Melechsala

[657] [659]Vater Gregor, des Namens der Neunte, auf St. Peters Stuhl, hatte in einer schlaflosen Nacht eine Inspiration, nicht vom Geiste der Weissagungen, sondern der politischen Schikane, dem deutschen Adler die Schwungfedern zu stutzen, damit er sich nicht über das stolze Rom erheben möchte. Kaum beleuchtete die Morgensonne den ehrwürdigen Vatikan, so klingelte schon Se. Heiligkeit dem aufwartenden Kämmerling, und befahl das Heilige Kollegium zusammen zu berufen, worauf Vater Gregor in pontificalibus eine feierliche Messe hielt, und nach deren Beendigung einen Kreuzzug proponierte, wozu alle Kardinäle, die die weisen Absichten desselben leicht errieten, und wohl merkten, [659] dochwohin es mit der Heeresfahrt zur Ehre Gottes und dem gemeinsamen Wohl der werten Christenheit gemeinet sei, ihren Assent gern und willig erteilten.

Drauf zog ein schlauer Nuntius flugs hinab gen Neapel, wo Kaiser Friedrich von Schwabenland damals Hof hielt, der trug zwo Büchsen in seiner Reisetasche, die eine war gefüllt mit dem süßen Honigseim der Überredung, die andere mit Zunder, Stahl und Stein, damit den Bannstrahl anzuzünden, wofern der störrische Sohn dem Heiligen Vater nicht schuldige Parition leisten würde. Als der Legat zu Hofe kam, tat er die süße Büchse auf, und sparte nichts an der glatten Latwerge. Aber Kaiser Friedrich war ein feiner Züngler, dem widerte bald der Pillen Geschmack, der in der Süßigkeit verborgen lag; auch kneipte es ihm davon weidlich in den krausen Därmen: drum verschmähete er die betrügliche Leckerei und begehrte nichts mehr davon. Da tat der Legat die andere Büchse auf, und ließ einige Funken daraus sprühen, die den kaiserlichen Bart versengten, und auf der Haut wie Nesseln brannten. Daraus vermerkte der Kaiser, daß ihm des Heiligen Vaters Finger bald schwerer werden dürfte, als des Legaten Lenden waren; er legte sich also zum Zweck, bequemte sich zum Gehorsam, die Kriege des Herrn gegen die Ungläubigen im Orient zu führen, und betagte die Fürsten zur Heersfahrt ins Heilige Land. Die Fürsten taten das kaiserliche Gebot kund den Grafen, die Grafen entboten ihre Lehnsleute, die Ritter und Edeln; die Ritter rüsteten ihre Knappen und Knechte, saßen auf und versammleten sich jeder unter sein Panier.

Nächst der Bartholomäus-Nacht hat keine so viel Jammer und Not auf Erden gestiftet als die, welche Gottes Statthalter auf Erden durchwachte, um einen verderblichen Kreuzzug zu gebären. Ach wie viele heiße Tränen flossen, als Ritter und Knecht abdrückten, und ihr Liebchen gesegneten! Eine herrliche Generation deutscher Heldensöhne verschmachtete in den Lenden der auswandernden Väter, wie der Keimtrieb wuchernder Pflanzen in den syrischen Wüsten, wenn der glühende Sirokko darüber wehet. Das Band von tausend glücklichen Ehen wurde gewaltsam zerrissen; [660] zehntausend Bräute hingen traurig ihre Kränze, wie die Töchter Jerusalems, an die babylonischen Weiden, saßen da und weinten, und hunderttausend reizende Mädchen wuchsen dem Bräutigam vergebens entgegen, blüheten wie ein Rosengarten in einem einsamen Klosterzwinger, denn es war keine Hand da, die sie pflückte, und welkten ohne Genuß dahin. Unter den seufzenden Gattinnen, denen die schlaflose Nacht des Heiligen Vaters den trauten Ehgemahl von der Seite führte, waren auch Elisabeth die Heilige, vermählte Landgräfin in Thüringen, und Ottilia, vermählte Gräfin von Gleichen, welche zwar nicht im Geruch der Heiligkeit stund; aber in Absicht der Leibesgestalt und ihres tugendsamen Wandels, keiner ihrer Zeitgenossinnen nachstund.

Landgraf Ludwig, ein treuer Lehnsmann des Kaisers, ließ ein gemeines Aufgebot ins Land ergehen, daß sich seine Vasallen zu ihm sammlen und ihm ins Heerlager folgen sollten. Allein die mehresten suchten einen Vorwand, diese Fahrt in fremde Lande glimpflich von sich abzulehnen. Einen plagte das Zipperlein, den andern der Stein; dem waren seine Rosse gefallen, jenem die Rüstkammer aufgebrannt. Nur Graf Ernst von Gleichen, nebst einer kleinen Schar rüstiger Kämpen, die frank und ledig waren, und Lust hatten ein fernes Abenteuer zu bestehen, waffneten ihre Reisigen und Knechte, gehorchten dem Gebot des Landgrafen, und führten ihr Volk auf den Sammelplatz. Der Graf war seit zwei Jahren vermählt, und während dieses Zeitverlaufes hatte ihm seine liebreizende Gemahlin auch zwei Kinder zur Welt gebracht, ein Herrlein und ein Fräulein, die nach Beschaffenheit dieses rüstigen Weltalters, ohne Beihülfe der Kunst, so leicht und rasch waren geboren worden, wie der Tau aus der Morgenröte; ein drittes Pfand der Liebe trug sie noch unter dem Herzen, welches um der päpstlichen Nachtwache willen, der väterlichen Umarmung beim Eintritt in die Welt entbehren mußte. Ob sich Graf Ernst gleich stark machte wie ein Mann, so behauptete die Natur doch an ihm ihre Rechte, und er konnte die mächtigen Gefühle der Zärtlichkeit nicht verhehlen, als [661] er beim Scheiden sich mit Gewalt seiner weinenden Gemahlin aus den Armen wand. Indem er mit stummen Schmerz sie verlassen wollte, drehete sie sich rasch nach dem Bettlein ihrer Kinder, riß das schlummernde Herrlein daraus hervor, drückt' es sanft an ihre mütterliche Brust, und reicht' es, mit beträntem Blick, dem Vater hin, um auch den väterlichen Abschiedskuß auf die unschuldsvolle Wange [662] zu drücken. Ebenso tat sie mit dem Fräulein. Das griff dem Grafen gewaltsam ans Herz, die Lippen fingen ihm an zu beben, der Mund verzog sich sichtbar in die Breite, wobei er laut aufschluchzete, die Kinder an den stählernen Harnisch drückte, unter welchem ein sehr weiches empfindsames Herz schlug, sie aus dem Schlafe küßte, und nebst seiner hochgeliebten Gemahlin in den Schutz Gottes und aller Heiligen befahl. Wie er nun nebst seiner reisigen Schar den krummen Burgweg von der hohen Feste Gleichen herabzog, sahe ihm die Gräfin mit banger Wehmut nach, solange sein Panier, worein sie mit feiner Purpurseide das rote Kreuz gestickt hatte, noch vor ihrem Augen wehete.

Landgraf Ludwig war hocherfreut, da er den stattlichen Lehnsmann mit Rittern und Knappen, unter Vortragung des Kreuzpaniers herantraben sahe; aber wie er ihn ins Auge faßte, und den Trübsinn des Grafen wahrnahm, ward er zornig, denn er meinte, der Graf sei faul und grämisch über den Heereszug, und ihm nicht mit gutem Willen nachgezogen. Darum faltete sich seine Stirn, und die landgräfliche Nase schnaubte Unwillen. Graf Ernst aber hatte einen feinen pathognomischen Blick im Auge, und merkte bald aus, was seinen Herrn wurmte, deshalb trat er ihn kecklich an und eröffnete ihm die Ursache seines Mißmuts. Das war Öl zum Essig des Unwillens, der Landgraf erfaßte mit biedrer Traulichkeit die Hand seines Vasallen und sprach: »Ist's also, lieber Getreuer, wie Ihr saget, so drückt uns beide der Schuh an einem Ort, Liesbeth mein ehelich Gemahl hat mir auch beim Valet das Herz eingeflennt. Aber seid gutes Muts, indem wir kämpfen, werden unsre Weiber daheim beten, daß wir mit Glori und Ruhm zu ihnen [663] zurückkehren.« So war's damals Sitte im Lande, wenn der Mann zu Felde zog, blieb die Hausfrau in ihrem Kämmerlein still und einsam, fastete und betete, und tat Gelübde ohn Unterlaß für seine glückliche Heimkehr. Dieser alte Brauch ist aber nicht allerwärts mehr landüblich, wie die jüngste Kreuzfahrt des deutschen Kriegsvolks ins ferne Abendland, durch den reichlichen Familienzuwachs während der Abwesenheit der peregrinierenden Ehegenossen, davon manchen Beweis vor Augen gestellet hat.

Die fromme Landgräfin empfand den Schmerz der Trennung von ihrem Gemahl ebenso lebhaft als ihre Schicksalsgenossin, die Gräfin von Gleichen. Ob ihr Herr der Landgraf gleich von etwas stürmischem Naturell war, so lebte sie doch mit ihm in vollkommenster Eintracht, und seine irdische Masse wurde von der Heiligkeit seiner frommen Betthälfte nach und nach dergestalt imbibiert, daß ihm sogar einige freigebige Geschichtschreiber, selbst den Namen des Heiligen beilegen, wiewohl dieser mehr für ein Ehrenwort als für eine Realität bei ihm gelten kann, wie bei uns noch heutzutage das Beiwort des Großen, des Hochwürdigsten, des Hocherfahrnen, oder des Hochgelahrten auch nur eine äußere Randverguldung öfters andeutet. Soviel ergibt sich aus allen Umständen, daß das erlauchte Ehepaar nicht immer in Ausübung der Werkheiligkeit harmonierte, und daß die Mächte des Himmels, in die daher entstehenden Ehedifferenzen sich zuweilen einmischen mußten, den Hausfrieden aufrecht zu erhalten, wie folgendes Beispiel zutage legt. Die fromme Landgräfin hatte zu großem Verdruß ihrer Höflinge und der genäschigen Edelknaben die Gewohnheit, die reichhaltigsten Schüsseln von der landgräflichen Tafel für hungrige Bettler, die ihre Burg unablässig belagerten, aufzusparen, und sich das Vergnügen zu machen, wenn der Hof abgetafelt hatte, diese verdienstliche Spende eigenhändig an die Armen auszuteilen. Das löbliche Küchamt führte nach höfischer Manier, vermöge welcher die Ersparnis im kleinen die Verschwendung im großen immer ausgleichen soll, darüber von Zeit zu Zeit so nachdrückliche Klage, als wenn die ganze Landgrafschaft [664] Thüringen Gefahr lief, von diesen magern Gästen rein aufgezehret zu werden, und der Landgraf, der gern ökonomisierte, hielt diese Spende für ein so wichtiges Objekt, daß er seiner Gemahlin dieses christliche Liebeswerk, das eigentlich ihr frommes Steckenpferd war, alles Ernstes untersagte. Eines Tages konnte sie gleichwohl dem Triebe der Wohltätigkeit, und der Versuchung den ehelichen Gehorsam dadurch zu verletzen, nicht widerstehen. Sie winkte ihren Frauen, die eben abtrugen, einige unberührte Schüsseln und einige Laiblein Brot von Weizenmehl konterband zu machen. Alles das sammlete sie in ein Körbchen, und stahl sich damit durch das Felsenpförtchen aus der Burg heraus.

Aber die Laurer hatten das schon ausgekundschaftet und es dem Landgrafen verraten, welcher an allen Ausgängen des Schlosses fleißig aufpassen ließ. Da ihm nun angesagt wurde, seine Gemahlin sei wohlbeladen zum Seitenpförtchen hinausgeschlüpft, kam er stattlich über den Schloßhof dahergeschritten, und trat auf die Zugbrücke, gleichsam um freie Luft zu schöpfen. Ach! da hörte die fromme Landgräfin seine goldnen Sporen klirren. Alsbald befiel sie Furcht und Schrecken, daß ihr die Knie zitterten und sie nicht förder gehen konnte. Sie verbarg das Viktualienkörbchen, so gut als möglich, unter die Schürze, die bescheidene Decke der weiblichen Reize und Schalkheit. Aber so gegründete Privilegien dieses unverletzbare Asyl gegen Mautner und Zöllner haben mag, so ist es doch keine eherne Mauer für einen Ehemann: der Landgraf merkte Unrat, kam mit Eile herzu, seine bräunlichen Wangen rötete der Zorn, und die Kollerader trat mächtig an der Stirn hervor. »Weib«, sprach er mit raschem Ton, »was trägst du in dem Korbe, welchen du mir verbirgst? Ist's nicht der Abhub meiner Tafel, womit du das lose Gesindel der Lungerer und Bettler fütterst?« »Mit nichten, lieber Herr«, antwortete die fromme Landgräfin züchtiglich, aber gar beklommen, die in gegenwärtiger kritischen Lage, ihrer Heiligkeit unbeschadet, eine Notlügen für wohl erlaubt hielt, »es sind eitel Rosen, die ich in dem Burgzwinger gepflückt habe.« Wär der Landgraf unser Zeitgenoß gewesen, so hätte er seiner Dame auf ihr [665] Ehrenwort glauben und von aller weitern Untersuchung abstehen müssen; doch so geschliffen war die rasche Vorwelt nicht. »Laß sehen was du trägst«, sprach der gebieterische Eheherr, und riß mit Ungestüm der Zagenden die Schürze weg. Das schwache Weib konnte sich gegen diese Gewalttätigkeit nur zurückweichend verteidigen. »Tut doch gemach, lieber Herr!« gegenredete sie, und errötete vor Scham, daß sie vor ihrem Hofgesinde auf einer Lügen sollte erfunden werden. – Aber o Wunder! o Wunder! das corpus delicti hatte sich wirklich in die schönsten aufblühenden Rosen verwandelt: aus den Semmeln waren weiße, aus den Schlackwürsten purpurfarbene, und aus den Eierkuchen waren gelbe Rosen worden. Mit freudigem Staunen nahm die heilige Frau diese wunderbare Metamorphose wahr, wußte nicht, ob sie ihren Augen glauben sollte, denn sie hatte selbst ihrem Schutzheiligen nicht die Politesse zugetrauet, zum Vorteil einer Dame ein Wunder zu bewirken, wenn's drauf ankommt einen strengen Ehemann zu düpieren, und eine weibliche Notlügen bei Ehren zu erhalten.

Dieser augenscheinliche Beweis der Unschuld besänftigte den erzürnten Löwen. Er wendete nun seine furchtbaren Blicke auf die bestürzten Hofschranzen, welche seiner Meinung nach die fromme Landgräfin unschuldig verleumdet hatten, schalt sie heftig aus, und tat einen teuren Schwur, den ersten Ohrenbläser, der seine tugendsame Gemahlin wieder bei ihm verunglimpfen würde, alsbald in das Verlies werfen, und darinne peinlich verschmachten zu lassen. Hierauf nahm er eine der Rosen und steckte sie zum Triumph der Unschuld auf den Hut, die Geschichte meldet aber nicht, ob er den folgenden Tag eine verwelkte Rose, oder eine Schlackwurst darauf fand, indes berichtet sie, daß die heilge Elisabeth, sobald ihr Herr mit dem Kuß des Friedens sie verlassen und sie sich vom ersten Schrecken erholt hatte, getrosten Mutes nach dem Anger, wo ihre Pfleglinge, die Lahmen und Blinden, die Nackenden und Hungrigen ihrer warteten, den Berg hinabgewandelt sei, dort ihre gewöhnlichen Spenden auszuteilen. Denn sie wußte wohl, daß die wundertätige Täuschung dort wieder verschwinden werde, [666] wie denn auch wirklich geschah: da sie ihr Viktualienmagazin öffnete, fand sie keine Rosen mehr, wohl aber die nahrhaften Brocken darinne, die sie den höfischen Tellerleckern aus den Zähnen gerückt hatte.

Ob sie nun wohl, da ihr Herr ins Heilge Land zog, seiner strengen Aufsicht entlediget wurde, und freie Macht und Gewalt bekam, Liebeswerke im Geheim oder öffentlich, wie und wenn es ihr gefiel, auszuüben: so liebte sie doch den gebieterischen Ehgemahl so treu und aufrichtig, daß sie sich, ohne innigste Betrübnis, nicht von ihm scheiden konnte. Ach, es ahndete ihr wohl, daß sie ihn in diesem Erdenleben nicht wiedersehen würde. Und mit dem Genuß im Zukünftigen stund's auch gar mißlich. Dort behauptet eine kanonisierte Heilige einen so hohen Rang, daß alle übrigen verklärten Seelen gegen sie nur selger Pöbel sind.

So hoch auch der Landgraf in dieser Unterwelt gestellet war: so war's doch noch immer die Frage, ob er in den Vorhöfen des Himmels würdig erfunden wurde, an den Teppich ihres Throns zu knieen, und die Augen gegen seine gewesene Bettgenossin aufheben zu dürfen. So viel Gelübde sie auch tat; so viel gute Werke sie ausübte; so viel ihre Vorbitte sonst bei allen Heiligen galt: so wenig vermochte ihr Kredit im Himmel, das Lebensziel ihres Gemahls auch nur um eine Spanne lang weiter hinauszurücken. Er starb auf dieser Heeresfahrt, in der besten Blüte des Lebens an einem bösen Fieber, zu Hidrunt, ehe er noch das ritterliche [667] Verdienst sich erworben hatte, einen Sarazenen bis auf den Sattelknopf zu spalten. Als er sich zur Hinfahrt anschickte, und es an dem war, daß er die Welt gesegnen sollte, berief er unter den umstehenden Dienern und Vasallen Graf Ernsten zu sich ans Sterbebett, ernennte ihn, an seiner Statt, zum Anführer des Häufleins der Kreuzfahrer, die ihm gefolget waren, und nahm einen Eid von ihm, nicht wieder heimzukehren, er habe denn dreimal gegen die Unglaubigen das Schwert gezückt. Hierauf empfing er vom Reisekapellan das heilige Viatikum, verordnete so viel Seelmessen, daß er und sein ganzes Gefolge daran genug gehabt hätte, mit Pomp in das himmlische Jerusalem einzuziehen, und verschied. Graf Ernst ließ den erbleichten Leichnam seines Herrn einbalsamieren, verschloß ihn in eine silberne Truhe, und schickte ihn der verwittibten Landgräfin zu, die um ihren Ehgemahl Leide trug, wie eine römische Kaiserin, denn sie legte die Trauerkleider nicht wieder ab, dieweil sie lebte.

Graf Ernst von Gleichen förderte die Wallfahrt so sehr er konnte, und gelangte mit den Seinigen glücklich im Heerlager bei Ptolemais an. Hier fand er freilich mehr eine theatralische Vorstellung des Krieges, als einen ernsthaften Feldzug. Denn wie auf unsern Schaubühnen, bei der Vorbildung eines Heerlagers, oder einer Feldschlacht, nur im Vordergrunde wenig Zelte ausgespannt sind, und eine kleine Zahl von Schauspielern miteinander scharmützeln; in der Ferne aber viele gemalte Gezelte oder Geschwader die Illusion befördern, und das Auge täuschen, indem alles auf einen künstlichen Betrug der Sinnen abgesehen ist: so war auch die Kreuzarmee eine Mixtur von Fiktion und Realität. Von den zahlreichen Heldenscharen, die aus ihrem Vaterlande auswanderten, gelangte immer nur der kleinste Teil bis an die Grenzen des Landes, auf dessen Eroberung sie ausgingen. Die wenigsten fraß das Schwert der Sarazenen, diese Unglaubigen hatten mächtige Bundesgenossen, die sie dem feindlichen Heere weit über die Grenze entgegen schickten, und die wacker darunter aufräumten, ob sie gleich weder Lohn noch Dank für ihre guten Dienste[668] erhielten. Das waren namentlich Hunger, Blöße, Fährlichkeit zu Land und Wasser und unter bösen Brüdern; Frost und Hitze, Pest und böse Beulen; auch das peinliche Heimweh fiel zuweilen wie ein schwerer Alp auf die stählernen Harnische, preßte sie wie geschmeidige Pappe zusammen, und spornte die Rosse zur flüchtigen Heimkehr. Unter diesen Umständen hatte Graf Ernst wenig Hoffnung, so eilfertig als er wohl wünschte seiner Zusage Gnüge zu tun, und sein ritterliches Schwert dreimal gegen die Sarazenen blitzen zu lassen, ehe er an den Rückzug ins Vaterland gedenken durfte. Drei Tagereisen rings ums Lager her, ließ sich kein arabischer Bogenschütze blicken, die Ohnmacht des Christenheeres lag hinter Bollwerk und Schanzen verborgen, und wagte sich nicht daraus hervor, den fernen Feind aufzusuchen, sondern harrete auf die zögernde Hülfe des schlummernden Papstes, der seit der schlaflosen Nacht, welche den Kreuzzug angesponnen hatte, einer ungestörten Ruhe genoß, und sich um den Erfolg des Heiligen Krieges wenig kümmerte.

