[98] Rudharts Haß

An dem felsigen Abhang des Mains saß Rudhart
und blickt' zu Orlas Ritterburg hinan.
»Werden denn ewig – rief er – diese Türme stehen?
Wird kein Donnerstrahl sie zerschmettern?
Verflucht sei die Hand, die den ersten Stein dazu brach!
Meiner Rache hat sie gehöhnt.
Mutter, sitz' auf jene Klippe,
sing dem Verzagten ein Lied
und höhne mir den Narren herab:
Ein kriegrisches Lied voll Haß und Groll und Schande und Spott!
Mit ihm, Orla, muß ich heut kämpfen!«
»Soll denn ewig Haß deine Stimme umwölken?
Großmütig ist der Ritter. –
Was tat er dir, mein Sohn, daß du ihn hassest?
Daß er dich, als du überwunden vor ihm standst,
nicht fesselte und dich in tiefe Gewölbe warf,
wo weder Frühlings- noch Sommershauche hindringen?
Dein Handschlag galt ihm – gedenke,
was du tust!
Ich singe zum Kampfe kein Lied.«
»Nicht? So singe ich selbsten!« – Nun tönte das Tal,
dreimal hallte es um die Burg.
»So sei's denn – rief Orla – morgen hinab
in's blumige Tal – ehe die Erde erwacht.«
Und nun standen sie gegeneinander.
»Warum – rief Orla – warum suchst du den Kampf?
Jüngling, was reizet dich?«
»Ich hasse dich,« rief Rudhart.
Du hast mir alle Ritterehre geraubt –
Du gewannst im Turnier den Preis.«
»Und ich – rief Orla – liebe dich –«
»Verflucht sei deine heuchlerische Zunge!
Erzähle Weibermärchen und schläfre Kinder ein.
Ich hasse deine Gütigkeit.
Zurück, zurück! Mein Schwert soll dir's vergelten!«
– »Noch ein Wort, Jüngling! Vater bin ich.
Dies sage ich nicht, dich zu erweichen,
nur darum: Schwöre, ehe du streitest,
der Kinder, fall ich, dich zu erbarmen.«
»Laß die Erbarmung schweben, wohin sie will!
Für dich keine!« –
Ha, nun hallte das Schild und das Schwert!
»So nimm dies!« Zersplittert war das Schild,
und Rudhart wankt zu Boden.
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»Soll ich meinen Fuß auf deine Kehle setzen – sieh das gezückte Schwert!
Du würdest mich nicht schonen. Aber stehe auf, Jüngling.
Reich mir deine Hand und du bist frei!«
Oben im Schlosse weinte der Schildknapp
an der Gräfin Orla Schlafgemach – sie hört das Schluchzen.
»Fort eilt sie! denn ach, verlassen hatte ihr Gemahl ihre Schlafdecke,
zum Kampf aus ihren Armen sich gestohlen.
Sie nahm die gelblockigen Knaben
hinab ins Tal. Da kam sie, als noch der überwundene
Rudhart zu ihres Gemahls Füßen lag.
An ihrem Vater hingen die Knaben und weinten
und schluchzten und zitterten noch da, als er sie liebend
in seine Arme nahm, an seine Brust gedrückt
für sein Leben.
»Lade mir, kleiner Kleeblut, lade den Ritter ein!
Sag' ihm, er bleibe bei uns zum nächtlichen Mal.«
Aber des Nachts als alles schlief, stand Rudhart auf.
»Ich habe es gesehen, wo die Knaben schlafen.
Sie sollen sterben – sterben! Ich will sie
würgen, wie Lämmer an der Brust!
Kommen meine Reiter bald?
Sie sind unten – nun auf! Rache
ersticke meinen Busen, denn ich räche mich!«
Nun tritt er in die Kammer – da lagen sie
wie zwei Lämmer, Arm in Arm geschlungen ...
Er riß sie hervor! »Wohin willst du mich führen?
fragte der eine, »laß mein Brüderchen schlafen!«
Die Ärmchen auf den Rücken gebunden
führt er sie hinauf zum Giebel des Turmes.
Und – o Jammer, wer solches hört: –
Dort stürzt er sie hinab!
Aber ach, sie fielen auf den Erker,
wo der Vater schlief – dort röcheln sie blutend.
Mit dem Schwert in der Hand sprang er hervor:
»Ach meine Knaben! meine Kinder!
Ihr sterbet, sterbet, meine Knaben –
Mutter, Mutter! hier liegen sie ...«
Nun heulte er durch die Feste
und suchte den Täter – bis der Tag anbrach.
»Hervor, Wütrich! Teufel, hervor!«
Da lag er – seine Knochen verwehte der Wind
und sein Andenken ist auf ewig verflucht.
Es freut sich nur seiner die Hölle.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Gedichte. Rudharts Haß. Rudharts Haß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5084-2