Aloylius Leistenbruch,

Bader in G**g,


sendet eine merkwürdige Krankheitsgeschichte an

die Akademie der Wissenschaften in Schweden, und wird deßhalb zum unordentlichen Mitglied, jedoch aber ohne fernere Korrespondenz aufgenommen.


Georg Silverio aus Becking, königl. Landgerichts China, von gar keiner Profession, ausgenommen was ein Soldat, wo er aber lange gewesen war, hitzigen Kompliments, schwarzer Körper-Konstitution, weiß gar nichts von den [216] Kinderkrankheiten, und hatte schon einmal ein Renematissimus-Fieber gehabt, ohne daß aber er daran gestorben wäre, sondern, obwohl er noch einmal rebitativ geworden, so hat er sich, so zu sagen, gänzlich wieder erholt; vor 3 Wochen aber hatte er sich beim salva venia Hosenumkehr'n mit einer Verkältung überladen, diese Verkältung aber habe er gehen lassen, wie sie war, wo er aber ein abscheuliches Leibreißen bekommen habe; und sei ihm gewesen, just als wenn ihm lauter glühende Nadeln bei dem bewußten Orte hinauswollten, was auch seine Schwester, die übrigens bei dieser Sache weder direkt noch indirekt interessirt sein konnte, bezeugen müßte; wo sie alsdann diesen Umstand inständlich dem Hrn. Doktor S**t berichtete, der ihm ein Glas verordnete, was er auf einmal nahm. Hierauf ging es besser, wo er aber eine unvorsichtige geselchte Wurst aß und auf dieser, indem er den oftberührten Stuhlgang wieder bekam, hier in's Armenkrankenhaus, welches ich ex opificio, zu versehen habe, gekommen sei.


[217] Status praesens.


(Gegenwärtiges Befinden des Kranken.)


Bei der ersten Visite fand man folgende krankhaft offizielle Erscheinungen 37:

Puls keinen – Stuhlgang gelblich belegt – Zunge ein Sediment von Urin – Hartherzigkeit im Unterleib – Reißen im Appetit – wenig Durst um Mitternacht Schlaf wohl – allgemeine Transulstanzion auf der Haut – kritisirende Stuhlgänge – der Unterleib renomistisch aufgetrieben – furchtbar räsonirend – der Stuhlgang ging sich seiner selbst völlig unbewußt fort, und was abging, that nicht der Mühe werth, daß man davon redet, alles war gleichsam hier den Augen des Publikums in gedrängter Kürze dargestellt – unglaublich viel Schwachheiten waren ehvor schon und sind es noch – das Gesicht war gleichsam aphöristisch zusammengezogen – eine wahrhaftige vacies ipecratica – das Kopfweh nach meiner Beobachtung sehr einseitig – der Kranke phantasirte [218] viel, sah, als ich und meine beiden Gesellen vor seinem Bette standen, nichts als Ochsen und Vieh vor sich, hatte immer mit Mist zu thun, den er überhaupt immer im Kopfe hatte, das linke Aug schien mir nicht recht zu sein, und überhaupt die Krankheit einen ganz andern Weg zu nehmen, als ich. –


Diagnosis (Krankheitsbestimmung).


Wenn wir den Eingangs gelassenen Stuhlgang mit der Schwester des Kranken respective ihrer Aussage vergleichend mit einander – auf die Wagschale legen wollen, wenn wir, sag ich, die gegenwärtigen, die vergangenen und die zukünftigen Erscheinungen genau erwägen wollen, wenn wir, sag ich, endlich den Speisen allen nachgehen wollten, die der Kranke vielleicht schon seit Jahren zu sich genommen, so liegen sie, an verschiedenen Orten zwar, doch klar vor unsern Augen nämlich jene feindlichen Einflüsse, die da zusammengewirkt haben, und die rothe Ruhre (Dyssenderia) hervorzulocken; besonders, da die seit einiger Zeit herrschende rührende Witterung so sehr dieser Krankheit günstig ist. Ob aber die rothe oder die [219] weiße?! – Ich konnte aus den Exkrementen nicht klug werden; die Physiologen und Naturforscher mögen sich drein theilen und in diese schwürige Materie vertiefen; mir genügt das, was ich vor mir habe.


Prognosis.


(Vorhersage der Krankheit.)


Da der Kranke so sehr an Kräften herabgekommen, daß er ohne alles Vermögen, Geld und Geldeswerth ist, so kann meine Vorhersage nicht anders als höchst traurig sein. Es ist möglich, daß, wenn sein gleichzeitig kranker Vetter, der Dixlhofbauer, dessen einziger Erbe er ist, dem Vernehmen nach stirbt, dadurch mir und der heilsamen Natur etwas unter die Achsel gegriffen wird, außerdem sein Gemüthszustand, was man da heißt anima exanthema, sowie auch der Krankheitssame (seminarium morbosum) nicht bekämpft werden können, sohin die Vorhersage in Beziehung auf meine Bezahlung, als auch auf seine Heilung äußerst zweifelhaft sein muß.


Curae methodus (Heilplan).