In dieser Untätigkeit, die dem Heere der Christen ebenso unrühmlich war, als weiland die dem Heere der Griechen, vor dem blutigen doch mutigen Troja, wo der [669] Held Achill mit seiner Bundesbrüderschaft so lange um ein Freudenmädchen maulte, trieb die christliche Ritterschaft im Lager groß Wohlleben und Kurzweil, die müßige Zeit zu töten und die Grillen zu verscheuchen; die Welschen mit Sang und Saitenspiel, wozu die leichtfüßigen Franzosen hüpften; die ernsten Hispanier mit dem Brettspiel; die Britten mit dem Hahnenkampf, die Deutschen mit Schwelgen und Zechgelagen. Graf Ernst, der an all diesem Zeitvertreib wenig Gefallen trug, erlustigte sich mit der Jagd, bekriegte die Füchse in der dürren Wüste, und verfolgte die schlauen Felsgemsen in den verbrannten Gebürgen. Die Ritter von seinem Gefolge scheueten die glühende Sonne am Tage, und die feuchte Nachtluft unter diesem fremden Himmel, und schlichen sich seitab, wenn ihr Herr aufsatteln ließ: daher pflegte ihm nur sein getreuer Schildknappe, der flinke Kurt genannt, und ein einzelner Reisige auf die Jagd zu folgen. Einsmals hatte ihn die Neigung, den Gemsen nachzuklettern, so weit geführt, daß die Sonne schon ins Mittelmeer tauchte, ehe er an den Rückzug gedachte, und so sehr er sich auch sputete, das Lager zu erreichen, so überfiel ihn doch die Nacht, eh er dahin gelangte. Eine Erscheinung trüglicher Irrlichter, welche er für die Wachtfeuer des Lagers hielt, entfernte ihn noch weiter davon. Da er seines Irrtums inne ward, beschloß er unter einem Feldbaume bis zu Tagesanbruch zu rasten. Der getreue Knappe bereitete seinem ermüdeten Herrn ein Lager von weichem Moos, der von der Hitze des Tages abgemattet einschlief, ehe er die Hand erhob, sich nach Gewohnheit mit dem heiligen Kreuz zu segnen. Aber dem flinken Kurt kam kein Schlaf in die Augen, er war von Natur so wachsam wie ein Nachtvogel, und wenn ihm auch das Talent der Wachsamkeit nicht wäre verliehen gewesen, so würde ihn die treue Sorgfalt für seinen Herrn munter erhalten haben. Die Nacht war, wie es dem Klima von Asien gewöhnlich ist, hell und klar, die Sterne funkelten im reinen Brilliantenlichte, und feierliche Stille, wie im Tale des Todes, herrschte in der weiten Einöde. Kein Lüftchen atmete, demungeachtet goß die nächtliche Kühlung Leben und Erquickung auf Pflanzen [670] und Tiere. Aber um die dritte Nachtwache, da der Morgenstern den kommenden Tag verkündete, erhob sich ein Getöse in düsterer Ferne, gleich einem rauschenden Waldstrom, der sich über einen jähen Absturz herabwälzt. Der wachsame Knappe horchte hoch auf, und ging auch mit seinen übrigen Sinnen auf Kundschaft aus, da sein scharfes Auge den Schleier der nächtlichen Dämmerung zu durchdringen nicht vermogte. Er horchte und windete zugleich, wie ein Spürhund, denn ihn wehete ein Geruch an, wie der von wohlriechenden Kräutern und zerquetschten Grashalmen; auch schien das befremdende Getöse sich immer mehr zu nähern. Er legte das Ohr auf die Erde, und vernahm ein Trappeln wie von Rosses Hufen, welches ihn auf die Vermutung brachte, das wilde Heer ziehe vorüber, da überlief's ihn mit einem kalten Schauer und wandelte ihm große Furcht an. Er rüttelte deshalb seinen Herrn aus dem Schlafe, und dieser merkte bald, nachdem er sich ermuntert hatte, daß hier ein anderes als ein gespenstisches Abenteuer zu bestehen sei. Indem der Reisige die Pferde aufzäumte, ließ er sich in aller Eil waffnen.

Die dunkeln Schatten schwanden nun allgemach, und der herannahende Morgen färbte den Saum des östlichen Horizonts mit seinem Purpurlichte. Da sahe der Graf, was er geahndet hatte, einen Haufen Sarazenen heranziehen, alle wohlgerüstet zum Streit, um eine Beute von den Christen zu erjagen. Ihren Händen zu entfliehen war keine Möglichkeit, und der wirtbare Baum im weiten Blachfelde gab keinen Schutz, Roß und Mann dahinter zu verbergen. Zum Unglück war der große Gaul kein Hippogryph, sondern ein schwerbeleibter Friesländer, dem vermöge seiner Struktur, das wünschenswerte Talent, seinen Herrn auf den Fittichen der Winde davonzutragen, nicht verliehen war. Darum befahl der mannliche Held seine Seele in den Schutz Gottes und der Heilgen Jungfrau, und faßte den Entschluß ritterlich zu sterben. Er gebot seinen Dienern ihm zu folgen, und ihr Leben so teuer zu verkaufen, als sie könnten. Hierauf stach er den Friesländer wacker an und setzte mitten in das feindliche Geschwader, welches sich eines so plötzlichen [671] Angriffs von einem einzelnen Ritter nicht versahe. Die Unglaubigen bestürzten und stoben auseinander, wie leichte Spreu, die der Wind zerstreuet. Da sie aber inne wurden, daß der Feind nicht stärker sei als drei Helme, wuchs ihnen der Mut, und es begann ein ungleiches Gefechte, wo die Tapferkeit der Menge unterlag. Der Graf tummelte sich indessen wacker auf dem Kampfplatz herum, die Spitze seiner Lanze blitzte Tod und Verderben auf die feindlichen Heerscharen, und wenn sie ihren Mann faßte, so flog er unwiderstehbar aus dem Sattel. Selbst den Anführer des sarazenischen Pulks, der grimmig auf ihn einrennte, streckte der mannfeste Arm des Grafen zu Boden, und durchstach ihn, da er sich wie ein Wurm im Sande wälzte, mit der sieggewohnten [672] Lanze, wie der Ritter St. Georg den scheußlichen Lindwurm. Der flinke Kurt hielt sich nicht minder hurtig. Ob er wohl zum Angriff nicht taugte, so war er doch ein Meister im Nachhauen, und hieb alles in die Pfanne, was sich nicht zur Wehre setzte, wie ein Kunstrichter, der das wehrlose Gesindel der Krüppel und Lahmen abwürgt, die sich jetzt so dreuste auf die literarische Stechbahn wagen; und wann auch zuweilen ein matter Invalide, mit großem Grimm, wie ein erboster Pasquillanten- und Rezensentenjäger, aus entnervter Faust einen Stein gegen ihn schleuderte, so ließ er sich das nicht anfechten: denn er wußte wohl, daß seine eiserne Sturmhaube nebst dem Harnisch, einen mäßigen Wurf wohl ertragen konnte. Auch der Reisige tat sein Bestes, reine Bahn um sich her zu machen, und hielt dabei seines Herrn Rücken frei. Wie aber neun Bremsen das stärkste Pferd, vier Stiere der Kaffern einen afrikanischen Löwen, und gemeiner Sage nach, eine Mäuserotte einen Erzbischof überwältigen und bezwingen können, davon der Mäuseturm im Rhein, laut Hübnern, kundig Zeugnis gibt: so wurde der Graf von Gleichen, nach einem ritterlichen Gefechte, von der Zahl der Feinde auch endlich übermannet. Sein Arm ermüdete, die Lanze war zersplittert, das Schwert gestümpft, der Gaul strauchelte, auf dem mit Feindesblut getünchten Schlachtfelde. Des Ritters Fall war die Losung des Sieges, hundert rüstige Arme stürmten auf ihn ein, das Schwert ihm zu entringen, und seine Hand hatte zum Widerstande keine Kräfte mehr. Sobald der flinke Kurt den Ritter fallen sah, entfiel ihm auch der Mut und zugleich der Streithammer, mit dem er die Sarazenenschädel so meisterlich zerhämmert hatte. Er ergab sich auf Diskretion und bat flehentlich um Quartier. Der Reisige stund in dumpfen Hinbrüten da, verhielt sich leidend, und erwartete mit stierischer Gleichmütigkeit den Schlag einer Streitkolbe auf seine Sturmhaube, die ihn zu Boden stürzen würde.

Die Sarazenen waren indessen menschlichere Sieger, als die Überwundenen hoffen durften, sie begnügten sich die drei Kriegsgefangenen zu entwaffnen, ohne ihnen am Leibe [673] Schaden noch Leid zu tun. Diese milde Schonung war eben keine Regung der Menschenliebe, sondern nur Kundschafterbarmherzigkeit: von einem erschlagenen Feinde ist nichts auszuforschen, und die Absicht der streifenden Horde war eigentlich, von dem Zustande des christlichen Heeres bei Ptolemais sichere Kundschaft einzuziehen. Nachdem die Gefangenen verhört waren, wurden ihnen, nach asiatischem Kriegsgebrauch, die Sklavenfesseln angelegt, und weil eben ein Schiff nach Alexandrien segelfertig lag, schickte sie der Bey von Asdod zum Soldan von Ägypten, um am Hofe ihre Aussage von der Beschaffenheit der christlichen Heeresmacht zu bestätigen. Das Gerücht von der Tapferkeit des wackern Franken war bereits vor seiner Ankunft, bis zu den Toren von Großkairo erschollen, und ein solcher streitbarer Kriegsgefangener hätte in der feindlichen Hauptstadt wohl eben die pompöse Aufnahme verdienet, welche der zwölfte April dem gallischen Seehelden 1 in London erwarb, wo die frohe Königsstadt sich wetteifernd bemühete, dem Überwundenen die Ehre des brittischen Triumphs empfinden zu lassen; doch der muselmännische Eigendünkel läßt fremdem Verdienst keine Gerechtigkeit widerfahren. Graf Ernst wurde in dem Aufzuge eines Baugefangenen, mit schweren Ketten belastet, in den vergitterten Turm gesperrt, wo die Sklaven des Soldans pflegten aufbewahret zu werden. Hier hatte er Zeit und Muße, in langen peinlichen Nächten und einsamen traurigen Tagen das eherne Schicksal seines zukünftigen Lebens zu überdenken, und es gehörte ebensoviel Mut und Standhaftigkeit dazu, unter diesen Kontemplationen nicht zu erliegen, als sich mit einer ganzen Horde streifender Araber auf dem Schlachtfelde herumzutummeln. Oft schwebte das Bild seiner ehemaligen häuslichen Glückseligkeit ihm vor Augen, er dachte an seine holde Gemahlin und an die zarten Sprossen keuscher Liebe. Ach! wie verwünschte er die unglückliche Fehde der heiligen Kirche mit dem Gog und Magog in Orient, die ihn des glücklichen Loses seines Erdenlebens beraubt, und an unauflösliche Sklavenketten gefesselt hatte. In diesen Augenblicken [674] war er der Verzweiflung nahe, und es fehlte wenig, daß seine Frömmigkeit an dieser Klippe der Anfechtung nicht scheiterte.

Zu Lebzeiten Graf Ernsts von Gleichen, trieb sich unter den Anekdotenjägern eine abenteuerliche Geschichte herum, von Herzog Heinrich dem Löwen, die damals, als eine bei Menschengedenken vorgefallene Begebenheit, im ganzen deutschen Reiche großen Glauben fand. Der Herzog, so erzählt die Volkssage, wurde auf seiner Wallfahrt über Meer ins Heilige Land, durch einen schweren Sturm an eine unbewohnte afrikanische Küste verschlagen, wo er von seinen Unglücksgenossen allein dem Schiffbruch entrann, und in der Höhle eines gastfreien Löwen Obdach und Zuflucht fand. Die Gutmütigkeit des grausamen Bewohners der Höhle hatte aber eigentlich nicht ihren Sitz im Herzen, sondern in der linken Hintertatze: er hatte sich auf der Jagd in den Lybischen Wüsten einen Dorn eingetreten, der ihm so viel Schmerzen machte, daß er sich weder regen noch bewegen konnte, und darüber seiner natürlichen Freßbegierde ganz vergaß. Nach gemachter Bekanntschaft und gewonnenem wechselseitigen Zutrauen, vertrat der Herzog bei dem König der Tiere die Stelle eines Äskulaps, und grub ihm mühsam den Dorn aus dem Fuße. Der Löwe wurde heil, und eingedenk der ihm von seinem Gast erwiesenen Wohltat, verpflegte er diesen aufs beste von seinem Raube, und war so freundlich und zutätig gegen ihn als ein Schoßhund.

Der Herzog wurde aber der kalten Küche seines vierfüßigen Wirtes gar bald überdrüssig, und sehnte sich nach den Fleischtöpfen seiner ehemaligen Hofküche: denn er wußte das ihm zugeteilte Wildpret nicht so niedlich zuzurichten, als vordem sein Mundkoch. Da überfiel ihn das Heimweh gar mächtig, und weil er keine Möglichkeit sahe, jemals in seine Erblande zurückzukehren, betrübte ihn das in der Seele also, daß er sichtbar verkümmerte wie ein wunder Hirsch. Da trat der Versucher mit der bekannten, an wüsten Örtern ihm gewöhnlichen Effronterie zu ihm, in Gestalt eines kleinen schwarzen Männleins, welches der [675] Herzog beim ersten Anblick für einen Orang Utang hielt; es war aber unsers Herregotts Affe, der Satanas, leibhaftig, grinsete ihn an und sprach: »Herzog Heinrich, was jammerst du? So du mir vertrauest, will ich all deinem Kummer ein Ende machen und dich heimführen zu deinem Gemahl, daß du noch heut abend neben ihr im Schloß zu Braunschweig tafelst, denn es ist dort ein herrlich Abendmahl zugeschickt: sintemal sie mit einem andern hochzeitet, dieweil sie sich deines Lebens verziehen hat.«

Diese Depesche rollte wie ein Donnerschlag in des Herzogs Ohren, und schnitt ihm wie ein zweischneidiges Schwert durchs Herz. Wut brannte in seinen Augen wie [676] Feuerflammen, und in seiner Brust tobte Verzweiflung. Will mir der Himmel nicht, dacht er in diesem kritischen Augenblicke, so mag die Hölle raten! Das war eine von den verfänglichen Situationen, welche der ausgelernte psychologische Tausendkünstler so meisterhaft zu nutzen weiß, wenn ihm die Werbung um eine Seele, auf die er lüstern ist, gelingen soll. Der Herzog legte, ohne sich lange zu bedenken, die güldnen Sporen an, gürtete das Schwert um die Lenden, und machte sich reisefertig. »Hurtig Gesell«, sprach er, »führe mich und diesen meinen getreuen Löwen gen Braunschweig, ehe noch der freche Buhl mein Bett besteigt.« »Wohl!« antwortete der Schwarzbart, »aber weißt du auch, welcher Lohn mir für die Überfracht gebührt?« »Fordere, was du willst«, sprach Herzog Heinrich, »es soll dir aufs Wort gewähret sein.« »Deine Seele auf Sicht bis in jene Welt«, antwortete Beelzebul. »Es sei! Schlag ein!« rief tobende Eifersucht aus Heinrichs Munde.

Sonach war der Kontrakt zwischen beiden Teilhabern in bester Form Rechtens geschlossen. Der höllische Weih verwandelte sich augenblicklich in einen Vogel Greif, faßte in eine Kralle den Herzog, in die andere den getreuen Löwen, und führte beide in einer Nacht, vom lybischen Gestade gen Braunschweig, die hochgebaute Stadt, auf der festen Erdscholle des Harzes, welche selbst die lügenhafte Prophezeihung des Zellerfelder Sehers zu erschüttern nicht gewagt hat, setzte seine Bürde wohlbehalten mitten auf dem Marktplatz ab, und verschwand, als eben der Wächter ins Horn stieß, um die Mitternachtstunde abzurufen, und ein verjährtes Brautlied aus der rauhen Mummenkehle zu karjöhlen. Der herzogliche Palast und die ganze Stadt flimmerte noch, wie der gestirnte Himmel, von der hochzeitlichen Beleuchtung, und auf allen Straßen war Lärm und Getöse des frohlockenden Volkes, das herzuströmte, die geschmückte Braut und den feierlichen Fackeltanz, der das Vermählungsfest beschließen sollte, zu begaffen. Der Aeronaut, der von seiner weiten Luftreise keine Ermüdung spürte, drängte sich mitten im Volksgetümmel durch den Eingang des Palastes, trat mit klingenden Sporen, unter Geleitschaft des [677] getreuen Löwen, ins Tafelgemach, zückte das Schwert und sprach: »Heran wer treu bei Herzog Heinrich hält, und auf Verräter Fluch und Dolch!« Zugleich brüllte der Löwe, wie wenn sieben Donner ihre Stimme hören lassen, schüttelte die furchtbare Mähne, und reckte zornmütig den Schwanz zum Zeichen des Angriffs empor. Die Zinken und Posaunen verstummten, und ein grausendes Schlachtgetöse rauschte, von dem Gewühl im Brautsaal, zum gotischen Gewölbe hinauf, davon die Mauern dröhnten und die Schwellen bebten.

Der goldgelockte Hochzeiter und die bunte Schmetterlingsschar seiner Höflinge, fielen unter dem Schwert des Herzogs, wie die tausend Philister unter dem Eselskinnbacken, in der benervten Faust des Sohnes Manoah, und wer dem Schwerte entging, der lief dem Löwen in den Rachen, und wurde abgewürgt wie ein wehrloses Lamm. Nachdem der zudringliche Freier nebst der Gespanschaft seiner Edeln und Diener aufgerieben war, und Herzog Heinrich sein Hausrecht auf ebenso strenge Manier gebraucht hatte, wie ehedem der weise Odyssevs 2 gegen den Buhlerklub der keuschen Penelope, setzte er sich wohlgemut zu seiner Gemahlin an Tafel, die von dem Todesschrecken, das er ihr gemacht hatte, eben anfing sich wieder zu erholen. Indem er sich die Speisen seiner Mundköche wohl schmecken ließ, die nicht für ihn zugerichtet waren, warf er einen triumphierenden Blick auf die neue Eroberung, und sahe, daß sich die Herzogin in rätselhaften Tränen badete, welche ebensogut auf Verlust als Gewinn sich ausdeuten ließen. Indessen erklärte er sie, als ein Mann der zu leben wußte, lediglich zu seinem Vorteil, und verwies ihr nur, mit liebreichen Worten, die Übereilung ihres Herzens, worauf er von Stund an wieder in alle seine Rechte trat.

Diese sonderbare Geschichte hatte sich Graf Ernst auf dem Schoße seiner Amme gar oft erzählen lassen, nachher bei reiferm Alter die Wahrheit derselben, als ein heller [678] Kopf, bezweifelt. In der traurigen Einöde des vergitterten Turms aber, bildete sich ihm das alles wohl möglich vor, und sein schwankender Ammenglaube gedieh beinahe zur Überzeugung. Ein Transito durch die Luft, schien ihm die leichteste Sache von der Welt zu sein, wenn der Geist der Finsternis in schauervoller Mitternacht seinen Fledermausfittich darzu herleihen wollte. Ungeachtet er vermöge seiner religiösen Grundsätze keinen Abend verabsäumte ein großes Kreuz vor sich zu schlagen, so regte sich doch ein geheimes Verlangen in seiner Seele, das nämliche Abenteuer zu bestehen, ob er gleich diesen Wunsch sich selbst nicht eingestund. Wenn indessen eine wandernde Maus zwischen der Vertäfelung der Wände zur Nachtzeit kraspelte, wähnte er flugs, der höllische Proteus signaliere seine dienstfertige Ankunft, und zuweilen brachte er schon in Gedanken den Frachtakkord mit ihm vorläufig in Richtigkeit. Allein außer der Illusion eines Traumes, die ihm die schwindelnde Luftreise ins deutsche Vaterland vorgaukelte, hatte der Graf von seinem Ammenglauben keinen Gewinn, als daß er mit diesem Gedankenspiel ein paar leere Stunden ausfüllete, und wie ein Romanenleser, sich in die Stelle des auftretenden Helden versetzte. Warum sich aber Meister Abaddon so untätig bewies, da es doch auf eine Seelenkaperei ankam, und nach allen Umständen die Entreprise gelingen mußte, davon läßt sich eine oder die andere triftige Ursache angeben. Entweder war der Schutzpatron des Grafen wachsamer als der, welchem Herzog Heinrich die Obhut seiner Seele anvertrauet hatte, und wehrte kräftig ab, daß der böse Feind keine Macht noch Gewalt an ihm finden konnte; oder dem Geiste, der in der Luft herrscht, war der Speditionshandel in diesem seinem Elemente dadurch verleidet, daß er von Herzog Heinrich, um die stipulierte Fracht, dennoch geprellt wurde. Denn da es mit ihm zum Abdrücken kam, hatte des Herzogs Seele so viel gute Werke auf ihrer Rechnung, daß die Zeche auf dem höllischen Kerbholz dadurch reichlich getilget wurde.

Während daß Graf Ernst, in romantischen Grillen, einen schwachen Schein von Hoffnung zur Erledigung aus dem [679] düstern Gitterturme träumte, und auf wenig Augenblicke seines Kummers und Unmuts dabei vergaß, brachten die heimkehrenden Diener der harrenden Gräfin die Botschaft zurücke, ihr Herr sei aus dem Lager verschwunden, ohne daß sie zu sagen wußten, welches Abenteuer ihm zugestoßen sei. Einige mutmaßten, er sei der Raub eines Drachen oder Lindwurms worden; andere ein verpestetes Lüftlein habe ihn in den syrischen Wüsteneien angewehet und getötet; noch andere, er sei von einer arabischen Räuberbande geplündert und gemordet oder gefangen weggeführet worden. Darin kamen alle überein, daß er pro mortuo zu achten, und die Gräfin ihrer ehelichen Gelübde quitt und ledig sei. Sie beweinte ihren Herrn auch wirklich als einen Toten. Und als ihre verwaisten Kindlein in der Unbefangenheit ihres Herzens, sich der schwarzen Käpplein freueten, die ihnen Mama hatte machen lassen, den guten Vater, dessen Verlust sie noch nicht fühlten, darin zu betrauren: so jammerte es ihr in der Seele, und ihre Augen zerflossen in Tränen vor wehmutsvoller Betrübnis. Aber eine geheime Ahndung sagte ihr demungeachtet, der Graf sei noch am Leben. Sie erstickte diesen Gedanken, der ihr so wohl tat, auch keinesweges in ihrem Herzen: denn Hoffnung ist doch die kräftigste Stütze der Leidenden, und der süßeste Traum des Lebens. Um diese zu unterhalten, rüstete sie im Geheim einen treuen Diener aus, und schickte ihn auf Kundschaft über Meer ins Heilige Land. Der schwebte, wie der Rabe aus der Arche, über den Gewässern hin und her, und ließ weiter nichts von sich hören. Drauf sendete sie einen andern Boten aus, der kam nach sieben Jahren, nachdem er Land und Meer durchzogen hatte, wieder heim, ohne daß er das Ölblatt guter Hoffnung im Schnabel trug. Gleichwohl zweifelte die standhafte Frau im geringsten nicht, ihr Herr sei noch im Lande der Lebendigen anzutreffen, denn sie vertrauete fest darauf, ein so zärtlicher, getreuer Gatte, könne unmöglich aus der Welt geschieden sein, ohne bei dieser Katastrophe an sein Weib und seine Kindlein daheim zu gedenken, und ein Anzeichen seines Abschieds aus der Welt zu geben. Aber es hatte sich, seit dem Abzug des Grafen, [680] im Schlosse nicht geeignet, weder in der Rüstkammer, durch Waffengeräusch; noch auf dem Söller, durch einen rollenden Balken; noch im Bettgemach, durch einen leisen Wandeltritt, oder durch einen herzhaften Stiefelgang. Auch hatte keine nächtliche Wehklage, von der hohen Giebelzinne des Palastes, ihre Nänie herabgetönet, noch das berüchtigte Vöglein Kreideweiß, seinen grausenvollen Totenruf hören lassen. Aus der Abwesenheit aller dieser Anzeichen von böser Bedeutung, schloß sie nach den Grundsätzen der weiblichen Vernunftlehre 3, die bei dem zarten Geschlechte, auch noch in unsern Tagen, lange nicht so sehr in Verfall geraten ist, als Vater Aristoteles' Organon bei dem männlichen, daß ihr vielgeliebter Ehgemahl noch lebe, und wir wissen, daß diese Konklusion ihre gute Richtigkeit hatte. Daher ließ sie sich den unfruchtbaren Erfolg der beiden ersten Entdeckungsreisen, deren Zweck ihr wichtiger war, als uns die Aufsuchung der südlichen Polarländer, keinesweges abschrecken, den dritten Apostel in alle Welt zu senden. Dieser war von träger Gemütsart, hatte sich das Sprüchlein wohl gemerkt: Zum Laufen hilft nicht schnell sein; darum hielt er bei jedem Wirtshaus an, und tat sich gütlich. Und da er es ungleich bequemer fand, die Leute, bei welchen er des Grafen wegen Nachfrage halten sollte, zu sich kommen zu lassen, als ihnen in der weiten Welt nachzuspüren und sie aufzusuchen: so stellte er sich an einen Posten, wo er alle Passanten aus dem Orient, mit der insolenten Forschbegierde eines Zöllners am Schlagbaume, examinieren konnte, das war der Hafen an der Wasserstadt Venedig. Dieser war damals gleichsam das allgemeine Tor, durch welches die Pilger und Kreuzfahrer aus dem Heiligen Lande, in ihre Heimat zurückkehrten. Ob der schlaue Mann das beste oder das schlechteste Mittel wählte, seiner aufhabenden Funktion Gnüge zu leisten, das wird sich in der Folge zeigen.


