirthshaus zum Riesen?« fragte jetzt dieser.

[108] »Zu dienen, mein Herr; aber beliebt es euch nicht, abzusteigen?«

»Ich steige nicht ab, denn ich muß weiter, die Herberge für meinen sehr hohen und sehr erlauchten Gebieter zu bestellen, welcher heute über drei Tage mit einem kleinen Gefolge durch das Gebirge ziehen wird, und in diesem Hause das Mittagsmahl einnehmen will. Darum trage Sorge, daß auf benannte Zeit eine Tafel für dreizehn Personen, mit den seltensten und theuersten Gerichten, die du bekommen kannst, wohl und fürstlich bestellt sei. Es soll dein Schade nicht sein, denn ich habe Befehl, dir für jede Person drei Goldkronen zu versprechen, auch pflegt mein Herr beim Abschiede reiche Trinkgelder auszutheilen.«

Kaum hatte der Unbekannte seine Rede geendigt, als er sein Pferd anspornte und schnell aus Melchiors Augen verschwand. So wenig nun auch Veranlassung da war, in dieser nächtlichen Bestellung etwas Geisterhaftes und Unheimliches zu finden, und so lukrative Aussichten sie auch dem geizigen Gasthalter eröffnete, so überfiel diesem doch ein Grauen, als er den Boten so schnell aus den Augen verlor. Er schlug die Hausthür krachend zu, und eilte, so schnell er konnte, nach seiner Tochter Kammer, theils um nicht allein zu sein, theils um mit ihr die wichtige Neuigkeit zu besprechen.

Frau Else hatte schon von ihrem Fenster aus das ganze Gespräch mit angehört, und konnte daher mit gutem Gewissen bezeugen, daß es kein Traumgesicht gewesen [109] sei, was, wie ihr Vater zu glauben anfing, ihn geneckt habe. Auch redete sie ihm die Grille aus, als habe des Reiters Pferd, wie er beim Scheiden bemerkt haben wollte, nur drei Beine gehabt, und sie wußte überhaupt den ganzen Vorfall als so natürlich darzustellen, daß sich endlich Melchior darüber beruhigte, und nun mit seiner Tochter überlegte, was behufs der Bewirthung des Fremden Alles anzuschaffen sei. Ein fürstliches Mittagsmahl, das nach damaligen Zeiten so honett bezahlt werden sollte, auszurichten, war keine Kleinigkeit; der größte Theil der Nacht ging darüber hin, den Küchenzettel zu machen, und als man damit endlich fertig war, wurde die wichtige Frage abgehandelt, wer, da Erdmann nun verabschiedet sei, die nothwendigen Bestellungen in den nächsten Ortschaften machen sollte. Um der Ehre des Hauses nichts zu vergeben, glaubte Frau Else, für eine Menge seltner Gerichte sorgen zu müssen, die ihrer Meinung nach jedoch nur mit Hilfe dessen anzuschaffen wären, der bisher alle auswärtigen Geschäfte besorgt hatte.

»Alles wohl erwogen, Vater,« sagte sie endlich mit der ihr eignen Sanftmuth, »so habt ihr thöricht daran gethan, den braven Jungen ohne Weiteres zu verabschieden. Mit seinem versteinerten Reichthume kann es seine eignen Bewandnisse haben; was Gold war, kann es auch wohl wieder werden.«

»Else,« erwiederte der Papa, »du redest wie eine Närrin! Sind denn die glühenden Kohlen wieder das geworden, was sie früher waren?«

[110] »Ihr mögt darin Recht haben, doch ist der Erdmann ein wackrer, gewandter Bursche, der mir gefällt, und den ich, wenn er auch keinen Pfennig hat, haben will und haben muß, und sollte ich euch zum Trotze mit ihm davon laufen!«

»Es fragt sich erst, ob er sich mit dir und deinen Kindern beladen will!«

»Das wollen wir sehen. Ihr wißt wohl, er hatte keine andere Einwendung wider euren Antrag, als daß mir mit einem armen Knechte nicht geholfen sein würde. Laßt mich nur machen. Ohne ihn können wir, wie ihr selbst einseht, nichts anfangen, denn wir haben nicht allein keinen bessern Einkäufer, sondern auch keinen zierlicheren Diener als ihn. Wer soll übermorgen der Herrschaft bei der Tafel aufwarten? Etwa ihr oder eure plumpen Knechte? – Und daß ihr es nur wißt, jetzt gehe ich hinauf, mit ihm zu reden; was das fruchten wird, sollt ihr sehen!«

Erdmann hatte, von dem späten Klopfen an der Hausthür neugierig gemacht, die Bestellung des Boten aus seinem Kammerfenster so gut vernommen, als Frau Else einige Stockwerke tiefer; er hatte über die Sache nachgedacht, und bei dem Gefühle seiner Unentbehrlichkeit im Hause schon eigentlich errathen, was nun erfolgen würde. Die Abgesandtin mit den Friedensvorschlägen fand ihn also nicht ganz unvorbereitet, und was noch mehr sagen will, nicht ganz ungeneigt, auf ihre Vorschläge einzugehen. Erdmann war nach der unerklärlichen Versteinerung seines[111] Schatzes ganz arm, und es konnte ihm nicht einerlei sein, ob er morgen, ohne mehr zu besitzen, als den kleinen Rückstand seines Lohnes, das Haus verlassen, oder noch die reichen Trinkgelder der fremden Herrschaft mitnehmen sollte, auf die er, wenn er blieb, wohl rechnen konnte. Ohne sich also auf Frau Elsens Abschweifungen von der Hauptsache einzulassen, sagte er zu, es noch bis übermorgen mit anzusehen, und die Bestellungen, die ihm für den künftigen Tag vorgelegt wurden, so gut auszurichten, als ob zwischen ihm und Meister Melchiorn nichts vorgefallen wäre.

Frau Else brüstete sich gegen ihren Vater mit dem glücklichen Erfolge ihrer Bemühungen, und Erdmann machte sich, als der Tag zu grauen begann, auf den Weg, indem er dießmal einen Esel mitnahm, der ihm die vielen Einkäufe tragen sollte. Kaum hatte er das Haus verlassen, so rechnete er schon aus, wie viel Zeit er zu den vielfachen Geschäften, die er zu besorgen hatte, brauchen würde, und wie lange er wohl bei seiner Marie, die er bestimmt zu treffen hoffte, verweilen könnte. So sehr er nun auch eilte, um bald in die Stadt zu kommen, so schien sich doch der Weg unter seinen Füßen zu verlängern, und er traf dort später als gewöhnlich ein. Zu seinem großen Leidwesen ging es ihm auch hier mit den Einkäufen nicht recht von Statten; was er sonst an einem Orte fand, mußte er heute an zehn Orten zusammensuchen, die Verkäufer waren eigensinnig und hielten ihn mit langem Handeln auf, und als er endlich das sonst so geduldige [112] Thier mit den Einkäufen beladen wollte, zeigte sich dieß so unbändig, daß er lange Zeit brauchte, um es wieder zu beruhigen. Der arme Erdmann wurde durch alle diese Widerwärtigkeiten ganz verstimmt, und nur die Hoffnung, auf dem Rückwege seine Marie zu sehen und zu sprechen, tröstete ihn einigermaßen. Als er jedoch an die Stelle kam, wo er sonst seine Geliebte zu finden pflegte, war diese nicht zugegen, und es half ihm auch nichts, überall den Namen Marie! Marie! ertönen zu lassen, den nur das Echo, gleichsam spottend, wiedergab. Da es schon spät war, durfte er sich hier nicht länger aufhalten, und mußte tiefbetrübt weiter ziehen. Nachdem er noch geraume Zeit in den abgelegensten Gegenden des Gebirges, durch welche eigentlich gar kein Weg führte, und die er nur in verliebter Phantasie allein, oder an der Hand seiner Marie zuweilen besuchte, herumgeirrt war, sah er endlich das Wirthshaus unten im buschigen Thale vor sich liegen, und nun zog er mit seinem langöhrigen Gefährten gemächlich den Abhang hinab. Obschon es ihm nämlich lieb war, den beschwerlichen Weg endlich ganz zurückgelegt und seine Einkäufe wohlbehalten nach Hause gebracht zu haben, so wäre er doch noch lieber gleich wieder umgekehrt, um seine Marie zu suchen, deren heutiges Ausbleiben ihn so sehr beunruhigte.

Frau Else stand an der Hausthür und half die Einkäufe vom Esel abladen; Erdmann aber, anstatt mit Hand anzulegen, oder wenigstens das Thier fest zu halten, war so ganz in sich vertieft, daß er sich um den [113] Esel gar nicht bekümmerte. Kaum fühlte sich dieser von seiner Last befreit, als er rasch davon sprang, und sich mit einer Schnelligkeit, die man an ihm gar nicht gewohnt war und die daher Alle in Erstaunen setzte, zwiden nächsten Hügeln verlor.

»Ach laß den Langohr! Du bist mir lieber als zehn Seinesgleichen!« sagte Frau Else sehr galant, als Erdmann, der dem Flüchtigen nachgeeilt war, nach einer halben Stunde wiederkam und erklärte, daß das Thier nirgends zu finden sei, und daß er der eintretenden Dunkelheit wegen einen Kienstock anzünden und nochmals versuchen wollte, den Flüchtigen aufzufinden. – »Laß ihn laufen,« schrie Frau Else, »er ist zum Futter gewöhnt! Morgen wird er wol wieder kommen, und kommt er nicht, so ist mir's lieber, ich misse ihn als dich!«

Diese Worte, aus denen ein plumpe Zärtlichkeit sprach, wurden von unserm Erdmann gar nicht beachtet; er folgte der Dame des Hauses verdrießlich und mit trägem Schritt in die Gesindestube, wo die Hälfte des Dienstvolks sammt Herrn Melchior schon beschäftigt war, die nöthigen Zurichtungen zu dem übermorgen bevorstehenden Mittagsmahle zu machen. In den damaligen Zeiten bestand der vornehmste Prunk einer wohlbesetzten Tafel nicht sowohl in Mannigfaltigkeit, als in Menge der aufgetragenen Speisen, nicht sowohl in Wohlgeschmack und guter Wahl der Schüsseln, als in ihrer Größe und der Höhe der Spitzsäulen, die man auf denselben empor thürmte. Um der damaligen Mode Ehre [114] zu machen, war diesen Tag über schon viel Blut im Gasthofe zum Riesen vergossen worden, und während Herr Melchior und Frau Else die feisten Braten spickten, war das Gesinde beschäftigt, mehr Kapaunen, Hühner, Tauben und Enten zu entfedern, und zuzurichten, als Gäste zur Tafel erwartet wurden – in Summa man sah, daß Herr Melchior dießmal das gemachte Gedinge von drei Kronen a Person nicht mit Sünden verdienen wollte.

Frau Else, die heute lauter Liebe und Zärtlichkeit war, labte Erdmann mit Speise und Trank, wies ihm den besten Platz am Fenster an – denn die Nächte waren kalt – stellte ihm frei, an der Arbeit Theil zu nehmen, und gebot einem Fremden, der im Winkel saß, und den Erdmann noch nicht wahrgenommen hatte, in seiner Erzählung fortzufahren, die durch die Ankunft des beladenen Esels, und dessen bösliche Entweichung etwas lange unterbrochen worden war.

Erdmann schlug die Augen auf, und erblickte beim düstern Scheine des Feuers die kleine, eingeschrumpfte Gestalt eines dem Anschein nach fast hundertjährigen Greises, den er wegen seines langen weißen Bartes und der etwas jüdischen Physiognomie für einen Israeliten gehalten haben würde, wenn nicht in den damaligen Zeiten mancher hochbejahrte christliche Mann einen ähnlichen Auswuchs, um sein Ansehen bei Enkeln und Urenkeln zu vermehren, an Kinn und Wangen geduldet hätte.

»Was soll ich da weiter erzählen,« versetzte der Alte auf nochmalige Aufforderung, »genug die breßlauischen [115] Unruhen vor hundert Jahren, und das was heute in Schweidnitz vorgegangen ist – –«

»In Schweidnitz?« wiederholte Erdmann, der augenblicklich an die einzige Person dachte, die ihn in dieser Stadt interessirte. »In Schweidnitz, was ist dort vorgegangen?«

»Habe keinen Athem, mein Sohn, es noch einmal zu wiederholen! –«

»Wart' ich will dir's erzählen, warte!« schrie Melchior, der immer noch auf Erdmann grollte. »Deine Dirne hat auch Theil daran gehabt, die Landläuferin! die Unglücksstifterin! Nun hat sie weder Dach noch Fach, und ich will sie zeitig genug vor meiner Thüre um Brod betteln sehen.«

»Marie! meine Marie!« schrie Erdmann, indem er aufsprang, und zwischen Melchiorn und Elsen wie ein Sturmwind zur Thür hinausfuhr. »Marie! meine Marie!« schrie er, als er jetzt den Thorweg aufsprengte und in die dunkle Nacht hinaustrat, ohne zu wissen, was er in dem wilden Gebirge wollte. Er hörte hinter sich die Pforte mit drei Riegeln verwahren, und aus dem Fenster ertönte ihm Elsens fast vor Wuth erstickte Stimme nach: »Höre Gesell! weil du einmal draußen bist, so vergiß nicht meinen Esel zu suchen, und komme mir ohne ihn nicht wieder vor die Augen; er ist mehr werth, als alle liederliche Dirnen von Schweidnitz, denen du nachläufst!«

Erdmann antwortete nicht; »ach Marie! Marie!« sagte er zu sich selbst, »also deshalb sah' ich dich heute nicht! Welch' ein Unglück mag dich betroffen haben!«

[116] Rastlos irrte Erdmann im unwegsamen Gebirge umher, kein Stern schickte einen mitleidigen Strahl durch die finstre Nacht, seinen Weg zu erhellen. In seiner Seele war es eben so düster; er konnte keinen klaren Gedanken fassen, und erst spät fiel es ihm ein, wie thöricht er gethan hatte, sich durch ein bloßes Wort in Verzweiflung stürzen zu lassen, wie doppelt thöricht, den Ort zu verlassen, wo er etwas mehr hätte erfahren können, um hier auf's gerathewohl nach Marien umher zu irren. »Marie! Marie!« rief er unaufhörlich, aber es antwortete nur das Echo. Er lauschte, glaubte die Stimme der Geliebten zu hören, und lies sich tiefer in's Gebirge locken, – da war's ein rufendes Käuzlein, das ihn getäuscht hatte, oder das vielstimmige Sausen des entfernten Gebirgsstromes, dem er sich oft verwegen genug näherte, um durch Ausgleiten vom jähen Ufer sein Leben einzubüßen.

Es war lange nach Mitternacht, als der Mond aufging und ihm die Ursache eines Geräusches zeigte, das er schon seit einer Stunde bald vor sich, bald hinter sich, bald etwas entfernt, bald dicht an seiner Seite vernommen hatte; es glich dem sanften Trabe eines unbeschlagenen Thieres, und unwillkührlich gedachte er des verlornen Esels, den er in der Angst seines Herzens bisher ganz außer Acht gelassen hatte. – Jetzt sah er beim Mondenschimmer ganz deutlich, daß sein Ohr ihn nicht getäuscht hatte, und daß der Entflohene wirklich wenige Schritte vor ihm hertrabte. Wie verwunderte er sich aber, [117] als er auf des Esels Rücken eine kleine Figur hängen sah, welche dem Erzähler im Wirthshause mit dem Judenbarte auf ein Haar glich! Bald zeigte sich die Aehnlichkeit noch sichtbarer, als an einer lichten Stelle des Weges der Mond das Gesicht des Reiters beschien. »Er ist es, er ist es selbst!« schrie Erdmann, und machte einige große Schritte, die ihm aber dem Reiter nicht um einen Strohhalm näher brachten. – »O guter Vater,« fuhr er keuchend fort, »verzieht! verzieht doch ein wenig, ich habe euch wichtige Dinge zu fragen.« – »Mich fragen?« erwiederte der Alte, »meinen wohlerworbenen Esel willst du mir nehmen, den ich als freie Beute hier im Walde fand.«

Mit diesen Worten trieb der weißbärtige Räuber sein Thier aus voller Macht an; es flog über Stock und über Steine, war bald diesseit bald jenseit des Stromes, bald auf einer so hohen Felsenspitze, daß Erdmanns scharfes Auge es kaum erkennen konnte, bald wieder ihm so nahe, daß er es mit der Hand erreichen zu können glaubte.

»O Bösewicht!« schrie Erdmann dem Räuber zu, »jetzt hast du also Athem genug, durch dies weite Gebirge umher zu jagen, während du gestern Abend nicht vermochtest, mir auf eine einzige wichtige Frage zu antworten! O halt ein! halt ein! und sage mir nur ein Wort von Marien! Der Esel soll dein sein, ich will dir ihn nicht nehmen, und ihn gern im Wirthshause mit meinem rückständigen Lohne ersetzen. –«

Aber der wohlberittene Greis hörte nicht; der weiße [118] Bart wehte im Mondschein, der braune Mantel flatterte, das Thier unter ihm schnob und braußte gleich einem rüstigen Hengste, bis in Erdmann ziemlich spät der Gedanke erwachte, dies gehe nicht mit rechten Dingen zu, und Entsetzen sowohl als Ermüdung ihn ohne Besinnung zu Boden stürzten.

Der Tag war angebrochen, als er sich ein wenig zu erholen begann; er vernahm das sanfte Weinen einer weiblichen Stimme an seiner Seite, fühlte sich von zarten Händen geliebkoßt, und schlug die Augen auf. »Marie! Marie!« rief er, und schlang seine Arme um ihren zu ihm herabgebeugten Nacken, »ist es möglich, daß ich am Morgen gefunden habe, was ich die Nacht über mit so viel Schmerzen suchte?«

»Und ist es möglich,« schluchzte sie, »daß ich dich lebend in meine Arme schließe? Ach das war eine fürchterliche Ohnmacht! Das kommt von dem forcirten Reiten! Der verwünschte Esel! Gottlob, daß er dich endlich abwarf und hier ins Gras legte; es war übrigens kein artiger Spaß, dein armes Mädchen, das überdieß gekränkt genug ist, so die halbe Nacht hinter dir herzujagen.«

Erdmann machte große Augen und sah Marien an! »Gott weiß, was du meinst!« sagte er endlich, »ich habe keinen Esel gesehen als den, den mir der alte Bösewicht, den ich sogern ein paar Worte über dich abgestohlen hätte, hinweg ritt. Aber laß das jetzt, und sage, sage mir nur, wo du seit gestern gewesen bist, und was es für Bewandniß mit den schweidnitzischen Geschichten hat?«

[119] »Ach du könntest längst Alles wissen, hättest du meinen Athem besser geschont, und dich deines armen Mädchens erbarmt, die nun außer dir Niemand hat, und die es nicht verdiente, in ihrer Noth so von dir geneckt zu werden.«

»Marie, ich verstehe dich nicht, aber ich ahnde außerordentliche Dinge, und ich muß dich bitten, damit wir Beide uns verständigen, mir Alles, was dir seit vorgestern begegnete, umständlich zu erzählen.«

»Ich werde mich kurz fassen können, da dir die schweidnitzischen Geschichten schon bekannt zu sein scheinen.«

»Nichts, nichts ist mir bekannt; ich erfuhr nichts weiter, als daß in Schweidnitz Unruhen vorgefallen, woran du Theil gehabt hättest, und daß du nun ohne Schutz und Obdach dem größten Elend ausgesetzt wärest – das war es, was mich zu dem Herumjagen im Gebirge veranlaßte, denn ich glaubte, dich hier finden zu müssen, und Gottlob, daß ich dich endlich gefunden habe.«

»Ach Erdmann,« sagte hierauf Marie mit einem tiefen Seufzer, »wenn du sonst nichts weißt, so habe ich dir viel zu erzählen! – Warum habe ich mich dir auch nicht eher vertraut! Wie viel Angst hätte ich mir ersparen können! Aber zu fest bewahrte Verschwiegenheit war es, die mich in Noth stürzte! – Nicht von vorgestern, nein vom ersten Beginn unserer Bekanntschaft muß ich meine Geschichte anfangen, muß dich mit Einem bekannt machen, den ich eher kannte als dich, und dessen Andenken [120] ich schon deshalb immer verehren werde, weil die menschenfreundlichen Besuche, die ich ihm machte, Gelegenheit gaben, dich kennen zu lernen.«

Erdmanns Stirne runzelte sich ein wenig, als er von menschenfreundlichen Besuchen bei einem Fremden hörte. »Ich glaubte,« sagte er, »du habest nur deiner Spinn- und Webegeschäfte wegen diese Gegenden besucht.«

»Sie waren die ersten Veranlassungen meiner kleinen Reisen durch das Gebirge, das ich Anfangs, mit den Legenden von dem mächtigen Berggeiste, der er es beherrschen soll, nicht unbekannt, immer mit einem geheimen Grauen betrat; nach und nach, als mir hier nie etwas Außerordentliches begegnete, wurde ich indeß muthiger, glaubte nicht an Rübezahl, oder hielt mich von ihm wohlgelitten. Meistens dachte ich gar nicht an ihn, und fand in seinen Gebieten, in der süßen Ruhe und Freiheit der Natur, die hier herrscht, die seligste Erholung für meine langweilige, unschmackhafte Arbeit am Spinnrocken. – Es kam bald dahin, daß ich unter Thieren, Bäumen und Pflanzen viele Bekannte hatte, daß ich jeden Hügel, jeden Pfad mit seinem eignen oder einem von mir erdachten Namen zu nennen wußte, und mich hier ganz einheimisch fühlte. Besonders war mir der Theil des Gebirges, aus welchem die Weistritz entspringt, der Rumpelbrunnen genannt, immer einer der bekanntesten und liebsten, und bald sollte er mir durch eine Begebenheit, die noch jetzt Einfluß auf mein Schicksal hat, noch interessanter werden.

[121] In der Zeit, wo gewöhnlich der Fluß von Frühlingsgewässern anzuschwellen beginnt, just auf der Stelle, wo mich deine Hand, mein Erdmann, später den Fluthen entriß, fand auch ich einst ein menschliches Geschöpf im Wasser liegend, dessen Rettung insofern möglich war, als es noch mit den Kleidern im Gesträuch des Ufers festhing. Der Figur und dem Umfange nach hielt ich den Verunglückten für einen zehn- bis zwölfjährigen Knaben, und meine Kräfte also dem schweren Werke, ihn aus dem Wasser zu ziehen, für angemessen. ›Vielleicht ist hier noch Leben,‹ sagte ich zu mir selbst, indem ich mich an einen überhangenden starken Baumast hielt, und mich tiefer herabbeugte, ›vielleicht kann ich durch die Rettung dieses armen Geschöpfes eine bekümmerte Mutter erfreuen, und der Welt einen guten Bürger erhalten.‹

Ich hatte den Willen zu einer menschlichen That, und wie das Sprichwort lautet, wo Wille ist, da verleiht Gott die Kräfte. Wie ich es anfing, weiß ich nicht mehr, genug es gelang mir, und mein Geretteter lag vor mir auf dem Ufer; es war jedoch kein Kind, sondern ein kleiner, steinalter Mann, dem, wie er sagte, mein Werk seiner Rettung kaum dankenswerth schien, da ich ihm doch nur wenige Tage eines elenden Lebens erhalten hätte. Der gute Mann ist nun todt, und man soll dem, der sich im Reiche der Wahrheit befindet, keine Lügen nachsagen, aber mir ist hundertmal eingefallen, wenn er mir durch seine ängstliche Todesfurcht die Sorge um sein Leben so schwer machte, daß er jenesmal nur so redete, um sich den Dank für seine Rettung zu ersparen.

[122] Ungeachtet der mürrischen Weise, mit welcher er mir dieses seltsame Kompliment machte, regte sich doch gegen ihn in meinen Herzen eine Art von schmerzhafter, mitleidiger Liebe, die wir Weiber besonders gegen Kinder und Alte zu fühlen pflegen. Das was ich für ihn gethan hatte, machte mir ihn noch lieber, und ich sagte ihm, ich würde seinem Lebenshaße zum Trotze auf die Verlängerung seiner Tage denken.

›Schwer genug wird es dir werden,‹ erwiederte er, ›da ich, wie du siehst, ganz schwach und hülflos bin, und ohne die zärtlichste Pflege nicht einen Tag mehr leben werde.‹

›Und die sollt ihr haben, bis ihr stark genug werdet, mir in die nächste Stadt zu folgen, wo es mehr mitleidige Herzen giebt, die das ersetzen werden, wozu ich zu schwach bin.‹

›Wenn du deine Hand von mir abziehen willst, so kannst du eben so gut mich wieder in den Strom werfen, denn ich kann und werde nicht unter Menschen gehen!‹

Ich fragte warum, aber er antwortete nicht, und ich setzte mein Werk des Wärmens und Abtrocknens stillschweigend fort, bis er sich völlig erholte; darauf brachte ich ihn in eine mir wohlbekannte Berghöhle, wo ich mich oft vor Regen und Sonnenglut geborgen, oder am Mittag ausgeruht hatte, und bereitete ihm ein Bett von Moos und dürren Kräutern. Er fing an zu schlummern, und ich benutzte diese Zeit, nach einem Baume zu eilen, [123] wo ich etwas wilden Honig wußte, pflückte von den Sträuchen einige Hände voll Beeren, und ein kleiner Krug mit Milch, den mir die Leute im Dorfe, wo ich Flachs gekauft, geschenkt hatten, diente mir jetzt dazu, das Mahl, das ich auf einen Teppich von grünen Blättern vor meinem Schlummernden ausbreitete, vollkommen zu machen.

Er erwachte, sah mit Vergnügen, was ich ihm aufgetischt hatte, und aß und trank zum Verwundern, worüber ich, weil ich einem so betagten Manne solchen Appetit nicht zugetraut hatte, große Freude bezeigte.

›Du bist sehr gut,‹ sagte er, ›vielleicht würde jedoch deine Theilnahme an meinem verlassenen Zustande abnehmen, wenn du wüßtest, wer ich bin.‹

›Und wer seid ihr denn?‹

›Ich will glauben, daß ich dir dieß ohne Gefahr für mich entdecken kann, denn ich habe dich ja an den verhaßtesten Geschöpfen hier im Gebirge Liebe üben sehen; ich sah dich einst einer alten Eidechse, welche blind war, Futter zutragen; wie solltest du nicht auch an einem verlassenen unwerthen Menschen Barmherzigkeit üben!‹

›Vater, eure Reden betrüben mich! Wer seyd ihr? Unwerth ist in meinen Augen kein Geschöpf! Euer Unglück und euer Elend wird meine Liebe zu euch nur verdoppeln.‹

›Ich kann vielleicht ein Boshafter, ein Verbrecher sein, oder zu einem überall verschrieenen Geschlechte gehören! Schon als Kind bei der großen breßlauischen Judenverfolgung [124] aus meinem Vaterlande vertrieben, habe ich ein mehr als hundertjähriges Leben unter Druck und Elend bis hierher geschleppt, habe meinen Tod, das Ende meiner Leiden in den Fluthen finden sollen, und bin von dir wider Willen gerettet worden. –‹

›Vater, seid ihr ein Jude, so will ich euch zu euren Glaubensgenossen bringen; ich wohne zu Schweidnitz in der Judenstadt, wo ich viele wohlhabende Juden kenne.‹

›Ich sage dir aber, daß ich keinen Menschen sehen will als dich! Wenn du mich Jemand entdeckst: – –‹

Der Greis machte bei diesen Worten ein fürchterliches Gesicht, und die Kraft, mit welcher er auf den Boden schlug, so daß mein ausgeleerter Milchtopf umfiel und zerbrach, sagte mir, daß ich mich vor seinem Zorne zu hüten habe.

Zitternd versprach ich ihm Alles, was er wollte, doch ließ ich mich durch keinen Eid binden.

Gern hätte er mich zu seiner Pflege beständig bei sich behalten, aber wie konnte ich ihm zu Liebe meine gute Herrschaft vernachlässigen? Ich mußte zu dieser zurück, und mein Geretteter, der sich Abraham von mir nennen ließ, mußte sich gefallen lassen, mich nur gelegentlich zu sehen, und so viel Pflege von mir anzunehmen, als ich ihm ohne Versäumniß leisten konnte. Seine Erhaltung war mir nicht leicht; er gab mir nur selten etwas, wovon ich seine Bedürfnisse bestreiten konnte, denn, wie er sagte, so war er selbst arm. Er lebte daher größtentheils [125] von dem, was ich mir selbst abdarben, oder für ihn in dem Kloster, wohin ich zuweilen geschickt wurde, erbetteln konnte. Ohne es zu wollen, erwarb ich mir durch meine Fürbitten für einen Armen, und durch die Freude, die ich bezeigte, wenn ich etwas Erquickendes für ihn erhielt, die Gnade der Aebtissin, und das Versprechen, einst auf leidliche Bedingungen Aufnahme in ihrem Kloster zu finden. Ach Gott! dies war bisher meine einzige und gewisseste Aussicht! Nun ist sie auch verschwunden; die gute Gräfin von Würban, die bisherige Domina, ist todt, und der gute Wille der neuen Oberin und der übrigen Klosterfrauen ist durch die gestrigen Begebenheiten, die nur gar zu schnell zu ihren Ohren gelangten, ganz verschwunden, so daß ich jetzt im eigentlichsten Sinne des Wortes ganz hoffnungs- und heimlos bin.

Doch wieder zu meiner Geschichte. Von meinem Pfleglinge ärntete ich, ungeachtet Allem, was ich für ihn that, wenig Dank; er war voller Eigensinn und Launen, tadelte meine kleinen Gaben, beschuldigte mich, ich sei seines Lebens überdrüssig und wünsche seinen Tod, schimpfte und schmähte mich, und drohte mir einst sogar mit Schlägen. In der That, es gehörte Geduld der Heiligen dazu, dies Alles auszuhalten, und es waren nur zwei Dinge, die mich zu sehr an ihn fesselten, als daß ich ihn je hätte verlassen können; das eine war, seine angenehme für mich in tausenderlei Betracht lehrreiche Unterhaltung, wenn ich ihn einmal heiter fand, und das andere, die Vorstellung von seiner gänzlichen Hülflosigkeit, [126] wenn ich die Hand von ihm abziehen würde. Obgleich ich ihn zuweilen, wenn er in Zorn gerieth, im Verdacht hatte, er stelle sich schwächer als er sei, so hatte ich doch täglich unzähliche Beweise, daß er unvermögender war, als ein Kind, und ohne meine Unterstützung nicht leben konnte. Um nicht über seine Grillen und Launen verdrießlich zu werden, bemühte ich mich, diese als aus seiner Krankheit und Schwäche hervorgehend zu betrachten, und es gelang mir durch diese Erwägung den aufsteigenden Unwillen in Mitleid zu verwandeln.

Unter den Einfällen, mit welchen er mich zu peinigen pflegte, war einer der bemerkenswerthesten, daß er mir zuweilen entlief, daß ich ihn dann in allen Höhlen des Gebirges und in allen Gebüschen des Waldes mühsam wiedersuchen mußte, wenn ich nicht, – wie mir einmal geschah, als ich dachte, er würde wohl von selbst wiederkommen, – ihn des andern Tages halbtodt vor Nässe, Kälte und Ermattung in oder außer halb seiner Höhle wiederfinden wollte.

Auf einer dieser Wanderungen mußte er dich und mich belauscht haben, denn ich wüßte nicht, wie ihm sonst unser Verhältniß kund geworden wäre. Er hielt mir damals eine lange Strafpredigt über meinen Umgang mit dir, die ich indeß mir wenig zu Herzen nahm. Abraham schien schlechterdings mich für sich allein in Anspruch nehmen zu wollen, und jedes andre Geschöpf um meine Gesellschaft zu beneiden. Seine Klagen, daß ich ihn um deinetwillen vernachlässige, daß ich ihn, dir zur Liebe, später [127] besuche und früher verlasse, waren unausstehlich und was das Letzte anbelangt, vielleicht nicht ganz ungegründet; freilich konnte mich, wenn die Stunde kam, wo du vorübergingst, nichts bei ihm zurückhalten. –

Der Winter kam; ich mußte nicht allein das Vergnügen aufgeben, dich zu sehen, sondern auch meinen armen Alten seinem Schicksale überlassen. Er weinte wie ein Kind um sein Leben, das er ohne mich nicht erhalzu können vorgab, und jetzt fühlte ich erst, wie lieb er mir ungeachtet seiner Launen war. Auch ich weinte sehr und bat ihn, mir zu erlauben, ihn in die Stadt zu führen, oder seinen Aufenthalt den barmherzigen Brüdern zu Reichenbach kund zu thun, welche Vorschläge er jedoch mit Unwillen verwarf. Der fallende Schnee ließ mich befürchten, daß ich den Hülflosen heute zum letzten Male gesehen haben würde, und ich trennte mich daher von ihm, wie von einem sterbenden Freunde. Nach der Zeit machte ich noch öfters Versuche, zu ihm zu kommen, aber sie mißlangen alle, denn der Schnee hatte nicht allein die Gebirge ganz pfadlos, sondern auch alle Gegenden derselben so unkenntlich gemacht, daß ich nicht einmal mehr wußte, wo ich meinen Pflegling suchen sollte, und über dem vergeblichen Bestreben, seine Höhle dennoch zu finden, mehrmals in Lebensgefahr gerieth.

Ich beweinte ihn als einen Todten, und nahm mir fest vor, im künftigen Frühjahre die Gegend, wo ich sein Grab vermuthete, gänzlich zu meiden, um nicht die Erinnerung an den Todtgeglaubten zu sehr aufzufrischen.

[128] Demungeachtet war mein erster Gang, als ich das verjüngte, von Schnee und Eis befreite Gebirge wieder betrat, nach der Höhle, wo der Alte seinen letzten Seufzer ausgehaucht haben mußte. Denke dir nun mein Erstaunen, als ich den, dessen irdische Ueberreste ich suchte, lebend und ungefähr in demselben Zustande wiederfand, in dem ich ihn verlassen hatte.

›O Vater! Vater!‹ rief ich, indem ich auf ihn zueilte. ›ist es möglich, daß ihr noch lebt, und welches Wunder hat euch erhalten? –‹

›Du bildest dir sehr viel ein,‹ erwiederte er mit mürrischem Tone, ›wenn du glaubst, der Himmel habe Niemand als dich, seine Wohlthaten auszustreuen; freilich deinetwegen hätte ich ruhig umkommen können.‹

›Vater, ich schwöre euch, nur die Unmöglichkeit – –‹

›Es ist gut! – Was bringst du mir zu meiner Erquickung? Ich will nicht hoffen, daß du leer gekommen bist.‹

Ohne zu antworten verließ ich ihn, und eilte nach meinem Flachskörbchen, das ich vor der Höhle abgesetzt hatte, und in welchem etwas sparsame Wegzehrung für mich enthalten war; ich brachte es ihm, bat vorlieb zu nehmen, und er wurde aufgeräumter.

›Marie,‹ sagte er, ›die Wahrheit zu gestehen, thust du viel an mir; wäre ich der schönste Jüngling von der Welt, du könntest dich nicht zärtlicher um mich bemühen.‹

›Eben weil ihr das nicht seid, Vater, darum suche ich euch nach Kräften zu pflegen. Euer Alter macht mir [129] die Sorge um euch zur Pflicht. Junge Bursche können sich meiner Milde wenig rühmen.‹

›Einer ist doch wohl in der Welt, dem zu Liebe du schon manchen mühseligen Weg gemacht hast! – Begegnete dir Erdmann schon im Gebirge?‹

›Nein, Vater, es ist heute mein erster Ausgang.‹

›Liebst du ihn und hoffst du ihn wiederzusehen?‹

›Vater, wie sollte ich ihn lieben! Ich kenne ihn ja so wenig!‹

›Nun, wenn du ihn also nicht liebst, so wird es dir leicht sein, ihn einem Andern aufzuopfern. Willst du bei mir bleiben? – Siehe, meinem Wesen steht eine große Veränderung bevor; binnen kurzer Zeit werde ich diese eingeschrumpfte Hülle ablegen, und wieder jugendlich blühen, schöner als dein Erdmann, schöner als alle Jünglinge der Welt. Mit meinem Alter und meiner Häßlichkeit wird auch meine Armuth schwinden, und ich werde reich genug sein, dir ein Glück zu bereiten, das alle deine Erwartungen übersteigen wird. – Du schweigst? Willst du, oder willst du nicht?‹

›Nein, Vater,‹ sagte ich zitternd, ›denn erstens glaube ich kein Wort von dem, was ihr mir vorschwatzt, und zweitens wäre auch Alles wahr, so – so –‹

›So wäre dir Erdmann doch lieber? – Nun so geh! renne hin in dein Verderben! Du wirst den Geliebten zwar heute noch sehen, aber dein Zusammentreffen mit ihm wird kein erfreuliches sein!‹

[130] Ich ging und brauche dir, mein Erdmann, wohl kaum zu sagen, daß dies der nämliche Tag war, an welchem ich beinahe in den Fluthen umgekommen wäre. – Die Weistritz war während meiner Unterhaltung mit dem Alten, die länger gedauert haben mußte, als ich meinte, fürchterlich angeschwollen; das Wasser schien von Augenblick zu Augenblick zu wachsen, doch war noch der lange Steg sichtbar, der in der Gegend, wo der Fluß am schmälsten ist, auf die Wiese führt. Ich ermannte mich, setzte einen Fuß in's Wasser auf das durchscheinende Bret – Laß dich warnen! rief mein Alter hinter mir her, den ich noch nie so laut hatte rufen hören; ich hielt einen Augenblick inne, aber jetzt sah ich dich, wie ich meinte, von fern den gewohnten Pfad herauf kommen, und ein unwiderstehlicher Zug riß mich dir entgegen. Noch that ich einige Schritte mit Festigkeit, aber nun täuschte mich der Wiederschein der nahen Berge, ich schwankte, ich sank, und – ward von dem wilden Strom davon getragen.

Du weißt das Uebrige. Ich erwachte in deinen Armen, ich dankte dir ein Leben, das ich ferner nur dir zu weihen schuldig war. Dieser Vorfall trug wesentlich dazu bei, meine bisherige Neigung zu dir, die vielleicht schon längst Liebe war, noch mehr zu verstärken, und als du mir bald darauf das Geständniß der Liebe ablegtest, vermochte ich nicht länger, meine Gefühle für dich zu verbergen. Der Gedanke an ewige Vereinigung, mit dem du so vertraut warst, kam mir dennoch nie in den Sinn. Du gründetest deine Hoffnungen auf die Milde eines [131] übermenschlichen Wesens; ich zweifelte, und wer von uns Beiden Recht hatte, das erwieß das Abentheuer mit dem steinernen Schatze.

Was meinen alten Vater Abraham anbelangt, so fuhr ich fort, ihn auch nach meiner Rettung zu besuchen, obgleich ich mich wegen der verschmähten Warnung ein wenig vor ihm scheute, und seit dem wunderbaren Zeuge, das er mir das letztemal vorgeschwatzt hatte, eine kleine Verminderung meines bisherigen Zutrauens zu ihm spürte. Zum Glück machte er mir nie wieder ähnliche Anträge, auch gedachte er deiner weder im Guten noch im Bösen. Ich war aufrichtig genug gewesen, ihm meine Lebensrettung zu erzählen, und jetzt mochte ihm wohl unser Verhältniß zu heilig erscheinen, als daß er hätte noch länger versuchen sollen, es zu stören. Doch war er deshalb eben nicht freundlicher gegen mich, und ich entsinne mich besonders, daß ich an dem Tage, an welchem du mir deine Lebensgeschichte erzähltest und ich dir Gleiches zu thun versprach, viel von seinen Launen auszustehen hatte, und tausend Verweise wegen meines Unglaubens, meiner naseweisen Urtheile und anderer Fehler hören mußte, die ich in seiner Gegenwart zu äußern nie Gelegenheit hatte, da mir die Furcht vor ihm immer die Zunge gefesselt hielt.

Ach, es sollte dies das Letztemal sein, daß ich von ihm zu leiden hatte! Ich fand ihn am andern Morgen, ehe ich dir begegnete, sehr schwach, und er starb in meinen Armen. ›Marie!‹ sagte er wenige Minuten vor[132] seinem Tode, ›ich habe dich wohl geprüft, und du verdientest für deine Geduld Belohnung, wenn ich nicht noch so viel an dir zu tadeln hätte. Hüte dich, und lade nicht durch vorwitzige Urtheile noch ärgere Züchtigungen auf dich; es ist thöricht, über Dinge zu entscheiden, die man nicht versteht.‹

›Guter Vater,‹ sagte ich, ›ich danke euch für eure Lehre, die mir aus mehr als einer Ursache lieb ist. Ihr habt mit so kräftiger Stimme gesprochen, daß ich euer Ende unmöglich so nahe glauben kann, als ihr mich bereden wollt.‹

›Von der Wahrheit meiner Worte,‹ erwiederte er, ›wirst du dich in wenig Augenblicken überzeugen. Wisse übrigens, daß ich denjenigen, der meinen Leichnam zur Erde bestattet, zu meinem Erben erkläre. Bist du stark genug, diese Arbeit zu verrichten, so soll Alles, was ich zurücklasse, dein sein; sonst sei es dir auch erlaubt, dir einen Gehülfen zu wählen, und mit ihm die Erbschaft zu theilen. Doch sorge dafür, daß meine irdische Hülle gleich in den nächsten Stunden nach meinem Tode beerdigt werde.‹

Bald nach diesen Worten schlossen sich seine Augen, und nachdem ich nach vielen vergeblichen Versuchen, ihn zu erwecken, von seinem Hinscheiden überzeugt war, machte ich unter tausend Thränen Anstalten zu seiner Beerdigung, wozu es mir jedoch, wie ich bald merkte, in jeder Beziehung an Kräften fehlte. Ich verließ die Höhle mit dem festen Entschlusse, dich zum Vertrauten des lang verschwiegenen [133] Geheimnisses zu machen, aber schnell besann ich mich anders, denn ich fürchtete, daß ich dann bei dir wieder einen Verdacht erregen würde, den du erst den Tag vorher auf eine sehr unzweideutige Art gegen mich geäußert und mit Mühe aufgegeben hattest.

Mein Todter war nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach ein Jude, wenigstens war das Wenige, was er mir einst von seiner Person gesagt hatte, ganz geeignet, diese Muthmaßung zu erregen. Ich kann es nicht läugnen, daß der Widerwille gegen dieses Volk, der uns von Kindheit auf eingeprägt wird, mir manchen harten Kampf gekostet hatte. Bei dir mußte ich ähnliche Gesinnungen vermuthen, ohne zu wissen, ob du sie der Menschheit zur Ehre so glücklich besiegen würdest, wie ich. Du hattest noch vor Kurzem unter allen Beschuldigungen meiner Feinde, die du mir mittheiltest, auf das Wort Jüdin den meisten Nachdruck gelegt, und hattest nicht ganz mit meiner Vertheidigung befriedigt geschienen. Sollte ich durch die Theilnahme an meinem seltsamen Unbekannten neuen, vielleicht unaustilgbaren Verdacht erregen? Du hättest mich vielleicht für Vater Abrahams Kind oder Enkelin gehalten, und hättest dich von mir getrennt, ohne dich eines Andern belehren zu lassen.

Ich faßte daher einen andern Entschluß, und eilte, dich zu sehen und mich in deinem Umgange zu trösten. Du erinnerst dich des Inhaltes unserer gestrigen Gespräche; Trübsinn und Schwermuth blickte aus Allem hervor, was ich dir zu sagen hatte; auch fragtest du mich [134] nicht nach der Ursache meiner trüben Stimmung, denn der Vorfall mit deinem Schatze konnte diese hinlänglich entschuldigen.

Wir trennten uns voll Kummer über die Verwandlung deines betrügerischen Reichthumes, die alle unsere Hoffnungen vernichtete; ich aber konnte mich nicht enthalten, so spät es auch war, noch einmal in die Höhle zu gehen, um zu versuchen, ob das Todtengräbergeschäft mir jetzt leichter würde, als diesen Morgen. Ich mußte indeß abermals unverrichteter Sache zurückkehren, und es wurde Nacht, als ich die Stadt erreichte.

Ueberzeugt, daß der alte Abraham zu dem Volke gehöre, unter welchem ich in Schweidnitz wohnte, hielt ich es für das Beste, die Sorge für seinen Leichnam seinen Glaubensverwandten zu übertragen, und begab mich also, noch ehe ich das Haus meiner Herrschaft wieder betrat, zu einem der vornehmsten Juden, dem ich so viel von meiner Geschichte mittheilte, als ich für gut hielt. Ich fand Gehör, und bat um Verschwiegenheit. Noch in derselben Nacht machte sich die ganze Judenschaft auf, den verblichenen Bruder nach Schweidnitz zu schaffen, ihn ehrlich nach ihrer Weise zu beerdigen, und dafür seine Erbschaft in Empfang zu nehmen. Ich verhielt mich während dieser Zeit ruhig in dem Hause meiner Herrschaft, und glaubte einen großen Stein von meinem Herzen gewälzt zu haben. Aber o Gott! welch ein Ungewitter stand mir und der ganzen Nachbarschaft auf den nächsten Tag bevor! So gut ich auch Vater Abrahams Glaubensgenossen [135] den Ort bezeichnet hatte, wo sie seinen Leichnam finden sollten, so hatten sie doch trotz allem Suchen die Leiche nicht gefunden. Sie kamen noch vor Tagesanbruch ganz wüthend unverrichteter Sache zurück, machten groß Geschrei von dem, was sie diese Nacht über im Gebirge erlitten hätten, hielten das Ganze für die Erfindung eines muthwilligen Christenmädchens, und rüsteten sich, die Schmach an Schuldigen und Unschuldigen zu rächen. Sie stürmten das Haus, in welchen ich war, und es kam zum völligen Aufruhr. Meine Herrschaft ließ sich nicht ungeneigt finden, durch Auslieferung meiner Person Frieden zu erlangen, aber ich entkam glücklich, und floh, weil ich im Gebirge unter deinem Schutze wenig Sicherheit wußte, nach dem Marienkloster im Walde, wo ich die Aufnahme fand, von der ich dir schon gesagt habe. Ach, auch hier wurde ich verstoßen! Man nannte mich bald eine Jüdin, bald eine Friedensstörerin und ich mußte froh sein, mich auch hier durch die Flucht zu retten.

Wo sollte ich anders hin als in das Gebirge, wo ich noch die einzige mir verwandte Seele, die ich auf der Welt hatte, zu finden wußte! Aber ach, es war schon später Abend; die Zeit, wo ich hoffen konnte, dir zu begegnen, war längst vorüber, und ich mußte mich begnügen, mich dem Hause, wo du wohntest, so sehr als möglich zu nähern, um dich am nächsten Morgen, wenn du aus dem Hause gingest, gleich zu bemerken.

Als ich so in der Dämmerung hin und herirrte, weinte, und mich mit tausenderlei Gedanken quälte, hörte ich dicht an [136] meiner Seite ein leises Traben, und fühlte im nämlichen Augenblicke einen großen haarigen Kopf, der sich mit freundlichem Ungestüm an meinem Arm schmiegte. Es war dein Grauschimmel, der mich im Dunkeln so gut erkannte, als ich ihn. Er liebkoßte die Hand, die so oft, wenn du ihn an das Gesträuch bandest, um ruhig mit mir zu kosen, ihm Brod darreichte, oder ihm die Mühe ersparte, das frische Gras vom Boden abzufressen. Ich fühlte nicht geringere Freude über seine Anwesenheit, als er über die meinige. Ich glaubte, wo das Thier sich befände, da könntest du nicht fern sein, und dünkte es mir seltsam, dich bei so später Nacht noch außer dem Hause zu wissen, so fiel mir schnell ein, Freund Langohr könne etwa entwischt sein, und du würdest nicht ermangelt haben, sobald du seine Flucht bemerktest, ihm nachzusetzen. Ich vergalt dem Thiere diese gute Botschaft mit einem Theile meines Abendbrotes, das ich, als ich entfloh, mit mir genommen hatte, band meinen Gefährten, um seiner und deiner desto gewisser zu sein, an einen Baum, unter welchem ich bald darauf mein Lager nahm, und des langen Wartens auf dich endlich überdrüssig, entschlummerte.

Stelle dir meine Freude und dann wieder mein Entsetzen vor, als ich auf einmal durch das Geschrei und Springen meines Nachbars aus dem Schlafe geweckt, im matten Schimmer des aufgehenden Mondes eine Gestalt, gleich der deinigen, gewahr wurde, die sich auf den Esel schwang, und im vollen Gallop davon ritt. Welch [137] ein Gefühl, dich erst unverhofft so nahe und im nächsten Augenblicke wieder so fern zu sehen! Ich rief dich, so laut ich vermochte, aber du hörtest nicht und ich war genöthigt, dir nachzueilen, um mich dir bemerkbar zu machen.

Der Vorsprung, den du auf dem Thiere, das ich noch nie so laufen sah, vor mir hattest, war groß, doch ereilte ich dich einigemale; du schienst mich zu sehen, mich zu kennen, ich streckte schon die Arme nach dir aus, du wartetest meiner, – aber auf einmal ging das Jagen von Neuem an. Ich verlor dich aus dem Gesichte und sah dich wieder; ich ruhte, weil ich zu erschöpft war, und du warst mir ganz nahe; ich erhob mich, und auf einmal gallopirtest du wieder jenseit des Flusses dahin. – Gottlob, daß das muthwillige Thier dich endlich abwarf, und daß ich dich hier von deiner stundenlangen Ohnmacht wieder zu dir selbst kommen sah.«

Erdmann schüttelte den Kopf. »Und bist du sicher,« sagte er, »daß der Eselreiter kein Anderer war, als ich? Mich dünkt, die Aehnlichkeit zwischen ihm und mir war nicht allzugroß.«

»Das helle Mondlicht müßte mich seltsam getäuscht haben.«

»Und sahst du es, wie das Thier mich abwarf?«

»Ich sah es leer hinter dem Hügel hervorspringen, und vermuthete, daß es seinen Reiter hier im Thale gelassen haben müßte. Ich suchte dich und fand dich ohnmächtig [138] auf dem Boden liegend; das Uebrige ließ sich ja errathen.«

Marie vermaß sich viel, hier rathen zu können, wo offenbar ein launiges Wesen höherer Art im Spiele war, welches durch mißverstandene Winke, unüberlegte Worte, übereilte Urtheile so schnell und bitter beleidigt werden konnte, daß es kein Bedenken trug, selbst seinen auserkornen Lieblingen die verdrießlichsten Possen zu spielen. – In der That hatten Erdmann und Marie in der Unschuld ihres Herzens schon Mancherlei gesagt und gethan, was sie bitter bereut haben würden, wenn sie den, von welchem unter ihnen so oft die Rede war, recht gekannt hätten.

»Komm, komm, Marie!« sagte Erdmann mit bedenklichem Kopfschütteln, indem er aufstand, und seiner Geliebten die Hand reichte »wir wollen über diese seltsasamen Dinge jetzt nicht weiter nachdenken und lieber überlegen, was wir vor der Hand zu thun haben. Wisse, ich bin frei wie du, denn morgen verlasse ich meinen Dienst im Wirthshause; von diesem Augenblicke an bin ich ganz dein, nur fragt es sich, wo du während der Zeit bleiben wirst, und was wir dann, eins so arm wie das andere, anfangen sollen!«

Marie gestand weinend, daß sie nicht zu rathen wüßte und sich ganz seiner Leitung überlassen wollte.

»Marie,« sagte Erdmann nach einigem Bedenken, »würdest du dich entschließen können, künftige Nacht und einen Theil des künftigen Tages, während ich noch [139] bei meiner Herrschaft bin, hier im Gebirge allein zu bleiben?«

»Ich bin hier so oft allein gewesen, und mir ist, das Abentheuer mit dem Eselreiter ausgenommen, nie etwas Bedenkliches zugestoßen; warum sollte ich gerade heute diese Gegend fürchten, die mir jetzt allein einen Aufenthaltsort gewähren kann!«

»Nun so laß uns vor allen Dingen den Esel suchen, ohne den ich nicht vor Frau Elsens Augen kommen darf; du versteckst dich dann hier im Gebirge, und ich gehe nach Hause, wo es heute sehr viel zu thun giebt. Jede Stunde, die ich abstehlen kann, schenke ich dir, und versorge dich so gut als möglich mit Nahrung. Aber morgen, morgen soll es schon besser werden; wir haben ein fürstliches Mahl auszurichten, wovon genug übrig bleiben wird, mein armes Mädchen zu laben. Ich erwarte von den Fremden, welche bei uns einkehren sollen, große Trinkgelder; habe ich diese, so komme ich, dich aus deinem Verstecke abzuholen, und in dem nächsten Orte mit dir zur Kirche zu gehen. Wir sind dann Mann und Frau, und haben die ganze weite Welt vor uns, unser Glück zu suchen. Gott gab uns frohe Herzen und gesunde starke Arme; ich als Knecht, du als Magd in irgend einem bemittelten Hause, können wir uns wohl eine Zeitlang ehrlich fortbringen, bis Gott weiter hilft.«

Der gemachte Plan hatte Mariens völligen Beifall, und man wollte eben mit Aufsuchung des Esels beginnen, [140] als Marie doch noch eine kleine Einwendung dagegen machte.

»Erdmann,« sagte sie, »mir fällt eben ein, daß wir einer andern Arbeit den Vorzug geben müssen.«

»Und welcher?«

»Die Gebeine meines armen alten Freundes liegen noch unbeerdigt in der Höhle, wo sie die schelmischen Juden nicht finden konnten, oder finden wollten; soll ich diese Gegend verlassen, ohne ihm die letzte Ehre erzeigt zu haben?«

»Marie! Marie! Ich fürchte, es hat mit deinem Alten eine seltsame Bewandniß; die Wahrheit zu gestehen, so halte ich ihn wenigstens für einen argen Zauberer.«

»Erdmann, wenn du mich liebst, so schone das Andenken des Verstorbenen; muß ich doch auch deinen Rübezahl in seinen Würden lassen, der dich mit seinen steinernen Goldmünzen so arg getäuscht hat.«

Erdmann schwieg, denn wunderliche Gedanken durchkreuzten seinen Kopf, und so kamen sie in der Höhle an, wo die fromme Marie die Exequien eines Geschöpfes feiern wollte, das sie so weidlich geplagt hatte, und das sie doch noch mit gutherziger Unschuld liebte.

Der Leichnam lag so offen auf der Stelle, wo ihn Marie vor zwei Tagen hingelegt hatte, daß man nicht begriff, wie er von irgend Jemand hatte übersehen werden können. Beide Liebende nahten sich der Leiche, doch Erdmann mit heimlichen Grauen, denn ihm däuchte, die nämliche Gestalt zu sehen, die er gestern Abend im [141] Wirthshause beim Feuer erblickt, und die ihm diese Nacht so seltsam geäfft hatte.

Er verbarg sein Entsetzen, um Marien, welcher eine einsame Nacht im Gebirge bevorstand, nicht zaghaft zu machen, und schickte sich an, mit den nöthigen Werkzeugen, welche die erschrocknen Juden in voriger Nacht zurückgelassen haben mochten, eine Grube zu machen, indeß die Leidtragende bei der Leiche stand, und um der Sache ihre gehörige Feierlichkeit zu geben, ein Todtenlied anstimmte.

Erdmann, welcher nicht wollte, daß Marie Hand an den ihm so verdächtigen Leichnam legte, verrichtete Alles, was nun noch zu thun war, und schwitzte dabei Todesschweiß; es war ihm, als hinge Blei an seinen Händen und Füßen, und er dankte Gott und seinen Heiligen, als das schwere Werk vollendet war. »Komm! komm!« sagte er zu Marien, »laß uns von hinnen eilen, und diese Gegend nie wieder betreten.«

So nöthig dem armen Brautpaare eine kleine Verbesserung ihrer Umstände gewesen wäre, so dachte doch Keines von ihnen an die, dem Todtengräber versprochene Erbschaft. Marie wußte überdieß zu gut, wie arm der Alte gewesen war, und Erdmann fühlte zu viel Grauen in dieser Höhle, als daß er sich nach irgend etwas Anderem, als nach ihrem Ausgange hätte umsehen sollen; doch stießen sie im Forteilen an einen kleinen ledernen Beutel, den Erdmann aufhob und ihn Marien reichte. Sie öffnete ihn und zog zwei grobe Silberstücke heraus. »Ach,« meinte sie, »das also ist der ganze Reichthum des guten [142] Alten, den er vielleicht für mich sparte! Ach, wie gern wollte ich ihn missen! Wie viel lieber wäre es mir, er hätte sich davon gütlich gethan, und dadurch vielleicht sein Leben verlängert!«

Erdmann ermahnte seine Geliebte, als er sie aus der Höhle führte, diese Gegend in den bevorstehenden Stunden der Einsamkeit zu vermeiden und mehr in der Nähe des Wirthshauses zu verweilen, wo ihr der dichte Fichtenwald Gelegenheit genug gäbe, sich verborgen zu halten, und wo er sie mit leichter Mühe zu allen Stunden finden könne.

Sie legten den Weg dahin langsam zurück, weil sie sich überall nach Frau Elsens verlornem Vieh umsahen, das sie jedoch nirgends fanden. Erdmann mußte sich daher entschließen, ohne dasselbe Frau Elsen unter die Augen zu treten und dem Ungewitter Trotz zu bieten, das seiner vielleicht wartete.

Er wurde jedoch besser empfangen, als er gedacht hatte, denn so wie der morgende Tag mehr und mehr nahte, so häuften sich auch die Geschäfte. Frau Else war bei Zubereitung des köstlichen Nachtisches, und konnte sich um nichts bekümmern, als um ihre Torten, welche eben von der milden Glut des Ofens die letzte Bewährung erhielten. Es war tief in der Nacht, als man endlich mit Allem fertig wurde. Frau Else brummte, daß ihr die Bewirthung fremder Leute, welche vielleicht gar schlecht bezahlen würden, so viele Mühe mache, und Erdmann hatte erst kurz vor Schlafengehen Gelegenheit, der armen Marie etwas Speise zu bringen, denn bis dahin hatte [143] man jeden seiner Schritte bewacht. Er durfte nicht, wie er wohl gewünscht hatte, während der Nacht bei der obdachlosen Geliebten verweilen, wenn er nicht wollte, daß man ihn vermissen, ihn aufsuchen, und nicht allein ihn, sondern auch Marien finden sollte. Marie sah dies noch besser ein, als er, und trieb ihn mit Gewalt von sich.

»Ach!« sagte er, »daß ich dich mit mir nehmen könnte, um dir wenigstens zu zeigen, wie Alles so schön zugerichtet ist. Die Tafel ist schon zur Probe geschmückt, und trägt bereits einen Theil der Schüsseln, die sie belasten sollen; da giebt's Spitzsäulen von Obst und gewürztem Kuchen, bunte Torten mit grünen Blättern geschmückt, Mandeln und zuckersüße Rosinen – in Summa ein Hochzeitmahl kann nicht prächtiger zugerichtet sein.«

»Wenigstens das unsrige nicht!« meinte Marie lächelnd; »nun der Himmel wird ja wohl ein paar Erdäpfel haben wachsen lassen, bei denen wir, wenn wir vom Traualtar kommen, fröhlich sein können.«

Der entwichene und noch nicht wiedergefundene Esel diente Erdmann zum Vorwand, sich am andern Morgen mit Tagesanbruch vom Hause zu entfernen. Da man seiner bei den Küchengeschäften nicht bedurfte, so ließ man sich's gefallen, und prägte ihm nur ein, sich um Mittag gewiß wiedereinzufinden, damit er beim Empfang der fremden Herrschaften gegenwärtig wäre. Er versprach es und flog in Mariens Arme.

»Marie,« sagte er, »ich bin nicht abergläubisch, aber heute muß ich dir mit nüchternem Munde einen seltsamen [144] Traum erzählen, den ich diese Nacht hatte, als es schon weit gegen den Morgen war; solche Träume pflegen immer erfüllt zu werden.«

»Erzähle nur,« sagte das Mädchen, »hernach sollst du auch von mir etwas Seltsames erfahren. Ich habe diese Nacht die Hochzeittafel, wovon du so viel schwatztest, gesehen, und mit dir am obern Ende derselben gesessen.«

»Ist das Alles?« fiel ihr Erdmann ins Wort, »auch ich habe im Traume an einer Hochzeittafel gesessen, zugleich erschien mir aber der Herr vom Berge, wie ich ihn in meinen glücklichen Kindertagen oft gesehen habe, und gebot mir, nach einem Orte hier im Gebirge zu gehen, den ich noch nie gesehen, und von dem ich auch nie habe reden hören.«

»Etwa nach der Andreaskapelle?« unterbrach ihn Marie.

»Ja, ja, aber woher weißt du es?«

»Der gute Alte, den wir gestern beerdigten, ist mir erschienen, und hat mir versprochen, ich sollte dort einen Schatz erhalten, den er und Mutter Ludlam mir von meiner Kindheit an zugedacht hätten.«

»Sonderbar! Ziemlich dieselben Versprechungen machte mir der Berggeist!«

»Meinst du nicht, Erdmann, daß wir jetzt gleich nach jenem Orte gehen?«

»Ich wäre es wohl zufrieden, wenn ich nicht meinen Esel suchen müßte!«

»Er ist gefunden; er begegnete mir gestern Nacht,[145] bald nachdem du von mir geschieden warst, im Walde, und ich habe ihn nicht weit von hier im Gebüsch angebunden.« Erdmann ging, sich von der frohen Neuigkeit mit eignen Augen zu überzeugen, und machte sich dann mit seinem Mädchen auf den Weg nach der Andreaskapelle, welche tief im Gebirge an einem Orte lag, den weder Erdmann noch Marie, so genau sie auch diese Gegenden kannten, je gesehen hatten.

Die Kapelle war, gleich dem Kloster im Walde, eine Stiftung der alten Grafen von Würban, von denen einige hier begraben lagen, und über deren Asche von den Mönchen aus dem benachbarten Kloster unablässig Gebete zur Ruhe ihrer Seelen gesprochen wurden. Zu gewissen Zeiten diente die Kapelle aber auch zu andern gottesdienstlichen Handlungen, und die Bewohner der umliegenden Gegend wallfahrteten oft dahin, um dort ihre Andacht zu verrichten. Auch geschah es zuweilen, daß hier Trauungen vollzogen wurden, doch mußten dann schwere Abgaben an den Schutzheiligen der Kapelle bezahlt werden.

Erdmann und Marie wußten von Allem diesen nichts, und gingen den Weg', den ihnen der Traum zeigte, froher als die Vögel des Himmels, die über ihnen sangen. In der That hatten wohl nie ein paar Liebende weniger Ursache zur Heiterkeit, als diese armen verlassenen Geschöpfe, die keine Verbindung mit der ganzen übrigen Welt, keine Aussicht, keine Hoffnung hatten, als die, welche ihnen mit dem geringsten Geschöpfe gemein war, die [146] Hoffnung: der, welcher ihnen das Dasein gab, werde sie auch erhalten.

Nachdem sie lange gewandert waren, dachte Erdmann an den erhaltenen Befehl, zur rechten Zeit nach Hause zu kommen, und sprach vom Rückweg: da sahen sie plötzlich auf dem Gipfel eines nahen Berges ein kleines Gebäude mit einem runden Thurme liegen, das bisher von den umliegenden Bergen verdeckt worden war; der Zahn der Zeit hat es seitdem gänzlich zernagt, und heut zu Tage sind nicht einmal mehr die Trümmern davon zu finden.

»Wollen wir, so nahe am Ziel, unverrichteter Sache umkehren?« fragte Marie, indem sie auf das nahe Kirchlein deutete. »Wer weiß« erwiederte er, »ob wir hier finden, was unsere Träume sagten; Traum ist Schaum, mit dem versprochenen Schatze wird es wohl dieselbe Bewandniß haben, wie mit Vater Abrahams Erbschaft und Rübezahls Thalern, und wer weiß, ob zehn Meilen in der Runde eine Andreaskapelle zu finden ist!«

»Dort kommt ein Mann herab,« sagte sie, »laß uns ihn um den Namen des Gebäudes fragen, aus welchem er kommt.«

»O Marie!« rief Erdmann, den ein eiskalter Schauer überfiel, »wenn du Muth hast, jenen Mann anzureden, so weiß ich nicht, was ich von dir denken soll!«

»Und warum sollte ich nicht?« lachte sie? – »Guter Vater, ist das die Andreaskapelle?«

»Ja! eilt, denn man erwartet euch!«

Während Marie mit dem Fremden sprach, hatte sich [147] Erdmann von ihrem Arme losgemacht und war einige Schritte zurückgetreten.

»Was ist dir?« fragte das Mädchen, indem sie sich wieder zu ihm wandte.

»Kennst du denn den Mann nicht, mit dem du eben gesprochen hast? Es war kein Anderer, als der verwünschte Alte, den ich zuerst im Wirthshause kennen lernte, der mich eine ganze Nacht mit dem Esel neckte, der auch dich schon auf tausenderlei Art gefoppt hat, und den ich endlich gestern mit unsäglicher Mühe und Todesangst in die Erde verscharrte; aber ich merke wohl, er wird nicht aufhören uns zu äffen, und wenn wir ihn auch unter ein Alpengebirge vergrüben.«

Marie sah ihren Geliebten mit großen Augen an, und drehte sich dann rasch um, der Person, mit welcher sie eben gesprochen hatte, nachzuschauen. »Gott sey mir gnädig!« schrie sie, und verbarg ihr Gesicht an Erdmanns Brust, »es ist wirklich der alte Abraham! Er sieht sich nach mir um, er droht mir mit dem Finger, wie er mir sonst zu drohen pflegte, wenn er seine böse Laune hatte!«

Marie war halb ohnmächtig; Erdmann setzte sie in's Gras, und als sie sich ein wenig erholte, erzählte er ihr von den Drangsalen, die er bei der Beerdigung des muthwilligen Alten erduldet hatte. Marie war nämlich damals so sehr in Trauer und Andacht versunken gewesen, daß sie gar nicht bemerkt hatte, was Erdmann während seines Todtengräbergeschäfts ausgestanden. Erst jetzt erfuhr sie, daß nicht allein der Leichnam des Alten ganz unerhört [148] schwer war, sondern daß es auch dem armen Erdmann schlechterdings unmöglich gewesen, dem Todten eine schickliche und anständige Lage im Grabe zu geben, und daß er dieß endlich habe zuwerfen müssen, obgleich der widerspenstige Todte das Gesicht gegen alle hergebrachte Sitte nicht nach Morgen, sondern nach Abend gekehrt habe.

Marie kreuzte sich, und obgleich Erdmann rieth, schnell den Rückweg anzutreten, ohne sich weiter um die Andreaskapelle und die Versprechungen eines Traumes zu kümmern, der ihnen wahrscheinlich von ihrem muthwilligen Peiniger eingegeben worden sei, so bestand sie doch auf dem Gegentheile. Sie sagte, sie wollte lieber sterben, als sich der Gefahr aussetzen, dem Gespenste noch einmal zu begegnen; auch sei es christlicher Brauch, bei einem Gotteshause nicht vorbeizugehen, ohne daselbst vorher ein kurzes Gebet gesprochen zu haben.

Erdmann, der frühzeitig anfing, sich unter den Gehorsam seines künftigen Weibes zu schmiegen, leitete sie vollends den Berg hinauf, und bald traten sie in das kühle Kirchengewölbe.

Die Kirche war wie zu einer großen Feierlichkeit mit weißen Wachskerzen erhellt, vor dem Altare stand ein Geistlicher im vollen Ornate, und um ihn herum einige Diakonen. Die beiden Ankommenden stellten sich hinter eine Säule, um daselbst ihr stilles Gebet zu verrichten, und sich dann in aller Demuth wieder zu entfernen. Aber einer von den Mönchen wurde an sie abgeschickt, sie zu befragen, wer sie wären und von wannen sie kämen. Beide [149] fühlten sich von einer seltsamen Bestürzung befallen, welche sie hinderte, zu antworten. »Ich merke,« sagte der Geistliche, »ich muß meine Erkundigungen anders einkleiden. Ist euer Name, junger Mann, Erdmann? und stammt ihr aus dem Hause derer von Erdmannsdorf?«

»Ja, ehrwürdiger lieber Herr, aber zur Zeit bin ich nichts als ein armer Knecht!«

»Und ihr, meine Freundin, heißt Marie? seid eine Engländerin? und zählt euch zu dem Geschlechte – –«

»Der Turner! Trotz meiner hohen Abkunft bin ich indeß genöthigt, mich gegenwärtig vom Spinnen zu ernähren.«

»Ganz recht, ganz recht, und ihr seid also gerade diejenigen, welche wir erwarten. Kommt und nehmt eure Stelle ein!«

Mit diesen Worten wurden sie vor den Altar geführt, und dem Geistlichen gegenüber gestellt, der ein wenig von seinem Buche aufsah, und sie folgendermaßen anredete.

»Meine Geliebten in dem Herrn! Ich frage euch, ob ihr gesonnen seid, euch ehlich mit einander zu verbinden, und ob ihr dies Gotteshaus in dieser Absicht betreten habt?«

Die erstaunten Liebenden konnten eigentlich nur die erste dieser Fragen mit gutem Gewissen mit Ja beantworten, indeß meinten sie, daß es an heiliger Stätte nicht rlaubt sei, viel Worte zu machen, und sie sagten also [150] schlechthin Ja, indem sie es dem Geistlichen überließen, die Antwort nach Gutdünken zu deuten.

Von diesem vielsagenden Ja hing jedoch Alles ab, was nun geschah. Man nahm es für ausgemacht an, daß sie nach Allem, was man schon von ihnen wußte, hier priesterliche Einsegnung wünschten, und die Trauungsceremonie begann, welche wohl nie ein paar Verlobte mehr überrascht haben mag. – Alles was hier vorging, war ihnen ein Räthsel, und es ist wohl möglich, daß ihre Andacht von dem heimlichen Grübeln, dessen sich Keines erwehren konnte, ein wenig gestört wurde.

»Meine Theuren!« sagte der Mann vor dem Altare nach geendigter Feierlichkeit und ertheiltem Kuß und Segen, »ihr sollt wissen, daß unserm Abte diese Nacht ein ehrwürdiger Greis erschienen ist – vielleicht ein Patriarch, vielleicht ein uns unbekannter Heiliger – mit dem Befehle, ein junges Paar eures Namens und Standes, welches sich heute in der Andreaskapelle einfinden würde, ehlich zu verbinden In Folge dieser Erscheinung haben wir euch schon seit einigen Stunden erwartet, und würden vielleicht auf den Gedanken gekommen sein, es habe unsern ehrwürdigen Obern ein Traumbild getäuscht, wenn nicht vor einer kleinen Weile ein ehrbarer Mann gekommen wäre, der uns eure nahe Ankunft ansagte, und unserm armen Heiligen in euern Namen eine reiche Steuer überlieferte. Geht nun hin in Frieden; euch ist geschehen, was ihr wünscht und was der Himmel will, und ein Zeugniß des geknüpften Bundes soll euch beim Austritte aus der Kirche, [151] wo ihr nicht vergessen werdet, der Armuth ein Almosen zu schenken, ausgeliefert werden.«

Betäubt und wie im Traume gingen die Neuverbundenen von dannen; sie waren nun Mann und Frau, und wußten kaum, wie sie es geworden waren. An der Kirchthür gab man ihnen ein schöngeschriebenes, mit St. Andrä-Bild und Unterschrift wohl versehenes Zeugniß, des Inhalts, wie Erdmann Erdmannsdorf und Marie, aus dem englischen Geschlecht Turner, am Tage Peter und Paulo der Apostel, hier die priesterliche Einsegnung erhalten, und die heilige Stätte als in Gottesaugen Eheleute verlassen hätten. Auch bot man ihnen die Armenbüchse, wodurch das dürftige Paar nicht wenig in Verlegenheit kam, doch besann sich Marie schnell, zog Vater Abrahams Erbschaft, die beiden Silberstücke hervor, und legte sie in die Büchse; eine reiche Geberin, obgleich so arm wie jene Witwe, welche ihr ganzes Vermögen von zwei Scherflein in den Gotteskasten steuerte.

Stillschweigend legten die Neuvermählten den Bergweg zurück, bis endlich Marie begann: »Ist es möglich, daß dies Alles uns wirklich begegnete?« »O Marie!« rief Erdmann und schlang seinen Arm um sie, »wie gern wollte ich Alles glauben, wie entzückt wollte ich dich als mein Weib begrüßen, wenn nicht die Einmischung des fatalen Alten mir vor Betrug bange machte.«

»Lästre nicht, Erdmann, und bedenke, daß er uns ungleich mehr Gutes als Böses erwiesen hat.«

»Ich kann mich nicht mit dem Alten befreunden; ist [152] er Mensch, ist er ein Zauberer, ist er Phantom, oder überirdisches Wesen, ist er vielleicht gar – –«

Hier stockte Erdmann, zu zaghaft, den Gedanken, der ihm in den Sinn kam, auszusprechen. Was war bei ihm, der die Launen des Berggeists so gut kannte, natürlicher, als die Muthmaßung, jener habe bie Abentheuer der letzten Tage veranlaßt!

Erdmann dachte nun über die jüngsten seltsamen Vorfälle nach und beschäftigte sich wenig mit Marien, weshalb auch der Heimweg langsamer und stillschweigender zurückgelegt wurde, als die Wallfahrt zum Traualtar; es sollen überdies Neuvermählte kurz nach der priesterlichen Einsegnung von einem gewissen Tiefsinn befallen werden, der durch nichts zu vertreiben ist, als durch das Geräusch, womit man die Hochzeiter an ihrem Ehrentage zu betäuben pflegt.

Auch Marie schwieg, doch überließ sie sich weniger düstern Grübeleien, als den regsten Dankempfindungen gegen die Vorsicht. –

Erst als man das Wirthshaus zum Riesen mit seinen rauchenden Schornsteinen vor sich sah, wurde die tiefe Stille unterbrochen. – »O Marie!« rief Erdmann, »du bist nun mein auf ewig, und ich soll dich jetzt schon verlassen? Es schmerzt mich unendlich, dich wie eine Verbrecherin ungelabt in dein Versteck zurückgehen zu lassen; wüßte ich nur ein Mittel, dich mit in das Haus zu bringen, damit du wenigstens an den köstlichen Brocken Theil nehmen könntest, die von dem heutigen Gastmahle übrigbleiben werden.«

[153] »Erdmann, ich fühle weder Hunger noch Durst, auch kann ich warten, bis du Gelegenheit findest, mich zu versorgen; doch fällt mir eben ein, wie ich Zutritt in dem Gasthofe erlangen, und wenigstens die köstliche Zurichtung der Tafel sehen könnte, wovon du gestern so viel Rühmens machtest. Bist du gewiß, daß mich Niemand im Hause kennt?«

»Das bin ich, wäre es auch nur in Folge der abgeschmackten Beschreibungen, die man, um dich bei mir zu verläumden, täglich von dir macht. Wer diese Gestalt lästern kann, muß sie nie gesehen haben!«

»Gut! das Kompliment bei Seite gesetzt, will ich es darauf wagen, und binnen hier und einer Stunde an dem großen Thorwege sein. Der wiedergefundene Esel soll mich begleiten. Ich werde anklopfen; – man macht mir auf. Was willst du Dirne? fragt Frau Else mit rauhem Tone – Gestrenge Frau, ich bringe euern Esel, den ich im Gebirge fand. – Es ist gut! da hast du einen Kreuzer für deine Mühe! – Ach nein, gestrenge Frau, Geld brauche ich nicht, aber ich bin müde und hungrig, wenn ihr mir erlauben wolltet – – Nun so komm herein! – Siehst du, Erdmann, so wird es gehen, und dein Wunsch und meine Neugierde sind auf einmal befriedigt!«

»Reizendes Geschöpf!« rief der junge Ehemann, »thue, wie du gesagt hast, ich werde dich mit Ungeduld erwarten.«

Als Erdmann an das Thor des Wirthshauses kam[154] bemerkte er an dem Stande der Sonne, daß es schon weit über Mittag sein müsse. Ihm bangte, die bestimmte Zeit versäumt zu haben, denn obgleich er sich vor dem Schelten seiner Herrschaft wenig fürchtete, deren Dienst er noch am nämlichen Tage verlassen wollte, so konnte es ihm doch nicht gleichgültig sein, die reichen Trinkgelder versäumt zu haben, wenn etwa die vornehme Herrschaft da gewesen, und schon wieder geschieden sein sollte. Ach, er war ja so arm, daß ihm die kleinste Gabe willkommen sein mußte, und seit Marie an der Kirchthür Vater Abrahams ganze Erbschaft in die Armenbüchse gelegt hatte, war auch sie, wenn man den unveräußerlichen Verlobungsthaler abrechnete, von Allem entblößt, was man Geld oder Geldeswerth nennen kann.

Fast schien es, als ob Erdmanns Besorgnisse Grund hätten, denn vor dem Hause war keine Spur von herrschaftlichen Wagen und Pferden zu sehen, und das Thor des Gasthofes war so fest verschlossen, als wenn hier Niemand mehr erwartet würde.

Zitternd klopfte er an, und Frau Else selbst öffnete ihm die Thür.

»Ich will nicht hoffen, Frau, daß ich zu spät –«

»Spät genug kommst du, aber immer noch zur rechten Zeit, du leichtfertiger Herumstreicher! Geschwind herein, denn nur auf dich haben wir noch gewartet!«

»Frau, euer Esel, nach dem ihr mich aussandtet – –«

»Nichts von Eseln, gehe hinauf in deine Kammer, lege dein Sonntagshemd und den scharlachnen Brustlatz [155] an, kämme dein Haar, und komm eilig herab, daß wir zur Mahlzeit gehen.«

Erdmann machte große Augen, er verstand nichts von dem, was man ihm sagte, nichts von Frau Elsens außerordentlicher Freundlichkeit, und am wenigsten von dem festlichen Staate, in welchem sie einherzog. Sie trug ein grasgrünes Kleid, welches seit ihrem ersten Hochzeittage nicht wieder auf ihren Leib gekommen war, und das mit ihrem braungelblichen Teint wunderbar kontrastirte; eine hohe Spitzenhaube saß auf dem Wirbel des schwarzhaarigen Kopfes und ließ die Schönheiten des aufgeschwollnen Gesichtes unbedeckt.

Sie war schrecklich anzusehen; unserm Erdmann wandelte ein Lachen an, und er machte, daß er bei ihr vorüber, und wie ihm befohlen war nach seiner Kammer kam. Als er durch die Küche ging, da knisterte das Feuer, da gingen die Bratenwender, dampften die Ragouts, als ob noch keine Gäste da gewesen wären; auch sah er, daß in dem offnen Tafelzimmer noch alles leer und in voller Pracht stand. Nur Vater Melchior saß in einem Winkel, und that sich vorläufig bei einigen Flaschen alten Rheinwein gütlich, die für die heut ankommende hohe Herrschaft besonders aufgespart worden waren.

Erdmann wurde immer mehr irre. Ihm begegnete auf der obern Treppe einer von den Knechten, gleichfalls im Sonntagsstaate, den er fragte, was hier nur vorgehe.

»Armer Junge,« rief Joseph mit unterdrücktem Lachen, [156] »lustig wollen wir uns machen, und zwar auf deine Unkosten.«

»Ich verstehe deine Worte nicht! Wie steht's mit den Gästen? wann werden sie kommen?«

»Die Gäste sind schon alle im Hause, es fehlt nur noch an dir. Eile und schmücke dich, denn alle Augen werden heute nur auf dich sehen.«

Erdmann schüttelte den Kopf, ihm flogen wunderliche Gedanken durch den Sinn, doch that er, wie ihm gesagt war. Er wusch das blühende Gesicht, kämmte das lockige nußbraune Haar, legte die genannten Feierkleider an und stand da, in dem kunstlosesten Putze ein vollkommner Adonis.

Herr Melchior war, als er hinab kam, eben mit der dritten Flasche fertig, und kaum im Stande, die Fragen, die Erdmann nun auch an ihn richtete, verständlich zu beantworten.

»Bursche!« sagte er, »jetzt ist hier von keinen Gästen mehr die Rede, du sollst nicht aufwarten, du sollst mit zu Tische sitzen; auch könnte dir, wenn du wolltest, wohl noch ein größeres Glück beschieden sein.«

»Ei, warum sollte er nicht wollen?« schrie Frau Else. »Laß den Vater, Erdmann, du siehst wie es mit ihm steht, und komm zu mir, ich will dir Alles erzählen. – Wie spät am Tage es ist, das siehst du an den langen Schatten, und warum wir demungeachtet noch nicht Mittag gehalten haben, das sollst du gleich erfahren. Wo du diese lange Zeit über umhergewandert bist, will [157] ich nicht fragen; bin ich doch sicher, daß die verlaufene Dirne aus Schweidnitz keinen Antheil an deinen Wanderungen gehabt hat. Gott und seine Heiligen sein gelobt, daß sie, wie wir aus glaubwürdigem Munde vernommen haben, im vorgestrigen Aufruhre den Lohn ihres Vorwitzes erhalten hat, und dir und mir nicht mehr schaden wird!«

»Frau,« sagte Erdmann unwillig, »ihr werdet langweilig, ich will einen Andern fragen. Joseph, erzähle du, was hier vorgegangen ist.«

»Je nun, Erdmann, es wurde Mittag, wir warteten, und es kamen keine Gäste! Frau Else fluchte, daß ihre Gerichte verdürben, und toste mit Töpfen und Tiegeln – da kam der kleine Alte aus Schweidnitz, den du an jenem Abende in der Wirthsstube sahst, und der bei ihr wohl gelitten ist, weil er ihr immer etwas aufbindet. Schöne Frau, sprach er, als ihm Frau Else ihre Noth geklagt hatte, mir kommt die Sache bedenklich vor. Ihr wartet auf Gäste, die nicht kommen werden, und wenn wir die Sache beim Lichte besehen, so ist die ganze Bestellung wohl nur ein loser Streich des Herrn vom Berge, der euch vielleicht seine Affection bezeigen und euch auf seine Kosten das Verlobungsmahl ausrichten will. Zählt doch ein wenig nach! wie viel sind eurer im Hause? Herr und Frau, drei Kinder, drei Knechte, drei Mägde, und der junge Gesell, der draußen im Gebirge den Esel sucht, – netto zwölf Personen. – Ach, lieber Herr, fiel Frau Else ein, und ihr die dreizehnte! Ihr würdet ja an meinem [158] Ehrentage nicht fehlen! Ja, ja! mir wird nun Alles klar; der verwünschte Poltergeist, der uns manchmal grob genug geneckt, und uns einst bald um Haus und Hof gebracht hat, will nun Buße thun; es soll ihm auch Alles vergeben sein, wenn er mir nur den Bräutigam geneigt macht. – – Dieser Bräutigam nun, mein lieber Erdmann, bist du, und du wirst wissen, wie du dich bei der Sache zu verhalten hast.«

Erdmann erschrack nicht wenig über diese Erzählung. »Wieder ein unerklärlicher Streich jenes Wesens, das ich mir nicht zu nennen getraue!« sagte er zu sich selbst, »wie wird dies Alles noch enden! Soll ich, schon mit meiner Marie auf ewig verbunden, hier noch mit dieser Unholdin gequält werden? – Ach hätte ich nur nicht in Mariens Einfall gewilligt, sie hierherkommen zu lassen! Wer weiß, welche Beschimpfungen ihr bevorstehen, wenn sie entdeckt wird! Wer weiß, ob wir nicht noch überdies durch die Erscheinung jenes Gespenstes erschreckt werden, das es sich zum Geschäfte macht, uns fortwährend zu quälen! –«

»Sage mir,« fuhr er hierauf laut fort, »wird der Alte, von dem du sprachst, die dreizehnte Person bei der Tafel sein?«

»Er hat es nicht gewiß versprochen,« antwortete Joseph, »doch sagte er, im Fall er nicht käme, würde er an seiner Statt eine andere Person schicken, die zum Wahrzeichen, daß sie die rechte sei, den verlornen Esel wiederbringen sollte. Traget Sorge – gebot der Alte ferner – jener Person den ersten Platz an der Tafel zu geben, ich [159] habe ihr zwei goldne Ringe anvertraut, die sie am Ende der Mahlzeit dem Bräutigam und der Braut nach meiner Vorschrift ausliefern wird. Es ist ein kleines Hochzeitgeschenk vom Vater Abraham!«

»Und,« fiel Frau Else ein, »unser Hochzeitgast ist nun noch das Einzige, worauf wir warten; es ist sehr unartig von ihm, uns so lange warten zu lassen; wäre es mir nicht um die goldnen Ringe zu thun, ich wollte es ihm und seinen Abgesandten schon gedenken!«

In diesem Augenblicke wurde leise an die Thür geklopft. Erdmanns vernehmlicher schlagendes Herz verkündete ihm, wer an der Thür sei; gern wäre er der Kommenden entgegen geflogen, aber Furcht, sich zu verrathen, und Frau Elsens starker Arm hielt ihn zu rück. Eine der Mägde wurde abgeschickt, weil, wie die Domina des Hauses meinte, es den Königen des Festes nicht gezieme, den Gästen entgegen zu gehen. – Man brachte die Nachricht in das Tafelzimmer, daß eine junge, schlecht, aber reinlich gekleidete Dirne Einlaß verlange.

»Was sollen wir mit der Person!« schrie Frau Else, welche keine besondre Freundin des jungern Theiles ihres eignen Geschlechts war, »man werfe sie aus dem Hause, wenn sie nicht gutwillig gehen will!«

»Aber, Frau, sie bringt den verlornen Esel, und trägt zwei goldne Ringe am Finger.«

»Ei, so muß man sie einlassen,« stammelte Melchior, »sie ist eine Agesandte von dem guten Alten, gegen den ich schon mehr Verbindlichkeiten habe, als ihr Alle denkt. Er sagte mir im Vertrauen, daß ich unter jedem der aufgelegten [160] Gedecke die bedungenen drei Kronen finden würde, und ich habe sie gefunden, habe sie abgeräumt, ha! ha! ha! Sonst hätte ein Jeder von der werthen Tischgesellschaft denken mögen, das, was auf seinem Platze läge, wäre sein Eigenthum! Ach der gute Alte! der gute Alte!«

Aus Vater Melchior sprach der Wein, und er redete die Wahrheit. Mit nüchternem Munde würde er vielleicht nicht so offenherzig gewesen sein. – Er taumelte hinaus, die Stellvertreterin des sogenannten guten Alten selbst einzuführen, und erschien nach einer kleinen Weile mit der schüchternen Marie, die vor Verlegenheit kein Wort hervorzubringen wußte. Herr Melchior führte sie nach dem Befehle des Alten an das obere Ende der Tafel, und gab ihr auf der einen Seite Erdmann, auf der andern Frau Elsen zu Nachbarn. Die Letzte brummte, es sei ein dummer Einfall von dem Alten, ein Weibsbild an seiner Stelle zu schicken, und sie wollte ihm, so bald sie ihn sähe, dafür den Kopf zurecht rücken.

Als nach gesprochenem Gebete ein Jeder sein Tellertuch aufhob, siehe, da lagen, ungeachtet Herr Melchior vorher aufgeräumt hatte, unter jedem Gedeck noch drei Kronen, außer unter denjenigen des Herrn Melchior, der Frau Else und ihrer Kinder. Die Knechte und Mägde jauchzten; Erdmann steckte seinen Fund, als ein Geschenk eines unsichtbaren Wohlthäters, ruhig in die Tasche, aber die furchtsame Marie, durch Frau Elsens grimmiges Gesicht erschreckt, überreichte dieser ihre drei Kronen, welche ohne Dank und ohne Bedenken angenommen wurden.

[161] Die Gäste waren alle tüchtig hungrig und durstig, ausgenommen Frau Else und ihr Vater, welche sich schon vorher in aller Stille gehörig gesättigt hatten, daher sie auch die Fröhlichkeit nicht theilten, die die übrige Tischgesellschaft beim Anblick der vollen Schüsseln ergriff. Melchior, der sich schon nach dem ersten Gange an seinen Stuhl zurücklehnte, begann einzuschlafen, und Frau Else fing an, neidische Blicke auf ihre holde Nachbarin zu werfen, und aus einigen heimlichen Händedrücken, welche zwischen Marien und Erdmann in der Stille vorfielen, ein geheimes Verständniß zu muthmaßen. Es schien ihr jedoch der Muth zu fehlen, das Benehmen der Neuverehlichten zu rügen, und mochten wohl die goldnen Ringe, die an Mariens rechter Hand glänzten, und auf welche sie Anspruch zu haben meinte, ihr Anstand und Mäßigung predigen.

Die jungen Eheleute hätten viel darum gegeben, sich einige Worte sagen zu können, aber die lästige Aufpasserin legte ihnen Zwang auf. Erst am Ende der Mahlzeit, als der gute Wein die Knechte und Mägde laut machte, und sie mit großem Geschrei die Gesundheit des wohlthätigen Herrn vom Berge ausbrachten, gab ihnen die lange Strafpredigt, welche Frau Else dem muthwilligen Gesinde hielt, Gelegenheit, sich einige abgebrochene Worte zuzuflüstern.

»Denkst du an unsern Traum?« fragte Erdmann Marien »O ja! – Du und ich am obern Ende der Tafel! Wer hätte das gedacht!«

[162] »Wer für die Trauung sorgte, ließ uns gewiß auch das Hochzeitsmahl bereiten!«

Marie konnte nicht antworten, denn Frau Elsens Angesicht, das immer finsterer wurde, wandte sich jetzt wieder zu ihr.

Erst als beim Desert Meister Melchior, der sich nur viertelstundenweise ermuntert hatte, um von Neuem zu trinken vom Stuhle fiel und unter dem Geleite seiner scheltenden Tochter zu Bette gebracht wurde, hatten die Liebenden abermals Gelegenheit zu einer kurzen Unterhaltung.

»Ich bitte dich, Liebe,« sagte Erdmann, »erkläre mir das Räthsel mit den goldenen Ringen an deinem rechten Zeigefinger!«

»Auch sie sind ohne Zweifel ein Geschenk unsers unsichtbaren Wohlthäters, den es vielleicht dauern mochte, daß wir uns bei der Trauungsceremonie so kärglich mit Mutter Ludlams silbernem Fingerreif behelfen mußten; ich fand sie, als ich den schweren Gang hierher antrat, im dichtesten Gebüsch. Die eingegrabenen Anfangsbuchstaben zeigen, für wen sie bestimmt sind.«

Bei diesen Worten trat Frau Else mit entzündetem Gesichte wieder in das Zimmer und das vertraute Gespräch hatte ein Ende.

»Daß muß wahr sein!« schrie sie, »mir muß auch Alles widrig gehen! Nun ist der Vater zu Bette, und wer will nun verrichten, was ihm obgelegen hätte? – Wir haben hier ein Verlobungsmahl gehalten, und Niemand weiß noch, wer Braut oder Bräutigam ist! – Ich werde [163] doch fürwahr nicht selbst reden und fragen sollen: Erdmann willst du mich zum Weibe? – Hört, Jungfer, dort oben in dem weißen Röckchen, so schlecht ihr euch auch zu diesem Ehrenwerke schicken mögt, so beweißt doch das Wahrzeichen, was ihr bei euch hattet, daß ihr den Auftrag habt, die Sache zu entscheiden; macht also ein Ende, gebt die goldenen Ringe an eurer Hand dahin, wohin sie gehören, und geht dann eurer Wege.«

Marie zitterte, so hart angeredet zu werden, und sah Erdmann voll Bestürzung an. Sein Blick gab ihr Muth zur Antwort.

»Frau Else,« sagte sie, »ich habe keinen Auftrag an euch, aber die goldenen Ringe an meiner Hand dahin zu geben, wohin sie gehören, das wird mir wenig Bedenken kosten. Den ersten und größten überlasse ich demjenigen, der diesen Morgen in der Andreaskapelle durch Priesters Hand mir ehelich angetraut wurde, und den andern behalte ich für mich selbst.«

Wer kann die Scene beschreiben, die nach diesen Worten erfolgte! Frau Else war wüthend, und als ihr Erdmann seinen Trauschein vorlegte, um dadurch Marien's Aussage zu bekräftigen, hätte sie dies theure Document beinahe in tausend Stücke zerrissen. Mit großer Mühe rettete er es aus ihren Händen, und hielt es hoch empor, bis Joseph, der ihm zu Hülfe kam, es an sich nahm. Er las hierauf den Trauschein den übrigen Knechten und Mägden vor, und nachdem sich diese überzeugt hatten, daß Niemand als die hüflose Fremde ein Recht [164] auf Erdmann habe, suchten sie ihn und Marien vor Frau Elsen's grimmigem Wüthen zu schützen. Wohl wäre Erdmann ihr gewachsen gewesen, aber er wollte ungern anders als vertheidigungsweise gegen sie verfahren, und ein Kampf, in welchem man aus Großmuth einen wüthenden Gegner schont, ist immer eine schwere Sache. Auf sein Verlangen that man daher weiter nichts, als das tobende und kreischende Weib fest zu nehmen, und sie einstweilen in ihre Kammer zu bringen.

Als die Wüthende aus dem Zimmer gebracht worden war, nahm Erdmann seine zitternde Marie bei der Hand, um sie aus dem Hause zu führen, wo ferner ihres Bleibens nicht war. Der ehrliche Joseph, der zurückgeblieben war, indeß die beiden andern Knechte Frau Elsenhinwegbrachten, sammelte in der Geschwindigkeit noch die Ueberbleibsel des Nachtisches zur Wegzehrung, entließ sie mit einem treuherzigen Händedruck, und schloß die Thüre hinter ihnen zu.

Sie waren nun außer der Gränze des ihnen gefährlichen Gebietes, und Frau Else, welche über nichts bittere Kränkung fühlte, als daß sie ihrer Nebenbuhlerin das Hochzeitsmahl hatte ausrichten müssen, schimpfte aus ihrem Fenster hinter ihnen her. »Du Bettler!« schrie sie Erdmann nach, »sollst dich auch nicht rühmen können, daß du etwas von deinen Habseligkeiten zurückgelassen habest! Da! – und so geh zum Teufel!«

Mit diesen Worten fiel eine Last zwischen Erdmann und Marien nieder, welche, wenn sie eines von ihnen getroffen hätte, der Hochzeit ein trauriges Ende gemacht [165] haben würde. Die erschrockene Marie, die ein wenig gestreift war, that einen lauten Schrei, und Erdmann bückte sich, seinen Steinsack aufzuheben, welchen ihm die Wüthende, ganz uneingedenk der Worte: Was Gold war, kann es auch wohl wieder werden, im Zorn hintennach geworfen hatte. Erdmann hob den Sack auf, zog seinen Hut gegen die Megäre am Fenster, und schlenderte langsam, Arm in Arm, mit seiner Geliebten den Weg nach dem Walde, der bisher der heimathlosen Marie Obdach gewährt hatte, und der nun bis auf Weiteres Beiden zur Wohnung dienen sollte.

Hier wurde Rath gepflogen, was weiter zu thun sei, und Marie trat zuerst mit einem Wunsche hervor, den sie bisher in dem Innersten ihres Herzens verschlossen gehalten hatte. »Ach,« sagte sie, »daß ich dich und mich in die glücklichen Gegenden versetzen könnte, wo ich die Welt zuerst erblickte! Dort ist der Himmel milder, die Erde fruchtbarer, die Menschen gütiger als in deinem rohen Vaterlande!«

Erdmann übersah das Falsche und Beleidigende in den Worten der jungen Patriotin, und zog statt aller Antwort die unter der Serviette gefundenen drei Kronen, seinen ganzen Reichthum, aus der Tasche hervor.

»Ich verstehe dich,« erwiederte Marie, »und–schweige. Der Weg ist weit, die Ueberfahrt theuer, und wovon sollen wir dort leben? Verzeihe, verzeihe den unüberlegten Wunsch deines Weibes!«

»Ja,« sagte Erdmann, und gab den Steinsack, den[166] er unter dem Arme trug, einen Ruck, um ihn bequemer zu fassen, »wenn dieser da noch seinen ehmaligen Werth hätte, dann wäre Vieles möglich zu machen. Wir gingen dann nach England, kauften das kleine Gut deiner Eltern bei Noorpark unweit Farnham, in der Nachbarschaft der Ludlamshöhle, – versteht sich, ohne uns mit der Schuldfrau einzulassen. – –«

»Davor wäre ich sicher!« erwiederte Marie, »Erdmann ist weiser als mein unglücklicher Vater! – Aber laß die Luftschlösser, und sage mir, ob du die Last unter deinem Arme ewig tragen willst? Laß sie hier im Walde, oder erlaube mir, sie in den nächsten Fluß zu werfen!«

»Gott weiß, warum es mir so schwer wird, mich von dem Denkmahle meiner vergeblichen Hoffnungen zu trennen! Doch du hast Recht, mein Arm erstarrt mir ob der unnützen Bürde. Da ist der Deliquent! thue mit ihm, was dir recht dünkt, nur erlaube mir, ein oder zwei Stücke davon zum Andenken zu behalten.«

Mit diesen Worten ließ er den lastenden Sack auf die Erde nieder, öffnete ihn, und – – – – ich will sterben, wenn nicht alle meine Leser errathen, was geschah! – Keine Steine, nein, der volle, alte, herzerfreuende Glanz der ehemals gesammelten Goldstücke strahlte ihm entgegen, unter welchen sich einige wenige silberne Münzen, sowie die raren Kreuzpfennige gleichsam verbargen.

Voll Erstaunen, mit dankend gen Himmel gefaltenen Händen standen Beide bei dem überraschenden Anblick. [167] Keines vermochte ein Wort zu sprechen. Umarmungen folgten dem Stillschweigen, diesen Freudenthränen, und die Geschichte hat ganz vergessen zu melden, wann und wie die frohe Bestürzung aufhörte.

Sie läßt uns die Neuvermählten auf der Reise nach England wiederfinden, und beweißt dadurch, was wir schon früher bemerkten, daß Erdmann Marien nichts abzuschlagen vermochte. Ihre Reise war kurz und glücklich, und sie behielten von dem Rübezahl'schen Schatze noch genug übrig, um daran denken zu können, sich in Marien's Lieblingsgegend anzukaufen.

Das kleine Gut, das Richard und Marie Turner einst besessen hatten, wurde ihr Eigenthum, und es gelang ihnen durch Fleiß und Sparsamkeit, binnen kurzer Zeit einen gewissen Wohlstand zu begründen. Viele von den guten Bauern im Dorfe, die Mariens Eltern gegekannt hatten, lebten noch, viele von Mariens ehmaligen Spielgefährten waren so wie sie herangewachsen, und Alle freuten sich, die so lange schmerzlich Vermißte wieder zurückgekehrt zu sehen.

Von allen ihren Bekannten geachtet und gegenseitig bemüht, sich das Leben zu erheitern, genossen Erdmann und Marie ein Glück, das durch Nichts gestört wurde. –

Die Märchenerzähler, welche ihre Helden nicht besser als durch großen Reichthum beglücken können, behaupten dagegen nicht allein, Erdmann und Marie hätten in einem wohlverwahrten Wandschranke des Hauses den Beutel mit dem Darlehn wiedergefunden, den die Letzte in ihren zarten Kinderjahren Mutter Ludlam wiederbringen [168] half, sondern auch auf einer Wallfahrt nach Deutschland im Riesengebirge später noch Vater Abrahams vernachlässigte Erbschaft gehoben: uns aber, die wir mehr an ein Glück glauben, das man sich durch Arbeit und Mäßigkeit bereitet, ist nichts hiervon kund worden. Erdmanns Vaterland wurde allerdings wieder von ihnen besucht, und sie ermangelten nicht, alle Gegenden zu begrüßen, die ihnen aus der Kindheit ihrer Liebe merkwürdig waren; aber der Proteus des Riesengebirgs, der sie hier so weidlich geneckt hatte, und der vielleicht, so wie seine Kousine Ludlam in England, große Dinge mit ihnen im Sinne gehabt haben mochte, die in Folge seines Gegensinnes nicht zur Wirklichkeit kamen, machte keine Miene, wieder mit ihnen in Bekanntschaft zu treten. Der einzige Freund und Bekannte, den sie wieder fanden, war der ehrliche Joseph, der Metten geheirathet, und den Gasthof zum Riesen mit Hinwegnehmung des ärgerlichen Schildes gepachtet hatte; denn Meister Melchior war an den Folgen seiner Unmäßigkeit bei Erdmanns Hochzeitfest gestorben, und Frau Else hatte bald darauf das Haus räumen müssen, weil die Neckereien Vater Abrahams, den Jedermann für Rübezahls Bruder oder für ihn selbst hielt, endlich ganz unausstehlich wurden. –

[169]

Fußnoten

1 Die Eule genannt bis auf den heutigen Tag, aber jetzt kein kahles Gebirg mehr, sondern mit grünenden Fruchtfeldern und lachenden Dörfern bedeckt.

2 Die Grafen von Würban erbauten im Jahre 1230 das Marienkloster im Walde.

3 Unter dem Namen Gugler verstand man im vierzehnten Jahrhunderte den wilden Haufen von englischen Völkern, die unter Anführung des Cervola herüber kamen, um die Ansprüche des Herrn von Coucy an den Elsaß geltend zu machen.

Zweites Bändchen

Erlkönigs Tochter

An der östlichen Küste von Seeland lag vor Alters eine große Stadt, welche in der Folge das Schicksal von Carthago und Persepolis erfuhr, die uns nur noch in ihren Ruinen an ihre ehemalige Herrlichkeit erinnern; ja die Zeit hat jener noch übler mitgespielt als diesen, denn ihre Stätte ist nicht mehr kenntlich, und selbst ihren Namen hat die Sage vergessen; wir wollen sie, weil doch jedes Ding seinen Namen haben muß, nach dem alten Namen des Ganzen, dessen Zierde sie war, Siölund 1 nennen, und es dem Leser freistellen, nach dem, was sich aus Nebenumständen ergeben möchte, ihre Lage etwas genauer zu bestimmen.

Unser Siölund war eine gewaltige Handelsstadt, deren Kaufleute so reich und mächtig wie Fürsten waren; das Meer zollte ihnen seine Reichthümer, und die Geschäfte, [2] die sie machten, erstreckten sich bis in die entferntesten Gegenden der Welt. Doch konnte sich keiner dieser wichtigen Männer mit Hinrich von Röschild messen, der sich seit ungefähr zwanzig Jahren hier niedergelassen hatte, und dessen Reichthum und Macht Alles übertraf, was sich nur von kaufmännischer Herrlichkeit denken läßt.

Hinrich von Röschild hatte auf einer benachbarten Insel, die noch bis auf den heutigen Tag unter dem Namen der Erleninsel bekannt ist, ein großes Waarenlager, über dessen sonderbar gewählte Stätte sich Viele verwunderten. Welch' ein Einfall, Schätze von nicht geringem Werthe einer unbewohnten Insel anzuvertrauen, wo die Seeräuber, die diese Küste nicht selten beunruhigten, bequem landen und freie Beute machen konnten! Aber die Stelle, worauf das Waarenhaus stand, war Hinrichs erkauftes Eigenthum, und Niemand hatte darein zu reden, auch landeten die Seeräuber nicht und machten freie Beute; die Kaufmannsgüter waren hingestellt unter Gottes Geleit, der Grund war heiliges Land, Niemand durfte sie antasten.

Diese Insel mußte Hiolm, der einzige Sohn Röschilds, der schon von frühester Jugend an zur Arbeit angehalten worden war, oft in Geschäften seines Vaters besuchen. Bald war es Vermehrung, bald Verminderung der dasigen Vorräthe, bald Unterhaltung der eigensinnigsten Ordnung unter denselben weshalb er dahin geschickt wurde, und daher kam es auch, daß Hiolm auf der Insel, die kaum eine Meile im Umfang hat, fast so bekannt war, wie im väterlichen Hause.

[2] Eines Tages fuhr Hiolm wie gewöhnlich in Begleitung eines alten Dieners nach der Insel, um dort seine Geschäfte zu betreiben. Man stieg an das Land, der erste Anblick, der sich den Augen der Ankommenden darbot, war ein entseelter menschlicher Körper.

Dies erregte Verwunderung, besonders bei Hiolm. Spuren, daß menschliche Wesen hier zu Zeiten weilten, hatte er bei seinen Wanderungen wohl oft entdeckt, aber nie einen der unbekannten Bewohner oder Besucher der Erleninsel gesehen, – und nun einen Todten! – Bedauernd hing er über ihn, den er für einen Ermordeten hielt, und vergoß bittere Thränen, die seinem Herzen Ehre machten.

Doch man mußte die Todtenklage beseitigen und an die Arbeit gehen. Sie nahm den ganzen Tag in Anspruch, und als man am Abend wieder zur Rückkehr in den Kahn steigen wollte, war es wieder der entseelte Körper, der die Aufmerksamkeit des Jünglings auf sich zog.

»Es ist eine schändliche Grausamkeit,« sagte er zu seinem Begleiter, »die Ueberreste eines menschlichen Geschöpfs hier an der Sonne verwesen zu lassen; wir wollen eine Grube machen und den Leichnam einscharren.«

»Herr,« antwortete der Diener, »ich dächte, wir befaßten uns nicht mit Dingen, die uns nichts angehen; die Nacht bricht ein, und wir müssen eilen, unsern Nachen zu erreichen.« – Hiolm gehorchte dem alten Mann, aber er konnte nicht unterlassen, als sie im Glanze der untergehenden Sonne nach Hause schifften, ihn zu fragen, [3] warum er dem Leichnam die Wohlthat der Beerdigung nicht gönnen wollte? »Eure Jugend und Unerfahrenheit,« erwiederte dieser, »macht euch bereitwilliger, Wohlthaten zu erzeigen als es rathsam ist. Ich misgönne die Hand voll Erde, die unsre letze Mitgabe ist, keinem meiner Mitgeschöpfe, aber jener Leichnam sah mir zu verdächtig aus, als daß ich mich viel mit ihm hätte abgeben mögen. Ihr sollt wissen, mitten unter uns wohnt ein Geistergeschlecht, mit eben der Hülle bekleidet, die wir tragen und nur durch wenig Abzeichen von den wirklichen Menschen zu unterscheiden; aber sie sind nur unsere Halbbrüder, mächtiger als wir, und meistens bösartig. Unter den tausend Sonderbarkeiten, die sie an sich haben, ist besonders zu bemerken, daß jene Wesen zwar dem Tode unterworfen sind wie wir, daß sie sich aber, wenn ihre entseelten Ueberreste zeitig genug, ehe sie in Verwesung übergehen, mit Erde bedeckt oder in's Wasser versenkt werden, wieder beseelen und von Neuem einen Lebenslauf beginnen, der gewöhnlich mehrere Jahrhunderte in sich begreift. Ob jener Leichnam zu dieser Klasse gehörte, weiß ich nicht, doch hätte ich euch nicht rathen wollen, Hand an ihn zu legen, es hätte euch sonst ergehen können, wie jenem Fischer.«

Hiolm fragte, wie es jenem Fischer erging, und bekam ein Mährchen zu hören, fast des Inhalts, wie die arabische Erzählung von dem Geiste, der seinem Retter aus dem Abgrunde des Meeres übel lohnte. – Hiolm hatte dasselbe entweder schon so oft gehört als unsere Leser, [4] oder er war überhaupt kein Freund von dergleichen Sagen, genug er beachtete sie nicht, und noch weniger die daraus gezogene Moral: daß man Niemand Gutes erzeigen dürfe, den man nicht genau kenne, da man sonst oft mit Undank gelohnt würde.

War es Trieb, eine Pflicht der Menschlichkeit zu üben, war es Vorwitz, oder jugendlicher Starrsinn, der sich gerade zu dem Verbotenen hinneigt, genug, Hiolm faßte noch auf dem Heimwege den Entschluß, sobald als möglich allein nach der Insel zu schiffen, und dem Leichnam, der seine Theilnahme so stark erregt hatte, wenigstens ein Grab zu gewähren, weil er ihm keine andere Wohlthat mehr erzeigen konnte.

Es glückte ihm gleich am andern Tage. Es gab neue Geschäfte auf der Erleninsel, der gewöhnliche Begleiter war durch plötzliche Krankheit abgehalten, und Hiolm reiste allein. Um ungestört das Werk, das ihm im Sinne lag, vollbringen zu können, unternahm er es, den Nachen mit eigner Hand zu regieren. Spaten und Schaufel wurden nicht vergessen, und zu dem Todtengräbergeräth legte er noch einen Schößling von einem Rosenstrauch – damals noch eine Seltenheit für den dasigen Himmelsstrich – welcher auf das Grab gepflanzt werden sollte, weil er eine andere Art von Monument über der Asche des Entseelten zu errichten, nicht im Stande war.