Hier muß entzündungswidrig und stärkend zugleich vorgefahren werden – entzündungswidrig [220] für ihn, stärkend aber für mich. Da ich also gesonnen bin, heute Nacht in höchsteigener Person an des Kranken Bett zu verweilen, so dürfte eine Maas alter Rheinwein (dem Puls nach zu schließen, wär Deidesheimer Elfer der zweckdienlichste) herbeigeschafft werden. Nur muß ihm derselbe, was aber meine Sorge ist, so sparsam als möglich gereicht werden. Ein gebratenes Hühnlein wäre freilich hiezu stark angezeigt, allein ob er es verträgt?! – Jedoch wenn ich bei ihm bin, soll es ihm, denk' ich, so viel nicht schaden! Um aber spezifisch auf das Rückenmark zu wirken: Markknödeln in der Fleischbrüh. Um den beständigen Andrang des Blutes zum Kopf abzuwenden, ließ ich ihn nun die verkehrte Lage annehmen, so daß nun die Füße dahin kommen, wo ehevor der Kopf gewesen, das zum Kopf hinströmende Blut also ganz natürlicher Weise zu den Fußen geleitet werden muß.


Den 17. Mai.


Der Dixlhofbauer ist glücklich gestorben. Der Kranke hat 500 fl. geerbt. Er hat drei Oeffnungen, und die Haupttemperatur finde ich jetzt [221] ganz natürlich. Auch der Urin fängt sich jetzt an zu brechen. Er und ich fangen an, freier zu athmen, sein und mein Gesicht werden heiterer, und wir haben beide gute Hoffnung. Doch ließ ich ihn auf jeden Fall wegen eingetretenen Schnacklers (Syndihultus) das Testament machen, das ich selbst aufsetzte und was er auch unterschrieb.

Innerlich verordnete ich folgenden gelind strangulirenden Ladwaring

Alaun,
Gummigutti,
Allappi,

Von jedem 1 Loth.

Nimm's mit Honig und wirkt's zu wenig, soll es nach einer halben Stunde repetirt werden.

Am nämlichen Tage Abends war der Kranke noch der Nämliche, der er gestern gewesen; ich ließ denselben also nochmal repetiren.


Den 18. Mai.


Der Kranke hatte 84 Stühle gehabt, und wurde fast alle Unreinigkeit ausgeleert. Es ist aber doch unglaublich, was in einem Menschen für so viel Unreinigkeit stecken kann!! – Er schlief die ganze [222] Nacht über ruhig, und ich fand ihn bei der Visite früh Morgens 9 Uhr todt. Es wurde also innerlich weiter nichts mehr verordnet, auch die äußeren Mittel einstweilen bei Seite gesetzt. Die Kost bleibt. Morgen wird, was eigentlich die Hauptsache bei der ganzen Affaire ist, die Sektion vorgenommen werden. Freue mich recht darauf, bin sehr begierig.


Den 19. Mai.


Die Sektion wurde in des Dixlhofbauerns Garten veranstaltet, und hiebei fand man Folgendes: Im Kopf hatte er nichts, wie ich und mehrere meiner Kollegen, die wir ihn zu genau kannten, vorausgesagt hatten. Der ganze Magen war ihm umgekehrt worden, was wohl von seiner harten Dienstherrschaft herrühren mochte. Die Gedärme waren frisch und gesund, und sahen aus wie's Leben so schön roth. Um den After herum war's miserabel brandig, gleichsam wie aus einem Gewehre', aus dem schon lange geschossen. Es konnte also keine Todesursache aufgefunden werden, als – wer hätte daran gedacht, – ein Maienkäfer, der durch den Kreislauf in das linke Herz [223] gekommen sein mußte und auch sogleich heraussiel, als man das Herz, das man vorläufig bei Seite gelegt hatte, zur Untersuchung vornahm. Und nun sind mir jene abendlichen Verschlimmerungen, Exacereprationes genannt, erklärbar, weil bekanntlich diese Vögel erst Abends zur Dämmerung ihre Schwärmerei und Umzüge zu beginnen pflegen. Wie äußerst sonderbar und doch so natürlich! – ! –

Ich schließe diese für die Medizin überhaupt, vorzüglich aber für die Fieberlehre und Lehre von den abendlichen Verschlimmerungen höchst interessirte Beobachtung mit dem Bemerken, daß man nicht genug vorsichtig bei der Sektion sein – ja nicht zeitig genug auf dieselben antragen kann, indem sich dann immer und gewiß eine Todesursache auffinden läßt, und Licht in der Dunkelheit wird. Nur so, ja nur so und nicht anders kann die Wissenschaft auf jenen Grad der Ausbildung gebracht werden – auf welchem sie aber bei weitem nicht ist.


Aloys Leistenbruch,

Bader in G**g.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller, Karl Theodor. Gedichte, Aufätze und Lieder. Gedichte, Aufätze und Lieder im Geiste Marc. Sturms. Aloylius Leistenbruch, Bader in G**g. Aloylius Leistenbruch, Bader in G**g. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5541-5