[681] Nach einer siebenjährigen Kustodie, in dem engen Gewahrsam des vergitterten Turms zu Großkairo, die dem Grafen ungleich länger däuchtete, als den heiligen Siebenschläfern ihr siebenzigjähriger Schlaf in den römischen Katakomben, vermeinte er von Himmel und Hölle verlassen zu sein, und verzieh sich gänzlich seines Leibes Erlösung aus diesem trübseligen Käfich, in welchem er des wohltätigen Anblicks der Sonne entbehren mußte, und wo das gebrochne Tageslicht nur kümmerlich, durch ein enges, mit eisernen Stäben verwahrtes Fenster einfiel. Sein Teufelsroman war lange zu Ende, und das Vertrauen auf die wundertätige Hülfe seines Schutzheiligen wog ein Senfkorn auf. Er vegetierte mehr als daß er lebte, und wenn er in diesem Zustande noch einen Wunsch gebären konnte, so war es der, vernichtet zu sein.

Aus diesem lethargischen Taumel, weckte ihn plötzlich das Rasseln von einem Schlüsselbund, vor der Tür seiner Klause. Seit dem Eintritt in dieselbe, hatte der Kerkermeister das Amt der Schlüssel hier nicht wieder verwaltet, denn alle Bedürfnisse des Gefangenen gingen durch eine Klappe in der Tür aus und ein, daher gehorchte das verrostete Schloß dem Kapital erst nach langem Widerstand, vermittelst der Lockspeise des Baumöls. Aber das Knarren der eisernen Bänder an der aufgehenden Tür, die sich schwerfällig um den Angel bewegten, war dem Grafen ein lieblicher Ohrenschmaus schmelzender Harmonieen gleichwie von Schöpfer Franklins Harmonika. Ein ahndungsvolles Herzklopfen setzte sein stockendes Blut in Umlauf, und er erwartete mit ungeduldigem Verlangen, die Botschaft von der Veränderung seines Schicksals, übrigens war es ihm gleichgültig, ob sie ihm Tod oder Leben verkünden würde. Zwei schwarze Sklaven traten mit dem Kerkermeister [682] herein, die auf dessen Wink dem Gefangnen die Fesseln abnahmen, und ein anderer stummer Wink des ernsten Graubarts, gebot dem Entledigten ihm zu folgen. Er gehorchte mit wankenden Schritten, die Füße versagten ihm den Dienst, und er bedurfte der Unterstützung der beiden Sklaven, um die steinerne Windeltreppe hinabzutaumeln. Man führte ihn vor den Hauptmann der Gefangenen, der ihn mit sträflichem Gesicht also anredete: »Hartnäckiger Frank, warum hast du verheimlichet, welcher Kunst du erfahren seist, da du in den Gitterturm geleget wurdest? Einer deiner Mitgefangenen hat dich verraten, daß du ein Meister seist der Gärtnerei. Gehe, wohin dich der Wille des Soldans ruft, richte einen Garten an, nach der Weise der Franken, und pflege sein, wie deines Augapfels, daß die Blume der Welt darinnen lustig blühe, zum Schmuck des Orients.«

Wenn der Graf nach Paris zum Rektor der Sorbonne wär voziert worden, so hätte ihn dieser Beruf nicht mehr befremden können als der, die Funktion eines Lustgärtners beim Soldan von Ägypten zu verwalten. Er verstund von der Gärtnerei so wenig, als ein Laie von den Geheimnissen der Kirche. Zwar hatte er in Welschland und Nürnberg viel Gärten gesehen, denn daselbst brach die Morgenröte der Gartenkunst zuerst in Deutschland an, ob sich gleich der Gartenluxus der Nürnberger damals nicht viel höher, als auf eine Boselbahn und den Anbau des römischen Kopfsalats erstreckte. Aber um die Anlage der Gärten, um die Pflanzenkunde und um die Baumzucht hatte er, nach Standesgebühr, sich niemals bekümmert noch seine botanische Kenntnis so weit getrieben, daß er von der Blume der Welt Notiz genommen hätte. Er wußte auch nicht, nach welcher Methode sie wollte behandelt sein, ob sie wie die Aloe, durch die Kunst, oder wie eine gemeine Ringelblume, allein durch die wirksame Natur zur Flor müsse gebracht werden. Gleichwohl wagte er es nicht, seine Unwissenheit zu bekennen, oder das ihm zugedachte Ehrenamt auszuschlagen, aus gegründeter Besorgnis, durch eine Bastonade auf die Fußsohlen, von seiner Amtstüchtigkeit überzeugt zu werden.

[683] Es wurde ihm ein angenehmer Park angewiesen, welchen er zu einem europäischen Lustgarten umschaffen sollte. Dieser Platz hatte entweder von der freigebigen Mutter Natur, oder von der Hand der ältern Kultur eine so glückliche Anlage und Ausschmückung empfangen, daß der neue Abdolonymus, mit aller Anstrengung seiner Sinnen, keinen Fehl oder Mangel daran wahrnehmen konnte, der einer Verbesserung bedurft hätte. Zudem erweckte der Anblick der lebendigen und wirksamen Natur, dessen er seit sieben Jahren, in dem düstern Kerker hatte entbehren müssen, seine stumpfe Sinnlichkeit auf einmal so mächtig, daß er aus jeder Grasblume Entzücken ein sog, und alles um sich her mit Wonnegefühl betrachtete, wie der erste Menschenvater im Paradiese, dem auch der kritische Gedanke nicht einkam, etwas an dem Garten Gottes meistern zu wollen. Der Graf befand sich daher in keiner geringen Verlegenheit, wie er mit Ehren des ihm geschehenen Auftrags sich entledigen wollte; er besorgte, jede Veränderung würde den Garten einer Schönheit berauben, und wenn er als ein Stümper erfunden würde, dürfte er wohl wieder in den Gitterturm wandern müssen.

Da ihn nun der Scheik Kiamel, Oberintendant der Gärten und Favorit des Soldans, fleißig antrieb das Werk zu beginnen, forderte er funfzig Sklaven, deren er zur Ausführung seines Entwurfs benötiget sei. Des folgenden Tages, bei frühem Morgen, waren sie alle zur Hand, und passierten die Musterung vor ihrem neuen Befehlshaber, der noch nicht wußte, wie er einen einzigen beschäftigen sollte. Aber wie groß war seine Freude, als er den flinken Kurt und den schwerfälligen Reisigen, seine beiden Unglücksgefährten, unter dem Haufen ansichtig wurde. Ein Zentnerstein fiel ihm dadurch vom Herzen, das Schwermutsfältchen verschwand von der Stirn, und seine Augen wurden wacker, als wenn er seinen Stab in Honigseim getaucht und davon gekostet hätte. Er nahm den getreuen Knappen beiseits, und offenbarte ihm unverhohlen, in welches heterogene Element er durch den Eigensinn des Schicksals sei verschlagen worden, worin er weder zu schwimmen noch zu baden wisse; auch [684] sei's ihm unbegreiflich, welcher rätselhafte Mißverstand sein angebornes Ritterschwert mit dem Spaten verwechselt habe. Nachdem er ausgeredet hatte, fiel der flinke Kurt mit nassen Augen ihm zu Füßen, erhob seine Stimme und sprach: »Verzeihung lieber Herr! Ich bin Ursächer Eurer Bekümmernis und Eurer Befreiung aus dem schändlichen Gitterturm, der Euch so lange Zeit gefangen hielt. Zürnet nicht, daß Euch der unschuldige Betrug Eures Knechtes daraus errettet hat, freuet Euch vielmehr, daß Ihr Gottes Sonne wieder über Eurem Haupte leuchten sehet. Der Soldan begehrte einen Garten nach der Weise der Franken, und ließ kund tun allen gefangenen Christen, die im Bazam waren, wer ihm einen solchen Garten zuzurichten wisse, der solle hervortreten und großen Lohns gewärtig sein, so ihm das Beginnen gedeihen würde. Das unterwand sich nun keiner von allen; ich aber gedachte an Eure schwere Haft. Da gab mir ein guter Geist den Lug ein, Euch für einen Meister in der Gärtnerei zu verkundschaften, so mir auch trefflich gelungen ist. Nun grämt Euch nicht, wie Ihr's anstellen möget, mit Ehren zu bestehen: dem Soldan lüstet, nach der Weise der Großen in der Welt, nicht nach etwas Bessern als er schon hat, sondern nach etwas andern, das neu und seltsam sei. Darum wüstet und wühlet in dieser herrlichen Aue, nach Eurem Gefallen, und glaubet mir, alles was Ihr tut und vornehmet, wird in seinen Augen gut und recht sein.«

Diese Rede war das Rauschen einer murmelnden Quelle, in den Ohren eines ermatteten Wanderers in der Wüste. Der Graf schöpfte daraus Labsal für seine Seele, und Mut das mißliche Unternehmen standhaft zu beginnen. Er legte auf gut Glück, ohne Plan, die Arbeiter an, und verfuhr mit [685] dem wohlgeordneten, schattenreichen Park, wie ein Kraftgenie mit einem veralteten Autor, der in seine schöpferischen Klauen fällt, und sich ohne Dank und Willen muß modernisieren, das heißt, wieder lesbar und genüßbar machen lassen; oder wie ein neuer Pädagog, mit der alten Lehrform der Schulen. Er warf bunt durcheinander, was er vorfand, machte alles anders und nichts besser. Die nutzbaren Fruchtbäume rodete er aus, und pflanzte Rosmarin und Baldrian, auch ausländische Hölzer, oder geruchlose Amaranten und Sammetblumen an ihre Stelle. Das gute Erdreich ließ er ausstechen, und den nackten Boden mit buntfarbigem Kies überführen, welchen er sorgfältig feststampfen und ebnen ließ, wie eine Dreschtenne, daß kein Gräslein darinne wurzeln konnte. Den ganzen Platz schied er in mancherlei Terrassen, die er mit einem Rasensaum umfaßte, und zwischendurch schlängelten sich wunderbar gewundene Blumenbette, in mancherlei grotesken Figuren, die in einen stinkenden Buchsbaumschnörkel ausliefen. Weil auch der Graf, vermöge seiner botanischen Unkunde, die Zeit zu säen und zu pflanzen nicht in Obacht nahm: so schwebte seine Gartenanstalt lange Zeit zwischen Tod und Leben, und hatte das Ansehen eines Kleiderbesatzes à feuille mourante.

Scheik Kiamel und selbst der Soldan ließen den abendländischen Gartenschöpfer gewähren, ohne durch ihre Dazwischenkunft, oder ihr diktatorisches Gutachten ihm das Konzept zu verrücken, und durch zu frühzeitige Kritteleien den Gang des Gartengeniewesens zu unterbrechen. Und daran taten sie weislicher als unser vorlautes Publikum, das von der bekannten philanthropischen Eckersaat, nach ein paar Sommern, gleich hohe Eichen erwartete, aus welchen sich Mastbäume zimmern ließen; da doch die Pflanzung noch so zart und schwach war, daß sie eine einzige kalte Nacht hätte zugrunde richten können. Aber nun beinahe in der Mitte der zweiten ablaufenden Dekade von Jahren, da die Erstlingsfrüchte wohl müßten überreif sein, wär's wohl an der Zeit und Stunde, daß ein deutscher Kiamel mit der Frage hervorträt: »Pflanzer, was schaffst du? Laß sehen, [686] was dein Rejolen, und das laute Getöse deiner Schuttkarren und Radeberren gefruchtet hat?« Und wenn dann die Pflanzung so dastünd, wie die im Gleichischen Garten zu Großkairo, mit traurendem Blatt: so hätte er wohl Fug und Macht, nach billiger Würderung der Sache, wie der Scheik stillschweigend den Kopf zu schütteln, zwischen den Zähnen hindurch über den Bart zu spucken, und bei sich zu gedenken: sonach hätt's auch können beim alten gelassen werden. Denn eines Tages, da der Lustgärtner seine neue Schöpfung mit Wohlgefallen übersah, selbst über sich kunstrichterte und urteilte, das Werk lobe den Meister, und im ganzen genommen, sei alles besser ausgefallen, als er selbst anfangs geglaubt hätte; indem er sein ganzes Ideal vor Augen hatte, nicht nur sahe, was da war, sondern auch, was noch daraus werden konnte: trat der Oberintendant und Favorit des Soldans in den Garten und sprach: »Frank, was schaffst du? Und wie weit ist es mit deiner Arbeit gediehen?« Der Graf merkte wohl, daß sein Kunstprodukt jetzt werde eine strenge Zensur passieren müssen, indessen war er auf diesen Fall längst vorbereitet. Er nahm alle Gegenwart des Geistes zusammen, und sprach mit Zutrauen auf sein Händewerk: »Komm Herr und siehe! Diese vormalige Wildnis hat der Kunst gehorcht, und ist nach dem Ideal des Paradieses, zu einem Lustrevier umgeschaffen worden, welches die Houris 4 nicht verschmähen würden, zum Aufenthalt zu wählen.« Der Scheik, der einen angeblichen Künstler mit solcher scheinbaren Wärme und Gnügsamkeit, von der Ausübung seiner Talente sprechen hörte, und dem Meister der Kunst in seiner Sphäre doch tiefere Einsichten zutrauen mußte, als sich selbst, hielt das Geständnis seines Mißbehagens an der ganzen Anstalt zurück, um seine Unwissenheit nicht bloßzugeben; war so bescheiden, solches seiner Unkunde des ausländischen Geschmacks zuzuschreiben, und die Sache selbst auf ihrem Wert und Unwert beruhen zu lassen. Gleichwohl konnte er sich nicht enthalten, einige Fragen zu seiner Belehrung an den Gartensatrapen [687] gelangen zu lassen, worauf dieser ihm die Antwort nicht schuldig blieb.

»Wo sind die herrlichen Fruchtbäume geblieben«, fing der Scheik an, »die auf dieser Sandebene stunden, von roten Pfirsichen und süßen Limonien belastet, die das Auge ergötzten, und den Lustwandelnden zum erfrischenden Genuß einladeten?«

»Sie sind insgesamt bei der Erde weggehauen, daß ihre Stätte nicht mehr zu finden ist.«

»Und warum das?«

»Ziemt sich solcher Troß von Bäumen wohl in den Lustgarten des Soldans, die der gemeinste Bürger von Kairo in seinem Garten hegt, und von deren Früchten ganze Eselsladungen zum Verkauf ausgeboten werden?«

»Was bewog dich, den lustigen Dattel- und Tamarinden-Hain zu verwüsten, der des Wandrers Schutz war bei schwüler Mittagsglut, und ihm unter dem Gewölbe seiner belaubten Äste Schatten und Erquickung gab?«

»Was soll der Schatten einem Garten, der, solange die Sonne feurige Strahlen schießet, verödet und einsam ist, und nur vom kühlen Abendwinde gefächelt, balsamische Wohlgerüche düftet?«

»Aber bedeckte dieser Hain nicht mit einem undurchdringlichen Schleier, die Geheimnisse der Liebe, wenn der Soldan, von den Reizen einer zirkassischen Sklavin bezaubert, seine Zärtlichkeit den eifersüchtigen Augen ihrer Gespielinnen verbergen wollte?«

»Einen undurchsichtigen Schleier, die Geheimnisse der Liebe zu bedecken, gewähret jene Laube, von Geißblatt und Efeuranken umschlungen; oder diese kühle Grotte, in welcher ein kristallener Quell, aus künstlichem Felsen, in ein Marmorbecken rauscht; oder jener bedeckte Gang von Weinreben, am Traubengeländer; oder der, mit weichem Moos gepolsterte Sofa, in der ländlichen Schilfhütte am Fischteich, ohne daß diese Tempel verschwiegener Zärtlichkeit, schädlichem Gewürm und schwirrenden Insekten zum Aufenthalt dienen, die wehende Luft abhalten oder die freie Aussicht behindern, wie der dumpfe Tamarinden-Hain tat.«

[688] »Warum hast du aber Salbei und Ysop, der auf der Mauer wächst, dahin gepflanzet, wo vorher das köstliche Balsamstäudlein aus Mekka blühete?«

»Weil der Soldan keinen arabischen, sondern einen europäischen Garten wollte. In Welschland aber und in den deutschen Gärten der Nürnberger, reifen keine Datteln, noch gedeihet daselbst das Balsamstäudlein aus Mekka.«

Gegen dieses Argument ließ sich keine Einwendung weiter machen. Da weder der Scheik, noch irgend einer der Heiden 5 aus Kairo in Nürnberg gewesen war, so mußte er die Dolmetschung des Gartens aus dem Arabischen ins Deutsche, auf Treu und Glauben dahinnehmen. Nur konnte er sich nicht bereden, daß die Gartenreformation nach dem Ideal des, von dem Propheten den glaubigen Muselmännern verheißenen Paradieses, sollte ausgeführet sein, und angenommen, daß es mit dieser Angabe seine Richtigkeit hätte, versprach er sich von den Freuden des zukünftigen Lebens eben keinen sonderlichen Trost. Er konnte daher wohl nichts anders tun, als obenerwähntermaßen den Kopf schütteln, kontemplativisch zwischen den Zähnen hindurch über den Bart spucken, und gehen, woher er gekommen war.


[689] Der Soldan, welcher damals über Ägypten herrschte, war der wackere Malek al Aziz Othmann, ein Sohn des berühmten Saladins. Den Beinamen des Wackern hatte er mehr den Talenten für seinen Harem, als den Eigenschaften des Gemüts zu verdanken: er hatte sich in der Propagation seines Geschlechtes so tätig und wacker bewiesen, daß, wenn jeder seiner Prinzen eine Krone hätte tragen sollen, die Königreiche aller damals bekannten drei Weltteile nicht wären hinreichend gewesen, sie damit zu versorgen. Seit siebzehn Jahren aber war, in einem heißen Sommer, diese fruchtbare Quelle versiegt. Fräulein Melechsala beschloß die lange Reihe der soldanischen Deszendenz, und nach dem einstimmigen Zeugnis des Hofs, war sie das Kleinod in diesem zahlreichen Blumengewinde, und genoß auch reichlich des Vorrechts der letztgebornen Kinder, der Prädilektion vor allen andern. Hierzu kam, daß sie die einzige lebende von allen Töchtern des Soldans war, und daß die Natur sie mit so vielen Reizen ausgesteuert hatte, daß diese selbst das väterliche Auge entzückten. Denn das muß man überhaupt den orientalischen Prinzen lassen, daß sie, in Regula, es ungleich weiter in der weiblichen Schönheitskunde gebracht haben, als unsere abendländischen, die ihr unzuverlässiges Kennerauge, was diesen Punkt betrifft, von Zeit zu Zeit verraten 6. Das Fräulein war der Stolz der soldanischen Familie, selbst ihre Brüder wetteiferten [690] in der Aufmerksamkeit gegen die reizende Schwester, und in dem Bestreben, ihr Achtung und Zuneigung zu beweisen, es einander zuvorzutun. Der ernste Diwan erwog oft in politischen Konsultationen, welchen Prinzen man, vermöge des Bundes der Liebe, durch sie an das Interesse des ägyptischen Staates verknüpfen würde. Indessen ließ das der Vater Soldan seine geringste Sorge sein, und war nur unablässig darauf bedacht, der Lieblingstochter seines Herzens jeden Wunsch zu gewähren, und ihre Seele immer in einer heitern Stimmung zu erhalten, damit der reine Horizont ihrer Stirn durch kein Wölkchen getrübet würde.

Die ersten Jahre der Kindheit hatte das Fräulein unter der Aufsicht einer Amme zugebracht, die eine Christin und welscher Abkunft war. Diese Sklavin wurde, in früher Jugend, durch einen Seeräuber aus der Barbarei, vom Strande ihrer Vaterstadt weggeraubt, in Alexandrien verkauft, ging durch Handel und Wandel daselbst aus einer Hand in die andere, und so gelangte sie endlich in den Palast des Soldans von Ägypten, wo ihre nahrhafte Leibeskonstitution ihr zu dem Amte verhalf, dem sie mit aller Ehre vorstund. Ob sie gleich nicht so gesangreich war, wie die Amme des gallischen Thronerben, die für ganz Versailles die Losung zum Chorus gab, wenn sie mit melodischer Kehle, ihr Malbrough s'en va en guerre intonierte: so hatte sie die Natur, durch eine desto geläufigere Zunge, dafür sattsam entschädigt. Sie wußte so viel Geschichtchen und Märchen, wie die schöne Scheherazade in der Tausendundeinen Nacht, womit sich, wie es scheint, die soldanischen Sippschaften, in der Verschlossenheit der Serails gern unterhalten lassen. Die Prinzessin wenigstens, fand nicht tausend Nächte, sondern tausend Wochen lang daran Geschmack, und wenn ein Mädchen einmal zu dem Alter von tausend Wochen gelangt ist, so genüget ihr nicht mehr an fremden Erzählungen, sie findet nun in sich Stoff, ein eignes Geschichtchen anzuspinnen. In der Folge vertauschte die weise Amme ihre Kindermärchen, mit der Theorie europäischer Sitten und Gewohnheiten, und weil sie selbst noch viel Vaterlandsliebe hegte, und in der Zurückerinnerung an dasselbe Vergnügen [691] empfand: so schilderte sie dem Fräulein die Vorzüge von Welschland so malerisch, daß davon die Phantasie ihrer zarten Pflegetochter erwärmt wurde, welchen angenehmen Eindruck sie nachher nie wieder aus dem Gedächtnis verlor. Je mehr Fräulein Melechsala heranwuchs, desto mehr wuchs mit ihr die Liebe zum ausländischen Putz, und den Gerätschaften des damals noch gar bescheidenen europäischen Luxus, und ihr ganzes Betragen artete mehr nach europäischer Sitte, als den Gebräuchen ihres Vaterlandes.