Hiolm's Vorhaben beschäftigte seine junge phantasiereiche Seele ganz, obgleich er selbst nicht wußte, was ihn dafür so sehr einnahm; vielleicht war es blos das Neue [5] und Sonderbare, verbunden mit dem Reiz, den die Abmahnungen und Erzählungen des alten Dieners bei einem neugierigen Knaben nothwendig erregen mußten.

Unter tausenderlei Gedanken stieß er sein Fahrzeug ab und schiffte an das jenseitige Ufer. Die todte Einsamkeit der Erleninsel nahm ihn auf, das was jedem Andern mit Grauen erfüllt haben würde, erregte in ihm blos eine gewisse ernste, feierliche Empfindung, die für ihn mit unnennbarem Wohlbehagen verknüpft war, – kurz Hiolm befand sich noch in jenem glücklichen Alter, wo wir Alles, was uns begegnet, in Freude verkehren und selbst unter Gräbern Blumen zu finden wissen.

Es war keine kleine Arbeit, deren sich der feurige Knabe unterzogen hatte. Er hatte vor Kurzem erst das zwölfte Jahr zurückgelegt, seine Arme waren noch schwach und besonders in dergleichen Arbeiten ungeübt; doch endlich kam das schwere Werk zu Stande. Im Schatten einer Gruppe der Bäume, von welchen die Insel den Namen hat, ruhte der Leichnam; der Rosenstrauch war zu seinem Haupte eingesenkt, und der junge Todtengräber ging mit seinem: Sit tibi terra levis! das jedes Volk seinen Begrabenen in seiner Mundart nachzurufen pflegt, davon. Dieser fromme Wunsch konnte hier dem Wortverstande nach zutreffen, denn kaum eine Elle hoch deckte die Erde den Leichnam; Hiolms Arme waren zu schwach gewesen, dem Grabe seine gehörige Tiefe zu geben.

Die anderweitigen Geschäfte auf der Insel wurden[6] darauf eiligst besorgt, bei der Rückkehr nach dem Fahrzeuge noch einige wohlgefällige Blicke auf das Monument geworfen, Schaufel und Spaten, als nunmehr unnütze Reisegefährten in's Meer versenkt, und die Heimreise so glücklich geendet als die Ueberkunft.

Hiolm hatte jetzt gethan, was ihm entweder Gutmüthigkeit oder ein kindischer Einfall eingegeben hatte, und nun dachte er nicht mehr an die Sache. Aber in der dritten Nacht zeigte es sich, daß dieselbe von den anderweitigen Interessenten nicht so vergessen war als von ihm. Er lag und schlummerte – da dünkte ihm, eine Hand rühre ihn an und wecke ihn aus dem Schlafe. Er richtete sich auf, eine Gestalt stand vor ihm, seinen Augen nicht ganz unbekannt, doch konnte er sich nicht besinnen, wann und wo er sie gesehen. Ein augenblicklicher Schrecken überfiel ihn, der aber bald in ruhigere Empfindungen überging.

»Holder Knabe,« flüsterte die Gestalt, indem sie sich über sein Lager herabbeugte, »der mir mit einer Hand voll Erde eine Wohlthat erzeigte, die ich dir mit Königreichen nicht zu vergelten wüßte, wie soll ich dich belohnen? – Genieße, was dich jetzt ergötzen kann, und rechne in der Folge auf größere Wohlthaten. Versäume nicht in den Nächten, wo der Mond voll wird, die Erleninsel allein zu besuchen, und du wirst dann ein schöneres Schauspiel sehen, als deine Augen je erblickten.«

Hiolm war zu leichtsinnig, diesen Traum zu beachten; wahrscheinlich vergas er ihn, und würde vielleicht nie [7] wieder an denselben gedacht oder seiner Weissagung gehorcht haben, wenn nicht der Zufall das seinige dabei gethan hätte.

Der Fischfang an den Küsten von Siölund war ein beträchtlicher Erwerbszweig für die Bewohner dieser Gegenden. Arme und Reiche ernteten Gold von den Gaben des Meeres, die es ihnen zu gewissen Jahrszeiten aus dem entfernten Norden herüber schickte, doch wenn die Armen nur diese Gelegenheit benutzten, um ihr Brod zu verdienen, so nahmen die Reichen außerdem Veranlassung zu glänzenden Festen.

Viele von ihnen hatten Landhäuser, an deren Mauern die See spülte; zahlreiche Gesellschaften versammelten sich dann in zierlichen Villen, und nachdem man sich den Tag über mit Zeitvertreiben belustigt hatte, die damals Mode sein mochten, und von welchen wir freilich nach so manchem verflossenen Jahrhunderte nicht einmal etwas ahnen können, so ergötzte man sich am Abend auf kleinen zierlichen Gondeln, den Segen des Meeres einsammeln zu sehen, der sich, besonders in den hellen Vollmondsnächten, hier unglaublich anhäufte.

Hinrich von Röschild, Hiolms Vater, der sich bei jeder Gelegenheit, wo es galt durch Reichthum zu imponiren, hervorthat, zeichnete sich auch hier aus; er feierte das sogenannte Fischerfest mit einem Glanze, den man nur in seinem Hause erblickte, und dachte nicht, daß dieser Tag bestimmt war, ihn um das Liebste zu bringen, das er auf Erden hatte. Im Buch der Sterne stand aber geschrieben: Wenn Hiolm, Hinrichs Sohn, das Meer zum [8] dreizehntenmal mit den silbernen Heeren des Nordens bedeckt sieht, so findet er in den Wellen sein Grab, dafern nicht eine übermenschliche Macht in die Räder des Schicksals greift, und das zum irdischen Leben erhält, was die Unsterblichen gern frühzeitig in ihrem Kreise glänzen sehen möchten.

Hiolm, ein feuriger Jüngling, der bei jeder Lust mit ganzer voller Seele war, und keine Gefahr scheute, wo ihm doppelter Genuß zu winken schien, wagte sich in jener Nacht des rauschenden Vergnügens zu weit in die See, und während auf den Gondeln und in dem erleuchteten Saale seines Vaters die goldenen Becher fleißig auf's Wohlergehen des Hauses geleert wurden, das dieses königliche Fest gab, faßte plötzlich ein Wirbelwind die Gondel, welche die ganze Hoffnung dieses Hauses, den jungen Hiolm enthielt, und schleuderte sie weiter hinaus, als das Auge reichte, und weiter, als ihm die leichte Gruppe von Nachen, die ihn umgab, zu seiner Rettung folgen konnte. Auch vermißte man ihn nicht gleich, und sein Fahrzeug, von seinen kindischen Armen nur schwach gegen die Gewalt des Windes vertheidigt, war schon vom Abgrund des Meeres verschlungen, als erst Nachfrage geschah, wo der kühne Schiffer geblieben sein möchte.

Hiolm hätte das Schicksal seines Nachens getheilt und wäre in dem unersättlichen Schlund der See begraben worden, wenn nicht in diesem Augenblick ein übermenschliches Wesen, das sich für ihn interessirte, alter Verbindlichkeiten [9] eingedenk, sein Retter geworden wäre. Hiolm empfand kaum die Kälte des Wassers, als er sich auch schon wie auf sanften Fittigen des Windes empor getragen und an ein Ufer geführt fühlte, das ihm nur in der ersten Bestürzung unbekannt sein konnte, das er aber, sobald er sich ein wenig erholte, augenblicklich für die Erleninsel erkannte.

Er sah sich, als Schrecken und Betäubung völlig verschwunden waren, nahe am Ufer des Meeres, zwischen dem Erlengebüsch in der Nähe des Grabmales, das er vor einigen Monaten dem Unbekannten errichtet hatte. Der Rosenstrauch, der durch Geisterhand gepflegt, wohl gediehen war, blühte schon und umhüllte seinen ersten Pflanzer mit Wohlgeruch. Süß und stärkend war der Duft, der ihn umwehte, aber was glich seinem Entzücken, als er die Augen öffnete, und Dinge um sich her wahrnahm, wie sie noch kein Sterblicher jemals erblickte.

Die ganze Insel schwamm in einem wundervollen Lichte. Nicht das Licht des Mondes war es, das hier leuchtete, oder wenn es dieser Planet war, aus welchem dieser unaussprechlich sanfte Schimmer ausfloß, so mußte er auf diesen kleinen Bezirk seine ausgesuchtesten Strahlen gestreut haben, um Allem was derselbe enthielt, einen namenlosen Zauberreiz zu geben. Hiolm stand ganz in Anschauen verloren. War die Beleuchtung dieses Orts so entzückend, was sollte man erst von den Gegenständen sagen, die sie sichtbar machte! Die Landschaft rund umher war belebt; überirdische Gestalten bewegten sich [10] nah und fern in abgemessenem Schweben. Die Jugend des Himmels schien sich hier zum Tanze versammelt zu haben; sanfte Töne, vielleicht mehr das melodische Schwirren der leuchtenden Insekten, die die Scene verschönerten, als Musik, beseelte den labyrinthischen Ringelreihen, der sich in tausend verwickelten Touren durch einander wand, und dann, auf einmal in irgend eine schöne einfache Form aufgelöst, den Schauplatz umzog. Es war ein Anblick, an dem das Auge des glücklichen Schauers sich nicht satt sehen konnte, den das Gedächtniß gern treulich aufbewahren, von dem der Mund treulich berichten wollte, aber vergebens; wie vermag der Mund des Sterblichen überirdische Dinge zu schildern!

Zuletzt verwandelten sich die zauberischen Bilder, die Hiolm sah, in ein großes glänzendes Ganzes, die Gedanken vergingen ihm und er entschlief. Als er erwachte, war es Tag; er ging an das Ufer des Meeres, dachte an den Zufall, der ihn hierher gebracht hatte, an die Angst seines Vaters um ihn, an die Unmöglichkeit, auf dieser Insel längere Zeit sein Leben zu erhalten, und wünschte sich, ungeachtet der unnennbaren Freuden, die er diese Nacht genossen hatte, hinüber in den Kreis seiner Lieben. Doch vergebens! drei Tage mußte er hier verharren, ehe sich Hoffnung zur Erlösung zeigte. Er nährte sich während dieser Zeit von den Früchten eines Baumes, den er auf seinen frühern Wanderungen durch die Insel nie gesehen hatte, und des Nachts ergötzte ihn noch zweimal das himmlische Schauspiel, das er schon einmal gesehen hatte; [11] doch war es schon in der zweiten Nacht minder glänzend, und in der letzten schwand es fast ganz, denn der Mond war nicht mehr voll, und so wie sich seine eine Hälfte in Schatten verlor, so schienen auch die wundervollen Gegenstände, die er hier beleuchtete, sich in unwesentliche Schatten aufzulösen. Jetzt fühlte sich Hiolm wahrhaft einsam auf der Erleninsel, und seine Sehnsucht nach dem väterlichen Hause steigerte sich mit jeder Stunde.

Hinrich von Röschild trauerte indessen um den verlornen Sohn, dessen Verlust ihm erst am Tage nach dem Fischerfeste kund geworden war. Im Gewühl der Freude war Hiolm nicht vermißt worden, jetzt aber wurde er mit Schrecken überall vergebens gesucht. Das Meer warf die Trümmer des Nachens aus, auf welchem er sich dem untreuen Elemente anvertraut hatte, und nun konnte man nicht anders glauben, als daß Hiolm in den Meeresfluthen begraben läge. – Doch man beruhigt sich beim Verlust eines kostbaren Gutes erst spät mit der Unmöglichkeit der Wiedererlangung, man sucht und forscht, wenn uns auch die Vernunft sagt, daß dieses Suchen und Forschen Thorheit ist, man will wenigstens noch einige Augenblicke Hoffnung nähren, ehe man sich der vollen Verzweiflung ergiebt, – und so ging es auch hier. Hiolms Vater sah die Unwahrscheinlichkeit von der Rettung seines Sohnes ein, gleichwohl überredete er sich vom Gegentheil. »Er kann auf irgend eine Insel geworfen, an irgend einer Küste geborgen worden sein,« rief er, »man muß ihn suchen!« Sogleich bedeckte sich die See [12] mit Nachen, man durchspähte jede Nachbarinsel, und es war freilich zu bewundern, daß man erst zuletzt auf die Erleninsel kam, wo sich der Verlorne nun schon vier Tage lang aufgehalten hatte.

Man brachte ihn zurück in die Arme des Vaters, dessen Freude gränzenlos war. Hiolm wurde jedoch von dem Tage an, wo er in das väterliche Haus zurückgekehrt war, still und nachdenkend. Was er auf der Insel gesehen hatte, sagte er Niemand, aber er vergaß es auch nicht. Gegen den Glanz, gegen das Farbenspiel, das er dort erblickt hatte, kam ihm Alles was ihn hier umgab, alltaglich und elend vor. Sein Auge schmachtete nach neuer Weide, sehnend blickte er Tag und Nacht nach der Erleninsel, er fand sogar Gelegenheit einst daselbst zu übernachten, aber – er sah nichts, und erst jetzt gedachte er seines Traumes, der Vollmondsnächte, und brachte es endlich dahin, sich die Zeit ganz richtig auszurechnen, wo er wieder erblicken könnte, was er ehemals sah.

Nachdem er erst hierüber mit sich einig war, so hatte das Uebrige keine Schwierigkeiten. Sobald der Mond sich völlig rundete, lag ein Nachen in einer verborgenen Bucht bereit, Hiolm fuhr des Nachts heimlich nach seiner zauberischen Insel, sah wieder was er für das einzige Sehenswürdige auf diesem Erdenrund hielt, und schiffte befriedigt, ehe der Morgen graute, nach Siölund zurück.

Gern hätte er die Fahrt in den nächsten Nächten wiederholt, aber er wußte, daß die Schönheit des Schauspiels [13] sich mit jeder Veränderung der Mondscheibe minderte, er fürchtete durch öftere Abwesenheit Verdacht zu erregen, und faßte den Entschluß, nur alle Monate einmal sich das Vergnügen zu gewähren, dem seines Erachtens keins auf Erden gleich kam.

So trieb er es ein ganzes Jahr lang, und ach, wie trauerte er, wenn umwölkter Himmel, rauhe Witterung, strenge Aufsicht, oder andere Hindernisse ihn einmal um seine kindische Freude brachten! – Er dachte an nichts anders, als an das Entzücken, das uns in diesen Jahren der Anblick bunter Farben und schöner Formen gewährt, und wenn es ihm ja einmal beim Anschauen der Tänze dieser Aethergestalten in den Sinn kam, es müsse Seligkeit sein, sich in ihre Kreise zu mischen, so hielt ihn stets ein eigenthümliches Gefühl zurück, und er blieb ruhig auf dem Grabe unter dem Rosenstrauche, welches immer sein gewählter Standort war.

Hinrich von Röschild fand nach der Zeit, daß sein Sohn Hiolm ein Träumer war, der bei herannahenden Jünglingsjahren wenig Hoffnung gab, das zu werden, was er als munterer Knabe versprochen hatte. Unter dreißig Tagen war kaum einer, wo man an ihm den alten Frohsinn bemerkte; sein Fleiß und seine Betriebsamkeit, von welcher sich schon in frühester Kindheit so schöne Spuren gezeigt hatten, machten einem düstern, trägen Wesen Platz, das dem Vater äußerst mißfiel. Nur in den Geschäften, die auf der Erleninsel zu verrichten waren, zeigte Hiolm den alten Eifer; er war gern daselbst, um, wenn er auch das nicht [14] sah, was er immer zu sehen wünschte, doch wenigstens auf dem Schauplatz der herrlichen Scenen das Vergnügen der Vollmondsnächte zu feiern. So würde er sein ganzes Leben fortgeträumt haben, hätte man ihn nicht mit Gewalt aus seinem Taumel gerissen.

Der Vater entschloß sich auf Anrathen seiner Freunde, Hiolm nicht länger in Siölund zu lassen, wo alles seine Trägheit und seine Träumereien zu begünstigen schien. Er schickte ihn nach Röschild oder Röskild, seiner Vaterstadt, die in den damaligen Zeiten die Blühendste aller nordischen Handelsstädte war, und noch den Vorrang vor Siölund behauptete. König Harald Blantaand, der damals regierte, hielt sie für den schönsten Schmuck seiner Krone, und hatte viel zu ihrer Verschönerung gethan; er residirte den größten Theil des Jahres daselbst, und hatte sich auf den Trümmern eines alten Schlosses, das noch König Roe bewohnt haben sollte, einen Pallast gebaut, der in den damaligen Zeiten seines Gleichen suchte. – –

Was Hinrich von der Veränderung des Ortes gehofft hatte, das geschah. Hiolm trauerte eine Zeitlang über den Abschied von der geliebten Erleninsel, suchte dann sich zu betäuben, sich an andern minder glänzenden Gegenständen zu erfreuen, als die, welche er auf der zauberischen Insel gesehen hatte, fand einen Ersatz an den Schauspielen von Haralds prächtigem Hofe, und zuletzt Beruhigung in den Geschäften.

Er trieb sie mit Ernst, aber rechten Geschmack konnte er ihnen doch nicht abgewinnen; es schien, als wäre ihm [15] das unaufhörliche Jagen nach Erwerb und Vortheil zu kleinlich, als fühle er in seinem Busen einen Trieb nach höhern Thaten. Krieger, Held, Retter oder Beglücker ganzer Völker zu sein, – das war das Ziel seiner Wünsche, und die erste Gelegenheit einen Schritt aufwärts nach dieser Sphäre zu thun, wurde nicht versäumt.

Die Küste von Seeland wurde damals sehr von Seeräubern beunruhigt. Hiolms Vater hatte beträchtliche Verluste durch sie erlitten, und es war daher dem Sohne nicht zu verdenken, daß er sich entschloß, die seinem Vater angethanen Unbilden nach Kräften zu rächen. Hiolm äußerte seine Wünsche mit so viel Feuer, daß Hinrich entzückt war, in seinem Sohne die ehemalige Thätigkeit, die Quelle des vergötterten Reichthums, wieder erwachen zu sehen. Er vergönnte ihm nicht allein einige Streifereien wider die nordischen Korsaren, sondern rüstete ihm, als der junge Held sich gar bald auf rühmliche Weise auszeichnete, ein eigenes Schiff aus, um ihm Gelegenheit zu geben, mit demselben seinem Triebe zu Heldenthaten desto besser nachhängen zu können. »Es gilt mir gleich,« sagte er, »ob mein Sohn Reichthümer zu erwerben, oder Reichthümer mit dem Schwerte zu schützen weiß; er sei nur thätig und ich bin zufrieden.«

Hiolm hatte damals das achtzehnte Jahr zurückgelegt; seine Heldenfigur und der kühne Muth, der ihn beseelte, bestimmten ihn zum Krieger, und die Kenntnisse, die er sich zu Röschild in der Schiffskunst erworben hatte, befähigten ihn zu der Stellung eines Seemannes. Er [16] that mit dem Schiff, das man seinem Kommando anvertraut hatte, den ersten Streifzug wider die Korsaren, und er kam mit Beute beladen zurück, den zweiten, und er hatte einen Sieg erfochten, der von großem Einflusse auf das Wohl seines Vaterlandes war. Bald darauf hatte er das Glück, mit noch einigen Schiffen, die sich zu ihm gesellten, und ihn einmüthig zum Anführer wählten, einen Streich auszuführen, der alle vorige an Kühnheit und glücklichem Erfolge übertraf, und seinen Ruhm weit über die Gränzen der nördlichen Inseln verbreitete. Dies entflammte seinen Muth noch mehr, und den Feinden der Sicherheit auf der Ostsee wurde ewiger Krieg geschworen.

Als es Hiolm nun endlich so weit gebracht hatte, daß das verderbliche Seeräubergesindel gänzlich von ihm vertilgt zu sein schien, und man ihn für den Retter des Vaterlandes halten mußte, da traten die Vornehmsten seiner Vaterstadt zusammen und berathschlagten, welche Belohnung des jungen Helden würdig sei.

»Mit Reichthümern« sagten sie »ist ihm nicht gedient; sein Vater ist reicher als wir alle. Für andere Dinge hat er kein Gefühl, denn er ist nicht wie die übrigen Jünglinge seines Alters; die Waffen sind sein Abgott, die gewöhnlichen Götzen der Jugend kennt er gar nicht.« – Endlich wurden sie einig, ihm zum Andenken der dem Vaterlande erzeigten Wohlthaten, den Namen Hiolm von Seeland anzutragen, und ihn dadurch auf immer vor seinen Zeitgenossen auszuzeichnen. »Du [17] bist,« sagten sie zu ihm »der tapferste Sohn der vaterländischen Insel, du hast die Rechte deiner Mutter mit deinem Blute vertheidigt, und es ist billig, daß du dich auch nach ihrem Namen nennst, und durch denselben jedem, der ihn hört, stillschweigend sagst, welch ein Mann du bist.« – Viele Geschichtsforscher wollen in dieser Handlung die erste Spur von der Entstehung des Adels finden. Zwar wußte man damals noch nichts von Adel oder Adelstolz, aber der Keim zu dieser Erbsünde lag schon in manchem Herzen; auch in Hiolms Herzen fand er sich, und seine Mitbürger hatten gerade die rechte Ehrenbezeigung gefunden, ihn zu erfreuen und zu belohnen. Der erlangte Ehrentitel entzückte ihn, und das Bewußtsein, ihn verdient zu haben, entschuldigte die kleine Eitelkeit, die in dieser Freude lag. Es war nun einmal Hiolms Schicksal, sich an einem glänzenden Nichts zu ergötzen; als Knabe fesselten ihn die bunten Erscheinungen der Erleninsel, als Jüngling ein hochtönender Name, und was für ein Spielzeug ihm als Mann aufbehalten war, das wird der Leser bald erfahren.

Hiolm von Seeland häufte Siege auf Siege, sein Durst nach Ehre wurde nimmer gestillt, seine Ruhe war das Geräusch der Waffen, und so würde es sein ganzes Leben hindurch gedauert haben, hätte ihn das Schicksal nicht dem beständigen Kreislaufe, der keinen wahren Lebensgenuß aufkommen läßt, mit einem einzigen Zuge entrissen.

Einst gerieth er an einen der grönländischen Seeräuber, [18] die sich damals auf den nördlichen Gewässern so furchtbar machten, als die Algierer heut zu Tage auf den südlichen. Der Kampf war blutig, der Sieg wurde theuer erkauft, aber die Beute, die gemacht wurde, war auch des Kampfes werth! Als Hiolm die Beute musterte, die er gewöhnlich größtentheils unter seine Krieger austheilte, da wurden ihm auch zwei junge Sclavinnen von ungewöhnlicher Schönheit vorgestellt. Diesen hätte er nun, wie er in einem solchen Falle sonst zu thun pflegte, gleich die Freiheit schenken und sie nach dem Orte bringen lassen sollen, den sie selbst bezeichnen würden, aber ungeachtet sie unsern Helden knieend hierum flehten, so wurden sie doch vorläufig mit ihrer Bitte abgewiesen und als Gefangene betrachtet. Auch schien es, als wenn beide reizende Geschöpfe, besonders die Schönere von ihnen, die sich Edda nannte, nur Anfangs recht von Herzen um ihre Freiheit gebeten, später aber die Bitte nur des Anstandes wegen wiederholt hätten.

»Edda,« sagte Hiolm am vierten Tage zu seiner schönen Gefangenen, »du irrst, wenn du glaubst, daß ich dich noch länger gegen deinen Willen hier behalten wollte; du bist frei wie die Luft, die dich umgibt. Nenne mir das glückliche Land, wo du geboren bist, und meine Segel richten sich augenblicklich nach dieser Gegend, und sollten es die cimmerischen Inseln oder das mittägliche Feuerland sein. Aber wenn du nun wieder bei den Deinigen bist, wenn nun diese Augen dich nicht mehr sehen, was soll dann aus mir werden? O Edda! Edda! [19] welche Gewalt übst du über mein Herz! Sage, wer bist du, daß dein erster Blick mich so mächtig bezauberte? Du bist meiner Seele verwandt, ich sah dich heute nicht zum erstenmal! Sage, wo haben dich diese Augen zuerst erblickt? – Mir ist es, als wenn ich dich mein ganzes Leben hindurch rastlos gesucht hätte, und da ich dich nun endlich gefunden habe, soll ich dich denn so gleichgültig wieder hingeben, um dich für immer zu verlieren?«

Edda beantwortete diese Rede mit einer Thräne, die aus ihren schönen Augen rollte. Eine zweideutige Antwort, die Hiolm vielleicht nicht zu seinem Gunsten deutete, zu deren Erklärung sich jedoch Edda selbst bald verstand und dadurch unsern Helden in einen Himmel von Freuden versetzte.

»Hiolm,« sagte das reizende Mädchen, »ob ich dich zuvor gesehen, ob ich dich gesucht und nun gefunden habe, das weis ich nicht, aber daß es mir in deiner Nähe wohl ist, daß mir wehe wird, wenn ich an's Scheiden denke, das fühle ich; auch möchte ich wohl gern bei dir bleiben, wenn ich wüßte, wie ich das mit gewissen Dingen vereinigen soll, über die ich mich noch nicht aussprechen kann. Hilf mir aus meinen Zweifeln und ich will dir danken!«

»Deine Zweifel sind leicht zu lösen,« sagte er, »du fürchtest dich wahrscheinlich, gegen den Willen deiner Eltern mein zu werden! Laß uns deshalb zu den Deinigen ziehen! Ich bin Hiolm von Seeland, ich hoffe, kein Fürst wird mir seine Tochter versagen!«

[20] »O nein! o nein!« rief sie mit ängstlicher Stimme, »willst du mich an einen Ort zurückbringen, den ich nie wieder verlassen dürfte?«

Diese Worte legte Hiolm als unbedingte Einwilligung aus, und da man also in der Hauptsache einig war, so wurde bald eine Verbindung geschlossen, die in den damaligen Zeiten eben so gut für die Ewigkeit geknüpft wurde, als in den unsrigen, die man aber in jenen einfachen Zeiten nie mit großen Ceremonien begleitete.

Als Hiolm des Jaworts seiner Geliebten gewiß war, führte er sie auf das Verdeck des Schiffs, und schwur ihr im Angesichte des Himmels, der sie gränzenlos umwölbte, und der Sonne, die eben in die westlichen Fluthen wie in ein Feuermeer hinabsank, ewige Treue. Thulis, die Gespielin der Braut, und Hiolms Schiffsvolk waren Zeugen; erstere beobachtete während der ganzen Scene ein nachdenkliches Schweigen, aber letztere ließen ein lautes: Es lebe Hiolm von Seeland und Edda sein Weib! in die Lüfte ertönen, daß von dem lauten Jubelgeschrei die Wallfische aus dem ersten Schlummer auffuhren, die Meergötter die grünen Häupter hervorsteckten, zu sehen, was es gäbe.

»Was hast du gethan?« sprach Thulis zu ihrer Gefährtin, als sie wieder mit ihr allein war. »Ist dies eine Verbindung, die deiner Abkunft entspricht? Und wie denkst du solche vor einem strengen Richter zu verantworten, den du wohl kennst, und dem sie doch endlich kund werden muß?«

[21] »O schweige, schweige!« rief Edda, »daß nicht irgend ein wandernder Geist dich höre und ihm bekannt mache, was er nie spät genug erfahren kann. Was Liebe that, kann vielleicht Liebe entschuldigen.«

»O Edda! Edda!« erwiederte die Gespielin, »was ist aus dir, die sich früher zu gut dünkte, Scandinaviens Königin, oder Fürstin der Insel Mona zu werden, jetzt geworden?«

Nicht Neid oder menschenfeindliche Tadelsucht war es, was aus dem Munde der schönen Fremden sprach, sondern Liebe für ihre Freundin Edda; diese wußte sie indeß bald mit ihrer Wahl auszusöhnen, und da Thulis gestehen mußte, daß Hiolm von Seeland ein Mann ohne Gleichen sei, dessen Vorzüge wohl allenfalls eine Misheirath entschuldigen konnten, so war das vertrauliche Einverständniß zwischen den beiden Gespielinnen bald wieder hergestellt, und eine gelobte der andern, in Lieb und Leid, in Noth und Tod bei einander auszuhalten.

Hiolm wußte nichts von dem, was im Rathe der Damen vorgegangen war, und wäre ihm auch ein Wörtchen davon zu Ohren gekommen, so würde er doch so wenig von diesen Räthseln verstanden haben, als unsere Leser zur Zeit noch davon verstehen. Er fühlte sich an der Seite seiner Edda, die ihm die zärtlichste, liebevollste Gattin war, ganz glücklich, und obgleich heftige Stürme fein Schiff weit hinaus in die nördlichen Gewässer verschlagen hatten, wo in jetziger Zeit, weil es dort gar nicht lieblich zu schiffen ist, kein Segel weht, so achtete er doch die [22] Mühseligkeiten, die Edda mit ihm theilte, wie nichts, und die lange Rückreise in das Vaterland dünkte ihm so kurz, wie die ehemaligen Fahrten nach der Erleninsel.

Ach, wie oft dachte er jetzt der dort verträumten himmlischen Stunden! Was damals seiner kindlichen Seele wie im Schatten vorschwebte, schien ihm jetzt im Arme seiner Edda ein weissagender Traum, der seine Deutung nicht verfehlte. Wie Edda und die Erleninsel zusammen paßten, wußte er eigentlich nicht, aber seine Phantasie verband gern Beide mit einander, vielleicht, weil Edda das, was er ihr von der Erleninsel sagte, so gut zu verstehen und zu beantworten wußte. Nicht Jedermann kann sich in solche Schwärmereien finden, und wenn Hiolm zuweilen einem Freunde Winke von diesen Dingen gegeben hatte, so war er nicht selten verlacht worden. Seine Freundin verlachte ihn nicht, und sie war ihm deshalb um so theurer.

Bei der Eheverabredung zwischen Hiolm und der schönen Edda waren gegenseitig nur sehr wenig Bedingungen gemacht worden, doch war eine darunter, die Edda ihrem Verlobten mit großem Ernste vorgetragen hatte und von der sie durchaus nicht abgegangen war.

»Der Tag,« sagte sie, »der mich zuerst in die Sclaverei brachte, aus welcher du mich rettetest, wird mir ewig unvergeßlich sein! Ich habe gelobt, zu seinem Andenken immer den acht und zwanzigsten jedes Monats mit Beten und Fasten zu feiern. Vier und zwanzig Stunden vor, und vier und zwanzig Stunden nach dieser Zeit [23] werde ich dir stets unsichtbar sein, mich auf mein Zimmer verschließen, und ich verlange es als einen Beweis deiner Liebe, daß du nie einen Versuch machst, mich zu stören. Wärst du im Stande, hiergegen Einwendungen zu machen, so müßte ich auf eine Verbindung mit dir verzichten.«

Wo ist der Bräutigam, der bei solcher Bedrohung nicht zugesteht, was seine Verlobte fordert? Auch Hiolm that es, obgleich es ihm als eine harte Forderung erschien, auf diese Weise jährlich fast einen Monat des Anblicks seiner Geliebten beraubt zu sein. Eifersüchtig war Hiolm zum Glück nicht, auch hatte er, wenigstens während der Schifffahrt, keine Ursache sich etwas Arges unter dem Beten und Fasten seiner Gattin vorzustellen; der Schlüssel zu ihrer Kajüte war in seinen Händen, das Meer war Vormauer gegen alle verbotenen Wanderungen, und die treue Thulis, vor deren tugendhafter Strenge Hiolm große Achtung hegte, schlummerte als Hüterin in dem Vorzimmer der andächtigen Edda.

Endlich ging die lange Seereise zu Ende, und Hiolm sah wieder die weißen Küsten seines Vaterlandes. Er erzählte seiner jungen Gemahlin viel von der Liebe seines Volkes, viel von der Zärtlichkeit, die sein Vater für ihn hege, und von dem frohen Empfange, der daher für ihn und sein anderes Ich zu erwarten sei. – Was das Erstere betrifft, so wurden seine Erwartungen auch einigermaßen erfüllt. Als in Siölund der Ruf erschallte, daß der angebetete Wohlthäter des Vaterlandes, daß der lang erwartete Hiolm vor Anker liege, da strömte alles Volk [24] hinaus, ihn willkommen zu heißen, und wo möglich etwas von der reichen Beute zu erhaschen, die er immer von seinen Streifzügen mit zu bringen pflegte. Als sie aber sein Schiff sahen, das zuletzt noch einen großen Sturm ausgestanden hatte, und jetzt fast mast- und segellos im Hafen einlief, als sie in ihm und seiner Schiffsmannschaft mehr die Gestalten ermatteter Seefahrer als reicher Sieger erblickten, als sie erfuhren, daß Hiolm diesmal ganz arm zurückkehre, weil man dem Meere, um das Schiff zu erleichtern, alle Schätze hatte aufopfern müssen, da ließen sie bald eine gewaltige Verminderung der ersten Freude spüren, und der, der sonst fast keinen Schritt ohne jauchzendes Volksgedränge thun konnte, wurde nicht gehindert, mit seiner Edda und deren Gespielin Thulis, der einzigen Beute, die er mitbrachte, ruhig nach dem Hause Hinrichs von Röschild zu gehen. Ihr Aufzug war freilich nichts weniger als glänzend, denn ihre Kleider waren durch die lange Seereise unscheinbar geworden, und Edda's Schönheit war ihr einziger Schmuck, die aber, wie bekannt, im geringen Gewande immer nur wenig Aufsehen macht.

War Hiolm schon von dem Volke schlecht empfangen worden, so war dies bei seinem Vater noch mehr der Fall; ersteres war unzufrieden, daß der sonst so beutereiche Held nichts, und Hinrich zürnte, daß er zuviel mitgebracht hatte. Die Schwiegertochter, welche der junge Mann seinem Vater vorstellte, stand demselben gar nicht an; abgetragene Kleider und ein leeres Schiff waren ja [25] keine Zeichen von reicher Mitgift. Der gewinnsüchtige Kaufmann hatte auf eine glänzendere Verbindung für seinen Sohn gerechnet. Die stolze Bemerkung, die Hiolm bei seiner Bewerbung um Edda gemacht hatte, daß Hiolm von Seeland wohl auf eine Fürstentochter rechnen könne, war dem alten Hinrich einleuchtender als irgend Jemand; wie mußte es ihm nun schmerzen, daß sein Sohn alle seine großen Erwartungen um einer Sclavin, einerBettlerin willen zu nichte gemacht hatte!

Dies waren die Namen, die er der schönen Edda beilegte, sobald er mit seinem Sohne allein war; sie in das Angesicht zu beschimpfen, dazu war der alte Herr doch nicht unhöflich genug, auch hatte sie Etwas an sich, das Ehrfurcht und Schonung gebot.

Hiolm war über das Mißvergnügen seines Vaters tief bekümmert, aber er vermochte nicht, deshalb seine Gattin zu verlassen, wie es sein Vater von ihm verlangte. Er that alles Mögliche, um Hinrich von Röschild mit seiner Wahl auszusöhnen, aber dieser blieb der Mann, der Gold und Größe für das höchste Gut der Erde hielt, und Schönheit und Tugend nur dann eines Blicks würdigte, wenn sie mit dem ersten verbunden waren.

Edda war über den kalten Empfang tief betrübt, aber sie wußte ihre Gefühle gegen ihren Gemahl zu verbergen. Dieser brachte sie und ihre Freundin nach einem kleinen Hause am Ufer der See, welches ihm gehörte, und wo er seine Wirthschaft so sehr einschränkte, als es seine jetzigen Umstände erforderten. Edda ließ sich alles [26] gefallen, und fügte sich mit bewundernswerther Geduld in ein Leben, zu welchem sie wahrscheinlich nicht geboren war. Thulis weinte im Stillen und hütete sich, ihrer Freundin Vorwürfe zu machen, aber Hiolm war immer frohen Muthes und guter Hoffnung. »Meine Umstände,« sagte er zu sich selbst, »müssen sich ändern, es sei auf die eine oder die andere Art. Mein Vater kann nicht ewig hart gegen einen Sohn sein, den er ehemals vergötterte, und säumt er, mir seine helfende Hand zu bieten, so kann ein einziger Zug in die See mir soviel Beute bringen, daß Edda keinen Mangel mehr kennen, das die Liebe meines Volkes, vielleicht auch die Liebe meines Vaters zurückkehren wird.«

Die Hoffnungen, die sich Hiolm machte, täuschten ihn indeß abermals. Zwar nahm er die Trümmer seines kleinen Vermögens zusammen, sein Schiff wieder auszurüsten, zwar wagte er mit demselben verschiedene Streifzüge wider die Seeräuber, die sich in seiner Abwesenheit ziemlich gemehrt hatten, aber er kam immer als der Besiegte zurück, und an Beute war gar nicht zu denken.

Liebe und Achtung sind immer der Schatten des Glücks, und da dieses von ihm gewichen, so war es natürlich, daß auch die beiden andern nicht wiederkehrten. Das Volk sah seinen ehemaligen Retter ruhig an seiner Seite darben, und Hinrich verhärtete sein Herz immer mehr. Weder Hiolms Leiden, noch Eddas Schönheit, noch das Lächeln eines Enkels, den sie ihm um diese Zeit in die Arme legte, konnten zärtliche Gefühle in einem Herzen erregen, [27] das für nichts Sinn hatte, als für Reichthum und Größe.

Zu jener Zeit hatte Edda wieder ihre Bet- und Fasttage abzuhalten; Hiolm gönnte ihr gern die Einsamkeit ihres Zimmers, um auf dem Seinigen gleichfalls einem Grame ungestört nachzuhängen, den er aus Schonung in ihrer Gegenwart nie freien Lauf ließ.

Der hartherzige Vater benutzte die traurige Lage seines Sohnes, um ihn zur Einwilligung in gewisse Pläne zu vermögen, die er ausgebrütet hatte. So wie das Haus des Reichen von Schmeichlern und Augendienern umlagert wird, so schlich um die Hütte des Armen unablässig ein Heer von Spähern und Austrägern, die Alles auskundschafteten. So geschah es, daß Hinrich bald alles wußte, was in Hiolms vier Mauern vorging, und er verstand es, die erhaltenen Nachrichten bestens für seine Pläne zu benutzen.

»Was säumt Hiolm,« ließ er ihm sagen, »das Joch der Armuth und des väterlichen Zornes abzuschütteln, das er um eines Weibes willen trägt, welches keine Aufopferung verdient? Wer ist Edda, daß ihr Gemahl ihr zu Liebe sich dem Elende hingiebt? Hat sie ihm genügende Auskunft über ihre Geburt und ihr Vaterland gegeben? Kann er sich nur der kleinsten freundschaftlichsten Vertraulichkeit von der Falschen rühmen? Was beginnt sie in den Tagen und Nächten, da sie ihn von ihrer Gegenwart verscheut? Sie betet und fastet? – Ha des Wahns! Hiolm [28] belausche sie nur einmal in ihrer Einsamkeit, so wird er die Sachen ganz anders finden!«

Wer weiß, was diese Vorstellungen, mit welchen man dem unglücklichen Manne täglich in den Ohren lag, endlich würden gefruchtet haben, wenn nicht eine weise, freundschaftliche Hand das Unheil abgelenkt hätte.

Die treue Thulis sah das Ungewitter aufsteigen, und hielt es für Pflicht, ihre Freundin zu warnen. »Edda,« sagte sie, »ein böser Geist ist geschäftig, dich und deinen geliebten Hiolm zu entzweien. Ich weiß, daß du es deinem Gatten nicht verzeihen könntest und dürftest, wenn er es wagen sollte, dir deine Geheimnisse zu entreißen, und doch hat er schon freventliche Versuche dazu gemacht. Ich scheue seine Gegenwart, weil er immer jene Geheimnisse zur Sprache bringt, die ich ihm wahrscheinlich enthüllen soll. Den kühnen Fragen werden bald kühne Handlungen folgen, wenn du nicht etwas thust, diesen vorzubeugen.«

Edda verfiel in ein tiefes Nachsinnen. »Wohlan,« rief sie nach einer langen Pause, »der Streich sei gewagt, den ich noch eine Zeitlang aufzuschieben gedachte; es ist besser, das Räthsel zu einer Zeit zu lösen, wo Hiolm noch des für ihn daraus entspringenden Glückes würdig ist, – es ist besser, die verdrüßliche Lage, in der wir sind, jetzt zu ändern, ehe uns die Geduld ausgeht, als die Sache auch nur um einen Augenblick zu verzögern. Was mich betrifft, so fühle ich zwar die Kraft in mir, noch Jahre lang um Hiolms willen zu dulden und ihm Alles zu [29] opfern, aber besitzt er Kraft und Muth, gleich mir auszudauern? – Und was hast du, gute Thulis, verschuldet, um ohne Nutzen und Zweck noch länger mit mir zu leiden?«

Die Freundinen überlegten hierauf mit einander, wie das, was sie im Sinne hatten, am füglichsten einzuleiten wäre, doch konnten sie nicht ganz einig werden; aber am folgenden Morgen mußte Hiolm selbst zu einem Anschlage die Hand bieten, der ohne Zweifel der beste war.

Dieser treue, zärtliche Gatte, der noch keinesweges so nahe daran war, wortbrüchig zu werden, als die ängstliche Thulis meinte, redete seine Gemahlin folgendermaßen an. »Edda,« sagte er, »ich vermag es nicht länger, dich im Elend und Unglück zu sehen, diese Arme müssen dein Schicksal ändern; geht es auf dem bisherigen Wege nicht, so laß uns einen andern wählen; ich gehe nächster Tage wieder in die See, um unser Glück auf andere Weise zu versuchen.«

»Wie?« fragte Edda ein wenig spitz, »kann Hiolm sich entschließen, seine Gattin auf Wochen und Monate sich selbst zu überlassen, die er kaum im einsamen Zimmer sich und der Tugend sicher glaubt?«

»Höre, was ich vorhabe,« erwiederte Hiolm, der ihre Rede nicht verstand oder nicht verstehen wollte. »Du weißt, daß ich nichts besitze, als jenes Schiff, das zu schlecht bemannt, zu schlecht mit Allem versehen ist, als daß ich nochmals einen von meinen gewöhnlichen Streifzügen wider die Seeräuber wagen könnte, die mir überdieß nicht mehr glücken wollen. Ich habe mich daher [30] entschlossen, mich in die Dienste irgend eines großen Königs zu begeben. Noch ist der Name Hiolm von Seeland berühmt genug, mir günstige Aufnahme und großen Sold zu verschaffen, und dieß genügt mir vorläufig. Für die Zukunft haftet mein Schwert; der Himmel wird ihm ja endlich wieder günstig werden, und es mit der alten Stärke wirken lassen! Bete für mich, du fromme Dulderin, daß dein Hiolm wieder das Schrecken der Feinde werde, was er vormals war.«

Edda wurde von Hiolms Erklärungen bis zu Thränen gerührt. Wie konnte sie wider diesen Mann Zorn oder Verdacht im Herzen hegen? Widerlegten nicht seine Worte alle ihre Besorgnisse? – Sie fühlte, daß diese wenigstens vor der Hand ganz unnöthig gewesen, doch was sie für den wankenden Hiolm zu thun entschossen war, das konnte sie dem standhaften noch weniger versagen.

»Mein Gemahl,« sagte sie, indem sich die gewöhnliche Holdseligkeit über ihr schönes Gesicht verbreitete, »darf deine Edda fragen, welcher König so glücklich sein wird, Hiolms Schwert für sich fechten zu sehen? – Doch nicht der König von Scandinavien? – O scheue den Dienst des blutgierigen Kriegers! Ehre, Ruhm und Beute gönnt er nur sich selbst, seinen Dienern Wunden und Tod.«

»Und wem sollte ich sonst meine Waffen widmen?« fragte Hiolm. »Der König der nordischen Reiche hat das nächste Recht auf dieselben!«

»Es giebt noch mehr nordische Fürsten, mein Theurer! [31] Kennst du den König von Thule? Fürwahr ein tapferer und weiser Fürst, würdig, den ersten Thron der Welt zu besitzen, und doch zufrieden mit seinen rauhen Gebirgen, die die Natur so stiefmütterlich bedachte.«

Hiolm wunderte sich, seine Gemahlin mit so vielem Feuer von einem Fürsten sprechen zu hören, dessen Name in diesen Gegenden nicht allzubekannt war, denn der stille Ruhm guter friedfertiger Fürsten fliegt nicht weit über die Gränzen ihrer Reiche. Edda gab vor, unter den grönländischen Seeräubern, aus deren Gewalt sie Hiolm gerettet hatte, viel von dem König von Thule gehört zu haben, und erzählte noch so viel Rühmliches von ihm daß Hiolm, begeistert wie sie, bei seinem Schwerte gelobte, es für keinen andern, als ihn zu ziehen.

Als sie ihn so entschlossen sah, fuhr sie fort: »Darf ich dir rathen, mein Gemahl, so diene dem Fürsten, dem du dich widmest, ehe du ihm noch deine Dienste anbietest. Die Grönländer beunruhigen die Küste von Thule jetzt sehr, du wirst in diesen Gewässern unbestellte Arbeit finden. Laß den Ruf deiner Thaten vor dir hergehen, und du wirst dem tapfern Könige der nördlichen Insel desto willkommner sein; und noch eins: – In dem Lande, wo ich geboren bin, ein Seeland wie das Deinige, hält man viel auf ein glückliches Schiffszeichen; ich glaube, es hat dir bisher an einem solchen gemangelt, und du hast darum weder Sieg, noch Beute erlangen können. Nimm deshalb den alten Wallfischkopf von dem Hintertheile deines Schiffes und scheue die Kosten nicht, mich, [32] deinen Sohn und meine Freundin Thulis nach dem Leben auf dasselbe malen zu lassen; du wirst sehen, welchen großen Nutzen dir dies bringt, und mir ewig dafür danken.«

Der Vorschlag der schönen Edda ließ sich hören, aber es bedurfte großer Vorbereitungen, um ihn auszuführen. Hiolm that indeß sein Mögliches, sein Schiff zu einem solchen Zuge herzustellen, und hatte die Freude, Unterstützung von einer Seite zu erhalten, woher er längst nichts mehr erwartet hatte.

Hiolms Vater sah es nämlich aus verschiedenen Ursachen gern, daß sich sein Sohn von Siölund entfernte, und mit seiner Hülfe war er in sehr kurzer Zeit so weit, in See zu gehen. Auch das Gemälde war von einem guten lombardischen Meister, den ein Zufall nach Norden geführt hatte, gefertiget; zwar fand man es ein wenig seltsam, aber Edda hatte es ja so gewünscht, und ihr zur Liebe wurde es ihrem Gemahl sehr leicht, sich über das Gerede der Leute hinweg zu setzen.

Als Hiolm von seiner Gattin Abschied nahm, zeigte sich diese standhafter, als er selbst; ihr schien irgend etwas Großes vorzuschweben, das sie tröstete. Ach, dämmernde Hoffnung winkte ihr vielleicht von fern, und sie übersah darüber den Abgrund, der sich zu ihren Füßen öffnete!

Hinrich von Röschild hatte nur auf die Abreise seines Sohnes gewartet, um seine feindseligen Anschläge wider die unschuldige Edda auszuführen. Kaum hatten sich seine Segel am Horizont aus dem Gesicht verloren, [33] so nahm der hartherzige Vater die schöne junge Frau, ihren Sohn und ihre Freundin, setzte sie in einen Nachen, und ließ sie mit den nothdürftigsten Lebensmitteln versehen, auf die Erleninsel bringen, um dann Weiteres über die drei unglücklichen Personen zu beschließen. Seine Neider sagten ihm nach, er habe im Sinne gehabt, sie an einen chinesischen Sklavenhändler zu verkaufen, dergleichen in den damaligen Zeiten, da alles anders war als jetzt, viele in Siölund einzusprechen pflegten.

Nicht alle Einwohner der Stadt, welche wir hier eben genannt haben, waren hartherzig oder undankbar; es gab viele, die Hiolms Gemahlin aufrichtig beweinten, als sie sie hinüber nach der übelberüchtigten Erleninsel führen sahen, und Hinrichs böse Absichten muthmaßen konnten. Sie aber lachte und suchte die schöne Thulis, die etwas weniger heiter war, als sie, zu gleicher Fröhlichkeit zu bewegen. »Merke,« sagte sie leise zu ihr, »wie gut es das Schicksal mit uns meint; ist es doch, als hätte es unserm Feinde den Ort unserer Verweisung selbst in den Sinn gegeben!«

Während man auf diese Weise mit Hiolms Angehörigen verfuhr, durchschnitt sein Schiff den Ocean, und peitschte die Wellen, bis es in die Gegend kam, wo es laut der Weissagung seiner klugen Gemahlin bestellte Arbeit finden sollte, und sie wirklich fand. Der Seeräuber Naddock beunruhigte zur damaligen Zeit das atlantische Meer; seine Absicht war vornehmlich auf Thule gerichtet, [34] und es wäre vielleicht um die Schneeinsel 2 und ihren guten König geschehen gewesen – denn Naddock war sehr mächtig – wenn das Schicksal nicht einen Retter herbeigerufen hätte.

Wie es dem Helden von Seeland möglich war, mit einem einzigen Schiffe einen so mächtigen Gegner zu besiegen, darum befrage uns Niemand, denn wir wissen nichts anders zu antworten, als daß die alte Fabelgeschichte, besonders die nordische, reich an wohl noch ungläubigern Ereignissen ist. Genug, Hiolm siegte, wenigstens in so weit, daß er den Feind von Thule auf eine lange Zeit entkräftete, und ihn nöthigte, sich mit den Ueberbleibseln seiner Macht auf die große Insel zu flüchten, die man in den damaligen Zeiten Atlantis nannte, und wo es ihm wenigstens nicht an Raum fehlen konnte, wieder zu Kräften zu kommen, um einst doppelt fürchterlich zurückzukehren.

Hiolms Absicht war es nicht, ihn auf seiner Flucht zu verfolgen, wozu es ihm überdies an Macht fehlte; er ließ ihn im Besitze der goldenen Brücke, die laut dem Sprichwort jeder fliehende Feind verdient. Er lief, wie ihm Edda vorgeschrieben hatte, in den großen Hafen bei der Hauptstadt der Schneeinsel ein, wo ihm schon der Ruf von seinen Thaten vorausgeeilt war, und wo sich [35] bei seiner Ankunft das ganze Land regte. »Ist das Hiolm von Seeland,« rief Jedermann, »dessen Namen uns unsere durch ihn geretteten Schiffe mit so viel Achtung nannten? Ist das der Ueberwinder des mächtigen Naddock, der Beschützer von Thule? – Mensch oder Halbgott, wer er auch sei, wir müssen ihn empfangen und ihn ehren, wie es Pflicht und Dankbarkeit erheischt. Wenn wir auch nicht vermögen, ihn für seine Thaten würdig zu belohnen, so wird er doch gewiß nicht unempfänglich für die geringen Beweise unsers Dankes sein und unsre gute Absicht nicht verkennen.«

Hiolm war weder Halbgott, noch irgend ein anderes über menschliche Vergeltung erhabenes Wesen, und es erfreute ihn daher der glänzende Empfang, den man ihm bereitet hatte, ungemein. Man brachte ihm außerdem noch werthvolle Geschenke als ein Zeichen der Erkenntlichkeit dar, die Hiolm jedoch ausschlug, und durch diesen Beweis seiner Großmuth sein Ansehen sehr vergrößerte. Auch bedurfte er solcher Geschenke nicht, denn in den Kämpfen mit Naddock hatte er reiche Beute gemacht. Der alte König von Thule war von seinen Thaten, von seinem edlen Betragen, von seiner Heldenfigur, von Allem, was ihn umgab, ganz bezaubert. Hiolm begehrte in seine Dienste zu treten, und der gute Fürst erklärte mit vieler Rührung, er wolle ihn lieber zum Sohn als zum Diener annehmen.

Der alte Herr, der den Wein und die Freuden einer nach nordischer Art gutbesetzten Tafel sehr liebte, veranstaltete [36] zu Ehren unsers tapfern Helden zahlreiche Gastmähler, indem er glaubte, ihm hierdurch einen besondern Beweis seiner Achtung zu geben. Nachdem Hiolm oft und köstlich genug auf des Königs stattlichem Meerschloß bewirthet worden war, hielt er es dem Wohlstand gemäß, ihn und seine Großen auch einmal in sein Schiff auf Seemannskost einzuladen. Die Einladung wurde angenommen, und es ging bei Hiolms Feste schier noch stattlicher zu, als beim Mahle des Königs.

Als die Gäste sich an seiner gutbesetzten Tafel sehr ergötzt und den von Naddock erbeuteten Wein köstlich befunden hatten, kam ihnen die Lust an, Hiolms Schiff, an welchen ihnen, wie natürlich, alles fremd und neu erschien, zu besichtigen. Der Held von Seeland zeigte ihnen bereitwillig den ganzen innern Bau des schwimmenden Hauses, und schlug zuletzt eine Fahrt um das ganze Schiff vor, damit man seine Schönheit und Stärke auch von außen beurtheilen könnte.

Es wurde eine Schaluppe ausgesetzt, man stieg ein, und bewunderte, weil man einmal im Bewundern war, fast jeden Nagel, fast jede künstliche Fügung der Breter und Bohlen; aber Erstaunen bemächtigte sich Aller, als Hiolm das Fahrzeug ein wenig weiter in die See führen, und dann auf das Hintertheil des Schiffs in gerader Richtung zusegeln ließ, als das herrliche Gemälde, dessen wir schon erwähnt haben, sich dem Auge in voller Schönheit darstellte.

Man kann sich in der That nichts Reizenderes denken, [37] als die wohlgetroffenen Portraits der zwei schönsten Personen, die damals leben mochten, und das Bild eines Kindes, schön wie der Liebesgott. Die lächelnde Edda wiegte den kleinen Hiolm auf ihren Knieen, und ihre Freundin, die sich über ihre Schulter lehnte, schien sich an dem Anschauen der Mutter und des Sohnes zu weiden, ohne zu ahnden, wie viel sie selbst zur Vollkommnung der bewundernswürdigen Gruppe beitrug. Alle drei waren so treffend abgebildet, daß der, der sie einmal im Original gesehen hatte, sie in dieser Kopie nicht verkennen konnte; auch hatte der Künstler die Farben so gut aufgetragen, daß Wind und Wetter ihnen nicht geschadet, ja sie vielmehr gehoben hatten.

Als dem König das Wunderbild in die Augen fiel, da bemeisterte sich seiner ein solches Erstaunen, daß er mit Hintenansetzung des königlichen Anstandes die Arme weit auseinander breitete, und einen lauten Ruf der Ueberraschung ausstieß. Seine Minister schienen ebenso ergriffen zu sein als er, sie wußten sich aber besser zu fassen. Sie wechselten bedeutungsvolle Blicke mit ihm, da sie aber sahen, daß ihr Gebieter die Worte, die ihm auf den Lippen schwebten, zurückhielt, so schwiegen auch sie, und ließen es bei stummen Zeichen des Erstaunens bewenden.

Hiolm war nicht viel weniger bestürzt, als seine Gäste; er besorgte aus der schnellen Veränderung aller Gesichter, daß hier etwas sein müßte, was einen nachtheiligen Eindruck machte. Er äußerte seine Furcht in [38] einigen angstvollen Worten, denn er hatte den alten König von Thule liebgewonnen, und hätte ihm ungern zu Mißvergnügen Anlaß gegeben.

»Beruhigt euch, mein Sohn,« antwortete der gute Fürst, »ich bin mit euch zufrieden, und habe keine Ursache, auf euch zu zürnen; aber ich wiederhole nochmals meine Bitte, meinen Befehl, wenn ihr es so nennen wollt, diese Küste nicht eher zu verlassen, bis ich über gewisse Dinge ausführlich mit euch gesprochen habe.«

Nach diesen Worten gab der König Befehl, mit der Schaluppe nicht erst an das Schiff zu fahren, sondern sogleich zu landen, weil Dinge vorgefallen wären, die seine sofortige Rückkehr nöthig machten.

In der That war der gute Fürst so ergriffen, daß er kaum seiner Sinne mächtig und deshalb genöthigt war, die Einsamkeit zu suchen. – »Was ist das?« sagte er zu sich selbst, als er allein war, »welche Deutung soll ich jenem so seltsamen Gemälde geben, und was soll ich beginnen? Meine Leute, – sie haben alle gesehen, was ich sah; werden sie schweigen? Und gleichwohl ist Schweigen noth, denn wer weiß, was unter dieser äußerst seltsamen Erscheinung verborgen liegt. – Nein, die Sache leidet keinen Aufschub, ich muß mir Aufklärung darüber zu verschaffen suchen!« – Nachdem der König durch dies Selbstgespräch sein Herz etwas erleichtert hatte, befahl er, Hiolm von Seeland herbeizurufen, den er sogleich sprechen müsse.

»Sage mir, Hiolm,« rief der König, als der junge[39] Seefahrer, durch den schnellen Vorbeschied doppelt bestürzt gemacht, eilig hereintrat, »sage mir, was bewog dich an dieser Küste zu landen?«

»Begierde nach Ehre und Ruhm, Begierde in eure Dienste zu treten, weil ihr mir als ein guter König gerühmt wurdet!«

»Warum zeigtest du mir heute das Gemälde am Hintertheile deines Schiffs, womit du mich so sehr überrascht hast?«

»Es war meine Absicht nicht, es euch zu zeigen; wie konnte ich glauben, das es euch interessiren würde? Ihr bekamt es zu sehen, wie ihr jeden andern Theil des Schiffs gesehen habt.«

»Unmöglich! unmöglich! dir ist gewiß alles bekannt! Ich beschwöre dich, eile, mich von dem Schicksale der Personen zu unterrichten, die jenes Wunderbild vorstellt!«

»Ich weiß euch nicht viel von ihnen zu sagen; das Bild stellt meine Gattin mit ihrem Sohne und ihrer Freundin vor!«

»Himmel! deine Gattin? deinen Sohn? – Soll ich trauern oder mich freuen? Freuen, freuen will ich mich! denn bist du gleich kein Fürst, so kannst du es werden; auch hat dir der Himmel bereits ein Fürstenherz, Fürstenthaten und Fürstenruhm gegeben.«

Hiolm wußte nicht recht, wie er mit dem alten Herrn daran war, und hielt es für gut, auf Dinge, die er nicht verstand, zu schweigen.

[40] »Rede, rede nur!« fuhr der König fort, »welche von den beiden Damen ist deine Gattin?«

»Die Schönere!«

»Die Schönere! also die, welche sich über die Schulter ihrer Freundin lehnt?«

»Mit nichten, die, welche das Kind auf den Knieen hält!«

Bei diesen Worten nahmen die Gesichtszüge des Königs einen andern Ausdruck an, von dem man nicht sagen konnte, ob Freude oder Mißvergnügen ihn veranlaßt. »Schlag ein, Hiolm,« sagte er nach einer Weile, indem er dem bestürzten Seefahrer die königliche Hand hinhielt, »du bist mir nicht so nahe verwandt, als ich meinte, aber doch nahe genug, daß ich dir den Namen ›Sohn‹ bestätigen kann, den ich dir gleich Anfangs beilegte. Dich hat ein günstiger Zufall an diese Küste geführt, der dein Glück begründet, und mir zu dem Theuersten wieder verhilft, was ich auf Erden besaß. Seeräuber raubten mir vor mehr als Jahresfrist meine Tochter und meine Nichte, – du schenkst sie mir wieder. Thulis ist mein Kind; deine Gemahlin Edda zwar nur die Tochter des Erlkönigs, aber doch eine Prinzessin, auf deren Besitz du stolz sein kannst, wenn du denselben zu behaupten weißt.«

»Ihn behaupten?« rief Hiolm, »den Besitz meiner Edda behaupten? dafür bürgt mir mein Schwert. Auch unser Sohn bürgt mir dafür; wie kann man seine Mutter von ihrem Gatten reissen, ohne sie auf ewig zu beschimpfen!«

[41] »Dein Sohn möchte vielleicht das Band sein,« fuhr der König von Thule fort, »das dir deine Gemahlin auf ewig sichert; aber auf dein Schwert traue nicht, du kennst den Erlkönig nicht, sonst würdest du nicht so reden. Aller andern Bedenklichkeiten zu geschweigen, so sind die kleinen Fürsten in gewissen Punkten kitzlicher, als die großen. Ich würde dir vielleicht meine Thulis nicht misgönnt haben, ich hätte mich vielleicht meines Enkels gefreut; aber der Vater der schönen Edda? – Doch fasse guten Muth, und gieb mir jetzt etwas nähere Nachricht von meinen Verlornen, damit ich sehe, wie Thulis wieder in meine Arme zu bringen, und wie dir und deiner Gemahlin zu helfen ist.«

Hiolm und der König brachten den ganzen Morgen in Gesprächen über diese wichtigen Dinge zu. Der Vater der schönen Thulis machte ihn etwas näher mit der Familie des Erlkönigs bekannt, die ihm allerdings nicht gefallen wollte, und er hingegen erzählte seinem neuen Oheim so viel von der mißlichen Lage, in welcher sich Edda und ihre Freundin zu Seeland befänden, daß der König sofort beschloß, gleich den andern Tag eine Gesandschaft abzuschicken, um die Prinzessinnen herüber zu holen. Daß sich Hiolm an der Spitze derselben befinden sollte, versteht sich; wie hätte er die Abholung seiner Gemahlin einem andern anvertrauen sollen? Er eilte auf sein Schiff, die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, und sagte unaufhörlich zu sich selbst: »Deshalb also, weise Edda, sandtest du mich nach Thule! Dies war das Glück, das mir dein Bild bei dem besten aller Fürsten bringen sollte!«

[42] Als der König seiner Seits auch mit allen Vorbereitungen zur Heimholung der Damen, die er so glänzend als möglich machte, fertig war, und ein günstiger Wind die Segel schwellte, da stießen die Schiffe endlich vom Lande, und der Vater der schönen Thulis rief seinem Neffen ein herzliches Lebewohl nach. »Sei getrost Hiolm,« sagte er, »und beschleunige deine Reise; ehe du mit meinen Töchtern zurückkommst, habe ich euch das Herz des Erlkönigs gewonnen, und gewiß kommt er euch selbst entgegen, dich als Sohn, seine Edda als Tochter zu umarmen.«

Ein günstiger Wind trug Hiolms Schiff, nebst denen der Gesandten von Thule, auf schnellen Flügeln nach Seeland, wo die glänzende Erscheinung kein kleines Aufsehen erregte. Hiolm's Flagge kannte man wohl; wer waren aber die andern? – Und als jetzt die Gesandten an das Land stiegen, als der Name des Königs, der sie abschickte, und der Zweck ihrer Ankunft bekannt wurde, welche Verwunderung, welches Erstaunen! auf einer Seite, welche Beschämung! auf der andern. – Der alte Hinrich von Röschild vermochte kaum die Augen vor seinem Sohne aufzuschlagen, als er ihm gestehen mußte, in welcher Absicht er die unschuldige Edda nach der Erleninsel hatte bringen lassen. Der gutmüthige Sohn konnte indeß dem grausamen Vater doch nicht zürnen, und verzieh ihm gern das seiner Edda zugefügte Unrecht. Zufrieden, nun aller Verfolgungen enthoben zu sein, warf er einen Schleier über das Vergangene, und suchte die Gesandten von Thule [43] glauben zu machen, man habe die Prinzessinnen nur aus guter Vorsorge auf die Erleninsel geschickt, und diese schlichten, geradsinnigen Leute fanden hierin auch nichts Unglaubliches.

Die Ueberfahrt nach der wüsten Insel wurde mit großer Pracht vollzogen. Zu den königlichen Gesandten gesellten sich alle Patrizier von Siölund, an deren Spitze sich Hinrich von Röschild befand, der nicht wußte, wie er seine begangenen Fehler wieder gut machen, und sein Entzücken über die hohe Verwandtschaft, zu welcher ihm Edda verhalf, ausdrücken sollte.

Es ist schwer, denen die uns beleidigt, uns ins Elend gestürzt haben, dann nicht unsere Verachtung zu zeigen, wenn sich uns die Gelegenheit dazu darbietet. In einem solchen Falle befand sich Edda, doch war sie zu edel, Rache zu üben und sie zeigte sich daher nicht minder großmüthig als Hiolm. Die Gesandten blieben in ihrem Wahne, die Leute von Siölund fanden volle Erwiederung ihrer Höflichkeiten, und Hinrich von Röschild konnte über seine Schwiegertochter nicht klagen. Nur in einem Punkte war sie unerbittlich, sie ließ sich nämlich nicht bewegen, eine Nacht in Siölund zuzubringen. Die Sehnsucht nach ihren Verwandten war viel zu groß, wie sie sagte, als daß sie nicht gleich von der Erleninsel dahin abschiffen sollte. Hinrich bat um Zurücklassung des kleinen Hiolm, welche wunderliche Bitte ihm jedoch ohne Weiteres abgeschlagen wurde.

Hiolm und Edda waren entzückt, sich unter solchen [44] Aussichten wieder zu haben, aber nicht minder freute sich die schöne Thulis, endlich dem Elende entrissen zu sein, das sie blos aus Freundschaft für Edda erduldet hatte, und wieder in die Arme eines Vaters zu eilen, den sie ebenso sehr liebte, als sie sich von ihm geliebt wußte.

Eines Abends, als Hiolm und Edda mit einander auf dem Verdecke ihres Schiffs saßen, und der Landung zu Thule zitternd und hoffend entgegen sahen, begann die Tochter des Erlkönigs, ihrem Gemahle gewisse Aufschlüsse zu geben, welche zu fordern er zu bescheiden gewesen, nach denen er jedoch großes Verlangen trug.

Die Luft war still und heiter, die Wellen trugen das Schiff leicht auf dem grünen Rücken dahin, und der Mond kam am äußersten Horizont in Gestalt einer schmalen Sichel herauf; ein Zeichen, daß Hiolm sich eines ungestörten Umganges mit seiner Gemahlin erfreuen durfte.

»Mein Theurer,« begann die sanfte Edda, »ich schätze mich glücklich, daß ich nicht länger Geheimnisse vor dir zu haben brauche, die mich schon lange ängstigten, obschon du sie so gut zu ehren wußtest. Empfange meinen herzlichen Dank für diesen Beweis deines unbeschränkten Vertrauens zu mir, und höre nun meine Geschichte, die dich über Alles aufklären wird, was dich etwa noch beunruhigen könnte.

Daß ich des Erlkönigs Tochter bin, weißt du bereits durch den König von Thule, aber der gute Oheim mag sagen, was er will, mein Vater ist kein so kleiner Fürst, als er ihn schildert. Wohl ihm in seinem freundlichen [45] Wahne, daß er seine Schneeinsel für wichtiger hält, als das große Reich des Erlkönigs, das sich über die ganze Erde ausbreitet, und in den Gegenden, die euch Menschen die unbekanntesten sind, am größten ist. Es wäre über diese geheimnißvollen Dinge mehr zu sagen, doch sollst du jetzt nur so viel davon hören, als du zu verfassen vermagst: Wir sind ein Geistergeschlecht, den Menschen nur zur Hälfte verwandt; unserer Herrschaft sind besonders unterworfen die wüsten Inseln des Meeres, und die Stellen der Erde, wo der Baum wächst, den man nach unsern Namen benannte. Wir lieben die Menschen, und befreunden uns gern mit ihnen. Die nordischen Reiche sehen meistens Prinzessinnen aus unserm Hause auf ihren Thronen; auch ich war zu diesem Schicksal bestimmt, meiner wartete Scandinaviens Krone, was mein Unglück war, und es vielleicht noch in später Zukunft sein wird.

Kein weibliches Geschöpf kann auf Vorzüge der Schönheit und hoher Geburt eingebildeter sein, als ich es war; es gab kein irdisches Wesen, das ich einer Verbindung mit mir würdig schätzte, und gern hätte ich mich mit den Geistern des Aethers befreundet. Ich wußte, daß unser Geschlecht dem Tode eben so gut unterworfen ist, als ihr es seid, und daß es des Vorrechts der Unsterblichkeit nur unter gewissen Bedingungen genießt, die ich nicht kannte, sowie sie auch den meisten von uns ein Geheimniß sind. Dennoch war ich überzeugt, daß eine Verbindung mit dem schwachen, sterblichen Menschengeschlechte nicht der Weg sei, zur Unsterblichkeit zu gelangen und daher entstand vorzüglich [46] mein Abscheu vor der Scandinavischen Krone, die ich mir durch die Verbindung mit einem Sterblichen erkaufen sollte. Ich widerstand dem Willen meines Vaters, so gut ich konnte, und suchte Aufschub und Ruhe in der Einsamkeit. Mein Vater hatte mir die kleine Insel an der Küste von Seeland geschenkt; hier lebte ich in stiller Abgeschiedenheit mit meinen Jungfrauen, unbemerkt von dem gröbern Auge des Menschen, ihm nur in den hellen Mondnächten sichtbar, wo wir unsere Tänze zu halten pflegten, denn der dichtere Körper, in welchem wir uns zeigen, und in welchem auch du mich jetzt vor dir siehst, ist zwar der volle Abdruck der ätherischen Gestalt, die uns die Natur verlieh, aber für uns gleichsam nur ein grober Regenmantel, in welchen wir uns hüllen, um vor euch erscheinen zu können.

Ich lebte ruhig in meiner philosophischen Einsamkeit, wo ich mich mit lauter überirdischen Dingen, besonders mit den Mitteln zur Unsterblichkeit zu gelangen, beschäftigte. Daß rund umher mehrere Erlprinzen wohnten, wußte ich, aber ich achtete es nicht, und besorgte von ihnen nichts Arges; gleichwohl sollte einer von diesen auf eine widrige Art in mein Schicksal verwebt werden.

Der Fürst der Insel Mona hatte von mir gehört, und kam heimlich, mich zu sehen. Meine Schönheit fesselte seine Augen, meine hohe Geburt schmeichelte seinem Stolze, und mein bekannter Abscheu vor einer Verbindung mit einem Sterblichen machte ihm große Hoffnungen. – Es dauerte nicht lange, so begann er, mit seinen [47] Zudringlichkeiten mir lästig zu werden. Ich gab meinem Vater Nachricht davon, und er, dem eine Verbindung mit einem seiner Vasallen so wenig anstand als mir, säumte nicht, mir zu Hülfe zu kommen. Er traf den Verwegenen, als er in menschlicher Verkörperung, Gott weiß, in welcher Absicht, meine Wohnung umschlich. Die Strafe folgte dem Verbrechen auf dem Fuße. Als der Fürst der Insel Mona unter den Händen meines Vaters fiel, fluchte er mir: ›Möchtest du Stolze,‹ rief er, ›durch eine Verbindung mit einem gemeinen Sterblichen gedemüthigt werden! O könnte, könnt' ich doch noch länger leben, um zu deinem Sturze beizutragen, um mich an deinem Falle zu weiden!‹

Mein Vater hielt es für gut, daß ich mich auf einige Zeit von meiner Insel entfernte. Er brachte mich zu dem Könige von Thule, meinem mütterlichen Verwandten. Dort lernte ich zuerst Menschen kennen und lieben, Geschöpfe, die ich früher nie gesehen hatte. Binnen kurzer Zeit wurde ich mit der schönen Thulis, der Tochter meines Oheims aufs innigste vertraut; wir schwuren einander feste Freundschaft in Glück und Widerwärtigkeit, und haben den Schwur gehalten, denn der gegenseitigen Aufopferungen zwischen uns sind nicht wenige gewesen.

Ich liebte meine Base so sehr, daß ich meinen bisherigen einsamen Aufenthaltsort ganz zu verlassen und bei ihr zu bleiben beschloß. Ich besuchte die Erleninsel nur zur Zeit des Vollmonds, weil uns dann ein unwiderstehlicher [48] Zug in die Gegenden, wo wir herrschen, zur Feier mystischer Feste hinreißt. Der gröbere Körper, den ich meiner Freundin zu Liebe jetzt für beständig trug, blieb als Unterpfand meiner Wiederkunft bei ihr zurück, wenn ich des Monats einmal als leichte Schattengestalt nach meiner Insel schwebte. Als treue Hüterin wachte sie bei der Hülle, deren Verletzung uns, so lange wir uns dieser irdischen Verkleidung bedienen, den Tod bringt.

Ich fand auf meiner lieben Insel alles ziemlich so, wie ich es verlassen hatte. Meine Jungfrauen, die dort zurückgeblieben waren, hatten schon früher Spuren auf derselben entdeckt, daß sie zuweilen von Menschen besucht würde; jetzt sagten sie mir, daß dergleichen Besuche sich noch öfterer einfänden, und daß einer dieser Menschen es sogar zuweilen wage, auf unserm Grund und Boden zu übernachten.

Ich überzeugte mich bei der ersten Mondsfeier selbst von dieser Kühnheit, ich sah den Verwegenen hinter einem Rosenstrauche lauschen, und unsere Tänze beobachten; sein Urtheil war gesprochen. Als es tagte, verfügte ich mich selbst auf die Stelle des Frevels, ihn zu bestrafen. Aber – o Hiolm, wie kann ich in meiner Erzählung fortfahren, ohne einen Verdacht bei dir zu erregen, der meiner Würde nachtheilig sein möchte! Und doch bin ich dir ein offenes Geständniß schuldig und will selbst auf die Gefahr hin, von dir verkannt zu werden, in meiner Erzählung fortfahren. Ich sah einen schönen Jüngling, der kaum die Gränzen der Kindheit überschritten, schlafend [49] auf einem Rasenhügel hingestreckt. Er blühte wie die Jugend des Himmels, Unschuld und Edelmuth sprachen aus seinen sanften Zügen. Der Rosenstrauch, unter dem er schlummerte, überstreute ihn mit den Blättern seiner Blumen, als wolle er ihn meinen Augen entziehen; ach, vielleicht wäre es gut gewesen, wenn ich ihn nie gesehen hätte! Mein gerechter Zorn war entwaffnet, ich fühlte vielleicht in diesen Augenblicken den ersten Anfang einer Leidenschaft, mit der mir der Fürst der Insel Mona geflucht hatte.

Ich sah den holden Lauscher sich regen, als wolle er erwachen, und ich entfloh mit meinem luftigen Gefolge; ich fürchtete, von ihm gesehen zu werden. Man lasse ihn, sagte ich zu meinen Leuten, es ist fast noch ein Kind, von ihm wird uns weder Unfall noch Entweihung widerfahren.

Nach der Zeit gab es wenig Vollmondsnächte, wo ich den jungen Menschen nicht hinter seinem Rosenstrauche sah. Ich trauerte, wenn ich ihn einmal vermißte, ich beschleunigte meine Herüberkunft von Thule, und verzögerte meine Abreise Ich lobte die Bescheidenheit des jungen Fremdlings, der sich immer nur mit dem Schauen begnügte, und es nie wagte, sich in unsere Reihen zu mischen, und doch wünschte ich heimlich auch wieder, er möchte einst kühner sein, und mir Gelegenheit geben, ihn näher kennen zu lernen.

Noch hatte ich nicht zwölf Mal die monatliche Reise von Thule nach meiner Insel gemacht, als ich den [50] bisherigen Zuschauer unserer nächtlichen Feste nicht mehr auf seinem Rasenhügel lauschen sah, und vergebens seine Wiederkehr erwartete. Von der Zeit an fühlte ich mich auf der Insel einsamer, die Feier der Feste verlor für mich viel von ihren frühern Reizen und ich suchte meine Rückkehr nach Thule immer möglichst zu beschleunigen. – Was war das, Hiolm, das ich damals für dich fühlte? Liebe doch nicht? – O nein, diese Leidenschaft sollte ich erst später kennen lernen!

Jahre vergingen. Der schöne Knabe, den ich nicht mehr sah, konnte, wie Thulis meinte, nun wohl zum Jüngling herangereift sein, und meinem Herzen ernstlichere Gefahr drohen, wenn ihn das Schicksal mir wieder entgegen führte. Sie scherzte fleißig mit mir über diesen Gegenstand, und ich nahm diesen Scherz auf, wie Freundinnen so etwas von einander aufnehmen pflegen. Wir sprachen viel über das Abentheuer, belachten es von ganzem Herzen, und – vergaßen es.

Ach, es nahte jetzt eine Zeit, wo wir die jugendlichen Scherze unter dem Drucke des Unglücks ganz vergessen sollten. Wir hatten die heißen Quellen, dergleichen es in dem Königreiche meines Oheims viele giebt, besucht, und uns an den seltsamen Naturerscheinungen belustigt, an denen jene Gegenden so reich sind. Auf der Rückkehr reizte mich eine schöne Fläche voll grünen Berggrases zum Spaziergang. Es war nahe am Ufer des Meeres. Ein Seeräuber, der mit seinem Schiffe hinter einem Felsen lag, wurde uns gewahr, und hielt uns für gute Beute. [51] Wir wurden geraubt, und ehe man am Hofe des Königs von Thule unsern Verlust wissen konnte, waren wir bereits viele Meilen weit in die See einem Schicksal entgegen geführt, das für Jemand, der das Süße der Freiheit kennt, das schrecklichste unter der Sonne ist.

Wir wurden Sclavinnen, Sclavinnen Naddocks, des übermüthigsten unter allen Seeräubern. Schon längst hatte er Absichten auf die Schneeinsel gehegt, der Besitz der Erbin dieses Landes feuerte ihn zu noch kühnern Gedanken an. Thulis wurde von seiner beleidigenden Liebe gequält, sie war seine Sclavin und sollte sich die Freiheit durch das Opfer ihrer Hand erkaufen. Ich verschweige, in wie weit Naddocks Bande mich fesseln konnte, aber da ich zu schwach war, meine Freundin mit mir frei zu machen, so war ja wohl das geringste, was ich für sie thun konnte, daß ich bei ihr gefangen blieb, bis sich unser Schicksal änderte.

Wir litten viel von unserm grausamen Gebieter, und Thulis würde wahrscheinlich ohne mich noch mehr gelitten haben. Naddock schien in mir ein höheres Wesen zu ahnen. Er hatte eine Art von Furcht vor mir, deren Ursache ich besser kannte, als er. Ein Wort von mir konnte ihn in die Gränzen der Ehrfurcht zurückschrecken, wenn die Leidenschaft für meine Freundin ihn zuweilen dieselbe vergessen ließ.

Wie lange ich im Stande gewesen sein würde, diesen wilden Menschen im Zaume zu halten, das weis ich nicht. Das Schicksal sorgte indeß für baldige Aenderung [52] unserer unglücklichen Lage, es führte uns in deine Hände. – O Hiolm! du weißt das Uebrige! Ich sah dich, meine Augen kannten dich nicht mehr, aber mein Herz hatte dich nicht vergessen! Das ehemalige kindische Wohlgefallen an dem Knaben auf der Erleninsel, wurde, auf den Helden von Seeland übertragen, zur mächtigen Leidenschaft. Ich wurde die Deinige, obgleich ich selbst nicht wußte, was mich, die stolze Tochter des Erlkönigs, so schnell zu einer Verbindung mit einem Sterblichen geneigt machte!

Du erzähltest mir deine frühste Jugendgeschichte, ich reimte sie mit der meinigen zusammen, und nun wurde mir Manches klar. Wir waren alte Bekannte, schon längst vom Schicksal zu gegenseitiger Liebe bestimmt, Gott gebe von einem günstigen Schicksal! Ich fürchte nicht, daß der Fluch des Fürsten Mona nachtheilig auf unsere Verbindung wirken wird. Ich liebe ja in Hiolm keinen gemeinen Sterblichen, liebe in ihm den Edelsten seines Geschlechts!

So lange ich dich noch nicht genau kannte, hielt ich es nicht für rathsam, dich mit meiner Geschichte bekannt zu machen, oder dir zu sagen, daß du in mir ein Wesen aus einer höhern Sphäre liebtest. Du mußtest erst geprüft werden, und wärst du in dieser Prüfung nicht bestanden, so hätten wir uns für immer trennen müssen.

Ich liebte dich indeß innig genug, um diese Trennung wie den Tod zu scheuen, und hielt es daher, als ich später Ursache hatte, die Fortdauer deiner [53] Standhaftigkeit zu bezweifeln, für das Beste, das Räthsel noch zur rechten Zeit zu lösen, bevor du, von meinen Feinden aufgewiegelt, Schritte thätest, die ich dir nicht hätte verzeihen dürfen. Ich veranlaßte deine Reise zum König von Thule, ich wußte, daß dieser gute Fürst seine Tochter und mich im Bilde augenblicklich erkennen, und daß sich dann alles Andere von selbst ergeben würde. Auch wußte ich, daß mein Oheim Alles aufbieten würde, um die Zustimmung meines Vaters zu unserer Verbindung zu erlangen, und ich zweifelte nicht an einem glücklichen Erfolge seiner Bemühungen. Voll von diesen süßen Hoffnungen sah ich dich gern abreisen, ohne zu ahnen, daß mir in deinem Vaterlande, von deinen nächsten Freunden zu eben der Zeit Unheil drohte, da ich mich ganz für dich aufopferte, die Liebe meines Vaters, Krone und Thron, die Hoheit meiner Abkunft aufs Spiel setzte.

Noch weis ich nicht genau, was dein Vater wider mich im Sinne hatte, ob er mich tödten, ob er mich in entfernte Welttheile als Sclavin verkaufen, oder, was noch schlimmer gewesen wäre, ob er mich in die Hände des Fürsten der Insel Mona liefern wollte. Leider habe ich seit einiger Zeit Ursache, zu glauben, daß dieser mein alter Verfolger, Gott weis durch welchen Zufall, beim Leben erhalten wurde, und mit dem tückischen Kaufmann von Seeland in heimlicher Verbindung steht. Er hat seine Absichten auf mich noch nicht aufgegeben, er wünscht mich oder meinen Sohn zu besitzen – so viel sehe ich ziemlich klar, während ich alles Uebrige jetzt noch nicht zu [54] enthüllen weiß. Hiolm, hüte, hüte dich! Du bist ein kurzsichtiger Sterblicher; mein Verfolger könnte seine Pläne vielleicht durch deine eigne Hand auszuführen suchen!!«

Bei diesen Worten, die Edda mit sichtlicher Bewegung und großem Nachdrucke sprach, sprühten einige Funaus ihren Augen, eine Erscheinung, die Hiolm noch nicht an ihr gesehen hatte, und die ihm nicht ganz zu gefallen schien. – Er verbarg sein Entsetzen, gab ihr die besten Versicherungen, und sie fuhr fort:

»Dein treuloser Vater wählte glücklicher Weise ganz falsche Mittel zur Erreichung seiner Absichten, sein Verbündeter mußte ihn schlecht unterrichtet haben. Er brachte mich auf meine geliebte Erleninsel in Sicherheit, einem Orte, von wo mich weder Menschen- noch Geistergewalt entführen kann. Thulis kennt das Entzücken, mit welchem ich meine Insel begrüßte, die vergnügten Tage, die wir dort im Kreise der mir verwandten Geister verlebten. Es ist Schade, daß Thulis nur ein Erdenmädchen ist, sie schickte sich so gut in unsere Sitten, als wäre sie eine der Unsern, und als solche wurde sie auch von uns geliebt.

Deines Vaters Forderung, ihm meinen Sohn zurück zu lassen, kennst du; fast verließ mich bei derselben meine mühsam behauptete Mäßigung, denn ich merkte wohl, daß der Fürst von Mona ihn zu dieser Bitte veranlaßt hatte. Noch einmal, Hiolm, hüte, hüte dich! daß du nicht etwa einst selbst, durch diesen Verräther berückt, [55] das Werkzeug zu unserm Unglück wirst! Eine dunkle Ahnung sagt mir, daß du schon einst in seinen Schlingen gewesen bist.«

Hiolm war froh, daß diese wiederholte Warnung diesmal sanfter ausgesprochen wurde, als das erstenmal; er umarmte seine Edda, und versprach ihr alles, was sie wollte. Obgleich es ihm lieber gewesen wäre, in der schöne Edda eine Erdbürgerin, als ein Wesen höherer Art zu sehen, so war ihm doch ihre Abkunft kein so großer Stein des Anstoßes, daß sich seine Liebe vermindert hätte, seine Treue wankend geworden wäre. Die Erlprinzessin mochte übrigens etwas Aehnliches befürchtet, und sich ihm deshalb so spät als möglich entdeckt haben.

Hiolm suchte den hohen Stand seiner Gemahlin zu vergessen, und sie unterließ ihrer Seits auch Alles, was ihn hätte daran erinnern können. Ohne Ansprüche irgend einer Art zu machen, zeigte sie sich ihm in Allem gehorsam, theilte jede Freude, jeden Kummer mit ihm und war überhaupt ein so vollkommnes irdisches Weib, wie es nur ein solches auf dieser Erde geben kann. Sie wußte, daß man nicht blenden muß, wenn man gefallen will, und das scheue Ehrfurcht sich nicht mit inniger Liebe verträgt.

Die Liebenden würden sich ganz glücklich gefühlt haben, wenn sie nicht den Zorn des Erlkönigs zu befürchten gehabt hätten und deshalb wegen ihrer Aufnahme zu Thule in peinigender Ungewißheit gewesen wären. »Wird unser Fürsprecher gesiegt haben?« »Wird der Erlkönig [56] unsre Liebe billigen und uns nicht trennen?« »Wird er den alten Plan, seine Edda zur Königin von Scandinavien zu machen um Hiolms willen gern und gänzlich aufgeben?« – Dies waren die Fragen, welche die zärtlichen Gatten täglich so lange mit einander abhandelten, bis die lange Reise zu Ende ging, und der Erfolg ausweisen mußte, was man zu hoffen habe.

Sie stiegen zu Thule an das Land, und, o Freude! Edda sah ihren Vater an der Seite des Oheims ihr entgegen kommen! Durch dies gute Anzeichen ermuthigt, stürzte sie sich vertrauungsvoll in seine Arme und wurde väterlich von ihm empfangen. Gegen Hiolm benahm sich der Erlkönig dagegen etwas kalt, aber sein und Eddas kleiner Sohn wurde desto zärtlicher von dem Geisterfürsten geliebkoßt. Man sah wohl, daß dieses Kind die einzige Ursache war, weshalb an keine Trennung einer Verbindung gedacht wurde, die übrigens nicht sonderlich nach dem Geschmacke des stolzen Fürsten sein mochte.

So sehr sich auch Hiolm über die Einwilligung des Erlkönigs zu seiner Verbindung mit Edda freute, so behagte ihm doch sein hoher Schwiegervater nicht allzusehr. Besonders misfiel es ihm, daß dieser die garstige Angewohnheit hatte, bei der geringsten Veranlassung, die seinen Zorn erweckte, mit Funken um sich zu sprühen. Hiolm hatte diese Erscheinung ein einzigesmal an seiner Edda wahrgenommen, und sich nicht besonders darüber gefreut; wie mußte sie ihm nun an einem Wesen mißfallen, das ohnehin mehr Furcht als Liebe einflößte! Die Klugheit gebot [57] indeß Hiolm, seine Gefühle zu verbergen, und er beschloß nur, sich vor dem vornehmen Schwiegervater, dem er nicht recht traute, möglichst zu hüten.

Als man einen Monat zu Thule verweilt hatte, meinte der Erlkönig, es sei nun Zeit, seine Tochter und seinen Enkel heimzuführen, und seinen Eidam die Hauptstadt seines Königsreichs zu zeigen. Hiolm trug kein großes Verlangen nach dieser Reise, aber er hätte kein Held sein müssen, wenn er die mindeste Furcht hätte äußern wollen. Der alte König von Thule, der einen tiefern Blick in das Herz des jungen Mannes that, als die andern alle, sprach ihm insgeheim Muth ein, und so ging man mit ziemlicher Fassung zu Schiff, einen Weg anzutreten, dessen Ende wenigstens Hiolm nicht wußte; er war entweder schlecht in der Geographie seiner Zeiten bewandert, oder die Hauptstadt des Erlkönigs stand auf keiner der damaligen Landkarten.

Er nahm sich oft die Freiheit, seinem Schwiegervater darüber einige Fragen vorzulegen, aber er erhielt immer nur unbefriedigende Antwort. Eines Tages, als er in ziemlich gutem Vernehmen mit ihm auf dem Verdecke stand, und seine gewöhnlichen Nachforschungen erneuerte, überkam den ungestümen Erlkönig der lang verbissene Grimm so heftig, daß er nicht säumte, einen Anschlag auszuführen, den er lange im Sinn gehabt hatte, und dem jetzt, da sie ohne Zeugen waren, nichts im Wege stand. »Meine Hauptstadt,« sagte er zu dem fragenden [58] Hiolm, »sollst du wohl nimmermehr sehen; gehe hin, und suche sie im Abgrund des Meeres!«

Mit diesen Worten gab der boshafte Geisterfürst dem unglücklichen Gemahl der schönen Edda einen so heftigen Stoß, daß er über Bord viele Ellen weit hinaus in die See flog, die ihn mit gierigem Rachen aufnahm. Ein Anderer hätte unserm Hiolm, der ungewöhnliche Kräfte besaß und dabei gewandt und vorsichtig war, diesen Streich so leicht nicht spielen sollen, ohne ihm im Fallen Gesellschaft zu leisten; aber hier waren die Kräfte zu ungleich. Welcher Sterbliche kann sich mit einem übermenschlichen Wesen messen?

Während Hiolm sank und sank bis auf des Meeres Boden, erhob der Erlkönig auf dem Schiffe ein gewaltiges Geschrei über den Unfall, der seinen lieben Eidam betroffen hatte. Es lag ihm viel daran, bei seiner Tochter keinen Verdacht wegen dieser Schandthat gegen sich aufkommen zu lassen, und deshalb stellte er sich über den unglücklichen Vorfall, wie er es nannte, so sehr betrübt. Jedermann im Schiffe, der schwimmen konnte, wurde aufgeboten, den Mann zu retten, den sein treuloser Schwiegervater jetzt zum erstenmale mit den zärtlichsten Beinamen beehrte. Ja, er ging so weit, sich selbst hinabzulassen in die tobenden Fluthen, gleich als wolle er Hiolms Rettung mit eigner hoher Hand bewirken. Ein König wie dieser, der mit allen Elementen gleich vertraut war, konnte so etwas wohl wagen, ein anderer würde mehr Sorgfalt für seine geheiligte Person bewiesen haben.

[59] Edda war über den Verlust ihres so innig geliebten Hiolm ganz untröstlich. Wäre sie eine gewöhnliche Sterbliche gewesen, so würde sie wahrscheinlich ihrem Gatten sogleich in das Meer nachgesprungen sein, aber ihr konnte ein solcher Sprung nichts frommen. Ein Geisterleben ist nicht so leicht im Ocean ausgelöscht, und doch wie gern hätte sie das ihrige hingegeben, um Hiolm zu retten. Die Unsterblichkeit galt nichts mehr in ihren Augen, seit die Liebe zu einem Erdbürger sie von ihrer phantastischen Höhe herabsteigen ließ.

Hiolm war indessen nicht so verlassen und verloren, als Edda besorgte und ihr Vater glaubte. Die nämliche Macht, die ihn in seinen Knabenjahren schon einmal das Leben erhalten hatte, war auch hier geschäftig, ihn, so tief er auch gesunken war, wieder empor zu heben. Kaum auf dem Meeresgrund angelangt, befand er sich gleich darauf wieder mit dem obern Theile des Körpers über dem Wasser, und nun schwamm er, er wußte selbst nicht wie, mit nie geahnter Leichtigkeit auf den stürmenden Wellen dahin.

Als er seine seltsame Fahrt ohne Fahrzeug, Ruder und Segel bis gegen Abend fortgesetzt hatte, sah er auf einmal Land, und ehe eine Viertelstunde verging, warf ihn eine große Welle mit ziemlichem Ungestüm auf das Ufer einer schönen grünen Insel, deren erster Anblick schon bezauberte, und die auch bei näherer Besichtigung keinen andern Fehler hatte, als daß sie unbewohnt war.

Als Hiolm sich erholt und die Nacht in süßer Betäubung [60] verschlafen hatte, gesellten sich zu dem frohen Gedanken: ich bin gerettet! eine Menge andre, die nicht so angenehm waren. »O Edda, Edda!« rief er »wie vermag ich getrennt von dir zu leben, und wie soll ich dich wieder finden? –« Von diesen traurigen Gedanken gequält, durchstrich er die ganze Insel, und als sich endlich Hunger und Durst bei ihm einstellten, da zeigte es sich, daß er für die Erhaltung seines Lebens nicht besorgt zu sein brauchte. Ueberall fanden sich frische Quellen und fruchttragende Bäume, überall schattige Plätze und Höhlen, die zur Ruhe einluden, nirgend ein schädliches Thier! aber – dies war auch alles. Keine Spur von einem menschlichen Wesen, überall todte Einsamkeit, rund umher nichts als eine unermeßliche Fläche von Himmel und Wasser!

Welches Schiff sollte sich in diesen verlassenen Winkel der Erde verirren, ihn wieder zu der Geliebten zu bringen? Welcher Mund sollte ihm nun sagen, in welcher Himmelsgegend er sich befände, oder ihm zu irgend einem Plane der Rettung behülflich sein? – Armer Hiolm, wäre es wohl zu verwundern gewesen, wenn du dich der Verzweiflung überlassen, und dein Leben in den Wellen geendigt hättest, aus denen du kaum entkommen warst?

Es muß indeß nicht gewöhnlich sein, daß man sich um einer verlornen Frau willen in das Meer stürzt, sonst wüßte ich nicht, wie Hiolm, der zärtlichste Gatte, den [61] es jemals gab, einer solchen Versuchung hätte widerstehen können.

Zwei lange Jahre brachte er trauernd und hoffend auf der Insel zu, bis endlich der Himmel sich seiner erbarmte. Der Himmel, sage ich? war ihm das auch ganz zuzuschreiben, was hier geschah?

Hiolm trat einst gegen Abend seine gewöhnliche Wanderung an den Strand des Meers an, die er, weil seine Hütte nicht weit von demselben entlegen war, des Tages mehrmals zu wiederholen pflegte. An der äußersten Spitze seiner Insel glaubte er immer der entfernten Geliebten näher zu sein, dort, meinte er, müßten seine Seufzer ihr Ohr eher erreichen, als zwischen den Bäumen und Hügeln seiner Hütte.

Als er nun dießmal der untergehenden Sonne zuschritt, siehe, da kam ihm aus dem Dunkel eines Berges eine menschliche Gestalt entgegen. Langsam nahte sie, und gab der ganzen Abendscene einen seltsamen, schauerlichen Anstrich.

Welch' eine Erscheinung! Der arme verlassene Hiolm wußte nicht, ob er seinen Augen trauen sollte; er glaubte sie vom Sonnenstrahl geblendet, und schützte sie mit der vorgehaltenen Rechten. Die Erscheinung bleib. Jetzt kam sie näher, und auf einmal stand ein großer majestätischer Mann vor ihm, dessen ernster Blick forschend auf ihm ruhte, und dessen ganzes Wesen von etwas Außerordentlichem zeigte. Der entzückte Hiolm sah jedoch in ihm nur den Menschen, und flog ihm mit dem Jubel [62] entgegen, den ein solcher Anblick in seiner Lage erregen mußte.

»Ist es möglich!« rief er, »ist es möglich, daß ich endlich auf dieser unbewohnten Insel einen Menschen finde? Wer bist du und wo warst du in diesen langen einsamen Jahren, daß du dich mir nicht einmal zeigtest?«

»Du bist bisher der einzige Bewohner dieser Insel gewesen,« versetzte der Fremde; »wie hätte ich mich dir zeigen können? Ich bin erst in diesem Augenblicke hier angekommen, mit dir über wichtige Dinge zu sprechen.«

»Wie ist das möglich? Weder Schiff noch Sturm können dich an dieses Ufer gebracht haben.«

»Ich kam auf nur mir bekannten Wegen hierher, die ich dir jetzt nicht näher bezeichnen kann. Ich kenne dich wohl, Hiolm von Seeland, ich kenne den ganzen Umfang deines Unglücks; auch die böse That des Erlkönigs, die er an dir verübte, ist mir nicht unbekannt. Sine Ungerechtigkeit auf's höchste zu treiben, steht er jetzt im Begriff, dein Weib mit dem Könige von Scandinavien zu vermählen. Der morgende Tag ist zu dem Feste bestimmt, das du, wenn du anders deine Edda wahrhaft liebst, durch deine Gegenwart stören mußt. Es ist nöthig daß du in dieser Stunde abreisest, deine Rechte zu behaupten!«

»Abreisen? wie kann ich das?«

»Ungläubiger! Ich, der ich dich zweimal aus den Fluthen des Meeres rettete, werde im Stande sein, dich [63] an den Ort zu bringen, wo ich dich haben will. Doch der Dienst, den ich dir zu erweisen im Begriff bin, ist nicht klein; was giebst du mir, deine Dankbarkeit zu bezeigen?«

»O alles, alles! Nimm mein Leben, nimm das Liebste, was ich habe!«

»Das wäre zu viel! Wisse, ich bin dir mit alter Schuld verhaftet; du magst dafür die zweimalige Rettung deines Lebens rechnen. Für das Uebrige will ich Bezahlung nehmen, aber nicht so viel, als du bietest; von dem Liebsten nur die Hälfte.«

»O laß das jetzt!« rief der ängstliche Hiolm, »und führe mich sogleich dahin, wo ich in diesem Augenblicke sein möchte!«

»Noch ist es nicht Zeit,« sagte der Fremde mit seinem gewohnten Ernste, »die Sonne muß erst ganz untergehen, ehe wir reisen können. Setze dich jetzt und höre, was du nothwendig wissen mußt, um bei dem wichtigen Geschäfte so zu handeln, wie ich will.«

Hiolm setzte sich auf einen Stein dem Unbekannten gegenüber, der jetzt eine Erzählung begann, von welcher Hiolm nur wenige Worte vernahm, denn – o Wunder! bei dem ersten Eingang seiner Rede, die dem Anschein nach ziemlich lang werden mußte, fielen ihm die Augen zu und er entschlief.

Niemand hat wohl je weniger Neigung zum Schlafe gehabt, als Hiolm, da er von demselben befallen wurde. Sein ganzes Wesen war mit Ungeduld erfüllt, dort zu [64] sein, wo Edda auf dem Punkte stand, ihm entrissen zu werden; tausend Gedanken, ob sie gezwungen, oder freiwillig der Treue gegen ihn entsage, ob er sie bedauern, oder mit ihr zürnen müsse, wogten in seiner Seele auf und nieder, und kein Zustand ist, wie bekannt, dem Schlafe ungünstiger, als dieser. Gleichwohl befiel ihm bei den ersten Worten, die er von der wichtigen Rede vernahm, eine solche Müdigkeit, daß er sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte. Seine Augen schlossen und öffneten sich wechselsweise, er sah den Unbekannten sich gegenüber, hörte das Summen seiner Stimme, wußte bald nichts mehr von dem, was er sah und hörte, und fiel in gänzliche Betäubung zurück. Wahrscheinlich hatte der Fremde keine Lust, Hiolm die unbekannten Wege, auf welchen er selbst gekommen war, mit wachenden Augen machen zu lassen, und deshalb mochte er ihn in diesen Zustand der Besinnungslosigkeit versetzt haben.

Seinem Gefühle nach hatte Hiolm lange geschlafen und seltsam geträumt, als jetzt die Betäubung schwand, und er die Augen öffnete. »Edda treu?« sagte er zu sich selbst, »und doch im Begriff, die Gattin eines andern zu werden? Ich, der einzige, der das verbrecherische Bündniß stören könnte, und doch hier an diese verwünschte Insel gefesselt? Durch das unermeßliche Meer von dem Orte getrennt, wo meine Gegenwart so nöthig ist? O hätte ich doch Adlersflügel, oder könnte ich mich doch in die luftige Schattengestalt verwandeln, deren sich Edda [65] bediente, wenn sie die Erleninsel besuchte! Ich erliege unter den Banden, die mich hier zurückhalten.«

So dachte Hiolm beim Aufwachen; als er aber sich jetzt völlig ermunterte, als er sich aufrichtete und um sich her sah, welches Erstaunen, sich an einem ganz andern Orte zu befinden, als wo er entschlafen war!!

Er glaubte noch immer zu träumen, er rieb sich die Augen und sah noch immer, was er gleich anfangs erblickt hatte. »Wo bin ich?« rief er. »Was sehe ich? Ein stattliches Gebäude umgiebt mich statt der Bäume und öden Felsen meiner Insel? Statt des grünen Rasens, auf welchem ich entschlummerte, fühle ich Marmorpflaster unter mir? Das ferne Getöß von Menschenstimmen und geschäftigen Händen, statt der ewigen Todesstille, die dort herrschte? Das ist der Vorhof eines königlichen Palastes! aber wo? Hat mich ein Wunder hierher gebracht? – Doch dort kommen Leute, ich muß sie fragen und das Räthsel wird sich nun gleich aufklären!«

Hiolm, der in seiner zweijährigen Einsamkeit nicht vergessen hatte, wer er war, und sich jetzt noch für dieselbe wichtige Person hielt, die er sein mochte, als ihn des Erlkönigs Majestät über Bord zu werfen geruhte, rief mit herrischem Tone einen der Diener herbei, die er in den benachbarten Hallen auf und ab gehen sah. Man kam, aber nicht um seine Befehle zu hören, oder auf seine Fragen Antwort zu geben, sondern nur um ihm in's Gesicht zu lachen.

»Wo ihr seid?« sagte endlich einer; »nun wahrhaftig, [66] einfältiger hat nie ein schmutziger Bettler gefragt! Wie ihr hierherkommt? Diese Frage geben wir euch zurück! Ihr wißt doch hoffentlich wohl, daß euresgleichen nicht in diesen Palast gehören? Seid so gut und entfernt euch, denn wenn der Schloßwart vorübergeht, und euch sieht, so möchte es übel um euch stehen!«

Hiolm warf bei diesen Worten einen Blick auf seine Kleidung, und fand sie für eine Welt, in welcher man alles nach der äußern Schale beurtheilt, in der That nicht sehr glänzend. Die Kleider, welche er bei seiner Ankunft auf der Insel getragen hatte, waren längst zerrissen, gegenwärtig bestand seine Hülle aus einem alten Segeltuche, zu welchem er, wir wissen nicht wie, gekommen war. Das einzige, was noch hätte Ehrfurcht erwecken und seinen Stand muthmaßen lassen können, war sein gutes Schwert, an dessen Griffe einige große Edelsteine saßen. Es war ein Geschenk des Königs von Thule, ihm schon um des Gebers willen unschätzbar, und daher von ihm so unzertrennlich, daß er es weder bei Tage noch bei Nacht abgürtete, und es also auch mit hierher gebracht hatte. Sein Auge fiel im Ueberschauen seiner Hülle auch auf dieses Denkmal ehemaliger Größe, und es war, als wenn ihm dieser Anblick einige Beruhigung gewährte. Die Diener achteten nicht weiter auf ihn, und verließen ihn lachend. Er sah wohl ein, daß er es anders anfangen müßte, wenn er hier fortkommen wollte. Von einem heftigen Durste gequält, eilte er den Dienern nach und [67] bat, indem er seinen früheren Ton sehr herabstimmte, höflichst um einen Trunk Wasser.

»Gut,« antwortete einer, »Höflichkeit möchte dir hier eher helfen, als Trotz. Folge uns, und du sollst deinen Durst stillen, aber nicht mit Wasser, denn hier wird heute nichts als Wein getrunken.« Man reichte ihm einen vollen Becher, er labte sich und dankte; allein man gab ihm zu verstehen, daß es hier nicht mit bloßem Dank gethan wäre. »Du bist stark genug, zu arbeiten,« sagten sie, »und an Arbeit für deinesgleichen fehlt es hier nicht. Nimm den Wassereimer! schöpfe aus dem Springbrunnen und besprenge das Marmorpflaster, daß es nicht stäube, wenn der König und die Prinzessin über den Hof in den Garten gehen.«

»Aber, mein Gott,« rief Hiolm, »kann ich denn nicht erfahren, wo ich bin, und von was für Königen und Prinzessinnen die Rede ist?« – »Von wem anders,« lautete die Antwort, »als von dem Könige von Scandinavien, und der Tochter des Königs der unbewohnten Inseln, seiner Braut, mit der er sich heute vermählen wird!«

Unsrem Helden ging nun auf einmal ein helles Licht auf. Er wußte, daß unter letzerem Könige der Erlkönig gemeint war, der sich jenes Titels zuweilen bediente, und der Name des Königs von Scandinavien war ihm auch nicht unbekannt. – »Also ist alles, was mir gestern und heute begegnete, doch kein Traum?« sagte er zu sich selbst. »Edda die Braut eines Andern? Ich im Vorhofe [68] ihres Palastes, die Hochzeitfreude zu stören? Aber in dieser Gestalt, in der mich nicht einmal die geringsten Diener respektiren? – Himmel, was soll ich anfangen? O, daß ich doch die Rathschläge des Unbekannten nicht verschlafen hätte! Er wollte mir sagen, wie ich mich bei der Sache nach seinem Willen benehmen sollte, aber ich will sterben, wenn ich ein Wort davon weiß; der betrügerische Schlummer hat mich um Alles gebracht.«

Unter diesem Selbstgespräche hatte Hiolm seine Wassereimer gefüllt, und fing an, das Marmorpflaster zu besprengen.

Er war eben wieder zum Brunnen gegangen, um noch einmal Wasser zu schöpfen, als dicht an ihm, aus dem Haupteingange des Schlosses kommend, eine weibliche Gestalt vorüber strich, die er augenblicklich erkannte, und ihr einen sehnenden Blick nachschickte. Es war die schöne Thulis, die Tochter des Königs der Schneeinsel, die hinab in den Garten eilte, für ihre Freundin eigenhändig noch einige Blumen zum Brautschmuck zu pflücken. »Ja, wenn ich diese sprechen könnte!« dachte er, »doch wird sie mich auch für den erkennen!, der ich bin? Ach, meine Kleider sind es nicht allein, die mich unkenntlich machen, Noth und Kummer mögen wohl meine Gesichtszüge sehr verändert haben!«

Hiolms Befürchtungen waren indeß ganz überflüssig. Der Gram der Liebe, sagt man, vermindert die Schönheit nicht. Hiolm hatte auf seiner Insel ganz gut leben können, auch hatte er daselbst die Sorge für seine Person [69] keinesweges so ganz vernachlässigt, wie es wohl sonst die Bewohner von wüsten Inseln zu thun pflegen. Es war hier weder von langgewachsenem Barte, noch ausgezehrtem, sonnenverbrannten Gesichte, noch von trüben, verloschenen Augen die Rede. Er strich sich die dunkeln Locken, die seine Heldenstirn und die rosigen Wangen ein wenig beschatteten, aus dem Gesichte, wusch sich an dem Brunnen, gürtete das kostbare Schwert über den groben Kittel, und machte so eine zwar etwas seltsame, aber nicht ganz uninteressante Figur. –

Wie kenntlich er war, das bewies das Erstaunen der schönen Thulis, welcher er bei ihrer Rückkunft aus dem Garten gerade entgegen trat, und die bei seinem Anblicke laut aufschrie.

»Wie?« rief sie, »Hiolm von Seeland? In dieser Verkleidung? zu dieser Stunde? Wo seid ihr bisher gewesen? Daß ihr noch am Leben wäret, muthmaßten wir erst vor Kurzem; aber euer Außenbleiben, euer ewiges Außenbleiben!«

»Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn ich noch länger weggeblieben wäre,« sagte Hiolm mit einiger Empfindlichkeit. »Einer Gattin, die sich für eine Witwe hält, und zur zweiten Ehe schreiten will, kann der Anblick des ersten Gemahls am Hochzeittage nie erwünscht sein!«

»Das werdet ihr gleich sehen,« erwiederte sie. »Ich eile, euren Namen der betrübten Braut zu nennen.«

Da Hiolm von dem ungestümen Wesen der Prinzessin der Schneeinsel, das er sehr wohl kannte, Nachtheiliges [70] fürchtete, so rieth er ihr Vorsicht und Behutsamkeit an; aber diese löblichen Tugenden waren bei solcher Veranlassung weder von ihr, noch von ihrer Freundin zu verlangen. Edda saß am Putztische, als ihr die athemlose Thulis den Namen ihres verlornen Gemahls nannte, und das Entzücken übermannte die treue Gattin so sehr, daß sie, den kaum halbvollendeten Anzug, den königlichen Anstand und alle andern Bedenklichkeiten ganz aus den Augen setzend, mit aufgelößtem Haar, mit unbedecktem Busen, mit fliegendem Gewand ihrer Freundin nach, in den Marmorhof hinabeilte, wo sie den einzig Geliebten, den so schmerzlich Vermißten wiederfinden sollte.

