Die Bürgschaft.
Parodie nach Schiller 39.

Zum Chemiker N**, den Hofrath, schlich
W**, ein Glas im Gewande;
Der Laborant schlug ihn in Bande.
»Was willst Du mit dem Glase, sprich!
Entgegnet der Laborant fürchterlich.
»Mein Herrn von dem Goldsalz befrei'n!«
»Das sollst du mir wacker bereuen.«
[237]
»Ich bin«, spricht W**, zu sterben bereit,
Und bitte nicht um mein Leben;
Doch willst Du Gnade mir geben,
Ich bitte dich um drei Tage Zeit,
Bis sich der Schwefel vom Spießglas scheid't;
Mein Freund Doktor M** wird bürgen,
Ihn magst du weg'n meiner erwürgen.«
Da grinst der Hofrath mit arger List
Und spricht nach kurzem Bedenken:
»Den möcht i net, dürfest mir'n schenken;
Doch weil i eben Stickgas bereit,
So send' ihn, hör' aber meinen Eid:
Kehrst du nicht, dein Wort ist gebrochen,
So soll er in Scheidwasser kochen.«
Und er kommt zum Doktor: »Der Hofrath gebeut,
Daß in der Retorte mein Leben
Ich ende für's frevelnde Streben,
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
Bis sich der Schwefel vom Spießglas scheid't;
So bleib' du demselben zum Pfande,
Bis ich komme zu lösen die Bande.«
Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
Und eilt in die chemischen Hallen:
»Gern, Freund! thu' ich dir den Gefallen.«
Und eh' die Sonne zum drittenmal brennt,
War er mit der Analyse zu End',
Eilt fort mit sorgender Seele,
Damit er die Frist nicht verfehle.
Da kommt mit hastigem Schritte auf ihn
Herr P** 40 winkt mit dem Stocke
Und packt ihn beim dunkelgrau'n Rocke.
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Und reißt in den Laden den sträubenden Freund;
Sein Vorsatz war gut und redlich gemeint,
Zu zeigen die Wurzeln und Samen,
Die eben aus Engeland kamen.
Und Schubladen auf und Schubladen zu,
Wie weit er auch spähet und meinet,
Ob nicht bald die Letzte erscheinet:
Doch da ist kein' Hoffnung bis finstere Nacht,
Denn als er die Kasten zu Ende gebracht,
Da kam erst noch – Teufel und Hölle –
Die Reih' ätherischer Oele.
Und rastlos irrt er im Laden herum,
Kaut Dattelkern zwischen den Zähnen,
Doch wollt' er der Sach' nicht erwähnen;
Doch da ist kein Ende, denn wie der Mann
Die Oele gezeigt, so reißt er alsdann
Mit Höflichkeit, ohne zu rasten,
Herrn W** hinauf auf den Kasten.
Ja! ja! 41 spricht W** in Zorn und Wuth,
Herr P**, alles zum Loben,
Ich bin überzeugt durch Proben;
Doch jetzt muß ich eilen, s' Collegium
Ruft, werde die Ehre bald wiederum
Mir geben, vielleicht morgen frühe,
Ich danke für Arbeit und Mühe!
Und gewinnt die Straße und eilet fort,
Und danket dem rettenden Gotte;
Da stürzt eine schändliche Rotte
Von Kräuterweibern, die schreien all':
»Zahl Er die gelieferten Kräuter einmal;«
Und wollten den Weg ihm verstopfen,
Ihn schimpfend ein'n elenden Tropfen.
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»Was wollt ihr!« ruft er vor Schrecken bleich
Und droht mit gehobenem Stocke;
»Ich habe nichts hier als den Rocke,
Der aber, sterb ich hier auf dem Platz,
Kommt in des Kaisers von China Schatz
Und wird – ach ich trenn' mich mit Rühren! –
Die fürstliche Schatzkammer zieren.«
Und ruft's, darauf rennt die Eine gleich,
Ein Tritt auf den Hintern, in Staube,
Und weitweg flieget die Haube;
Drauf packt er die andere wiederum
Und kehrt sie im Straßenkothe um;
Die Dritt' bei so wüthigen Streichen –
Sucht schimpflich ihr Heil im Entweichen.
Und die Sonne versendet glühenden Brand,
Und von der unendlichen Mühe
Ermattet, sinken die Kniee.
»Du hast mich gnädig aus Weibeshand,
Aus P**s Laden gerettet an's Land,
Und soll hier verschmachtend verderben
Und der Freund mir, der liebende, sterben!«
Doch horch! beim S***bräu lieblich klingt's
Aus G*ius 42 rufendem Munde:
»Sie lechzen ja wie ein Hunde!«
Und reicht ihm die Halbe zum Fenster hinaus,
Der stürzt mit einem Zuge sie aus
Und ohne in Eile zu danken
Verläßt er des Wirthshauses Schranken.
Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
Und malt auf den glänzenden Matten
Des W*s Nase gigantischen Schatten;
[240]
Und zwei Männer sieht er die Straße zieh'n,
Will eilenden Laufes vorüber flieh'n,
Da hört er die Worte, die flotten:
»Jetzt wird er in Scheidwasser gesotten.«
Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
Ihn jagen der Sorge Qualen:
Schon schienen des Abendroths Strahlen,
Es stiegen düstre Wolken auf.
Da stürzt auf ihn in vollem Lauf
Ein anderer Freund mit den Worten:
»Was willst du Unglücklicher dorten?«
»Zurück! Du rettest den Freund nicht mehr,
So rette das eigne Leben!
Salpetergas schnupft er soeben;
Von Stund' zu Stund' gewartet er
Mit hoffender Seele die Wiederkehr,
Sprach endlich, dem Publikum näher:
»Da seht's itzt den Erz-Pharisäer!«
»Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht
Ein Retter willkommen erscheinen,
So will ich die Säure, wo er war,
Als Andenken drei volle Jahr'
Zum Analysir'n mich bedienen!«
Und die Sonne geht unter, da steht er schon
Vor Florens herrlichen Pforten,
Da sieht er die großen Retorten 43;
Und rothe Dämpfe entsteigen dem Glas,
Ringsum husten s' vom stinkenden Gas,
Und der Freund liegt gebunden zur Erden,
Vorher verkleinert zu werden.
[241]
Da ruft er aus: »Halt Laborant, halt!
Hier bin ich, den Freund zu erlösen,
Es wär' so pressant nicht gewesen!«
Und rafft den Freund vom Boden auf.
Die Leute reißen die Mäuler auf,
Entrüstet mit wilder Geberde,
Daß aus dem Spektakel nichts werde.
Und zum Hofrath kam die Wundermähr;
Der fühlt ein menschliches Rühren
Und läßt sie auf's Zimmer citiren.
»Weil die Treue Dir so heilig war,
So erlaß ich Dir das Honorar
Und will noch zum Angedenken
Die Goldauflösung dir schenken.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller, Karl Theodor. Gedichte, Aufätze und Lieder. Gedichte, Aufätze und Lieder im Geiste Marc. Sturms. Die Bürgschaft. Die Bürgschaft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-558E-C