Sie war von Jugend auf eine große Blumenfreundin, ein Teil ihrer Beschäftigung bestund darinne, nach arabischer Gewohnheit bedeutsame Sträußchen und Kränze zu binden, durch welche sie, auf eine scharfsinnige Art, die Gesinnungen ihres Herzens offenbarte. Ja sie war so erfindungsreich, daß sie ganze Sentenzen, auch Sittensprüche des Korans, in einer Zusammenreihung von Blumen von verschiedenen Eigenschaften, oft sehr glücklich auszudrücken vermochte. Sie ließ hernach ihren Gespielinnen den Sinn davon erraten, welche diesen selten verfehlten. So formte sie eines Tages, aus chalcedonischer Lychnis, die Gestalt eines Herzens, umfaßte dieses mit weißen Rosen und Liljen, befestigte darunter zwei emporstrebende Königskerzen, die ein herrlich gezeichnetes Anemonenröslein einschlossen, und alle ihre Frauen sprachen, als sie ihnen das Blumengewinde vorzeigte, einstimmig: »Unschuld des Herzens, ist über Geburt und Schönheit erhaben.« Oft beschenkte sie ihre Sklavinnen mit frischen Sträußen, und diese Blumenspenden enthielten gemeiniglich Lob oder Tadel für die[692] Empfängerin. Ein Kranz von Flatterrosen beschämte den Leichtsinn; die strotzende Mohnblume Dünkel und Eitelkeit; ein Strauß von Wohlgeruch duftenden Zochzinken 7, mit herabsinkenden Glöcklein, panegyrisierte die Bescheidenheit; die Goldlilje, welche ihren Blütenkelch bei Sonnenuntergang verschließt, kluge Vorsicht; die Meerwinde 8 strafte die Liebedienerei, und die Blüten des Stechapfels nebst der Zeitlose, deren Wurzel vergiftet, bösen Leumund und heimlichen Neid.

Vater Othmann vergnügte sich innig an den scharfsinnigen Spielen der Phantasie seiner reizenden Tochter, ob er gleich wenig Talent besaß, diese witzigen Hieroglyphen selbst zu entziffern, und oft mit dem Kalbe seines ganzen Diwans pflügen mußte, ihre Deutung auszuklauben. Ihm war der exoterische Geschmack der Prinzessin nicht verborgen, als ein schlichter Muselmann konnte er hierinne nicht mit ihr sympathisieren; aber als ein nachsichtiger und zärtlicher Vater suchte er gleichwohl mehr, diese Lieblingsneigung der Prinzessin zu unterhalten, als sie zu unterdrücken. Er verfiel darauf, ihre Blumenliebhaberei mit der Vorliebe zum Ausländischen zu vereinbaren, und einen Garten im Geschmack der Abendländer ihr zurichten zu lassen. Dieser Einfall dünkte ihn so wohl ausgesonnen, daß er keinen Augenblick verabsäumte, solchen seinem Günstling, dem Scheik Kiamel mitzuteilen, um ihn aufs fördersamste zur Ausführung zu bringen. Der Scheik, der wohl wußte, daß die Wünsche seines Herrn für ihn Befehle waren, denen er ohne Widerrede gehorchen mußte, unterwand sich nicht, ihm die Schwürigkeiten entgegen zu stellen, die er bei der Sache empfand. Er selbst hatte so wenig eine Idee von der Einrichtung eines europäischen Gartens, als der Soldan selbst, und in ganz Kairo war ihm kein Mensch bekannt, den er hierüber hätte zu Rate ziehen können. Darum ließ er unter den Christensklaven nach einem Gartenverständigen forschen, und da kam er gerade an den unrechten Mann, der ihm aus der Verlegenheit helfen sollte. Also war's kein [693] Wunder, daß der Scheik gar bedenklich den Kopf schüttelte, da er die Prozedur der Gartenverbesserung in Augenschein nahm: denn er fürchtete, wenn sie dem Soldan so wenig behagte als ihm selbst, so dürfte er wohl zu schwerer Verantwortung gezogen werden, und zum mindesten dürfte es um seine Günstlingschaft getan sein.

Vor den Augen des Hofs war diese Gartenkultur bisher als ein Geheimnis traktieret worden, allen Bedienten des Serails war der Eintritt untersagt. Der Soldan wollte das Fräulein, bei der Feier ihres Geburtstages, mit diesem Geschenke überraschen, sie in Pomp dahin führen, und ihr den Garten zum Eigentum übergeben. Dieser Tag rückte nun heran, und Se. Hoheit trug Verlangen, vorher alles selbst in Augenschein zu nehmen, sich von den neuen Anlagen unterrichten zu lassen, um sich das Vergnügen zu verschaffen, der schönen Melechsala die sonderbaren Schönheiten des Gartens vordemonstrieren zu können. Er tat dem Scheik davon Eröffnung, dem dabei nicht wohl zu Mute war, deswegen dachte er auf eine Schutzrede, wodurch er den Kopf aus der Schlinge zu ziehen vermeinte, wenn der Soldan sich mißfällig über die Gartenanstalt vernehmen lassen sollte. Beherrscher der Glaubigen, wollte er sagen, dein Wink ist die Richtschnur meines Ganges, meine Füße laufen, wohin du sie leitest, und meine Hand hält fest, was du ihr vertrauest. Du wolltest einen Garten nach der Weise der Franken: hier steht er vor deinen Augen. Diese ungeschlachten Barbaren wissen nichts, als dürftige Sandwüsten hervorzubringen, die sie in ihrem rauhen Vaterlande, wo keine Dattel noch Limonie reift, und wo es weder Kalaf noch Bahobab 9 gibt, mit Gras und Unkraut bepflanzen. Denn der Fluch des Propheten, stäupet mit ewiger Unfruchtbarkeit die Auen der Unglaubigen, und gibt ihnen nicht zu kosten den Vorschmack des Paradieses, durch den Wohlgeruch des Balsamstäudleins aus Mekka, noch durch den Genuß würzhafter Früchte.

[694] Der Tag begann sich bereits zu neigen, da der Soldan, allein von dem Scheik begleitet, in den Garten trat, voller Erwartung, was er da für Wunderdinge erblicken würde. Eine weite freie Aussicht über einen Teil der Stadt, und über die Spiegelfläche des Nilstroms, mit den darauf hin und her fahrenden Muschernen, Schambecken und Scheomeonen 10, im Hintergrunde die himmelanstrebenden Pyramiden, und eine Kette von blauen, mit Duft umflossenen Gebürgen eröffnete sich auf der obern Terrasse seinem Auge, das nicht mehr durch den undurchsichtigen Palmenhain gehalten wurde. Zugleich wehete ihn ein erfrischendes Lüftchen an, das ihm wohltat. Eine Menge neuer Gegenstände drängten sich ihm auf, von allen Seiten her. Der Garten hatte freilich jetzt eine wildfremde Ansicht gewonnen, daß der alte Park, in welchem er von Kindheit auf gelustwandelt, und der durch sein ewiges Einerlei seine Sinnen längst ermüdet hatte, nicht mehr zu erkennen war. Der schlaue Kurt hatte wohl und weislich geurteilet, der Reiz der Neuheit werde seiner Wirkung nicht verfehlen. Der Soldan prüfte die Gartenmetamorphose nicht mit der Einsicht eines Kenners, sondern nach dem ersten Eindruck auf die Sinnen, und weil diesen das Ungewöhnliche so leicht zum Köder des Vergnügens dienet, so schien ihm alles gut und recht zu sein, wie er es fand. Selbst die krummen unsymmetrischen Gänge, mit[695] festgestampftem Kies belegt, gaben seinen Füßen eine solche elastische Kraft, und einen leichten festen Gang, da er sonst gewohnt war, nur auf weichen persischen Teppichen, oder auf grünen Matten zu wandeln. Er wurde nicht müde, die labyrinthischen Gänge zu durchkreuzen, und bezeigte besonders seine Zufriedenheit, über die Flora der mannigfaltigen Grasblumen, die aufs sorgfältigste kultivieret und gewartet wurden, ob sie gleich jenseit der Mauer, freiwillig ebenso gut und in größerer Menge blüheten.

Nachdem er sich auf eine Ruhebank niedergelassen hatte, sprach er mit heiterer Miene: »Kiamel, du hast meine Erwartung nicht getäuschet, ich dacht es wohl, daß du mir etwas Sonderbares aus dem alten Park schaffen würdest, das von der Landessitte abweicht, darum soll dir mein Wohlgefallen unverhalten bleiben. Melechsala mag dein Werk, für einen Garten nach Art der Franken dahinnehmen.« Da der Scheik seinen Despoten aus dem Tone reden hörte, wunderte er sich baß, daß alles so gut ging, und freuete sich, daß er seine Zunge geschweiget, und seine Vorklage nicht hatte laut werden lassen. Er bemerkte bald, daß der Soldan alles für seine eigne Erfindung anzunehmen schien, daher drehete er das Ruder seiner Suada flugs nach dem günstigen Lüftlein, das in seine Segel blies, und redete also: »Großmächtiger Beherrscher aller Glaubigen, du sollst wissen, daß dein gehorsamer Sklav Tag und Nacht darauf gesonnen hat, etwas Unerhörtes, dergleichen in Ägypten noch nie ist gesehen worden, aus diesem alten Dattelhain, nach deinem Wink und Willen hervorzubringen. Es ist ohne Zweifel eine Eingebung des Propheten gewesen, daß ich darauf verfallen bin, nach dem Ideal des Paradieses der Glaubigen meinen Plan anzulegen, denn ich vertrauete darauf, daß ich solchergestalt die Meinung deiner Hoheit nicht verfehlen würde.« Der gute Soldan hatte von dem Paradiese, zu dessen Besitz er, nach dem Laufe der Natur, eben keine allzu entfernte Anwartschaft zu haben schien, von jeher so verworrene Begriffe gehabt, als unsere zukünftigen Himmelsbürger von dem Zustande und der Beschaffenheit des himmlischen Jerusalems; oder eigentlich hatte er, wie alle Glückskinder, [696] die in der Unterwelt sich wohl sein lassen, um die Aussichten in eine beßre Welt sich nie bekümmert. Es schwebte daher jederzeit, wenn ja einmal ein Iman oder Derwisch, oder sonst eine religiöse Person des Paradieses erwähnte, das Bild des alten Parks seiner Phantasie vor, und dort war eben nicht sein Lieblingsaufenthalt. Jetzt wurde seine Einbildungskraft auf eine ganz andere Vorstellung gesteuert, das neue Bild seiner zukünftigen Hoffnung, erfüllte seine Seele mit freudigem Entzücken, wenigstens vermutete er nun, das Paradies möchte doch wohl anmutiger sein, als er sich's bisher vorgestellet hatte; und weil er ein Modell davon im kleinen zu besitzen glaubte: so bekam er von dem Garten eine hohe Meinung, die er dadurch augenscheinlich zu erkennen gab, daß er den Scheik stehenden Fußes zum Bey erhob, und ihn mit dem Ehrengewand des Kaftans bekleidete. Der abgefeimte Höfling verleugnet seinen Charakter in keinem Weltteile: Freund Kiamel trug kein Bedenken, die Prämie eines Verdienstes, die seinem Geschäftsträger gebührte, sich ganz unbefangen zuzueignen, ohne seiner mit einer Silbe gegen den Soldan zu erwähnen, und achtete ihn für überflüssig belohnt, daß er seinen täglichen Sold um einige Asper vermehrte.

Um die Zeit, wenn die Sonne in den Steinbock tritt, welches Himmelszeichen bei den Nordländern die Losung des Winters ist, in dem mildern Klima von Ägypten aber die schönste Jahreszeit verkündet, trat die Blume der Welt in den für sie zubereiteten Garten, und fand ihn völlig nach ihrem ausländischen Geschmack. Sie war freilich die größte Zierde desselben: jeder Ort, wo sie lustwandelte, wär's auch eine Wüste in dem steinigen Arabien, oder ein grönländisches Eisgefilde gewesen, würde in den Augen eines Mädchenspähers, sich bei ihrem Anblick in Elysium verwandelt haben. Die mannichfaltigen Blumen, welche der Zufall in unabsehlichen Reihen untereinander gemischt hatte, gaben ihrem Auge und Geiste gleiche Beschäftigung: sie wußte die Unordnung selbst, durch sinnreiche Anspielungen auf die verschiedenen Eigenschaften der Blumen, einer methodischen Ordnung zu verähnlichen. Nach Landesgewohnheit [697] wurde jedesmal, wenn die Prinzessin den Garten besuchte, alles was männlich war, von Arbeitern, Pflanzern und Wasserträgern, durch die Wache der Verschnittenen daraus entfernt. Die Grazie, für welche der Kunstmeister gearbeitet hatte, blieb also seinen Augen verborgen, so sehr ihn auch gelüstete, die Blume der Welt, die seiner botanischen Unwissenheit so lange ein Rätsel gewesen war, in Augenschein zu nehmen. Wie sich aber das Fräulein über manche vaterländische Sitte hinaussetzte, so wurde ihr, da der Garten immer mehrere Reize für sie gewann, welchen sie des Tages mehrmals besuchte, die Begleitung der Verschnittenen in der Folge zu lästig, die in Prozession so feierlich vor ihr herzogen, als wenn der Soldan am Bairamfeste zur Moschee ritt. Sie erschien oftmals allein, oft an dem Arm einer Vertrauten, jedoch allezeit mit einem dünnen Schleier über dem Gesicht, und einem aus Binsen geflochtenen Körbchen in der Hand, wandelte die Gänge auf und ab, um Blumen zu pflücken, die sie nach Gewohnheit, durch allegorische Verbindung, zu Dolmetschrinnen ihrer Gedanken machte und an ihr Hofgesinde austeilte.

Eines Morgens, ehe der Tag heiß ward, und der Tau noch im Grase alle Regenbogenfarben spiegelte, begab sie sich in ihr Tempe, der balsamischen Frühlingsluft zu genießen, da ihr Gärtner eben geschäftig war, einige abgeblühete Gewächse aus der Erde zu nehmen und sie mit andern neuaufblühenden umzutauschen, die er in Blumentöpfen sorgfältig aufzog, welche er hernach kunstreich in die Erde vergrub, als wären sie, durch eine zauberhafte Vegetation, in einer einzigen Nacht aus dem Schoß der Erde hervorgewachsen. Das Fräulein wurde diesen artigen Betrug der Sinnen mit Vergnügen gewahr, und da sie das Geheimnis entdeckt hatte, wie die abgepflückten Blumen täglich durch andere ersetzt wurden, daß nie Mangel daran war, so gefiel es ihr, diese Entdeckung zu nutzen, und dem Gärtner Anweisung zu geben, wo und wenn bald diese bald jene Blume blühen sollte. Indem er die Augen aufhob, erschien ihm die weibliche Engelgestalt, welche er für die Eigentümerin des Gartens hielt, denn sie war mit himmlischen Reizen, wie mit[698] einem Heiligenschein umflossen. Er wurde durch diese Erscheinung so überrascht, daß ihm ein Blumentopf, mit einer herrlichen Colocassia aus der Hand entfiel, die ihr zartes Pflanzenleben ebenso tragisch endigte, als Herr Pilastre de Rozier, ob sie gleich beide nur der mütterlichen Erde in den Schoß fielen.

Der Graf stund steif und starr wie eine Bildsäule, ohne Leben und Bewegung, daß man ihm wohl hätte die Nase mögen einschlagen, ohne daß er sich geregt hätte, wie die Türken mit den steinernen Bildsäulen in Tempeln und Gärten es zu machen pflegen; aber die süße Stimme des Fräuleins, die ihren Purpurmund eröffnete, brachte seinen Geist wieder zu sich. »Christ«, sprach sie, »fürchte nichts! Es ist meine Schuld, daß du dich zugleich mit mir an diesem Orte befindest, fördere dein Tagewerk, und ordne die Pflanzen, wie ich es von dir heische.« »Glanzvolle Blume der Welt!« gegenredete der Gärtner, »für deren Schimmer alle Farben dieser Blumenpflanzung erbleichen, du herrschst hier an deinem Firmamente, gleich der Sternenkönigin, an der Feste des Himmels. Dein Wink belebe die Hand des glücklichsten deiner Sklaven, der seine Fesseln küßt, wofern du ihn wert achtest deine Befehle auszurichten.« Die Prinzessin hatte nicht erwartet, daß ein Sklav den Mund gegen sie öffnen, noch viel weniger, daß er ihr was Verbindliches sagen würde, sie hatte ihre Augen mehr auf die Blumen, als auf den Pflanzer gerichtet. Jetzt würdigte sie auch diesen eines Anblicks, und erstaunte, einen Mann von der glücklichsten Bildung vor sich zu sehen, der alles übertraf, was sie jemals von männlicher Wohlgestalt erblickt oder geträumet hatte.

Graf Ernst von Gleichen war, in ganz Deutschland, seiner männlichen Anmut halber berühmt. Schon auf dem Turnier zu Würzburg, war er der Held der Damen. Wenn er das Visier aufschlug, um frische Luft zu schöpfen, war das Rennen der kühnsten Lanzenbrecher für jedes weibliche Auge verloren; alle sahen nur auf ihn; und wenn er den Helm schloß, ein Stechen zu beginnen, hob sich der keuscheste Busen höher, und das Herz klopfte ängstliche Teilnehmung dem herrlichen Ritter entgegen. Die parteiliche Hand der [699] liebeschmachtenden Nichte des Herzogs in Bayern, krönte ihn mit einem Ritterdanke, welchen der junge Mann anzunehmen errötete. Die siebenjährige Haft im vergitterten Turme, hatte zwar die blühenden Wangen gebleicht, die prallen Muskeln erschlafft, und den Lichtblick der Augen ermattet; aber der Genuß der freien Atmosphäre, und die Gespielin der Gesundheit, Tätigkeit und Arbeit hatten mit reichem Ersatz den Verlust vergütet. Er grünte wie ein Lorbeerbaum, der den langen Winter hindurch im Gewächshaus getrauert hat, und bei der Wiederkehr des Frühlings junges Laub treibt und eine schöne Krone gewinnt.

Vermöge der Vorliebe der Prinzessin zu allem Ausländischen, konnte sie sich nicht enthalten, die einnehmende Gestalt des herrlichen Fremdlings mit Wohlgefallen zu betrachten, ohne zu wähnen, daß der Anblick eines Endymions, auf das Herz eines Mädchens ganz andere Eindrücke zu machen pflege, als die Schöpfung einer Modekrämerin, welche sie in ihrer Jahrmarktsbude zur Schau ausstellt. Mit holdem Munde erteilte sie dem schmucken Gärtner Befehle, wie er die Blumenpflanzung ordnen sollte, zog dabei sein Gutachten oft zu Rate, und unterhielt sich mit ihm, solange noch eine Gartenidee ihr zu Gebote stund. Sie verließ endlich den Freund Gärtner, der ihr so wohl behagt hatte; aber kaum war sie fünf Schritte gegangen, so kehrte sie wieder um, und gab ihm neue Aufträge, und da sie noch eine Promenade durch die Schlangenwege machte, berief sie ihn von neuem zu sich, bald eine Frage zu tun, bald eine Verbesserung in Vorschlag zu bringen. Wie der Tag sich anfing zu verkühlen, empfand sie das Bedürfnis schon wieder frische Luft zu schöpfen; und kaum spiegelte sich die Sonne in dem wachsenden Nil, so lockte sie das Verlangen in den Garten, die erwachenden Blumen sich aufschließen zu sehen, wobei sie niemals verfehlte, diejenige Gegend zuerst zu besuchen, wo ihr Gartenfreund arbeitete, um ihm neue Befehle zu erteilen, die er sich beeiferte pünktlich und hurtig auszurichten.

Einsmals suchte ihr Auge den Bostangi 11 vergebens, gegen [700] welchen ihre Gunst von Tag zu Tag sich mehrete. Sie wandelte die verschlungenen Gänge auf und nieder, ohne auf die Blumen zu achten, die ihr entgegen blüheten, und durch das hohe Kolorit der Farben, oder den balsamischen Duft ihrer Gerüche, gleichsam miteinander wetteiferten, von ihr bemerkt zu werden. Sie vermutete ihn hinter jedem Busche, untersuchte jedes hochstaudige Pflanzengewächs, erwartete seiner in der Grotte, und da er nicht zum Vorschein kam, tat sie eine Wallfahrt zu allen Lauben im Garten, hoffte ihn irgendwo schlummernd zu überraschen, und freute sich seiner Verlegenheit, wenn sie ihn aufwecken würde. Allein er war nirgends zu finden. Zufälligerweise begegnete ihr der stoische Veit, des Grafen Reisiger, den er, als ein ganz mechanisches Geschöpf, zu nichts anders als zum Wasserträger brauchen konnte. Sobald er die Prinzessin ansichtig wurde, machte er mit seiner Wasserladung linksum, ihr nicht in den Weg zu treten; sie aber berief ihn zu sich und frug, wo der Bostangi anzutreffen sei. »Wo anders«, antwortete er nach seiner handfesten Art, »als in den Klauen des jüdischen Quacksalbers, der ihm ohne Vorzug die Seele wird ausschwitzen lassen?« Darüber erschrak die reizvolle Tochter des Soldans also, daß ihr angst und wehe ums Herz ward; denn sie hatte nichts weniger vermutet, als daß ihr Gartengünstling durch Krankheit verhindert wäre, seiner Geschäfte zu warten. Sie begab sich alsbald in den Palast zurück, wo ihre Frauen mit Bestürzung wahrnahmen, daß die heitere Stirn ihrer Gebieterin sich getrübt hatte, wie wenn der feuchte Atem des Südwindes den spiegelreinen Horizont anhaucht, daß die schwebenden Dünste zu Wolken gerinnen. Bei der Zurückkehr ins Serail hatte sie eine Menge Blumen gepflückt; aber lauter traurige, welche sie mit Zypressen und Rosmarin zusammenband, und wodurch [701] sich die Stimmung ihrer Seele deutlich zu Tage legte. Dieses trieb sie so verschiedene Tage an, dergestalt, daß ihr Frauenzimmer große Betrübnis darüber empfand, und unter sich konsultierte, was die Ursache des geheimen Kummers ihrer Gebieterin sein möchte; aber es kam damit, wie es bei weiblichen Konsultationen zu geschehen pfleget, zu keinem Konklusum, weil bei der Stimmensammlung eine solche Dissonanz der Meinungen sich ergab, daß kein harmonischer Akkord herauszufinden war. In der Tat hatte die Beeiferung des Grafen, jedem Winke der Prinzessin zuvorzukommen, und alles, wovon sie nur ein halblautes Wort fallen ließ, ins Werk zu richten, seinen, der Arbeit ungewohnten Körper, dergestalt angegriffen, daß die Gesundheit darunter litt und er von einem Fieber befallen wurde. Doch der jüdische Zögling des Galens, oder vielmehr des Grafen robuste Konstitution, überwältigte die Macht der Krankheit, daß er nach einigen Tagen schon wieder seiner Arbeit vorstehen konnte. Sobald ihn die Prinzessin bemerkte, war ihr wieder wohl ums Herz, und der Damensenat, dem die schwermütige Laune derselben ein unauflöslich Rätsel blieb, urteilte nun einmütig, es müsse irgend ein Blumenstock beklieben sein, an dessen Fortkommen sie vor einigen Tagen gezweifelt hätte, und im allegorischen Sinn hatten sie nicht unrecht.