Wie schön war sie in der Unordnung, mit welcher sie sich ihrem Hiolm in die Arme stürzte! wie schön in den Thränen der Liebe, die sie an seinem Busen vergoß! – Das ganze Hofgesinde versammelte sich, um das seltsame Schauspiel, wie sich die königliche Braut mit einem Wasserträger küßte, mit anzuschauen; auch kamen die drei Könige, der von Scandinavien, der Erlkönig und der alte König von Thule auf dem Balcon zum Vorschein, um zu sehen, was es gäbe. Sie hatten gehört, wie die beiden Damen die Treppen hinabstürzten, sie vernahmen nun das Getümmel unten im Hofe, und verließen voll Neugier die vollen Pokale, bei welchen sie immer saßen, um sich einen Anblick zu verschaffen, der wenigstens zweien von ihnen nicht erwünscht sein konnte.

Der König von Scandinavien rieb sich die Stirn,[71] der Erlkönig sprühte Funken, und nur der gute alte König der Schneeinsel hielt es für gut, sich nicht eher zu erzürnen, als bis er von der Sache näher unterrichtet wäre. Der Name Hiolm, welcher tausendmal aus dem Munde der entzückten Gattin tönte, löste sehr bald das ganze Räthsel, aber die Sache gut zu machen, war er nicht hinlänglich; bei dem Erlkönige diente er nur dazu, sie noch mehr zu verschlimmern. Seltsame Dinge würden erfolgt sein, wenn der weise Greis, der viel über den heftigen Geisterfürsten vermochte, nicht ein Wort im Ernste mit ihm geredet, und dann hinabgegangen wäre, die vierte Person bei dem seltsamen Schauspiele abzugeben.

Da sich die Identität des wiedergekommenen Gemahls nicht bezweifeln ließ, so kam gegen Abend unter Vermittlung des Königs von Thule ein Vergleich zu Stande, mit welchem alle Theile zufrieden waren, oder zufrieden sein mußten. Daß Hiolm und Edda ungetrennt blieben, forderten alle göttlichen und menschlichen Rechte. Der König von Scandinavien entsagte seiner Braut, weil ein Anderer frühere Rechte auf sie hatte, und er that es mit der besten Art von der Welt; denn er war keinesweges der böse Fürst, wie ihn Edda, deren kleiner Eigensinn ihr manchmal einen Streich spielte, ehemals ihrem Hiolm geschildert hatte. Der Erlkönig schwieg, weil er besorgte, Hiolm möchte ihn sonst der meuchlerischen That laut anklagen, in Folge deren alle diese Verwirrungen entstanden waren; aber sein Widerwille gegen diese Verbindung [72] mit einem gemeinen Sterblichen, der weder Krone noch Thron hatte, war auch in seinem Schweigen nicht zu verkennen.

Der König von Thule durchschaute ihn ganz, und da er ihn gern zufriedenstellen und das Entzücken des jungen Ehepaares noch vermehren wollte, so begann er folgendermaßen: »Ist der Held, Hiolm von Seeland,« sagte er, »zu gering, der Eidam des Königs der unbewohnten Inseln zu werden, so wird Hiolm, der Erbe des Thrones von Thule, vielleicht glücklicher sein. Die Gesetze meines Reiches schließen meine Tochter von der Thronfolge aus. Sie wird die Krone tragen, die ihr künftiger Gemahl ihr zubringt; die meinige muß ich einem Fremden überlassen. Wohlan, so sei Hiolm dieser Fremde! Er ist es zwar weder meinem Herzen noch meinem Volke, er hat sich um das eine schon so verdient gemacht als um das andere, und ich hatte ihm auch diese Belohnung schon früher zugedacht, als alle diese Dinge sich ereigneten. Heil! Heil dem künftigem König von Thule! dem Retter meiner Tochter und meines Landes! dem glücklichen tapfern Hiolm von Seeland!«

In den Ruf des guten Königs stimmten alle Großen der Schneeinsel ein, welche gegenwärtig waren, die Liebenden sanken ihm zu Füßen und nannten ihn Vater, der Erlkönig gab sich zufrieden, und der König von Scandinavien, um auch etwas Ruhmwürdiges zu thun, befahl, daß das Fest der Wiedervereinigung Hiolms und seiner [73] Edda diesen Abend mit eben der Pracht gefeiert werden sollte, als wäre es sein eignes Hochzeitfest.

Alles war nun Wonne, alles Entzücken! Der Palast tönte wieder vom Freudengeschrei, und als die Nacht einbrach, erschufen tausend angezündete Kerzen einen künstlichen Tag. Man setzte sich zur Tafel, und der König von Scandinavien überließ Hiolm von Seeland gern den Platz neben seiner Edda, denn er hatte den Seinigen neben der schönen Thulis genommen. Man lachte, man scherzte, man ließ die goldnen Pokale fleißig herumgehen, und dachte sich tausend Meilen weit vom Unglück entfernt, als es auf einmal die eiskalte hand nach den Kindern der Freude ausstreckte.

Die Gäste starrten pötzlich zu gleicher Zeit auf eine Stelle, und das, was sie erblickten, schien einen allgemeinen Schrecken, dessen Grund man sich selbst nicht ganz erklären konnte, zu verbreiten. Mitten im Saale, der frohen Tischgesellschaft gegenüber, stand ein Mann, man wußte nicht, wer er war, man wußte nicht, woher er kam. – Er nahte sich mit feierlicher Langsamkeit dem obern Theile der Tafel, wo Edda mit ihrem Gemahl saß. »Kennst du mich, Hiolm von Seeland?« sprach er, »ich bin der, durch dessen Hülfe du das gegenwärtige Entzücken genießest. Ich komme, meinen Lohn zu fordern; erinnere dich, daß du mir gestern die Hälfte des Liebsten, was du besitzest, versprochen hast!«

»Fordere,« sagte Hiolm, der sich nichts Arges versah, »fordere, ich bin bereit mein Versprechen zu halten. [74] Ich bin jetzt so reich, daß ich dir leicht die Hälfte meiner liebsten Schätze abtreten kann, ohne darum zu verarmen!« »Wohlan,« entgegnete der Unbekannte, »ich weis, daß dir auf dieser Welt nichts theurer ist, als dieses Weib und dieses Kind; ich will nicht grausam sein, wähle du selbst, welches von beiden du behalten, und welches du mir überlassen willst. – Du zögerst? Kannst du das mir gethane Versprechen läugnen?«

Edda hatte die ganze Zeit über in stummen Entsetzen dagesessen, und fand erst jetzt Worte, ihre Verzweiflung auszudrücken.

»Ein solches Versprechen konntest du thun?« fragte sie, indem sie sich zu Hiolm wandte. »Und kanntest du den, dem du es gabst? – O Hiolm! Hiolm! unvorsichtiger, blödsinniger Sterblicher! wie recht hatte ich, dir ehemals das, ›hüte, hüte dich!‹ zuzurufen. Es ist der Fürst der Insel Mona, unser alter Feind, in dessen Fallstricke du gerathen bist, vor welchem ich dich warnte, und nun, welche Macht soll dich retten? Du ziehst mich und meinen Sohn mit dir in den Abgrund hinab! Wir sind alle verloren!«

Hiolm war bei dieser Rede seiner Gemahlin mehr todt als lebendig. Allgemeines Entsetzen bemächtigte sich der ganzen Versammlung. Einige klagten laut über das kurze Glück der beiden wiedervereinigten Gatten, andere, die die Macht des Fürsten der Insel Mona nicht kannten, drohten, und noch andere boten ihm Schätze, Länder und Kronen an, um ihn zu befriedigen. Er wies Alles zurück, [75] und beharrte auf seiner Forderung. »Ich wußte wohl,« rief Edda weinend, »daß du nicht eher ruhen würdest, bis du mich zur Vergeltung für einst verschmähte Liebe gränzenlos unglücklich gemacht hättest! O Gott! wen wird nun das Loos des Elendes treffen, mich? oder dies unschuldige Kind?«

»Es ist mir lieb,« sagte der Furchtbare, »daß du die Ursache meiner Rache und die Rechtmäßigkeit derselben erkennst; doch würde die schöne Edda sehr irren, wenn sie glaubte, ich geizte noch nach ihrem Besitze. Um sie von dem Gegentheile zu überzeugen, erkläre ich sofort, daß ich sie gern ihrem Gemahle überlasse, und mit diesem Kinde, das mir gefällt, zufrieden sein will. Lebt wohl, und denkt nie an das Wiedersehen!«

Mit diesen Worten bemächtigte er sich des kleinen Hiolm, den seine weinende Mutter vergebens in ihren Armen fest zu halten strebte, und den ihr Gemahl, dem schon vor dem Verluste seiner Geliebten bange gewesen war, zwar mit Schmerzen, aber doch einigermaßen getröstet, in der Gewalt des Unerbittlichen sah.

»Tröste dich, Edda,« sagte er, »dieser Mann wird unserm Kinde kein Leid zufügen. Ob er der von dir so sehr gefürchtete Fürst der Insel Mona ist, weiß ich nicht, aber wohl weiß ich, daß er es ist, der mich zweimal dem Tode entriß und dem ich deine Wiedererlangung danke; ich kann nicht glauben, daß wir von ihm großes Unheil zu befürchten haben!«

»Ist dies deine ernstliche Meinung von mir?« fragte [76] der Fremde. Als Hiolm dies bejahte, fuhr er fort: »Nun so höre, was ich dir noch zu sagen habe: War ich dein Lebensretter, so warst du auch der meinige. Als diese grausame Prinzessin, und dieser blutgierige Tyrann, dieser Erlkönig, mir wegen meiner Liebe zu einer Undankbaren das Leben raubten, da warst du es, der es mir wiedergab, indem du mei nem Leichnam eine Hand voll Erde gönntest. Ich hatte dir Dankbarkeit, ihr Rache gelobt, und ich dachte dieses Gelübde zu gleicher Zeit zu erfüllen. Ich veranstaltete, daß ihr einander sahet. Liebe entglomm in euren beiden Herzen, – Liebe eines ätherischen Mädchen, Liebe eines gemeinen Sterblichen! Was konnte wohl Wirksameres erdacht werden, den einen zu erheben, die andere zu erniedrigen? Meine Hand war in der Folge überall bei Lenkung eures Schicksals mit im Spiele. Es ist mir so ziemlich geglückt, diese stolze Schönheit zu demüthigen, und ich leugne nicht, daß ich oft noch Schlimmeres mit ihr im Sinne hatte, als mir die Dankbarkeit gegen Hiolm auszuführen erlaubte. Mein Herz erweichte sich indeß nach und nach gegen die Undankbare, und völlig war es ausgesöhnt, als neue Liebe mich die alte, und die damit verbundene Rache vergessen ließ.

Ja, Edda, ich fühle es, ich liebe, aber nicht mehr dich, nein, deine sanfte, gutmüthige, unschuldige Freundin, die schöne Thulis. Mein heimliches Einverständniß mit Hinrich von Röschild ist euch bekannt. Sein Verstand war zu plump, als daß ich von ihm hätte völlige [77] Befriedigung meiner Wünsche hoffen können; vielleicht war auch eine höhere Hand zu Eddas Rettung geschäftig! Anstatt, daß Hinrich mir die grausame Geliebte in die Hände hätte spielen sollen, brachte er sie an einen Ort, wo ich mich nur an ihrem Anschauen ergötzen durfte. Als ich nun einst auf die Erleninsel kam, mich an Eddas Schönheit zu weiden, sah ich die holde Thulis, und fand durch sie jeden andern Reiz verdunkelt. Sie ist gegenwärtig der Gegenstand aller meine Wünsche, und kann sie sich entschließen, den König von Scandinavien mir aufzuopfern, so gebe ich euch sofort euer Kind zurück; ich hatte nichts Böses mit ihm im Sinn, ich wollte es zum Erben der Insel Mona, zum Eigenthümer der Inseln des stillen Meeres machen, die jetzt mir gehören. Aber was bedarf ich fremder Kinder, da Thulis, die schöne Thulis, mir Söhne geben kann?«

Aller Augen richteten sich bei diesen Worten auf die Tochter des Königs von Thule, die in sittsamer Verlegenheit an der Seite des Königs von Scandinavien saß, und kein Wort vorbringen konnte. Hiolm und Edda hingen an ihr mit bittendem Blick, sie wollten von ihrem Entschlusse den Besitz des kleinen Hiolm und die Freundschaft des mächtigen Fürsten der Insel Mona erflehen. Der König von Scandinavien zitterte; denn im Geheimen hatte er die schöne Thulis zu Eddas Stellvertreterin erkohren. Sein Glück stand hier abermals auf dem Spiele, und wenn es schon für den gemeinsten Sterblichen keine Kleinigkeit ist, in einem Tage zwei Bräute [78] zu verlieren, um wieviel mehr mußte ein solcher Verlust einem Fürsten schmerzen, der gewohnt war, Alles sich seinen Wünschen oder Befehlen fügen zu sehen.

Thulis zögerte, zu antworten; ach, ihr Herz hatte bereits nur allzulaut für ihren königlichen Bewerber gesprochen. Er war jung, schön und liebenswürdig, der Fürst der Insel Mona ernst, still und feierlich, und überdies ein Wesen höherer Art, mit dem nicht leicht ein Erdenmädchen gern eine Verbindung eingehen wird. Ihre Blicke wanderten ängstlich von dem kleinen Hiolm, der noch in den Armen des Furchtbaren zitterte, auf ihre Freundin Edda, aus deren Augen die Thränen häufig hervorstürzten. Ihr Herz wurde bewegt, sie gedachte des Freundschaftsbundes, den sie mit Edda geschlossen, gedachte der vielen Aufopferungen, durch die sie ihrer Freundin bisher ihre Liebe bewiesen hatte, und wollte es nicht an der letzten und größten fehlen lassen, die andern alle zu bekrönen.

Noch ein Seufzer für den König von Scandinavien, ein fragender Blick auf den König von Thule, und dann der heldenmüthigste Entschluß, dessen sich je ein Mädchen rühmen konnte, Aufopferung der liebsten Wünsche, um eine Freundin glücklich zu machen.

Sie stand auf; Niemand war, der ihre edle Absicht verkannte, am wenigsten der Fürst der Insel Mona, über dessen Gesicht sich eine seltene Heiterkeit verbreitete, und der die Bewegung, welche die großmüthige Thulis machte, für eine Aufforderung ansah, den kleinen Hiolm seiner Mutter wieder zu geben. Der König von Thule legte die Hand [79] seiner Tochter in die Hand des künftigen Schwiegersohnes, der ihm weniger mißfiel, als der zitternden Thulis. Glückwünsche, Ausrufungen des Beifalls, Danksagungen und Liebesversicherungen folgten jetzt so rasch hintereinander, daß man sich am Ende gar nicht mehr verstehen konnte.

Niemand spielte bei dem ganzen Handel eine traurigere Rolle, als der gute König von Scandinavien. Er ergriff indeß die klügste Partie, und that, da es zwischen ihm und seiner zweiten Geliebten noch nicht zu wörtlicher Erklärung gekommen war, als ginge ihm die ganze Sache nichts an. Einige behaupten sogar, er sei der erste gewesen, der die Gesundheit des neuen Brautpaares ausgebracht habe.

Das Fest wurde mehrere Tage mit allem möglichen Glanze auf Kosten des großmüthigen Königs von Scandinavien fortgesetzt. Während die meisten Gäste sich auf dem Gipfel des Entzückens befanden, gab es indeß auch einige, die die allgemeine Freude nicht theilten. Thulis, die so große Opfer gebracht, gehörte Anfangs zu diesen, doch söhnten Vernunft und Ueberlegung, so wie die heissen Danksagungen ihrer Freunde sie bald mit ihrem großmüthigen Entschlusse aus. Liebe und Dankbarkeit verschönerten ihren Gemahl mit der Zeit in ihren Augen. Was ihn an jugendlicher Anmuth abging, das ersetzte sein weiser Ernst, und der hohe Rang, den er in der Reihe der Wesen behauptete. In seinen Armen konnte sie sich Hoffnung auf Unsterblichkeit machen, während die gute Edda durch ihre Verbindung mit einem Sterblichen freilich der Vergänglichkeit entgegen reifte.

[80] Zwar genoß die Tochter des Erlkönigs lange Zeit das Glück der Liebe an der Seite ihres Hiolm, aber endlich, endlich kam doch die Zeit der Trennung. Sie entfloh der Erde früher als er, und gab ihm im Sterben jenes berühmte Geschenk, den goldnen Becher, den noch jetzt die Gesänge unserer Barden feiern.

»Gränzenlos wird dein Kummer sein, wenn du mich nicht mehr dich mit liebevoller Zärtlichkeit umschweben siehst,« sagte sie zu ihrem Hiolm, der damals schon längst die Krone von Thule trug. »Du würdest vergehen, wenn ich dir nicht ein Linderungsmittel lehrte! Nimm dieses goldne Trinkgeschirr; mit welchem Getränke es auch gefüllt sein mag, du wirst daraus Vergessenheit trinken, bis wir uns in seligern Gegenden wiederfinden, wo wir eines solchen betäubenden Mittels nicht mehr bedürfen.«

Der weinende Hiolm nahm das Geschenk seiner sterbenden Geliebten, brauchte es nach Vorschrift, und fand es probat; doch soll er es öfterer mit Wein als mit Wasser gefüllt, und sich dann allemal besser daraus gestärkt haben. Von ihm her schreibt sich die Gewohnheit der Erdensöhne bis auf unsere Tage, aus gefüllten Bechern Vergessenheit zu trinken.

Doch Hiolm trank nicht so viel, wie seine Nachfolger; Eddas Andenken war ihm zu theuer, als daß er hätte wünschen sollen, es ganz aus seiner Seele zu tilgen.

Er war derselbe König von Thule, der am späten Abend des Lebens, bei Annäherung des Todes, und nach geschehener Erbtheilung, nichts für sich behielt, als den [81] goldnen Becher. Bei dem letzten Feste der Schalen, das er auf seinem Schloß am Meer feierte, that er noch den Scheidetrunk aus dem heiligen Gefäß, warf es dann mit einer Thräne des Andenkens an die Geliebte hinab in die Fluthen, und – starb.

Mit ihm starb auch die Herrlichkeit von Thule; der junge Hiolm, den sein Großvater, der Erlkönig, als künftigen Thronfolger wenig von seiner Seite ließ, war nicht im Lande. Der Seeräuber Naddock kam von dem fernen Atlantis herüber, nahm Besitz von der verlassenen Schneeinsel, und verwandelte ihren Namen in Eisland, oder Island, unter welchem sie noch bekannt ist bis auf den heutigen Tag.

[82]

Die hamelschen Kinder, oder das Mährchen vom Ritter St. Georg

Die Engländer und Deutschen sind Brüder; unter die tausend Dinge, welche sie mit einander gemein haben, gehören auch die Personen ihrer ältesten Volksmährchen. Ihr Robien good Fellow, und unser Rübezahl, ihre Queen Mab, ihre Mutter Ludlam, und unsere Hulla, unsere weissen Frauen etc. gehören so ziemlich zu ein und derselben rühmlichen Sippschaft, und ihr Ritter St. Georg, von welchem ihre alten Romanziers 3 so viel gesungen und gesagt haben, spielt ebensogut seine Rolle in unserer Fabellehre, als in der ihrigen. Höret, meine Theuren, was die Sage der Britten und der Deutschen von ihm berichtet.

[83] Zu Coventry wohnte vor Alters ein edler Lord, Albert genannt. Den Namen seines Geschlechtes hat die Sage vergessen, doch meldet sie, daß er aus königlichem Blut gestammt habe, und giebt ihm eine Dame zur Gemahlin, deren Herkunft wenigstens nicht niedriger war.

Beide Gatten waren in der Blüthe des Lebens, als ihnen die erste Hoffnung aufging, sich beerbt zu sehen. Da sandte Albert zu allen seinen Freunden und Vasallen, zwanzig Meilen in die Runde umher, ihnen die frohe Post zu berichten, und die Vornehmsten von ihnen zu einem königlichen Mahle nach Coventry einzuladen; denn auch das hatten die alten Britten mit unsern Urvätern gemein, daß sie herzlich gern gastirten, und sicher keine Gelegenheit vorübergehen ließen, mit ihren Freunden an wohlbesetzten Tafeln die vollen Becher zu leeren. Alle nur einigermaßen wichtige Ereignisse wurden immer durch solche Feste gefeiert, bei denen es viel stattlicher und dennoch weit nüchterner zuging, als bei ähnlichen Festen unserer Vorfahren.

Dessenungeachtet war es doch schon damals gebräuchlich, daß gegen das Ende der Mahlzeit, wenn das Tafeltuch hinweggenommen, und der Tisch statt der dampfenden Schüsseln mit der Herrlichkeit des Schenktisches besetzt wurde, die züchtigen Frauen sich von der Gesellschaft der Männer in ihre Gemächer zurückzogen. Schon die Möglichkeit, daß beim Becher der Freude irgend etwas Anstößiges vorfallen könnte, machte die keuschen brittischen Grazien zittern, und diese Gewohnheit der Urältermütter [84] hat sich bei ihnen erhalten bis auf diesen Tag.

Auch Lady Winnifried, Lord Alberts Gemahlin, that wie die Frauen ihres Landes pflegten; während die Männer noch zechten, zog sie sich in ihr innerstes Gemach zurück, und warf sich, von den Anstalten zum großen Gastmahl ermüdet, (denn die Haussorge war damals noch eine Hauptpflicht der englischen Weiber, von der Pächterin an, bis auf die Königin des Landes,) und des glückwünschenden Geräusches der Gäste ein wenig überdrüßig, auf ein Ruhebette, einen kurzen Mittagsschlaf zu thun. Ihre Augen schlossen sich bald, aber kaum hatte sie eine kurze Zeit geruht, als sie, plötzlich erwachend, ein schreckliches Geschrei ausstieß. Ihre Frauen, die sich in einem Nebenzimmer aufhielten, eilten erschrocken herbei und fanden sie ohnmächtig auf dem Boden liegen.

Sie ermunterte sich bald unter ihren hülfreichen Händen, und rief einige von ihnen, die im Begriff waren, ihren Gemahl von ihrem Zufalle zu benachrichtigen, mit ernster Miene zurück. »Ich verlange,« sagte sie, »daß man von dem, was hier vorgegangen ist, schweige, und mich unter neun Tagen mit keinen vorwitzigen Fragen beunruhige.«

Frau Winnifried bewieß, daß sie sich auf das Ceremoniel in verborgenen Dingen verstand, denn der neunte Tag wird, wie bekannt, überall als der Termin angenommen, der in allen mystischen Dingen die Lippen entsiegelt.

[85] Es wurde den Frauen der Gräfin recht schwer, in einer Sache nicht zu forschen, die ihre Neugier so lebhaft reizte; da es ihnen indeß nicht verboten worden war, sich gegenseitig ihr Vermuthungen über den sonderbaren Zufall mitzutheilen, so hatten sie doch wenigstens etwas, womit sie sich bis zur gehofften Entwickelung die Zeit vertreiben konnten. Die Unerfahrensten unter ihnen deuteten auf Zufälle, die bei Damen von Winnifrieds Lage nichts seltenes wären, andere, die der Sache am nächsten kamen, auf eine schreckliche Traumgeschichte, aber die ältesten und ängstlichsten schüttelten die Köpfe und meinten, es sei damals Mittagsstunde gewesen, die der finstern Mitternacht, in welcher die Geister ihren Umgang halten, wenigstens gleich käme, und es könnte daher wohl irgend eine feindselige Elfe zu dem offenen Fenster hereingeschlüpft sein, die Ruhende ungestüm geweckt, und ihr irgend etwas Widriges von der Zukunft in das Ohr geraunt haben.

Albert merkte gleich den ersten Abend, als er seine Gäste verließ, um seine holde Gemahlin auf einige Augenblicke zu sehen, daß irgend etwas vorgegangen sein müße. Sie war des Morgens, war des Mittags bei der Tafel so heiter gewesen, jetzt ruhte eine düstre Wolke auf ihrer Stirn, ihre Augen waren roth vom Weinen, sie klagte über Kopfschmerz, und war auf keine Art zu bewegen, die Abendtafel mit ihrer Gegenwart zu zieren. – Als die Gäste das Schloß zu Conventry verlassen hatten, wurden Mylords Besorgnisse und Vermuthungen [86] immer stärker, und Mylady gestand endlich selbst halb und halb ein, daß hier etwas Außerordentliches vorgefallen sei.

»Wir haben heute Sonnabend,« sagte sie, »geduldet euch bis übermorgen, mein Trauter, und ihr sollt erfahren, was mir am Sonntag Mittag begegnet ist.«

Mit ungeduldiger Erwartung sah Albert dem bestimmten Tage entgegen, und erhielt dann unter Schluchzen und Thränen von der schönen Winnifried das Geständniß, ihr habe geträumt, sie bringe einen Lindwurm zur Welt, welcher seine Klauen wider sie selbst kehre, so daß sie auf der Stelle des Todes sein müsse.

Auf so etwas Schreckliches war Albert nicht gefaßt. Sein bleiches, gewaltig in die Länge gezogenes Gesicht, das Zittern seiner Glieder, und die zusammenschlagenden Zähne verriethen, was er bei der Erzählung fühlte. Er räusperte sich einigemal, um seine Gefühle zu verbergen, und einen Trost für die bekümmerte Gemahlin aus der Tiefe seines Herzes herauf zu holen, aber es wollte nicht glücken; ihm, der nie Verstellung geübt, stand hier auch nicht ein einziges zweideutiges Wort zu Gebote. Alles, was er am Ende vorbrachte, war, er wolle mit einigen vertrauten Freunden zu Rathe gehen, was die Sache bedeute, und was dabei zu thun sei.

Albert hatte auf der Welt keinen bessern Freund als den Abt des benachbarten Klosters, einen verständigen weisen Mann, das heißt, einen stillen Denker, der über den Aberglauben seiner Zeit erhaben war. »Herr Graf,« [87] sagte er nach einigem Bedenken, »der Traum der guten Lady deutet, wie mich dünkt, auf nichts weiter, als auf schweres Blut, oder wenn wir einen Schritt weiter gehen wollen, auf eine etwas gefährliche Niederkunft. In beiden Fällen wird nichts Besseres zu thun sein, als daß ihr einen verständigen Arzt kommen laßt, der zeitig genug mit Rath und That bei der Hand sei, Gefahr zu verhüten oder überstehen zu helfen.«

Albert ging ungetröstet nach Hause; der Rath des Abtes schien ihm in jeder Beziehung für die gegenwärtige Sache zu leichtfertig, und seine Auslegung von Winnifrieds Traum, so hoch er den Deuter auch übrigens hielt, fast freigeisterisch; doch hinterbrachte er beides seiner Gemahlin, und hatte die Freude, sie hierauf etwas beruhigt zu sehen.

Aber er selbst quälte sich Tag und Nacht mit den schrecklichsten Deutungen jener Vision. »Winnifried soll einem Geschöpfe das Leben geben,« sagte er zu sich selbst, »das zum Mörder an seiner Mutter wird? Also wahrscheinlich einem Bösewichte, der zur Schande seiner Eltern lebt? O schreckliche Ahndung, deren Erfüllung ich gern mit meinem Leben abwenden möchte! Und wie grauenvoll ist die Gestalt, welche der Traum meinem künftigen Erben giebt! – Gott und alle Heilige! ein Lindwurm! ein Drache! – wird nicht der Arge uns unter diesem Bilde vorgestellt? Kann man jener Gestalt eine andre Deutung geben, als daß derjenige, der damit gemeint ist, ein Feind Gottes und seiner Kirche, ein Ungeheuer [88] werden wird, welches das Land mit Blut und Thränen überschwemmt? O unglückliches Kind! es wäre besser, daß man dich im ersten Bade erstickte, als dich leben ließ um solch Unheil zu verüben!«

Die Zeit der Niederkunft der Gräfin war nahe, die Gefahr wurde dringender. Albert ging noch einmal zum Abte. »Ehrwürdiger lieber Herr,« sagte er, »mir kommt ein Gedanke, bessere Auskunft über jene dunkle Sache zu erhalten, als ihr mir geben könnt. Zehn Meilen von hier ist der Wald, in dessen Dunkel jene Zauberin 4 wohnt, von welcher schon unsre Voreltern so viel zu sagen wußten.«

»Bewahre Gott, Herr Graf, wollt ihr bei dem Teufel Hülfe suchen, wenn euch ein Unglück bevorsteht?«

»Nur fragen will ich, nur Auskunft haben!«

»Ich rathe euch auf keine Weise zu diesem Gange. Das Weib im Walde ist böser, heimtückischer Natur, ist falsch und habsüchtig; sie könnte sich leicht traurige Wahrheiten, oder schreckensvolle Lügen auf eine Art bezahlen lassen, die euch in jedem Falle zu theuer wäre.«

Albert schwieg, aber von seinem Vorsatze konnte ihn nichts abbringen. »Habsucht ist ja wohl zu befriedigen,« meinte er, als er daheim sich zur einmal fest beschlossenen Reise rüstete und seine Taschen mit Geld und Kleinodien wohl versah. »Auch wüßte ich nicht, welcher Preis [89] mir zu hoch wäre, meinem beängstigten Herzen Ruhe damit zu erkaufen. –«

Es wurde Nacht und er wollte seinen geheimnißvollen Weg antreten, aber vorher zog ihn sein Herz noch einmal zu seiner Gemahlin, von ihr Abschied zu nehmen. Er gab vor, er sei auf ein benachbartes Schloß als Schiedsrichter in einer ritterlichen Fehde beschieden, und sie ahndete nichts von seiner wahren Absicht. »Ach, mein Albert,« rief sie, indem sie ihre weißen Arme um seinen Nacken schlang, »wie bange wird mir während deiner Abwesenheit sein! Beträfe es nicht ein so heiliges Werk, als Friedensstiftung, ich würde dich in diesen Stunden der Noth nicht von mir lassen. Doch nein! Gehe! Gehe! mein Trauter! Laß keine Sorge dich beunruhigen! Ich bin hier in sichern Händen, das Uebrige sei dem Himmel anbefohlen.«

Die Worte der schönen Winnifried fielen zentnerschwer auf das Herz ihres Gemahls, doch was beschlossen war, das blieb. Der Graf schwang sich auf sein Roß, erreichte schnell den Zauberwald, und ließ sein Gefolge, das er nur zum Scheine mit sich genommen hatte, am Eingange desselben zurück. Er selbst stieg ab, weil kein Thier in diesem Bezirke geduldet wurde, und setzte seinen Weg rüstig weiter, bis er die ihm genau beschriebene Höhle, worin die Zauberin wohnte, von weitem erblickte. Von dem langen Wege ermüdet, setzte er sich auf einen Stein, der sich der Höhle gegenüber befand, um [90] einige Kräfte zu sammeln, und reiflich zu überlegen, was weiter zu thun sei.

Graf Albert war bei all seinem Muthe nicht ohne einige Furcht. Dieser Wald hatte seine eigenthümlichen Schrecknisse; er bestand größtentheils aus finstern Tannen und Fichten, deren kahle Stämme unten her von dichtem Gesträuch umgeben waren, welches, weil oft Jahre vergingen, ohne daß jemand hierherkam, so sehr in einander verwachsen war, daß man nur mit großer Mühe sich hindurch winden konnte. Das Grauenvollste in diesem Gehölz war aber das tiefe todte Stillschweigen; denn so wie auf der Erde kein vierfüssiges Thier wandelte, so wohnte auch auf den Gipfeln der Bäume kein Vogel. Auch das Geschrei der wandernden Schwalben und Krähen hörte man hier nimmer, weil ein geheimer Trieb sie lehrte, in ihrem Zuge diese Region zu vermeiden; nicht einmal ein Schmetterling flatterte hier, nicht ein Würmchen wand sich im Staube.

Graf Albert hing seinen Gedanken zu sehr nach, um alle diese Dinge einzeln zu bemerken, aber er fühlte ihr ganzes All in dem wachsenden Schauer, der sich seiner von Minute zu Minute immer mehr bemächtigte. Er überredete sich Anfangs, es sei bloß Müdigkeit, was ihn so lange auf seinem harten Sitz fest hielt, aber endlich fühlte er, daß es Furcht war, dem grauenvollen Wesen, das hier in schrecklicher Stille residirte, näher zu kommen; eine Furcht, die er doch endlich überwinden mußte, wenn er nicht unverrichteter Sache zurück kehren wollte.

[91] Er erhob sich langsam, er nahte sich der Höhle, aus welcher ihm ein kalter, todathmender Duft entgegen wehte; er ermannte sich, in die Höhle zu gehen, – aber, obgleich hier weder Baum, noch Strauch, noch Stein war, der den Weg versperrte, so fühlte er doch etwas, das sich ihm entgegensetzte, und das so undurchdringlich war, wie eine eherne Mauer.

Nach langen vergeblichen Bemühungen, dergleichen wir alltäglichen, in Zauberabentheuern unerfahrnen Menschen allenfalls nur in ängstlichen Träumen kennen lernen, entschloß sich Graf Albert zur Rückkehr, – da fiel ihm plötzlich ein eisernes Horn in die Augen, das an einer Kette von einer Klippe herabhing. Es war ihm, als flüstere ihm jemand in's Ohr, er habe hier das Mittel gefunden, sich dem Wesen kund zu geben, das er weder zu suchen noch zu rufen wußte.

Er setzte das ungeheure Instrument an den Mund, und es gab einen Laut von sich, schier wie Graf Otto's osenbergisches Horn, einen Ton, der in dem weit geöffnetem Schlunde der gähnenden Berghöhle gräßlich wiederschallte. – Eine lange Pause entstand, nachdem der vielstimmige Wiederhall von allen Seiten geendet hatte, und Albert war schon im Begriff, das Zeichen von seiner Anwesenheit zu wiederholen, als aus der Tiefe der Höhle eine schwache, unarticulirte Stimme, gleich dem Lallen eines dahinschwindenden Echo's ertönte.

»Das Bild eines Drachen,« so begann die Stimme, »deutet auf nichts Gefährliches; stark und unüberwindlich [92] wie diese Ungeheuer wird dein Sohn sein, und als Sinnbild ritterlicher Stärke von der Nachwelt auf Waffen und Panieren verewigt werden.«

Albert horchte gespannt, um keine Sylbe zu verlieren, und seine Seele wurde von unnennbarem Entzücken erfüllt. »Wie? – also wäre all meine Furcht vergeblich, und ich sollte der glückliche Vater eines Helden werden?« so rief er oder wollte rufen, denn er wußte noch nicht, daß hier in dieser seltsamen Luft keine menschliche Stimme hörbar war; sobald er es aber aus den wiederholten vergeblichen Bemühungen, einen Laut von sich zu geben, merkte, ergriff er von neuem das Horn, seine Gedanken in die Höhle hinein zu posaunen.

»Triumphire nicht zu sehr,« antwortete die Stimme von innen, »du erkaufst den Vaternamen mit Winnifrieds Leben.«

Bei dieser Schreckenspost sank Albert besinnungslos zur Erde, und blieb lange Zeit in diesem Zustande liegen. Als er wieder zu sich kam, erhob er sich schnell, um die Gegend, wo er das Schrecklichste, was er erfahren konnte, die Nachricht von dem nahen Verluste seiner Gemahlin vernommen hatte, so schnell als möglich zu verlassen.

Da tönte hinter ihm her abermals die Stimme aus der Höhle: »Wie? du entfernst dich, ohne zu fragen, womit du mich lohnen sollst?«

Albert, welcher nicht Lust hatte, noch einmal in das Horn zu stoßen, das in weiten Kreisen über ihm schwankte, [93] sagte, oder dachte vielmehr, das, was er auch sofort durch Zeichen äußerte: »Hier nimm Alles, was ich vor deiner Höhle ausstreue, Gold und Kleinodien, so viel ich bei mir habe, nimm, wenn du willst, auch mein Leben; es giebt nichts mehr auf Erden, was mir theuer wäre, da ich Winnifried verlieren soll.«

»Es ist gut,« antwortete die Frau aus der Höhle, die seine Pantomine oder seine Gedanken verstand, »ich werde mir meinen Lohn selbst zu nehmen wissen.«

Die Leute des Grafen kannten ihren Herrn kaum, als er wieder zu ihnen kam, so sehr hatten Furcht und Entsetzen ihn entstellt! Kaum vermochte er sich auf sein Roß zu schwingen und langsam ritt er den Weg zurück, den er so rüstig herbeigaloppirt war. Als aber Vernunft und Ueberlegung, die ihn ganz verlassen hatten, bei ihm zurückkehrten, und er es sich möglich dachte, seiner Gemahlin könne die Stunde der Entbindung in seiner Abwesenheit kommen, und er könne sie laut der Prophezeihung nicht mehr lebendig finden, da gab er seinem Pferde die Sporen, und jagte so ruhelos fort, daß ihm seine Reisigen kaum folgen konnten, und er den Weg nach Coventry wie im Fluge zurücklegte.

Als er das Schloß vom nächsten Hügel zuerst erblickte, siehe, da wehte das Todtenzeichen, die weiße Fahne, von den Thürmen, und als er näher kam, da schallte das Klagen von Winnifrieds Jungfrauen und der einförmige grauenvolle Ton des Todtenlieds in sein Ohr.

Die Dirnen stürzten ihm, als er sich in der Vorhalle [94] halbohnmächtig vom Pferde heben ließ, mit bleichen Gesichtern und gerauften Haaren entgegen. »Ach Herr!« schrien sie, »Winnifried, die schöne Winnifried ist nicht mehr! Sie erkaufte das Leben deines Sohns mit dem ihrigen; sie starb, ein williges Opfer, als sie erfuhr, daß ihr Kind nicht mit ihr leben könne!«

Albert verweinte drei traurige Tage bei dem Leichnam seiner Gemahlin, und erst am vierten, als man die Ueberbleibsel der schönen Gräfin der Erde übergeben hatte, fiel es ihm ein, nach seinem Sohne zu fragen. »Herr,« sagten die Frauen, »der fromme Abt, der unsere Gebieterin in ihren letzten Stunden tröstete, schickte den Knaben in den ersten Augenblicken seines Lebens nach dem Kloster, und gab den Weibern, die zur Pflege des Kindes bestellt waren, Dispensation, mit ihm durch die heiligen Pforten einzugehen. Wir glaubten, daß er, durch Traum oder Gesicht belehrt, solches thue, und wagten es nicht, ihm zu wehren.«

Albert, dessen verwundetes Herz sich nach Labsal sehnte, sandte eilig nach dem Kloster, seinen Sohn holen zu lassen, aber der Bote kam ohne ihr zurück. »Der Abt,« meldete er, »weigre sich, den Knaben auszuliefern, und ersuche den Grafen, selbst zu ihm zu kommen, um die Ursache der Weigerung zu vernehmen, und Befehl zur Taufe des Kindes zu geben.«

Diese Antwort befremdete dem Vater, denn er wußte noch nicht, was wir unsern Lesern jetzt mittheilen werden.

[95] Die Gräfin fühlte bald nach der Geburt ihres Kindes die Vorboten des Todes. Ein schwerer Schlummer drückte ihre Augenlieder beinahe so fest zu, als sollten sie bald auf ewig geschlossen werden. Als sie sich wieder ermunterte, sah sie den frommen Abt, den Freund ihres Gemahls, betend bei ihrem Bette stehen. Sie reichte ihm lächelnd die Hand, denn ihr brechendes Herz war noch mit lauter Liebe und Wohlwollen gegen Jederman erfüllt. Darauf ließ sie sich ihr Kind bringen, und befahl einer ihrer Dirnen, sie auf dem Bette aufrecht zu halten. »Mein Vater,« sagte sie zu dem ehrwürdigen Klosterherrn, indem sie sich bestrebte, den neugebornen Knaben in seine Hände zu legen, »nehmet ihn hin, ich kann ihn, da mein Gemahl abwesend ist, keinen bessern Händen als den eurigen anvertrauen. Bezeichnet ihn mit dem heiligen Kreuze, und laßt ihn unverzüglich in die geweihten Mauern eures Klosters bringen, denn ein böses Wesen, das dort keine Macht an ihm haben wird, trachtet, ihn uns zu entreißen. Ich habe große Dinge von ihm im Traume gesehen, Dinge, die mein schwacher Mund nicht auszusprechen vermag.«

Mit diesen Worten sank die holde Winnifried auf ihr Lager zurück, und schloß die Augen, als wollte sie eben verscheiden. Nochmals öffnete sie sie, und langte nach ihrem Kinde, es noch einmal zu küssen; darauf schlug sie die Windeln von einander und deutete, da sie nicht mehr reden konnte, auf die Mahle, mit welchen die Natur den Knaben wunderbar gezeichnet hatte. Er trug [96] unter der Herzgrube das Bild eines Lindwurms, um den rechten Arm ein goldnes Band, und auf der Brust ein rothes Kreuz. Unter heißen Thränen küßte Winnifried das Letztere, und indem sie ihre letzten Kräfte anstrengte, legte sie ihren Sohn aufs neue in die Arme des Abtes, der ihn mit kräftigen und herzrührenden Worten von ihr annahm. Er übergab ihn dann dem Bruder Bennet, welcher nebst andern Mönchen den Abt begleitet hatte und der sich augenblicklich mit den Ammen des Neugebornen aufmachte, den jungen Grafen nach seinem stillen Zufluchtsorte zu bringen. Vor und hinter dem Zuge wurde das heilige Kreuz getragen, damit der Arge an dem kostbaren Schatze keine Macht habe, und Bruder Bennet nahm das Kind, mehr aus Neigung zu ihm, als auf Befehl des Abtes, in seine besondere Hut, denn er hatte große Liebe zu dem Kindlein gewonnen, und in seinem Herzen geschworen, so lange er lebe, es vor allem Unheil zu schützen, so gut er vermöchte.

Während dessen entschlug sich die fromme Winnifried auf dem Schlosse alles Irdischen, wurde von dem Abte und seinen Diakonen zur Reise nach der Ewigkeit mit den letzten Wohlthaten ihres Glaubens versehen, und entschlief sanft und selig.

Diese Dinge wurden dem Grafen, als er nach dem Kloster kam, sich nach der Ursache des seltsamen Verfahrens des Abtes zu erkundigen, umständlich erzählt. Er billigte Alles, was geschehen war, weihte dem Andenken der entschlafenen Gräfin, die nach der Zeit mit besserm [97] Rechte, als manche andre, unter die Heiligen versetzt wurde, eine neue Thränenfluth, küßte das Kreuz auf der Brust seines Kindes, und gab ihm in der Taufe, welche sogleich im Beisein des ganzen Konvents vor sich ging, den Namen Georg, der in den folgenden Jahrhunderten so berühmt geworden ist, und es wahrscheinlich auch bis an das Ende der Welt bleiben wird.

Albert verweilte drei Tage bei seinem Freunde, dem Abte, denn er vermochte sich nicht so schnell von dem kleinen Georg zu trennen, und ging dann, nach Witwer Art etwas getröstet, wieder auf sein Schloß zurück. So lange er im Kloster gewesen war, hatte keine verdächtige Macht Theil an ihm. Nicht einmal ein ängstlicher Traum durfte seine Ruhe in der Wohnung der Heiligkeit stören.

Jetzt, da er wieder auf seine Burg kam, war das ganz anders. Nicht allein weckte der Anblick der Gegenden, wo die entschlafene Geliebte gewandelt hatte, wo sie gelebt und wo sie gestorben, seinen Kummer auf's neue, sondern auch die schauervollen Begebenheiten im Walde kamen ihm wieder in den Sinn, die er über den Verlust seiner Gattin bisher so ganz vergessen, daß er auch noch nicht einmal mit dem Abte ausführlich darüber geredet hatte. Im Grunde scheute er sich auch, mit ihm davon zu sprechen, da er den Weg zu der Zauberin so ganz wider seinen Rath und Willen unternommen hatte. Sein Leiden vollkommen zu machen, mußten ihn auch noch bei mittäglichem und mitternächtlichem Schlummer finstre Träume umgaukeln. Kaum schlossen sich seine Augen, [98] da stand eine kleine zusammengeschrumpfte Gestalt vor ihm, welche eher einem Schatten, als einem wirklichen Wesen glich, und die sich ihm durch die Worte, die er schon im Walde gehört hatte, als die Zauberin der Höhle vorstellte. »Gieb mir meinen Lohn!« keuchte sie mit kaum hörbarer Stimme, »wo nicht, so werde ich mir ihn selbst nehmen!«

»Und was verlangst du?« ermannte er sich einst, sie zu fragen.

»So alt ich bin,« war die Antwort, »so bin ich doch eine Freundin der Jugend; ein solches Kind wie das Deinige stünde mir schon an.«

»Weiche von mir, du verfluchter Geist!« schrie Albert bei diesen Worten, »willst du mir das Herz aus dem Leibe reißen? Willst du mir das einzige rauben, woran noch mein Leben hängt?«

»Gut! gut!« flüsterte sie im Verschwinden, »giebst du nicht, so nehme ich ihn selbst.«

Albert kam in Folge dieser nächtlichen Erscheinungen so von Kräften, daß zu befürchten war, er könne, wenn er noch länger auf solche Weise gequält würde, endlich seiner abgezehrten Verfolgerin ähnlich werden. Der Abt sah seinen heimlichen Kummer, sah das Dahinschwinden seiner Kräfte, fragte und wurde berichtet.

Dem leidenden Grafen wurden die Verweise geschenkt, die er wegen der eigenwilligen Verwerfung wohlgemeinten Rathes verdient hatte. Er sagte es sich ja selbst oft genug, daß er dadurch, daß er sich mit dem Zauberweibe einließ, sie zu Ansprüchen auf sich berechtigt habe, deren [99] er hätte entübrigt bleiben können. Der kluge Abt schonte den Bekümmerten, und bemühte sich nur, ihn zu trösten. Alle geistliche Mittel wurden angewendet, den Angefochtenen von seinen nächtlichen und täglichen Besuchen zu befreien, weder Beschwörungen noch Weihwasser wurde geschont, bis endlich die Ruhe auf dem Schlosse zu Coventry wieder hergestellt war, und Albert sich rühmen konnte, mehrere Nächte ohne den Anblick des ängstigenden Gesichtes ruhig geschlummert zu haben. Der Abt hatte wegen seines Unglaubens an mystische Dinge hierbei das wenigste gethan, aber eine desto größere Rolle spielte hier der Bruder Bennet, welcher den kleinen Georg noch immer unter seiner Aufsicht hatte, und auf dessen Rath es auch geschehen, daß man seinen Aufenthalt im Kloster, der erst nur wenige Wochen hatte dauern sollen, immer weiter ausdehnte.

Ueberhaupt war man über die Zeit, wenn das Kind die geweihten Mauern verlassen könnte, noch gar nicht einig, bis endlich folgender Vorgang entschied und den Vater bestimmte, seinen doch offenbar zu ritterlichen Thaten bestimmten Sohn dem Kloster gänzlich zu schenken.

Bruder Bennet war bei dem redlichsten und frömmsten Herzen ein rechter Wundermann; sein Glaube und seine Kraft in geheimen Dingen waren gleich groß. Er verstand sich auf Träume, Gesichter und Weissagungen, bannte Geister und heilte Kranke, und zwar dies Alles keinesweges als ein Betrüger, sondern als einer, dem wirklich [100] von höherer Hand, wie in damaligen Zeiten noch geschehen sein soll, solche Gabe verliehen war.

Seine größte Stärke bestand in der Sterndeuter-Kunst. Graf Albert wußte dies, und nahm sich vor, sein Talent in Abwesenheit des Abtes zu benutzen, um wo möglich über das Schicksal seines Sohnes, das ihn unablässig bekümmerte, etwas Näheres zu erfahren.

Bennet verstand sich leicht zu dem, was ihm selbst am Herzen lag, Er trug seine Geräthschaften zusammen, ließ sich von dem Grafen die nöthigen Data sagen, und fing an, mit solchem Ernste zu arbeiten, daß er in mehreren Nächten nicht der Ruhe genoß.

Albert sah dem Resultate der Forschungen des Bruder Bennet mit größter Ungeduld entgegen, entsetzte sich aber nicht wenig, als der Nativitätensteller ihm folgenden Bericht abstattete:

»Herr Graf,« sagte der Mönch, »ich habe wohl in meinem Leben sonderbare, und große Arbeiten dieser Art unternommen; aber über keine bin ich so oft ermüdet, als über die gegenwärtige. Entweder die Gestirne spotten meiner, oder eurem Sohne sind Dinge vorbehalten, welche wohl nicht leicht einem andern Menschen beschieden waren – Dinge, von welchen ich offenbar nur die Anfangsbuchstaben weis, da Alles so verwickelt, so räthselhaft, so widersprechend herauskommt, daß ich glaube, wir hätten besser gethan, die ganze Nachforschung zu unterlassen. Höret selbst, was eurem Sohne in der Zukunft beschieden ist, sehet, wie ihr klug daraus werdet, und fraget [101] mich nicht weiter. Ihm ist beschieden lange Jugend ohne ihre Freuden, hohes Alter ohne seine Beschwerlichkeiten, ein Leben, das die Gränzen des gewöhnlichen weit übersteigt, und doch ein Tod mitten im vollen Besitze der männlichen Kräfte. Er soll ein Eremit, und ein Ritter, ein Fürst, und ein Bettler sein, und die Tafel der Gestirne drängt dies Alles in so wunderliche Zeiträume zusammen, daß ich hier die Gränzen meiner Kenntnisse sehe. Was seine gegenwärtigen Verfolgungen von der alten Feindin anbelangt, die auf ihren Raub lauert, so ist nur ein Mittel, denselben unbezweifelt zu entgehen. Euer Sohn darf nämlich unsere Klostermauern nie verlassen; läßt er sich je einen Schritt außerhalb derselben betreten, so ist er wahrscheinlich für euch auf immer verloren, denn auch hier zeigt sich eine Klippe, wo mein Wissen abermals scheitert. Die Gestirne sagen, daß ihr, im Falle eines solchen Verlustes euern Sohn zwar noch als Kind wieder umarmen werdet, gleichwohl aber setzen sie diese Zeit des Wiedersehens so weit hinaus, daß ihr, jetzt ein Mann in der Blüthe des Lebens, dann gewiß ein hundertjähriger Greis sein würdet. Reimt euch dieses zusammen, wenn ihr könnt, und sagt mir eure Meinung.«

Graf Albert vermochte jedoch trotz allem Grübeln den dunkeln Ausspruch so wenig zu deuten, als Meister Bennet, und Alles, worüber sie am Ende völlig einig wurden, war die Nothwendigkeit, den jungen Herrn zum Klosterleben zu bestimmen, da die Kunst schlechterdings keinen [102] Zeitpunkt namhaft machte, in welchem er außerhalb der geweihten Mauern sicher wäre.

»Ach,« seufzte der Graf, »man hat Beispiele genug von dergestalt verfolgten Kindern, aber die Zeit ihrer nothwendigen Einkerkerung hatte doch immer ein Ziel! Einem waren funfzehn, dem Andern zwanzig Jahre bestimmt, und bei einem dritten hing das Ende seiner traurigen Bestimmung von irgend einem Zufalle ab, der sich, so seltsam er auch ausgesonnen sein mochte, doch irgend einmal ereignen konnte; aber hier? – Verfolgung ohne Ende! – Ach, daß ich meinen zu Heldenabentheuern bestimmten Sohn in einem Kloster begraben, und daß ich einst, von seinem Ruhme unerfreut, ohne Hoffnung, durch ihn in Enkeln und Urenkeln wieder aufzuleben, die Augen schließen soll!!«

Der Graf konnte dem Abte das, was er abermals hinter seinem Rücken vorgenommen hatte, dennoch nicht verschweigen. Dieser zuckte die Achseln, zog ein wenig die Augenbraunen und – sagte nichts. Eine feine Art sich bei einer Sache, zu welcher man nichts zu sagen weis, aus dem Handel zu ziehen! Indessen war er doch, trotz seiner freien Denkungsart, in Dingen, welche damals Glaubensartikel ausmachten, nicht so wenig Mönch, daß er zu Alberts frommen Entschlusse, dem Himmel das zu schenken, was er in der Welt nicht zu bergen wußte, auch geschwiegen hätte. O nein! er fand die Absicht des Grafen ganz frei und löblich, und versprach, alles mögliche zu thun, dem heranwachsenden Georg, dem Jüngling [103] und dem Manne, so weit sein eignes Lebensziel reichte, den Stand, den sein Vater für ihn gewählt hatte, so angenehm als möglich zu machen.

Mit trauriger Ergebung sah nun der Graf ein Jahr nach dem andern verfliegen; er genoß oft die Gesellschaft seines Sohnes, aber seine Schönheit, sein Verstand, und der Heldengeist, welcher sich, wie er älter wurde, in seinen kleinsten Handlungen äußerte, erregten Empfindungen in ihm, die nie ohne Bitterkeit waren. Ach, was sollten alle diese Vorzüge einem Geschöpfe, dessen ganze Bestimmung war, in einem Bezirke von etlichen tausend Schritten ein ganzes langes Leben hindurch zu vegetiren?

Sieben Jahre waren auf diese Weise verstrichen, als sich folgender Vorfall ereignete, der des Grafen bisherigen Kummer unendlich vermehren sollte. Der Knabe Georg war gewohnt, seinen Vater täglich zu sehen, und nicht allein die Liebe zu ihm, sondern auch schon ein dunkles Vorgefühl der langen Weile, die er einmal lebenslang in der Gesellschaft der alten Klosterherrn fühlen sollte, bewirkte, daß er die Stunde, wo Graf Albert den Hügel herauf kam, immer mit Ungeduld erwartete. Seit man dem herangewachsenen Knaben seine Wärterinnen genommen hatte, war die Aufsicht, die man über ihn hatte, eben nicht die strengste. Es war unmöglich, daß die steifen langsamen Mönche, die überdies bald zu meditiren, bald Messe zu lesen hatten, dem feurigen Georg überall auf den Fersen sein konnten, und ohne den Gehorsam, den man jungen Leuten nirgend besser als im Kloster einprägen[104] kann, wäre Georg vielleicht längst einmal über die verbotene Gränze gegangen, und hätte versucht, wieviel sich ohne Gefahr wagen ließe. Man wußte, wie weit man ihm hierin zu trauen hatte, und gestattete ihm daher, allemal am Gitter des äußern Hofes seinen Vater zu erwarten. Der Gang in den Hof selbst war stark verpönt, weil man jenen Bezirk nicht ganz für sicher hielt, denn in demselben wohnten schon halb weltliche Leute, der Schaffner und Amtmann des Klosters, und andere Personen, welche das Band ausmachten, das die geistlichen Herren mit der übrigen Welt zusammen hielt.

Eines Tages stand der kleine Georg an der Gränze des geheiligten Ortes, und schaute in den Vorhof der Heiden hinaus, um den sehnlichst erwarteten Vater gleich bei seinem Erscheinen zu bemerken. Jetzt knarrte die äußere Klosterpforte in ihren Angeln, das Klirren der Schlüssel des Pförtners, und das Schweigen seines Hundes deutete auf des Erstern Rückzug in seine Klause, und schon kam Graf Alberts geliebte Gestalt aus der dunkeln Tiefe des Eingangsgewölbes zum Vorschein. Georg hüpfte vergnügt auf, und wäre seinem Vater gern entgegengelaufen, wenn ihm dies nicht verboten gewesen wäre, doch öffnete er leise das Gitterwerk, hinter welchem er stand, um den Kommenden desto schneller einzulassen. Graf Albert, der ihm von weitem zulächelte, war jetzt schon unter den großen Nußbäumen, die die Mitte des einsamen menschenleeren Hofes beschatteten – da fuhr plötzlich aus dem niedern Gesträuch, welches jene Bäume umgab,[105] eine mächtige Schlange hervor, welche sich um den Fuß des Kommenden wand, und ihm, der unbewehrt war, einen Angstruf auspreßte. Georg, der seinen Vater in Gefahr glaubte, verlor gleich alle Fassung, vergaß Regel und Observanz, und sprang mit einem kleinen Stabe, den er immer zu tragen pflegte, und mit welchem er im Klostergarten schon manche Schlange getödtet hatte, herzu, seinen Vater zu befreien; aber noch hatte er nicht die Stelle erreicht, wo Albert sich verzweifelt gegen seinen Feind wehren mußte, als er sich von unsichtbarer Hand ergriffen und hinweggeführt fühlte, so daß der Graf, der sich in dem nämlichen Augenblicke seines Gegners, entledigt hatte, sich vergebens nach ihm umsah, und in Folge des plötzlichen Verschwindens seines Sohnes gleich ein Unglück ahnte, das diesen auch wirklich betroffen hatte.

Anfangs äußerte sich des Grafen Schrecken blos durch dumpfes Hinstarren, und seltsame Zweifel, ob er wache oder träume, bald brach er aber in laute Klagen aus. Er nannte tausendmal Georgs Namen! Sein Geschrei rief die Bewohner des Klosters herbei, und der Hof war jetzt, wo es zu spät war, bald so voll vor Menschen, die Hülfe leisten wollten, als er im Augenblicke der Gefahr leer gewesen war.

Man brachte den ohnmächtigen Grafen in das Innere des Klosters, er erholte sich, und fragte die um ihn herumstehenden Mönche ängstlich nach seinem Sohne, weil er zu hoffen begann, seine Augen könnten ihn betrogen [106] haben, und der Anblick sowohl, als das schnelle Verschwinden des Kindes, sei Täuschung gewesen; aber man versicherte, daß der Knabe, wie gewöhnlich, Dispensation erhalten habe, seinen Vater zu erwarten, und daß er seiner schon lange mit bewunderswürdiger Geduld am Gitter geharrt habe, wie mehrere der hin und hergehenden Mönche gesehen haben wollten. Darauf erzählte der Graf den ganzen Vorgang mit der Schlange, und als die Mönche den Umstand von der Ueberschreitung der geweihten Gränzen hörten, da kreuzten sie sich, und versicherten, daß bei so bewandten Sachen alle Hoffnung vergebens sei, und ein einziger Augenblick, wie oft geschieht, die Vorsicht sieben langer Jahre vernichtet habe.

Der Graf wurde durch den Ausspruch der Mönche zur Verzweiflung getrieben; er verschmähte die Tröstungen des Abtes, kehrte sofort nach seinem Schlosse zurück, und überließ sich dort ganz einem verzehrenden Grame, der durch jedes verunglückte Bestreben, sein verlornes Kind wieder in seine Arme zu bringen, oder nur seinen Aufenthalt auszukundschaften, fürchterlich vermehrt wurde.

Der Graf versuchte alles, um seinen Endzweck zu erreichen, er wagte sich selbst mehrmals in den Wald, und ließ seinen Verdacht, und seine Klagen vermittelst des Horns in die Höhle ertönen; aber es erfolgte hier weder Antwort noch Trost, und es schien in der Folge, als wenn seine öftern Besuche der Zauberdame lästig würden, weil sie ihm auf einmal den Weg nach ihren Regionen so unzugänglich machte, daß er die Höhle nimmer [107] finden konnte, und immer von Dornen zerritzt, von herabstürzenden Felsen getroffen, blutend und mit Beulen bedeckt nach Hause kehren mußte.

Viel Jahre vergingen auf diese Art, bis es endlich dahin kam, daß der Graf den im Anfange seines Verlustes gefaßten Entschluß, die Welt zu durchwandern, und seinen Georg zu suchen, gezwungen ausführen mußte. Er, den sein Unglück tiefsinnig und träumerisch gemacht hatte, begann seine Angelegenheiten ganz zu vernachlässigen, und er wäre zeitig ein Raub der Habsucht seiner Diener, und Nachbaren geworden, wenn ihn nicht des Abtes und Bruder Bennets weises Zureden noch zuweilen aus dem Schlummer geweckt hätte. Die Zeit behauptete indeß ihre Rechte; die guten Mönche, welche beide bei Georgs Geburt schon hoch in die Jahre waren, konnten das gewöhnliche menschliche Lebensziel nicht überschreiten; sie starben beide schnell hintereinander, und hinterließen den armen Grafen ganz freund- und rathlos in der Welt. So viele Jahre auch seit dem Verluste seines Sohnes vergangen waren, so dachte er doch immer nur an ihn, und gab durch Vieles, was ihn dieser Gedanke unternehmen ließ, seinen Feinden Veranlassung, ihn für wahnsinnig zu erklären. Einer der vorzüglichsten Hasser des unglücklichen Mannes war der nunmehrige Abt des Klosters, dem einige Güter Graf Alberts ganz besonders anstanden. Er vereinigte sich mit dem Erben der Güter und Titel Lord Alberts, der, da kein Sohn vorhanden war, schon lange seine Anschläge zu baldiger Antretung [108] seiner Rechte insgeheim gemacht hatte. Man unterhandelte mit einander, man wurde einig, und so geschah es, daß Graf Albert, durch das Zeugniß des Abtes bei Hofe wegen Schwachsinnigkeit angegeben, bald darauf für unfähig erklärt wurde, seine Güter länger zu verwalten. Diese wurden seinem Neffen überwiesen und ihm aufgegeben, den Oheim an einem sichern Orte standesmäßig zu versorgen.

Zu zaghaft und schüchtern, sich zu widersetzen, zu klug, sich fangen zu lassen, überließ der Graf seinen Feinden Güter und Titel, nahm ein Ansehnliches von Gold und Kleinodien mit sich, kaufte sich die Kleidung eines Eremiten – (für den Bart hatte die Natur, und die jahrelange Vernachläßigung der Toilette schon gesorgt) und trat eine ruhelose Wanderung an durch alle Theile der Welt, wo er zwar nirgend das fand, weshalb er umherzog – den verlornen Sohn – aber doch das, was die Zeit endlich allemal mit sich bringt, Vergessenheit, oder wenigstens minderes Gefühl vergangener Leiden.

Als er über funfzig Jahre dergestalt sein mühseliges Pilgerleben hingeschleppt hatte, kam er endlich auf den Einfall, wieder in sein Vaterland zu ziehen, und unter dem nämlichen Himmel zu sterben, wo er zuerst geathmet hatte. Seine erste Wahl fiel auf die Gegenden seines ehemaligen Schlosses, aber die Sitten, die jetzt sowohl daselbst, als in dem benachbarten Kloster herrschten, waren von der stillen frommen Sitte seiner bessern Tage, die er hier verlebt hatte, so ganz verschieden, daß er [109] sich voll Unwillen hinweg wandte, und sich entschloß, lieber in der wildesten Einöde, lieber in dem Zauberwalde zu leben, als hier, wo der Herr auf dem Schlosse, der Sohn seines Verdrängers, und der Abt im Kloster stündlich Ungerechtigkeiten ausübten und ihre Tage in Schwelgerei verbrachten.

Nach langer Wahl, nach langem mühsamen Umhersuchen nach einem ruhigen Plätzchen für einen lebensmüden Wanderer, blieb er endlich wirklich bei keinem andern Orte stehen, als bei dem Walde, wo er sein erstes unglückliches Abentheuer bestand. Ihm war es jetzt nicht mehr darum zu thun, die Zauberhöhle zu suchen, und in das ehrne Horn zu stoßen, wozu er schwerlich mehr Athem genug gehabt haben möchte; er suchte nur eine geräumige, sichere Höhle, die von dem Aufenthaltsorte der Zauberin möglichst weit abgelegen, und bequem genug wäre, ihrem Bewohner zum kurzen Aufenthalte, und dann zum Grabe zu dienen. Er fand sie in einer Gegend des Waldes, die er noch nie besucht hatte, so schön, als er sie nur hätte wünschen mögen. Wenige Schritte davon entfernt rieselte ein Silber-Quell, Holz war genug da, die erstarrten Glieder eines mehr als achtzigjährigen Greises durch ein sanftes Feuer zu beleben, Wurzeln genug, seinen sparsamen Tisch zu besetzen; auch standen auf einer nahen Anhöhe zwei alte Bäume, mit herrlichem Obste beladen, den Nachtisch an Festtagen zu schmücken, und den langen Winter mit Vorrath zu versorgen.

[110] Albert jauchzte laut auf, als er sein Eden sah; er versprach sich hier am späten Abend des Lebens noch heitere Sonnenblicke und er fand sie. Ruhe nach der Arbeit, Rückblick auf überstandene Leiden, Hoffnung einer bessern Welt, machten sein Glück aus. Der Tag ging unter leichter Arbeit und unter weisem Nachdenken, die Nacht unter süßen Träumen hin. Seine Phantasie zeigte ihm Scenen, deren Herrlichkeit er nicht auszusprechen vermochte; schilderte sie ihm ja etwas von Dingen diesseit des Grabes, so waren auch diese Bilder lieblich; sie zeigte ihm dann die geliebte Winnifried in unverblüthem Jugendglanze, und seinen verlornen Sohn als lächelndes Kind, wie er ihn zuletzt umarmt hatte.

Dieser letzte Traum kam unglaublich oft, und seine Vorstellungen gränzten so nahe an Wahrheit, daß den guten Alten oft nur das Ungereimte in dem Wahne, den, welchen er vor länger als funfzig Jahren verloren hatte, als Kind wieder zu finden, von dem Glauben zurückhielt, er habe nicht träumend, sondern wachend seinen Sohn umarmt.

Eines Abends, bei Sonnenuntergang, als er nachdenkend vor seiner Höhle saß, kam ihm, wie er meinte, der gewöhnliche Traum vor die wachenden Augen. Ein holdes Kind drängte sich von der westlichen Seite des Waldes durch das Gebüsch. Vom rothen Abendstrahl geblendet, sah er es anfangs nur als eine dunkle Gestalt, bald aber erkannte er die Züge desjenigen, den im Traum und Gedächtniß so deutlich schilderten. »Mein Sohn!« [111] rief er, und breitete die Arme nach ihm aus. »Wie? du zögerst? Holde Gestalt! warum bringt dich mir der Traum diesmal nicht näher? – Aber wie? träume ich auch? – Ist es nicht Wirklichkeit, was ich erblicke?«

Dann raffte sich der Alte auf, und ging auf das kleine Wesen zu, das er freilich nicht für seinen Sohn halten konnte, dessen Anblick ihm aber doch wegen der Aehnlichkeit mit jenem Entzücken in's Herz strömte.

»Mein Kind!« rief er, indem er den kleinen Fremdling näher trat, »wer bist du, und wie kommst du hierher in diesen wilden Wald?«

Die kleine Gestalt antwortete herzhaft, aber in einer fremden Sprache.

Noch ein Versuch des Alten, sich dem Kinde durch Worte verständlich zu machen, und die nämliche unbefriedigende Antwort.

Thränen brachen aus Alberts Augen. »Ist dieß ein Gesicht,« rief er, »so ist es das peinigendste, das ich je erblickte! Warum bringt mir das Schicksal eine Gestalt vor die Augen, welche so schmerzliche Gefühle erweckt, und raubt mir die Möglichkeit, mich mit dem, der sie trägt, zu unterhalten! O Georg! Georg! die Wunde war verharrscht, warum muß sie jene Erscheinung von neuem aufreißen!«

Der Knabe hatte sich von dem Alten losgemacht, um an den Sträuchen Beeren zu sammeln; jetzt, da er den Namen Georg nennen hörte, kam er eilig herbei, als werde er gerufen. Der Strahl der untergehenden[112] Sonne fiel auf sein schönes Gesicht, und auf die offne Brust, und ließ auf jenem die ganze Fülle bekannter Gesichtszüge, auf dieser ein rothes Kreuz sehen.

»O Gott!« schrie der Alte, und sank auf seine Kniee, »was sehe ich! O Himmel! laß diese Vision ewig dauern, es ist, es ist mein Georg! Komm, geliebtes Kind, komm an mein Herz, ehe die neidische Wirklichkeit meine Freuden stört.«

Der Knabe schmiegte sich mit dem holden Lächeln der Kindheit an die Brust des Greises, und wiederholte schmeichelnd seinen eignen Namen, als bäte er, ihn nochmals mit demselben zu nennen. Und tausendmal nannte ihn Albert, denn er fand jetzt, indem er das Gewand des kleinen Fremdlings noch mehr enthüllte, unter seinem Herzen das Bild des Lindwurms, und um seinen Arm das goldene Band, womit die Natur seinen Sohn so wunderbar gezeichnet hatte.

Der Knabe ließ diese Untersuchungen willig zu, und vergalt sie mit tausend Liebkosungen. Man unter hielt sich noch lange in verschiedenen Sprachen, die einer so wenig, als der andere verstand, aber die Geberdensprache ersetzte alles, und man war vollkommen mit einander zufrieden.

Die Nacht brach ein, der Mond ging auf; die Unterhaltung wurde matt. Der Alte, voll Besorgniß, sein schönes Gesicht doch endlich verschwinden zu sehen, erwehrte sich des Schlafes, so gut er konnte, weil er erwarten mußte, beim Erwachem sich in seiner gewohnten [113] Einsamkeit zu befinden; endlich aber behauptete doch die Natur ihre Rechte, und er entschlummerte, wie der Knabe schon vorher gethan hatte.

Um dem ungläubigen oder zweifelnden Leser hier zurecht zu helfen, liegt es mir ob, die Zeit des Schlummers meiner Helden zu benutzen, um ihm Dinge mitzutheilen, die wohl unter die aller wunderbarsten im ganzen Fabelreiche gehören.

Als vor länger als funfzig Jahren – von dem Zeitpunkte an gerechnet, bis wohin wir in unserer Geschichte gekommen waren – die Zauberin des Waldes sich endlich des kleinen Georg bemächtigt hatte, dem sie sieben Jahre lang vergeblich nachgestellt, da brachte sie ihn in ihre Höhle, legte ihn auf weiches Moos, und wiegte ihn, der ohnedem von der schnellen Luftreise halb betäubt war, in einen sanften Schlummer.

Der Entführung des kleinen Georg lagen von Seiten der alten Hexe, wie man ihr zutrauen wird, sehr eigennützige und selbstsüchtige Absichten zu Grunde. Zwar hatte sie sich einst gegen Lord Albert gerühmt, eine Freundin der Jugend zu sein, aber diese Freundschaft hatte ihre guten Gründe und zielte keinesweges auf das Wohl derer, welche sie zu sich nahm.

Es ist kein leerer Wahn, daß das Zusammenleben mit der aufblühenden Jugend das welkende Alter stärkt und diesem neue Kräfte giebt. Die Zauberin wußte dies so gut, als irgend ein Kenner der Geheimnisse der Natur; daher war sie seit der Zeit, wo sie die erste merkliche [114] Abnahme ihrer Kräfte zu spüren begonnen, bemüht gewesen, immer junge Knaben und Mädchen bei sich zu haben, durch deren Gesellschaft, Pflege und Anblick sie einige Rückschritte in ihre bessern Jahre zu thun hoffte. Es erfordert indeß geraume Zeit, eine solche Verjüngung zu bewirken, und da die Gefangenen der Zauberin entweder mächtige Freunde im Feenreiche hatten, die sie schnell frei machten, oder selbst List und Schlauigkeit genug besaßen, der unbehülflichen Alten, deren Macht nicht unbeschränkt war, zu entlaufen, so war diese nach vielen misrathenen Kuren endlich, wie weiland Jungfrau Echo, fast bis auf einen Schatten, bis auf einen Hauch herabgekommen. Da fiel es ihr ein, sich ein Kind in völliger Unbekanntschaft mit der übrigen Welt zu erziehen, und sich auf diese Art ihres Raubes auf immer zu versichern.

Da bei dergleichen Experimenten der Einfluß des Alters auf die Jugend nicht gegenseitig ist, und das Schicksal den, der in die Hände der Zauberer geräth, und bliebe er viele hundert Jahre in denselben, in Betreff der körperlichen Entwickelung nicht einen Schritt weiter vorwärtsrücken läßt, so konnte sie hoffen, an dem gestohlnen oder geschenkten Kinde ein ewiges Arkanum zu haben, durch welches sie sich endlich völlig wieder verjüngen müßte.

Als sie noch mit diesem Gedanken umging, führte ihr der Zufall Graf Albert zu, und das Loos des Unglücks fiel auf seinen Sohn. Sie besaß ihn nun, und hielt ihn sorgfältig in ihrer Höhle, wo er nichts zu thun [115] hatte, als sie täglich neunmal anzuhauchen, und ihre Schattengestalt fortwährend in einem nahen Brunnen zu baden.

Leicht war die Arbeit, aber nicht angenehm, und hätte Georg nicht mit der Kindergestalt auch den völligen Kindersinn behalten, so möchte sie ihm wohl für die Länge unausstehlich geworden sein. Um sich seiner in diesem Punkte völlig zu versichern, und allen Ueberdruß oder Unmuth bei ihrem kleinen Gesellschafter zu verhüten, fand die Zauberin es noch für gut, ihn jeden Abend mit den Worten in den Schlummer zu lallen: Schlaf! und vergiß, was heute geschehen ist! Daher geschah es, daß das arme Kind funfzig lange Jahre hindurch, alle Tage und alle Wochen, das nämliche lästige Werk verrichtete, ohne den Widerwillen dabei zu empfinden, welcher bei völliger Erinnerungskraft unvermeidlich gewesen wäre. Gern hätte sie den geraubten Knaben um alles Andenken an die Vergangenheit betrogen, aber dies war ihrer Kunst unmöglich. Obgleich der lange Aufenthalt bei ihr den größten Theil der in den ersten sieben Jahren seines Lebens empfangenen Eindrücke verwischten, obgleich, da die Zauberin mit dem Kinde nie in einer andern, als ihrer Muttersprache, der arabischen, redett, selbst die Fähigkeit, sich seinen Landsleuten verständlich zu machen, verschwand, so blieben von allen Dingen, die er ehemals gesehen, gewußt, geliebt und gekannt hatte, doch noch immer Spuren genug übrig, die [116] oft, zum größten Verdruß der Hexe, schnell zum Vorschein kamen.

Unter die Dinge, welche Georg nie vergessen konnte, gehörte sein eigner Name und der Name seines Vaters; er hörte auf keinen andern, als den ersten, und brachte oft, besonders in der letzteren Zeit, halbe Tage damit hin, Höhle und Wald von seinem Namen wiederhallen zu lassen.

Es waren traurige Jahre, die Georg auf diese Art verlebte, aber eben seine Bezauberung machte, daß er nicht den zehnten Theil von ihren Schrecknissen fühlte. Er genoß selbst eine Art von Glück, wie es der unwissenden Kindheit eigen ist, und gewann Neigung gegen die, welche ihm, ohne daß er es wußte, soviel Unrecht angethan hatte.

Die so lang gebrauchte Jugendkur blieb bei der Zauberin nicht ohne Wirkung; mit dem fünf und zwanzigsten Jahre derselben war es schon sichtbar, wieviel ihre Form an Festigkeit gewonnen hatte, und zu Ende des funfzigsten hatte sie schon das Ansehen eines guten Mütterchens von mäßigem Alter. Ja sie konnte jetzt schon täglich an ihrem Stabe aus der Höhle schleichen, um sich mit ihrem kleinen Wundarzte, der nie von ihrer Seite ging, in der Sonne zu wärmen. Georg unterhielt sie dann mit dem gewöhnlichen Geschwätze der Kindheit, oder er erhielt Erlaubniß, Blumen zu pflücken, so gut sie diese traurige Gegend darbot, oder Bäume zu erklettern, oder sich in der Quelle zu baden, wo sie dann ihren Platz in der[117] Nähe nahm, um den Knaben immer in den Augen zu behalten, und sich indessen an dem Gedanken ihrer künftigen ferneren Verjüngung zu weiden. Sie sah sich schon im Geiste wieder blühend und schön, und war nicht übel willens, dann den Knaben Georg zum Jünglinge, und sich zu seiner Geliebten zu machen; schöne Luftschlösser, die bald auf einmal zusammen stürzen sollten!

Es ist bekannt, daß alle Feen einer gewissen Fatalität unterworfen sind, welche sie, nach Maasgabe ihres Ranges, immer in längern oder kürzern Zwischenräumen betrifft, und für sie oft die Quelle mannichfachen Unglücks wird. Auch diese Zauberin mußte sich gefallen lassen, des Jahres dreimal das, was ihr von der Menschengestalt übrig war, mit der Gestalt einer Schlange zu vertauschen, und es dem Zufalle zu überlassen, was ihr in dieser traurigen Epoche begegnen könnte. Georg hatte diese Verwandlung oft wahrgenommen, sie schien ihm etwas sehr unbedeutendes zu sein, wie es mit allen Dingen geht, die uns oft vor die Augen kommen, und er wunderte sich nur, daß mit seiner Gestalt nie eine Veränderung vorging.

Um des kleinen Georg während der Zeit der Verwandlung, die stets nur einen Tag dauerte, gewiß zu sein, besorgte die Zauberin immer einen wohlthätigen Schlaf, der unsern Georg allemal kurz vor oder nach dem geheimnißvollen Vorgange überfiel, und so lange dauerte, bis sie ihn wieder in ihrer eignen Gestalt erwecken konnte.

[118] Sie konnte, wie alle Damen ihres Gelichters, die unglückliche Zeit, die sie so vielen Fatalitäten aussetzte, wohl ungefähr voraussehen, aber Tag, Stunde und Minuten genau zu berechnen, war ihr unmöglich, und es geschah daher, daß sie einst von derselben gerade in dem Augenblicke überrascht wurde, als Georg im Bade war, und sie am Rande des Bächleins saß und sich an süßen Träumen von der Zukunft ergötzte.

Die Hand des Schicksals ergriff sie mitten in ihrem Tiefsinn; sie wurde schnell zur Schlange, und Georg, anstatt, wie sonst immer geschah, bald darauf Neigung zum Schlafe zu empfinden, blieb munter und fuhr fort, im Wasser zu plätschern. Die Schlange krümmte sich am Ufer, zischte und funkelte mit den Augen. Georg verstand nicht, daß diese Pantomine ihm befahl, aus dem Wasser zu steigen, nach der Höhle zu gehen, und daselbst, weil diesesmal der Schlaftrunk für ihn vergessen worden war, sich bis zur Rückkunft seiner Gesellschafterin ruhig zu verhalten.

Er fühlte sich in diesen Augenblicken freier, als jemals; ein geheimes Gefühl sagte ihm, er sei jetzt ganz sein eigner Herr, und er überlegte schon eine Menge, ihm sonst verbotener Knabenstreiche, die er nach Endigung des Bades vornehmen wollte, als plötzlich ein Mann mit einem wilden braunen Gesichte aus dem Gebüsch trat, die sich noch immer windende und zischende Schlange durch die Berührung einer Haselruthe steif machte, und sie dann in einen Sack zu andern Schlangen steckte. Der Mann [119] war ein Rattenfänger, und bediente sich jener Ungeheuer entweder blos, um beim Pöbel Aufmerksamkeit zu erregen, oder um wirklich durch sie Ratten und Mäuse zu vertreiben.

Georg wurde durch den Anblick einer Menschengestalt, dergleichen ihm in funfzig Jahren nicht vor die Augen gekommen war, so erschreckt, daß er ein lautes Geschrei ausstieß. Kaum erblickte der Räuber der Schlange den wunderbaren Knaben, der durch seine Schönheit, und die seltsamen Mahle, die jetzt bei seiner Nacktheit ganz sichtbar waren, wohl Aufmerksamkeit erregen konnte, so sprang er herbei, um auch ihn zu fangen.

Georg war indeß gewandter, als der Rattenfänger; er entschlüpfte ihm, nahm im Fliehen seine Kleider, die am Ufer des Baches lagen, mit sich, und lief dann so schnell waldeinwärts, daß der braune Mann ihm auf den verschlungenen Irrgängen nicht folgen konnte, und endlich, der Verfolgung müde, mit seiner Beute, der wunderschönen Schlange, vergnügt einen andern Weg einschlug.

Der Knabe wanderte den ganzen Tag umher, ohne die Höhle der Zauberin finden zu können; er tröstete sich jedoch bald darüber, so wie über die Entführung seiner Gefährtin, und was ihn anfangs beunruhigte, war bald völlig vergessen. Ihn ergriff ein seltsames Gefühl von Wohlbehagen, das erste Bewußtsein der Freiheit. Wie viel Unbequemlichkeiten mit dieser Freiheit für eine so kleine Person, wie er war, verbunden waren, ahnte er nicht; [120] denn obgleich er nur allein in diesem Walde mehr als funfzig Sommer erlebt hatte, so besaß er doch nur den Verstand eines siebenjährigen Kindes, und der gegenwärtige Augenblick, wo er aus der Gewalt seiner Räuberin befreit war, kettete sich genau an den, in welchem er vor einem halben Sekulum seinem Vater entrissen worden war. Seine Bedürfnisse waren übrigens so einfach, daß er sie leicht befriedigen konnte, und keinen Mangel zu leiden brauchte. Wurzeln und wilde Beeren hatten ihm zur Nahrung gedient, und diese fand er hier bei jedem Schritte. Auch bedurfte es für ihn keiner weichen Betten, um den Schlaf herbei zu rufen; die kalte feuchte Höhle war funfzig Jahre lang sein Nachtlager gewesen, und er fand gleich in der ersten Nacht, daß es sich auf dem grünen Rasen, dem weichen Moose und unter dem sternenbedeckten Himmel weit besser ruhte, als in der finstern Höhle.

Drei Tage hatte er auf diese Weise verlebt, als er am Abend des letzten sich in eine unbekannte Gegend verirrte. Das Gesträuch war hier noch mehr in einander verwachsen und undurchdringlicher, als an den Stellen des Waldes, wo er bisher sich aufgehalten hatte, aber von fern zeigte sich ihm ein Gegenstand, welcher ihn reizte, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Ein Strauch mit lockenden Beeren, der auf einer Anhöhe stand, zog seine Augen auf sich; er wollte und mußte von diesem verführerischem Obste kosten. Mit großer Mühe drängte er sich durch das Gebüsch, und stand auf einmal in der Gegend, [121] wo der Einsiedler Albert am Eingange seiner Höhle saß, und sich im Abendstrahl der Sonne wärmte.

Der Knabe stutzte ein wenig, doch das ehrwürdige Gesicht des freundlichen Greises und ein geheimes Etwas im Innersten seiner Seele machte, daß sein anfänglicher Schrecken schnell in andere, süßere Empfindungen überging. Man bewillkommte sich, man sprach mit einander, und obgleich Georg den Einsiedler so wenig verstand, als dieser ihn, so faßte er doch Vertrauen und Zuneigung zu ihm, und bald erweckten die Liebkosungen des Alten unnennbar freudige Gefühle in ihm.

Das Maaß seiner süßen Empfindungen voll zu machen, mußte Albert noch seinen Namen nennen. Er rief »Georg« und Georg tönte es in des Knaben Herzen wieder. Plötzlich verließ er den Strauch mit seinen verführischen Beeren, der ihn hierher gelockt hatte, und den er eben zu plündern begonnen; er hing sich an den Arm des Alten, der sich liebkosend zu ihm herabbeugte, er schmiegte sein Gesicht an seine Wangen, und wiederholte, Georg! Georg! als flehe er, noch einmal so genannt zu werden!

Doch was wiederhole ich diese Dinge? Meine Leser sind Zeugen der ganzen Scene gewesen, bis dahin, wo der Schlaf die Oberhand über die wache Zärtlichkeit gewann, und Albert, indem er seine gefaltenen Hände um den in seinem Schooße ruhenden Knaben schlang, sein Haupt gleichfalls zum Schlummer neigte.

Voll Sorge, oder vielmehr in der Gewißheit, beim Erwachen das nicht wieder zu finden, was er für Vision [122] hielt, entschlief er. Dieser Gedanke gab Veranlassung zu unruhigen Träumen; der Greis fuhr schnell vom Schlafe auf, und, welches Entzücken, als er das Ebenbild seines Sohnes noch immer neben sich sah! Der Mond schien dem Kinde hell in das Engelsgesicht, das Herz schlug sichtbar unter dem rothen Kreuze, es war noch ganz dieselbe Gestalt, zu der er sich so sehr hingezogen fühlte. »O Himmel!« rief Albert, »sollte dieses wirklich, wirklich kein Traum sein? – Aber Traum, oder nicht! es bleibt doch immer eine Unmöglichkeit, daß ich in diesem Engel etwas anders als das Ebenbild meines verlornen Sohnes umfasse; er selbst kann, kann es nicht sein! –«

Jetzt fing Georg an, im Schlafe zu sprechen; unverständliche Worte, von denen der Eremit nichts verstand, als den Namen Albert. – »Albert?« wiederholte er, »wer hat ihm meinen Namen nennen gelehrt! – Die Sache übersteige die Gränzen der Möglichkeit noch so sehr, so kann sie doch wohl durch ein Wunder zur Wirklichkeit werden, und wenn sie es wäre, wenn in der Wahrheit mein Sohn, mein eigner, mir so kenntlicher Sohn, mir am Abende des Lebens wiedergeschenkt würde!

Er noch ein Kind, ich ein fast hundertjähriger Greis, war es nicht eben das, was Bennets Prophezeiung sagte?«

Mit Hoffen, Grübeln und Zweifeln über die alte, fast vergessene Weissagung des Mönchs, ging die Nacht hin. Der Morgen brach an, und sein Strahl, der sonst, wie bekannt, jede Täuschung zerstreut, vermochte nichts [123] über die geliebte Gestalt, vor deren Verschwinden dem Eremiten noch immer bange war. Georg erwachte, und schmiegte sich, ganz mit der liebkosenden Art, die Albert ehemals an ihm gewohnt war, um seine Kniee; er stand dann auf, und stellte sich mit der Geberde eines Erzählenden vor den Eremiten. Seine in fremder Mundart vorgebrachte Geschichte war lang; sie betraf einen Traum, den er diese Nacht gehabt hatte, und in dem der Name Albert fleißig vorkam, der völlig genügte, den Alten mit neuem Entzücken zu erfüllen. Er antwortete dem kleinen Erzähler in der Sprache seines Landes, dieser horchte aufmerksam zu, und schien sich zu bemühen, das Gesagte zu verstehen.

Was heute und viele folgende Tage nicht glückte, war für die Zukunft aufbehalten. Schlafende Ideen erwachten stufenweise in der Seele des Knaben, längst vergessene Begriffe entwickelten sich; was er ehemals wußte, konnte er mit Hülfe seines zärtlichen Lehrers leicht wieder lernen, und als erst das Mittel, sich verständlich zu machen, die gemeinschaftliche Sprache, wiedergefunden war, so enthüllten sich alle Geheimnisse. Es dauerte nicht lange, so konnte Albert den Knaben mit der völligen Gewißheit, er sei sein Sohn, an sein Herz drücken. Bei Georg kehrte mit der Wiedererlernung seiner Muttersprache die Erinnerung an die Vergangenheit zurück, die bisher, durch so lange Jahre und die Zauberkünste seiner Feindin verwischt, ihm nur in den stillsten und heitersten Stunden wie ein Schattenblid vorgeschwebt hatte. Wer hat [124] nicht – so sagt hier unser Urschreiber, der wohl ein wenig der Schwärmerei nachgehangen haben mag, – wer hat nicht in seinem Leben etwas Aehnliches erfahren? Wer findet, wenn er genau auf sich selbst merkt, nicht Spuren von dunkler Erinnerung an entweder längst vergangne, oder vielleicht gar nicht in das gegenwärtige Leben gehörige Dinge, welche sich erst in bessern Welten völlig entwickeln müssen? – Etwas Aehnliches widerfuhr unserm Georg; die Zeit der Betäubung war für ihn vorüber, der Zauberschleier war zerrissen, er sah hell, wo er vorher im Dunkeln tappte, und sein Vater, zu dessen Füßen er oft mit kindlichem Entzücken saß, war es, der ihm seine Begriffe aufklären half.

Der Gestalt nach war und blieb Georg ein Kind, dessen Körper sich nur so langsam entwickelte, als es in den ersten zarten Jahren gewöhnlich ist; aber sein Geist, so lange er auch durch Verwahrlosung der Hexe ungepflegt geblieben war, reifte schneller zur Vollkommenheit. Er lernte schnell denken, und wie ein Erwachsener sprechen, lernte die lange, im Zauberwalde verlorne Zeit betrauern, und sich nach besserer Anwendung des Lebens sehnen.

»Sie wird dir nicht angerechnet werden, diese dir abgestohlne Zeit,« sagte oft tröstend sein Vater zu ihm; »siehe, die Zukunft breitet sich, laut der Weissagung, so reich an Thaten vor dir aus, als wenn noch kein halbes Seculum über deinem Haupte entflohen wäre, und du erst jetzt im Anbeginn deines Lebens stündest.«

[125] Georg pflegte diesen Trost mit Thränen und mit dem Wunsche zu beantworten, daß nur auch die Zeit der Thaten schnell erscheinen, und sein Körper schnell emporwachsen möge, um dieselbe zu nützen.

»Sie nützen zu können, wenn sie erscheint,« war Alberts Antwort, »hast du noch viel zu lernen, und das Schicksal hält dich vielleicht nur darum nach in den Schranken der Kindheit zurück, um dir Muße hierzu zu geben.«

Diese weise Belehrung war für den Knaben eine Aufforderung zu einem unermüdeten Bestreben nach Vervollkommnung in Allem, was ihm sein Vater lehren konnte; und Albert lehrte ihm Tugend, Frömmigkeit und Ritterpflicht, lehrte ihm Weltkenntniß, wobei ihm seine eigene, jetzt mehr als neunzigjährige Erfahrung sehr zu Statten kam. Auch vergaß er nicht, ihm nebenbei die Thaten der alten Helden zu erzählen und dadurch den Trieb der Nacheiferung in Georgs Herzen zu einer Flamme anzufachen, die fast so stark für ihn war, die bei den Fesseln, die er trug, den Fesseln der langsam fortschreitenden Natur, ihn hätte verzehren können.

»Mein Sohn,« sagte Albert eines Tages, »dein Schicksal macht mir Kummer; ich muß schnell darauf denken, es zu verbessern, ehe die Hand des Todes, die schon oft bei mir anklopfte, mich dir entreißt, und dir deine einzige Stütze, den einzigen Vertheidiger und Zeugen deiner Rechte raubt. Ach, diese Rechte, diese großen Ansprüche deiner Geburt, warum mußte ich sie vernachlässigen? Ich muß Alles versuchen, sie dir wieder zu geben, [126] nur ist die schwere Frage, wie dieses geschehen soll.«

Georg meinte, nichts sei leichter als dieses. »Unsre Geschichte,« sagte er, »hat bei allen ihren Sonderbarkeiten so viel unverkennbare Zeugnisse der Wahrheit, daß wir nichts zu thun haben, als uns dem Könige zu zeigen. Der Erzählung unserer Abentheuer wird unmittelbar die Ueberzeugung, und dieser die Wiedereinsetzung in unsere Güter und Titel folgen.«

»Und welches sind die Beweise,« erwiederte der Eremit mit Achselzucken, »auf die du dich stützen willst?«

»Der Ernst der Wahrheit in eurem Munde, die Mahle, mit welchen mich die Natur zeichnete, und von welchen, wie ihr mir gesagt habt, bei meiner Geburt im ganzen Lande viel Redens war. Rechnet hierzu die Kleinigkeit, daß Georg etwas mehr Verstand zeigt, als seine Kindergestalt mit sich bringt –«

»O, mein Sohn, dein Verstand ist noch immer der Verstand eines Kindes, das beweißt dein gegenwärtiges Urtheil! Du kennst die Welt nicht. Man wird uns hören, und uns doch nicht glauben, oder man wird glauben, wird es auch vielleicht eingestehen, daß man überzeugt ist, aber – statt der gehofften Gerechtigkeit wird heimliche Nachstellung, wird vielleicht der Tod unser Loos sein.«

Was der erfahrne Alte voraussah, das geschah. Albert konnte den ungestümen Bitten seines Lieblings endlich nicht länger widerstehen. Er zog mit ihm nach Hofe, [127] wo ihm sein ehrwürdiges Ansehen, und die Schönheit seines Begleiters wirklich baldige Audienz beim Könige verschafften.

Auch mochte es ihm wohl etwas genützt haben, daß er sich bei Hofe keinesweges den Anschein eines Gnadesuchenden gab, und Anfangs sein Anliegen verschwieg. Die großen Herrn verstatten ja demjenigen, der ihre Hülfe nicht zu bedürfen scheint, noch am ersten Zutritt.

Als aber der Eremit sein Anliegen vortrug, als er seine, wir bekennen es, selbst uns fast unglaubliche Geschichte erzählte, sich für den, vor so vielen Jahren verschollenen Graf Albert, und den Knaben an seiner Seite, für seinen Sohn und Erben ausgab, da verlachte man ihn höhnisch, und es fehlte nicht viel, daß man ihn für wahnsinnig erklärte. Noch schlimmer wurde die Sache, als Albert Beweise beibrachte, woraus hervorging, daß er wirklich der war, für den er sich ausgab, und als er hierauf ernstlich auf Wiedereinsetzung in seine Güter drang. Man sah jetzt bei Hofe wohl ein, daß man ihn nicht ohne Weiteres abweisen konnte, man versicherte ihm daher, daß man die Sache untersuchen wolle, und daß man ihm, wenn sich seine Angaben als richtig und wahr erweisen sollten, rechtliche Hülfe nicht versagen würde. Man zog hierauf heimlich Erkundigungen ein, man schlug in den Jahrbüchern von Conventry nach, und als man fand, daß Alles, was der Graf ausgesagt hatte, Wahrheit war, und daß eine genaue Untersuchung der Sache sich zu Gunsten der Hülfesuchenden herausstellen würde, [128] da beschloß man die Armen aus dem Wege zu räumen. Glücklicherweise wurden diese jedoch von einem redlichen Manne, der sich ihrer bei Hofe angenommen hatte, noch zeitig genug von dem ihnen bevorstehenden Schicksale benachrichtigt, so daß sie ihren Feinden entkamen, als schon das meuchlerische Schwert für sie geschliffen war.

»Mir ahnte, was uns begegnet ist,« sagte Albert auf der ersten sichern Station ihrer Flucht; »als ich an den Hof kam, sah und hörte ich noch mehr, was mich von meinem thörichten Unternehmen hätte abbringen sollen. Der König ist mehr mit seinem Schwerte, als mit Handhabung der Gerechtigkeit beschäftigt, in seinem Rathe behauptet der unrechtmäßige Besitzer unsrer Güter eine der ersten Stellen, und der Abt des Klosters zu Coventry ist – königlicher Beichtvater. – Was können wir hier hoffen? Laß uns fliehen, mein Sohn, und sehen, ob wir in andern Ländern mehr Gerechtigkeit, oder wenigstens mehr Mitleid für deine traurige Lage finden, welche mir am meisten am Herzen liegt. Meine Absicht ist, dich den Händen irgend eines großen Herrn anzuvertrauen, ihm deine Geschichte zu erzählen, und ihn um Behauptung deiner Rechte, oder auch nur um Schutz für deine hülflose Kindheit anzusprechen, bis du das Ritterschwert führen, und dir selbst helfen kannst, wo du dann nicht vergessen wirst, vorerst dem Lande, das dich aufnimmt mit Leib und Leben ritterlich zu dienen.«

Zur damaligen Zeit gab es außer dem Könige von England keine größern Herrn in der Welt, als den[129] König von Frankreich und den deutschen Kaiser. Albert zog jetzt zu dem ersten, und fand daselbst ganz die Aufnahme, die dem ritterlichen Charakter der Nation und der Sitte jener Zeiten angemessen war.

Mit der größten Huld wurden die beiden Pilger empfangen; ihre Geschichte fand bei den Freunden des Wunderbaren vollen Glauben. Der König versprach mehr, als die Fremdlinge forderten; die Ritterschaft schwur, die Rechte Graf Alberts und seines Sohnes im nächsten Turniere gegen alle Widersprecher zu behaupten, und die Damen waren entzückt über die Schönheit des Kindes, in welchem eine männliche Seele wohnte.

»Laß uns fliehen, mein Sohn,« ermahnte hier der weise Albert abermals. »Die Versprechungen sind hier zu verschwenderisch, die Speere zu leicht, und die Liebkosungen zu übertrieben, als daß wir ihnen trauen könnten. –« Und sie flohen und hinterließen den französischen Romanziers Stoff zu den schönsten Liedern. Ehe sie noch die Gränzen erreichten, ertönte schon ihr Name von tausend Lippen, und eine Dame, welcher nicht die Mähr vom Graf Albert und Georg bekannt gewesen wäre, würde alle ihre Ansprüche auf den guten Ton verwirkt haben.

Die Reisenden kamen nach Deutschland. Das Reich hatte damals an Rudolph von Habsburg einen guten und löblichen Kaiser, von dem sich alles hoffen ließ, wenn man nur so weit gekommen war, daß die Stimme der Klage sein Ohr erreichte. Aber eben seine Bereitwilligkeit, zu helfen, machte dieses schwer; er war von Bittenden [130] zu sehr umlagert, und seine Umgebungen thaten alles Mögliche, um dem Wohlthätigkeitssinne ihres Herrn, den sie am liebsten für sich in Anspruch nahmen, dadurch zu steuern, daß sie die Hülfesuchenden unter diesem und jenem nichtigen Vorwande abwiesen. Dazu kam noch, daß das Bestreben Rudolphs, noch am Abend seines Lebens so viel als möglich Gutes zu stiften, seinen Aufenthalt stets ungewiß bleiben ließ; er war überall und nirgends, ließ oft den königlichen Mantel und den Reichsstab, nebst seinem Namen in irgend einer großen Stadt, während sein eignes wohlthätiges Selbst unerkannt, und also auch von dem Nachruf ungerühmt, in den benachbarten Gegenden Wohlthaten ausstreute, oder die Handhabung der Gerechtigkeit belauschte.

Der Graf und sein Sohn wollten und wußten den Kaiser selbst sprechen. Lange Zeit irrten sie in dieser Absicht umher, kamen bald an Orte, wo der Kaiser zwar gewesen, die er aber schon verlassen hatte, bald wieder an solche, wohin er erst kommen sollte, und nirgends fanden sie ihn.

Durch das Gerücht auf tausendfache Art irre geleitet, erfuhren sie endlich als gewiß, daß die Stadt Hildesheim sich jetzt der Gegenwart des Kaisers erfreue. – »Gott gebe, daß wir ihn dort finden,« sagte der Greis, »denn, o mein Sohn, schon längst fühlte ich das allmäliche Dahinschwinden meiner Kräfte, jetzt fühle ich noch mehr, fühle, daß es mit mir schnell zu Ende geht! O, was wird aus dir werden, wenn mich der Tod übereilen sollte, ehe ich dich treuen Händen anvertraut und dein Schicksal gesichert [131] hätte? – Doch meine Rede ist thöricht, und meine Sorge fast lächerlich; du ruhst in Händen, welche dein Schicksal sichern, und die die großen Dinge, zu welchen du bestimmt bist, durch dich vollbringen werden, auch wenn ich in diesem Augenblicke die Augen zum ewigen Schlafe schliessen, und dich in dieser Einöde, ein einsames freundloses Kind, hinterlassen sollte.«

Die Reisenden befanden sich zu der Zeit in einer damals noch unbebauten Gegend, wo heut zu Tage das Dorf Boroz unweit der Stadt Hameln liegt. Kaum hatte der Graf seine Rede geendet, als ein Unglück über die armen Pilger hereinbrach, welches, obgleich es die eben gesagten hoffnungsvollen Worte geradezu zu widerlegen schien, doch den Glauben dessen, über dessen Lippen sie gingen, nicht wankend zu machen vermochte.

Aus dem nahen Gebüsch sprangen zwei Räuber hervor, die sich durch das sehr mittelmäßige Aeußere der beiden Reisenden nicht abschrecken liessen, bei ihnen Raub von Gold und Silber zu suchen. Sie fanden auch Beides, denn Alberts Sparsamkeit hatte noch immer etwas von dem Schatze, den er vor vielen Jahren mit auf die Flucht nahm, übrig behalten, freilich nur so wenig, daß ihnen bei dem eingeschränktesten Leben doch schon Mangel drohte, wenn sich Gott nicht bald ihrer erbarmte.

Albert gab willig hin, was er nicht vertheidigen konnte; als aber die Räuber sich auch seines Sohnes bemächtigen wollten, um ihn mit sich wegzuführen, da setzten sowohl er, als auch der kleine Georg sich heldenmüthig zur Gegenwehr. Der schwache Greis und das [132] noch nicht neunjährige Kind würden indeß in dem ungleichen Kampfe gegen zwei starke Männer bald unterlegen haben, wenn nicht Hilfe erschienen wäre.

Die Justiz der Stadt Hameln stand damals in gutem Rufe; Raub und Unfug konnte in ihren Distrikten selten ungeahndet getrieben werden; der Stadtmeister hielt immer eine gute Anzahl junger wehrhafter Bürger auf den Beinen, welche dem unheilstiftenden räuberischen Gesindel zeitig auf der Spur waren. Hier kamen indessen die Diener der hamelschen Gerechtigkeit doch fast ein wenig zu spät, denn die Gegner unserer beiden Helden hatten schon beinahe alles Böse verübt, was sie hier verüben konnten; die ganze Baarschaft der Angefallenen war in ihren Händen, und Albert hatte in dem ungleichen Streite eine Verletzung erhalten, welche seinen dünnen Lebensfaden schnell abzureissen drohte. Alles was die unverhoffte Erscheinung der hamelschen Helfer mit ihren weit in die Ferne blinkenden Waffen Gutes stiftete, war, daß sie die Bösewichter veranlaßte, schnell mit ihrer Beute zu entfliehen, ohne daß sie sich Zeit nahmen, ihre Streiche auf den Vater zu erneuern, oder ihre räuberischen Anschläge auf den Sohn auszuführen.

Die Männer fanden den Knaben knieend an der Seite seines blutenden Vaters, indem er sich vergebens bemühte, den Strom seiner Thränen zu hemmen, und sein Jammergeschrei zu unterdrücken, damit ihm keines der letzten gebrochenen Worte des geliebten Greises entginge.

[133] »Mein Sohn,« stammelte dieser, »ich fühle es, ich sterbe. Ich habe dir beim letzten schnellhereinbrechenden Abschied wenig zu sagen, denn, Gott Lob! die Lehren der Tugend und Frömmigkeit sind in dein Herz geschrieben; also nur noch einige Regeln der Klugheit: Vertraue dich Niemand, von dem du nicht überzeugt bist, daß er dir gewiß helfen kann. Dein Verstand und dein Wissen übersteigt das, was man einem neunjährigen Knaben, der du zu sein scheinst, mit Wahrscheinlichkeit zutrauen kann; verhehle deine Vorzüge, sie würden dir nur Neider und Feinde erregen. Bleibe ein Kind, bis sich dein Schicksal ändert; die Mahle, die du auf deiner Brust, und am Obertheil deines rechten Armes trägst, verhülle sorgfältig, denn – doch wir werden gehört! – das übrige ein andermal!«

Aber dieses andremal kam nie; zwar leisteten die Reisigen der Stadt Hameln dem verwundeten Albert alle mögliche Hilfe, verbanden ihn wohl und trugen ihn sanft und vorsichtig den nicht weiten Weg nach ihrer Stadt, aber noch denselben Abend schlug sein letztes Stündlein, und kaum war es ihm noch vergönnt, seinen verlassenen Sohn dem Stadtmeister zu empfehlen und diesem für alles Gute, was er der armen Waise erzeigen würde, die reiche Vergeltung des Himmels anzukündigen.

Die obrigkeitliche Person, welcher der kleine Georg von seinem sterbenden Vater anvertraut wurde, war ein Mann, schlecht und recht, bieder und ehrlich, gerade mit so viel Verstand begabt, als zur Gerechtigkeitspflege in [134] seinem Distrikte erforderlich war. Daß er nicht derjenige war, von welchem die Aenderung seines Geschicks abhing, und daß er sich ihm also nicht vertrauen dürfe, dies leuchtete Georgen frühzeitig ein. Seine Hoffnung beruhte auf keinem Geringern, als auf dem Kaiser, sein Dichten und Trachten ging Tag und Nacht auf nichts, als wie er zu seinem Thron hindurchdringen könnte, und er hörte mit Entzücken, daß man den Kaiser bei seiner Rückkehr von Hildesheim ganz sicher zu Hameln erwarte, und schon mit Ernst an den Vorbereitungen zu seinem Empfange arbeite.

Solcher Vorbereitungen sind vornemlich in Gegenden, welche selten einen Fürsten sehen, garviel und mancherlei; Wegebessern, Triumphbogen errichten, Inschriften ersinnen, Reden auswendig lernen, alles dieses kam auch hier an die Reihe. Aber das Hauptsächlichste und leider das Schwerste betraf die Herrichtung des alten Schlosses, auf welchem man kaiserliche Majestät beherbergen wollte, ungeachtet es in der Stadt nicht an einigen neuern und bequemern Häusern fehlte, welche sich zu einem Absteigequartier für den Kaiser besser eigneten, als jener unförmliche Steinhaufen, der seit zweihundert Jahren, da einmal ein Graf darauf residirt hatte, keinen andern Bewohner kannte, als Unken und Eulen, Ratten und Mäuse, welche in ungeheurer Menge und Größe hier zu finden waren.

Ueberhaupt hatte die Stadt Hameln das Unglück, mit den beiden letzten Gattungen dieses Ungeziefers ganz besonders heimgesucht zu sein, und es ging eine Sage [135] unter dem Volke, daß, als vor drei bis vierhundert Jahren die Mäuse zu Mainz des Landes verwiesen, und in den Bann gethan worden, weil sie den Bischof Hatto gefressen hatten, sich hierher gewendet hätten, um daselbst ihr ewiges Reich aufzuschlagen.

Georgs Pflegevater, der Stadtmeister, der wie wir ihm im Vorbeigehen nachsagen müssen, mehr Zuneigung für das ihm anvertraute Kind hegte, als sonst verlassene Waisen bei Fremden zu finden pflegen, hatte jetzt keine größere Sorge, als wie er vorgemeldetes Stadtübel schnell tilgen, oder wenigstens auf dem Schlosse, das jetzt schon die kaiserliche Burg heißen mußte, dergestalt beschränken könnte, daß kaiserliche Majestät nicht dadurch beunruhigt oder gar veranlaßt würde, der guten Stadt Hameln übel zu wollen.

Die Sorge des Biedermannes war nicht so leicht zu heben, denn die Mittel, welche man schon seit so vielen Jahren fruchtlos gebraucht hatte, das schädliche Mäuseungeziefer zu vertreiben, blieben auch jetzt unwirksam, und eben an dem Orte, den man am meisten gereinigt zu sehen wünschte, ereigneten sich die verdrießlichsten Beispiele von der Obergewalt, die die Feinde hier gewonnen hatten.

Sie schienen das alte Schloß als ihre eigenthümliche Residenz anzusehen, gingen ohne Scheu bei hellem Tage auf den schallenden Treppen, lagen in den alten goldgestickten Prunkbetten, und saßen auf Heerden und in Backöfen, wie weiland König Pharaos Frösche Das Allerärgste zeigte sich aber, als der Magistrat Anstalten machte, die [136] alten vermoderten Tapeten aus der wüsten Halle nehmen zu lassen, die man zu Rudolfs Schlafgemach bestimmt hatte, denn in dem morschen Tafelwerk wimmelte alles von den verhaßten Geschöpfen, und als sie jetzt, durch das Geschrei der vielen anwesenden Menschen erschreckt, sich zu regen und auseinander zu laufen begannen, da schien ihre Anzahl in die Tausende vermehrt. Jedem der Zuschauer begann vor Hattos Schicksal zu grauen, und der Flucht der Mäuse folgte eine eben so übereilte Flucht ihrer Feinde, nur daß die ersten im Besitz ihrer gewählten Residenz blieben, und sich in den ihnen wohlbekannten Schlupflöchern bargen, da hingegen die andern das Schloß voller Entsetzen verliessen, und es, indem sie das große Thor mit sieben Schlössern verwahrten, für incurabel erklärten.

An ebendemselben traurigen Abende, da die Herren des Rathes noch eine besondere Sitzung über die Frage hielten, was nun zu thun sei, betrat die Feldmark der Stadt Hameln ein Mann, welcher sich rühmte ein großer hocherfahrner und glücklicher Rattenfänger zu sein. Ein Bauer, der diesen Tag in der Stadt gewesen war, hörte seine Rede, trug dem Wundermann die dasige allgemeine Noth vor, und führte ihn, als er sich willig finden ließ, hier zu helfen, des andern Tages in den Morgenstunden in die Mauern der Bedrängten ein.

Georg, der sich eben mit mehreren Knaben seiner Bekanntschaft in einem Teiche badete, der damals nahe vor den Thoren der Stadt war, sah den Fremden kommen, [137] und nahte sich dem Ufer, um zu hören, was das Geschrei des Mannes, der seine Thaten ausrief, und die Menge des ihm begleitenden Volkes zu bedeuten habe. Da er aus den verwirrten Stimmen nicht klug werden konnte, fragte er einen der Näherstehenden, was hier vorgehe, und wer der Mann sei, der soviel Aufsehen errege. Man nannte ihm den barbarischen Namen Thilo Hallad, den sich der Marktschreier gab, und der den Fragenden um nichts klüger machte.

»Wer aber bist du denn?« fragte Thilo Hallad, der in diesem Augenblicke stehen blieb, und den Knaben unverwandt ansah. »Mich dünkt, ich erblicke dich heute nicht zum erstenmal?« Georg schwieg und schauerte in sich zusammen, er wußte selbst nicht warum. Er bemerkte darauf, daß der Fremde mit immer steigender Verwunderung stechende Blicke auf das rothe Kreuz heftete, welches in Folge seiner leichten Badekleidung, nebst den andern Mahlen ziemlich sichtbar war. Er erröthete, vielleicht blos aus Beschämung über seine Blöße, vielleicht auch weil ihm der Befehl seines Vaters einfiel, die wunderbaren Zeichen, mit denen ihn die Natur begabt hatte, wohl zu verhüllen, und er erschrack, diesen Befehl hier ganz außer Acht gelassen zu haben. Er hatte nicht daran gedacht, daß er hier andern Augen ausgesetzt war, als denen seiner einfältigen Badegefährten, welche, so oft er sich auch mit ihnen in diesem Teiche gebadet hatte, sich doch so wenig über jene Zeichen an seinem Körper verwundert hatten, daß er ihrer kaum selbst mehr bewußt war.

[138]

Der beschämte Georg nahm, da jetzt Thilo Hallad, weil er keine Antwort auf seine Frage erhielt, fortging, seine Kleider, und eilte mit seinen Gefährten nach der Stadt, um von dem, was nun vorgehen würde, nichts zu verlieren. Die hamelschen Angelegenheiten standen mit seinem Wunsche, den Kaiser bald zu sehen, in zu genauer Verbindung, als daß ihm dieselben hätten gleichgiltig sein können.

Der Stadtmeister, und der ganze Rath waren schon auf dem Rathhause versammelt, wo sie den Tausendkünstler vor sich treten liessen, um sein Erbieten und die Forderungen, die er dagegen machen würde, zu vernehmen. Die ganze Stadt war in freudiger Erwartung; das Volk drängte sich in Masse zu dem Saale, wo der Magistrat versammelt war, und das Getümmel wurde endlich so groß, daß man die Thüren verschliessen mußte, um Unglück zu verhüten; denn das so lange geplagte Volk war außer sich vor Freude, Hoffnung zu haben, eines verjährten Uebels los zu werden, und dabei ihre gute Stadt zum Empfang kaiserlicher Majestät besser hergestellt zu sehen. Da Georg bald merkte, daß alle seine Bemühungen, hier etwas von den geheimen Vorgängen auszukundschaften, vergeblich waren, so ging er in die Wohnung seines gutmüthigen Pflegevaters, des Stadtmeisters, zurück, indem er hoffte, später Alles aus dessen eignem Munde zu erfahren.

Die Hausfrau wartete daselbst schon mit dem Mittagsessen auf ihren Herrn Gemahl, und da nur dunkle[139] Gerüchte über das, was die Stadt in so große Aufregung gebracht hatte, zu ihr gedrungen waren, so freute sie sich sehr, Georgen zu sehen, der ihr nähere Nachrichten über die Sache geben konnte. Er erzählte ihr mit vieler Theilnahme und großem Eifer, was er davon wußte, denn da er einst gehört hatte, daß die gute Stadt Hameln sich eher den kaiserlichen Besuch verbitten würde, als sich vor dem Kaiser durch Blosstellung ihrer geheimen Plage zu blamiren, so war ihm fast so viel an der Säuberung der Stadt gelegen, als dem Magistrate selbst.

Die Stadtmeisterin lobte den Knaben, daß er, obgleich ein Fremder, sich das gemeine Leiden so tief zu Herzen nehme, und wiederholte ihm ihr schon oft gethanes Versprechen, ihn nicht zu verlassen, und weil sie und ihr Mann selbst kinderlos wären, ihn wie einen Sohn zu halten. Sie liebte ihn überhaupt sehr, weil er so schön, so still und verständig war; doch was das letzte anbelangt, so hätte sie, wenn sie selbst mehr Verstand besessen hätte, wohl manchmal befremdende Dinge ahnden können, denn Georg konnte bei aller Vorsicht sich nicht immer hinlänglich hüten, daß er nicht klüger sprach und handelte, als seine Kindergestalt es eigentlich mit sich brachte. Er selbst fühlte dieß oft, und wußte sich dann nicht besser zu helfen, als daß er die Gesellschaft der Erwachsenen floh, und sich zu Kindern gesellte, die dem Anschein nach seines Gleichen waren; hier konnte er ohne Zwang reden, schweigen, und handeln wie er wollte, und seine übrige Theilnahme an den gewöhnlichen Knabenspielen [140] tilgte immer jeden Eindruck, den etwa eine kürzlich bemerkte Ueberschreitung kindischer Sitten gemacht hatte. – »Unser Georg,« pflegte dann der Stadtmeister zu sagen, »ist dennoch ein Kind, obgleich etwas klüger als die unsrigen!«

Um aber zu der Mahlzeit zurückzukehren, bei welcher man den hamelschen Konsul so lange vergeblich erwartet hatte, so erschien der Ersehnte zwar endlich, aber lange blieb er gegen die neugierigen Fragen seiner Hausfrau und gegen Georgs forschende Blicke unerbittlich, bis endlich folgende mit dictatorischem Ernste gesprochenen Worte aus seinem Munde gingen: »Leistet Thilo Hallad, was er versprach, so sind wir unsers hundertjährigen Uebels morgen quitt, und kaiserliche Majestät kann hier so sicher ruhen, als auf seiner Burg in der Residenz. Eines bebekümmert mich nur; der Künstler schlägt allen Lohn an an Geld und Geldeswerth aus, den wir ihm geboten haben, dagegen hat er die Gewährung einer freien Bitte so schnell, so einstimmig erhalten, daß ich mit Mühe die Klausel einschalten konnte, daß das Verlangte weder uns, noch unsern Weibern und Kindern nachtheilig sein sollte. Er ging die Bedingung ein, doch mit Vorbehalt, daß ihm das Geforderte unverzüglich, und ohne alles Bedenken geliefert werden müsse, wenn man sich nicht strenger Rache aussetzen wolle.«

»Es ist die Gewohnheit bösartiger Leute, da zu drohen, wo man ihre Hülfe braucht,« sagte die Stadtmeisterin. »Wir werden dem, der uns Dienste leistet, seinen [141] Lohn so wenig vorenthalten, als uns vor der Macht eines einzelnen Mannes fürchten, wenn er unbescheidene und unstatthafte Forderungen machen sollte.«

Am andern Tage, in den frühsten Morgenstunden, zeigte sich Hallad mit allen Attributen seiner Kunst auf dem Markte, wo ihn eine große Volksmenge erwartete. Er nannte sich einen berühmten Ratten- und Schlangenvertreiber aus Afrika, und zog aus seinen Säcken verschiedene lebendige und ausgestopfte Ungeheuer der genannten Art, Ratten schier noch einmal so groß wie die, welche man in den unterirdischen Gefängnissen der zerstörten Bastille fand, und Schlangen von der Dicke eines Armes hervor, welche er kühnlich für Klapperschlangen ausgab, weil Niemand ihm hier widersprechen konnte.

Das Volk staunte, gaffte und fand sich sehr in seinem Glauben an den Wundermann gestärkt, welcher dem Rufe des Beifalls bald mit einer gravitätischen Handbewegung Stillschweigen gebot, und dann folgendermaßen anhub: »Ihr Bürger von Hameln, ihr wißt, was ich zu leisten versprochen habe, und was mir euer Magistrat in eurem Namen als Belohnung zugesagt hat; es betrifft die Gewährung einer möglichen Bitte, die, wenn ich sie im ersten Augenblicke ohne Aufschub und Bedenken erfüllt erhalte, weder euch, noch euern Weibern und Kindern schädlich sein, und euer Eigenthum um kein Haarbreit schmälern soll. Seid ihr gesonnen, mir das gethane Versprechen zu halten, so hebet, daß ich dessen gewahr werde, eure rechten Hände zum Zeichen der Betheurung in die Höhe.«

[142] Die Bürger schrieen ein lautes Ja, und tausend nervigte Arme erhoben sich in die Luft.

»Es ist gut,« erwiederte Thilo Hallad, »und ich gelobe euch gleichfalls mit ausgestreckter Rechte – Rache wenn ihr wortbrüchig werdet! Jetzt aber merket wohl auf, was geschehen wird, und erkennt aus dieser kleinen Probe meine Macht.« – Mit diesen Worten setzte er ein kleines Pfeifchen an den Mund, und macht es mit einem Hauche so klar und schrill ertönen, daß allen Zuhörern fast die Sinne vergingen. Auf den dritten Ton dieses unlieblichen Instrumentes erhob sich ein seltsames Gepolter in den Häusern, schier den Fußtritten vieler Menschen ähnlich, und aus Fenstern und Thüren stürzten Millionen von Ratten und Mäusen hervor. Vom Schloßberge herab kam der ansehnlichste Zug, Geschöpfe, deren einige so groß und alt waren, daß man hätte schwören sollen, sie müßten ehemals bei der großen mainzischen Expedition schon in Person gegenwärtig gewesen sein.

Der Boden färbte sich schwarz von den herbeiströmenden Ungeheuern. Das Volk kreischte ob dem Wimmeln des Ungeziefers unter seinen Füßen; da winkte Thilo Hallad der Menge, sich zusammen zu ziehen, und den Auswanderen Platz zu machen. Sein Horn ertönte zum viertenmal, und der ganze schwarze Zug schloß sich hinter ihm an, den er bis an den großen Teich vor der Stadt führte, wo das Mäuseheer sich mit Ungestüm hineinstürzte, und vor den Augen des nacheilenden Volks, das seine Feinde mit Geschrei verfolgte, verschwand.

[143] Auch Thilo Hallad kam den Zuschauern aus den Augen, welche jauchzend heimkehrten, aus allen Winkeln ihrer Häuser die Spuren des Ungeziefers hinwegräumten, und des Abends Siegesmahle feierten, wie über einen überwundenen Feind. Einige frohlockten auch darüber, daß der Künstler ohne geforderten Lohn davon geschieden sei, und leerten auf seine Gesundheit manchen vollen Becher; aber der Stadtmeister, als er des Abends nebst den übrigen Mitgliedern des Magistrats von Besichtigung des befreiten Schlosses zurück kam, meinte mit Kopfschütteln: Thilo Hallads schneller Abschied deute auf nichts Gutes, und man möchte sich nur auf unbescheidene Forderungen von Seiten Hallad's gefaßt machen.

Die klügern Einwohner der Stadt waren auch mit dem Stadtmeister darüber einverstanden, daß ihnen der von Hallad geforderte und ihm versprochene Lohn für die ihnen erzeigte Wohlthat nicht geschenkt werden würde, und es gab demnach nicht Wenige, welche dem nächsten Morgen, an den man Hallads Wiederkunft erwartete, mit einiger Unruhe entgegensahen.

Der Morgen erschien und mit ihm Thilo Hallad. Auf die Nachricht von einer Rückkehr, die sich schnell in der ganzen Stadt verbreitete, versammelte sich eine Menge Volkes auf dem Markte, um die Forderungen des Gefürchteten zu vernehmen.

»Ihr Bürger von Hameln,« ertönte die Stimme des Mannes »scheint mir weit eifriger bemüht, Wohlthaten zu suchen, als solche zu belohnen; gleichwohl bin[144] ich hier, meinen Lohn zu fordern, und ich wiederhole meine Drohungen für den Fall, daß mir das Begehrte nicht augenblicklich verwilligt würde: Ihr habt in euren Ringmauern ein Kleinod, welches die Welt nur einmal sah; es ist alt und jung, natürlich und übernatürlich geartet, von edlem Ursprung und doch in euren Mauern in Dunkelheit begraben. Es ward vom Schicksal zu großen Dingen bestimmt, und ich komme von ihm gesandt, es aus euren Händen zu fordern. Dünkt euch dies ein Räthsel, so wisset: das, was ich von euch fordere, zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: durch einen Lindwurm, ein rothes Kreuz, und ein goldnes Band; auch kann ich den Ort, wo es verwahrt ward, genau bezeichnen, es ist das Haus euers Stadtmeisters, von wo es ohne die geringste Widerrede abgeholt, und mir ausgeliefert werden muß.«

Thilo hatte noch nicht geendet, da färbten sich die Angesichter der horchenden Menge mit Todtenbleiche und aller Herzen befiel Todesangst. »O wehe uns!« murmelten sie unter einander, »der Boshafte fordert unser liebstes Kleinod, unsere Stadtfahne mit dem Bilde unsers Schutzheiligen, des heiligen Erzengels Michael, mit dem rothbekreuzten Schilde, dem goldnen Gürtel um seine Lenden und dem Drachen unter seinen Füßen. Gebet Acht, ob seine Forderung nicht wörtlich auf das heilige Panier zu deuten ist: es ist alt an Jahren und jung an Schönheit und wohlconservirtem Glanz der Farben; natürlich und übernatürlich geartet, denn es wurde wahrscheinlich [145] von Menschenhänden gemacht und doch, wie die Sage lautet, uns unmittelbar vom Himmel geschenkt. Es ist im Hause des Herrn Stadtmeisters in Dunkelheit begraben, von wo es nur selten herausgetragen wird, um hohe Feste zu verherrlichen. Auch ist es wohl möglich, daß es vom Himmel zu großen Dingen bestimmt ist; denn wer weiß, bei welchem Treffen wider die Ungläubigen es voran wehen, und dem Siege den Weg zeigen wird; aber ist dies nicht ein Grund mehr, dieses Kleinod, dergleichen füglich die ganze Welt nicht hat, dem unbescheidenen Forderer zu versagen? Sollen wir Andern die uns bestimmte Ehre überlassen?«

»Wie?« schrie Hallad, indem sein braunes wildes Angesicht vom Zorn noch mehr entstellt ward, »ihr schweigt? ihr zweifelt? Ist das eurem Versprechen und meinem Verdienste gemäß? Sollte euch etwas zu kostbar sein, euern Retter damit zu belohnen?«

»Verzeiht, Herr Hallad,« sagte einer der Vornehmsten, »wir verkennen eure Verdienste nicht, aber bedenkt selbst, was ihr fordert, bedenkt die nahe Ankunft des Kaisers, und wie beschämt wir vor seinem Angesichte stehen würden, wenn wir seine Augen nicht mit der Zierde unserer Stadt erfreuen könnten.«

Bei diesen Worten erhob der boshafte Rattenfänger ein schallendes Gelächter, welches so lange dauerte, daß den Zuhörern fast die Geduld darüber verging »O ihr Thoren!« schrie er hierauf, »die ihr meine Worte offenbar falsch versteht, weil ihr sie so schlechthin zurückweist, [146] warum habt ihr nicht einmal eine Erklärung derselben von mir verlangt? Gut, sie soll euch nicht aufgedrungen werden, aber wisset, daß durch euer Zögern und Dingen unser Contrakt schon gebrochen ist, und ihr mir mit Hab und Gut, mit Leib und Leben verfallen seid. Behaltet euer Stadtpanier, das ich nicht kenne, und um dessen Anblick ich euern Kaiser nicht beneide; aber hört nun meine erhöhte Forderung, die ihr augenblicklich befriedigen müßt, wenn ihr eure Schuld und meine Ansprüche nicht noch weiter ausdehnen wollt. Liefert mir augenblicklich dreizehn eurer schönsten und vornehmsten Kinder, unter welchen der fremde Knabe, der in dem Hause euers Stadtmeisters wohnt, nicht fehlen darf, da es mir hier besonders um ihn zu thun ist!«

Jetzt entstand ein allgemeines ängstliches Murmeln unter der Menge; ein jeder zitterte für sein Kind, das er natürlich unter die schönsten rechnete. Man widersprach, man rechtete, man stritt unter einander, und trat endlich mit der Bitte hervor, ob Herr Hallad sich nicht mit des Stadtmeisters Pflegesohn allein begnügen wolle, welcher ihm dann sofort übergeben werden sollte.

»Fürwahr,« schrie Hallad, »ich habe es gedacht, daß euch der Schutz eines verlassenen Kindes nicht so nahe am Herzen liegen würde, und darum mußte ich meine Worte in Räthsel kleiden, wenn ich Ansprüche an euch selbst erlangen wollte. Doch nun kommt die Einwilligung zu spät, und es bleibt bei meiner Forderung, [147] die, wenn sie nicht auf der Stelle befriedigt wird, morgen noch eine größere nach sich ziehen möchte.«

Als Hallad noch einige Zeit stillschweigend auf die Entschließung des sich allmälich verlaufenden Volks gewartet hatte, kam er dann den Wenigen, die noch zurück blieben, schnell aus den Augen, und man versammelte sich nun truppweise in Häusern und auf den Straßen, um sich über seine Forderung zu besprechen. Die Meisten spotteten seiner Drohungen, Viele zitterten vor dem morgenden Tage und nur Wenige, eitel kinderlose Männer, oder alte Hagestolze, meinten, man hätte ihm zugestehen können, was er verlangte, dreizehn Kinder wären ja nicht ein so großes Opfer für eine ganze Stadt.

Der Stadtmeister hätte seinen Georg wohl sehr ungern der Gewalt eines unbekannten Menschen von so wenig versprechendem Aussehn, als Hallad, überlassen; aber hätte er ihn vertheidigen können, wenn dieser mit seiner Person zufrieden gewesen wäre, und das Volk ihn mit Ungestüm gefordert hätte? – Georgs Rettung war es, daß jetzt noch zwölf andere Knaben mit ihm auf dem Spiele standen, und daß kein Vater sein Kind aufopfern wollte.

»Und wenn ihr es auch wolltet,« sagte der verständige Stadtmeister, als man ihm die gemeinsame Noth vortrug, »so dürfte ich als eine christliche Obrigkeit doch nicht einwilligen. Der Fremde kann ein Zauberer sein, sollen wir unsere Kinder in des Teufels Gewalt liefern? – Seine erste Forderung hätte besser beherzigt, und [148] nicht so ohne Weiteres abgeschlagen werden sollen, aber das ist nun zu spät, und Gott gebe, daß wir uns klüglich aus dem Handel wickeln. Die einzige traurige Rechtfertigung, die ihr wegen eures eigenmächtigen Verfahrens habt, ist die Bosheit euers Gegners, der euch, wie er ja selbst eingestanden hat, Fallstricke legte, die wohl arglistigere, ränkevollere Köpfe, als die unsrigen, hätten fangen können, da wir ja nicht einmal im Stande sind, sein Räthsel vom Lindwurm, vom rothen Kreuz, und dem goldenen Bande, das schwerlich auf unser Stadtpanier zielt, zu deuten.«

Niemand sah in dieser Sache heller, als die Stadtmeisterin, die ihren Pflegesohn einst, als er mit aufgelößten Kleidern in tiefem Schlafe lag, belauscht, und über die damals an seinem Körper erblickten wunderbaren Zeichen schon mancherlei Gedanken gehabt hatte. Nachdem die Aeltesten der Stadt das Haus verlassen hatten, theilte sie ihrem Manne ihre Entdeckungen mit, und bat ihn, sich davon mit eignen Augen zu überzeugen. Es war über den langen Berathschlagungen spät geworden; Georg lag im tiefsten Schlummer, seine Brust und seine Arme waren entblößt, und der Stadtmeister sah mit Erstaunen dieselben Zeichen, von denen seine Frau ihm soviel erzählt hatte.

»Wir haben ein außerordentliches Kind bei uns aufgenommen,« sagte er nach langem Stillschweigen, »und müssen das, was der Himmel uns anvertraute, wohl in Acht nehmen, damit nicht dereinst strenge Rechenschaft [149] von uns gefordert werde. Was uns zu thun obgelegen hätte, wenn wir Hallads Forderung im ersten Augenblicke erfahren, und sie richtig verstanden hätten, das will ich nicht entscheiden; jetzt aber, nachdem die Forderung jenes Abscheulichen sich nicht mehr auf unsern Georg beschränkt, liegt es uns ob, die arme Waise zu schützen, wie andere Väter mit ihren Kindern thun, und ich glaube, wir werden am sichersten gehen, wenn wir ihn in den nächsten Tagen nicht ausgehen lassen, damit er nicht von ungefähr in Hallads Hände gerathe.«

Die Frau war, während ihr Mann sprach, beschäftigt, dem schlafenden Georg mit einem Tuche Kühlung zu zuwehen; sie glaubte, das Kind müsse schwere Träume haben, weil seine Wangen so glühten, und sein Herz so gewaltig schlüge.

Die besorgte Frau hatte sich nicht geirrt; Georgs Seele befand sich wirklich nicht allein jetzt, sondern schon seit gestern in einem seltsamen Aufruhr. Die Ruhe, die sonst sein Gemüth erfüllte, war von ihm seit der Zeit, wo er den Thilo Hallad zuerst erblickt hatte, gänzlich gewichen und jetzt beherrschten ihn sonderbare Gefühle, die er selbst nicht zu deuten wußte. Ihm war zu Muthe, wie einem, der eingekerkert ist, der Mauern zu durchbrechen, Fesseln zu zerreißen hat, und nur auf den Augenblick lauert, dies bewerkstelligen zu können. Da Georg von seinen Pflegeeltern durchaus nicht eingeschränkt gehalten wurde, und sie vielmehr, im Vertrauen auf seinen Verstand, ihm in allen Dingen seinen freien Willen ließen, so wußte [150] er selbst nicht, worauf seine außerordentliche Freiheitsbegierde zielte; gleichwohl war sie so heftig, daß sie auch in seine Träume überging. Kaum schloß er die Augen, so kamen ihm all die Thaten der alten Helden vor die Seele, die er aus seines Vaters Erzählungen kannte. Er sah die starken Bezwinger der Ungeheuer, die Retter der Menschheit ihre glorreichen Thaten vor sich verrichten, und wenn er, dadurch begeistert, zu ihnen eilen und mit ihnen kämpfen wollte, da war es ihm, als wären seine Hände gefesselt, als hinge Blei an seinen Füßen, daß er nicht von der Stelle konnte. Oft träumte er auch, Kaiser Rudolph halte seinen Einzug zu Hameln, ein Heer junger Krieger, alle nicht viel erwachsener als Georg, begleiteten ihn, ihm schlüge das Herz, dem Zuge zu folgen, aber seine Pflegeeltern hielten ihn auf einer wohlverwahrten Kammer fest, wo der Schall kriegerischer Instrumente und das Geschrei: zu den Waffen! nur aus der Ferne in sein Ohr tönte, und das peinliche Gefühl seiner Einkerkerung vermehrte. Da stiegen mistrauische Gedanken in seiner Seele gegen die auf, welche es so redlich mit ihm meinten, Gedanken, die ihn auch wachend verfolgten, und sein Gemüth von diesen gutherzigen, uneigennützigen Seelen entfremdeten. Ach, er sollte schmerzlich dafür büßen, daß er sein Herz den Einflüsterungen böser Mächte so willig öffnete.

Als Georg am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich beengt, war unmuthig und verdrossen, denn Träume ähnlicher Art, wie die geschilderten, hatten ihn die Nacht [151] beschäftigt. Er sehnte sich, die Schwere, welche Geist und Körper belastete, im Freien abzuschütteln, und wollte das Haus seiner Pflegeeltern auf ein paar Stunden verlassen, aber – zum erstenmal begegnete man seinen Wünschen mit einem Verbot. »Mein Sohn,« sagte die Stadtmeisterin, des Befehls ihres Mannes eingedenk, »laß es dir gefallen, bei mir zu bleiben; es steht heute ein unglücklicher Tag im Kalender, dir könnte ein Leid widerfahren, wenn du dich außer dem Hause blicken ließest.«

Noch nie hatte man nöthig gehabt, Georgen etwas zu verbieten, und man urtheile, welchen Eindruck der erste Zwang, den er erfuhr, auf sein ohnedies aufgebrachtes Gemüth machte; er gehorchte, aber mit sichtlichem Verdruß.

»Du würdest heute keine Spielgefährten finden,« fuhr die Pflegemutter fort, »es läßt sich ein Wehrwolf in unsren Gegenden sehen, welcher den Kindern nachstellt, und uns nöthigt, sie vor ihm verschlossen zu halten.«

Was die gute Mutter sagte, war nicht ganz unwahr; der tückische Thilo Hallad, den sie mit dem Namen eines Wehrwolfs sinnbildlich beehrte, war diesen Morgen von neuem aufgetreten, und hatte seine Forderung erneuert; nur daß er heute statt dreizehn, dreißig Kinder forderte. Darüber aufs höchste erbittert, verloren die Bürger von Hameln die Geduld, trieben den Rattenfänger mit einem Steinhagel aus ihren Mauern, und bedeuteten ihm, daß für ihn künftig die Thore ihrer Stadt geschlossen wären und daß er sich morgenden Tages aus [152] ihrer Feldmark entfernen, oder feindlicher Behandlung gewärtig sein müsse.

»Ihr werdet es bereuen!« dies war seine ganze Antwort, und man fand sie gegen den bisherigen Trotz so gelassen, daß man ganz gerührt wurde, und ihm versicherte, wie man seinen Schaden nicht wolle, und sich nochmals zur Zahlung einer namhaften Summe für gehabte Bemühung erbiete, wenn er sie nur annehmen, und nach Empfang derselben aller weitern Ansprüche entsagen wolle.

»Nicht doch!« erwiederte er, »ich mag euer Geld nicht! Ueberdies hätte ich es ja wohl noch nicht ganz verdient; es könnten sich wohl noch hier und da einige der Geschöpfe bei euch versteckt haben, die ich zu bannen weiß, und von denen ich euch erst befreien müßte.«

»Ein so ehrliches Vorhaben,« erwiederte einer der Stadtväter, »ist euch unverwehrt, und soll nicht unbelohnt bleiben, nur hütet euch, unsere Stadt in anderer Absicht zu betreten; ihr seht, daß wir uns weder höhnen noch trotzen lassen.«

Als man sich auf diese Art von dem begehrlichen Hallad befreit glaubte, und ihn gänzlich in die Enge getrieben zu haben meinte, beschloß man noch auf den Rath einiger verständigen Männer, auf jedem Fall die Kinder etwas eingezogen zu halten, damit sich Thilo Hallad, wenn er sich etwa um einiger Mäuse willen, die man noch hier und da spürte, wieder sehen ließe, nicht durch [153] Wegführung des einen oder des andern Knaben selbst bezahlt mache.

Dieser Beschluß war es, den die Stadtmeisterin ihrem Pflegesohne bildlich kund that, und der von ihm sehr kalt aufgenommen wurde. Die gute Mutter suchte diesen ganzen Tag über, einen der längsten des Junius, Alles hervor, den Knaben zu unterhalten, aber nichts vermochte seine üble Laune zu besiegen, und er wußte sich endlich vor seinem Eigensinn, dessen er sich selbst nicht ohne Schmerzen bewußt war, nicht besser zu retten, als daß er zeitig zu Bette ging. Doch ach, er begab sich nur zur Ruhe, um durch verführische Träume, die wie auf Fledermausflügeln von einer bösen Macht gesandt, zum offnen Fenster herein schwebten, neues Gift einzusaugen.

Die Sonne war kaum aufgegangen, als einige der muntersten und arbeitsamsten Bürger von Hameln durch den kreischenden Ton einer hellen Pfeife aus dem Schlaf geweckt wurden. Sie fuhren schnell auf, warfen sich in die Kleider, und eilten neugierig nach den Fenstern, um zu sehen, wer da früher wach wäre, als sie. Da erblickten sie Thilo Hallad, welcher in den Straßen langsam auf und abzog, von Zeit zu Zeit in sein kleines Horn stieß, und durch dessen Töne einige Mäuslein um sich versammelt hatte, deren Zahl sich fast mit jedem seiner Schritte um eins oder das andere, welches aus einem Hause geschlüpft kam, vermehrte. Er lenkte jetzt um eine Ecke in eine Straße ein, die nach dem Markte führte, an welchem auch das Haus des Herrn Stadtmeisters [154] stand, und von wo die Horcher sein lockendes Instrument nochmals mit schneidendem Tone erschallen hörten.

»Es ist doch ein ehrlicher Kerl, dieser Hallad,« sagte einer der Lauscher, indem er den Kopf wieder zum Fenster hineinzog, »man hat ihn offenbar verkannt; was für Verbindlichkeit hatte er, an einen Ort zurückzukehren, wo er so wenig Dank findet? Aber nein, er will sein Werk nicht halb gethan haben, will lieber ohne Lohn dienen, als sich nachsagen lassen, in Hameln wäre noch eine einzige Maus zurück geblieben. Gott Lob, auch aus meinem Hause sahe ich einige des schädlichen Ungeziefers ihm nachziehen; ich werde ihm lohnen, wenn er wieder kommt, und wenn gleich alle Welt undankbar wäre.«

Mittlerweile schwamm Georg in einem Meer von seinen gewohnten Heldenträumen; sie waren diese Nacht außerordentlich beängstigend gewesen, die wildesten und zugleich für das Feuer, das in seinen Busen glühte, die lockendsten Bilder hatten abgewechselt. Der Kaiser, so dünkte es ihm, sammelte ein großes Heer zum Zuge wider die Ungläubigen, zu dem auch Hameln sein Contingent gab; die jungen Krieger zogen daher mit rauschender Musik, mit wehenden Fahnen und glänzenden Waffen. Sein Herz wallte, aber er konnte nicht unter ihnen sein, eine unsichtbare Macht hielt ihn zurück. – Jetzt hielt die ritterliche Schaar unter seinem Fenster, und ihr Anführer rief mit lauter Stimme: Georg! Graf Alberts Sohn! komm herab, denn wir können nicht ohne dich die Stadt verlassen! – In diesem Augenblicke war es, als ob [155] ihm Fesseln von Händen fielen; auch waren sie wirklich gefallen, aber nur die Fesseln des Schlafes. Die Lebhaftigkeit des Traumes hatte ihn erweckt; noch mit halbgeschlossenen Augen war er aufgesprungen und an das Fenster geeilt, wo er in der Wirklichkeit genau den Ton zu hören glaubte, den er schlafend vernommen hatte, wo er genau das Schauspiel zu sehen meinte, das der Traum ihm vorgeführt hatte: Herzerhebende Kriegsmusik, eine kleine ritterliche Schaar, nicht viel über hundert, aber mit glänzenden Waffen und schönen rothbekränzten Fahnen, und an ihrer Spitze den großen Augen-Verblender Thilo Hallad, gleichfalls in ritterlicher Tracht, der zu dem herabschauenden Knaben aufsah, und rief, wie die Stimme im Traum gerufen hatte: Georg! Graf Alberts Sohn! komme herab, denn wir mögen ohne dich die Stadt nicht verlassen!

Die Kraft dieser Zauberworte war unwiderstehlich; durch ein unnennbares Etwas gezogen, flog der Gerufene die Stiegen hinab, für die er in der Eile lieber den kürzesten Weg durch das Fenster gewählt hätte. Jetzt war er auf der Straße, jetzt umfaßte ihn Hallad, der ihn, wie Georg wähnte, seinen Platz in Reihe und Glied anwieß. Seine Empfindungen dabei waren sonderbar, und wurden durch einen Umstand mit unnennbarem Grauen gemischt. Ach, Hallads Gesicht war ihm nicht mehr fremd; er erkannte jetzt in ihm den Mann, der einst in dem brittischen Walde vor seinen Augen die Zauberin entführte, und also wohl selbst ein mächtiger Zauberer sein mußte.

[156] Das ganze Gauckelspiel, das Georg jetzt noch wachend zu sehen glaubte, wankte vor ihm, seine Augen schlossen sich von neuem, doch fühlte er, daß er nicht schlief, sondern in einer Art von seltsamen Taumel einen weiten ermüdenden Weg fortgerissen wurde. Leise Fußtritte mehrerer Gehenden rauschten an seiner Seite, ein heller Ton einer Pfeife schmetterte zu Zeiten in sein Ohr, der äußerst widrig klang, doch fühlte er, daß durch denselben der Drang, weiter zu gehen, in ihm vermehrt wurde. Er bemühte sich mehrmals, die Augen zu öffnen, und beredete sich, als dieses nicht glückte, im ganzen Ernste, er träume nur und werde wohl nun bald erwachen.

Lange bleiben diese Empfindungen, bis auf einmal der Weg abwärts zu gehen, und eine seltsame kalte Kellerluft ihn zu umwehen schien. Der Marsch wurde noch einige Minuten fortgesetzt, und darauf erfolgte plötzlich ein Knall wie von einem herabgestürzten Felsen; Georg sank ohne Empfindung zu Boden.

Keiner meiner Leser, der in der Geschichte alter Zeiten nur ein wenig erfahren ist, und nur ein einzigmal von dem hamelschen Kinderraube gehört hat, wird zweifelhaft sein, was dieser ganze Vorgang zu bedeuten hatte. Was hier Georgen an jenem Morgen widerfuhr, das begegnete damals in dieser unglücklichen Stadt noch hundert und neun und zwanzig Knaben, jeden in anderer Art. Jeder wurde aus dem süßen Morgenschlafe durch einen Ton geweckt, wie er eben zu seinen Lieblingsideen paßte. Einer hörte das liebliche Zwitschern der Vögel eines [157] nahen Waldes, und erhob sich, nach dem gewohnten Spielplatze zu eilen; einer hörte das Girren seiner Futterverlangenden Tauben, die er zu befriedigen sich anschickte, ein anderer das Plätschern eines sanften Regens, welcher für seine unter dem Schirm stehenden Blumentöpfe nicht ungenützt verrauschen durfte, den einen lockte die Stimme seiner Mutter, den andern das Getös der lärmenden Spielgefährten, oder irgend ein anderer Neugier und Verlangen erweckender Ton, der seinen Gefühlen angemessen war; bis endlich, auf ein oder die andere Weise, alle die armen kleinen Geschöpfe, die ein böses Schicksal dem Zauberer Hallad Preis gegeben hatte, aus ihrer Sicherheit gelockt und in seinen Händen waren.

In halbem Taumel, mit geschlossenen Augen zogen sie hinter ihrem Entführer her, und wußten nicht, ob sie wachten oder träumten. Ihre Eltern daheim schliefen entweder noch ruhig, ohne Ahndung des Herzleides, das ihnen widerfuhr, oder sie sahen, von Thilos Pfeife erweckt, wohl gar den Entfliehenden nach, ohne sie zu kennen; denn der Zauberer hatte ihre Augen so verblendet, daß sie ihn mit dem Gefolge einiger emigrirenden Mäuse zu erblicken glaubten, während es doch ihre eignen armen Kinder waren, die ihnen vor ihren Augen entrissen wurden.

Als ihre Täuschung schwand, als ihnen die Stille in ihren Häusern auffiel, die von keinem ihrer kleinen Schwätzer unterbrochen wurde, als sie diese vergebens in ihren Betten, vergebens in den Straßen suchten, wo sonst [158] alles von Kindern wimmelte, da war Hallad längst mit seinem Raube in einen benachbarten Berg eingegangen, der sich urplötzlich hinter ihm zugeschlossen hatte, und alle Nachforschungen unmöglich machte.

Die trostlosen Eltern, die sich nun von dem Verluste ihrer Kinder überzeugten, erfüllten die Stadt mit Wehklagen und Jammergeschrei, und fluchten dem Rattenfänger, der ihnen das Liebste, was sie auf Erden besaßen, entrissen hatte. Kein Vater, keine Mutter fühlte indessen mehr, als Georgs Pflegeeltern, und sie waren zum Lohn für ihre uneigennützige Liebe auch die einzigen, welche die Genugthuung hatten, in später Folgezeit wieder etwas von ihrem verlornen Kinde zu vernehmen; die andern waren für ihre Eltern auf ewig verloren, und man würde sogar über die Art ihrer Entführuug nichts Gewisses gewußt haben, wenn nicht einige Bauern auf dem Felde die Sache mit unbezauberten Augen angesehen hätten, als Hülfe zu spät war, und der Verführer eben mit seiner Beute in den Berg einging.

Sie berichteten die Sache nach Hameln, und vermehrten durch die Gewißheit des Aergsten die dort herrschende Verzweiflung. Man ging in derselben so weit, daß man sich sogar mit dem Schutzherrn des Landes, dem heiligen Erzengel Michael, wegen dessen Fahne das Unglück hergekommen war, überwarf, ihm Vorwürfe machte, daß er ihre Kinder so schlecht beschützt habe, und sein Bild vom Hochaltar der Hauptkirche nahm, an dessen Platz ein damals hochgeschätzter Künstler den Hamelschen Kinderraub[159] nach dem Leben gemalt, aufstellte, und dadurch der noch jetzt lebenden Welt ein Denkmal dieser Wundergeschichten überlieferte, welches wir, für unsere Person, aber nie mit eignen Augen gesehen haben.

Während man Georgs und seiner Gefährten Verlust mit den ersten bittersten Thränen betrauerte, lag unser Held noch in der kalten Berghöhle in tiefem Schlafe, oder vielmehr in einer Betäubung, aus welcher ihn endlich eine Menge klagender Stimmen weckten, die sich nach und nach an seiner Seite erhoben. Es waren die mit ihm entführten Kinder, die sich eins nach dem andern zu ermuntern und ihre traurige Lage zu fühlen begannen. Die Kälte, die Dunkelheit, das Fremde dieses schauerlichen Ortes, war es, was ihr Herz beengte und ihre Thränen hervortrieb, keinesweges aber der ganze Umfang ihres kläglichen Schicksals, das keiner von ihnen, als Georg, zu übersehen vermochte. Sie hatten alle das siebente Jahr noch nicht überschritten und waren hinter Georg ebenso sehr an Einsicht und Verstand, als an äußerlichem Wachsthum weit zurück; aber eben dieses gereichte ihnen hier zu ihrem Vortheil. Georg dachte und fühlte wie ein Erwachsener, die andern wie Kinder, welche durch eine angezündete Fackel, die die Dunkelheit zerstreute, durch etwas Wohlschmeckendes für Durst und Hunger, und durch einige gleisnerische Tröstungen ihres Entführers leicht zu beruhigen waren. Auch machte die Gewohnheit sie endlich völlig mit ihrem gegenwärtigen Schicksale vertraut, und ihre Einfalt verhinderte die Sorgen wegen der [160] Zukunft, dahingegen unser Held mehr litt, als sich beschreiben läßt.

Sein Schmerz äußerte sich durch dumpfes Hinbrüten und düstres Schweigen. Hallad ehrte dasselbe und sprach nie mit ihm; er schien das Wunderbare seiner Person und seiner Schicksale völlig zu kennen, schien auf dasselbe gewisse Pläne zu bauen, welche nie kund geworden sind, aber er scheute sich vor ihm, und wich jeder Erklärung aus, welche Fragen von seiner Seite hätte herbeiführen können.

Hallad hatte seine Beute keinesweges deshalb entführt, um mit ihr ewig in dieser dunkeln Berghöhle zu bleiben; das Leben der kleinen Entführten war eine fortdauernde unterirdische Reise, sie ging zuweilen so tief, daß sie die Weser, die Elbe und die Donau entfernt über ihren Häuptern brausen hörten, zuweilen so hoch an der obern Erdrinde, daß sie hätten Bekanntschaft mit den arbeitenden Bergleuten machen können, wenn diese sie nicht für spukende Gnomen gehalten und sich vor ihnen gescheut hätten. An den Wurzeln der Sudeten hatte Thilo ein vertrautes Gespräch mit dem alten Gebirgsherrn Rübezahl, und an den Gränzen von Ungarn erhielt er einige nachdenkliche Weisungen von dem dort residirenden Berggeists, welche ihn in große Verlegenheit setzten, und ihn veranlaßten, seine Karavane, die ihm hier nicht entfliehen konnte, auf einige Stunden zu verlassen, um sich in der unterirdischen Welt nach einer bequemeren Reiseroute umzusehen, da vielleicht ein Erdbrand, oder ein gährendes Erdbeben, oder irgend eine andere verborgene [161] Naturbegebenheit, wovon wir Bewohner der Oberwelt nichts erfahren haben, ihn nöthigte, seinen ersten Plan zu ändern.

In dieser Zeit der Ungebundenheit stieß Georg seine Klagen freier aus, als er in Thilos Gegenwart zu thun gewohnt war, und während die andern Kinder sich mit einigen drolligen Berggeistern lustig machten, die Hallad ihnen zur Gesellschaft gegeben hatte, irrte der unglückliche Sohn Alberts in den entlegensten Klüften umher, und ließ die unterirdischen Gegenden von seinen Klagen ertönen.

Wahrer Muth ist selbst im tiefsten Elende, selbst beim bittersten Gefühle der Leiden nicht ohne Hoffnungen und Trieb, diese Hoffnungen zu verwirklichen. Georg nährte beständig dunkle Ideen von der Möglichkeit, an irgend einer Stelle das Tageslicht wieder zu sehen, wozu er sich durch die einfallenden Sonnenstrahlen, die zuweilen aus einem durchbrochenen Felsgewölbe herab schienen, berechtigt glaubte. Zwar waren diese Oeffnungen immer so himmlhoch über ihnen, daß sie hätten fliegen müssen, um sich zu ihnen zu erheben; aber Georg war nicht arm an romantischen Einfällen, und während die andern Kinder sich an den brennenden Regenbogenfarben belustigten, die der Seitenblick eines Lichtstrahls in ihrer finstern Höhle hervorbrachte, dachte unser Held nur daran, wie das, was seinen Gefährten nur Belustigung für das Auge war, ihnen allen nützlich werden könnte. Eine andere seiner Hoffnungen gründete sich auf die Möglichkeit, einst über Hallads Reisegepäck zu kommen, und in demselben entweder Nachricht von seiner und der übrigen Kinder Bestimmung, oder Mittel zur augenblicklichen Hülfe zu finden.

[162] Der ganze Apparat, den der Zauberer mit sich herumtrug, bestand aus zwei Säcken; der eine enthielt die Schlangen und anderes Ungeziefer, welches er, Gott weiß zu welchen Absichten, überall einzufangen pflegte, wo er es von seltner Art und Größe fand, und in dem andern waren einige Stäbe, ein paar Zauberbücher und andre negromantische Geräthschaften, die er brauchte, die Gnomenwelt, durch welche überall die Reise ging, in Ehrfurcht zu halten, und sich von derselben das zu verschaffen, was ihm und seinem Gefolge an Nahrung und Beleuchtung der finstern Wege nöthig war.

Die kurze Abwesenheit des Schwarzkünstlers kam dem sinnenden Georg sehr erwünscht; er hemmte bald die müssigen Klagen, suchte und fand das, was er so lange gewünscht hatte, die beiden Reisesäcke Thilo Hallads. Der erste blieb von ihm aus Furcht und Abscheu unangerührt, aber desto sorgfältiger kramte er den andern aus, besichtigte alles darin enthaltene Geräth, und manövrirte damit auf verschiedene Art, um seinen Gebrauch und Nutzen kennen zu lernen; aber vergebens. Die Bücher waren mit Charakteren angefüllt, die er nicht verstand, die Stäbe hatten in seiner Hand keine andere Wirkung, als gemeines Holz oder Eisen, und die andern Dinge, die er noch weniger kannte, brachten ihm eben so wenig Trost oder neue Hoffnungen. »Was quälst du dich doch so vergebens ab, da bessere Hülfe dir so nahe ist?« erschreckte ihn auf einmal eine zischende Stimme ganz nahe vor seinen Ohren.

Georg stutzte, fuhr ein wenig zusammen, warf den[163] Plunder, den er zum zehntenmal aus dem Zaubersack genommen hatte, eilig wieder hinein, sah sich um und fragte, wer mit ihm rede?

»Deine alte Bekannte,« war die Antwort, »ein Wesen, das dir helfen kann, wenn du ihm helfen willst?«

»Aber wer bist du denn?«

»Solltest du deine alte Freundin aus dem Walde, die dich funfzig Jahre in ihrer Wohnung pflegte und nährte, nicht mehr an der Stimme kennen, und ihr die ehemals erzeigte gastfreie Bewirthung durch Gegendienste erwiedern wollen?«

»Und was kann ich für dich thun?«

»Mich befreien! Seit der Zeit, wo ich vor deinen Augen zur Schlange wurde, schmachte ich in der Gefangenschaft deines Räubers! Als er mich damals entführte, faßte er auch dich in die Augen; er hat dich bisher ruhelos verfolgt und endlich erlangt. Ueber seine Absichten mit dir und mir, frage mich nicht, sie sind unergründlich wie der Schlund der Hölle. Oeffne jetzt eilig mein Gefängniß, doch so, daß nur ich, keine meiner Mitgefangenen, die Freiheit erhalte und ich werde dich belohnen.«

Georg wurde erst jetzt gewahr, daß die Stimme, welche mit ihm sprach, aus dem Sacke kam, in welchem Hallad seine Menagerie von Ungeheuern hatte; es überfiel ihn ein Schauer, und er wußte nicht, was er thun sollte.

»Schlange,« rief er nach einigem Bedenken, »wir[164] kennen uns! Du hast mich Jahre, deren Zahl ich nicht nennen mag, in deiner Höhle als einen Gefangnen gehalten; soll ich dich frei machen, um mein damaliges Schicksal auf's neue zu erfahren?«

»Du irrst, Georg, wenn du mich für undankbar hältst; was du an mir thust, das werde ich dir danken; bestimme selbst, was dein Lohn sein soll, und ich will nicht eher aus meinem Gefängniß gehen, bis ich dir die Erfüllung deines Begehrens bei allen himmlischen und höllischen Mächten zugeschworen habe.«

»O Schlange!« rief Georg, indem er in Thränen ausbrach, »wer kennt besser das Unrecht, das ich von meiner Geburt an erlitten habe, und dessen Folgen ich noch jetzt fühle, als du! Kannst du noch fragen, was du für mich thun sollst? Durch dich ward ich um eine Menge schöner Lebensjahre, durch dich um Freiheit, Ehre und Güter gebracht. Daß dieser Körper, in welchem ein männlicher Geist wohnt, noch der Körper eines Kindes ist, danke ich dir gleichfalls. Ich werde das langsame Heranreifen desselben nicht länger aushalten, die Ungegeduld nach Thaten drohte schon lange die Fesseln zu sprengen, die mir meine Hülle anlegt; bald wird mein Geist frei sein, indeß diese elende Kindergestalt in Staub und Moder zusammen sinkt, aber er wird Rache schreien, Rache über dich, die du ihn um seine irdische Bestimmung betrogst!«

»Wozu all diese Redensarten,« erwiederte sie, »unsere Zeit ist kurz, sage schnell was du forderst.«

[165] »Freiheit, schleunige Entwickelung meines männlichen Körpers zur Reife, und Befreiung meiner Gefährten!«

»Die armen Geschöpfe,« erwiederte die Schlange, »sie leiden um deinetwillen! Der Schutz, den du in Hameln fandest, reizte den Zorn des Zauberers, und brachte diese Stadt, deine Wohlthäterin, um ihre Kin der! – Oeffne den Sack! was du verlangst, ist gewährt, und noch obendrein eine Zugabe, die du nicht verschmähen wirst.«

Georg ging zitternd an sein Werk, er öffnete den Sack mit der ihm anempfohlenen Behutsamkeit; die Schlange schlüpfte heraus, ihr krippelten die andern Ungeheuer ängstlich nach, aber der kleine Held überwand Ekel und Furcht, stieß die Kompetenten der Freiheit zurück, und schloß ihr Gefängniß mit dreifachem Knoten. Aber die befreite Schlange schoß zischend in eine Felsspalte und verschwand aus den Augen ihres Retters.

»Ich habe es gedacht,« rief er, indem er ihr nachblickte, »was hier mein Lohn sein wird! Ich Thor, daß ich meinen Ahnungen zum Trotz einer Feindin trauen konnte! – Wohl mir, wenn durch diese That mein Schicksal nur nicht verschlimmert wird! Aber was soll aus mir werden, wenn Hallad sie entdeckt?«

In diesem Augenblicke erhob sich in einer der fernsten Felsklüfte ein fürchterliches Geschrei, gleich der Stimme eines Menschen, welcher gewaltsam von einem Feinde überfallen wird. Georg bebte, er glaubte die Stimme Thilo Hallads zu hören, und Muthmassungen, [166] die der Wahrheit ziemlich nahe kamen, stiegen in seiner Seele auf.

Es trat eine Pause ein, dann erfolgten noch einige gräßliche Töne, die in dem hohlen Gewölbe lange wiederschallten, und nun gänzliche Stille! Ein gewaltiges Grauen überfiel jetzt unsern Helden, er eilte, diesen abgelegenen Winkel zu verlassen, und begab sich in die entgegengesetzte Gegend, wo er die andern Kinder spielend verlassen hatte. Er fand sie im tiefsten Schlafe, und legte sich an ihre Seite, um die letzten schauervollen Empfindungen, die noch immer sein Herz heftig klopfen machten, gleichfalls zu verschlummern.

In diesen unterirdischen Gewölben wußte man selten die Zeit des Tages oder der Nacht. Ein einfallender Sonnenstrahl war etwas, was man oft wochenlang nicht zu sehen bekam; alles Licht erhielt man von gewissen phosphorischen Feuern, die hier und da von den Berggeistern unterhalten wurden. Bei so bewandten Sachen ist schwer zu bestimmen, wann Georg entschlief und wann er erwachte. Seine Aufregung verhinderte lange Zeit das Entschlummern, aber dann erfolgte auch ein so tiefer, langer und fester Schlaf, wie ihn gewöhnlich die Natur bei großen Krisen hervorbringt, und groß war die Krisis, welcher Georg jetzt entgegen sah. –

Gegen das Ende eines Schlummers, oder einer Betäubung, die demselben angemessen war, heiterte sich sein inneres Wesen hinlänglich auf, um für den Eindruck von Träumen empfänglich zu werden. Die erst verworrenen [167] Gesichter ordneten sich, und jetzt stand auf einmal eine ihm sehr wohlbekannte Gestalt, die der Zauberin aus der Höhle, vor seinen Augen.

»Wir sind gerächt!« rief sie. »Die Schlange, die du gestern befreitest, hat den Zauberer erwürgt. Du hast das letzte Geschrei des Bösewichts gehört. – Deine Bitten sind gewährt, als ein Gefangner legtest du dich zur Ruhe, frei und gerettet wirst du dich erheben; als ein Kind entschlummertest du, als ein Mann wirst du erwachen. Dich, der nun der Heldenepoche, die dein Leben berühmt machen soll, so nahe ist, mit einem anständigen Gefolge zu versehen, habe ich deinen Gefährten die nämliche Gnade gewährt, welche ich dir erzeigte; erhebt euch schnell, so bald ihr erwacht, geht aus der Dunkelheit hervor, wo euch, da der Zauber gelößt ist, nichts länger vor der Wuth der Erdgeister schützen kann. Ich habe euch das Aufsteigen erleichtert, indem ich euch eine gute Strecke der Oberfläche der Erde näher brachte.«

Hier verschwand die Fee, die Erde zitterte bei ihrem Verschwinden, und Georg erwachte. Wie war ihm zu Muthe, als er jetzt um sich her sah, sich an einem ganz andern Ort erblickte, als an dem, wo er entschlafen war! Statt der dicken Dunkelheit, die das blaue Licht des Phosphor nur schwach bekämpfte, eine liebliche Dämmerung, welche alle Gegenstände sichtbar machte, und diese Gegenstände, nicht das Chaos einer rauhen Erdschlucht, nein, eine reinliche und geräumige Berghöhle, oder vielmehr eine zierliche Grotte, wie sie die Natur der [168] Kunst zum Vorbilde giebt, keine hüpfenden Bergkobolde, nein, eine Schaar schöner wohlgebildeter Jünglinge, die um ihn her schlummerten. Zum nahen Eingange der Höhle blickte die Sonne lieblich durch einige umschattende Bäume herein, auf deren Zweigen die Vögel ihr Morgenlied sangen.

Welch ein seliges Erwachen! wie doppelt selig durch die Entdeckung, die Georg machte, als er einen Blick auf sein eignes Selbst warf! »Bin ich es auch wirklich selbst,« rief er aus, indem er aufsprang und in voller majestätischer Heldenschönheit da stand. »Und die herrlichen Gestalten, die um mich her schlummern, sind das die Kinder, die mit mir zum Mittelpunkte der Erde hinabstiegen? O Dank dir, Dank dir gute Fee, du hast mir mehr gegeben, als ich bat, hast mir zu Leben, Jugend, Stärke und Freiheit, auch Freunde gegeben! Bleibt mir wohl nun noch etwas zu wünschen übrig? O erwacht, erwacht, ihr meine Gefährten auf der Heldenbahn, laßt uns schnell die Laufbahn beginnen, zu welcher ihr nun gleich mir mit voller Stärke gerüstet seid!«

Und die Jünglinge erwachten, einer nach dem andern, jeder drängte sich zu Georg, der seine Arme nach ihnen ausbreitete, jeder nannte ihn seinen Freund und seinen Herrn; auch zu ihnen war im Traume ein Wort von ihrer künftigen Bestimmung gekommen, und sie waren auf dieselbe vorbereitet, so gut wie es ihre noch sehr unreifen Seelen sein konnten. Georg merkte bei den ersten Worten, die sie ihm sagten, daß hier für ihn noch [169] viele Begriffe zu entwickeln und zu berichtigen sein würden. Er dachte dieses Werk noch heute zu beginnen, aber es war nicht das Werk eines oder einiger Tage.

Ihr erstes Geschäft nach der Bewillkommnung war, jetzt die Höhle zu verlassen, und an das lange entbehrte Sonnenlicht herauf zu steigen, herrlicher und munterer, als die heiligen Siebenschläfer aus den römischen Katakomben.

Sie stiegen herauf in glänzender Rüstung ihrem Herrn nach, welcher schon die Oberfläche der Erde erreicht hatte, und mit unersättlichen Blicken sich an Allem weidete, was seinen Augen so fremd geworden war, und was er, ungeachtet es keine der schönsten Gegenden war, wo er sich befand, nie so schön gesehen zu haben meinte.

Um ihn her versammelten sich die jungen Krieger, unter denen er, so schön sie auch gebildet waren, sich durch Hoheit und Würde doch sehr auszeichnete.

Wie sich einst die Ebene von Theben mit gewaffneter Jugend füllte, welche die Saat der Drachenzähne hervorgebracht hatte, so füllte sich hier die Ebene bei Clausenburg in Siebenbürgen mit Kriegern edlerer Abkunft, die auch an nichts weniger dachten, als sich, wie jene, aufzureiben, sondern die sich brüderlich umarmten, und sich unter einander Treue bis zum Tode schwuren.

So öde die Gegend war, in welcher die Kinder der Erde an's Licht stiegen, denn damals waren nur kleine Strecken in diesem Bezirk angebaut, so fanden sich doch auch hier Augen, welche die Geschichte mit angesehen [170] hatten, und sie als ein schreckenvolles und ominöses Wunder nach Hofe berichteten. Siebenbürgen wurde schon damals von einem christlichen Fürsten beherrscht, der zwar die Erzählung von fremdem Kriegsvolk, das sich in seinen Landen auf so seltsame Art gezeigt hatte, nicht gleichgültig aufnahm, aber doch großen Trost daraus schöpfte, daß die Fremdlinge, wie man ihm gewiß versicherte, alle mit rothbekreuzten Schildern einherzögen, und dadurch ein gutes Zeugniß von ihrem Glauben ablegten.

Fürst Gabriel war ein sehr frommer Herr, und eben im Begriff, mit einigen auserlesenen Fähnlein seiner Ritterschaft nach des Kaisers Hofe zu ziehen, um ihn zu bewegen, mit ihm gemeine Sache zu einem Zuge in's heilige Land zu machen, wo die Pilgrimme und die frommen Hirten von Palästina durch die Bedrückung der Ungläubigen große Noth litten, und der Hülfe der abendländischen Christenheit wohl bedurften. Man denke sich sein Entzücken, als bald nach der ersten Nachricht von den fremden Kriegern und noch mitten in seinen Entwürfen, was für ihn dabei zu thun sei, Georg nebst seiner jungen Mannschaft nach der Hauptstadt kam, Audienz bei ihm verlangte, und eine Bitte an ihn that, welche dem, der sie gewähren sollte, so ganz zu seinen Plänen paßte.

»Edler Fürst,« sagte Georg, »ich und meine Gefährten sind durch Abentheuer aus dem Schooße unsers Vaterlandes gerissen, auch denken wir dasselbe nicht eher wieder zu betreten, bis wir das Gelübde erfüllt haben, [171] das wir mitten im Abgrunde des Elends thaten: Gott und der werthen Christenheit die Erstlinge unserer Waffen zu weihen. Wir haben auf dem Wege zu eurer Residenz gehört, daß ihr ein streitbarer und frommer Fürst seid, und wir kommen, euch unsere Schwerter anzubieten, daß ihr sie zu genannten Endzwecken leiten mögt, wie es euch am besten dünkt, denn wir sind noch alle jung und unerfahren, und es ist nöthig, daß ein weiser Mann unsern starken Armen und unverzagten Herzen die Bahn vorzeichne, auf welcher irdische Lorbeeren und himmlische Palmen zu erkämpfen sind.«

Da schloß sich das Herz Fürst Gabriels auf gegen den schönen heldenmüthigen Jüngling, der bei solcher Jugend – denn weder er, noch seine Gefährten schienen die Gränzen des achtzehnten, oder neunzehnten Jahres überschritten zu haben, – so große Gesinnungen äußerte.

»Ach, mein Sohn,« rief er, indem er ihn in seine Arme schloß, »wollte Gott, alle Ritter der ganzen Christenheit dächten, wie ihr und eure Knappen! Die Ungläubigen des Morgenlandes, wo für Gottes Ehre jetzt das meiste zu thun ist, sollten bald aufgerieben werden; aber leider beschäftigt sich die junge Mannschaft des Abendlandes jetzt mehr mit Spielen, oder nutzlosen Turniren, und dem damit verbundenen Minnespiel, als mit der Sache der bedrängten Christenheit. Laßt uns aufbrechen, und versuchen, ob wir nicht die Herzen der jungen christlichen Ritterschaft durch euer Beispiel für unser Vorhaben [172] gewinnen können. Sehet, ich bin im Begriff mit meinen auserlesensten Kriegern zum Kaiser zu ziehen, und ihn zur Rache des unschuldigen Blutes aufzufordern, das im Morgenlande vergossen wird; wollt ihr mich begleiten, so hoffe ich, es soll euch nicht an Gelegenheit zu Ruhm und Sieg fehlen.«

So herzlich und eifrig dieses Erbieten gethan war, so begierig wurde es angenommen. Fürst Gabriel ertheilte Georgen und seinen hundert und neun und zwanzig Gefährten noch am nämlichen Tage den Ritterschlag, und gab ihnen eine schöne Fahne, auf welcher nach ihrem Verlangen der hamelsche Schutzpatron, der Erzengel Michael, zierlich gebildet war, und auf der besonders der Arge, der sich in Lindwurmsgestalt unter den Füßen des Siegers krümmte, sich gar herrlich ausnahm.

Darauf zog man an des Kaisers Hof, wo Fürst Gabriel mit seiner Schaar sehr wohl emgfangen wurde, besonders zogen die hundert und dreißig Ritter des Erzengels Michael – so nannte man den Ritter Georg mit seinem Gefolge, wegen der Fahne, die sie führten, – aller Augen auf sich. Als aber Kaiser Rudolph, der ihnen schon ritterliche Beförderung bei seinem Heere angeboten hatte, vernahm, daß es hier auf einen Zug nach dem heiligen Lande abgesehen sei, da wollte er nichts hiervon wissen denn er hatte zu viel Kriege im Abendlande zu führen, als daß er sich um die im Orient allzusehr hätte bekümmern sollen, und lieber hätte er die auserlesene Mannschaft [173] sich selbst, als den Pilgern des heiligen Grabes, und den Hirten von Palästina gegönnt. Die Sache der Christenheit ging ihm recht tief zu Herzen und es schmerzte ihn besonders inniglich, daß die Ungläubigen den frommen alten Patriarchen von Jerusalem so unmenschlich behandelt hatten; 5 aber bis zum Trieb der Rache ging dieses Mitleid doch nicht. Er sagte dem Fürsten von Siebenbürgen, er möchte nur hinziehen und seinem frommen Eifer folgen, auch sollte einer mäßigen Anzahl der Ritter seines Landes nicht verboten sein, ihn zu begleiten, aber mehr zu thun erlaube der Stand der Sachen, die Ruhe seiner eignen Staaten keinesweges.

Da redete Fürst Gabriel mächtig von Christen- und Fürstenpflicht und vom Segen und Ablaß des Pabstes; aber die erstern kannte Kaiser Rudolph recht gut, und was das andere anbetrifft, so konnte der, welcher nicht einmal nach Rom gehen wollte, um sich von da den Kaisernamen zu holen, wohl schwerlich Lust haben, um päbstlichen Ablasses und Segens willen, einen Zug nach dem heiligen Lande zu unternehmen.

Als unsere Helden sahen, daß hier bei weitem das[174] nicht auszurichten war, was sie erwartet hatten, da verließen sie des Kaisers Hof und zogen nach Italien, um erst von Rom noch die Benediction des Pabstes mitzunehnehmen, und dann zu Aquileja flugs fröhlich unter Segel zu gehen.

Ritter Georg nützte die Zeit einer langwierigen Schiffahrt, um seine Gefährten über dies und jenes zu belehren; denn mit ihnen hatte es gerade die umgekehrte Bewandniß, wie mit ihrem Anführer. Bei ihm wohnte in einem jugendlichen Körper ein Geist, der schon seit länger als funfzig Jahren, zur Vollkommenheit herangereift war, sie waren in der Gestalt streitbarer Jünglinge dem Verstande nach nur Knaben von sieben Jahren, wie sie aus ihrem Vaterlande ausgezogen waren. Die Kräfte ihrer starken Arme, die sie ritterlich zu brauchen wußten, standen mit den Kräften ihres Geistes in gar keinem Verhältniß, und ein Glück war es, daß sie bei dieser Ungleichheit, die man ohne Wunder so oft im menschlichen Leben findet, und die so gefährlichen Folgen hervorbringt, noch jene kindliche Folgsamkeit hatten, die ihrem wahren Alter angemessen war, und daß sie sich von ihrem Herrn und Lehrer in der Stille leiten ließen, wie er selbst wollte. Er hatte ihnen gleich beim Heraufsteigen an das Tageslicht ein weises Stillschweigen auferlegt, und dieses bedeckte manche ihrer Unvollkommenheiten. Weil sie schweigen konnten, wurden sie für weiser gehalten, als sie jemals werden konnten, ja man glaubte sogar, in ihnen die tiefsten Denker zu sehen, die nur in dem damaligen Jahrhundert zu finden waren.

[175] Als Fürst Gabriel mit seinen tapfern Kriegern und Ritter Georg mit seinem stillen Gefolge zu Joppe an das Land stiegen, da wurden sie von der bedrängten Christenheit mit Jubel empfangen; auch säumten sie nicht, den Hülfefordernden zu beweisen, warum sie hier erschienen waren. Was sie aber eigentlich thaten, das ist geschrieben in dem Buche von den Helden, und wir wissen nur so viel davon zu berichten, daß nach einigen kleinen Schlachten in den Gegenden, welche die christlichen Ritter zuerst betraten, sie ihren Weg in das Herz des Landes nahmen, und da nicht minder glück- und sieghaft waren.

Georg, dessen Rath man immer befolgte, drang auf die Belagerung von Damiate; aber leider mußte er die Eroberung dieses wichtigen Platzes mit dem Leben seines Freundes, Fürst Gabriels, bezahlen; er fiel bei Gelegenheit eines wüthenden Ausfalles, den die Belagerten machten, und ermahnte sterbend seinen Waffengenossen, der verzweifflungsvoll über seinem blutenden Körper hing, um seines Verlusts willen nicht den Muth sinken zu lassen, sondern den Kampf für das Wohl der Christenheit muthig fortzusetzen.

»Ach,« sagte er, »wenn du jetzt schon zaghaft werden willst, da einer deiner Freund fällt, was wirst du thun, wenn du diesen Verlust mehr als hundertfach erfahren solltest! Ein Traum, den ich vergangne Nacht hatte, läßt mich befürchten, daß deine Gefährten ihr Vaterland [176] nicht wiederbetreten werden. Ich sah nämlich einen stattlichen Lorbeerbaum in einer wüsten Gegend meines Landes hervorschießen, welcher seiner Stärke und Höhe nach wohl schon mehr als einen Sommer gesehen haben mochte; um ihn her entsproßten junge Reißer, vom warmen Sonnenstrahl gezeitigt, auch schienen sie es ihm an hohen Wuchs und Pracht der Blätter schier gleich zu thun; aber es erhob sich der kalte Gebirgswind, da beugten sich die übernatürlich emporgetriebenen Schößlinge und welkten, und ihr stärkerer Gefährte stand bald ganz einsam im öden Gefilde!«

Fürst Gabriel besiegelte seine nachdrücklichen Worte mit dem Tode, und Georg verstand sie nicht eher ganz, oder beredete sich, sie nicht zu verstehen, bis er ihre traurige Erfüllung erlebte.

Noch fünf glückliche Schlachten wurden den Ungläubigen nach dem Heldentode des Fürsten von Siebenbürgen geliefert. Nicäa ging über, Jerusalem wurde den Händen der Ungläubigen entrissen, aber Georg bezahlte leider jede dieser glorreichen Thaten mit dem Blute einiger seiner Freunde; sie sanken um ihn her wie frühwelkende Blumen, und bei dem letzten Gefechte, das schier das blutigste unter allen war, und die Befreiung des heiligen Grabes betraf, standen nur noch sieben und zwanzig Ritter des Erzengels Michael an seiner Seite.

Der Kampf war hier zu hart, selbst der starke und[177] tapfre Ritter Georg, dessen Lebenskräfte einen gar festen Grund hatten, ermattete und blutete aus mehreren Wunden. Die heldenmüthigen Sieben und zwanzig waren fast noch die einzigen, welche bei ihm aushielten; sie halfen ihm treulich den Sieg erfechten, und sanken dann mit unzähligen Wunden bedeckt einer nach dem Andern nieder, zu seinen Füßen zu sterben. Da dachte Georg an Fürst Gabriels Traum, und an die Ahnungen, die ihm bei demselben überfielen; sein Verstand sagte ihm, daß der festgewurzelte Lorbeerbaum die schnell emporgetriebenen Schößlinge überleben mußte; aber liegt Trost in der Nothwendigkeit, oder Unabänderlichkeit eines Uebels? –

Ritter Georg kniete in dumpfem Schmerz an der Seite des letzten seiner sterbenden Gefährten, und that über seinem erstarrenden Leichnam das Gelübde, ihren Verlust sieben Jahre lang in der Wüste zu betrauern; ihm war es, als hafte einige Schuld auf ihm, daß diese jungen Pflanzen so früh verwelken mußten; war er nicht die Veranlassung ihrer Entführung aus ihrer Vaterstadt? Waren nicht ihm zu Liebe ihre Lebenskräfte zu früherer Reifung gezwungen worden, und war nicht ihr schnelles Dahinwelken die Folge dieser Gewaltsamkeiten? –

Dies glaubte er büßen zu müssen; er überließ die Ehre der bisherigen Siege einem der Anführer, welcher nach ihm der nächste war, empfahl ihm weise Benutzung der erkämpften Vortheile, und die Fahne des heiligen Erzengels Michael. Sie zeigte in der Folge noch oft dem [178] Siege den Weg, aber man nannte sie nicht mehr Sanct Michaels Fahne, sondern das Panier des Ritters Georg, der von dieser Zeit an vielfach mit dem Erzengel verwechselt wurde.

Als Georg mit dem frommen Entschlusse, ein Eremit zu werden, das Schlachtfeld verließ, und sich noch einmal nach dem Schauplatz des Todes umdrehte, wo er auch die letzte Freude seines Lebens verloren hatte, da sah er gar eigentlich, wie sich die frommen Kinderseelen seiner Gefährten, die sich eben dem Körper völlig entwunden hatten, gen Himmel erhoben; sie waren in glänzendes Weiß gekleidet, und Engel trugen ihnen Palmen entgegen. Ein seltnes Loos, den Lohn der Unschuld und des Heldentodes zugleich zu ernten! – Dies war das Loos jener entführten Kinder, die der Himmel zeitig hatte vollkommen machen wollen, und die auf der gewöhnlichen Laufbahn wohl schwerlich in einem halben Jahrhunderte so viel erarbeitet haben würden, als hier in der Kürze! – Die Legende sagt, ihnen sei im Himmelreiche die nächste Stelle nach den unschuldigen Kindlein angewiesen worden.

Georg aber, durch das Gesicht von diesen überirdischen Dingen in seinem frommen Vorsatz bestärkt, legte gleich im nächsten Dorfe bei der Wahlstatt alles Rittermäßige ab, ließ Schild, Waffen und Rüstung daselbst, und setzte seinen Weg in Pilgertracht bis an den arabischen Meerbusen fort; er fuhr hierauf hin über nach Egypten, durchwanderte [179] den größten Theil von Afrika und kam endlich in jene Gegenden, wohin das Auge der Wahrheit fast noch gar nicht gedrungen ist, und wo also die Phantasie freies Feld hat, ihren Unfug zu treiben. Damals bevölkerte sie sie mit Riesen, Zwergen und Drachen, die aus der übrigen Welt vertrieben zu werden begannen, und fabelte, um ihren Dichtungen doch einigen Grund zu geben, dort brüte die Natur zwischen himmelhohen Gebirgen und todtathmenden Sümpfen, die noch von der großen allgemeinen Wasserfluth her nicht ausgetrocknet wären, Ungeheuer von allen Gattungen aus, denen sie eine wunderbare Größe zuschrieb.

Aus was für Ursachen Georg eben diese grauenvolle Gegend zum Schauplatz seines Eremitenlebens erwählte, ist unbekannt, vielleicht war es Hang zu ritterlichen gefahrvollen Abentheuern, der ihn auch im Anachoretenkleide noch nicht verlassen hatte. Uns ist es nicht unwahrscheinlich, daß er hier fand, was er suchte, und daß irgend ein Lindwurm, nebst einem halben Dutzend Löwen und Riesen von ihm erlegt wurden.

So viel ist gewiß, daß Georg seine gelobte Zeit der sieben Eremitenjahre redlich aushielt, und erst nach Endigung derselben wieder in ritterlicher Tracht in der Welt erschien; aber nicht einsam, sondern ein junges Fräulein auf einem zierlichen Zelter ritt an seiner Seite. Ihr Gesicht war zwar etwas gebräunt, wie es bei den Bewohnern jener heißen Gegenden allgemein der Fall ist, dabei [180] war sie aber doch so schön, daß alle Damen, sowohl die afrikanischen, als die europäischen, ihr den Preis lassen mußten. Wie Georg zu diesem Schatze gekommen sein mochte, darüber gingen verschiedene Sagen. Er mochte sie nun aus Drachengewalt gerettet, oder als eine verirrte Rückgebliebene irgend einer Karavane in seine Einsiedlerhütte aufgenommen haben, genug, sie 6 war sein, und blieb es, ohne daß sie nöthig hatte, sich seine Liebe und [181] sein Vertrauen dadurch zu erringen, daß sie sich der Gefahr aussetzte, von Löwen erwürgt zu werden. Die christlichen Ritter des dreizehnten Jahrhunderts waren in diesem Punkte etwas artiger, als die ganz uralten, deren Thaten sich in der rauhen Heldenzeit verloren, und unser Georg hat also auch hierin vor dem Brittischen einen Vorzug.

Ohne alle weitere Abentheuer, mit Ruhm und Ehre gekrönt, erreichte er das vaterländische Europa; er vergaß nicht, Rom wieder zu sehen, und beim heiligen Vater einzusprechen; dieser war der erste, welcher des Ritters Wundergeschichte ganz und unverfälscht aus seinem Munde vernahm; denn selbst gegen seinen besten Freund, den Fürsten Gabriel, hatte Georg mit derselben wegen ihrer Unglaublichkeit ein wenig hinter dem Berge gehalten; jetzt scheute er sich nicht mehr, all die Wunder zu erzählen, welche das Schicksal in seinem Leben aufgehäuft hatte. An dem Throne St. Petri fand er vollen Glauben; denn seine Geschichte enthielt manches, was den Lehren, welche von demselben herab gepredigt wurden, große Bestätigung gab. Der Pabst segnete und beschenkte den Ritter mit einer Menge von Heiligthümern; auch versprach er ihm [182] zum Lohne für seine christlichen Heldenthaten nach seinem Tode die Glorie, ja schon bei seinen Lebzeiten den Niesbrauch derselben, in der Erlaubniß, sich mit dem Namen Sanktus zu nennen, wenn er sich eine kleine Klausel gegefallen lassen, den Ritterstand verlassen und eine Kloster gehen wollte.

Ritter Georg war gar nicht nach eitler Ehre geizig, ihm war das Ritterschwert und die schöne Afrikanerin lieber als eine frühzeitige Kanonisation; er verzichtete also auf den angebotenen Titel, und bat sich dafür die Ehre aus, von päbstlicher Hand mit seiner Dame verbunden zu werden.

Auch dieses wurde ihm gewährt; sie wurden vermählt und friedlich entlassen. Da machte sich der Ritter auf mit seiner jungen Gemahlin und zog zum Kaiser, dem er gleichfalls seine Wundergeschichte erzählte, und dadurch bei diesem großmüthigen Fürsten mehr erlangte, als bei dem kargen Pabste; dieser war mit nichts freigebig, als mit Benedictionen, Glorie und Heiligthümern, aber Rudolph war schnell mit Beförderungen bei seinem Heere, und ansehnlichen Belohnungen bei der Hand.

Georg sehnte sich nach seinem Vaterlande und nach Wiedereinsetzung in die Rechte seiner Väter. Auch hierzu wollte ihm der Kaiser die Hand bieten und bewirkte unter Zuziehung einiger anderer Könige und Herrn, die beim König von England etwas vermochten, daß Georg alles erhielt, was Lord Alberts Sohn nur verlangen konnte. [183] Glücklicherweise waren die ihm entrissenen Güter durch Aussterben der eingedrungenen Erben der Krone anheim gefallen, und der gutwillige Eduard der andre war gerade nicht der Mann, welcher Lust hatte, sie dem rechtmäßigen Eigenthümer vorzuenthalten. Er schickte Boten an den kaiserlichen Hof, den Ritter Georg, dem er den Namen eines Herzogs antrug, in sein Vaterland zurück zu rufen und ihm mehr, als er fordern konnte, fest zu versichern und zu verbriefen.

Georg folgte dem Rufe, doch nicht eher, bis er dem Kaiser die Stadt Hameln und seinen ehemaligen Pflegevater, so wie auch das Fürstenthum Siebenbürgen, nebst seinen dermaligen Besitzer, Fürst Gabriels Sohn, nachdrücklich empfohlen hatte; denn er dachte an die Ermahnung seines Vaters, an den Landen, wo er Schutz finden würde, Dankbarkeit zu üben; seine eignen Kräfte waren hierzu vor der Hand zu schwach, und er mußte also durch Vorbitte nützen, die bei Kaiser Rudolph, der ohnedem gern wohl that, gerade an den rechten Mann kam.

Als unser Ritter sein Vaterland wiedersah, befand er sich in der vollen Schönheit und Stärke eines blühenden Mannes von vier bis fünf und zwanzig Jahren, ungeachtet ich und meine Leser am besten wissen, wie viel Sommer er, die Epoche der Bezauberung mit eingerechnet, zählen konnte; er lebte fast noch eimal so lange, als er schon gelebt hatte, und alterte doch dabei so unmerklich, daß auch hier Bruder Bennets Weisagung erfüllt [184] wurde, und er noch im vollen Gefühl der Jugendkraft hinüberging, die himmlische Glorie zu erlangen, die ihm der heilige Vater bereits bei Lebzeiten zugesichert hatte. Seine lange Kindheit war der Quell seiner dauernden Kräfte, je mehr diese glückliche Epoche abgekürzt wird, je früher reifen wir zum Tode.

Aber nach St. Georgs Ableben ging erst die Zeit seines größten Heldenruhms an, und die Dunkelheit, welche sich über einige Theile, seiner Geschichte verbreitete, gab Gelegenheit zu den kühnsten Dichtungen, von welchen der Lindwurm unter seinen Füßen auf Bildern und Panieren vielleicht noch keine von den unrichtigsten war.

[185]

Fußnoten

1 Siölund, Wald des Meeres.

2 Diesen Namen soll ihr Naddock, als er dreißig Jahre später seine Absicht erreichte, beigelegt haben, bis sie später Island oder Eisland genannt wurde.

3 Richard Johnsons book of the Seven Champions of Christendom, eine der besten, aber nicht der ältesten Quellen, aus welcher hier geschöpft worden ist.

4 The weird Lady of the woods.

5 Man hatte ihn bei den Haaren herumgeschleift, und dann in einen Kerker geworfen, um dadurch von seiner Herde eine große Ranzion zu erpressen; eine Behandlung, welche, wie Gibbons sich ausdrückt, eine Nerve berühre, deren Schwirren sich bis ins Herz von Europa ausbreitete, und einem neuen Triebe zur geistlichen Ritterschaft das Dasein gab.

6 Die brittische Legende nennt sie Sabra, und macht sie zu der Tochter des Königs von Nubien, welche einem gräulichen Lindwurm, der nach und nach alle Jungfrauen des Königreichs gefressen hatte, endlich auch zur Speise dienen sollte; St. Georg rettete sie, aber so dankbar sie gegen ihn war, so großen Undank fand er bei ihren Eltern. Der Befreier und die Befreite liebten einander, aber durch beständige Hinderungen spottete man ihrer Liebe, trachtete dem christlichen Ritter nach dem Leben, und nöthigte die Liebenden endlich zur Flucht. Auch hier blieben sie nicht unangetastet; man schickte ihnen den Dämon der Eifersucht und des Argwohns nach. Georgen wurde die Tugend seiner Sabra verdächtigt, und er glaubte nicht eher festiglich an dieselbe, bis sie durch das Zeugniß zweier Löwen kräftig erwiesen ward; diese Thiere sind, wie bekannt, große Kenner weiblicher Treue, und Georg überließ die Tugend seiner Prinzessin dem Ausspruch dieser Schiedsrichter. In einem Walde voller Löwen verließ er sie unter dem Vorwande der Jagd, überzeugt, sie entweder zerrissen, oder mit hochgeprüfter Treue wiederzufinden. Das letzte geschah, er fand sie schlafend, einen zerfleischten Kämmerling, den er bei ihr gelassen hatte, wenig Schritte seitwärts, und dicht an ihrer Seite die Löwen, die solches gethan hatten, und nun die Jungfrau, die sie nicht antasten mochten, ehrfurchtsvoll bewachten. Da ging Georg in sich, er bat knieend wegen des Verdachts um Verzeihung, und führte seine Dame nach England.

Drittes Bändchen

Ottilie

Unweit Freiburg, in einer romantisch-schönen Gegend, erhebt sich ein mittelmäßiger Berg, von dem Volke des Landes mit dem Namen benennt, den ihr an der Spitze der alten Sage stehen seht, mit welcher ich euch, meine Thueren, in dieser Stunde der Ruhe unterhalten will.

Warum dieser kleine Auswuchs des Erdballs Ottilien-Berg genannt wird, was die Schöne, die man noch jetzt in stillen Nächten aus seinem Schoose hervorgehen sieht, über die mondbeglänzte Fläche gen Zähringen zu wallen, aus den Wohnungen des Himmels zur Erde herabstürzte, und wie sie hienieden ihren Wandel führte, das sollt ihr jetzt von mir erfahren. Seht, die Natur um uns her schickt sich an zu ihrem Winterschlafe, das Rauschen des Regens in dem falben Laube, das Heulen des Sturms an den Fenstern, und das Knistern der dürren Reiser im Kamin, erfüllt die Seele mit einem ahnenden Schauer, und bereitet sie vor zum Gehör abentheuerlicher Geschichten.

[2] Vor Zeiten ward das ganze Elsaß von einem Fürsten beherrscht, den ich, weil die Sage seinen Namen vergessen hat, und doch jedes Ding seine Benennung haben will, Rörich nennen will. Er war ein weidlicher jovialischer Herr, freute sich seines guten Landes und seiner glücklichen Einwohner, und that Niemand Leids, als wer seiner Liebe zum Vergnügen Hindernisse in den Weg legte, oder einem seiner Lieblinge oder Lieblinginnen im Lichte stand. Seine Lieblinge waren brave Jäger und Zecher, und seine Freundinnen wohlgestaltete gefällige Mädchen, die man auf seinen Lustschlössern zu Dutzenden in leichter Nymphentracht herumschwärmen sah.

Herrn Rörich war nirgend so wohl, als in der Mitte seines kleinen Serails, und er verließ gern und oft seine Residenz, seine Tugendpredigenden Räthe und seine fromme Gemahlin, um in den Armen der lieblichen Dirnen, die ihn hier umgaukelten, es zu vergessen, daß ein Fürst noch einige andere nicht unwichtige Pflichten hat, als die Freude.

Frau Ottilie, seine Gemahlin, war ehemals schön gewesen, und hatte seine Augen, da er noch ein Jüngling war, dermaßen entzückt, daß er ohne ihren Besitz zu sterben vermeinte; aber der Besitz dieses Kleinods war durch kein andres Mittel zu erlangen, als durch die geweihte Hand des Priesters, denn Ottilie war zwar arm, war keine Fürstin, aber sie war tugendhaft.

Beide hatten, nachdem gesetzmäßige Liebe sie vor Gottes Altare verbunden hatte, zwei Jahre ihres beiderseitigen [2] Frühlings wie im Himmel, im Vaterland der Liebe und Eintracht verlebt, aber als diese für den flatterhaften Rörich so lange Zeit verflossen war, als Ottiliens Reize ihm gewöhnlich wurden, als frische blühende Schönheiten ihm von allen Seiten winkten, da hatten die glücklichen Tage ein Ende. Die gute Fürstin wurde vernachlässigt und würde gänzlich vergessen worden sein, wenn nicht die Liebe der Stände und des Volks, die sie besaß, ihren Gemahl noch immer in einiger Verbindung mit ihr erhalten hätte. Das Volk hoffte auf einen Reichserben, und die Geistlichkeit, deren Gunst Ottilie in vorzüglichem Grade erworben hatte, versicherte, daß nur ein Sohn von ihr das Land beglücken könne; Ursache genug für den Fürsten, die längst beschlossene Scheidung von einem Jahre zum andern zu verschieben, und sich indessen die Zeit mit andern Schönen zu vertreiben, welche weniger eigensinnig wie die Fürstin, dem verliebten Rörich nicht zumutheten, daß er eben den Weg zu ihrem Herzen durch die Kirche nehmen sollte.

Die Ursache, warum sich die Geistlichkeit so besonders für die Fürstin interessirte, und sie so gewaltig in ihren Rechten schätzte, war ihre große Frömmigkeit, nämlich ihre Sucht, Kirchen und Klöster zu erbauen, und die Freigebigkeit, mit welcher sie die Armen, das ist diejenigen, welche das Gelübde der Armuth gethan hatten, bedachte. – Es gab noch einige Theile von Ottiliens Frömmigkeit, die uns nicht unbeträchtlich dünken: als die Wohlthätigkeit, mit welcher sie sich auch wahrer Dürftigen [3] annahm, die Geduld, mit welcher sie die Ausschweifungen und die wachsende Härte ihres Gemahls ertrug, der Abscheu vor allen verdächtigen Tröstungsmitteln, die man ihr unter der Hand anpries; aber diese Punkte kamen nicht in Rechnung, und die Fürstin hätte immer hart gegen die Nothleidenden, ungestüm gegen ihren Beleidiger und selbst leichtsinnig und ausschweifend sein können, wenn sie nur fortgefahren hätte, Kirchen und Klöster zu bereichern, so wäre ihr eben der Schutz der Mächtigen im Lande, der Priesterschaft, zu Theil geworden, den sie jetzt genoß.

Es war nicht schwer, die Stütze zu erkennen, welche Ottilien hielt, nur fehlte es Rörichen an Nachsinnen, die Mittel zu erforschen, wie dieselbe zu untergraben wäre. Ein Jahr ging nach dem andern hin, und kein Versuch, die unglückliche Fürstin zu stürzen, gelang, selbst nicht der alte abgetragene Vorwand eines verbotenen Grads der Verwandtschaft; denn Ottilie war aus einem zu dunkeln Geschlecht entsprossen, als daß sie eine nahe Muhme von Rörichs Fürstenhause sein konnte: selbst nicht der bedenkliche Umstand, daß sie ihrem Gemahl nur Töchter gebar, die noch dazu im ersten Lenz des Lebens dahin starben, denn der weissagende Mund der Priester verkündete, daß der gewünschte männliche Erbe doch endlich erscheinen würde.

Es war im zehnten Jahre des traurigen Fürstenstandes der armen Ottilie, als ein Weib endlich auf das leichte Mittel fiel, wie die Verhaßte aus dem fürstlichen [4] Bette zu verdrängen sei. Rörich trug jetzt mit Hintenansetzung aller seiner übrigen Geliebten die Bande einer gewissen Kunigunde, die ganz das Vorbild ihrer Namenschwester war, welche in spätern Zeiten Alberts fürstliches Haus veruneinigte, und den Vater und die Söhne entzweite. Die ältere Kunigunde war so schön, so stolz und so arglistig, als ihre späte Nachahmerin; sie strebte unablässig danach, Ottiliens Stelle einzunehmen, und kannte den Weg recht gut, auf welchem dieses möglich war.

Ihre Habsucht entzog dem Fürsten die Mittel, seiner Gemahlin so viel zum Unterhalt zu reichen, als er bisher, um sie doch durch etwas für seine erkaltete Liebe schadlos zu halten, gethan hatte, und da die arme Fürstin ihre Beschützer, die Pfaffen, nicht mehr so reichlich bedenken konnte, als vordem, so viel auch ein großer Theil des Ansehens hinweg, das sie bei ihnen hatte, und der Trieb, sie bei ihren Rechten zu erhalten, nahm merklich ab. Ueberdies war Kunigunde schön, arglistig und leichtsinnig genug, einen von Ottiliens vornehmsten Vertheidigern mit Liebe zu fesseln, und ihm die Belohnung seiner Leidenschaft unter einer Bedingung zu gewähren, welche der Untergang der Fürstin war.

Rörich spürte die Wirkung von dem verborgenen Miniren seiner schlauen Geliebten, ohne die Ursache errathen zu können. Man sprach nicht mehr so eifrig für die Fürstin, tadelte die Ausschweifungen ihres Gemahls nicht mehr mit solcher Strenge, und einst ließ sich gar der [5] fürstliche Beichtvater verlauten, Ottilie sei nicht mehr jung, die Hoffnung auf einen Sohn von ihr bleibe lange außen, und sollte sie bei ihrem diesmaligen Wochenbette dieselbe wiederum täuschen, so würde für sie nichts besser sein, als das Kloster, und für gewisse Andere nichts zuträglicher, als eine neue Fürstin.

Ein solcher Wink aus dem Munde eines solchen Mannes konnte nicht ohne Wirkung sein. Man gab noch am nämlichen Tage der Fürstin zu verstehen, sie würde wohl thun, die Residenz zu verlassen, denn bei ihren gegenwärtigen Umständen würde ihr die Landluft besonders zuträglich sein.

Ottilie gehorchte mit ihrer gewöhnlichen Geduld, ohne ein Zeichen des Unwillens blicken zu lassen. Nur ein Zug von verachtendem Spott war in ihrer Miene, als man ihr von einer Wahl unter ihren Lustschlössern sagte. Man hatte ja nach und nach fast alle ihre Güter eingezogen und ihr von den vielen Schlössern, die sie früher besessen, nur ein kleines Berg schloß gelassen, über welches sie allein verfügen konnte. Dieß hatte sie in der ersten Zeit ihres Glückes zu bauen angefangen, aber ehe es noch fertig war, hatte sich ihr Schicksal schon so geändert, daß sie es, nach seiner völligen Vollendung, Zähringen nannte, und es zum Schauplatz ihrer Thränen weihte. Tausende hatte sie hier in den vielen Jahren ihrer Leiden vergossen, und sie war froh, daß man ihr diese heilige Wohnung der Schwermuth gelassen hatte, damit sie auch ihre letzten Zähren daselbst weinen könnte.

[6] Sie reiste nach diesem Orte, dem einzigen, den sie wählen konnte, und unter tausenden gewählt haben würde, ohne daß man ihr vergönnte, eine einzige von ihren treuen Frauen mit zu nehmen. Man sagte ihr, sie würde an dem Orte ihrer Wahl alle Bedienung finden, die sie bedürfe, und sie ließ es sich gefallen, weil ihr bekannt war, daß sich unter den Dienstleuten von Zähringen wirlich Viele befanden, auf deren Treue sie sich verlassen konnte.

Ach sie wußte nicht, wie verändert sie Alles finden würde! Man hatte auf ihrem geliebten Schlosse bereits so geschaltet, als ob es seine Eigenthümerin verändert hätte. Ihre Leute waren abgeschafft, und andere an ihre Stelle angenommen, welche sie nicht kannte. Statt der alten Kastellanin, auf deren Wartung sie sich bei ihrem bevorstehenden Kindbette getröstet hatte, fand sie eine zierliche junge Dirne, welche ihr zwar mit der äußersten Höflichkeit und Ehrfurcht entgegen kam, aber zu welcher sie eben um ihrer Zierlichkeit, Jugend und gezwungenen Höflichkeit willen unmöglich ein Herz fassen konnte. Ach, was würde sie erst gefühlt haben, wenn sie diejenige, welche ihr ihre Dienste mit so vieler Bereitwilligkeit anbot, gekannt hätte! Es war Kunigunde selbst, welche alle ihre Maaßregeln so genommen, sich blos darum in diesen Posten gedrängt hatte, um derjenigen, welche sie stürzen wollte, nahe genug zu sein, damit keiner der ihr zugedachten Streiche mißlingen könnte.

Kunigunde war klug genug, einzusehen, daß Ottiliens gesunkenes Ansehen durch die Geburt eines Sohnes, [7] welche doch immer möglich war, schnell wieder empor kommen, und alle ihre Anschläge vernichten würde; ihr blieb also nichts übrig, als, es möchte auch erfolgen was da wollte, es so einzurichten, daß man die Fürstin allemal für die Mutter einer Tochter halten müsse. Als sie aber eines Tages der Sache tiefer nachdachte, und es nicht für unwahrscheinlich hielt, daß Ottilie, ungeachtet der Tücke, die sie ihr anzuthun sich bestrebte, doch endlich obsiegen, und die Stelle, von welcher sie sie zu stoßen gedachte, wieder erlangen könnte, so schien es ihr nöthig, daß die Fürstin unausbleiblich in dem bevorstehenden Wochenbette nebst ihrem Kinde sterben, und also auf ewig für sie unschädlich gemacht werden müsse.

Es ist unbekannt, ob Ottilie, bei allem Widerwillen gegen ihre aufgedrungene Pflegerin, eine Ahnung von dem ganzen Umfange ihrer Bosheit hatte, aber so viel versichert die Sage, daß sie einst, bei ihrer Rückkunft aus der von ihr erbauten Marienkapelle, sich in ungewöhnlicher Aufregung befunden, den ganzen Tag weder Speise noch Trank zu sich genommen habe, und des Morgens aus dem Schlosse verschwunden sei, ohne daß man je habe erfahren können, was aus ihr geworden.

Wie leicht es Kunigunden wurde, den Fürsten über den Verlust seiner Gemahlin zu trösten, und sich zu rechtfertigen, wie leicht, die Stelle der Verlornen einzunehmen, dieses sind Dinge, welche nicht in unsere Geschichte gehören, da es uns obliegt, uns von der Heldin derselben nicht zu weit zu entfernen.

[8] Die Wahrheit von der ganzen Sache, welche erst nach anderthalb hundert Jahren ganz an das Licht kam, war diese: Ottilie, eine eifrige Verehrerin der heiligen Jungfrau, welcher sie Kirchen und Kapellen zu Dutzenden gebaut hatte, versäumte keinen Tag, in dem Heiligthume, das sie ihr zu Zähringen weihte, ihre Andacht zu verrichten, und ihre Hüterin Kunigunde, welche hieraus kein Arges hatte, dachte nicht daran, ihr diesen kleinen Trost zu rauben.

Eines Tages, als Ottilie besonders eifrig zur Königin des Himmels gebetet hatte, sank sie auf den Stufen des Altars in einen heiligen Schlummer, der ihr eine Menge Träume vorführte, welche ihr ihre wahre Lage deutlich schilderten, ihr den Namen und die Absichten ihrer Verfolgerin nannten, und ihr Alles sagten, was sie von ihr für sich und ihr Kind zu fürchten habe. – Nie haben Träume so deutlich gesprochen, nur Schade, daß sie zu kurze Zeit dauerten, um ihr über das Nothwendigste, über die Mittel, dem Unglück zu entgehen, Unterricht zu geben.

Ein Geräusch von außen verscheuchte das leichte Heer der Traumgebilde, und sie erwachte in einem Zustande, der sich nicht schrecklicher denken läßt. Welch ein Gefühl, den geöffneten Abgrund vor sich zu sehen, die Hand im Nacken zu fühlen, welche uns hinabstürzen wird, ohne hinlängliche Kraft zu besitzen, sich zu retten, ohne weit und breit einen Retter zu sehen, der das ersetzen könnte, was unsere Schwachheit nicht vermag!

[9] »Ich traue auf dich, Heiligste des Himmels, treue Warnerin!« sagte Ottilie, als sie in der Nacht nach der schrecklichen Entdeckung leise von ihrem Lager aufstand, das Schloß an der Thür, das sie vorsichtig mit dem Oel der nächtlichen Lampe getränkt hatte, sanft zurückzog und die steinerne Wendelstiege hinabschlich. »Ich traue auf dich, du wirst die Gewarnte nicht verderben lassen, oder, soll sie ja umkommen, dich wenigstens ihres verlassenen Kindes erbarmen. Flucht ist das Einzige, was ich zu meiner Rettung thun kann.«

Es war in einer der kältesten Nächte des Christmonats, als die bedrängte Fürstin das Schloß verließ, das sie in glücklichen Zeiten erbaut hatte. Es gelang ihr, durch ein niedriges Fenster in den beschneiten Garten, und von da durch eine nur von innen verschlossene Thür auf das Feld zu kommen. Kunigunde hatte auf Alles, nur nicht auf die mögliche Flucht ihrer Gefangenen gedacht; sie glaubte, ihre Gefahr sei ihr verborgen, und würde sie auch dieselbe gewahr, so müßte ihr Zustand ihr es unmöglich machen, derselben zu entgehen.

Ottilie war in einer Art von Betäubung, als sie den gefährlichen Schritt wagte; wie hätte sie sonst die gewisse Gefahr für die ungewisse wählen können? Sie sah ihrer Entbindung täglich entgegen, was sollte aus ihr werden, wenn die gefürchtete Stunde sie hülflos überraschte? was sollte alsdann aus ihr werden, wenn dieselbe auch glücklich vorüber ging? sie wußte keinen Zufluchtsort, hatte auf keinen gesonnen. Die Fußtapfen im tiefen Schnee [10] mußten ihren Weg verrathen, und das Glücklichste, was ihr begegnen konnte, war, daß sie hier aufgefunden und in die Hände ihrer Verfolger zurückgebracht wurde.

Die unglückliche Fürstin dachte jedoch gar nicht an den wahrscheinlich unglücklichen Erfolg ihrer Flucht, ihr ganzes Wesen war zu sehr von einem unnennbaren Gefühl der heftigsten Schmerzen des Körpers und der Seele erfüllt. Sie strengte sich über Vermögen an, um nur einige Schritte weiter zu gehen, um nur einige Spannen weiter von der Feindin entfernt zu sein, vor welcher sie der Traum gewarnt hatte, aber endlich verließen sie ihre letzten Kräfte, und sie sank ohne Empfindung auf einen großen Feldstein nieder.

Als sie wieder zu sich selbst kam, hörte sie das silberne Glöcklein auf ihrer Marienkapelle zur Metten läuten, denn die Christnacht war eben angebrochen, und ein heißer Seufzer zur Königin des Himmels drängte sich aus ihrem beänstigten Herzen. Sie schlug die Augen auf und sah an ihrer Seite auf dem Feldsteine eine schöne große Frau sitzen, deren Gestalt sie ganz erkennen konnte, ungeachtet die finstere Winternacht rund umher ihren Schleier ausgebreitet hatte. Ein mildes Licht, das aus der unbekannten Gefährtin selbst auszugehen schien, machte ihr dies Gesicht voll Majestät und sprechender Milde, machte ihr diesen Blick voll Mitleid, mit welchem ihr Auge auf ihr ruhte, sichtbar, und sie wollte schon einige Worte aussprechen, wie sie ihr das Entzücken über einen solchen Anblick in den Mund gab, als sie in den Armen der [11] Fremden einen Gegenstand gewahr wurde, der noch ganz andere Gefühle in ihr erregte, welche zu fassen ihr Herz zu beengt, welche auszusprechen ihre Zunge zu schwach war.

Ein neugebornes Kind von blendender Schönheit lag auf dem rosenfarbnen Schoos der Fremden, und wurde von ihrem himmelblauen Mantel liebreich gegen die schneidende Kälte geschützt. – Mit einem leisen unartikulirten Ton der Freude streckte Ottilie ihre Arme nach dem kleinen lächelnden Engel aus, den ihr die Fremde entgegen hielt, denn ihr Herz sagte ihr, wie nahe sie mit demselben verwandt sei. Es ist dein Kind! rief etwas im Innersten ihrer Seele, und ein Blick nebst etlichen abgebrochenen Worten der Unbekannten bejahte es.

»Ich fand euch,« sagte sie auf weiteres Befragen, »hier in dem hülflosesten Zustande, und stand euch bei, so gut ich konnte. Aber was soll nun aus euch und eurem Kindlein werden?«

»Ach! mir wird bald auf ewig geholfen sein,« sagte die schwache Fürstin. »Ich fühle bereits den Tod im Herzen! Ich glaube, die Freude über die Neugeborne hat es vollends gebrochen! –«

»Aber was soll ich mit der verlassenen Kleinen beginnen?«

»Sie ist nicht verlassen, wenn sie in euren Händen ist; ihr scheint mir eine gute Frau zu sein. Fördert das Kind, das ich euch hinterlasse, zur Christenheit, und seid [12] seine Pathe; euch und die Königin des Himmels erwähle ich zu seinen Taufzeugen.«

Die Fremde lächelte ein wenig, und fragte, wie die Neugeborne heißen sollte?

»Marie!« erwiederte die Fürstin, »nach ihrer vornehmsten Pathe, und wollt ihr ihr noch einen Namen zum Andenken ihrer unglücklichen Mutter geben, so nennt sie Ottilie.«

Die Unbekannte schwieg ein wenig, thaute darauf eine Hand voll Schnee mit ihrem Hauch zu Wasser auf, sprengte es über das Haupt des Kindes und gab ihm seine Namen.

»Wer seid ihr?« fragte die Fürstin, die dieser Handlung mit Andacht zugesehen hatte.

»Ich heiße Marie!«

»Woher kommt ihr? und wohin geht euer Weg?«

»Ich komme von oben, und walle dort nach meinem Hause, wo die silberne Glocke tönt.«

»O nun kenne ich euch!« rief Ottilie mit einem unaussprechlichen Blicke. »Heil mir! mein Kind ist wohl berathen! –« Darauf wandte sie sich auf die Seite, schloß die Augen und verschied. –

Die Königin des Himmels, – meine Leser werden wohl nicht mehr zweifeln, wer die Fremde war, – ließ einige himmlische Thränen auf die Entseelte fallen, vertraute der mütterlichen Erde den Körper, und bedeckte das Grab mit dem Feldsteine, auf welchem sie neben ihr gesessen hatte. Das Kindlein aber hüllte sie in ihren [13] Sternenmantel und nahm es mit sich hinauf in ihre ruhigen Wohnungen.

Wer kann die Geheimnisse der Ueberirdischen fassen, und wer kann genau sagen, wie es mit der Erziehung der kleinen Marie bei ihrer himmlischen Pathe beschaffen sein mochte? So viel läßt sich aus dem, was die Sage von diesen wunderbaren Dingen aufbehalten hat, schließen, daß es die Absicht der Königin des Himmels war, das junge Fräulein für die Welt und nicht unmittelbar zum Leben der Seligen zu erziehen; daher sammelte sie solche Gegenstände um sie her, oder gab vielmehr allen Dingen, welche ihr in den obern Regionen vorkommen mußten, ein solches Ansehen, wie sie in das Leben hienieden paßten. Engel und Selige kamen der kleinen Erdbürgerin wie schöne goldgelockte Jünglinge und Jungfrauen vor, die Feste des Himmels hatten viel Aehnlichkeit mit den irdischen, bei welchen Tugend und Wohlstand herrscht, und selbst die kleinen Geschäfte, zu welchen sie, so wie sie heranwuchs, angehalten wurde, waren die nämlichen, wie sie ihr etwa in ihrem künftigen Erdenleben bestimmt sein mochten.

Daß indeß ihr Herz in der himmlischen Gesellschaft, in welcher sie sich befand, unendlich veredelt, ihr Geschmack an Dinge gewöhnt werden mußte, wie man sie auf Erden selten findet, das läßt sich denken, und so vortheilhaft das erste für sie war, so zog das andere doch gewisse üble Folgen nach sich, die sich nicht ganz vermeiden ließen. Ein Glück wär' es für die kleine Marie gewesen, [14] wenn sie in den obern Regionen völlig hätte heranwachsen, oder ewig daselbst bleiben können; aber eine halbe vollendete Erziehung, und wäre es die beste von der Welt, kann nie großen Nutzen schaffen.

Die junge Erdbürgerin hatte das siebente Jahr eben angetreten, als sie von ihrer Pathe vorgenommen und folgendermaßen angeredet ward: »Mein Kind, du trittst heute aus den Gränzen der Jahre, da der Mensch blos lebt und athmet, ohne sich selbst zu kennen; deine Begriffe werden von nun an sich besser entwickeln, und da es nicht fehlen kann, daß du hier auf eine Menge Dinge stoßen wirst, die nicht recht zu denselben passen, so ist es nöthig, daß ich dir die Augen über deinen wahren Zustand öffne. Das Land, in dem du lebst, ist nicht dein Vaterland; du bist in einer viel gröbern Luft geboren, als die wir hier athmen, bist zu einem Leben bestimmt, das weit unter demjenigen ist, das wir hier leben; gern behielt ich dich bei mir, aber dies ist mir gar nicht, oder nur unter gewissen Bedingungen erlaubt, die du schwerlich erfüllen wirst.«

Die kleine Marie weinte sehr, als sie von Trennung von einem Orte sprechen hörte, der ihr mit allen seinen Bewohnern so theuer war.

»Möchtest du gern bei mir bleiben?« fragte die Heilige.

»O gern, gern liebe Pathe!« rief das Kind, welches anfing noch heftiger zu weinen.

»Aber,« sagte sie, »du wirst größer werden, wirst[15] Unarten annehmen, welche uns hier oben fremd sind; Vorwitz, Eigensinn und Stolz werden sich in deinen Handlungen äußern, und bei dem ersten Vergehen dieser Art würde ich genöthigt sein, dich dahin zu verstoßen, woher du kamst. Willst du also das Glück immer genießen, das dir jetzt so theuer ist, so sei auf deiner Hut, denn von nun an wirst du in mannichfache Versuchung kommen, deren kleinste für deine Kräfte zu schwer sein möchte. Dürfte ich es auch wagen, dir, wenn du zum erstenmal unterliegst, zu verzeihen, so würde dich doch ein zweiter und dritter Fall unausbleiblich in die Tiefe, aus der du gekommen bist, hinabstürzen.« –

Die kleine Sterbliche war klug genug, ihre Pathe um einige Regeln zu bitten, nach welchen sie in der gefährlichen Epoche, welche ihr angekündigt wurde, sich zu richten hätte, und sie erhielt folgende Lehren, die die Heilige, um sie dem Kinde desto merklicher zu machen, in diese kurze Denkreimlein kleidete. »Strebe,« sprach sie mit warnender Miene, »strebe nicht nach höhrem Himmelsglück; sieh es droht der Sterblichen Gefahr. – Schaue nicht ins Erdenthal zurück, das zu Tod und Elend dich gebar. – Und verwende deine kühnen Blicke nie nach dem, was dir verboten war.«

Marie dankte ihrer Pathe, und wiederholte die drei goldnen Regeln so oft bei sich selbst, bis sie ihr unvergeßlich waren.

Auch hätte man glauben sollen, sie wären ihr ganz und gar entbehrlich gewesen; sie hatte an der kindischen [16] Einfalt und Unschuld, die in ihrem Herzen wohnten, ein paar Schutzengel, die sie sicherer vor tausend Versuchungen vorbei führten, als die ernstlichsten Warnungen. Sie wußte nichts von den Gefahren, die sie täglich bedrohten, denn Unbekanntschaft mit dem Bösen ließ sie immer recht handeln, ohne daß es ihr Mühe, Ueberwindung oder Nachdenken kostete.

Die himmlische Marie hatte die Freude, ihre kleine Namesträgerin zur Vollkommenheit der Engel heranwachsen zu sehen, und gewann sie immer lieber. Sie gab ihr unzählige Beweise ihres Wohlgefallens, unter denen, um sich nach der sinnlichen Natur des Kindes zu bequemen, freilich auch manche waren, die nicht recht in die überirdischen Regionen zu gehören schienen; und es war nicht unmöglich, daß die schönen Kleider und die bunten Zeitvertreibe, an welchen es ihr die zärtliche Pathe nie fehlen ließ, den ersten Grund zu dem nachmaligen Falle des armen Mädchens legten.

Es war gegen Allerheiligen, als Marie ihre kleine Pathe vornahm, und zu ihr sagte: »Ich schwebe hinauf in die translunarischen Gefilde, die höhern Feste des Himmels zu feiern, und lasse dich hier zurück, wo es dir auch nicht an Freuden fehlen wird, die sich für dich passen. Nur sei mit dem zufrieden, was dir zukömmt, und suche dich nirgend einzudrängen, wo du nicht hingehörst. Vor allem aber beachte deine drei Regeln wohl. Du weißt, daß du in meiner Burg schier Alles thun und an allen Orten sein kannst, wo du willst. Und die wenigen [17] Gegenden, die dir verboten sind, kennst du auch; es sind die Zinnen meiner Thürme, von welchen du herabstürzen könntest, und vor allem meine Bäder, in welchen dir die Gefahr zu ertrinken droht. Du siehst, daß ich es gut mit dir meine, und dir nichts untersage, als was dir schaden kann. Doch hast du deinen freien Willen; die Schlüssel zu allen Thüren sind in deiner Hand, und du kannst thun, was dir gefällt.«

Die kleine Erdbürgerin gelobte von neuem Gehorsam und gute Aufführung, und man trennte sich auf baldiges Wiedersehen.

Auf Allerheiligen wurde in Mariensburg eine Art von offnem Hof gehalten, und manches Fest gefeiert, bei welchem sich alle Heiligen der zweiten und dritten Ordnung versammelten. Die kleine Marie durfte, als eine Sterbliche, freilich diesen Dingen nur in der Ferne zusehen, aber auch dieses gewährte ihr schon unendliches Vergnügen, bis sie an einem Tage, bei Betrachtung und Anlegung ihrer glänzenden Gewänder, den Geschenken ihrer Pathe, auf den Einfall kam, sie könne, so geschmückt und schön wie sie war, wohl eine von den Eingebornen des Himmels vorstellen, und wenigstens incognito einem von ihren Festen mit beiwohnen. Sie hatte diesen Tag ihre drei Regeln schon zwanzigmal wiederholt, aber es fiel ihr nicht ein, ihr Verhalten nach denselben zu prüfen; sie hielt das, was sie vorhatte, nicht für unrecht, und führte es kühnlich aus, ohne von den Thürhütern erkannt zu werden.

[18] Auch unter den Anwesenden war Niemand, der sie zu kennen schien, und ihr darum seinen Umgang versagte, denn ihr Betragen war so edel, so ganz nach den Sitten des Himmels gebildet, daß sie wohl eine Gespielin der Engel abgeben konnte; doch hielt sie sich mehr zu ihres Gleichen, und fand unter den eilftausend Jungfrauen der heiligen Ursula und den unschuldigen Kindlein manche liebe Gefährtin.

Was sie einmal versucht hatte, geschah öfters, und kein Tag verging, daß sie sich nicht in dem glänzenden Zirkel befand, in den sie nicht gehörte. Doch schien es, als wenn man sie nach und nach kennen lernte, und sich darum von ihr entfernte. Sie sah in diesen Tagen der Vernachlässigung unter der zahllosen Menge noch ein liebenswürdiges Geschöpf, welches gleich ihr nicht beachtet wurde, und mitten in der großen Versammlung einsam zu sein schien.