Fräulein Melechsala war noch so unschuldigen Herzens, wie sie aus der Hand der Natur hervorgegangen war. Sie hatte weder Ahndungen noch Warnungen von Amors Schälkeleien empfangen, die er an unerfahrnen Schönen zu begehen pfleget. Überhaupt hat es von jeher an Winken für Mädchen und Prinzessinnen in bezug auf Liebe gefehlet, obgleich eine Theorie von der Art ungleich mehr nutzen und frommen möchte, als Winke für Fürsten und Prinzenerzieher, die sich wenig darum kümmern, ob man ihnen hustet, pfeift oder winket, auch zu Zeiten es wohl gar übel nehmen: die Mädchen aber verstehen jeden Wink, und achten auch darauf: denn ihr Gefühl ist feiner, und ein verstohlner Wink ist so recht ihre Sache. Das Fräulein stund im ersten Noviziat der Liebe, und hatte so wenig Kenntnis davon, als eine Klosternovize von den Ordensgeheimnissen. [702] Sie überließ sich daher ganz unbefangen ihren Gefühlen, ohne den geheimen Diwan der drei Vertrauten ihres Herzens, der Vernunft, Klugheit und Überlegung, darüber zu Rate zu ziehen. Denn in diesem Falle, würde die lebhafte Teilnehmung an dem Zustande des kranken Bostangi, ihr Fingerzeig und Aufschluß gegeben haben, daß der Keim einer ihr unbekannten Leidenschaft, schon mächtig in dem Herzen vegetiere, und Vernunft und Überlegung würden ihr sodann zugeflüstert haben, daß diese Leidenschaft Liebe sei. Ob in dem Herzen des Grafen etwas Ähnliches im Hinterhalt lag, davon ist kein diplomatischer Beweis vorhanden: der überverdienstliche Eifer, die Befehle seiner Gebieterin zu vollziehen, könnte auf diese Vermutung führen, und da würde ein allegorischer Strauß von Liebstöckel, mit einem Stengel verwelkter Mannstreue zusammengebunden, für ihn wohl gepaßt haben. Es konnte aber auch nur eine unschuldige Rittersitte die Triebfeder dieses ausgezeichneten Diensteifers sein, ohne daß Liebe einigen Anteil daran hatte, denn es war das unverbrüchlichste Gesetz der Ritter damaliger Zeit, alle dem, was ihnen der Wille der Damen auferlegte, sträcklich nachzuleben. Es verging nun kein Tag mehr, wo nicht die Prinzessin mit ihrem Bostangi trauliche Unterredung pflog. Der sanfte Ton ihrer Stimme entzückte sein Ohr, und jeder Ausdruck schien ihm etwas Schmeichelhaftes zu sagen. Ein zuversichtlicherer Champion als er, würde nicht ermangelt haben, eine so günstige Situation zu nutzen, um weitere Progressen zu machen; allein Graf Ernst hielt sich immer innerhalb den Grenzen der Bescheidenheit. Weil nun das Fräulein in dem Kostüm der Koketterie ganz unerfahren war, und nicht wußte den blöden Schäfer aufzumuntern, den Diebstahl ihres Herzens zu begehen, so drehete sich die ganze Intrike um die Achse des wechselseitigen Wohlwollens, und hätte außer Zweifel noch lange keinen andern Schwung bekommen, wenn nicht der Zufall, welcher bekanntlich bei jedem Wechsel der Dinge das primum mobile zu sein pfleget, der Szene eine andere Gestalt gegeben hätte.

Gegen Sonnenuntergang eines sehr schönen Tages,[703] besuchte die Prinzessin den Garten, und ihre Seele war so heiter wie der Horizont, sie kosete mit ihrem Bostangi gar lieblich von mancherlei gleichgültigen Dingen, um nur mit ihm zu reden, und nachdem er ihr Blumenkörbchen gefüllet hatte, setzte sie sich in eine Laube und band einen Strauß, womit sie ihn beschenkte. Der Graf befestigte denselben, als ein Merkmal der Huld seiner schönen Gebieterin, mit dem Ausdruck eines überraschenden Entzückens an der Brust seines Wamses, ohne sich einfallen zu lassen, daß diese Blumen einen geheimen Sinn haben könnten, denn diese Hieroglyphen waren seinen Augen verborgen, wie den Augen des klügelnden Publikums das geheime Triebwerk des berühmten hölzernen Schachspielers. Und weil auch nachher das Fräulein diesen verborgenen Sinn nicht enträtselt hat, so ist er mit den Blumen dahingewelkt, ohne zur Wissenschaft der Nachwelt zu gelangen. Sie hegte indessen die Meinung, die Blumensprache sei allen Menschen so verständlich [704] wie ihre Muttersprache, daher zweifelte sie nicht, ihr Günstling habe alles recht wohl begriffen, und weil er beim Empfang so ehrerbietig sie anblickte, nahm sie diese Miene als eine bescheidene Danksagung für das Lob seiner Tätigkeit und seines Diensteifers an, welches wahrscheinlich der Strauß ihm beilegte. Sie trug nun auch Verlangen, seine Erfindsamkeit zu prüfen, ob er auf ebenso verblümte Art ihr zu danken, was Artiges zu sagen, oder mit einem Wort, den gegenwärtigen Ausdruck seines Gesichts, das die Empfindungen des Herzens verriet, in Blumenschrift zu übersetzen wisse, und begehrte ein Sträußchen von seiner Komposition. Der Graf war gerührt von einer so herablassenden Güte, er flog an das Ende des Gartens in einen abgesonderten Zwinger, wo er sein Blumendepot hinverleget hatte, und woraus er die aufblühenden Gewächse mit den Scherben in den Garten versetzte. Es war gerade damals eine gewürzhafte Pflanze zur Blüte gelangt, welche von den Arabern Muschirumi 12 genennet wird, und die vorher noch nicht im Garten anzutreffen war. Mit dieser Neuigkeit dachte der Graf der schönen Blumenfreundin, die sein harrete, ein unschuldiges Vergnügen zu machen, er servierte ihr die Blume, worunter er, anstatt des Präsentiertellers, ein breites Feigenblatt geschoben hatte, auf den Knieen, mit einer demütigen doch einiges Verdienst sich zueignenden Miene, und hoffte ein kleines Lob dafür einzuernten. Aber mit äußerster Bestürzung wurde er gewahr, daß die Prinzessin das Gesicht abwendete, die Augen, soviel der dünne Schleier ihm zu beobachten gestattete, beschämt niederschlug, und vor sich hinsahe, ohne ein Wort zu sprechen. Sie zögerte und schien verlegen die Blume in Empfang zu nehmen, die sie keines Anblicks würdigte, und neben sich auf die Rasenbank legte. Ihre muntere Laune war verschwunden, sie nahm eine majestätische Stellung an, die stolzen Ernst verkündete, und nach wenig Augenblicken verließ sie die Laube, ohne von ihrem Günstling weitere Notiz zu nehmen; doch vergaß sie beim Weggehen die Muschirumi nicht, welche sie aber sorgfältig unter den Schleier verbarg.

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Der Graf war von dieser rätselhaften Katastrophe wie betäubt, vermochte nicht zu ergründen, was die Ursache dieses sonderbaren Betragens sei, und blieb in der Stellung eines Büßenden noch lange Zeit auf den Knieen liegen, nachdem ihn die Prinzessin verlassen hatte. Es betrübte ihn in der Seele, diese Huldgöttin, die er wegen ihrer herablassenden Güte wie eine Heilige des Himmels verehrte, beleidiget und ihren Unwillen verwirkt zu haben. Nachdem er sich von der ersten Bestürzung erholet hatte, schlich er scheu und trübselig, als wenn er einer schwer verpönten Übeltat sich bewußt wäre, in seine Wohnung. Der flinke Kurt hatte die Abendmahlzeit schon aufgetischt; aber sein Herr wollte nicht anbeißen, und gabelte lange in der Schüssel herum, ohne einen Bissen zum Munde zu führen. Daran merkte der getreue Dapifer des Grafen Unmut, schlich flugs abseits zur Tür hinaus, entpfropfte eine Flasche Chierwein, und der griechische Sorgenbrecher tat Wirkung. Der Graf wurde gesprächig und eröffnete seinem lieben Getreuen das Abenteuer im Garten. Es wurde spät in die Nacht darüber spekulieret, ohne auf einen Vermutungsgrund zu stoßen, was den Unwillen der Prinzessin veranlaßt habe, und da mit allem Grübeln nichts ausgemacht wurde, begab sich Herr und Diener zur Ruhe. Der letzte fand sie ohne Mühe, der erste suchte sie vergebens, und durchwachte die harmvolle Nacht, bis ihn die Morgenröte wieder an seine Geschäfte rief.

In der Stunde, wo Melechsala den Garten zu besuchen pflegte, sahe sich der Graf fleißig nach dem Eingang um, allein die Tür vom Serail wurde nicht aufgetan. Er harrete den andern Tag, nachher den dritten: die Serailtür war wie von innen vermauret. Wär Graf Ernst nicht ein völliger Idiot in der Blumensprache gewesen, so würde er leicht den Schlüssel zu dem auffallenden Benehmen des Fräuleins gefunden haben. Er hatte durch Überreichung der Blume seiner schönen Gebieterin, ohne eine Silbe davon zu wissen, ein förmliches Liebesgeständnis getan, und noch dazu auf eine ganz unplatonische Art. Wenn ein arabischer Liebhaber seiner Geliebten verstohlnerweise, durch die treue Hand einer Vertrauten, eine Muschirumi überreichen läßt, [706] so traut er ihr den Scharfsinn zu, den einzigen Reim, den die arabische Sprache darauf hat, zu suchen. Dieses Wort ist Ydskerumi, welches, fein gegeben, so viel als Minnesold andeutet 13. Man muß es dieser Erfindung lassen, daß es keine kompendiösre Liebeserklärung gibt als diese, die wohl wert wär von den Abendländern nachgeahmet zu werden. All des faden Geschreibsels der Billets doux, die ihren Verfassern oft so viel Mühe und Kopfbrechen kosten, oft, wenn sie in unrechte Hand geraten, von den Spöttern erbärmlich durchgenommen; oft von den Empfängerinnen selbst gemißhandelt oder falsch interpretiert werden, könnte man dadurch überhoben sein. Weil aber die Muschirumi, oder Muskatenhyazinthe, nur sparsam und kurze Zeit in unsern Gärten blühet, so könnte eine Nachbildung derselben von unsern Pariser oder vaterländischen Blumenschöpferinnen, dem Bedürfnis der Liebhaber zu allen Jahreszeiten zustatten kommen, und ein inländischer Handel mit dieser Fabrikware, dürfte leicht bessern Gewinn geben, als die mißlichen Handlungsspekulationen nach Nordamerika. Ein Liebesritter in Europa, hat ja ohnehin nicht zu befahren, daß das Geschenk einer solchen redenden Blume ihm zu einem Kapitalverbrechen dürfte angerechnet werden, und daß er mit Leib und Leben dafür büßen müßte, wie das im Orient gar leicht der Fall ist. Wenn Fräulein Melechsala nicht so eine gute sanfte Seele gewesen wäre; oder wenn die allmächtige Liebe nicht den Stolz der Tochter des Soldans gebändiget hätte: so würde der Graf seine Blumengalanterie, so unschuldig sie auch seinerseits war, ohne Gnade mit dem Kopf haben bezahlen müssen. Allein die Prinzessin war im Grunde so wenig unwillig über den Empfang der bedeutsamen Blume, daß vielmehr der vermeinte Liebesantrag die Saite ihres Herzens berührte, welche lange schon vibrierte einen harmonischen Anklang zu geben. Ihre jungfräuliche Sittsamkeit aber wurde auf eine harte Probe gestellt, da ihr Günstling, so wie sie interpretierte, sie um Liebesgenuß anzuflehen sich erkühnte. Das war die Ursache, warum sie ihr Angesicht bei dem dargebrachten [707] Minneopfer abwendete. Eine Purpurröte, die der Schleier den Grafen nicht bemerken ließ, überzog ihre zarten Wangen, die Liljenbrust hob sich höher, und das Herz klopfte stärker in der Brust. Scham und Zärtlichkeit kämpften darinnen einen schweren Kampf, und die Verwirrung des Fräuleins war so groß, daß es ihr unmöglich war den Mund zu öffnen. Eine Zeitlang war sie zweifelhaft, was sie mit der verfänglichen Muschirumi machen sollte; sie verschmähen, hieß den Liebenden aller Hoffnung berauben, und sie annehmen, galt das Geständnis ihn seines Wunsches zu gewähren. Das Zünglein in der Waage der Entschlossenheit wankte daher bald auf diese bald auf jene Seite, bis das Übergewicht der Liebe entschied: sie nahm die Blume mit sich, und das assekurierte wenigstens vorläufig des Grafen Kopf. Aber im einsamen Gemach kam's, ohne Zweifel, zu mancherlei wichtigen Konsultationen über die Folgen, die dieser Entschluß nach sich ziehen konnte, und die Lage des Fräuleins war um deswillen desto bedenklicher, weil sie, bei ihrer Unerfahrenheit in Herzensangelegenheiten, sich selbst nicht zu raten wußte, und es nicht wagen durfte, einer Vertrauten sich zu entdecken, wenn sie nicht das Leben ihres Geliebten und ihr eignes Schicksal, der Willkür einer dritten Person überlassen wollte.

Eine Göttin im Bade ist leichter von einem Sterblichen zu belauschen, als eine orientalische Prinzessin in der Bettkammer des Serails von ihrem Geschichtschreiber, daher läßt sich schwerlich bestimmen, ob Fräulein Melechsala, die in Empfang genommene Muschirumi, auf der Spiegelkonsole dahinwelken lassen; oder sie ins frische Wasser gestellt habe, um sie zur angenehmen Augenweide, solang als möglich, zu konservieren. Desgleichen ist auch nicht leicht auszumachen, ob sie von lieblichen Träumen umtanzt; oder von den bösen Sorgen der Liebe gequält, die Nacht schlummernd oder schlaflos zugebracht habe. Doch ist das letztere um deswillen glaubhaft, weil am frühen Morgen, groß Jammern und Wehklagen innerhalb der vier Wände des Palastes entstund, als die Prinzessin, mit abgebleichten Wangen und mattem Blick in den Augen, zum Vorschein [708] kam, also, daß ihr Frauenzimmer wähnte, ihr wandele eine schwere Krankheit an. Der Hofarzt wurde herbeigerufen, eben der bärtige Jud, welcher dem Grafen das Fieber durchs Schweißbad abgeschwemmet hatte, um den Puls der erlauchten Kranken zu prüfen. Sie lag, nach Landessitte, auf einem Sofa, vor welchen ein großer Blendschirm gesetzt wurde, mit einer kleinen Öffnung versehen, durch welche die Prinzessin den niedlich gerundeten Arm hervorstreckte, der aber, um ihn nicht dem profanen Anblick eines männlichen Auges preiszugeben, mit zartem Musselin doppelt und dreifach umwunden war. »Soll mir Gott!« flüsterte der Arzt der Oberkämmerin ins Ohr, »mit Ihr Hoheit steht's schlecht: der Puls zappelt wie ein Mäuseschwanz«, und schüttelte, aus praktischer Politik, wie schlaue Ärzte pflegen, dabei gar bedenklich den Kopf, verordnete reichlich Kalaf und andere Herzstärkungen, und weissagte mit Achselzucken ein abzehrendes Fieber.

Gleichwohl schienen alle diese Symptomen, welche der [709] sorgsame Arzt für Herolde ansahe, die eine bösartige Seuche verkündeten, nichts mehr als die Folgen einer gestörten Nachtruhe zu sein: denn da die Kranke in der Mittagsstunde ihre Sieste gehalten hatte, befand sie sich zur Verwunderung des Israeliten, gegen Abend schon außer Gefahr, hatte keine Arzenei mehr nötig, und mußte, nach der Vorschrift dieses Äskulaps, nur noch einige Tage der Ruhe pflegen. Diese Zeit wendete sie dazu an, ihre Intrike reiflich zu überlegen, und Projekte auszuklügeln, die Gerechtsame der akzeptierten Muschirumi zu realisieren. Sie war geschäftig zu erfinden, zu prüfen, zu wählen, und zu verwerfen. In einer Stunde ebnete die Phantasie die unübersteiglichsten Berge, in der andern sahe sie nichts als Klüfte und Abgründe, vor welchen sie zurückschauderte, und über die die kühnste Einbildungskraft keinen Steg zu bauen wagte. Dennoch gründete sie auf alle diese Steine des Anstoßes den festen Entschluß, es koste auch was es wolle, den Gefühlen ihres Herzens zu gehorchen. Ein Heroismus, der Mutter Evens Töchtern nicht ungewöhnlich ist; den sie inzwischen oft mit dem Glück und der Zufriedenheit des Lebens bezahlen.

Die verriegelte Pforte des Serails tat sich endlich auf, und die schöne Melechsala ging, wie die lichte Sonne durchs Morgentor, durch sie wieder in den Garten. Der Graf bemerkte ihre Ankunft hinter einer Efeulaube; da fing's an in seinem Herzen zu arbeiten wie in einer Mühle, es pochte und hämmerte, als wär er bergan bergab gelaufen. War's Freude, war's Zagheit, oder bange Erwartung, was dieser Gartenbesuch ihm ankündigen würde – Verzeihung oder Ungnade: wer vermag das menschliche Herz so genau zu entfalten, daß er von jedem Ruck und Zuck dieser reizbaren Muskel Grund und Ursache sollte anzugeben wissen? Gnug, Graf Ernst fühlte Herzklopfen, sobald er die Gartengrazie von weitem erblickte, ohne daß er sich selbst über das woher? und warum? Rechenschaft zu geben vermochte. Sie beurlaubte ihr Gefolge gar bald, und aus allen Umständen war deutlich abzumerken, daß die poetische Blumenlese diesmal nicht ihr Geschäfte sei. Sie machte die Wallfahrt [710] nach den Lauben, und weil er eben nicht geflissentlich Versteckens spielen wollte, mußte sie ihn wohl finden. Da sie noch einige Schritte entfernt war, fiel er mit stummer Beredsamkeit vor ihr auf die Kniee, unterstund sich nicht die Augen gegen sie aufzuheben, und sahe so trübselig aus wie ein Delinquent, dem der Richter sein Urteil zu publizieren eben im Begriff ist. Das Fräulein aber redete ihn mit sanfter Stimme und freundlicher Gebärde an: »Bostangi, stehe auf, und folge mir in diese Laube.« Bostangi gehorchte schweigend, und nachdem sie Platz genommen hatte, redete sie also: »Der Wille des Propheten geschehe! Ich habe ihn drei Tage und drei Nächte lang angerufen, mir durch ein Anzeichen kund zu machen, wenn mein Wandel zwischen Torheit und Irrtum schwankt. Er schweigt und billiget den Entschluß der Ringeltaube, den sklavischen Hänfling der Kette, woran er kümmerlich Wasser zieht, zu entledigen und mit ihm zu nisten. Die Tochter des Soldans hat die Muschirumi aus deiner Sklavenhand nicht verschmähet: mein Los ist entschieden! Säume nicht den Iman aufzusuchen, daß er dich in die Moschee einführe, und dir das Siegel der Glaubigen erteile. Dann wird mein Vater, auf meine Vorbitte, dich wachsen lassen wie den Nilstrom, wenn er sein enges Ufer übersteigt und sich in das Tal ergießet. Wenn du nun als Bey eine Provinz regierest, magst du deine Augen kühnlich zum Throne aufheben: der Soldan wird den Eidam nicht verwerfen, welchen der große Prophet seiner Tochter versehen hat.«

Wie von dem Zauberspruch einer mächtigen Fei, wurde der Graf durch diese Rede einer steinernen Bildsäule abermals verähnlichet, er staunte die Prinzessin an, ohne Leben und Bewegung. Seine Wangen entfärbten sich, und seine Zunge war gebunden. Im ganzen begriff er zwar den Sinn der Rede; aber wie er zu der unerwarteten Ehre gelangen sollte, der Eidam des Soldans von Ägypten zu werden, das war ihm unbegreiflich. In dieser Situation machte er, für einen erhörten Liebhaber, nun eben nicht die imposanteste Figur; jedoch die aufwachende Liebe vergüldet alles, wie die aufgehende Sonne. Das Fräulein nahm dieses hinbrütende [711] Staunen für Übermaß seines Entzückens an, und maß die sichtbare Verwirrung seines Geistes, dem überraschenden Gefühl seines Minneglückes bei. Indessen regte sich in ihrem Herzen eine gewisse Empfindung jungfräulicher Bedenklichkeit, daß sie mit dem Ultimatum ihrer Gegenerklärung zu rasch möchte zu Werke gegangen sein, und die Erwartung ihres Geliebten übereilet haben, darum nahm sie das Wort wieder und sprach: »Du schweigst Bostangi? Laß dich nicht befremden, daß der Wohlgeruch deiner Muschirumi, den Geruch meiner Gesinnung auf dich zurückdüftet: die Decke der Verstellung hat nie mein Herz verhüllt. Sollt ich durch schwankende Hoffnung dir den steilen Pfad erschweren, den dein Fuß vorher ersteigen muß, ehe sich die Brautkammer dir öffnet?«

Der Graf hatte während dieser Rede Zeit gehabt, wieder zur Besonnenheit zu gelangen, er ermannete sich wie ein Kriegsmann aus dem Schlafe, wenn im Lager Lärm geblasen wird. »Glanzvolle Blume des Orients«, sprach er, »wie darf ein Stäudlein, das unter den Dornen wächst, sich ermächtigen, unter deinem Schatten zu blühen? Würde es nicht die wachsame Hand des Gärtners, als ein mißständiges Unkraut, ausjäten und es hinwerfen, daß es im Wege zertreten würde, oder von der Sonnenglut verschmachtete? Wenn ein wehendes Lüftlein den Staub erhebt, daß er dein königliches Diadem befleckt, sind nicht alsbald hundert Hände bereit, es davon zu säubern? Wie sollte ein Sklav auf die Bisangfrucht lüstern sein, die in den Gärten des Soldans für den Gaumen eines Fürsten reift? Auf dein Geheiß, sucht ich eine angenehme Blume für dich, und fand die Muschirumi, deren Name mir so unbekannt war, als es ihre geheimnisvolle Bedeutung noch ist. Wähne nicht, daß ich damit etwas anders beabsichtet habe, als dir zu gehorchen.«