Marie hatte nie davon gehört, daß sich oft unter die Kinder des Himmels ein böser Geist zu mischen pflegt, und daß daher auch hier Behutsamkeit nöthig sei. Niemand warnte sie, und sie gesellte sich daher ohne Bedenken zu dem, welcher gleiches Schicksal mit ihr hatte.

Man unterhielt sich mit einander, man gewann sich lieb, und es kam bald dahin, daß der Unbekannte von Marien unzertrennlich war. Es würde dem unglücklichen Mädchen leicht gewesen sein, in ihrem gewählten Gefährten einen Verführer zu erkennen, wenn sie gewußt hätte, was Verführung wäre, und wenn nicht der betrügerische [19] Geist, welcher darauf sann, ihr ihr Glück zu rauben, erst dann mit seinen zweideutigen Vorschlägen und Unterhaltungen hervorgetreten wäre, als er sie schon gewöhnt hatte, Alles, was er sagte, schön und gut zu finden.

»Mich wundert,« sagte er eines Tages, »wie deine Patronin dir den Zutritt zu den höhern Festen des Himmels versagen und dich hier der langen Weile Preis geben kann; denn so viel mußt du doch gestehen, daß ohne mich dir die Stunden sehr langsam verfließen würden. – Geschah es deshalb, daß sie dich von der schönen Erde entführt hat, um dir hier die unschuldigsten Freuden zu entziehen?«

»Die Erde ist nicht schön, wie meine Pathe sagt,« antwortete Marie; »der Himmel ist schöner als Alles.«

»Mag wohl sein,« erwiederte der Verführer, »aber glaubst du denn dich hier im Himmel zu befinden? – Arme Betrogene, auf einem kleinen Planeten lebst du, von den Erdbewohnern Mond genannt, dessen Hauptbestimmung ist, ihren Nächten zu leuchten. – Kannst du dir vorstellen, daß der Diener der Erde schöner sei, als die Erde selbst? – O solltest du sie sehen die schöne leuchtende Kugel, solltest du sie nur von Ferne sehen. Ich sollte meine, auf den Zinnen dieser Burg müßtest du sie in heitern Nächten erblicken können!«

»Da hinauf zu steigen ist mir verboten,« erwiederte Marie.

»Wie ich dir gesagt habe,« rief er, »sie beneidet dir den Anblick des Glückes, das sie dir raubte.«

[20] Die leichtgläubige Sterbliche hörte den Reden des Verführers so lange zu, bis sie Eingang bei ihr fanden, und ehe die Nacht erschien, stand sie an seiner Seite auf der verbotenen Zinne. »Diese leuchtende Kugel,« sagte der gefährliche Gesellschafter, indem er auf die aufgehende Erde deutete, welche, weit schöner und größer als der Mond, in ihrer Herrlichkeit am Rande des Himmels heraufwandelte, »dieses glänzende Gestirn ist dein Geburtsland; wir sehen es auf der andern Seite des Planeten, auf dem wir jetzt sind, alle Nächte, aber deine Neiderin hat absichtlich ihre Burg auf diesen dunkeln Fleck verlegt, um dir auch die kleine Freude zu rauben, dein Vaterland in der Ferne zu sehen. Ach, und solltest du es erst in der Nähe erblicken! die tausend von dir nie gesehenen, unaussprechlichen Dinge, die es enthält! – Laß mich abbrechen! Einst war ich da, und ich hoffe, bald dahin zurück zu kehren!«

Marie sah den Sprechenden mit einem traurigen Blicke an, den er wohl verstand; um ihre Sehnsucht aufs höchste zu treiben, begann er mit himmlischer Beredsamkeit von allen Schönheiten der Erde, von allen ihren verführerischen Scenen zu sprechen; Dinge, welche freilich der Zuhörerin nur halb verständlich waren, die aber eben darum für ihre Neugierde desto größeren Reiz hatten.

»Lebe wohl,« sagte er am Ende, als er merkte, daß er Gift genug in ihr Herz gestreut hatte, »lebe wohl auf lange Zeit. Mich dünkt, meine Rückkehr zur Erde steht [21] nahe bevor, vielleicht, daß wir uns einst in ihren seligen Gefilden wieder finden.«

»Und wie macht ihr es, ihr Himmlischen,« fragte die Sterbliche, »euch hinüber zu schwingen?« – »Wir tauchen uns,« sagte der Verführer, »siebenmal in ein ätherisches Bad, dergleichen deine Patronin wohl auch in ihrer Burg haben wird, und dadurch werden wir leicht genug, um von den Fittigen der Winde, denen wir gebieten, uns an jeden Ort hintragen zu lassen, wo wir zu sein wünschen.«

Marie blieb nachdenkend zurück und schaute mit trüben Blicken ihrem fliehenden Gefährten nach. Keine Nacht verging hinfort, daß sie nicht auf die Zinne stieg, und das Gestirn, das man ihr als Geburtsland bezeichnet hatte, so kläglich anweinte, als je in der Epoche der Empfindsamkeit ein liebekrankes Mädchen den Mond angeweint haben mag.

Ruhe und Heiterkeit waren aus ihrem Herzen gewichen. Statt der Liebe und Sehnsucht nach ihrer Wohlthäterin, wohnte in ihrer Seele düstres Mißbehagen, Argwohn und heimlicher Unwille. Sie dachte nach, was Marien wohl bewogen haben möchte, sie von der schönen Erde hieher zu versetzen, und erschuf sich selbst eine Geschichte hiervon, in welcher sie die Bedrängte, und die wohlthuende Heilige die Tyrannin war. Sie fing beinahe an, Marien zu hassen, und daß ihr bei diesen Gesinnungen ihre Gebote nicht mehr heilig sein konnten, läßt sich denken. Zwei derselben hatte sie schon ungestraft gebrochen, und auch das dritte [22] zu übertreten, dünkte ihr Kinderspiel. Sie kannte keinen heißern Wunsch, als diese Gegenden, die ihr jetzt öde und traurig dünkten, mit den schönern Gefilden der Erde zu vertauschen, und wollte ihn befriedigen, sollte es auch ihr Leben kosten.

»Was zögre ich so lange?« sagte sie zu sich selbst, »was habe ich zu scheuen? Das Mittel zur Stillung meiner Sehnsucht ist ja in meinen Händen! Hier ist der Schlüssel zu Mariens Bädern, von deren Kraft mich der Engel unterrichtet hat. Ich tauche mich siebenmal in die ätherischen Futhen, und wie wohl, o wie wohl wird mir sein, wenn ich mich von der spiegelglatten Fläche, leicht wie die Luft, erhebe und hinüber schwebe, hinüber in die Gefilde des Lichts, wo ich geboren ward, und wo, wie mein Freund mich versichert, so herrliche Dinge meiner warten!«

Mariens Bäder waren auf einem der höchsten Mondgebirge angelegt; eine ehrne Mauer umschloß sie, und diamantne Riegel verwehrten den Eingang. Die Gebirge waren von dem leichtfüssigen Mädchen schnell erstiegen, der weite Umfang der himmelhohen Mauer, die sie bisher nur von weitem gesehen, ward ohne Grauen betrachtet und die Riegel vermittelst des goldenen Schlüssels hinweggeschafft. Die weiten Pforten flogen krachend aus einander und eröffneten eine gränzenlose überraschende Aussicht. Die kühne Sterbliche hatte erwartet, in irgend ein hohes Gewölbe zu kommen, wo marmorne Becken den Gliedern kühle Erfrischung anböten; aber ein See, den das Auge nicht übersehen konnte, zeigte sich ihren Blicken, [23] und über demselben keine andere Decke als der dämmernde Abendhimmel, an dessen Horizonte das Lieblingsgestirn der Betrogenen schön und schrecklich heraufstieg. Das Schicksal wollte, daß sie gerade eine Stunde zu ihrer verwegenen That gewählt hatte, in welcher die Mondbürger einer Erdverfinsterung entgegen sahen. Die Sonne stand hinter dem dunkeln Planeten, der einen fürchterlichen Schatten auf das Gestirn warf, das die Pflegetochter der Heiligen zuvor nie anders als silberhell und rein erblickt hatte. Der unverfinsterte Theil der Erde war roth wie Blut, und der Rand der glatten See schien von seinem Abglanz in Feuer zu schwimmen. Marie bebte zurück! Nun, rief es ihr wie aus tiefer Ferne entgegen, nun tauche dich siebenmal in die ätherischen Fluthen, und schwebe hinüber, hinüber nach deinem Geburtslande! – Aber die Sterbliche schauterte muthlos in sich zurück und wandte sich zu fliehen. Doch der Vorwitz hieß sie umkehren. Nur noch einmal mußte sie das glühende, immer dunkler werdende Gestirn betrachten, ungeachtet es ihr nicht mehr gefiel; nur die Spitze des Fingers in dieses Wasser tauchen, obgleich seine gränzenlose Ausdehnung ihr Grauen machte, und ihr die Lust benahm, sich darin zu baden. Sie that Beides, und warf dann die ehrnen Pforten im Fliehen hinter sich zu, daß der Wiederhall im Thale den krachenden Ton zehnfach zurückgab.

Tausend Schrecken jagten hinter der Fliehenden her. Sie kam athemlos auf ihrem Zimmer an, warf sich auf [24] ihr Bette, und verhüllte sich in die Decken ihres Lagers. Ein Schlaf, voll der schrecklichsten Phantasien, überfiel sie, aus welchem sie am Morgen – durch die Stimme ihrer himmlischen Wohlthäterin – erweckt wurde.

»Marie!« rief diese mit liebkosendem Tone, »Marie, mein Kind! was fehlt dir? du bist krank, wie ich fürchte! Todesblässe ruht auf deinem Gesicht, kalter Schweiß deckt deine Glieder! Kann Krankheit und Tod auch in diese Wohnungen der Ruhe eindringen? Doch du bist eine Sterbliche, und wohl dir, wenn du in der unbefleckten Unschuld, die noch deine Seele ziert, wohl dir, wenn du in meinen Armen den Geist aufgäbest!«

Die Worte der Heiligen schnitten der Sünderin durchs Herz; sie verbarg ihr Gesicht unter der Decke, und zog ihre Rechte sträubend zurück, welche St. Marie gefaßt hatte, um ihren Puls zu fühlen.

Ach, die verrätherische Rechte! es war eben diejenige, welche in vergangener Nacht es wagte, das geweihte Wasser zu berühren! Die Heilige hielt sie fest, und entdeckte an den viertem Finger derselben, der die Frevelthat verübte, das erste Glied in Gold verwandelt, daher auch noch dieser Finger der Goldfinger genannt wird, bis auf diesen Tag.

»Marie!« rief jetzt die Königin des Himmels in einem ganz andern Tone, »Marie! was hast du gethan? – O zweite Eva! du hast von dem verbotenen Baume gekostet, und Verstoßung aus dem Paradiese wird dein Theil sein!«

[25]

Mit Entsetzen über die Donnerstimme ihrer Wohlthäterin warf sich jetzt die kleine Marie aus dem Bette, um auf den Knieen um Gnade zu flehen. »Ich habe von keinem verbotenen Baume gekostet,« schrie sie mit kindischer Einfalt, weil sie die figürliche Rede der Heiligen nicht verstand, »ich habe nichts gethan, als – –«

»Ja, ja,« unterbrach sie die erzürnte Königin des Himmels, »du hast nichts gethan, als alle meine Gebote übertreten! Siehe, Verworfene! deine eigene frevelhafte Hand zeugt wider dich; kannst du das Brandmahl an diesem Finger auslöschen?«

Das Mädchen, welches vor Bestürzung nicht wußte, was es that, rieb unaufhörlich an dem vergoldeten Gliede, um den verrathenden Flecken zu tilgen, und weinte dazwischen so kläglich, daß es der Heiligen jammerte.

»Du bist ohne Rettung für mich und diese glückliche Wohnung verloren,« sagte sie nach langem Stillschweigen, »aber doch steht es in meiner Macht, dein Schicksal zu lindern, und es soll geschehen, wenn du aufrichtig genug bist, mir Alles zu gestehen, was in meiner Abwesenheit vorgegangen ist.«

Und Marie erzählte in einem so treuherzigen, kunstlosen und kummervollen Tone, daß das Herz der Heiligen vollends gebrochen ward.

»Du bist zu bedauern,« sagte sie, »aber noch ein mal, du bist nicht zu retten; das Urtheil der Verstoßung aus diesen Wohnungen der Ruhe ist unwiderruflich. Doch das hast du ja gewünscht, du hast dich ja in dein Geburtsland [26] zurück gesehnt; nun so gehe denn hin, und siehe, was für Glückseligkeiten dort deiner warten. O Marie, Marie! nur eine Geschichte, nur die Geschichte deiner Mutter, nur die Geschichte deiner Geburt darf ich dir erzählen, um dir über die Beschaffenheit des Landes, wohin du dich sehnst, die Augen zu öffnen!«

Und die Heilige erzählte eine lange, schauervolle Geschichte, ganz dieselbe, die wir unsern Lesern mitgetheilt haben, aber mit Bemerkungen durchflochten, wie sie nur eine Himmlische machen kann. Die kleine Marie horchte aufmerksam zu und bewahrte jedes Wort in ihrem Herzen; ach, sie wußte, daß es die letzten waren, die sie aus dem Munde ihrer Wohlthäterin hören sollte!

»So gehe denn hin,« sagte die Königin des Himmels, indem sie am Ende die weinende Sterbliche in die Arme schloß, »ich muß dich von mir lassen. Deine Strafe ist die Verbannung von meinen Augen, und der Verlust des Namens, den du mit mir gemein hast. Erkühne dich nicht, dich auf der Erde, wo du nunmehr bald sein wirst, Marie zu nennen; nenne dich Ottilie, nach deiner unglücklichen Mutter. Ich werde dich nicht ganz verlassen, wenn du außer diesem Gebot noch folgendes in Acht nimmst: Rede nie zu kühn von den Geheimnissen der Oberwelt, die du bei mir kennen lerntest, und sei nicht stolz darauf, daß du unter den Himmlischen erzogen wurdest, – du siehst, wie wenig dir dieser Vorzug genutzt hat.

Morgen beim Erwachen wirst du dich auf dem Grabe [27] deiner Mutter, wo du zuerst athmetest, befinden. Dein Vater, welchen ich auf deine Ankunft vorbereiten will wird dich aufsuchen, und dich in alle Rechte einer Tochter von ihm einsetzen. Du wirst nicht unglücklich sein, wenn du tugendhaft bist, auch ist es dir erlaubt, mich einmal in deinem Leben, in deiner höchsten Noth zu Hülfe zu rufen, wo ich dann nicht ermangeln werde, dir zu deiner Rettung zu erscheinen, und dich vielleicht an den Ort zurückzuführen, den du jetzt verlassen mußt.«

Unter Seufzen, Weinen und Abschiednehmen verfloß der Rest dieses traurigen Tages, und am Abend entschlief die kleine Ottilie, um in dem Lande der Thränen zu erwachen.

Aus der Erzählung ihrer Pathe wußte sie, daß der Ort ihrer Geburt und das Grab ihrer unglücklichen Mutter durch einen gemeinen Feldstein bezeichnet ward, welcher mitten in einem öden Thale lag, und sie erstaunte also nicht wenig, als sie sich beim Erwachen auf einem Monumente von weißen Marmor, unter einem hochgewölbten Dome sah, von dessen Mitte eine brennende Ampel herab hing. Marie hatte ihr verschwiegen, was für Veränderungen sich seit ihrer Geburt in dieser Gegend zugetragen hatten, und uns will obliegen, ihren Fehler zu verbessern.

Kunigundens Glück, das sie auf den Untergang einer unglücklichen Fürstin baute, dauerte kurze Zeit; die Rache des Himmels verfolgte sie, das Blut Ottiliens von ihren Händen zu fordern. Der Verlust ihrer Reize hatte [28] ihr zeitig das Herz ihres Gemahls geraubt, sie mußte neuen, frischer blühenden Schönheiten weichen, so wie Ottilie ihr gewichen war. Eine lange schmerzhafte Krankheit führte sie dem Tode entgegen, und in den Augenblicken, da sich das Grab vor ihren Füßen öffnete, war es, daß sie Rörichen zu sich berief, und ihm das ganze Bekenntniß ihrer Sünden ablegte. Ein Schauer durchbebte ihn, als er erfuhr, Ottilie sei nicht im Kindbette gestorben, wie man vorgegeben hatte, sondern verloren gegangen, und weil man es nicht der Mühe werth gehalten habe, sie aufzusuchen, vermuthlich umgekommen.

Es ist unbekannt, was Rörichen bei Erzählung dieser Begebenheiten so erschütterte, ob Grauen vor der Bosheit, welche seine beklagungswürdige Gemahlin zur Flucht nöthigte, oder Furcht, sie möchte wieder kommen und ihre Rechte auf seine Person geltend machen. Er verließ die Sterbende mit Verwünschungen, und ließ, weil mehrere Personen bei Kunigundens Bekenntniß gegenwärtig gewesen waren, und die Sache sich nicht verbergen ließ, in allen seinen Landen eine große Belohnung für denjenigen ausrufen, welcher ihm Gewißheit von dem Schicksal der verlornen Fürstin bringen würde.

Um diese Zeit war es, da das Gerücht erscholl, es befände sich in der Feldmark von Zähringen ein Stein, bei welchem große Wunder geschähen. Des Nachts wollte man öfters einen hellen Glanz um denselben gesehen, und himmlische Stimmen dabei gehört haben, und da er bei Tage der Sitz der herumschweifenden Bettler war, so behaupteten [29] viele, daß Lahme, die auf demselben ihre Ruhe genommen hatten, mit dem vollen Gebrauch ihrer Glieder aufgestanden wären, und Blindgeborne hier unverhofft den ersten Strahl des Lichts erblickt hätten. Diese Begebenheiten erregten großes Aufsehen im Lande, und die Umwohner, welchen es je länger, je gewisser ward, daß der wunderbare Stein die Gebeine irgend eines Heiligen decken müsse, kamen bei dem Fürsten mit der Bitte ein, hier eine Kapelle bauen zu dürfen.

Rörich, welchen das Laster jetzt zu verlassen begann, und der daher je zuweilen einige Mahnungen vom erwachenden Gewissen spürte, dachte dasselbe auf die Art zu befriedigen, wie es in seinen Tagen gewöhnlich war. Die Erbauung einer Kapelle, die man ihm vorschlug, war ihm eine erwünschte Sache. Er begleitete seine Einwilligung mit dem Versprechen, die Kosten des Baues selbst zu tragen, wirkte vom heiligen Vater mit schwerem Golde ansehnliche Indulgenzen aus, und kam selbst nach Zähringen, an der heiligen Stelle zu beten, und der Nachsuchung nach Reliquien beizuwohnen.

Der Feldstein wurde in seiner Gegenwart aufgehoben, und man stelle sich das allgemeine Erstaunen vor, als man im Schoos der kleinen Höhle, die sich nun dem Auge zeigte, den unverwesten Leichnam der verlornen Fürstin fand. Eine solche Erscheinung, mit den Wundern ihres Grabsteins zusammen genommen, war hinlänglich; sie zum Range einer Heiligen zu erheben. Aller Augen schwammen in Thränen der Andacht, aber aus Rörichs [30] Augen strömten noch ganze andere Thränen; er schlug an seine Brust, und ging nach Schloß Zähringen zurück, wo er sich drei Tage lang vor Jedermann verschloß, und erst am vierten wieder hervorging.

Er ließ den Prior des benachbarten Klosters kommen, weil er zu schwach war, den Weg der Buße selbst zu gehen, beichtete sein langes Sündenverzeichniß, und begehrte Rath und Trost für sein Gewissen. Die Antworten, die er erhielt, lassen sich denken. Seine Schätze strömten in die Seckel der Klosterherrn, und über Ottiliens Grabe erhob sich der herrliche Bau, dessen wir auf den vorigen Seiten gedacht haben.

Aber dies war nicht hinlänglich, Rörichs gefoltertem Herzen Ruhe zu geben; eines lag ihm in Sinne, wofür ihn weder geistlicher noch weltlicher Trost helfen konnte. Es war offenbar, daß seine verklärte Gemahlin erst nach der Entbindung gestorben war, und man hatte deshalb in dem Grabe nach den Gebeinen ihres Kindes gesucht, weil man vermuthete, es könne mit ihr gleiches Schicksal gehabt haben; aber als man nichts fand, so ward es Rörichen gewiß, daß dieser unglückliche Sprößling seines Hauses noch leben müsse. Dieses geliebte Kind, das einzige Ueberbleibsel der beleidigten Heiligen, wieder zu finden, war sein einziger vorherrschender Gedanke. Alle Mittel, das verlorne Kleinod auszuspähen, wurden Jahre lang vergebens versucht, und man urtheile, wie dem Fürsten zu Muthe war, als einst in einer durchweinten Nacht, kurz vor Anbruch des Tages, Marie im Himmelsglanze [31] vor ihm stand, sich für die bisherige Pflegerin seines Kindes bekannte, und ihm den Ort bezeichnete, wo er die Ottilie finden würde!

Ottilie hatte sich noch nicht von der Verwunderung über den Ort, an welchem sie erwachte, erholt, als sie von außen das Geräusch von vielen Kommenden, und an den hohen Kirchenfenstern den Schein wehender Fackeln vernahm; denn der Fürst hatte nicht gesäumt, und wat sogleich, als das nächtliche Gesicht verschwand, aufgestanden, seine Leute zu wecken, und mit nach der Kapelle zu gehen, zu welcher er allein den Schlüssel hatte, so daß er dem kommenden Tage zuvoreilte, und noch in der ersten Morgendämmerung an dem Orte anlongte, welcher sein liebstes lang gesuchtes Kleinod bewahrte.

Die Pforten flogen auf, Ottilie, welche sich langsam von ihrem Grabsteine emporichtete, sah einen Mann mit offnen Armen auf sich zueilen, welchen mehr der Gram und die Gewissensbisse, als die Jahre', zum Greise gemacht hatten. Ihr Herz bewegte sich bei seinem Anblicke, und sie flog in seine ausgebreiteten Arme. »O mein Vater! o meine Tochter!« ertönte aus Beider Munde, und tausend Liebkosungen füllten das beredte Stillschweigen, welches denselben folgte.

O Natur, wie mächtig ist deine Stimme! Was anders, als dein Ruf konnte Rörichen bewegen, die Niegesehene beim ersten Anblick als Tochter in die Arme zu schließen? Wer anders als du lehrte Ottilien denjenigen mit der Zärtlichkeit eines Kindes zu umfangen, der weder [32] durch seinen Anblick, noch durch seine Thaten Liebe zu erregen vermochte. Was Ottilie durch die himmlische Pflegemutter von dem Thun und Wesen ihres Vaters wußte, gereichte ihm zu keinem Vortheil, und seine Physiognomie war gewiß keine von denjenigen, an welche sich ihre Augen in den obern Regionen gewöhnt hatten; dennoch ward ihr Herz zu ihm hingerissen, und sie nannte ihn tausendmal Vater, mit einem Tone, der sein Innerstes durchbebte. Er seiner Seits war durch vielfache Bande an die Wiedergefundene gefesselt. Daß sie wirklich seine Tochter sei, daß hier kein Betrug unterlaufen könne, bewies sein weissagender Traum und das Wunder, durch welches Ottilie in die verschlossene Kapelle gekommen war; auch trugen ihre Züge eine so unverkennbare Aehnlichkeit mit denen ihrer unglücklichen Mutter, daß kein Zweifel an ihrer Herkunft möglich war. Aber wäre auch alles dieses nicht gewesen, so war das junge Fräulein so hinreissend schön, so war in ihrem ganzen Betragen, in jedem Laut ihrer harmonischen Stimme, so etwas Ueberirdisches, daß Jeder, den sie des Namens Vater gewürdigt hätte, und wär' er es auch nicht gewesen, sich im Besitze eines solchen Kindes glücklich geschätzt haben würde.

Rörich führte das himmlische Mädchen triumphirend in sein Schloß, und theilte den ganzen glücklichen Tag der Wiederfindung in die Unterhaltung mit ihr, in die Einrichtung ihres Hofstaats, und in Vorbereitung zu glänzenden Festen, mit welchen er sein Glück feiern wollte. [33] Er eilte von Einem zum Andern, und vollendete nichts; die Freude machte ihn trunken, und Alles, was er unternahm, würde verkehrt gegangen sein, wenn er nicht verständige Leute gehabt hätte, die seinen Fehler verbesserten.

Ottilie wurde allen seinen Vasallen und Lehnsleuten als ihre künftige Fürstin vorgestellt, denn eine von Rörichs ersten Handlungen war, seiner Tochter das Erbrecht zu versichern. Jedermann jauchzte ihr Bewunderung, fast möchte ich sagen, eine Art von Anbetung zu, denn man konnte in ihr die Himmelsbewohnerin nicht verkennen. Das Gerücht von dem Orte, wo sie erzogen worden war, ging von Munde zu Munde, weil Rörich mit dem, was er hiervon im Traume vernommen hatte, nicht allzu geheim gewesen war, aber Ottilie behauptete gegen Jedermann, selbst gegen ihren Vater, über diesen Punkt ganz das bescheidene Stillschweigen, das ihr ihre himmlische Pathe auferlegt hatte. Ueberhaupt war ihr Betragen über ihre Jahre; denn man kann ausrechnen, daß sie noch sehr jung war, als sie zur Erde zurückkehrte. Ihr Vater fand es nöthig, ihr Lehrer in allerlei Dingen zu geben, aber sie war in den meisten schon so wohl unterrichtet, daß sie die Meister beschämte, und das Wenige, worin sie nicht wohl in den überirdischen Gegenden Unterricht erhalten haben konnte, lernte sie so schnell, daß man auch hierin bald ihre Erziehung für vollendet erklären mußte.

Bei Talenten von dieser Art, die man übernatürlich finden mußte, war es nicht gut möglich, zu vergessen, [34] woher Ottilie gekommen; auch gab es noch andere kleine Umstände, die die wunderbaren Sagen von ihr vermehrten, und sollte es auch nur das goldne Glied eines rechten vierten Fingers, und sollte es auch nur eine reiche Garderobe gewesen sein; denn wir haben zu melden vergessen, daß die freigebige Pathe ihr nichts von den kleinen Geschenken vorenthielt, die sie ihr je gemacht hatte. Alles wurde in ihrem Zimmer in schönen Truhen wohl verwahrt gefunden, und von den Kammerfrauen mit Verwunderung hervorgezogen. Goldne und silberne Kleinode, Perlen und edle Steine, die nicht zu schätzen waren, und wogegen der Schatz unserer lieben Frau zu Loretto Kleinigkeit ist, woraus ihr sehet, daß sie solche Sachen besser wegschenkt, als ihr sie ihr zu geben vermögt. Dazu Kleider von wundernswürdiger Schönheit, die noch obendrein die Tugend oder Untugend hatten, nie zu veralten, und mit der Eigenthümerin zu wachsen.

Welches irdische Mädchen glaubt nicht, daß Ottilie unter diesen Umständen glücklich war? Man bedenke selbst, Schönheit, Talente, Jugend, Liebe eines zärtlichen Vaters, allgemeine Bewunderung, frohe Aussichten in die Zukunft, und zu dem allen noch eine solche artige Garderobe. Doch diese Glückseligkeiten ganz zu schmecken, müßte Ottilie nicht außer ihrem Vaterlande erzogen worden sein. Sie war in den obern Regionen an Dinge gewöhnt, welche sie hienieden ganz vermißte, und wiederum fand sie hier andere, an die sie sich nicht zu gewöhnen vermochte. Häßlichkeit, Elend, Vergänglichkeit, Armuth, [35] Alter, Krankheit, Tod, was für Gegenstände für eine ehemalige Himmelsbewohnerin, die von diesem allen nur das Gegentheil zu sehen gewohnt war! Sie verschloß ihre Betrachtungen, die sie über diese traurigen Eigenthümlichkeiten der Erde machte, wie ihre meisten Gedanken, in ihrem Innerstern, aber ihre tiefsinnige Miene, und dann und wann ein sehnsuchtsvoller Blick nach dem Himmel, zeigte denen, welche immer um sie waren, ganz deutlich, was sie dachte und fühlte.

»Dies ist also die schöne Erde?« sagte sie in den melancholischen Stunden, deren sie viele hatte, zu sich selbst, »das ist also das blendende Gestirn, das mir auf den Mondgebirgen so verführerisch entgegen leuchtete? O der glänzenden Außenseite, und o des häßlichen Innern!«

Ottiliens philosophische Betrachtungen hätten ganz gut für eine Klosterfrau, oder für eine Kandidatin des Todes passen mögen; aber ein Mädchen in der Blüthe des Lebens, zur Behauptung einer großen Rolle in der Welt bestimmt, hätte nicht so denken sollen, und S. Marie legte in diesem Punkte mit ihrer Erziehung keine Ehre ein. Ein anderer noch schwärzerer Flecken in Ottiliens Charakter, ebenfalls eine Folge der Geschichte ihrer frühern Jahre, war ihr Stolz. Ottilie hätte blind sein müssen, wenn sie nicht ihre Ueberlegenheit über Alle, die sie kannte, hätte einsehen wollen; allerdings war sie schöner, klüger, weiser, tugendhafter und einnehmender, als alle ihre Zeitgenossen; aber wie ist es möglich, so etwas recht [36] lebendig zu fühlen, und Andere nicht neben sich zu verachten!

Es ist wahr, sie war gegen Niemand hart oder unbescheiden, aber in ihrer Milde war eine gewisse Herablassung, die Jedermann von ihr zurück schreckte. Das größte Glück des Lebens, die Freundschaft, kannte sie nicht, konnte sie nicht kennen; nur eine gewisse Art von Gleichheit verbindet die Herzen, und Ottilie fand unter allen Jungfrauen ihres Alters keine Gleiche. – Und was die Liebe anbelangt – doch hiervon laßt uns weitläuftiger reden.

Ottilie hatte eigentlich bei allem Mißmuth, den ihr die Unvollkommenheiten der Erde einflösten, noch keine wirklichen Leiden erfahren, aber jetzt kam die Zeit, da sie auch diese kennen lernen sollte. Sie war achtzehn Jahr alt, der Fürst litt an den Folgen der Ausschweifungen seiner Jugend und sah seinem Ende entgegen, und die Stände forderten einen Reichsnachfolger; Niemand konnte ihnen denselben geben, als Ottilie, ihre künftige Fürstin, und man drang in sie, sich zu vermählen.

Arme Ottilie, dich vermählen! Wer verdiente wohl die Ehre deiner Hand, wenn Frau Pathe Marie sich nicht ins Mittel schlug und irgend einen Engel herab schickte, mit dir das Erdenleben zu theilen! Schon der Gedanke an eine Verbindung mit einem irdischen Jünglinge war der verwöhnten Ottilie schrecklich! Tausende buhlten um sie, Ritter und Helden, Könige und Kaisersöhne hielten sich nicht zu hoch, zu ihren Füßen zu seufzen; aber [37] sie mochten Helden oder Weise sein, mochten wegen ihrer Schönheit oder Anmuth für das höchste Ideal männlicher Vollkommenheiten gehalten werden, Ottiliens Anforderungen entsprachen sie doch nicht. Sie fand keinen himmlischlächelnden Johannes, keinen goldlockichten Gabriel unter ihnen, und was Vollkommenheiten der Seele anbelangte, da sah es noch bedenklicher aus.

Ottiliens Bewußtsein himmlischer Vorzüge und der daraus entsprungene Stolz war mit keiner Bösartigkeit verbunden. Sie trauerte aufrichtig, keinen von denen, deren Herz an ihr hing, mit Liebe, ganz mit der heißen innigen Liebe belohnen zu können, deren ihre überirdische Seele fähig war; auch jammerte sie die getäuschte Hoffnung eines guten Volks, dessen Glückseligkeit sie wünschte, und der stille Gram ihres Vaters. Sie strebte, sich selbst zu überwinden, und fing an, den Lehren einer weisen Hofdame, welche das Amt hatte, sie in den Sitten der Erde zu unterrichten, aufmerksamer zuzuhören. Ottilie hatte Sinn und Fähigkeit für Alles, was man ihr lehren wollte, nur in jenem Punkte war und blieb sie unwissend. Sie fand in dem, was man in ihrem Geburtslande Tugend, Recht und Wohlstand nannte, so viel, was sich nicht mit den Begriffen vertrug, die sie aus dem Leben des Himmels mitgebracht hatte, sie wog Alles mit so gewissenhafter Wage ab, hatte überall so viel Einwendungen, daß ihre Lehrerin immer die Grundsätze der schweren Wissenschaft von vorn mit ihr durchnehmen mußte, ohne glücklicher zu sein, als die vorigen Male. Ein besonders [38] schweres Kapitel, an welchem oft die Geduld der Lehrerin und der Schülerin scheiterte, war das von Liebe und ewiger Verbindung. Ottilie wollte schlechterdings nichts von dem einen ohne das andere wissen, und die Hofmeisterin behauptete, Prinzessinnen müßten bei dem Letztern nie auf ihr Herz, nur auf Staatsinteressen sehen.

Der Wunsch der jungen Fürstin, sich zum Besten Anderer überwinden zu können, machte, daß sie sich jetzt entschloß, die lästigen Vorlesungen noch einmal zu hören, und da dieses mit dem Vorsatz geschah, das, was man ihr sagte, wahr zu finden, so kam der Entschluß am Ende wirklich zur Reife, denjenigen, zu welchem sich ihr Herz nur ein wenig neigte, mit ihrer Hand zu beglücken.

An ihrem Hofe war ein Jüngling, den man nur den Ritter ohne Namen nannte, weil Niemand, und er selbst nichts von seinem Herkommen zu sagen wußte; übrigens war er brav und gut, ohne von seinen Tugenden viel Lärm zu machen, und wohlgestaltet, ohne eben durch überschwengliche Schönheit Andere neben sich zu verdunkeln. Immer hatte ihn Ottilie mit einem geheimen Wohlwollen angesehen, hatte Antheil an Allem genommen, was ihm anging, und sein Glück, das sie wünschte, auf alle Art zu befördern gesucht.

Nie hatte er sich erkühnt, seine Augen auf die erhabene Dame zu richten, die ihm wohlwollte, und doch war er es, auf welchen jetzt ihre Wahl fiel. »Er ist der Einzige,« sagte sie ihrer Duenna, »für den ich etwas[39] mehr fühle, als für die Andern; wenn ich mich recht prüfe, so hängt mein Herz mit einer Art von schmerzhafter Zuneigung an ihm, es ist mir, als wenn ich ein geheimes inniges Mitleid gegen ihn empfände, als hätte er Unrecht von mir erlitten, das ich ihm vergüten müßte. Ist das nicht das Gefühl, das ihr auf der Erde Liebe nennt?«

Die Duenna lachte und meinte, es könne wol einst Liebe werden, und sie würde wohlthun, es zu Erfüllung der Wünsche ihres Volks sorgfältig zu nähren.

Ottilie gehorchte, und sandte bald darauf Botschaft an ihren Vater, wie sie nunmehr gesonnen sei, seine Befehle zu erfüllen und ihre Hand an einen Mann zu vergeben, den sie sich gewählt hätte. Rörich ließ die frohe Post in seinem ganzen Reiche erschallen, und kam mit ansehnlichem Gefolge gen Freiburg, wo Ottilie residirte, die Hochzeit zu feiern. Nach dem Bräutigam fragte er gar nicht, denn er war entschlossen, sich Jeden gefallen zu lassen, der seiner Tochter gefiel.

Er trat in den Saal, wo sie ihn im Brautgewande, mit der Myrthenkrone im blonden Haar erwartete. Der Gewählte, der eben jene seltsamen unerklärbaren Regungen für Ottilien fühlte, wie sie für ihn, Regungen, die er nie Liebe zu nennen gewagt haben würde, hätte sie nicht geboten, lag zu den Füßen der reizenden Fürstin, erstaunt, überrascht von dem übergroßen Glück, das ihm winkte, und Beide flogen dem kommenden Vater entgegen, seinen Segen zu holen, und von ihm begleitet vor [40] den Altar zu eilen. Aber Rörich bebte zurück. »Kennst du den, den du dir gewählt hast?« fragte er mit einem schreckensvollen Blick auf feine Tochter. – »Er ist der einzige, der nie dein Gemahl werden kann, er ist dein Bruder!«

»Mein Bruder?« wiederholte Ottilie. »Meine Schwester?« schrie der erstaunte Ritter! – Es ist nicht zu beschreiben, was für Unordnung diese seltsame Entdeckung unter der frohen Versammlung anrichtete. Der Fürst nahm am Ende seine Tochter besonders vor, und entdeckte ihr das Geheimniß von der Geburt des Ritters. Er war einer von den vielen Sprößlingen aus Rörichs verbotenen Verbindungen, war der einzige aus der großen Zahl, der zum männlichen Alter herangewachsen war. Die Kinder der feilen Buhlerin, (so urtheilte die strenge Moral der damaligen Zeiten,) waren frühzeitig von der Erde vertilgt worden, aber dieser, der Sohn einer verführten Unschuldigen, lebte, um einst das Glück zu genießen, das das Schicksal seiner gekränkten Mutter versagt hatte.

Die sonst immer sanfte, immer ehrfurchtsvolle Ottilie redete bei diesen Entdeckungen hart gegen ihren Vater. Ueber die getrennte Verbindung trauerte sie nicht, da sie nichts als schwesterliche Liebe gegen ihren unglücklichen Bräutigam fühlte, aber sie bewies mit triftigen Gründen, daß Rörich grausam an den Verlassenen gehandelt habe, ihn in der Dunkelheit aufwachsen zu lassen, bewies, daß ihm, nicht ihr das Erbrecht zukäme, und schwur, daß sie nie den Fürstenhut tragen wolle, der ihm gebühre.

[41] »Dies war es,« sprach sie, indem sie sich ihrem Bruder weinend um den Hals warf, »dies war die geheime Empfindung von dir angethanem Unrecht, dessen Vergütung mir oblag! O Heil mir, daß ich dir sie gewähren kann! Du bist der Sohn meines Vaters, du wirst einst mein Fürst sein, und ich bitte nichts von dir, als Ruhe und Freiheit, mein Leben in der Stille, ohne eine von euren gezwungnen Verbindungen beschließen zu dürfen.«

Wir haben schon erwähnt, daß Ottilie sehr unwissend in den Rechten und Sitten der Erde war, und wir brauchen zum Beweis davon nichts anzuführen, als ihr Betragen bei dieser Begebenheit!

Der Fürst zürnte über nichts so sehr, als daß sie so laut von diesen geheimen Dingen sprach, und sein Zorn stieg aufs höchste, als er in den Augen seiner Räthe und des Volks Billigung ihrer Worte und den Wunsch las, den edlen biedern Ritter ohne Namen, den Jedermann wegen seiner bescheidenen Verdienste liebte, lieber zum Fürsten zu haben, als die eigensinnige Ottilie.

Ich übergehe, wie der zärtliche Bruder das Verfahren seiner himmlischen Schwester aufnahm und beantwortete, und sage nur so viel, daß der harte Vater es für gut hielt, die liebenden Geschwister zu trennen und den verlassenen Jüngling dem Volke, das ihm zujauchzte, aus den Augen zu bringen. Er selbst schied von Ottilien mit grimmigen Zorn und ließ ihr des andern Tages andeuten, sie möchte sich von Freiburg nach Zähringen begeben, und gewärtig sein, nachdem sie seine Zärtlichkeit so lange getäuscht und seiner Nachsicht gespottet [42] hätte, daß er ihr nächstens einen Bräutigam seiner eignen Wahl vorstellte, von welchem sie nur der Tod solle befreien können.

Jetzt erst lernte Ottilie die Leiden ihres traurigen Geburtslandes kennen. Die Ungewißheit wegen des Schicksals eines geliebten Bruders, und die Furcht vor den Drohungen eines harten Vaters preßten ihr Seufzer aus, wie noch keine aus ihrer Brust geflohen waren.

»Sei mir gegrüßt, Haus der Thränen,« sagte sie, als sie gen Zähringen kam, »hier duldete meine Mutter ihre letzten Leiden, hier werde auch ich den Rest des bittern Kelchs leeren: denn ich weiß es, den Tod meines Bruders, und die Verbindung mit einem Ungeliebten, werde ich nicht überleben können.« –

Ottiliens liebster Aufenthalt bei Tage war die Marienkapelle und das Grab ihrer Mutter, und die Nächte, wo der Schlaf sie floh, brachte sie auf dem Altan der hohen Burg zu, um ihrem alten Freunde, dem Monde, jeden Blick, den er auf die Erde warf, abzustehlen, und sich der frohen Tage der Kindheit, die sie in seinen heiligen Regionen verlebt hatte, zu erinnern; Ursachen genug, diesem lieblichen Gestirn hold zu sein, welche keines von unsern ehemaligen Mondmädchen mit ihr gemein hatte.

»O Wohnung der Ruhe!« rief sie ihm oft entgegen, wenn er am Horizonte glühend heraufschwebte, mitten am stillen Mitternachtshimmel in voller Klarheit leuchtete, »o Wohnung der Ruhe, Niemand kennt deine stillen Freuden [43] besser als ich! Wie sehr bedaure ich es, daß mich ein böser Geist aus deinen lichtvollen Regionen auf die unruhige Erde herabstürzte, welche nur in der Ferne mit einem lieblichen verführerischen Schimmer prangt!«

Ottiliens Herz war erweicht, war zum höchsten Grad von Wehmuth gestimmt; noch ein anderes Gefühl lauschte im Hinterhalt: der Wunsch, irgend eine gleich empfindende Seele zu finden, mit welcher sich ihre unnennbaren Gefühle theilen ließen, und das Schicksal führte schnell die Erfüllung herbei.

In einer durchweinten schlaflosen Nacht tönte ihr von dem Nachbarberge, der Zähringen gegenüber liegt, und in der Folge mit ihrem Namen benannt wurde, ein Laut herüber, wie sie ihn auf der Erde noch nie gehört hatte. Ottiliens Herz schlug laut für den Zauber der Musik, aber diese gehörte mit unter die Dinge, welche ihr der Aufenthalt in den überirdischen Regionen verleitet hatte. Die Tonkunst war damals auf der Erde noch in ihrer Kindheit, und konnte dem verwöhnten Ohre des Fräuleins den Laut der himmlischen Harfen und der Hymnen der Seligen nicht zurückrufen. Aus der erhabenen Orgel athmete noch kein überirdischer Hauch, und in der göttlichen Harmonika glaubte man noch nicht Chöre von Geisterstimmen zu hören. Ottilie warf alle Instrumente von sich, die sie meisterlich spielte, weil sie keinem den gewünschten Ton entlocken konnte, und übte nur ihre eigne Stimme, welche an Wohlklang Alles übertraf, was je unter dem Monde gesungen worden ist.

[44] Jetzt glaubte sie zum erstenmal etwas zu hören, was der Harmonie ihrer eignen Stimme gleich kam. Sie horchte gespannt, und der himmlische Laut verdoppelte sich. Bald darauf wallten Ströme von Harmonien herüber, der Wiederhall im tiefen Thale antwortete mit tausend Stimmen, und die Sterne am Himmel schienen stille zu stehen, um nichts von den unaussprechlich süßen Tönen zu verlieren.

»Was ist das?« fragte Ottilie, welcher ahnend das Herz schlug, »wo bin ich? Im Lande der Geister? Ist dies Raphaels Harfe, oder der Gesang der himmlischen Jungfrauen? –

Wer bist du unbekanntes Wesen, wer bist du, das mir mitten im tiefsten Kummer diese Erquickung gewährt?«

Der harmonische Laut tönte fort, jetzt stärker und nun wie Chöre von Tausenden, wie das Rauschen mächtiger Gewässer, bis er endlich sich wie in tiefer Ferne verlor, und in sanften Accorden dahin starb. Da senkte sich der Schlaf auf Ottiliens Augenlieder, und sie erwachte von den himmlischen Träumen, die sie umgauckelten, erst beim Aufgang der Sonne.

Der Eindruck von dem, was sie diese Nacht gehört hatte, war dauernd; sie war diesen ganzen Tag über wie berauscht, und seufzte der Nacht entgegen, die ihr Entzücken erneuern sollte. Sie wartete nicht vergebens; die Harmonien von dem benachbarten Berge tönten wiederum durch die nächtliche Stille, und verscheuchten ihren Gram, oder gaben ihm vielmehr einen neuen Schwung, der der Schwärmerin Wollust dünkte.

[45] Man wird mit der Zeit Alles gewohnt; Ottilien war es in den folgenden Nächten nicht genug, zu hören, sie wünschte auch zu sehen, und nichts konnte sie von Befriedigung ihrer Neugier abhalten. Wir haben schon vorher erwähnt, daß sie die Sitten der Erde nie gewohnt werden konnte, und die Fesseln des Wohlstandes nicht achtete; was hätte sie also hindern sollen, mitten in der Nacht das Schloß zu verlassen und hinüber zu eilen, um den Urheber der göttlichen Harmonien, die sie bezauberten, kennen zu lernen? Alle Besorgnisse, welche ein anderes Mädchen hätten auf dem verschlossenen Zimmer fest halten können, waren ihr fremd; geschwind war die weite Ebene überflogen, war der dicke Wald durchirrt, und bald stand sie dem himmlischen Tonkünstler gegenüber, der ihr Herz zu sich gezogen hatte.

Sein Anblick vollendete den Eindruck, den seine Töne auf Ottilien hervorgebracht hatten. Eine große majestätische Gestalt, welcher der helle Mondenstrahl, der sie umglänzte, ein überirdisches Ansehen gab, ein Gesicht von einer ungewöhnlichen Schönheit, die durch den Ausdruck tiefen Kummers eher erhöht, als vermindert wurde! Und dieser Blick, der sich in dem unermeßlichen Raume des Himmels zu verlieren schien, diese funkelnde Thräne im Auge! – Ottilie stand sprachlos im Anschauen und Anhören verloren! Ein unnennbares Gefühl für den Unbekannten schlug in ihrem Herzen, und sie kehrte erst kurz vor der Morgendämmerung nach Zähringen zurück, um wieder einen Tag zu verträumen.

[46] »Wer ist er?« fragte sie sich selbst. »Ist es möglich, daß die Erde solche Söhne hat? O dann ist sie nicht so arm, als ich dachte! O daß ich ihn nicht eher kennen lernte! – Aber was macht er hier? Ist es sein Geschäft, die Nächte mit seinem Harmonien zu erfüllen? Und diese Harmonien, woher quellen sie? aus einer Flöte? – So hat nie eine Flöte getönt! Er ließ sie im Grase liegen, als er sich entfernte, ich schlich hinzu, und setzte sie an den Mund; sie gab den gewöhnlichen Ton von sich, der mir in den Ohren wehe thut. O nur sein Hauch, sein überirdischer Hauch kann sie so beleben, daß sie Entzücken in das Herz, und Gott weis, welche sonderbare Gefühle in die Seele strömt.«

Die Fragen, welche Ottilie an sich selbst that, wagte sie in den nächsten Nächten unmittelbar an ihn zu richten. Hören und Sehen war ihr nun nicht mehr genug, auch sprechen mußte sie ihn. Nur Schade, daß er ihre Fragen so unbefriedigend beantwortete.

»Wer bist du?« fragte sie ihn.

»Ein Verbannter!«

»Wohin gehen deine Seufzer?«

»Nach meinem Vaterlande.«

»Was suchst du hier?«

»Einen Gefährten, mich zu begleiten.«

»Einen Gefährten?« wiederholte Ottilie mit einem forschenden Blicke, »wie verstehst du das?«

Der Unbekannte schwieg und ergriff seine Flöte, der er sanfte wehmuthsvolle Laute entlockte. Ottilie dachte [47] jetzt nicht mehr daran, mit Fragen in den Unbekannten zu dringen, und viel zu früh brach für sie der Morgen an, wo man sich trennen mußte.

Ottilie lebte und webte jetzt nur in dem Unbekannten. Dies war das Ideal himmlischer Vollkommenheit, das ihr vorschwebte! Alles an ihm entsprach den geheimen Wünschen ihrer Seele, selbst seine Schwermuth, die so wohl mit ihrem Herzen harmonirte. Der bedrängte Bruder und der harte Vater wurden jetzt ganz vergessen, oder sie kamen nur in den nächtlichen Gesprächen mit dem Unbekannten zum Vorschein; denn nach und nach wurde man vertrauter, und obgleich er alle Fragen, die seine Person unmittelbar betrafen, nur räthselhaft beantwortete, so erhielt er doch bald aus ihrem Munde eine vollkommene Erzählung ihrer eignen Geschichte.

O wie theuer ward ihr ihr neuer Freund, als er jeden Schritt, den sie gethan hatte, billigte! O wie süß tönte ihr das feine nicht überspannte Lob aus seinem Munde! Wie wohl war ihr, wenn sein Blick mit Wohlgefallen an ihrer Schönheit hing! Sie war nur Anbetung von ihren Bewunderern gewohnt, aber hier fand sie etwas, das ihr unendlich mehr schmeichelte, die Herablassung eines höhern Wesens zu ihr. Sie schien sich nicht zu erniedrigen, wenn sie ihm etwas von den Gefühlen ihres Herzens merken ließ, sondern es war ihr, als ob sie sich einige Stufen über ihre Sphäre erhöbe, wenn sie zu ihm aufblickte und ihn Freund nannte.

»Wer bist du?« sagte sie oft zu ihm, wenn sie sich[48] lange genug in seinen Feuerblicken gespiegelt hatte. »Mich dünkt, dich schon früher gesehen zu haben, unsere Freundschaft ist nicht neu: mich dünkt, sie muß schon Aeonen lang gedauert haben! –« Der Unbekannte wußte dann so hinreißend von dem verborgenen Einverständniß der Geister, von dem Wiederfinden verwandter Seelen in unbekannten Welten und dergleichen geheimnißvollen Dingen zu reden, daß Ottilie, welche nichts mehr liebte, als geheimnißvolle und überirdische Gegenstände, vollends unwiderstehlich an ihn gefesselt ward.

Wußte er ihre Fragen, so weit sie ihn betrafen, nicht mehr zu beantworten, so lenkte er ihre Wißbegierde auf Gegenstände, wo er sie in vollem Maaße befriedigen konnte. Die ältesten Geschichten der Erde waren ihm bekannt. Er führte die neugierige Fragerin in die ersten Wohnungen der Unschuld, sprach von der Entstehung der Erde und ihrem schrecklichen Untergange in den Wassern der großen Fluthen, als wenn er selbst dabei gewesen wäre; aber bei nichts hielt er sich länger auf, als bei dem Mährlein von den Kindern des Himmels, welche nach den Töchtern der Menschen sahen, wie sie schön waren, und von den Helden, die aus diesen Verbindungen entsproßten. Dies war sein Lieblingsthema, und wenn dann Ottilie fragte, ob sich wol wirklich je etwas dergleichen zugetragen habe, so sah er sie mit einem seiner unaussprechlichen Blicke an, und versicherte, daß dergleichen sich nicht allein zugetragen habe, sondern auch noch jetzt zutragen könne.

[49] »Giebt es nicht,« sagte er bei einer der nächtlichen Unterhaltungen, mit einem leisen Drucke ihrer Hand, »giebt es nicht Sterbliche, welche auf der Erde schlechterdings nicht ihres Gleichen finden können, und glaubst du nicht, daß zu solchen die Söhne des Aethers gern herabsteigen, sich mit ihnen in himmlischer Liebe zu verbinden?«

»Und welches ist das Loos der Glücklichen, die solcher Liebe gewürdigt werden?« fragte die zitternde Schwärmerin.

»Unsterblichkeit!« erwiederte er, indem er seine Rechte gegen den funkelnden Sternenhimmel erhob. »Der ganze Weltraum, die ganze Ewigkeit ist unser, und wir geben sie, wem wir wollen. O sterbliches Mädchen, im Arm eines unterrichtenden Engels Aeonen hindurch von Planeten zu Planeten zu fliegen, und alle Wunder der Schöpfung und ihre geheimsten Urkräfte zu erspähen, in meinem Arm, Ottilie, die ganze lange Ewigkeit die Fülle der Liebe zu genießen, deren inneres Wesen nur Unsterbliche kennen, – welch ein Loos! – Sprich nur ein Wort, und es ist das Deinige!«

Ottilie schwieg; sie vermochte nicht zu sprechen, es war, als ob Himmel und Erde um sie vergingen; nur der Unbekannte stand fest in all seiner Herrlichkeit vor ihren Augen.

»Kennst du mich?« fragte er mit einer Stimme, [50] wie die Harmonie der Sphären, indem er sie fester in seine Arme drückte.

»Ich kenne dich nicht, aber ich bebe vor dir!«

»Liebst du mich? – O sage Ottilie, sage, daß du mich liebst, und du bist mein auf ewig!«

»Du bist furchtbar, Unbekannter!« schrie das Mädchen, indem sie sich aus seinen Armen riß. »Wie kann ich dir Liebe gestehen, ohne dich zu kennen! Nenne dich; bist du ein Mensch, ein Engel des Lichtes, oder ein Geist der Nacht, der auf mein Verderben lauert? Nenne dich, und ich schwöre bei Gott und der heiligen Jungfrau –«

Kaum war der heilige Name, vor welchen die Geister der Finsterniß beben, über Ottiliens Lippen gegangen, als alle Gegenstände vor ihrem Gesicht zu wanken begannen, und eine seltsame Bestürzung sie überfiel, welche sie verhinderte, ihre Worte zu enden.

Ihr war es, als verwandle sich das Gesicht des Unbekannten in immer andere und andere Gebilde, von welchen das letzte einen Schauer durch ihre Gebeine goß, der sie zu Boden stürzte. Sie sah das Gespenst, das ihr nun nicht mehr unbekannt war, in einen dünnen Nebel zerfließen. Nacht umzog ihre Augen und ihr vergingen die Sinne.

Sie befand sich, als sie erwachte, in ihrem Bette; der Tag dämmerte an ihren Fenstern, und sie konnte sich mit aller Mühe nicht erinnern, ob die Begebenheit der vergangenen Nacht Traum oder Wirklichkeit gewesen sei.

Sie fühlte sich den Tag über so krank, daß sie erst[51] in der folgenden Nacht sich aus dem Bette emporriß, um an das Fenster zu eilen. Die Melodien des Unbekannten waren es, die sie mit ihrer Allgewalt herbei zogen. Sie tönten zauberischer, als je, von dem Nachbarberge herüber, und Ottilie zerfloß in Thränen.

»Ist es Wahrheit? ist es Traum?« schrie sie mit gerungenen Händen. »Sollte der, den ich liebe, der einzige, den ich lieben kann, wirklich ein Geist des Verderbens sein? Nein, nein! wie dürfte er es wagen, den Engeln ihren Glanz, den Himmeln ihre Harmonie zu stehlen? – Aber sein letzter Anblick! Dies war genau das Gesicht des Verführers, der mich ehemals durch seine bösen Rathschläge aus den Wohnungen der Ruhe stürzte! Wie, wenn er seine Versuche erneuern, wenn er streben wollte, mich noch tiefer hinab zu ziehen? – Sprach er nicht jenesmal von der Möglichkeit, mich in den Gefilden der Erde wieder zu finden? – Aber was bewegt ihn, dich durch alle Welten zu verfolgen? – muß es denn eben der Wunsch, dich zu verderben, sein? was hätte er für Ursache, dich zu hassen? – Wird er nicht vielleicht durch eben jene wunderbare Sympathie an dich gefesselt, die du für ihn fühlst? – Ach ja, ich fühle es, er ist der einzige, der mein Herz erfüllt! Alles möchte ich mit ihm theilen, selbst das Elend! Aber Ottilie! ein böser Geist, ein Feind der Gottheit? – Nicht doch, kein Feind, vielleicht einer von jenen Mittelgeistern, deren Natur du nicht kennst. Nennt er sich nicht selbst einen Verbannten, der sein Vaterland sucht, und zur Reise dahin einen Gefährten [52] wünscht? O Ottilie, wenn du seine Gefährtin, seine Wegweiserin zu den Wohnungen des Lichtes würdest! wenn du ihn in den Schoos der Ruhe zurückbrächtest, aus welchem ihn vielleicht das Schicksal, das selbst über die Geister herrscht, unverschuldet gestoßen hat!«

Ottilie philosophirte auf eine sehr gefährliche Art, welche bewies, daß sie schon eine geraume Zeit die Schülerin eines verdächtigen Geistes gewesen war; auch sagte ihr ein geheimes innres Gefühl, daß sie auf bösen Wegen sei, aber die Gewalt, die sie auf derselben fortriß, war darum nicht minder stark. Die Himmelsstimme auf dem Nachbargebirge tönte indessen noch immer fort; Ottilie machte sich auf, den gewohnten Weg zu gehen, und sie würde ihn wirklich gegangen sein, wenn nicht körperliche Schwachheit sie zurückgehalten hätte. Ihre Füße versagten ihr die Dienste, und sie sank zu Boden.

Mit Mühe schleppte sie sich endlich nach ihrem Lager zurück, wo sie die ganze Nacht in einem Meer von Träumen schwamm, die so wild durch einander gauckelten, daß ihre Vernunft zu wanken begann.

Erst gegen Morgen, da die Traumgebilde deutlicher wurden, stand ein Gesicht hell und rein genug vor ihr, um ihr unvergeßlich zu bleiben. »Willst du,« fragte der böse Engel, ihr Verfolger, der vor ihr schwebte, »willst du mich jetzt verlassen, wo deine und meine Seligkeit in deiner Hand steht? – Doch freilich, ein besseres Erdenglück winkt dir; siehe hier den Bräutigam, den dir dein Vater gibt, und freue dich seiner Wahl.« – Ottilie [53] schaute auf, und erblickte die Gestalt eines benachbarten Fürsten, welcher in der ganzen Gegend wegen seiner thierischen Ausschweifungen und der Ruchlosigkeit seines Wandels berüchtigt war. Die Gestalt seines Körpers war so abscheulich als seine Seele. Alle Laster hatten ihr Bild auf sein Gesicht gezeichnet, und es war unmöglich, ihn ohne Grauen anzusehen.

Ottilie wandte das Gesicht mit einem lauten Schrei von der scheuslichen Larve. »Denke nicht,« fuhr der Geist fort, »denke nicht, daß dir Gram und Abscheu die Seligkeit eines baldigen Todes gewähren werden. Jahre lang wirst du in den Banden dieses Ungeheuers schmachten; an Geist und Körper verwahrlost, wirst du dem Grabe zuschleichen, und endlich noch vor deinem Peiniger hinabsinken, nicht mehr die himmlische Ottilie, wie jetzt, um derentwillen Engel die Reiche des Lichts mit der traurigen Erde vertauschen!«

»Und was soll ich thun, mich zu retten?« schrie die Verzweifelnde.

»Du kennst den Ort, wo ich wohne,« rief er im Verschwinden, »wirf dich in meine Arme, die dort immer für dich offen stehen.«

»Ottilie,« tönte jetzt eine sanfte Stimme, wie aus tiefer Ferne ihr entgegen, »ist deine alte Wohlthäterin so ganz von dir vergessen, daß du lieber bei den Mächten der Finsterniß, als in ihrem Schooße Rettung suchst?«

[54] Die Geängstigte blickte auf; sie sah eine lichte Wolke am Horizont vorübergleiten, in welcher sie den rosenfarbnen Schimmer von Mariens Gewand zu erkennen glaubte.

»Ach,« rief sie weinend, »er ist mir so nah, und du so fern! Marie! Marie! komm herab, die Deine zu retten!«

Ottilie befand sich am Morgen so unwohl, daß ihre Frauen nach geistlichen und leiblichen Aerzten sandten. Den letzteren war es unmöglich, ihr zu helfen, da ihrer Krankheit ein Seelenleiden zu Grunde lag, und sich den ersten zu vertrauen, war dem unglücklichen Mädchen bedenklich. Welche Sterbliche spricht gern von den Angelegenheiten des Herzens mit einem Manne?

Die Duenna, welche das Leiden ihrer Gebieterin sah, und von ihr zwar nicht den Grund desselben, aber doch ihre Bedenklichkeiten in Ansehung des nöthigen Bekenntnisses vernahm, suchte Rath zu schaffen. »In einem Kloster von Freiburg,« sagte sie, »lebt eine sehr fromme Nonne, welche bedrängten Gewissen so kräftig rathen kann, als der beste Beichtiger; gebietet, daß sie herüber komme, sie wird euch ihren Trost nicht versagen.«

Ottilie willigte ein, und die Nonne erschien; eine ehrwürdige Figur, welche zu einem Gemählde der heiligen Anna oder Elisabeth hätte dienen können; sie ließ sich liebreich zu den Schmerzen der jungen Leidenden herab, und hörte ihre Klagen.

[55] »Ach,« sagte sie, »seid ihr auch in die Stricke des verführerischen Geistes gefallen, der seit undenklichen Zeiten in diesen Gebirgen haußt? Nur getrost, mein Kind, ihr seid nicht die erste, die ich aus den Schlingen dieses Bösewichts rettete. Seine Versuchungen sind mancherlei, und ich könnte euch Tage lang erzählen, wie viel Gestalten er annimmt, die Menschen zu bethören. Daß er jeden auf seiner schwächsten Seite zu fassen weiß, seht ihr an eurem eignen Exempel. Stolz, Vorwitz und Schwärmerei waren von jeher eure Fehler, und ihr seht, wie er sich diese Unvollkommenheiten eurer sonst so guten Seele zu nutze machte.«

Ottilie, welche bisher gewohnt war, nur die Stimme der Schmeichelei zu hören, hatte Muth genug, den Ton der Wahrheit in dem Munde der ernsten Predigerin auszuhalten. Sie ging in sich, sie sah die Abgründe, welche sich zu ihren Füßen öffneten, und griff begierig nach den Rettungsmitteln. Die Nonne schied von ihr, und hinterließ sie beruhigt; sie besuchte sie wieder, und ging nie von ihrer Seite, ohne ihr aufs neue gute Lehren zu geben. Diese bestanden vornehmlich darin, ihre Ohren vor der Stimme ihres Verführers zu verschließen, die noch immer jede Nacht in der Ferne zauberisch ertönte, und sich nie in seine Gebiete zu wagen, welches besonders die östlichen Gebirge gegen Zähringen über waren.

Es ist unglaublich, was für Ueberwindung es Ottilien kostete, ein Gefühl aus dem Herzen zu bannen, welches schon so tiefe Wurzel in demselben gefaßt hatte. Ihr, [56] die ihr jemals durch das Laster in irgend einer glänzenden Hülle getäuscht wurdet, ihr kennt den Kampf, in welchem so wenige siegen. Ottilie siegte, und es ist zu glauben, daß sie Ruhe, Schönheit, Heiterkeit, welche fast ganz in dem gefährlichen Selbststreit verloren gingen, endlich wieder erlangt haben würde, wenn nicht das Schicksal von einer andern Seite auf sie losgestürmt und sie dem Ende ihrer Leiden entgegengeführt hätte.

Fürst Rörich ließ seiner Tochter ansagen, sie möchte darauf denken, das Brautgewand zu bereiten, und den Kranz zu schmücken, denn in wenig Tagen würde er mit demjenigen erscheinen, den er ihr zu ihrem Gemahl bestimmt hätte. Ottilie erbebte, gehorchte aber, denn Gehorsam war auch eine von den schweren Aufgaben, die ihr die Nonne auferlegt hatte.

»Du bist durch Stolz gefallen,« sagte sie zu sich selbst, »durch Demüthigung muß du dich wieder aufrichten. Keiner unter den Jünglingen der Erde erschien dir deiner würdig, aber ein böser Geist, der alle Vollkommenheiten, die du wünschtest, durch zauberische Künste anzunehmen wußte, der deiner Eitelkeit schmeichelte, dich zu dem Range einer Göttin zu erheben versprach, dieser fand ohne mühsames Streben Eingang in deinem Herzen. Büße nun auch für deine Thorheit, und nimm den, den dir dein Vater zum Gemahl erwählte, ohne fernere Rücksprache mit deinem Eigensinn an.«

Ottiliens Entschluß war stark und gut; sie bestärkte ihn durch Gebete auf dem Grabe ihrer Mutter und in[57] Mariens Kapelle, und erwartete dann mit heiterer Miene den Vater und den Bräutigam. Die Farbe ihrer Wangen und die matten Augen widersprachen dem lächelnden Munde; sie war bleich und abgezehrt, aber immer noch liebenswürdig.

Die Erwarteten erschienen mit großem Gefolge, der Vater mit der gebietenden Miene eines Fürsten, die Ottilie sonst nicht an ihm kannte, und der Bräutigam – ganz das Ebenbild des schrecklichen Traumbildes, das ihr in jener Nacht vorschwebte. – Es fehlte wenig, daß die Arme nicht ohnmächtig wurde, und als sich vollends der bestimmte Gefährte ihres Lebens ihr mit eckelhafter Zudringlichkeit näherte, und in der rauhen Mundart wilder Jäger und Zecher mit ihr von Liebe sprach, da schwanden ihr die Sinne, und sie mußte sich an den Wänden aufrecht erhalten, um nicht umzusinken.

»Ottilie?« sagte sie zu sich selbst, als man sie auf ihr Zimmer gebracht hatte, »du, an Himmelsgestalten, an die Sprache der Engel gewöhnt, du, das Weib eines solchen Ungeheuers? – O dafür lieber den Tod. –«

Es waren wirklich die ernstesten Sterbensgedanken, mit denen sie zur Ruhe ging, und nur die Kenntniß ihrer Pflichten konnte sie abhalten, nicht durch eine Nebenthür aus der Welt zu schlüpfen; doch war der Kampf zwischen Religion und dem Entschlusse zu diesem äußersten Mittel nicht klein. Sie warf sich unruhig auf ihrem Lager hin und her, und riß sich endlich empor, um [58] dem schrecklichen Zustand zwischen bangen Schlummer und wachenden Träumen zu entgehen:

Sie flog ans Fenster. »Ach,« seufzte sie, »die Stimme dort drüben, die sonst meinen Gram einschläferte, tönt jetzt nicht mehr! – Es ist gut, daß sie schweigt, es war die Stimme eines Verführers! – Und doch redete dieser Verführer so wahr. – Ist nicht der Mann, den mir mein Vater bestimmt, eben derjenige, den die Gestalt mir im Traume zeigte, und wenn nun auch das Uebrige erfüllt wird! Wenn nun meine eigne Hoffnung auf einen baldigen Tod mich täuscht, wenn ich, an Leib und Seele verwahrlost, Jahre lang dem Grabe entgegenschmachte, vielleicht im Umgange eines solchen Ungeheuers selbst bös und lasterhaft werde? – Man hat Beispiele, daß gute sanfte Geschöpfe in den Armen solcher Männer zu wüthenden Unholdinnen wurd! – O Entsetzen! Arme, arme Ottilie!

Doch, könntest du nicht vielleicht das Gegentheil erwarten? vielleicht ihn bessern und zur Tugend zurück führen? Wie, wenn du ihn nun jede freundliche Miene von dir mit einer guten Handlung erkaufen ließest, und dadurch tausendfaches Gute hervorbrächtest? O dies wäre Triumph und Ueberwindung einer Heiligen! – Versuche es! Der Gegenstand deines Abscheus vermag Alles über deinen Vater, laß ihn dein Jawort durch die Befreiung deines unglücklichen Bruders lösen; gelingt dieses, so wird Alles gelingen, und du wirst mitten im Elend nicht unglücklich sein!«

[59] Ottilie hatte kaum diesen Gedanken völlig durchdacht, als sie unter ihrem Fenster im Garten Stimmen vernahm, welche ihre Aufmerksamkeit erregten. Es waren die Stimmen der beiden Fürsten, welche die Mitternachtsstunde von dem Trinkgelage aufgescheucht hatte, und die noch einen Gang in die freie Luft thaten, um die Dünste des Weins verrauchen zu lassen. Beide sprachen mit lallender Zunge, doch der Inhalt ihres Gesprächs bezeugte noch deutlicher, als ihre Stimme, in was für einem Zustande sie waren.

Ottilie hörte mit Abscheu ihrer Unterhaltung zu, und war schon im Begriff, sich zu entfernen, um nichts mehr zu hören, als sie den Namen ihres Bruders vernahm, und durch denselben zurück gehalten wurde.

»Er muß sterben,« sagte der Bräutigam, »das ist die erste Bedingung, die ich euch bei dieser Heirath mache. Das Volk liebt ihn, und er könnte meinen Kindern einmal das Erbrecht auf eure Lande streitig machen.«

»Aber,« sagte der Vater, »wenn nun Ottilie auf ihrer Bitte beharrt? Noch diesen Abend lag sie zu meinen Füßen und flehte um seine Befreiung.«

»O ich verspreche ihr Alles« versetzte der andere, »und das erste Geschenk, das ich ihr mache, wenn ich sie in meiner Gewalt habe, ist der Kopf des gefährlichen Jünglings, der mir auf mehr als eine Art Eintrag thun könnte!«

Das Ende dieses abscheulichen Gesprächs übertraf noch seinen Anfang. Ottilie entfernte sich vom Fenster, [60] verhüllte sich und weinte. »Also keine Rettung!« seufzte ihr Herz. »Hier der Abgrund der Hölle in den Armen dieses Verworfenen, und dort ewiges Verderben im Rachen eines selbst gewählten Todes. – Aber Thörin, bleibt dir nicht noch ein Mittel übrig, die Flucht?«

Ottilie besann sich ein wenig; ihr fiel ein Kloster ein, an den äußern Gränzen des Landes, im Schooße eines wilden Waldes gelegen, fast von Niemand gekannt, als von ihr, die es in glücklichen Tagen oft ohne alle Begleitung besucht hatte. Die Nonnen waren arm und suchten ihr Glück in der Dunkelheit; nie hatten sie Geschenke von ihr annehmen, oder sie anders als einsam in ihre Mauern einlassen wollen, weil sie fürchteten, auf andere Art einen Theil dessen, worin sie ihre höchste Seligkeit setzten, zu verlieren. Dahin gedachte Ottilie zu fliehen. Nächtliches Reisen, am Tage Aufenthalt in Höhlen und Gebirgen, durch welche der selten betretene Weg nach dem gewünschten Zufluchtsort führte, sollten sie, wie sie meinte, vor Nachstellung und Einholung schützen, und der Segen ihrer himmlischen Pathe das Werk bekrönen.

»O Dank dir!« rief sie, indem sie sich zu der schnell beschlossenen Reise anschickte, »Dank dir, du Heilige, für diesen glücklichen Einfall! er kam von dir, du wirst ihn ausführen helfen.«

Das Zimmer wurde leise eröffnet, der öde Garten durchflogen, und nun lag das freie Feld vor ihr, und der Wald mit seinen Dunkelheiten, und das Gebirge,[61] durch dessen verschlungene Thäler ihr der Weg so wol bekannt war. Sie eilte muthig fort, ohne daran zu denken, bei welcher Gelegenheit sie die Bekanntschaft mit diesen labyrinthischen Gängen erlangt hatte. Ihr kam es nicht in den Sinn, daß es die Melodien des verführerischen Geistes waren, die sie zuerst diesen Weg gehen hießen, den sie nachher so wohl gewohnt ward, und daß sie sich jetzt wirklich mitten in seinem furchtbaren Gebiete befand. Sie dachte an nichts als an Rettung und Flucht vor ihren irdischen Verfolgern, und sah oft zurück, ob sie etwas zu fürchten habe.

Jetzt war es ihr, als hörte sie im wiedertönenden Thale den Fußtritt vieler Menschen, jetzt schimmerte durch den Wald, den sie eben zurückgelegt hatte, der Schein von Fackeln, jetzt vernahm sie Stimmen, bald näher, bald ferner, und nun konnte sie die Sprache der beiden noch halb trunkenen Fürsten deutlich verstehen.

»Ach,« rief sie, und sank am Fuß des Berges nieder, »ach ich bin verloren! man hat meine Flucht entdeckt!« – »Wo ist sie! wo ist sie!« brüllte jetzt die Stimme des abscheulichen Bräutigams aus dem nahen Gebüsch, »hier muß sie sein, ich sah noch vor Kurzem den Schimmer ihres weißen Gewandes im Mondlichte.«

Ottilie sprang auf. »O rette, rette mich, heilige Marie!« rief sie indem sie sehnsuchtsvoll nach dem Himmel blickte. – »Hier bin ich, dein Retter!« ertönte die harmonische Stimme des Geistes aus dem Gebirge; »sei willkommen, du Himmlische, in meinen Armen! Weder [62] irdische noch überirdische Mächte sollen hinfort uns trennen!«

Ottilie wandte ihr Auge von der glänzenden Gestalt des Verführers, der dicht hinter ihr stand; ach, sie kannte ihn genug, um ihn zu fliehen, aber seine schimmernde Außenseite war ihrem Herzen noch immer gar theuer.

»Rette, rette mich, Marie, Mutter der Gnade!« schrie sie nochmals, und wandte ihr Gesicht nach dem Berge. »Einmal, in meiner höchsten Noth wolltest du mir Hülfe gewähren, siehe, der schreckliche Augenblick ist erschienen! Meine irdischen Feinde sind dicht hinter mir, und dort winkt der Verführer, mit welchem mein verrätherisches Herz im geheimen Einverständniß steht.«

In der That waren die sichtbaren Feinde ihr jetzt so nahe, daß sie den Zipfel ihres Gewands zu fassen glaubten; aber derjenige, welcher allen, außer ihr unsichtbar war, ließ sie einen nächtlichen Dunst ergreifen, und machte einen zweiten Versuch, die Verfolgte in seine Arme zu fassen.

Aber die Heilige vernahm die Stimme des flehenden Mädchens. Der Berg that sich auf, und nahm sie in seinen Schoos, und schloß sich krachend hinter ihr zu, daß die Erde unter ihren Verfolgern bebte. Auch rauschte es fürchterlich in den Wipfeln der Tannen, welche das Geistergebirg krönten, und am fernen Horizont rollte der Donner.

Der getäuschte Verführer war es, der durch den Wald wie ein Sturmwind tobte, er war es, der die [63] Gewitterwolken zusammenballte, um tödtende Blitze auf seine irdischen Brüder zu schleudern, da seine Rache die Heilige nicht erreichen konnte, welche ihm seinen Raub entrissen hatte.

Die erschrockenen Verfolger Ottiliens standen unten am Berge, und wußten nicht, ob sie bleiben oder fliehen sollten; der Vater stimmte für das Letzte, und sein Zechgeselle für das Erste; dieser versicherte mit tausend Flüchen, daß er Alles für angelegte Sache halte, und daß er seine Braut aus der verschlossenen Höhle des Berges reißen, oder hier umkommen, und ihre Schützer mit sich in den Tod nehmen wollte.

Der anbrechende Tag sah tausend Werkleute beschäftigt, die Eingeweide des Berges zu durchwühlen, aber Alles, was man hervorriß, war ein klares Bächlein, das sprudelnd hervorstürzte und im Hinabströmen sich so ansehnlich vergrößerte, daß die getäuschten Arbeiter und ihr tollkühner Herr sich entfernen mußten.

Er und Rörich schieden im grimmigen Zorn von einander; er beschuldigte den Vater der geretteten Heiligen der Zauberei und kein Monat verging, so überschwemmten seine Völker Ottiliens Geburtsland, und drohten es zur Wüste zu machen.

Rörich war in Verzweiflung; er lebte seit dreißig Jahren in seinem Lande im tiefsten Frieden, und hatte den Gebrauch der Waffen längst vergessen; auch seine Räthe verstanden sich nach seinem Beispiel besser darauf, [64] die Becher zu leeren, als einem erbitterten Feinde, dem es nicht an Tapferkeit fehlte, die Spitze zu bieten.

Er und sein Land wären verloren gewesen, wenn Ottiliens Vorbitte ihm nicht die Himmlischen geneigt gemacht hätte. In einer schlaflosen Nacht schwebte Marie im Himmelsglanze vor ihm, und an ihrer Seite die bleiche Ottilie, welche in den ätherischen Gefilden die Rosen ihrer Wangen noch nicht hatte wieder er langen können.

»Du siehst,« sagte die Himmelskönigin, »daß diese gerettet ist. Es wäre mir ein Leichtes, auch den andern Bedrängten, der in deinen Banden schmachtet, zu befreien; aber ich hoffe, du selbst wirst dein eignes Bestes nicht verkennen. Gib dem Helden die Freiheit, dessen Schwert allein etwas wider deinen wüthenden Gegner vermag; stelle ihn an die Spitze deiner Heere, und danke ihm nach erhaltenem Siege, wie Pflicht und Natur es gebieten!«

Man hatte Niemand genannt, aber es war Rörichen leicht, zu errathen, daß von seinem Sohne die Rede war. Er war um so geneigter zu gehorchen, da Ottiliens Schicksal ihm schon längst günstigere Gefühle gegen den unglücklichen Jüngling eingeflößt hatte, für den sie sich bei ihrem Leben mit so heißer inniger Theilnahme zu verwenden pflegte. Er war überdem jetzt sein einziger Nachkomme, und nach Ottiliens Tode derjenige, auf welchen aller Augen sahen.

Der bisherige Ritter ohne Namen wurde aus dem Gefängnisse im Triumph nach Zähringen geholt, wo ihn [65] Rörich zum erstenmal mit dem Namen Sohn in seine Arme schloß. Der Befreite schwur bei dem Berge, der seine unglückliche Schwester vor ihren Verfolgern geschützt hatte, sie zu rächen und das Vaterland zu retten, und trank zur Bekräftigung des Eides dreimal aus dem klaren Bächlein, das nebst dem Gebirge, aus dessen Schoos es entspringt, Ottiliens Namen führt.

Er hielt, was er versprach: seine Siege machten ihn zum Besitzer zweier Fürstenthümer; denn nicht allein sein Vaterland, sondern auch das Land des überwundenen Feindes huldigte seinen Verdiensten. Manche herrliche Königstadt, manche paradiesische Gegend ward sein Eigenthum, aber kein Ort war ihm theurer als das Thal zwischen Zähringen und dem Ottilienberge, der nun von dem verführerischen Geiste der Nacht befreit war, und nur zuweilen von dem stillen Schatten der Seligen besucht wurde, die noch in den himmlischen Gefilden mit Sehnsucht an ihrem Geburtslande hing, und in mondhellen Nächten gern zu seinen friedlichen Gegenden herabschwebte.

[66]

Die Legende von St. Julian

In einigen Gegenden Deutschlands, besonders in denjenigen, welche sich an Galliens Gränzen hinziehen, pflegt man verirrten Reisenden das Gebet St. Julians zu empfehlen; eine Gewohnheit, deren Ursprung wir in der alten Sage zu finden gemeint haben, deren Erzählung wir jetzt beginnen. –

Verfolgung oder andere Unfälle trieben zu Kaiser Sigmunds Zeiten einen edlen Ritter aus Frankreich in den Schoos des deutschen Reichs; bald glaubte er sich an der Gränze seines Geburtslandes nicht mehr sicher, er drang tiefer vorwärts in die Gegenden, die ihn schützen sollten, veränderte seinen Wohnort und veränderte ihn wieder, bis er endlich festen Fuß faßte in der Grafschaft Mannsfeld, unweit Eisleben auf einem Schlosse Ekkardsberg genannt. Er baute und besserte es nach seiner Weise, und änderte viel und mancherlei an demselben, nur seinen Namen nicht, der ihm so wohl gefiel, [67] daß er ihn zu seinem Geschlechtsnamen erwählte, daher alle seine Abkömmlinge die Edlen von Eckardsberg genannt werden, bis auf diesen Tag.

Herr Gangolf von Eckardsberg, der Anherr dieses alten Hauses, war in Folge vielfachen Unglückes, durch Dulden und Leiden, Verleugnen und Meiden zum lebendigen Heiligen geworden, und begann auf seiner neuen Residenz ein Leben, das man exemplarisch nennen konnte. Nach ihm bildete sich sein ganzer Hofstaat, sowohl derjenige Theil desselben, den er mit aus Gallien herüber gebracht, als auch der, den er in Deutschland in seine Dienste gezogen hatte, und man hätte bei der ersten Uebersicht des Wandels derer von Eckardsberg glauben sollen, unter lauter Engeln zu sein; ein süßer freundlicher Wahn, der Niemanden so lange täuschte, als Herrn Gangolf selbst.

Fremde sahen oft noch wenigen Tagen ein, was er nie sehen wollte, daß es unter seiner Herde manches räudige Schaf, unter seinen Engeln manchen Teufel gab. Und ach! daß gerade diejenige, welche in seinen Armen ruhte, sie, die von ihm wenigstens der Heiligen, deren Namen sie führte, an die Seite gesetzt wurde, daß eben diese unter die Zahl der Verworfensten unter der ganzen Sündergenossenschaft gehören mußte, die der betrogne Gangolf in seinem Schlosse nährte!

Frau Cäcilie war – zur Ehre der Töchter Germaniens sei es gesagt, – nicht teutscher Abkunft; mit dem verjagten Gangolf war sie als eine verlassene Verwandte aus Gallien [68] herüber gekommen, und nun in den Zeiten der Ruhe sein Weib geworden.

Sie dankte ihm den Schutz, den er ihr ehemals gewährte, und die Theilnahme an seinem Glück, die er sie nun finden ließ, durch die zügelloseste Lebensart, und glaubte hinlänglich für seine Ruhe dadurch zu sorgen, daß sie ihre Ausschweifungen mit einem Schleier verhüllte, welcher dicht genug war, ihn zu täuschen.

Der Edle von Eckardsberg war ein bejahrter Herr, Cäcilie war jung und schön; er, wie zuvor gesagt, ein lebendiger Heiliger, sie eine Freundin der Lust und der Liebe. Geistliche Uebungen waren für ihn vollkommen genügend, die lange Weile zu verscheuchen, die auf seinem Schlosse haußte, aber die junge Dame brauchte zu ihrem Zeitvertreib etwas mehr, und daher kam es, daß hier manche Intrigue angesponnen und ausgeführt wurde, welche zu beschreiben wir nicht berufen sind.

Unter Gangolfs Edelknaben gab es zierliche, goldlockichte Cherubins, unter seinen Freunden und Nachbaren tapfere stattliche Ritter, und selbst unter seinen Beichtvätern Männer, deren Augen die Sprache der Liebe nicht verlernt hatten; alle diese sahen, daß Frau Cäcilie schön war, und sie war nicht so streng, daß sie ihnen das Geständniß ihrer Bewundrung hätte schwer machen, nicht so grausam, daß sie es hätte unbelohnt lassen sollen.

Ueberzeugt, daß der fromme Gangolf kein Arges aus ihrem Ein- und Ausgang bei seiner schönen Gemahlin haben könnte, ließen sie sich ohne Scheu vor ihm, bei Tag [69] und bei Nacht, bald in dem Vorzimmer, bald bei der Toilette, bald im Schlafgemach der Dame betreten; er fragte kaum danach, welches die Ursache ihrer Anwesenheit sei, und that er ja einmal eine so wunderliche Frage, so war es so gewiß, daß die Edelknaben durch ihren Dienst, die Beichtväter durch Andacht, und die Ritter durch irgend einen Irrthum hierher gerathen sein mußten, daß sich wider ihre Ausflüchte nichts einwenden ließ, und Herr Gangolf immer mit Allem gar wohl zufrieden blieb. – Nie, nie muß es einen gefälligern und nach seinem eignen Urtheile glücklichern Ehegatten gegeben haben, als den Edlen von Eckardsberg!

Aber unter Cäciliens Verehrern gab es einen, welcher vor allen andern den Vorrang behauptete, der sich also an obbenannten verbotenen Orten weit öfterer blicken ließ als die andern, und der endlich, in Folge einiger Winke vom eifersüchtigen Beichtvater gegeben, selbst bei St. Gangolf ein unwilliges Kopfschütteln und einigen Verdacht hervorbrachte.

»Ich sehe Nimrod von Wettin ungern so oft an eurer Seite, mein trautes Gemahl,« sagte der Herr von Eckardsberg eines Tages zu Cäcilien.

»Und warum?« fragte sie.

»Ich besorge,« erwiederte er mit aufgehobenem Finger, daß man euch zu verführen trachtet, »daß – –«

Cäcilie war längst über die Verführung hinweg, und konnte also Gangolfs Warnung mit einem Gelächter unterbrechen, welches so ziemlich natürlich herauskam. »Ritter Nimrod,« sagte sie, »hat nichts mit mir abzuthun [70] als Jagdgeschäfte; ihr seid ja zu mildherzig, das Blut der Thiere fließen zu sehen, ihr habt ihm ja selbst die Aufsicht über eure Wälder anvertraut, wie könnt ihr euch wundern, daß ich ihm Rechnung von Dingen abfodre, die so weit unter eurer Sorge sind? –« Aus diesem Gespräche, ja aus Nimrods Namen schon, den er sich selbst gewählt hatte, läßt sich schließen, daß er ein gewaltiger Jäger war, aber in welchem Grade er diesen Namen verdiente, kann gewiß keiner von meinen Lesern muthmaßen. Schon sein Aeußeres verkündigte ganz das, was er war. Seine Riesengestalt, sein nerviger Arm, von welchem gerühmt ward, daß er das stärkste Wild nicht durch Schuß, sondern lieber durch Hieb zu fällen pflegte, sein Gesicht, von den Strahlen der Sonne zur Mohrenphysiognomie umgeschaffen, seine rauhe donnernde Stimme, und die noch rauheren Sitten des wüsten Weidmanns, würden ihn für jedes andere Weib zum Gegenstand des Abscheues gemacht haben, nur für Frau Cäcilie nicht.

Seine Thaten entsprachen seiner Außenseite; er suchte seine Laster nicht zu verbergen, und doch war das, was man sich von ihm ins Ohr sagte, noch schrecklicher, als was man vor Augen sah.

In der ganzen Umgegend ging nämlich die Sage, Nimrod von Wettin sei einst am Donnerstage nach Fastnacht, wenn das wüthende Heer in dieser Landschaft vorüberzieht, mit dem Bösen in Bündniß getreten, und habe seit dieser Zeit täglich drei freie Schüsse, welche ihm das seltenste Wild lieferten, daß in allen Theilen der Welt zu [71] finden sei. Man erzählte sich hiervon noch wunderliche Dinge, und versicherte, daß einst die Frau von Eckardsberg, welche in einer vertraulichen Stunde aus Muthwillen die Sache bezweifelte, von Wettin an einem Abend mit einem frischgeschossenen afrikanischen Löwen, einem Rennthier und einem seltsamen Ungeheuer beschenkt wurde, welches Niemand zu nennen wußte, und das vermuthlich irgend einem Welttheil angehörte, welcher bis jetzt noch unendeckt ist.

An diesem Mährlein mochte nun so viel oder so wenig wahr sein als da wollte, so war doch dieses gewiß, daß Cäcilie den rauhen wilden Nimrod zärtlicher liebte, als alle ihre Buhlen, und auch weit zärtlicher als den frommen, sanften, einfältigen, truglosen Gangolf, welcher fortfuhr, an die Tugend seines Weibes zu glauben, ungeachtet jeder Tag ihm neue Proben ihrer Treulosigkeit brachte.

Eine derselben mußte indeß doch diesen starken Glauben ungewöhnlich erschüttert haben, denn es kam bei einem Spaziergange, den der Herr von Eckardsberg mit Cäcilien machte, wirklich so weit, daß er sich erkühnte, ihr ernstliche Vorstellungen zu thun. Die Dame vertheidigte sich durch Lachen, Spott, Betheurungen und Thränen, so gut, als sie vermochte, und erbot sich am Ende gar mit unglaublicher Frechheit, ihre Tugend durch Feuer- und Wasserprobe zu erhärten.

»Spottet nicht, Cäcilie,« sagte Gangolf mit ungewöhnlichem Ernste, »ich weiß, daß die Kinder dieser Welt wenig an solche Dinge glauben, und trotzt ihr vielleicht [72] darauf, daß Prüfungen dieser Art in unsern Zeiten fast ganz abgeschafft sind, so bedenkt, daß Gott auch noch heut zu Tage Wunder thut; das, was ihr nun sehen werdet, ist nicht das erste, welches durch mein Gebet bewirkt wurde. Getraut ihr euch, euern Finger in diese sprudelnde Quelle zu tauchen und ihn, im Vertrauen auf eure Tugend, unverzehrt heraus zu ziehen?«

Cäcilie kannte die frommen Grillen ihres Mannes, und hätte gern, um der Probe, die man ihr zumuthete, und die sie sehr leicht auszuhalten dachte, ein ernsthaftes Ansehen zu geben, dem Spott, der auf ihren Lippen schwebte, Einhalt gethan, aber ein unwillkührliches Lachen brach aus ihrem Munde hervor, und sie hüpfte mit muthwilligem Blick hin nach dem steinernen Becken, das die rinnende Quelle in seinen Schooß aufnahm, Gangolfs Forderung zu erfüllen.

»Nicht einen meiner Finger, nein, wenn ihr wollt, meine ganze Person will ich diesem unschädlichen Wasser anvertrauen, in welchem ich so oft gebadet habe!« so rief Cäcilie, und steckte ihre schneeweisen Arme in die spielenden Wellen. Gangolf, welcher wußte, daß die Sache ernsthafter war, als sie dachte, eilte ihr nach, sie von dem kühnen Unternehmen abzuhalten, aber er kam zu spät, denn schon war sie ohnmächtig auf den Rasen zurückgesunken, und hatte aus dem verrätherischen Becken ihre Arme in einem Zustande zurückgezogen, als wenn sie in dem siedenden Quell von Island abgebrüht worden wären; doch nein, nicht so, noch ärger war die Strafe der [73] Sünderin. Nicht kochendes Wasser, fließendes Feuer schien in das Becken zu strömen; es dampfte und rauchte jetzt himmelan, und Cäciliens Alabasterhaut, die seine Kraft empfunden hatte, war nicht nur geborsten, nicht nur gerunzelt, nein, keine Spur von dem, was der Arm ehemals war, konnte man mehr erblicken. Haut und Fleisch waren bis auf die Knochen verzehrt, und selbst diese schienen der Zerstörung nahe zu sein.

Die Strafe war zu streng, wie der weichherzige Gangolf meinte; darum hatte er nicht gebetet, und der Anblick seines leidenden Weibes machte, daß er Alles vergaß, was er ihr nach der unglücklichen Probe mit allem Rechte vorzuwerfen hatte.

Er warf sich an ihre Seite nieder, und netzte die Ohnmächtige mit tausend Thränen. Er brauchte alle Künste, sie aus ihrer Bewußtlosigkeit zu sich selbst zu bringen, und bebte schnell zurück, als er bedachte, zu was für unsäglichen Schmerzen er sie erwecken würde.

Doch sollte ein Heiliger, welcher eine solche Strafe herabzubeten vermag, nicht auch übernatürliche Heilmittel in seiner Gewalt haben? – Im Vertrauen auf die Macht seines Gebetes, unternahm es St. Gangolf, das Wasser, welches der Himmel zur Entdeckung der Sünderin gebraucht hatte, zu ihrer Rettung anzuwenden. Es war jetzt wieder still geworden, und floß kühl und ruhig, wie zuvor, in seinem Becken. Der trauernde Gemahl überströmte die Ohnmächtige mit einer Fluth desselben, und brachte sie nicht allein dadurch wieder zu sich selbst, sondern [74] gab auch den beschädigten Gliedern auf diese Art einige Linderung.

Gangolf hätte mehr, hätte die völlige Herstellung desjenigen gewünscht, was die göttliche Rache verzehrte; doch dieses wurde ihm versagt; langsame Heilung war das einzige, was er von dem erzürnten Himmel erflehen konnte. Cäcilie wurde von der Unglücksquelle nach Hause gebracht. Ihr Gemahl kam in vielen Wochen nicht von ihrem Bette, wo sie in unleidlichen Schmerzen lag, und es dauerte lange, ehe sein Gebet, seine Thränen, und das Wasser aus der Quelle der Prüfung, die Arme, welche ihn so oft verrätherisch umfangen hatten, völlig so schön wieder herstellen konnte, als sie ehemals waren.

Nach Cäciliens Genesung fing Gangolf an, ganz andere Gefühle für seine Gattin zu hegen; er hatte bisher nur Mitleid für sie gefühlt, jetzt begann er jenen Unwillen, jenen Abscheu zu empfinden, der sich endlich der geduldigsten Seele bemächtigt, wenn sie zu lange und heftig gereitzt wird. Die letzte Begebenheit hatte ihm völlig die Augen über die Laster seiner Gemahlin geöffnet und jetzt zweifelte er nicht mehr daran. Sie, eine überwiesene Sünderin? ich, ein Mensch, dessen Gebete die Erhörung auf dem Fuße folgt? Also ein Heiliger? Welch ein Paar! Trennung ist hier unvermeidlich, wenn Besserung unmöglich ist, doch laßt uns das Letzte zuerst versuchen. So dachte Gangolf und so handelte er.

Aber Cäcilie genaß und besserte sich nicht. Die Ritter, die Beichtväter und die Edelknaben, und vor allen [75] der wilde Jäger Nimrod von Wettin blieben ihre vertrauten Freunde. Gangolf wurde jetzt, da man wußte, daß ihm die Augen geöffnet waren, noch weniger geschont, und im Vertrauen auf seine unermüdbare Geduld geschah manches öffentlich, was man sonst vor ihm und aller Welt zu verbergen suchte.

Gangolfs Entschluß war gefaßt; er bestellte sein Haus, traf einige Verfügungen zum Besten eines unmündigen Knaben, der vorhanden war, und den er für seinen Sohn hielt, und verließ darauf sein Schloß, ohne von Jemand Abschied zu nehmen, um in irgend einer unbewohnten Gegend die höchste Stufe der Heiligkeit zu erlangen, und seine Leiden zu vergessen.

Seine Entfernung wurde weder beachtet, noch betrauert. Die Frau von Eckardsberg setzte ihr gewöhnliches Leben fort, und beklagte nichts, als daß sie sich nur zur Hälfte eine Witwe nennen konnte, weil dieses sie hinderte, den geliebten Nimrod von Wettin zu St. Gangolfs Nachfolger zu machen. Doch für baares Geld ist Alles in der Welt zu haben, und Cäcilie ging schon ernstlich damit um, sich von Rom Dispensation zur Erfüllung ihrer Wünsche herbeizuschaffen, als sie der Tod dieser Mühe überhob.

Eine von den damaligen preußischen Wüsteneien war der Schauplatz von den letzten Lebensscenen des Einsiedler Gangolfs und von den Wundern gewesen, welche er noch bei lebendigem Leibe that. Das Gerücht von seinen [76] Thaten breitete sich schnell aus, und die häufigen Pilgerfahrten, welche zu ihm geschahen, brachten ihn um seine geliebte Einsamkeit. Er entfloh oft dem Geräusch der ihn verehrenden Menge, um in der Stille eines Gebürges, wohin nur Wenige kamen, zu beten, und hier war es, wo man ihn einst vom Blitz getödet fand; eine Todesart, welche seinen Werth unter der abergläubischen Menge noch vermehrte.

Man verscharrte den heiligen Leichnam, und seine Freunde hatten große Mühe, zu verhindern, daß die Reliquiensucht ihnen nicht das Begräbniß unnöthig machte.

Bei seinem Grabe geschahen große Wunder, welche welche man in Gesängen verherrlichte, und sie zum Trost der Andächtigen an allen Orten hören ließ.

Cäcilie, die sich wenig um ihren beleidigten und nun unter die Heiligen versetzten Gemahl bekümmerte, hätte vielleicht von diesen Dingen nie etwas erfahren, wenn sie nicht durch eins von diesen, St. Gangolfo zu Ehren verfaßten Liedern davon benachrichtigt worden wäre. Sie liebte Gesang und Saitenspiel, und ließ es bei ihren Festen nie an dieser Würze der Frohlichkeit fehlen, und so geschah es einst, daß ein unwissender Neuling in der damaligen Singekunst ihr statt eines Gesangs, wie sie und ihre Gesellen sie gern hörten, St. Gangolfi Wunderthaten sang, und sie dadurch zugleich von seinem Tode und dem Range unterrichtete, den er nun im Himmel einnahm.

Eine falsche Sage, welcher wir keinen Glauben beizumessen [77] haben, meldet, Frau Cäcilie habe sich nach Anhörung dieser Dinge große Lästerworte wider St. Gangolfen verlauten lassen, und dafür eine schimpfliche Strafe erlitten, aber wir versichern, daß sie den Wohlstand so ziemlich bei dieser Nachricht beachtete, daß sie sogar nach Witwenart ein paar zierliche Thränen fallen ließ, und hoch betheuerte, daß sie sich nicht eher wieder öffentlich sehen lassen, oder irgend einem fröhlichen Mahle beiwohnen wollte, bis es Gott gefiele, ihr eine Aenderung ihres Standes aufzulegen; ein Gelübde, das sie als eine Frau von Ehre hielt. Denn erst acht Tage nach erhaltner Trauerpost, als sie Nimroden von Wettin ihre Hand gab, ging sie wieder hervor, und zeigte, daß die Thränen um ihren kanonisirten Gemahl den Glanz ihrer Augen nicht verdunkelt hatten.

Cäciliens zweiter Gemahl wußte zu gut, wie es dem ersten ergangen war, als daß er nicht für sich ein gleiches Schicksal hätte befürchten, und daher seine Maßregeln nehmen sollen. Er hatte keine Lust, die Liebe seiner leichtsinnigen Gattin, so wie bisher geschehen war, mit Andern zu theilen, und führte eine Etiquette in seinem Hause ein, welche der Neuvermählten ganz fremd war. Der wilde Jäger Nimrod hatte bisher in ihren Armen gern seine rauhen Sitten gemildert, jetzt hielt er diesen Zwang für unnöthig; er war so rauh und ungestüm in dem Schooße seiner Familie, als draußen, wenn er Feld und Wald bluttriefend durchzog, und in dem Eckardsbergischen Gebiete trotz dem wüthenden Heere toste. Alle [78] lieben Freunde Cäciliens wurden abgedankt, er bewachte sie mit tausend Augen, und was er nicht vermochte, das ersetzten einige alte Basen, die er ihr zu Hüterinnen gab, und die noch ärger waren als er selbst.

Nimrod war ein trefflicher Rächer Ganglofs; er machte die Quälerin dieses unschuldigen Heiligen, die boshafte Cäcilie, ganz unglücklich, und ließ sie jeden Seufzer, jede Thräne bezahlen, die sie diesem ausgepreßt hatte. Ohne Zweifel war dies seine Absicht nicht, er handelte nach seinem eignen wilden Temperamente, sorgte für die Sicherheit seiner eignen Ehre, und es war daher blos Zufall, oder Schickung zu nennen, daß sich Cäcilie durch ihren Leichtsinn ihre Strafe selbst zugezogen hatte.

Nur in einem Stücke verdiente Gangolfs Nachfolger Ruhm: er liebte Cäciliens Sohn, den jungen Julian, den man den Herrn von Eckardsberg nannte, als wäre er sein eignes Kind gewesen. Er schützte ihn bei den Rechten und Gütern, die ihm St. Gangolf hinterlassen hatte, that ein Ansehnliches von seinen eignen hinzu, entfernte ihn von allen verführerischen Auftritten, gab ihn unter die Zucht eines frommen Mönchs, und zeigte in allen Stücken, daß er gesonnen war, einen besseren Menschen aus ihm zu bilden, als er selbst war.

Dieses rühmliche Verfahren hinderte ihn nicht, für seine Person Laster auf Laster zu häufen; das Land seufzte unter seinen Bedrückungen. Der Schweiß der Armen nährte seine Jagdhunde und Pferde, das Wild, was sich in seinen Gehegen wie durch Zauberkunst mehrte, verwüstete [79] die Erndten des Landmanns. Die Mittel, welche die Bedrängten insgeheim zu ihrer Rettung brauchten, wurden mit unerhörter Grausamkeit bestraft, und nicht selten mußte ein Unglücklicher, der sich auf der That ertappen ließ, den Kopf eines Wildes mit seinem eignen bezahlen.

Die Leiden der Elenden riefen die Rache des Himmels herab, und Frau Cäcilie, die das, was sie von ihrem Tyrannen erdulden mußte, getrost dem unverschuldeten Jammer der übrigen Bedrängten gleich achtete, vereinigte insgeheim ihre Gebete mit dem allgemeinen Klaggeschrei, das Tag und Nacht zum Thron des Richters aufstieg. Sie war Nimrods von Wettin herzlich müde, und wünschte nichts so sehnlich, als durch seinen Tod bald aus ihrer unleidlichen Sclaverei befreit zu werden.

Aber die Wiedervergeltung sollte die Verbrecherin und den Verbrecher mit einem Streiche treffen. Cäcilie, welche ihrem mißtrauischen Gemahl, der alle ihre Schleifwege gegenau kannte, nie von der Seite kommen durfte, begleitete ihn eines Tages auf die Jagd, ohne zurück zu kommen. Nimrods Jagdgefolge langte erschrocken auf der Eckardsburg an, ohne Nachricht geben zu können, wo ihr Herr und ihre Frau geblieben wären. Es war an einem von den Tagen, an welchen, der alten Sage zu Folge, die Eckardsbergischen Gehölze von einer unsichtbaren Waidgenossenschaft durchzogen werden, und wo sich kein irdischer Jäger in denselben mit Geschoß und Horn blicken lassen darf.

[80] Die in diesen Dingen wohl erfahrnen Diener Nimrods hatten ihren Herrn gewarnt, Cäcilie hatte knieend gefleht, aber der Ruchlose, der weder auf das eine noch das andere achtete, hatte seinen Knechten donnernd geboten, ihm zu folgen, und seine weinende Gemahlin ungestüm mit sich tief in den Wald hineingerissen, woher ihnen schon das gellende Jagdgeschrei der ätherischen Jäger entgegen schallte. Der Dienerschaft gelang es, sich noch zeitig durch Flucht zu retten, aber Nimrod und Cäcilie erlitten wahrscheinlich die Strafe ihres Vorwitzes und ihrer Ruchlosigkeit, denn weder diesen noch die folgenden Tage konnte man sie, oder auch nur ihre Leichname ausfindig machen. Nur ihre Kleider und Waffen, von denen man Fragmente hier und da an den höchsten Aesten der Bäume flattern sah, gaben Muthmaßungen von dem, was ihr Schicksal gewesen sein mochte.

So war denn die Erde von zwei Ungeheuern befreit, die ihr zur Schande gereichten, und die Eckardsbergischen Gebiete begannen sich unter der sanften Regierung eines unmündigen Knaben, oder vielmehr seines frommen Vormunds zu erholen, den ihm der längst verfaßte letzte Wille seiner beiden Väter, Gangolfs und Nimrods, in dem Prior des benachbarten Augustinerklosters gegeben hatte.

Julian war zu jung, um den Verlust seiner Eltern zu betrauren, oder sich über die Todesart, welche ihnen die gemeine Sage zutheilte, zu entsetzen. Erst als er besser heranwuchs, gab ihm zuweilen der warnende Prior [81] einige Winke von den Strafen, welche auf Verbrechen, wie diejenigen folgten, deren sich Nimrod und Cäcilie schuldig gemacht hatten, und wenn dann der weichherzige Knabe über das Schicksal seiner Eltern weinte, so setzte der fromme Mönch immer tröstend hinzu, wie er hier nur eine unglückliche Mutter zu betrauern habe, welcher vielleicht noch durch Almosen und Seelenmessen zu helfen sei, und wie nicht Nimrod, sondern Sankt Gangolf, der Einsiedler, die Ehre habe, sein leiblicher Vater zu heißen.

Die Verwandtschaft mit einem kanonisirten Heiligen, bei dessen Grabe noch viel herrliche Wunder geschahen, machte besondern Eindruck auf das Gemüth des Knaben, und rief bei ihm den Wunsch hervor, auch ein Heiliger zu werden. Die Anlage dazu war da, seine Gemüthsart war sanft und gut, seine Erziehung klostermäßig, und alle seine Begriffe so, daß sie mehr in eine andere, als die gegenwärtige sublunarische Welt taugten. Er wuchs unter der Aufsicht seines redlichen Vormunds in frommer Unschuld heran, und würde herzlich gern, als er die Jahre erreicht hatte, da er sich einen Stand wählen sollte, ins Kloster gegangen sein, wenn der Prior des Augustinerklosters eigennützig genug gewesen wäre, es ihm zu verstatten. »Ihr seid zum Leben in der Welt bestimmt, mein Sohn,« sagte er. »Die arme Welt! sie braucht fromme Menschen noch nöthiger, als das Kloster! Führt in ihr ein exemplarisches Leben, und ihr werdet dadurch mehr Gutes schaffen, als bei uns, denen es nicht an Heiligen fehlt.«

[82] Julian ließ sich gefallen, was man ihm auferlegte, wie er sich in Folge seiner sanften Gemüthsart Alles gefallen ließ, und fing auf seinem Schlosse, das er nun in seinem zwanzigsten Jahre in Besitz nahm, wirklich einen Wandel an, der einem Weltheiligen Ehre machte.

Der gute Prior hatte ihn gelehrt, Frömmigkeit und Tugend nicht in müssigen rastlosen Gebeten, oder unnützen geistlichen Uebungen, sondern in froher Thätigkeit zum Wohl Anderer zu suchen, und daher kam es, daß er unablässig bemüht war, Gutes zu stiften, und immer dasjenige am eifrigsten, was ihm Aufopferung oder mühsame Anstrengung kostete.

Schade war es, daß diese wohlthätigen Gesinnungen mit schlechter Urtheilskraft verbunden waren; Julians Herz war edel, aber sein Verstand war schwach, und sein Gemüth zur Schwermuth und Schwärmerei geneigt. Er begnügte sich nicht, Wohlthaten mit sinnloser Verschwendung auszustreuen, und Blut und Leben zu wagen, wo wohlfeilere Hülfe möglich gewesen wäre, sondern er drang Rath, Trost, Hülfe und Unterricht oftmals da auf, wo Niemand sie bedurfte oder verlangte, und grämte sich dann, wenn ihm seine Gutherzigkeit übel belohnt wurde. Ganze Bücher wären hievon zu schreiben, aber mir, der ich mich nicht zu weit von dem Plane meines Mährleins entfernen darf, ist nur erlaubt, eines einzigen Abentheuers zu gedenken, das den Grund zu allen übrigen legte, mit welchen die Legende von St. Julian angefüllt ist.

Die Gemeinde von Eckardsberg blühte unter der Regierung ihres guten Herrn. Armuth und Elend waren [83] durch seine Milde fast ganz verscheucht worden, und die allgemeine Klage betraf nur die Verwüstung, welche unsichtbare Feinde, die keine irdische Macht zu bannen vermochte, in diesen Gegenden anrichteten.

Wir haben schon früher gesagt, daß diese Landschaft alljährlich von einer Rotte böser Geister heimgesucht wurde, welche man das wüthende Heer nannte; aber seit einiger Zeit ließen sich diese wilden Gäste jeden Monat wenigstens einmal, wohl gar auch noch öfterer blicken. Der Unfug, den diese umherziehende Dämonengesellschaft anrichtete, bestand nicht blos in dem höllischen Getös, mit welchem sie sich anzukündigen pflegte, und das manchen ehrlichen Mann auf Lebenszeit um sein gesundes Gehör brachte, nicht blos in dem Schrecken, welchen die Ankunft der tobenden Luftgeister bei den Schwachen und Weiblein erregte, nein, dieses Gespenstwerk hatte weit wichtigere Folgen, und machte das Land, das demselben unterworfen war, wirklich elend. Reisende, welche von diesen Dingen nichts wußten, und sich zu der gefährlichen Zeit auf offner Straße befanden, mußten dies mit dem Leben bezahlen, selbst Kinder, welche sich in ihrer unschuldigen Unwissenheit von ihren Eltern verlaufen hatten, wurden nicht geschont. Im Walde wurzelten die Unholde die Bäume aus, tobten über die Felder und Fluren, und verdarben alles Gewächs. Ueberall erkannte man ihren Fußtritt so deutlich, als wären sie nicht von ätherischer Natur gewesen. Am Morgen nach den Nächten, in welchen sie tobten, waren die Gegenden voll von dem getödteten Wild, das sich von dem Weidwerk irdischer Jäger [84] dadurch auszeichnete, daß es auf keine Weise zu brauchen war, und die Luft mit giftigem Gestank erfüllte. Was dem Zuge der höllischen Verderber im Wege war, Häuser, Ställe oder Scheuern, wurde der Erde gleichgemacht, und alle lebendige Geschöpfe, die sich daselbst befanden, waren Opfer des Todes.

Wie hätte der gutmüthige Julian von Eckardsberg das Leiden seiner Kinder, wie er seine Unterthanen zu nennen pflegte, kaltblütig ansehen, wie hätte er nicht auf Rettung denken sollen? Mit Gebet und Segen war hier nichts auszurichten, man mußte auf andere Mittel sinnen. Er fragte hundert alte, in den Angelegenheiten der Geisterwelt hocherfahrne Männer und Frauen um Rath, las in hundert noch ältern Bücher, die von diesen Dingen handelten, und fand endlich, was er suchte.

In der Bibliothek des Augustinerklosters, wo Julian oft ganze Tage zubrachte, fanden sich Manuscripte seltner Art, die oft von ihm in obbemeldeter Absicht vergebens durchblättert worden waren, bis er endlich in einer Nacht des einsamen Forschens in Deutberti Büchlein von den Wundern der Geisterwelt, auf folgende Stelle stieß:

»So deine Hände rein sind von aller Missethat, so du nie gemordet, geraubt, oder verbotener Liebe gepflogen, so dein Ueberfluß den Verschmachteten labte, und dein Kleid den Nackenden wärmte, so der Arme, die Witwe und ihre Waisen, der Kranke und der Pilger deine Milde segnen, so tausend Stimmen deinen Namen dankend vor Gott nennen, und keine wider dich zum ewigen Richter [85] schreit, so magst du es wagen, des Nachts, wenn das wüthende Heer umherzieht, seiner auf einem Kreuzwege zu warten, und es im Namen Gottes und seiner Heiligen mit einem Schuß oder zwei zu bannen, ohne daß es dir an Leib und Leben schade. Doch um die Ruhe deines Herzens ist's auf jeden Fall gethan, denn auch der Heiligste darf es nicht in diesem Leben der Dunkelheit ungestraft wagen, die Gränzen zwischen der Geister- und Körperwelt zu verletzen.«

Julian jauchzte über den Fund, den er endlich gethan hatte, und er war schnell entschlossen, sich für das gemeine Beste aufzuopfern. Ein tiefes Nachdenken über die vorgelegten Bedingungen, eine ernste Gewissensprüfung folgte dem Entschlusse, und das Resultat von Beiden war Befestigung des heldenmüthigen Vorsatzes, welcher gleich des andern Tages dem Prior, als seinem Beichtvater und ehemaligen Vormunde, vorgetragen wurde.

Dieser Weise, welcher nie besonderes Wohlgefallen an der seltsamen Wendung gehabt hatte, welche alle Handlungen Julians nahmen, widerlegte, rieth und warnte aus allen Kräften, aber der Jüngling beharrte auf seinem Vorhaben, und machte sich in der nächsten schauervollen Nacht auf, seinen gewagten Entschluß auszuführen.

Es war einer der spätesten Herstabende, da er den Eckardsbergischen Forst betrat, um die Feinde, welche in der Mitternacht hier vorüber ziehen sollten, zu erwarten. Furcht vor dem Fürsten der Luft, der hier seine [86] Jagdlust zu haben pflegte, hatte den weiten Wald verödet, kein menschlicher Fußtritt ließ sich hören, auch das Wild hielt sich still in seinen Höhlen und zitterte dem allmächtigen Rufe des Jägerhorns entgegen, der es nun bald aufscheuchen sollte. Der Wind heulte durch die kahlen Wipfel der Bäume und wühlte in dem dürren Laube, das den Boden bedeckte. Am Himmel thürmten sich Regenwolken auf, und drohten die angeschwollenen Wasser zur Alles überscheumenden Fluth zu machen, doch kam am bleifarbigen Horizont der Mond wie eine schmale Sichel herauf, den einsamen Wanderer zu geleiten. Die Stunden flogen dahin, die Dunkelheit nahm zu, der Mond verhüllte sich in den Wolken, welche sich in Regen aufzulösen begannen. Mitternacht war vorüber, und Julians Herz erbebte zum erstenmal, als er von Weitem den kommenden Feind vernahm, den er aufzufordern gedachte. Das ätherische Hifthorn schallte, Jagdgeschrei, Hundegebell und Wiehern der Rosse tönte hinter dem fliehenden Wilde her, das von unwiderstehlichem Zuge getrieben, sich aus allen Revieren des Forstes erhob, und vor dem kühnen Julian, der sich unter den Schutz einer Eiche gestellt hatte, vorüberzog. Ihm folgte das unsichtbare Jagdgefolge mit dem Brausen eines Sturmwindes, mit dem Brüllen des Donners. Julian sank von dem schrecklichen Getös, das ihn umhallte, und von einem seltsamen Druck der Luft, den er empfand, betäubt zu Boden, und vergaß auf einige Zeit, warum er hier war; doch besann er sich schnell, empfahl sich Gott und seinen [87] Heiligen, richtete sich muthig empor, und that einen doppelten Schuß in das Heer von Schattengestalten, das er jetzt, da er aufwärts blickte, über sich hinziehen sah; ein buntes, immer abwechselndes Gewühl der seltsamsten Gebilde, wie sie nur die wildeste Phantasie erdenken und nur die kühnste Feder nachzeichnen kann.

Es war die äußerste Anstrengung, welche Julians zitternde Hand regierte, die letzte Kraft einer durch Entsetzen, banger Erwartung und schwärmerischem Heldenmuthe geschwächten Seele. Nachdem er gethan hatte, was er hier glaubte thun zu müssen, sank er sinnlos zu Boden, und blieb in diesem Zustande bis zum nächsten Morgen liegen, wo ihn seine Diener und die Mönche des Augustinerklosters, die ihn bisher vergebens gesucht hatten, von Regen triefend und erstarrt aufhoben und nach dem Kloster brachten.

Mit ihm hatte man zwei Stücke gefälltes Wild, einen weißen Hirsch und eine Hündin von derselben Farbe hereingebracht, welche sich in einiger Entfernung von ihm gefunden hatten, und wahrscheinlich von seinem doppelten Schusse getroffen sein mochten. – Als Julian die Thiere erblickte und erfuhr, wo man sie gefunden hatte, sah er sie traurig an, denn es war seine Absicht nicht gewesen, gemeines Wild zu tödten. Er betrachtete das, was er erlegt hatte, genauer, und glaubte auf dem Gesicht der getödteten Thiere so seltsame Züge fast menschlicher Traurigkeit zu sehen, daß ihm das Herz brach. Er [88] gebot, sie augenblicklich hinweg zu schaffen, und in die Klosterküche zu bringen.

Er war zu schwach, nach seinem Schlosse zurückzukehren und mußte diesen Tag bei seinen lieben Augustinern bleiben. Man setzte ihn bei der Abendtafel unter andern Gerichten einen feisten Wildpretsbraten auf, den er mit der ängstlichen Frage von sich schob, ob er von seinem gefällten Wilde sei? und die Betheurung hinzusetzte, er könne sich nicht überwinden, von demselben zu essen.

Der Pater Küchenmeister hieß ihn außer Sorgen sein, und versicherte lachend, daß von seinem Wilde schlechterdings nichts zu brauchen gewesen sei. »So schön diese Thiere auch aussahen,« setzte er hinzu, »so bestand doch ihr ganzer Körper aus nichts als Haut und Knochen, und das Eingeweide war so sonderbar beschaffen, als ich es nie beim Wilde gesehen habe; besonders die Herzen, die ich aufbewahrt habe, sie irgend einem Zergliederer zu zeigen, der, wie ich meine, nicht im Stande sein wird, sie von menschlichen Herzen zu unterscheiden.«

Dem guten Julian lief ein kalter Schauer über die Haut; er legte die Messer aus der Hand, stand auf, und eilte nach seinem Schlafgemache, wo er sich fast ohnmächtig auf sein Lager warf. »Ach,« sagte er, als er sich ein wenig erholt hatte, »Gott weiß, welch ein Wild ich gefällt, Gott weiß, welches Verbrechen ich auf meine Seele geladen habe! Ruhe und Friede sind auf ewig aus meinem Herzen gewichen!«

Ein Heer von wilden Träumen umgauckelte ihn in[89] dieser Nacht, von denen einer, mit welchem er erwachte, deutlich genug war, um ihn unvergeßlich zu bleiben, und einen nachtheiligen Einfluß auf seine ohnedem zerrüttete Seele zu äußern.

Die ganze Scene von voriger Nacht schwebte noch einmal vor ihm vorüber; er sah noch einmal das Heer der wüthenden Dämonen über sich hinziehen, that nocheinmal mit zitternder Hand den doppelten Schuß, den er damals gewagt hatte, aber er sollte diesmal zu seinem Schrecken noch mehr erblicken: er sah, wie der Hirsch und die Hündin, von seinen Schüssen getroffen, niederstürzten, wie sie sich aufrafften, sich bis zu seinen Füßen zu schleppen, und da das Leben auszuhauchen. Ein Strom von Blut, der aus ihren Wunden floß, bezeichnete ihren Pfad, und sie sanken mit kläglicher Geberde vor ihm nieder. In den gebrochenen Augen des Hirsches lag Wuth, und er machte eine schwache Bewegung, sein Geweih wider seinen Mörder zu kehren, aber die Hündin legte ihren Kopf in seinen Schooß, leckte sterbend seine Hände, und aus ihren Augen schienen Thränen zu quellen. »Unglücklicher!« rief eine Stimme eines Unsichtbaren neben ihm, »Mörder deines Vaters und deiner Mutter! Zur Büßung ihrer Sünden wurden ihre Seelen in diese Körper gebannt; bis auf wenige Wochen war die Zeit der Strafe für sie verflossen, und deine grausame That stürzt sie von Neuem in den Abgrund des Verderbens, läßt sie von Neuem beginnen, was nun bald geendigt war!« Ein schallendes Gelächter aus der Luft ertönte[90] nach Endigung dieser Worte auf ihn herab. Der vor Schrecken fast bewußtlose Julian sah auf, und erblickte das Schattenheer, das wie mit Wohlgefallen über ihm verweilte, und durch gräuliches Schlangengezisch und spottende Geberden über den Ausgang seiner Frevelthat zu frohlocken schien.

Die Namen »Elternmörder und gefallner Heiliger« tönten ihm von allen Seiten in die Ohren, das Gesicht verschwand und er erwachte. Aber welch ein Erwachen! – Die genaue Ueberlegung des Traums, die Vergleichung desselben mit Wahrheit und Wahrscheinlichkeit würde bei jedem Andern Beruhigung hervorgebracht haben, bei dem schwachen schwärmerischen Jünglinge bewirkten sie das Gegentheil. Ihm war das Unwahrscheinlichste nicht unglaublich, er dachte über das klägliche Ende Cäciliens nach, das ihm, seit er erwachsen war, so manche schwermüthige Stunde gemacht hatte, reimte es mit der Stimme des Traums zusammen, und glaubte seines Unglücks immer gewisser zu werden. Seine Vernunft begann zu schwanken, und der Prior, welcher am Morgen kam, ihn zu besuchen, fand ihn in völliger Raserei.

Der redliche Mönch that alles mögliche zur Pflege des beklagenswürdigen Jünglings, dessen Krankheit sich von Stunde zu Stunde vermehrte; nur Schade, daß Alles, was er unternahm, blos zum Besten des Körpers des Leidenden, nichts für seine ungleich kränkere Seele bestimmt war. Der Prior sah hier nichts, als ein gewöhnliches hitziges Fieber, die Phantasien des Kranken wurden [91] wenig beachtet, und als nach seiner Genesung, welche nach achtzehn gefahrvollen Tagen erfolgte, immer noch Elternmord und unaustilgbare Blutschuld seine fixe Idee blieb, so sprach man so ernstlich über diesen Punkt mit ihm, warnte ihn so nachdrücklich, nichts mehr von Dingen vorzubringen, welche nur in einer von Krankheit geschwächten Seele Platz haben könnten, daß er endlich schwieg, und den Entschluß faßte, seinem geängstigten Gewissen auf andere Art Rath zu schaffen.

In der Stadt Eisleben lebte in einem Franziskanerkloster ein neunzigjähriger Mönch, welcher weit und breit wegen seiner Heiligkeit und seinen ausgezeichneten Beichtigertalenten berühmt war. Auf diesen hatte Julian sein Vertrauen gesetzt, und kaum durfte er es wagen, sich der Winterluft auszusetzen, als er sich auf den Weg machte, sein Herz in den Schooß des geistlichen Vaters auszuschütten und Trost bei ihm zu holen.

Er fand in dem einfältigen Franziskaner ganz einen solchen Beichtiger, wie er sich ihn gewünscht hatte. Sein schwärmerisches Sündenbekenntniß wurde nicht allein mit großer Geduld angehört, sondern die ganze abentheuerliche Geschichte auch nicht im mindesten bezweifelt. Den Zweifel, den Julian selbst aufwarf, wie sein Vater, der heilige Gangolf, dazu gekommen sein möchte, nach seinem Tode mit der lasterhaften Cäcilie einerlei Strafe zu leiden, wußte der heilige Mann auch gar wundernswürdig aufzulösen, und stürzte dadurch seinen schwermüthigen Beichtsohn in neuen Jammer. »Seid ihr denn so kühn,« sagte [92] er, »euch für einen Sohn Gangolfi, des Einsiedlers, zu halten? Kennt ihr die verbotene Liebe nicht, welche so lange zwischen eurer Mutter und dem ruchlosen Nimrod von Wettin herrschte? Er, er ist euer Vater! ihn habt ihr in seiner Thiergestalt getödet! St. Gangolfs Gebeine werden wohl ruhen, wo sie liegen, bis der große Engel sie hervorruft, aber Nimrods und Cäciliens Körper wurden von dem Bösen in den Lüften davon geführt, und mit ihren Seelen kann es leicht so stehen, wie ihr im Traume gesehen habt.«

»Aber welchen Rath wisset ihr für mein beängstigtes Herz?« schrie der verzweifelnde Julian mit gerungenen Händen. Der Beichtiger bedachte sich und sprach von harten Bußen, welche der unschuldige Sünder so willig auf sich nahm, daß er seinen Richter ganz irre machte.

»Mein Sohn,« sagte er endlich, »alle diese Dinge werden euch, wie es scheint, so leicht, daß sie bei euch unmöglich Büßungen heißen können. Ihr müßt durch eine lange Reihe schmerzhafter Verläugnungen, wie sie euch die Gelegenheit darbietet, eure Sünden zu tilgen suchen, und wenn ihr endlich das höchste Beispiel der Selbstüberwindung gezeigt habt, so wird sich die Ruhe in euerm Herzen wohl wieder einstellen, so werdet ihr wohl fühlen, daß die Blutschuld, welche euch drückt, getilgt ist.«

Julian ging traurig nach Hause ob der unbestimmten untröstlichen Antwort, und begann von nun an sich zu kasteien, wie der strengste Mönch aus dem Orden de la [93] Trappe. Alles, was ihm die kleinste Freude machen konnte, unterließ er, und unterwarf sich freiwillig den größten Leiden. Er verging wie ein Schatten, und sein Freund, der Prior des Augustinerklosters, der ihn aufrichtig liebte, grämte sich unendlich, ihn so verblühen zu sehen. Er wußte nicht, was ihn quälte; wie hätte er im Stande sein sollen, ihm zu helfen? und welch ein schreckliches Gefühl, einen Freund ohne Hülfe verderben zu sehen!

»Mein Sohn,« sagte er eines Tages, nach einer fruchtlosen Unterhaltung über diesen Gegenstand, »ich glaube den Grund eurer Schwermuth zu errathen. Ihr seid zu einsam! Gedenket an die Worte des Schöpfers im Paradiese: es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Ihr seid jung, liebenswürdig und reich; seht euch um nach den schönsten Töchtern des Landes, und wählt euch unter ihnen eine Gattin. Schönheit ist oft mit Tugend, Unschuld mit frohem Sinn gepaart; ihr werdet an eurer Gemahlin, wenn ihr vorsichtig wählt, einen tröstenden Engel haben, der nach und nach allen euern Trübsinn zerstreuen, und euch der Welt wieder schenken wird.«

Julian erbebte, einen so irdischen Rath aus dem Munde eines Mönchs zu hören. »Warum,« fragte er mit einigen Unwillen, »rathet ihr mir nicht lieber das Kloster zur Beruhigung meiner Seele?«

»Weil ihr,« erwiederte der Prior, »das Mönchsleben eurer zerrütteten Phantasie angemessener findet, als den Stand eines nützlichen Weltbürgers, so glaubt ihr [94] diesen verwerfen und jenes wählen zu müssen; aber dürfen wir allemal nach unsern Neigungen handeln? Müssen wir uns nicht Gewalt anthun, um unsere Pflicht zu erfüllen?«

Julian sah den Prior voll Verwunderung an. Ohne es zu wissen, hatte der gute Mönch eine Saite berührt, die bei den jungen Menschen sehr laut ansprach. »Wie?« sagte er zu sich selbst, als er allein war, »sollte dieses nicht etwa die Verleugnung sein, die mir mein Beichtiger in Eisleben empfahl? Ich kenne keinen Stand, der mir widriger wäre als der Ehestand, keinen, den ich williger ergreifen würde als das Klosterleben; nun gut, so sei dieser verworfen und jener erwählt; kein größeres Ofer wüßte ich dem Himmel zu bringen, keine größere Verleugnung auszuüben!«

Der Prior, welcher sich nicht darum bekümmerte, aus was für Gründen sich sein junger Freund nach dem Rathschlage bequemte, den er ihm gegeben hatte, und der sich tausend Gutes von seiner Verbindung mit einem schönen und guten Mädchen versprach, baute bei einigen späteren Unterhaltungen mit so gutem Erfolge auf dem Grunde fort, den er gelegt fand, daß der Entschluß, für den jungen Herrn von Eckardsberg eine Gemahlin zu suchen, bald fest gefaßt, und eben so schnell ausgeführt ward.

Unter den Vasallen der Herren von Eckardsberg bebefanden sich drei, welche der Himmel mit hübschen Töchtern gesegnet hatte, und diese jungen Mädchen waren es, welche der Prior seinem Mündel zur Wahl vorschlug. »Ich [95] wünschte nicht,« sagte er, »daß ihr euch ein Weib aus großen Städten nehmen möchtet; von ungefähr könntet ihr auf eine Cäcilie stoßen, die euch so elend machen dürfte, als euer Vater durch eure Mutter ward. In den Schatten des Landlebens wohnt Unschuld und Tugend. Ein solches Weib, wie wir sie hier in unsern Gegenden erziehen, wird euch beglücken, und habt ihr gewählt, so verspreche ich, selbst für euch den Brautwerber zu machen. –«

Der Pater Prior hatte, wie mehrere seines Standes, eine gute Gabe zum Heirathstiften. Die Eltern der Jungfrauen wurden noch am nämlichen Tage von den Absichten des Herrn von Eckardsberg unterrichtet, und am folgenden schon brachte ein bloßer Zufall, wie er bei dergleichen Gelegenheiten gewöhnlich ist, den jungen Edelmann und einen seiner vornehmsten Diener, Namens Robert, in das Haus, wo zwei der obgedachten Mädchen, die ihre Mutter verloren hatten, als Gespielinnen der dritten erzogen wurden.

Julian sah die Mädchen und sein Herz war nicht so unempfindlich, daß er nicht ein kleines Beben bei dem Anblick dreier jungen Geschöpfe gefühlt haben sollte, unter denen er wählen konnte, und die alle nicht unliebenswürdig waren. Sein Gefühl entschied indessen für die eine, welche gerade am wenigsten reizend war, weil er einen gewissen Ausdruck von Unschuld und Gutmüthigkeit in ihren Augen fand, der ihm gefiel. Da aber die Wahl des Priors auf die zweite fiel, und es hier nach [96] Julians Grundsätzen immer auf Ueberwindung ankam, so bezwang er seine Neigung und gehorchte seinem Freunde. Die dritte von den Schönen wurde von Allen verworfen; der Prior fand sie zu schön für seinen blöden Mündel, und dieser sie zu feurig, zu weltlich, um eine Neigung für sie fassen zu können.

Man besprach sich einige Minuten unter vier Augen über die Sache, und wie denn zu den Zeiten unsrer einfältigen Vorfahren Alles ohne viel Umstände zuging, so fand es der Prior hier für gut, noch an demselben Abende die Eltern des Fräuleins folgendermaßen anzureden: »Meine Freunde! Mein ehemaliger Mündel, der Julian von Eckardsberg, ist in euer Haus gekommen, sich ein Weib zu holen, und weil ihm nun eure Tochter Rosamunde besser als ihre beiden Muhmen gefällt, so bitte ich euch in seinem Namen, gebet ihm die Jungfrau an die Hand, daß er sie zum Altar führe!«

Um die alten löblichen Sitten nicht zu verletzen, erbat man sich einige Bedenkzeit, und nach Verlauf von acht Tagen ward Jungfer Rosamunde dem Edeln von Eckardsberg zugesagt, welcher noch mehr erröthete, als die junge Braut, als der Prior nebst dem Brautvater seine Hand in die Hand seiner Verlobten legte, und ihm erlaubte oder vielmehr gebot, sie zu umarmen. Er zog sich so schnell als möglich von ihr zurück, und gab dadurch dem jungen Mädchen Veranlassung, nicht ganz zufrieden mit seinem Betragen zu sein.

Ueberhaupt war es mit dieser ganzen Brautschaft eine [97] eigne Sache. Julian fing wirklich an, Rosamunden gewogner zu werden, als es mit der Pflicht der Verleugnung bestehen konnte, aber dennoch würde die Sache zehnmal zurückgegangen sein, hätte er nicht an seinem Diener Robert einen treuen Unterhändler gehabt. Unablässig ging dieser Bote der Liebe ab und zu, das Einverständniß zwischen zwei Personen zu erhalten, welche sich mit einander nicht recht verständigen konnten. Schade, daß er den Lohn für seine treuen Dienste nicht einerndten, daß er nicht wenigstens den frohen Hochzeittag mit feiern konnte! – Ehe derselbe erschien, verschwand er aus der Eckardsbergischen Feldmark und hinterließ seltsame Muthmaßungen über die Ursache seines Verschwindens; einige riethen auf freiwillige Entweichung, und andere sagten ihn todt, aber keiner von beiden Theilen konnte seine Meinung erweisen.

Julian war nicht gleichgültig bei dem Verluste seines lieben Dieners, den er wie einen Freund hielt; aber dem Hause seiner Braut begegnete ein noch herberer Unfall durch den kläglichen Tod der schönsten von ihren beiden Muhmen, deren wir bei der Erzählung von Julians Brautschau gedacht haben. Der Pater Prior, welcher nach Roberts Verschwinden sah, wie schläfrig es mit er Liebe der beiden Verlobten zuging, beschleunigte die Hochzeit, um die Fehlschlagung seiner guten Absichten für den schwermüthigen Julian unmöglich zu machen. Vielleicht in Folge der Eilfertigkeit, mit welcher Alles bei diesem frohen Feste zuging, geschah es, daß in der ersten [98] Nacht der Vermählung ein Feuer im Hochzeithause auskam, welchem die Braut und der Bräutigam mit Mühe entgingen, und das der Kousine Hildegard, welche vielleicht zur Rettung herbeigeeilt war, das Leben kostete; wenigstens war soviel gewiß, daß man sie nach diesem Vorfall nirgends finden konnte, ungeachtet die Flamme an keinem andern Orte gewüthet hatte, als im Brautgemach, und sehr schnell gelöscht worden war. Auch hierüber gingen gar seltsame Sagen, deren Grund oder Ungrund wir vielleicht in der Folge auseinander setzen werden. Wahrscheinlich hätte der Bräutigam manchem räthselhaften Umstande am ersten auf die Spur kommen können, aber er war ein Mensch, der mit sehenden Augen blind zu sein schien, und der in der Welt, in welcher er lebte, immer nur halb gegenwärtig war.

So blind der Herr von Eckardsberg auch gegen alles Irdische zu sein pflegte, so konnte doch eines seinen Augen nicht entgehen, ungeachtet er in der That später aufmerksam darauf wurde, als jeder andre. Frau Rosamunde, ein junges Geschöpf, das im ledigen Stande von lauter Lust und Lachen zusammengesetzt zu sein schien, war seit ihrer Vermählung von einer Schwermuth befallen, welche ihres Gleichen suchte. Sie weinte, wo sie ging und stand, rang die Hände gen Himmel empor, wenn sie glaubte nicht beobachtet zu werden, und verbarg in Gesellschaft ihren Gram in jene gezwungene Heiterkeit, welche so leicht zu durchschauen ist; sie betrug sich in Summa so, daß der Pater wohl sah, daß sie nicht der [99] tröstende Engel war, den er seinem Mündel zu geben dachte, um seine Melancholie zu verscheuchen.

Julian war in der That seither durch die Hochzeitgeschäfte, denen er sich unumgänglich unterziehen mußte, ein wenig von seinem alten Grame abgezogen worden; aber, als er jetzt die Augen aufthat, und seine Gemahlin, die er wirklich auf seine Art liebte, eben so schwermüthig sah, als er früher selbst war, da verfiel auch er wieder in seinen alten Zustand, und man kann sich nichts Kläglicheres denken, als dieses junge Ehepaar, von denen jedes vor dem andern seinen Gram verbergen wollte, und jedes die Stunde der Einsamkeit kaum erwarten konnte, um sich ihm ohne Rückhalt zu überlassen. Der Kummer eines jeden ward durch den des andern vermehrt; sie schlichen einander nach, sich bei ihren Thränen zu belauschen, drangen mit zärtlichem Ungestüm in einander, versagten einander beiderseits hartnäckig die Entdeckung, und sanken sich am Ende mit der Versicherung in die Arme, daß ihr großes undenkbares und unheilbares Leiden ein ewiges Geheimniß bleiben müsse.

Der Prior trauerte mit seinen Kindern, wie er die beiden unglücklichen Gatten zu nennen pflegte, aber er trauerte nicht blos, sondern er dachte auch auf Rettungsmittel. »Mein Sohn,« sagte er eines Tages zu Julian, »ich zweifle nicht, daß das Leiden eurer Frau eben sowohl ein Hirngespinst ist, als das eurige; aber wir müssen es ihr entreißen und an das Licht bringen, wenn wir ihr helfen wollen. Verborgner Gram wüthet am fürchterlichsten [100] und zieht nicht selten Verzweiflung nach sich, wenn auch sein Grund blos Chimäre sein sollte. Versprecht mir, euch meiner Vorschrift in Allem zu unterwerfen, so denke ich, soll Rosamunden wohl geholfen werden.«

Julian versprach, was man forderte, und hörte darauf folgenden Vorschlag: »Ihr müßt,« sagte der Prior, »eure Frau bereden, ihren heimlichen Kummer durch Buße und Beichte zu lindern; ohne Zweifel wird sie einen Geistlichen unsers Klosters zu ihrem Vertrauten erwählen, und wollte Gott, daß ihre Wahl auf mich fiele. Erkießt sie aber einen Andern, so hört, was ich euch sagen will. Die Geheimnisse der Frau sind nirgends sichrer als in dem Herzen des Mannes; ich werde Sorge tragen, daß Rosamunde keinen Andern an heiliger Stätte finde als euch. Die Dunkelheit und die Ordenskleidung, welche ich euch verschaffen will, werden euch unkenntlich machen. Ihr werdet Alles erfahren, was sie auf dem Herzen hat, werdet eure Maaßregeln danach nehmen, und eure Absolution wird, denke ich, in diesem Falle so kräftig sein, als die des heiligen Vaters selbst.«

»Behüte Gott, mein Vater!« schrie der sich kreuzende Julian, »was rathet ihr mir! Profanation eines unsrer heiligsten Sacramente? Eingriffe in die Rechte des Klerus?«

Der rechtschaffene Mönch wußte Julians Scrupel glücklich zu beseitigen, und da bei diesem die Neugierde, an deren Verleugnung er jetzt nicht gleich dachte, auch [101] das ihrige that, so ward die Sache beschlossen und noch am nämlichen Tage der Anfang zur Ausführung gemacht.

Die bekümmerte Rosamunde war leicht zu einem Schritte zu bewegen, der Personen ihres Zustandes gewöhnlich großen Trost gewährt. Einem Manne, ausgerüstet mit den göttlichen Vorrechten, zu vergeben und zu beruhigen, sich zu entdecken, war für die Bedrängte, die unter der Last des Kummers zu Boden zu sinken meinte, ein willkommener Vorschlag.

Rosamunde machte sich eines Tages nach dem Augustinerkloster auf, und verlangte, wie man vermuthet hatte, nicht den Pater Prior, sondern einen Mönch zu sprechen, welcher seit wenigen Tagen als Gast in diesem Kloster war, und es eben sobald wieder zu verlassen gedachte. Man konnte hieraus schließen, wie theuer ihr ihr Geheimniß, und wie besorgt sie war, es Niemanden zu entdecken, als Einem, der auf keine Weise gefährlich werden konnte.

Der Prior hatte Sorge getragen, daß sie keinen Andern fand als denjenigen, den et allein zur Wissenschaft ihrer Geheimnisse berechtigt glaubte, und die Düsterheit des Beichtgewölbes, nebst der herabgezogenen Kapuze des Beichtvaters, machte es ihr unmöglich, die unschuldige Täuschung zu entdecken.

Sie brach in einen Strom von Thränen aus, als sie die Lippen öffnen wollte, ihr Geständniß zu beginnen, und diese Thränen fielen so heiß auf das Herz des Beichttigers, [102] daß auch er zu weinen anfing, und dadurch das volle Zutrauen der knieenden Sünderin erlangte.

»Ihr seid so barmherzig, mein Vater,« sagte sie, als sie zu reden vermochte, »als derjenige, dessen Stelle ihr vertretet, und dies macht mir Muth, euch nichts zu verschweigen. Ihr sollt ein umständliches Bekenntniß von dem haben, was mein Gewissen drückt, damit ihr mir gründlich rathen könnt. Was hülfe es mir auch am Ende, euch kurz zu sagen, daß es Blutschulden sind, die ich auf der Seele habe, daß eine zwiefache Mörderin sich jetzt zu euern Füßen windet?«

»Blutschuld?« rief Julian, der sich zu verstellen vergaß, mit einer Stimme, welche nur der Ton des Entsetzens unkenntlich machen konnte!

»Ach,« erwiederte sie, »ihr zittert schon bei dem bloßen Namen meines Verbrechens, was wird geschehen, wenn ihr es erst ganz kennen werdet? – Doch mein Bekenntniß ist lang, und ich muß wissen, ob mir hinlängliche Zeit gegönnt werden wird, es abzulegen.«

Julian, welcher vor Entsetzen kaum sprechen konnte, versicherte ihr mit wenig Worten, daß es seine Pflicht sei, ihr Bekenntniß ganz zu hören, und richtete sie von dem Boden auf, wo sie knieend lag, damit sie ihre Geschichte desto bequemer erzählen könnte. »Gott! Gott!« sagte er zu sich selbst, als er ihr schönes mit Thränen überschwemmtes Gesicht, voll Züge sprechender Unschuld betrachtete, »dieser Engel eine Mörderin? – Doch wir sind [103] gut gepaart; auch an meinen Händen haftet Blut, und wir können nur hingehen, und mit einander büßen!«

»Mein Vater,« fing jetzt Rosamunde an, die ihre Thränen getrocknet und sich ein wenig erholt hatte, »die Wege zum Verbrechen sind gar sehr verschieden; werdet ihr wohl glauben, daß diejenigen, welche ich gegangen bin, Unschuld, die keine Gefahr kannte, und höchstens etwas Eitelkeit waren?

Ich spottete vormals oft derjenigen, welche behaupteten, Gelegenheit sei die Mutter der schwärzesten Verbrechen, und ein eitler Wunsch, vom Schicksal im Augenblick des Zorns erhört, könne uns unwiederbringlich elend machen: jetzt habe ich Beides erfahren. Höret meine Geschichte von dem Zeitpunkte an, da ich durch einen übereilten Wunsch den ersten Schritt zu meinem Unglück that.

Ich und meine beiden Muhmen, Marie und Hildegard, welche mit mir in meines Vaters Hause erzogen wurden, waren drei junge Dirnen, an Jahren, Unschuld und frohen Hoffnungen gleich. Der erste Tag des Maies lockte uns einst ins Freie; die blühende Natur goß Freude in unsre Seelen, und die Gesänge der Vögel munterten uns zu frohen Liedern auf. Wir sangen, wanden Kränze und scherzten mit einander nach der Weise junger Mädchen darüber, welche von uns den Brautkranz am ersten tragen würde. Das Spiel der Wünsche fing an, und wir wurden nach einigem Bedenken einig, einander den Hauptwunsch unsers Herzens im Ernst zu gestehen, und dann [104] seine Erfüllung unsern Schutzheiligen nach der Weise des Spiels angelegentlich zu empfehlen.

Ich, sagte ich, muß es euch gestehen, bin es überdrüßig, hier im Dunkeln ungesehen zu blühen. Daß ich schön bin, sagt mir manches Auge, aber keines dieser Augen steht hoch genug, um mir zu gefallen; ich wünschte wohl, daß der größte Herr dieser Gegend mich sehen und lieben möchte, dann wollte ich die große Frau spielen und stolz auf euch andere herabsehen.

Hm, versetzte Hildegard, wär' ich so schön wie du, so hielt ich es nicht der Mühe werth, einen solchen Wunsch zu thun! Wo Schönheit ist, bleibt Bewunderung, Rang und Glück nicht außen. Schönheit, Schönheit ist mein Wunsch! O heilige Hildegard, meine Namensträgerin! erfülle mir ihn, und mache mich so schön, als dein Bild auf dem Hochaltar in unserer Kirche häßlich ist, dann will ich mit einem einzigen meiner Blicke meine Gespielinnen um all' ihre Eroberungen betrügen!

Wir lachten über den Enthusiasmus, mit welchem die Dirne sprach, und es fiel uns bei unsern Lachen und Scherzen erst spät ein, unsre dritte Gespielin um ihren Wunsch zu fragen. Maria, die wir wegen ihrer Stille und Sittsamkeit nur immer die Nonne zu nennen pflegten, fing nach einer Weile an: Ihr müßt mir verzeihen, daß ich mich diesmal von eurem Spiel ausschließe, denn ich mag sinnen, wie ich will, so will mir keiner der Wünsche, die sich etwa in meinem Herzen regen, gut genug sein, ihn über meine Lippen kommen zu lassen. Sich den Brautkranz [105] zu wünschen, hat wohl keine mehr Ursache als ich, da mir der Schleier bestimmt ist, zu welchem ich, ihr mögt mich nun zehnmal die Nonne nennen, so wenig Neigung habe als ihr; auch wüßte ich wohl, wen ich mir zum Gemahl wünschen wollte, doch fern sei es von mir, einen kühnen Wunsch zu thun! – Schön möchte ich wohl auch sein, denn es ist mir im Grunde nicht gleich, daß ich, wenn ich in eurer Gesellschaft irgend wo bin, immer unbeachtet gelassen werde und daß man nur euch Aufmerksamkeiten erweißt; aber noch einmal, ich wünsche nichts. Das Glück wird wohl kommen, wenn es mir beschieden ist, und kommt es nicht, nun gut, so bin ich auch zufrieden. Ich wäre des großen Namens meiner Schutzheiligen nicht werth, wenn ich ihr nicht in stiller hoffender Gelassenheit gleich werden, und das Uebel, das mir vielleicht einmal bestimmt ist, geduldig übernehmen wollte.

Seht doch die Predigerin! rief Hildegard, aber sie soll uns die lange Weile, welche uns ihre Moral machte, durch das Geständniß des Namens ihres Erwählten bezahlen, den sie zu verschweigen sucht.

Ich will ihn euch nennen, sagte Marie, doch mit der Bedingung, daß keine von den unsichtbaren Mächten, die uns vielleicht umschweben, das, was ich von dem, der mir gefällt, gesagt habe, für Wunsch annehme, und mir ihn, vielleicht zu meinem Nachtheil erfülle. Der, der mir dem Rufe nach, (gesehen habe ich ihn nie) vor allen andern gefällt, ist der Lehnsherr meines Vaters, Julian [106] von Eckardsberg. O was sagt die Welt nicht Alles von seiner Güte und Frömmigkeit! wie glücklich würde ich mit so einem Engel leben! Meint ihr nicht, daß dieser gute Jüngling sich wohl für eure stille Marie schicken würde?

O ja, sagte Hildegard, ein Engel und eine Heilige wären ein treffliches Paar! und würde dein Wunsch erfüllt, so hättest du gerade Alles erlangt, was wir mit den unsrigen zu erreichen suchen.

Ich wiederhole nochmals, sagte Marie, daß ich nichts gewünscht habe; ich bin zu unwissend, um zu errathen, ob die Erfüllung meines Wunsches ein Glück für mich sein würde. –

Ich schwieg zu dem Gespräch der beiden Mädchen, doch fiel mir der Name des jungen Mannes, dessen Vasallen unsere Väter waren, aufs Herz; er war unstreitig der größte Herr in unserer Gegend, und ich hatte mir in ihn den Worten, die ich Anfangs sagte, gewünscht, ohne es zu wissen, oder zu bedenken.

Es muß Stunden geben, wo der Himmel geneigt ist, jeden unvorsichtigen Wunsch zu erfüllen, wenigstens scheint mein und Hildegardens Beispiel es zu beweisen. Sie erfuhr die Folge ihres dringenden Gebets um Schönheit zuerst, denn die Veränderung, welche man in wenig Wochen an ihr wahrnahm, war außerordentlich. Sie war nie häßlich gewesen, aber nun wurde sie entzückend. Ohne etwas von ihren Zügen zu verlieren, ohne unkenntlich zu werden, verwandelte sie sich in eine ganz andere Person. Ihre Augen bekamen ein Feuer, das [107] sich Jedem, der sie anblickte, ins Herz stahl, ihre Wangen blühten mit höherm Roth, ihre Locken drangen mit verschwenderischem Wuchs unter ihrem Schleier hervor, ihre Züge und ihre Gestalt verfeinerten sich, und ihr ganzes Wesen nahm eine Anmuth an, welche man mit Recht unwiderstehlich nennen konnte.

Doch blieb es immer bei Allen, die sie sahen, bei bloßer Bewunderung, und keine ihrer Bemühungen, ein Herz auf ewig zu fesseln, gelang. Ueberhaupt schien es mir, als habe Hildegard durch ihre Schön heit mehr verloren als gewonnen. Das Bewußtsein ihrer Vorzüge gab ihr ein stolzes Wesen, welches die Wirkungen ihrer Reize vernichtete. Koketterie und Eitelkeit wurden die Hauptzüge ihres Charakters. Ihr Herz und ihre Sitten verschlimmerten sich, und statt des Gebetbuchs oder der Spindel, sah man immer nur den Spiegel in ihrer Hand; doch trennte dies unsre Freundschaft nicht, und sie und Marie, so verschieden auch unsre Gesinnungen waren, blieben immer meine unzertrennlichen Gefährtinnen.

Um diese Zeit war es, daß der Herr von Eckardsberg in unser Haus kam, sich eine Gattin zu wählen. Keine von uns war gleichgültig bei der Sache, jede hatte ihre Wünsche und Hoffnungen, aber keine war lauter und zuversichtlicher mit denselben, als Hildegard. – Sie irrte sich, er ging vor ihr vorbei und wählte mich. Welches ihre Empfindungen hierbei waren, kann ich euch nicht sagen, nur die Folge hat mich sie muthmaßen lassen.

Wir gingen am Tage nach der Entscheidung meines [108] Glücks unsern gewöhnlichen Weg durch Flur und Wald, und Hildegard war die erste, welche das Stillschweigen brach.

Für eine Neuverlobte, sagte sie, bist du ziemlich trübsinnig.

Ja, Hildegard, erwiederte ich, das bin ich. Ich habe nun erlangt, was ich wünschte, bin die Braut des größten Herrn im Lande, aber ich fühle mich doch nicht ganz glücklich, denn mein Bräutigam gefällt mir nur halb; sein ernstes, blödes Wesen stößt zurück, er wird durch jeden verdunkelt, der neben ihm steht, selbst durch seinen zierlichen Diener Robert.

So würdest du diesen lieber gewählt haben?

Ja, wenn er Julian von Eckardsberg wäre?

Was thut der Name! nimm den Robert, und überlaß mir deinen Julian! – Hildegard, welch ein Vorschlag! Fast sollte ich glauben, Neid über mein Glück habe dir ihn eingegeben.

Neid? nein, mein Kind; beneidet dich Jemand, so bin ich es nicht, sondern unsre stille fromme Marie.

Marie hatte die ganze Zeit über geschwiegen, und in ihren Schleier gehüllt vor sich niedergesehen. Jetzt erhob sie ein paar vom Weinen getrübte Augen, und wandte sich zu mir. Ja, Rosamunde, sagte sie, ich gestehe es, ich halte dich neidenswerth, wegen eines Glücks, das du nicht zu schätzen weißt. Julian wäre ganz derjenige gewesen, den ich gewünscht hätte; selbst das, was du Fehler nennst, sein Ernst, seine Zurückhaltung würden in [109] meinen Augen Vorzüge sein. Aber glaube nicht, daß ich einer Neigung nachhängen werde, die ich für Thorheit halte, da sie vergeblich ist; sie soll mir leicht zu besiegen sein, und um hierzu den Anfang zu machen, verlasse ich morgen dieses Haus, und beziehe das Kloster, wo du mich bald völlig getröstet wieder finden wirst.

Mariens Geständniß war edel; wir sanken einander in die Arme, und sagten uns tausend zärtliche Dinge, indeß Hildegard mit verbissenen Lippen und einer Miene dastand, welche unerklärbar war.

Nach Mariens Abschied, welchen sie nicht lange verschob, quälte mich Hildegard unaufhörlich mit den flüchtigen Worten, welche mir zu Roberts Besten entwischt waren; es war lächerlich! Ich wußte, was ich meinem Bräutigam schuldig war, und würdigte keinen Andern eines Anblicks.

Mein Herz gewöhnte sich an meinen stillen Bräutigam, an dem ich nichts auszusetzen fand als die Kälte, mit welcher er mir begegnete; doch man sagte mir, Temperament, nicht Mangel an Liebe sei die Ursache seines Betragens, und ich gab mich zufrieden.

Die Botschaften, die er mir täglich durch Robert thun ließ, ersetzten Alles; doch hütete ich mich wohl, sie selbst von diesem anzunehmen, weil ich Hildegardens Spott fürchtete, und überließ es ihr, Alles, was mir mein Verlobter sagen ließ, anzuhören und zu beantworten.

Endlich, sagte sie eines Tages zu mir, endlich scheint doch das kalte Herz deines Julians aufzuthauen. Robert [110] sprach heute viel von dem Feuer, mit welchem dein Bräutigam dich liebt und von seiner Ungeduld, dich allein zu sprechen; er hat künftige Nacht zu einem geheimen Besuch bei dir bestimmt, und ich habe ihm versprochen, du würdest zu seinem Empfange bereit sein.

Wie, Hildegard, schrie ich, ein nächtlicher Besuch? wie verträgt sich das mit der Sitte züchtiger Jungfrauen? und so etwas konntest du in meinem Namen bewilligen? – Nun gut, was du versprochen hast, magst du auch selbst halten; ich werde diese Nacht in dem Zimmer meiner Mutter schlafen.

Auch gut, versetzte die Freche, ich habe längst bemerkt, daß mich der Herr von Eckardsberg nicht mit ungünstigen Augen betrachtet, und vielleicht wird es mir nicht schwer werden, dich bei einer Privatunterhaltung gänzlich zu verdrängen.

In diesem Tone fuhr meine falsche Freundin den ganzen Tag fort, suchte durch künstlich geschraubte Worte bald meine Eifersucht, bald meine Liebe zu erregen, bald mir das Unschickliche einer Nachtvisite hinwegzuräsonniren, und bald sich auf eine schlaue Art zu stellen, als ob sie meinen Gründen nachgäbe und ihren Vortheil daraus ziehen wollte, bis ich endlich, kurz vor der bestimmten Stunde, mich entschloß, Julian in meinem Kämmerlein zu erwarten, und zu hören, was er, der mich alle Stunden öffentlich sehen konnte, mir insgeheim zu sagen habe.

Es war eine dunkle, stürmische Nacht, von keinem[111] Mondenlicht erhellt; auch in meiner Kammer war es dunkel, weil Hildegard aus Versehen meine Lampe mit sich genommen hatte. Ich hörte den Finger meines nächtlichen Besuchers an der Thür, und zog leise den Riegel hinweg, ihn einzulassen. Mit zitternder Blödigkeit trat er über die Schwelle, und stammelte mit kaum hörbarer Stimme Entschuldigungen seiner Zudringlichkeit. Nach und nach wagte er, sich mir zu nahen. Er sprach jetzt, immer noch flüsternd, von unserer nahen Verbindung und von seiner Liebe in einem so feurigen, leidenschaftlichen Tone, daß ich ganz entzückt davon war. – O Julian! Julian! rief ich, wie hätte deine Braut bisher glauben können, so von dir geliebt zu werden! – Dir dies zu entdecken, sagte er, war der Zweck meines nächtlichen Besuchs; das Licht ist eine Feindin der Liebe.

Mein Herz fing an, lauter für meinen Verlobten zu schlagen, da ich sah, daß das seinige nicht von Eis war, und die Nacht entfloh uns unter dem süßesten Geplauder der Zärtlichkeit. Der Mond, welcher erst gegen Morgen aufging, warf einen Blick in meine Kammer, als ich mich eben aus einer zu feurigen Umarmung meines Geliebten loswand und ihn an den Abschied erinnerte. Ein Lichtstrahl fiel auf sein Gesicht und entdeckte mir, daß nicht Julian, sondern der treulose Robert, in den Kleidern meines Bräutigams, derjenige war, mit welchem ich die Stunden der Einsamkeit getheilt hatte. Ich stieß ein lautes Geschrei aus und bot alle meine Kräfte auf, [112] mich von ihm loszureißen. Aber umsonst; er setzte jetzt Julians Blödigkeit ganz aus den Augen, und umschloß mich mit einer Stärke, die mir den Athem benahm Sträube dich nicht, schönes Mädchen! schrie er, ich weiß es, du vergißt deinen ungeliebten Bräutigam gern in meinen Armen; der wackre Robert gefiel dir gleich Anfangs besser als der blöde Julian. Dank sei es der Freundin, die mir mein Glück entdeckte, und die mir diese Gelegenheit gab, es vollkommen zu machen!

Ich verdoppelte mein Geschrei, und er versicherte mir, daß Hildegard Sorge getragen habe, daß es von Niemand vernommen werden könne. Die Kraft meiner Arme, mit welcher ich mich den seinigen zu entreißen strebte, ließ nach; ich vermochte nur soviel, eine große stählerne Nadel aus meinem Haar zu ziehen, und mich mit derselben seines Ungestüms zu erwehren; ein Stoß mit derselben gerieth so glücklich, oder so unglücklich, daß er mich auf ewig von meinem Verfolger befreite. Seine Hände ließen von mir ab, ich fühlte mich von seinem warmen Blute überströmt, er strauchelte, und sank mit einem unartikulirten Lallen zu Boden.

Ich weiß nicht, wie mir nach dieser schauervollen Begebenheit geschah. Ohne Zweifel vergingen auch mir die Sinne, und ich lag eine geraume Zeit neben dem, den ich der Treue für meinen Verlobten zum Opfer gebracht hatte. Hildegardens Stimme war es endlich, die mich erweckte. Sie ließ mir keine Zeit zu den Vorwürfen, die ich ihr zu machen Ursache hatte, da ich sie für die Urheberin [113] dieses ganzen Handels halten mußte, sondern gab mir selbst alle die schrecklichen Namen, die mir mein eignes Gewissen zurief. Ohne Zweifel war ein solcher Ausgang nicht ihre Absicht gewesen; sie wünschte nichts, als mich durch die Hand des ruchlosen Robert von meinem Bräutigam zu entfernen, und dann an meine Stelle zu treten, weil die Ehre, Frau von Eckardsberg zu heißen, ihr das höchste Ziel zu sein dünkte, welches ihre Eitelkeit je erreichen konnte.

Doch war sie es selbst, welche, nachdem der erste Sturm vorüber war, mir die Nothwendigkeit zeigte, die schreckliche That zu verbergen, zu welcher ich, wie sie jetzt selbst gestand, unverschuldet gekommen war. Sie schlug mir vor, den Körper des Ermordeten in einen verfallnen Brunnen zu schleppen, wollte sich aber unter keiner andern Bedingung verstehen, mir bei dieser Arbeit, die für meine Kräfte zu schwer war, einige Hülfe zu leisten, als bis ich ihr die Gewährung einer freien Bitte verspräche, die sie mir an meinem Hochzeittage nennen wollte. Ich sagte ihr Alles zu, was sie verlangte, und wir benutzten die letzten Stunden der Nacht, die grauenvolle That zu verbergen, die sich in ihren Schatten zugetragen hatte.

Man vermißte am Morgen den Bösewicht, der sich an der Verlobten seines Herrn hatte vergreifen wollen; auch in unserm Hause geschah Nachfrage, mein Gewissen mahnte laut, ich sollte die unglückliche That bekennen, aber Hildegard wehrte mir, und brauchte tausend einschläfernde Mittel, mich zu beruhigen.

[114] Der Tag meiner Hochzeit kam heran, und ich trat mit tief verwundeter Seele zum Altar; der Schatten des Ermordeten umschwebte mich überall, trug mir beim Brautzuge die Fackel vor, und drängte sich zwischen meinen Verlobten und mich, als der Priester unsere Hände in einander legte.

Zum Vortheil gereichte mir die Sitte unsers Landes, welche den Bräuten bei dem Hochzeitmahl den Schleier gönnt; wie sehr würde sonst meinem Gemahl die Verzweiflung befremdet haben, die auf meinem Gesicht geschrieben stand!

Mache dich gefaßt, sagte Hildegard, die mich am Abend entkleidete, sobald du mit deinem Bräutigam allein bist, ihm alle Fragen zu beantworten, die er dir über diese rothgeweinten Augen und über dein seit einiger Zeit so seltsames Benehmen vorlegen wird, das ihm gewiß aufgefallen ist. Pfui der Schande! so wenig sich bemeistern zu können, daß Jeder unsre Gefühle in den Augen lesen muß. Welches denkst du wohl, das dein Loos sein wird, wenn Julian nun die That erfährt, die er, ein lebendiger Heiliger, nicht so entschuldigen wird, wie er sollte? – Verächtliche Verstoßung und das Kloster!

Ich weinte bei dieser Rede noch heftiger, und rief mit gerungenen Händen: O Gott, was soll aus mir werden! O daß eine menschenfreundliche Seele meine Vertheidigung auf sich nehmen, oder geschickt genug sein [115] möchte, das, was nie offenbar werden darf, in ewiges Dunkel zu hüllen.

Du erinnerst dich, sagte Hildegard, daß ich dir in jener Nacht, deren Begebenheiten ich dir nicht wiederholen will, meine Hülfe unter einer Bedingung gewährte, die du nun erfüllen mußt. Die freie Bitte, welche ich mir bei dir ausbedung, zielte auf dein eignes Bestes. Gieb mir deinen Schleier und dein Nachtgewand, ich will an deiner Statt zu deinem Bräutigam hineingehen und deine Sache führen, wenn es Noth thut, – dies ist es, was ich von dir fordern wollte, und ich denke wohl, du wirst nichts dawider einzuwenden haben. – Daß ich mein Incognito zu behaupten wissen werde, brauche ich dir nicht zu sagen.

Thue, was du willst, rief ich, indem ich meinen Schleier und mein Gewand ablegte und ihr Beides überwarf, nur rette mich von der Angst, die mich befallen würde, wenn mich Julian jetzt um die Ursache der Thränen fragen sollte, die seinen Augen nicht gänzlich entgangen sein können. In einer Stunde schleiche ich hinein, dich abzuholen, damit der Tag nicht unsern Betrug entdecke.

Hildegard hüllte sich in meine Kleider und eilte in das Brautgemach, an dessen Schwelle ich mich niedersetzte, um mich in der Zeit, die mir noch zu meiner Erholung gegönnt war, völlig zu fassen, und dann zu sehen, was meine Fürsprecherin zu meinem Besten ausgerichtet hätte.

Der Morgen brach an, ehe ich es wagen konnte, in das Zimmer zu schleichen; endlich öffnete ich leise die [116] Thür und trat vor das Bett. Julian und Hildegard schliefen, ohne mich gewahr zu werden. Ich weckte leise meine Freundin und fragte, wie sie meine Sache geführt habe.

Nicht ein Wort ist deinetwegen unter uns gewechselt worden, sagte Hildegard.

O wie gut! rief ich, und nun siehe, ich bin gefaßt, ich habe mein Herz beruhigt. Ich werde morgen meinem Gemahl ganz so begegnen können, wie ich muß. Auch hoffe ich, die Zeit wird mich endlich beruhigen, Roberts Schatten mich endlich zu verfolgen aufhören. Gott weis, ich handelte, wie ich mußte!

Aber stehe auf, siehe, der Tag bricht an, Julian könnte erwachen, dich entdecken, und unsern verborgenen Händeln auf die Spur kommen. Der Morgen ist schön, komm mit mir ins Freie, dort will ich dir noch ganz danken für all die Freundschaft, die du mir erzeigtest.

Aber Hildegard lachte, und sagte, daß diese Entdeckung nur mir, nicht ihr schädlich sein könne.

Stehe auf! rief ich nochmals, mein Gemahl möchte sonst dir und mir übel danken.

Dein Gemahl? sagte sie, wer ist dein Gemahl? Glaubst du noch einigen Anspruch auf Julian zu haben, den du verachtest, ihn um eines Roberts willen verschmähen konntest?

O Gott! rief ich, was sind dies für Reden? stehe auf, um Gottes willen, und mache dich und mich nicht unglücklich.

[117] Und ich werde bleiben, sagte sie, um dir zu zeigen, daß das Schicksal nicht dir, sondern mir das Glück beschied, die vornehmste Frau im Lande zu werden. Entferne dich augenblicklich, wenn du nicht willst, daß ich die Begebenheiten jener Nacht, da du meine Hülfe brauchtest, meinem Gemahl vollkommen auf die Art erzähle, wie es mir selbst beliebt.

Ich rang weinend und schluchzend die Hände, und Hildegard wandte sich auf die Seite und fing an so ruhig zu schlafen, als ob sie von dem bösen Spiel, das sie angerichtet hatte, nichts besorgen dürfe. Auch Julian schlief fort, ohne zu erwachen, und ich schlich unruhig auf und ab, ohne zu wissen, was ich in dieser seltsamen Verlegenheit zu thun habe, bis mir endlich mein böser Geist den Einfall in den Sinn gab, eine von den Fenstergardinen in Brand zu stecken, dann Feuer zu schreien, und in der Unruhe, welche hierüber entstehen würde, die Verwirrung wieder gut zu machen, die Hildegardens Bosheit angerichtet hatte.

Mein Anschlag glückte vollkommen, aber er kostete meiner beklagenswerthen Muhme das Leben. Das Feuer loderte hell empor. Mein Geschrei erweckte meinen Gemahl. Ich drängte mich dicht an seine Seite. Er glaubte, daß ich mich so eben erst, gleich ihm vom Feuer aufgeschreckt, vom Lager erhoben hätte. Er faßte mich in seine Arme, und trug mich aus dem mit Rauch und Flammen angefüllten Zimmer; er wußte nicht, daß hier noch eine dritte Person sei, für deren Leben zu sorgen war.

[118] So bald ich mich von der raschen That erholt hatte, dachte ich an Hildegarden, aber Niemand wollte von ihr etwas gehört haben. Meine Verzweiflung über ihren wahrscheinlichen Tod, an welchem ich schuld war, preßte mir Klagen aus, die leicht alle Geheimnisse der Finsterniß hätten verrathen können, welche ich auf dem Herzen hatte; aber wer hätte Dinge dieser Art nur muthmaßen können? Man bemühte sich, mich zu trösten, und schob meinen ganzen Gram auf den unglücklichen Verlust einer geliebten Gespielin, ohne zu wissen, daß ich sie selbst dem gräulichen Flammentode geopfert hatte.

Ach, unaussprechlich sind die Qualen, die ich seitdem leide! Die Schatten meiner Ermordeten schweben unabläßig vor mir, doch ängstigt mich Hildegardens Geist weniger, als das Gespenst des unglücklichen Robert, das jede Nacht sich auf mein Lager schmiegt, mich mit seinen kalten Armen umfaßt, und mir die blutende Wunde zeigt, welche ihm meine Hand versetzte! – –«

Rosamunde weinte sehr nach Endigung ihres grauenvollen Bekenntnisses, auch Julian weinte, und ließ sie vergebens auf die Lossprechung von ihren Sünden warten. Theils scheute er sich, die heiligen Worte mit ungeweihten Lippen auszusprechen, theils war er zu sehr über das, was er vernommen hatte, außer sich, als daß er hier hätte trösten oder rathen sollen. Alles, was er that, war, daß er Rosamunden rieth, gen Eisleben zu ziehen, und sich da bei dem neunzigjährigen Franziskaner Raths zu erholen, dem er einst seine Sünden bekannt hatte, [119] und der, wie er hoffte, vielleicht bessern Trost und Rath für sie haben möchte, als er für ihn gehabt hatte.

So kam also Rosamunde ungetröstet nach Hause, und fand ihren Gemahl, der vor ihr daselbst angelangt war, in einem noch viel schrecklichern Zustande. Was mußte eine solche Geschichte, wie die ihrige, für Eindruck auf die Seele eines Julian machen!

Rosamunde zog nach Eisleben, um sich Trost bei dem Franziskaner zu holen. Ihr Bekenntniß, das sie ihm that, war nicht so umständlich, als das, welches sie, ohne es zu wissen, ihrem Gemahl abgelegt hatte, und des Franziskaners Rath war eben so unbestimmt, wie der, welchen er einst jenem ertheilt hatte. Nur die härtesten Büßungen, die strengsten Verläugnungen und Ueberwindungen sollten ihre Sünden abwaschen können, und sie sollte deshalb fortwährend auf Kasteiungen sinnen.

Julian hatte über die Vergehungen seines unglücklichen Weibes fast seine eignen Leiden vergessen; nur in den Augenblicken, wo er geneigt war, die Arme zu streng zu richten, kamen sie ihm wieder in den Sinn, und er dachte, daß es eine neue Stufe der Verläugnung und Ueberwindung sei, sich nicht von einer Person zu trennen, die den Glanz einer Heiligen, in welchem sie früher vor ihm schwebte, so ganz verloren hatte.

Wäre er aufrichtig gegen den Prior gewesen, so würde er vielleicht die unschuldige Sünderin milder haben beurtheilen lernen, aber dieser erfuhr wenig von Rosamundens [120] Beichte, und konnte also auch wenig rathen und helfen.

Julian fühlte jetzt zuweilen eine neue Art von Anfechtung. Die stille Marie, welche, wie er aus Rosamundens Geschichte wußte, einst eine so herzliche Zuneigung zu ihm hegte, und sie so heldenmüthig überwand, sie, für die er einst selbst, bei ihrem ersten Anblick, ein größeres Wohlwollen, als für ihre schönen Gespielinnen gefühlt zu haben glaubte, kam ihm oft in den Sinn; er schilderte sich die seligen Tage, die er mit dieser unschuldigen Seele verlebt haben würde, und trauerte, jenesmal so unglücklich gewählt zu haben. Warf er denn wieder die Augen auf sein unglückliches trauerndes Weib, die er unmöglich hassen konnte, so ward er von einer andern Seite auf das schrecklichste gefoltert, und es kam mit ihm endlich dahin, daß er an keinem Orte Ruhe fand.

Zu seiner innern Qual kamen noch äußerliche Leiden. Der gute Prior, er, der noch am ersten im Stande war, Balsam in seine Wunden zu gießen und seinen schwankenden Schritten zum Führer zu dienen, ward von einer ansteckenden Krankheit hingerafft, welche die Gegend umher verwüstete. Der Sage nach war diese Seuche eine Folge von den nächtlichen Besuchen der wüthenden Dämonen, von welchen diese Gegend noch immer heimgesucht wurde, ungeachtet der gutmüthige Julian sich aufgeopfert hatte, dieselben zu verbannen.

Dem Verluste seines Freundes folgte der Verlust seiner Güter. Flammen verzehrten seine Schlösser, Hagel [121] und Ungewitter verdarben seine Erndten, nicht blos freiwillige Entsagung, sondern Nothwendigkeit war es, die ihn endlich aus seinem Geburtslande trieb, um in der weiten Welt als wandernder Fremdling umher zu irren.

Rosamunde, welche ihren Gemahl zu aufrichtig liebte, um ihn in den Tagen der Noth zu verlassen, und die, so wie er, von heißer Begierde getrieben ward, durch mannichfaltige Büßungen sich von ihren Missethaten zu reinigen, ergriff gern nebst ihm den Pilgerstab, und wanderte als eine treue Gefährtin an seiner Seite durch alle Gegenden Germaniens, in welche ihn sein Schicksal trieb.

Es ist unmöglich, euch, meine Leser, in den wenigen Blättern, die ein Märchenerzähler füllen darf, ohne lästig zu werden, Alles mitzutheilen, was diesem unglücklichen Ehepaare auf seinen Wanderungen zustieß. Nur so viel muß ich euch sagen, daß sie sich durch tausend Uebungen der größten Heldentugenden aus dem Stande der Sünder, zu welchem ihre Vergehungen sie erniedrigt hatten, schnell zum Range der Heiligen erhoben, und daß die Glorie wirklich, nur ihnen unsichtbar, schon lange um ihre Häupter schwebte, als sie noch immer im Staube ihre Sünden beweinten, und von der Nothwendigkeit schmerzhafter Büßungen träumten.

Die wundervolle Begebenheit, bei welcher sie die letzte Probe ihrer Verläugnung ablegten, und die ihnen die volle Ueberzeugung von dem Ende ihrer Prüfungen gab [122] ist indessen zu wichtig, ganz übergangen zu werden, und ich will sie euch daher mittheilen.

Nach jahrelangen Wanderungen war das büßende Ehepaar an die Gränzen von Frankreich gekommen, einer Gegend, welche Julian als das Geburtsland seiner Väter liebte und zu durchreisen gedachte. Sie bauten sich Hütten am Ufer eines gewaltigen Stroms, der Germanien und Gallien damals zur Gränzscheidung diente. Ihr Geschäft war es nicht, wie es bei den Einsiedlern gewöhnlich der Fall ist, sich durch müßige Gebete den Unterhalt abzustehlen, nein, sie waren gewissenhaft genug, sich denselben durch die Arbeit ihrer Hände zu erwerben, und so sparsam von ihrem Erwerb zu leben, daß sie immer noch genug übrig hatten, den Dürftigen und Verschmachtenden zu bedenken.

Eine ihrer Hauptbeschäftigungen war, in der wüsten Gegend, welche sie bewohnten, den verirrten Reisenden aufzunehmen, und des kranken Pilgers zu pflegen. Tausende betraten matt und elend ihre Hütte, und verließen sie so munter und gestärkt, daß man schon damals anfing, St. Julian bei lebendigem Leibe zum Schutzpatron der einsamen Waller zu machen.

In einer der stürmischsten Nächte des Wintermonats, als das heilige Ehepaar, von Geschäften der Wohlthätigkeit ermüdet, sanft schlummerte, ohne von dem Geheul des Nordwinds, der ihre schlecht verwahrte Wohnung umzureißen drohte, geweckt zu werden, erwachte Julian von dem Winseln und dem Hülferufe eines Nothleidenden, [123] der laut genug ertönte, um trotz des brausenden Sturmes gehört zu werden. –

Julian erhob sich eilig von seinem Lager und zündete die Leuchte an, ungeachtet Frau Rosamunde ihn durch Bitten zurück zu halten suchte. »Es ist,« sagte sie, »vielleicht einer von den Wölfen des nahen Waldes über das Eis herüber gekommen, und sucht uns, wie diese Unholde zu thun pflegen, durch erkünsteltes Wimmern zu täuschen und dann zu erwürgen. Oder ein boshaftes Nachtgespenst lauert in Menschengestalt, dich zu verderben, und dann sich deines verlassenen Weibes zu bemächtigen, oder ein Räuber, der in der Wohnung der Wohlthätigkeit Schätze vermuthet, sucht sich durch List herein zu schleichen und uns zu ermorden. –« Aber Julian, welcher sich während dessen zur Nothdurft bekleidet hatte, achtete nicht auf die Warnungen seines Weibes, sondern öffnete die Thür, und leuchtete in die stürmische Nacht hinaus, um zu sehen, wer seiner Hülfe bedürfe.

Er erblickte Niemand, doch das Wimmern eines Sterbenden tönte ihm aus weiter Ferne immer bänger und bänger entgegen. Der ausgetretne, mit Eis belegte Strom hatte den Weg bis dicht an seine Hütte mit Spiegelglätte überzogen, die den Schein seiner Leuchte verrätherisch zurück gab. Kein fester Schritt ließ sich auf dem glatten Boden thun, doch eilte der wohlthätige Heilige herzhaft hinüber, durch die schneidende Kälte, wohin ihn die Stimme des Nothleidenden rief.

[124]

Der Wiederhall täuschte ihn, er irrte die halbe Nacht vergebens umher, weil es ihn immer von verschiedenen Seiten zu rufen schien, bis er endlich, kurz vor Tagesanbruch, auf dem jenseitigen Ufer des Stromes, dessen Eisdecke er nicht ohne Gefahr so oft betreten hatte, eine kaum noch athmende Menschengestalt erblickte, die er ohne weiteres Bedecken, was hier zu thun sei, auf die Schultern lud, und mit seiner Last den gefährlichen Eisweg von Neuem begann. Seine Leuchte verlöschte, er sank mehrmals unter seiner immer schwerer werdenden Bürde nieder und raffte sich mühsam auf, weil der Frost und die Anstrengung seine Glieder fast eben so starr gemacht hatte, als derjenige war, den er zu retten suchte.

Indessen sah Rosamunde der Rückkehr ihres so ungewöhnlich lange ausbleibenden Gemahls ängstlich entgegen; nur ihre eigne Schwachheit konnte sie abhalten, ihm nachzugehen und seine Gefahren zu theilen; auch war sie wirklich im Begriff, sich so gut als sie vermochte zu ererheben, als sie die Thür öffnen hörte und ihren Gemahl beim Schein ihrer Lampe mit seiner Bürde hereintreten sah.

»Ich fürchte,« sagte er, indem er den Kranken sanft von den Schultern herabließ, »ich bringe euch einen Toden. Ich selbst bin halb todt vor Kälte, wie sollte der Frost in diesem schwachen Körper noch einen Lebenshauch übrig gelassen haben!«

[125]

»Ach nein,« sagte der Kranke, mit widrig klingender, krächzender Stimme, »ich bin nicht todt oder dem Tode nahe; ein gewärmtes Bett wird mir Leben und Kräfte wieder geben. Laßt mich an die Seite eures Weibes legen, daß mein kranker Körper durch ihre Wärme geheilt werde.«

Julian bebte ob dem unbescheidenen Verlangen des Pilgers, dessen Erfüllung durch einen Umstand, den er eben beim Lichte entdeckte, fast zur Unmöglichkeit gemacht wurde. Ich weis nicht, meine Theuern, ob ihr je ein wohlgetroffenes Gemälde des heiligen Lazerus gesehen, oder sonst jemals einen solchen Gegenstand des äußersten Abscheus in Natura erblickt habt, aber so viel muß ich euch sagen, daß dieser Anblick, wenn ihr ihn auch gehabt hättet, euch noch lange nicht all das Eckelhafte schildern würde, was der gerettete Fremdling in seiner Person vereinigte.

Doch es war hier nicht allein die Rede von Ekel und Abscheu; was wußte Julian für ein zärtlich geliebtes Weib befürchten, wenn er ihr, da sie selbst schon unpäßlich war, einen mit dem scheuslichsten Aussatze bedeckten Menschen an die Seite legte.

Dennoch behielt das Mitleid und der Grundsatz der höchsten Verläugnung, den er überall anzuwenden wußte, die Oberhand. Er sah Rosamunden mit bittenden Blick an, welche seinen Wink verstand, und zitternd Platz [126] machte, um das häßliche Gerippe an ihre Seite aufzunehmen.

Der kranke Pilger, welcher, wie es schien, nicht so schwach war, als der arme Julian, der ihm die ganze Nacht durch hatte nachlaufen müssen, denken mochte, half sich schnell genug an die Seite der schönen Frau, die er mit seinen dürren Armen hastig umschlang und an die keuchende Brust drückte.

Rosamunde, welche vor Ekel zu sterben vermeinte, und den sündlichen Gedanken hegte, daß dies die christliche Liebe fast zu weit treiben heiße, wollte ein ängstliches Geschrei ausstoßen, aber ein Kuß von dem fremden Gaste verschloß ihre Lippen. »Nimm hin,« sagte er, »die Belohnung all deiner Edelthaten, all deiner schmerzhaften Verläugnungen. Dich und deinen Gatten auf die äußerste Probe zu stellen, ward ich herabgesandt; ihr habt sie heldenmüthig bestanden und seid nun belohnt. Eure Sünden sind von euch genommen, so wie der Aussatz, der euch so vielen Abscheu einflöste, ohne euer Mitleid zu mindern, von meinem Körper getilgt ist; rein und weiß sind eure Seelen gewaschen von allen Blutschulden, und so schön, wie ihr mich jetzt vor euren Augen stehen seht.

Der Pilger hatte in demselben Augenblicke seine Arme von Rosamunden zurückgezogen, das Bett verlassen, und stand jetzt vor den Augen des heiligen Ehepaars in der [127] Gestalt eines glänzenden Engels, mit allen Reizen himmlischer Jugend, mit aller Anmuth des Paradieses geschmückt.

Julian und Rosamunde betrachteten ihn mit anbetendem Erstaunen, aber seine Lichtgestalt ward immer blässer und blässer, und zerfloß endlich wie Nebel in der Luft, wo sie nur noch einem leichten Schimmer glich, dem Schimmer eines verschwindenden Regenbogens.

Was die beiden begnadigten Sünder einander nach dieser herrlichen Erscheinung sagten, was sie fühlten und was sie dachten, ist nicht zu beschreiben. Ihre lebhafteste Empfindung war die Ueberzeugung von der Wahrheit der Worte des Engels. Alles, was sie vorher gequält hatte, Wahrheit oder Hirngespinst, Alles, warum sie bisher sich den peinlichsten Büßungen unterwerfen zu müssen glaubten, war aus ihrem Gedächtniß hinweggelöscht. Der Himmel gewährt ihnen nicht allein völlige Vergebung, sondern auch völlige Vergessenheit ihrer Sünden, ein Glück, welches wenig Heiligen, selbst St. Petern nicht zu Theil ward.

Mit frohem heitern Sinn traten sie die Rückreise in ihr Vaterland an, wo es ihnen ein Leichtes war, die Trümmer ihres Vermögens zusammen zu suchen, und sich damit ein Glück zu gründen, das durch den Segen des Himels mit jedem Jahre zunahm.

Marie, welche während dieser Zeit die Frau eines[128] zärtlichen, fleißigen und klugen Mannes geworden war, der ihr die geträumte Glückseligkeit an der Seite des schwärmerischen Julians ganz vergessen ließ, hatte sich des Nachlasses Julians und ihrer Freundin angenommen, und durch gute Wirthschaft den Grund zu dem Wohlstande gelegt, den der Herr von Eckardsberg und seine Gemahlin bis zu einem hohen Alter genossen. Da faßten diese plötzlich den Entschluß, zum zweitenmale die Welt zu verlassen, und ihr Leben in der Einsamkeit zu beschließen.

Hier war es, wo Julian den Namen eines Heililigen völlig errang, den ihm die Nachwelt beilegte, und sich zum Schutzpatron der bedrängten Waller herrlich qualificirte. Das Kloster, in welchem er lebte, war eine Herberge aller Pilger; er gab jedem beim Scheiden ein Ansehnliches an Reisegeld mit auf den Weg, und lehrte ihm noch zum Ueberfluß einen kräftigen Segen wider das wüthende Heer, das er trotz aller seiner Heiligkeit doch nicht ganz aus dieser Gegend bannen konnte; doch brachte er es durch seine Gebete endlich dahin, daß es in seinen Schranken bleiben mußte, und sich, wie vor Zeiten des wilden Jägers Nimrods von Wettin, nur allemal am Donnerstage nach Fastnachten sehen lassen durfte.

Einige von Julians Geschichtschreibern behaupten sogar, daß dieser im Verläugnen geübte Heilige seine Aufopferung so weit getrieben habe, dem vollen Genuß der ewigen Ruhe bis auf den jüngsten Tag zu entsagen, und sich zum sichtbaren Schutzgeist irrender Wanderer zu bestimmen. [129] Mit einem weißen Stabe in der Hand soll er noch bis auf diesen Tag vor dem Zuge des wüthenden Heeres hergehen, und die Reisenden warnen, den Unholden auszuweichen; das Landvolk nennt ihn in diesen Gegenden den getreuen Eckard, welche Benennung sich vermuthlich von seinem Geschlechtsnamen Eckardsberg herschreibt. Aber in andern Ländern ruft ihn der Pilger unter dem Namen St. Julian an, und die Spottsucht, welche auch die heiligsten Dinge befleckt, erwähnt des Gebets zu St. Julian für verirrte Reisende nie ohne boshafte Beziehung auf einen gutwilligen Wirth und eine schöne und gefällige Wirthin, was vermuthlich seinen Grund in der Geschichte von dem Aussätzigen haben mag, den Julian in Rosamundens Armen genesen ließ.

Von der Heiligkeit Rosamundens ist nie so viel Aufhebens gemacht worden, als von der ihres Gemahls; auch habe ich nie gehört, daß sie zur Schutzheiligen irgend einer Art Bedrängten erkoren worden sei. Ueberhaupt ist die Zeit ihres Klosterslebens in Dunkelheit gehüllt; nur das meldet die Geschichte, daß sie die unerwartete Beruhigung hatte, die unglückliche Hildegard, an deren Tode sie schuld zu sein glaubte, hier als eine büßende Sünderin wieder zu finden. Furcht vor Entdeckung ihrer Bosheiten hatte jene damals zur Flucht bewogen, und o wie glücklich wäre Rosamunde gewesen, hätte sie zeitiger erfahren, daß diese Elende nicht ein Raub der Flammen geworden sei!

Vergessenheit vergangener Dinge verband Marien,[130] Rosamunden und Hildegarden zu neuer Freundschaft, und es lassen sich keine seligern Tage denken, als diejenigen, welche sie bei gegenseitigen Besuchen mit einander verlebten; doch war, unsers Erachtens, Marie unter allen dreien immer die Glücklichere. Sie hatte alle Ursache, mit ihrem Schicksale zufrieden zu sein, sie verstand es, Leidenschaften zu überwinden und auch die schwersten Pflichten zu üben, und wußte sich in allen Lagen des Lebens jene Gemüthsruhe zu bewahren, die allein ein wahres Glück hervorrufen kann.

[131][132][1]

Viertes Bändchen

Jungfernsprung und Roßtrab

An der nördlichen Seite des Harzwaldes, unweit der alten Kaiserstadt Goslar erheben sich zwei Berge, das Bogez und Senne unsers deutschen Vaterlandes; zwar nicht wie jene Felsen in Phylistäa wegen irgend einer kriegerischen Heldenthat berühmt, aber desto denkwürdiger durch ein Abentheuer der Minne; es gab jenen Hügeln die seltsamen Namen, die ihr an der Spitze dieser Blätter erblickt, und von deren Entstehung euch euer alter Märchenerzähler diesesmal unterhalten wird.

In der Mitte des fabelreichen Waldes, dessen Abentheuer noch kein Sagenforscher ganz erschöpft hat, lebte vor Alters ein Ritter, der ehemals reich war, dessen ganze Besitzungen sich aber vor der Hand nicht weiter erstreckten, als was man aus den Fenstern der Burg sehen konnte, welche seine Vorfahren in dem wilden Walde auf einer kleinen Anhöhe erbaut hatten.

Ritterzüge nach dem heiligen Lande, Turniere und Fehden waren es, die ihn nach und nach so herunter gebracht [2] hatten; jetzt, da er zu alt war, sich ferner mit dem einen oder dem andern abzugeben, jetzt, da die Sorge für eine unvermählte Tochter ihm am Herzen nagte, jetzt dachte er wohl daran, sich einzuschränken, aber es war zu spät! Aus dem, was die Kargheit des Vaters, und die Wirthlichkeit der blühenden Tochter ersparten, konnte kein Reichthum erwachsen; Alles was sie fruchteten, war, daß man sich kümmerlich das Leben fristete, und sich mit einer Unabhängigkeit schmeichelte, die man im Grunde nicht besaß.

Ritter Markard hatte unter seinem Schloßgesinde, das zehnmal geändert und nach und nach immer mehr verringert worden war, doch niemals einen alten Hausverwalter abschaffen können, der sich ein altes Inventarium von den löblichen Vorfahren seines gestrengen Herrn, einen alten treuen Diener nannte, welcher auch wohl ohne Lohn und Vortheil zu dienen bereit sei; aber im Grunde war er nichts als ein fressender Krebs, welcher insgeheim alles Vermögen Ritter Markards aufzehrte, und ihn unvermerkt vollends an den Abgrund zog, wohin er ihn gern haben wollte.

Durch kluge Berechnungen und tausendfache heimliche Wucherkünste war Alles, was der Ritter seit zwanzig Jahren verschwendet hatte, in Genebalds Sekel geflossen. Er war jetzt Besitzer all der Güter, die ehemals seinem Herrn gehörten, und Ritter Markard mochte von der Sache denken was er wollte, so konnte er seinen Diener doch keiner Veruntreuungen überweisen, und mußte [2] sich damit begnügen, daß Genebald erklärte, seinen wachsenden Reichthum bald einer reichen Erbschaft im Auslande, bald einem wuchernden Schiffe auf der Ostsee, bald einem gefundenen Schatze zu verdanken.

Der alte Ritter hatte allerdings Ursache, die Wahrheit solcher Erklärungen zu bezweifeln, und seine Tochter, Fräulein Hedwig, ein muntres Geschöpf, die mit einem scharfen klaren Verstande begabt war, hatte auch hierüber ihre ganz eignen Ansichten. Sie trug unabläßig auf Abschaffung des alten Blutsaugers an, wurde aber immer mit ihrem Begehr abgewiesen. »Lasse ich ihn von mir,« sagte Markard, »so sinkt vollends Alles, was weder du noch ich aufrecht zu erhalten verstehen, und wäre auch dieses nicht, wie soll ich ihn verabschieden ohne Zahlung seines rückständigen Lohns? Du weißt, daß er mir mehrere Jahre umsonst diente, und überall im Vorschusse steht!«

Hedwig ergab sich der Verzweiflung ob der Verwirrung der väterlichen Angelegenheiten; es war, als ahndete es ihr, daß sie hier endlich das Opfer sein würde.

Gram und wachsender Mangel warfen den Ritter endlich auf's Krankenlager. Da trat der alte Genebald zu ihm und sprach: »Herr, so Gott heut oder morgen über euch gebeut, was soll aus eurem unversorgten Fräulein werden? – Ich vermag euer Schloß, das einzige was euch übrig ist, nicht mehr zu halten. Ihr wißt, ihr seid meinem Vetter, dem bremischen Kauf mann, mit einer weit größern Summe verhaftet, als diese kleine [3] Herrschaft werth ist. Bis ihr die Augen schließt, möchte er vielleicht Geduld haben, auch wohl euren Gebeinen eine Stelle an der Seite eurer Ahnen gönnen; aber um Fräulein Hedwig ist's dann gethan, so sich nicht binnen der Zeit Gelegenheit zu einer vortheilhaften Heirath findet, wozu ich noch keinen Anschein sehe; denn Niemand wirbt um sie, als der Junker jenseit des Waldes, der zu arm ist, um ein einziges Geschöpf mehr zu ernähren, als sich und sein mageres Streitroß.«

»O Genebald!« rief Markard, »ist's nicht genug an den Schmerzen meiner Krankheit? mußt du mir noch einen vergifteten Dolch in's Herz stoßen? Laß mich ruhig sterben, und mein Kind der Sorge des Himmels anbefehlen, oder sage, wie ihr zu helfen ist. Du siehst mich auf dem Punkte, Alles einzugehen, wenn es nur nicht wider Gottesfurcht und Ritterpflicht streitet.«

Genebald lächelte in den Bart, und meinte, er wisse in der That ein Mittel, wenn er so kühn sein dürfte, es zu nennen. – »Ihr habt,« fuhr er fort, da er sah, daß der Ritter schwieg, »eine Tochter und ich einen Sohn; setzt die Träume von eurem Adel bei Seite, und macht aus Beiden ein Paar; der Mangel des Einen kann durch den Ueberfluß des Andern ersetzt werden! Das Glück hat mir alle Güter eurer Vorfahren zugewandt, die ich wahrhaftig nur aus Liebe zu euch erkaufte, weil es mich schmerzte, sie in fremden Händen zu sehen. Ich gebe sie meinem Sohne zum Heirathsgut, wenn ihr eurer Tochter den Namen eures Hauses zur Heimsteuer laßt Die Sache [4] wird durch Geschenke und Gaben ja beim Kaiser zu vermitteln sein. Ihr schlagt meinen Sohn zum Ritter, und dann ist er eurer Tochter würdig, und so gut ein Edelmann, als der Erste eurer Urväter.«

Es schmerzte den kranken Ritter tief in der Seele, so profan von dem Werthe des Adels sprechen zu hören. Er war unentschlossen und verlangte Bedenkzeit; als aber nach einigen Tagen Genebalds Vetter und Landsmann, der Kaufmann von Bremen erschien, für den Hausverwalter neuen Gewinn von der Ostsee, für seinen unglücklichen Herrn neue Forderungen brachte, die augenblicklich befriedigt werden mußten, weil der Wucherer Eile hatte, da mußte man sich entschließen. Hedwig ward dem jungen Genebald zugesagt, und der Hausvoigt verpflichtete sich dagegen, den ungestümen Mahner zu befriedigen, und die ganze Schuld zu übernehmen.

Hedwig zerfloß in Thränen. »Tröste dich,« sagte der Vater, »vielleicht ist dein Schicksal weniger unglücklich als du denkst. Wir kennen den Jüngling nicht, dem du versprochen bist. Du weißt, sein Vater ließ ihn bei Hofe in der Waffenschule erziehen, auch weißt du, die Natur bindet ihre Gaben nicht an einen Stand. Wer weiß, welch einen jungen Helden wir zu sehen bekommen, der den großen Namen völlig verdient, den du ihm zubringen sollst.«

»Ach,« seufzte das Fräulein, »ersetzt dieses Alles das adeliche Blut, das doch nimmermehr in seinen Adern rinnen wird? –« Da lobte sie ihr Vater sehr wegen des [5] edeln Stolzes, den sie zeigte, und sagte ihr von Trostgründen, was er nur dachte, das sich für ihren Kummer schickte; aber es fruchtete nichts, denn im Grunde trauerte Hedwig nicht sowohl um den Flecken in der Ahnentafel, als um den Junker jenseit des Waldes, der so arm war, daß er nichts als sich und sein magres Streitroß nähren konnte.

Hier half kein Weinen noch Trauern; die Braut mußte sich zum Empfange des Bräutigams anschicken. Dieser hätte übrigens die Reize eines kaiserlichen Pagen, und den Heldenmuth eines Ritters vom heiligen Grabe in sich vereinigen können, so würde er Hedwigs versagtem Herzen doch nicht gefallen haben, wie viel weniger, da sich nichts von dem Allen zeigte.

Der junge Genebald war ein ganz wohlgestalteter, schlank gewachsener Bursche. Leibesübungen hatten seinen Körper ausgebildet und stark gemacht, auch hatte er von den Stößen, die man in Turniren austheilt und empfängt, viele Erfahrung, ungeachtet er standeshalber in keinem mit gestochen hatte; aber sein Gesicht zeigte von Einfall, und unter seinem Brustharnisch schien kein Herz zu schlagen, das ihn zu Ritterthaten hätte beseelen können. Aber doch ein Herz, das Liebe fühlen konnte!

Die Reize seiner vornehmen Braut waren Genebalden nicht gleichgültig; sie erregten Gefühle in ihm, die vielleicht nicht schwächer waren als die, welche Hedwig in dem Herzen des Ritters jenseit des Waldes kannte; doch sie ihr zu entdecken, war er zu blöde und einfältig. Er freute sich auf den Tag der Vermählung, so wie das [6] Fräulein demselben entgegen zitterte; zuweilen ließ er seinen einfältigen Jubel über den Besitz eines Gutes, das ihn unglücklich machen mußte, so laut werden, als Hedwig ihren Widerwillen. Dies war Alles, was zwischen den beiden Verlobten bis zu dem entscheidenden Ja vorfiel; herrliche Vorbedeutungen für die zukünftige Ehe.

Die beiden Väter überlebten das Hochzeitfest nicht lange. Der alte Genebald, im Taumel der Freude, endlich seinen lang herangearbeiteten Endzweck erreicht zu haben, und seinen Sohn durch Liebe, Ehre und Reichthum, wie er meinte, beglückt zu sehen, übernahm sich beim Leeren der vollen Pokale, und starb noch in den Tagen der Hochzeitfeier an den Folgen seiner Unmäßigkeit. Ritter Markard war durch langen Gram, der wahrhaftig durch diese Heirath seiner Tochter nicht gehoben ward, so elend geworden, daß er nur noch wenig Monate lebte; doch hatte sein aufgedrungener Schwiegersohn noch das Glück, vor seinem Tode das Ritterschwert von ihm zu erhalten. Den Adel und die Erlaubniß, den Namen von Markards glorreichen Vorfahren zu führen, hatte man ihm schon vom Kaiser – vermuthlich war es der merkantilische Wenzel – erkauft, und es fehlte dem guten Jungen also nichts, als gerade das Wichtigste: ein Ritterherz und Rittersitten, nebst der Liebe seiner Gemahlin.

Die Letzte zu erlangen, schien das Unmöglichste von Allem zu sein. Hedwig war keine von den sanften frommen Seelen, die es für Pflicht halten, sich mit guter [7] Art in Alles zu ergeben, was nun einmal nicht zu ändern ist, und es für unrecht halten, Andere unglücklich zu machen, weil sie es selbst sind. Stolz und Eigenwille waren die Hauptzüge von dem Charakter der Dame Genebald. Eine glückliche Verbindung mit einem geliebten Gemahl würde hier vielleicht viel zum Besten gekehrt haben, aber das widrige Geschick, das sie hatte erfahren müssen, machte sie zur Furie; es ist ja bekannt, daß ein gutes Herz durch Leiden noch mehr veredelt wird, ein schlechtes noch tiefer sinkt!

Hedwig war zu gut erzogen, um ihren Widerwillen gegen den unglücklichen Genebald, gleich gemeinen Weibern, durch Toben, Fluchen und Schelten zu äußern; sie wußte, daß es feinere und empfindlichere Mittel gibt, einen gehaßten Gegenstand zu quälen. Sie war so freundlich und leutselig gegen Alle, die mit ihr umgingen, nur für ihren Gemahl zeigte sie kalte Gleichgültigkeit, oder quälte ihn durch beissende Spöttereien. Er war nicht einfältig genug, die Geissel ihres Witzes nicht tief zu fühlen, aber viel zu albern, um sie auf eine vernünftige Art von sich abzukehren. Er fühlte, daß alle Geringschätzung, die er erfahren mußte, ihren Grund nicht sowohl in seiner niedrigen Geburt, als in den schlechten Rittertalenten hatte, die er mit in seinen neuen Stand brachte. Der nachtheiligen Meinung zu begegnen, die man von ihm hatte, und die man ihm in tausend beissenden Spöttereien bei jeder Mahlzeit zum Nachtisch auftrug, begann er gewaltig großzusprechen. Er prahlte, daß kein Ritter so große Thaten zu leisten vermöchte, wie er bereits in [8] seinem Lehrlingsstande gethan hätte; doch wußte er bei Allem, was er von sich rühmte, die Wahrscheinlichkeit so wenig in Acht zu nehmen, daß man ihm in's Gesicht lachte. Er fühlte, daß er seine Verächterin durch nichts, als durch den Augenschein überzeugen konnte, und fing sein Werk auf eine andere Art an. Er schrieb Fehdebriefe an sich selbst, gab sich den Anschein, die Sache vor seiner Gemahlin verbergen zu wollen, und machte sich früh vor Tage auf, im nahgelegenen Walde einen fürchterlichen Kampf mit Gebüschen und Bäumen zu beginnen. Das Schild wurde an einen Ast gehangen, und von seiner eignen Hand mit tausend grimmigen Hieben zerfetzt, die starke Lanze im Rennen wider eine Eiche ritterlich gebrochen, und das Schwert durch gänzliches Niederhauen des kleinen Gesträuchs schartig gemacht. Dies Wesen trieb er jede Woche einmal, auch wohl zweimal, und kehrte nach gehaltenem Luftkampf allemal gewaltig erhitzt auf seine Burg zurück.

Frau Hedwig stellte sich entweder, als beginne sie bessere Meinung von ihrem Eheherrn zu hegen, oder sie wußte in der That nicht recht, was sie von ihm denken sollte. So viel war einmal gewiß, die Lanze war immer ritterlich gebrochen, der Schild durch Hiebe zerfetzt, die von keinem schlechten Gegner zeigten, auch triefte die Stirn des theuren Mannes allemal von glorreichen Heldenschweiß. Nur eines war es, das sie zweifelhaft machte, und sie äußerte sich darüber auf folgende Art.

»Mein theurer Gemahl,« sagte sie, »bei den Gefahren, [9] denen ihr euer edles Leben unablässig aussetzt, tröstet mich nur eines.«

»Und was ist das?« fragte er in dem übermüthigen Tone, den er, seit er die Rolle des Helden spielte, oft gegen sie annahm.

»Daß eure grimmigen Gegner all' ihre Wuth allein an eurem Schilde verschwenden Nie sah ich noch ein Tröpflein eures Bluts, nie eine Beule auf eurem Helm; ich glaube, ihr könnt euch fest machen, und selbst eurem Thiere die Unverletzlichkeit mittheilen. Mein tapferer Vater kam nicht so unblutig aus seinen Fehden zurück; auch will ich die Rosse nicht zählen, die ihm unter dem Leibe niedergestoßen worden sind. Die Ritter dieser Gegenden waren sonst nicht so höflich, als sie jetzt zu sein scheinen.«

»Grausame Wütherin!« schrie Genebald, »du möchtest mich also lieber getödtet oder verstümmelt sehen? Ob sich eine unsichtbare Macht für mich interessirt, das weiß ich nicht, aber so viel ist gewiß, daß wenn dieses nicht der Fall ist, du wohl Ursache hast, Gott und seine Heiligen zu bitten, daß sie dich nicht bald zur betrübten Witwe werden lassen, indem ich in den nächsten Tagen einen Kampf wider drei Ritter vorhabe, die mich auf einmal herausforderten, und die ich kühn genug war, auf einen Tag zu bescheiden.«

Hedwig antwortete auf diese Prahlereien nichts, aber sie merkte sich genau den Tag des dreifachen Kampfes, [10] weil sie sich etwas vorgenommen hatte was alle ihre Zweifel auf einmal aufklären mußte.

Herr Genebald schickte sich mit soviel Geräusch zu dem gefahrvollen Kampfe an, und sprach den Abend vorher so viel von den Lorbeeren, die er aus demselben zurück bringen wollte, daß die Dame den rechten Zeitpunkte nicht verfehlen konnte. Sie fertigte noch in der nämlichen Nacht einen Eilboten an den Ritter jenseit des Waldes ab, den der Leser schon dem Namen nach kennt, und mit dem sie immer ein geheimes Verständniß unterhalten hatte. Darauf legte sie sich zur Ruhe, und beschwor ihren Gemahl vor dem Einschlafen noch bei allen Heiligen, sich doch nicht allein in die bevorstehende große Gefahr zu wagen, sondern wenigstens einen treuen Knappen mit sich zu nehmen, der ihn bei gefährlicher Verwundung verbinden, oder, für den ärgsten Fall, ihr die Todespost gebührlich ansagen könnte; eine Bitte, die sie am andern Morgen beim Abschiede noch auf eine so rührende Art wiederholte, daß der einfältige Genebald nichts als den lautern Ernst in ihren Vorstellungen zu finden glaubte, aber sich wohl hütete, ihnen Gehör zu geben. Seine Thaten waren von der Art, daß sie keinen Zeugen zuließen; auch wegen der Gefahr glaubte er so ziemlich sicher zu sein, obgleich er, indem er über die Brücke sprengte, der Dame am Schloßthor noch zurief: für Blut würde sie diesmal nicht zu sorgen haben, denn aus so einem Kampfe, wie der heutige, würde er wenigstens mit dem Blute seiner Feinde besprützt zurückkehren. – »Es müßte nicht gut sein,« sagte er zu sich selbst, »wenn ich nicht im Walde [11] irgend ein kleines Wild auftreiben sollte, dessen Blut mir dienen könnte, Schwert und Waffen zu färben; zum Glück ist Ritterblut so sehr von anderm Blute nicht zu unterscheiden.«

Als Herr Genebald seiner Dame aus dem Gesichte war, kam der Bote von dem Ritter jenseit des Waldes zurück. Er brachte ihr einen Helm, ein Schwert, Schild und andere ritterliche Waffen, nebst einem guten lenksamen Pferde, was sie sich Alles erbeten hatte, um den Plan auszuführen, zu dem nun die rechte Zeit gekommen war. Sie wollte und mußte endlich Gewißheit haben, mit was für Riesen und Zauberern ihr Gemahl, der kühne Held, den gefährlichen Kampf im Walde bestehe. Keinen andern Augen als den ihrigen wollte sie trauen, keiner andern Hand als der ihrigen die Expedition auftragen, von welcher sie ahndete, daß sie hier zur Züchtigung der Thorheit nöthig sein würde; denn ganz wollte sie die Ehre des Mannes nicht Preis geben, den das Schicksal in seinem Zorne nun einmal zu dem ihrigen gemacht hatte.

Hedwig rüstete sich mit den Waffen, die sie nicht aus der Rüstkammer Ritter Genebalds hatte nehmen wollen, um ihm desto unkenntlicher zu sein; denn der Mann, der keine andere Beschäftigung hatte, als auf seiner Gewehrkammer – die herrlicher versehen war, als der Rüstsaal des Hochmeisters der deutschen Ritter, – den Staub von glänzenden Waffen zu wischen, die er nicht nutzte, hätte gewiß jede eiserne Schiene auf den ersten [12] Anblick erkannt, die aus derselben entlehnt gewesen wäre.

Mit fremdem Schild, Helm und Pferd konnte die irrende Ritterin Alles wagen. Gerüstet stand sie nun da, kaum ihrer eignen Zofe kenntlich, die noch nie bei einer ähnlichen Toilette gedient hatte, und die ihr jetzt weinend den Helm schloß. »Betrübe dich nicht, gute Dirne,« sagte die Heldin, »ich reite auf eine Fehde, wo ich für keine Gefahr zu sorgen habe, wo ich vielleicht Stösse austheilen, aber schwerlich dergleichen empfangen werde. Lebe wohl, vor Abend siehst du mich wieder!«

Vor dem Hinterpförtchen stand das gesattelte Roß. Die Dame saß rüstig auf, und sprengte über Wiese und Thal nach dem Walde, wo sie wußte, daß ihr Herr seine Abentheuer aufzusuchen pflegte.

Daß sie sich ziemlich weit in demselben vertiefen mußte, ehe sie das traf, weswegen sie diesen Ritt unternommen hatte, das verstand sich; es war nicht wahrscheinlich, daß Genebald seine Fehden, auf die Gefahr hin belauscht zu werden, in der Nähe der Heerstraße auskämpfte. Hedwig's Muthmaßungen bestätigten sich mit jedem Schritte, den ihr Roß tiefer in den wilden Wald hinein that.

Endlich vernahm sie in der Ferne ein gewaltiges Streitgetöse, und ihr Herz begann jetzt ein wenig zu beben; doch es war nicht wie das Getümmel von Obsiegenden und Unterliegenden, sondern nicht anders, als wenn ein Schwert wider einen wehrlosen Gegenstand wüthet, und Hiebe austheilt, welche nicht erwiedert werden. Die [13] Ritterin zog näher, das Klopfen des zarten weiblichen Herzens, das bei jedem Geräusch von Stahl und Eisen erbebt, ließ nach, je gewisser sie der Sache ward, und als sie endlich zwischen den Bäumen von Weitem den Kampfplatz erblickte, wo Ritter Genebald sein Schwert an dem ehrnen Schilde schartig schlug, und nebenbei einige Streiche unter das kleine Gebüsch austheilte, da verschwand die kleine instinktartige Angst, die sie beim ersten entfernten Geräusch gefühlt haben mochte, und ein Lachen wandelte ihr an, das sie kaum zu unterdrücken vermochte. Es war lustig anzusehen, wie der Held bei seiner Arbeit keuchte und schwitzte, und sich die Niederlage seiner leblosen Feinde so ernstlich angelegen sein ließ, als ein alter Tempelritter die Ausrottung der Sarazenen. Jetzt ruhte er ein wenig, und knüpfte die Riemen seines Helms auf, vermuthlich um ihn abzulegen und den Schweiß zu trocknen. Die Dame mußte besorgen, zu zeitig wahrgenommen und durch die Flucht des Feindes um den Sieg gebracht zu werden; sie spornte daher ihr Pferd an, und ehe Genebald zu Athem kommen konnte, hielt ein fremder Ritter, bis über die Zähne gewaffnet, ihm gegenüber an dem Baume, der die meisten seiner Streiche empfangen hatte, und wo sein gemißhandelter Schild noch von den letzten Hieben hin- und herschwankte.

»Vasall!« schrie Hedwig mit donnernder Stimme, »was ist es, das du hier beginnst?«

Genebald wußte wohl, daß er Niemands Vasall war, als seines gnädigen Herrn, des Kaisers, und daß er ebenfalls [14] hier in seinem eignen Gehölze thun konnte, was ihm recht dünkte. Doch die Frucht und das Entsetzen, so plötzlich hier einen Gegner zu sehen, wo bisher nur seine Phantasie ihm Feinde erschuf, machten, daß jede kühne Antwort auf seinen Lippen erstarb. Es fiel ihm nicht ein, seine Rechte auf eine würdige Weise zu behaupten, sondern er antwortete demüthig, er sei ein armer Holzhauer, der es nicht für Sünde gehalten habe, hier einiges überflüssiges Gebüsch niederzuhauen, um es mit sich zu nehmen.

»Ein Holzhauer?« schrie die Ritterin, »was bedeutet denn diese Rittertracht, und hier am Baume der zerhauene Schild? Ein Verwegner bist du, und ein Lügner oben drein! Setze dich ritterlich zur Wehre, daß ich die mir angethane Beleidigung rächen kann! – wo nicht, so fürchte die schimpflichste Behandlung!«

Genebald that zitternd, was ihm geheißen ward, denn er konnte seine knechtische Herkunft – so sagt der erste Erzähler dieses Abentheuers, – nicht verleugnen, und zeigte überall, daß er zum Gehorchen geboren war. Jetzt saß er zu Pferde, und hielt seinem unbekannten Gegner gegenüber; ein hochgewachsener, baumstarker Ritter gegen eine zarte weibliche Figur, die Niemand als einem Verzagten, wie er, Furcht, einflößen konnte. Hedwigs Stöße und Hiebe wollten wenig sagen, aber seine Gegenwehr war noch schlechter; Angst und Entsetzen blendete seine Augen, daß er nicht sah, wo er hinstach, und lähmte seine Fäuste.

[15] »Herr!« erkühnte er sich endlich zitternd zu rufen, »es ist keine Kunst, mit voller Wehr gegen einen zu kämpfen, der nur die Hälfte seiner Rüstung trägt; begebt euch eures Schildes, so wie der meinige für mich unbrauchbar ist.« Hedwig that mit verächtlichem Lachen was man von ihr verlangte, aber der armselige Genebald war dadurch wenig gebessert, denn ehe es sich seine Gegnerin versah, lag er im Staube. Sie hat bis an den Tag ihres Todes behauptet, sie habe ihn nicht niedergeworfen und sie glaube wirklich, er sei gutwillig gestürzt, um nur so bald als möglich als ein Ueberwundner um Gnade bitten zu können.

Hedwig sprang ihm nach, beraubte ihn mit leichter Mühe des Schwerts und des Helms, und sah ihm hohnlächelnd ins Antlitz. Zum Glück konnte er den Spott in ihrem Auge durch das geschlossene Visir nicht sehen, er hätte ihn sicher für blutgierige Mordlust genommen, und wäre ihr vorläufig, um der Qual desto eher zu entgehen, unter den Händen gestorben. Von ihm erkannt zu werden, wäre auch mit offenem Helm keine Gefahr für sie gewesen; der Ueberwundene war in solcher Bestürzung, daß er kaum das Blaue des Himmels von der Erde unterscheiden konnte.

»Was soll ich nun mit dir beginnen, du Feigling?« rief Hedwig mit grimmigem Tone, »soll ich dich mit dem Sattelriemen an mein Roß binden, und dich auf ewig zu meinem Sclaven machen? Oder soll ich dir die Rüstung ausziehen, welche zu tragen du nicht verdienst, [16] und dich so zu deiner Schande laufen lassen? Denn mit deinem Tode ist mir nicht gedient; ich habe nie mein Schwert mit dem Blute eines Feigen besudelt!«

»Herr!« sagte Genebald nach einigem Bedenken, »ehe ich zeitlebens Sklavenfesseln tragen, oder als ein Beschimpfter nach Hause zu meinem übermüthigen Weibe ziehen soll, eher will ich sterben; doch wollt ihr mit unter irgend einer Bedingung Leben und Freiheit schenken, so würde ich euch ewig danken, und euch Alles, was ihr von mir verlangt, zum Opfer bringen. – Ich bin reich, gebietet selbst, was ihr für meine Auslösung fordert!«

»Ich bedarf deines Geldes nicht,« schrie die verkappte Dame, »doch so dir keine Bedingung zu schwer dünkt, Leben, Freiheit, und den leidigen Schein von Ehre, den du bei deinem Weibe haben magst, damit zu erkaufen, so höre, was ich dir sagen will: Ich fand nicht weit von hier einen todten Hasen, suche ihn auf, und trage ihn mir bis zum Ausgange des Waldes; ich will ihn mir diesen Abend zum Andenken des Sieges über den tapfersten aller Ritter zu richten zu lassen. Auch magst du mit dem Blute des Wildes deine Waffen färben, und daheim dein Schloßgesinde bereden, es sei dein Blut, das du in rühmlicher Fehde vergossen habest, denn an einer Lüge wird dir's nimmer fehlen. Erfüllst du meine Bedingung, so begehre ich weiter keinen Antheil an dir zu haben. Doch eins nimm zu Herzen: Ich heiße Berengar; so oft du diesen Namen hörst, so gedenke der heutigen Auftritte, beuge dich vor Jedem, der dir dies Zauberwort [17] nennt, damit ich nicht, wenn du widerspenstig bist, schnell an deiner Seite stehe und laut von Dingen rede, die sonst verschwiegen bleiben können.«

Genebald that und gelobte Alles, was man von ihm forderte. Das Wild zu finden war ihm ein Leichtes; er selbst hatte es getödtet und ungefähr das nämliche damit vorgehabt, was ihm die schlaue Kennerin seiner Thorheit spottend anrieth, und nun, da er ihr das Geforderte zitternd überreichte, mit eigner Hand zu thun beliebte. Sie tauchte den Finger in das Blut des langöhrigen Thieres, und färbte damit seine Rüstung. »Nimm hin,« sagte sie mit komischer Feierlichkeit, »das Andenken der heutigen Thaten! Siehe, so tauchte Kaiser Heinrich seinen Zeigefinger in das Blut eines Löwen, um den glorreichen Ueberwinder desselben nach Würden zu begnadigen, siehe, so weiht dich in dieser Stunde Berengar zum Großmeister eines Ordens, den du dir heute erworben hast und selbst benennen magst!«

Als Genebald Alles vollzogen hatte, was die Uebermüthige von ihm begehrte, entließ sie ihn. Er küßte demüthig ihren Steigbügel, und empfing noch zum Abschiede den Befehl, den Wald nicht eher als nach Sonnenuntergang zu verlassen. Eine Klausel, die ihre guten Ursachen hatte. Die tolle Siegerin hatte sich noch einen kleinen Ritterzug vorgenommen, welcher vor Heimkunft ihres beschimpften Gemahls geendigt sein mußte.

Stolz auf die Lorbeeren ihres Sieges und begierig, die lächerlichen Scenen im Walde mit irgend einem vertrauten [18] Gefährten zu belachen, sprengte sie von dem Kampfplatze zu dem mehr erwähnten Ritter jenseit des Waldes, ihren alten Buhlen. Sie hatte ihn bisher nur verstohlen an dritten Orten gesehen, aber die Verachtung gegen ihren Mann, die heute auf's höchste gestiegen war, machte, daß sie mit Hintenansetzung ihres eignen Leumunds alle Schonung vergaß, und nicht allein mit ihrem guten Freunde auf seinem Schlosse einige Stunden verlachte, sondern ihn auch nachher mit sich auf das ihrige nahm, wo er, so war es beschlossen, hinführo täglich aus- und eingehen sollte. Was Herr Genebald vertragen konnte, wußte man jetzt, und besorgte von ihm keinen Widerspruch.

Unterdessen hatte sich der beschimpfte Genebald an den Eingang des Waldes auf einen abgehaunen Stamm gesetzt, um daselbst die Zeit abzuwarten, wo es ihm heimzukehren vergönnt war. Sein Roß, das die Ohren so trübselig hängen ließ, als wenn es sich der entehrenden Abentheuer seines Herrn schämte, war ihm zur Seite an einen Baum angebunden, sein zerfetzter Schild hing ihm am Arme; er war traurig, wußte weder, woher er den Muth zu den gewohnten Prahlereien nehmen sollte, mit denen er sein Haus zu begrüßen pflegte, noch ob ihm das Signal zur Heimkehr, das der aufgehende Mond gab, lieb oder leid sein sollte.

Genebald war in manchen Dingen sehr gewissenhaft; er wollte lieber eine Viertelstunde über die angelobte Zeit im Walde bleiben, als ihn zu früh verlassen. In dieser Zeit des Wartens ging ein Bauer quer durchs Holz, [19] der, indem er vor dem ruhenden Ritter vorüberkam, den Hut zog, und ihm einen freundlichen guten Abend bot. Er kannte Genebalden nicht, das merkte man; von denen, welche ihn kannten, pflegte ihn Niemand zu grüßen, denn er war stolz und trotzig, wie die aus dem Staube emporgekommenen Günstlinge des Glücks oft zu sein pflegen, würdigte den Geringen kaum des Anblicks, viel weniger des Gegengrusses.

Jetzt war er so gedemüthigt, daß er den freundlichen guten Abend des Bauers nicht allein erwiederte, sondern sich auch mit ihm in ein Gespräch einließ. »Sagt mir doch, guter Freund,« begann er, »wem gehört der Wald, der sich hier endigt?« – »Ritter Genebald, des Bremers, gestrenger Herr!« war die Antwort.

»Ich bin heute hier einem Uebermüthigen begegnet, der mir es wehren wollte, unter diesen Bäumen zu ruhen; aber Genebald lautete sein Name nicht. –«

»Wird's auch schwerlich gewesen sein. Ritter Genebald ist ein gestrenger Herr gegen die Unbewehrten, aber ihr seid gerüstet, und einem Gerüsteten pflegt er nichts zu wehren.«

Genebald erröthete, das Gerücht von seiner Feigheit in Jedermanns Munde zu finden. – Der Bauer schien Lust zu haben, das Gespräch fortzusetzen. »Sagt mir doch,« sprach er, »wo war's denn, da euch der Fremde die Ruhe unter den Bäumen wehrt?«

»Mitten im Walde, nicht weit von der hohen Eiche am Ufer des Flusses. –«

[20] »Geht mir mit euerm Fremden! es mag der Rechte gewesen sein! Dort herum ist's nimmer richtig! wer weiß was ihr gesehen habt!«

Das fehlte noch, um die erschrockene Seele des armen Genebald bis zum Tode zu erschüttern. Die Zähne schlugen ihm im Munde zusammen, die Haare sträubten ten sich empor, die Kniee zitterten, ob der Hindeutung auf eine Gespenstergeschichte. Als nun der Bauer unter Anwünschung einer guten Nacht weiter ging, schwang sich Genebald eilig auf sein Pferd, um dem fürchterlichen Orte zu entkommen, wo er nun nicht eine Minute länger bleiben mochte.