Diese Querantwort verrückte den schönen Plan des Fräuleins merklich. Es war ihr unerwartet zu vernehmen, daß es einem Europäer möglich sei, mit der Muschirumi nicht gerade den Gedanken zu verbinden, insofern sie einem Frauenzimmer dargeboten wird, welchen die zwei übrigen Teile der alten Welt damit zu vereinbaren pflegen. Das Mißverständnis [712] lag klar am Tage; jedoch die Liebe, die einmal im Herzen Wurzel gefaßt hatte, wendete und drehete es so geschickt, wie eine Nähterin ein Stück Arbeit, wobei sie es im Zuschnitte versehen hat, daß endlich doch noch alles so ziemlich zusammentreffen muß. Die Prinzessin verbarg ihre Verlegenheit, durch das Spiel ihrer schönen Hände mit dem Saume des Schleiers, und nachdem sie einige Augenblicke geschwiegen hatte, sprach sie mit zärtlicher Anmut: »Deine Bescheidenheit gleichet der Nachtviole, die nicht nach dem Schimmer des Sonnenlichts geizet, um hohe Farben zu spiegeln, und dennoch ihres aromatischen Geruchs wegen geliebt wird. Ein günstiges Ungefähr ist also der Dolmetscher deines Herzens worden, und hat die Empfindungen des meinigen hervorgelockt: sie sind dir unverborgen. Folge der Lehre des Propheten, und du bist auf dem Wege deinen Wunsch zu erreichen.«

Der Graf fing an den Zusammenhang der Sache immer deutlicher einzusehen, die Dunkelheiten verschwanden allgemach aus seiner Seele, wie die nächtlichen Dämmerungen beim Anbruch der Morgenröte. Jetzt trat der Versucher, den er im Verlies des Gitterturms, unter der Maske eines gehörnten Satyrs, oder eines schwarzen Erdgnomens erwartet hatte, in der Gestalt des geflügelten Amors zu ihm, und brauchte alle verführerischen Künste ihn zu überreden, den Glauben zu verleugnen, seiner zarten Gemahlin treubrüchig zu werden, und die Pfänder keuscher Liebe zu vergessen. Es steht in deiner Gewalt, sprach er, die ehernen Sklavenfesseln mit den holden Banden der Liebe zu vertauschen. Die erste Schönheit eines Weltteils lächelt dir entgegen, und mit ihr der Genuß jedes Erdenglücks! Eine Flamme, rein wie das Feuer der Vesta, lodert für dich in ihrem Busen, das sie verzehren würde, wofern Torheit und Eigensinn deine Seele umnebelten, ihre Gunst zu verschmähen. Verbirg deinen Glauben eine kleine Zeit unter den Turban, Vater Gregor hat Wassers gnug in seiner Ablaßzisterne, dich von dieser Sünde rein zu waschen. Vielleicht erwirbst du das Verdienst, des Fräuleins reine Engelseele zu gewinnen, und sie dem Himmel zuzuführen, für den sie [713] bestimmt ist. Dieser trüglichen Oration hätte der Graf noch lange mit Wohlgefallen zugehöret, wenn ihn sein guter Engel nicht beim Ohr gezupft und gewarnet hätte, der Stimme der Verführung nicht weiter Gehör zu geben. Darum glaubte er, mit Fleisch und Blut nicht länger sich besprechen zu dürfen, sondern über sich rasch den Sieg gewinnen zu müssen. Das Wort erstarb ihm einigemal im Munde, doch faßte er endlich Mut und gegenredete also: »Der Wunsch des verirrten Wanderers in der lybischen Wüste, aus den Quellen des Nils seine trockne Zunge zu laben, mehrt nur die Qualen der durstigen Leber, wenn er dennoch verschmachten muß. Darum, o du Holdseligste deines Geschlechts, wähne nicht, daß ein solcher Wunsch in meiner Seele erwacht sei, der als ein nagender Wurm an meinem Herzen zehren würde, ohne daß ich ihn mit Hoffnung füttern kann. Vernimm, daß ich in meiner Heimat, durch das unauflösliche Band der Ehe, mit einem tugendsamen Weibe bereits verbunden bin, und drei zarte Kindlein den süßen Vaternamen lallen. Wie könnte ein Herz, von Kummer und Sehnsucht zerrissen, der Perl der Schönheit nachstreben, um ihr geteilte Liebe anzubieten?« Diese Erklärung war deutlich, der Grat vermeinte auch, recht rittermäßig und gleichsam mit einem Streiche, den Minnekampf entschieden zu haben. Er vermutete, die Prinzessin würde nun ihre Übereilung einsehen, und ihren Plan aufgeben; allein hierinne irrete er sich gar sehr. Das Fräulein konnte sich nicht bereden, daß der Graf, als ein junger blühender Mann, keine Augen für sie haben sollte, sie wußte, daß sie liebenswürdig war; und das freimütige Bekenntnis, von der Lage seines Herzens, machte gerade auf sie gar keinen Eindruck. Sie dachte, nach der Sitte ihres Vaterlandes, nicht daran, den alleinigen Besitz sich davon zuzueignen, und betrachtete die Zärtlichkeit der Männer, als ein teilbares Gut: denn in den sinnreichen Spielen des Serails, hatte sie oft gehört, daß die männliche Zärtlichkeit mit einem Faden Seide war verglichen worden, der sich trennen und teilen läßt, so daß jeder Teil dennoch, für sich, ein Ganzes bleibt. In der Tat, ein sinnreicher Vergleich, worauf der abendländische [714] Witz unsrer Damen noch nie verfallen ist! Der Harem ihres Vaters hatte ihr, von Jugend auf, auch zahlreiche Beispiele von der Geselligkeit der Liebe dargestellt: die Favoritinnen des Soldans lebten daselbst in traulicher Eintracht beisammen.

»Du nennst mich die Blume der Welt«, erwiderte das Fräulein; »aber siehe, in diesem Garten blühen neben mir noch viele Blumen, die Aug und Herz, durch Mannigfaltigkeit ihrer Schönheit und Anmut ergötzen, und ich wehre dir nicht diesen Blumengenuß mit mir zu teilen. Sollt ich von dir fordern, in deinen eignen Garten, nur eine einzige Blume zu pflanzen, an deren beständigem Anblick dein Auge ermüden würde? Dein Weib soll Teilhaberin sein des Glückes, das ich dir bereite, du sollst sie in deinem Harem einführen. Sie wird mir willkommen, sie wird mir die liebste Gespielin sein, um deinetwillen, und um deinetwillen wird sie mich wieder lieben. Auch ihre Kindlein sollen die meinigen sein, ich will ihnen Schatten geben, daß sie lustig blühen und in fremdem Erdreich wurzeln sollen.« Mit der Toleranz der Liebe ist es, in unserm aufgeklärten Jahrhundert, noch lange nicht so weit gediehen, als mit der Toleranz der Kirche, sonst könnte diese Erklärung der Prinzessin, unsern Leserinnen unmöglich so befremdend auffallen, als sie aller Wahrscheinlichkeit nach tun wird; allein Fräulein Melechsala war eine Morgenländerin, und unter diesem mildern Himmel, hat Megäre Eifersucht über die schöne Hälfte der Menschheit weit weniger Gewalt, als über die stärkere, welche sie dagegen auch mit eisernem Zepter regieret.

Graf Ernst war von der gutmütigen Denkungsart der Prinzessin gerührt, und wer weiß, wozu er sich möchte entschlossen haben, wenn er seiner trauten Ottilia daheim, gleiche Gesinnung hätte zutrauen können, und überdies der Stein des Anstoßes ihm nicht im Wege gelegen hätte, seines Glaubens sich abzutun. Er verschwieg der Huldgöttin, die so unbefangen um sein Herz warb, diesen Gewissensskrupel keinesweges, und so leicht es ihr gewesen war, alle übrigen Schwürigkeiten auf die Seite zu räumen, so wenig konnte sie dieser beikommen. Die trauliche Session wurde [715] aufgehoben, ohne daß in Ansehung dieses strittigen Punktes etwas entschieden wurde. Da die Parteien sich trennten, stunden die Traktaten so, wie bei einer Grenzkonferenz zweier benachbarten Staaten, wo kein Teil seinen Gerechtsamen etwas vergeben will, und der Austrag der Sache auf einen anderweiten Termin verschoben wird, wo die Kommissarien wieder miteinander in Freuden leben und sich's wohl sein lassen.

Im geheimen Konklave des Grafen, hatte der flinke Kurt bekanntlich Sitz und Stimme, sein Herr eröffnete ihm zur Abendzeit den ganzen Vorgang seiner Herzensangelegenheit, denn er war sehr beunruhiget, und es ist leicht möglich, daß ein Liebesfunke aus dem Herzen des Fräuleins in das seinige herübergesprühet war, der sich von der Asche seiner gesetzmäßigen Liebesglut nicht wollte ausdämpfen lassen. Eine siebenjährige Abwesenheit, die aufgegebene Hoffnung der Wiedervereinigung mit der Erstgeliebten, und die dargebotene Gelegenheit das Herz nach Wunsch zu beschäftigen, sind drei kritische Umstände, wodurch eine so geistige Masse, als die Liebe ist, leicht in eine Gärung kommt, die ihre Substanz verändert. Der weise Knappe spitzte das Ohr, bei Anhörung dieser interessanten Ereignis, und gleichsam als ob die enge Pforte des Gehörnervens, die [716] Erzählung des Grafen nicht rasch gnug in seine Hirnkammer einpassieren ließ, öffnete er zugleich die weite Torfahrt des Mundes, hörte und schmeckte zugleich die unerwartete Novelle mit großer Inbrunst. Nachdem er alles reiflich erwogen hatte, ging sein unvorgreifliches Gutachten dahin, die anscheinende Hoffnung der Erledigung in beide Hände zu fassen, und den Plan der Prinzessin zu realisieren, nichts dazu und nichts davon zu tun, und übrigens den Himmel walten zu lassen. »Ihr seid«, sprach er, »aus dem Buche der Lebendigen in Eurem Vaterlande ausgetan; aus dem Abgrunde der Sklaverei ist keine Erlösung, wofern Ihr Euch nicht an den Seilen der Liebe heraushaspelt. Eure Gemahlin, die holde Frau, kehret nie zu Euren Umarmungen zurück. Wenn sie in sieben Jahren der Gram, über Euren Verlust, nicht überwältiget und aufgerieben hat: so hat die Zeit ihren Gram überwältiget; sie hat Eurer vergessen, und erwarmet in dem Bette eines andern. Aber den Glauben zu verleugnen, das ist traun eine harte Nuß! die Ihr wohl nicht aufknacken möget. Doch auch dafür ist wohl Rat. Unter keinem Volk auf Erden ist's Brauch, daß das Weib den Mann belehre, welchen Weg zum Himmel er nehmen soll, sondern sie folgt seinem Gange, und läßt sich von ihm leiten und führen, wie die Wolke vom Winde, sieht weder zur Rechten noch zur Linken, auch nicht hinter sich, wie Lots Weib, die zur Salzsäule ward: denn wo der Mann hinkommt, da ist ihres Bleibens. Ich hab auch daheim ein Weib; aber wahrlich, Herr! läg ich in der Vorhölle, so würde sie sich nicht entbrechen mir nachzufahren, um mit ihrem Sonnenwedel meiner armen Seele frische Luft zuzufächeln. Darum beharret fest darauf, daß das Fräulein ihrem Lügenpropheten entsage. Wofern sie Euch mit reiner Liebe beigetan ist, wird sie sicherlich ihr Paradies gegen den Christenhimmel gern vertauschen.«

Der flinke Kurt perorierte noch lange, um seinen Herrn zu überreden, die königliche Liebschaft nicht auszuschlagen, und aller andern Verbindungen zu vergessen, um seine Fesseln zu zerbrechen. Aber er bedachte nicht, daß er durch das Zutrauen in die Treue seines eignen Weibes, den Grafen [717] an die Treue seiner liebevollen Gemahlin erinnert hatte, deren er sich gänzlich zu entschlagen versucht wurde. Sein Herz war eingepreßt, als in einer Kelter, er wälzte sich auf seinem Nachtlager rastlos hin und her, und seine Gedanken und Entschlüsse durchkreuzten sich gar sonderbar; dadurch wurde er so abgemattet, daß er gegen den Morgen in einen dumpfen Schlummer fiel. Da träumte ihn, der schönste Schneidzahn aus seinem elfenbeinern Gebiß sei ihm ausgefallen, worüber er groß Herzleid und schweren Kummer empfand; doch als er die Zahnlücke im Spiegel besahe, um zu urteilen, ob sie ihn auch sehr verstelle, war ein neuer Zahn hervorgewachsen, schön und blank wie die übrigen, so daß der Verlust nicht zu merken war. Sobald er erwachte, trug er Verlangen, die Deutung des Traumes zu erfahren. Der flinke Kurt ermangelte daher nicht, eine wahrsagende Zigeunerin aufzutreiben, die gegen die Gebühr gut Glück aus der Hand und Stirn prophezeite, auch die Gabe besaß Träume auszulegen. Der Graf referierte ihr den seinigen der Länge nach, und nachdem die gerunzelte, schwarzbraune Pythia lange darüber simuliert hatte, tat sie ihren wulstigen Mund auf und sprach: »Was dir das Liebste war, hat dir der Tod geraubt; doch den Verlust ersetzt bald das Geschick dir wieder.«

Nun lag's klar am Tage, daß die Vermutungen des weisen Knappen keine Hirngespinste waren, sondern daß die gute Gräfin Ottilia, vor Gram und Harm über den Verlust ihres geliebten Gemahls, zu Grabe gegangen sei. Der gebeugte Witwer, der so wenig an diesem Trauerfall zweifelte, als wenn er, durch eine schwarzgeränderte Notifikation, Brief und Siegel darüber empfangen hätte, fühlte alles, was ein Mann, der sein gesundes Gebiß zu schätzen weiß, empfindet, wenn er einen Zahn verliert, welchen die wohltätige Natur durch einen andern zu ersetzen in Begriff ist, und tröstete sich über den erlittenen Verlust mit dem bekannten trostreichen Witwerspruch: Es ist Gottes Schickung, ich muß mich drein ergeben. Da er sich nun für frei und ungebunden hielt, spannte er alle Segel auf, ließ Wimpel und Flagge lustig wehen, um auf den Hafen seines Minneglücks loszusteuern. [718] Bei der nächsten Entrevue fand er die Prinzessin reizender als jemals, seine Blicke schmachteten ihr entgegen; ihr schlanker Wuchs entzückte sein Auge, und ihr leichter sanfter Gang glich dem Gange einer Göttin, ob sie gleich nach menschlicher Weise einen Fuß vor den andern förder setzte, und nicht nach dem Kostüm der Göttinnen, mit unbewegten Schenkeln über den buntfarbigen Sandweg daherschwebte. »Bostangi«, sprach sie mit melodischer Stimme, »hast du den Iman gesprochen?« Der Graf schwieg einen Augenblick, schlug die lichtvollen Augen nieder, legte bescheiden die Hand auf die Brust und ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder. In dieser demutsvollen Stellung antwortete er entschlossen; »Erhabne Tochter des Soldans, mein Leben hängt an deinem Wink; aber nicht mein Glaube. Mit Freuden bin ich bereit, jenes für dich aufzuopfern, nur laß mir diesen, der mit meiner Seele so verwebt ist, daß sie sich leichter vom Leibe scheiden, als vom Glauben trennen läßt.« Hieraus merkte die Prinzessin, daß sie mit ihren schönen Entwürfen auf dem Wege war zu scheitern, um deswillen nahm sie zu einem heroischen Mittel ihre Zuflucht, das unstreitig von unfehlbarerer Wirkung ist, als der berufene tierische Magnetismus, und versuchte damit ihren Plan aufrecht zu erhalten: sie entschleierte ihr Angesicht. Im vollen Glanz der Schönheit stund sie da, wie die Sonne am Firmamente, als sie aus dem Chaos hervorging, die dunkle Erde zu bestrahlen. Sanfte Röte überzog ihre Wangen, und hoher Purpur glühete auf den Lippen ihres Mundes; zwei schön gewölbte Bogen, auf welchen Amor scherzte, wie die buntfarbige Iris auf dem Regenbogen, beschatteten die seelevollen Augen, und zwei goldne Locken küßten sich auf ihrer Liljenbrust. Der Graf staunte und schwieg; sie aber nahm das Wort und sprach: [719] »Siehe, Bostangi, ob diese Gestalt deinen Augen gefällt, und ob sie des Opfers wert sei, das ich von dir fordere.« »Sie ist die Gestalt eines Engels«, antwortete der Graf, mit dem Ausdruck des höchsten Entzückens, »wert, von einem Heilgenschein umflossen, in den Vorhöfen des Christenhimmels zu glänzen, gegen welchen die Annehmlichkeiten des Paradieses des Propheten nur leere Schatten sind.«

Diese Worte, mit Wärme und anschaulicher Überzeugung ausgesprochen, fanden in dem offenen Herzen des Fräuleins freien Eingang, besonders dünkte ihr der Heiligenschein ein Apparatus zu sein, der ihr nicht übel zu Gesichte stehen müßte. Ihre rege Phantasie blieb auf diese Idee geheftet, über welche sie Erläuterung begehrte, und der Graf ergriff die dargebotene Gelegenheit mit beiden Händen, ihr den [720] Christenhimmel so reizend zu schildern, als in seinem Vermögen war; er wählte die anmutigsten Bilder dazu, die ihm die Einbildungskraft darbot, und sprach mit solcher Zuversicht, als wenn er gerade aus dem Schoß der Seligkeit herabgekommen wäre, eine Mission an sie auszurichten. Weil es nun dem Propheten beliebt hat, das schöne Geschlecht, in jener Welt, mit überaus kärglicher Erwartung auszusteuern: so verfehlte der apostolische Redner seiner Absicht desto weniger, ob sich gleich nicht behaupten läßt, daß er zum Apostelamt eben vorzüglich qualifiziert gewesen wäre. Es sei nun, daß der Himmel selbst dieses Bekehrungsgeschäfte begünstigte; oder daß der exoterische Geschmack der Prinzessin sich bis auf die religiösen Begriffe der Ausländer ausdehnte; oder daß das Personale des Heidenbekehrers mit in Anschlag kam: gnug sie war ganz Ohr, und würde, wenn der herandämmernde Abend die Lektion nicht unterbrochen hätte, ihrem Dozenten noch stundenlang mit Vergnügen zugehöret haben. Vor diesmal ließ sie rasch den Schleier fallen und begab sich ins Serail.

Es ist ein bekannte Sache, daß Fürstenkinder überaus gelehrig sind, und in allen wissenswerten Dingen riesenmäßige Fortschritte machen, wie unsere Tagebücher das oft laut urkunden, wenn die übrige Weltbürgerschaft sich nur mit Zwergschritten begnügen muß. Es war daher kein Wunder, daß die Tochter des Soldans von Ägypten, nach kurzem Zeitverlauf, den damaligen Lehrbegriff der abendländischen Kirche so gut inne hatte, als der Lehrer ihr solchen mitteilen konnte, einige kleine Ketzereien auf und ab ungerechnet, die ohne Vorsatz seine Unkunde in Glaubenssachen mit einlaufen ließ. Diese Erkenntnis blieb nicht toter Buchstabe bei ihr, sondern erweckte das eifrige Verlangen zu proselytieren. Also wurde der Plan der Prinzessin nun insoweit abgeändert, daß sie nicht mehr darauf bestund den Grafen zu bekehren, sondern sich von ihm bekehren zu lassen; doch alles das nicht sowohl in Hinsicht einer Glaubenseinigung, als in Beziehung des beabsichteten Liebesvereins. Es kam jetzt alles auf die Frage an, wie dieses Vorhaben ins Werk zu richten sei. Sie zog den Grafen, und [721] dieser den flinken Kurt, in den nächtlichen Konsultationen, über diese wichtige Angelegenheit zu Rate, und der letztere votierte dahin, das Eisen zu schmieden dieweil es heiß sei; der schönen Proselytin des Grafen Stand und Herkunft zu eröffnen, ihr den Vorschlag zu tun, mit ihm zu entfliehen; behend über Meer ans europäische Gestade zu schwimmen, und im Thüringerland miteinander als christliche Eheleute zu leben.

Der Graf klopfte diesem wohlausgedachten Plane seines weisen Knappen lauten Beifall zu, es war als hätt er ihn seinem Herrn aus den Augen gelesen. Ob die Ausführung mit Schwürigkeiten würde verknüpft sein oder nicht, das wurde beim ersten Feuer des romantischen Entwurfs nicht in Erwägung gezogen: die Liebe trägt alle Berge eben, springt über Mauern und Graben, hüpft über Abgrund und Schlüfter, und setzt über einen Schlagbaum mit eben der Leichtigkeit, als über einen Strohhalm. In der nächsten Lehrstunde, eröffnete der Graf der geliebten Katechumena den gefaßten Anschlag: »Du Abglanz der Heiligen Jungfrau«, redete er sie an, »vom Himmel erkoren aus einem verworfenen Volk, über Irrwahn und Vorurteil zu siegen, und Teil und Erbe zu empfahen im Wohnplatz der Wonne, hast du den Mut deinem Vaterlande zu entsagen: so bereite dich zur schnellen Flucht. Ich will dich gen Rom geleiten, wo der Himmelspförtner, Sankt Peters Statthalter hauset, dem die Schlüssel zur Himmelstür anvertrauet sind, daß er dich aufnehme in den Schoß der Kirche, und das Bündnis unsrer Liebe segne. Fürchte nicht, daß deines Vaters mächtiger Arm uns erreichen werde: jede Wolke über unserm Haupte wird ein Schiff sein, mit einer Besatzung von Engelheerscharen, mit diamantnen Schildern und feurigen Schwertern bewaffnet, die, sterblichen Augen zwar unsichtbar, aber mit Kraft und Stärke gerüstet, zu deiner Hut und Wacht verordnet sind. Auch will ich dir nicht verhalten, daß ich durch Glück und Geburt das bin, wozu mich die höchste Gunst des Soldans erheben könnte: ich bin ein Graf, das ist ein geborner Bey, der über Land und Leute regieret. Die Grenzen meiner Herrschaft umschließen Städte und Flecken, auch Paläste [722] und feste Bergschlösser. Mir gehorchen Ritter und Knappen, auch Roß und Wagen sind zu meinem Dienst bereit. Du sollst in meinem Vaterlande von keinen Mauern eines Serails umschlossen, frei herrschen und regieren als eine Königin.«

Diese Rede des Grafen dünkte der Prinzessin eine Botschaft vom Himmel zu sein, sie setzte kein Mißtrauen in die Zuverlässigkeit seiner Worte, und es schien ihr zu schmeicheln, daß die schöne Ringeltaube, nicht in einem Hänflingsnest, sondern bei einem Gefieder von der Sippschaft der Adler nisten würde. Ihre warme Phantasie war mit so süßen Erwartungen angefüllt, daß sie sich mit der Bereitwilligkeit der Kinder Israel zum Ausgang aus Ägypten bequemte, gleichsam als ob ein neues Kanaan, in einem andern Weltteile, jenseits des Meeres ihrer wartete. Sie würde, im Vertrauen auf den Schutz der ihr verheißenen unsichtbaren Leibwache, alsbald ihrem Geleitsmanne außerhalb den Ringmauern des Palastes gefolget sein, wenn dieser sie nicht belehret hätte, daß noch mancherlei Zubereitungen erforderlich wären, ehe das große Vorhaben, mit Hoffnung eines glücklichen Erfolgs könnte ausgeführet werden.