Die Wirkung, welche der Gedanke auf ihn machte, jener gefürchtete Berengar, dessen Namen er nicht nennen mochte, könne wohl ein Geist gewesen sein, war höchst seltsam und widersprechend. Vermehrte sich auf der einen Seite seine Furcht vor dem schrecklichen Unbekannten, so fühlte sich auf der andern Seite seine Eigenliebe dadurch geschmeichelt. Von einem Gespenste überwunden und gehöhnt zu werden, meinte er, dessen dürfte sich der größte Held der Christenheit nicht schämen. Nekkereien dieser Art könnten die Ehre eines Sterblichen nicht beflecken. Gegen Geister fechte man immer mit ungleichen Waffen; wer mit dem Leben hier davon komme, habe sich groß zu rühmen! – Mit solchen Worten tröstete sich Herr Genebald, und als er jetzt in eine belebtere Gegend kam, verschwanden Furcht und Beschämung völlig. So übermüthig, als ehemals, setzte er über die Schloßbrücke, [21] und stieg an der großen Pforte ab, wo schon Frau Hedwig, in häuslichem Gewand, als ob sie die Burg mit keinem Schritte verlassen hätte, und mit so heuchlerisch freundlicher Miene seiner wartete, als wäre sie ihm vollkommen mit der Huld, Treue und Achtung zugethan, die nur der beste Mann von dem besten Weibe erwarten kann.

»O, mein Herr!« rief sie mit einem Tone, in welchem wohl ein Klügerer als Genebald den Spott hätte verkennen können, »kommt ihr endlich zurück? Ach, schon glaubte ich euch von den grausamen Rittern erschlagen, die ihr heute zu bekämpfen auszogt! – Wie? Blut an den Waffen meines Helden? – Ach dies ist aus seinen Adern geflossen! Blut eines solchen Ritters ist nicht leicht mit dem Blute eines andern Geschöpfes zu verwechseln, es müßte denn – Wie? ihr erröthet? was hat das zu bedeuten?«

»Nichts,« rief Genebald, indem er vor ihr her die Stiege hinauf eilte, »macht des Geschwätzes einmal ein Ende. Daß ich müde und hungrig bin, könnt ihr denken; sorgt, daß ich entwaffnet werde, und lasset die Tafel bereiten!«

Als er in das Zimmer kam, siehe, da saß hinter einem Tische ein fremder Ritter, der ihn nicht begrüßte, noch das Haupt vor ihm entblößte. Kannen und gefüllte Pokale standen vor ihm, er schien gezecht und nicht allein gezecht zu haben; es ließ sich muthmaßen, daß die Hausfrau nur von seiner Seite aufgestanden war, um ihren theuern Herrn zu bewillkommen.

[22] Auf Genebalds Stirn zog sich ein Gewitter zusammen. »Was ist das?« sagte er zu Frau Hedwig. »Ich verlange keine ungebetenen Gäste in meinem Hause; laßt den unhöflichen Gesellen aufstehen, und mir Platz machen!«

»Nehmt euch seine Anwesenheit nicht zu Herzen,« erwiederte die Dame; »es ist ein lustiger Gesell, der einem die Stunden gut zu vertreiben weiß. Als ihr kamt, erzählte er mir eben eine Geschichte von einem gewissen Berengar, welcher –«

Wie ein Donnerschlag traf dieser gefürchtete Name den verzagten Ritter, und der sonderbare Blick, mit welchem Hedwig dabei ihren Herrn in's Auge sah, vollendete seinen Schrecken. Der ganze Auftritt im Walde kam ihm wieder vor die Seele. Die Weisung, den Namen Berengar nie ohne Demuth zu hören, und die damit verbundene Drohung thaten ihre Wirkung, und der Gedanke, dieser Berengar sei ein übernatürliches Wesen, ein Wahn, den er von der zufälligen Erzählung des Bauers eingesogen hatte, vollendete sein Entsetzen!

»Wie?« rief Hedwig, »ihr erbleicht? Ihr müßt euch heute mächtig angegriffen haben! Ihr thätet besser, euch entwaffnen zu lassen, und zur Ruhe zu gehen; von Berengar ein andermal!«

»Mitverschworne der Hölle!« murmelte Genebald zwischen den Zähnen, indem er das Zimmer verließ. »Ist's ein Geist der Finsterniß, der dir diese Waffen in die Hand gab, mich zu Boden zu schlagen?«

[23] Genebald ließ sich entwaffnen, aber zur Ruhe ging er nicht; er hatte noch Muth genug, sich zur Tafel zu setzen, wäre es auch nur darum gewesen, den Gast in genaurem Augenschein zu nehmen. Zuweilen, wenn ihn der Wahn, in dem er hinsichtlich der übermenschlichen Natur seines Siegers befangen war, verließ, kam es ihm in den Sinn, der Fremde möchte wohl gar jener Berengar sein; anders wußte er sich in seiner Einfalt nicht zu erklären, wie man hier dazu käme, ihn mit Waffen zu bekämpfen, die ihn nur zu schmerzlich verwundeten.

Man überließ ihm indeß die oberste Stelle bei der Tafel, wo nur Frau Hedwig und ihr Ritter ihm Gesellschaft leisteten. Auch hütete man sich wohl, die ihm gebührende Achtung ganz aus dem Auge zu setzen; sogar der Fremde wurde etwas höflicher, aber der versteckten Anspielungen auf die Abentheuer im Walde waren unzählige; sie erreichten den höchsten Gipfel der Handgreiflichkeit, als ein gebratener Hase aufgetragen wurde. Die Hausfrau verging fast vor Lachen, indem sie ihn zerlegte. Zuletzt nannte man den Namen Berengar, Genebald warf Messer und Gabel von sich, und verließ voller Verzweiflung das Zimmer; das laute Gelächter der Uebermüthigen folgte ihm, und wir begleiten ihn mit unserm Mitleid, in melchem sich wenigstens einige unserer Leser mit uns vereinigen werden. Der schlechteste Mann behält gegen eine schlechte Frau immer noch einiges Recht; es ist in der Natur des Mannes begründet, von dem weiblichen[24] Geschlechte etwas mehr zu fordern, als von dem männlichen, und wenn jenes Ehre und Pflicht vergißt, so erregt dieß bei uns immer den höchsten Grad von Verachtung und Unwillen.

Hedwig selbst fühlte, daß sie zu weit gegangen war; der fremde Ritter, der vermuthlich hier hatte übernachten sollen, wurde entlassen, und sie begab sich auf das Zimmer ihres Gemahls, ihn mit heuchlerischen Worten zu besänftigen, und von der Entdeckung der Wahrheit, die sie über Alles scheute, abzulenken.

Hedwig fand indeß Genebalden nicht; er hatte die Burg verlassen, und war hinausgeeilt, um entweder im Freien sein Elend und seine Schmach zu beweinen, oder seinem Leben ein Ende zu machen. War das Letzte wirklich seine Absicht gewesen, so mußte es ihm entweder an Muth oder Gelegenheit zur Ausführung gefehlt haben, denn der Morgen fand ihn noch lebend, aber so traurig, als jemals ein gekränkter Ehemann, oder ein gedemüthigter Ritter gewesen sein mag. So ein verächtliches Geschöpf auch dieser Genebald war, so fehlte es ihm doch nicht ganz an Ehrgefühl, und sein guter Genius, der es nicht dulden mochte, daß der Gedemüthigte dem Uebermuthe ganz zur Beute hingegeben werde, benutzte das, was er Gutes an ihm fand, um ihn wieder ein wenig emporzurichten. – – – –

Genebald hatte sich im Uebermaaß seines Kummers wieder in den Wald verirrt, wo er gestern die fatalsten Abentheuer seines ganzen Ritterthums erlebt hatte. Er [25] fürchtete die daselbst hausenden Geister nicht mehr. Daß Berengar kein überirdisches Wesen war, glaubte er jetzt auch gewiß zu sein, obgleich er eben so gewiß war, daß er und der Fremde auch nicht eine Person sein konnten. Der Ritter jenseit des Waldes war ein langer hagrer Gesell, dessen Gestalt nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit dem zarten Kempen hatte, der ihn voriges Tages in den Staub streckte.

Wer es war, der ihm die Schmach angethan, und sein treuloses Weib zu Verdopplung derselben antrieb, dies kümmerte ihn indeß jetzt nicht so sehr, als die Schmach selbst. Wie nun die Verzagten gewöhnlich zu Thränen ihre Zuflucht nehmen, so ist es wohl kein Wunder, daß Genebald einen ganzen Strom derselben vergoß, und damit schier das Wasser des Flusses mehrte, an welchem er seinen Sitz genommen hatte.

Es war eine der einsamsten Gegenden des Waldes, wo Ritter Genebald seinen Kummer verweinte, und er hatte unsers Erachtens wohl gethan, eine solche zum Schauplatz seines Jammers zu wählen. Männer weinen zu sehen, war in jenen Tagen etwas seltnes, was bei der boshaften Welt oft ein spottendes Lachen er regte. Ließ sich vollends ein Ritter, der das Schwert an der Seite trug, zu Thränen herab, so war dies für ihn fast ein so verpönter Handel, als wenn er sein Schwert über dem Knie zerbrochen, oder seine Ahnentafel verbrannt, und sich dadurch stifts- und turnierunfähig gemacht hätte.

Genebald, der von der Stifts- und Turnierfähigkeit[26] wenig zu hoffen hatte, war in seinem traurigen Zustande indessen doch nicht ganz unbemerkt geblieben. Es ging zwar keine Heerstraße an dem Orte vorbei, wo er saß, aber doch ein schmaler Fußpfad, der von dem benachbarten Kloster nach einer kleinen Kapelle mitten im Walde führte, wo täglich eine Messe gelesen werden mußte. Es zog deshalb auch heute mit Sonnenaufgang ein Klosterherr diese Straße, sah am Flusse den weinenden Ritter, wunderte sich über ihn, kam nach einige Stunden wieder zurück, sah ihn wieder, und wunderte sich noch mehr.

Der Mönch war ein kleiner feiner Mann, mit einem kleinen gelben Barte, ein Abzeichen, das nach der Meinung der damaligen Physiognomen allemal auf ein gutes Gemüth und zarte Theilnahme an den Schmerzen Anderer deutete. Dieses Merkmal mochte nun, gleich den andern Regeln der Gesichtskenner, so oft trügen als es wollte, so traf es wenigstens bei dem Pater Chrysostomus zu; er sah Genebalden sitzen und weinen, und so ein widerlicher Anblick auch für ihn die Thränen eines starken rüstigen Mannes waren, so verfehlten sie doch nicht, sein Mitleid für den Klagenden hervorzurufen. Seiner dringenden Geschäfte wegen hatte er beim ersten Vorübergehen sein Mitleid nicht äußern können, aber jetzt schritt er quer über den Weg, that einen herzhaften Sprung über einen schmalen Graben, der noch zwischen ihm und dem Ritter lag, und stand auf einmal vor ihm mit freundlicher Geberde, und Augen, die schon im Voraus die Frage thaten, die nun auch der Mund laut werden ließ.

[27] »Ritter,« sprach er, »denn dafür muß ich euch nach eurer Kleidung halten, ob euch gleich diese Thranen schier als ein Fräulein bezeichnen, was weint ihr, und womit ist euch zu helfen?«

»Ach, mir hilft nichts als der Tod, und meine Thränen fließen jetzt größtentheils darum, daß ich nicht Muth genug habe, das Ende meiner Leiden in diesen Fluthen zu suchen!«

»Ei, ei, das ist eine ruchlose Rede, die euch der Arge eingiebt! Entschlaget euch der bösen Gedanken, und so irgend etwas ist, das euch auf Herz oder Gewissen drückt, so offenbaret es mir unter dem Siegel der Beichte; vielleicht, daß ich Rath zu schaffen vermöchte.«

Genebald war durch die erlittenen Drangsale, durch den erhaltenen Schimpf so gedemüthigt worden, daß er auf die Frage des Mönchs keine der trotzigen Gegenreden fand, die er sonst immer in Bereitschaft hatte. Er sah den Mönch an, schwieg eine Weile, trocknete dann seine Thränen, und schloß sein Herz vor ihm auf. In einer langen, und zu seiner Ehre sei es gesagt, vollkommen treuen Erzählung erfuhr der Klosterbruder Alles, was ihm Tages zuvor begegnet war, und ihn nun an den Rand der Verzweiflung brachte.

»Wehe mir!« schloß er seine betrübte Erzählung, »wehe mir, daß ich auf dem Wege, wo ich nach Ehre strebte, zur tiefsten Schande herabgesunken bin! Mein Vater, ehrdurstig wie ich, hoffte, mich durch die Verbindung mit dem Weibe empor zu heben, das ich nur allzuleicht [28] lieb gewann, und das nun für mich zur Furie geworden ist! Es war mir unleidlich, mich von ihr verachtet zu sehen; ich suchte sie durch erdichtete Ritterthaten zu täuschen, und es erging mir, wie ich euch gesagt habe. Welcher böse Geist mit meinem Weibe im Einverständniß steht, das wissen die lieben Heiligen; so viel ist klar, ihr ist Alles bekannt, und ich bin durch die entdeckten Lügen, durch die schimpflichen Beweise meiner Zaghaftigkeit vollends so tief, ach noch tiefer gesunken, als ich je glaubte sinken zu können. Ihre Geringschätzung, ihr Uebermuth haben die höchste Stufe erreicht; sie wird nichts sparen, mich auch öffentlich zu beschimpfen. Sie wagt es, mir ihren alten Geliebten, den ich wohl kenne, vor die Augen zu bringen, und in Gemeinschaft mit ihm meiner zu spotten. Ich will zürnen, ich will meine Rechte vertheidigen, aber der Name Berengar ist in ihrer Gewalt, mit ihm kann sie mich zu Boden schlagen, gleich einem Lindwurm, den die Haselstaude berührt. Sie nennt des gefürchtete Wort und augenblicklich schweben mir die Scenen im Walde vor Augen; ich fühle es, meine Feindin kennt mich so gut, als ich mich selbst kenne, und ich bin nicht im Stande, mich ihr im Geringsten zu widersetzen. – Davon habe ich gestern den Anfang erfahren, die Folgen errathe ich, und ehe ich mich entschließe, sie zu erleben, eher will ich in diesem Strome mein Leben enden. Stürzt mich hinein, heiliger Mann, da es mir an Entschlossenheit fehlt, es selbst zu thun; es wird euch im Himmel [29] als das verdienstliche Werk angerechnet werden, das ihr je gethan haben mögt.«

»Herr,« sagte Chrysostomus, »eure Leiden sind wahrlich groß; ich bin ein Mönch, aber ich wüßte fürwahr nicht, ob in eurer Lage nicht sündliche Triebe zur Rache in mir entbrennen würden.«

»Rache! woher soll ich den Muth nehmen, mich zu rächen?«

»Rächen sollt ihr euch auch nicht, aber heimkehren und zeigen, daß ihr Herr im Hause seid. Es mag euch noch so sehr an Muth und – nehmt es mir nicht übel – auch an Einsicht fehlen, so hat euer Weib doch deshalb kein Recht, die Treue gegen euch zu brechen, oder sich in heimliche Verschwörungen wider euch einzulassen, wovon die gestrigen Abentheuer die sichtlichsten Spuren tragen. – Geht heim, zeigt euch als Herr und Gebieter in eurem Hause, werft den eingedrungenen Hausgenossen zum Tempel hinaus, laßt sie den Namen Berengar nennen, bis sie es müde sind; mehr beschimpft könnt ihr nicht werden, als ihr es schon seid, aber euch wieder erheben könnt ihr, wenn ihr Muth habt.«

»Ehrwürdiger Herr,« sagte Genebald, »so ihr kein anderes Rettungmittel für mich wißt als dieses, so bleibt mir nichts übrig als der Tod. Muth ist es ja eben, der mir ganz fehlt, und wenn ihr mir denselben anpreißt, so besagt dies soviel, als gebötet ihr einem Krüppel zu tanzen, oder schicktet einen Stummen aus, für euch die Messe zu lesen.«

[30] »Hört, Herr Ritter,« fuhr der Mönch nach einem kleinen Stillschweigen fort, »ich will euch eine Geschichte erzählen; so ihr euch Rath oder Trost aus derselben zu nehmen wißt, soll es mir lieb sein. Es ist meine eigne Geschichte, und für die Wahrheit derselben kann ich euch Gewähr leisten.

Ich bin der Sohn armer und geringer Eltern. Die Natur hatte mich stiefmütterlich bedacht, denn auch meine geistigen Fähigkeiten und Anlagen waren so gering, daß sie kaum zu den niedrigsten und gewöhnlichsten Beschäftigungen ausreichten. Dennoch hätte ich ein guter und glücklicher Mensch in meiner Sphäre werden können, aber der Stolz, oder die Frömmigkeit meiner Mutter wollte mich unglücklicher Weise über dieselbe erheben. Sie hatte dem heiligen Kirchenvater Chrysostomus, dessen Namen ich führe, gelobt, sie wollte mich der Kirche weihen, das heißt, mich in's Kloster schicken, um daselbst die Stelle eines Holz- und Wasserträgers zu versehen. Der Pförtner, der ihr Bekannter war, hatte ihr Hoffnung gemacht, mir diesen hohen Posten zuzuwenden, von welchem ich, wie sie meinte, mich leicht zu dem Range eines Abtes oder Bischoffs empor schwingen könnte.

Du bist nicht der erste, sagte sie, als sie mich von sich ließ, den das Glück auf diesem Wege aus dem Staube erhob. Der heilige Chrysostomus, dein Patron, kennt die Mittel, wie das geschehen soll, besser als ich; auf ihn verlaß dich, und gehe deinen Weg in Einfalt dahin, das Glück, das dich treffen soll, wird dir wohl begegnen.

[31] Ich war durchaus nicht fähig, diese mütterliche Lehre gehörig zu beachten, denn meine Einfalt war so groß, daß ich kaum das sah, was mir in den Weg kam, und daß, wenn mir in meinem damaligen Zustande das Glück begegnet wäre, wovon meine Mutter weissagte, ich schwerlich dran gedacht haben würde, es beim Schopf zu ergreifen und heimzuführen. In der Folge entwickelte sich mein Verstand doch in so weit, daß ich wußte, daß ich einfältig war, und einige Jahre später begann ich sogar zu wünschen, ich möchte es weniger sein. Man sagt, wer seinen Fehler erkennt und ihn hinwegwünscht, der ist nur einen Schritt von der Besserung entfernt. Ob dieser Sittenspruch auch von dem gilt, was die Natur verwahrloßte, weiß ich nicht; mein Fall gehört freilich unter die übernatürlichen.

Bald fühlte ich in mir einen Trieb, mir einige Kenntnisse zu erwerben, und meinen Verstand auszubilden. Ich sah, wie man im Kloster einige Knaben meines Alters unterrichtete, und bekam Lust, zu lernen, was sie lernten. Der Pförtner unterzog sich der sauren Arbeit, mir die Buchstaben kennen zu lehren. Er und ich quälten uns ein ganzes langes Jahr, und legten am Ende desselben Griffel und Pergamentrolle hin, weil wir endlich einsahen, daß alle unsere Bemühungen vergeblich waren. Ich hatte eine ziemlich gute Stimme, man wollte mir die Psalmen singen lehren, aber weder Text noch Melodie prägten sich meinem Kopfe ein, und ich verstand am Ende nur so viel, um, wenn ich sang, das ganze [32] Chor irre zu machen. Man hatte Mitleid mit meinem Blödsinn, und versuchte es mit einigen andern Klosterkünsten, die nur ein wenig Gedächtniß, oder einige Geschicklichkeit der Hand erforderten; umsonst, ich taugte schlechterdings zu nichts, als dem Koch die Wassereimer zuzutragen und die Holzaxt zu handhaben. Das bisherige Mitleid verwandelte sich in Verachtung, die so weit ging, daß man mir nicht einmal die Beobachtung der Klosterregeln zumuthete. Ich war mitten im Kloster ein freier Mensch, weil es Niemand der Mühe werth achtete, mich einzuschränken.

Wie mich dies bekümmerte! Vielleicht war es ein schlagender Beweis meiner Blödsinnigkeit, daß ich so innig über den vollen Genuß eines Gutes trauern konnte, das jeder vernünftige Mensch für das höchste Glück des Lebens hält.

Ich konnte Freiheit und Muse nicht ertragen, was zur Folge hatte, daß man mir meine Geschäfte erschwerte. Eines Tages, als ich hier im Walde gearbeitet hatte, das niedrige Buschwerk in dem Distrikte, welcher damals dem Kloster gehörte, zu fällen und es in das Kloster zu tragen, überfiel mich bei dem letzten Transport, den ich den heiligen Mauern zuschleppte, ein so überschwengliches Gefühl meines Elends, daß ich darunter zu erliegen vermeinte. Ich hatte, im eigentlichsten Sinne des Wortes, des Tages Last und Hitze ertragen. Ich war matt bis zum Tode, kam heim und hoffte auf Ruhe, da bekam ich noch oben drein vom Bruder Schaffner wegen [33] einiger, wie gewöhnlich bei meinem Tagewerk begangener Albernheiten, eine Tracht Geisselhiebe, und nachdem diese verschmerzt waren, so fand es sich, daß ich meine Axt im Walde gelassen hatte, und ich mußte noch einmal hinaus, sie zu holen, oder vielmehr sie zu suchen; denn ich war ein Träumer, der bei nichts, was er that, die Gedanken beisammen hatte.

Mein Gefühl, mit dem ich von dem Schelten meines strengen Herrn verfolgte, das Kloster verließ, und hinaus in die Nacht ging, die sich schon von allen Seiten herniedersenkte, die tiefe Schmerzempfindung bei dem Nichtfinden eines Dinges, das wenig werth war, und dessen Verlust mir doch am andern Tage neue Thränen bereiten mußten, euch dieses Gefühl zu schildern, würde mir unmöglich sein, wenn ich mich nicht auf eure eigenen Empfindungen berufen könnte. Schimpf, Schande, Angst und Selbstvorwürfe beklemmten mein Herz wie das eurige, obgleich die Ursache unserer Leiden ziemlich verschieden war.

Wenn ich meinen damaligen Zustand recht bedenke, so war ich euch auch darin gleich, daß mich das, was ich gelitten hatte und noch zu leiden besorgte, so tief ich es auch empfand, doch weit weniger kränkte, als die Ursache dieses Leidens. Es war bei uns Beiden ein Fehler der Seele, bei euch Mangel an Muth, bei mir dummer, kindischer Blödsinn.

Die Dunkelheit nahm zu; Furcht gesellte sich zu meinen übrigen Schmerzgefühlen. Ich war meines Lebens [34] so satt, daß ich es geendet haben würde, hätte ich gegewußt, wie man das machte; mit einem Worte, wir standen ganz auf einem Punkte, gerade, wie ich glaube, auf demjenigen, wo uns das Schicksal empor heben muß, weil es uns nicht mehr niedrücken kann.

Ich warf mich unter eine alte Eiche – täglich gehe ich jetzt an ihr vorüber, und nie ohne die lebhafteste Erinnerung dessen, was sie mir auf Lebenszeit merkwürdig machte. – Ich weinte, raufte mein Haar aus. Die traurigsten Bilder gingen vor meiner Seele vorüber. Mein ganzer Zustand stellte sich mir dar, doch war ich zu einfältig, die Vorstellungen zu ordnen und ich bin also auch jetzt außer Stande, euch einen Begriff von dem wilden Chaos zu machen, das damals in meiner Seele wogte; nur dies weiß ich noch, daß überall meine Blödsinnigkeit den Reihen anführte und schloß. Wie eine drückende Last fühlte ich sie, und war mir keines lebhaftern Wunsches bewußt, als sie abzuschütteln.

Der Gram betäubte endlich meine Sinne, und ich entschlief. Da war mir's im Traume, als tönte über mir eine heisere Stimme: Willkommen hier zur glücklichen Stunde, im Schatten meines Baumes! Wohl hast du die Zeit getroffen, wo ich Gnadenbezeugungen austheile; was verlangst du von mir? – –

Ich fuhr aus dem Schlafe auf, mein Herz klopfte hörbar in meinem Busen, ich war heftig erschrocken, und fühlte mich seltsam ergriffen.

[35]

Mein Verstand war zu schwach, über das, was ich gehört hatte, zu grübeln; ich schlug es aus dem Sinne, und bemühte mich von Neuem einzuschlagen. Endlich gelang es, und so wie der Schlummer sich wieder auf meine Augen senkte, ertönte auch die nämliche Stimme mit den nämlichen Worten in mein Ohr. – Ich erwachte wieder, schlief wieder ein, und dieß wiederholte sich die ganze Nacht hindurch bis zu Tagesanbruch, wo ich mir den Schlaf ernstlich aus den Augen rieb, weil mir es ungelegen war, einen so oft beunruhigten Schlummer noch einmal zu beginnen.

Auf dem Kloster tönte das silberne Glöcklein. Es geschah dies zu Ehren des Tages St. Petri und Pauli, dessen Vorabend wir heute feiern. Ach, seufzte ich bei mir selbst, welch einem Tage sehe ich entgegen! Für Alle ist er ein Festtag, aber für mich? – Ach, wenn ich die Stimme, die ich im Traume vernahm, wachend hören könnte, ich wüßte wohl, was ich antworten, wüßte wohl, was ich bitten wollte!

Und was würdest du bitten? – rief es zu mir herab.

Anfangs ein wenig über diese Frage erschrocken, wußte ich mich doch schnell zu fassen, und bald von einem freudigen Gefühle ergriffen, antwortete ich: Um Klugheit, um Verstand und um die Gabe der Wohlredenheit bitte ich!

Steige auf den niedrigen Aesten zu mir empor, ertönte es wieder, versuche mich dreimal zu küssen, und sei dann der Erfüllung deines Wunsches gewärtig!

[36] Wahrscheinlich muß das Verlangen nach Klugheit schon der erste Schritt zur Erlangung des gewünschten Gutes sein. Ich fühlte in diesem Augenblicke nichts von dem blödsinnigen Erstaunen, das der Einfalt bei jedem gewöhnlichen Vorfall eigen ist. – Ich sah mich um, wohin ich mit meiner Umarmung kommandirt wäre. Ich erblickte ohngefäht sieben Fuß über der Erde, in den Stamm des Baumes eine kleine Nische hineingearbeitet, mit einer Gruppe von Figuren, die die Spuren des höchsten Alterthums tragen; auch weiß ich, so oft ich es auch seitdem beschaut habe, noch bis auf den heutigen Tag nicht, was das Schnitzwerk vorstellt, ob die armen Seelen im Fegefeuer, oder eine Madonna von Engeln umringt, oder die heiligen eilftausend Jungfrauen.

Ich stieg auf den niedrigen Zweigen des Baums hinauf, so gut ich konnte, und küßte, weil ich eigentlich nicht wußte, wer der Ich war, der mit mir redete, die Figuren alle der Reihe herum. Die Begierde nach vollkommener Erreichung meines Wunsches machte mich so eifrig in Erfüllung des mir Anbefohlenen, ich wiederholte meine Küsse so oft, daß ich endlich das Gleichgewicht verlor, und auf die Erde niederstürzte.

Hier lag ich in einer Betäubung, oder in einem Schlummer so lange, bis ich von mehrern Händen an gerührt, von mehrern Stimmen geweckt wurde. Es waren die Mönche meines Klosters. So gering sie mich auch schätzten, so war ihnen doch der Unfall, der mich in dieser Nacht betroffen haben konnte, nicht gleichgültig. [37] Man hatte nach mir gefragt. Der Schaffner hatte wegen seiner Härte gegen mich einen Verweis bekommen, denn ich war ein gutwilliges, Alles ertragendes Lastthier, das man nicht gern missen wollte. Man suchte mich, man fand mich; aber, o Himmel, in welcher Gestalt! Die Wirkung von dem nächtlichen Abentheuer ließ sich eher von außen wahrnehmen, als ich sie von innen merkte. Daß es ein wenig anders in meinem Gehirn stehe, als bisher, hätte ich wohl allenfalls aus meinen besser geordneten Träumen schließen können, doch spürte ich erst wenig von dem vollen Besitze der Weisheit, die ich mir erfleht hatte. Hingegen mit meinem Aeußeren war es etwas ganz anderes; die unbekannten Mächte, die sich für mich verwendeten, hatten es für gut erachtet, meinem Gesicht ein Siegel ihrer Huld aufzudrücken, und dadurch den Mönchen gleich zu Anfang Respeckt einzuflößen.

Ob die Talente, mit den ich begnadigt worden war, – ein Schatz, dessen ich mir damals noch selbst nicht bewußt war, – sich in allen meinen Gesichtszügen ausdrückten, weiß ich nicht; das Verwunderungsgeschrei der Mönche, das mich erweckte, bezog sich vornehmlich auf einen kleinen goldnen ringförmigen Kreis, der meine Lippen umzog, und mir ein so auffallendes Ansehen gab, daß wohl andre Leute als meine Klosterherren dadurch würden in Verwunderung gesetzt worden sein.

Sie suchten mich vollends, doch auf eine etwas ehrerbietigere Art als bisher, zu ermuntern; sie nannten mich Bruder, entschuldigten meine gestrige Verweisung [38] aus den heiligen Mauern, versicherten, daß von der verlornen Axt gar nicht mehr die Rede sei, und erschöpften sich in Fragen über das, was mir diese Nacht begegnet, und was die Ursache der Zierde sein möge, die meinen Mund umzog, und von der mir selbst noch nichts bewußt war. – Ich wußte mich so gut zu fassen, so anständig zu betragen, daß ich jetzt selbst die Veränderung, die in mir vorgegangen war, zu fühlen begann. Ich antwortete den Herren nur das, was ihnen zu wissen noth war, und auch hierin zeigte sich meine neuerlangte Klugheit. Eine jede neue Antwort vermehrte die Achtung, die man jetzt für mich hegte, man wußte nicht, wie man mit mir daran war, man schwieg endlich gar, und führte mich mit stiller Feierlichkeit in das Kloster zurück.

Von diesem Tage an rechne ich eigentlich mein wahres Leben. Nichts gleicht dem Entzücken, das volle Licht der Wahrheit und Wissenschaft zu genießen, wenn man vorher die Nacht der Unwissenheit so gekannt hat wie ich. Ich lernte schnell, oder vielmehr, ich erinnerte mich dessen wieder, was man sich bisher vergebens bestrebt hatte, mir beizubringen; denn Alles dies fand sich in meiner Seele wie ein heimlicher Schatz verborgen, und der Kenntnisse noch viel mehr, die sich wie aus mir selbst entwickelten.

Euch mehr hiervon zu sagen, würde Ruhmredigkeit sein; ich eile deswegen zum Schluß meiner Geschichte. Ich war für mehrere Jahre der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung, des allgemeinen Zulaufs. Das Kloster [39] kam durch mich in Ruf. Ich war der Abgott meiner Ordensbrüder, und – der Gegenstand ihres heimlichen Neides. Alle diese Wirkungen meiner Gaben waren mir lästig, sie störten meine Ruhe, und nahmen mir die Muse zum Studiren. Ich haßte das Zeichen, das mich zu einem Gegenstande der Bewunderung machte, und hätte es herzlich gern abgelegt.

Um diese Zeit erfuhr ich in Betreff meines Abentheuers bei der alten Eiche, daß sich hier aller fünf Jahre, am Tage St. Petri und Pauli, etwas Aehnliches zutrage. Welchen Heiligen das Gnadenbild in der Nische des Baumes vorstelle, konnte ich nie erfahren, aber so viel ist gewiß, daß derjenige, welchen Zufall oder Absicht zur rechten Zeit und Stunde an den geweihten Ort führt, die Gewährung einer möglichen Bitte gewärtigen kann.

Ich benutzte die erlangte Kunde augenblicklich, denn es sollten am nächsten Tage gerade fünf Jahre werden, daß ich an der wunderbaren Eiche zu einem neuen Leben geboren ward. Ich ging in der Morgendämmerung des Tages Petri und Pauli nach dem mir theuren Orte, und flehte mit gebeugten Knieen: Heilige des Himmels, sprach ich, oder welch' andre unsichtbare Macht hier ihre Gaben ausspendet, laß mir, was du schenktest, und vermehre es, so du willst, noch zehnfach, denn der Durst nach Wissen ist unendlich; aber nimm das Zeichen zurück, das mich dem allgemeinen Angaffen aussetzt. Der goldne Ring um meine Lippen verwandle sich in die gewöhnliche Zierde des [40] Mannes, den Bart, den ich Alters wegen zu tragen nun wohl berechtigt bin!

Als ich so gesagt hatte, schwieg ich und erhob mich. Zwar war mir keine Antwort geworden, aber die Erfüllung meiner Bitte blieb nicht außen. Der goldne Glanz verschwand allmählig von meinem Munde, und weiches Haar sproßte hervor, daher auch meine Klosterbrüder, die mich bisher nur den Guldimund genannt hatten, diesen Namen in den Namen des Mönchs mit dem kleinen gelben Barte umwandelten. Dieser Veränderung verdanke ich die Wiedererlangung meiner Ruhe, und die wahre Vermehrung meines Wissens. Der Guldimund war dahin, und die Worte, die aus ungezierten Lippen gingen, dünkten der Welt nicht mehr Worte übernatürlicher Weisheit zu sein. Man suchte mich nicht mehr auf, man bewunderte mich nicht mehr, aber man beneidete mich auch nicht. Süße Ruhe des Weisen, was ist dir zu vergleichen! Nur die geschäftige Ruhe des Himmels, der wir Alle entgegen eilen! –

Diese heilige Ruhe war mir so lieb, daß ich zweimal den Antrag, Abt meines Klosters zu werden, zurück wieß, und erst jetzt mich habe bereden lassen, diese Würde anzunehmen. Lebt wohl, Ritter, überlegt Alles, was ich euch gesagt habe, und habt ihr ein Körnlein von Weisheit oder Trost für euern Zustand darin gefunden, so nützt es eilig, ehe die rechte Zeit dazu vergeht. Es sind heute gerade zwanzig Jahre, daß ich in diesem Walde [41] zuletzt das Amt eines Tagelöhners versah, und morgen ist das Fest St. Petri und Pauli. –«

Der Mönch schied, und Genebald verfiel in ein tiefes Nachdenken. – Wie man im Sprichwort zu sagen pflegt: die Weisheit hatte er wohl nicht erfunden, aber so einfältig, wie Bruder Chrysostomus vor dem Kusse, war er doch nicht; er hätte es sein müssen, wenn er in der eben gehörten Erzählung nicht Winke hätte verspüren sollen, die ihm wichtig waren.

»Sein damaliger Zustand genau der meinige?« sagte er zu sich selbst, »ja, das ist wahr! O Himmel! Gelegenheit zu ähnlichem Glück! – Aber die alte Eiche? – Sie ist mir nicht unbekannt. – Der Tag St. Petri und Pauli? – Aber fünf Jahre? – Morgen sind es gerade zwanzig! – Aber warum sprach er nicht deutlicher? – Zufall oder eigne Ueberlegung sollen uns dem Glücke entgegen führen! – O nun verstehe ich Alles! Genebald! Genebald! was wirst du bitten? – Rittermuth und Trieb zu Ritterthaten! Besitzt du diese, so kannst du deine Spötter verachten, und dich durch dich selbst wieder empor schwingen! – – –«

Ritter Genebald ging, die Eiche zu finden, die ihm der Mönch mit dem kleinen gelben Barte bezeichnet hatte; es war eben dieselbe, die er zum Zeugen seiner Ritterthaten zu machen pflegte, an deren Aesten sein Schild so oft unter seinen Streichen geschwankt hatte, und deren Kinder, die kleinen Gesträuche, die unter ihrem Schatten aufwuchsen, sein grausames Schwert so oft hatten fühlen [42] müssen. – Ach, sie war auch Zeugin der gestrigen Scenen gewesen, die ihn an den Rand der Verzweiflung gebracht hatten! Lebhaft trat diese Scene ihm vor die Seele, als er jetzt die für ihn so traurige Gegend wieder sah, und noch im Grase einige Spuren des gestrigen Abentheuers fand. Ein neuer Thränenstrom stürzte aus seinen Augen, die er kläglich nach dem Bilde in der Nische empor hob, welches er zehnmal gesehen hatte, ohne es einer besondern Aufmerksamkeit zu würdigen.

»Heilige des Himmels,« rief er, »die du in diesen Schatten wohnst, du hast die Schmach gesehen, die mir in deinem Gebiete widerfuhr, und den übermüthigen Berengar kennst du vermuthlich besser als ich; räche mich und strafe ihn! Doch die Stunde, deine Gnade zu erbitten, ist noch nicht erschienen, bessere Ueberlegung wird mir sagen, was ich zu fordern habe, du zu gewähren hast.«

Ritter Genebald verharrte den übrigen Theil dieses Tages, und die ganze Nacht unter dem Gnadenbilde, um die rechte Stunde, wo etwas bei der unbekannten Macht, die hier residirte, zu erbitten war, nicht zu verfehlen; wie er aber seine Worte anbrachte, und auf was für Art ihm das Gewährte zugestanden ward, ob mit der Zeremonie des Kusses, oder auf andre Weise, darüber haben wir durch keine Tradition Licht bekommen können.

Als der Morgen anbrach, und die Klosterglocke das Fest St. Petri und Pauli einläutete, da verließ Ritter Genebald den Schatten der heiligen Eiche, um die Pläne [43] auszuführen, die ihn jetzt beschäftigten. Er war ein ganz andrer Mann geworden, wie weiland König Saul, da er unter den Propheten einherging und weissagte. Zwar weissagte Genebald nicht, denn er hatte um diese Gabe wohl nicht gebeten, aber ritterlicher Heldenmuth war seine Bitte gewesen, und diesen fühlte er in allen seinen Adern glühen.

Mit ziemlicher Gelassenheit und Ruhe nahm er den Weg nach seinem Schlosse, denn was den Verzagten in Feuer und Flammen setzt, das ist dem Tapfern von keiner Wichtigkeit. Die vorgestern erlittene Beschimpfung fühlte er zwar noch tief genug, um nach Rache zu dürsten, aber doch mehr als eine Beleidigung, die einem Andern zugefügt worden war. Er fühlte wohl, daß er jetzt ein ganz anderes Wesen war, als der Genebald, den Berengar in den Staub streckte, aber auch das empfand er, daß sein Weib und der Ritter jenseit des Waldes strenge Ahndung verdienten, wäre es auch nur, um fernern Beleidigungen vorzubeugen.

War es Hohn, war es Ueberzeugung, zu weit gegangen zu sein, oder Vorgefühl irgend einer bedenklichen Ursache von dem langen Außenbleiben ihres Mannes, das die Dame Hedwig veranlaßte, ihm entgegen zu gehen; wir wissen es nicht. Aus ihrem Fenster hatte sie ihn von Weitem über die Ebene kommen sehen, und war hinabgeeilt, ihn an der Pforte zu empfangen – Genebalds Gesicht, das bei ihr sonst nie ein anderes Gefühl, als Widerwillen, oder Trieb zum Lachen erregt hatte, schreckte [44] sie jetzt. Es war weder zornig noch heiter, aber es zeigte von einer gewissen Entschlossenheit. Ein Blick voll unaussprechlicher Gleichgültigkeit fiel auf sie aus diesen Augen, die sonst nie etwas sagen wollten, und auf einer Stirn, die sonst nur der Sitz eines dummen machtlosen Trotzes war, thronte jetzt ein gewisser Ernst, der Ehrfurcht heischte.

»Wo seid ihr gewesen, mein Theurer?« fragte Hedwig mit zitternder Stimme.

»Ich habe mich ein wenig mit Berengar unterhalten,« war die Antwort.

»O gedenket des Namens nicht mehr, den ich nie wieder nennen werde!« rief die Dame. »Verzeihet vergangene Beleidigungen, die ihr euch wahrlich selbst zugezogen habt; wäret ihr immer gewesen, wie ich euch jetzt sehe, wer hätte sich an euch wagen wollen?«

Genebald antwortete nicht, sondern trat in die Halle, wohin ihm seine Gattin zitternd folgte. Der Hausmeister wurde vorgefordert: »Machet Anstalt,« sagte Genebald mit ruhigem Tone, »zu einer Reise für drei Personen, die in einer Stunde vor sich gehen soll. Eure gnädige Frau hat eine Wallfahrt nach St. Maria zur Linden vor; zwei Zofen werden sie begleiten. Sorgt, daß nichts vergessen werde, was zur Sicherheit und Bequemlichkeit der Dame gehört!«

»Ich soll eine Wallfahrt vorhaben, mein Theurer?« rief Hedwig.

[45] »Ja, gnädige Frau, ihr habt für gewisse Dinge zu büßen; Buße läßt sich nicht besser als im Kloster abthun.«

»Gott, was habe ich verbrochen?«

»Ich bin euer Beichtiger nicht, fraget euer Gewissen!«

Mit diesen Worten verließ Genebald das Zimmer und ging in seinen Rüstsaal. Er wählte einen Harnisch von blanken Stahl nebst Zubehör, ließ sich wappnen, und kehrte in voller Rüstung in die Halle zurück, wo er seine Gemahlin in Thränen fand. – Das: was hab' ich gethan? wurde zehnmal wiederholt, Bitten und Vorstellungen nicht gespart, sogar einige Versuche gemacht, wieder in den alten Ton einzufallen, der Genebalden ehemals zittern machte; Alles vergebens! – Einige nachdrückliche Worte belehrten die Dame, daß ihr kein Unrecht geschähe, einige andere belehrten sie über die Aufführung, die sie inskünftige zu beobachten habe, um ein erträgliches Leben zu genießen, und damit war die Sache abgemacht.

Die bestürzte Hedwig reiste ab, Genebald traf Verfügungen im Schlosse, als wolle er es auf etliche Jahre verlassen, und schwang sich darauf auf sein Roß, um zum Ritter jenseit des Waldes zu eilen und von ihm Genugthuung zu fordern.

Der hagre Ritter jenseit des Waldes war keiner von den größten Helden seiner Zeit; sein Muth bestand eigentlich nur darin, die Frauen gutwilliger Männer zu bestricken, [46] zu trotzen, wo er keinen Gegentrotz besorgen durfte, und überhaupt Unfug gegen die Schwachen zu verüben. Genebald war, was sein Aeußeres anbelangt, durch die von dem Gnadenbilde erlangte Gabe nicht im Geringsten verändert worden; kein goldnes Kennzeichen redete, wie ehemals bei dem Pater Guldimund, von den Vollkommenheiten, die er sich erbeten hatte, und ich weiß deshalb nicht, wie es kam, daß schon sein bloßer Anblick Furcht und Schrecken in die Seele des Mannes goß, der ihn vor Kurzem noch verhöhnt hatte. Es war, als merke er es gleich, daß dieser Körper von einem andern Geiste belebt wurde. Genebalds körperliche Gaben waren überdieß nicht zu verachten; er war ein rüstiger Mann, dessen Arm, wenn Muth ihn regierte, fürchterlich werden konnte. Dieß, was dem hagern Ritter zuvor noch nie eingeleuchtet hatte, fiel ihm jetzt bei Genebalds ersten Worten augenblicklich in die Augen.

Genebald forderte ihn mit kurzen kaltblütigen Worten zur Rechenschaft wegen des vorgestrigen Schimpfes. Der hagre Ritter zitterte, und schlug dem Beleidigten vor, statt die Sache durch die Waffen zu entscheiden, sich gütlich zu vergleichen, indem er nachweisen wollte, daß Genebald sich eigentlich nicht für beleidigt zu erachten habe. Genebald drang indeß auf Entscheidung durch das Schwert. Man kämpfte, und der hagre Ritter wurde so schnell entwaffnet, als Berengar neulich seinen Gegner entwaffnete. Genebald verachtete seinen Ueberwundenen so herzlich, als er ehemals in ähnlicher Lage verachtet worden war. Er [47] forderte eine Erklärung von ihm über das Abentheuer im Walde; der Verzagte zögerte nicht, seine Geliebte zu verrathen, und zu gestehen, daß Genebalds übermüthiger Ueberwinder kein anderer gewesen sei, als sein eignes Weib. Genebald, zu stolz seinen Besiegten zu tödten, legte ihm als Strafe nur das Versprechen auf, ein ganzes Jahr lang auf den Gebrauch seines Schwertes zu verzichten, was der Besiegte nicht allein feierlich gelobte, sondern in der Bestürzung dieß Versprechen sogar auf sein ganzes Leben ausdehnte.

Genebald stieß sein Schwert in die Scheide, und verließ die Burg seines verächtlichen Gegners. »Bis jetzt,« sagte er zu sich selbst, »weiß ich noch nicht, ob mich die Gnadenverheißungen der Heiligen im Walde getäuscht haben oder nicht. Was habe ich gethan, das ich nicht als der alte Genebald eben sowohl hätte thun können? Gehört denn so gewaltig viel Muth dazu, ein treuloses Weib in's Kloster zu schicken, und einen Verzagten zu besiegen?«

Der Ritter sollte bald inne werden, daß mehr in ihm wohnte, als er sich zur Zeit noch selbst zutraute, wo er bloß den Willen zu allerlei tapfern Thaten in sich spürte, ohne noch die Fähigkeit dazu erprobt zu haben. Das Bekenntniß des hagern Ritters jenseit des Waldes, daß sein treuloses Weib und der übermüthige Berengar eine Person wären, hatten ihm die Dame Hedwig vollends ganz verleidet, und er beschloß deshalb, nicht eher wieder auf seine Burg zurückzukehren, als bis er [48] sich im Auslande völlige Vergessenheit des Vergangenen geholt habe.

Er zog zum Kaiser. »Gnädigster Herr,« sagte er, »euer Vorfahr hat mir einst den Adel und Ritter Markards, dessen Tochter ich freite, edeln Namen für Geld und gute Worte zugestanden; ich komme, euch die Gabe wieder zu geben, weil solch erkauftes Gut mir nicht länger behagt. Aber hier ist mein Schwert; könnt ihr's in euern Kriegen brauchen, so bin ich bereit, euch den Sieg, und mir den Adel damit zu erkämpfen, damit ich mich hinführo meines Verdienstes, und nicht kaiserlicher erkaufter Gnade zu erfreuen habe.« – Der Kaiser war eben im Begriff, wider den Ziska zu ziehen; der rüstige Genebald, der sich anheischig machte, in bestimmter Zeit ein Fähnlein Knechte zu stellen, war ihm willkommen. Doch gab es Ohrenbläser, die dem Kaiser viel Nachtheiliges von dem Eidam Ritter Markards zuzuflüstern wußten, das zwar wohl von dem ehemaligen Genebald, keinesweges aber von dem gegenwärtigen wahr sein mochte. Zum Glück hatte der brave Mann bald Gelegenheit sich zu zeigen. Auf einem Turniere, das in wenig Tagen bevorstand, gewann er die beiden ersten Danke, und brach nebenbei noch einige scharfe Speere mit den Ungewogenen, die ihn der ehemaligen Feigheit zeihen wollten, und die nun durch seinen Arm ganz anders belehrt wurden.

Jetzt lernte Genebald erst den Umfang seiner erlangten Talente schätzen. Der Beifall der Welt, noch weit [49] mehr aber die eigne Selbstschätzung, die vom Verdienste unzertrennlich ist, mehrten seinen Muth und machten ihn zu noch größern Thaten fähig. – Im nächsten Feldzug erntete er reiche Lorbeeren, der Kaiser verdankte ihm einen seiner wichtigsten Siege fast ganz allein. Als er im nächsten Jahre abermals wider den Erbfeind auszog, war Ritter Genebald wiederum an seiner Seite; er rettete kaiserlicher Majestät das Leben, hielt sich brav bei Einnahme einer Festung, und kehrte mit Ruhm und Beute beladen zurück.

Das Waffenspiel begann dem Helden so zu gefallen, daß er davon nicht lassen konnte. Die Jahre, die er sich zur Abwesenheit aus seinem Vaterlande festgesetzt hatte, waren längst verflossen, und er dachte noch an keine Heimkehr, hätte auch wohl Zeitlebens nicht daran gedacht, wenn ihm nicht die abnehmenden Kräfte gesagt hätten, daß er binnen den achtzehn Jahren, die er abwesend war, gealtert habe. Als er auf Abentheuer auszog, stand er zwar in der Blüthe seines Lebens und hatte kaum das dreißigste Jahr zurückgelegt, aber unter den Waffen wird man früher grau als hinter dem Ofen, und das Blut, von Feindesschwert aus den Adern gezapft, ersetzt sich nicht so leicht wieder; daher Genebalds gelegentliche Gefühle von Schwäche, daher seine Sehnsucht nach Ruhe, die ihn antrieb, das Getümmel der Waffen, das Geräusch des Hofes zu verlassen, und den Abend des Lebens auf seiner Burg friedlich und in der Stille zu genießen. Der Adel war längst erkämpft des Kaisers Gunst und der [50] Beifall der Welt war sein Eigenthum, an guter Beute hatte es auch nicht gefehlt. Auf Genebalden ruhte der Geist seines Vaters; er wußte zu sparen, das Ersparte zu mehren, und konnte hoffen, viel reicher in seine Burg einzuziehen, als er dieselbe verlassen hatte. Hätte er sie wohl unter günstigeren Verhältnissen wiedersehen können?

Endlich ließ sich der Kaiser bereden, ihn zu entlassen; er selbst dachte einige Zeit zu Goslar zu hausen, weil im ganzen Lande Friede war, und er konnte es daher seinem Ritter nicht verdenken, daß auch er auf stillen Genuß des Lebens in seinem Eigenthum dachte. Er erhob ihn in den Grafenstand und ließ ihn ziehen.

Herr Genebald würde vielleicht nicht mit so viel Vergnügen an die Heimkehr gedacht haben, wenn er gewußt hätte, daß er seine Gemahlin wiederfinden würde, und sich ehrenhalber hätte entschließen müssen, mit ihr zu leben. Genebald hatte entweder sein ehemaliges Gebet bei der heiligen Eiche nicht recht eingerichtet, oder die daselbst regierende Macht hatte ihn zur Strafe wegen des in ihrem Schatten verübten Unfuges absichtlich betrogen. Rittermuth und Tapferkeit hatte sie ihm zwar überflüssig gegeben, aber kein edles Ritterherz; er konnte wohl Beleidigungen rächen, aber keine vergeben, und es würde ihm daher unleidlich gewesen sein, auch nach so vielen Jahren seine Beleidigerin wieder zu sehen und sie um sich dulden zu müssen.

Ihm dieser Verlegenheit zu überheben, hatte der Tod gesorgt; Frau Hedwig hatte seit einem Jahre das[51] Zeitliche gesegnet, und eine Tochter, die sie bald nach Genebalds Auswanderung geboren hatte, war in eben dem Kloster, wo sie das Licht der Welt erblickte, bisher erzogen worden. Genebalds Haß erstreckte sich nicht von der Mutter auf das Kind, er erkannte die schöne Emma für seine Tochter, und nachdem er sich auf seiner Burg eingerichtet hatte, war es eines seiner ersten Geschäfte, nach St. Maria zur Linden zu ziehen, und das Fräulein von da zu sich zu holen, damit sie an seiner Seite dem Brautkranze vollends entgegenreife, und ihn zu allen Glückseligkeiten, die er genoß, noch die Freude mache, durch sie mit irgend einem hohen und reichen Hause verschwägert zu werden.

Emma sah der Ankunft ihres Vaters mit Zittern entgegen. Die Schilderung, die ihr ihre Mutter immer von ihm gemacht hatte, war nicht so beschaffen gewesen, daß sie Liebe erregen konnte. Seine Härte, die gänzliche Unbekanntschaft mit ihm, Alles kam zusammen, Vorurtheile gegen ihn zu nähren, die nie ganz zu tilgen waren, und die in der Folge vielleicht einigen ihrer Handlungen zur Entschuldigung dienen können. Indessen lag es in ihrem Interesse, ihm zu gefallen, die Aebtissin, welche die Welt kannte, unterrichtete sie ein wenig, was sie zu thun habe, und die Maasregeln glückten so gut, daß der alte Herr gleich auf den ersten Anblick ganz von seiner Tochter eingenommen war. Ihre Schönheit begünstigte die geld-und ehrgeizigen Hoffnungen, die er auf sie baute, und ihr sanftes gefälliges Wesen bezauberte ihn. [52] Sanftmuth und Gefälligkeit hatte sie in der Klosterzucht, unter den Augen der eigensinnigen mürrischen Hedwig, wohl lernen müssen, und indem sie unter die Aufsicht ihres Vaters trat, erhielt sie neue Gelegenheit, diese Tugenden zu üben.

Genebald liebte seine Tochter, er ließ es ihr an nichts fehlen, was seinen Stolz und ihre Eitelkeit befriedigen konnte, aber es lag nur allzusehr am Tage, daß sie diese Gunstbezeugungen mit ihrer Freiheit erkaufen sollte. Es war ihm nicht darum zu thun, sich des Herzens eines Mädchens zu versichern, das sich ganz an ihn gefesselt haben würde, hätte er es zu gewinnen gewußt, oder ihre Gesellschaft und kindliche Pflege zu genießen; nein, sie so bald als möglich von sich zu entfernen, indem er durch ihre Schönheit seinem Hause irgend eine hohe oder reiche Verbindung erkaufte, dies war sein Bestreben, und er versäumte keine Zeit, die ersten Schritte zur Ausführung dieses Planes zu thun.

Der erste Hoftag zu Goslar sah ihn und die schöne Emma mit aller Pracht, die ihm sein Rang und sein Reichthum erlaubten, erscheinen. Er sparte nichts, die Reize seiner Tochter zu heben, und die Vortheile, die mit ihrem Besitz verbunden waren, laut werden zu lassen. Der Anschlag glückte. Emma's Schönheit bestrickte zwanzig Herzen, und der Reichthum ihres Vaters noch mehrere. Kaum war man in die Stille des einsamen Waldschlosses zurückgekehrt, so stellten sich Freier in großer Anzahl ein, die um die Hand des Fräuleins warben, und – sämmtlich [53] mit Körben zurückgeschickt wurden, weil keiner für die merkantilischen Spekulationen Genebalds, der auch im Grafenstande den Sohn des Haushofmeisters noch nicht verleugnen konnte, wichtig genug erfunden ward.

Emma's Herz begann ruhiger zu schlagen; es hatte für keinen der Herren gesprochen, die nach ihrer Hand strebten, aber gleichgültig war es darum nicht. Auf dem letzten Turniere hatte ein Ritter den Preis gewonnen, der Alles übertraf, was sie sich je von den Vollkommenheiten eines Jünglings geträumt hatte. Der Zufall fügte es, daß er bei Spiel und Tanz oft in ihre Nähe kam, was die im Stillen Liebende für ein gutes Vorzeichen hielt. Aber ach! unter den Brautwerbern war er nicht, und Emma schloß daraus, daß sie leider Recht gehabt habe, als sie glaubte, in seinen Blicken nichts als Kaltsinn zu lesen. Ein tiefer Kummer erfüllte jetzt das Herz des zärtlichen Mädchens, mancher Tag wurde vertrauert, manche Nacht verweint, und Manches ausgedacht, um den Geliebten zur Erwiederung einer Liebe zu veranlassen, von der sie sich so heftig ergriffen fühlte. –

Bei der nächsten Reise nach der kaiserlichen Hofburg, die Genebald, um neue Netze auszustellen, nicht lange verschob, hatte Emma Gelegenheit, den blanken Ritter, – (so nannte man ihn durchgängig wegen seiner Waffen) – wieder zu sehen. Heldenthaten zeichneten ihn wieder vor allen andern Rittern aus; er war indeß nicht allein tapfrer, sondern erschien auch schöner als jemals. Jedermann bewunderte ihn, und alle Damen sagten; Es ist [54] Schade um den blanken Ritter, daß er arm ist, kein Fräulein würde ihm sonst ihr Herz, kein Vater seine Tochter versagen.

Das wußte Emma noch nicht, daß Ritter Wilhelm arm war, aber sie dachte edel genug, um über diese Entdeckung eher Freude als Schmerz zu fühlen. Sie hatte jetzt die frohe Gewißheit, daß sie ihm nicht länger gleichgültig war, und ihr gutes Herz floß von Entzücken über, wenn sie sich vorstellte, ihn nicht allein durch ihre Person, nein, auch durch eine stattliche Mitgift, die sie von der Liebe ihres Vaters zuversichtlich hoffte, glücklich machen zu können.

Bald kam ein Einverständniß zwischen den jungen Leuten zu Stande, man sah sich möglichst oft, man gewann sich mit jedem Tage lieber, man gestand es sich, machte seine Pläne, und fand in allen Dingen gute Vorbedeutungen, daß sie ausführbar sein würden. Als ein besonders glücklicher Umstand wurde die nahe Nachbarschaft betrachtet; es fand sich nämlich, daß des Ritters kleines Schloß in dem nämlichen Walde lag, wo sich die stolze, im vorigen Jahre neu erbaute Burg Graf Genebalds befand.

Man baute auf diesen Umstand die Hoffnung, sich fleißig zu sehen, und gedachte dann in manchem traulichen Gespräch Mittel und Wege auszusinnen, wie man sich das höchste Glück des Lebens verschaffen könnte.

Nichts war leichter als dieses. Das Hoflager zu Goslar war zu Ende, der blanke Ritter kehrte auf sein[55] Schloß, der alte Genebald mit seiner Tochter auf seine Burg zurück, der Wald, der zwischen beiden lag, gab Gelegenheit zu fleißigen Spaziergängen, man traf sich dann ganz von ungefähr, und hatte sich kaum zum drittenmal auf diese Art gesehen, als man einig war, daß die Brautwerbung nun nicht länger verschoben werden, sondern Ritter Wilhelm sich des nächsten Tages bei dem alten Grafen einfinden sollte, um die Hand der schönen Emma von ihm zu fordern.

Der blanke Ritter, der die Welt etwas besser kannte, als das junge Fräulein, hatte einige Zweifel wegen des guten Erfolges, doch hochherzige Liebe, die alle Hindernisse verachtet, und Emma's gute Vertröstungen gaben ihm Muth.

»Herr Graf,« sagte er, als er des anders Tages verabredeter maßen bei Genebald einsprach, »ich habe eine ehrliche Liebe zu eurer Tochter gefaßt, mein Glück steht in eurer Hand, versagt es mir nicht. Die Verbindung mit mir wird euch nicht reuen, ihr kennt meine Geburt und meinen Namen; beides giebt mir vielleicht einigen Anspruch auf eure Achtung. Auch in Ansehung der Glücksgüter bin ich nicht ohne Hoffnung für die Zukunft, und was die Gegenwart anbelangt, so würde mein Schwert hinlänglich sein, eine Geliebte zu nähren, die noch weniger besäße als ich, wie vielmehr die Tochter eines reichen Grafen.«

»Herr Ritter,« antwortete Genebald, »ich begreife es wohl, daß man meine Emma lieben kann; sie ist[56] jung, schön und tugendhaft, auch besitzt sie einige noch untrüglichere Hoffnungen als andere Leute; denn als meine einzige Erbin hat sie ein Vermögen zu hoffen, das nicht klein ist. Unter solchen Verhältnissen kann sie sich wohl auf einen Fürsten Rechnung machen, und auf einen solchen wollen wir einstweilen auch warten. Wenigstens habe ich nicht darum meine Tochter so manchem großen Manne abgeschlagen, um sie dem blanken Ritter zu geben, der ihr kein anderes Leibgedinge verschreiben kann, als sein Schwert, das ihm wohl noch wenig Beute eingetragen haben mag, sonst würde er gewiß schon längst auf eine bessere Wohnung gedacht haben, die Tochter eines Grafen zu beherbergen, als er gegenwärtig hat.«

Der blanke Ritter achtete die übermüthige Antwort keiner Erwiederung werth. Er verließ Genebalds Burg in grimmigem Zorne, und murmelte zwischen den Zähnen: »so konnte nur der Sohn des Haushofmeisters Genebald einen edeln Ritter mit zwei und dreißig Ahnen zurückweisen.« – Graf Genebalds Herkunft, und seine ganze Geschichte war nämlich noch bekannt genug in dieser Gegend, und der Ruhm seiner Tapferkeit, mit welcher er die Flecken jener zudeckte, hätte ihm nur dann zur vollkommenen Hülle dienen können, wenn er mit derselben andere adelige Tugenden verbunden hätte. Aber Geldstolz, Geiz, Kargheit, Uebermuth, und thörichtes Streben nach unerreichbarer Größe sprachen noch zu deutlich von seiner niedern Geburt, als daß man sie ganz hätte vergessen können.

[57] Ritter Wilhelm überließ sich der Verzweiflung, die schon damals gern mit Gedanken von Blut und kaltem Eisen umging, doch mit dem Unterschiede, daß sie mit diesen Mordgedanken selten auf das Herz zielte, wovon sie Besitz genommen hatte, sondern ihnen gern andere Gegenstände darbot. Die Ungläubigen im Morgen- und im Abendlande waren das Ziel, woran schon mancher vom Glück Verlassener seinen Unmuth hatte austoben lassen, und manches Feuer unglücklicher Liebe war schon im Heidenblute gelöscht worden.

Dieses Remedium war es auch, das der blanke Ritter sich zum Heilpflaster für seine Schmach wählte. Er schrieb an seine Geliebte: »Lebe wohl, Emma, dein Vater verstößt mich! Unter Feindesschwert suche ich dich zu vergessen! Vermag ich's nicht, so siehst du mich in vier Jahren wieder, vielleicht, daß dann glücklichere Gestirne uns leuchten! Frei finde ich dich dann noch gewiß, denn dein Vater will deine Hand keinem Andern, als einem Fürsten gewähren.«

Herr Wilhelm hatte recht geweissagt. Emma verweinte vier einsame Jahre, am meisten bekümmert durch den Entschluß ihres Geliebten, einen Versuch zu machen, sie zu vergessen. Sie zitterte bei jeder neuen Werbung, die um ihre Hand geschah, aber sie blieb frei, denn kein Fürst wollte sich melden. Nicht als ob Emma nicht schön genug gewesen wäre, selbst eine Krone zu tragen, aber es fanden sich in ihrer Ahnentafel einige Makel, die uns wohl bekannt sind, und die damals kein regierender [58] Herr übersehen durfte, wenn er auch gern gewollt hätte.

Um diese Zeit erreichte Emma ihr drei und zwanzigstes Jahr, in den damaligen Zeiten ein verrufenes Alter für eine Jungfrau; mochte sie auch so schön sein wie Genebalds Tochter, so mußte sie doch dann ihre Erwartungen etwas herabstimmen. Selbst der alte Herr fühlte dies, und gelobte sich, er wolle die Fürstenidee in aller Stille aufgeben und jetzt mit seines Gleichen, mit einem Grafen, als Eidam zufrieden sein.

Der blanke Ritter kam von seinen Kreuzzügen mit Ruhm, Ehre, und einiger Beute beladen zurück. Seine Wuth und Verzweiflung hatte er wider die Ungläubigen austoben lassen, aber weder Sarazenen- noch Preußenblut 1 hatte die Glut der Liebe auszulöschen vermocht. Zeit und Abwesenheit, die heut zu Tage auch die heftigste Liebe dämpfen, hatten bei ihm nur dazu beigetragen, seine Neigung zu der schönen Emma noch zu steigern. – Graf Genebald war nicht der letzte, der des blanken Ritters Wiederkunft erfuhr, und weil er nur zu sehr an seine Beständigkeit und Treue glaubte, auch wohl an Emma's nie versiegenden Thränen sah, wie es in ihrem Herzen stand, so fürchtete er Gefahr, verschloß das Fräulein auf ihrem Kämmerlein, besetzte alle Thüren des [59] Schlosses mit treuen Wächtern, und befahl, daß man die Zugbrücken weder bei Tag noch Nacht niederlassen sollte, damit keine heimliche Zusammenkunft, keine gewaltsame Entführung vorfallen, und der Schatz, den er bewahrte, dem gehofften Grafen unverletzt aufbehalten werden möchte.

Emma, die bei ihrer Eingezogenheit wohl nicht so leicht etwas von der Rückkunft ihres Geliebten würde erfahren haben, ahndete aus diesen Vorkehrungen die Wahrheit, und ließ, da der Ausgang zu den Thoren verwehrt war, sich desto fleißiger am vergitterten Fenster sehen, in der Hoffnung, dafern Herr Wilhelm wirklich zurückgekehrt sei, und seine, dem Zufall Preis gegebene Treue, durch ein Wunder unverletzt wieder mit herüber gebracht hätte, er wohl trachten würde, sie zu sehen, sollte es auch nur durch das eiserne Netzwerk sein, das ihr die freie Aussicht verwehrte.

Was sie gehofft hatte, geschah; der blanke Ritter ritt des Tages, ein, zwei, wohl auch dreimal vorüber, gab Zeichen seiner Gesinnungen von sich, und trieb das Ding so bunt, daß Genebalds Laurer es endlich inne wurden, und es ihrem Herrn hinterbrachten.

Augenblicklich wurde die hochgräfliche Hofhaltung von der neuen Burg in das alte Schloß verlegt, das Genebald ehemals mit Frau Hedwig bewohnt hatte. Es lag noch tiefer hinein in den Wald, war weiter von Wilhelms Rittersitz entfernt, besser befestigt, und die verschlungenen Pfade, die dahin führten, waren fast unzugänglich [60] gemacht. Das höchste Vertrauen setzte der alte Herr auf eine dreifache Dornhecke, auf den sumpfigen schilfreichen Schloßgraben, der von derselben umgeben wurde, und auf eine ziemlich hohe Mauer, die noch zu übersteigen war, wenn ein kühner Wagehals auch die beiden andern Hindernisse überwunden hatte. Zudem hatte das Schloß alle Fenster einwärts nach einem geräumigen Hofe, und von außen war nichts zu sehen, als einige enge Luken, aus welchen kein Fräulein schauen, und mit den vorüberziehenden Rittern liebäugeln konnte.

In den ätherischen Regionen soll es besondere Schutzgeister geben, die einzig darauf sinnen, Einverständnisse zwischen getrennten Liebenden anzuspinnen und zu unterhalten. Ein solches gutmüthiges Wesen mußte zwischen Herrn Wilhelm und seiner Emma geschäftig sein, sonst wüßten wir nicht, wie es ihm möglich gewesen wäre, den Ort ihres Aufenthalts zu finden, und ihr Botschaft zu thun, wie man sich nicht allein sehen, sondern auch sprechen könne.

Das schlaue Fräulein, das auf dieser Burg, wegen den mächtigen Außenwerken derselben, weniger streng gehalten wurde, als früher auf dem neuen, leichter und modischer gebauten Schlosse, dieses schlaue Fräulein Emma, sagen wir, schlich, wenn sie unbemerkt war, so lange an der äußern Mauer herum, stieg so lange in alle Souterrains hinab, und durchspähte die verborgensten Winkel der alten Veste, bis sie endlich gewiß ward, daß ihr Herr Vater sich irrte, wenn er den Zugang über die [61] Zugbrücke für den einzigen Weg hielt, in das Schloß, und aus demselben zu gelangen. In einem Winkel der Grundmauer war eine gewisse kleine Pforte, die vor Alters wohl schon zu mancherlei verbotenen Dingen gedient haben mochte, und die jetzt von der Liebe zu Erneuerung der alten Bestimmung geweiht wurde. Sie hatte den einzigen Fehler, daß sie ein wenig verfallen war, und an keinen andern Ort, als auf den sumpfigen Graben führte; auch hatte Emma keinen Schlüssel zu der halb versunkenen, halb verquollenen Pforte. Doch dies hatte nichts zu sagen, denn in der Pforte befand sich eine fast sechs Zoll weite Oeffnung, durch welche sich ein paar Liebende sprechen, einander die Hände reichen, auch wohl in mondhellen Nächten einen Schimmer von den beiderseitigen Augen sehen konnten; eine herrliche Bequemlichkeit, bei welcher nichts weiter zu bedenken war, als wie der Liebhaber über die Dornhecke und den Graben kommen, und wo er, wenn er an Ort und Stelle war, festen Fuß fassen sollte, um sich mit seiner Dame zu unterhalten.

Wir wiederholen es nochmals, daß es uns unbekannt ist, durch welches Mittel das Fräulein dem blanken Ritter von der gemachten Entdeckung Botschaft that; nur so viel wissen wir, daß er sie mit Freuden empfing, des Ortes Gelegenheit bald darauf selbst in Augenschein nahm, und auf die erlangte Kunde so kluge Vorkehrungen baute, daß man sich mehrere Nächte hinter einander ohne sonderliche Gefahr sprechen, und Maaßregeln zu noch bequemern[62] Zusammenkünften nehmen konnte; denn sich nur sprechen, nicht sehen, sich nur die Hand reichen, nicht küssen, dieses, meinte der erste Erzähler dieses Märchens, sei eine Sache, die ein paar Liebende, wie der blanke Ritter und seine Emma nicht lange aushalten konnten.

Derjenige, der Mittel gefunden hatte, die Zusammenkünfte auf dem sumpfigen Graben an der verquollenen Pforte leicht und anmuthig zu machen, wußte Rath zu noch mehreren. Er machte sich anheischig, die alte Thür ohne Schlüssel zu öffnen, so daß man gemächlich aus und eingehen könnte. Das Fräulein willigte ein, doch nur unter drei Bedingungen; erstens, daß Herr Wilhelm nicht daran denken sollte, herein zu kommen, denn sie hielt es wider die Pflicht einer ehrlichen Dame, den Mann, der von ihrem Vater als ein Feind angesehen wurde, in seine Burg zu bringen; zweitens, daß, wenn sie zu ihm hinaus ginge, er nie an Entführung oder irgend etwas ehrenkränkendes denken, sondern sie drittens allemal eine Stunde vor Tagesanbruch wieder in die väterliche Wohnung geleiten sollte.

Diese Bedingungen wurden angenommen und beschworen, Hebel und andere Werkzeuge darauf angesetzt, und das kleine Schlüpfpförtchen so geschickt geöffnet, als wenn Herr Wilhelm auf seinen Reisen sich einzig solcher Kunststücke befleißigt hätte, während doch dieses sicher das erste Mal war, daß er dergleichen übte.

Der Mond schien hell durch die geöffnete Pforte in die Souterrains, das Fräulein ging aus denselben hervor, [63] schön wie das Gestirn, das sie lieblich anglänzte, und dem Ritter alle Reize, die er ehemals an ihr kannte, weit vollkommener, als er sie erblickt haben wollte, sichtbar machte.

Er faßte sie in seine Arme, und beförderte sie auf eben die Art über den Graben, und die Hecke hinüber, wie er herüber gekommen war, denn man war der tödlichen Gerüche des Sumpfes überdrüßig, und wollte sich in der mondhellen Nacht durch Spaziergänge im Walde ein wenig ergötzen, bis der Morgenstern dem Fräulein zur Rückkehr in ihr Gefängniß winkte. Das Roß, das den Ritter allemal zu diesem Abentheuer herübertrug, ward von der Dornenhecke losgebunden, und am Zügel mitgeführt, weil man, wie Wilhelm meinte, nicht wissen könnte, wo man seiner nöthig hätte; es war ein artiges, zahmes Geschöpf von heller Silberfarbe, dessen wir nicht ohne Ursache so umständlich gedenken.

Das Kunststück glückte, und ward fleißig praktizirt. Das Fräulein befand sich bei den nächtlichen Spaziergängen noch glücklicher als der Ritter, der, mit der Gegenwart nicht so zufrieden wie sie, immer noch nach mehrerem Glück zeigte, und die Zeit nicht erwarten konnte, wo er sie ganz die Seinige würde nennen können.

»Ich bin nicht ohne Hoffnung,« sagte er einst, »daß dies geschehe, bald geschehe. Mein Oheim ist der Graf von Regenstein, ein unvermählter, kinderloser Herr, dessen einziger Erbe ich bin. Er hat mir seit meiner Wiederkunft mehrmals gesagt, ich sollte mich verheirathen, [64] und mir dabei versprochen, er wollte mein Freiwerber sein. Sprich, meine Emma, was habe ich weiter zu thun, als dich ihm zu nennen, und um sein Fürwort bei deinem Vater zu bitten? Dieser hat sich ja, wie du mir sagst, seit einiger Zeit verlauten lassen, mit den Fürsten sei nichts anzufangen, und er wollte dich wohl einem Grafen gönnen; es kann ihm doch gleichgültig sein, ob er dich Einem giebt, der schon diesen Titel führt, oder Einem, der ihn nächstens erhalten wird. Ich bin der Erbe meines Oheims, werde einst werden, was er jetzt ist; spricht er nun für mich, und hält diese Dinge deinem Vater nachdrücklich vor, so denke ich, haben wir gewonnen.«

»Ach, rechne nicht so sehr darauf!« seufzte Emma, »die reichen und großen Herren hassen ihre Erben, und von deinem Oheim besonders verspreche ich mir nicht viel Gutes. Ich wüßte wohl bessern Rath!«

»Und welchen?«

»Könnten wir nur einmal Zeit gewinnen, uns tiefer in den Wald zu wagen, so daß wir mit Tagesanbruch an der heiligen Eiche wären; in wenigen Tagen ist das Peterpaulsfest, eine solche Wallfahrt würde uns mächtig frommen!«

Der blanke Ritter verstand von dem, was Emma sagte, noch weniger als meine Leser, wenn sie unglücklicher Weise nicht Gedächtniß genug haben sollten, sich des Anfangs dieses Mährchens zu erinnern. Er that einige befremdende Fragen, und das Fräulein beantwortete [65] sie mit Erzählung der Geschichte des Mönchs mit dem kleinen gelben Barte, der sie ohne Bedenken die Jugendgeschichte ihres eignen Vaters hinzufügte. Sie hatte sie von einer alten Dienerin des Hauses gehört, und hegte nicht Ehrfurcht genug gegen den Helden derselben, um sie zu verschweigen.

Wilhelm hörte das, was ihm das Fräulein erzählte, als ein Mährlein an. »Glaube doch diese Dinge nicht, meine Emma,« sagte er am Ende mit Lachen. »Der Himmel erhört unsre Gebete an jedem Orte, wir brauchen sie nicht am Peterpaulstage ihm vor der hohen Eiche darzubringen. Das schlimmste ist, daß er nur die hört, die ihm gefallen, und wie wissen wir, ob das Glück unserer Liebe, um das du doch wohl in deinem Heiligthum bitten würdest, sein Wille ist?«

»Ich hoffe, es wird sein Wille sein!« sagte Emma, »was aber die Abentheuer an der Eiche betrifft, so bitte ich dich, schilt mir sie keine Mährlein, ich kann dich aus der Erfahrung vom Gegentheil belehren. Deine Liebe zu mir, diese feste, treue Liebe, die du abschütteln wolltest, und wider deinen eignen Willen aus dem Auslande zurückgebracht hast, ist der beste Beweis, den ich dir entgegen setzen kann. Unter der heiligen Nische habe ich vor fünf Jahren am Peterpaulsmorgen um dein Herz gefleht und es erhalten. –«

Die naive Art, mit welcher Emma hier ihre innersten Geheimnisse ausbeichtete, rührte den Ritter unaussprechlich; er umarmte sie, und versicherte mit vieler Galanterie, [66] daß sie seine Liebe Niemand zu danken habe, als ihren eignen Vollkommenheiten.

»Sie fielen dir Anfangs nicht in die Augen,« erwiederte sie, indem sie sich aus seinen Armen wand; »höre die Geschichte meiner ersten Liebe, und sage mir dann, ob ich recht habe:

Als ich mit meinem Vater zuerst nach Hofe jen Goslar zog, war ich voller Entwürfe zu großen Eroberungen; man hatte mir gesagt, daß ich schön sei, und ich glaubte dieses so von ganzem Herzen, daß ich mir zutraute, jede andere Dame verdunkeln zu können. Ich kam in die glänzende Kaiserstadt, ich sah die Jungfrauen der Kaiserin, und – meine Eitelkeit war gänzlich zu Boden geschlagen; sie waren Alle, wo nicht schöner, doch weit anmuthiger als ich. Ich wußte nichts von dem freien einnehmenden Welttone, der hier die gemeinsten Züge interessant machte, mir hing noch das steife zurückstoßende Wesen des Landfräuleins an, und – ich ward überall übersehen. Nur diejenigen nahmen Notiz von mir, denen der Reichthum meines Vaters einleuchtete, und die mit mir einen guten Kauf zu thun dachten.

Ach, sie hätten mich alle übersehen mögen, wäre ich nur von dem Einen bemerkt worden, der mir gefiel; dies warst du, mein Wilhelm, aber deine Augen gleiteten so nachlässig bei mir vorüber, du hattest mir bei tausend Gelegenheiten, die dir das Glück gab, so gar nichts zu sagen, daß ich wohl sah, ich sei so unbedeutend in deinen Augen, als in den Augen jedes Andern.

[67] Traurig kehrte ich auf unsere einsame Burg zurück, aus deren ängstlichen Mauern ich gern erlößt, besonders durch dich gern erlößt gewesen wäre.

So wenig ich mir selbst unter den Schönen des kaiserlichen Hofs gefallen hatte, so hatte ich, oder der Reichthum meines Vaters, doch Eroberungen genug gemacht. Man kam, um mich anzuhalten, aber unter den Brautwerbern war kein blanker Ritter. – Da ergab ich mich dem tiefsten Grame, alle Freuden der Welt waren, so dünkte es mich, für mich auf ewig dahin denn was ich jetzt gewiß weiß, das ahndete mir schon damals, daß ich nie einen Andern würde lieben können als dich.

Unter den Dienstleuten des Schlosses befand sich eine Frauensperson, die mir mein Vater, weil sie alt und grämlich war, zur Aufseherin gab. Mir zum Glück war die Miene des Unmuths und des Eigensinns, die sie auf der Stirne trug, nur Blendwerk. Sie liebte und bemitleidete mich. Sie gab mir soviel Beweise ihrer Theilnahme für mich, daß ich Vertrauen zu ihr faßte und ihr das Geheimniß meiner Liebe entdeckte. Sie erzählte mir die Geschichten, die du eben von mir gehört hast, und zog für mich daraus folgenden tröstlichen Rath.

Wir leben, sagte sie, gerade jetzt in dem heiligen Gnadenjahre; übermorgen ist Peterpaulstag, wo es fünf Jahre wird, daß ich an der Wundereiche um die Gnade bat: wenn der Herr in's Schloß zurückkehre, nicht aus demselben verstoßen, sondern auf einen ehrlichen Posten [68] angestellt zu werden. Diese Bitte ist, wie ihr seht, erfüllt; thut nun was ich euch sage, um auch eurer Seits die Wunder der heiligen Eiche zu erfahren. Wir wollen auf den bevorstehenden Festtag eine Betfahrt nach dem nächsten Kloster vorgeben, die Eiche ist so gelegen, daß wir bei derselben vorbei müssen; daß wir zur rechten Stunde daselbst eintreffen, dafür laßt mich sorgen.

Wir trugen die Pilgerreise meinem Vater vor, erhielten die Erlaubniß dazu, und verließen mitten in der Nacht das Schloß. Der erste Morgenstrahl des Aposteltags fand mich schon knieend vor der heiligen Nische. Ich bat um deine Liebe, bat um allen Zauber der Anmuth, ohne welche der höchste Reiz unkräftig ist, damit ich dich auf ewig fesseln möchte. Meine Aufseherin nannte meine Bitte kühn, und fand sie zu eitel und weltlich eingekleidet, um gewisse Erhörung hoffen zu können. Aber es scheint, die Heiligen, die dort residiren, sind so streng nicht als die andern, denn schon beim nächsten Besuch am kaiserlichen Hofe erlebte ich die Erfüllung meines Wunsches. Du sahst mich, und zum erstenmal sprach Liebe aus deinen Augen, dein Herz war erobert, erobert durch die Zauberreize, die nur eine übernatürliche Macht mir beilegen konnte. –«

»Erobert,« fiel Wilhelm zärtlich ein, »durch den natürlichen Reiz, der dir gleich auf den ersten Anblick meine Bewunderung gewann; es ist wahr, du hattest das erstemal, da ich dich sah, etwas von der stolzen zurückschreckenden Miene der Tochter eines reichen Grafen, hattest ein [69] gewisses Etwas, das ich das zweitemal an dir vermißte, ich bekam durch diese Veränderung Muth, mich dir zu nahen und dir zu sagen: ich liebe; aber sollte dies Wirkung einer höhern Macht gewesen sein? Nein, es war der Zauber deiner eignen Schönheit, die freilich bei jedem erneuerten Anblick gewaltiger hinreißt, als bei dem vorhergehenden!«

Es war sehr galant und zärtlich, was der blanke Ritter sagte. Emma fühlte es, aber sie beharrte nach Mädchenart dennoch auf ihrer Meinung. Man stritt lange über diesen Punkt, und am Ende schloß Wilhelm mit der Erklärung: Emma möge am Peterpaulsfeste thun, was sie wolle, er für seine Person habe zu der Verwendung seines Oheims bei dem alten Grafen mehr Vertrauen, als zu den Heiligen der Eiche. »Auch werde ich,« setzte er hinzu, »am Apostelfeste nicht einmal hier sein, weil ich um diese Zeit einem Turnier beiwohnen muß. Alles was ich daher thun könnte, wäre, daß ich mein silbergraues Roß schickte, sich an meiner Statt eine Gnade an der Wundereiche zu holen.«

»Spötter!« rief Emma, indem sie seinen Mund mit ihrer Hand bedeckte, »daß dich ja die Heiligen nicht hören.«

»Auch,« fuhr er lachend fort, »würde ich nicht verlegen sein, was ich dem guten Thiere für eine Gabe erbitten sollte. Dem armen Geschöpfe werden die verschlungenen Wege nach der Genebaldsburg so schwer zu finden, wir verirren uns so oft, daß es ein Jammer ist. Ihr [70] lieben Heiligen, die ihr dort in eurer Nische thront, sorgt doch dafür, daß der Reiter, den mein Leibroß trägt, allemal geradenwegs dahin gelange, wo Liebe und Glück seiner warten!«

Emma sah sich bei diesen Worten schüchtern um, und siehe, sie kamen wirklich eben vor der Wundereiche vorüber, die Wilhelm früher gewahr geworden war, als sie, und darum seine Worte so pathetisch an sie gerichtet hatte. Ein kleiner Schauer überfiel das Fräulein, sie drang auf die Heimkehr, auch verkündigte der Morgenstern schon den nahen Tag, so daß man, weil man sich diese Nacht ein wenig tief in den Wald verirrt hatte, kaum zur rechten Zeit das Hinterpförtchen erreichen konnte, das Graf Genebalden seine wandernde Tochter wieder gab.

Die Wanderungen waren so oft wiederholt worden, daß sie endlich bemerkt werden mußten. Verdacht hatten Genebalds Laurer schon lange; in dieser Nacht waren sie ihrer Sache gewiß geworden, daher fand die schöne Emma, als sie das nächstemal sich wieder zum Rendezvous einfinden wollte, die Pforte fester verrammelt als sie je war, und sogar die Oeffnung, durch welche die Liebenden sich sprechen und einander die Hände reichen konnten, mit einem dicken Brete vernagelt.

Unter heißen Thränen kehrte sie auf ihr Zimmer zurück, und kaum konnten ihr die Tröstungen ihrer gefälligen Duenna die Gefahren aus dem Sinne reden, in welchen sich der blanke Ritter diese Nacht wirklich befunden [71] hatte. Der arme Wilhelm! Alle Wege, wo er herkommen konnte, waren von Bewaffneten besetzt, die ihm die Rückkehr auf ewig verwehren sollten. Es schien, als müßte er in ihre Hände fallen, und es war als ein großes Wunder anzusehen, daß er dennoch der ihn bedrohenden Gefahr entging.

Seine Geschwindigkeit, Ringfertigkeit und Entschlossenheit hatten ihn gerettet, aber die Nachstellungen belehrten ihn auch zugleich, daß die geheimen Zusammenkünfte mit der Geliebten für immer ein Ende hätten, und daß er jetzt wirksamere Schritte thun müsse, wenn sein Verhältniß zu der schönen Emma den gewünschten Ausgang haben sollte.

Er schwang sich nach einigen trübselig verträumten Stunden von Neuem auf sein Pferd, und ritt drei Meilen weiter in's Land, zum Grafen, seinem Oheim, dem er sein Anliegen weitläufig vortrug und auf das beweglichste um seine Vermittlung bat.

»Lieber Neffe,« erwiederte der alte Herr, »deine Wahl ist gut und löblich; ich kenne deine Geliebte, sie ist äußerst liebenswürdig. Sei ruhig, ich nehme es auf mich, den Vater zu ihrer Verheirathung zu bewegen, und mache mich augenblicklich auf, um sie zu werben. Morgen ist das Apostelfest; reite getrosten Muths zu deinem Turnier, bei deiner Wiederkehr sollst du erfahren, was ich ausgerichtet habe.«

»Aber, mein Oheim, wenn nun eure Bemühungen keinen glücklichen Erfolg hätten, wenn –«

[72] »Wie kannst du so etwas befürchten! Ist übrigens das Mädchen erst in deiner Gewalt, so rathe ich dir, sie dir unverzüglich antrauen zu lassen.«

Wer ist unter meinen Lesern, der unter diesen Worten Trug und Doppelsinn ahndet? Wilhelm ahndete nichts, und zog wohlgemuth zum Ritterspiel; aber der alte Oheim war ein Schalk, der den Jüngling zu hintergehen dachte, den er haßte, weil er sein wahrscheinlicher Erbe war.

Nachdem der blanke Ritter davon gezogen war, schwang sich der Oheim schnell auf ein Pferd, und ritt zu Graf Genebalden, den er wohl kannte, und bei welchem er, als einem alten Waffengenossen in den türkischen Feldzügen, oft einzusprechen pflegte.

Er wurde wohl empfangen, man setzte sich nach deutscher Sitte zum Trinken nieder, die beiden Alten thaten einander fleißig Bescheid, und unterhielten sich von ihren alten Kriegs- und Liebesabentheuern. Wangen und Nasen färbten sich mit hoher Purpurröthe, die Augen wurden immer kleiner, und der Mund begann zu stammeln.

»Alter Freund,« sagte der Oheim des blanken Ritters zu Genebalden, als die Diener das Zimmer verlassen hatten, und er mit ihm allein war, »ich bin ein Junggesell, und werde des einsamen Lebens nachgerade überdrüßig; das Alter schleicht heran, man bedarf der Pflege. So ein hübsches junges Ding um mich zu haben, das mir die Grillen verscheuchte, und mich mit ihren Liebkosungen wieder jung machte, das wäre meine Sache. Du [73] hast eine Tochter zu verheirathen, gieb mir sie; ich bin so reich wie du, und hinterlasse ihr einmal Alles. Ich bin Graf, und steckt dir die Fürstenidee noch im Kopfe, so wäre ja durch Ankauf noch einiger Ländereien dieser Titel wohl auch zu erlangen. Willst du, so schlag ein; es ist besser, du giebst deine Tochter mir, als einem Andern.«

Genebald lächelte freundlich. Der Vorschlag war gut, die Kräfte des Weins machten ihn noch annehmlicher, in wenig Minuten war der Handel geschlossen, und Emma wurde gerufen, ihr Schicksal zu vernehmen.

Wer schildert das Entsetzen des unglücklichen Mädchens? Sie antwortete mit keiner Sylbe auf das, was man ihr sagte, sie brach in einen Strom von Thränen aus, und eilte auf ihr Zimmer zurück, wo sie sich ganz der Verzweiflung überließ. Sie rief die Rache des Himmels herab über die Treulosigkeit des alten Oheims, und nannte tausendmal den Namen ihres Geliebten, als wollte sie ihn zur Hülfe in ihrem Elend rufen. Der Unglückliche! Voll Hoffnung auf sein nahes Glück, setzte er die Reise zum Ritterspiel fort, durch glorreiche Thaten wollte er sich dort der Hand der reizenden Emma noch würdiger machen, die ihm die Bosheit seines nächsten Verwandten eben auf ewig zu entreißen beschäftigt war.

Als es Nacht wurde, lief das unglückliche Mädchen wieder nach der Pforte; sie war jedoch noch fest verschlossen, und es mußte also auch die Wallfahrt zur heiligen [74] Eiche, auf welche sie noch einige Hoffnung setzte, unterbleiben.

Die beiden Alten mochten befürchten, daß bei ihrem Handel irgend ein Hinderniß eintreten könnte und beschlossen daher, die Vollziehung desselben nicht lange aufzuschieben. Der übermorgende Tag sollte der unglücklichste unter Emma's Lebenstagen, sollte ihr Hochzeittag mit dem alten Oheim sein. Nach einigem Streite hatte Genebald dem bejahrten Bräutigam zugestanden, daß die Vermählung auf dessen Schlosse gefeiert werden sollte. Um bei guter Zeit daselbst einzutreffen, wollte man übermorgen mit dem Frühesten aufbrechen; der dazwischen liegende Aposteltag wurde benutzt, die gemeinschaftlichen Freunde des Schwähers und des Eidams zum Hochzeitmahl einzuladen, lauter alte Herrn von ihren Jahren, die der Himmel zu diesem Tage recht aufgespart zu haben schien. – Sie kamen bei guter Zeit, Einer nach dem Andern an, von sanften Maulthieren oder schläfrigen Rossen getragen, und man kann eben nicht sagen, daß sie die schönste Gruppe von Hochzeitgästen vorstellten. Man hätte, wenn man sie sah, eher glauben sollen, sie kämen, vor der Abreise nach der andern Welt, von einander Abschied zu nehmen, als das Beilager eines ihrer Mitbrüder zu feiern.

Man legte den Schmuck der unglücklichen Braut zurecht, wobei diese eine traurigere Rolle spielte, als Mädchen sonst bei den Angelegenheiten des Putzes zu spielen pflegen. Sie hatte genug zu thun, Schmerz und Thränen [75] zu unterdrücken. Alle Dienstleute im Schlosse waren mit Zubereitungen für den morgenden festlichen Tag beschäftigt; als man aber für Alles gesorgt zu haben glaubte, so fand sich's doch, daß man viele und mit unter sehr wesentliche Dinge vergessen hatte.

Namentlich zeigte es sich, daß nicht Pferde genug vorhanden waren, das ganze Brautgefolge zu tragen. Zwar hatten die Gäste – die alten Herren – ihre eignen Pferde, mit denen sie gekommen waren, ihre Diener wurden aus Genebalds Ställen beritten gemacht, aber doch gebrach es noch hier und da an Rossen für Genebalds Hausgesinde, denn es war beschlossen, daß, um den Zug desto ansehnlicher zu machen, alles mitreiten sollte, was nur ein Pferd besteigen konnte.

Als man dem Brautvater die Sache vortrug, wurde er unwillig darüber, daß man ihn mit solchen Kleinigkeiten behelligte, indem er jetzt eben den Vortrunk mit den Hochzeitgästen beginnen wollte. Er befahl, man sollte in die Nachbarschaft zu seinen Freunden schicken, sollte von Pferden aufborgen, was man noch bedürfe, und ihn übrigens zufrieden lassen.

Der Stallmeister war besonders in Verlegenheit, woher er ein passendes Pferd für die Braut nehmen sollte, indem diese des Reitens nicht sehr kundig war und eines so sanften und lenksamen Thieres bedurfte, wie er keines auftreiben zu können glaubte. Hierüber hatte er besonders den Grafen befragen wollen, aber ihm war Stillschweigen auferlegt, und er durfte nichts weiter sagen.

[76] »Ich kenne,« sagte er zu sich selbst, als er alle seine Leute abgefertigt hatte, »ich kenne kein schöneres und geduldigeres Thier, als des blanken Ritters silbergraues Roß; darauf sollte Fräulein Emma trefflich paradiren. Es wäre zu beklagen, wenn die gute Dame an ihrem trübseligen Hochzeittage noch ein Unglück haben sollte; wir müssen einem solchen auf alle Art vorbeugen! Es ist wahr, Ritter Wilhelms Bekanntschaft mit unserm Herrn ist nicht sonderlich, aber ich will's wagen, ob er sich das schöne Thier abborgen läßt; er wäre ja der erste Ritter, der einer Dame an ihrem Ehrentage eine Gefälligkeit versagte.«

Der Leser wird leicht merken, daß dieser Mann nichts von der geheimen Geschichte des Hauses wußte, in welchem er diente, und besonders keiner von Genebalds heimlichen Laurern und Wilhelms Verfolgern war. Der blanke Ritter kannte ihn als einen redlichen Mann, und als ein solcher war er auf seiner Burg willkommen.

Dieser gute Ritter war eben vom Turnier zurückgekehrt. Er hatte den ersten Dank gewonnen, und schmeichelte sich mit der Hoffnung, ihn vielleicht morgen schon seiner Braut zu Füßen legen zu können. Er war bei seinem Oheim abgestiegen, um sich zu erkundigen, ob dieser schon etwas für ihn gethan hätte. Er fand ihn nicht zu Hause, man sagte ihm, er sei zum Graf Genebald geritten, und Wilhelm schöpfte aus diesem Umstande neue Hoffnungen. Voll Vertrauen auf die Vermittlung seines Verwandten, voll Ruhe und hohen Muths kam er auf [77] seinem eignen Schlosse an. Er war so vergnügt, daß er einen Harfner kommen ließ, ihn durch Minnelieder in der entzückenden Laune zu erhalten, in der er sich befand.

In dieser Gesellschaft war es, wo ihn Genebalds Stallmeister traf. Sein Gesuch desto kräftiger zu machen, bat er im Namen seines Herrn um das silberfarbne Roß. »Von ganzem Herzen gern!« erwiederte der über das schwiegerväterliche Zutrauen erfreute Wilhelm. »Es freut mich, daß ich dem Herrn Grafen mit meinem Leibrosse dienen kann, aber wenig hätte gefehlt, so wäre ich um das schöne Thier gekommen. Ihr wißt, es ist kein Turnierpferd, und ich konnte es also nicht zu dem Ritterspiele reiten, von welchem ich komme. Bei meiner Zuhausekunft erfahre ich, daß es gestern gegen Abend sich aus dem Stalle losgerissen hat, und in den Wald gelaufen ist. Vor wenig Stunden haben sie es erst wieder heimgebracht; sie haben es in der Gegend der hohen Eiche wieder gefunden. Aber darf ich fragen, wer es reiten wird?«

»Fräulein Emma, gnädiger Herr! Wir reiten morgen mit dem Frühsten nach der Burg des alten Grafen von Regenstein, wo die Vermählungsfeierlichkeiten vor sich gehen sollen.«

»Vermählung? – Mit wem?«

»Mit dem alten Herrn Grafen, Ihrem – Oheim! Wunder, daß dieß Ihnen unbekannt ist!«

Der blanke Ritter stand wie versteinert bei diesen Worten, er ließ sie sich zum zweitenmale wiederholen, [78] und konnte sie noch nicht glauben. Einem redlichen Herzen kostet es Mühe, eine schwarze That für wahr zu halten, so ging es dem unglücklichen Wilhelm, der sich, als er endlich die schreckliche Wahrheit begreifen mußte, durch die Vorstellung doppelt unglücklich fühlte, daß hier Rache unmöglich sei. Sein Oheim! der Vater seiner Geliebten! was sollte er wider diese beginnen?

Wuth und Bestürzung wechselten bei ihm ab, die Bitte um das silbergraue Pferd ward dabei ganz vergessen, der Stallmeister, welcher Eile hatte, wiederholte sie, und Wilhelm fuhr wie aus tiefem Schlafe empor.

»Sie nehme es hin!« schrie er. »Wenn sie es besteigt, wird sie wenigstens noch einmal an denjenigen denken, den der Rücken dieses guten Thieres so oft durch Nacht, Grauen und tausend drohende Gefahren zu ihr hintrug. – Ach, die Unglückliche! ich beschuldige sie nicht, ich weiß, daß man sie zu der Treulosigkeit zwingt, die sie an mir zu begehen im Begriff steht!«

Der Stallmeister führte das Roß davon, ohne die Worte zu begreifen, mit welchem man es seinen Händen anvertraute. Nachdem er das Schloß verlassen hatte, arteten die Gefühle des blanken Ritters fast in Raserei aus. Einige Stunden wurden so vertobt, bis endlich seine Wuth einem stillen Kummer wich. Er ließ alle seine Diener vor sich kommen, er vertheilte unter sie das baare Geld, das er vorräthig hatte, und entließ sie aus seinem Dienste. Sie warfen sich ihm zu Füßen, und fragten ihn um die Ursache seines Unwillens. »Ich zürne [79] nicht mit euch,« antwortete er gütig, »aber ich bedarf eurer Dienste nicht mehr, weil ich im Begriff stehe, mich zu einer großen Reise anzuschicken.« Drauf verließ er sie und verschloß sich mit Sterbensgedanken auf sein Zimmer.

Auf Genebalds Schlosse lag bereits Alles im tiefsten Schlafe. Die Hochzeitsgäste, der Schwiegervater und der Bräutigam hatten weidlich gezecht; auch bei der Dienerschaft war es nicht viel mäßiger zugegangen, gleichwohl wollte man am andern Morgen mit Tagesanbruch wach sein. Man legte sich zeitig zur Ruhe, und der Thurmwächter erhielt Befehl, in sein Horn zu stoßen, sobald die ersten Strahlen der Morgenröthe den Anbruch des Tages verkündigen würden.

Nur Emma konnte nicht schlafen. Der Augenblick nahte heran, der sie auf ewig unglücklich machen sollte, und sie wußte kein Mittel, ihrem traurigen Schicksale zu entgehen. Oft hatte das beklagenswerthe Mädchen den Tag über Gelegenheit zur Flucht gesucht. Weder Furcht noch Bedenklichkeit würde sie zurückgehalten haben, wenn die Sache nur möglich gewesen wäre, aber es gab zu viel Augen, die sie bewachten, und obgleich die ganze Dienerschaft, von ihrer Duenna an bis auf den geringsten Pagen, sie innig bedauerte, so war doch Niemand, der es auf eigne Gefahr wagen wollte, ihr zu helfen. So blieb denn dem guten Fräulein kein andrer Trost übrig, als den sie in ihren Thränen fand.

Als gegen Mitternacht der Mond herauf kam, fand er sie weinend, und so würde sie auch der Morgen gefunden [80] haben, wenn das Schicksal nicht binnen der Zeit ein Zwischenspiel veranstaltet hätte.

Das aufgehende Gestirn der Nacht warf einen so hellen Strahl von sich wie die Morgenröthe. Das silberfarbne Roß des blanken Ritters, dem man im Stalle ein gutes Futter gegeben hatte, begann um diese Zeit, vielleicht seiner gestrigen Wanderung in den Wald eingedenk, ein helles Gewieher. Der Thurmwächter, der so gut wie die Andern gezecht hatte, so gut wie die Andern eingeschlafen war, erwachte mit Schrecken; er sah das Licht des Mondes, hielt es für den anbrechenden Tag, und beeilte sich in sein Horn zu stoßen, dessen Töne alle Bewohner des Schlosses munter machten. Man gähnte, man dehnte, man wunderte sich, man meinte, es sei wohl noch sehr früh, demungeachtet machte man Anstalten zur Reise. Die schlaftrunkenen Diener, die gleich ihren Herren den Rausch nur halb ausgeschlafen hatten, sattelten die Pferde in dem mondhellen Hofe, und der Stallmeister trug Sorge, daß das silbergraue Pferd Ritter Wilhelms für die Braut zugerüstet wurde.

Als Letztere herabgeführt wurde, es zu besteigen, brach sie in Thränen aus. Ach, sie kannte das gute Geschöpf wohl, das ihren Geliebten so oft durch Nacht und Grauen und tausend drohende Gefahren zu ihr getragen hatte, sie hatte es zu oft bei den nächtlichen Spaziergängen am Zügel geleitet, hatte ihm zu oft morgens beim Scheiden die glatte Mähne gestrichen, und ihm frisches bethautes Gras dargereicht, mit dem Ermahnen, den lieben [81] Ritter sicher nach seinem Schlosse zu bringen, als daß sie nicht auch von ihm gekannt sein sollte. Es leckte ihr zärtlich die weiße Hand, bog ein Knie und ließ sie aufsteigen; nie hatte man ein höflicheres Roß gesehen, als den silberfarbnen Zelter Ritter Wilhelms.

Emma's Schmerz ward durch den Anblick dieses Thieres nur vermehrt, sie konnte nicht begreifen, wie es hierher kam, doch vertraute sie sich bei dem fatalen Ritte lieber ihm, als einem andern an.

Man reiste ab. Den Zug eröffnete die Dienerschaft, alsdann kamen die Hochzeitleute mit dem Brautvater und dem Bräutigam, und zu allerletzt die Braut unter der Aufsicht eines alten Ritters, den man ihr zugesellt hatte. Es war die Sitte der damaligen Zeiten, daß die Braut allemal den Brautzug beschloß, gleich als ob jungfräuliche Blödigkeit, die den Weg zum Traualtar scheut, sie zu diesem Zögern veranlasse. Diese sinnbildliche Deutung traf bei der armen Emma nur gar zu richtig ein; nie ist wohl eine Braut unwilliger und säumender einen solchen Weg gezogen, als sie.

Der Ritter, der sie begleitete, war ein alter verständiger Herr, der ihren Zustand erkannte, und ihr viel tröstliches und belehrendes gesagt haben würde, wenn er – ganz nüchtern gewesen wäre. Aber leider ging es ihm wie den Andern; keiner war munter genug, um Mondlicht von Morgendämmerung zu unterscheiden, woraus man schon ihre Benebelung beurtheilen kann.

[82] Das Schloß des bejahrten Bräutigams, wohin man zu ziehen gedachte, lag drei Meilen von der Genebaldsburg. Der Weg führte beständig durch den Wald, der Mond leuchtete jetzt nur spärlich, man rieb sich die Augen, und wunderte sich ein wenig über die Beschwerlichkeit des Weges, der bald so schmal wurde, daß nur zwei Pferde neben einander gehen konnten. Dies dehnte den Brautzug gewaltig in die Länge, und trennte die Vordersten von dem letzten Paare um mehrere hundert Schritte. Als der Mond einmal hinter eine Wolke trat, kamen einige von den muntersten aus der Gesellschaft hinter die große Wahrheit, daß man sich wohl zu früh auf den Weg gemacht habe, und erst dem Tage entgegen reite. Die Sache wurde ein wenig belacht, und überhaupt die erste Meile noch mit ziemlicher Heiterkeit und ganz geöffneten Augen zurückgelegt; aber als es weiter hin kam, da konnte keiner der Herren, die kaum halb ausgeschlafen hatten, dem Schlummer mehr widerstehen. Hier und da schlossen sich ein paar Augenlieder, Einer hing links, der Andere rechts auf seinem Thiere, ein Dritter war gar mit dem Kopf auf den Hals desselben gesunken. Ein Glück war es, daß die guten Geschöpfe, welche die abentheuerliche Hochzeitgesellschaft trugen, sämmtlich geduldiger Art waren, sonst möchte mancher Reiter Schaden genommen haben. So aber blieb der Zug in der schönsten Ordnung und nur hier und da blieb zuweilen ein Roß zurück, um, während sein Reiter schlief, das [83] weiche Gras unter seinen Züßen zu kosten, oder die Gesträuche zu benagen.

Das Schauspiel war lächerlich genug mit anzuschauen, aber die einzige, welche hätte lachen können, lachte nicht. Die arme Emma! sie war zu tief in Gram versunken, um den geringsten Anfall von Lustigkeit zu spüren. – Sie befand sich in einer so gänzlichen Betäubung, daß sie das Thier, das sie trug, gehen ließ, wie es wollte. Alles, was sie that, war, daß sie es zuweilen ein wenig anhielt; so sucht ein Verbrecher, den man zum Tode führt, den Trauerzug zu verzögern, damit er sein Leben noch einige Minuten friste.

Als die Vordersten des Zuges ohngefähr eine Meile zurückgelegt haben mochten, war die Braut mit ihrem Führer noch so weit zurück, daß sie die hintersten ihrer Vorgänger nur noch ganz von weitem im Mondlicht dahin ziehen sahen. Sie befanden sich jetzt an einem Scheidewege, und Emma's Roß trat zur Seite aus auf einen ganz andern Pfad, als den, welchen die übrigen genommen hatten. Emma beachtete es nicht und ihr Führer noch weniger; er begann jetzt so gut zu schlummern, als die andern Ritter. Zuweilen öffneten sich seine Augen wohl auf eine Minute, er sah das silberfarbne Roß dicht vor sich hertraben, war zufrieden, und schloß die Augen von neuem. Daß man sich verirren könnte, fürchtete er nicht denn auf einem solchen Wege, meinte er im Entschlummern, sei dergleichen unmöglich!

Indessen befanden doch weder er, noch die schöne[84] Emma sich mehr auf dem Wege, den sie ziehen sollten, und den die Andern bereits gezogen waren. Das Roß des blanken Ritters wurde entweder durch Instinkt geleitet, den Weg zu gehen, den es mit seinem Herrn so oft gezogen war, oder eine unsichtbare Macht faßte es bei dem Zügel, es dahin zu leiten, wo Glück und Liebe der schönen Reiterin harrten.

O hätte die tiefsinnige Braut etwas davon geahndet, wie schnell würde sie das treue Thier angetrieben haben, seinen Weg zu beschleunigen! aber es dauerte lange, ehe sie nur eine Muthmaßung hatte, daß sie sich nicht auf dem Wege nach dem Schlosse ihres alten Bräutigams befände. Das Pferd schritt jetzt durch ein kleines Wasser, das man passiren mußte, wenn man nach der Burg des blanken Ritters wollte. Emma wurde durch das Geräusch aus ihren Träumereien aufgeschreckt, sie sah sich ängstlich um, und rief den Namen ihres Begleiters. Er war dicht hinter ihr, aber sein Pferd scheute sich, durch das Wasser zu setzen, und Emma wurde allein hinübergetragen. Angst und Schrecken bemächtigten sich ihrer, sie rief nochmals ihren Begleiter; umsonst! sein Pferd hatte bereits einen andern Weg genommen, der schlummernde Zecher ließ sich ruhig davon tragen, und sie sah sich allein.

Nur mit großer Mühe konnte Emma ihr Pferd, das sie mit Gewalt davon tragen wollte, einen Augenblick anhalten; endlich mußte sie ihm ganz seinen Willen lassen, und es flog jetzt mit ihr über Sumpf und Hecken [85] so schnell dahin, daß Schleier und Locken um ihre Schultern wehten, und der Wind durch ihre Kleider pfiff. Erst jetzt stieg ein Gedanke an Flucht und Rettung in ihrer Seele auf. Eine rege Freude durchzitterte ihr Herz, sie gab dem treuen Rosse die Sporen, um wo möglich seinen Lauf noch mehr zu beflügeln, denn sie fand bald, daß die höchste Eile nöthig war. Ihr alter Begleiter, der, als sein Pferd mit ihm gegen einen Baum rannte, doch endlich munter geworden war, hatte sie vermißt, hatte Mittel gefunden, gleich ihr über das Wasser zu kommen, und war dicht hinter ihr. Sein lautes Rufen mußte die andern Hochzeitleute aufmerksam machen. Emma glaubte schon, das ganze Gefolge hinter sich zu sehen, und mit Gewalt zu dem Altar geschleppt zu werden, dem ein günstiges Geschick sie schon fast entrückt hatte.

Sie würde glücklich, und ohne weitere Gefahren zu bestehen entkommen sein, wenn sie nur dem Pferde, das von einem guten Geiste am Zügel geleitet wurde, freien Lauf gelassen hätte; aber sie sollte klüger sein als ihr Schutzengel. Sie trieb das Roß dahin, wohin es nicht wollte, und so sah sie sich auf einmal in der schrecklichsten Verlegenheit, in welcher sich je ein fliehendes Mädchen befunden haben mag. Der gebahnte Pfad war verlassen, unbekannte Gebirge thürmten sich vor ihr auf; mit verhängtem Zügel war der Gipfel des einen erreicht, aber jenseits desselben zeigte sich keine Zuflucht als ein andrer Hügel, der von dem Standorte des Fräuleins durch einen klafterweiten Abgrund getrennt war. Das Roß keuchte [86] unter der beängstigten Emma, ihr Herz bebte wegen der Gefahr, die hinter und vor ihr drohte. Des alten Ritters Stimme, der Huf seines Rosses tönte ganz nahe, und ward durch das Echo im Gebirge hundertfach vervielfältigt. Die fliehende Jungfrau glaubte alle ihre Verfolger hinter sich zu hören, da faßte sie den großartigen Entschluß, den noch jetzt die Mährchenerzähler mit hohem Lobe feiern, und der zwei Felsen Deutschlands mit Namen bezeichnete, die ihnen den Vorzug vor allen Bergen und Hügeln geben, welche sich in der Nähe und Ferne höher zum Himmel empor thürmen als sie.

Ein kühner Sprung über den gähnenden Abgrund nach dem gegenüberliegenden Felsen war die ganze Kleinigkeit, auf welche es hier ankam. Wahrhaftig auch nichts als eine Kleinigkeit, gegen die Gefahr, einem ungeliebten Manne angetraut, und den Armen des Geliebten auf ewig entrissen zu werden! Emma zögerte nur einige Augenblicke, und die That war geschehen, welche noch die späte Nachwelt anstaunen wird, wie sie der alte Ritter, der Einzige, der sie mit leiblichen Augen sah, anstaunte. Als das Roß den Anlauf zu dem gefährlichen Sprunge nahm, als die Jungfrau auf seinem Rücken hinüber flog, da war er bereits nahe genug, das Wunder mit anzusehen, und da er es unmöglich fand, der tollkühnen Reiterin zu folgen, so ritt er in den Wald zurück, um dem Vater der Braut die unglaubliche Geschichte zu berichten.

Während er erzählte und Niemand glaubte, während [87] man ihm endlich folgte, die Stelle in Augenschein zu nehmen, wo die That geschah, setzte das silbergraue Roß seinen Weg, Berg auf, Berg ab, mit seiner Reiterin rüstig fort. Der kleine Absprung von dem gewohnten Pfade hatte es nicht irre gemacht; es fand sich bald zurecht, und stand, ehe die schöne Emma es sich versah, vor der Burgpforte des blanken Ritters.

Als der Thurmwächter im Schimmer des untergehenden Mondes und der anbrechenden Morgendämmerung eine Dame heranreiten sah, stieß er in sein Horn, um zu melden, daß Jemand Einlaß begehre. Darauf stieg er selbst hinab, um an der Pforte zu fragen, was die Reiterin verlange. »Oeffne geschwind!« antwortete die schöne Emma, »du siehst ein Fräulein vor dir, das von Räubern verfolgt wird, und auf diesem guten Schlosse Hülfe erwartet!«

Solche Abentheuer waren in den damaligen Zeiten nichts seltnes, doch traute der Thurmwächter den Worten nicht ganz, und blickte erst durch eine Oeffnung im Thore, um die Dame näher zu betrachten. Himmel, welch ein Anblick! Die schönste junge Person von der Welt, in einem reichen Scharlachmantel gekleidet, mit einem grünen Kranz und einem goldnen Schleier auf den braunen Locken! Er hielt sie für irgend eine wohlthätige Heilige, die vom Himmel herabgekommen sei, seinen Herrn aus seinen Sterbensgedanken zu reißen. Denn, daß Ritter Wilhelm entschlossen sei, diese Nacht die Welt zu verlassen, das war nun im ganzen Schlosse kund, und [88] Niemand befand sich in demselben, der diesen grausamen Entschluß, dessen Grund Keiner wußte, nicht mit heißen Thränen beklagte.

Vor lauter Freude, daß dieser Entschluß nun nicht zur Ausführung kommen würde, ließ der Thurmwächter die Dame, von welcher er so viel hoffte, vor der Pforte stehen, und eilte hinauf in Wilhelms Vorzimmer, wo seine Leibdiener an der Thür lauschten, ob ihr geliebter Herr noch ein Lebenszeichen von sich gäbe.

Man hörte von Zeit zu Zeit noch seine Seufzer ertönen, und drang jetzt auf des Boten Vorstellung ohne Umstände in das Zimmer, um Nachricht von der Dame an der Pforte zu geben, und Verhaltungsbefehle einzuholen.

»Weil es eine Dame ist,« sagte Herr Wilhelm, indem er sich mühsam erhob, »will ich sie aufnehmen; mein letzter Hauch soll diesem Geschlechte gewidmet sein, das ich Emma's wegen verehre.«

Mit diesen Worten eilte er hinab, die Ankommende selbst zu empfangen. Sein Vorsatz war, sobald er ihretwegen die nöthigen Verfügungen getroffen, sich hinaus in die Schwerter der Verfolger zu stürzen, von welchen die Dame gesprochen, um auf diese Art einen ehrlichern Tod zu finden, als den Tod durch das eigne Schwert, zu welchem er sich als guter Christ diese ganze Nacht über glücklicherweise noch nicht hatte entschließen können.

Ich rathe einem Jeden, der solche Dinge vorhat, wie Ritter Wilhelm, sich nicht zu übereilen; die Stunde[89] des Glücks gränzt gewöhnlich ganz nahe an den Augenblick der Verzweiflung.

Als nun die Liebenden sich erblickten, als sie einander in die Arme sanken, da konnten sie vor Rührung lange Zeit nicht zu Worten kommen und nur Freudenthränen sprachen für das Uebermaß der Wonne, die ihre Herzen erfüllte.

»Wie ist's möglich,« rief Wilhelm endlich, »daß ich dich in der Stunde bei mir sehe, wo ich dich in den Armen eines Andern glauben mußte?«

»Meines Erachtens,« antwortete sie, »danken wir unser ganzes Glück diesem treuen Thiere. Dieses gute Geschöpf,« fuhr sie fort, indem sie dem silberfarbnen Rosse, das neben ihr stand, die glatte Mähne streichelte, »dieser Schutzgeist in Pferdegestalt, hat mich diese Nacht durch Gefahren hindurch getragen, vor welchen du schaudern wirst, wenn ich sie dir erzähle. Gewiß sind die Heiligen des Waldes mit im Spiel, und haben deinem Pferde zur Beschämung deines Unglaubens die Gabe ertheilt, die du eines Abends spottend für es erflehtest; wenigstens hat es seine Reiterin sicher genug an den Ort getragen, wo Glück und Liebe ihrer harren!«

Dem Ritter fiel ein, daß das Thier, von welchem die Rede war, gerade am Peterpaulsmorgen eine Wanderung in den Wald gemacht hatte, und unter der Wundereiche wiedergefunden worden war. Unmöglich dünkte es [90] ihm nicht, daß eine höhere Macht es dorthin geführt habe, die gebetene Gabe in Empfang zu nehmen. – Doch dieß waren Betrachtungen, mit welchen sich ein Mann in Wilhelms Lage nicht lange abgeben konnte; er äußerte sich daher nicht weiter darüber, sondern schritt zu wichtigern Dingen.

Das Wichtigste für ihn war, den gegenwärtigen Augenblick wahr zu nehmen, und sich der Geliebten, die ihm das Glück in die Hände geliefert hatte, auf ewig zu versichern. Da er das Fräulein zu dem willig fand, was er im Sinne hatte, so waren die nöthigen Vorkehrungen bald gemacht. Der Hauspfaff ward gerufen, mit ein paar Worten davon unterrichtet, was hier zu thun sei und da er sich dem Wunsche des Rittes fügte, so stand bald das glücklichste Brautpaar vor dem Altar. Das Band ward so fest geknüpft, als es die Kirche knüpfen kann, man machte Anstalt zu einem Hochzeitmahl, so gut es in der Eile herzustellen war, und der Neuvermählte fertigte einen Boten nach dem Schlosse seines Oheims ab, mit dem Vermelden: Der blanke Ritter sei der Verabredung eingedenk gewesen; die Braut befinde sich in seiner Gewalt, und er habe sie sich unverzüglich antrauen lassen.

Während dieß auf dem Schlosse Ritter Wilhelms vorging, standen die Hochzeitleute noch an der Stelle, wo die kühnste That geschehen war, die je eine deutsche [91] Jungfrau unternommen, und wurden einig, daß die beiden Hügel zum Angedenken derselben: Jungfernsprung und Roßtrab genannt werden sollten; aber Genebald und der Oheim zankten mit dem alten Ritter, dem Hüter des Fräuleins, nannten ihn einen Lügner und behaupteten, es sei unmöglich, daß ein Roß einen solchen Sprung gethan haben, und nicht mit dem Reiter umgekommen sein sollte. Der alte Ritter wußte wohl, was er gesehen hatte, aber beweisen konnte er es nicht; er schwieg und ließ es hingehen, daß die beiden Alten einander gegenseitig Vorwürfe über die Flucht des Fräuleins machten, und die Hochzeitgäste in lautes Murren ausbrachen, daß sie statt dos gehofften Festes sich nur mit dem Vortrunk begnügen sollten. »Folgte man meinem Rath,« sagte er halb laut, daß es nur einige Verständige hörten, »so bräche man auf und eilte nach der Burg des blanken Ritters, ehe ein Unglück geschähe. Das Brautroß war kein anderes, als der berühmte silberfarbene Zelter Ritter Wilhelms. Wer weiß, was diese Dinge für einen Zusammenhang haben! Mir ahndete gleich Anfangs nichts Gutes, und ich denke immer, dieses Thier hat die schöne Emma dahin getragen, wohin wir nicht wollten.«

Die Worte des alten Herrn wurden nicht beachtet, aber sie bestätigten sich, als Ritter Wilhelms Bote eintraf, und seine Berichte abstattete. Der alte Oheim war wüthend darüber, sich mit seinen eignen Worten gehöhnt zu sehen. Graf Genebald verbarg seinen Zorn, und die [92] Hochzeitgäste fragten murrend, wo sie nun das Mahl einnehmen sollten?

»Getrost, meine Herren,« sagte der Abgesandte des blanken Ritters, »ich habe Auftrag von meinem Gebieter, euch zum Hochzeitfeste einzuladen, das er auf seiner Burg bereitet hat. Er wird nicht ermangeln, euch bei dieser Gelegenheit seine nähern Ansprüche an das Fräulein, und die Grausamkeit aus einander zu setzen, mit welcher ihm sein Brautwerber hintergangen hat.«

Die alten Herren – die Hochzeitgäste – zogen sämmtlich dem Boten nach, wohin er sie führte. Es war in den damaligen Zeiten ein Schimpf, zu einem Gastmahle geladen zu sein, und unverrichteter Sache heimkehren zu müssen. Sie waren daher sehr erzürnt auf Genebald und den Oheim, daß sie ihnen diesen Streich gespielt hatten, und wurden es noch mehr, als sie auf Wilhelms Burg kamen, und von ihm den weit schlimmern Streich erfuhren, der ihm gespielt worden war. Sie waren sämmtlich Männer von Stande und Ansehen, die sich ungern als Theilnehmer einer Treulosigkeit wollten ausschreien lassen. Als sie daher drei Tage auf dem Schlosse des blanken Ritters geschmaußt hatten, zogen sie gen Goslar zum Kaiser, dem sie die ganze Geschichte vortrugen, und für das junge Ehepaar seine Gunst und seinen Schutz erbaten. Ihrer Bitte wurde dadurch entsprochen, daß der Kaiser die Vermählung Ritter Wilhelms mit der schönen Emma bestätigte und als rechtsgültig erkannte, ungeachtet sie ohne die väterliche Einwilligung [93] geschlossen ward. Da nun weder Genebald noch der Oheim dem mächtigen Fürsprecher der jungen Leute, dem Kaiser, ihren gewohnten Eigensinn entgegen setzen konnten, so hielten sie es für das Beste, sich mit dem Ehepaare auszusöhnen, und als der blanke Ritter den Grafentitel trug, so fand ihn Emma's Vater auch nicht mehr zu gering, sein Eidam zu heißen.

[94]

Die weiße Frau

Auf dem Schlosse Neuhaus in Böhmen lebte gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts, oder zu Anfange des siebzehnten ein alter reicher Baron, dermalen einziger Besitzer der rosenbergischen Güter, in welche sich nach seinem Tode eine Menge von Enkeln und Urenkeln, Vettern und Schwägern theilen sollten, die zum Theil nicht besonders bemittelt waren. Demungeachtet rechnete Keiner von ihnen auf das Ableben des alten Herrn, denn der Baron liebte die ganze Sippschaft, als wenn sie alle seine Kinder wären, und ward wiederum von ihnen wie ein Vater geliebt. – Es war seit zwanzig Jahren, so lang er Witwer war, Herkommens bei ihm, daß immer um die Osterzeit sich alle Glieder der Familien Neuhaus und Rosenberg auf seinem Schlosse versammelten, um daselbst drei bis vier fröhliche Wochen zu verleben und dann wohlbeschenkt von dannen zu ziehen. Die alte Burg [95] war weit genug sie zu fassen, und Baron Mathias reich genug sie zu bewirthen und zu begaben.

Herr Mathias war ein munterer jovialer Herr, der trotz seinem hohen Alter noch die Freude liebte, und sie gern an seinen Kindern sah. Das wußten diese, und deshalb wurde die Feier jedes fröhlichen Festes, das in der Familie vorfiel, immer auf die Osterzeit verschoben, um dann auf dem Schloß Neuhaus unter den Augen des gemeinschaftlichen Vaters begangen zu werden. Die in der Zwischenzeit gebornen Kinder wurden bei dem großen Familienbesuche dem guten Greis zuerst vorgestellt, Jünglinge, die vom Heere kamen oder zum Heere zogen (– denn alles trug Waffen, was unter den Männern den Familiennamen führte –) wurden unter des Barons Augen feierlich bewillkommt und entlassen; auch manche Verlobung, manches Hochzeitfest wurde gefeiert, denn unter den jungen Vettern und Muhmen gab es immer Liebesbündnisse, und viele derselben schrieben sich eben von dem Osterbesuch her, wo oft Jünglinge und Mädchen von der Familie sich zu sehen bekamen, die einander sonst nirgend unter so günstigen Umständen getroffen haben würden.

Der alte Herr sah es ungemein gern, wenn die jungen Zweige seines Stammes sich wieder mit einander verflochten, doch war er auch kein Feind anderweitiger Verbindungen. Trug ein Jüngling oder Fräulein seines Hauses Neigung zu einem würdigen Gegenstande außer den Gränzen der Familie, so war der fremde Einkömmling [96] herzlich willkommen; er brauchte weder große Güter zu haben, noch hatte er eine allzustrenge Ahnenprobe zu bestehen. Bei den Frauen war Sittsamkeit und Tugend, bei den Männern Edelmuth und Tapferkeit hinlängliche Empfehlung in den Augen des Barons, und oft, gar oft wurde von dem Gerichte der strengern Väter und Mütter an ihn appellirt; ein Schritt, der nie ohne gute Folgen war.

Ein junges Fräulein, Namens Bertha von Neuhaus, befand sich dießmal in einem solchen Falle. Sie war dem alten Herrn nur im dritten Grade verwandt, aber ihm so lieb als seine leiblichen Enkel und Urenkel. Nicht sowohl persönliche Vorzüge gaben der blonden Bertha diesen Vorzug, ungeachtet sie ein recht gutes schönes Mädchen war, sondern ein ganz kleiner Umstand, zu dem sie eigentlich nichts beigetragen, für welchen sie nur ihrem Glück zu danken hatte.

Ihre Mutter hatte vor siebzehn Jahren den klugen Einfall gehabt, ihr Wochenbette gerade um die Osterzeit, in den Tagen des Familienbesuchs, zu Schloß Neuhaus aufzuschlagen. Ein solches Fest war in den Mauern des alten Herrn seit der Geburt seiner eignen Kinder nicht gehört werden. Nichts war mit seiner Freude und Geschäftigkeit zu vergleichen, er versetzte sich in seine bessern Jahre zurück, wollte, da er des Kindleins Vater nicht war, wenigstens sein Pathe werden, und schwur, wenn es ein Knabe wäre, es den Kindern seiner Söhne gleich zu halten. – Leider war es nur ein Fräulein, und der [97] vortheilhafte Schwur ging verloren; doch war auch sie ihm lieb und werth, das zeigte schon der Name Bertha, den er ihr gab; eine Benennung, die in dieser Familie von Alters her eine sonderbar heilige Bedeutung hatte.

Diese kleine Bertha, Baron Mathias Pathe und Liebling, war jetzt, wie gesagt, siebzehn Jahre, und wollte sich verheirathen. Ihre Wahl – doch ein Fräulein ohne Mittel und ohne mächtig hervorstechende Reize hat nicht viel zu wählen – also, ihre Liebe war gefallen auf Herrn Peter von Wock, einen ganz neuen Edelmann, der sich seinen Adel erst in dem kürzlich geendigten Religionskriege erkämpft hatte, und dessen Vermögensverhältnisse sowohl, als auch seine Herkunft den Wünschen der Eltern Bertha's durchaus nicht entsprachen. Der junge Officier, der seine Gewählte innig liebte, besaß nichts als ein kleines Gut an der böhmischen Gränze, dessen Ertrag ihm allenfalls die Mittel gab, seine Bertha standesmäßig zu ernähren, wenn sie ihre Wünsche so einschränkte, wie er die seinigen, und fortfuhr Wirthlichkeit und Stille zu lieben.

»Sie mögen sich heirathen, in Gottes Namen!« sagte der alte Herr, als ihm die Sache von den zweifelnden Eltern zur Entscheidung vorgelegt wurde, »sie mögen sich heirathen, und künftige Ostern ist die Hochzeit auf meiner Burg.«

Diese erwünschten Ostern waren erschienen. Fräulein Bertha und ihr Bräutigam hielten ihren Einzug in das Schloß, der Vermählungstag ward auf übermorgen angesetzt, [98] aber – der junge Held wurde gleich in der ersten Nacht von einer Krankheit befallen, die seinem Leben ein schnelles Ende machte. An eben dem Tage, der zur Vollendung seines Glücks bestimmt war, schloß er seine Augen auf ewig, und Bertha weinte verzweifelnd an seiner Bahre. Sie verlor mit ihm Alles; die Liebe ihrer Verwandten hatte sie durch ihre standeswidrige Wahl verscherzt, und es war wenig Hoffnung übrig, daß sie dieselbe, obgleich der unglückliche Gegenstand des Zwistes nun nicht mehr war, wieder erlangen würde. Machte man ihr doch schon ihre Thränen um den Verblichenen zum Vorwurf, und höhnte sie, daß sie sich als Braut in den Witwenschleier verhülle.

Baron Mathias hatte Mitleid mit der unglücklichen Bertha; er sah, wie elend sie in Zukunft im Kreis ihrer Verwandten sein würde, und beschloß, sie bei sich zu behalten. »Ich werde alt,« sagte er, »Gäste sieht mein Schloß nicht immer, und brauche ich gleich keine Haushälterin, da mein Hauswesen gar wohl versorgt wird, so brauche ich doch eine gute Gesellschafterin, die mir die Zeit mit Gesprächen kürze, mir den Wein in meinen Becher schenke, mich in Krankheit pflege, und geht es mit mir zum Tode, mit mir bete und um mich weine. Bertha wird sich zu dem Allen recht wohl schicken, und so sie will, bleibt sie bei mir.«

Unter den Verwandtinnen des alten Herrn waren auf diese Aeußerung hin wohl zwanzig, die sich zu den nämlichen Diensten erboten, aber es blieb bei der Wahl, [99] und Bertha blieb auch gern auf dem Schlosse. Seine Einsamkeit war ihr lieb, ihr Kummer suchte Raum, sich in heilenden Thränen zu ergießen, und wo hätte sie diesen besser finden können als hier, wo Niemand ihre Klagen höhnte, wo Flur und Hain, Wald und Gebürg sie aufnahmen, wenn das melancholische Schloß ihr zu enge ward. Hier mußte sich, wenn Alles den gewöhnlichen Gang ging, ihr Gram bald in jene süße wohlthuende Schwermuth verwandeln, welche ein fühlendes Herz gegen keine Freude tauscht.

Als man sah, wie gern sich das Fräulein in den Willen des Barons schickte und man von ihm Abschied zu nehmen kam, versuchten einige Basen und Schwägerinnen, ihr noch Allerlei – vielleicht Verhaltungsregeln für die Zukunft – in's Ohr zu raunen, aber der alte Herr hinderte das. – »Was sie nicht weiß,« sagte er nachdrucksvoll, »das ist ihr auch nicht noth zu wissen; vielleicht, daß sie nie, oder erst nach meinem Tode in den Fall kommt, es zu erfahren.«

Bertha verstand diese Worte nicht, und an spitzfündiges Grübeln war bei ihrer frommen truglosen Seele nicht zu denken. Sie führte auf des Barons Schlosse ein ganz zurückgezogenes, einförmiges Leben, verließ ihr Zimmer nur des Mittags und des Abends, um an der Tafel des guten Barons zu präsidiren, wo sie dann mit Hintansetzung ihres eignen Kummers sich bemühte, durch gute Laune seinen Wein zu würzen. – Um die Wirthschaft hatte sie sich nicht zu bekümmern, denn diese war, [100] wie der Baron ja selbst sagte, gar wohl versorgt; sie kannte kaum die Hälfte seines Schloßgesindes, das sehr zahlreich war, und seine Besucher vollends gar nicht.

Es geschah zuweilen, daß der muntere Greis, der in den Achtzigen erst zu merken begann, daß er alt werde, große Gesellschaft bei sich sah. Er und seine Tafel waren sehr beliebt bei dem benachbarten Adel, auch machte der Stand und das Ansehen, das er im Königreich behauptete, daß er oft Besuche aus Prag erhielt, und daß selbst fürstliche Personen bei ihm einsprachen; aber dann erhielt die schüchterne Bertha immer Erlaubniß, auf ihren Zimmern zu bleiben, wo der Spinnrocken, die Sticknadel, die wenigen Bücher, die damals ein Fräulein zu lesen pflegte, und ihre Laute ihr die Stunden geschwind genug vertrieben.

Bertha war eine Meisterin auf diesem Instrument, sie nützte es oft, den bösen Geist zu vertreiben, wenn er in den Schmerzen des Podagras über den Baron kam, und eben so oft brauchte sie es zu ähnlichem Endzweck, wenn sie sich zuweilen von einem zu heftigen Grame ergriffen fühlte, und das Bild des verlornen Geliebten zu lebhaft vor ihre Seele trat.

Eines Abends, als beim Baron wieder große Gesellschaft war, und Bertha auf ihrem einsamen Zimmer wechselsweise weinte und die Laute spielte, klopfte es leise an die Thür. Bertha stand auf zu öffnen, und siehe, eine feine ältliche Frau stand draussen, die sie mit ihrer gewohnten Freundlichkeit herein nöthigte. Sie sah sie [101] heute nicht zum erstenmale; schon oft war sie auf ihren einsamen Spaziergängen durch den Schloßgarten, oder wenn sie in den weiten Gallerien der Burg umherging, der Matrone begegnet, und hatte sie, wegen des reinlichen weißen Anzuges und des großen Schlüsselbundes an der Seite, für die Oberaufseherin der wohlbestellten Wirthschaft des Barons gehalten. Eine gegenseitige höfliche Verbeugung erfolgte dann allemal, aber gesprochen hatte man sich noch nie.

Der Matrone Gesichtszüge hatten für Bertha etwas sehr Anziehendes. Die Züge des Alters und einer sanften Schwermuth hatten Spuren ehemaliger Schönheit nicht ganz verwischen können; ihre Kleidung war äußerst einfach, und, wie schon gesagt, ganz weiß; aber der Schnitt derselben, und die Art, wie sie getragen wurde, zeigte doch, obgleich beides ein wenig altmodisch war, nichts von gemeinem Stande; auch ließ es sich denken, daß ein Mann, wie der Baron, keine geringe Frau zur Haushofmeisterin würde gewählt haben, und dies mußte nach Bertha's Vorstellung die Unbekannte nun einmal sein, die jetzt an der Thür stand, und von ihr herein genöthigt wurde.

Die Fremde weigerte sich ein wenig, bis Bertha ihre Hand ergriff, und sie über die Schwelle zog.

»Machet keine Umstände,« rief sie, »keine Umstände, liebe Frau – wie nennt ihr euch? –«

»Bertha, Fräulein!«

»Liebe Frau Bertha, also! – eure Hände sind kalt; hat mein Spiel, wie ich hoffe, euch herbei gezogen, so [102] müßt ihr es nicht vor der Thür, sondern in meinem Zimmer hören.«

»Wer klopft, begehrt Einlaß!« antwortete sie lächelnd.

»Recht wohl! also ein zugedachter Besuch! ihr seid mir willkommen! ich hoffe euch öfter zu sehen; ich bin zwar gern einsam, aber die Gesellschaft einer guten Matrone, wie ihr, wird mir immer erwünscht sein!«

Frau Bertha lächelte, stellte sich hinter einen Stuhl, und deutete auf die Laute, welche das Fräulein von neuem ergriff und zu spielen begann; aber das Stück war noch nicht halb geendigt, so näherte sich die Besucherin der Thür, machte gegen ihre junge Namensschwester eine verbindliche Bewegung mit der Hand, und verließ das Zimmer.

Dergleichen abgebrochene Besuche bekam das Fräulein sehr fleißig, aber zu ihrem größten Kummer wurde wenig, oft auch gar nichts dabei gesprochen, und die Laute, welche die Matrone gern zu hören schien, obgleich sie selten ein ganzes Stück abwartete, mußte immer die Hauptrolle spielen. Die junge Bertha unterhielt sich gern, und hätte wohl der angeblichen Wirthschafterin ihres Verwandten etwas mehr Redseligkeit gewünscht; doch das geschäftige Klirren mit den Schlüsseln, das immer ihre Ankunft verkündigte, und wenn sie schied, noch lange hinter ihr hörbar war, überredete das Fräulein, die Alte habe zu viel zu thun, um die Geschwätzige zu machen. Auch war es ja vielleicht möglich, daß der Baron, der [103] seine Eigenheiten hatte, den Verkehr seiner Leute mit seiner Verwandtin nicht gern sah, und daß diese Besuche nur heimlicherweise geschahen; eine Befürchtung, weshalb Bertha nie ein Wort von denselben gegen den Baron oder irgend Jemand erwähnte.

Bertha gewann die Matrone nach und nach so lieb, daß sie sie oft mit ihrer Laute herbeizulocken suchte, und mißmuthig ward, wenn sie, wie zuweilen geschah, nicht erschien. Kam sie dann und stellte sie sich hinter einen Stuhl an die Wand – sie setzte sich nie – so unterbrach die junge Bertha oft ihr Spiel, um diese oder jene Frage an sie thun, welche meistens blos durch Pantominen beantwortet wurden. Zum Beispiel:

»Es ist doch artig, Frau Bertha, daß ich mit euch einerlei Namen führe.«

Eine Bewegung mit der Hand, als wollte die Alte sagen, auch ihr sei dieß lieb.

»Ihr seid gewiß immer sehr beschäftigt? Ihr besucht mich so selten!«

Ein leises Klirren mit den Schlüsseln, als Bejahung der Frage.

»Es scheint fast, als wolltet ihr eure Besuche vor den andern Personen im Schlosse verheimlichen?«

Der auf den Mund gelegte Zeigefinger bejahte die Vermuthung. –

»Ihr habt so eine schwermuthsvolle Miene, euer Gesicht ist so blaß, ihr seid wohl nicht glücklich?«

Ein tiefer Seufzer, und ein Blick nach dem Himmel. – –

[104] Einst ging das Fräulein in ihren Fragen noch weiter. »Liebe Frau Bertha,« sagte sie, »ihr habt einen so edeln Anstand, ihr könnt unmöglich von niedriger Herkunft sein!«

»Ich bin eine geborne von Rosenberg.«

»O, dies ahndete mein Herz!« rief Bertha feurig, »erlaubt, daß ich meine Verwandtin umarme!«

Die Matrone trat zurück.

»Ihr zürnt mit mir! ihr entzieht euch meiner Vertraulichkeit, die ich nun, da ich euch kenne, euch so gern ganz schenken möchte! Wie viel hätte ich euch zum Beispiel nur zu fragen, da ich nun weiß, daß ihr zu unserm Hause gehört! Die Geschichte der alten Herrn von Rosenberg soll so seltsam sein, wie viel könnte ich durch euch erfahren!«

Ohne zu antworten näherte sich Frau Bertha der Thür, und winkte dem Fräulein, ihr zu folgen.

Der Weg ging durch eine Menge schallender Gallerien in einen Flügel des Schlosses, der der jungen Bertha ganz unbekannt war. Sie standen auf einmal an einer großen doppelten Flügelthür. Die Matrone suchte in dem Bund an ihrer Seite nach dem Schlüssel, der hier öffnen sollte; er war gefunden. Schon drehte er sich einmal im Schlosse, da schlug es zwölf Uhr, die Kerze in der Hand des Fräuleins erlosch, und rund umher war dicke Finsterniß.

»Welcher verdrießliche Zufall!« rief Bertha, »was sollen wir nun beginnen? Eure Hand, Frau Rosenberg! [105] ohne Zweifel seid ihr hier besser bekannt als ich!« – Aber es streckte sich keine leitende Hand nach der Hand der armen Bertha aus, und das entfernte Klirren der Schlüssel sagte ihr, daß sich die Matrone entfernt habe.

Bertha war nicht ohne Unwillen gegen ihre Verwandtin, doch enthielt sie sich lauter Aeußerung desselben. »Unhöflich,« sagte sie bei sich selbst, indem sie im Dunkeln den Rückweg suchte, »unhöflich ist's doch in der That, mich hier in der Finsterniß zu verlassen; doch vielleicht ist sie nach Licht gegangen. Frau Bertha! Frau Bertha! soll ich hier auf euch warten?«

Nichts antwortete als der Wiederhall! Das Fräulein harrte ein wenig, ließ noch einigemal den Namen der Matrone ertönen, ward dann ungeduldig, und half sich, weil sie ein kleiner Schauer überfiel, am Ende so gut sie vermochte, auf ihr Zimmer zurück. Es schlug ein Uhr, als sie es endlich erreichte, die zurückgelassene Kerze war dem Verlöschen nahe, sie warf eilig ihre Kleider von sich und ging zu Bett.

»Was sie nur mit dem ganzen Spaziergange bezwecken wollte?« fragte sie sich nach einer Weile, als das Pochen ihres Herzens ein wenig nachließ. »Doch halt! ich fragte nach den alten rosenbergischen Geschichten, ich habe viel von einer Bibliothek, von einem Archiv im südlichen Flügel des Schlosses gehört, ohne Zweifel hat sie auch dazu den Schlüssel, und wenn der fatale Umstand mit dem erloschenen Lichte nicht gewesen wäre, so könnte meine Neugier völlig befriedigt sein. – Nun, was heute [106] nicht glückte, geschieht ein andermal. Wenn sie wiederkommt, werde ich meine Bitte erneuern, und ihr nichts von meinem Unwillen merken lassen, damit ich sie nicht erzürne.«

Bertha schlief ein, und verträumte eine ganze Nacht unter Bildern von alten Manuscripten, und Vorstellungen von seltenen unerhörten Geschichten, wovon sie eine besondere Freundin war. Am andern Tage harrte sie bis zur Abendstunde, wo die Matrone immer zu erscheinen pflegte, sie nahm die Laute, sie sang, sie spielte auf das künstlichste; kein leises Klopfen wurde gehört, kein Besuch ließ sich sehen.

Am zweiten und dritten Tage, und in sechs darauf folgenden, ward jeder Winkel bes Gartens, jeder Theil des Schlosses durchstrichen, wo ihr sonst die rosenbergische Frau Muhme begegnet war. Doch vergebens; die Alte ließ sich nicht sehen und Bertha würde gedacht haben, der Baron hätte seinem Hauswesen eine andere Aufseherin gegeben, wenn sie nicht gewußt hätte, daß dergleichen Aenderungen hier nie gemacht wurden, und daß Herr und Diener auf Schloß Neuhaus sich nie anders, als durch den Tod trennten.

Auf einmal kam ihr der Gedanke, die Matrone könne wohl krank sein, und gern hätte sie sich nach ihr erkundigt, wenn sie nur gewußt hätte, ob sie die Bekanntschaft mit einer Person dürfte merken lassen, deren Besuche, sie mochte sie beherzigen wie sie wollte, so viel Verstohlenes und Geheimnißvolles hatten. Sie begnügte [107] sich am Ende mit der allgemeinen Frage, ob Jemand auf der Burg krank sei, und fühlte sich durch die Antwort Nein! befriedigt.

Ein anderer Wunsch beunruhigte sie jetzt mit doppelter Stärke, die Begierde nach dem Innersten jenes Saals, an dessen Thür sie die Matrone vor neun Nächten geführt hatte. »Sie kommt nicht,« sagte sie zu sich selbst, »ihr angefangenes Werk auszuführen, und ich will deshalb nicht länger anstehen, die Befriedigung meines Verlangens vom Baron zu erbitten.«

»Mein Oheim,« sagte sie Tags darauf zu ihm, als nach der Mahlzeit ihn der Wein fröhlich machte, »solltet ihr wohl glauben, daß eure Bertha zu Zeiten lange Weile hat?«

»Gar gern, mein Kind! In deinen Jahren keinen andern Zeitvertreib, als den Spinnrocken, die Nadel und einige Bücher? – Du bist ein Phönix, wenn du dich lange bei denselben erhalten kannst.«

»Ich werde es können; nur jetzt giebt es eine kleine Lücke in meinen Beschäftigungen. All mein Flachs ist versponnen, all meine Tapetenarbeit geendigt, all meine Bücher sind zum zehntenmal gelesen – –«

»Gedulde dich, es ist ein großes Fest vor der Thür, bei welchem du diesmal nicht fehlen darfst, weil du, als die einzige gegenwärtige Dame von unserm Hause, hier schlechterdings die Wirthin machen mußt! Dies wird eine kleine Abänderung in die Einförmigkeit deines Lebens bringen, und –«

[108] »Ach nein, mein Oheim, ich hasse die Gesellschaft, ich mag Niemand sehen!«

»Die Gäste werden dir gefallen, es sind deine alten Freunde, die Armen!«

Bertha wußte wohl, daß ihr ehrwürdiger Verwandter den Armen alle Jahre eine große Mahlzeit gab, bei welcher jedesmal eine rosenbergische Dame als Wirthin präsidirte. Die Sache gefiel ihr, sie hatte sich immer diese Rolle gewünscht, und sie dankte ihrem Oheim aufrichtig für die zugedachte Ehre; aber dies war doch eigentlich der Gegenstand nicht, womit sich ihre Gedanken jetzt am meisten beschäftigten. Sie wünschte zur Vertreibung der vorgeschützten Langeweile Zutritt in dem rosenbergischen Archiv, und wagte es endlich kühnlich, darum zu bitten, weil es schien, als habe die Hüterin der Schlüssel sie, und die in ihr erregte Neugier ganz vergessen.

Der Baron lachte über ihre Bitte. »Schade,« sagte er, »daß du kein Knabe bist! Ein Mönch ist an dir verdorben, weil du so gern in dem Staube von alten Manuscripten wühlst! Hier ist der Schlüssel; warum sollte ich dir die Freude versagen, das Haus kennenzu lernen, aus dem du entsprossen bist! Du wirst jedoch Alles in einiger Verwirrung finden, weil ich das letztemal, da ich dort nach einigen Familiennachrichten suchte, wegen einem wichtigen Vorfall schnell abgerufen wurde und Alles in der größten Unordnung zurücklassen mußte. Könntest du den Geist der Ordnung, der dir eigen ist, in meine Pergamente übertragen, so würde ich dir danken; doch thue [109] mir den Gefallen, und arbeite nie in der Mittagsstunde; du weißt, daß ich meine Mahlzeit nicht gern verschieben lasse; noch des Nachts: es ist wegen Feuersgefahr! In den übrigen Stunden kannst du dort nach Belieben verweilen.«

Bertha verstand nicht die Hälfte von dem, was ihr Oheim sagte, auch war es vermuthlich seine Meinung nicht, daß sie ihn ganz verstehen sollte, sonst würde er deutlicher gesprochen haben. Sie nahm den Schlüssel, küßte die Hand des Greises, und hüpfte davon.

»Sachte, sachte, Bertha!« rief er ihr nach, »du wirst dich nicht zu recht finden, der Büchersaal ist in einer Gegend des Schlosses, wo du noch gar nicht gewesen bist. Nimm einen von den Leuten mit dir, und noch eins, gehe nicht in das südliche Nebenkabinet, wenn ich nicht selbst dabei bin; ich will schon einmal Gelegenheit nehmen, dich bei deinen gelehrten Arbeiten zu besuchen.«

Bertha, die stehen geblieben war, antwortete nur mit einer Verbeugung und verschwand. Von den Leuten nahm sie Niemand mit sich; sie konnte sich schon allein an den Ort zurecht finden, den sie nicht, wie ihr Oheim meinte, heute zum erstenmal betrat.

Ein wenig wunderte sie sich, als sie die äußersten Thüren zu den Sälen und Gallerien, durch die man gehen mußte, und die in jener Nacht alle offen waren, verschlossen fand; doch der Schlüssel eröffnete jedes Schloß, und jetzt stand sie vor der doppelten Flügelthür, wo vor neun Tagen beim zwölften Glockenschlage die Kerze erlosch, und die rosenbergische Matrone verschwand.

[110] Sie schloß die Thür auf; ein großer Saal öffnete sich ihr, viel zu geräumig für die kleine Anzahl Bücher, die an den Wänden aufgestellt waren, und ihm den Namen einer Bibliothek gaben. Doch einige hundert Bände waren in den damaligen Zeiten schon eine große Sammlung für einen Edelmann, und mancher Abt würde damit zufrieden gewesen sein! – Die neugierige Bertha warf jetzt ihre Augen nicht auf diese Vehikel der Weisheit und Thorheit ihres Jahrhunderts, sondern eilte nach dem großen Tisch von Eibenholz mit gedrehten Säulen, der in der Mitte des Saales stand, und auf welchem sie, wie ihr der Baron gesagt hatte, Alles aufgethürmt finden sollte, was zur Familienkunde gehörte, und was sie, das war der Wille des Greises, fein ordentlich wieder in das vergoldete Wandschränkchen legen sollte, dessen beide Thüre offen standen, und aus welchem es genommen war.

»Der Oheim muß sehr eilig gewesen sein, als er dieses Zimmer zuletzt verließ,« sagte Bertha, indem sie einen großen silbernen Leuchter von der Erde aufhob, über den sie bald gefallen wäre. »Welche Unordnung! welcher Staub! hier scheint in Jahren Niemand gewesen zu sein! Und die Haushälterin hatte doch den Schlüssel, und er ging so leicht in dem Schlosse herum, während ich es vor Rost kaum zu öffnen vermochte!«

Bertha begann in den Pergamenten zu wühlen; eine mühselige Arbeit, die ihr noch dazu wenig Vergnügen gewährte, denn sie stieß Anfangs auf nichts als alte Stammbäume, Schenkungsbriefe, Verträge, Kontrakte, [111] und eine Menge andrer Dinge, die zwar sichere Belege von dem Reichthum und dem Adel ihres Hauses waren, sie aber nicht sonderlich interessirten. Nahrung für ihre Neugier suchte sie; sie hatte schon von ihrer Amme so viel von den sonderbaren Geschichten der alten Herren von Rosenberg gehört, daß sie gern hier mehr erfahren hätte. Sie sah sich getäuscht, und hätte vielleicht das ihr übertragene Amt, als rosenbergische Archivarin, augenblicklich aufgegeben, wenn sie sich nicht deshalb vor ihrem Oheim, der überdieß ihres Einfalls spottete, geschämt hätte. – Sie faßte endlich den Entschluß, Alles, Stück vor Stück, zu mustern und zu ordnen, und ging rüstig an's Werk. Sieben Tage dauerte die Arbeit, denn sie übernahm sich nicht bei derselben; sie fand zu wenig von dem, was sie suchte, als daß sie hätte emsig sein sollen. Der Baron fragte oft nach dem Fortgange ihrer Geschäfte, und lachte herzlich, wenn er ihre Unzufriedenheit merkte.

Am achten Tage sollten indeß ihre Nachforschungen von besserem Erfolge sein. Sie hatte den ganzen Vormittag gearbeitet, um endlich der verdrießlichen Arbeit quitt zu werden. Das goldne Wandschränkchen füllte sich mit wohlgeordneten Urkunden, der Tisch wurde fast leer, da stieß sie auf einige eng beschriebene Blätter, die nichts Geringeres enthielten, als jene verrufene Mähr, die vor Kurzem der heutigen Welt unter dem Namen einer Geschichte der Grafen von Rosenberg übergeben worden ist. Sie erzählten umständlich die Abentheuer eines alten [112] Familienschlosses im Böhmerwalde, und fesselten die aufgeregte Phantasie des Fräuleins so sehr, daß sie zum erstenmal vergaß, daß es Mittag war, und man bei der Tafel auf sie wartete.

Es schlug zwölf Uhr; die Thür, durch welche Bertha in den Saal gelangt war, öffnete sich, die emsige Geschichtsforscherin, durch das Geräusch in ihrer Lectüre gestört, sah sich forschend um und erblickte die rosenbergische Haushälterin, die schweigend durch den Saal nach dem südlichen Kabinet eilte.

»O Frau Bertha!« rief das Fräulein, indem sie aufsprang, um auf sie zuzugehen, »sehe ich euch endlich wieder? Fürwahr ich glaubte –«

Die Matrone ließ sie nicht ausreden. »Es hat zwölf geschlagen!« sagte sie, indem sie auf die Thür deutete.

Es war so etwas Gebietendes in dem Winke, daß die junge Bertha augenblicklich gehorchte; sie machte eine Verbeugung und ging in dem nämlichen Augenblicke zur äußern Thür hinaus, wo die Frau Base durch die innere verschwand. Ein Zugwind pfiff ihr nach, der ihr die Thür aus den Händen riß und sie krachend zuschloß.

Ein wenig bestürzt, sie wußte selbst nicht worüber, langte sie im Tafelzimmer an. Der Baron, der bereits hinter seinem Stuhle stand, und den dampfenden Schüsseln entgegen sah, drohte mit aufgehobenem Finger, und sagte, sie habe lange auf sich warten lassen. »Ist dir [113] Niemand von den Leuten begegnet?« fuhr er fort, »ich habe bereits nach dir geschickt.«

»Ich sah Niemand als die Haushälterin, mein Oheim!«

»Die Haushälterin? Wen meinst du damit?«

»Die stattliche ehrbare Frau mit den Schlüsseln; sie soll, glaub' ich, eine von Rosenberg sein.«

Der Baron wurde bleich, und bemühte sich vergebens, seine Aufregung zu verbergen.

»Eine so nahe Base,« fuhr das Fräulein fort, »und nichts weiter, als Ausgeberin! Es bekümmerte mich heute ordentlich, zur Mittagstafel zu gehen, wo ihr ebensogut eine Stelle gebührt als mir!«

»Bertha, hast du noch nicht gehört, daß man nicht über Dinge urtheilen darf, die man nicht versteht?«

Bertha schwieg und erröthete. – Auch der Baron sprach die ganze Mahlzeit über kein Wort; er war still und nachdenkend. Als man sich erhob, forderte er von dem Fräulein den Schlüssel zur Bibliothek zurück.

»Nur noch einige Tage, mein Oheim,« bat sie, »und ich hoffe ganz fertig zu sein!«

»Mädchen! Mädchen!« erwiederte er, »du wirst das Ding noch so lange treiben, bis dir etwas begegnet, das dir Unheil bringt! Hüte dich vor allem vor der Nacht! Du kannst dir ja das, was deine Neugier so lebhaft reizt, mit auf dein Zimmer nehmen.«

Bertha gehorchte. Sie nahm die furchtbare Geschichte von dem abentheuerlichen Schlosse mit in den Garten [114] und las den ganzen Nachmittag bis zur Abendmahlzeit, die sie diesesmal, weil Gäste vorhanden waren, auf ihrem Zimmer hielt. Als sie die Geschichte geendigt hatte, machte sie sich auf, das Manuscript wieder an Ort und Stelle zu bringen.

Es war zur Zeit der schönsten und längsten Tage; das mitgenommene Licht war ihr bei der erst beginnenden Dämmerung fast unnöthig; dennoch ließ sie es brennen, setzte es auf den großen Tisch in der Bibliothek, und als sie unter dem Hin- und Herwerfen der übrigen Papiere noch etwas fand, das ihre Aufmerksamkeit erregte, zündete sie noch zwei große Wachskerzen an, deren eine sie beim ersten Eintritt in diesen Saal auf dem Boden liegend gefunden hatte, um bei der zunehmenden Finsterniß den großen Saal gehörig zu erleuchten.

Das Manuscript, was sie jetzt vor sich hatte, fesselte ihre Aufmerksamkeit ganz; erst hatte sie stehend gelesen, mit dem Entschlusse, sich gleich nach Endigung des nächsten Abschnittes zu entfernen, jetzt machte sie sich es bequem, setzte sich in den großen Armstuhl, putzte die sämmtlichen Kerzen, und las und las ohne Aufhören, bis ein Gestirn nach dem andern am Horizont erschien, und die Nähe der Mitternacht verkündigte. Bertha fand hier mehr Nahrung für den Geist als in dem Mährchen, mit welchem sie sich diesen Nachmittag beschäftigt hatte. Sie hatte von Kindheit auf, ihrem abergläubischen Zeitalter zum Trotz, nicht viel von Mährchen gehört, daher ihre gänzliche Unbekanntschaft mit der Ideenwelt, daher ihre [115] gänzliche Furchtlosigkeit bei Ereignissen, die sie schon erlebt hatte, und die bei einer andern als ihr, wohl einiges Nachdenken, wohl einigen Schauer hätte erregen können.

Was zu sehr das Gepräge der Fabel trug, das behagte ihr nicht ganz, wenn es auch ihre Phantasie auf einige Stunden beschäftigen konnte. Hier fand sie Wahrheit. Die Blätter, die sie vor sich hatte, enthielten die Geschichte eines alten Herrn von Rosenberg, welche wir genöthigt sind, dem Leser um der Folge willen hier in nuce mitzutheilen, freilich nicht in der kraftvollen Sprache des Chronikons, das die junge Bertha vor sich hatte; aber würden wir auch in unsern Zeiten im Stande sein, sie zu verstehen, oder ihre Schönheiten so zu schätzen, wie das Fräulein sie schätzte, die einmal über das andere zu sich selbst sagte, wie sie nie etwas interessanteres und rührenderes gelesen habe als diese Geschichte.

»Wilhelm Ulrich von Rosenberg war, laut der Legende, zu Zeiten der Kaiser Wenzel, Ruprecht und Siegmund, ein Mann, der im Königreich Böhmen in großem Ansehen stand. Sein Reichthum, seine Weisheit, und seine Tapferkeit machten ihn den genannten drei Beherrschern des deutschen Reichs zum lieben Diener. Dem ersten schenkte und borgte er so viel er wollte, dem zweiten half er die Gerechtigkeit reformiren, und mit dem dritten zog er mehr als einmal widerden Erbfeind, die Türken. Herr Ulrich war ein wackrer, weidlicher Mann; er gefiel durch seine schöne Gestalt den Damen seiner [116] Zeit ebenso sehr, als den Männern durch sein tadelloses Innres. Die schönsten und vornehmsten Jungfrauen hingen an seinen Blicken, und hofften von ihm gewählt zu werden, obgleich eine jede bei dem Wunsch, Frau von Rosenberg zu heißen, ein kleines Zittern fühlte, denn Ulrichen waren viel Gemahlinnen geweissagt worden, und keine von seinen Bewunderinnen trug sonderliches Verlangen, die erste zu sein.

Wilhelm Ulrich war auf seinen hohen Adel, und auf den fürstlichen Reichthum, den er besaß, ein wenig stolz, und durch Fürstengunst und Kriegsglück ziemlich kühn gemacht worden. Ausgezeichnete Schönheit war nicht hinreichend, ihn zur Liebe zu stimmen; Hoheit und fürstlicher Rang waren es, was er an seiner künftigen Gemahlin wünschte, und so geschah es, daß er nach und nach der Gemahl von vier Prinzessinnen ward. Das Glück, das er an der Seite der schönen Oligarde von Braunschweig, seiner ersten Gemahlin, genossen hatte, berechtigte ihn nach ihrem Tode, der in wenig Jahren erfolgte, nicht niedriger zu wählen. Ein Brandenburgisches, ein Badensches und ein Bernstädtisches Fräulein waren ihre Nachfolgerinnen, denn der Tod brach die lieblichen Blumen alle frisch nach einander hinweg, und Herr Ulrich ward des Weibernehmens endlich so gewohnt, daß ihm die Wahl einer neuen Gemahlin schier nicht mehr Sorge machte, als die Wahl einer neuen Rüstung.

Seine letzte Wahl war die kühnste und glücklichste von allen. Fräulein Mathilde von Bernstädt war eine[117] Enkelin Kaiser Sigmunds, ein Engel an Schönheit und Tugend, aber für den alternden Herrn von Rosenberg fast zu jung. Sie trat an ihrem Hochzeittage das siebzehnte Jahr an, und man konnte freilich muthmaßen, daß sie die letzte sein würde, die Herr Ulrichen zum Altar begleitete, daß sie einst als Witwe an seinem Grabe weinen würde.

Die Wahrscheinlichkeit täuschte. Nach einem vierjährigen, nicht ganz glücklichem Ehestande ward sie ein Opfer des Todes; sie starb, indem sie einer Tochter das Leben gab, die durch ihren Verlust, den sie noch nicht fühlen konnte, doppelt verwaist wurde. Der Herr von Rosenberg fand es nicht für gut, zum fünftenmale zu freien, aber ewiger Trauer um seine verblichene reizvolle Gemahlin ergab er sich deshalb nicht. Ehrgeiz, nicht Liebe war es gewesen, was ihn diese Verbindung hatte eingehen lassen, und daß das Band jetzt zerrissen war, schmerzte ihn nur aus einer Ursache. Die kaiserliche Verwandtschaft hatte ihm nämlich Hoffnung gemacht, sich zum Fürstenstand empor zu schwingen; diese Hoffnung war nun verschwunden, und er mußte sich mit der Ehre begnügen, kaiserlicher Feldherr und Oberburggraf von Böhmen zu sein und zu bleiben. Voller Unmuth darüber, daß er in der Mitte seiner Laufbahn stehen bleiben solle, vermochte er nicht länger auf seiner Burg in unthätiger Ruhe zu verweilen und zog aufs neue in Kampf und Streit, um unter dem Geräusch der Waffen seine gescheiterten Entwürfe, und sich selbst zu vergessen.

[118] Die kleine Bertha, Mathildens trauriges Vermächtniß, hielt ihn nicht in seinen Landen zurück; er liebte sie so wenig als er ihre Mutter geliebt hatte. Er hätte das zarte Fräulein ohne Bedenken den Händen seines Burgvoigts überlassen, und es dem Zufall anheim gestellt, was unter vernachlässigter Zucht aus ihr werden würde, wenn nicht ihre älteren Geschwister, die schier ihre Väter und Mütter hätten sein können, es über sich genommen hätten, die hülflose Waise in Schutz zu nehmen. Eine vermählte Schwester von ihr, und Herr Heinrich von Rosenberg, ihr ältester Bruder, theilten die Sorge um sie, und unter ihrem Schutze wuchs sie zu der Vollkommenheit heran, die in der Folge Jedermanns Bewunderung erregte, so wie ihr unglückliches Schicksal sie bald zum Gegenstand des allgemeinen Mitleids machte. – –«

So weit hatte Fräulein Bertha gelesen, als sie inne wurde, daß die Schrift sich änderte, und die Erzählung in der ersten Person fortgesetzt ward. Die Schriftzüge waren schön, aber ungemein klein, sie putzte die Lichter, um heller zu sehen. Als sie umher schaute, ward sie gewahr, daß draußen die dickste Nacht den Rabenfittig ausgebreitet hatte, die Schloßuhr schlug halb eilf Uhr, ein Gedanke an die Warnung des Barons, hier nicht zu übernachten, flog ihr durch den Sinn, aber sie deutete die Worte des Barons falsch, dachte blos an Feuersgefahr, und traf alle nöthige Vorkehrung, um selbst für den Fall, daß sie über dem Lesen entschlummern sollte, [119] nichts zu besorgen zu haben. Doch war für sie wohl an Schlaf zu denken, da die Heldin einer Geschichte, die sie so sehr interessirte, jetzt selbst in dem rührendsten Tone von Leiden sprach, die sie einst erduldete, und die der stillen Denkerin Stoff zu Gefühlen und Betrachtungen gaben, die sich nicht beschreiben lassen?

Was der Schwärmerin Bertha vor fast zwei hundert Jahren rührend vorkam, was ihr gefühlvolle Thränen entlockte, gleitet vielleicht in veränderten Ausdrücken über das Herz des heutigen Lesers wie kühlendes Wasser dahin; es sei so! Die Ansprüche des Mährchenerzählers sind zu klein, als daß ihn dieß befremden dürfte!

Die Tochter bes Oberburggrafen von Böhmen knüpfte den Faden ihrer Erzählung folgendermaßen an die Stelle an, wo ihr Vorgänger geendigt hatte.

»Ein Gegenstand des Mitleidens? – Trauriger Vorzug für die, deren Ansprüche an das Leben sie zu der Hoffnung berechtigen konnten, ganz entgegengesetzte Empfindungen zu erregen. Der Urenklin eines Kaisers, der Tochter eines kaiserlichen Feldherrn eröffneten sich so glänzende Aussichten, wie sie wenige haben, und wenige wurden getäuscht, wie ich getäuscht wurde. Mein Vater fiel in einer Schlacht, ehe ich nur ein Mal das Glück gehabt hatte, seine Kniee zu umfassen. Er hinterließ seinen zahlreichen Kindern ein nur geringes Vermögen, denn der fürstliche Aufwand, den er sowohl an des Kaisers Hofe, als auch im Felde zu machen gewohnt war, hatte nach und nach den größten Theil seiner früheren Reichthümer [120] verschlungen. Mein Urgroßvater, der Kaiser, war todt, meine andern mütterlichen Verwandten, nie mit der rosenbergischen Heirath zufrieden, beachteten mich nicht, und so geschah es denn, daß ich in der Dunkelheit eines düstern Waldschlosses eingeschränkt erzogen wurde, wo man mir später täglich vorsagte, ich sei ein armes Fräulein, und habe keine Wahl als das Kloster.

Ich muß in meinen jüngern Jahren schön gewesen sein; erst jetzt, in den Jahren, wo diese traurigen Reste ehemaliger Reize mir gleichgültig sind, erst jetzt werde ich es gewahr. Anlagen zu hohem Muth und Frohsinn waren in meiner Seele wohl auch vorhanden; alle diese Vorzüge vernichtete aber die Hand des Unglücks, ehe sie zu voller Blüthe kamen. Der Trübsinn derer, die mich umgaben, die Gewißheit, einer traurigen Zukunft entgegen zu gehen, raubte mir den Hang zu jeder Freude, und machte mich zur schwermüthigen Träumerin. Mich von meinem Gram loszureißen, beschäftigte ich mich mit Studien, die für mein Geschlecht nicht gemacht sind; die finstere Mystik, die Erlernung der todten Sprachen waren der Zeitvertreib meiner Einsamkeit, und brachten mich vollends ganz von meiner Bestimmung ab. Ich taugte zu nichts als zum Kloster, und war wirklich im Begriff, den Schleier zu nehmen, als man mich wider meinen Dank und Willen zur Gemahlin des Freiherrn von Lichtenstein machte. Dieß war ein reicher Herr, den meine hohe Abkunft, und vielleicht einiger Schimmer von Schönheit, den ich wirklich in meinem sechs und zwanzigsten [121] Jahr noch besaß, zu seiner Wahl bestimmt hatte. Eine glänzende Sphäre öffnete sich mir, deren Vorzüge und Freuden zu genießen, ich jedoch nicht mehr fähig war. Ich wäre glücklich gewesen, hätte mich das Glück, das mir damals begegnete, um zehn Jahre früher betroffen, oder hätte man mich in der Erwartung erzogen, daß ich einst ein solches erlangen könnte. O Gott! ich hätte noch vielleicht glücklich sein können, wenn ich den klösterlichen Eigensinn', den ich mir in der Einsamkeit angewöhnt hatte, abzulegen vermocht hätte. Mein Gemahl war liebenswürdig, warum liebte ich ihn nicht? oder vielmehr, warum nahm ich meiner Zuneigung für ihn, die er sich endlich ersiegte, nicht die düstre Hülle, welche Alles umgab, was mich betraf?

Was ich hätte thun sollen, um ihn und mich glücklich zu machen, das leuchtete mir erst dann ein, als es zu spät war! Er verließ mich und liebte andre. Ich zürnte, zürnte so unversöhnlich, daß, als er wiederkehrte, als er zu meinen Füßen um Vergebung flehte, ich ihn stolz verließ, und Zuflucht in den Armen meines Bruders suchte. – O Gott! Richter zwischen ihm und mir! wie wirst du richten? –

Er starb! mein Gemahl starb! Viele fluchten seinem Andenken, weil er sich an mir vergangen hatte. Ich fluchte ihm nicht, ich wußte, wie weit ich schuldig an seinen Vergehungen war! Reue, die bittersten Selbstvorwürfe, halbe Verzweiflung war mein Loos von seinem Tode an und wird es bis zu meinem Ende sein. –«

[122] Bertha ward hier von ihren Thränen übermannt; sie vermochte die kleine Schrift nicht mehr zu lesen, und richtete sich auf, die Lichter heller brennen zu machen.

Da stand ihr gegenüber die rosenbergische Matrone mit in einander geschlagenen Armen, und starr auf sie geheftetem Blick. Das Fräulein, ohne darüber bestürzt zu sein, sich auf einmal in ihrer Gesellschaft zu sehen, streckte den Arm aus, ihre Hand zu fassen, und schluchzte:

»Ach meine Base! Was lese ich hier für Dinge!«

»Mas ist dein Urtheil darüber?« antwortete sie.

»Mein Urtheil? – Ach, diese Geschichte ist mir nicht neu, ich weiß sie viel anders, als sie hier die unschuldigste Büsserin, die es je gegeben hat, aufgezeichnet. Lichtenberg war ein Bösewicht, Bertha von Rosenberg eine duldende Heilige, ihr, nicht ihm, fließen meine Thränen.«

Mit einem unaussprechlichen Blick schlug die Matrone die Augen gen Himmel. »Du wirst kommen,« sagte sie leise, »du wirst kommen, die Todten und die Lebendigen zu richten, auch weiß ich, daß mir noch ein Gericht bevorsteht!« 2

»Ein gnädiges Gericht,« sagte Bertha, »wenn ihr so gut und schuldlos seid, als eure und meine Namensschwester, [123] deren Geschichte ich lese. Laßt mich sie laut vollenden, der Worte sind nur noch wenige, ich denke, sie werden euch so wichtig sein als mir!«

Es erfolgte keine Antwort, die Leserin fuhr fort. – –

»Was bleibt einem gebeugten, von Gewissensbissen zernagtem Herzen für Linderung übrig, als Wohlthun? Ich war jetzt reich, ich konnte jenem Hang, zu geben und zu beglücken, dem ich früher immer Fesseln anlegen mußte, freien Lauf lassen! Doch dem Herzen, das keine Reichthümer achtet, ist geben allzu leicht; ich fühlte es, daß ich schwerere Pflichten auf mir hatte. Die unmündigen Kinder meiner Schwester wurden von mir erzogen; ihr schönes Heranwachsen zu Tugend und Glück, war die erste, die einzige Freude, die ich in meinem thränenvollen Leben hatte. Ich baute ihnen dieses Schloß. Die Umwohner, meine Unterthanen, dienten mir gern bei dem schweren Bau, denn sie liebten mich; ich denke, ich habe sie nicht gedrückt, bin nie hart gegen sie gewesen. An dem Feste, das ich ihnen zum Andenken der geendeten Arbeit stiftete, und das ihre Nachkommen von den meinigen auf ewige Zeiten zu genießen haben sollen, hörte ich keinen Fluch über mich, hörte ich nur Segen aus ihrem Munde ertönen. Die guten Leute baten, ich sollte mich zum Andenken dieses Tages so abbilden lassen, wie ich in meiner halben Witwentracht, die meine beständige Kleidung ist, unter ihnen umherging, und ihnen das Brod austheilte. Ich habe ihnen gewillfahrt, ich hoffe, es ist keine Eitelkeit darin; irre ich, so wird auch diese [124] Spreu von den Waizen gesondert werden. – Mein Bild findet sich auf dem großen südlichen Saal an der Morgenseite. –«

»Ihr Bild?« rief hier Bertha. »Wie? ihr Bild? – und ich habe es noch nie gesehen? O, meine Base, ohne Zweifel könnt ihr mir sagen, – – Aber wie? ich bin allein? Wie konnte sich meine Zuhörerin so leise entfernen.«

Bertha rief noch einigemal ihre Namensschwester, und erhob sich dann, als keine Antwort erfolgte, mit dem einen Lichte – die andern waren bereits erloschen – um sich nach dem umzusehen, was jetzt ihre ganze Neugier rege machte, nach dem Bilde ihrer Heiligen. »Wenn dieses der große südliche Saal ist,« sagte sie zu sich selbst, »so muß ich es hier finden! Der Tag bricht bereits durch die Fenster! Hinweg mit der Kerze, sie nützt mir nicht!«

Die Zeit, wenn Tag und Nacht sich scheiden, ist, laut alter Sagen, Geistererscheinungen so günstig als die schwarze Mitternachtstunde. Die muthige Bertha, die sich in dieser nicht gefürchtet hatte, fühlte auch jetzt kein Grauen; wie hätte sie auch gesollt, da in ihrer Phantasie keine Gespensterideen einheimisch waren, und sie zur Zeit noch nichts erfahren zu haben glaubte, was die gemeinen Sagen von solchen Dingen begünstigen könnte.

Bertha mochte die Fenstergardinen zurückziehen wie sie wollte, mochte im röthlichem Morgenlichte die Wände des Saals noch so genau betrachten, sie sah nichts, was einem Bilde ähnlich war. Sie stand jetzt an der Thür [125] des südlichen Kabinets, und ohne sich daran zu erinnern, daß ihr der Eintritt in dasselbe von ihrem Oheim verboten war, öffnete sie es und ging hinein. Ein schnell umher geworfner Blick zeigte ihr, wie sie meinte, in der Tiefe des Zimmers ihre gute Freundin, die Matrone.

Freudig auf sie zueilen, und im Näherkommen sich durch ein Bild in Lebensgröße, das mit der Frau Bertha die größte Aehnlichkeit hatte, getäuscht sehen, war eins. Das Fräulein fühlte, sie wußte noch nicht warum, bei diesem Anblick einen kleinen Schauer. Es giebt Augenblicke, wo uns nach langer Unwissenheit die Wahrheit auf einmal mit vollem Lichte in die Seele strahlt; der gegenwärtige war einer von diesen. Bertha's Zittern vermehrte sich von Sekunde zu Sekunde, doch hatte sie noch Muth, sich dem großen Bilde der weißen Frau, das man noch zu Schloß Neuhaus sehen kann, zu nähern. Als aber jetzt Frau Bertha in eigner Person, doch schattenartiger als je vor ihr vorüberstrich, als eine hohle unartikulirte Geisterstimme ihr zutönte: Bertha, kennst du mich nun? da mußten wohl alle Zweifel schwinden, sie sah auf einmal hell, wogegen sie so lange bind gewesen war. Das schreckensvollste Gefühl, das sich denken läßt, überkam sie, sie sank empfindungslos vor dem Bilde der weißen Frau zu Boden.

Die Sonne ging völlig auf, der Mittag kam heran, das Fräulein wurde im Schlosse vermißt. Der Baron war äußerst besorgt um sie, denn er liebte die sanfte Bertha vollkommen so sehr als sie verdiente. Er befahl [126] seinen Leuten, die Vermißte nochmals im ganzen Schlosse und dessen nächsten Umgebungen zu suchen, indem er überzeugt war, daß sie sich aus diesem Bereiche nicht entfernt haben würde. Flucht oder Entführung zu befürchten, würde Unsinn gewesen sein; wer sollte die eingezogene Bertha, die fast Niemand kannte, entführt haben, und warum hätte sie aus den Armen eines geliebten Pflegvaters fliehen sollen?

Plötzlich fragte der alte Herr, ob man in der Bibliothek gewesen sei? – Wie konnte man? Der heilig bewahrte Schlüssel zu diesem Orte war in seinen Händen, auch wagte sich Niemand von dem Schloßgesinde, dem bekannt war, daß die weiße Frau dort hauptsächlich ihren Aus- und Eingang zu haben pflegte, gern in diese Gegend!

Dem Baron stellte sich auf einmal die schreckensvolle Möglichkeit vor, das Fräulein könne sich seines Verbots ungeachtet dort verspätigt haben, es könne ihr dort irgend etwas zugestoßen sein, was hier schon mehrern den Tod gebracht hatte. Daß sie das Schloßgespenst gesehen habe, ohne es zu kennen, konnte er schon aus ihren gestrigen Reden muthmaßen; wie leicht konnte nun ein neues Zusammentreffen die schlimmsten Folgen für sie gehabt haben! – Mehrere, die hier der ätherischen Dame unversehens begegnet waren, und aus Unwissenheit oder Muthwillen das geringste gegen sie versahen, hatten bereits ihre Rache empfunden. Herr Peter von Wock, Bertha's verblichener Bräutigam, sollte, so glaubte man allgemein, [127] von einem Anblick der weißen Frau den Tod bekommen haben; war es nicht möglich, daß seiner Hinterlassenen das nämliche begegnet sei?

Der alte Herr rang die Hände, und weinte wie ein Kind ob dem muthmaßlichen Schicksal seiner liebenswürdigen Nichte. Sich Gewißheit zu verschaffen, oder der Verunglückten vielleicht noch Hülfe zu leisten, brauchte man sich nur an den verdächtigen Ort zu verfügen; aber wie viel Ueberwindung gehörte hierzu! Das Schloßgesinde schauderte vor dem bloßen Gedanken zurück, und fürwahr, der Herr fühlte eben so wenig Lust, den Ort noch einmal zu sehen, wohin er vor einigen Jahren, weil er in seinem ganzen Leben das Schloßgespenst noch nie gesehen hatte, sich muthig verfügte, und wo ihn der unvermuthete Anblick desselben mit einem Schrecken und einer Eil zurück scheuchte, davon Bertha noch die Spuren gesehen hatte.

Liebe zu dem guten Fräulein überwand indessen jede Bedenklichkeit. Der Schloßkapellan mit dem Kreuz trat vor, ihm folgte der Baron, und hinter ihm zog die ganze Dienerschaft mit allerlei Wehr und Waffen für den Fall eines besorglichen Angriffs versehen.

Ach, hätten sie lieber Alles dieß zurückgelassen! Weit nöthiger als Weihwedel und Reliquien, als Schwert und Spieß, wären den Nachsuchern der armen Bertha einige Flaschen mit starkriechenden Essenzen, oder die Lanzette des Wundarztes gewesen, sie wieder ins Leben zurück zu rufen! –

Man fand sie in einem Zustande, der sie mehr einer[128] Todten als einer Ohnmächtigen ähnlich machte, vor dem furchtbaren Bilde ausgestreckt. Man denke, wie lange sie hier ohne Hülfe gelegen hatte! – Ob sie sich in Zwischenräumen erholt haben mochte, um wieder in ihre schreckliche Bewußtlosigkeit zurück zu sinken, weiß ich nicht; genug, man brachte sie, ohne daß sie ein Zeichen des Lebens von sich gab, auf ihr Zimmer, und es war ziemlich spät gegen Abend, als die Kunst der Aerzte und Wundärzte sie endlich so weit gebracht hatte, daß der Baron sich ein wenig beruhigen konnte. – Sie war jetzt wieder zu sich gekommen, vermochte aber noch nicht zu sprechen, oder die mindeste Bewegung zu machen. Dieser Schwäche folgten Fieberanfälle, in welchen Bertha mehr von den Vorgängen vergangener Nacht phantasirte, als sich vielleicht mit der hergebrachten Sitte der Geisterseher vertrug; doch was man in der Hitze thut, wird einem nicht zugerechnet, und dieser Fehler ging also der in solchen Dingen ganz unerfahrnen Bertha auch ungestraft hin.

Der Oheim saß an ihrem Bett, und bewachte jeden Anschein von Besserung mit der zärtlichsten Aengstlichkeit; aber auch dann, als sie schon bald genesen war, hütete er sich wohl, kühne Fragen an sie zu thun, oder ähnliche, die er von ihr gewärtig war, hervorzurufen.

In der ersten Nacht, da Bertha die Rechte einer Wiedergenesenen, unbewacht zu schlafen, genoß, hatte sie ein Gesicht, davon die neben ihr schlummernde Zofe nichts [129] vernahm, und das sie erst nach vielen Jahren ihren Freunden mittheilte. – –

Die rosenbergische Matrone stand vor ihr, ganz so, wie Bertha sie gesehen hatte, als sie sie noch für eine Sterbliche hielt. »Bertha,« sagte sie, »ich habe dich erschreckt, das wollte ich nicht! Wie war es möglich, daß du, bereits so vertraut mit mir, damals durch meine Worte so erschüttert wurdest? Doch du bist eine Sterbliche, und ich verzeihe dir. Du wirst mich wachend nie wieder sehen; ich liebe dich zu sehr, als daß ich durch mein Erscheinen dein Leben in Gefahr setzen sollte; aber um dich zu sein, und für dich zu wachen, werde ich nie aufhören. Du hast einst durch mich dein Liebstes verloren, ich bin dir Vergütung schuldig, und du sollst sie haben! Feire mein nahbevorstehendes Gedächtnißfest, die Stiftung des süßen Brei's, mit der Würde, die einer rosenbergischen Dame und meiner Namensschwester zukommt; am funfzehnten Tage nach dem Feste wirst du den zu sehen bekommen, der dir den Verlust deines Bräutigams eretzen soll.«

Bertha erwachte, und fühlte sich merklich gestärkt, besonders durch das Versprechen der weißen Frau, ihr nie wieder wachend zu erscheinen. Der bloße Gedanke, ein übermenschliches Wesen, mit welchem sie sich so gemein gemacht hatte, als ob es ihres Gleichen wäre, wieder zu sehen, hatte ihr bisher ein Grauen verursacht und ihre Genesung verzögert. Sie sah sich als eine unglückselige Person an, die sich unter ihren Zeitgenossen bald [130] durch den Namen einer Träumerin auszeichnen, bald dahin gebracht werden konnte, bei gehäuften Abentheuern aus der Geisterwelt an ihrem eignen Verstande zu zweifeln, oder ihn wirklich zu verlieren. Jetzt war sie durch das Ehrenwort der gespenstischen Dame gesichert; sie konnte ruhig in die Zukunft blicken, riß sich mit Gewalt von dem Andenken an's Vergangene los, und genas zusehends.

Mit Entzücken schloß ihr Oheim sie wieder frisch und blühend in die Arme, machte mit doppelter Munterkeit die gewöhnlichen Anstalten zu dem alten rosenbergischen Stiftungsfeste, und Bertha ihrer Seits rüstete sich auch, die ihr bei demselben übertragene Ehrenrolle mit Anstand zu spielen. Wir haben dem Leser schon etwas von der Entstehung dieses Festes gesagt, nun auch ein Wort von seiner Benennung, wiewohl es uns schier unmöglich dünkt, daß ein Mährchenfreund deutscher Nation die Mahlzeit des süßen Breies nicht so gut zu beschreiben wissen sollte als wir.

Die rosenbergische Dame, die wahrscheinlich wegen irgend einer ungebüßten Schuld noch nach ihrem Tode als Gespenst auf der Erde wandelte, hatte den Armen, die ihr bei Erbauung des Schlosses Neuhaus geholfen hatten, nach Vollendung desselben zur Ergötzung ein Gastmahl gegeben, bei welchem die Hauptschüssel ein süßer Milchbrei war. Ein Gericht gute Fische, ein Laib Brod mit Honig, ein Krüglein Wein und ein Silbergroschen machten die übrigen Theile der köstlichen Bewirthung [131] aus, deren Wiederholung in der Folgezeit für die Enkel der weißen Frau keine so kleine Sache war, als sie zu ihren Zeiten geglaubt haben mochte. Die Zahl der Armen nahm mit jedem Jahre zu, und man mußte so reich und großmüthig sein, als Baron Mathias, die Stiftung eher zu vermehren als zu schmälern.

Der Genesung der geliebten Bertha zu Ehren, wurde das Fest diesesmal verschwenderischer gefeiert als je. Das Fräulein ging wie ein Engel unter ihren Gästen umher, die sich auf der grünen Matte vor der Burg gelagert hatten, und theilte ihnen das Bestimmte aus, das sie, von der Freigebigkeit des Barons bereichert, auch durch manche heimliche Gabe vermehrte.

Die Geschichte von dem Abentheuer des Fräuleins hatte sich, obgleich wenige die rechte Beschaffenheit desselben kannten, doch weit ausgebreitet, und die junge Person, welche die Hauptrolle in demselben spielte, war ein allgemeiner Gegenstand der Neugier und Bewunderung geworden. Es gab einige rosenbergische Vettern, welche die schöne Muhme noch gar nicht kannten, oder sie bisher bei bem österlichen Familienbesuch unter den schönern und reicher gekleideten Basen und Bäslein gern übersehen hatten. Jetzt konnten diese die Osterzeit, die ohnedem noch fern war, nicht erwarten, um das Fräulein nach Bequemlichkeit auf dem Schlosse des alten Oheims beäugeln zu können, sondern sie faßten lieber den romantischen Entschluß, sich unter die Armen zu mischen, die [132] Bertha's Milde speisen sollte, und daselbst die erste Gabe aus ihren Händen zu erhalten.

Bertha ging in ihrer Unschuld unbefangen zwischen den dichten Reihen ihrer Gäste einher, theilte rechts und links aus, ohne darauf acht zu haben, daß hier und da ein vollwangiger krauslockiger Bube, das lebendige Gegenbild der Dürftigkeit, sich zu ihrer Milde drängte. Einer von ihnen war kühn genug, die weiße wohlthätige Hand, die ihm das Laiblein Brod darreichte, zu fassen und sie an seine Lippen zu ziehen. Das Fräulein ward nicht beleidigt; der Armuth konnte sie wohl eine Freiheit verzeihen, die sie nach damaliger strenger Sitte keinem Fürsten würde gestattet haben.

»Was fehlt euch, guter Mann?« fragte sie mit mitleidigem Blick, ohne zu bedenken, daß dem Inhaber dieses Gesichts gar nichts fehlen konnte, »ihr habt wohl ein besonderes Anliegen?«

»O ja, gnädiges Fräulein!« rief der unbekannte Vetter, dem Bertha in diesem Augenblick, durch Tugendübung verschönert, wie ein Engel vorkam, »o ja, und ich wollte die Welt drum geben, es euch entdecken zu dürfen.«

»Ihr seht wohl,« antwortete sie freundlich, »daß ich mich jetzt nicht lange bei euch aufhalten kann, aber sucht Gelegenheit, mich auf dem Schlosse zu sprechen, und so ich das, was ihr begehrt, durch Vorbitte bei meinem Oheim erhalten kann, so soll's euch werden.« Darauf zog sie ein ziemliches Silberstück aus dem Seckel und [133] gab es ihm, der von seinen lauschenden Gesellen ob der milden Gabe wacker gehöhnt, und den ganzen Tag der Jungfernsöldner genannt wurde.

»Spottet wie ihr wollt,« sagte er, »die erste Spende der liebenswürdigen Bertha ist mir Unterpfand noch weit größerer Milde, und die Bestellung auf's Schloß? Das Erbieten zur Vorbitte bei dem Oheim? – Was sagt ihr dazu? – kann wohl ein Liebhaber sich bei dem ersten Gespräch größerer Gunst von seiner Dame rühmen, als ich?«

Die Sache ward belacht und commentirt; man weiß wie junge Gesellen es machen, dieses Geschlecht war sich in allen Jahrhunderten gleich. Aber der Begabte, dem wirklich das Fräulein wohlgefallen hatte, nahm die Sache ernstlicher als die Andern, und bekannte ihnen frei, daß es ihn dränge, die schöne Bertha wieder zu sehen, und mit ihr in Richtigkeit zu kommen. »Aber,« fuhr er fort, »wie ist das zu machen? Die österliche Besuchzeit bei dem Baron ist noch fern, zudem haben wir uns so selten bei ihm eingefunden, daß er uns kaum kennen, daß er uns vielleicht als Fremde behandeln würde, wenn wir es wagten, ihn außer der Zeit heimzusuchen. Das Fräulein bekommt man übrigens, wie ich höre, kaum zu sehen, wenn man bei dem Baron einspricht. Sagt selbst, welcher Mann wird wichtig genug sein, uns freundliche Aufnahme, und Bertha's Anblick zu verschaffen?«

Es ward viel Rath über diese Dinge gepflogen, und daß die Jünglinge zum Besten ihres verliebten Gefährten [134] endlich einen Ausweg fanden, das wird man ihrem Scharfsinn, denke ich, wohl zutrauen.

Das Fest des süßen Brei's war noch nicht vierzehn Tage vorüber, so erhielt Baron Mathias Botschaft von dem Prinzen von B ..., der mit seinem Hause verwandt war, so es ihm gefällig wäre, wollte er mit einem kleinen Gefolge in den nächsten Tagen auf seiner Burg einsprechen.

Das Fräulein nahm dies als Losung an, sich wieder auf ihr Zimmer zurück zu ziehen, und der Einsamkeit zu pflegen, die sie so ungestört, wie immer, bei dieser Gelegenheit zu genießen hoffte. – Hätte sie dem, was ihr die weiße Frau bei der letzten Erscheinung sagte, mehr Aufmerksamkeit geschenkt, hätte sie nachgerechnet, daß es gerade der funfzehente Tag nach der rosenbergischen Spende war, an dem die fremden Herrn auf der Burg einritten, so würde sie vielleicht gemuthmaßt haben, daß sie diesesmal wohl auch mit zur Gesellschaft gehören mußte, wenn sie heute den sehen sollte, der bestimmt war, ihr die Stelle ihres verblichenen Brautigams zu ersetzen.

Bertha beweinte ihren ersten Geliebten noch zu aufrichtig, um einen solchen Ersatz nur zu wünschen; auch schien sie diesen Theil ihres Traumgesichts ganz vergessen zu haben, wie sie denn überhaupt gern ihre Gedanken von Allem losriß, was Beziehung auf die gespenstische Matrone hatte.

Sie machte diesesmal ihre Toilette so nachlässig als möglich, und setzte sich an ihren Spinnrocken, mit dem [135] sie sich bis zur Mittagszeit beschäftigte, wo die Dirne, die ihr bei Tische aufwartete, hereintrat, und indem sie die Tafel bereitete, viel von dem lieben jungen schönen Prinzen von B... und seinen Begleitern, den drei wackern Rittern erzählte.

Bertha antwortete wenig hierauf und wollte sich eben zu Tische setzen, als sie den podagraischen Schritt des Barons auf der Gallerie hörte, und ihn bald darauf hereintreten sah.

»Heilige Maria, mein Oheim!« rief Bertha, indem sie ihm entgegen trat, »was kann euch bewegen, jetzt eure Gäste zu verlassen?«

»Die höchste Nothwendigkeit, mein Kind! Du mußt dich entschließen, bei der Tafel zu erscheinen; ich wollte dir es selbst ankündigen; denn mir, denke ich, wirst du doch keine abschlägige Antwort geben!«

»Aber Himmel, mein Anzug!« rief Bertha, indem sie in den Spiegel sah. »Dieses weiße häusliche Gewand! Diese ungeflochtenen Locken!«

»Ließe sich das nicht in der Eile ändern?«

»Unmöglich, mein Oheim! Dazu brauchte ich wenigstens eine Viertelstunde Zeit, indessen erkaltet das erste Gericht!«

»Nun so komm wie du bist! Du findest nur Familienmitglieder: der Prinz von B... ist unser Verwandter, und seine Begleiter, drei Herren von Rosenberg, sind auch unsre Vettern.«

»Aber mein Gott! welch' eine Forderung?«

[136] »Komm nur, sie baten so sehr um die Gunst, ihre Muhme zu sehen, daß ich unmöglich Nein sagen konnte!«

Glühend vor Scham über die vernachläßigte Toilette, und dabei unaussprechlich liebenswürdig in ihrer Verlegenheit, trat Bertha an der Seite ihres Oheims in das Tafelzimmer; vielleicht würde sie durch den vollkommensten Modeputz ihrer Zeit kaum so sehr verschönert worden sein, als durch die kunstlose Tracht, in welcher sie sich den Augen ihrer Vettern darstellte.

Man bewillkommte sich nach damaliger Sitte, und setzte sich zur Tafel. Bertha machte die Wirthin; sie sprach wenig, aber das wenige gut. Sie sorgte unablässig für ihre Gäste, damit es ihnen ja an nichts fehle, und sie bemerkte bei dieser Beschäftigung gar nicht, daß diese Gäste, besonders der Eine, sie fortwährend beobachteten und nur für sie Augen zu haben schienen.

Nach der Tafel ging man spazieren. Bertha mußte bei der Gesellschaft bleiben, und einer der vier Vettern war immer an ihrer Seite, daher bei dem Schloßgesinde, dem dieß etwas ungewohntes war, bald die Meinung entstand: Der Brautkranz schwebe über dem Haupte des Fräuleins, und einer der vier Ritter werde sie sicher heimführen! Welcher? das war eine große Frage, doch weil Jedermann der guten Bertha das höchste Glück, die höchste Ehre gönnte, so hielt man allgemein den Prinzen für den Bräutigam.

Die Vermuthungen des Schloßgesindes waren allerdings nicht ohne Grund; die stille Bertha hörte an diesem [137] Tage mehr von Liebe reden, als vielleicht früher in ihrem ganzen Leben. Denn der verblichene Bräutigam, Herr Peter von Wock, war ein schlichter geradsinniger Kempe gewesen, der sein Liebchen von Herzen liebte, ohne es ihm in einer Minute auf zehnerlei Art zu verstehen zu geben. Die Vettern dagegen, in deren Gesellschaft sich heute Bertha befand, wußten die Kunst der Minne auf gar feine Art zu treiben, und das Herz des jungen Fräuleins wäre verloren gewesen, wenn es zu den gewöhnlichen Altagsherzen gehört hätte, an welche man nur anklopfen darf, um eingelassen zu werden.

Bertha's Herzenthür hatte an dem Andenken des verstorbenen Geliebten einen Hüter, der nicht so leicht zu bestechen war; sie verschloß sich um so fester, je heftiger man sie bestürmte. – Der Abend kam heran, und das Fräulein war froh, daß die Gäste, von denen sie sich solcher Belästigung nicht versehen hatte, Abschied nahmen, und sie sich in ihr Kämmerlein zurückziehen konnte. Doch hatte sie, ehe dieses geschehen durfte, von ihrem Oheim noch eine ernste Strafpredigt wegen ihrer Hartherzigkeit anzuhören, in welcher ihr bewiesen wurde, daß man die Todten vergessen, und auf das Glück der Lebendigen denken müsse.

Wer von den vier Vettern, der Prinz oder einer seiner Ritter, den Baron dergestalt zu seinen Gunsten gestimmt hatte, wußte zur Zeit noch Niemand als die dabei interessirten Personen; wir aber können es dem Leser wohl vertrauen, daß es der ältere Herr von Rosenberg [138] war, ein stattlicher Ritter, der die Welt gesehen, und sich durchs Schwert schon viel Ruhm und Ehre erworben hatte, also in jeder Beziehung ein liebens- und wählenswürdigerer Gegenstand, als der blonde funfzehnjährige Fürstensohn, ein junger Herr, bei welchem zur Zeit jugendlicher Leichtsinn noch die Hauptrolle spielte, während alles übrige, das Gute und das Böse, erst im Entwickeln begriffen war.

Dieser Jüngling hätte sich zu der ernsten stillen Bertha geschickt, wie ein Trinklied zur hohen Messe, auch dachte er nicht an sie; er hatte den Besuch bei seinem alten Vetter nur seinem Freunde, Herrn Heinrich von Rosenberg, zu Liebe veranstaltet, um ihm Gelegenheit zu dem Rendezvous zu geben, zu welchem dieser von der unschuldigen Bertha beim Feste des süßen Breies beschieden worden war, und wovon sie nun, da er sich ihr entdeckt hatte, so wenig als von der versprochenen Vorbitte beim Oheim etwas hören wollte.

Da die weiße Frau Wort hielt, und sich nicht wieder vor Bertha's Augen sehen ließ, auch ihr im Traume nichts von ihrer Meinung über diese Dinge zuflüsterte, so können wir nicht genau sagen, welches dieselbe war, und müssen uns begnügen, dem Leser das mitzutheilen, was die Sage ihr zur Last legt, ungeachtet wir es mit der guten Meinung, die wir von ihrer Klugheit und Gutmüthigkeit haben, nicht recht zusammen zu reimen wissen. –

Die rosenbergische Matrone, so lautet die Tradition, [139] hatte Fräulein Bertha von Neuhaus dermaßen lieb gewonnen, daß sie wünschte, sie aus ihrer Niedrigkeit auf die höchste ihr allenfalls erreichbare Stufe der Ehre zu erheben. Eine fürstliche Heirath war ihr nicht zu hoch für ihre Favoritin, und sie dachte in allem Ernste darauf, ihr den jungen Prinzen von B... zum Gemahl zu geben. Die bejahrten Heirathsstifterinnen ziehen selten den Geschmack oder das wahre Wohl beider Theile, immer nur ihren wahnvollen Eigensinn zu Rathe, so auch hier. Bertha und der fürstliche Jüngling paßten nicht für einander, und Keinem kam ein Gedanke von Liebe in den Sinn, welches letztere die geschäftige Frau Base bald gewahr wurde, es sehr übel aufnahm, aber es doch nur an einem Theile zu rächen trachtete. Bertha war der Liebling der gespenstischen Matrone, ihr wurde verziehen, denn die weiße Frau, der Sitte ihres Geschlechts noch so ziemlich kundig, urtheilte weislich, daß ein Mädchen nicht lieben kann, wenn sie nicht zur Liebe aufgefordert wird, und daß die Verschmähte sehr billig Kaltsinn mit Kaltsinn belohnt.

Ein desto strengeres Gericht erging über den armen Prinzen. Warnende Träume machten den Anfang, um ihn zu dem anzumahnen, was man ihm aufbürden wollte. Sinnbildlich waren sie und für ihn schwer zu deuten. Prinz Erdmann verstand nicht, warum ihn der Traumgott unaufhörlich nach dem Schlosse Neuhaus versetzte, und ihn aus der Hand seiner Muhme Bertha bald Kränze bald Ringe nehmen ließ. Er fand das junge Fräulein [140] recht schön und liebenswürdig, aber wie er dazu kam, sie jede Nacht im Traume zu sehen, das konnte er nicht begreifen; wachend dachte er nur an sie, wenn der Herr von Rosenberg ihn etwa von dem schläfrigen Fortgange seiner Liebe unterhielt. Diese Erzählungen hörte er noch dazu höchst ungern an, weil er noch schlechterdings gar nichts von dem zarten Minnetrieb erfahren hatte, und also auch unmöglich Mitleiden mit einem verliebten Dulder haben konnte. »Ritter,« sagte er eines Tages zu dem trauernden Jünglinge, »zur Linderung eurer Qual wollte ich euch wohl meine Träume gönnen; sie malen mir jede Nacht eure Bertha so schön und freundlich, als ich wünschen wollte, daß sie euch erschien.«

»Ach, mein Prinz,« antwortete Herr Heinrich von Rosenberg, »daß nur nicht etwa meine Gefühle in eure Brust übergehen! Welch einen gefährlichen Nebenbuhler würde ich an euch haben!«

Der übermüthige Jüngling beantwortete dies mit Lachen, und eilte zu seinen Pferden, die, nebst der Jagd, vor der Hand noch das einzige waren, was er mit Leidenschaft und Beständigkeit liebte. Bertha's ungebetene Fürsprecherin sah, daß sie den Widerspenstigen noch mehr antreiben müßte; sie hatte überdieß etwas von der Manier kleinstädtischer Frau Basen an sich, welche den kleinsten Grad von Verwandtschaft benutzen, um sich vornehmen Familien aufzudringen. Brandendurg, Baden, Hannover und andere ihrer Familie verwandte Häuser genossen schon längst die Ehre, sie zuweilen zu sehen, und [141] dem Hause von B... ward jetzt diese Erscheinung öfter als je zu Theil. Sie rumorte auf den Vorrathsböden, strich mit ihrem Schlüsselbunde durch die weiten Säle und ließ sich oft so gar bis zu den Pferdeställen herab. Am öftersten ließ sie sich in dem Zimmer des Prinzen sehen, zwar für ihn noch immer unsichtbar, aber desto fürchterlicher für seine Kammerdiener, welche oft nicht wußten, wie sie sich geberden sollten, um die Aeußerungen von Furcht und Entsetzen mit der Hofetikette zu vereinigen.

Die Anregungen zur Reise nach Neuhaus, um die schöne Bertha zu sehen, wurden immer deutlicher. Voll Unmuth riß sich der gequälte Jüngling einst um Mitternacht aus solchen Träumen empor, und eilte an das Fenster; da sah er ganz deutlich die weiße Frau, wie sie ihm oft beschrieben worden war, sein Leibroß aus dem Stalle in den vom Monde erleuchteten Hof führen, bis sie in einer Ecke verschwand, worauf dann das zaum- und zügellose Thier mit unerhörtem Toben den Rückweg nach dem Stalle nahm.

Der Prinz weckte seine Leute, sie fanden den Stall verschlossen, aber das Pferd sehr unruhig. Die Klügsten unter ihnen schüttelten den Kopf und meinten, die Sache sei nicht auf die leichte Achsel zu nehmen, es sei hier ohne Zweifel ein Unglück im Anzuge. Die Erscheinung der weißen Frau, die sich jetzt so oft blicken lasse, deute nie auf etwas Gutes, und es werde dem Prinzen zu rathen sein, am morgenden Tuge nicht auszugehen, noch [142] weniger das Roß zu besteigen, das bei dem nächtlichen Abentheuer irgend etwas von dem Gifte könnte bekommen haben, das böse Geister schon oft den Rossen unter den Hafer gemengt, und dadurch das Verderben ihrer Herrn bewirkt hätten.

Der Schrecken des Prinzen über den Anblick des Schloßgespensts war noch zu neu, als daß er wider das, was seine Diner sagten, etwas hätte einwenden sollen; er legte sich mit dem Entschlusse, ihrem Rathe zu folgen, wieder zu Bett, wo ihn bald der Schlaf überfiel; ein fester traumleerer Schlaf, der alle Schreckbilder verwischte, die sich seiner Seele bemächtigt hatten. Sie dünkten ihm, da er erwachte, nur ein Nachtgesicht zu sein, und er erhob sich nach Gewohnheit, um auszureiten. Man stellte ihm vor, was er diese Nacht selbst gesehen und stillschweigend eingestanden hatte; umsonst, er bestand auf seinem Sinne. Er bestieg das Roß, das sich vor wenig Stunden an der Hand der weißen Frau gebäumt hatte, und das nun geduldig wie ein Lamm da stand, aber sobald es die Schloßbrücke hinter sich hatte, nicht mehr zu zähmen war, und mit verhängtem Zügel einen Weg nahm, wohin der Prinz gar nicht gedachte.

»Es ist der Weg nach Schloß Neuhaus,« sagte der muthwillige Reiter, als sein Gefährte Herr Heinrich von Rosenberg ihm endlich behülflich war, das wilde Thier ein wenig zu bändigen. »Es ist der Weg zu deiner Bertha; setze dich auf, mein Freund, die weiße Frau hat diesem Rosse vergangene Nacht ein Wort in's Ohr gesagt, das [143] seinem Reiter in wenig Minuten nach dem Orte bringen wird, wo ich nichts zu thun habe.«

Der Herr von Rosenberg antwortete hierauf nichts, sondern rieth dem jungen Uebermüthigen, für heute lieber den Rückweg nach Hause zu nehmen, da ja ohnedem heute das Wetter weder Jagd noch Spazierritt begünstige. – Dieser Vorwand that seine Wirkung; unter einem andern würde der eigensinnige Jüngling schwerlich zum Heimzuge zu bereden gewesen sein.

Man sagt, kein feindseliges Wesen habe Macht an dem Menschen, so lange er sich nicht durch irgend einen Frevel des schirmenden Schildes seines Schutzengels beraubt habe. Prinz Erdmann hatte schon manches gesagt und gethan, was sich vor dem strengen Gerichte der Geister nicht ganz entschuldigen ließ, und ehe eine Stunde verstrich, sollte er sich noch mehr vergangen, und dadurch seinen Untergang unvermeidlich gemacht haben.

In dem fürstlichen Hause von B... lebte die alte Markgräfin von .. eine ehrwürdige Matrone von drei und neunzig Jahren, Großmutter oder Großtante des damals lebenden Geschlechts. Sie war noch munter für ihr hohes Alter, und dabei so gut und gefällig, daß nur ein junger Hitzkopf, wie ihr Urenkel, mehr besagter Prinz, ihr Liebe und Achtung versagen, und sich dann und wann durch ihre Weissagungen beleidigt finden konnte.

Als er diesesmal mit dem Herrn von Rosenberg von dem kurzen Spazierritte zurück kam, war es eben Zeit zum Frühstück, und die jungen Ritter gingen, so wie sie [144] von den Pferden stiegen, in den großen Gesellschaftssaal, wo die sämmtlichen Damen des Hauses bei der Morgensuppe versammelt waren. »O, mein Kind!« rief die alte Dame dem Prinzen entgegen, »Gott sei Dank, daß wir dich wieder sehen! Todesangst haben wir deinetwegen ausgestanden. Ein Unglück steht unserm Hause bevor! wir werden nächsten Tages eine Leiche sehen! Würde ich es ausgehalten haben, deinen Tod erleben zu müssen?«

»Und warum den meinigen, gnädige Frau?« fragte der Jüngling ziemlich übereilt.

»Du meinst,« erwiederte die Matrone, »die, welche dich warnt, sei zum Sterben reifer als du? – O, mein Kind, wann wirst du lernen, daß das Alter im Lehnstuhl sicherer vor dem Tode ist, als die unvorsichtige Jugend auf ihren Lustwegen? – Wilder Pferdebändiger! dein Rasen kann dir über kurz oder lang den Untergang bringen!«

»Kann ich erfahren,« fragte der Prinz eine seiner Schwestern leise, »wie ich zu dieser Predigt komme?«

Das Fräulein weinte. »Unserm Hause,« schluchzte sie endlich, »steht allerdings ein Unglück bevor. Jener Mann im schwarzen Rocke bringt die Nachricht, daß der Tod weissagende Leichenstein unsers Urahnherrn, in der Kirche zu ***, stark geschwitzt habe! Du weißt, was dieses zu bedeuten hat.«

»Nun,« erwiederte der Tollkühne, »so will ich hin, will ein Tuch mit diesem Todesschweiße netzen, und es der Markgräfin bringen, daß sie sterben lerne.«

[145]

Kaum hatte er ausgeredet, so verschwand er aus dem Zimmer, flog die Treppe hinab, und warf sich auf das noch gesattelte Roß, das man im Hofe auf und abführte, damit es sich von der vorigen Erhitzung erholen möchte. Es dampfte und lechzte noch, der Stallmeister bat, des schönen Thieres zu schonen, aber es war, als wenn der nämliche Dämon, der in voriger Nacht dem Rosse Gift in den Hafer gespritzt haben sollte, auch das Gehirn seines Eigenthümers ein wenig verrückt hätte! Er hörte auf keine Warnung, und wie ein Pfeil von der Sehne flog er auf dem Thiere, das mit ihm gleichen Trieb zum Verderben fühlte, davon, nach der zwei kleine Meilen entlegenen Kirche, wo sich bereits viele Bewohner der Umgegend versammelt hatten, um den fürstlichen Leichenstein schwitzen zu sehen, und dieses Wunder auf die alte Markgräfin zu deuten.

Der Herr von Rosenberg war dem Prinzen so schnell als möglich gefolgt und langte wenig Minuten nach ihm bei der Kirche an. Er traf den Prinzen unter einem dichten Haufen von Neugierigen, die das schwarze marmorne Denkmal umgaben. Ein Gelehrter aus der nahe gelegenen großen Stadt, den das Gerücht von dem Mirakel auch herbei gezogen hatte, gesellte sich zu dem Prinzen und erklärte ihm weitläuftig, daß die Feuchtigkeit, welche von den Steinen herabtroff, keinesweges etwas Uebernatürliches sei, und sich sehr leicht aus diesen und jenen Ursachen herleiten lasse.

Demonstrationen dieser Art, sagt der erste Erzähler [146] dieses Mährchens, sind der ungläubigen Jugend jederzeit willkommen. Der Prinz horchte, und lachte dazwischen über die Hirngespinste, die sich seine Urahnfrau machte. Auch der Herr von Rosenberg war ein aufmerksamer Zuhörer, doch enthielt er sich jeder unvorsichtigen Aeußerung, wie er denn überhaupt ein edler bescheidener Mann war, der auch aus diesem Grunde die Hand der stillen Bertha verdiente. Als der Demonstrator nichts mehr zu sagen hatte, und man hier auch nichts weiter sah, als eine gaffende Menge und herabfallende Tropfen eines feuchten Gewölbes, da entschloß man sich zurück zu reiten. Herr Heinrich schlug dem Prinzen vor, die Pferde zu wechseln, aber dieser fand in dem Anerbieten etwas Beschimpfendes für ihn. Er gestand ein, daß ihm das tolle Thier im Herüberreiten viel Noth gemacht habe, aber daß die starken nervigen Arme des Ritter Rosenberg es besser würden zu regieren wissen als die seinigen, das wollte er nicht erkennen. Er ließ sein Taschentuch einen guten Theil von dem sogenannten Todesschweiße des Leichensteins einsaugen, und steckte es zu obgemeldetem Vorhaben zu sich, verließ dann mit seinem Gefährten die Kirche, und schwang sich auf das Roß, das bisher geduldig unter der Hut einiger Bauern vor der Pforte gestanden hatte, aber nun, so wie es seine Last fühlte, sein Rasen von Neuem begann.

Der Herr von Rosenberg verlor den unglücklichen Jüngling, so schnell er ihm auch folgte, bald aus den Augen. Auf die Gefahr hin selbst zu stürzen, stieß er sein [147] Roß unaufhörlich an, um dem unsinnigen Reiter so nahe als möglich zu bleiben. Zuweilen erblickte er zwar den Prinzen ganz in der Ferne, aber im nächsten Augenblick war dieser immer wieder aus seinen Augen verschwunden. Rosenberg war von der fürstlichen Burg fast noch eine Viertelstunde entfernt, als der Prinz bereits bügellos in den Schloßhof gejagt kam; die Zügel waren seinen Händen entfallen, er hielt sich nur noch an der Mähne des Rosses fest. Man erkannte seine Gefahr und eilte, ihm zu Hülfe zu kommen, aber ach zu spät! Ehe man sich ihm nur zu nähern vermochte, hatte ihn schon das Unglücksroß, das bald darauf todt niederstürzte, abgeworfen. Der Unfall geschah dicht an der großen Schloßtreppe. Man hob den armen Jüngling auf, der, so schwer verwundet er auch war, doch noch begehrte hinauf geleitet zu werden. Es war unmöglich, ein Strom von Blut stürzte aus seinem Munde. Rosenberg kam zu diesem kläglichen Schauspiele. Er faßte seinen fürstlichen Freund in seine Arme, der sich auf ihn stützte, und ihm versicherte, es habe nichts zu bedeuten, seine Unpäßlichkeit werde bald vorüber sein. »Leite mich nur hinauf,« setzte er lallend hinzu, »denn ich werde nicht sterben; man soll nicht sagen, daß der Schweiß des Leichensteins mir gegolten habe!«

Man erzählt, der unglückliche junge Prinz habe wirklich noch Kraft gehabt, diesen Weg an Rosenbergs Arme zurückzulegen, aber Kraft, die vereinten Folgen von tödtlicher Erhitzung und dem gewaltsamen Sturz zu überstehen, [148] hatte er nicht. Er starb noch am nämlichen Tage in den Armen einer verzweifelnden Familie, die den jungen Wüstling trotz seiner vielen Fehler liebte, und mit ihm alles verloren zu haben glaubte.

Dieß war die tragische Geschichte, die man, obgleich sie vielleicht blos die Folge jugendlicher Unbesonnenheit war, auf die Rechnung der rosenbergischen Matrone schrieb; was pflegt man nicht Alles herbeizuziehen, um die Fehler der Fürsten zu entschuldigen! In wie weit Bertha's Name mit hinein verflochten war, das war damals Niemand bekannt als dem Herrn von Rosenberg, dem der verstorbene Prinz zuweilen etwas von seinen Träumen gesagt hatte. Erst lange Zeit nachher ist diese Sage entstanden, und man hat sie benutzt, der weißen Frau unter andern gehäßigen Namen den einer unglücklichen Heirathsstifterin zu geben. Wir unsers Theils, die wir diese Dame am liebsten nach ihren eignen schriftlich von sich hinterlassenen Zeugnissen, die wir dem Leser mitgetheilt haben, zu beurtheilen pflegen, erklären: daß wir sie solcher Tücke für unfähig halten, und wenden uns wieder zu ihrer Favoritin, dem Fräulein von Neuhaus, das auf dem Schlosse des alten Barons das gewohnte stille Leben fortsetzte, ohne sich durch etwas beunruhigen zu lassen, als durch die dauernden Liebesverfolgungen des Herrn von Rosenberg, der sich bald schriftlich, bald durch den Mund des Oheims an sie wandte, um sie von ihrer endlosen Trauer um den Verblichenen abzubringen und sie zu einer neuen Verbindung zu bereden.

[149] Es war in der That schon bald ein Jahr her, daß sie ihren Geliebten verloren, und der Ausdruck: endlose Trauer, war also wirklich recht wohl angebracht. Ach, die treue Bertha würde ihren ehemaligen Bräutigam wohl bis an das Ende ihres Lebens beweint haben, hätte man ihr die Freiheit dazu gönnen wollen, und hätte sich nicht das Schicksal eingemischt und ihrem Herzen anfangs Mitleid, und dann bald eine noch zärtlichere Empfindung aufgenöthigt, die so gern aus inniger Theilnahme an dem Kummer Anderer erwächst.

Der Prinz von B... war todt, und wurde als ein vornehmer Verwandter, wie sich's geziemte, von dem rosenbergischen Hause betrauert; aber es ließ sich an, als sollte man bald noch Jemand betrauern. Herr Heinrich von Rosenberg hatte durch die beiden forcirten Ritte, die er wenig Stunden hinter einander seinem fürstlichen Freunde zu Liebe unternommen, seiner Gesundheit sehr geschadet. Die Ritter konnten damals schon weniger vertragen als die Helden früherer Jahrhunderte und so geschah es denn, daß Rosenberg bald sehr gefährlich an den Folgen der tödtlichen Erhitzung darnieder lag. Fräulein Bertha erhielt Nachricht von seiner Krankheit, aber die Ursachen derselben erfuhr sie nicht; da sie nun kurz zuvor ein höchst lamentables Schreiben von ihm erhalten hatte, in welchem die Worte: Grab und Tod, nicht gespart waren, so glaubte sie aufrichtig, – wie denn die Mädchen in solchen Stücken starkgläubig sind, – falls Herr Heinrich sterben sollte, so sei sie seine Mörderin. In dem[150] Schmerz und den Gewissensbissen, die ihr dieser Wahn verursachte, that sie ein Gelübde, für den Fall seiner Genesung, die sie inbrünstig vom Himmel erflehte, nicht ferner die Grausame zu spielen, sondern zu dem, was er wünschte, und der Oheim befahl, ja zu sagen. –

Sie hatte dieses Gelübde so laut gethan, daß man sie beim Worte halten konnte, und es war um die Zeit des österlichen Familienbesuchs, als Herr Heinrich von Rosenberg, völlig wiederhergestellt, eintraf, ihre Hand aus der Hand des Barons zu empfangen.

Das fehlte noch, die Braut der alten Einwohnerin dieser Mauern, der weißen Frau, lieb und theuer zu machen! Auf Schloß Neuhaus war sie geboren, hier hatte sie den deutungsvollen Namen Bertha empfangen, hier hatte sie den größten Verlust eines zärtlichen Mädchens, den Verlust ihres Bräutigams erlitten, das wichtigste Jahr ihres jungfräulichen Lebens hier verlebt, nun sollte sie auch hier eine Verbindung eingehen, die – es mochte nun mit dem Prinzen von B... auch Bewandnisse gehabt haben, welche es wollte – doch wenigstens jetzt mit dem vollen Beifall ihrer gespenstigen Patronin beehrt ward.

Sie gab sichtliche Zeichen ihres Wohlgefallens von sich. Es ist bekannt, daß dieses gute hauswirthliche Gespenst seine Geschäftigkeit nicht blos bei bevorstehenden Trauerfällen zeigt, um etwa die Leichentücher aus den verschlossenen Truhen zu holen, oder die Lichter beim Sarge im Voraus zu ordnen; nein, ist in den ihm verwandten Häusern eine Hochzeit oder Kindtaufe vor der [151] Thür, so giebt es den nämlichen Lärmen mit Schlössern und Schlüsseln. Die weiße Frau hat mächtig zu thun, das silberne Tafelgeschirr herauszugeben, und das köstliche Leinengeräth auszubreiten. Findet sich dann etwa eine vorwitzige Wirthschafterin im Schlosse, die für die ihrer Hut anbefohlnen Kostbarkeiten unnöthig besorgt, der rosenbergischen Matrone Hindernisse in ihre Geschäfte bringen will, so kommt es nicht selten zu Thätlichkeiten, wo freilich die Sterbliche allemal die Schwächere ist, und wohl gar ihr Beginnen mit dem Leben bezahlen muß.

Wie Frau Bertha es allemal zu treiben pflegte, wenn Hochzeit in der Familie ist, so auch hier; nur machte sie das Ding so arg, daß man fast keinen Schritt auf Treppen oder Sälen thun konnte, ohne fürchten zu müssen, ihr zu begegnen. Nur der jungen Braut begegnete sie nie; das war die Folge ihres gethanenen Versprechens, dem sie als eine wahre alte Edeldame treu blieb.

Es gab Personen, welche dem Fräulein rathen wollten, ihr gutwillig zu Gefallen zu gehen, und dieß zwar aus folgender Ursache:

Außer den bekannten goldnen und silbernen Pokalen, Schüsseln und Kannen des Schlosses, sah man auch oft, daß sie sich mit Gefäßen von ungeheurer Größe und seltner Kostbarkeit trug, die Niemand je zuvor gesehen hatte, und deren einige sogar mit alten Thalern gefüllt waren bis oben an. Man urtheilte nicht uneben, dieß könnten Hochzeitgeschenke für die Braut sein, wenn sie nur gleich bei der Hand wäre, solche von ihrer Patronin [152] in Empfang zu nehmen; aber Bertha hätte nicht um die Schätze der ganzen Welt ihre ehemalige Gesellschafterin nur noch einmal sehen mögen, auch war ihr Bräutigam, der so wenig als sie einen Hang zum Geize hatte, sehr wider ein solches Wagniß um schnöden Gewinnstes willen. Indessen schreibt sich von diesen Zeiten noch die Sage von einem großen Schatze her, der zu Schloß Neuhaus dem glücklichen Finder aufbehalten wird, und dessen Hüterin die weiße Frau ist. Wer sie in der Abend- und Morgendämmerung auf den verfallenen Thürmen der alten Burg, wie ein wachsendes Gespenst hervorkommen sieht, und Muth genug hat, hineinzugehen, und ihr auf den morschen Treppen nachzusteigen, der wird unter einigen möglichen Bedingungen die Schätze heben, die damals vielleicht der geliebten Bertha zugedacht waren.

Sie erhielt nichts davon, weil sie nicht so viel Herz besaß, es aus der Hand der gespenstigen Matrone zu nehmen; nicht einmal ein Pathengeschenk bekam sie, als sie auf Schloß Neuhaus, wo sie mit ihrem Gemahl dem alten Baron zu Liebe ein ganzes Jahr haußte, ihr erstes Söhnchen gebar. Aber sehr geschäftig war die weiße Frau in der Wochenstube, wenn die Kindbetterin schlief. – Den kleinen Peter von Rosenberg – so nannte ihn Bertha nach ihrem ersten Geliebten, – sah man mehrmals auf ihren Armen, auch wußte sie das Recht der Verwandtschaft an das Kind sehr nachdrücklich zu vertheidigen, als ihr einst die Wärterin dasselbe kühnlich entreißen wollte; doch fühlte sie sich durch diese Unhöflichkeit so beleidigt, [153] daß sie nachher nicht wieder erschien, und sich begnügte, ihre Geliebten unsichtbarer Weise in Schutz zu nehmen. Heut zu Tage sind obbenannte neuhaußische Thürme, das Schloß zu Hannover, und die Zimmer hinter dem Rittersaale des königlichen Schlosses in Berlin die Hauptgegenden, wo sie sich zeigt; die Verbindungen mit andern Häusern sind nach und nach zu zahlreich geworden, als daß sie, so wie sie sonst gewohnt war, überall erscheinen könnte, wo sie verschwägert ist.

[154]

Fußnoten

1 Es ist wohl unnöthig, den Leser zu erinnern, daß vor Alters die Päbste sowohl wider die heidnischen Preußen, als wider die Sarazenen das Kreuz predigen ließen.

2 Die nämlichen Worte, welche die Sage der rosenbergischen Matrone, nur in lateinischer Sprache, in den Mund legt, in welcher sie geübter gewesen sein soll, als in der Sprache ihres Landes.


Notes
Erstdruck (anonym) unter dem Titel »Neue Volksmährchen der Deutschen«: Leipzig (Weygandsche Buchhandlung) 1789–1792.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Volksmährchen der Deutschen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E77-0