Unter allen Kapereien zu Wasser und zu Lande, ist keine mißlicher und mit mehreren Schwürigkeiten verbunden, als dem Großherrn seine Favoritin aus den Armen wegzustehlen; einen solchen Meisterstreich kann nur die wildjährende Einbildungskraft eines W-z-ls träumen, und er kann auch nur einem Kakerlak gelingen. Das Beginnen des Graf Ernsts von Gleichen, des Soldans von Ägypten Tochter zu entführen, hatte indessen nicht weniger Schwürigkeiten, und weil doch beide Helden gewissermaßen in Konkurrenz kommen: so scheint das Wagestück des letztern ungleich dreuster, weil alles dabei einen natürlichen Gang nahm, und sich keine dienstfertige Fei ins Spiel mischte; gleichwohl lief der Erfolg des ähnlichen Unterfangens, bei dem einen so wie bei dem andern, nach Wunsch ab. Die Prinzessin füllte ihr Schmuckkästlein reichlich mit Juwelen an, vertauschte ihr königliches Gewand mit einem Kaftan, und schlüpfte eines Abends unter der Geleitschaft ihres Geliebten, seines getreuen Knappen und des dämischen Wasserträgers, [723] unbemerkt aus dem Palaste zum Garten hinaus, um die weite Reise ins ferne Abendland anzutreten. Des Fräuleins Abwesenheit konnte nicht lange verborgen bleiben, ihr Frauenzimmer suchte sie, nach dem Sprüchwort, wie eine Stecknadel, und da man sie nicht fand, war die Bestürzung im Serail allgemein. Es war schon dies und das über die geheimen Audienzen des Bostangi gemunkelt worden, man reihete Vermutung und Tatsache aneinander, und daraus entstund freilich keine Perlenschnur, sondern die schauderhafte Entdeckung des eigentlichen Vorganges der Sache. Der Diwan der Damen konnte nicht umhin, höhern Orts davon Bericht zu erstatten. Der Vater Soldan, dem die tugendsame Melechsala, alles wohl erwogen, das Herzleid hätte ersparen können, landflüchtig zu werden, um die Emplette eines Heilgenscheins zu machen, gebärdete sich bei diesem Präadvis wie ein ergrimmter Löwe, der fürchterlich die braune Mähne schüttelt, wenn er durch das Getöse der Jagd und das Gebell der Hunde aus seinem Lager aufgeschreckt wird. Er schwur beim Barte des Propheten dem ganzen Serail den Untergang, wenn bei Sonnenaufgang die Prinzessin nicht wieder in der väterlichen Gewalt wäre. Die mameluckische Leibwache mußte aufsitzen, um auf den Landstraßen von Kairo, nach allen vier Himmelsgegenden, der Fliehenden nachzueilen, und tausend Ruder peitschten den breiten Rücken des Nils, um sie einzuholen, im Fall sie den Weg zu Wasser genommen hätte.

Bei solchen Anstalten war's unmöglich, dem weitreichenden Arm des Soldans zu entrinnen, wenn der Graf nicht das Geheimnis besaß, sich nebst seiner Reisegesellschaft zu verunsichtbaren; oder die Wundergabe, ganz Ägypten mit Blindheit zu schlagen. Allein von diesen Talenten war ihm keines verliehen. Nur der flinke Kurt hatte einige Maßregeln genommen, die in Ansehung des Effekts die Stelle der Wunder allenfalls vertreten konnten. Er verunsichtbarte die flüchtige Karawane, durch die Finsternis eines dunkeln Kellers, in dem Hause des großen Schweißtreibers Adullam. Dieser jüdische Hermes begnügte sich nicht daran, die Heilkunde mit gutem Fortgange zu treiben, sondern wucherte [724] auch mit der Gabe, die er aus der Erbschaft seiner Väter empfangen hatte, und ehrte den Merkur in der Qualität eines Schutzpatrons der Ärzte, der Kaufleute und Diebe. Er trieb einen großen Spezerei- und Kräuterhandel mit den Venedigern, der ihm vielen Reichtum erworben hatte, und verschmähete kein Negoz, wobei etwas zu gewinnen war. Der treue Knappe hatte diesen ehrlichen Israeliten, der sich für Geld und Geldeswert zu jeder Tat bereit finden ließ, ohne ihre Moralität zu untersuchen, durch ein Kleinod aus dem Schmuckkästlein der Prinzessin gewonnen, die Spedition des Grafen, dessen Stand und Vorhaben ihm unverhohlen blieb, nebst dreien von seinen Dienern auf ein venedisches Schiff, das zu Alexandrien in Ladung gelegt hatte, zu übernehmen; doch blieb es ihm weislich verborgen, daß [725] er die Tochter seines Herrn konterband machen, und heimlich aus dem Lande praktizieren sollte. Da er den zu versendenden Warentransport in Augenschein nahm, fiel ihm zwar die Gestalt des schönen Jünglings auf; doch dacht er nichts Arges dabei, und hielt ihn für den Pagen des Ritters. Bald darauf verbreitete sich das Gerücht über die Stadt, die Prinzessin Melechsala sei verschwunden: da gingen ihm die Augen auf, tödliches Schrecken bemächtigte sich seiner Sinnen, also daß ihm der graue Bart anfing zu beben und er hätte wohl gewünscht, mit diesem gefährlichen Handel unbeworren zu sein. Jetzt war's zu spät, seine eigene Sicherheit erforderte nun alle Schlauheit aufzubieten, das halsbrechende Geschäfte glücklich zu beendigen. Zuvörderst legte er seiner unterirdischen Hausgenossenschaft eine strenge Quarantäne auf, und nachdem die erste Nachforschung vorüber, die Hoffnung, die Prinzessin wieder ausfündig zu machen, ziemlich verschwunden, und der Eifer sie aufzusuchen erkaltet war, packte er die ganze Karawane säuberlich in vier Kräuterballen, lud sie auf ein Nilschiff, und schickte sie, nebst einem Frachtbrief unter Gottes Geleite, sicher und wohlbehalten nach Alexandrien, wo sie, sobald der Venediger die hohe See gewonnen hatte, des engen Gewahrsams in den Kräutersäcken 14 samt und sonders entlediget wurden.

Ob in einem prächtigen Wolkenzuge, die himmlische Trabantengarde mit feurigem Schwert und Schild gerüstet, dem wogenden Schiffe folgte, das läßt sich, wegen ihrer Unsichtbarkeit, zwar nicht augenscheinlich dokumentieren: gleichwohl sind gewisse Anzeichen vorhanden, welche die Sache glaubhaft machen. Alle vier Winde des Himmels, schienen sich zu einer glücklichen Seereise vereiniget zu haben; die widrigen hielten den Atem zurück, und die günstigen bliesen so lustig in die Segel, daß das Schiff pfeilgeschwinde die sanftspielenden Wellen furchte. Als der freundliche [726] Mond die wachsenden Silberhörner zum zweiten Male aus den Wolken hervorstreckte, lief der Venediger wohlgemut in dem Hafen seiner Vaterstadt ein.

Der wachsame Lauerer der Gräfin Ottilia befand sich noch immer daselbst, und ließ die fruchtlose Mühe vergebener Nachfrage sich nicht abschrecken, seine Diäten zu mehren und alle Passanten aus der Levante fleißig zu examinieren. Er befand sich gerade auf seinem Posten, da der Graf nebst der schönen Melechsala ans Land stieg. Er hatte die Physiognomie seines Herrn in so gutem Andenken, daß er sich vermaß, ihn unter tausend unbekannten Gesichtern herauszufinden. Indes machte ihn die fremde Tracht, und der Finger der Zeit, der in sieben Jahren an der Gestalt manches ändert, einige Augenblicke zweifelhaft. Um seiner Sache [727] gewiß zu werden, nahete er sich zu dem Gefolge des fremden Ankömmlings, trat den getreuen Knappen an und frug:

»Kamerad, woher des Landes?«

Der flinke Kurt freuete sich, einen Landsmann anzutreffen, der ihn in seiner Muttersprache anredete, fand aber nicht für gut, einem Unbekannten Rede zu stehen, und antwortete kurzab: »Aus der See.«

»Wer ist der stattliche Junker, dem du folgst?«

»Mein Herr.«

»Aus welcher Gegend kommt ihr?«

»Von Sonnenaufgang.«

»Wo gedenket ihr hin?«

»Nach Sonnenniedergang.«

»In welche Provinz?«

»In unsre Heimat.«

»Wo ist die?«

»Hundert Meilwegs ins Land hinein.«

»Wie heißest du?«

»Spring ins Feld, grüßt mich die Welt. Ehrenwert heißt mein Schwert. Zeitvertreib namt sich mein Weib. Spät es tagt, ruft sie die Magd. Schlecht und recht, nennt sich der Knecht. Sausewind, tauft ich mein Kind. Knochenfaul, schelt ich den Gaul. Sporenklang, heißt sein Gang. Höllenschlund, lock ich den Hund. Wettermann, kräht mein Hahn. Hüpf im Stroh, heißt mein Floh. Nun kennst du mich mit Weib und Kind und all meinem Hausgesind.«

»Du scheinst mir ein loser Gesell zu sein.«

»Ich bin kein Gesell, denn ich treibe kein Handwerk.«

»Gib Bescheid auf eine Frage.«

»Laß sie hören.«

»Hast du neue Mär von Graf Ernsten von Gleichen, aus dem Orient?«

»Warum fragst du?« – »Darum.«

»Lirum, Larum! warum: darum?«

»Dieweil ich ausgesandt bin in alle Welt, von der Gräfin Ottilia seiner Gemahlin, ihr zu verkundschaften, ob ihr Herr noch am Leben und in welchem Winkel der Erde er zu finden sei.«

[728] Diese Antwort setzte den flinken Kurt in einige Verwirrung, und stimmte ihn auf einen ganz andern Ton. »Harre, Landsmann«, sprach er, »vielleicht weiß der Junker Bescheid von der Sache.« Alsbald ging er zum Grafen, und raunte ihm die neue Zeitung ins Ohr, bei dem sich eine sehr komplizierte Empfindung darüber regte, woran Freude und Bestürzung gleichen Anteil hatte. Er merkte, daß ihn sein Traum, oder die Deutung desselben betrogen hatte, und daß ihm das Konzept, sich mit der schönen Reisegefährtin zu vermählen, leicht dürfte verrückt werden. Aus dem Stegreif wußte er nicht gleich, wie er sich bei diesem verwirrten Handel nehmen sollte, doch überwog das Verlangen, zu erfahren, wie es daheim in seinem Hause stünde, alle Bedenklichkeiten. Er winkte dem Emissarius, und erkannte in ihm seinen alten Hofdiener, der mit Freudentränen die Hand seines wiedergefundenen Herrn benetzte, und viel Worte machte, was die Gräfin für Jubel anheben würde, wenn sie die frohe Botschaft von der Rückkehr ihres geliebten Gemahls aus dem Heiligen Lande vernähm. Der Graf ließ sich von ihm in die Herberge geleiten, wo er die sonderbare Lage seines Herzens in Erwägung zog, und ernsthafte Betrachtungen darüber anstellte, welche Wendung der angesponnene Liebeshandel mit der schönen Sarazenin nehmen werde. Darauf wurde unverzüglich der lauersame Kundschafter an die Gräfin, mit einer Depesche, abgefertiget, welche einen getreuen Bericht von den Schicksalen des Grafen in der Sklaverei, und seiner Erledigung durch die Unterstützung der Tochter des Soldans von Ägypten abstattete; wie sie dem Grafen zuliebe Thron und Vaterland verlassen, unter der Bedingung, daß er sie heuraten sollte, welches er ihr auch, durch einen Traum irre geführt, [729] verheißen habe. Dadurch suchte er seine Gemahlin nicht nur auf eine zweite Teilhaberin am gräflichen Ehebett vorzubereiten, sondern suchte auch unter Anführung vieler triftigen Gründe um ihre Einwilligung hierzu nach.

Frau Ottilia stand eben am Fenster, mit ihrem Witwenschleier angetan, als der Botschafter zum letzten Male den atemlosen Gaul anspornte, den steilen Burgweg heranzutraben. Ihr scharfes Auge erkannte ihn schon in der Ferne, und weil er auch kein Dreischrittseher war, deren es zu Zeiten der Kreuzzüge überhaupt nur wenige gab, so erkannte er die Gräfin gleichfalls, hob die Brieftasche hoch über sein Haupt, schwenkte sie wie eine Standarte zum Zeichen guter Botschaft, und sie verstund dieses Signal so gut, als wenn der Synthematograph von Hanau dabei im Spiel gewesen wär. »Hast du ihn funden, den Mann meines Herzens?« rief sie dem Kommenden entgegen. »Wo weilt er, daß ich mich aufmache, ihm den Schweiß von der Stirn zu trocknen, und ihn rasten zu lassen in meinen treuen Armen, von der mühseligen Reise?« »Glück zu, gestrenge Frau«, antwortete der Briefträger, »Euer Gemahl ist wohlauf. Ich hab ihn funden in der Wasserstadt der Venediger, von wannen er mich mit diesem Brief unter seiner Hand und Siegel hat hergesandt, Euch seine Ankunft daselbst zu vermelden.« Die Gräfin konnte nicht eilig gnug den Brief des Siegels entledigen, und wie sie ihres Herrn Schriftzüge erblickte, war ihr das Odem des Lebens zum Leben. Dreimal drückte sie ihn an die klopfende Brust, und dreimal berührte sie ihn mit schmachtenden Lippen. Drauf strömte ein Platzregen von Freudentränen auf das entfaltete Pergament, wie sie zu lesen anhob; allein je weiter sie las, je sparsamer rannen ihre Zähren, und ehe die Lektüre noch beendiget war, versiegte die Tränenquelle ganz und gar.

Die Kontenta des Briefs konnten die gute Dame freilich nicht alle auf gleiche Weise interessieren; der von ihrem Eheherrn in Vorschlag gebrachte Partagetraktat seines Herzens, hatte nicht das Glück ihren Beifall zu erhalten. So sehr bei der heutigen Welt die Teilungssucht überhand genommen hat, daß geteilte Liebe und geteilte Provinzen das [730] Abzeichen unsers Zeitalters worden sind: so wenig war jene im Geschmack der Vorwelt, wo jedes Herz seinen eignen Schlüssel hatte, und wo ein Kapital, der mehrere schloß, für einen schändlichen Diebsdietrich gehalten wurde. Die Intoleranz der Gräfin in Ansehung dieses Punktes, war wenigstens ein redender Beweis ihrer ungefärbten Liebe. »Ach, der verderbliche Kreuzzug!« rief sie aus, »ist die einzige Ursach all dieses Unheils! Ich habe der heilgen Kirche ein Brot geliehen, von welchem die Heiden gezehret haben, und empfange nun ein Bröcklein davon wieder.« Eine nächtliche Vision im Traum besänftigte indessen ihr Gemüt, und ihre ganze Denkungsart erhielt dadurch eine andere Richtung. Die Phantasie bildete ihr im Schlafe vor, es zögen zwei Pilger vom Heilgen Grabe den gekrümmten Burgweg herauf, und begehrten eine Nachtherberge, welche sie ihnen gutmütig verwilligte. Der eine schlug seine Nebelkappe auf, und sieh da, es war der Graf ihr Herr, den sie freundlich umhalsete und große Freude ob seiner Wiederkehr empfand. Die Kindlein traten herein, welche er in die väterlichen Arme schloß, sie herzte, und sich ihres Wachstums und Gedeihens freuete. Indes tat sein Gefährte die Reisetasche auf, zog daraus hervor goldne Ketten und herrliches Geschmeide von Edelsteinen, und hing sie den Kleinen um den Hals, die an diesen glänzenden Geschenken großen Gefallen trugen. Die Gräfin bewunderte selbst diese Freigebigkeit, und frug den verkappten Fremdling, wer er sei. Er antwortete: »Ich bin der Engel Raphael, der Geleitsmann der Liebenden, und habe deinen Gemahl aus fernen Landen wieder zu dir bracht.« Das Pilgerkleid verschwand, und es [731] stund vor ihr eine glänzende Engelgestalt, mit einem himmelblauen Leibrock bekleidet, und zwei goldnen Flügeln an den Schultern. Sie erwachte darüber, und in Ermangelung einer ägyptischen Sibylle erklärte sie sich selbst den Traum so gut sie konnte, fand so viel Ähnlichkeit zwischen dem Engel Raphael und der Prinzessin Melechsala, daß sie nicht zweifelte, die letztere sei unter der Gestalt des erstern ihr im Traum vorgebildet worden; zugleich zog sie in Erwägung, daß ohne den Beistand derselben, ihr Gemahl schwerlich jemals der Sklaverei würde entronnen sein. Weil nun dem Eigentümer eines verlornen Gutes ziemet, mit dem ehrlichen Wiederbringer sich abzufinden, der es ganz für sich hätte behalten können: so fand sie keinen Anstand, zu williger Abtretung der Halbscheid ihrer ehelichen Gerechtsame sich zu entschließen. Unverzüglich wurde der, wegen seiner Wachsamkeit reichlich belohnte Hafenkapitän nach Welschland zurückbeordert, mit dem förmlichen Konsens der Gräfin für ihren Gemahl, das Kleeblatt seiner Ehe vollständig zu machen.

Es beruhete nur darauf, ob Vater Gregorius in Rom seine Benediktion zu dieser Matrimonialanomalie zu erteilen, und zugunsten des Grafen, durch einen Machtspruch, Form, Wesen und Gestalt des Ehesakraments umzuschmelzen geneigt sei. Die Wallfahrt ging deshalb von Venedig nach Rom, woselbst Fräulein Melechsala dem Koran feierlich entsagte und sich in den Schoß der Kirche begab. Der Heilige Vater bezeigte über diese geistliche Akquisition so viel Freude, als wenn das gesamte Reich des Antichrists zerstöret, oder dem römischen Stuhl unterwürfig gemacht worden wär, und ließ, nach der Taufhandlung, bei welcher Gelegenheit sie ihren sarazenischen Namen mit dem orthodoxern Namen Angelika verwechselte, ein pompöses Tedeum in der St. Peterskirche anstimmen. Diesen günstigen Adspekt vermeinte Graf Ernst zu seiner Absicht benutzen zu müssen, ehe die gute Laune des Papstes verdünstete. Er brachte sein Matrimonialpetitum unverzüglich bei der Behörde an: allein wie gebeten, abgeschlagen. Die Gewissenhaftigkeit des Inhabers von St. Peters Stuhl war so groß, [732] daß er es für eine gröbere Ketzerei hielt, ein eheliches Kleeblatt, als den Tritheismus zu proponieren. Soviel scheinbare Gründe der Graf für sich anzuführen hatte, um eine Ausnahme von der gewöhnlichen Eheregel dadurch zu bewirken: so wenig vermochten sie den exemplarischen Papst zu bewegen, ein Auge seiner Gewissenhaftigkeit diesmal zuzudrücken, und die begehrte Dispensation zu erteilen, welches dem Grafen großen Kummer und Herzeleid machte. Sein schlauer Anwald, der flinke Kurt hatte indessen ein herrliches Expediens ausgedacht, wie sich sein Herr die schöne Neubekehrte könnte ehelich beilegen lassen, ohne daß der Papst oder die ganze werte Christenheit ein Wort dagegen einwenden dürften, nur wagte er nicht damit laut zu werden, aus Sorge, die Ungnade des Grafen damit zu verwirken. Endlich ersah er doch seine Gelegenheit und rückte mit der Sprache heraus. »Lieber Herr«, sprach er, »kümmert Euch nicht so sehr über des Papstes harten Sinn. Wenn ihm auf der einen Seite nichts abzugewinnen ist, so müßt Ihr ihm auf der andern beizukommen suchen: es geht ja mehr als ein Weg ins Holz. Wenn der Heilige Vater ein zu zartes Gewissen hat, Euch zu gestatten zwei Weiber zu nehmen, so ist's Euch auch vergönnet, ein zartes Gewissen zu haben, ob Ihr schon nur ein Laie seid. Das Gewissen ist ein Mantel, der jede Blöße deckt, und dabei noch die Bequemlichkeit hat, daß er sich leicht nach dem Winde drehen läßt; jetzt, da dieser Euch konträr ist, müßt Ihr den Mantel auf die andere Seite nehmen. Sehet zu, ob Ihr nicht mit der Gräfin Ottilia in einem verbotenen Grad verwandt seid, ist dem also, wie das leicht zu berechnen ist, wenn Ihr ein zartes Gewissen habt, so geb ich Euch gewonnen Spiel. Löset einen Scheidebrief, wer kann Euch dann wehren, das Fräulein zu heuraten?« Der Graf hatte den weisen Knappen so lange angehört, bis er den Sinn seiner Rede wohl begriffen hatte, drauf antwortete er mit zwei Worten kurz und deutlich: »Schurke, schweig!« In dem nämlichen Augenblick befand sich der flinke Kurt streckelang außerhalb der Tür, und suchte nach ein paar Zähnen umher, die ihm bei dieser schnellen Expedition abgegangen waren. »Ach der [733] herrliche Zahn!« rief er von außen, »ist das Opfer worden meiner treuen Dienstbeflissenheit!« Dieser Zahnmonolog führte den Grafen natürlich auf die Zurückerinnerung an seinen Traum. »Ach der verwünschte Zahn!« rief er von innen voll Unmut aus, »den ich im Traum verlor, ist Stifter all meines Ungemachs!« Sein Herz schwankte zwischen Vorwürfen einer begangenen Untreue an seiner liebevollen Gemahlin, und einer verpönten Leidenschaft gegen die reizende Angelika, wie eine Glocke, die von beiden Seiten einen Laut gibt, wenn sie einmal in Bewegung gesetzt ist. Mehr als die auflodernde Liebesflamme, brannte und nagte ihn noch die Beule des Verdrusses, daß er die Unmöglichkeit vor Augen sahe, der Prinzessin Wort zu halten, und mit ihr das Ehebett zu beschreiten. Alle diese Unannehmlichkeiten führten ihn inzwischen auf den richtigen Erfahrungssatz, daß ein geteiltes Herz nicht eben die wünschenswerteste Sache sei, und daß es unter diesen Umständen einem Liebenden beinahe ebenso zu Mute sei, wie dem Esel Baldewein zwischen den beiden Heubündeln.

In dieser schwermütigen Lage, verlor er sein jovialisches Ansehen gänzlich, er glich einem Lebenssatten, den an einem trüben Tage die Atmosphäre drückt, daß ihm der Spleen die Seele aus dem Leibe preßt. Fräulein Angelika vermerkte, daß das Antlitz ihres Geliebten nicht mehr war wie gestern und ehegestern, das betrübte sie innigst und bewegte [734] sie zu dem Entschluß, einen Versuch zu wagen, ob es ihr besser gelingen würde, wenn sie das Dispensationsnegoz in eigner Person betrieb. Sie verlangte bei dem gewissenhaften Gregor Gehör, und hatte nach vaterländischer Sitte ihr Gesicht dicht verschleiert. Kein römisches Auge hatte noch ihre Gestalt erblickt, ausgenommen der Priester, Johannes der Täufer, währender Amtsverrichtung. Der Papst empfing die neugeborne Tochter der Kirche mit aller gebührenden Achtung, bot ihr die Palme seiner rechten Hand, und nicht den parfümierten Pantoffel zu küssen dar. Die schöne Ausländerin hob den Schleier ein wenig, die segnende Hand mit den Lippen zu berühren, dann öffnete sie den Mund, und kleidete ihre Bitte in eine rührende Anrede. Doch diese Insinuation, durchs päpstliche Ohr, schien in der innern Organisation des Oberhauptes der Kirche keinen rechten Bescheid zu wissen, denn anstatt den Weg nach dem Herzen zu nehmen, ging sie zum andern Ohr wieder heraus. Vater Gregor expostulierte lange mit der reizenden Supplikantin, und vermeinte einen Ausweg zu finden, wie auf gewisse Art ihrem Verlangen, nach der Vereinigung mit einem Geliebten, Gnüge geschehen könnte, ohne daß die Kirchenordnung dabei ins Gedränge käm: er proponierte ihr einen Seelenbräutigam, wenn sie zu der kleinen Abänderung des Schleiers sich entschließen wollte, den sarazenischen mit dem klösterlichen zu verwechseln. Dieser Vorschlag erweckte bei der Prinzessin plötzlich einen solchen Schleierscheu, daß sie den ihrigen alsbald abriß, voller Verzweiflung vor den päpstlichen Fußschemel hinstürzte, und mit aufgehabnen Händen und tränenvollen Augen, den ehrwürdigen Vater beim heilgen Pantoffel beschwor, ihrem Herzen keine Gewalt anzutun, und sie zu nötigen es anderweit zu vergeben.

Der Anblick ihrer Schönheit war beredter als der Mund, setzte alle Anwesenden in Entzücken, und die Träne, die in dem himmlischen Auge perlte, fiel wie ein brennender Naphthatropfen dem Heiligen Vater aufs Herz, entzündete den kleinen Überrest von irdischem Zunder, der darinnen verborgen lag, und erwärmte es zum Wohlwollen gegen die [735] Bittende. »Stehe auf, geliebte Tochter«, sprach er, »und weine nicht! Was im Himmel beschlossen ist, soll auf Erden an dir in Erfüllung gehen. In drei Tagen sollst du erfahren, ob deine erste Bitte an die heilige Kirche, von der huldreichen Mutter zu gewähren stehet oder nicht.« Drauf berief er eine Kongregation von allen Kasuisten in Rom zusammen, ließ jedem ein Laiblein Brot und eine Flasche Wein reichen, und sie in die Rotunda einsperren, mit der Verwarnung, daß keiner daraus sollte entlassen werden, bis die Quästion an einmütig von ihnen entschieden sei. Solange der Wein und die Semmeln vorhielten, gab's heftige Debatten, daß alle Heiligen, wenn sie wären beisammen in der Kirche gewesen, schwerlich so laut disputiert hätten. Das pro und contra wogete hin und her, wie das adriatische Meer, wenn der stürmische Südwind darüber wehet. Sobald aber der Magen anfing Worthalter in der Versammlung zu werden, war alles Ohr für ihn, und glücklicherweise schlug er sich auf die Partei des Grafen, der ein großes Gastmahl hatte zurichten lassen, die ganze kasuistische Klerisei damit zu bewirten, wenn das päpstliche Siegel von der Kirchtür würde abgelöset sein. Die Dispensationsbulle wurde in bester Form Rechtens, gegen die Gebühr, ausgefertiget, wobei die schöne Angelika einen tiefen Griff, wiewohl mit Freuden, in die Schätze Ägypti tät. Vater Gregor gab dem edlen Paar seinen Segen, und verabschiedete die Liebenden ehesam. Sie zögerten nicht, das Patrimonium Petri zu verlassen, um die Domäne des Grafen zu erreichen, um daselbst ihre Vermählung zu vollziehen.

Als diesseit der Alpen Graf Ernst wieder vaterländische Luft atmete, tat das ihm sanft und wohl ums Herz, er schwang sich auf seinen Neapolitaner, trabte, allein von dem dämischen Reisigen begleitet frisch voran, und ließ das Fräulein, unter der Bedeckung des flinken Kurts, in kleinen Tagereisen gemachsam nach ziehen.

Hoch klopfte ihm das Herz im Busen, da er in blauer Ferne die drei Gleichischen Schlösser erblickte, er gedachte die gutmütige Gräfin Ottilia unvermutet zu überraschen; aber das Gerücht von seiner Ankunft, war auf Adlersfittichen [736] vor ihm hergeflogen; sie zog ihm mit Junker und Fräuleins entgegen und begegnete, einen Feldwegs von der Burg, ihrem Herrn in einer lustigen Aue, welche von dieser fröhlichen Zusammenkunft das Freudental heißt, bis auf diesen Tag. Der Empfang war auf beiden Seiten so traulich und zärtlich, als wenn an keinen Partagetraktat jemals wäre gedacht worden, denn Frau Ottilia war ein rechtes Muster einer frommen Gattin, die dem Ehegebot, daß ihr Wille des Mannes Willen sollte unterworfen sein, ohne Auslegung gehorchte. Wenn's ja in ihrem Herzen zuweilen einen kleinen Aufruhr gab, zog sie nicht flugs die Sturmglocke, sondern tat Tür und Fenster zu, daß kein sterblich Auge hineinschauen und sehen konnte, was drinnen vorging, dann lud sie die empörte Leidenschaft vor den Richterstuhl der Vernunft, nahm sie unter den Gehorsam der Klugheit gefangen, und legte sich eine freiwillige Buße auf.

Sie konnte es ihrem Herzen nicht vergeben, daß es über die Nebensonne, die an ihrem Ehehorizont glänzen sollte, gemurret hatte; um dafür zu büßen, ließ sie im Geheim eine dreischläfrige Bettsponde zurichten von starken föhrnen Stollen, mit der Farbe der Hoffnung überzogen, und einer [737] rundgewölbten Decke, in Form eines Kirchhimmels, mit geflügelten bausbäckigen Engelsköpfen gezieret. Auf der seidnen Matratze, die zum Prunk über die Flaumenpolster ausgebreitet war, präsentierte sich in künstlicher Stickerei der Engel Raphael, wie er ihr im Traum erschienen war, nebst dem Grafen im Pilgerkleide. Dieser redende Beweis von der zuvorkommenden ehelichen Gefälligkeit seiner Gemahlin, rührte ihn in der Seele. Er hing an ihrem Halse und küßte sie außer Atem, beim Anblick dieser Anstalten, zur Vervollkommung seiner Ehefreuden. »Herrliches Weib!« rief er mit Entzücken aus, »dieser Liebestempel erhebt dich über Tausende deines Geschlechts, verkündet, als ein Ehrendenkmal, deinen Namen der Nachwelt, und solange noch ein Span von dieser Sponde übrig ist, werden die Männer ihren Gattinnen deine exemplarische Gefälligkeit anpreisen.« Nach wenig Tagen langte auch Fräulein Angelika glücklich an, und wurde wie eine Königsbraut, vom Grafen, in reicher Hofgala empfangen. Frau Ottilia kam ihr mit offenem Herzen und Armen entgegen, und führte sie, als die Mitgenossin aller ihrer Rechte, in das Residenzschloß ein. Der Zwitterbräutigam war unterdessen nach Erfurt zum Weihbischof gezogen, um die Trauung zu bestellen. Dieser fromme Prälat entsetzte sich ob diesem heterodoxen Anmuten nicht wenig, und ließ sich vermerken, daß er solch [738] Ärgernis in seinem Kirchsprengel nicht gestatten werde. Allein da Graf Ernst die päpstliche Dispensation, unter dem Fischerring, im Original produzierte, war ihm das ein Siegel auf den Mund; doch gab seine bedenkliche Miene, und sein Kopfschütteln deutlich zu verstehen, der Obersteuermann des Schiffleins der christgläubigen Kirche habe, durch diese Vergünstigung, geflissentlich ein Loch in den Kiel desselben gebohrt, davon zu befahren stehe, daß es unter Wasser tauchen und zu Trümmern gehen werde.

Die Vermählung wurde mit Prunk und Pracht vollzogen, Frau Ottilia, welche die Stelle der Hochzeitmutter vertrat, hatte reichlich zugeschickt, und alle thüringische Grafen und Ritter kamen weit und breit zusammen, diese ungewöhnliche Hochzeitfeier mit begehen zu helfen. Ehe der Graf die schöne Braut zum Altare führte, tät sie ihr Schmuckkästlein auf, und verehrte ihm den ganzen Schatz der Juwelen, soviel ihr die Dispensationsspesen davon übriggelassen hatten, zum Heuratsgute, und er beleibzichtete sie dafür auf Ehrenstein zur Gegensteuer. Die keusche Myrte schlang sich, am Vermählungstage, um eine güldne Krone, welchen Hauptschmuck die Tochter des Soldans, als ein Dokument ihrer hohen Geburt, beibehielt auf ihre Lebenszeit, weshalb sie auch von den Untertanen nur die Königin genannt, und von ihrem Hofgesinde als eine Königin bedient und geehrt wurde.

Wer für funfzig Guineen die teure Wollust erkauft hat, eine Nacht in Doktor Grahams himmlischen Bette in London zu rasten, nur der kann sich das Entzücken träumen, welches Graf Ernst von Gleichen empfand, als die dreischläfrige Bettsponde ihren elastischen Rumpf eröffnete, den Verlobten zweier Geliebten nebst seinem Komitat aufzunehmen. Nach so vielen kummervollen Nächten, drückte ein bescheidner Schlummer der Gräfin Ottilia, an der Seite ihres wiedergefundenen Eheherrn, bald die Augen zu, und verstattete ihm die unbeschränkte Freiheit, mit der zärtlichen Angelika, nach aller Bequemlichkeit, den Endreim auf Muschirumi zu suchen. Sieben Tage lang dauerte das hochzeitliche Wohlleben, und der Graf gestund, daß er [739] dadurch reichlichen Ersatz für die sieben traurigen Jahre, die er im vergitterten Turm zu Großkairo zubringen mußte, erhalten habe, welches kein höfisches Kompliment zu sein scheint, das er seinen beiden getreuen Gattinnen machte, wenn anders der Erfahrungssatz richtig ist, daß ein einziger froher Tag, den bittern Gram und Harm eines trübseligen Jahres versüßet.

Nächst dem Grafen, befand sich bei diesem Wonnetaumel niemand besser, als sein getreuer Knappe, der flinke Kurt, der sich's bei reichbestellter Küch und Keller wohlsein ließ, und den Freudenbecher hurtig leerte, welcher unter dem Hofgesinde fleißig herumging, wobei der volle Tisch das Ohr spitzte, wenn er, sobald der Magen befriediget war, anfing seine Abenteuer auszuleeren. Da aber die gräfliche Ökonomie wieder in das gewöhnliche frugale Gleis trat, begehrte er Urlaub, nach Ordruff zu wandern, seine Hausfrau daselbst heimzusuchen, und ihr durch seine Heimkehr eine unvermutete Freude zu machen. Er hatte während der langen Abwesenheit seine Keuschheit aufs gewissenhafteste bewahret, und sehnte sich nun nach der billigen Belohnung eines so exemplarischen Wandels, durch den Genuß erneuerter Liebe. Die Phantasie malte ihm das Bild seiner tugendbelobten Rebekka mit den lebhaftesten Farben vor Augen, und je näher er den Mauern kam, die sie umschlossen, desto heller wurde dieses Kolorit. Er sahe sie mit allen den Reizen vor sich stehen, die ihn am Hochzeittage entzückt hatten; er sahe, wie das Übermaß von Freuden, über seine glückliche Ankunft, ihre Lebensgeister überwältigen und wie sie, mit stummer Betäubung, ihm in die Arme sinken werde.

Von diesem schönen Schattenspiel umgaukelt, gelangte er an das Tor seiner Vaterstadt, ohne es zu bemerken, bis der wachthabende Schildbürger den Schlagbaum vorzog, und den Fremdling auskundschaftete, wer er sei, was für Verrichtungen er in der Stadt habe, und ob er in friedlicher Absicht käme. Der flinke Kurt gab auf alles redlichen Bescheid, und trabte nun gemachsam, damit des Gauls Hufschlag seine Ankunft nicht zu früh verraten möchte, die Straße herauf. [740] Er band das Pferd an den Pfortenring, und stahl sich ohne Geräusch in den Hof seiner Wohnung, wo ihn der alte wohlbekannte Kettenhund zuerst mit freudigem Gebell empfing. Doch wunderte er sich baß, als er zweier muntern vollwangigen Knaben, wie die Engel gestaltet am Betthimmel in der Gleichischen Burg, ansichtig wurde, die auf der Hausdiele herumsprangen. Ehe er Zeit hatte darüber zu spekulieren, trat die Hausfrau züchtiglich aus der Türe, zu sehen wer da sei. Ach, welch ein Abstand zwischen Ideal und Original! Der Zahn der Zeit hatte, in den sieben Jahren, unbarmherzig an ihren Reizen genagt; doch waren die Grundzüge der Physiognomie insoweit verschont geblieben, daß sie dem Auge des Kenners noch so kenntlich waren, wie das vormalige Gepräge einer verblichenen Münze. Die Freude des Wiedersehens verschleierte leicht die Mängel der Gestalt, und der Gedanke, daß der Gram über seine Abwesenheit, das glatte Gesicht des lieben Weibes also gefurchet habe, versetzte den gutmütigen Ehekonsorten in eine empfindsame Stimmung, er umhalsete sie mit großer Inbrunst und sprach: »Willkommen trautes Weib, vergiß all deines Herzeleids. Sieh da! ich lebe noch: du hast mich wieder!«

Die fromme Rebekka erwiderte diese Zärtlichkeit mit einem derben Rippenstoß, daß der flinke Kurt davon bis an die Wand taumelte, erhob groß Geschrei und rief dem Gesinde, als sei ihrer Keuschheit Gewalt geschehen, schalt und schmähete, und gebärdete ihrer als eine Höllenfurie. Der zärtliche Ehemann entschuldigte gleichwohl diesen unzärtlichen Empfang damit, daß er die Ursache davon der beleidigten Delikatesse seiner züchtigen Hausfrau, durch den dreusten Bewillkommungskuß zuschrieb, er meinte, er werde von ihr verkannt, erschöpfte seine Lunge, sie aus diesem scheinbaren Irrtum zu ziehen; allein er predigte tauben Ohren, und wurde bald belehrt, daß hier kein Mißverstand in der Sache obwalte. »Du schändlicher Gauch!« erhob sie ihre kreischende Stimme, »nachdem du dich sieben lange Jahre in der weiten Welt herumgetrieben und mit fremden Weibern gebuhlt hast, meinst du mein keusches Ehebett [741] wieder zu beschreiten? Wir sind geschiedne Leute! Hab ich dich nicht an drei Kirchtüren öffentlich zitieren lassen, und bist du nicht deines ungehorsamlichen Ausbleibens halber für mausetot erklärt? Ist mir von der Obrigkeit gestattet worden, meinen Witwenstuhl zu verrücken, und den Burgermeister Wipprecht zu heuraten? Wir leben bereits ins sechste Jahr als Mann und Frau zusammen, und diese beiden Knaben sind ein Segen unserer Ehe. Da kommt der Störenfried, und will mein Haus verwirren! Wo du dich nicht stehenden Fußes fortpackst, soll dich der Magistrat stöcken und pflöcken und an den Pranger stellen lassen, zum Exempel aller solcher Irrläufer, die ihre Weiber böslich verlassen.« Dieser Willkommen seiner weiland geliebten Ehehälfte, war dem flinken Kurt ein Dolchstoß ins Herz, die Galle ergoß sich, wie ein Wehr, ins Blut. »O du treulose Metze!« entgegnete er, »was hält mich, daß ich dir und deinen Wechselbälgen nicht augenblicks den Hals umdrehe? Gedenkest du also deiner Zusage, und des oft wiederholten Schwurs im traulichen Ehebett, daß dich der Tod nicht von mir scheiden sollte? Verhießest du mir nicht, ungefordert,[742] wenn deine Seele gleich vom Mund auf gen Himmel führ und ich im Fegfeuer schmachtete, du wolltest vor der Himmelstür wieder umkehren und zu mir herabsteigen, mir kühle Luft zuzufächeln, bis ich aus den Flammen der Vorhölle erlöset wär? Daß dir doch die lügenhafte Zunge verschwarzte, du Galgenaas!«

Obgleich der Prima Donna von Ordruff eine geläufige Zunge verliehen war, die auch keinesweges auf die Verwünschung des ungestümen Eheprätendenten erschwarzte: so fand Dame Rebekka doch nicht gut, sich mit ihm in weitern Wortwechsel einzulassen, sondern gab dem Hausgesinde einen bedeutsamen Wink, worauf Knechte und Mägde über den flinken Kurt herfielen, und ihn brevi manu aus dem Hause warfen, bei welchem Aktus der häuslichen Jurisdiktion, sie selbst mit dem Kehrbesen, den verabschiedeten Ehegespan zur Tür hinausfächelte. Halb geradebrecht schwang er sich wieder aufs Roß, und flog spornstreichs die Straße hinab, die er so bedachtsam vor wenig Minuten herauf gezogen war.

Als sich auf dem Heimwege sein Blut anfing zu verkühlen, berechnete er Gewinn und Verlust und gab sich über den letztern zufrieden: denn er befand, daß er eigentlich nichts eingebüßet hatte als den Trost, in dem Zustande der Seele nach dem Tode, der Kühlung eines Sonnenwedels sich zu erfreuen. Er zog nimmer wieder nach Ordruff, sondern blieb auf dem Schlosse des Grafen von Gleichen seine Lebenszeit, und war ein Augenzeuge der unglaublichsten Begebenheit, daß zwei Damen sich in die Liebe eines Mannes teilten, ohne Zwist und Eifersucht, und sogar unter einem Betthimmel. Die schöne Sarazenin blieb kinderlos; liebte und pflegte jedoch die Kinder ihrer Mitgenossin als die ihrigen, und teilte mit ihr die Sorgen der Erziehung. Sie war von dem dreiblättrigen Kleeblatt dieser glücklichen Ehe das erste, welches im Herbste des Lebens dahin welkte, ihr folgte die Gräfin Ottilia, und der betrübte Witwer, dem's nun im Schlosse und in dem geräumigen Bett zu weit und einsam war, machte nach wenig Monaten den Beschluß. Die von den gräflichen Konsorten, bei Lebzeiten, festgesetzte Ordnung [743] im Ehebett, erlitt auch nach dem Tode keine Veränderung. Sie ruhen alle drei in einem Grabe, vor dem Gleichischen Altar in der Sankt Peterskirche zu Erfurt, auf dem Berge, allwo ihr Grabmal noch zu sehen ist, mit einem Steine bedeckt, auf dem die edle Bettgenossenschaft nach dem Leben abgebildet ist. Zur Rechten die Gräfin Ottilia, mit einem Spiegel in der Hand, dem Sinnbilde ihrer lobwürdigen Klugheit, zur Linken die Sarazenin mit einer Königskron geschmückt, und in der Mitte der Graf, auf sein Wappenschild, den gelöwten Leoparden sich lehnend 15. Die berühmte dreischläfrige Sponde wird noch im alten Schlosse, in der sogenannten Junkernkammer, als eine Reliquie aufbewahrt, und ein Span davon, statt des Blankscheits in dem Schnürleib getragen, soll die Kraft haben, alle Regungen von Eifersucht in dem weiblichen Herzen zu zerstören.

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Fußnoten

1 Graf von Grasse.

2 So ist's jetzt Sitte im Lande, das Kind beim rechten Namen zu nennen, und keinen griechischen Namen mehr nach römischer Mundart zu verhunzen.

3 Rockenphilosophie, nach einem vergröberten Ausdruck.

4 Die Gesellschafterinnen der frommen Muselmänner in jener Welt.

5 Zu Zeiten des Grafen von Gleichen war es gewöhnlich, alle Nichtchristen, folglich auch die Muhammedaner, Heiden zu nennen.

6 Journal der Moden Junius 1786.

7 Der eigentliche altdeutsche Name der Hyazinthen.

8 Convolvulus marinus.

9 Kalaf, ein Strauch, aus dessen Blüten ein Wasser gezogen wird, das mit unserm Kirsch- oder Lindenblüten-Wasser übereinkommt, und in Hauskuren häufig gebraucht wird. Bahobab, eine Frucht, welche die Ägypter sehr lieben.

10 Verschiedene Arten von Nilschiffen.

11 Obergärtner.

12 Hyacinthus Muscari.

13 Hasselquists Reise nach Palästina.

14 Die Erfindung in einem Sacke zu reisen, wurde zu Zeiten der Kreuzzüge mehrmals benutzt. Dietrich der Bedrängte Markgraf zu Meißen, kehrte unter eben diesem Inkognito aus Palästina in seine Erblande zurück, um den heimlichen Nachstellungen Kaiser Heinrich des Sechsten, der eine Absicht auf die ergiebigen freibergischen Bergwerke hatte, zu entgehen.

15 Ein Kupferstich von diesem Leichenstein, befindet sich in von Falkensteins analectis nordgaviensibus.

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TextGrid Repository (2012). Musäus, Johann Karl August. Märchen. Volksmärchen der Deutschen. Melechsala. Melechsala. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5D9D-4